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There’s still a long way to go…




"Tut mir leid, aber wir transportieren keinen Sperrmüll", knurrte ein verärgerter Busfahrer von seinem Polstersitz herunter.
"Erstens ist das ein Bett und kein Sperrmüll und zweitens ist das hier wirklich dringend!"
Adam war verzweifelt. Mit der freien Hand fuchtelte er wild durch die Luft, als könne er dort Verständnis für seine verfahrene Situation erhaschen. In der rechten hielt er das Gestänge eines in seine Einzelteile zerlegten Bettes.
"Ich muss Richtung Oxford, bitte!"
Es war bereits der dritte Bus, der es ablehnte, ihn mitzunehmen und es blieben ihm nur noch wenige Stunden, um das Bett nach Oxford zu verfrachten, seinen Computer dort abzuholen und nach London zurückzukehren.
"Ich kann es so oft wiederholen wie du willst, es wird sich aber nichts daran ändern: sperrige Gegenstände sind ein Sicherheitsrisiko, das ich nicht riskieren kann."
Und die Tür des Busses schloss sich mit einem pneumatischen Zischen. Im vorbeifahren warfen die Passagiere Adam mitleidige Blicke zu, eine ältliche Dame mit Hut schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, doch Adam sank nur kraftlos zu Boden.
Schlapp saß er neben den beiden verschnürten Bündeln, die richtig zusammengebaut ein Bett waren, wenn auch ohne Matratze. Er wusste, dass sein Freund die Nacht auf dem Boden verbringen musste, wenn er es nicht zu ihm brachte. Viel schlimmer aber: seine Mutter würde ihn hassen.
Denn nur im Austausch konnte er den Computer wiederbeschaffen, den er hätte eigentlich nicht hergeben dürfen. Wenn er nicht auf seinem angestammten Platz auf dem Schreibtisch zwischen Lampe und Bonsai stand - und seine Mutter würde das definitiv als erstes beim Betreten der Wohnung bemerken - würde er ihn mit Sicherheit in den kommenden Wochen nicht mehr sehen geschweige denn benutzen können.
Und das bedeutete wiederum, dass er die E-Mail seiner Freundin, die er für heute Abend erwartete, nicht beantworten können würde, was ihn die Beziehung kosten konnte. Das Mädchen war launisch, egozentrisch und hasste nichts mehr, als ignoriert zu werden. Ihr Charakter war schwierig und facettenreich und darum liebte er sie so sehr, aber der Beziehung hatte das bislang nur Konflikte eingebracht.
Am Anfang hatte Adam davon noch nichts geahnt. Die Nacht war nicht mehr jung, als er sie auf der Tanzfläche wirbeln sah, ihr schwarzes Haar ein wehender Vorhang um ihr Gesicht, der nur ab und an den Blick auf ihre strahlenden Auge frei gab, die so dunkel und tief waren wie die schottischen Seen. Er ging auf sie zu, nicht geradewegs, aber zielstrebig, weil er angetrunken war und seine Schüchternheit verflogen.
"Hey", schrie er ihr entgegen. Doch sie brauchte keine Worte, um ihn vollends zu verführen. Eine leichte Berührung ihrer Hand auf seiner Schulter, mehr Teil des Tanzes als wirklich dazu bestimmt, mit ihm zu kommunizieren, reichte aus, um ihn vollkommen in ihren Bann zu ziehen. Ihre Küsse und Worte waren süß, ihre Blick bannten ihn. Sie schuf ein Band zwischen ihnen, das verworren und stark war.
Irgendwann dann hatte die Nacht ein Ende, doch das Band hielt sie zusammen.
Adam schwirrte pausenlos um sie herum, wie ein Insekt um eine duftende Blüte, umwarb sie mit allen Kräften, um sie nicht zu verlieren. Sie lächelte nur dazu und sonnte sich in seiner Anbetung.
Doch es dauerte nicht lange, da wurde das wankelmütige Mädchen Adams normalem Lebenswandel überdrüssig. Als er vorschlug, den gleichen Club noch einmal zu besuchen lachte sie ihn aus und ließ sich als Entschuldigung für seine Einfallslosigkeit von ihm zum Essen einladen. Es durfte keine Wiederholungen geben in ihrem Leben, denn sie schienen ihr Zeitverschwendung zu sein in einem Leben, das viel zu kurz war, um auch nur eine Sekunde davon nicht voll zu genießen. Sie suchte den Dauerrausch, um zu vergessen, wie nichtig ihr Leben doch eigentlich war, schlimmer noch, wie düster.
An den Wochenenden wollte sie reisen, die Welt sehen. Viel weiter als in die um London gelegenen Städte kam sie mit Adams Geld nicht, aber irgendwie musste si ihren Bewegungsdrang stillen, also gab sie sich missmutig damit zufrieden, während Adam sich bemühte, sie mit kleinen Geschenken aufzuheitern.
So gelangten sie auch nach Oxford, wo Adams Familie einige Bekannte hatte und so auch er selbst einige Freunde dort wusste. Sie nahm das gleichgültig zur Kenntnis, begrüßte auch die Freunde, wusste aber nichts mit den wohlerzogenen Kindern englischer Mittelständler anzufangen. In ihren Adern pochte irisches und schottisches Blut, eine verhängnisvolle Kombination aus Kälte und Feuer, ihre Mutter war arbeitslos und depressiv, ihren Vater kannte sie nicht.
Die Nacht verbachten sie aber dennoch in den Betten von Adams Bekannten, denn den letzten Bus hatten sie schon verpasst.
"Kein Problem", meinte Benny am nächste Tag. "wir haben immer ein Bett frei! Wir können euch auch gleich mit zurück nach London nehmen, meine Ma will sowieso noch einkaufen..."
Adam nahm das Angebot dankbar an. Schockiert aber war er über ihre nächste Dreistigkeit:
„Wenn ihr ein Bett sowieso immer frei rumstehen habt, dann könnt ihr es auch mir mitgeben. Ich habe nämlich nur eine Matratze.“ Und sie sah Benny an, als wäre seine Zustimmung das Selbstverständlichste auf der Welt.
Adam geriet in Panik. Er wusste, dass sie es gewohnt war, zu bekommen, was sie wollte, wenn nicht, dann musste er tagelang ihre schlechte Laune ertragen. Und das bedeutete bei ihr nicht nur heruntergezogene Mundwinkel, sondern zerbrochene Fensterscheiben und zerfetzte Bücher.
Hastig zog er also Benny beiseite und schlug folgendes vor: „Ich weiß, das klingt verrückt, aber bitte gib ihr das Bett. Ich bring es auch zurück, so schnell ich kann, sobald ich ihr ein eigenes besorgt habe.“
„Wenn du ihr sowieso eines besorgst, wozu braucht sie dann meines?“
„Das brauchst du nicht zu verstehen, nein, man muss sie nicht verstehen, aber ich bitte dich… tu mir diesen Gefallen! Du kannst dafür meinen Laptop mitnehmen und dir die Filme rüber ziehen, die du immer mal haben wolltest, na?“
Ihr Wille geschah, wenn auch über Umwege.
Und so war es gekommen, dass Adam nun einsam mit einem Bett an seiner Seite an der Bushaltestelle saß und sich fragte, wieso ausgerechnet er sich hatte in eine solch verfahrene Situation bringen lassen.
Doch er kannte den Grund. Er hatte Haare, schwarz wie die Nacht, eine Haut, so blass, als könne sie kein Sonnenstrahl berühren, Augen, in denen ein Feuer aus Eis loderte und einen Willen, so stürmisch, dass sich alles unter ihm beugen musste.
Adam hatte noch einen langen Weg vor sich an diesem Tag: bis nach Oxford und bis zu der bitteren Einsicht, dass er einer Hexe verfallen war.

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Tag der Veröffentlichung: 18.08.2008

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