Ich war doch schon ein fast fertiger Mensch. Warum lasse ich mich immer wieder mit denen da draußen ein?
Ich hatte mich schon einige Jahre zu Hause abgeschottet. Hielt mich von den Wichtigtuern und Besserwissern in den Foren und Communitys fern. Mit Facebook war ich fertig, da sie meine alten Seiten und die Informationen darin nicht vollständig löschen wollten. Ich war bereits körperlich krank, wurde nun durch diese Art Kontakt mit Menschen im Internet psychisch immer labiler.
Die Onlineshops der Quacksalber und Wunderheiler hatte ich längst hinter mir gelassen. Ich liebte Tiere und verabscheute den Großteil der Menschen, bekam eine unstillbare Sehnsucht nach außerirdischem Leben.
Nachdem ich einige Jahre kaum ein Buch gelesen, geschweige denn selbst etwas geschrieben hatte, las ich erst alle alten vergilbten Bücher aus den zahlreichen Umzugskartons im Keller, danach alles, was ich so an kostenlosen Informationen und an Wissen aus dem Internet saugen konnte. Über Ufos und Außerirdische, Geister Erscheinungen, Indigene Völker und versunkene Kulturen. Beschäftigte mich mit Numerologie, dem Buddhismus und mysteriösen Gegebenheiten. Ging beinahe den Esoterikern auf den Leim. Dabei geriet ich immer öfter auch auf Webseiten mit sogenannten Verschwörungstheorien.
Die meisten noch wenig gestreuten Webseiten hatten gar keine großen Foren und Communitys, was mir sehr gelegen kam. Ich wollte einfach nur meinen Wissensdurst nach etwas neuem, völlig anderem stillen, ohne gleich in einen ganzen Club von Wichtigtuern und Besserwissern eintreten zu müssen, die mich mit ihrem Newbie-Scheiß und zweiter Vorstand hasst ersten Vorstand Unsinn nervten.
Einige Themen wiederholten sich von einem Seitenbetreiber zum anderen. Ich sondierte die Seiten Abend für Abend aus, bis ich auf eine Seite stieß, an der ich immer öfter wie magnetisiert kleben blieb.
Es war die Webseite einer älteren Lady, einer gebürtigen Amerikanerin, die als Auskunftsbibliothekarin gearbeitet, eigene Bücher veröffentlicht und damit schon Erfolge erzielt hatte. Sie lebte bereits in verschiedenen, wechselnden Exilen überall auf der Welt, weil das, was sie in stundenlanger Aufopferung und Kleinarbeit schrieb und vernetzte, einigen mächtigen Staaten der Erde höchst unangenehm wurde. Sie war die eigentliche, ungekrönte Königin des Investigativen und der frühen Whistleblower zu einer Zeit, als es den Begriff nicht einmal gab. Zu einer Zeit, als Wegbereiter wie Assange und Snowden noch nicht geboren waren.
Der Unterschied zwischen ihren Artikeln und denen der meisten anderen Mitstreiter war, dass sie ihre Texte weniger apokalyptisch, sondern mehr sachlich, intelligent und informativ schrieb. Und obwohl die Menschheit bei mir bereits unten durch war, fasste ich Vertrauen in ihren Charakter und schrieb ihr per E-Mail. Das ging einige Jahre so.
Zwischenzeitlich wechselte sie ihre selbstgewählten Exile hin und wieder, sie kam auch einmal bei einer meiner Bekannten in Irland unter, bis sie etwas Neues gefunden hatte. Und auch ich zog einige Male um.
Nach etwas aufwendigen und schwierigen Recherchen konnte sie meinen neuen Aufenthalt aber immer wieder lokalisieren. Oder ich meldete mich per E-Mail wieder bei ihr. So ging es circa acht Jahre lang, bis ich durch eine schwere Herzerkrankung nacheinander mein Einkommen aus selbständiger Arbeit, meine Wohnung und meinen Internetzugang verlor. Und damit meine einzige Kontaktmöglichkeit zu ihr.
Durch meine schwere Herzerkrankung wurde ich psychisch richtig krank und geriet in den Kreislauf der ewigen Arztbesuche, gefolgt vom Kreislauf der Psychologen, Psychiater und der Pharma-Mafia. Diese hatte mich nach kurzer Zeit fest im Griff, hielt mich gute sechs Jahre gefangen. Unterdrückte mit ihren Psychopharmaka all die Jahre mein bisschen Lebenswillen und meine kreative Denkweise.
