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Blindlings hetzte er durch den Wald. Schon lange hatte er die Orientierung verloren, im trüben Licht des Vollmondes sahen alle Bäume gleich aus. Trotzdem rannte er weiter, rannte einfach ohne sich umzudrehen und hoffte, dass sie ihn nicht einholten.
Laub raschelte und Äste knackten unter seinen Füßen, doch alles was er hörte waren sein pfeifender Atem und das laute Schlagen seines Herzen.
An einem Stein blieb er hängen und stolperte. Im letzten Moment fing er sich und hastete weiter.
Wenn sie ihn einholten würde er sterben.
Schatten huschten zwischen den Stämmen umher wie heimliche Verfolger. Zweige griffen wie lange knochige Finger nach ihm und Blätter strichen kühl über sein Gesicht während er durch das Unterholz stürmte.
Wolken zogen vor den Mond und für kurze Zeit wurde es stockfinster im Wald. Seine Schritte wurden langsamer, mit ausgestreckten Armen tastete er sich hektisch weiter durch das Labyrinth. Dumpfe Trommelschläge verfolgten ihn. Es dauerte einen Moment bis er begriff, dass es sein eigenes Blut war, das ihm im Schädel dröhnte.
Als er wieder etwas mehr sehen konnte wurde er wieder schneller. Er musste laufen bis er endlich in Sicherheit war.
Sein rechter Fuß verfing sich in einer Wurzel. Erneut stolperte er. Doch dieses Mal fand er sein Gleichgewicht nicht wieder. Und stürzte. Hart schlug er auf dem Waldboden auf, der Aufprall presste ihm alle Luft aus den Lungen.
Benommen rollte er sich auf den Rücken und blieb liegen. Er versuchte zu atmen doch tausend Nadeln stachen ihn glühend in die Brust. Nach einer Weile verblasste der Schmerz zu einem unterschwelligen Pochen. Sein Atem beruhigte sich und er begann seine Umgebung genauer wahrzunehmen.
Aus Dunkelheit wurden die verschiedensten Schattierungen von silber, grau und blau. Ein frischer Wind ließ Blätter rauschen und Holz knarren, als wären die Bäume lebendig . Der kühle Hauch trocknete den Schweißfilm auf seiner Haut und ließ ihn frösteln. Doch mit dem satten schweren Geruch feuchter Erde strömte eine seltsame Gelassenheit durch ihn hindurch.
Er könnte einfach hier liegen bleiben und darauf warten, dass sie kamen. Sie würden es nicht riskieren ihn noch einmal entwischen zu lassen, sie würden es schnell machen. Und er konnte schließlich nicht die ganze Nacht lang weiter rennen.
In der Ferne grollte leiser Donner. Die Luft roch nach Regen.
Er machte es sich etwas bequemer und wollte gerade die Augen schließen. In diesem Moment schoss ein schwarzer Schatten über ihn hinweg und verdunkelte kurz den Mond. Er spürte ihn mehr als dass er ihn sah. Den zitternden Luftstrom riesiger Schwingen.
Das tiefe Flattern ließ seinen Willen wieder aufleben. Etwas zog ihn weiter, wollte verhindern, dass er seinen Jägern in die Hände fiel. Er setze sich auf. Es war ein verlockender Gedanke einfach hier zu bleiben und dem Davonlaufen ein Ende zu machen. Doch eine leise Stimme in seinem Hinterkopf widersprach bestimmt. Er durfte jetzt nicht den Mut verlieren und aufgeben. Nicht nachdem er so weit gekommen war. Damit würde er alles verraten, was ihm lieb und wichtig war.
Von fremden Mächten beflügelt rappelte er sich auf.
Bevor er seinen Weg fortsetzte wandte er sich noch einmal um. Er hätte es nicht tun sollen. Etwas entfernt ertönte wildes Hundegebell. Und dieses Mal war es keine Einbildung. Die Laute klangen seltsam hohl und gedämpft zwischen des Bäumen und ließen ihm den Atem stocken.
Ohrenbetäubender Donner erscholl über ihm und riss ihn aus seiner panischen Starre. Der Geruch nach Regen wurde noch intensiver und die frische, beinahe schon scharfe Luft verdrängte Angst und Verzweiflung. Entschlossen eilte er los.
