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Das Aufbäumen

Ich hatte es vielleicht übertrieben!

Ich wusste es damals nicht besser. Es gab in meinem Leben nicht viel, was ich bereut habe. Und auch nicht viel, was mir peinlich war. Auch heute ist das noch so.

Ich stand zu den Dingen, die ich gemacht habe. Und tue das zu einem großen Teil noch heute. Ein nicht geringer Teil der Menschheit verhielt sich in vielem penetrant. Auch ihr war nichts peinlich.

Sie sprach öffentlich und im TV über ihr Sexleben, machte sich für Geld in Gameshows zum Affen, stellte alles mögliche an um bekannt und berühmt zu werden und prostituierte sich überall im täglichen Leben, ohne es selbst zu merken.

Also wieso sollte ich etwas bereuen?

Es gab aber Dinge, die würde ich heute nicht noch einmal so machen, wie damals. Dinge, die übertrieben idiotisch und kindisch waren.

Und von diesen Dingen werde ich dir hier erzählen.

Ich kam aus einer armen, kinderreichen Familie. Mein Vater fuhr tagsüber Stückgut für eine kleine Firma, die Baustahlmatten, Eisenträger und Gasflaschen verkaufte. Abends war er Alkoholiker.

Meine Mutter und wir sechs Söhne hatten sehr viele Jahre unter seiner Tyrannei gelitten. Im Alter von dreiundzwanzig Jahren stand ich dann vor der Wahl. Entweder ich drehe komplett durch und bringe meinen Vater um oder ich versuche irgendwie das Elternhaus zu verlassen.

Ich steckte gerade in einer Reha-Umschulung zum Industriekaufmann, um meinen zweiten Facharbeiterbrief zu erlangen. Ich hatte zuvor Maler gelernt und konnte den Beruf, aufgrund eines frühen Herzinfarkts, nicht mehr vollzeitig ausüben.

Vom Arbeitsamt bekam ich damals gutes Geld. Das war im Jahre 1993. Die Reha-Umschulung wurde zu der Zeit noch höher gefördert, als eine normale Umschulung. Ich erhielt, inklusive Fahrtkosten, über zweitausend deutsche Mark monatlich. Davon konnte ich gut leben, da die Umschulung achtzehn Monate dauerte und mir somit ein langfristiges, geregeltes Einkommen sicher war.

Mein alter Schulfreund, Edi Fast, zog damals in seine erste eigene Mietwohnung, in einem Bungalow artigen Haus, mit vierzig Mietparteien. Von Leverkusen ins circa fünfzehn Kilometer entfernte Köln-Mülheim.

Sein Bruder, Adi Fast, war dort Hausmeister und besorgte ihm die Wohnung. Ließ seine Beziehungen beim Eigentümer spielen. Edi wusste, wie sehr ich unter meinem Elternhaus zu leiden hatte. Er musste seinem Vater auf das Maul hauen, weil dieser seine Mutter schlug. Eine herzensgute Frau.

Edi wusste auch, dass ich körperlich gegen meinen Vater nicht ankam und ich so altmodisch erzogen wurde, dass ich niemals die Hand gegen den eigenen Vater erhoben hätte. Er ließ seine Beziehungen zu Bruder Adi spielen, der wiederum seine Beziehungen zum Eigentümer des Hauses nutzte.
So kam ich mit gerade einmal dreiundzwanzig Jahren an meine erste Mietwohnung. Und entkam damit meinem grausamen Elternhaus.

Die neu gewonnene Freiheit in der ersten, eigenen Wohnung war klasse! Ich ließ mich ganze drei Monate nicht mehr bei meinen Eltern blicken. Ich blühte psychisch und physisch völlig neu auf.

Damals war ich Rockabilly. Ich hatte meine Zeit als Gothic-Punk hinter mir und trug nun eher Holzfällerhemden mit Jeans und Pomade oder schwarze Lederjeans zur Motorradjacke.

Ich trank damals keinerlei Alkohol. Mir schmeckte Alkohol nicht und Bier war für mich saure Pisse. Besonders das Bier, was die Kölner so gerne tranken!

Ich hatte, bis zu meinem ersten Herzinfarkt, sechs Jahre in einem Fitnessstudio geackert. An manchen Tagen sogar zwei Trainingseinheiten täglich. Wollte mich nicht von meinen Erkrankungen niederringen lassen und baute den ganzen Frust, der im Elternhaus entstanden war, zusätzlich mit Kampfsport ab.

Nachdem ich ganze drei Monate nicht mehr zu Besuch bei meiner Mutter erschienen war, traf ich eines Tages zufällig meinen Vater an einer Imbissbude, an der ich mit einigen Kumpels aus der Umschulung zu Mittag aß. Er hatte feuchte Augen und bekam nur mehr mühsam heraus, dass meine Mutter krank vor Sorge um mich war.

Mein Vater hatte nie gelernt Gefühle zu zeigen. Er war Kriegskind und musste mit seiner Mutter von Tür zu Tür betteln gehen. Seine Mutter hatte gleich zehn Kinder, er nur sechs. Er wüsste nicht, was sie mir angetan haben, da ich meine Eltern nun so sehr lange mied!

Ich sollte ihm versprechen, dass ich wieder regelmäßig zu Besuch komme. Er wollte mir noch, wie so oft im Leben, etwas Geld zustecken, damit ich nicht verhungere. Und er wollte gleich das gesamte Essen meiner Kumpels mit bezahlen.

Während mir die Currysoße aus dem Mundwinkel lief, zog ich ein Bündel Geldscheine aus meiner Jeansjacke, zeigte es ihm und lehnte dankend ab. Stumm drehte er sich um und fuhr mit dem LKW davon. Er konnte nichts mehr für seinen Sohn tun. Ich würde ganz sicher verhungern!

Einer der Kumpels aus der Umschulung sagte, „Mensch, Yankee! Toller Typ, dein Vater. So einen Daddy hätte ich auch gerne!“.´

Und ein anderer fügte noch hinzu, „Schenkst du mir deinen Vater?“.

Und alle lachten, während ich Zähne knirschend antwortete, „gerne!“.

Der erste Sturz

In meiner Umschulung war ein Mädchen. Das heißt, sie war nicht in meiner Klasse, sondern in der Parallelklasse, was es für mich schwieriger machte, sie zu sehen.

Sie trug eine Pagenfrisur, war klein und sportlich, still aber irgendwie schlagfertig, wenn es darauf ankam. Sie hatte braune Haare, braune Augen und machte professionell Karate.

Das Mädchen hatte alles, was ich mir unter meiner Traumfrau vorstellte. Der Terminator hätte gesagt, „MATCH!“. Und das Besondere an ihr war, dass sie aus dem gleichen rumänischen Dorf kam, wie mein Freund Edi Fast und dessen Bruder Adi. Konnte es nicht Vorsehung sein?

Das Traurige an der Geschichte war, sie hatte einen neuen Freund und einen Sohn mit ihm. Und ich war zu altmodisch erzogen mich in bestehende, vielleicht intakte Beziehungen hineindrängen zu wollen.

Ich war unsterblich und tot unglücklich in sie verliebt. Und, um es vorweg zu nehmen, ich war ganze dreizehn Jahre tot unglücklich in sie verliebt, habe unzählige Male von ihr geträumt und liebe sie noch heute.

Aber auf eine andere Art. Aus der Sicht eines reifen erwachsenen Mannes. Sie warf mir damals Egoismus vor und ich war auch darüber tot unglücklich, weil es auf mich alles andere als zutraf. Sonst hätte ich sie mir sicher geschnappt, ohne auf ihre bestehende Beziehung einzugehen.

Was mich an der Sache total aus der Bahn warf, war, dass mir ständig jemand erzählte, sie sei ein leichtes Mädchen und würde nichts anbrennen lassen. Gleichzeitig hatte sie einen Freund und einen Jungen?

Während der gesamten Zeit der Umschulung, also ganze achtzehn Monate lang, haderte ich immer wieder damit, mir sie doch noch irgendwie zu schnappen. Auch, wenn es so gar nicht meinem Naturell entsprach.

Sie hieß Doina und sie war das bezauberndste Wesen, dass ich bis dahin jemals gesehen hatte!

 

Wie ich zum Alkohol kam

Ich weiß nicht genau, wie es dann dazu kam und wann genau.

Damals war ich ein großer Fan von Filmen mit Hans Albers und John Wayne. Beide galten als passionierte Trinker und Lebemänner. Auch konsumierte ich irische Musik in rauen Mengen, täglich!

Ich liebte Doris Day und Marlon Brando, die am gleichen Tag Geburtstag hatten, wie ich.

Und ich liebte den Film „der Wilde“, mit Marlon in der Hauptrolle. Ich hatte alle Filme von all diesen Schauspielern immer wieder gesehen. „Der Wilde“ war ein Film über eine Motorradgang und gleichzeitig verkörperte Marlon einen Outsider, der auch von seinem Vater verprügelt wurde und der genauso wenig wahre Gefühle und Liebe zeigen konnte, wie ich.

Und der Film beinhaltete eine unerfüllte Liebe zu einer Frau. Ähnlich, wie es bei meiner unerfüllten Liebe zu Doina war.

Ich verstand nicht, wieso ich im Leben immer wieder meinen Liebesdampfer verpassen konnte, obwohl ich mich immer bemüht hatte, pünktlich an der Anlegestelle zu erscheinen. Oft lief der Dampfer gerade erst aus, wie das bei Doina der Fall war.

Ich entwickelte eine Art von Frust, der sich dahingehend äußerte, dass ich Frauen, die mich nett fanden und an mir interessiert waren, ignorierte und denen hinterherlief, die mich auch nur annähernd an meine erste Freundin, Heike, und an Doina erinnerten. Heike und Doina hatten viele ähnliche Eigenschaften und Eigenheiten.

Doina und ich sahen uns zuletzt mit Auslaufen der Umschulung im Jahr 1994.

Da ich Doina all die Jahre nicht vergessen konnte, da mich mein leidiges Elternhaus scheinbar weder vergessen noch ziehen lassen wollte und ich mir bestimmte Filme, Bücher und Songs immer wieder hereinzog, begann ich mit dem Trinken.

Und zumindest da machte ich diesmal keine halben Sachen!

 

Jahre des Chaos

Nach dem Abschluss der Prüfung zum Industriekaufmann bekam ich einen Job beim Arbeitsamt in Köln.

Ich war dort mit meiner Mischung aus Rockabilly und Gothic-Punk Styling ein echter Exot!

Ich ließ meine Tattoos sehen und war stolz auf mich und das, was ich darstellte. Man musste mich in dem Büro, das aus lauter spießigen Kirchgängern bestand, zwar immer mal zurechtweisen, aber im Grunde genommen mochten sie mich, und ich mochte meine Kolleginnen. Es gab dort, bis auf den netten, schwulen Udo, nur Kolleginnen. Ich war also der Hahn im Korb und lernte erst einmal richtig Kaffee kochen. Die Mädels mochten den Kaffee gerne stark und schwarz, wie der Asphalt, der jeden Morgen unter meinen Reifen klebte, wenn ich mit der alten Vespa dorthin zur Arbeit fuhr.

Zu Hause soff ich derweil immer mehr. Es kam so, dass einer meiner fünf älteren Brüder es im Elternhaus auch nicht mehr länger aushielt. Ich bekniete meinen Freund Edi, der fragte seinen Bruder Adi und der regelte das beim Hauseigentümer dann für meinen Bruder, der direkt in das Apartment neben meinem einzog. Wir wohnten Tür an Tür und Balkon an Balkon!

Mein Bruder war Alkoholiker und wurde furchtbar wütend, wenn man es ihm vorhielt. Er hatte gar keine Einschätzung von sich selbst. Zumindest keine reale. Und er war Epileptiker. Und da er das nicht gerne war, dachte er sich, er müsste seine Männlichkeit dahingehend beweisen, dass er soff und manchmal laut pöbelte.

Während er seinen Mund niemals auf bekam, wenn er nüchtern war, riss er ihn umso mehr auf, wenn er sich betrank.

Das Trinken mit ihm war recht unangenehm. Er kaufte von meinem Geld das Bier im Discounter gegenüber ein. Ich hatte einen empfindlichen Magen und mochte manche Sorten Bier und anderen Alkohol nicht. Ich war kein geübter Trinker, wie er. Musste von billigem Bier, das nicht kühl genug war, immer brechen.

Er wusste, welche Sorten ich nicht mochte und da ich seinen Alkohol immer direkt mitbezahlte, kaufte er von meinem Geld auch regelmäßig genau die Sorten, die ich nicht mochte. Damit mehr kostenloser Alkohol für ihn blieb. Im Tierreich nennt man einen wie ihn wohl „Futterneider“!

Ich musste ihn regelmäßig zusammen scheißen und aus meiner Wohnung werfen, wenn er mal wieder versuchte mich und meine Großzügigkeit auszunutzen. Er tobte dann drüben in seiner Wohnung herum, trat gegen die Wand und brüllte vom Balkon herüber.

Er war einige Jahre länger Kampfsportler als ich, hatte den vierten Dan in Taekwondo und den zweiten Dan in Jiu-Jitsu, aber er war auch drei Jahre älter als ich, in Doinas Alter. Ich schlug mich nicht mit Familienangehörigen, weder mit meinem Vater noch mit den Brüdern. Edi und Adi lachten über meine Einstellung. Sie schlugen sich unter Brüdern bereits in ihrer Kindheit auf dem Dorf in Rumänien regelmäßig in die Zähne. Sie hatten auch eine Katze am Baum erhängt und vom Baum heruntergeschissen, wenn unten jemand entlang lief. Andere Länder, andere Sitten!

Während mein Bruder da drüben auf seiner Seite randalierte, zerschoss und zerschmiss ich auf meiner Seite die leeren Bierflaschen an der Wand.

Ich vertrug mich aber immer wieder mit meinem Bruder. Ich wollte eigentlich nicht, dass er trinkt. Hatte schon zu viele seiner epileptischen Anfälle mitbekommen. Alkohol tat ihm nicht gut und Schlafmangel förderte die Gefahr einen weiteren Anfall zu bekommen noch zusätzlich.

Ich erinnere mich an einen Abend, da waren meine Wände im Wohnzimmer so voller Bier, dass ich am nächsten Tag neu streichen musste. Als gelernter Maler konnte ich ein Zimmer in zwei Stunden neu beschichten. Dann legte ich auch gleich noch einen neuen Teppich aus und versprach mir selbst, dass blödsinnige Saufen gleich wieder dran zugeben und diesmal meine Wohnung sauber und schön zu belassen.

Ich hatte mich mit meinem Bruder gerade wieder einmal versöhnt, obwohl er mich schon wieder nervte, weil er mir beim Renovieren helfen sollte und erst auftauchte, als ich gerade fertig war. Er war Judas und Egoist durch und durch!

Ich hatte einen Karton mit achtmal einem Liter Glühwein für uns besorgt. Als Belohnung dafür, dass mein Bruder mir beim Streichen helfen sollte. Da mein neuer Herd noch nicht angeschlossen war, musste ich improvisieren und kochte uns den Glühwein in der neuen Kaffeemaschine.

Der erste Versuch ging gleich daneben. Wir saßen zu lange auf meinem Balkon und fütterten die Tauben. In der Zeit kochte der Glühwein in der Kaffeemaschine über und versaute den nagelneuen Teppich. Nachdem ich den Fleck entfernt hatte, war der Teppich an der Stelle rosa. Ich schob den Tisch etwas weiter in die Mitte des Raumes, um den ärgerlichen Fleck zu überdecken.

Danach tranken wir den leckeren Glühwein literweise. Er schmeckte uns vorzüglich aus dem Tetrapak. Er hatte sogar eine leicht pfefferige Note und es schwammen so viele, leckere kleine Gewürze darin herum. Dabei gehörte er zu der billigsten Sorte im Discounter!

Auf jeden Fall hatten wir jeder schon dreieinhalb Liter davon getrunken, als uns der verbrannte Geruch der Kaffeemaschine in die Nase stieg. Wir schauten uns die neue Maschine an, fanden aber die Ursache des Geruchs nicht.

Neue elektronische Geräte rochen manchmal eben etwas, wenn sie gerade in Betrieb genommen wurden. Ich knipste die Maschine aus und ließ sie erst einmal abkühlen. Dann gossen wir den Rest des vorzüglichen Heißgetränks in uns hinein.

Als die Becher leer waren, wollte ich uns den restlichen Liter in der Kaffeemaschine warm machen, hob den Deckel des Filterhalters ab und sah, dass die Weinsäure den Kunststoff des Filterhalters komplett aufgelöst hatte.

Unsere „leckeren“ Gewürze und Schokoladenstücke, die wir die ganze Zeit da so genüsslich mit tranken, waren in Wirklichkeit der aufgelöste Kunststoff des Filterhalters!

Während ich meinen Bruder drüben in seiner Wohnung kotzen hörte, bestellte ich mir eine Pizza. Er roch die Pizza und war schnell wieder da. Er hätte sich niemals eine kostenlose Pizza entgehen lassen. In der Zeit, wo ich ein Viertel gegessen hatte, schlang er mit großen Augen und ohne zu kauen dreiviertel davon weg. Danach starrte er noch auf das Stück, was ich gerade in den Mund schob. Ich schmiss es ihm hin und er fraß auch das noch. Zum Glück hatte ich meine Hand nicht dazwischen!
Dann schickte ich ihn zum kurdischen Grill am Bahnhof. Er sollte uns Bier holen.

Ich warnte ihn aber diesmal vorher, sollte er wieder nur Bier holen, was nur ihm schmeckt, dann wäre das sein letzter, kostenloser Abend bei mir. Er war entrüstet darüber, dass ich derart schlecht über ihn dachte.

Er kam brav und ohne Leine mit einer kompletten Tasche Pils und zwei Falafel-Döner zurück. In der Zeit, in der ich pinkelte und uns Teller und Besteck aus meiner neuen Einbauküche besorgte, hatte er schon seinen Falafel-Döner hinuntergeschlungen und fraß von meinem gerade den Salat raus. Er sah mich unschuldig und mit großen Augen an. Außerdem hatte er von sechs Flaschen Pils vier für sich geöffnet und bereits alle vier angetrunken. Und die pisswarmen zwei hatte er gnädigerweise für mich gelassen!

Ich hatte an dem Abend keine Lust mich mit ihm zu fetzen. Er war sowieso ein unbelehrbares Arschloch. Wir schmissen auch keine Flaschen an die Wand oder traten dagegen.

Ich beobachtete die Tauben, wie sie friedlich auf meiner Balkonbrüstung saßen und ihre Köpfchen einzogen, während der Bruder auf meinem Sessel schnarchte und die Pisse durch seine Hose auf den neuen Sessel lief.

Es war auf Dauer kein anständiges und friedliches Wohnen dort möglich. Edis Bruder hatte die schreckliche Angewohnheit den Tauben überall im und um das Haus herum den Hals umzudrehen und die Taubeneier auf die Straße zu klatschen. Das lesbische Paar direkt neben uns schlug sich immer öfter nachts in die Zähne. Eine von ihnen, meist die jüngere, zarter Gebaute, klingelte regelmäßig bei mir an der Tür, nur mit einem BH und einem dreckigen Slip bekleidet und wollte bei mir schlafen, weil ihre Lebensgefährtin sie immer dann rauswarf, wenn beide genug getrunken hatten. Das war meist kurz nach dem sie mit Lecken und Stöhnen fertig waren und ich meinen Priapismus wieder halbwegs unter Kontrolle bekam.

Manchmal stand die Polizei oder Feuerwehr vor meiner Tür, wegen der ewigen Sauferei und den dann folgenden Streitigkeiten der beiden Lesben. Ich fetzte mich regelmäßig mit den Beamten, drohte denen, dass sie nicht immer ausgerechnet bei mir klingeln sollen, weil ich in wenigen Stunden beim Amt erscheinen musste. Und ich schlug ihnen regelmäßig die Tür vor der Nase zu, wenn sie mir mit ihrem Ermächtigungs-Ausweis kommen wollten. Ich erschien dadurch gelegentlich zu spät auf der Arbeit und wenn ich es noch pünktlich dorthin schaffte, war ich den ganzen Tag tot und hatte abends keine Kraft mehr meinen Bruder zu ertragen oder selbst mich dem Saufen zu widmen.

Manchmal schmiss Hausmeister Adi, der Taubenkiller, eine der beiden Lesbierinnen raus. Ich hörte sie draußen in der kalten Winternacht weinen, flehen und betteln. Es erinnerte mich daran, wenn sich meine Mutter nachts in der Toilette eingeschlossen hatte und mein Vater die Tür aufbrechen wollte, um sie umzubringen.

Ich schaute vom Balkon und sie stand da, in ihrem kleinen, vollgepissten Slip und dem BH, ohne Söckchen und weinte. Dann musste ich runter und sie wieder hereinlassen. Die jüngere der beiden Lesben war ein liebes und tolles Mädchen. Sie hatte im Leben sicher nur mal die falsche Abfahrt genommen und hing jetzt in dem fest, was sie als Leben empfand. Oder, eben manchmal auch nicht!

Sie war ganz klein und zierlich. Hatte schöne, naturblonde Haare. Wenn sie nicht schon so kaputt gewesen wäre und sich nicht ständig bepinkelte, hätte sie gerne in meinem Bett schlafen dürfen. Von mir aus auch gerne ohne jegliche Aktion, außer ein aneinander Kuscheln und gegenseitiges wärmen.

So aber blieb sie eher ein Fall für meinen gefräßigen Pinkelbruder von nebenan. Und ich wette, ihm würde sogar ihr voll gepinkelter Slip gefallen. Ich kannte meine Brüder nur zu gut!

In der Folgezeit machte ich mich im Haus immer unbeliebter. Es gab immer öfter Streit zwischen meinem Bruder und mir.

Die Bewohnerin vom Haus gegenüber spannte regelmäßig mit dem Fernglas durch meine dünnen Vorhänge. Ich hatte von einem älteren Bruder ein altes Solarium bekommen, auf dem ich manchmal abends lag und mich bräunte. Es war Winter und die Wärme tat mir gut. Wenn die Frau mit dem Fernglas zu intensiv spannte, zog ich schon einmal die Vorhänge weg und präsentierte ihr das Südstaaten Tattoo, dass ich auf dem Hintern trug.

Als es mir dann irgendwann zu viel mit ihr wurde, sprühte ich mit roter Acrylfarbe drei Sechsen und ein Pentagramm auf meine Balkonscheibe. Damit hielt ich sie zwar ab, zog aber wiederum den Zorn meines Vermieters auf mich.

Mein Bruder strich zwischenzeitlich sein Wohnzimmer neu an und diesmal half ich ihm nicht dabei, sondern klingelte erst genau dann bei ihm, als er gerade fertig war. Man konnte seine Aktion genauso gut in den Fensterscheiben der Häuser gegenüber spiegeln sehen, wie er meine Streichaktion auch von seiner Warte aus sah.

Mein Bruder war Zierpflanzengärtner. Er hatte von was anderem als seinem Beruf keine Ahnung. Er hatte zwei linke Hände! Anstatt, dass er die ausgehangene Wohnzimmertür direkt nach dem Streichen wieder ein hing, legte er sie flach auf den Wohnzimmerboden und trat mit den Füßen durch die Scheibe.

Damit waren wir beide dann beim Vermieter untendurch.

Ich schmiss in derselben Nacht noch dem Spinner eine volle Flasche Bier auf sein fahrendes Auto, der nachts ständig mit lauter Technomusik ums Haus fuhr, um die Mädchen zu beeindrucken. Vielleicht hätte ich ihm den vollgepissten Slip meiner Nachbarin hinunterschmeißen sollen, denn sein Auto hatte nun eine dicke Beule auf dem Dach.

Ich zog am nächsten Morgen zurück nach Leverkusen. In meine Heimat.

Drei lange Jahre hatte ich es in Köln-Mülheim ausgehalten. Ich nenne es noch heute scherzhaft, Köln-Mülleimer!

Ich war zurück in meinem kleinen Dorf, in dem es zwar auch genügend Alkoholiker gab, aber weit weniger geballte Ladungen und Unmengen an Kaputten und Bekloppten!

 

Noch mehr Chaos

Kurz bevor ich nach Leverkusen zurückzog, gab es noch ein entscheidendes Ereignis.

Ich hatte damals noch einen befristeten Vertrag im Büro beim Arbeitsamt. Der ausschlaggebende Punkt, wieso ich nichts mehr trinken wollte, war unter anderem der, dass ich mich für eine nette Kollegin vom Amt interessierte, die ähnlich drauf war wie ich, was Musik und Interessen anging. Nur eben, dass sie nicht so viel trank wie ich!

Wir trafen uns auf einem Konzert in Köln, wo sie mit ihrem Freund auftauchte. Mir kam es so vor, als ob sie austesten wollte, ob ich ihrem Freund das Wasser reichen kann. Sie war auch etwas an mir interessiert. Ich mochte aber solche Arten von „initiierte Rivalenkämpfen“ nicht, da ich ja immer noch ein Mensch und kein wildlebendes Tier war.

Was hatte man schon von einer Frau zu erwarten, die einen Kerl ständig auf die Probe stellte. Man konnte sich ihrer Treue niemals sicher sein. Und während man ihr alles geben sollte, was sie sich wünschte, war sie im Gegenzug nicht bereit selbst genügend Vertrauenspotenzial und Treue in die Beziehung einzubringen.

An dem Abend auf dem Konzert, war ich so enttäuscht über ihre Art zwei Männchen gegen einander antreten zu lassen, dass ich mich auf diesem Konzert richtig mit Alkohol voll laufen ließ. Bis zum Ende des Konzerts schaffte ich es nicht einmal, aufrecht stehen zu bleiben. Ich schlief draußen, vor der Konzerthalle, auf dem Gehweg.

Das war an einem Donnerstagabend und ich musste am Freitag wieder beim Amt zur Arbeit erscheinen. Die Kollegin war übrigens unsere Abteilungsleiterin!

Ich lag einige Zeit im Schnee, in meiner Kotze, auf dem Gehweg. Eine junge, hübsche Security sprach nett auf mich ein und wollte irgendwie nicht, dass ich da im Schnee erfriere. Sie flehte mich an, ich solle doch wenigstens unter der benachbarten Brücke schlafen. Sie dachte wohl, ich sei ein Obdachloser!

Ich raffte mich also auf und kletterte auf das Betonpodest unter der Brücke. Legte mich dort in die Taubenscheiße und versuchte zu schlafen.

Nach einer halben Stunde bekam ich Kopfschmerzen. Ich hatte immer schon Spannungskopfschmerzen oder auch solche, die man bei zu kaltem, zugigen Wetter bekam. Ich zählte mein Geld und schleppte mich zur Straßenbahnhaltestelle. Wollte nach Hause und meinen Rausch ausschlafen. Die beim Amt sahen das nicht so eng. Die Uhren dort tickten alle etwas langsamer und wenn man mal einen Tag nicht zur Arbeit kommen konnte, aus welchem Grund auch immer, blieb man eben zu Hause. Anrufen konnte man, zur Not, auch später noch.

Es kam aber nachts keine Straßenbahn mehr. Ich stand dort in einer dünnen, alten Lederjacke und einem T-Shirt. Meine Jeans war voll mit Kotze und Taubenscheiße.

Ich rief mir ein Taxi und bezahlte den Fahrer im voraus großzügig. Ich verdiente nicht so schlecht beim Amt. Es waren damals wohl rund zweitausendzweihundert Deutsche Mark oder etwas mehr. Der Taxifahrer hatte ein Herz und nahm mich mit. Fünf Minuten später hatte ich ihm schon die Plastiktüte vollgekotzt, in der er seine Brote und seinen Kaffee aufbewahrte.

Er hatte aber immer noch Mitleid mit mir und setzte mich zu Hause ab. Ich gab ihm noch einmal ein Trinkgeld und entschuldigte mich immer wieder.
Zu Hause bekam ich ein schlechtes Gewissen. Ich versuchte zu schlafen, konnte aber nicht. Da ich schon einmal wach war und noch komplett in meinen vollgekotzten Sachen steckte, ging ich gegen Morgen hinunter zur Straßenbahn und fuhr zur Arbeit.

Auf dem Weg dorthin musste ich fünfmal aussteigen, um in einen der Mülleimer an den Haltestellen zu kotzen. Als ich beim Amt angekommen war, roch ich nach Schweiß und Kotze. Meine Hose war bekotzt und meine Haare standen in alle Richtungen ab.

Ich lief der Kollegin in die Arme, mit der ich auf dem Konzert war und die ja meine Abteilungsleiterin war. Sie lachte über mein Erscheinen dort und riet mir, doch besser wieder nach Hause zu fahren. Sie hätte mich schon entschuldigt!

Auf dem Weg zurück, musste ich die Straßenbahn wieder dreimal verlassen, um in einen der Mülleimer an den Haltestellen zu kotzen.

Mittags kam ich dann in meiner Wohnung an, legte mich halbtot ins Bett und schlief bis Samstag. Ganze zwanzig Stunden an einem Stück. Soviel schlief ich manchmal in einer Woche nicht!

Ich wachte auf und lag mit der Matratze auf dem Boden. Hatte mich bepinkelt und während des Schlafens noch einmal gekotzt.

Ich sah auf die Uhr in der Küche und erschrak, da es schon Mittag durch war. Ich zog eilig frische Kleidung an und wollte zur Arbeit. Durfte meinen guten Job beim Amt nicht riskieren.

Als ich an der Wohnungstür stand, fiel mein Blick auf den Kalender. Mir ging nach einer Weile auf, dass ja Wochenende war. Ich zog mich aus und ging ins Bett.

An dem Tag schwor ich mir, ich wollte mit Alkohol nichts mehr zu tun haben!

Das totale Chaos

Ich wohnte jetzt wieder in Leverkusen. Die Wohnung hatte ich von einer guten Kollegin vom Amt übernommen, die ihrerseits von Leverkusen zurück nach Köln zog.

Ich hatte genug vom Lotterleben, von den einsamen und halb-einsamen Alkoholpartys. Wollte meinen verkappten, egoistischen Bruder eine Zeitlang nicht mehr sehen müssen.

Früher kam ich doch ganz ohne Alkohol aus. Ich bekam alles auf die Reihe. Ich stand früh auf, ging zur Arbeit, danach ins Fitnessstudio, hatte Freunde und genügend gesunde Termine und Beschäftigungen. Wieso musste ich mit dem Saufen überhaupt anfangen? War ich so schwach?

Ich übernahm also diese schöne, kleine Dachwohnung von meiner anderen Kollegin vom Amt. Nachdem ich ihr dreitausend Deutsche Mark für die Einbauküche, eine Satellitenanlage, einen großen Schlafzimmerschrank und ein durchgeficktes, französisches Bett als Abstandszahlung gegeben hatte, durfte ich endlich den Haustürschlüssel sehen. Die Einbauküche war nicht so schön, wie jene, die ich mir in Köln gekauft und selbst eingebaut hatte. Sie besaß aber etwas, was meine alte Küche nicht hatte. Eine Theke mit drei Barhockern davor und einen Platz, an dem man locker ein fünfzig Liter Fass mit Bier aufstellen konnte.

Dann traf ich meine neue Vermieterin das erste Mal. Sie hieß Andrea und erinnerte mich an das riesige Marshmallow aus dem Film „Ghostbusters“!

Andrea kam gebürtig aus Wuppertal. Während sie mich zu textete, sah ich sie an und musste mir das Lachen verkneifen. Ich erinnerte mich an den Elefanten „Tuffi“ der damals aus der Wuppertaler Schwebebahn gefallen war, direkt in einen Fluss. Und der Elefant hatte das unbeschadet überlebt. Tuffi war längst tot. Ob sie Tuffis Inkarnation war?

Sie war nicht direkt fett, aber annähernd. Sie trug immer nur so alberne Kostüme, die sie wahrscheinlich bei Donald Duck aus der Mülltonne kramte. Mit Rüschen um den Hals, die wie Spitzendeckchen aussahen. Um dich nicht belügen zu wollen, sie hatte gar keinen richtigen Hals. Zu der Zeit, damals in Frankreich, als man die Leute noch mit der Guillotine köpfte, hätte man bei ihr keine Chance gehabt. Sie hatte wirklich keinen Hals!

Bei ihr saß der Kopf direkt auf dem Oberkörper. Und sie sprach immer so niedlich, als ob man ihr gerade ihre Puppe weggenommen hatte. Sie wollte ich mir partout nicht nackt vorstellen. Musste ich ja auch nicht, denn sie wohnte nicht mit in dem Haus, sondern im weit entfernten Essen, im Ruhrgebiet. Was für ein Glück denn sie konnte quatschen wie ein Wasserfall!

Ihr Bruder, so sagte sie, kannte mich wohl. Er wäre bei mir in der Schulklasse gewesen. Ich fragte nach seinem Vornamen und erinnerte mich dann an einen ebenfalls dicken Jungen ohne Hals, der von allen Mitschülern immer Prügel bekam. Selbst dann, wenn er nichts angestellt hatte. Er war, sozusagen, der Punchingball der Schule. Die Welt war klein, besonders in Leverkusen!

Auch ich hatte ihm schon einmal, aus Versehen, eine herunterhauen müssen. Zum Glück wohnte auch er nicht im Haus, sonst wäre ich meine schöne Dachwohnung und wahrscheinlich auch die dreitausend Deutschen Mark, sofort los geworden, denn meine Kollegin war mit dem Geld längst über alle Berge.

Andrea übergab mir die Schlüssel zur Wohnung, wir unterschrieben den Mietvertrag und ich stellte von dem Tag an, ganze dreizehn Jahre lang, meine Türklingel ab.

Das hielt aber ihre Eltern, zwei alte Wuppertaler, die unten wohnten, nicht davon ab, jeden oder jeden zweiten Tag bei mir an der Wohnungstür zu klopfen.

Einmal wollten sie wissen, was ich denn so beruflich mache, dann wiederum wollten sie mir nur mal nett die Post an die Tür bringen, weil sie ihre nun einmal vom Postboten direkt in die Hand bekommen hatten. Und meine gleich mit!

Ich schaffte mir zum ersten Mal in meinem Leben Ohrenstopfen an. Eine Großpackung! Ich trage heute noch regelmäßig welche. Habe es mir an- und nicht mehr rechtzeitig abgewöhnt.

Die beiden Eltern waren liebe aber ständig gelangweilte Rentner. Wolfgang war der typische Bahnarbeiter gewesen. Sie hatte in einer Schönfärberei Wäsche gefärbt und gebügelt. Sie hieße Rosemarie, ich musste sie aber sofort „Rosi“ nennen. Ob ich wollte, oder nicht!

Sie hatte als Kind Kinderlähmung gehabt, humpelte und sprach undeutlich. Alle paar Kilometer legte sie sich mal auf die Schnauze und ihr Heulen hörte sich dann immer an, wie der Gesang der Wale. Wenn sie „normal“ redete, dann dachte ich immer an „Chewbacca“, den Wookie aus Star Wars. Aber, da konnte die gute Frau auch nichts für. Das war eben so!

Ihr Ehemann, Wolfgang, verhielt sich schon feister. Ich sollte ihn auch gleich duzen, er nannte mich aber meistens „Wichsbeutel“ oder „Linkstänzer“. Ich schätze mal, dass er mich in den ganzen dreizehn Jahren, in denen ich es dort aushielt, nicht ein einziges Mal mit meinem richtigen Vornamen ansprach. Ob er wohl auch damals in seiner Schulklasse immer aufs Maul bekommen hatte? Ich konnte es mir gut vorstellen!

Ich machte dann den unverzeihlichen Fehler, ihnen mitzuteilen, dass mein befristeter und bereits verlängerter Job beim Arbeitsamt ausgelaufen war und ich mich nun erst einmal wieder arbeitssuchend melden musste.

Von dem Tag an klopften sie täglich mehrmals an meine Tür. Wollten den Elektriker kommen lassen, er sollte meine Klingel wieder in Gang bringen. Ich hatte die Klingel mittlerweile abgerissen!

Während ich froh war, erst einmal einige Wochen ausspannen zu können, bevor ich mir weitere Gedanken über meine berufliche Zukunft machte, gaben sie mir den äußerst wichtigen Auftrag das Treppenhaus zu streichen. Ich konnte mein Maul noch nie gut halten, plauderte in einer Laune immer wieder aus, was ich so alles gemacht und gelernt hatte. Ich sollte Rosi auch Englischunterricht geben, da ihr Bruder in Australien lebte. Lauter so kleine Aufträge, die ihnen die Langeweile nehmen sollten und mich ordentlich nervten.

Das Schlimmste an der Sache war jedoch, dass ich mir seit dem Umzug nach Leverkusen geschworen hatte, niemals mehr Alkohol zu trinken. Nun standen sie vor meiner Tür und hämmerten so oft und so lange dagegen, bis ich die Tür genervt aufriss.

Wolfgang und Rosi liebten Torten in allen Varianten. Ich hatte mir noch nie etwas aus jeglicher Form von Süßigkeit gemacht. Ich mochte Eis und Joghurt gerne, das war es dann aber auch schon.

Während ich mir bei ihnen im Wohnzimmer oder auf der Terrasse gedeckten Apfelkuchen und Zitronenrollen rein schraubte, goss er ständig Rotwein, Weißwein und Schnaps nach. So gewöhnte ich mir das Trinken gleich wieder an.

Es war ein kleines Haus in einer ruhigen Straße. Wir hatten nur drei Mietparteien im Haus. Rosi und Wolfgang wohnten unten, eine alte Omi im ersten Stock und ich darüber.

Die alte Omi tat mir leid, denn ich gewöhnte mir ab da an das Saufen richtig an. Der jährliche pro Kopf Verbrauch an Bier je Bundesbürger lag in dem Jahr bei etwas über 134 Litern. Meiner lag bei etwas über 1000 Litern!

Schnell war ich mit der gesamten Nachbarschaft per du. Im Haus gegenüber wohnte der Weißrusse Helmut, der schon den zweiten Herzinfarkt und mehrere, kleine Schlaganfälle überlebt hatte. Helmut trank gerne selbst gebrannten Schnaps aus der eigenen Destille in seinem Keller. Er hatte dort gleich ein ganzes Fass stehen. Während er mich mit seinem Schnaps und Brot mit Kräuterquark und Zwiebelchen abfüllte, rief Wolfgang mich bereits vom offenen Fenster gegenüber zum Umtrunk zu sich herüber. Ich kam aus dem Saufen nicht mehr heraus und saß dort in der Rentnerfalle!

Im Haus direkt bei uns nebenan wohnte der Schlesier, Rudi. Er trank vorwiegend Bier. Seine Frau wollte das nicht, weil auch er schon einen leichten Schlaganfall hatte. Auch bei ihm trank ich manchmal Bier, wenn seine Frau, Christa, zum Haareschneiden ins Altersheim ging.

Mit meinem ersten Herzinfarkt, den ich im Alter von zwanzig Jahren bei der Bundeswehr hatte, war ich in dieser Nachbarschaft also ein unbeschriebenes Blatt, ein Waisenknabe. Jeder hier schien mehr Krankheiten zu haben, als ich jemals bekommen und überleben würde. Sie alle konservierten ihr Leben mit möglichst regelmäßigen Gaben von Medizin, in Form von Alkohol. Und ich hing mittendrin!

Manchmal robbte ich auf allen Vieren die Straße hinüber, wenn beim Weißrussen Helmut Schnapsabend war. Gelegentlich musste Rosi die Kotze wegmachen, die ich dabei vor der Haustür oder in ihrem Briefkastenschlitz hinterließ. Sie war ein armes Mädchen!

Dann fand ich einen Job als Malergeselle, ausgerechnet in der Firma, bei der mein alter Freund Edi Fast Vorarbeiter war. Unsere Freundschaft hielt ab dem Tag noch so ziemlich genau zehn Monate, bis er mich mit seiner Art von „Freundschaft“ aus dem Unternehmen mobbte. Zu der Zeit trank ich recht wenig Alkohol und bezahlte monatliche Raten für ein eben erst angeschafftes Cabrio von über sechshundert Deutschen Mark.

Ich wurde wieder arbeitslos!

Irgendwann gingen mir Wolfgang und Rosi dann auf die Nerven. Ich lernte einige der Jungs an einem nicht weit entfernten Kiosk kennen. Es waren einige Hooligans dabei, einige Gothics und Punks, ein paar wenige Kaputte. Eine bunte, aber friedlich vereinte Mischung von jungen Leuten, die sich aus rein dörflicher Einsamkeit und Langeweile nichts taten. Und die sich die meiste Zeit untereinander verstanden.

Ich lernte Sascha kennen. Er war Gothic, ich war früher einmal Gothic-Punk. Als ich ihn das erste Mal im Kiosk traf, hatte ich mich, betrunken wie ich war, etwas in ihn verliebt. Jetzt denke aber bitte nicht gleich, dass ich vielleicht schwul oder bisexuell bin.

Sascha sah aus wie ein Mädchen! Er war auch geschminkt wie ein Mädchen, hatte lange, schwarz lackierte Fingernägel und toupierte, lange Haare. Er erinnerte mich an Anna, die Schwester vom kleinen Vampir Rüdiger. Und Sascha roch auch wie Anna!

Als ich dann merkte, dass Sascha kein Mädchen, sondern ein Junge ist, war meine Verliebtheit sofort wieder verflogen.

Sascha hatte die dreiste Angewohnheit seine eigene Haustür mit einem Schlüssel zu öffnen und die Türen von fremden Menschen mit seinem Personalausweis.

Eines Nachts hatte ich mal wieder die Schnauze voll, vom ewigen Saufen. Ich unterhielt meinen eigenen Absinth-Lieferanten, der den Wermut dafür selbst anpflanzte und den Absinth selbst braute. Der Absinth von Braumeister Fabian war sehr stark und verstieß um einiges gegen die gesetzliche Norm an den freigesetzten Thujonen, die dem Absinth seine halluzinogene Wirkung geben. Und ich trank einiges davon!

Eines Nachts lag ich also in meinem Bett im Schlafzimmer und las mein John Sinclair Heft. Plötzlich stand Sascha grinsend vor meinem Bett und hielt seinen krummen und verbeulten Personalausweis in der Hand. Und er hatte ausgerechnet meinen egoistischen, futterneidischen Bruder mit im Schlepptau, den ich in Köln so mühsam losgeworden war.

Nachdem ich die Nachbarn an der Wohnungstür abwimmeln konnte, die schon die Polizei verständen wollten, weil sie glaubten, Sascha sei ein Einbrecher, erlaubte ich ihm und meinem Bruder noch ihr Bier in meinem Wohnzimmer austrinken zu dürfen. Es war fast 02:00 Uhr nachts!

Der Absinth machte mich so langsam wahnsinnig! Und Sascha machte mich so langsam wahnsinnig!

Wolfgang und Rosi mochten Sascha nicht, weil er eben „Grufti“ war. Beide waren sie zwei verdeckte und verkappte Kirchgänger, auch, wenn sie niemals in die Kirche gingen. Sie waren eben Leute aus einem Dorf!

Meine Wohnung verkam immer öfter zu einem nächtlichen Treffpunkt von Gruftis, Punks, Hooligans und Kaputten. Ich war mittlerweile halb wahnsinnig vom Absinth und auf dem besten Wege den nächsten Karrieresprung in dem Metier in Angriff zu nehmen. Die Hooligans wurden, mir gegenüber, langsam unvorsichtig. Sie versuchten mich immer mal wieder auf die Probe zu stellen, weil ich jeden von ihnen im Armdrücken besiegte. Ich erzählte, ich wäre ein deutsch-irischer Boyo. Sie wussten nicht, was das ist und ich klärte sie darüber auf, dass ein Boyo ein irischer, jugendlicher Straßenkämpfer von der übelsten Sorte war, organisiert in einer Art Gang, ähnlich den Hooligans. Man hielt zusammen und kämpfte füreinander, Seite an Seite, und wenn es sein musste, bis zum bitteren Ende!

Das beeindruckte sie immer eine Zeitlang.

Ich trank Absinth, ganze Flaschen Gin, dazu halbe Kästen mit Bier und auch schon einmal sechs Flaschen Lambrusco dazu.

Eines Nachts tauchte mein Bruder wieder dort auf und nervte mich mit seiner ewig, alten Abzocker-Tour. Seiner ausnutzenden Gefräßigkeit und seiner geizigen Judas-Ader. Er versuchte wieder einmal seinen alten Trick mit dem warmen Billigbier, das er extra für mich mitbrachte. Ich hatte bereits Absinth intus, nahm ein Steakmesser und wollte es ihm tatsächlich durchs Gesicht ziehen. Er duckte sich und ich hieb das Messer direkt in die Wand. Die Klingel brach ab und steckte komplett in meiner Hand.

Das Geräusch beim Herausziehen der Klinge aus meiner Hand werde ich nie vergessen. Es tat mir in dem Moment nicht weh, es hörte sich aber genauso an, als ob man ein Messer aus einem dicken Block Styropor zieht. Oder aber so wie, wenn man auf einem Ballen Watte oder einem trockenen Frotteehandtuch herum beißt.

Wie der Zufall so will, hatte ich wenige Tage zuvor in meinem kleinen Flur einen neuen Teppich gelegt. Mir lief das Blut in Strömen aus der Hand, genau auf den Teppich. Ich schmiss meinen Bruder aus der Wohnung. Er war so sauer darüber, dass er seine volle Flasche Bier vor der Wohnungstür von Wolfgang und Rosi zerschmiss. Dann pinkelte er noch in den Flur, trat die Kellertür kaputt, weil die Haustür nachts mittlerweile abgeschlossen wurde und ich war den ewigen Chaoten los.

Der Alkohol machte mir langsam so richtig zu schaffen. Ich trank an mindestens sechs Tage in der Woche. Oft hatte ich nachts die ganze Dorfbande bei mir in der Wohnung. Ich war so aufgekratzt vom Absinth, dass ich auf meinem Teppich im Wohnzimmer kleinere Lagerfeuer auslegte. Mit Sascha hatte ich schon einmal eine Bomberjacke in meiner Badewanne verbrannt, meinen halbnackten Körper mit der Asche eingerieben, bin über die Dachpfannen auf das Vordach gestiegen und hatte in die Sterne geschaut. Sascha lachte darüber. Er kletterte mir hinterher und wir lagen dort auf dem Vordach und schauten in die Sterne, während Rosi die Feuerwehr wieder abwimmelte.

Dann kotzten Sascha und ich auf das Dach und lachten uns schief. Wir hatten bei mir in der Küche Bandnudeln mit Austernpilzen gegessen. Die waren teils komplett ausgebrochen und hingen nun an der Dachrinne und auf den Dachpfannen wie Lametta!

Am nächsten Morgen sahen wir verkatert dabei zu, wie Andrea unsere Kotze mit einer bunten Kinderschaufel aus der Rinne kratzte. Sie schimpfte auf die dreckigen Tauben, die immer ihr schönes, sauberes Dach verschmutzen würden. Während Sascha und ich mit nacktem Oberkörper am offenen Fenster standen und ihr bei dieser Arbeit zu sahen.

Ich hatte damals einige wirklich absurde Träume. In einigen Träumen erschien mir die tote Großmutter meiner Mutter und warnte mich davor, was passiert, wenn ich meinen Lebensstil nicht bald ändere.

Auch träumte ich immer wieder, dass ich am Grab meines Vaters und meiner ersten Freundin Heike stehe und eine Rose auf deren Särge warf.

Beide, sowohl mein Vater als auch Heike, starben nur wenige Jahre später tatsächlich an Krebs. Er an Magenkrebs und sie an Lungenkrebs. Heike war die größte Liebe meines Lebens. Meine wirkliche Liebe, nicht in der Art, wie Doina es war, oder besser gesagt, nie gewesen ist!

Ich wollte weg von diesem Leben. Die Hooligans hingen bei mir bis morgens um 08:00 Uhr herum, spielten Castle Wolfenstein und andere Shooter an meinem PC.

Ich wurde die Bande irgendwie immer schlechter los. Einmal ging ich einfach zu Bett und ließ sie alle dort machen, was sie wollten. In meiner eigenen Bude!
Mein Kumpel, Patrick, genannt Petro, hatte gerade neues Bier geordert, dass von einem, vor dem Haus wartenden Taxifahrer angeliefert wurde. Mein Judas-Bruder schlief mit vollgepisster Hose auf meinem Sessel, ein anderer Bruder lag fertig unter meinem U-Boot Schreibtisch.

Ich ging ins Bett und schloss mich einfach in meinem Schlafzimmer ein, wollte diesen scheinbar niemals endenden Alptraum einfach wegschlafen. Petro wurde ungeduldig, weil der Taxifahrer unten ungeduldig auf die Abnahme des Bieres wartete. Petro trat die Hälfte der verschlossenen Schlafzimmertür kaputt. Sie brach in der Mitte durch und der halbe Rahmen hing im Zimmer.

Ich riss den Rahmen gleich ganz heraus, packte die ganze Meute und schmiss sie alle raus. Einige drohten mir noch, wenn ich sie jetzt herausschmeißen würde, dass sie mich niemals mehr besuchen kämen. Ich bat ausdrücklich darum!

Dann war ich die ganze Meute endlich los!

Am Morgen wachte ich in meiner eigenen Pisse auf. Meine fast neue Matratze war komplett nass. Im Teppichboden glimmte ein Loch. Ich hatte meine Lichterkette aus Versehen vom Solarium gerissen und diese hatte dann ein Loch in den guten Teppich gebrannt. Mit Teppichen hatte ich scheinbar immer Pech!

Einige Zeit später kam Sascha wieder. Alleine!

Er war obdachlos und hatte ein ganzes Set an aufgezogenen Heroinspritzen bei sich. Die dünne, gepanschte Schore steckte in Bleistift dünnen Spritzen und sah aus, wie aus einer braunen Regenpfütze gezogen. Sascha grinste!

Ich wusste nicht, dass er mittlerweile auf Heroin war. Meines Wissens hatte er, außer Bier und Zigaretten, nie irgendwelche Drogen konsumiert. Ich hatte ihn einmal für drei Wochen bei mir aufgenommen, als er das erste Mal obdachlos wurde. Er hatte mir aber täglich den Kühlschrank leer gefressen und wollte sich partout keinen Job suchen. Als er mir gegenüber dreist wurde, bat ich ihn erst nett seine Klamotten zu packen und zu verschwinden und musste danach deutlicher werden.

Nun war er wieder zurück und auf Schore!

Ich machte ihm einen Vorschlag. Entweder ich trete ihn sofort die Treppen hinunter oder er geht mit mir ins Bad und zerbricht die Spritzen. Wir gingen also ins Bad, zerbrachen die Spritzen und spülten die braune Jauche im Klo herunter. Ich wollte mit Heroin nichts zu tun haben. Allein das Wort machte mich wahnsinnig!

Einige Monate später war Sascha dann tot. Er hatte sich einen goldenen Schuss gesetzt. Einer seiner besten Freunde hatte es mir im Discounter erzählt. Zu dem Zeitpunkt hatten Sascha und ich schon lange keinen Kontakt mehr.

Sein früher Tod kam mir irreal vor. Er war ein Schönling, ein Lebemann und ein Weiberheld, der immer den starken Mann markierte. In seinem Inneren war er schwach und verletzlich. Keine wollte es wahrhaben. Ich wusste es von Anfang an!

Eine Zeit der Ruhe?

Ich war die ganze Meute endlich los.

Diese ganze Bande von Hools, Punks, Gothics und Bekloppten und meinen Bruder gleich mit. Endlich hatte ich einmal komplett meine Ruhe.

Ich trank jetzt deutlich weniger. Trank nur an den Wochenenden etwas Bier. Mit etwas meine ich, so sechs bis acht halbe Liter Dosen. Und das war für mich damals nichts.

Ich durchlief mehrere Umschulungen. Machte Fortbildungen zum Berufskraftfahrer, Fachkraft für Rechnungs- und Personalwesen, eine kürzere Ausbildung zum Haustechniker, arbeitete für verschiedene Zeitarbeitsfirmen, mal in einem Callcenter und dann wieder an einer Maschine in einem Pharmaunternehmen. Arbeitete einige Monate als Maler in Holland, in Belgien und in Spanien. Kam aber immer wieder zurück in meine kleine Dachwohnung bei Wolfgang und Rosi.

Irgendwann starben so nach und nach die gut konservierten Alten in meiner Straße, die ich irgendwie alle ganz lieb hatte und die mir in all den Jahren ans Herz gewachsen waren.

Zuerst starb der dicke, alte Eugen. Den kaum einer in der Nachbarschaft mochte, da er aussah wie eine Mischung aus einem Mops und Peter Lorre. Er trank nicht so viel und eher selten, kippte aber trotzdem in einem Supermarkt um und war tot.

Dann starb Helmut, der Weißrusse von gegenüber, an seinem dritten Herzinfarkt. Danach bekam Wolfgang seinen ersten Schlaganfall. Er hatte sich zuvor darüber lustig, gemacht, dass seine Frau Rosi sich die Augen aus heulte, nur, weil ihr Bruder, der in Australien lebte, an einem Herzinfarkt verstorben war. Das fand Wolfgang wohl albern und irgendwie lustig. Er hatte manchmal einen sonderbaren Humor. Während er immer gleich schrie und weinte, wenn ihm ein Fingernagel abbrach, konnte er sich köstlich darüber amüsieren, wenn es anderen schlecht ging. Bis der Sensenmann dann das erste Mal auf ihn aufmerksam wurde und schon einmal vorsichtig an seine Tür klopfte.

Früher hatte er seine Frau Rosi immer gescheucht. Er hatte sie mit dem Krückstock hinten an den Hintern geschlagen, sie lachend angetrieben und gesagt, „mach voran du alte Fotze!“. Dann jammerte der Wookie immer etwas, von wegen „Kirche“ und „obszönen Worten“. Sie mochte es gar nicht, wenn er so fluchte. Mir gefiel es umso mehr!

Nun fluchte er vom Rollstuhl aus. War unerträglich geworden. Er scheuchte seine Frau nun noch mehr, was dazu führte, dass sie sich noch weit öfter auf die Schnauze legte als zuvor. Und während er mit ihr motzte und ich mir ihren Walgesang anhören musste, rief er zu mir hinauf, der „Linkstänzer“ von oben soll zum Kuchen essen herunterkommen. Ich sollte doch mal aufhören an mir herumzuspielen, ich würde ja schon auf Reserve wichsen!

Lauter so nette Sachen bekamen wir dann von ihm zu hören. Aber es hörte sich bei ihm niemals nach einem Befehl an. Er sagte es stets lachend und scherzhaft. Jetzt hatte sein Lachen auch etwas von einem Walgesang. Der Schlaganfall hatte ihm seine Schnauze verbogen. Nun konnten er und seine Rosi sich prächtig verständigen!

Die alte Omi, die zwischen uns wohnte, ging plötzlich nachts einkaufen oder ließ schon einmal die Herdplatte an. Nach einem halben Wohnungsbrand schob die dicke Andrea sie ins Altersheim ab. Na wenigstens war ich nicht mehr der einzige, der in dem Haus ein nettes Feuerchen legte!

In den Monaten darauf bekam Wolfgang dann seinen zweiten Schlaganfall und starb.

Ich war mit Rosi alleine in dem Haus und hörte mir tagelang ihren Walgesang um ihren toten Wolfgang an. Lebendig machte ihn der Gesang trotzdem nicht mehr. Vielleicht hätte ihr ein bisschen Sex gutgetan, um ihn recht bald zu vergessen, aber ich konnte mir das mit ihr beim besten Willen nicht vorstellen. Da half auch der stärkste Priapismus nichts!

Die Wohnung zwischen uns, wo die alte Omi gewohnt hatte, blieb Monate leer. Andrea verlangte zu viel Miete für die Wohnung. Keiner zeigte Interesse.

Es war Monate lang dort wie im Paradies.

Ich besuchte mittlerweile die Meisterschule in Köln um mich, als Malermeister selbständig machen zu können. Mein Herz war nicht mehr so gut und ich wollte mit dem Arbeitsamt nichts mehr zu tun haben. Wollte mir eine kleine, schnuckelige Firma schaffen, in der ich als Einzelunternehmer hier und da einen Auftrag erledigte. Ich soff mittlerweile gar nicht mehr. Mit „gar nicht mehr“, meine ich, es waren weniger als fünf Dosen zweimal in der Woche.

Dann zog der Teufel persönlich ein!

Andrea hatte endlich einen Nachmieter für die Wohnung zwischen uns, also für die erste Etage des Hauses gefunden. Ein alter Mann zog ein, der gerade achtzig Jahre alt wurde. Ich sah sein verbissenes Gesicht von meinem Küchenfenster aus. Ich konnte damals schon gut in Gesichtern lesen. Der Typ, das wusste ich, würde Ärger bedeuten. Herr Sensenmann schickte das Schicksal schon einmal an meine Tür, damit es erschnuppern konnte, wie weit ich schon war.

Der alte Mann war psychisch gestört. Er hatte im Krieg einen abbekommen. Aber nicht am Körper, sondern wohl eher am Schädel. Er hatte die vergangenen Jahre seine Frau gepflegt, kam mit deren Tod nicht zurecht und wurde darüber noch verrückter.

Beim Einzug des alten Mannes gab mir dessen Sohn nett die Hand, mit den Worten, „ich hoffe, sie kommen mit meinem Vater zurecht. Er ist manchmal etwas schwierig und hat einige Wohngangwechsel hinter sich. Nehmen Sie ihn einfach so, wie er ist!“.

Und damit hatte er die Untertreibung seines Lebens ausgesprochen.

Ich wohnte zu der Zeit bereits über zwölf Jahre in dem Haus. Keine Ahnung, wie ich es so lange in dieser unfreiwilligen Irrenanstalt ausgehalten hatte. Dafür verdiente ich eigentlich einen Orden!

Ich hatte den unverzeihlichen Fehler gemacht, den neuen Mieter nur ein einziges Mal nicht zu grüßen, als er mit dem Fahrrad an mir vorbeifuhr. Ich kannte ihn kaum und hatte mir sein Gesicht auch nicht weiter eingeprägt. Als ich am Grab meines Vaters stand und er zum Grab seiner Frau fuhr, musste ich ihn übersehen haben. Das reichte dem Psycho!

In den darauffolgenden Monaten fand ich mein Motorrad immer mal wieder um getreten auf dem Bürgersteig. Ich hatte mittlerweile die Meisterschule erfolgreich beendet und war selbständig. Ich fand sowohl in meinem alten Audi, als auch an meinem kleinen Transporter immer häufiger Einschusslöcher. Fand aber auch Einschusslöcher an dem nagelneuen Mercedes eines anderen Nachbarn. In meinen Autoreifen steckten mal Schrauben, dann wieder Nägel. Ich brauchte einige Tage um überhaupt zu realisieren, dass der alte Psycho diese Taten begannen hatte.

Ich stellte ihn zur Rede, doch er war unbelehrbar. Kein Mensch hatte sich jemals zuvor getraut mir auf diese Art und Weise zu nahezukommen. Er spielte ganz klar mit seiner Gesundheit, wenn nicht sogar mit seinem Leben.

Ich nahm Andrea mit in die Verantwortung und drohte ihr, wenn sie den alten Psycho nicht zur Ruhe ermahnt, würde sie von mir keinen Cent Miete mehr sehen. Sie wusste nicht einmal, dass ich dort schon fast dreizehn Jahre wohnte und ihr nicht ein einziges Mal die Miete schuldig geblieben war. Ihr schien aber die neue Miete von dem Kerl, mehr wert zu sein, da er eine weit größere Wohnung und deshalb auch fast doppelt so viel Miete zahlte, wie ich.

Der alte Psycho gab keine Ruhe. Es wurde noch schlimmer. Er hämmerte nachts mit irgendetwas an seine Decke, weil er meinte, ich würde herumlaufen und die Waschmaschine laufen lassen. Es war nicht meine Waschmaschine, es war Rosis Maschine, die im Keller stand. Es war auch nicht in der Nacht, es war gerade 20:00 Uhr!

Wenn ich abends speckig und mit dreckigen Malerklamotten von meiner Arbeit kam, schnauzte er mich an, weil ich angeblich „sein“ Treppenhaus beschmutzen würde. Er täte dort, meinetwegen, ständig putzen.

Kam ich später als 20:00 Uhr nach Hause, riss er seine Wohnungstür auf und maulte herum, er könne nicht schlafen, weil ich immer so spät durch das Treppenhaus poltere. Ich trug meine Schuhe in der Hand und ging auf Socken!

Ich versuchte es anfangs noch nett, obwohl ich alles andere als nett sein kann. Nahm seinen Sohn ins Gebet, der mir aber versicherte, dass er gegen seinen Vater nichts ausrichten kann. Ich nahm Andrea ins Gebet, ich würde den Alten recht bald totschlagen, wenn er seine Art Terror nicht einstellt. Andrea „konnte“ nichts tun.

„Nichts tun“ war auch genau das, was die Jungs von der Polizei dagegen einzuwenden hatten. Ich mochte den Großteil der Polizei sowieso nicht. Entweder waren sie unfreundlich und arrogant oder wenig hilfsbereit. Oft sogar hatten sie den Tätern Schutz gegeben und die Opfer damit doppelt abgestraft. Ich hatte selbst Verwandtschaft bei der Polizei. Ich kannte einen Teil der Bande!

Mein alter Audi sah irgendwann aus wie ein Streuselkuchen, den man auf Links gedreht hatte. In den Reifen meines Firmentransporters steckten zwei Schrauben und mehrere Nägel. Der Tankstellenpächter wollte mir schon ein eigenes Gerät zum Befüllen der Reifen besorgen. Und mein altes Motorrad konnte ich gleich ganz verschrotten.

Die lahme Bande von der Polizei machte mich dafür verantwortlich. Ich sollte doch mal überlegen, ob nicht vielleicht irgendetwas vorgefallen war, womit ich den alten Mann eventuell gereizt haben könnte. Alles so fadenscheinige, unhaltbare Kacke!

Sie machten sogar Fotos von den Einschusslöchern meines Transporters. Ich bekam über Monate immer wieder Briefe vom Gericht, dass die ganze Sache eingestellt wurde, wegen „Mangeln an Beweisen!“.

Die ewig gleiche, hirnlose Machenschaft. Die Täter gingen leer aus und die Opfer wurden dadurch gleich doppelt abgewatscht. Ich schrieb den Richtern und auch der Polizei glühende Verehrerbriefe, sie sollten doch auch mal in meine Situation kommen, dann würden sie vielleicht anders darüber denken. Meistens fingen diese Institutionen erst an zu denken, wenn es um ihren ureigenen Schaden ging. Und, bei den richtigen Menschen war es oft auch nicht anders!

Ich hätte es auch einem Toten erzählen können. Es ging bei denen hier rein und da raus. Wer hatte da noch Vertrauen in Rechtsstaatlichkeit und in die Menschheit generell?

Eines Morgens hatte der alte Psycho es dann übertrieben. Ich war auf dem Weg zur Arbeit und ging durch das dunkle Treppenhaus, um dem alten Psycho gar nicht mehr begegnen zu müssen. Es gab nämlich in den zurückliegenden Wochen nicht einen Tag, an dem er mich nicht im Treppenhaus beleidigt hatte.

Und, Du wirst verstehen, mich hat bis dahin noch nie jemand öfter als einmal und ungestraft beleidigt. Ich war nur so altmodisch erzogen, dass ich bis dato niemals die Hand oder den Mund gegenüber alten Menschen erhob. Ich ehrte alte Menschen die meiste Zeit.

Er lauerte mir im dunklen Treppenhaus auf und schlug mir mit einer Taschenlampe auf den Kopf. Nannte mich ein „altes Schwein“ und eine „arbeitslose, asoziale Sau!“.

Na fluchen konnte er wenigstens, wenn auch nicht besonders kreativ. Ich war ja männlich und keine Sau! Und ich war nicht arbeitslos, ich war selbständig!

Ich schlug voll mit der Faust zu! Traf ihn wohl zwischen Nase und Auge!

Das war übrigens das erste Mal in meinem Leben, dass ich einen alten Mann geschlagen hatte. Er jammerte kurz und wollte mir noch einmal hinterher. Er war circa einen Meter fünfundsechzig klein und ich einen Meter dreiundneunzig.

Ich sagte, „bleib besser stehen, alter Mann, oder du stirbst!“. Und ich war so gefrustet von all seinen Taten in den vergangenen Monaten. Es erinnerte mich dermaßen stark an meinen Vater, der uns alle über Jahrzehnte terrorisiert hatte. Ich war kurz davor diesen alten Scheißer hier tatsächlich umzubringen. Ich hatte schon meinen Alten nicht umgebracht, den hier würde ich umbringen, wenn er so weiter machte!

Nur der Gedanke daran, von der Selbständigkeit direkt in den Knast zu wandern, hielt mich davon ab. Ich drehte mich um, lief die Treppen herunter und fuhr zur Arbeit.

Zwei Tage später sollte ich bei der Polizei erscheinen. Diesmal war ich „offiziell“ der Täter und der alte Psycho war das Opferlamm. Laut Polizeiakte hatte der Mann sich vorher noch nie etwas zuschulden kommen lassen. Es gab mal zwei Vorfälle in einem Supermarkt, wo der nette, alte Mann gegenüber einer Kassiererin wohl mal ausfällig geworden war, aber ansonsten … bla bla bla!

Immer die gleiche stupide Scheiße mit der Polizei und den Richtern, mit ihrer dummdreisten Art und ihren albernen Roben! Nicht einen Funken richtigen Durchblick und in puncto Empathie ging die Hirnanzeige-Nadel bei ihnen sogar in den Minusbereich!

Ich hatte zwei demolierte PKW und ein schrottreifes Motorrad zu beklagen. Außerdem eine Beule von der Taschenlampe des Psychos auf meinem Schädel. Wer wann denn hier das Opfer, heh? Nehmt die Kappe ab und schaltet mal euer Gehirn ein!

Ich sah den Alten zwei Tage mit einer Augenbinde an seinem Küchenfenster stehen. Er sagte kein Wort mehr. Auf meine Bitte hin, seine Wohnung zu untersuchen und sein Waffenarsenal sicherzustellen, ging die unfähige Polizei gar nicht erst ein.

„Man könne nichts machen!“. Klar, die können immer erst was machen, wenn einer ernsthaft verletzt, besser noch schon tot war. Dann bekamen wenigstens die Krankenhäuser, die Feuerwehr und der Bestatter noch was zu verdienen. Und der Richter konnte sich weiterhin im Maul herumpuhlen und auf seinem Sessel furzen!

Einige Tage später hatte ich akute Herzbeschwerden. Der alte Psycho wohnte nun schon fast vierzehn Monate da unter mir. Er attackierte mittlerweile sogar die unscheinbare Rosi und alle umliegenden Nachbarn.

An einem Samstag kam ich gerade von meinem Job, ging durch das Treppenhaus zu mir hoch. Die Wohnungstür des Alten blieb zu. Ich hörte ihn nicht einmal. Wollte mir gar nicht vorstellen, wie es ist, wenn man ihn im Sarg herausgebracht hatte. Ich würde diesen Tag mit einer ganzen Kiste Erdbeerschaumwein feiern!

Ich zog mich um, nahm meine Liste für den Wochenendeinkauf und ging die Treppen hinunter zu meinem Wagen. Als ich an meinem Wagen war, hörte ich ein Knallen.

Ich drehte mich um und sah, dass der Alte aus seinem Küchenfenster mit einem Gewehr auf mich schoss. Ich sprang ins Auto und fuhr sofort zur Polizei.

Dort hatte man viel zu tun. Das Team von Bayer Leverkusen spielte gerade gegen eine andere Mannschaft Fußball. Ich sollte doch mit meinem „unwichtigen Anliegen“ später wiederkommen.

Ich saß draußen in meinem PKW, auf dem Parkplatz der Polizei und überlegte kurz, was ich dem Alten Schlimmes antun kann. Haderte immer wieder mit mir, keinen Unsinn anzustellen. Ich war ganz nahe daran, den größten Unsinn meines Lebens zu begehen.

Die dicke Andrea hatte kein Verständnis für meine Situation. Sie wohnte ja über fünfzig Kilometer weit weg von den Geschehnissen und wollte sich die Miete des Alten nicht entgehen lassen. Sie pfiff sozusagen auf die dreizehn Jahre an pünktlicher Mietzahlung, die sie von mir bekommen hatte. Und sie pfiff auf meine beschädigten und bereits verschrotteten Dinge. Sie sagte es nur nicht. Sie verpackte es mit ihrer süßen Schweinchenstimme in ein kleines Bedauern.

Am Montag darauf besorgte ich mir einen Umzugswagen und räumte das Nötigste in den LKW. Ich ließ eine fast neue Waschmaschine dort, weil mein Bruder, der gefräßige Judas, mich hatte hängen lassen. Ich ließ auch mein Solarium dort und einige andere materielle Dinge.

Dann war ich weg. Ich wollte wirklich niemanden umbringen. War mir zu schade und viel zu viel wert, mein Leben mit solch einem Werdegang abzuschließen.

Meine Mutter nahm mich auf. Ich war psychisch alle. Mein Herz spielte immer öfter verrückt. Ich konnte keine fünf Minuten mehr auf meinen Baustellen arbeiten, ohne in Schweiß gebadet zu sein und Luftnot zu bekommen.

Ich verlor meine Wohnung, verlor meine Selbständigkeit und musste, nach siebzehn Jahren, erstmals wieder bei meiner Mutter unterkommen.

Ein Dank an die Polizei und alle beteiligten Richter, meine Freunde und Helfer!

 

Eine Zeit des Wunden Leckens

Kannst du dir vorstellen, wie es ist, wenn man siebzehn Jahre, nachdem man das leidige Elternhaus verlassen hat, wieder dorthin zurückmuss?

Mein Vater starb einige Jahre zuvor und meine Mutter war zwar eine sehr liebe und verständnisvolle, aber auch sehr schwierige Frau. Sie konnte einem mit ihrer besonderen Art schnell den letzten Nerv rauben.

In dem Haus, in dem meine Mutter eine große Mietwohnung in der zweiten Etage bewohnte, lebten elf Mietparteien. Von diesen elf Mietparteien waren drei deutscher Abstammung, meine Mutter mit eingerechnet. Der Rest war bunt gemischt. Es gab dort Russen, Letten, Albaner und Türken. Unter den Türken selbst waren es Aleviten und Sunniten. Sowohl meine Mutter als auch ich kam mit all diesen Völkern in einem Haus bestens zurecht. Alle mochten meine Mutter und meine Mutter mochte sie.

Nur eine der deutschen Familien spielte sich dort unheimlich wichtig auf. Eine junge Patchwork-Familie, die meinte etwas Besseres zu sein, brachte den Hausfrieden immer mal wieder durcheinander. Es war erstaunlich, dass so viele verschiedene Volksgruppen in so einem mittelgroßen Haus so gut miteinander auskamen, ohne einen Nachbarschaftskrieg anzufangen und es ausgerechnet diese eine, typisch deutsche Familie gab, die permanent versuchte den Hausfrieden zu zerstören, weil sie meinte mit allen und jedem vor Gericht ziehen zu müssen.

Inklusive ihrer eigenen Wohngesellschaft, die so nett war, ihnen und ihren Kindern Wohnraum zu geben, während sie so nett waren, die Wohngesellschaft als Dank dafür zu verklagen!

Ich durfte in dem Haus, in der Wohnung meiner Mutter erst einmal in einem kleinen Zimmer schlafen, bis ich was Neues gefunden hatte. Meine Mutter war sehr einsam, nach dem Tod des Tyrannen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte ich dort, in dem kleinen Zimmer, für Jahre wohnen dürfen. Ich musste auch kein Kostgeld abgeben, tat das aber aus Prinzip von mir aus.

Im Hinterkopf hatte ich den Gedanken, so schnell wie möglich wieder eine neue Wohnung zu finden und meine Umzugskartons hier gar nicht erst groß auszupacken. Auch liebäugelte ich wieder damit, meine Selbständigkeit weiterzuführen.

Bei meiner Mutter hatte ich nicht einmal die Möglichkeit ein eigenes Telefon anmelden zu können. Und Internet war für sie technisches Teufelszeug. Sie bekam schon eine unüberwindbare Angst, wenn man ihr ein Smartphone in die Hand drückte. Sie hatte generell vor allem Angst oder Abneigung. Manchmal überlegte ich ernsthaft, ob sie so geworden ist, weil mein Vater, ihr Ehemann, sie so oft misshandelt hatte, oder ob mein Vater so wurde, weil ihn die Art meiner Mutter, seiner Ehefrau, so werden ließ.

Ich schlief gerade ein paar Tage bei meiner Mutter. Meine Post bekam ich weiterhin in mein Postfach, dass ich mir extra für die Selbständigkeit zugelegt hatte.

Mir flatterte der nächste Brief von meinen „Freunden“ ins Haus. Eine Anzeige von der Polizei!

Andrea hatte mich dort angezeigt, weil ich in ihrer Wohnung angeblich Sachbeschädigung begangen habe. Die halbe Wohnung hätte noch voller Sachen gestanden. Natürlich, ich wollte dort so schnell wie möglich weg. Wollte nicht als Mörder in die kleinen Geschichtsbücher dieses verpissten Dorfes eingehen. Aus dem Grund hatte ich nur das Nötigste mitgenommen.

Ich ging zur Polizei und verweigerte jegliche Aussage. Diesmal bekam ich einen Brief vom Gericht, dass der Fall eingestellt wurde. Na wenigstens etwas ausgleichende Gerechtigkeit. Wenigstens ein brauchbarer Richter in dem ganzen Haufen!

Der nächste Brief kam einige Wochen später. Er war von einem Anwalt, den Andrea sich genommen hatte. Meine fristlose Wohnungskündigung wegen anhaltendem und begründeten Psychoterror hatte sie gar nicht erst zur Kenntnis genommen. Sie ignorierte diese einfach!

Stattdessen drohte sie mir damit, dass sie mich verklagt, wenn ich die dreimonatige Kündigungsfrist nicht einhalten würde, die Wohnung in einem ordentlichen Zustand bringe und mich bei dem alten Mann nicht entschuldigte.

War die Drecksau wahnsinnig?

Ich schrieb ihrem Anwalt zurück, dass ich den auf circa fünftausend fünfhundert Deutsche Mark bezifferten Schaden, der mir entstanden ist, innerhalb von vierzehn Tagen auf meinem Konto haben möchte. Ich fügte der Liste den Schätzwert meiner beiden PKW, den des bereits verschrotteten Motorrads, meiner fast neuen Waschmaschine, der Einbauküche, des Solariums und eines Schmerzensgeldes hinzu, wegen entgangenen Geschäftsgewinnen aus dem Verlust meiner Selbständigkeit. Der Anwalt sollte dann noch Andrea und dem alten Mann ausrichten, dass ich mir wünsche, der alte Mann würde mit seinem Fahrrad stürzen und sein Gehirn dabei verlieren. Und Andrea sollte möglichst bald an Krebs sterben!

Das ich mein Geld nicht wiedersehen würde, wusste ich. Ich hörte aber auch niemals mehr etwas von dem Anwalt, von Andrea, der Polizei oder einem Gericht!

Es war zur Weihnachtszeit und ich trank bei meiner Mutter jeden Abend zwei bis drei Flaschen Glühwein. Ich erfuhr, dass einer meiner alten Nachbarn, mein schlesischer Freund Rudi, nach einem Herzinfarkt gestorben war.

Ich hatte seit gut zwei Monaten einen Herzschrittmacher. Dieses verdammte Jahr war eines der schrecklichsten in meinem ganzen Leben. Abgesehen von den dreiundzwanzig Jahren Dauerterror, den ich in meinem Elternhaus, durch den ständig alkoholisierten Vater, erlebt hatte.

Es war 2010 und ich hatte meine Wohnung, meine Selbständigkeit und eine weiteren, guten Teil meiner Freunde verloren. Ich musste wieder bei meiner Mutter wohnen, trug mit vierzig Jahren bereits einen Schrittmacher und bekam EU-Rente. Lebte nun von etwas über sechshundert Euro, circa einem Drittel des Geldes, was ich zuvor verdiente. Und das alles passierte mir innerhalb eines einzigen Jahres!

 

 

 

Ein erster Neubeginn

Ein halbes Jahr hatte ich es bei meiner Mutter ausgehalten.

Meine Mutter ging nachts spät schlafen. Sie hatte immer etwas zu jammern und brauchte auch immer irgendetwas, was ich ihr dann kaufte oder besorgte und das sie dann sowieso nicht anrührte. Meine verkappten fünf Brüder gingen dort aus und ein und holten sich ihre tägliche Ration an kostenlosem Kaffee ab. Wenn sie meiner Mutter mal einen Gefallen tun sollten, waren sie immer unheimlich beschäftigt und hatten plötzlich einen wichtigen Termin. Ansonsten saßen sie dort stumm ihren Sessel platt und warteten darauf, dass meine Mutter ihnen Essen kochte und die Wäsche wusch.

Mein Zimmer war nur zum Schlafen gut. Und auch nur von circa 01:00 Uhr in der Nacht bis circa 06:00 Uhr morgens. In meinem Zimmer dort brummte ein großer Kühlschrank und ein feuchter Wäscheständer nahm mir fast den Atem.

Es war, sozusagen, ein reges Kommen und Gehen dort. Eine Art von Durchgangslager, mitten durch mein Zimmer.

Ich bekam erstmals in meinem Leben starke Schlafmittel und Neuroleptika, um die ganzen Ereignisse aus den vergangenen Jahren verarbeiten zu können.

Meine Pläne auf eine erneute Selbständigkeit als Maler rückten in immer weitere Ferne.

Ich fand eine neue Wohnung in einem großen Hochhaus. Niemand wollte dort lange wohnen, das wusste ich. Ich kannte die Wohnsiedlung. Nur Hartgesottene und die wirklich Ärmsten der Armen hielten es dort länger als nötig aus.

Da die Wohnsiedlung außerhalb meines Dorfes, der Reichweite meiner Mutter und des Hauses von Andrea lag, nahm ich die Wohnung mit Kusshand an und zog dort ein. Die Miete war nicht sehr teuer!

Es war ein Hochhaus in einer eher ländlichen Gegend. Es passte in das Landschaftsbild irgendwie, wie die Faust aufs Auge. Rundherum um das Haus gab es nichts als Ackerflächen, Bauernhöfe, Kirchen und Friedhöfe. Keine Ahnung, was sich der Erbauer des Hauses dabei gedacht haben mag.

Es lebten dort über neunzig Mietparteien. Die Mieter gaben sich die Klinke in die Hand. Ständig zogen alte Mieter aus und auch mal neue ein. Es gab monatelange Leerstände, weil eben nicht jeder sich dazu genötigt sah, gerade in diesem Klotz wohnen zu wollen.

Ich strich meine Wände dort in einem schönen, selbst gemischten Ingwergrün. Die Bettecke baute ich zu einer Art Koje um, hing meine riesige Piratenfahne auf, besorgte mir ein paar Dosen Pils und feierte meine neue Wohnung.

Edi Fast und ich hatten wieder ersten Kontakt, nach unserem dicksten Streit. Er und sein Bruder, Adi Fast, besorgten mir eine gebrauchte Einbauküche, die sie für mich netterweise montierten, da ich mit dem neuen Schrittmacher nur wenig machen konnte. Ich strich dafür, als Gegenleistung, ihrer Bekannten eine Wohnung, die diese Einbauküche mir als Bezahlung gab. Eine Hand wäscht die andere!

Ich hatte keine Ahnung, wieso die Menschen es in diesem Hochhaus nicht lange aushielten. Alles schien so ruhig und friedlich!

Ich sollte es recht bald erfahren. Es gab kaum eine Nacht, in der ich, trotz Ohrenstopfen, durchschlafen konnte. Polizei und Rettungssanitäter gaben sich hier die Klinke in die Hand. Ab und zu stand der Totenwagen unten. Eine ganze Armee von Sensenmännern musste sich um dieses Hochhaus kümmern!

In den ersten Tagen, nach meinem Einzug, hatte ich noch niemanden zu Gesicht bekommen. Es schien mir fast, als ob ich dort alleine wohnte. Ich sah oder kannte nicht einmal meine direkten Nachbarn. Sah nur die Namen auf ihren Klingelschildern, wenn denn mal überhaupt welche dran waren.

Es gab einen dicken, bärtigen Hausmeister, der ganz okay war. Wir kamen gut zurecht, da er mich an Barney McKenna von den Dubliners erinnerte. Er kassierte jeden Monat fünf Euro von jedem Mieter und putzte für alle an der Aktion Beteiligten das Treppenhaus.

Es kam mir paradiesisch vor. Um das Haus herum gab es Wanderwege und kleinere Geschäfte. Es gab dort alles, was man so gebrauchen konnte. Kiosk, Getränkeladen, Lebensmittelgeschäfte, etc.

Nur die Kirchen, die Polizei, die Ärzte und den Friedhof mied ich dort, wie die Pest!

Ich hatte dort schon einige Wochen gewohnt und kam mit meinen Neuroleptika und Schlafmitteln nicht klar. Auch verhielt sich der Schrittmacher zwar normal, er kam mir aber wie ein Fremdkörper, ein Störenfried in meinem Körper vor.

Wollte arbeiten, wollte selbständig sein und nicht immer kranker werden, sozial und finanziell immer niedriger absacken.

Ich besaß schon kein eigenes Auto mehr und fuhr fast eine Stunde mit dem Bus, wenn ich meine Mutter in ihrem acht Kilometer entfernten Dorf besuchte.

Eines Nachts fing es dann an. Der Typ, der über mir wohnte, begann damit seine Frau zu verprügeln. Ich hörte es nachts sogar durch die Ohrenstopfen. Soziales Engagement und Zivilcourage kannte man in diesem Haus nicht. Jeder blieb in seiner Wohneinheit und kümmerte sich nur um den eigenen Kram.

Während er dabei war seine Frau so langsam tot zu prügeln, schrie sie immer lauter, brüllte ihre Verzweiflung und ihre Not den Balkon herunter. Niemand nahm Notiz von ihr.

Nach einigen Minuten wurde ihr Flehen leiser und ich war fest davon überzeugt, dass er sie töten wird. Ich lief hoch zu ihm und klingelte dort.

Niemand öffnete. Er stellte die Musik lauter und prügelte weiter auf seine Frau ein. Dann versuchte ich die Tür einzutreten. Die Türen in dem Hochhaus waren massiv und schwer. Ich hatte sie, beim Renovieren meiner Wohnung, nur mühsam aus den Angeln gehoben bekommen. Sie hatten einen massiven Stahlkern und waren von innen doppelt abgeriegelt. Der Hauseigentümer wusste schon wieso. Dort wohnte viel kriminelles Pack!

Ich bekam die Tür nicht eingetreten. Dafür wurde die Musik dahinter leiser. Jemand kam von innen auf die Tür zu und ich sah ein Auge durch den Türspion glotzen.

Ich drohte dem Idioten, er solle mal eben die Tür aufmachen, damit ich mit ihm mal das Gleiche anstellen kann, was er gerade seiner Frau verabreichte. Die Tür blieb zu!
Ich rief die Polizei, mit der ich eigentlich im Leben nichts mehr zu tun haben wollte. Vielleicht war die Polizei in dem Nest ja etwas anders geartet, als in meinem Dorf damals. Zwei freundliche Beamte kamen zu mir in die Wohnung, nachdem sie mich nett gefragt hatten, ob sie eintreten dürfen. Ich ließ sie rein.

Ich schilderte ihnen kurz den Sachverhalt und meinen Versuch der „Zivilcourage“. Sie gingen hoch zu dem Paar, klingelten dort, führten ein Gespräch mit den beiden per du und es herrschte Ruhe. Scheinbar kannte man sich hier!

Dann kamen die Beamten wieder an meine Tür und fragten mich, wie lange ich denn schon in dem Haus wohne und von wo ich denn dorthin gezogen war.

Sie klärten mich darüber auf, dass in dem Hochhaus Zivilcourage nicht notwendig ist. Ich solle mich möglichst still und passiv verhalten, wenn so ein Vorfall noch einmal vorkommt. Es wäre in dem Haus „normal“.

Woanders bekam man einen Orden für Zivilcourage und jeder bekniete einen, dass man möglichst nicht die Augen davor verschließt, wenn sich ein Mensch in Not befand. Und hier gab mir sogar die Polizei den Tipp mich nicht einzumischen.

Nachdem ich ihnen gesagt hatte, dass mein Vater uns und unsere Mutter immer verprügelte, als ich noch Kind war und das ich einfach nicht wegschauen kann, wenn ich so etwas erneut erleben muss, bedauerten sie mich kurz und gaben mir den freundschaftlichen Rat mir möglichst bald ein dickes Fell wachsen zu lassen oder mir eine andere Wohnung zu suchen.

Einige Tage später traf ich die Frau von oben im Treppenhaus. Sie sah mich mit hasserfüllten Augen an. Ich hatte den unverzeihlichen Fehler gemacht, die Polizei zu rufen, nur weil ihr Mann sie totschlagen wollte.

Dieses beschissene Hochhaus war voll mit lauter Zombies. Nicht nur das Hochhaus war ein Schandfleck in diesem schönen Stück Natur, auch die Menschen darin waren nicht mehr wert. Ich kam mir an diesem Tag vor, wie der Bewohner in einem Alienkokon.

Ich musste diesen Alienkokon bald verlassen, bevor die Brut vollständig schlüpfte und mich auffraß. Musste recht bald eine neue Wohnung finden.

Zu der Zeit wohnte ich dort nicht einmal ein halbes Jahr!

 

Ein weiterer Umzug

Manchmal waren Brüder doch zu etwas gut!

Mein Junkiebruder hatte mich und andere Leuten so oft im Leben abgezockt. Oder, er versuchte es zumindest.

Durch seine langjährige Drogensucht hatte er sich das Dealen mit allem möglichen angewöhnt. Er dealte nicht wirklich mit Drogen oder anderen, materiellen Dingen, sondern er sah durch sein früheres Dealen in allem und jeden die Möglichkeit eines schnellen Geschäftes, zu seinen Gunsten.

Er hörte ganz genau hin, wenn man ihm etwas kostenlos anbot. Tat dann ganz bescheiden und lehnte es erst einmal ab. Man konnte die Uhr danach stellen, dass er spätestens zwei Tage später antrabte und einen an das Versprochene erinnerte, was er zuvor noch vehement abgelehnt hatte.

Er dealte sogar mit Seelen und Stimmungen. Er hielt sich für so schlau, dass er andere für dumm, ungebildet und unerfahren hielt und dabei eines vergaß. Die Leute hatten ihn längst durchschaut. Nur sehr wenige fielen wirklich noch auf seine Tour herein.

Diesmal dealte ich bewusst mit ihm. Ich lud ihn und seine Lebensgefährtin in die Wohnung im Hochhaus ein. Dann zeigte ich ihm meine tolle Bettecke mit der großen Piratenfahne, zeigte ihm groß und breit die Funktionen meiner einzigartigen, passgenauen Einbauküche, wies ihn auf das besondere Leuchten des Ingwergrüns an den Wänden hin, zeigte ihm, wie sich der Farbton veränderte, wenn man die billigen Polyester-Vorhänge zur Seite schob.

Ich nutzte das, was ich bei Onkel Carnegie und Onkel Hill gelernt hatte, um ihm meine schäbige Wohnung als Luxusapartment mit Waldblick zu verkaufen. Ich konnte ebenso gut „dealen“ wie er, wenn es darauf ankam. Und es kam darauf an!

Ich wollte so schnell wie möglich dort aus diesem Zombie-Hochhaus weg. Und dafür war mir ausnahmsweise einmal jedes Mittel recht.

Er war Feuer und Flamme für dieses Schmuckstück, nachdem ich ihm den billigen Rasenteppich im Flur, die krummen Balkonstühle aus Aluminium und den echten Kristallspiegel zeigte, der im Bad hing und den ich unten im Müll gefunden hatte.

Wir tauschten fast sofort unsere Wohnungen. Er übernahm die Wohnung in meinem Zombie-Hochhaus und ich zog in seine kleine, ruhige Dachwohnung, die unmittelbar neben dem Bayerstadion lag.

Nachdem ich seine Wohnung entmüllt und die komplette Renovierung dort abgeschlossen hatte, machte ich gleich noch einen „Deal“ mit dem anderen, gefräßigen Judas-Bruder.

Der Judas-Bruder wollte generell alles haben, was kostenlos war. Du hättest ihm einen zehn Meter langen Tisch mit 20 Stühlen anbieten können, er hätte ihn genommen, nur, damit niemand anderes ihm den Tisch wegnahm. Er hätte nicht mal den Platz für einen Tisch und vier Stühle in seiner Wohnung gehabt. Er wollte alles haben, aber andere sollten sich dann um den Erhalt dieses kostbaren und kostenlosen Gutes kümmern. Wenn man ihn aber nur ein einziges Mal für fünf Minuten brauchte, war er verschwunden. Als ob er es riechen konnte!

Er hatte sich nur allein deswegen eine philippinische Frau und drei Kinder zugelegt, um auch das haben zu können. Er wusste die lateinischen und deutschen Namen von Tausenden von Zierpflanzen. Hatte auch alle Fußball Weltmeisterschaften und deren Austragungsorte und Gewinner in seinem Kopf gespeichert. Und er wusste alles über Kampfsportarten.

Er war aber stets zu doof, die einfachsten, technischen und mechanischen Dinge zu vollführen. Handwerklich gesehen, hatte er mehr als nur zwei linke Hände. Man hätte ihn auf dem Bau maximal fürs Bier holen einsetzen können. Und selbst da, wie Du ja mittlerweile schon weißt, würde er nur das Bier holen wollen, was ihm schmeckte und das auf jeden Fall für ihn kostenlos sein musste.

Ich benutzte den Idioten dafür, mir bei meinem Umzug aus dem fünften Stock des Hochhauses zurück nach Leverkusen zu helfen, weil er mal wieder dringend etwas von mir haben wollte.

Sein PKW brauchte dringend neues Öl, Scheibenwischwasser und es musste eine Glühlampe für das Bremslicht ausgetauscht werden. Alles Dinge, mit denen er heillos überfordert war!

Mein Bruder wusste nicht einmal, dass ein Auto eine Batterie hat, wie sie aussah und wo sich diese ungefähr im Auto befand. Er füllte das Öl für den Motor vorne ein, wo die kleine Führung für den Ölmessstab war und nicht etwa im größeren Öl-Einfüllstutzen am Motor selbst. Er goss natürlich die Hälfte daneben. Ich musste ihm unzählige Male zeigen, wie man Luft in die Reifen pumpte, wenn zu wenig darin war.

Wenn man ihn in den Laden schickte, damit er Zündkerzen holte, kam er mit Weihnachtskerzen zurück. Und anstatt eines Glases Rotkohl kam er mit einem ganzen Kopf rohen Weißkohl unter dem Arm zurück.

Und, das ist wirklich wahr und nicht übertrieben!

Ich dachte mir manchmal, ob er wirklich so blöd ist oder ob er nur so tut, damit man diese Arbeiten immer wieder für ihn übernahm. Er sah mir aber zu verzweifelt dazu aus, mir das nur vorzuspielen.

So übernahm ich den kleinen Service an seinem Wagen und benutzte ihn ausnahmsweise einmal dazu, mir beim Schleppen meiner wenigen Möbel und Umzugskartons zu helfen.

Als wir fertig waren, dachte er wohl, dass ich ihn zu Bier und Pizza einlade. Als ich ihm sagte, dass ich keinen Alkohol mehr trinke, zog er beleidigt ab.

Meiner Mutter erzählte er dann, ich hätte ihn schamlos ausgenutzt!

Hast Du zufällig auch einen Bruder, der so „behindert“ ist? Falls nicht, sollen wir tauschen?

Ich habe nichts dagegen, wenn behinderte Menschen Sex haben und sich fortpflanzen. Sie sind Menschen wie du und ich. Meinen Behindertenausweis hatte ich gar nicht erst beantragt, weil ich ihn nicht brauchte. Mir hätten sicher bis dato 50 Prozent zugestanden.

Aber, wieso musste jemand wie mein Bruder Kinder haben? Seine drei Kinder waren schon genau so abgezockt wie er. Bei meiner Mutter klauten sie lieber die Bonbons, als das sie sich welche schenken ließen. Man hätte sie ihnen in die Hand drücken können, sie würden sie nicht annehmen. Sie klauten sie lieber, hatten Spaß daran, wenn ihre Oma wegschaute und sie sich die Bonbons eben stehlen konnten.

Sie waren drei, sieben und neun Jahre alt und bereits in so jungen Jahren genauso durchtrieben wie ihr Vater. Konnten ebenso wenig „guten Tag“, „auf Wiedersehen“ und „danke“ sagen, wie mein egoistischer, verkappter Judas-Bruder!

Wieso war es so Charakteren wie meinem Judas-Bruder erlaubt, Kinder zu haben? Sie hatten seine Genetik!

Die letzte Ruhestätte

Ich wohnte jetzt in einer zweiunddreißig Quadratmeter kleinen Dachwohnung.

Unter mir vegetierte ein autistischer Mann in meinem Alter dahin, der mit meinem Bruder befreundet war. Er ging fast nie aus dem Haus, hatte seinen festen Wochenablauf. Er ging um Punkt 18:15 Uhr ins Bad, danach sofort ins Bett. Gegen 04:30 Uhr stand er dann auf, drehte sich alle Zigaretten für den Tag, ging sich immer die gleichen Dosensuppen in immer demselben Laden einkaufen, eine große Dose Tabak dazu und manchmal etwas Bier.

Ich wusste das alles, da mein Bruder, der meine Wohnung im Zombie-Hochhaus übernommen hatte, mir haarklein erzählte, welcher Nachbar im Haus, welche Eigenheiten besaß. Unten wohnte eine junge Frau. Sie war, wie er mir erzählte, Polin und Biologin.

Beide waren sehr nett und versuchten jeder für sich mit dem eigenen Leben klarzukommen.

Im Großen und Ganzen war es in dem Haus paradiesisch ruhig. Es kam einem schon manchmal vor, als ob man sonntags morgens um 06:00 Uhr über den Friedhof ging. Und selbst wenn Krach im Haus geherrscht hätte, ich lief ohnehin den ganzen Tag mit Ohrenstopfen herum. Ich hörte gar nichts!

Meine direkten Nachbarn vom Hauseingang nebenan, von denen ich bereits in meinem Buch „Was Ärzte dir verschweigen!“ berichtete, waren ein gelangweiltes Rentnerpaar, die nichts anderes zu tun hatten, als die anderen Nachbarn zu nerven.

Er hieß Peter und ihren Namen wollte ich gar nicht wissen. Ich wohnte dort keine zwei Tage, da kam er mir schon mit dem duzen an. Ich war früher mit Gothics und Punks aufgewachsen. Mir war es von jeher egal, ob mich einer duzte oder siezte. Er sah meinen Nachnamen auf der Klingel vor dem Haus und sprach mich auf meinen Vormieter an. Ich sagte ihm, dass ich die Wohnung von meinem Bruder übernommen hatte. Peter wurde sofort vertraut und erzählte mir, dass er meinen Bruder schon einmal oben aus dem Fenster gehangen hatte, weil mein Bruder in seiner eigenen Wohnung die Musik zu laut machte und dabei noch Gitarre spielte.

Ich kannte meinen Bruder. Seine Partys waren damals nicht ohne. Doch er war zehn Jahre älter als ich und seine Partyzeit lange vorbei. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass dieser knorrige, kleine Mittsechziger, der da mit seinen dünnen Dackelbeinen vor mir stand, meinen Junkiebruder aus dem Fenster gehalten hatte. Der Alte konnte nicht mal einen Sechser Pack Bier alleine schleppen!

Der Spinner fragte mich nach meinem Alter und ich sagte ihm, dass ich Mitte vierzig bin und mein Bruder zehn Jahre älter als ich ist. Das nahm er zum Anlass zu sagen, dass er uns beide ja dann noch vor die Köppe hauen könnte. Das war hier wohl der Ausdruck dafür, dass er schon alt, weise und stark ist und mein Bruder und ich grüne Jungs.

Ich sagte ihm, er soll sich aber nicht die Hand bei dem Versuch brechen, uns vor die Köppe zu kloppen. Das verstand er dann falsch und fasste es als eine Art coole Einladung zu einer ersten Freundschaft unter direkten Nachbarn auf. Ich wollte mit dem Spinner gar nichts zu tun haben. Er lud mich in seine Wohnung ein, wo ich mit ihm Billigbier trinken sollte. Ich lehnte ab!

Er lief mir in den Wochen danach wie ein Hund hinterher. Ständig stank er nach Bier aus dem Hals. Er hatte so kleine Stiftzähne. Wenn er mir mit seiner Alkoholfahne und seinem enttäuschten, hasserfüllten Gesicht nahe kam, sah er aus wie eine durchgedrehte Ratte auf Dope.

Peter fing an über die Frau aus meinem Haus zu lästern. Ich sah diese Frau alle zwei bis drei Monate einmal. Wir grüßten uns nett und das war es auch schon.

Peter hatte aber unbedingt Langeweile und wollte seinem Klischee als unausgelastetes, nervendes, schnüffelndes, Detektiv spielendes, Hausmeister ersetzendes Arschloch nachkommen.

Die junge Frau in meinem Haus hatte sich den Garten hinter unserem Haus mit ihren Eltern nett eingerichtet und ein schönes, wildes Beet angelegt. Peter hatte an ihr ständig etwas auszusetzen. Ihr Garten ging ihn im Grunde genommen einen Scheißdreck an. Er musste aber partout herumstänkern. Und mich wollte er gleich dabei einspannen. Dabei wohnte der Spinner da drüben, jenseits der großen Gartenhecke und die friedliche, junge Frau hier bei uns.

Da mir diese Frau irgendwie Leid tat und von dem Autisten, der in der Etage zwischen uns vegetierte, keinerlei Hilfe zu erwarten war, übernahm ich freiwillig die Gartenarbeit vor dem Haus.

Ich kehrte alle zwei Wochen den Gartenweg, entfernte hier und da den Müll, den die Leute nach den Bayerspielen auf der Wiese entsorgt hatten, entfernte das Moos aus den Gehwegsteinen und kratzte im Herbst ganze Säcke voll Laub von der Wiese. Dazu kam, dass es direkt vor unserem Haus eine Bushaltestelle gab und die Leute oft genug unsere Wiese mit dem vorhandenen, meist leeren Mülleimer verwechselten!

Irgendwann schienen sich alle direkten Nachbarn so daran gewöhnt zu haben, dass ich freiwillig und ganz alleine diese Arbeiten übernommen hatte, dass es ihnen zur Selbstverständlichkeit wurde. Du kennst das sicher, entweder übernimmt man eine Aufgabe ganz und für immer, oder man fängt damit gar nicht erst an. Wenn die Leute sich nämlich erst einmal daran gewöhnten, dass man ein Jahresabo auf diese freiwilligen Arbeiten unfreiwillig übernommen hatte, musste man das Abo auch weiterführen. Und, wehe, man kündigte sein Abo vorzeitig auf. Dann war man das größte Arschloch. Ein unzuverlässiges, faules Schwein, dass nie einen Handschlag an Arbeit und Verantwortung übernommen hat. Besser, man fing gar nicht damit an, großzügig zu sein!

Peter und sein Lebensgefährtin, der Hausdrachen von nebenan, fingen an meine Arbeit als selbstverständlich anzusehen. Sie machten dabei den unverzeihlichen Fehler, mir immer öfter damit zu drohen, mich und die Mieter aus meinem Haus, bei der Wohngesellschaft anscheißen zu wollen.

Was hatte ich mit dem ganzen Dreck vor dem Haus zu tun? Ich machte diese Arbeit freiwillig, um die Leute bei mir im Haus zu entlasten. Die Bäume vor dem Haus gehörten der Stadt. Was hatte ich mit deren Laub zu tun? Wer zahlte mir meine Arbeit? Wer half mir, wenn ich dort draußen einen weiteren Herzinfarkt erlitt, nur, weil ich an der Arbeit dort zerbrach, mit der ich ja so überhaupt nichts zu tun hatte?