Nach 17 Jahren selbständiger Lebensführung musste ich bei meiner Mutter unterkommen. Fand dort einige Monate zumindest einen Schlafplatz für die Nacht, dem am frühen Tag reger Besuchs- und Durchgangsverkehr ein Ende setzte. Ich betrank mich während dieser Zeit auch oft und machte irre Dinge. Wählte nachts den Notruf der Polizei und erzählte denen einige abenteuerliche Verschwörungstheorien, die mir sogar zweimal eine Einladung zu einem Gespräch auf der Wache einbrachten.
Manchmal in der Nacht, nachdem ich die neuesten Nachrichten gesehen hatte, war ich so aufgebracht, aufgrund des ewigen Hickhacks in der Welt der Politik und der ewig dummen, provokanten Verhaltensweisen der Mächte, von denen ich mich keineswegs regieren lassen wollte, dass ich begann E-Mails an Parteibüros in ganz Deutschland zu versenden, in denen ich mich als Agent zu verstehen gab, der die Aufgabe hat, Politiker zu kontrollieren. Von höchster Stelle abgesegnet! Ich sandte eine Mail an den BND, gab mich als besorgter Bürger aus, der eben die Information erhalten hatte, dass der BND in Wirklichkeit ein Geheimdienst ist. Ich wollte nur mal so nachfragen, ob das denn auch stimmt. Bekam zwei Wochen später eine beruhigende Nachricht vom BND, dass dem eben nicht so ist.
Ich schickte einen handgeschriebenen Brief an die Polizei, in dem ich mich als Bürgerwehr ausgab und in dem ich mich darüber beschwerte, dass die Polizei ständig vor den Imbissbuden und Kaffees gesehen wird und unschuldige Mofafahrer sanktioniert, während die richtigen Kriminellen frei herumlaufen dürfen. Die erneute Einladung zu einem „Informationsgespräch über die Arbeit der Polizei“ brachte kein Ergebnis, da beide Seiten auf ihrem Standpunkt beharrten.
Arlene, meine Verschwörungstheoretikerin, machte mich dann wieder ausfindig, nachdem ich eine neue Wohnung finden konnte und wieder ins Internet gegangen war. Sie hatte einiges an neuen Informationen hochgeladen. Irgendwann hielt ich mich für zu schlau und für zu schade um weiterhin Psychopharmaka nehmen zu müssen. Entgegen dem Rat der Psychologen und Psychiater Mafia setzte ich alles an Neuroleptika langsam und selbsttätig ab. Nach einigen sehr schweren Monaten des Entzugs, der mich fast umbrachte, fing mein Gehirn so langsam an sich wieder alle geschädigten Areale neu zu erarbeiten. Nachdem ich einiges von dem ausprobiert hatte, was ich bei den Quacksalbern und Wunderheilern lernte, fand ich meinen eigenen Mittelweg, fand meine eigenen Rezepte, wurde mein eigener Doktor und mein eigener Wunderheiler. Das bis dahin völlig zusammengebrochene Zusammenspiel zwischen meinem noch immer lädierten Gehirn und der Organe funktionierte immer besser.
Die neuen Vernetzungen in meinem Gehirn liefen auf Hochtouren. Ich ernährte mich gut, versuchte mich trotz der miserablen Herzleistung mehr zu bewegen, nahm gute Chlorella und entgiftete damit zusätzlich den gesamten Körper. Ich brauchte viel weniger Schlaf, weil ich Alkohol und Neuroleptika abgeschworen hatte. Konnte endlich wieder kreativ denken und planen. Ich vermied es mich unnötig aufzuregen, wollte weder oft ins Internet noch die Nachrichten im Fernsehen schauen. Ich ging fast täglich spazieren, um mein bisschen Herzleistung zu verbessern. Dabei ging ich an den Zeitungsständern am Kiosk vorbei und würdigte den ewig kranken News aus aller Welt keines Blickes. Ich ging unbeschwert in die Natur!
Konnte so über Monate abschalten. War eins mit der Natur und fütterte die Tiere dort. Teilte mit ihnen mein karges Frühstück, das ich in meinem treuen alten Rucksack bei mir trug. Ich wollte nichts mehr wissen von dem ganzen Wahnsinn auf Erden, den Ungerechtigkeiten auf diesem Planeten, den ich Mutter Erde nannte. Gott gab es für mich nicht. Mutter Erde war mein Gott!
