Jeder von uns kennt bestimmt die vier Jahreszeiten von Antonio Vivaldi?
Das Standardwerk für alle, die in Sachen klassischer Musik auch mal mitreden wollen? Zugegeben, es ist ja auch ein schönes Werk!
Musiker wie Anne-Sophie Mutter, Frank Peter Zimmermann und Nigel Kennedy haben die klassische Musik wieder aufleben lassen und darüber hinaus einer jüngeren Zuhörerschaft den Zugang in diese Musikrichtung erleichtert. Ich selbst hatte die vier Jahreszeiten nach Nigel Kennedy Art Anfang der 90er Jahre in der Philharmonie in Köln gesehen. Kürzlich habe ich noch mit einer guten Freundin über Nigel geschrieben, da sie aktuell eines seiner Konzerte besucht hatte. Ein Thema mehr, über das wir reden können, wenn ich sie anlässlich einer Vernissage / Lesung besuche.
Davon abgesehen hat Vivaldi mehr als 400 Gesamtwerke und nahezu 1000 Teilwerke hinterlassen. Er selbst konnte, wie so viele „populäre“ Musiker und Komponisten, die Reduktion auf die vier Jahreszeiten nicht mehr ertragen.
In Europa wird das Wetter mittlerweile von den Mächten bestimmt. Ursprünglich gab es einmal die vier Jahreszeiten, im erdgeschichtlichen Sinne. Wenn man es genau nimmt, sind es auch nicht nur vier Jahreszeiten, sondern fünf, da es den Winter zweimal innerhalb eines Jahres gibt. Die Mächte sorgen dafür, dass aus diesen Jahreszeiten bald eine Reduktion auf nur noch zwei Jahreszeiten entsteht – Sommer und Winter, bzw. drei – Winter, Sommer, Winter. Doch Mutter Erde siegt über alles und wird die Mächte lange überlebt haben, wenn es das Wort „Macht“ schon nicht mehr gibt.
Mutter Erde ist cool! Sie sieht die Jahreszeiten gelassener und nutzt sie zur Reinigung. Sie steht im stillschweigenden Dialog mit den Poeten oder besser gesagt, die Poeten mit ihr.
Aus poetischer Sicht gibt es die vier Jahreszeiten im Inneren eines jeden Individuums, das entsteht, wächst, wie auch immer sich entwickelt und wieder vergeht. Ähnlich sehen es auch die Buddhisten und ähnliche philosophische Lebenseinstellungen. Der Buddhismus ist in dem Sinne keine Religion, sondern eine philosophische Lebenseinstellung, die idealerweise ohne Götter auskommt.
Mit der Geburt strebt man gleich dem Tod entgegen. Was man davon halten mag und, ob es einen beängstigt, hängt von der jeweiligen Prägung und der Kultur ab, in der man sich befindet. Die Geburt bringt eher den Frühling der Jahreszeiten im Lebensverlauf zum Ausdruck, die Jugend dessen Sommer, bis hin zum Winter, der das Ende des Lebens einläutet.
Anne Clark, eine der für mich besten Lyrikerinnen und Poetinnen in der Musik, hat mir früh die Augen dafür geöffnet, dass auch innerhalb eines Lebensverlaufes wechselnde Jahreszeiten auftreten.
Wenn man sich verliebt und diese Liebe rein ist und auf Gegenseitigkeit basiert (Liebe ist immer rein!), kann man Frühling und Sommer gleichzeitig erleben, unabhängig vom jeweiligen Alter. Ebenso kann bei Verblühen dieser Liebe aus einem Sommer ohne Übergang der Winter folgen, manchmal sogar innerhalb weniger Sekunden.
Du kannst einem griesgrämigen, alten Menschen vor deinem Haus begegnen, der dich mit Hass erfüllten Augen anschaut und dich deiner Jugend und Vitalität wegen neidet. Du kannst diesem Menschen eine Blume mitbringen und dieses Individuum innerhalb weniger Sekunden in den Frühling zurückverwandeln. Alles ist temporär und gleichzeitig persistent im poetischen Empfinden.
Es gibt auch Orte im poetischen Empfinden eines Menschen. Sie heißen u.a. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Ich möchte diesen Orten noch weitere hinzufügen, weil ich das eben für mich gesehen gerne so mache und brauche. Es gibt Orte in mir, die nennen sich Herz und Seele. Sie sind nicht wirklich organisch, sondern eher feinstofflich gelagert. In diesen Orten wohnen Individuen, die ich in meinem Leben traf. Mensch und Tier gleichermaßen. Auf den Menschen bezogen waren es Individuen, die, wie das Wort schon vermuten lässt, individuell in mein Leben kamen und ebenso individuell wieder verschwanden. Jeder dieser Menschen war und ist noch etwas Besonderes für mich. Sie haben Spuren in meinem Leben hinterlassen und ich habe versucht auch Spuren in ihrem Leben zu hinterlassen. Positive Spuren, die möglichst so tief sind, dass man sie wiederfinden kann.
Spuren hinterlässt man auf Pfaden, die Pfade verbinden die Individuen miteinander. Herbst und Winter können über das äußere Land ziehen und Spuren und Pfade unkenntlich machen, doch niemals ganz im Inneren deines Landes.
Man lebt mit der Hoffnung, dass der baldige Frühling die Spuren und Pfade wieder freigibt und uns beim Betrachten der Spuren zumindest die Erinnerung, wenn auch nicht das Individuum bleibt.
Texte: Ralf Dellhofen
Bildmaterialien: Alexas_Fotos via pixabay
Cover: Alexas_Fotos via pixabay
Lektorat: Ralf Dellhofen
Satz: heiße Ohren!
Tag der Veröffentlichung: 11.07.2018
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