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Es war nur ein Traum!

 

Erschrocken fährt Amilia hoch.

„Was ist denn...?“
Das Mädchen schaut sich verwirrt um. Ihr Blick wandert durch einen, nur schwach beleuchteten, Raum. Auf dem Teppich vor dem Bett sind ein paar Spielsachen und ein Malblock. Jetzt ist sie sich sicher: Sie ist in ihrem Zimmer, in ihrem Bett. Irritiert steht Amilia auf und trottet auf den Flur. Noch immer vollkommen durcheinander von ihrem Albtraum, schleift sie sich die Treppe hinunter, bis in die Küche. Dort angekommen spritzt sie sich Wasser ins Gesicht und trinkt ein wenig. Licht geht an und eine verschlafene Stimme ruft:

„Amilia, bist du das?“

„Ja Mutter. Ich geh gleich auch wieder schlafen. Mach dir keine Sorgen, die anderen sind nicht wach.“

„Ok Schatz, aber sei bitte leise.“

Ein Lichtschalter wird wieder betätigt. Amilia wankt wieder zurück nach oben und verschließt, ohne ein Geräusch, ihre Zimmertür. Sie setzt sich auf ihren Teppich und starrt die Drachenfigur aus gummiartigem Material vor sich an. Mit ihrer Hand schiebt sie ihn barsch beiseite und schnappt sich ihren Malblock, sowie einen Bleistift und ihre Farben. Flink zeichnet sie eine detailreiche Skizze und malt diese flüchtig mit bunten Farben aus. Danach krabbelt sie wieder in ihr Bett und schläft ein.

*

„Amilia?“

Eine leise Stimme ertönt.

„Amilia!“

Ein kleiner Blondschopf rüttelt sanft an Amilias Schulter.

„Hey, Amilia aufstehen.“

Langsam öffnet das Mädchen ihre Augen und starrt ihren kleinen Bruder verdattert an.

„Paul? Was machst du hier?“

Amilia stöhnt leise und richtet sich auf.

„Mom hat gesagt ich soll dich wecken.“

Ein Strahlen liegt auf dem Gesicht des kleinen Jungen. Als er sich umdreht, mustert er den Block seiner großen Schwester skeptisch und setzt sich daneben. Sein Blick fixiert die Zeichnung, die Amilia in der Nacht angefertigt hat.

„Was ist das?“

Amilia schaut sich kurz das Bild an, dann antwortet sie emotionslos:

„Davon habe ich gestern geträumt. Es ist eine Art Drachen, nur halt mit Fell und statt Klauen hat es Krallen wie ein Vogel, nur andersherum, also vorne eine und hinten drei Krallen.“

Paul deutet auf ein paar Buchstaben, die krikelig danebengekritzelt wurden.

„Was steht da?“

Amilia reibt sich die Augen, bevor sie das Blatt Papier näher betrachtet, um die Buchstaben zu entziffern.

„Da steht "Dafüx". So hießen die Wesen.“

„Kinder, kommt essen! Frühstück ist fertig.“, hallt die Stimme ihrer Mutter durch den Flur.

Beide hopsen hoch und laufen Richtung Küche.

 

 







Wo ist die Sonne?

 

„Mädchen? Hallo. Kleines Mädchen?

Eine seltsame, dunkle Stimme dringt an mein Ohr. Erschrocken weite ich meine Augen und blicke sogleich in ein mit Kratzern übersätes Gesicht.

„Na endlich! Wurde aber mal Zeit. Du schläfst bereits seit drei Finsternissen

„Was? Wer sind Sie? Was mache ich hier?

Ein rauchiges Lachen drängt aus der Kehle dieser gruseligen, jungen Frau.

„Ich bin Xeryf und ich habe dich in einem Abgrund gefunden. Weißt du, wer du bist?

Ich überlege, an was ich mich erinnern kann. Ich.... Ich kann mich an gar nichts erinnern. Weder wie ich zu diesem Ort gelangt bin, noch wer ich bin. Zögernd schüttele ich meinen Kopf.

„Wo bin ich hier?

„Du bist in Emphira. Um genauer zu sein: Im Grozya Sopphax.

„Was bitteschön? Was zur Hölle? Große Sofa?

Nun bricht mein beängstigendes Gegenüber in schallendes, helles Gelächter aus, welches sehr seltsam, wegen der dunkle Stimme, klingt.

„"Grozya Sopphax" heißt soviel, wie "vereiste Klippen". Wir sind in einem Land, in dem es viele Berge aus Stein gibt. Das hier ist das kälteste Gebiet, was es in Emphira gibt.