Die Politik interessierte mich einen Scheiß, sollten sie doch alles mit Mutter Erde machen, was sie wollten. Wenn die Menschheit sich nicht irgendwann selbst zerstörte, verdaute und auskotzte, würde Mutter Erde das ganz sicher irgendwann selbst übernehmen. Sie kam bestimmt ganz gut ohne den Großteil der Menschen aus.
Mir war alles egal! Ich wurde mit der Zeit innerlich so friedlich, hörte mir nur noch von außen an, was mein Hausarzt da stammelte. Und ich begann die wenigen Termine bei meiner reinen Gesprächstherapeutin dazu zu nutzen sie kurieren zu wollen. Was sie natürlich nicht mitbekam. Sie kam mir plötzlich so verletzlich und überarbeitet vor und brauchte dringend meine Art Therapie. Sie konnte nicht fluchen und ich würde sie auf 100 Milligramm reinem Flucholan setzen müssen!
Ich war also mit mir innerlich völlig im reinen. Alles außerhalb meiner körperlichen Hülle war mir egal. Ich hätte augenblicklich sterben können um mit jeder gereinigten Faser meines zerfallenden Körpers Mutter Erde Hülle zu durchtränken, damit auch sie etwas gesunden kann. Ich war geistig so rein, hatte das Gefühl zu schweben. Wog plötzlich ganze 45 Kilogramm weniger! Die Steine des Körpers und der Seele wiegen eben schwer.
Zu der Zeit hatte ich schon eine ganze Weile keinen Kontakt mehr zu Arlene. Es tat mir so leid, dass sie all die Jahrzehnte scheinbar alleine gegen die ganzen Ungerechtigkeiten auf Erden aufbegehrte, dass sie immer noch einen, für mich gesehen, aussichtslosen Kampf zur Rettung des völlig verdorbenen und mit Scheiße durchzogenen Planeten führte. Für eine Menschheit, die es nicht Wert ist, gerettet zu werden. Und die an einer Rettung überhaupt nicht interessiert ist, weil sie vor lauter Konsum, Fernbestimmung und schleichender Hirnwaschung gar nicht merkt, dass es in mancher Hinsicht bereits fünf Minuten nach Zwölf ist.
Diese tapfere Lady, Arlene, mit ihrer schier endlosen Energie und ihrem Willen die Menschheit zu retten, tat mir leid.
So ging es eine ganze Weile gut mit meinem inneren Frieden, dem neuen Panzer um Körper und Seele herum. Ich war gerade dabei eine neue Armee aus energetischen Soldaten um meinen Seelentempel zu formieren, als ich eine Postkarte im Briefkasten vorfand. Eine schöne kleine selbstgebastelte Postkarte mit lauter einzelnen zusammengewürfelten Briefmarken. Die Karte war von Arlene!
Sie teilte mir ihre neue Adresse mit, die ich schon kannte und gab mir ihre Telefonnummer, die ich noch nicht hatte, da wir bisher immer nur per E-Mail Kontakt hielten. Alles an der Postkarte sah so ärmlich, so nett und liebevoll aus. Ich wusste, dass sie monatlich über nicht gerade viel Geld verfügte. Und das sie sich das bisschen Geld zusätzlich mit Tür zu Tür Geschäften als Avon Beraterin verdienen musste. Sie wollte aber auch all die Jahre niemals kleinere Spenden von mir annehmen. Ich weiß bis heute nicht, ob es Stolz ist.
Ich rief sie aber nicht an, sondern ging, nach vielen Monaten Abstinenz, wieder online. Sie hatte sich Sorgen um mich gemacht, weil sie so lange nichts von mir zu lesen bekam. Ich las wieder News über alle möglichen Mächte und Geheimbünde.
Ihr Lieblingsthema waren die Bilderberger Konferenzen. Sie wusste sogar Ort und Datum der nächsten Konferenz, noch bevor die sorgfältig ausgewählten und geladenen Gäste der Konferenzen die Einladungen erhielten. Ich las ab da an wieder jeden Abend. Baute gleichermaßen physisch und psychisch ab.
Eines Tages bekam ich einen Brief vom Amt für Grundsicherung. Eine neue Wohngeld-Reform war in Kraft und ich war gezwungen Wohngeld anstelle der bisher gezahlten Grundsicherung zu beantragen. Angeblich sollte ich mehr Geld dadurch bekommen, damit die ganz armen Schweine der Gesellschaft entlastet werden. Ich erhielt damals eine Erwerbsunfähigkeitsrente von gerade einmal Euro 550,00 und dazu Grundsicherung in Höhe von Euro 96,00. Davon musste ich dann meine Miete, Strom, Internet, Lebensmittel und alles andere bezahlen. Dafür hatte ich seit meinem 16. Lebensjahr gearbeitet!
Nachdem ich gezwungen wurde Wohngeld zu beantragen, bekam ich einen Bewilligungsbescheid über Wohngeld von immerhin Euro 100,00 monatlich. Die neue Wohngeld-Reform brachte mir jedoch nur theoretisch ganze Euro 4,00 mehr im Monat ein. Die Kehrseite der Medaille war, dass ich dafür aber plötzlich nicht mehr von der Rundfunkgebühr befreit wurde. Ich erhielt auch kein Mobilpassticket für die kostengünstigere Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs mehr und musste für meine Medikamentenbefreiung als chronisch Kranker plötzlich die doppelte Summe an die Krankenkasse abführen. So viel zum Thema Wohngeld-Reform und Gerechtigkeit!
Für mich stand der Ausgang jeder politischen Wahl schon im voraus fest. Schon vier Jahre vorher, um genau zu sein. Es war wie beim Wrestling!
Eines Abends hielt ich die ganzen Ungerechtigkeiten dann nicht mehr aus. Ich drehte durch, wurde irre und entschloss kurzerhand dem Hotel Bilderberg auf meine Art und Weise einen Besuch abzustatten. Ich musste herausfinden, was es mit dieser Organisation aus Schurken wirklich auf sich hatte!
Bekam genug Informationen über die Zugangsvoraussetzungen zu den inoffiziellen Treffen. Ich wusste halbwegs, wie die Zugangspässe aussahen. Wie der Ort um das Hotel beschaffen war. Mit Grafikprogrammen konnte ich bestens umgehen und fälschte mir Zugangspässe mit den Logos des Hotels. Ich malte mir natürlich geringe Chancen aus wirklich auch nur in die Nähe dieser Bonzen zu kommen, wollte es aber trotzdem versuchen.
Das Treffen war Anfang Juni in Dresden. Ich fuhr mit meiner alten aber gut erhaltenen Peugeot Limousine hin. Ich hatte den Wagen in der Dorfwaschanlage noch einmal für Euro 3,00 durch die Waschanlage gejagt. Er sah für meine Verhältnisse und für einen zwanzig Jahre alten PKW aus wie neu. Aber aufgrund der kleinen Delle vorne und der kleinen Schramme hinten, sah ich meine Chancen ins Hotel zu kommen wieder geringer.
Ich hatte meinen alten Anzug an. Den hatte ich immer getragen, wenn ich von meinem regulären Job als Maler nach Hause kam und an den Abenden noch nebenberuflich Aktienfonds verkaufen war. Das Hemd spannte leicht und das billige Deo klebte unter meinen Achseln wie der Kleber, den die Großindustriellen immer an Kinder in Rumänien und Brasilien verkauften, damit diese sich in den Schlaf schnüffeln konnten.
Es nutzte nichts! Ich musste mir vor Ort in Dresden einen schicken Mietwagen nehmen, um überhaupt eine Chance zu haben, auch nur in die Nähe des Hotels zu kommen.
Im Bereich um das Hotel gab es natürlich keinen Parkplatz. Bevor ich der Security verdächtig werden konnte, hatte ich eine alte nobel aussehende Lady erblickt, die halb hilflos neben ihrer Nobel-Limousine stand. Sie trug ein schillerndes, flaschengrünes Kleid, dazu eine passende Handtasche. Ihr Haar war gut umgefärbt worden. Manchen alten Frauen gelang es nicht immer die Vergilbung aus ihren Haaren weißzufärben. Sie haben dann anstatt einheitlich grauer Haare eher sowas wie fliederfarbene Haare. Und sahen aus wie alte Punks.
Diese Lady hier hatte ein edles Silber auf ihrem Kopf. Es sah schon fast aus wie echtes Silber. Und es war mühsam im Stil der 60er Jahre toupiert. Sie sah hilflos aus und ich witterte meine Chance. Ich ging zu ihr, bevor die Security sie ins Korn nehmen konnte. Sie sagte mir in einem guten Englisch, dass sie auf ihren Ehemann wartet und ihn wohl kurz aus den Augen verloren hat. Und, sie hätten doch dieses wichtige Dinner im Hotel.
Ich sagte ihr, dass ich vom Begleitservice bin und das ihr Ehemann bereits im Hotel ist. Und das ich die Aufgabe habe, sie sicher dorthin zu eskortieren.
Sie sagte nur: „REALLY?“.
