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Magisches oder rationales Denken?

 


Die Ratio weiß selbst, dass sie nicht alles ist, aber
gehört die Magie zu ihren ebenbürtigen Alternati-
ven? Heute gängige und beliebte Verstandeskritik
und Vernunftkritik beruft sich gern auf spirituelle,
esoterische, astrologische oder ähnliche, angeblich
legitimere Zugangswege zur Wahrheit, doch das zu
Unrecht. Es gibt Irrationales zu Recht und zuhauf,
natürlich, doch die von der Vernunft selber einge-
räumten Grenzen und Defizite der Ratio (Verstand
und Vernunft) lassen sich von magisch-esoterischen
Prätentionen nicht kompetent genug kompensieren.
Die selbstkritische und vermeintlich selbstherrliche
Ratio selbst weiß, dass es viel legitimes Irrationales
gibt, sogar in ihr selber. Aber man kann Mitmen-
schen bewusst oder über das Unbewusste suggestiv
beeinflussen, und damit sogar den Lauf der Dinge
indirekt ändern, das ist alles und hat mit Magie noch
wenig zu tun. Die Ratio will die Welt der Gefühle,
Stimmungen und Ahnungen nicht entwerten und
vernichten. Sie erkennt nur deren sinnvolle Grenzen.
Und so rationell wie berechnende Magie geht sie ja
gewöhnlich auch gar nicht vor.


Ein Lexikon definiert : „Magie, die (gr.) : der bei
Naturvölkern, aber auch noch in den alten Hochkul-
turen verbreitete Glaube, dass in bestimmten Ge-
genständen … gute oder böse Geister (Dämonen)
anwesend seien, die durch genau vorgeschriebene
Sprüche, Gebärden, Zeichnungen „beschworen“, zur
Hilfe herbeigerufen (weiße M.) oder auch gebannt
werden können (schwarze M.). In hochentwickelten
Kulturen nennt man die Magie Aberglauben.“
Altpersische „Magier“ (Weise) waren ursprünglich
etwas zwischen Priestern und Zauberern, Sterndeu-
tern und Wahrsagern.


Sigmund Freud rechnete das magische Denken zum
„Animismus“, d.h. zu einem mythischen Irrglauben,
durch symbolische Rituale an realen kosmischen
Mächten teilzuhaben und sie seelisch beeinflussen
zu können, ohne arbeitstechnische Verformung der
äußeren Realität. Diesen erznarzisstischen Glauben
zählte er zu den infantilen menschlichen Allmachts-
phantasien, durch die eigenen Gedanken den Lauf
der Welt steuern zu können und einen privilegierten
Zugang zu allen transzendenten Kräften zu haben,
gleichsam von Geist zu Geist, von eigener kleiner
Seele zu "belebter Weltseele".


In frühester Kindheit hatte jeder von uns diese gran-
diose Urgewissheit, aus der symbiotischen Identifi-
kation mit den uns allmächtig erscheinenden Eltern-
figuren heraus. Diese “primärnarzisstische” Illusion
überkompensiert nach Freud die demütigenden Ge-
fühle realer Hilflosigkeit des abhängigen Kindes vor
der Welt und den Eltern. Naturvölker sind dann vor
der übermächtigen Natur gleichsam in der Kindheit
der Kultur verblieben.


Magie schafft Wunder, indem sie kraft seelischer
Vorgänge die reale Kausalität der Naturgesetze
aufzuheben scheint. Die Wunder der modernen Ma-
schinentechnik werden deshalb gern als „realistische
Magie“ bezeichnet. Reale Technik wirkt magische
Wunder, weil sie die Naturkausalität gleichsam mit
der Kausalität steuert. Aber die Meditationstechnik
der „Schamanen“ ist ein Suggestions- und Auto-
suggestionsritual. Die meisten Menschen, die in der
Neuzeit diese Fähigkeit sich einbilden, sind bloße
Wichtigtuer − oder eben Manipulateure, die Mit-
menschen beeinflussen und sich Macht über deren
Gemüter erschleichen wollen. Sich oder andere über
magische Kräfte verfügen zu sehen, zählt schon
selber zum magischen Glauben. Kurzum : Magie ist
meist so etwas wie Wunschdenken der Einbildungs-
kraft und nicht der Urteilskraft. Aufschneiderische
Prahlhänse spielen sich auf als telepathische oder
telekinetische Talente.

