Es ist allgemein bekannt, dass so ein Winter eine recht kalte Angelegenheit ist. Manche Winter sind schlimmer, unmenschlicher und grausamer als andere Winter. Mutter Erde nutzt sie zur Reinigung ihres Körpers so, wie diese Winter eben benötigt werden.
Es begaben sich jedoch zu jener Zeit, es war der 16. Dezember im Jahre 58, drei sonderbare Wissenschaftler verschiedener Fakultäten auf die beschwerliche Reise durch den Schnee, in die östliche Region des Landes, um Zeugen eines rätselhaften Phänomens zu sein.
Die drei sonderbaren und recht kauzig wirkenden Wissenschaftler gehörten den Fakultäten »Glaube«, »Liebe« und »Hoffnung« an, einem ausgegliederten und fast schon vergessenen Bereich an einer kleinen, alten Universität, die kaum noch Beachtung fand und von den mächtigen Förderern des Landes nicht mehr großartig bezuschusst wurde.
Die Messstationen eines kleinen Ortes in dieser östlichen Region hatten bereits Tage zuvor ungewöhnlich sommerliche Temperaturen aufgezeichnet. Davon bekamen zu aller erst die Leiter der drei Fakultäten Wind, die dann diese drei kauzigen Wissenschaftler in die besonders warme Region entsandten. Mit dabei hatten sie etwas zu essen, etwas zu trinken, dass goldene Besteck aus der Mensa der Universität, Weihrauch und Myrrhe.
Da die Wege in diesem Winter, trotz der ungewöhnlichen Wärme, unpassierbar blieben, nahmen sie den treuen Esel Ralf mit auf die beschwerliche Reise, der geduldig und treu, gewohnt störrisch aber lieb, all die Strapazen auf sich nahm. Dem Esel Ralf waren die Winter alle Male lieber, als die heißen Sommermonate, die sein altes Fell nur zu sehr gerbten und ihn ordentlich schwitzen ließen. Und die drei kauzigen Wissenschaftler waren gut zu ihm.
Er wusste zwar nicht genau, was Glaube, Liebe und Hoffnung für Dinge sind, doch diese Worte hatten zumindest einen guten Klang, wenn er sie vom Stall der Universität aus hörte. Oft lauschte er fröhlich und unbeschwert, auf seinem Gemüse kauend, wenn die wissenschaftlichen Abhandlungen der Lehrkräfte durch die geöffneten Fenster des Hörsaals an seine großen, spitzen Ohren drangen. So lernte er die grundlegenden Dinge über die Menschlichkeit. Und nur zu oft und auch mit einem Gefühl wachsender Besorgnis, hörte er dabei auch das gelangweilte, demonstrativ laute Gähnen der Schüler, die lieber bis zu ihrem vierzigsten Lebensjahr irgendetwas studierten, als, so wie er das tat, schon recht früh arbeiten zu gehen.
Je näher die Wissenschaftler nun dieser Region im Osten des Landes kamen, desto bewusster wurde ihnen, wie warm es für die Jahreszeit war. Sie konnten sich sogar einem Teil ihrer Winterkleidung entledigen und ihren Weg, nach einer kurzen Verschnaufpause, fortsetzen. Dem Esel brach bei dieser zusätzlichen Last an Kleidung bald der Rücken durch. Er war jedoch gewohnt zu leiden und ließ auch das geduldig über sich ergehen. Keiner der Lehrkräfte hat ihn jemals bewusst schlecht behandelt.
Irgendwann kamen sie in den Ort dieser östlichen Region, von dem bei der Wärmemessung die höchste Temperatur ausging. Der Wärmemesser des einen Wissenschaftlers zeigte bereits über fünfundzwanzig Grad an, als sie an ein kleines Haus kamen, das zu einer Art Krippe für Neugeborene umfunktioniert und heimlich weihnachtlich geschmückt war. Über dem Eingangsportal des kleinen Hauses standen auf einem hölzernen Brett die Worte, »hier sind Glaube, Liebe und Hoffnung zu Hause«. Die Wissenschaftler lasen es und nickten sich wohlwollend zu. Hier waren sie richtig!
Der Esel wurde getränkt, bekam eine leckere Goldparmäne und eine Möhre. Die Wissenschaftler waren in ihrem Element und hielten die Gastgeber der Krippe schweigend Einhalt gebietend davon ab, sie beim Fortgang ihrer interessanten Messung zu stören. Das kam den Gastgebern gerade recht, es war ihnen ungewöhnlich warm an diesem Wintertag des 16. Dezember im Jahr 58. Einige tupften sich sogar den Schweiß von der Stirn.
Einer der kauzigen Wissenschaftler, der mit dem erhobenen Messgerät, ging ein Bettchen nach dem anderen ab. Verglich dabei immer wieder die jeweiligen Werte. Das Gerät zeigte jeweils Messungen um die siebenunddreißig Grad.
Am Ende des Ganges schlug die Skala plötzlich so weit aus, dass die Messung von dem veralteten hart hölzernen Gerät nicht mehr erfasst werden konnte. Das Messgerät gab seinen Geist auf. Langsam näherten sich die drei Wissenschaftler diesem Bettchen und wagten zaghaft einen ersten Blick hinein.
Dort lag ein kleines Mädchen, das mit so viel Glaube, Liebe und Hoffnung strahlte, dass es das ganze Land mit Wärmeenergie versorgte. Während die drei kauzigen Wissenschaftler Tränen der Rührung nicht unterdrücken konnten, blieben die Augen dieses Mädchens trocken und standhaft. Es lächelte nur unschuldig.
Plötzlich herrschte hinter den Wissenschaftlern helle Aufruhr. Die Gastgeber des Hauses waren aufgebracht und riefen Worte des Entsetzens durch den Krippenraum. Einer der Wissenschaftler wurde zur Seite gedrängt. Als die drei Wissenschaftler sich erschrocken umsahen, stand dort der Esel Ralf.
Was niemand wusste und sicher niemand ahnen konnte, der Esel Ralf hatte sich einige Male aus dem Stall der Universität losmachen können und durch das offene Fenster des Hörsaals geschaut. Er hatte lesen und sprechen gelernt.
Der Esel Ralf schaute auf die Beschriftung des Bettchens, las dort das Geburtsdatum des Kindes und ein ihm bekanntes Wort. Er schaute in das Bettchen hinein und wieherte, »alles Gute zum Geburtstag, Mädchen namens Hoffnung!«.
Jetzt wusste der Esel endlich, wer oder was Hoffnung ist!
Das Mädchen mit dem vermeintlichen Namen »Hoffnung« lächelte etwas verschüchtert in das grobe Gesicht des Esels, kicherte und hatte nun auch Tränen in den Augen!
Texte: Ralf Dellhofen
Lektorat: Ralf Dellhofen
Satz: heiße Ohren!
Tag der Veröffentlichung: 11.12.2017
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