Etwas folgte ihm dicht auf, etwas Großes und Dunkles. Doch er achtete nicht darauf sondern lief einfach weiter.
Dunkle Wolken zogen sich am Himmel zusammen. Die ersten Regentropfen fielen. Er hörte jeden einzelnen im Blätterwerk aufklatschen, keiner erreichte den Boden. Blitze tauchten noch im dichten Unterholz alles in gleißendes Licht, aber er fand seinen Weg auch in der darauffolgenden Finsternis sicher.
Das Kläffen der Meute konnte der Donner bald nicht mehr übertönen. Sie hatten ihn beinahe eingeholt. Auch Hufgetrappel und vereinzelte Rufe konnte er jetzt hören. Sein Ehrgeiz schwand und die Verzweiflung brodelte auf und drohte ihn zu überwältigen. Er wurde langsamer. Wie hatte er denken können, er hätte eine Chance zu entkommen?
Ein donnerndes Brüllen ließ die Nacht erzittern. Alles verstummte. Selbst die Regentropfen schienen lautlos zu fallen. Erschrocken blieb er stehen und sah zurück. Ins düstere Nichts. Die Dunkelheit war vollkommen.
Er wusste nicht wie lange er dagestanden und gewartet hatte, auf irgendetwas. Doch er schien allein in der Stille. Bis ihm der beißende Geruch von Rauch entgegen wehte. Der Wind fand sein Wispern wieder und der Regen fiel sanft rauschend mit ein. Ein warmes Glühen vertreib die Schwärze.
Erst als es immer heller wurde, sich ein Fauchen und Knacken im Wald ausbreitete und die Schreie von Menschen und Tieren herüberklangen, begriff er was er sah. Das Feuer griff rasend schnell um sich, trotz der Nässe. Bald trennte ihn eine undurchdringliche Wand aus tanzenden Flammen von seinen Verfolgern.
Ein unangenehmes Kribbeln im Nacken ließ ihn sich schließlich von den leuchtenden Schauspiel abwenden. Eine riesige dunkle Gestalt ragte einige Schritte hinter ihm auf, die lichter werdenden Stämme boten ihr gerade genug Platz. Doch trotz der lodernden Helligkeit war sie kaum mehr als ein undeutlicher Schatten vor schwarzen Hintergrund.
Er erstarrte. Seine Gedanken waren genauso eingefroren wie seine Beine. Bevor er wieder zu irgendeiner Bewegung fähig war setzte sich die Gestalt langsam in Bewegung. Jeder Schritt war ein kleines Erdbeben und scharfe glänzende Klauen rissen den Boden auf. Das trockene Rascheln von Schuppen begleitete ein tiefes Schnaufen.
Ein schwarz geschuppter Reptilienkopf senkte sich herunter und er sah direkt in ein riesiges dunkelrotes Auge. Der durchdringende Blick ließ ihn erschaudern. Er fühlte sich klein und nackt und all seiner Geheimnisse beraubt. Doch in der blutroten Tiefe funkelte die Weisheit einer Ewigkeit. Es war unmöglich sich abzuwenden.
Schließlich trat das Wesen etwas zurück und er konnte sich wieder bewegen. Erst jetzt bemerkte er, dass er die ganze Zeit die Luft angehalten hatte und sein Herz klopfte wild. Es beruhigte sich auch nicht als er den mächtigen Leib gebannt musterte, doch es war keine Furcht mehr, die es antrieb.
Ein tiefes Grollen ließ seine Aufmerksamkeit wieder hinauf zu dem rätselhaften Auge wandern. Sanfte Ungeduld blitzte darin auf. Langsam ging er an der Gestalt vorbei. Nach ein paar Schritten drehte er sich noch einmal um. Der schwarze Drache beobachtete ihn regungslos. Dann wandte er sich wieder ab und eilte weiter, das ungezähmte Gewitter über sich und den Baumkronen und den Geruch von Feuer und Wildheit in der Nase.
Plötzlich waren die Bäume zu Ende. Regen prasselte ihm ins Gesicht, durchnässte sein Haar und seine Kleider. Hinter ihm schlugen die Flammen hoch in den Himmel. Doch er blickte nicht mehr zurück.

Impressum

Texte: Fuchsfee
Bildmaterialien: A. Dreher / pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 13.04.2012

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