 

Moderne Zauberer sind Gaukler, die uns durch
Tricks und Kniffe magische Beeinflussungen der
Dinge vortäuschen, zur amüsanten Unterhaltung
oder zur psychischen Bemächtigung.


Die magische Illusion ist aber eine für Kunst und
Künstler besonders nützliche Illusion, doch eben nur
eine Illusion, nicht durch reale Arbeit und reale
Technik, sondern schon kraft bloßen eigenen Den-
kens und Fühlens die äußere Realität formen zu
können. Magie ist also psychologisch betrachtet eine
infantile Omnipotenzphantasie des eigenen Inneren
über die Außenwelt. Diese imaginäre Illusion wird
produktiv in der Kunst, die aus der vorgefundenen
Realität heraus alternative Scheinwelten entwirft,
„ästhetischer Vorschein einer besseren Welt“ (Ernst
Bloch), und sei es die vorwarnende Projektion einer
möglichen Dystopie. (Die “Fantasy-Kunst“ zählt zur
Popkultur und Popkultur eben nicht zu authentischer
Hochkultur künstlerischer Phantasie.)


Theodor Adorno schrieb in den „Minima moralia“
(1951) : „Kunst ist Magie, befreit von der Lüge,
Wahrheit zu sein“. Und Astrologie sei die “Meta-
physik der dummen Kerle.“ (Obwohl die Riesen-
energieumsätze im All gewaltig auf uns einwirken.)
Magie war immer eine als gefährlich empfundene
“Geisterbeschwörung“, nicht nur wunderbares Ge-
fühl von etwas Wunderbarem. Doch unser Problem
ist, dass wir auf das Wort nicht verzichten wollen,
aber an Geister, Dämonen und transzendente Mäch-
te nicht mehr glauben. Schon die Hochreligionen
haben die Magie bekämpft, nicht erst die rationale
Aufklärung, aber was nicht abgedroschen und ab-
genutzt glanzlos ist, ist deshalb ja noch nicht ma-
gisch. Seit der naturwissenschaftlichen Naturent-
zauberung und industriellen Naturbeherrschung gibt
es eine romantische Gegenbewegung. Seit der
Romantik um etwa 1800 versteht die ernüchterte
Moderne Magie nur noch als ästhetische Wieder-
verzauberung der entgötterten Welt. Walter Benja-
min z.B. sprach von geheimnisvoller "Aura" der
Dinge : eine Ferne, die uns auf den Pelz rückt, und
zugleich eine aufdringliche Nähe, die sich uns stän-
dig entzieht.


In der Postmoderne nimmt sich jeder aus allen Kul-
turen, was er mag, und backt sich daraus eine belie-
bige Patchwork-Magie. Ein bisschen schamanische
Naturästhetik, eine Portion Mutter-Erde-Ökomystik,
eine Prise Gefühlsreligion, und fertig ist der geistige
Privatkuchen. Das geht alles, niemand hindert einen
und nimmt ernstlich Anstoß daran, alles ad libitum.
Ob jeder heutige Zeitgenosse in der harten indiani-
schen Naturmagie auch nur einen Monat überleben
könnte, darf man aber wohl bezweifeln. Naturvölker
kämpfen in einer übermächtig grausamen Natur, und
ihre Naturmythen lassen sich in westliche Konsum-
kulturen kaum übertragen. Wenn alles Magie ist, ist
gar nichts mehr magisch, sondern wird ideologisch.
Bevor also der Begriff völlig alles- und nichtssagend
wird, sei erinnert an die Grundbedeutung : Magie
will göttliche und dämonische Kräfte manipulieren,
an die wir doch nicht einmal mehr im Ernst glauben.
Wollen wir jede etwas exaltiertere Gefühlsergrif-
fenheit wirklich schon "magisch" nennen? Mit un-
serer hedonistisch weichgespülten Wellnessmagie in
den Industriestaaten sind wir doch keine natürlichen
"Stadtindianer"! Die religiöse Dimension ist bei uns
ja gekappt, und was ist denn die Mystik ohne Gott?
Robert Musils "anderer Zustand" und die "Epipha-
nien" bei James Joyce sind der heutige Stand der
säkularisierten Kunstmagie, immanente Lichter.
Man würde das mythisch-magische Denken ja gern
als mögliches Reservoir fruchtbarer neuer Hypothe-
sen anerkennen, wenn der heutige inflationäre
Missbrauch seit dem "New Age" nicht doch alar-
mierend wäre. Wer kann Schamanen und Scharla-
tane noch verlässlich unterscheiden, mit welchen
Kriterien?