Sie hatte bereits ihre Zugangskarten in der Hand. Ich hatte keine Ahnung, wo ihr Ehemann wirklich war. Vielleicht zufällig gerade mal pinkeln. Ich nutzte meine Chance, hielt ihr meinen Arm hin, sie hakte sich ein und wir gingen in Richtung Hotel.
Zwei baumlange Afrikaner, links und rechts vom Eingang des Hotels, nahmen uns ins Visier. Ich hatte einst bei einem Urlaub in der Karibik gelernt, dass man, wenn man am Strand seine Ruhe haben will, niemals in Richtung der vorbeistreifenden Einheimischen schauen darf. Wenn man nicht möchte, dass sie dir bunte Glasperlen in die Haare flechten, obwohl man gerade beim Frisör war und gar keine Haare hat. Ich schaute also die beiden Wachposten da nicht an, sondern unterhielt mich scherzhaft mit der alten Lady. Nannte sie laut meine Grandma, sodass es die beiden Wachposten hören mussten. Sie verloren gleich etwas von ihrem Stierblick und nahmen weitere verdächtig aussehende Gäste ins Visier.
Wir kamen ungehindert ins Hotel Bilderberg.
Meine gefälschten Zugangspässe brauchte ich gar nicht, wäre sicher auch in Schwulitäten gekommen als fingierter Besitzer einer großen Zeitungsgruppe der eine vielleicht Baronin oder gar Königin Grandma nennt. Ich war tatsächlich drin und kam mir vor wie auf einer Galamodenschau zur Eröffnung einer neuen Kollektion bei einem Shopping Sender. Hatte das Revue-Blatt meiner Mutter vor Augen. Vorletzte und letzte Seite.
So sahen also die mächtigsten Leute der Welt aus. Wenn man ein wenig den Respekt vor solch hohen Tieren verlieren will, muss man sie sich einfach nur nackt vorstellen. Und, wenn man dann noch einen Rest an Respekt hat, einfach vorstellen wie sie sich beim Sex anstellen.
Es sollten laut der Informationen der Insider exakt 130 Leute geladen sein. Ich nahm aber an, dass es inoffiziell 200 waren. Bis zum Dinner am Tisch zu einem späteren Zeitpunkt würde ich es nicht schaffen. Wahrscheinlich nicht einmal in den offiziellen Tagungsraum, in dem die mächtigsten Menschen der Welt ihre neuesten Scherze planen würden.
Es gab einfach zu viel Security vor einem weiteren abgegrenzten Saal, wo eine weitere Abtastung vorgenommen wurde. Der Haupttagungsort, so nahm ich an. Man würde es sicher nicht wagen, die Super-Promis abzutasten, weil das den unweigerlichen Rauswurf bedeutete. Aber so wie ich aussah?
Egal, ich musste nicht an der Tagung oder am finalen Dinner teilnehmen. Ich wusste längst, worüber in diesem Jahr getagt werden wird. Wozu bestätigt bekommen, was man eh schon weiß?
Ich mischte mich unter das Volk der gerade erst aufstrebenden B-Promis. Ich sah Angela M. und Christian L. aus Deutschland. Nach meiner Liste war Christian L. gar nicht eingeladen. Das Arlene schlampig arbeitete, kam nicht vor. Vielleicht hatte man Christian L. aus aktuellem Anlass nachnominiert.
Ich hielt Smalltalk auf Englisch und Deutsch mit Leuten aus Wirtschaft, Politik, Industrie, und Adel. Alle möglichen Bastarde waren vertreten, die ihre Herrschaft der Unterdrückung des Volkes, der Inzucht und der hinterhältigen Kriege zu verdanken hatten. Und damit seit Jahrhunderten durchkamen. Von den Gästen aus Militär, der Medien und den Geheimdiensten hielt ich mich fern, sperrte aber hinter deren Rücken meine Ohren weit auf. Leider kam ich hier an keinerlei nützliche Information heran. Alles hielt sich bedeckt. Als ob man sich nur mal eben so zu einer alltäglichen Dinnerparty treffen wollte.
Ich wurde auch hier und da gefragt, wer ich bin und was ich denn so mache. Keiner kannte mich und ich musste oft genug sagen, welches weltweit operierende Zeitungsimperium mir angeblich gehört. Bis die ersten dieser Hohlköpfe sich immer sicherer waren, doch schon von mir und meinem Imperium gehört zu haben. Nachher entschuldigten sie sich, weil sie mich nicht gleich erkannt haben. Meine erfolgreiche Unternehmensgruppe war frei erfunden!
