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Weltbilder aus Bildwelten?

 

 Einst war sinnlicher Augenschein der direkteste Weg zur Realitaet - neben unmittelbarem Anfassen. Inzwischen sind mediale Bilder augenscheinlich nur noch Bestandteile einer perfiden Scheinwelt. Die Uebermacht der Bilderflut illustriert keine Begriffe mehr, sondern entmachtet und verdunkelt sie.

 

"Ein Bild sagt mehr als tausend Worte."

Leben wir inzwischen in einer unverbalisierbar imaginären Konventionalwelt?

 

 "Alles Urdenken geschieht in Bildern." (Schopenhauer)

"Poesie als Ursprache der Menschheit" (Hamann) geschieht in Metaphern, den symbolischen Versinnbildlichungen des Metaphysischen. Wo sie mehr ist als nur Spiel, da gilt:

 

„Du sollst dir kein Bildnis machen in irgendeiner Gestalt, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist. Du sollst sie nicht anbeten noch ihnen dienen.“

(5. Mose 5:8)

 

Die säkulare Medienwelt der atheistischen Neuzeit ist eine einzige Übertretung des biblischen Bilderverbots, das verhindern will, dass Bilder von der Welt sich zwischen uns und die Welt stellen und uns von ihr trennen. Solche Weltbilder werden eher uns selber als der Welt ähneln und uns deren Eigenrealität nur verstellen.

 

Unter einem Bild wird gewöhnlich eine visualisierte Abbildung von etwas verstanden. Platon sah Sinnliches mit leiblichen Augen, seine Ideen, also das Wesen der sinnlichen Objekte, hingegen nur mit „geistigem Auge“. Die sinnlich erfassbaren Dinge seien nur unvollkommene Abbilder ihrer begrifflich erfassbaren Ideen, diese vollkommenen Ideen aber eben keine nur subjektiven Bilder und Vorstellungen von objektiven Dingen, sondern deren ideale Urbilder und Vorbilder. (Griechisch "Idea" heißt Gesicht und Aussehen.)

 

Laut Transzendentalist Kant macht der Mensch sich ein Bild von der Welt mit Hilfe von zwei Anschauungsformen und einem Dutzend Verstandesbegriffen. Das „Ding an sich“ hinter diesen „Erscheinungen“ sei eine "dialektische Idee" und bleibe uns allen prinzipiell verborgen schon aus anthropologischen Gründen, die uns allen gemeinsam seien.

 

Laut Idealist Hegel sagt die Philosophie den Gebildeten haargenau dasselbe in abstrakten Begriffen und Gedanken, was die Religion dem gemeinen Volk in konkreten Bildern und Gefühlen zu verstehen gebe. Aber modernes Bildmaterial, das an Hegels "Anstrengung des Begriffs" vorbei direkt aufs Unterbewusstsein wirkt, lässt uns kein Hoeren und Sehen mehr vergehen, um den Geist zu erreichen.

 

Beim Subjektivisten Fichte und den von ihm inspirierten Frühromantikern hat die phantasievolle Einbildungskraft dann die scharfe Urteilskraft völlig usurpiert und sich als Vernunft selber  etabliert.

 

Der Metaphorologe Hans Blumenberg sah die begriffliche Philosophie hinterrücks von "absoluten Metaphern" gesteuert, Grundbildern wie etwa Licht der Vernunft, Fluss der Zeit und Buch der Natur, 

 

 "Weltanschauungen" sind keine philosophischen Gedankengebäude mehr, sondern buchstäblich nur noch Welt-Bilder als Bildwelten. Illustrierte und Fernsehbilder prägen das Bild des Konsumenten von der Welt, und diese Bilder von einer Scheinwelt haben keinen Begriff von der  Welt mehr.

 

Selbst die moderne Mathematik verschmäht es nicht, abstrakte Zahlen in der "Lebenswelt" durch konkretes Zählen zu fundieren. Eine Anzahl wird definiert als Eignung einer Objektmenge, sich "umkehrbar eineindeutig" auf eine Vergleichsmenge "abbilden" zu lassen, so dass jedem Objekt der einen Menge genau ein einziges Objekt der anderen Menge entspreche und zuzuordnen sei. Mathematische Quantifizierung der Welt liegt dem gesamten naturwissenschaftlich-technisch-industriellen Zeitgeist zugrunde.

 

Die Neuzeit erfasst die Welt wesentlich nur noch im Medium von Massenmedien, dem „Wesenskern der Gesellschaft“ (Theodor W. Adorno). Dieses gesellschaftlich von konzentrierten Machtgruppen vorfabrizierte Bild von der Realität ersetzt jedem Einzelkonsumenten die eigene, zunehmend verkümmernde originäre Erfahrung der Wirklichkeit. Der „Reizüberflutung“ durch Bilderfluten sind wir inzwischen hilflos und kritiklos ausgeliefert, heißt es. Gegen hypnotische Bilder kommen klare Begriffe nicht mehr an und ersetzen sie tendenziell. Aufdringlich ansehnliche Bilder stehen den Empfindungen und Emotionen ja viel näher als die aus ihnen abstrahierbaren Allgemeinbegriffe.

 

Suggestive Bilder sind durch die Art ihrer Auswahl, Platzierung, nachträglichen Bearbeitung und gewählten Ausschnitte immer auch schon gezielte Interpretationen der dargestellten Sachverhalte, ob nun tatsächlicher oder fiktiver. Den Bildern ist kaum noch zu entnehmen, ob sie Realität getreu wiedergeben oder deren geheime Verzerrung, um gewünschte Ansichten zu erzeugen und zu manipulieren. Bildrhetorik hat die Sprachrhetorik längst geschwächt und verdrängt. Sprache dient oft nur noch zu Bildunterschriften. Bewegte Tonfilmbilder wirken dabei noch überwältigender als stumme Standbilder und lähmen Phantasie wie Urteilskraft.

 

Auch Bildung wird zunehmend nur noch Bilderziehung ohne Begriffsklärung. Ausbilder dressieren uns zu spezialisierten Arbeitskräften ohne Humboldts allseitige Persönlichkeitsbildung als Selbstzweck. Berufsausbildung wird zur Halbbildungseinbildung.

 

In der Kunst sind Bilder meist Gemälde, die nichts dreidimensional Vorhandenes mehr auf Farbflächen nachahmend  projizieren, sondern sichtbare  Realität zerlegen, um aus den Bruchstücken neue synthetische Kunstwelten zu erzeugen und das Auge des Betrachters zu sensibilisieren für phantasievolle Wunschbilder, die das Bestehende transzendieren. "Gerahmtes Sehen" zeigt Weiten wie durch Fenster. Liegt in solch bildender Kunst noch ein Widerstandspotential gegen industrielle  Bildinflationen?

 

Häufig wird beklagt, dass den Zeitgenossen überzeugende Vorbilder fehlen. Nur eines ist klar: Sogenannte Leitbilder sollten auf keinen Fall mehr vermisst werden. Und das konfektionierte Image, das jeder von sich verbreitet und überall aufdrängt, macht ihn zum Sklaven der anderen. Tausend Bilder sagen weniger als zehn Dinge und ihr einer Begriff. Die massenmedialen Bilderfluten lassen unsere Phantasie heillos verkuemmern.

 

Hat der Mensch vergessen, dass er ein schöpferisches Ebenbild seines Schöpfers ist und kein Zerrbild eines wildgewordenen Affen?

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Tag der Veröffentlichung: 24.08.2024

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