Jetzt bin ich immer noch nicht schlauer. Ein großes Sofa hätte mir besser gefallen, als diese komplizierten Erklärungen, die ich ja doch nicht verstehe.

„Aha...

Ich stehe auf und schau mich um. Ich befinde mich, glaub ich, in einem kleinen Steinhäuschen. Allerdings gibt es hier nur einen einzigen großen Raum. Ich sehe eine Art Bett, mit vielen Stoffdecken und anscheinend selbstgemachten Kissen. In den Wänden sind Regale mit eingearbeitet. Überall sehe ich verschiedene Gefäße. Durch manche kann ich hindurchsehen, durch manche nicht. In den meisten befinden sich Gräser oder Beeren. Einige sind mit Flüssigkeiten gefüllt. 

„Möchtest du was trinken?“, ertönt die Stimme hinter mir.

Ich nicke und sogleich wird mir ein handliches Gefäß mit einer leicht rosa leuchtenden Flüssigkeit gereicht.

„Was ist das?“, frage ich skeptisch.

Die weißhaarige Frau schaut mich ungläubig an.

„Wasser. Wasser aus unseren Ozeanen.

Ich starre in die Flüssigkeit. Das soll Wasser sein? Wohl kaum. Wasser ist nicht rosa. Oder? Vorsichtig nippe ich daran und irgendwas sagt mir, dass es sich anders anfühlt, als sonst. Geschmack hat diese Flüssigkeit nicht, aber man fühlt sie gar nicht richtig im Mund. Sie ist so weich, als würde ich dichten Nebel trinken.

„Wir brauchen einen Namen für dich“, reist mich dieses merkwürdige Weib aus meinen Gedanken.

„Du trägst eine goldene Kette mit einem "A" darauf. Ich hab mir gedacht ich nenne dich deshalb ab jetzt Arixon. Das heißt sowohl "die Unwissende", als auch "die Seltene". Ferner bedeutet es auch "die Neue", daher finde ich den Name vollkommen passend.

„Arixon.“, wiederhole ich leise und versuche mir diesen Namen einzuprägen.

„Komm, wir gehen raus. Vielleicht fällt dir ja wieder ein, was du hier gemacht hast, bevor du von den Klippen gestürzt bist. Ich denke du hast dir den Kopf angeschlagen und hast deshalb alles vergessen. Nur komisch, dass du keine einzige Wunde hattest...

Die Frau umklammert mein Handgelenk und schleift mich zur Tür. Ganz gegen meiner Erwartung, sehe ich eine Treppe nach oben, als Xeryf die Tür öffnet. Wir stapfen hoch. Xeryf klappt eine Luke, die sich über unseren Köpfen befindet, auf und wir steigen hindurch. Oben angelangt erkenne ich weit und breit nichts, außer Weiß. Der ganze Boden ist weiß. In der Ferne erkenne ich Pflanzen, Bäume. Auch weiß. Hier kann doch nicht alles weiß sein! Mit meinem Fuß schiebe ich den Schnee unter mir zur Seite und erkenne unter einer Eisschicht Stein. Grauen Stein! Also ist nicht alles weiß!

Als die Frau neben mir mein Verhalten bemerkt, erklärt sie es mir:

„Wie schon gesagt, wir sind in Grozya Sopphax. In dem Land der vereisten Klippen. Hier gibt es ausschließlich Gesteinsboden. Außerdem schneit es hier oft. Meistens nach fünf, spätestens sechs Finsternissen fängt der Schnee wieder an. Es ist noch nicht lange her, seit es das letzte Mal geschneit hat. Wenn du lange genug bleibst, siehst du die Gegend auch mal, wenn kein Schnee da ist.<

„Was meinst du die ganze Zeit mit den Finsternissen?“, frag ich verdutzt.

Xeryf schaut mich durchdringend an.

„Jedes Mal, wenn das Licht verschwindet, ist es Finsternis.

„Und wie lange hält so etwas an?

„Eine Finsternis dauert halb solang, wie die Zeit, in der es hell ist.“, fährt Xeryf langsam fort.

Muss man das verstehen? Ich glaub eher sie weiß selbst nicht viel darüber. Klingt fast so, als hätte sie keine Worte, mit denen sie mir das beschreiben kann.

Ich schaue mich weiter um. Jetzt bin ich vollkommen verwirrt. Ich starre zum Himmel und stelle verwundert fest, dass es keine Quelle für das Licht gibt. Ich deute hinauf in den Himmel.

„Wo ist die Sonne?

„Sonne?

Mein Gegenüber mustert mich und erklärt dann:

„Arixon, ich weiß nicht, wovon du redest.

Erschrocken starre ich sie an. Sie kann das doch nicht ernst meinen! Oder doch? Spinne ich denn? Woher kenne ich das überhaupt? Sonne... Ich weiß, wie das aussieht, was ich mein, weiß aber nicht woher.

„Aber... Ok. Woher kommt das Licht denn dann?

„Kleine, das weiß niemand. Hier in Emphira sind Dinge einfach. Sie kommen nicht irgendwoher, sondern sind.

Vielleicht bin ich die Einzige, die weiß, dass das Licht irgendwo herkommen muss. Vielleicht bin ich die Einzige, die schon mal eine Sonne gesehen hat. Eventuell bin ich ja eine Entdeckerin? Könnte doch sein, dass ich Geheimnisse, wie dieses, aufdecken wollte und auf meiner Reise diese vereisten Klippen hinunter gefallen bin...

„Xeryf, glaubst du es gibt hier irgendwo eine Sonne? Vielleicht hast du sie ja nur noch nie gesehen? Ich komme bestimmt daher, wo es diese Sonne gibt.

„Um ehrlich zu sein glaube ich nicht, dass es so etwas gibt. Etwas, das Licht hervorbringt und irgendwo am Himmel sein soll. Arixon, ich kann dir versichern, wenn irgendwer so etwas schon mal hier gesehen hätte, wüsste ich davon.

Jana kommt...

 

„Amilia! Verdammt, wach endlich auf!“

Eine laute Stimme schreit dem kleinen Mädchen entgegen.

„Was ist denn?“, fragt dieses verwirrt und doch genervt.

„Gott! Du bist auf dem Sofa eingepennt! Steh endlich auf! Du musst mir helfen den Einkauf reinzubringen und dann wegzupacken.“, brüllt Amilias große Schwester ihr entgegen.

„Warum bist du so sauer Hannah?“

„Kann dir doch egal sein! Komm jetzt endlich.“

Mit steifen Gliedern schleppt sich Amilia raus zum Wagen und hilft mit.

„Hannah, sag schon. Was hast du denn? Warum, verdammt, bist du so schlecht drauf?“

Hannah rollt extra auffällig mit ihren Augen und seufzt laut.

„Wenn du es unbedingt wissen willst... Jana hat mit Mom abgesprochen, dass sie für zwei Wochen bei uns bleibt. Sie will anscheinend Urlaub bei ihrer Familie machen.“

Wieder verdreht die Große ihre Augen und stöhnt auf.

„Was meinst du, was das für uns bedeutet? Jemand wird sich mit ihr das Zimmer teilen müssen und wir müssen vorher alles schön für sie herrichten! Sprich, das ganze Haus putzen und Mom bei allem Möglichem helfen.“

„Jana kann bei mir schlafen! Ich hab nichts dagegen. Außerdem macht das mit dem Aufräumen auch keinen großen Unterschied. Wir helfen Mom doch sowieso immer.“

Amilias Schwester gibt ihr eine Kopfnuss und verschwindet mit der Einkaufstüte in der Küche.

„Hey!“, brüllt die Kleine nur zurück und tippelt ihr nach.

*

„Was malst du da?“

Hannah hat sich über Amilia gebeugt, um ihr Bild erkennen zu können.

„Ich möchte die Sachen, die ich vorhin geträumt habe, aufmalen. Das hier ist Xeryf.“, Amilia deutet auf ein Bild an der Seite.

„Sie war voll merkwürdig. Hat mir versucht Sachen zu erklären aber danach verstand ich noch weniger. Irgendwie war sie unheimlich aber ihre langen weißen Haare waren wunderschön!“

„Cool, die hat ja zwei verschiedene Augenfarben! Blau und Braun.“, wirft Hannah ein.

Amilia nickt glücklich. Dann deutet sie auf das Bild vor sich.

„Das ist da, wo sie wohnt. Sie wohnt unter der Erde. Wir mussten erst eine Treppe hinauf, um auf dieses weiße Land zu kommen. Irgendwas war auch mit dem Wasser, was sie mir zu trinken gegeben hat, aber daran kann ich mich nicht mehr erinnern.“

Verblüfft mustert Hannah die Zeichnungen.