Ich trank Champagner mit Leuten und hörte mir deren Erfolgsgeschichten an. Das erinnerte mich an meinen Job im Callcenter, als all die idiotischen Kollegen während der Mittagspause oder den Badminton Abenden permanent nur von der Arbeit sprachen, weil der Partner zu Hause auch schon genervt davon war und sie auch sonst keine Freunde hatten, denen sie es erzählen konnten.
Man knüpfte alte und neue Geschäftsbeziehungen ohne je auszusprechen, welcher Art. Alles ging zu wie bei den eingeschworenen Bauern, nur nicht per Handschlag, sondern durch ein einfaches Kopfnicken oder Augenrollen. Kurz, man gab sich eher bescheiden und bedeckt vorsichtig.
Es gab die üblichen Vertreter großer Versicherungskonzerne, die mich nicht kannten. Ich wusste aber sehr viel über sie. Nach meinem regulären Job als Maler, wenn ich abends meine Aktienfonds vertrieb, habe ich so manchen Bausparvertrag oder eine Kapital-Lebensversicherung für meine Kunden gekündigt. Und ihnen so einen großen finanziellen Verlust über Jahre erspart. Ich hatte dafür Lob von der Verbraucherzentrale in Hamburg geerntet. Damals bekam ich unter anderem mit, wie eine Allianz aus zwei der größten europäischen Versicherungen mit ihren Kolonnen die ehemalige DDR eroberte und die ehemalige staatliche Versicherung der Menschen in der Ex-DDR einfach so aufkaufte. Nebst ihrer Verträge!
Dieselben Scheißer, die damals schon ihre Bausparverträge und durch die Inflationsrate gefressenen Kapital-Lebensversicherungen unter ständig neuen Decknamen anboten, standen jetzt hier gut konserviert, satt und reich immer noch gewissenlos zusammen und tranken seelenruhig ihren Champagner, während überall auf der Welt die gebeutelten Rentner ihren auf 30 Jahre eingezahlten Beiträgen nach heulten.
Obwohl ich schon Jahre keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken hatte, nahm ich mir vor an diesem Abend so viel wie möglich auf Kosten des Hauses zu konsumieren. Von den dicken Zigarren auf dem Sekretär nahm ich direkt mehrere und stopfte diese in meine Hosentasche. Die würde ich in meinem kleinen Shop im Internet gewinnbringend anbieten. Zusammen mit dem Bruchband der Krankenkasse, das ich nie benutzt habe. Ich trank auch den ekelhaften Wein und Sekt des hier so beliebten Barons, der mir schmeckte wie mit den bitteren Tränen und dem sauren Schweiß der Sklaven gemischt, die für ihn seit Jahrhunderten schuften mussten.
Zwischen all den steinalten auf Ewigkeit konservierten und für immer satten Vampiren kamen mir unsere wenigen geladenen deutschen Politiker da wie abgestellte Hotelpagen vor. Deutschland hatte die Arschkarte gezogen. Spätestens seit Onkel Adi waren wir unschuldigen Nachkommen die ewig Schuldigen, die überall auf der Welt zu zahlen hatten. Andere machten die Rechnung, wir Idioten hatten zu zahlen!
Angela stand da. Mir kam das Foto vor Augen, auf dem Angela neben Onkel Helmut saß, mit einer fettigen Pagenfrisur, einem speckigen weißen amerikanischen T-Shirt und einer 15 Deutschmark Walther Jeans von Woolworth, dessen Nachfahren sicher auch hier in dem Hotel anwesend waren. Wie kam sie dahin wo sie jetzt ist? Wie vielen Männern musste sie Zugeständnisse machen? Und welche Art Gefallen dafür erweisen?
Es ist egal, ob Politiker heute vor dem Supermarkt eintönige Luftballons und Fähnchen an dankbare unwissende Kinder und genervte Mütter verteilen. Eines bleiben fast alle populären Politiker immer. Windige, schlechte Verkäufer, die spätestens nach ihrer Wahl satt werden, ihre Ideale und Versprechen verraten und gleich noch ehemalige Partei- und Weggefährten mit entsorgen.
Wäre Angela mal besser in ihrem Job geblieben. Nun war sie auf dem besten Wege ihr eigenes „Lebenswerk“ zu vernichten, nur um in die goldenen Geschichtsbücher der Politik einzugehen. Aber so ist das, wenn man satt und größenwahnsinnig wird und sich immer weiter und schneller vom einfachen Volk distanziert. Dann reicht das simple „Dr.“ auf dem Grabstein nicht mehr aus. Dann muss gleich eine ganze Gruft auf einem eigenen Friedhof her, mit Inschriften der Dankbarkeit groß und lang wie ganze Bestseller-Romane. Dabei kann man nicht einmal das bügelfreie Totenhemd mit ins Reich des vergessen Werdens mitnehmen. Das holt sich der schlaueste von allen Unternehmern zurück. Der Bestatter!
Mir wurde durch den Gedanken an all das gebündelte Pack hier und durch den ekelerregenden Sekt schlecht. Ich konnte nichts essen, weil sich alle dort Unmengen an Fleisch vom Vorab-Dinner rein stopften und für Vegetarier wie mich kein Platz in dieser Art Welt war.
Ich empfahl mich kurz aus der Gesprächsrunde und ging auf die goldene Toilette. Vorbei an zwei baumlangen Afrikanern, die mich nicht bemerkten, weil sie mit den Gattinnen des Abschaums verbotene Blicke austauschten. Ich mochte den Großteil der Afrikaner. Sie hatten auch ihre Art Geschäfte zu machen. Aber im Gegensatz zu manchem weißen Geschäftemacher, der hier und heute, direkt vor Ort, in diesem Hotel auf Menschenfang ging, fraßen die Afrikaner wenigstens nicht ihre eigene Familie, sondern nutzten ihre kleinen Geschäfte, um ihre Familien am Leben zu halten. Ein schneller Fick mit einer der Präsidenten- oder Industriellen-Gattinnen würde ihnen zwar körperlich schaden, aber vielleicht ihr bisschen Trinkgeld an diesem geizigen Abend aufbessern.
Auf der goldenen Toilette war die Situation auch nicht anders, als in jedem kleinen Veranstaltungsort sonst auch. Es liefen zwar nicht eimerweise Pfützen aus Urin den Boden entlang, der aus sauberem weißen Marmor bestand, aber eines hatten beide Orte gemeinsam. Die betuchten Herren standen nebeneinander, manche furzten leicht, andere lauter und ordinärer und man verglich mehr oder weniger heimlich Schwanzlängen. Ließ sich dabei ertappen und führte dann eilig belanglose Smalltalks über das Wetter!
Ich sperrte mich sicherheitshalber in eine einzelne Toilette ein, wartete, bis es sich draußen an den Urinbecken leerte und kotzte den ekeligen Sekt ins Klo. Ich schwitzte ordentlich!
Fühlte mich wie vergiftet. Ich zog meinen billigen Polyester Anzug aus, wischte mir das wie Patex klebende Deo vom Discounter ab und sprühte mir etwas von dem Raumduftspray unter die Arme. Dann klemmte ich mir neues weiches Toilettenpapier zwischen die Arschbacken, betätigte die goldene Toilettenspülung des Gastgebers und Inhabers der Hotelketten aber nicht, sondern steckte mir etwas von dem schönen weichen Papier und die kleine, edle Flasche mit dem Raumduftspray in die Hosentasche. Wer war wohl hier der größere Bandit?
Ich ging hinaus und wollte mich so schnell und so weit wie möglich aus diesem gefährlichen Areal wegbewegen, bevor mein dreistes Eindringen aufflog.
Ich rannte genau in den Elfenbein farbigen Blick des Afrikaners, der genau eine Millisekunde später auf meine ausgebeulten Hosentaschen schaute. Sofort kickte ich meine kunstledernen Businessschuhe weg, die mich seit Stunden drückten und rannte durch den Ausgang.
Draußen saßen zwei gelangweilte kleine Chauffeure, die mir schon aufgefallen waren, als ich hier ankam. Denen rief ich auf Italienisch zu „Bombenalarm!“. Sie wären fast ohne mich abgefahren. Ich schaffte es so gerade noch in die Limousine zu springen. Die beiden Italiener redeten in ihrer Sprache nervös auf mich ein. Ich mochte Italiener und nickte immer nur hektisch, verstand aber kein Wort. Ich sagte immer nur die einzigen beiden Wörter, die ich auf Italienisch wusste. „Bombenalarm“ und das Wort „ja“. Für irgendwas musste sich mein Faible für billige, schießwütige Spaghetti-Western irgendwann bezahlt machen. Fernsehen bildet!
