Cover

Laestige Lust als lustiges Leid?

 

 

Es wird kein Zufall sein, dass das Wort „Lust“, das im Deutschen seit dem 8. Jahrhundert bezeugt ist, zutiefst zweideutig ist und seinen eigenen Gegensatz mitbedeutet : Wer auf etwas Lust hat, spürt gerade ein Unlustgefühl, weil er ja (noch) nicht hat und genießt, was ihm die vorschwebende Befriedigung verschaffen soll. Frust und Lust, heftiges Verlangen und seine ersehnte Erfüllung, werden vom selben Wort bezeichnet.

 

Und der größte Seelenforscher des 20. Jahrhunderts, Sigmund Freud, war sogar der Überzeugung, dass irgendetwas an unserer psychophysischen Konstitution die volle Befriedigung der sexuellen Begierde verhindere, die das eigentliche Muster jeder Form von Lust und Genusssucht darstelle. Das selige Liegen des Säuglings an der Mutterbrust sei die menschliche Urlust schlechthin und die weibliche Brust in ihrer wellensanften Form und warmweichen Konsistenz sogar das Urbild all unserer späteren Schönheitsvorstellungen.

 

Schwitzt du, hast du vielleicht Lust auf ein Eis, das aber noch nicht im Munde schmilzt, also noch nicht Lust am Eis ist. Lust auf Skispringen ist noch keine Lust am Skispringen, sondern wird Frust, wenn sie Lust darauf bleiben muss.

 

Die gutbürgerliche Moral und auch die christliche Religion sind berühmt und berüchtigt dafür, vermeintlich leib- und lustfeindlich zu sein, weil ihre Gebote den anarchischen menschlichen Triebbegierden aus gutem Grund misstrauen und gewisse wohlerwogene Schranken auferlegen. Im Tierreich ist die Lustspannung auf Lustentspannung instinktiv der Zeugungskraft  untergeordnet und angepasst, beim Menschen als dem ersten triebentbunden "Freierschaffenen der Welt" aber nur zum Teil.

 

 "Alle Lust will .... tiefe Ewigkeit", schrieb der Moral- und Religionskritiker  Nietzsche, und steht im Dauerkonflikt mit der befristeten Sexualaktdauer wie mit den gesellschaftlichen Kulturansprüchen des Menschen, die ihm herben Triebverzicht oder zumindrst neurotisierende Triebverdrängung zumuten.

 

So soll meine egoistische Freiheit ihre Grenze darin finden, die egoistische Freiheit meiner Mitmenschen nicht zu beeinträchtigen. Laut Aufklärer Kant, der die Moral des Alten Testaments nur ins Philosophische des kategorischen Imperativs übersetzte, solle jedermann den anderen nicht nur als bloßes Mittel benutzen, sondern zugleich immer auch als Selbstzweck respektieren. Diese friedliche Koexistenz der lüsternen  Lustsucher sei jedem sinnlichen Wollüstling sittlich zuzumuten, auch wenn nicht jede Sitte deshalb schon sittlich sein müsse.  

 

Kant fühlte sich unfrei, wenn er von Trieben getrieben wurde und seinen Ab-- und Zuneigungen folgte. Wehten ihn Geluste an, fuehlte er schon seine Selbstbestimmung und "moralische Selbstgesetzgebung" bedroht, selbst von der Macht seiner eigensten Gefuehle.  Leidenschaffen erleiden wir

 

Wird die Lust auf Lustempfinden empfindlich gestört durch biographische Umstände, wird die Triebrichtung leicht vom ursprünglich genital-orgastischen Triebziel abgelenkt auf Perversionen und Süchte, also zur Fixierung auf die „Partialtriebe“, die gewöhnlich in der sexuellen Klimax zielgerichtet integriert sind zum angestrebten Akthöhepunkt. Ein Perverser oder Suchtkandidat liebt dann ploetzlich den Fetisch eines Frauenschuhs mehr als die ganze Frau selber. Der kleinste gemeinsame Phantasienenner zwischen der lockenden Frau und ihrem noch verlockenderen Schuh mag dann die vaginale Öffnung für den Fuß=Phallus sein. 

 

 Nur das fetischistisch verabsolutierte „Partialobjekt“ verschafft nach Freud dann noch volles Lustgefühl, das der vergleichsweise normal entwickelte Mensch durch Integration aller "Vorlusttriebe" unter das "Genitalprimat" erreicht, wie exhibitionistische und voyeuristische, sadistische und masochistische, orale und anale und andere.