Wenn schon Industrie-Reklame als "magisch" gilt,
wird Magie zur Schleichwerbung für Dummheit und
das Unbewusste marktstrategisch eingeplant, hin-
terrücks am Bewusstsein vorbei. In "magischer
Geisterbeschwörung" sind wenigstens derzeit eher
mehr geistlose Risiken als geistreiche Chancen für
eine geistige Neulandgewinnung auszumachen. Die
Geister, die der moderne Zauberlehrling ruft, wird er
auch nicht wieder los. Deshalb ist eine psychoanaly-
tische Dekonstruktion dieses Destruktiven weiter
sinnvoll.


Freud-Bashing ist gerade wieder einmal in Mode,
auch feministisch befeuert, es läuft stets in Wellen.
Man sieht wieder mehr Freuds Grenzen als seine
Landgewinne, aber muss ihn durchaus nicht über-
schätzen, um ihn gegen die meisten seiner Kritiker
auch heute noch zu verteidigen. Bis heute ist die
überwiegende Kritik an Freud nur psychischer Ab-
wehrwiderstand gegen seine Turpia, die vielen im-
mer noch nicht in den Kram passen. Aus schmalster
empirischer Datenbasis las er mehr Wichtiges ab als
seine Kritiker nun aus ihren randomisierten Riesen-
Doppelblind-Evidenzstudien.


Dass unser Bewusstsein nur die Spitze eines Eis-
bergs sei, dieses Bild stammt ja von Freud selber,
wohin es aber führen kann, wenn im riesigen "Un-
bewussten" zu viel Schatzkammer und zu wenig
Müllhalde gesehen wird, lässt sich am abschre-
ckenden Beispiel seines Kronprinzen und späteren
"magischen" Widersachers C. G. Jung modellhaft
gut ablesen.


Das „kollektive Unbewusste“ Jungs liefert seltener
eine neue Kunstrichtung als ein bloßes „Gequatsche
der Schwiegermutter“ (Adorno). Je mehr in uns
verdrängt bleibt, desto infantiler bleiben wir, was
kindliche Gemüter natürlich entrüstet bestreiten.
Manche sehen auch in der nun avanciertesten Na-
turwissenschaft der heutigen Kosmologien nur eine
moderne Form bloßer Magie, wenn nicht Taschen-
spielerei. Aber das hieße Magie nur noch in einem
metaphorischen Sinn versehen. Es ist doch spannend
zu sehen, aber auch sehr teuer, wie weit man mit
diesen neuen Mitteln kommt, dem lieben Gott in die
Karten zu schauen. Es geht voran, wenn auch lang-
samer, als man mal dachte, und andere Strategien,
die nicht völlig subjektiv sind, scheinen derzeit ei-
gentümlich verbaut. Das “Buch der Natur“ ist viel-
leicht wirklich (auch?) in mathematischen Lettern
geschrieben, wie schon die Alten ahnten. Wenn
nicht alles nur Projektionen sind … Alles sehr ge-
heimnisvoll und sehr rätselhaft, dass sich manche
Rätsel lösen lassen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 28.02.2025

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Cover : Adam mit Arbor philosophica (15. Jhdt.)

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