Ich ließ mich gar nicht mehr zu dem schicken Leihwagen fahren, den ich mir für diesen Anlass gemietet hatte. Er war mir egal und gehörte sicher sowieso zu einem Unternehmen der korrupten Schweine hier und heute. Die beiden freundlichen Chauffeure brachten mich sicher durch alle eiligst eingerichteten Kontrollen bis zum Bahnhof. Ich fand meinen treuen alten Peugeot dort wieder und fuhr langsam und möglichst unauffällig bis zur Stadtgrenze. Hinter mir begann das Chaos bereits. Es wurde weiter abgesperrt. Einsatzwagen mit Sirene und Blaulicht fuhren in Richtung Hotel.
Sofort auf der Zufahrt zur Autobahn gab ich Stoff. Ich schaffte die Strecke von Dresden bis in mein Dorf in der Rekordzeit von nur 4 Stunden und 45 Minuten. Dort angekommen deckte ich mich für meine letzten fünfzig Euro mit Lebensmitteln von der Tankstelle ein. Der Tankstellenpächter sah erstaunt an mir herunter. Mein Anzug war verschwitzt und ich kam ihm ohne Schuhe recht verdächtig vor. Dann parkte ich meinen Wagen in der Garage, stellte Türklingel, Smartphone und Festnetzanschluss aus und ging einige Tage in meiner abgedunkelten Dachwohnung auf Tauchstation. Nichts geschah!
Tage später neigten sich meine wenigen Vorräte dem Ende zu. Ich tauchte wieder auf.
Die schwarze Kunststofffolie auf den Doppelglas Fenstern schützte mich schon seit Jahren vor der Außenwelt. Ich ging vorsichtig ins Internet, wählte den mir sichersten meiner vier E-Mail Accounts aus und schaute in den Eingangsordner.
Von 23 Eingängen waren 21 unwichtig. Ich öffnete die mir vertraute Email Nr. 22. Es war Arlene!
Sie schrieb mir von einem kleinen Vorfall, der sich beim diesjährigen Treffen der Bilderberger ereignet haben soll. Die offiziellen großen Medienhäuser, Sendeanstalten und Internetmedien vertuschten den Vorfall allesamt und taten ihn ins Reich der ewig spinnenden Verschwörungstheoretiker ab.
Es wurde lediglich von einem kleinen, tragischen Verkehrsunfall nicht einmal in der Nähe des Tagungsorts berichtet, bei dem ein bekiffter Afrikaner und zwei betrunkene Italiener zu Tode kamen.
Ich schrieb Arlene kurz das Wort „REALLY?“ zurück. Sie wusste ja nichts von meiner Aktion in Dresden. Und das war auch besser so. Für unser beider Sicherheit!
Ich öffnete Email Nr. 23. Sie war von der Polizei!
Haushaltsgeld September 2017
Einkommen
EU-Rente Euro 569,00
Wohngeld Euro 88,00
Gesamteinkommen Euro 657,00
Ausgaben
Essen Monat Euro 80,00
Benzin Auto Euro 40,00
Benzin Motorrad Euro 20,00
Vers. Motorrad / 1/2 Jahr Euro 50,00
Rate Waschmaschine Euro 40,00
Gebühr Wohnberechtigungsschein Euro 10,00
Miete, Garage, Strom Euro 320,00
Netcologne Euro 30,00
KfW Bank Meisterkredit Euro 31,00
Gesamtausgaben Euro 645,00
Restguthaben September Euro 36,00
Haushaltsgeld Oktober 2017
Einkommen
EU-Rente Euro 569,00
Wohngeld Euro 88,00
Gesamteinkommen Euro 657,00
Ausgaben
Essen Monat Euro 80,00
Benzin Auto Euro 60,00
Benzin Motorrad Euro 00,00
Vers. Auto / 1/4 Jahr Euro 78,00
Rate Waschmaschine Euro 40,00
Entgelt Konto Euro 06,00
Miete, Garage, Strom Euro 320,00
Netcologne Euro 30,00
KfW Bank Meisterkredit Euro 31,00
Gesamtausgaben Euro 645,00
Restguthaben Oktober Euro 12,00
Texte: Ralf Dellhofen
Bildmaterialien: Ralf Dellhofen
Tag der Veröffentlichung: 02.09.2017
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich schreibe unter meinem richtigen Namen Kurzgeschichten, Anekdoten, Gedichte und Rezensionen in den Bereichen Lyrik und Poesie, Musik, Satire, Humor, Ratgeber und Philosophie. Unter meinem anderen Pseudonym „Captain Ralf“ schreibe ich eher verrücktes Seemannsgarn. Zu 95 Prozent wahr, der Rest übertrieben dargestellt.
Die Collagen erstelle ich mit Photo Filtre selbst (freeware)