 

Der erwachsen gewordenen Frau mutete Freud im Übrigen zu, die "klitoriale Vorlust" in vaginale Penetrationslust integrieren zu können, ohne sich phallisch vergewaltigt zu fühlen - was ihm lediglich den feministischen Vorwurf eines typisch patriarchalischen Vorurteils einbrachte. Und die Unlust, keinen standesstolzen Penis zu besitzen, kompensiere "das Weib"  dann durch Lust auf ein Kind=Penis im Leibe 

 

Lust gilt als lustig, weil sie von der lästigen Last des Lebens gelegentlich entlaste und als Sexuallust schier unerschöpflliche Quelle von anzüglichen Witzen und zarten bis zotigen Zweideutigkeiten darstelle (von denen seriös vieldeutige Kunst sich geschichtlich erst emanzipiert habe).

Im Witz lachen wir die Unlustspannung zwischen Lustwunsch und Verbotsfrust einfach ab und weg.

 

Seit der Aufklärung, heisst es, sei die Kultur freier und lustbetonter geworden. Das stimmt, aber leider auf Kosten jeder Lust an der Lust selber. Will sagen : Im hedonistischen Zeitalter der freizügigen  "Spaßgesellschaft" ist die allgemeine Lebensfreude so tief gesunken, dass von Massenmedien erst ununterbrochen zu ihr ermuntert und aufgereizt werden muss, während einstmals die überschäumende Lusts(e)uche vor ihrer eigenen selbstmörderischen Konsequenz notdürftig geschützt werden musste, wie ausgerechnet der orthodoxe Katholik Chesterton richtig erkannte.

 

Die Frauu will ein Heim mit Lust und Liebe, sagte man einst, doch der Mann muss auch noch hinaus ins feindliche Leben und arbeiten. Das gilt lange nicht mehr, seit der Arbeitsmarkt die Frauen rief und mit dazu passender (mittelstands)feministischer Emanzipationsideologie versorgte.

 

Seither sind Mann und Frau im Uni-Sex vereint, d.h. die Arbeitswelt hat sie einander so gleichgeschaltet, dass der lustvolle kleine Unterschied entwertet ist und die beiden Gleichberechtigten einander gleichgültig werden und endgültig in Ruhe lassen. Die Tag und Nacht geschäftige Liebeslust ward zum Verlustgeschäft. Naturwissenschaftlich analysiert und paralysiert, fristet sie ihr kuemmerliches Dasein in Romantikschmonzetten oder Porno-Portalen, lustlos absolvierte Kampfsportdisziplin als blosse Gratifikation für Arbeitsstress, den sie nur beliebig reproduziert, banal wie Fress!ust.

 

Der Aufklärer De SADE hatte als erster in seinen Romanen erkannt, dass die moralinsaure Baendigung und Homogenisierrung der aufmüpfigen  Genitallust durch wissenschaftliche Triebmodellierung ersetzt wurde Die hygienische Mechanisierung fader Massenrammeleien hat inzwischen jeden lustvollen Schmutz aus der optimierten wie neutralisierten Bettgymnastik entfernt. Eros reitet voller Funktionslust das geile E-Ross. Brave New World. Lust und Liebe sind ungefährlich, also bedeutungslos geworden. Amor war mal amoralisch und ein tragischer Gott. Seine Fallhöhe gewann er im asozialen Aufstand gegen sozialen Widerstand. Lust und Leid sind selbst in der Liebe nicht länger dialektisch ineinander verschränkt, sondern in S/M-Swingerszenen organisiert.

Aber romantisch ist Liebeslust nur in unauflöslicher Ehe, denn Liebende sind niemals frei, sondern stets einander Herren und Sklaven zugleich.

 

Geschlechterkrieg mag Erfolg von Liebesfrust sein, doch Kriege sind nicht Folgen von Kriegslust, sondern von technologischem Fortschritt allein. Papierkriegslüstern sind Intellektuelle per se.

 

Nebenbei : Sind Kauflust, Rauflust und Mordlust

nur Ersatzbefriedigungen erotischer Genusssucht?

 

Als man in einem Experiment jeder Ratte eine elektrische Lusttaste anbot, hatte sie sich in kürzester Zeit wie verrückt durch ein Dauergewitter von Orgasmen zu Tode stimuliert.

Der spaete Psychophilosoph Freud sah das letzte Triebziel des Menschen im Zusammenfallen der unlustvollen organischen Triebspannung ins Anorganische der totenruhigen Materie : Der Lebenstrieb kulminiere im orgastischen Todestrieb, einer Wendung der lebenserhaltenden Uraggression gegen sich selbst.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 26.01.2025

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /