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Die Jagd ist eröffnet

Kennst du das auch?

Du willst gar nicht egoistisch sein. Du hast dich dein Leben lang viele Male um andere Menschen gekümmert, hast dir um andere, dir eigentlich fremde Menschen deine Gedanken und Sorgen gemacht, doch keiner hat sich groß um dich gesorgt.

Keiner hat sich groß Gedanken gemacht, was mit dir ist und niemand hat sich groß damit beschäftigt, wie es wirklich in dir aussieht. Und wie es um dich steht.

Du hast für all deine Hilfe niemals wirklich Lob oder Anerkennung gewollt und auch keine bekommen. Mit all deinen Gedanken, deiner Arbeit und den Sorgen um andere warst du stets allein. Die Leute haben deine Bemühungen für sie nicht einmal wahrgenommen.

Du hättest tot sein können. Es wäre gar nicht aufgefallen!

Du wusstest zwar immer, dass fast jedem Menschen das eigene Hemd und der eigene Name und dessen Bedeutung im Leben der Menschheit am wichtigsten ist, aber du dachtest eben an das kleine Wort „fast“. Und hattest Hoffnung, dass nicht jeder Mensch da draußen, außerhalb deines Körpers, deiner Aura und der Aussendung deines Silberbands, schon so verroht ist.

Über all das ständige Übersehen werden und deine permanenten Bemühungen dich mit den Menschen da draußen zu arrangieren, hast du dich völlig vergessen.

Zuerst hast du deine eigenen Interessen hintenan gestellt, danach dich seelisch vernachlässigt. Dann kam der Rückzug in dein eigenes Schneckenhaus und gleich danach der ewige Kreislauf der Gedanken. Gedanken, von denen dort draußen niemand etwas mitbekam und sehr wahrscheinlich auch nie erfahren wird. Gedanken, die im einsamen Universum deines Kopfes an ihre Grenzen stoßen, reflektiert werden, um an die Grenze der anderen Seite deines Schädels erneut abzuprallen.

Immer wieder die gleichen Gedanken. Immer wieder durchgekaut, geistig verschluckt und wieder ausgekotzt. Für die Menschen da draußen warst du und dein Leben immer schon tot. Nun machte dich die totale Einkehr in deine innere Welt so fertig, dass du dich immer mehr aufgabst und immer öfter den Sinn und Zweck von Universum, Leben, Menschheit, Freunden, Familie und letztendlich dir selbst anzweifelst. Wozu das alles?

Wozu täglich neu erwachen und immer wieder den gleichen sinnlosen Kampf entfachen? Einen Kampf, den du nie wolltest! Einen Kampf wofür?

Alles im Universum entstandene und alles das, was noch entstehen wird, trudelt doch mehr oder weniger Gedanken und Sinn verloren und ohne einen finalen, größeren Zweck auf den Tod zu. Und zwar direkt von dem Augenblick kurz nach der Entstehung an.

Und selbst und besonders jetzt, in der Abgeschiedenheit dessen, was mittlerweile „Leben“ für dich war, kamst du dem Tod unweigerlich immer näher.

Du wolltest niemals so sein, wie die kaltherzigen, egoistischen Schweine da draußen. Du hast nie viel vom Leben verlangt. Eigentlich so gut wie nichts. Nur in Frieden leben zu dürfen und wenigstens ab und zu wahrgenommen werden. Wenn nicht von denen da draußen, dann zumindest von deiner eigenen Familie. Von deinen Eltern, die dich in diese Welt hineinfallen ließen.

 

Deine Gedanken und Bemühungen um Frieden waren die,

„wie kann es Frieden auf Erden geben, wenn schon innerhalb der Bekanntschaft, der Beziehung, der Verwandtschaft, ja sogar innerhalb der eigenen kleinen Familie Krieg herrscht?“.

Jetzt sitzt du da in deiner kleinen dunklen Kammer der Wahrheit und der letzten Erkenntnis, bist völlig desillusioniert und mit dem Latein der Welt am Ende.

Die sind da draußen und führen weiterhin das, was sie unter Leben verstehen. Ohne Pause und Rücksicht auf Verluste. Und du sitzt alleine!

Man hatte dir in deiner eigenen Familie zuletzt Egoismus vorgeworfen. DIR! Ein selbstloses Wesen, das immer nur an andere Menschen dachte und ihnen half. Einem Wesen, dem mittlerweile Dank und Anerkennung so wenig schmeicheln konnte, weil es so etwas sowieso nicht mehr gab.

Du fingst an, den Scheiß, den man dir fälschlicherweise nachsagte, selbst zu hinterfragen. Erst hattest du dich noch sehr darüber aufgeregt, was man dir für einen unpassenden Unsinn nachsagte, dann hinterfragtest du es. Danach, nach dieser Verinnerlichung, fingst du es selbst an zu glauben. Zuletzt hatte es sich manifestiert und etabliert.

Jetzt warst du wirklich schon egozentrisch und introvertiert!

Du hast das alles nie gewollt. Irgendwelche Schweine, eine Anzahl an Schweinen, ja eine ganze Horde von denen, lief jetzt mit deiner Energie da draußen herum. Energie, die sie dir nach und nach abzapfen konnten. Und die sie sich selbst zuführten wie ein zu viel an Nahrung, dessen Verlust dich immer dünner, schwächer und schneller sterblich machte und sie selbst immer stärker und fetter.

Sie hatten gewittert, wie du langsam immer schwächer wurdest, hatten die Fährte aufgenommen. Und anstatt sich deiner liebevoll und fürsorglich anzunehmen, sowie du es bei ihnen immer getan hast, warteten sie deinen schwächsten Augenblick einfach ab und saugten dir dein Blut aus.

Dann wollten sie deinem kläglichen Rest an Leben noch den Gnadenschuss geben. Aber es war kein Gnadenschuss, der dir Erlösung bringen sollte, sie wollten schneller an dein noch warmes Fleisch. Auf das noch warme Fleisch deines Herzens und besonders deiner Seele hatten sie es abgesehen.

Weil diese schönen Stücke genau die waren, die ihnen fehlten. Sie hatten es auch eilig damit dich auszuweiden. Hatten keine Zeit zu verlieren. Der nächste frische Energieträger war bereits von ihnen lokalisiert.

Sie legten ihre Jagdflinte auf dich an. Nahmen den Punkt zwischen Herz und Seele ins Visier.

Und schossen!

Der Neubeginn

Es knallte laut!

Ich hatte die Tür zu meiner Dachwohnung laut ins Schloss geknallt. Schließlich sollte mich im Haus jeder hören. Es war 07:00 Uhr an einem Montag in der Frühe.

Ich hatte einen Termin zum Blut abzapfen bei meiner Hausärztin.

Die beiden Mieter, die unter mir wohnten, lebten das Leben immer noch, von dem ich mich längst getrennt hatte. Sie waren jung, nichtsnutzig und schliefen gern lange. Ich kannte diese Art zu „leben“ nur zu gut. Hatte Jahre meines Lebens selbst damit verbracht jung, nichtsnutzig und verschlafen zu sein. Die Zeiten waren vorbei!

Ich war 47 Jahre alt und hatte keinen Bock mehr auf No-Future Gehabe. Ich war jetzt der Spießer, der ich nie sein wollte. Und es war mir scheißegal!

In den vergangenen drei Monaten hatte ich gehörig in meinem Leben aufgeräumt und sogar den Stall gleich mit ausgemistet. Ich hatte keinen Bedarf mehr auch nur einen einzigen Tag meines beschissenen, klein gehaltenen Daseins in diesem nur bedingt freien und ach so sozialen Land damit zu vergeuden, zu pennen, zu saufen, mein Bett durchzuliegen, mir auf dem Sofa hockend, die Eier zu kratzen und an meinen Fingern zu riechen und mir stundenlang hirnlose amerikanische Sitcoms, Gerichts-Soaps und Polizeiserien anschauen zu müssen.

Ich konnte einfach nicht lachen, wenn man sich über Schwule, Behinderte, Nerds, ausgegrenzte und arme Seelen mit Defiziten lustig machte. Vielleicht war ich humorlos? Die Art Humor, die ich hatte, verstanden scheinbar nur sehr wenig Menschen. Sonderbarerweise lachten sich meine wenigen, guten Freunde immer weg, wenn ich denn mal ins Plaudern kam. Also musste meine Art Humor doch gar nicht so verkehrt sein!

Ich hatte null Respekt vor Menschen und Institutionen, die null Respekt vor mir hatten. Und Polizisten und andere Staatsdiener hatten zwar mein Mitgefühl für ihre schwere, zum Teil schlecht bezahlte Arbeit, doch auch nur so lange, wie sie mir mit Respekt und Mitgefühl begegneten. So einfach sah ich das!

Ich hatte im Leben verdammt viel mitgemacht und würde mich niemals mehr von nur einem einzigen Menschen, egal von wem auch immer, anpissen lassen. Soviel stand fest!

Es ist zwar primitiv und nur zu einfach, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, doch es war manchmal die einzige Art von Sprache, dass letzte mir zur Verfügung stehende Mittel der Kommunikation, um mit der Masse an immer mehr kollabierenden Individuen umgehen zu können, ohne meinen mühsam und über Jahre aufgebauten Selbstschutz zu verlieren.

Traurig aber wahr!

Ich öffnete den verbeulten Briefkasten, dessen Schloss nicht mehr vorhanden war. Ich bekam recht selten Post, seit meine Freunde immer weniger wurden und ich mich endlich so gab, wie ich war. Als ich mich endlich befreit hatte und mich auch nach Außen hin zeigte, wie ich eben war. Als ich eine eigene Meinung entwickelte und diese auch vertrat.

Kurzum, als ich endlich mein eigenes Ding machte und nicht das Ding der anderen Leute.

Im Briefkasten befand sich ein Brief von der Polizei!

„Sehr geehrter Herr D. Ihre Darstellungen in einem Ihrer Bücher über Ihre Vorstellung bzgl. der Arbeit der Polizei hat uns ganz und gar nicht gefallen. Da Sie auf unsere ersten beiden Einladungen zu einem Informationsgespräch über die wirkliche Arbeit der Polizei nicht geantwortet haben, und auch ihre Einstellung uns gegenüber in weiteren Publikationen nicht eingestellt hatten, sehen wir uns gezwungen, Sie bei weiteren Publikationen der Art, per gerichtlicher Verfügung polizeilich vorführen zu lassen.

Mit freundlichen Grüßen POM Angela Saukopp-Engstirn“.

Ich lachte kurz laut auf und die Leute an der Bushaltestelle vor meiner Haustür mussten entweder gedacht haben, dass ich die Nachricht über einen Sechser im Lotto erhalten oder einen Hirnschaden erlitten habe. Falls sie vor lauter Angst vor ihrem Chef an diesem frühen Morgen überhaupt an was denken konnten.

Über den Sechser im Lotto hätte ich mich sicher weit lautstarker gefreut, denn den Hirnschaden hatte ich ja schon. Und der war oft kein Grund zum Lachen.

Ich hatte in meinem letzten persönlichen Brief an die Polizei bereits auf die erste Androhung einer gerichtlichen Vorladung folgendes geantwortet:

„Sehr geehrter Herr Angela Saukopp-Engstirn, vielen Dank für Ihre freundliche Einladung zu einer Infoveranstaltung über die Arbeit bei der Polizei. Leider habe ich an dem besagten Tag keine Zeit, da ich als EU-Rentner viel zu tun habe und außerdem zu der von Ihnen genannten Uhrzeit eine Lesung für mein neuestes Buch »Über die wirklich wahre Arbeit der Polizei!« abhalten werde“.

Ich hatte noch nie eine Lesung gehabt, wollte an dem Tag aber lieber ins örtliche Zentralantiquariat um mich mit gebrauchten Büchern einzudecken.

Dann schrieb ich noch:

„Für Ihr Interesse mir einen Ausbildungsplatz bei der Polizei zu vermitteln, danke ich Ihnen sehr!“.

Und dann klebte ich noch ein kleines glitzerndes rotes Herz auf den Brief und fügte handschriftlich hinzu:

„Ich mag Sie! Wollen wir uns einmal bei Ihnen auf der Wache treffen oder wenigstens irgendwie in Kontakt bleiben?“:

Nun hatte ich den Salat! Sie hatte mich irgendwie nicht ernst genommen!

Ich zerknüllte den Brief der Polizei und warf ihn dem lästigen Nachbarn vor die Haustür. Ich hatte den alten Spanner, den selbsternannten Hausmeister und Nachbarschaft Schnüffler nicht gesehen. Er muss wohl schon einige Minuten dort gestanden haben. Ich traf seine Mausgrauen Cord Hausschuhe und er maulte gleich herum.

Er hatte seine deutsche, kleinkarierte Schiebermütze auf dem Kopf, die er wahrscheinlich auch beim halbjährlichen Sex mit seiner Frau nicht auszog und sehr wahrscheinlich schon seit dem nicht so glorreichen Ende des Krieges dauerhaft aufhatte.

Er wollte von mir tatsächlich wissen, warum ich den Haufen Laub auf "meiner" Wiese, der von den Bäumen an der Straße, die der Stadt gehörten und die die Stadt dort gepflanzt hatte, nicht weg mache, da der Wind "meinen" Laub immer auf "seinen" Gartenweg weht, der wie geleckt aussah.

Das Laub ließ ich extra für die Igel und die anderen Lebewesen dort liegen. Aber davon verstand der alte Hutständer nichts. Ich ließ den armen, einsamen Spinner links liegen, schob meine echt irische Schiebermütze zurecht und ließ ihn wortlos da stehen.

Er gehörte nicht zu meinem Clan! 

Im Wartezimmer

Meine Hausärztin und ich kannten uns schon seit über zehn Jahren.

Sie hatte die Praxis von ihrer Vorgängerin übernommen, die in Rente ging, und bei der ich schon Patient war. Die Arzthelferinnen hatte sie gleich mit übernommen. Eine der Helferinnen war wirklich bezaubernd. Sie war eine eher ruhige und ernsthafte junge Frau. Ich mochte irgendwie keine albernen Kichererbsen. Stellte mir vor, dass die Art von Kichererbsen genauso lachten, wenn sie auf einer Beerdigung waren, oder, wenn man sich im Schlafzimmer nackt vor ihnen präsentierte.

Ich ging also am Schalter der Kichererbse vorbei, ging auch am Schalter der Helferin mit den zerzausten Haaren und der lahmarschigen Art vorbei und stellte mich bei der süßen ernsten Lady an. Ich wartete gerne ein paar Minuten länger.

Als ich an die Reihe kam, sagte ich so laut, dass es jeder Patient im Wartezimmer hören konnte, „Frau Doktor hat mir versprochen, dass ich meine alljährliche Grippeschutz-Impfung bekommen darf!“.

Ich tat einen schnellen Rundumblick durch die Praxis, bemühte mich möglichst sinnleer und dämlich dabei zu schauen und konnte in den Gesichtern der Zerzausten, der Kichererbse und den Patienten den gleichen Ausdruck erkennen, den ich zuvor bei den Leuten an meiner Bushaltestelle sah. Alle hielten mich für verrückt, und das war auch gut so!

Nur die ernste Helferin hatte ein intelligentes kleines Lächeln für mich übrig.

Im Wartezimmer war es nicht so voll. Frau Doktor hatte im Dorf kein so hohes Ansehen, weil sie zugleich Allgemeinmedizinerin, Sportmedizinerin und auch noch Ernährungsberaterin war. Sowas Überqualifiziertes und modernes mochten die Alten im Dorf nicht. Fremde, neue und zu technische Dinge machten ihnen Angst. Sie hatten noch nicht mitbekommen, dass der Krieg schon einige Jahre vorbei war und es keinen großen Grund mehr gab Angst zu haben.

Ein alter Mann erzählte einer alten Frau gerade, dass er schon siebenundsiebzig ist und immer Herzbeschwerden habe. Und das er befürchtet, bald einen Schrittmacher tragen zu müssen, weil er Angst hat einen Herzinfarkt zu erleiden. Die alte Frau bedauerte ihn, lächelte ihn an, sah mein Schmunzeln im Gesicht und sagte zu mir in einer netten aber tadelnden Art, „seien Sie froh junger Mann, dass Sie noch so jung und gut dabei sind!“.

Alle anderen Patienten im Wartezimmer blickten mich daraufhin leicht verächtlich an.

Ich zog den Halsausschnitt meines Shirts ein Stück herunter, zeigte ihnen die sieben Jahre alte Narbe meiner Schrittmacher OP und sagte:

„Nach meinem ersten Herzinfarkt mit nur zwanzig Jahren und einem kleinen Infarkt im Alter von vierzig Jahren, habe ich mir diesen hier gegönnt!“.

Dann lächelte ich überlegen verächtlich und es herrschte eine allgemeine Verlegenheit und Ruhe im Wartezimmer. Selbst der Hustenanfall, der direkt am Fenster saß und um Luft rang, weil er meinte, er müsste gleich an seiner schweren Krankheit sterben, verschluckte sich einen kurzen Moment an seinen zähen, grün-orangen Flummis und war still.

Die eigene Krankheit war immer die Schlimmste! 

Meine Hausärztin

Meine Hausärztin war eine sportliche, jung gebliebene Frau von Anfang sechzig.

Sie gönnte sich von ihrem sauer Ersparten einen SUV in dezentem Silber, von einem deutschen Hersteller, der sonst nur Sportwagen herstellte. Für den hatte sie lange und hart geschuftet.

Sie trug eine intellektuell anmutende Brille der etwas teureren Art. Kein billiges, dickes Kassengestell aus recyceltem Kunststoff, wie die meisten Alten, die ihre Praxis aufsuchten, sie trugen und mit dessen Bügeln man auch gleichzeitig den Ohrenschmalz entfernen und gleich danach den Kaffee umrühren konnte.

Sie hatte schöne, braune Haare, mit Lichtreflexen von dunklem Rot und etwas Blond. Eine tolle Frau. Ich mochte sie sehr gerne. Ich hatte massig korrupte und abgezockte Ärzte vor ihr gehabt. Sie bemühte sich wirklich sehr, nicht auch dem schnöden Mammon zu verfallen und durch die Verlockungen des Geldes auch der Korruption und Abzocke in die Falle zu tappen.

Sie hatte ihre kleine Dorfpraxis und ihre Patienten sehr gerne. Andere Kollegen und Kolleginnen von ihr, siedelten ihre Praxis gerne mal direkt an Krankenhäusern an, wo sie im Minutentakt die alten Leute zum Knochendichte messen durchwinkten und pauschal und direkt und bar Kralle Euro 48,00 von jedem einzelnen verlangten.

Sie waren im Grunde genommen windige Geschäftemacher und hatten ihren Stellenwert, in meinen Augen, noch unterhalb der Bestatter, die die Knochen wenigstens noch hübsch zurechtmachten und den Angehörigen noch etwas auf ihrer Orgel vorspielten, bevor sie diese dann begruben.

Meine Frau Doktor war mal freundlich und dann wieder genervt. Je nachdem, was für einen Tag man bei ihr erwischte. Sie war auch gelegentlich und schnell mal überfordert, weil die ganzen Alten des Dorfes meist ohne Termin bei ihr auftauchten, weil sie Notfallpatienten mit Einweisungen fürs Krankenhaus versorgte und gleich noch den Notfallwagen mitbestellte. Und, weil manche Alten aus dem naheliegenden Altersheim manchmal so einsam waren, dass sie kurzerhand Krankheiten erfanden, nur, weil sie wussten, dass Frau Doktor zu viel Herz besaß und sich wirklich bemühte.

Das sie sich für jeden einzelnen Patienten richtig reinkniete und sich vor jedem noch so kleinen Wehwehchen beugte.

An diesem Morgen kniete sie sich für mich besonders rein und beugte sich über mich, um sich meine beiden Leistenbrüche mal genauer anzuschauen. Ich sah ihr die ganze Zeit in den Ausschnitt. Und ich sah alles!

Ich litt immer noch an meiner übertriebenen Schüchternheit und konnte nicht richtig flirten. Für mich war flirten irgendwie etwas Unehrliches. Als ob man einen Mensch mit Worten missbraucht, die weder mir noch meinem Gegenüber zu Gesicht standen. Ich kam mir beim Flirten immer vor, als ob ich versuche jemandem einen kaputten Gebrauchtwagen, als neuwertig zu verkaufen. Leute wie mich, mit dieser Art Einstellung, gab es wohl nur sehr wenige. Daher war ich die meiste Zeit alleine. Ich konnte erstklassige Ware verkaufen, nur eben nicht mich selbst, obwohl ich mich hinter niemandem verstecken musste und mehr Qualitäten besaß, als so manches Dreckschwein da draußen.

Ich sah mir bestimmt eine ganze Minute Frau Doktors Busen an, während sie mir irgend etwas über weiche Bäuche und nicht vorhandene, frühere  Narbenbrüche erzählte.

Sie hatte wunderschöne, volle Brüste. Ihr war nicht bewusst, was sie mir damit antat. Welche Wohltat zum einen, und welche Pein zum anderen, denn ich litt zugleich an einer leichten Form von Priapismus, die mich meistens nur in den Nachtstunden heimsuchte.

Durfte ich solche Gedanken über diese edle Lady haben? Ich fand, ich durfte!

Sie war nicht nur Ärztin, sondern auch eine oft missverstandene Frau. So, wie viele Frauen oft missverstanden waren. Sie waren Mütter, Hausfrauen, Arbeiterinnen, Partnerinnen, Liebhaberinnen, Köchinnen, Mädchen für alles, Geburtsmaschinen, leider oft auch Alleinversorgerinnen ihrer Kinder, und so vieles mehr. Nur eines durften sie oft nicht sein. Einfach nur Frau. Mit allen ihnen oft abgesprochenen Sinnen und Bedürfnissen.

Frau Doktor behandelte auch meine pflegebedürftige Mutter bei ihr zu Hause, zusammen mit mir. Wenn sie dorthin zum Hausbesuch kam, sahen meine Mutter und ich eine Frau im Alter von Anfang sechzig, die so jung und sportlich geblieben, deren jugendliche und moderne Art so ansteckend war, dass sie, ohne falsche Schmeichelei, für Mitte dreißig durchgehen konnte.

Als sie da so meinen Bauch abtastete und etwas ernst und nur ganz wenig streng ihre Diagnose abgab, sah ich in ihrem Gesicht den leichten Kummer und eine beginnende Verbitterung darüber, dass es undankbare Patienten gab, die sie nicht ernst nahmen. Patienten, die diese hoch gebildete und empathische Seele von einer Ärztin für unfähig hielten und ihre "Dankbarkeit“ darin bekundeten, dass sie ihr auf Bewertungsportalen im Internet schlechte Noten gaben.

Schlechte, unfaire und unbegründete Benotungen, die dieses Geschöpf niemals verdient hat. Dafür kannte ich sie schon zu lange, um das ganz klar beurteilen zu können.

Ich zog mein langes Shirt über meinen Priapismus und Frau Doktor bat mich noch so lieb zu sein und den Mädchen im Labor zu sagen, dass sie mir noch die alljährliche Grippeschutz-Impfung geben sollen.

Die plötzlich wiederkehrende Strenge und kurz angebundene Verbindlichkeit von Frau Doktor, sorgte für einen erneuten, leichten Anfall von Priapismus.

Ich humpelte gebeugt an der geschlossenen Tür zum Labor vorbei, schlich mich heimlich an der Anmeldung vorbei und war draußen. Draußen schmiss ich die drei Überweisungen in den Mülleimer des benachbarten Kiosk und ersparte mir persönlich die alljährliche Grippeschutz-Impfung, die mir unsinnig vorkam, weil ich immer direkt nach so einer Spritze für mindestens zehn Tage richtig krank wurde.

Ich verstaute meine Schiebermütze im Rucksack, zog den Motorradhelm auf und fuhr erst einmal eine Tour zum Flussdamm um über mein Leben, mein Verhältnis zur Menschheit im Allgemeinen und zu Frau Doktor im Besonderen zu sinnieren. 

Gedanken am Flussdamm

Oben auf einer Bank am Flussdamm sitzend, fütterte ich die Vögel und sinnierte über das Leben nach.

Ich wollte für mich persönlich gesehen immer nur meinen ureigenen Frieden. Wollte niemandem seinen Frieden nehmen. Brauchte nicht viel Platz auf Erden und gestand anderen Menschen ihren Platz zu. Ich war weder laut noch fordernd noch egoistisch noch in Besitz nehmend.

Für mich musste niemand seinen Platz auf Erden räumen. Noch war genug Platz auf Erden für alle. Und, wenn es mal nicht mehr so sein sollte, dann war ich sicher längst tot und begraben. Leider war das, was ich anderen Menschen gönnte, genau das, was man mir oft nicht zugestand. Irgendwann hatte man mich so weit auf das Wesentliche reduziert, dass ich erst verrückt wurde, in nächster Konsequenz dann meinen Wunsch nach innerlichem und äußerlichem Frieden, im Bereich der wenigen Quadratmeter, die ich brauchte, aufgab und schließlich, nach einer Zeit des innerlichen Brodelns, den Kampf aufnahm.

Ich wollte nie egoistisch sein. Ich hasste jegliche Form von übertriebenem Gehabe und Überheblichkeit, hasste Zynismus, Sarkasmus und Ironie.

Doch alles das, was ich nicht sein wollte, wurde ich dann doch. Stück für Stück.

Mit jedem Wechsel in den durcheinander gekommenen Jahreszeiten meiner Innerlichkeit und jedem verlustreichen oder auch siegreichen Kampf, den ich mit mir und der Außenwelt ausfechten musste, wurde ich immer auch etwas roher.

Nach jedem dieser Kämpfe um mein ureigenes bisschen an Frieden, leckte ich meine zahlreichen Wunden, wie eine Katze, die gar nicht wusste, dass sie nur neun Leben besaß und ihr Kontingent daran längst überzogen hatte.

Irgendwann war ich so weit verroht, dass ich nur noch meinen sehr wenigen Freunden und einem sehr geringen Teil meiner eigenen Familie erlaubte, sich mir seelisch zu nähern. Ich bekam keinerlei Feedback von meinen wenigen Freunden und der Familie. Ich bat darum, doch scheinbar war ich selbst denen egal, weil sie sich selbst auch egal waren oder sich nur um sich selbst kümmerten. Keine Ahnung, was sie dachten. Es äußerte sich niemand.

Ich bat um konstruktive Kritik. Doch erhielt ich auch in der Hinsicht keine Hilfe.

So gab ich jede Bemühung auf. Ich schiss von dem Tag an auf alles. Wenn mir jemand dumm kam, kam ich ihm dumm. Wenn mich jemand Untervorteilen oder unterdrücken wollte, zahlte ich das sofort mit gleicher Münze zurück. Ich ließ mir überhaupt nichts mehr gefallen. Reflektierte die Arschlöcher und Energiefresser voll zurück. Schlug die ganzen korrupten und hartherzigen Schweine mit ihren eigenen Waffen.

Ich sortierte alle verschissenen Götter, Geister, Dämonen und sogar den Teufel aus, mit dem ich sowieso nie im Bunde stand. Und ich lächelte dabei jedem ins Gesicht. Besonders den linkischen Schlaumeiern, die mich anlächelten und hinter dem Rücken bereits das Messer versteckt hielten.

Mutter Erde war genauso unschuldig und gebeutelt wie ich. Sie war mein Ernährer, mein Beschützer, mein Ofen, der mir Wärme gab und meine Erfrischung, wenn es zu heiß wurde. Ich half ihr, wo ich nur konnte, mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln. Dem Wenigen, dass ich hatte. Ich half Tieren, wo ich nur konnte.

Für mich zählten nur noch die Ärmsten der Armen. Die Art von Menschentier und Tiermensch, die noch mehr gebeutelt und unterdrückt wurde, als ich. Die noch weit weniger besaß, als ich.

Mir waren alle Titel egal. Ich schiss auf Königshäuser und Adelige, korrupte Politiker und andere Unterdrücker. Auf all diese potenziellen Mörder und legalen Straftäter, die seit Jahrhunderten freies Geleit hatten, sich selbst mehrfach überlebten, reproduzierten und über weitere Jahrhunderte konservierten.

Ich freute mich darauf, irgendwann in Mutter Erde Bauch schlafen zu können. Hoffentlich für immer. An Suizid dachte ich überhaupt nicht. Wieso den ganzen Schweinen da draußen diesen Triumph gönnen? Wieso Mutter Erde natürlichen Geschenke mit Füßen treten?

Lieber wollte ich so lange und so gut leben, wie ich konnte, um zu sehen, wie derbe es all diese korrupten Schweine noch treiben werden. In der Hoffnung, dass sie sich selbst auffraßen und endlich in der Hölle verschwinden. Und zwar für immer und ewig. Mit samt ihren unehelichen Bastarden und ihrem unsinnigen, unermesslichen Reichtum. Ein Reichtum auf Kosten der Ärmsten der Armen.

Ich stand, familiär bedingt, immer schon dem Buddhismus nahe, der keine Religion in dem Sinne ist. Und der mir schon allein durch diesen Umstand keine Religion zu sein, am geeignetsten erschien. Für den Buddhismus musste es keine religiösen Unterschiede, keine zwei Klasseneinteilungen und Religionsmorde geben.

Ich hatte lange dem Buddhismus sehr nahe gestanden. Mir ging nur manchmal die Art von Kampfsportlern auf den Geist, die mir mit ihrer Art von transzendentalem Dauer Geschwafel kamen und mir raten wollten, ich solle ruhig und friedlich bleiben. Solle doch noch mehr in mich gehen und Ballast abwerfen. Und alles mit mir machen lassen, einfach alles an mir abprallen lassen.

Und die ständig aggressiv und kampfbereit in ihr Studio gingen, um zehn Leute hintereinander in zwanzig Sekunden fertigzumachen, um dann mit der hasserfüllten Maske ihres Gottes "Bruce Lee" und ihrem Superman Cape in Richtung Karma zu fliegen.

Ich sollte mir doch ein Beispiel an den Asiaten nehmen, die alles ruhig und friedlich über sich ergehen lassen. Ich solle endlich "meinen" ständigen innerlichen Kampf aufgeben und friedlich werden. War ich eigentlich nur im falschen Film? Oder war das ganze verkappte Universum verlogen und blind. Oder machte sich der Großteil der Menschen nur was vor?

Wenn ein Teil der Asiaten alles mit sich machen ließ, dann war das sicher ihre eigene Schuld. Ich ließ jedenfalls nichts mehr mit mir machen. Ich ließ mich weder jemals mehr in meinem restlichen Leben unterdrücken noch blieb ich ruhig, wenn mir irgendein Arsch, dem ich nichts getan hatte, und der nicht wusste, dass es gerade mir immer um Frieden ging, an die Karre pissen wollte.

Meine thailändische und meine philippinische Schwägerinnen mögen mich und meine aufrichtigen Worte verstehen.

Die mir fremden Leute da draußen wollten ihren Kampf haben?
Sie sollten ihn bekommen, wann immer sie eine Lektion brauchten. Wann immer ihnen die Fresse juckte und sie das Bedürfnis und die Perversion verspürten, ihrem wahren Meister zu begegnen. Ein Meister, der ihnen kackfrech ins Gesicht lächeln konnte und dessen Waffen mehr weh taten, als alle physisch greifbaren Waffen der Welt.

Der Intellekt, Herz, Seele und Mundwerk besaß, wo bei ihnen nur ein Sinn leeres Loch vorhanden war. Opfer war gestern!  

Begegnung mit verschiedenen Menschen

Als ich die Vögel fütterte, kam ein Ehepaar mittleren Alters an der Bank vorbei. Sie beschwerten sich darüber, dass ich die Vögel fütterte. Es wäre doch verboten. Sonderbar, ich ging seit Jahren hier spazieren und kannte jeden Winkel dieser riesigen Dammanlage. Ich hatte hier zu keiner Zeit jemals ein Schild gesehen, dass die Fütterung der wenigen Vögel dort verbat.

Ich ignorierte die beiden Dorf-Detektive. Der Mann ließ nicht locker und sagte:

"Ich kenne Sie doch irgendwo her!".

Er hatte meinen Motorradhelm gesehen und sprach auf einen kleinen Reiseführer an, den ich für diese Dammanlage und das Dorf hier geschrieben hatte. Einen Reiseführer, der etwas satirischen Art. Mein Rucksack, mein Motorrad und der Helm waren in dem Reiseführer bildlich dargestellt.

"Sind Sie nicht der irre Typ, der unser Dorf hier schlecht gemacht hat und unseren Pfarrer beleidigte?":

Ich kannte den Pfarrer des Dorfes nicht einmal. Mir war die ganze verdammte Kirche scheißegal. Die Pfarrer mit ihren weit wallenden Kleidern, unter denen locker zwei Messdiener Burschen passten. Mit ihrer toten Kirchenausstattung, ihren halbseidenen Liedern und ihrer Verrücktheit, andere Ungläubige für verrückt zu halten, weil sie ungläubig waren. Die psychisch Kranke für vom Teufel besessene halten, während sie in Frauengewändern herumliefen und sich mit der "Luft" unterhielten.

Ich sagte dem Kerl, er solle sich besser verpissen, wenn er nicht möchte, dass ich seiner Frau zeige, wie schwach er ist. Und das ich die Schwalben auf ihn hetze, wenn er mich noch einmal dumm von der Seite anmacht. Die würden ihm seine Augen aus picken und als schmackhaftes Weingummi ansehen. Es ihren Kindern ins Nest bringen, damit sie auch mal was "außer der Reihe" bekamen.

Die beiden sagten keinen Ton mehr, schüttelten den Kopf und gingen. Typisch Mensch. Da machte man sich die Mühe einen kleinen, kostenlosen Reiseführer über dieses unbekannte Dorf und dessen Dammanlage zu schreiben, und sie würdigten es nicht einmal.

Die beiden gehörten für mich eindeutig zu dem Schlag Mensch, die ein ganzes Buch voll schöner, fein geistiger Worte lesen konnten, sich aber an dem einen einzigen Wort in dem ganzen Buch aufhingen, dass ihnen nicht gefiel. Sie gehörten wahrscheinlich sogar zu jenem Schlag Mensch, dem man etwas schenken konnte, die aber nicht damit zufrieden waren, weil man es ihnen nicht noch kostenlos nach Hause lieferte.

Ein Flaschensammler kam an meiner Bank vorbei. Wir grüßten uns flüchtig. Kannten einander vom sehen, da ich schon einige Jahre hier regelmäßig hinkam.

Wir hatten noch nie mehr als einen Gruß miteinander ausgetauscht. Er war immer etwas zurückhaltend und schien sich noch dafür zu schämen, weil er aufs Flaschen sammeln angewiesen war. Er wollte schon an dem Mülleimer hier vorbeigehen und sich die beiden Dosen entgehen lassen, die dort drin lagen. Fünfzig Cent haben oder nicht haben. Dafür bekam man ein Päckchen Nudeln, oder drei Brötchen und eine Flasche Wasser. Man bekam eine Menge für fünfzig Cent, wenn man erst einmal lange genug arm war und mit allem rechnen musste. Ich war mittlerweile arm genug, das zu erkennen und zu wissen. Noch ließ ich den Leuten, die ärmer waren als ich, ihre Pfandflaschen und die Lebensmittel von der Tafel.

Er wollte gerade enttäuscht und etwas muffelig an mir vorbeigehen, da hielt ich ihm meine leere Flasche Wasser hin. Mit den beiden Flaschen aus dem Mülleimer käme er da schon auf fünfundsiebzig Cent. Das reichte schon für fünfhundert Gramm Spaghetti, eine keine Dose Tomatenmark und, wenn er noch zwei weitere Flaschen fand, sogar für einen Becher Creme Fraiche. Ein Festessen für mindestens zwei Tage, in meinen Augen!

Er nahm die Flasche und nickte verlegen. Dann sah er meinen Helm und fing an komisch zu werden. Wenn er so reich wäre, wie ich, dann würde er auch Pfandflaschen wegwerfen. Er hatte nicht mal ein Motorrad. Er hatte mal ein Mofa, aber das war Jahre her. Als er noch zu seinem alten Chef fuhr. Der hatte ihn gefeuert, dass Arbeitsamt hatte ihn sanktioniert und ihm eine dreimonatige Sperrzeit verpasst. Und jetzt lebt er im Pennerheim.

Ich sagte ihm, dass ich von Euro 657 im Monat lebe und davon alle meine Kosten selbst zu tragen habe. Und, dass ich für das zwanzig Jahre alte Motorrad über ein Jahr gespart hatte, bevor ich die Euro 1000 dafür dem Händler auf den Tisch legen konnte.

Das beeindruckte ihn wenig. Seine Armut war ihm mehr wert, als meine!

Ich hatte mal zwei Jahre beim Arbeitsamt im Büro befristet Anträge auf Leistungen bearbeitet und mich bemüht, so wenig wie möglich Sperrzeiten verhängen zu müssen. Leider gingen meine bearbeiteten Anträge immer noch durch die Hände des Sachbereichsleiters, der dann an meiner Stelle die Sperrzeit verhängte, die ich den armen Schweinen ersparen wollte. Ich wusste, wie der Verein tickt. Bei mir haben sie sich nie getraut mir mal eine Sperrzeit aufzudrücken. Ich war oft mal mehrere Monate krankheitsbedingt ohne Arbeit gewesen. Ich kannte die ganze korrupte Maschinerie selbst. Mir tat der Obdachlose natürlich leid.

Er war seinem früheren Chef auf den Leim gegangen. Dieser dachte wohl ähnlich, wie der ganze altmodische und verkappte Teil der Arbeitgeber. Nämlich, dass sich ein Arbeitnehmer, nur weil man ihm Geld zahlt, voll versklaven muss. Ich schiss auf solche altmodischen Bosse. Für mich war eine Arbeitsstelle ein reines Gegenseitigkeitsgeschäft. Ich bot meine Arbeitsleistung an und bekam im Gegenzug meinen Lohn. Wieso sollte ich meinem Arbeitgeber geistig und körperlich zu Kreuze kriechen und ihm ständig sein goldenes Lenkrad putzen?

Leider sahen das einige altmodische Bosse heute immer noch so. Und ich schätze, mit Hilfe der Arbeitsämter, die Menschen zu Hauff an Callcenter verkaufen und versklaven, wird das leider auch in hundert Jahren noch so sein, falls der Ami oder der Nord-Koreaner nicht vorher schon für Abhilfe geschaffen und diesen Planeten in die Luft gesprengt haben. Dann hätten wir zumindest "gesprengte Ketten".

Der Penner drehte sich um und fluchte über so Kapitalisten wie mich. Das war jetzt sein Dank für meine Pfandflasche. Ich ging ein Stück neben ihm her und gab ihm meine alte EC-Karte, die ich als Andenken an meine gescheiterte Selbständigkeit noch immer in meinem Portemonnaie hatte. Die war noch gültig und es waren immerhin noch Euro 2,41 auf dem Konto. Die sollte er sich abholen. Ich nannte ihm auch die PIN dazu.

Er bedankte sich sehr für die Karte und dachte, ich würde ihm da wer weiß was für eine Summe in Aussicht stellen. Er wusste nicht, dass es "nur" Euro 2,41 waren. Mit seinem Schatz in der Hand ging er eilig quer über die Dammwiese in Richtung Innenstadt. Wollte den EC-Automaten frequentieren, noch bevor ihm einer seinen "Schatz" abspenstig machen konnte.

Auf dem Weg zurück zum Parkplatz kam ich an einem alten Ehepaar vorbei. Sie lästerten lautstark über den Penner und machten ihrem Ärger und ihrer in der kirchlichen Lästerrunde entstandenen Verbitterung über die Menschen Luft. Maulten lautstark herum, dass man die faulen Hartz IV Leute alle ins Arbeitslager stecken sollte. Ein anderes Ehepaar ließ sich aber nicht zum Mitlästern verleiten und ging einfach an ihnen vorbei.

Ich hatte meine alte schwarz-graue Arbeitsjacke an. Die sah aus, wie die Jacken, die man als Laie, den Bediensteten der Polizei oder dem Ordnungsamt zuordnen konnte. Ich wurde schon mehrfach von der Polizei auf dem Motorrad gegrüßt, weil man mich für einen Kollegen hielt. Wenn die wüssten!

Ich hielt dem alten Lästermaul meinen Ausweis hin und sagte bestimmend und extra laut:

"Ordnungsamt, mein Name ist D. Bitte mal Ihren Personalausweis!".

Das alte Lästermaul war ganz ängstlich und kleinlaut. Seine Frau fiel beinahe in Ohnmacht. Sie wussten nicht, was sie getan haben und was sie zu erwarten hatten. Gaben mir bereitwillig ihre Ausweise. Ich sagte:

"Ich habe gerade mitbekommen, wie Sie meinen Kollegen in Zivil als arbeitsscheuen Hartz IV Penner betitelt haben. Und von Arbeitslager dürfen Sie heutzutage nicht einmal annähernd mehr sprechen. Es gibt genügend hilflose Flüchtlinge, die sich von solcherlei Worten sehr irritiert und verletzt fühlen könnten!".

Sie entschuldigten sich sofort kleinlaut.

Dann setzte ich noch einen drauf:

"Ich belasse es diesmal bei einer mündlichen Verwarnung. Mäßigen Sie bitte zukünftig Ihre Wortwahl. Was laufen Sie überhaupt am frühen Vormittag hier am Damm herum. Haben Sie keine Arbeit?".

Der Alte war mindestens siebzig!

Er sagte mir, dass er viele harte Jahre gearbeitet hatte und nun in Rente ist. Er habe immer hart geschuftet und sich nie etwas zu schulden kommen lassen.

Dann wollte ich noch wissen, wo er denn so hart gearbeitet habe. Seine Hände sehen mir verdächtig sauber und schwielenfrei aus. Er habe nicht einmal Hornhaut!

Er sagte, dass er über fünfunddreißig Jahre Leiter im Planungsbüro der Stadt war.

Ja, klar. Er hatte die Arbeit erfunden!

Auf meinem Motorrad sitzend fuhr ich die Landstraße entlang und traf den Obdachlosen wieder, der mir fluchend mit meiner alten EC-Karte winkte. Ich hielt neben ihm an und wollte wissen, was los ist. Er beschwerte sich in einer Tour bei mir, weil die bei der Bank ihm die läppischen Euro 2,41 nicht auszahlen wollten.

 

Er nannte mich ein Kapitalistenschwein.

Ich fuhr einige Meter vor, ließ meinen Motor aufheulen, nebelte ihn dabei so richtig ein.

Und sah mir vom Rückspiegel, aus einiger Entfernung, seinen Hustenanfall an.

Neue, potenzielle Kundschaft für Frau Doktor! 

Wieder zu Hause

Als ich nach Hause kam, hatte ich schon wieder Post im Briefkasten.

Zweimal Post an einem Tag? Ich bekam manchmal keine zwei Briefe in einem ganzen Monat! Es war ein kleiner armseliger Briefumschlag von meiner Hausärztin. Nicht einmal im Format DIN lang, nicht einmal mit Fenster und selbstklebend. Und ohne Briefmarke eigenhändig eingeworfen. Es sah eher aus wie der Brief, den ich immer bekam, wenn die Mädchen und Jungen aus der Schulklasse einen zu ihrer Geburtstagsfeier einluden. Ich war damals begehrt in der Schule.

Ein Rendezvous mit Frau Doktor? Ich war schon so lange allein, ich würde alles nehmen. Und Frau Doktor brächte sicher die Luxusvariante an Frau in mein Leben.

Es war nur eine weitere Überweisung, die sie mir vergessen hatte bei meinem heutigen Termin in der Praxis noch mitzugeben. Überweisung Nr.4!

Meine alljährliche Hautkrebs Untersuchung war überfällig. Und zwar um ganze zwei Wochen überfällig. Das musste ja ein dringender Fall sein. Es stimmte schon, ich hatte am ganzen Körper niedliche kleine Muttermale, wie mit Rosinen gesprenkelt. Und einige davon sahen, zumindest für Frau Doktor, doch verdächtig aus. Außerdem hätten die Mädels im Labor vergessen, mir die alljährliche Grippeschutz-Impfung zu verabreichen, die ich so dringend brauchen würde, um nicht an der absolut tödlichen und echten Grippe zu sterben, die jedes Jahr sicher Millionen von Menschen in Deutschland, schlimmer noch als die Pest, dahin raffte.

Frau Doktor konnte streng zu den Mädchen im Labor sein. Ich wünschte mir, sie wäre zu mir mal so streng. Ich war drauf und dran die Überweisung zu zerknüllen und sie dem lästigen Nachbarn, der hinter seiner Gardine lauerte, vor die Tür zu schmeißen.

Dann erinnerte ich mich an die alljährliche Hautkrebs Untersuchung bei Frau Dr. Merle. Da war es wieder. Mein Problem mit dem Priapismus. Vielleicht sollte ich mich einmal diesbezüglich behandeln lassen.

Merle war ihr Vorname. Ich nannte sie Dr. Merle, um ihr geistig näher zu sein. Sie spielte in einer sozial höheren Liga als ich und würde sich niemals mit einem wie mir abgeben wollen. Und ehrlich gesagt, wollte ich das alles auch gar nicht. Es spielte sich alles in meinem Kopf ab. Diese ganzen Gedanken. Und die waren erlaubt, denn Gedanken sind ja bekanntlich frei. So lange wie die Politiker, deren Riege an Richtern und die Polizei uns die nicht auch noch wegrationalisierten.

Dr. Merle war eine bezaubernde, hellhäutige Norddeutsche. Ich liebte hellhäutige, blonde, norddeutsche Mädchen. Besonders, wenn sie Ärztinnen waren und noch einen passenden norddeutschen Vornamen trugen.

Ich hatte in Spitzenzeiten bis zu acht verschiedene Arzttermine im Monat. Lief schon als Kleinkind, an der Hand meiner Mutter, von Arzt zu Arzt.

Ich gehörte zu den armen Schweinen, die als Kleinkind fünf Amalgamfüllungen innerhalb weniger Wochen bekamen und davon schon in jungen Jahren sehr schwer chronisch krank wurden. Kam ohnehin schon mit einem Herzfehler auf die Welt und war schon als Säugling herzinsuffizient.

Durch das Quecksilber in den Amalgamfüllungen, wurde ich zusätzlich psychisch und körperlich krank. Mein Immunsystem war platt und ist es bis heute noch. Ich bekam früh schon hohen Blutdruck, Hyperhidrosis, hatte ständig schmerzhafte Apthen im Mund und musste Schilddrüsenhormone nehmen. Hyperaktivität und fast täglich auftretende Herzstiche machten mich ab da an zu einem lohnenswerten Objekt für eine Reihe von Ärzten. Man bildete sich damals schon stillschweigend, mit der Pharmaindustrie und den befreundeten Kollegen, die Kunden von klein auf zu guten, potenziellen Patienten aus. Ob man wollte oder nicht!

Während dieses alte Nazischwein von Zahnarzt mit dem Geld, was er für meine fünf Amalgamfüllungen von der Krankenkassen Mafia bekam, in Afrika Urlaub auf Safari machte, litt ich als kleiner Bengel schon echte Qualen.

Er ist schon lange tot und ich gönnte es diesem Schwein. Ich wünschte nicht vielen Menschen den Tod. Eigentlich so gut wie niemandem. Ganz am Ende war das Leben doch noch gerecht. Ich aber hatte mein Leben lang einen Ärzte Marathon zu absolvieren, auf den ich später hier noch eingehen werde.

Vielleicht sollte ich noch dankbar sein, dass die Krankenkassen Mafia meiner Mutter kein Contergan-Kind beschert hat. Aber irgendwie wollte ich mich in so jungen Jahren nicht mit der Fülle an Krankheiten abfinden, die mir dieser dreckige Nazibastard von einem Zahnarzt beschert hat. Während andere Kinder nach der Schule im Sandkasten spielten, lief ich am Arm meiner Mutter von einem Arzt zum anderen.

Ich würde dem Bastard sogar noch aufs Grab pissen, wenn ich wüsste, wo er begraben liegt. Sehr wahrscheinlich auf einem noblen Friedhof in der Nähe der Wolfsschanze, in einer eigenen Familiengruft aus Marmor, die von zwei marmornen Schäferhunden bewacht wird. Mit zwei Soldaten aus Marmor davor. 

Terminierung meiner Hautärztin

Dr. Merle arbeitete in einer ultra- modernen Gemeinschaftspraxis für Dermatologen. Privatpatienten wurden bevorzugt behandelt und simple Kassenpatienten wie ich es war, durften schon einmal bis zu einem Jahr auf einen Termin warten.

Die Praxis, in der Dr. Merle arbeitete, war da aber noch human. Sie behandelten Patienten mit Verdacht auf Hautkrebs sofort. Ich hatte massig korrupte Arztpraxen kennengelernt, die sogar Krebspatienten wegschickten, obwohl sie diese, rein rechtlich, nicht ohne weiteres krepieren lassen durften.

Und die verzweifelten Patienten waren auch noch so nett und gutmütig und ließen sich abwimmeln. Sind dann lieber da draußen unbehandelt gestorben, anstatt einen Lauten zu machen und auf eine zeitnahe Behandlung zu bestehen. Und zwar so lange und so lautstark, bis der Arzt sich mit seinem fetten Arsch aus seinem goldenen Sessel erhob und seinem Eid nachkam. Oder dann doch lieber die Polizei rief!

Frau Dr. Merle hatte eine schwach abgemilderte Form dieser Arbeitsauffassung schon bei mir versucht. Ich wollte von ihr einen Termin zur alljährlichen Hautkrebs Untersuchung haben. Und da ihr oberster Boss wusste, dass ich Kassenpatient und ein armes Schwein zugleich bin, einem Patienten, bei dem man keine Igel-Leistung anbringen konnte, ließ sie mir per E-Mail ausrichten, dass ein "zeitnaher" Termin frühestens in elf Monaten frei wäre. Und, ob sie den denn für mich reservieren soll?

Ich schrieb ihr kurz und knapp zurück, dass mir persönlich der Termin völlig egal ist, weil lediglich meine Hausärztin auf die Untersuchung drängt und sie sich um mich keine Gedanken machen soll, nur, weil ich Stammkunde bin und sowohl meine Hausärztin als auch ich ihr schon einige Patienten aus meiner Familie empfohlen hatte. Das Ganze war frei erfunden!

Und plötzlich bekam ich eine wundersame Rück-Mail, in der man mir freundlich mitteilte, dass eine Patientin abgesagt hatte und nun ein Termin in drei Wochen frei ist.

So schnell kann's gehen!

In den vergangenen Monaten konnte ich durch viel Bewegung, Ernährungsumstellung und einigen guten und nützlichen Nahrungsergänzungsmitteln, meine Gesundheit etwas verbessern und die Hälfte meiner Medikamente nach und nach herunterdosieren. Einige brauchte ich gar nicht mehr zu nehmen. Oder besser gesagt, ich musste sie selbst langsam herunterdosieren, weil meine Ärzte der Ansicht waren, sie würden mir nicht schaden und ich solle doch weiterhin alles schlucken, was die Ärzte dem dummen Jungen da verschrieben, der vom Kacken keine Ahnung hatte und wild und leichtsinnig wurde.

Mir wurde immer wieder vorgehalten, ich würde zu viel lesen und selbst Onkel Doktor spielen, was man als sehr leichtsinnig betitelte. Ich wusste schon, wieso die Schlaumeier so reagierten. Der ewige Ärztekreislauf, die ewig gleiche Taktik, die Angst des Patienten vor der Krankheit zu schüren und aufrechtzuerhalten. Nicht alle Ärzte waren so, aber leider sehr viele. Und die schafften es regelmäßig, dass man sein bisschen Vertrauen in die ganze Ärzteschaft, verlor und alle Ärzte als schlecht und gerissen ansah.

Ich konnte meine Anzahl an monatlichen Arztterminen von vormals acht auf maximal zwei pro Monat reduzieren. Das hatte ich aber keineswegs irgendeinem meiner Ärzte zu verdanken, sondern ganz allein meiner rigorosen Lebensumstellung.

Zu dem Termin bei Frau Dr. Merle ging ich aber gerne noch. Den wollte ich mir dann doch nicht klemmen. Auf den Termin freute ich mich schon ein ganzes Jahr im Voraus.

Priapismus-Alarm!  

Dr. Merle, bitte in den OP!

Frau Dr. Merle war Anfang vierzig, schlank und hellblond.

Ihr Teint und ihr makelloses Äußeres ließ sie aber für nicht älter als fünfundzwanzig durchgehen.

Sie hatte sichtbar null Hautprobleme und wirkte auf mich so sauber, wie in einem Labor Reagenzglas perfekt angezüchtet. Sie war nicht direkt weißhäutig, wie so manche norddeutsche Schönheit, sie hatte einen etwas sandfarbenen Teint. An ihr fand man, wenn überhaupt, nur sehr wenig Unebenheiten. Und um ins Detail zu gehen, eigentlich nur zwei. Und die hatten scheinbar die richtige Größe. Nicht zu dick und nicht zu klein.

Ich hatte großen Respekt vor so einer sterilen und sauberen Frau. In dem Ghetto, aus dem ich kam, kannte man solche Art Frau wohl kaum. Sie war dezent geschminkt, in der Art, wie man sein weißes Kaninchen schminken würde, bevor man es liebkost. Und sie roch nur ganz dezent nach einem unaufdringlichen Parfüm. Ich traute mich nicht einmal ihr die Hand zu geben, um sie nicht zu beschmutzen.

Wenn ich genügend Fetischist gewesen wäre, hätte ich aus ihren weißen Arztschuhen Champagner trinken mögen und aus ihrer Po-Ritze Erdbeeren, so sauber war diese Frau.

Ob sie jemals mit Putz- und Reinigungsmittel in Berührung gekommen war? Oder auch nur mit Desinfektionslösung?

Ihre Stimme war sanft und ruhig. Kumpelhaft. Ihr Händedruck war der eines Bauarbeiters. Das gefiel mir!

Ich war nicht sexistisch genug mir vorzustellen, was man alles mit ihr anstellen konnte, wenn sie auf dem Bau die Betonmischmaschine befüllen sollte und sie keine Hand freihat. Ich sah in Frauen immer nur das Schöne. Für mich waren Frauen keine Tiere die man an den Haaren oder an den Beinen ins Gebüsch zerren musste, um sie dort zu erlegen. Ich sah die Schönheit, die Nacktheit der Frauen mit ganz anderen Augen. Wo andere Männer über Frauen herfielen, malte ich Bilder auf ihnen, nur in meinem Geiste. Wo andere sie als zu benutzendes Objekt missbrauchten, fing ich an sie stundenlang zu betrachten und mir für sie Verse auszudenken. Ich war kein Mann. Ich war ein kompletter Idiot!

Frau Merle war kurz angebunden. Und nur, um sie einmal im Jahr wenigstens ein paar Minuten länger sehen zu können, als das den anderen Kassenpatienten möglich war, hatte ich mir mit einem wasserfesten, dunkellila farbenen Filzstift kleine Punkte an einigen Stellen meines Körpers gemalt, auf die ich sie hinwies.

Sie hatte an diesem warmen Spätsommertag dreiviertel lange, weiße Arzthosen an. Sie bückte sich, um den Hautscanner in Betrieb zu nehmen. Ich hätte ihr in die Waden beißen mögen, so schön und perfekt war ihr Körper.

Und nur, damit ihr oberster Boss sie nicht irgendwann feuerte, weil sie zu wenig Geld in die Praxiskasse spülte, ließ ich sie diese drei bis vier lila farbigen Punkte mit dem Skalpell herausschneiden. Sie wollte meinen Körper netterweise nicht mit Narben verunzieren. Ihr tat das sichtlich mehr weh, als mir, als sie mich schnitt. Ich hatte schon genug Narben. Für Frauen, so kann ich mir vorstellen, ist jede kleine Narbe ein herber Verlust von Schönheit und Makellosigkeit. Besonders, wenn Frauen sich selbst entweder für besonders hübsch oder besonders hässlich empfanden.

Für einen Mann war jede Narbe eher so etwas wie eine Auszeichnung, wie eine kleine Trophäe, die man sich bei einem Jagdunfall zugezogen hatte. Und die eben sein musste!

Sie entschuldigte sich dafür, das sie mein verblichenes, fünfundzwanzig Jahre altes Rockabilly-Tattoo anritzen musste, um dort ein Muttermal zu entfernen. Sie war selbst mal Rockabilly Mädchen gewesen und das machte es für sie nicht einfacher.

Ich stellte sie mir in einem schönen Petticoat vor, mit dem schönen, blonden Bob, den sie jetzt trug und ohne die heute übliche Betty Page Pottschnitt Frisur.

Ich liebte sie! Aber, welche Frau liebte ich eigentlich nicht?

Dann war ich auch schon wieder draußen an der Anmeldung, wo die grobe Arzthelferin mich an raunzte, weil ich nicht innerhalb von fünf Millisekunden ihre Fragen bezüglich meines Versicherungsstatus beantworten konnte. Sie hatte keine Sekunde Zeit an mich zu vergeuden.

Ach was war die kleine, pummelige Arzthelferin süß … ich liebte sie! 

Einige Jahre zuvor

Vor einigen Jahren musste ich den Schrittmacher implantieren lassen.

Den ersten Schrittmacher, den man mir bereits im Alter von zwanzig Jahren implantieren wollte, lehnte ich noch ab. Damals noch zu groß, noch zu fehlerhaft. Batterielaufzeit zu kurz und Kabel außerhalb des Körpers verlegt. Sowas wollte ich nicht haben.

Mit vierzig Jahren ging dann kein Weg mehr daran vorbei. Ich war selbständiger Handwerker und konnte auf meinen Baustellen keine fünf Minuten mehr arbeiten, ohne Luftnot zu haben und ohne starken Dauerschwindel zu bekommen. Ich schwitzte Sturzbäche. Die Kunden machten sich schon über mich lustig, weil ich bei denen mit einem nassen T-Shirt und nassen Haaren auftauchte, ohne überhaupt schon gearbeitet zu haben. Die Handwerkskollegen in der Kaffeebude lachten mich aus und fragten, ob ich im Fluss baden war. Selbst meine Arbeitshose war am Bund so nass, dass es aussah, als hätte ich in die Hose gepisst. Es ging nicht mehr!

Ich bekam den Schrittmacher und wurde wenige Monate später in EU-Rente geschickt. Ich verlor in dem Jahr, das schwärzeste Jahr meines gesamten Lebens, alles was ich hatte. Musste meine Selbständigkeit aufgeben, verlor meine Wohnung und ging in Rente. Musste mich mit einem Drittel dessen zufrieden geben, was ich vorher verdient hatte!

Der neue Schrittmacher kam mir lange wie ein Fremdkörper vor, obwohl er bedeutend kleiner war, als das Model, dass ich hätte zwanzig Jahre vorher schon bekommen sollen. Die Kabel waren innerhalb der Halsschlagader verlegt und ich konnte kaum auf der rechten Seite schlafen. Da ich seit frühester Kindheit sowieso ständig an Ein- und Durchschlafproblemen litt, wurde ich dadurch psychisch labil.

Ich hatte mich zuvor, kurz vor meiner Verrentung, mit dem Arbeitsamt richtig in der Wolle. Hatte denen gedroht, dass ich ihr scheiß Gebäude mit einem Molotow-Cocktail in Brand setzen werde, damit ihnen mal warm ums Herz wird und sie Gnade und Verständnis für die Art von gebeutelten Arbeitslosen entwickeln, die eben nicht zu den Sozialschmarotzern gehörten. Ich war einer von denen, die mit sechzehn schon gearbeitet hatten, sich immer fortgebildet und immer für eigene Jobs gesorgt hatten. Von denen beim Amt kam überhaupt nichts, außer Sanktionsdrohungen und Androhungen von Sperrzeiten, weil ich die mir selbst gesuchten Jobs aufgrund der Herzerkrankung immer wieder mal aufgeben musste.

Mein netter Brief ans Amt brachte mir einen Brief von einer Sozial psychiatrischen Einrichtung ein. Man legte mir nahe, ohne mich zwingen zu wollen, ob ich nicht einmal, ganz unverbindlich, zu einem Gespräch kommen möchte. Ich könnte zwar ablehnen, aber das Arbeitsamt würde sich akut Sorgen um mich und meine Gesundheit machen.

Die Pfeifen und "Sorgen um meine Gesundheit". Die verschacherten jeden Tag Tausende von Sklaven an Callcenter und andere Sklavenmärkte deutschlandweit!

Ich ging einige Male zu den Terminen bei Dr. Carbo, eine nette Lady circa in meinem Alter. Sie sagte zwar, dass sie einige Jahre älter als ich sei, ich nahm es ihr aber nicht ab.

Kurz danach geriet ich richtig in den Kreislauf und ins Visier von Psychiatern und Psychologen. Ich durfte mir eine Pillensorte nach der anderen einschmeißen.

Ich hatte lange Jahre regelmäßig abends mein Bier getrunken, um gut schlafen zu können und war weitgehend Schmerz- und Betäubungsmittel resistent. Es gefiel den Ärzten dort nicht, dass ich seit meiner Kindheit nur auf circa vier Stunden Schlaf pro Nacht kam und auch schon mal drei oder vier Tage gar nicht schlief. Während ich unter Alkohol, besonders unter Einwirkung meines abendlichen Bieres, prächtig schlafen konnte, blieb ich immer dann wach, wenn ich eben kein Bier trank.

Da ich nach dem Schrittmacher Implantat kaum noch Alkohol trank, konnte ich natürlich wieder nicht schlafen. Und so wurde ich, auch gepusht durch alle möglichen Neuroleptika, erst richtig verrückt. Fangt am besten mit dem ganzen Neuroleptika und Antidepressive Scheiß nie an. Anstatt schlafen zu können, schlaft ihr nur noch. Anstatt, wie zuvor, euren Tag so einigermaßen auf die Reihe zu bekommen, schafft ihr jetzt überhaupt nichts mehr. Einige Jungs vom Bahnhof könnten nicht mehr hinter euch her sein, als die ganzen Pillen-Doktoren, die ihr heißgeliebtes Zeug am liebsten selbst einwerfen würden, wenn sie eine passende Kelle zur Hand hätten. Und ich wette, einige von denen schmeißen sich das Zeug auch privat und heimlich ein. Sie geben es nur nicht zu. Sie wollen dir suggerieren, dass die tollen, bunten Pillen nur für dich da sind. Die ganze Serotonin-These ist Fake, ist reiner Bullshit! Fangt mit dem Scheiß bloß niemals an. Je schneller ihr akzeptiert, dass ihr einen kleinen Hau habt, je schneller ihr euren kleinen Hau als Persönlichkeit und Besonderheit akzeptiert, desto schneller wird es euch richtig gut gehen. Ein physisch vorhandenes Problem mithilfe einer Pille zu bekämpfen? Hallo?! Lasst die ganze Pharma-Mafia ihr Zeug selbst fressen. Und ihre Milliarden gleich noch hinterher.

Ich bin auf den Scheiß hereingefallen und weiß verdammt gut, wovon ich hier schreibe. Ich hatte als Kind auch meine Träume, hatte in der Teenager Zeit auch mein Verlangen und wollte echt was werden, im späteren Leben. Wollte kein Astronaut oder Feuerwehrmann werden, wollte kein Millionär oder Präsident werden, doch ich wollte eigene Familie und Kinder und eine schicke Wohnung. Das zumindest!

Mein erster Urlaub in L.A., wie wir Kranken und Gebeutelten unsere städtische Nervenheilanstalt nannten, weil sie im benachbarten Langenfeld lag, war recht kurz. Ich ließ mich freiwillig einweisen, obwohl die Doktoren und ihre Pillen mich willenlos, abhängig und fremdbestimmt machten. Ich kam in die offene Abteilung und versprach mir davon, dass ich endlich mal in einem Zimmer alleine so eine Art Kurzzeiturlaub machen kann, betreut und umsorgt werde. Brauchte unbedingte Ruhe. Schon leise Klingel- oder Klopfgeräusche ließen mich fast aus dem Gehäuse springen. Ich war ein zuckendes Bündel Scheiße!

Ich kam dann in L.A. in ein Dreibettzimmer, mit zwei richtigen Irren. Einer von denen stand nachts mit einem Schmiermesser vor unserem Bett. Ich wollte ihn nicht k.o. schlagen, ich mochte ihn. Jede Nacht musste ich ihn beruhigen, damit die Pfleger nicht auf ihn aufmerksam wurden. Ich nahm ihm das Schmiermesser ab und versprach ihm, dass er uns in der darauf folgenden Nacht ganz sicher töten durfte. Er fiel immer wieder auf diesen Trick rein, der arme Kerl!

Vor dem Fenster gab es eine riesige Baustelle, inklusive Bagger und Presslufthammer. Genau vor unserem Fenster!

Ich bat um Verlegung in ein anderes, besseres Zimmer. Als ich sah, dass einige „Fälle“ sogar mit dem Bett im Flur schlafen mussten, sah ich kurzfristig keine Aussicht auf einen entspannten Urlaub dort. Ich war dort schon ca. eine Woche als es mir reichte. Ich nahm das fade Dinner noch mit, gab meine neue Kack-Probe noch ab, und machte mich nachts aus dem Fenster davon, Richtung Busbahnhof.

Mein Psychotherapeut wollte mir nicht beim Entzug des Clozapins helfen. Ein schlimmes Neuroleptikum der letzten Wahl, das man verschrieb, wenn alle anderen Neuroleptika nicht halfen. Es war eigentlich für Schizophrene gedacht. Meine Pillen-Doktoren fanden es passend, mir den Rotz trotzdem zu verschreiben. Es würde mir guttun. Und ich könnte herrlich davon schlafen. Wäre morgens ausgeglichen und ruhig.

Ich war nur nie schizophren gewesen. Das Leben hatte mir ganz wirklich und real böse mitgespielt und das bildete ich mir nicht nur ein. Ich hatte meine Posttraumata und die Ärzte verwechselten da wohl was oder wollten was verwechseln!

Ich „kündigte“ meinem Psychotherapeuten die "Freundschaft" und schaffte den Entzug vom Clozapin alleine. Die drei Monate Entzug danach brachten mich fast um. Ich hatte schwere Entzugserscheinungen, zum ersten Mal in meinem Leben. Ich hätte niemals gedacht, dass mir selbst das mal passieren würde. Einer meiner Brüder war seit über vierzig Jahren Heroinabhängig und ich kannte seine unzähligen Versuche von seiner Art Sucht herunterzukommen. Er konnte ein konsequenter und starker Typ Mensch sein. Schaffte das, was er wollte und zog es auch durch. Doch selbst er kam von seiner Art Droge bis heute nicht weg. Er war nicht nur sein Leben lang abhängig von den Drogen, sondern auch von allen Ärzten, die ihn fast täglich mit Pillen und Methadon versorgten, als ob es sein normales, täglich Brot ist.

Ich hatte viele Tage und Nächte Schüttelfrost, dann wieder Hitzewallungen. Immer im Wechsel. Hatte das Gefühl, mein Herz bleibt jeden Moment stehen. Dann schlug es wieder viel zu schnell. Ich ging wie auf Watte. Ich hatte mal Lähmungen in beiden Armen und Beinen, dann wieder ein Kribbeln, wie von Tausend Ameisen.

Wurde dann, nach ganzen sechs Tagen ohne jeglichen Schlaf, für eine Nacht in ein normales Krankenhaus eingeliefert, wo ich eine erneute, kleine Dosis Clozapin schlucken sollte. Ich schluckte es runter, wartete, bis die Nachtschwester das Zimmer verlassen hatte und kotzte es in deren Mülleimer.

Ich musste in der Nacht dort versprechen, dass ich freiwillig zurück in die Irrenanstalt gehe oder man hätte mich noch in der gleichen Nacht, gegen meinen Willen, dort hinfahren lassen. War intelligent und gerissen genug denen alles zu unterschreiben und zu versprechen, was sie wollten. Und das passierte einem Mann, der drei Ausbildungen hatte, einen Meistertitel und einen Ausbilderschein für das europäische Ausland!

Gegen Morgen fuhr ich mit dem ersten Bus vom Krankenhaus nach Hause und rührte seit dem Tag niemals mehr auch nur eine einzige Pille Neuroleptika an. Den Fetzen, den ich ihnen unterschrieben hatte, konnten sie zum Aufsaugen meiner Kotze in ihrem Mülleimer nehmen. Oder ihn sich in den Arsch einführen. Als Zäpfchen Ersatz!

Ich habe heute noch einen Dachschaden davon. Laufe manchmal wie besoffen durch die Gegend, habe starken Schwindel, Kopfschmerzen, Wetterfühligkeit und das Gefühl vor einem Schlaganfall zu stehen. Den Dachschaden bekam ich, weil das Clozapin nicht nur meine Organe lahm gelegt, sondern mein Gehirn derart beeinträchtigt hatte, dass allein diese Pillen in der Lage war, alle Körperfunktionen zu verändern, inklusive einiger Areale im Gehirn.

Wir bekamen eine Bestrafung, für jeden kleinen, unwichtigen Scheiß, der uns passierte. Aber diese Mafiosi, diese von Staat und Politik mit Milliarden geförderten legalen Verbrecher, gingen nicht nur leer aus, was ihre Verbrechen anging, sie bekamen auch noch immer mehr Gelder in den Arsch geschoben.

Darum machte ich nun regelmäßig meine Spaziergänge an der frischen Luft. Ich mied immer noch Wetterextreme und große Menschenmengen. Wollte mit dem ganzen Pack an legalen Verbrechern nichts mehr zu tun haben. Ich suchte mir meine Ärzte aus und sortierte rigoros die aus, die mir blöd kamen. Ich bestand auf mein Recht auf "freie Arztwahl". Nahm dieses Recht sehr ernst!

Ich schluckte keine Pille mehr, die ich nicht wollte, ich las mir die Beipackzettel ganz genau durch und nahm die Pillen nicht, wenn mir auch nur irgend etwas an dem, was da stand, nicht gefiel.

Meine Arztbesuche reduzierte ich auf das absolut Notwendigste und mir war es scheißegal, wenn meine Frau Doktor oder irgendein anderer Arzt, den ich aufsuchen musste, meine Einstellung nicht gefiel oder sie diese sauer machte. Ärzte waren für mich Dienstleister und ich deren Kunde. Fertig!

 

Eine wahre Ärztin

Falls ihr da draußen zu den Glücklichen gehört, die noch nie eine psychische Erkrankung hatten. Man kann es sich in etwa so vorstellen.

 

Eine psychische Erkrankung ist wie jede andere Erkrankung auch. Es ist nichts, wofür man sich schämen muss. Selbst der stärkste Mensch kann von ihr einmal heimgesucht werden. Es kommt nur auf Dauer und Intensität der schrecklichen Ereignisse an, mit denen man im Leben konfrontiert wird.

 

Stellt euch das einfach so vor, wie bei einem alten Radio. Während sich beim psychisch Kranken der Empfang kurzzeitig oder auch mal etwas länger verstellt hat, ist das Einstellrad für den Empfang beim Psychopaten gleich ganz abgebrochen.

 

Bei mir war nur der Empfänger gelegentlich verstellt. Ich war aber immer gleich in der Lage es eigenhändig wieder zu justieren. Manchmal ließ sich das Rad etwas schwerer drehen, dann wieder etwas besser. Ich ging aber immer noch und seit fast acht Jahren schon, zu Doktor Carbo.

Sie war meine reine Gesprächstherapeutin. Sie stellte mich vor keine Wahl. Wir hatten Termine, wann immer wir es wollten. Sie hatte nichts mit irgendwelchen Pillen zu tun.

Wir redeten einfach nur. Ab und zu hatte sie natürlich auch ihre "Anfälle" und ließ mich sehr vorsichtig wissen, dass ich doch mal wieder das ein oder andere Mittel zur Beruhigung brauchte. Ihrer Meinung nach!

Doch sie hat mich in all den Jahren niemals zu etwas gezwungen. Ich ließ sie auch wissen, wenn mir irgendetwas an unserem Arzt-Patienten Verhältnis nicht gefiel. Außerdem verschrieb sie gar keine Pillen.

Sie war wirklich nur dazu da Gespräche mit ihren Patienten zu führen. Sie arbeitete hauptberuflich mit dementen Menschen in einem Altenheim. Und ich schätze mal, sie musste sich da einiges anhören und sie war sicherlich geschafft, wenn sie abends nach Hause kam.

Sie war so zierlich und wirkte so groß, obwohl sie nicht viel größer war, als die Frauen so im Durchschnitt sind. Ihre ganze Statue, ihr Gang hatte so etwas ganz Edles. Sie sprach ruhig und konnte gut zuhören. Sie unterbrach die Menschen niemals.

Manchmal, wenn ich besonders aufgekratzt war, habe ich sie wohl leicht reizen können. Doch sie behielt selbst dann immer die Nerven.

Von allen Zen-Meistern der Welt musste sie die oberste Zen-Meisterin sein.

Ich konnte sie mir nicht nackt vorstellen. Stellte mir manchmal Menschen, die mich beeindrucken wollten oder die mir gegenüber ihre Macht demonstrierten, gerne einmal nackt vor. Ich verlor dann jeglichen Respekt und Ehrfurcht vor diesen Apparaten.

Doktor Carbo konnte ich mir nicht nackt vorstellen, obwohl sie nackt sicherlich sehr schön sein musste. Ich konnte mir nicht mal vorstellen, dass sie, wie andere Menschen ja auch, aufs Töpfchen musste um Pippi und Kacka zu machen.

Ich hatte so einen großen Respekt vor ihr, dass ich sie niemals hätte duzen können. Selbst, wenn sie es mir vielleicht anbieten würde. Sie könnte mich ja duzen, ich würde sie aber, aus reinem Respekt, immer noch siezen.

Manchmal versuchte es Dr. Carbo auf die listige Tour. Sie versuchte mich gelegentlich auszufragen, ob ich denn gedenke noch mehr abzunehmen. Ich hatte, durch die monatelangen Schmerzen an Gallenblase und Magen, durch die Ernährungsumstellung und meine regelmäßigen Spaziergänge, bereits mehr als dreißig Kilogramm abgenommen. Sie sah es wohl eher als einen Versuch meinerseits an, mich zu Tode hungern zu wollen. Ich hatte aber zu keiner Zeit an so etwas gedacht.

Da mich diese Fragen und ihr scheinbar fehlendes Vertrauen in meine Fähigkeiten und mein Ehrenwort anfingen zu nerven, zog ich sie manchmal scherzhaft damit auf, dass ich ihr sagte, ich würde bei sechzig Kilogramm mit dem Hungern aufhören. Das versetzte sie dann kurzfristig in Panik und Alarmbereitschaft.

In all unseren Sitzungen hat sie sich nie etwas notiert. Vielleicht hat sie ein ganzes Buch über mein Verhalten voll geschrieben, wenn ich die Tür hinter ihr kleines, nett eingerichtetes Gesprächszimmer zugezogen hatte.

Manchmal tat mir dieses zierliche Geschöpf leid, weil sie wieder die volle Dröhnung der abenteuerlichen Geschehnisse des Captains hatte so tapfer über sich ergehen lassen. Ich musste sie schonen. Musste aber gleichzeitig auch aufpassen, was ich sage, um nicht wieder ins Visier der Pillendoktoren zu geraten.

Es bestand eine Art Verwandtschaft zwischen der Einrichtung, für die sie arbeitete und denen in L.A. Die Meute dort lauerte schon geifernd auf den Captain. Sie waren scharf auf eine neue Kack-Probe von mir, um so an die DNA meiner Genialität und Gerissenheit zu kommen!

Ich habe Dr. Carbo nie hängen lassen und sie mich auch nicht. Bei ihr habe ich nie wirklich linke Dinger versucht. Ich habe, meines Wissens nach, nicht einen einzigen Termin bei ihr verpasst, in fast acht Jahren.

Eine Ärztin wie sie habe ich in meiner gesamten Kariere als Ärzte-Junkie noch nie erlebt. Und ich bin mir fast sicher, dass ich jemanden wie sie auch nicht mehr finden werden.

Sie war die einzige richtige Ärztin, die den Namen und den Titel auch verdiente.

Alles an ihr strahlte Reinheit aus. Ich konnte mir sie niemals lästernd oder linkisch vorstellen, obwohl sie das vielleicht war, wenn ich die Tür hinter ihrem Gesprächszimmer geschlossen hatte. Sie war es nur nicht mir gegenüber.

Ich wusste selbst sehr viel über Menschen, über Zwischenmenschliches und über Psychologie. Ich hatte nur allein Carnegie und andere Pioniere gelesen, um das, was ich selbst schon immer wusste, dort noch einmal bestätigt zu bekommen.

Leider funktionierten solche Lehren nicht bei allen Menschen. Es gab wirklich perverse, die nicht auf solche Methoden ansprachen. Sondern nur auf reinen Befehl und Bestrafung. Das waren meist Menschen, die in ihrem ganzen Leben nichts anders erlebt hatten, als mit Befehlen und Bestrafung erzogen zu werden. Und nichts anderes kannten. Sie reagierten nicht auf Methoden, wie Carnegie sie lehrte.

Carnegie war mein Meister. Und ich hatte die Spur, die er uns Menschen legte, leider oft verlassen, weil das Leben mich in seiner Gesamtheit fertig machte. Ich habe die Regeln, die er mich so tapfer, aufopferungsvoll und immer wieder lehrte, oft gebrochen, weil ich an jenem, kleinen Teil der Menschheit, der mich fassungslos werden lässt, immer wieder scheitere. Das was Carnegie die "Käfer" nennen würde. Ich ließ mich immer wieder von Käfern besiegen. Anstatt, dass ich anfange diese Art "Käfer" und deren Institutionen einfach vollkommen und für immer zu ignorieren, ging ich ihnen immer wieder auf den Leim. Und dafür hasste ich mich oft selbst.

Oft hasste ich auch die gesamte Menschheit, wollte mit ihnen nichts mehr zu tun haben. Leute wie Carnegie schafften es immer wieder, meine Liebe und mein bisschen Vertrauen zu einem geringen Teil der Menschheit aufrechtzuerhalten.

Beide, Doktor Carbo und Carnegie, sah ich als gute Freunde an.

An Frau Doktors Erziehung musste ich aber noch arbeiten. Ich hatte in fast acht Jahren immer noch nicht geschafft, ihr das Fluchen beizubringen.

Nach so manch einer Sitzung mit mir, wird sie sich bestimmt in der Toilette der Einrichtung den Mund und die Ohren ausgespült haben. Ich konnte mir vorstellen, wie sie von ihrem katholischen Pfarrer auf dem Dorf die Beichte abgenommen bekam, weil einer seiner Patienten, ein Irrer, der sich selbst "Captain" nennt, ihr unflätige Worte in rauen Mengen injiziert hat.

Ich war dabei sie zu vergiften. Sie bekam von mir 200 Milligramm reines "Flucholan" pro Sitzung, respiratorisch injiziert.

Ob sie wollte, oder nicht!

Zu Besuch in Korea

Ich hatte meine halbjährliche Herzschrittmacher Kontrolle über mich ergehen zu lassen.

Dr. Son war ein junger, akribischer Arzt aus Korea. Er hatte sich zuvor als Arzt an einigen Krankenhäusern seine Mie-Nudeln verdient.

Er hielt mich für einen grünen Jungen. Ich hatte schon Erfahrungen mit meiner eigenen Herzkrankheit, als er noch nicht geboren war.

Die Fachbegriffe, die er seiner neuen, italienischen Auszubildenden da sagte, und von denen er annahm, dass ich sie sowieso nicht verstand, kannte ich schon längst.

Er erklärte ihr lang und breit, und mit einen Ruhe, wie sie nur ein Asiat haben konnte, den Aufbau der QRS-Welle, zeigte ihr mit einem albernen Lineal aus seiner Schulzeit, wie man ein EKG ausmessen kann, wenn die Technik mal versagt, erklärte ihr meine Überleitungsstörung, erklärte ihr einen AV-Block und den Sprung zwischen II. Grades und III. Grades, anhand der Magnetumstellung. Das dicke, schwere Elektromagnet lag in dieser ganzen Zeit auf meinem Schrittmacher und ich fing so langsam an zu keuchen. Mein Herz stolperte dabei, wie eine alte Waschmaschine deren Antriebsriemen gerade gerissen war.

Die junge, süße Italienerin kam sich vor wie auf einem Ärztekongress, gab sich interessiert und wissend, verstand aber maximal die Uhrzeit oben rechts auf dem Monitor.

Ich wartete auf den passenden Moment, wo ich bei all diesen perfekten und neunmal klugen Ausführungen des Koreanischen Arztes einen klitzekleinen Fehler finden konnte. Er machte einfach keinen. Dieser junge Schnösel war wahrscheinlich in dem Labor direkt neben dem meiner Hautärztin gezüchtet worden.

Er machte dann aber doch noch zwei entscheidende Fehler. Der Pulsmesser zeigte bei mir plötzlich einen Ruhepuls von null und der Blutdruckmesser einen Blutdruck von 210/120 an. Er fand den Fehler schnell heraus. Die Azubi saß mit ihrem Hintern auf einem Anschlusskabel, das nun halb hinaushing. Sofort fauchte er sie an. Die kleine Maus tat mir richtig leid.

Er hatte also doch Gefühle, dieser Zen-Meister. Und konnte doch auch die Beherrschung verlieren. Wie jeder normale, sterbliche Mensch auch. Da hatte ich was gegen ihn in der Hand. Ich witterte meine Chance!

Er machte den unverzeihlichen Fehler seiner Azubi laut meinen Befund zu diktieren und brachte dabei AV-Blöcke Typ Mobitz I und II, Wenckebach, und Angaben des AV Blocks III. Grades durcheinander.

Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass er da was durcheinander bringt und es diese Kombination meiner Meinung nach nicht gibt. Und schon gar nicht bei mir und in meinem Körper. Das wüsste ich ja selbst am besten.

Ich hatte ihn schon länger auf dem Kicker, weil er meine Blutdruckmittel soweit rauf gesetzt hatte, bis er diese ausdosieren musste und ich nur noch einen Blutdruck von 90/50 aufwies. Meine Adern sahen damals schon aus wie ausgetrocknete Flussbetten. Und ich fing an ihn zu hassen, weil er mir ein neues Mittel aus seinem Privatschrank mitgab, dass meinem Herz "extra -power" geben sollte. Das Mittel war völlig veraltet und hatte als Nebenwirkung einen sicheren Herzinfarkt bei zwei von zehn Patienten zur Folge. Und er besaß noch die Dreistigkeit mich bei meinem nächsten Besuch dort zu fragen, ob mir das tolle neue Mittel denn schon geholfen habe.

Ich hatte es damals, kurz nach Verlassen der Praxis, sofort in der Mülltonne am benachbarten Obdachlosenheim entsorgt.

Ich hatte einen neuen Todfeind! Der Zen-Meister hasste mich nun auch. Ich hatte ihn vor seiner Auszubildenden bloßgestellt. Ein unverzeihlicher Fehler!

Er drückte mir den Arztbrief für meine Hausärztin in die Hand und sagte mir nicht einmal Auf Wiedersehen. Soviel zu innerlicher Ruhe und Einkehr. So viel zu "alles an sich abprallen lassen und sich nicht aufregen".

Zu Hause öffnete ich den Brief an meine Hausärztin und las ihn mir erst einmal in Ruhe durch. Er hatte ihn besonders stark zugeklebt. Wahrscheinlich einen speziellen, koreanischen Superkleber mit "extra -power" benutzt, damit ich nicht erschnüffeln konnte, was er da meiner Frau Doktor mitteilen wollte.

In dem Brief stand unter anderem, dass ich an "schizoaffektiver Psychose", "Adipositas" und "Laktoseintoleranz" litt. Was für ein verdammter Lügner!

Ich scannte den Bericht in den PC ein, speicherte ihn in meinem Ordner, in dem ich alle Berichte von allen Ärzten und Krankenhäusern gesammelt hatte, und startete das clone-stamp-tool meines Grafikprogramms.

Das clone-stamp-tool ist ein kleines, nettes und einfaches Feature, mit dem man zum Beispiel unliebsame Dinge aus verlogenen Arztberichten in Papierfarbe virtuell übermalen und so diese unliebsamen Dinge, wie aus Zauberhand, verschwinden lassen kann.

Sie sind auf der ausgedruckten Kopie später nicht mehr sichtbar. Ich entfernte damit den Unsinn, dass ich an schizoaffektiver Psychose leide, ich litt lediglich an Posttraumatischen Belastungsstörungen, was etwas ganz anderes ist. Und ich litt auch nicht an Adipositas. Ich war 193 Zentimeter groß und hatte zu der Zeit 84 Kilogramm. Ich war ein Biafra-Junge. Und Laktoseintoleranz. Ich schätze mal , als er der kleinen italienischen Azubi seine Diagnose diktierte, hatte er ihr auf die dicken Titten geschaut und sich an seine Nährmutter zurückerinnert gefühlt.

Die korrigierte Version bekam meine Hausärztin dann.

 

Ich hatte einen Termin für eine OP in einem Krankenhaus unmittelbar vor mir. Meine Gallenblase musste raus.

 

Und ich wollte so einen Unsinn einfach nicht mehr in meiner Akte stehen haben.

Die korrigierte Version würde ich persönlich nicht als "Urkundenfälschung" ansehen. Für mich war das reiner Selbstschutz! 

Was Ärzte dir noch alles verschweigen

Ich lag im Krankenhaus und meine Gallenblase musste raus.

Nach 15 Monaten Schmerzmarathon und fast fünfundvierzig Kilogramm Gewichtsverlust, war ich nur noch ein Haufen Elend, ein zuckendes, enervierendes Bündel Scheiße!

Ich hatte endlich die richtigen Ärzte und das richtige Krankenhaus gefunden. Hier hatte man meine Beschwerden direkt lokalisieren können. Hier nahm man mich endlich ernst. Ob es an dem von mir korrigierten Arztberichten lag?

Frau Doktor und ich hatten vereinbart, dass auf meiner Überweisung für das Krankenhaus nichts Unsinniges in Sachen "Depressionen" und "schizoaffektiver Psychosen" stehen wird. Dafür hatte ich ihr eine zweite Chance als treuer Patient gegeben.

Ich lag dort, in diesem wunderschönen kleinen Krankenhaus, ganz alleine, in einem Dreibettzimmer. Die beiden Patienten direkt neben mir, die auch ihre Gallenblase entfernt bekamen, waren bereits wieder entlassen worden.

Es war Freitagabend und ich lag ganz alleine in diesem schönen, sauberen Zimmer. Die Schwestern waren alle nett. Die Ärzte zum Teil streng, andere wieder locker und lustig. Keiner dort war irgendwie unfreundlich, kurz angebunden, hinterhältig oder abgewichst. Sie waren ehrlich und sagten auch ehrlich, was sie dachten.

Ich hatte meine drei liebsten Bücher von Onkel "Buki" dabei. Die polnischen Schwestern behandelten mich extra nett. Ich bekam extra große Portionen an Essen, weil ich so schlimm und so dürr aussah, wie ein Krebskranker im Endstadium und weil ich eben Bukowski las. Auch war der Nachtisch mehr als reichhaltig. Man mochte mich dort und versuchte mich wieder aufzupäppeln.

Ich konnte dort richtig ausspannen. Meine letzte große Urlaubsreise lag neunzehn Jahre zurück. Ich war zwar mittlerweile EU-Rentner, aber für einen Urlaub hatte das Geld und die Zeit nie gereicht. Ich half ja auch noch bei der Pflege meiner Mutter, während meine fünf verwöhnten, älteren Brüder zu Hause bei Grillwürstchen und Bier saßen und die Sonne putzten.

Der Park des kleinen Krankenhauses war toll. Ich sah direkt von meinem Bett in der Mitte des Raumes auf die hohen Bäume. Links und rechts von meinem Bett lag ja niemand mehr.

Es gab dort einen kleinen, grünen Park. Auf den Bäumen tummelten sich Eichhörnchen und es gab dort uralte Grabsteine aus dem 19. Jahrhundert, von frühen Förderern des Krankenhauses. Alles war natürlich überwuchert mit Pflanzen und Moos. Ich hatte zu keiner Zeit das Gefühl in einem Krankenhaus zu sein. Es kam mir alles so paradiesisch vor. Als ob ich genügend Platz und Zeit zum Nachdenken und Regenerieren in einem stillgelegten Kurort genehmigt bekam. Einer meiner ganz wenigen, besten Freunde, Patrick, hatte mir dieses Krankenhaus empfohlen. Und dafür war ich ihm mehr als dankbar.

Der Oberarzt hatte meinen Bauch gerade untersucht und tadelte mich dafür, dass ich mich erst so spät hatte ins Krankenhaus einliefern lassen. Meine Gallenblase stand kurz vor dem Platzen und war voll mit kleinen Steinen. Nierenleiter, Milz und Bauchspeicheldrüse waren entzündet. Die Gallenblase klebte bereits an der Leber, die auch entzündet war, fest. Und soviel zu "mimosenhaftem Verhalten" und "eingebildetem Schmerz"!


Der Oberarzt war nicht so kurz angebunden, wie die Idioten in dem Krankenhaus davor. Er hatte einen Moment Zeit für mich und ich erzählte ihm die ganze Geschichte, wie es zu dieser Misere kam:

Vor etwa eineinhalb Jahren bekam ich plötzlich und aus heiterem Himmel starke Schmerzen im Magen. Zuerst schmerzte es im oberen Bauchbereich, dann zog es bis in den unteren Bereich. Es war kein Sodbrennen. Ich hatte schon viele Jahre kein Sodbrennen mehr gehabt und wusste, wie sich das anfühlte. Ich hatte auch keinerlei Refluxbeschwerden, weil ich auch wusste, wie sich das anfühlte.

Es war mehr so, als ob dir jemand heißes Wasser mit Bakterien zu trinken gab, in dem lauter kleine Glassplitter waren. Außerdem fühlte es sich so an, als ob dir jemand mit einer heißen Nadel im Bauch herumwühlte an dem ein Elektrokabel hing. Es stach auch im Bereich der Bauchspeicheldrüse und der Milz. Manchmal fühlte es sich an, als ob gleich alles platzen würde. Einschließlich der Leber. Ganz besonders stark waren die Schmerzen unter dem rechten Rippenbogen und entlang der Nierenleiter.

Ich wusste, wie sich Nierenkoliken anfühlten, weil ich schon welche hatte und auch schon Steine entfernt bekam. An den blutigen Schlauch in meinem Pillemann kann ich mich noch gut erinnern. Diese Schmerzen hier waren ähnlich. Meine Hausärztin, hatte aber schon ausschließen können, dass es Nierensteine waren. Auch hatte sich der Urologe alles genau angeschaut. Eine Darmspiegelung war auch absolut ohne jegliches, negatives Ergebnis verlaufen.

Frau Doktor überwies mich in das ortsansässige Klinikum. Ich wurde dort geboren und hatte auch dort meinen Schrittmacher implantiert bekommen. Hatte bis zu diesem Zeitpunkt Vertrauen in das Klinikum.

Der Arzt war zwar etwas angetrunken, als er mit den Schrittmacher damals einsetzte, da er an dem Tag Geburtstag hatte, aber es war soweit okay. Ich war eindeutig fürs Feiern.

Als ich nun ins Klinikum musste, sahen die Doktoren der zuständigen Station, dass meine Hausärztin auf der Überweisung fälschlicherweise angab, dass ich an schizoaffektiver Psychose und Depressionen leide. Ich hatte aber posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS). Und Depressionen hatte ich auch nur ein einziges Mal gehabt. In dem Jahr, als ich meine Selbständigkeit und meine Wohnung verlor und den Schrittmacher bekam. Das war alles innerhalb eines Jahres passiert. Und so wurde ich eben kurzzeitig depressiv. Deswegen war man doch kein Irrer!

Wer hatte nicht schon einmal Depressionen? Wer hatte nicht schon einmal ans Aufgeben gedacht. Wer wollte nicht schon einmal seinen nervigen Nachbarn umbringen oder dem eigenen Bruder den Hals umdrehen. Das waren eben Kurzzeit-Fantasien, die man gedanklich auslebte und nicht ernsthaft meinte, wenn man es im Zorn laut aussprach. Aber wurde man deswegen gleich zu einem gefährlichen Irren? Was war mit den Leuten, die gerne Krimis oder Horror sehen und lesen. Waren das alles potenzielle Mörder oder Perverse, die sich am Leid und Tod anderer ergötzen? Man muss doch mal die Kirche im Dorf lassen!

Ich war kein Irrer und auch kein eingebildeter Kranker. Höchstens ein echter Kranker und einer, der nur mal genügend Pech und Schicksale hinter sich hatte. Nachdem, was mir als Kind schon alles passiert war, konnte ich froh sein, dass es "nur" PTBS war, was mich ereilte. Ich hatte hart dafür gekämpft, dass es mich nicht noch härter erwischt hatte. Psychisch gesehen.

Von dem ersten Moment an, als die Stationsärztin es auf der Überweisung las, wurde ich nicht ernst genommen. Sie fragte mich immer wieder den gleichen Kram. Ob ich zurzeit Depressionen oder Selbstmordgedanken habe, ob ich vielleicht Stimmen höre oder momentan stark gestresst war.

Bei jeder neuen Schicht und dem damit verbundenen Arztwechsel die gleichen Fragen. Ich war leicht gereizt und gestresst, weil sich mein Bauch anfühlte, als oder er gleich platzt. Und ich schwitzte stark, aufgrund der permanenten Schmerzen. Als sie dann endlich begriffen hatten, dass mir ihre eintönigen Fragen auf den Geist gingen, kamen sie mir mit der Alkoholiker Masche. Ich sagte, dass ich damals mal was getrunken hatte, aber auch nicht mehr als jeder andere Bursche auch. Dieses Eingeständnis durfte man in einem Krankenhaus niemals machen. Man wurde sofort als Alkoholiker abgestempelt.

Ich bekam dann genau fünf Ultraschall und eine Magenspiegelung von immer der gleichen Person. Auf meine Bitte, ein CT zu machen, ging man gar nicht erst ein. Was wusste der Schlaumeier denn schon von CT´s?

Die Ärzte fanden nichts. Bei der Visite kamen sie dann regelmäßig mit acht oder zehn sauberen Weißkitteln angedackelt. Man wurde betrachtet, als ob man der Elefantenmensch ist. Der Oberarzt machte sich über mein Weißdorn Medikament lustig, weil seine Oma die immer nahm.

Sie hielten sich für so schlau zu meinen, ich würde ihre ganzen Fachausdrücke da nicht kennen. Ich hatte bereits als Kind jährlich bis zu fünfzig Bücher gelesen, Ich las alles, was mir in der Stadtbücherei in die Finger kam. Auch Fachbücher aus verschiedenen Bereichen. Ich habe damals Stunden und Tage in Büchereien verbracht, während andere Jungs aus der Klasse sich auf dem Fußballplatz gegenseitig an die Eier fassten, um so ihre ersten Erfahrungen zu machen. Ich war Theoretiker, Praktiker und Autodidakt in Personalunion.

Ich verstand so gut wie jedes Fachwort, welches mir da von der Visite um die Ohren gehauen wurde. Die Opas im Bett nebenan waren echt beeindruckt von der jungen Ärztin, die dem Oberarzt ihr Wissen herunterleierte, während ich mir heimlich ihre dicken Titten anschaute und der junge Japaner mich dabei beobachtete.

Manchmal ist zu viel Wissen nicht gut. Andererseits ist es auch nicht gerade förderlich, zu wenig Allgemeinwissen zu haben. Ob jetzt Unwissenheit ein Segen ist oder Wissen Macht, ist immer subjektiv. Ungenutztes Wissen ist genauso tot wie Pläne, die nur im Kopf existieren und niemals umgesetzt werden. Und Wissen in der Hand der Macht, die es zu niederen Zwecken nutzt, ist gefährlich. Wie man ja immer wieder sieht.

Meine Gallenblase war angeblich "jungfräulich". Die Schmerzen vermutete man dann im Bereich des Rückens. Ich sollte doch mal zur Massage gehen. Die hatte ich vor circa einem halben Jahr schon bekommen. Schlaumeier!

Milz und Bauchspeicheldrüse waren leicht verdickt und eine leichte Entzündung der Bauchspeicheldrüse lag vor. Die Entzündungswerte im Blut waren erhöht und ich hatte mehrere erhabene Erosionen im Antrum.

Ich bekam standardmäßig achtzig Milligramm Magensäurehemmer verschrieben, obwohl ich nicht einmal Sodbrennen oder Refluxbeschwerden hatte. Und zwar Jahre nicht mehr.

Den Scheiß, diesen neuen Witz, den die Pharmaindustrie sich wieder hat einfallen lassen, um sich ihre Milliarden für die nächsten Jahrzehnte zu sichern, verschrieben Krankenhäuser und Ärzte fast jedem Patienten auf der Station dort. Ob man sie brauchte oder nicht.

Da meine Beschwerden im Bauch so schlimm waren, nahm ich den Dreck eben widerwillig ein. Ich wurde kurzerhand damit abgespeist, weil man, so wörtlich, "das Bett für dringendere Fälle bräuchte".

Ich nahm den Dreck monatelang und nach Anweisung meiner Ärztin und des Krankenhauses in der verordneten Dosis von achtzig Milligramm täglich. Die Magensäurehemmer blockierte die Produktion meiner Magensäure komplett. Ich konnte nicht mehr richtig verdauen und auch tagelang nicht mehr kacken. Meine Beschwerden am oberen und unteren Bauch hatten sich nur bedingt verbessert.

Ich wollte von der hohen, täglichen Dosis runter, obwohl die Ärzte darauf bestanden, dass ich es weiterhin derart hoch dosiert nehmen soll. Ich konnte früher zwei bis dreimal am Tag kacken, hatte nie Probleme damit. Und mir war echt schleierhaft, wieso ich die Blocker überhaupt nehmen soll. Hatte nicht einmal Sodbrennen.

Ich dosierte die Blocker langsam herunter. Zuerst halbierte ich die Dosis auf vierzig Milligramm pro Tag. Nach einigen Wochen dann auf zwanzig. Da alles okay schien, wagte ich den Versuch und ließ sie irgendwann ganz weg.

Ich hatte sie gute sechs Monate lang immer feiner herunterdosiert. Musste bei meiner Ärztin noch betteln, weil sie mir keine zehn Milligramm verschreiben wollte. Ich musste betteln gehen, um Pillen, die ich nie brauchte und die ich auch nie wollte. Pervers, oder?

Magensäurehemmer sind ein Teufelszeug! Da kann die ganze eingeschworene Ärztelobby reden, so gut und so viel sie will. Mit dem Dreck werden Milliarden umgesetzt. In Amerika fressen sie dieses Zeug haufenweise prophylaktisch, bevor sie über ihre tägliche Überdosis an Barbecue und Bier herfallen. Doppelt pervers, oder?

Und wieso wird der Dreck so massig verordnet und mittlerweile frei verkauft? Weil alle Leute magenkranke Irre oder Alkoholiker sind? Wohl kaum!

 

Ich sehe es ja an meiner Mutter. Seit sie ein Pflegefall ist, nimmt sie nun täglich acht Medikamente, anstatt vier. Damit ihr Magen die chemische Belastung aushält, hat Frau Doktor ihr einen Magensäurehemmer aufs Auge gedrückt. Bei den schweren Fällen nennt man es salopp "Säureblocker", bei den mittleren "Säurehemmer" und die alten Leute bekommen es als "Magenschutz" angedreht. Sie werden damit entmündigt, weil sie einen Haufen Pillen schlucken müssen, von denen sie maximal die Hälfte wirklich brauchen. Müssen es schlucken, ob sie wollen oder nicht. Ob es ihnen schmeckt, oder nicht. Nach dem Motto "Friss oder stirbt!".

 

Und der oberste Gott der Pharmakonzerne saß auf seinem Thron und onanierte auf den Kontoauszug!

Magensäurehemmer haben die teuflische Angewohnheit, die Protonenpumpe, die für die Regulierung und Ausschüttung der Magensäure und deren produzierte Menge verantwortlich ist, gegen null zu hemmen. Wichtige Vitamine wie B12 und Mineralstoffe wie Kalzium werden ebenfalls fast auf null geblockt. Es gibt natürlich genügend gut bezahlte Studien gegen all diese "reinen Spekulationen". Das sind ja nur wieder einmal Hirngespinste von Verschwörungstheoretikern und anderen Geschäftsschädigern!

