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Hat denn Laura auch eine Aura?

 

 

„Aura“, das gekuerte Jugendwort des Jahres 2024, wird heute in einer immer verwascheneren Bedeutung benutzt. Alles und nichts kann eine Aura kriegen, d.h. irgendeine gesteigerte Bedeutung in nichtssagenderer Umgebung.

Esoteriker raunen von einem "Energiekörper" mit astralem Lichtglanz.

Der Ursoziologe Max Weber beschrieb die "charismatische Ausstrahlung" eines massenwirksamen Politikers, und Psychiater sprechen von auratischen Halluzinationserscheinungen bei neurologischer Migräne oder Epilepsie.

Das Wort für Lufthauch stammt von der griechischen Göttin der Morgenbrise. (Bedeutet das entsprechende hebräische Wort „Ruach“ nicht sogar den „Geist“?)

 

Man darf nicht vergessen, dass die „Aura“ von etwas oder jemandem in heutiger Verwendungsinflation eine bloß säkularisierte Form der Atmosphäre des „Heiligen“ ist, also laut Rudolf F. Otto des „tremendum et fascinosum“, eines überwältigend Schrecklichen und Anziehenden im Numinosen zugleich. Wo z. B. ein Erdbeben stattfand, herrscht „heiliger Boden“. In unserem atheistisch neuheidnischen Zeitalter heute allerdings ist eher die Rede von der quasi magischen Aura eines menschgemachten Kunstwerks, das schon Hegel als „sinnliches Scheinen der Idee“ deutete (wobei die substanzielle Idee laut Hegel die Einheit von abstraktem Allgemeinbegriff und konkreter Realität ist).   

 

Walter Benjamin, der in seiner Geschichtsphilosophie noch das  chiliastisch Messianische und das politisch Sozialistische als antiparallele Bewegungen auf dasselbe Ziel hin sehen wollte, fand 1935 die „einmalige Aura“ eines künstlerischen Originals zerstört durch seine „technische Reproduzierbarkeit“ in der Moderne. Van Gogh habe noch die Aura seiner Kunstobjekte „mitgemalt“., die in den  Reproduktionen dann verlorengehe.

 

Der Kieler Neophaenomenologe Hermann Schmitz hatte ein ganzes "Sytem der Philosophie" in zehn Baenden errichtet auf solchem atmosphaerisch gefuehlten Gesamteindruck, aus dem die Sprache dann Details "explizieren" koenne. 

 

Benjamin weitete die authentisch unnahbare „Aura“ aus auf jeden möglichen Gegenstand der Natur oder der Kultur. Sie sei ursprünglich die „einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah das sein mag, dass sie hervorruft“. Das unbegreiflich Unnahbare an jedem handfest Begreifbaren, das Unverfügbare an jedem Beherrschbaren, ist eine ursprüngliche Form des Heiligen und himmlisch Herr-lichen und nicht nur des ästhetisch Schönen (oder gar lediglich Interessanten). Hardenberg-Novalis sah in seiner Kunstreligion das Romantische als das geheimnisvoll Ungewoehnliche im Allergewoehnlichsten.

Heutzutage verflachte das zur angedrehten Talmimagie der kulturindustriellen Popgrößen und ihrer massenmedialen Strahlkraft.

 

Kurz : Seit kein Geschöpf mehr eine metaphysische Aura hat, kann jeder Vollpfosten diese überwältigende Atmosphäre potenziell künstlich simulieren und usurpieren. Wenn der elektronisch verstärkte Pop-Barde sein entfesseltes Publikum verzaubert, wird er zum leuchtenden Vorbild einer Generation, und selbst Waren werden niemals als banales Gebrauchsmittel verkauft, sondern nur noch zusammen mit dem Strahlenkranz einer ganzen Weltanschauung - als umfassenden Horizont ihres Wertes und ihres Preises.  

 

Wenn  Hinz und Kunz schon eine ikonische Pop-Aura bekommen können, wenn sie laut Andy Warhol eine Viertelstunde lang in einer TV-Talkshow auftreten dürfen, hat der Begriff seinen Höllensturz hinter sich und bedeutet nur noch, dass das Ordinärste das Außerordentlichste geworden ist und das romantisch Erhabenste umgekehrt das platterdings Banalste.

 

Eine "Aura" sieht man heute nur um den, der partout keine Aura hat, und eine Nullaura umgibt den, der noch so etwas wie eine Aura haben sollte. Die Aufklaerung, ein einziger Goetzendienst, hat die Religion zusammen mit den Kirchen entfernt, also in Europa das Christkind mit dem Taufwasser ausgeschuettet. Seit der Heiligsprechung aller Profanierungen ist jede Aura von Kunstwerken auf die Banausen uebergegangen. 

Q. e. d.

 

  

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Tag der Veröffentlichung: 20.10.2024

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