Was hatte ich mit dem verdammten Müll der übermütigen, randalierenden Bayerfans zu tun, die scheinbar nicht mal eine Flasche Bier vertrugen? Was hatte ich mit dem Abfall der Leute an der Bushaltestelle vor meinem Haus zu tun? Einen Scheißdreck!


Ich wurde langsam richtig stinkig auf die beiden Spinner von nebenan. Ich wimmelte Peter einige Male ab, nachdem ich seine Wohnung und die des Nachbarn gleich mit renovieren sollte. Er versuchte mir permanent "Arbeit" zu besorgen, damit ich nett und großherzig über ihn dachte. Im Grunde war er kein schlechter Kerl. Er soff nur zu oft, er soff das falsche Bier und hatte ewig Langweile.

Damals war er wohl mal gelernter Gas-Wasser-Installateur, dann hatte er einen Profivertrag als Fußballer bekommen und richtig viel Geld verdient. Keine Sau kannte den Typen hier und Storys in der Art hatte ich in den Kneipen unseres Dorfes in Unmengen gehört. Mein eigener Vater war ein exzellenter Fußballer gewesen. Ich habe heute noch Zeitungsausschnitte und Fotos aus seiner Zeit als Fußballer. Er hatte in einer Saison einmal mehr als 50 Treffer erzielt, war Feldspieler und Torwart. Selbst mein Vater hatte keinen Profivertrag erhalten!

Zwischendurch versuchte Peter mich dafür zu bezahlen, dass ich unseren Laub von der Wiese kratzte. War der Typ wahnsinnig? Ich war schon immer unbestechlich. Im Grunde genommen schiss ich auf Geld und Luxus, da ich den größten Teil meines Lebens nicht viel Geld zur Verfügung hatte. Ich lebte die vergangenen Jahre von etwas über sechshundert Euro!

Irgendwann stellte ich alle Arbeiten im und um das Haus herum ab. Ich machte gar nichts mehr. Monatelang hatte ich die Werbung und die alten Zeitungen vom Autisten entsorgt, da er niemals an seinen Briefkasten ging. Er ging wie so ein toter Hund an allen Leuten vorbei und kümmerte sich um nichts. Er leerte niemals seinen Briefkasten, kratzte nicht einmal Laub, kehrte nicht einmal den Weg, brachte seinen Müll nicht runter und saß in seiner Bude und qualmte das Treppenhaus voll, weil er seine Fenster nicht öffnete.

Der Mann war ab sofort mein Vorbild, mein Guru!

Die Häuser gehörten der WGL. Es gab sie bereits seit über einhundert Jahren. Früher hieß sie GSG. Mit den Jahrzehnten, das kennt man von so vielen Unternehmen, änderten sich eben manchmal die Firmennamen. Man nannte das Modernisierung!

Was sich mit dem neuen Namen nicht änderte, war der Hang zur Vetternwirtschaft. Meine Eltern hatten dort schon seit fast sechzig Jahren Mietwohnungen.

Im Jahr 1999 erkrankte mein Vater an Magenkrebs. Zu der Zeit wohnte er seit über vierundzwanzig Jahren in einer ganzen Doppelhaushälfte, die er zur Unterbringung seiner sechs Jungens und der Frau dringend benötigte.

Mein Vater hatte von der WGL, damals noch unter der Firmierung GSG eingetragen, dass Versprechen erhalten, er könne in der Haushälfte sein Leben lang wohnen. Er hätte diesen Hinweis mal besser wörtlich nehmen sollen.

Er saß in dem Jahr seiner Krebserkrankung auf dem Sofa. Es war Wochenende und er war kaputt von der harten Woche als LKW-Fahrer und seiner Sauferei. Er hatte bereits die Diagnose „Magenkrebs“ erhalten und stand wenige Wochen vor seiner Verrentung. Die WGL schrieb ihm, dass die Häuser, in denen er wohnte, verkauft werden. Er solle sich doch bitte in den nächsten drei Wochen bei denen melden und ihnen mitteilen, ob er das Haus kaufen möchte.

Mein Vater fiel aus allen Wolken. Was war mit dem Versprechen dieser Bande? Zählte ein Wort denn gar nichts mehr? Hatten die Leute keine Ehre mehr?

Natürlich konnte er das Haus nicht kaufen! Er stand kurz vor seiner Verrentung, hatte Krebs, wusste nicht einmal, ob er es überleben wird. Und er hatte genau fünfundzwanzig Tausend Deutsch Mark von seinem bisschen Verdienst sparen können. Den Rest hatte ein Großteil seiner gefräßigen Kinder ihm streitig gemacht.

Wir überlegten hin und her. Ich überlegte, ob ich das Haus mit ihm zusammen finanzieren konnte, da weder er noch ich alleine eine Genehmigung der Bank dafür erhalten hätten.

Etwas in ihm zerbrach damals. Er hatte Jahrzehnte immer pünktlich seine Miete dort persönlich eingezahlt, kam niemals mit einer Miete in Verzug. Wollte sich mit der Bande gut halten und sich nichts zuschulden kommen lassen.

Kannst Du Dir seine Situation vorstellen? Du stehst kurz vor deiner Verrentung, hast über vierzig Jahre gebuckelt, hast in deinem schönen, langen Garten hinter dem Haus Gewächshäuser, Blumenbeete, Obstbäume, Gartenlauben und einen Stall mit deinen eigenen Händen geschaffen. Und dann sollst du, wahrscheinlich tot krank, jetzt das Feld räumen? Und dann auch noch innerhalb von drei Wochen?

Die WGL hatte Mitschuld daran, dass mein Vater, ein Kämpfer vor dem Herren ein Brecher von einem Meter neunzig, Hände so groß wie Bratpfannen, nun wie ein Schluck Wasser auf seinem alten Sofa saß und sah, wie vor seinem geistigen Auge alle seine Träume auf einen netten Rentenabend zerplatzten. Mal abgesehen vom Krebs!

Die Häuser in der direkten Nachbarschaft meines Vaters wurden alle nach und nach verkauft. Einige Häuser krallten sich direkte Mitarbeiter der WGL für einen günstigen Preis. In puncto Vetternwirtschaft waren die immer schon groß!

Mein Vater saß verbittert hinter seiner Wohnzimmergardine und musste mit ansehen, wie fremde Leute vor seinem Haus standen, um die Ecke in den Vorgarten schielten und auf sein Lebenswerk scharf waren.

Mein Vater führte seine letzten beiden Kämpfe mit einer nie dagewesenen Verbitterung. Er hatte immer alles schweigsam in sich hineingefressen. Jetzt blieb er mal hartnäckig und zog nicht aus. Ignorierte die Mahnungen der WGL und blieb so lange wohnen, bis er beide Kämpfe verloren hatte. Den gegen die hungernde Meute, die auf sein Haus scharf war und den Kampf gegen den Krebs. Er starb mit nur sechsundsechzig Jahren, hatte den Magen, die Milz, die Gallenblase entfernt bekommen und verhungerte, weil er kein Essen mehr bei sich behalten konnte.

Die verdammte WGL konnte nicht einmal meine Mutter in Ruhe trauern lassen. Nur zwei Wochen nach seinem Tod bekam sie ein großzügiges Wohnungsangebot!

Ich wollte mit diesen Schmierlappen niemals etwas zu tun haben müssen. Jetzt hatte ich mit ihnen einen Mietvertrag unterschrieben. Wie tief konnte ich noch fallen?

Mir wurde immer mal vorgehalten, dass ich gegen Gott lästere. Ich hatte allen Grund dafür. Und ich würde ihm eines Tages sowas von in den fetten, faulen Arsch treten, dafür, dass der Bastard mit uns Menschen, besonders mit denen, die es nicht verdient hatten, seine perfiden, sadistischen Spiele spielte. Ich stellte ihn mir als fetten, Sandalen tragenden Römer vor, mit einem weißen Gewand und einem goldenen Lorbeerkranz auf seinem dicken, blond gelockten Schädel, seitlich auf einer Récamière liegend, mit einer Traube im Mund, wie er sich köstlich über das Schicksal der Menschen amüsierte, die ihm gelegentlich als Wichsvorlage dienten. Mein Versprechen, Gott den Arsch zu ramponieren, stand sowas von fest. Es war sowas von unausweichlich, er konnte sich schon einmal freuen!

Ich würde ab sofort alle Leute, die mir in die Quere kamen und die meinten, sie müssten meinem Leben noch etwas an Schwere obendrauf setzen, genau so behandeln, wie sie mich behandelten. Ich würde die Arschlöcher, die meinen, sie sind tausendmal cleverer und durchtriebener als ich, voll reflektieren und mit ihren eigenen Waffen schlagen.

Alles, was ich im Leben noch verlieren konnte, war mein eigenes Leben. Und, das war schon lange nichts mehr wert. Weder gesundheitlich noch sozial gesehen!

Also, welcher Scheißer, welche abartige, durchtriebene Institution sollte mir denn noch irgendetwas anhaben können?

Mit diesem Gedanken wurde ich langsam innerlich immer selbstbewusster und selbst bestimmender. Leider konnte ich dafür auch meinen Wunsch nach Frieden in die Restmülltonne hinter dem Haus werfen.

Denn, der Mensch, der dieser Welt die Stirn bietet, muss täglich kämpfen. Er darf nicht einknicken vor der Obrigkeit und muss stark bleiben. Gleichzeitig kalt und gefühllos agieren und keinerlei Schwäche oder Nerven zeigen. Man muss kalt lachen können!

Darf seinen Charakter nicht durch Energiefresser verderben lassen und muss Herz und Seele für die Ärmsten der Armen aufsparen.

Er muss seine Wunden lecken, abends im Bett, wenn es niemand sieht. Und am nächsten Tag erneut in den Kampf ziehen.

Ob er will oder nicht!

 

Im Hier und Jetzt angekommen

Heute ist Sonntag, der 15. Oktober 2017.

Seit dem 06. Dezember 2010 wohne ich nun hier schon in der kleinen, ruhigen Wohnung unter dem Dach. Das Schönste an dieser Wohnung ist, dass mich hier die Tauben besuchen kommen. Als ich ein Kind war, hatten wir schon immer Tauben in unserem Garten. Und auf dem Balkon meiner ersten Wohnung in Köln-Müllheim waren auch immer welche. Tauben und Regen gaben mir innerliche Ruhe. Ohne diese „Freunde“, die mir Mutter Erde als Beschützer und Bewahrer mit auf den Weg durchs Leben gab, wäre ich schon längst und auf Ewigkeiten durchgedreht, würde jetzt taubenblaue Psychopillen in einer geschlossenen Anstalt mit der groben Kelle eingeführt bekommen.

Ich sitze am Morgen zum ersten Mal, seit ich hier in dem Haus wohne, mit einem Campingstuhl im Vorgarten. Die Leute, die zum Bayerspiel ins Stadion nebenan gehen, schauen irritiert, da es etwas merkwürdig aussieht, das ein Mann von einem Meter dreiundneunzig auf einem kleinen Campingstuhl in einem circa achtzehn Quadratmeter kleinen Vorgarten sitzt, grinst und scheinbar so etwas wie einen Campingurlaub dort macht.

Ich habe eine Flasche stilles Wasser bei mir und mache da mitten auf der Wiese ein genüssliches, kleines Picknick. Ich esse einen Becher körnigen Frischkäse, trinke einen Becher Ayran, knabbere an meinen Laugenbrezeln und schaue mir die Dohlen auf der Wiese gegenüber an. Nichts kann mich heute aus der Ruhe bringen.

Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie der Spinner von nebenan in seiner Hauseingangstür steht, keinen Ton herausbringt, endlich mal seine Schnauze hält und still und leise wieder in seiner Hütte verschwindet.

Bin nun seit fast vier Jahren absoluter Anti-Alkoholiker, ernähre mich sehr gesund, gehe oft spazieren und habe über vierzig Kilogramm an Körpergewicht verloren. Meine Wohnung sieht aus wie geleckt, man könnte aus der Kloschüssel trinken und vom Boden essen. Ich bekomme meinen Tag auf die Reihe, der früh beginnt.

Meine Herzleistung ist immer noch miserabel und ich bin psychisch noch immer nicht hundertprozentig stabil. Aber, auf einem guten Weg der Besserung, weil ich neuerdings auf so ziemlich alles scheiße!

Ich habe mich gleich bei mehreren Wohnungsgesellschaften für eine neue Wohnung beworben, da diese verkommenen Häuser hier in nächster Zeit verkauft werden sollen. Ich möchte wetten, dass keiner der „Vettern“ der WGL an dem alten Rotz interessiert ist. Jahrzehntelang wurde an diesen Häusern nichts gemacht. Jetzt tauchten hier alle naselang mal Handwerker auf, denen wir Mieter ständig die Tür öffnen sollen.

Ich werde es hier aushalten. Werde so lange hier wohnen bleiben, bis die WGL oder eine andere Wohngesellschaft sich mit einem für mich und meine Verhältnisse passenden Wohnungsangebot bei mir meldet.

Nach dem Picknick trinke ich den Rest meines Wassers aus. Ich stehe von meinem Campingstuhl auf, strecke meine Glieder, gähne, kratze mir gelangweilt den Bauch und lasse einen unheimlich lauten Rülpser.

Ein Hoch auf die Gesellschaft. Ich stehe in den Startlöchern!

 

Ein kurzes Nachwort

Ich hatte noch Schrauben und Nägel in meinen Autoreifen, fünf Jahre nachdem ich bei Andrea ausziehen musste und mehrere Wohnungswechsel hinter mir hatte.

 

Musste mir zuletzt eine teure Garage anmieten, um dieser Art Terror, mit der mich das Rechtssystem alleine gelassen hatte, entkommen zu können.

 

Und das nur, weil ich einem psychisch kranken, alten Mann ein einziges Mal keinen "guten Tag" wünschte!

 

Von meiner früheren Nachbarin, Christa, habe ich erfahren, dass die Polizei, nach meinem Auszug bei Andrea, noch unzählige Male anrückte, weil der alte Mann Ärger bereitet hatte.

 

Nach seinem Auszug, fand man sein Waffenarsenal im Gartenhaus und im Keller!

 

 

Impressum

Texte: Ralf Dellhofen
Lektorat: Ralf Dellhofen
Satz: heiße Ohren!
Tag der Veröffentlichung: 16.10.2017

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gewidmet allen guten Nachbarn und solchen, die es noch werden könnten! Nicht gewidmet der WGL, allen schlechten Vermietern und Nachbarn, jenen untätigen Polizisten und Richtern, die mit der Sache persönlich zu tun hatten und die jetzt sicher immer noch gut schlafen können, weil es ja nicht IHR Leben ist!

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