Abwarten und Abführtee trinken !
"Warte, warte nur ein Weilchen,
bald kommt Haarmann auch zu dir,
mit dem kleinen Hackebeilchen,
macht er Schabefleisch aus dir."
(Strassenlied zu dem 24-fachen Hannoveraner Massenmörder Fritz Haarmann, hingerichtet 1924)
Erst 1953 fand der noch unbekannte irische Autor Samuel Beckett nach langer Suche ein Pariser Theater, das unter Regisseur Roger Blin bereit war, sein seither berühmtestes Schauspiel uraufzuführen : "Warten auf Godot". Es wird bis heute gerätselt, wer jener Herr Godot eigentlich sei, der nie ankommt. Ist das menschliche Leben letztlich ein vergebliches Warten auf Gott oder Warten auf den sicheren Tod? Zwei Landstreicher, Wladimir und Estragon, vertreiben sich die Zeit bis zum erwarteten Godot mit allerlei Schnurren zwischen Unsinn und Tiefsinn, Startschuss des "absurden Theaters". Der Titel wurde inzwischen fast sprichwörtlich. Als das Premierenpublikum begeistert applaudierte, soll Beckett unkokett bestürzt gefragt haben : "Was habe ich nur falsch gemacht?""
Zeit verläuft mal schneller, mal langsamer, denn ungeduldiges Warten auf Schönes zieht sich gewöhnlich länger hin als abwehrendes Warten auf Schlimmes. Gegenwart erwartet Künftiges, um es in Vergangenheit zu verabschieden, aber jederzeitig lässt sich auch Unerwartetes erwarten. Man kann und darf nicht jederzeit mit allem rechnen, auf alles gefasst und vorbereitet sein. Wartezeiten lassen sich verkürzen durch Ablenkungen, bis das Erwartete vergessen ist. Erwartungen werden Prognosen, wenn sie mehr als blosses Wunschdenken spiegeln. Der Torwart soll den Ball halten und wartet (auf) kein Tor. Ein Blockwart war mal ein Denunziant im totalitären Überwachungsstaat.
Der misanthropische Willensphilosoph Arthur Schopenhauer warnte immer wieder davor, mit grossen Glückserwartungen ins Leben zu gehen. Solche Illusionen zerplatzten regelmässig wie Seifenblasen, und Schmerzlosigkeit sei noch der höchste Lebensgenuss, der realistisch zu erwarten stehe.
Entweder wartest und wartest du nur oder tust etwas, um das Eintreffen des Erwarteten wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher zu machen. "Fangt mit dem Essen ruhig schon an und wartet nicht auf mich", sagt jemand. "Wartet mal, ich muss vorher noch pinkeln." Warten auf etwas ist das halbe Leben, und wenn es kommt, kommt es meist anders als erwartet. Wer nicht warten kann, verfehlt sein Ziel oft, doch wer zu lange wartet, wartet leicht ganz vergeblich.
Manche(r) wartet ständig auf etwas und verhindert es dadurch. Manche(r) erwartet stets das Schlimmste, um sich dadurch immer wieder mal angenehm überraschen zu lassen - was der Sinn des Pesimismus ist. Im stets überfüllten Wartesaal des wahren prallen Lebens wird die meiste Zeit vergeudet. Jeder wartet auf das grosse Glückslos, verwartet seine Tage und versarumt dabei, was ihm der Augenlick an kleinen Chancen zuspielt. Jeder Tag des Lebens kann zur ewigen Warteschleife werden.
Freund Hein wartet auf jeden Sterblichen und als einziger nie vergebens, egal, wie lange er warten muss, ohne mörderisch nachzuhelfen.
Man lässt Menschen und Autos warten.
Du lobst mich? Dafür lobst du dich
und erwartest auch noch mein Lob.
Ein Christ erwartet vom Tod mehr,
als das Leben geben kann.
Eine Kartoffel mit Fernweh
muss auf den Bauern warten.
Zeitgenossen hoffen, dass sie nach dem Tod
kein ewiger Vater erwartet.
Güter werden Kunstwerke, wo sie mehr
von uns erwarten als wir von ihnen.
Wer erwartet vom Leben noch Höheres
als höhere Lebenserwartung?
Pessimisten erwarten Gerechtigkeit,
Optimisten Schuldennachlass.
In Demokratien soll Wut auf Mehrheiten warten.
Tut nur Unerwartetes und erwartet nur Untaten!
Ein Arzt, der lange Wartezeiten verordnet,
ist und wirkt besser.
Ein Arzt, der so gut ist,
dass sein Wartezimmer überfüllt ist,
wird so schlecht, keinem Patienten genug
Zeit widmen zu können.
Ewigkeit ist erst einmal die Zeit,
die wir auf sie warten müssen.
Die Lebenserwartung ist gestiegen : Das Warten
auf ein besseres Leben zieht sich heute länger hin.
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Tag der Veröffentlichung: 05.06.2025
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