Wer nun versucht dauerhaft dieses Teufelszeug wieder loszuwerden, erlebt die Überraschung seines Lebens. Die Protonenpumpe beginnt nach einigen Wochen wieder mit der Produktion neuer Magensäure, die bis zum fünfzigfachen höher konzentriert ist, als die ursprüngliche Magensäure vor der ersten Dosierung. Damit beginnt ein ewiger Kreislauf. Man muss immer wieder Magensäurehemmer nach nehmen, um die erhöhte Produktion zu unterdrücken, bevor diese die Magenwände angreifen kann. Hemmt man die Säure dann, unterdrückt man damit wieder die Produktion und die Säure konzentriert sich erneut innerhalb der Protonenpumpe. Oder es hat sofort den Effekt, dass bei erneuter Gabe des Blockers, nach einem absetzen, dieser gar nicht mehr seinen "Zweck" erfüllt. Dreifach pervers, oder?

Das fehlende Kalzium, welches von den Hemmern blockiert wurde, kann von Veränderungen in der Knochendichte, bis hin zu plötzlichen Brüchen führen.

Mir bescherte dieses Teufelszeug eine erhöhte Magensäureproduktion plus einen doppelseitigen Leistenbruch, aufgrund aufgeweichter Leisten.

Nach zwölf Monaten dauerhaft verordneter Magensäurehemmer in einer täglichen Dosis von achtzig Milligramm, ohne je Sodbrennen oder Reflux gehabt zu haben, konnte ich mich beim Klinikum dafür bedanken, dass sie meinen Magen medikamentenabhängig gemacht hatten.

Ich hatte während der gesamten zwölf Monate übrigens immer wieder mehr oder weniger starke kolikartige Beschwerden, die nie ernst genommen wurden, weil ich angeblich schizoaffektiv und depressiv bin und dadurch mir meine Schmerzen ja nur einbildete. Aber Schmerzen sind immer real und niemals Einbildung. Ganz gleich, ob es körperliche oder seelische sind. Sie sind REAL!

Dreizehn Monate nach diesem unliebsamen Ereignis, hatte ich dann die beiden Leistenbrüche, aus denen der Darm immer weiter hervorquoll. Nun pflegt mal eure Mutter, mit einem doppelseitigen Bruch. Und das über Monate!

Ich verlor in diesen dreizehn Monaten mehr als dreißig Kilogramm an Körpergewicht. Dann fing ich eines Nachts an doppelt so starke Koliken zu bekommen, wie in dem Jahr zuvor. Als ich gar nichts mehr essen konnte, ohne Blut zu erbrechen, ließ ich mich wieder in diesem mir mittlerweile verhassten Klinikum blicken, in dem ich lange Jahre so etwas wie meine Heimat sah, weil ich dort geboren wurde.

Ich hatte starke Koliken und krümmte mich vor Schmerzen. Musste mir in der Notaufnahme gefallen lassen, dass sie mein Verhalten für "mimosenhaft" und "übertrieben theatralisch" halten. Es gab wieder die gleichen ewig dummen Fragen bezüglich meiner Depressionen, die ich ja nicht hatte und die ich auch verneinte. Es gab wieder die gleichen nervigen Fragen wegen meiner Schizophrenie, die ich auch nicht hatte. Auch das verneinte ich.

Man fand es dann aber doch merkwürdig, dass ich so lange Clozapin bekam, welches ja ausschließlich gegen Schizophrenie verschrieben wird. Es war mühsam diesen sturen übermüdeten Holzköpfen erklären zu müssen, dass das Ganze ein Behandlungsfehler eines ebenfalls holzköpfigen Psychiaters war, den ich längst ausgemustert hatte. Und das alles erklärte ich denen, während ich Blut und Galle kotzte.

Man hielt, wörtlich zitiert, meine "Ausführungen und Ausreden für den fadenscheinigen Versuch von meinem eigentlichen Problem ablenken zu wollen". Man hielt mich nicht nur für listig irre, sondern auch gleich noch für einen komplett hoffnungslosen Hypochonder mit Hang zu mimosenhaftem Verhalten.

Ich hatte mir als Kind und in meiner Jugend einige Brüche, Löcher im Schädel und zahlreiche Wunden zugezogen. Ich kam aus einem Ghetto! Der Vorwurf ich sei mimosenhaft, zeigte mir nur, dass der Notfallarzt genauso unsauber tickte, wie die Ärzte, die mich vor dreizehn Monaten hier so unfähig behandelt hatten.

Ich kotzte noch etwas Blut und Galle, bestand dann auf stationäre Aufnahme, aber möglichst auf einer anderen Station, als die damalige. Und kam wieder auf die gleiche Station.

Von der unfähigen Ärztin wurde ich mit den Worten, "was wollen Sie denn schon wieder hier!", empfangen. Man pumpte mich mit drei Flaschen Novalgin voll, die mir nicht einmal ansatzweise Schmerzlinderung brachten. Es war mittlerweile 02:00 Uhr in der Nacht und der alte Mann im Bett nebenan dachte wohl, er wird gleich Zeuge, wie neben ihm einer abkratzt.

Von dem Novalgin bekam ich die Kopfschmerzen meines Lebens. Anstatt, dass es weniger Schmerzen wurden, kamen noch weitere hinzu. Nur eben an anderen Körperteilen. Was hatte ich denen getan, dass die mich scheinbar umbringen wollten? Was war an oder in meinem Körper noch brauchbar, was die für ihre Organbank im Keller gebrauchen konnten?

Dann kam der russische Nacht-Boy und wollte mir auch noch Tavor unterjubeln. Er sagte, das ist gut für mich. Gut gegen Schmerzen. Ich lehnte es ab und ließ ihn der Ärztin ausrichten, dass ich zu schlau bin um mir Drogen unterjubeln zu lassen, welche die Leute in der Irrenanstalt reihenweise zu schlucken bekamen. Ich kannte Tavor. Hatte es selbst in der Irrenanstalt bekommen. Es hatte auf mich damals eher ein Placebo Effekt. Damals war ich dumm. Ich hätte die ganzen Tavor sammeln sollen. Die Jungs vom Bahnhof hätten mir ein bis zwei Euro pro Reihe gezahlt. Aber ich dealte nicht!

Am nächsten Tag gingen die ganzen Untersuchungen bereits früh los. Man wollte den unliebsamen Gast so schnell wie möglich wieder loswerden. Ich bekam drei Ultraschall in zwei Tagen, eine Magenspiegelung ohne und eine zweite am darauffolgenden Tag mit Sono-Kopf. Die zweite Magenspiegelung brachte mir dann auch noch zusätzlich zu den Gallenkoliken und den Kopfschmerzen einen Mundsoor ein.

Man fand, außer kleineren, multiplen Konkrementen der Gallenblase nichts weiter Bedenkliches. Milz und Bauchspeicheldrüse verdickt, Leber vergrößert, die üblichen Zysten in Leber und Nieren und kleinere, erhabene Erosionen im Antrum.

Ich sollte doch mal wiederkommen, wenn die Beschwerden akut werden!

Ich dachte, ich bin im falschen Film. Wartete auf den Typen mit der versteckten Kamera, der sicher gleich aus dem Abfluss des Waschbeckens im Bad rausschaute. Doch er ließ sich nicht blicken. War das real? Wann würde ich aufwachen?

Noch akuter ging schon nicht mehr. Vielleicht sollte ich zu Hause erst meinen Magen auskotzen und dann in einer Plastiktüte vom Discounter den Taxifahrer bitten, ob er mich ins Krankenhaus fahren könnte. Aber nur, wenn er gerade keinen wichtigeren Fahrgast zu befördern hatte. Und ein Umweg über die Dörfer wäre ihm erlaubt. Schließlich ging es mir ja blendend. Ich hatte ja genügend Zeit und gerade nichts anders zu tun, als mit meinem ausgekotzten Magen und einer frisch geplatzten Gallenblase durchs nächtliche Leverkusen zu tingeln.

Dann verschrieben sie mir erneut ihre tollen Magensäurehemmer von denen mein Magen bis heute noch abhängig ist.


Am Entlassungstag lief mir genau die hohle Frucht von Ärztin über den Weg, die mich vor einigen Tagen mit den Worten, "was wollen Sie denn schon wieder hier!", empfangen hatte. Diesmal war sie etwas freundlicher. Wahrscheinlich, weil ich entlassen wurde. Vielleicht hatte sie auch der Oberarzt heute Nacht in der kleinen, sterilen Kammer gepimpert und er hat ihr dabei etwas Hirnmasse vaginal injizieren können. Mit seiner einäugigen Fleisch-Spritze. Wer weiß!

Sie riet mir noch, dass ich mich das nächste Mal direkt in der Neurologie melden soll, falls die "Beschwerden" noch einmal wiederkehren.

Sie hielt mich für bekloppt. Und ich sie ja auch!

Schlußresümee

Ich kam aus dem Krankenhaus nach Hause. Ohne Gallenblase, aber mit einem Titan-Clip an der Stelle, wo sie einmal war. War Titan etwas wert? Konnte ich den Clip später in meinem Online-Shop verkaufen? Vielleicht zusammen mit dem Bruchband der Krankenkasse, das ich nie getragen hatte?

 

Die OP war ursprünglich auf eine Stunde angesetzt und die Ärzte in dem schönen, kleinen Krankenhaus brauchten ganze zweieinhalb Stunden. Sie konnten die Gallenblase noch minimalinvasiv retten, dachten aber während der OP schon daran, den großen Schnitt anzusetzen, der mir eine weitere, lange Narbe beschert hätte. Ich wurde viel zu spät behandelt und der Oberarzt motzte über die Unfähigkeit seiner Kollegen aus dem Klinikum, die mich nicht richtig, bzw. gar nicht behandelt hatten. Nun musste ich noch einige Tage ein Opiat haltiges Schmerzmittel einnehmen. So kann's gehen!

 


Die Frau des lästigen Nachbarn vom Hauseingang nebenan stand vor ihrer Haustür. Ihr Mann kam nicht mehr gegen mich an. Jetzt hatte der Feigling sie geschickt. Den Hausdrachen!

Sie wollte mir mal wieder damit drohen, dass sie es der Wohngesellschaft meldet, wenn ich die Blätter der Bäume, die der Stadt gehörten, und die vor "meinem" Haus lagen, nicht regelmäßig weg kehrte.

Ich hatte eine neue starke Waffe gegen sie. Ich lachte sie aus und ging an ihr vorbei. Ihr Blutdruck musste mächtig hoch gewesen sein und ich wünschte ihr, dass sie recht bald daran krepierte.

Um sie da nicht so armselig stehen zu lassen, sagte ich wenigstens noch:

"Geh schnell rein, altes Mädchen, Aktenzeichen XY beginnt sicher gleich. Du willst doch keine Folge verpassen und deine Denunzianten Freunde im Stich lassen!".

Dann knallte ich die Haustür zu "meinem" Hauseingang, damit die Leute, die bei "mir" im Haus wohnten, wussten, dass ich zu Hause bin und es Zeit ist mal endlich aufzustehen. Es war immerhin schon Nachmittag.

Noch am selben Abend sah ich den Notarztwagen vor dem Hauseingang des Drachens stehen. Ich hörte den alten Spanner sagen, "mach dir keine Sorgen und keinen Ärger, Nase, es wird alles wieder gut!".

Den Ärger und die Sorgen machten sie sich im Grunde genommen selbst. Und das mit dem "gut" und "schlecht" war ja wohl eindeutig Ansichtssache.

Die Welt da draußen hatte mich wissen lassen, dass alles Leid nur in meinem eigenen Kopf stattfand. Scheinbar hatten alle schon mehr buddhistische Bücher gelesen als ich und waren mir weit voraus. Aber ich war wenigstens noch nicht perfekt. Und unfertige Menschen entwickelten sich idealerweise immer noch weiter, weil sie den scheinbar Perfekten eines voraus haben. Sie waren nicht so von sich selbst überzeugt, dass sie verblendet und größenwahnsinnig wurden.

Am Abend des nächsten Tages ging ich in den buddhistischen Tempel des japanischen Gartens. Es war natürlich außer mir und einigen Mönchen niemand sonst da. Die Menschen saßen mal wieder vor ihren amerikanischen Sitcoms, Gerichts-Soaps und Polizeiserien. Hoffnungslos!

Der alte Zen-Meister erkannte mich wieder. Mein Bruder hatte dort einige Jahre als Zierpflanzengärtner gearbeitet. Wir feierten dort auch schon Neujahr und tranken heißen Sake aus schönen Reispapier Bechern. Damals war der Zen-Meister extrem friedfertig und ruhig, doch jetzt registrierte sein "Hirn-Chakra" veränderte Schwingungen meinerseits.

Da stimmte irgend etwas in meiner Einstellung zum Menschen nicht. Ein schlechtes Karma hatte sich bei mir ausgebildet, das es dringend zu lösen galt. Und, er musste es für mich lösen!

Während ich mir friedfertig und ruhig die schönen, exotischen Pflanzen ansah, griff er direkt von hinten an. Wollte mir möglichst geräuschlos in die Nierengegend springen.

Ich ließ mich auf die Seite fallen, drehte dabei meine Hüfte halb und trat ihm mit der Spitze meiner Tai-Chi Schuhe genau in die Eier. Er krümmte sich. So unbesiegbar und überlegen war er also!

Dann schlug ich den großen Gong des Tempels. Im Lotossitz verharrend schwebte ich einen halben Meter über dem Boden. Schwebte göttergleich bis auf die Sitzbank meiner Maschine.

Dann ließ ich den Motor aufheulen, nebelte den Tempel ein und fuhr in den Sonnenuntergang davon.

Ich hatte einen kleinen Teilsieg gegen einen Bruchteil der Menschheit errungen. Ein verschwindend geringer Anteil der Menschheit kannte und hasste mich nun richtig.

Doch Liebe und Hass sind starke Gefühle. Nur die Gleichgültigkeit bedeutet den sicheren Tod! 

Impressum

Texte: Ralf Dellhofen
Lektorat: Ralf Dellhofen
Satz: heiße Ohren!
Tag der Veröffentlichung: 30.09.2017

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gewidmet meinen Lesern und Freunden auf Bookrix, Facebook und im nicht-virtuellen Leben. Gewidmet meiner Krankenkasse und allen lebendigen, toten und lebendig-toten Ärzten!

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