„Du kannst echt gut malen! Ohne Witz, die sehen ja fast aus wie von einem richtigen Künstler.“

„Hm. Eigentlich kann ich nicht gut malen. Zumindest nichts, was ich nicht direkt vor mir habe. Nur diese Bilder sehe ich einfach so deutlich vor meinen Augen... Ich weiß auch nicht. Ist fast so, als wäre ich erst gerade aufgewacht und meine Augen eigentlich noch im Traum drin.“

Eine Weile herrscht Schweigen. Hannah verschwindet kurz aus dem Zimmer und trottet Richtung Zimmer ihrer Mutter. Nach ein paar Minuten kommt sie zurück.

„Amilia, es ist schon spät. Ich glaub wir sollten dich und Paul so langsam ins Bett stecken. Mom meinte, Paul hätte seit einer Stunde im Bett liegen müssen.“

„Von mir aus. Hab die Bilder sowieso fertig und bin todmüde.“

„Wie geht das, frage ich dich? Du hast heute morgen schon ziemlich lang ausgeschlafen und dann hast du mittags auch schon auf dem Sofa gepennt.“, erstaunt starrt Hannah ihre kleine Schwester aus großen Augen an.

Amilia zuckt nur mit den Schultern und geht sich die Zähne putzen.

„Schlaf halt gern!“, gurgelt sie laut durch die Zahnpasta in ihrem Mund hindurch.

„Mom meint, Jana kommt übermorgen. Wir sollen ihr morgen nach der Schule bei der Hausarbeit helfen.“, wechselt Hannah kurzerhand das Thema.

„Soll mir recht sein.“, entgegnet Amilia nur.

„Ja. Du bekommst ja auch immer die einfachsten Aufgaben! Was für ein Fluch, dass ich älter bin als du! Ich möchte auch wieder zwölf sein!“

„Tja, tut mir Leid Schwesterherz. Die Gelegenheit hattest du vor vier Jahren. Jetzt bin ich dran.“

Mit diesen Worten stapft Amilia an Hannah vorbei und schmeißt sich auf ihr Bett.

„Nacht, kleine Ratte.“, zischt Hannah noch, bevor sie die Tür zuzieht und dann ihren kleinen Bruder schlafen legt.

Erste Begegnung?

 

Etwas tropft mir aufs Gesicht. Ohne darüber nachzudenken wische ich es ab, nur um dann festzustellen, dass es an meiner Hand kleben bleibt. Angeekelt öffne ich meine Augen und starre auf die abartige Flüssigkeit. Ein bläulicher Schleim hat sich über meine Haut gelegt. Verzweifelt versuche ich ihn abzuschütteln, jedoch ohne Erfolg. Ich beschließe erst einmal herauszufinden, woher er überhaupt kam. Langsam blicke ich nach oben und entdecke große, schwarze Blütenköpfe. Eine der Blumen welkt bereits und ich kann einen kleinen Schlitz  erkennen, der aussieht, als ob man ihn mit einem Messer verursacht hätte. Genau aus dieser Öffnung quillt diese merkwürdige Substanz. Schnell rolle ich meinen Körper beiseite, bevor ich von einem weiteren Schwall Blumennektar getroffen werden kann. Umschauend richte ich mich auf. Unter mir erkenne ich hellblaues Gras mit roten Spitzen. Irgendwo plätschert Wasser und ein leises Rauschen ist zu hören. Ich folge dem Geräusch und gelange zu einem Wasserfall, der in einem Fluss endet. Das Wasser schimmert hellgrün und die Wasseroberfläche glitzert. Zögernd trete ich näher heran und halte meine Hand hinein. Auch diesmal fühlt sich das Wasser anders an, als erwartet. Es umschmeichelt meine Finger, wie ein starker Windhauch. Ich schaue den Fluss entlang und stelle fest, dass er, nicht weit von hier, in einem größerem Gewässer endet.

„Wer bist du denn?“ , fragt eine misstrauische Jungenstimme.

Flink dreht ich mich um, falle jedoch ungewollt ins angenehm kühle Wasser.
 Wenigstens ist meine Hand jetzt wieder sauber.

„Das sollte ich dich jawohl fragen!“ , keuche ich, während ich wieder aus dem Feucht herausklettere.

„Ich hab zuerst gefragt und außerdem ist das hier unser Reich.“, er erhebt seine Arme, womit er zu verstehen gibt, dass er den gesamten Urwald meint.

„Okay? Wenn du meinst... Ich bin Arixon. Glaube ich zumindest. So hat mich auf jeden Fall Xeryf genannt.“

„Wer ist denn Xeryf?“

„Xeryf ist eine Frau, die in Emphira lebt. Im Grozya Sopphax.

„Im Grozya Sopphax?<

Der braunhaarige, schlaksige Junge vor mir starrt mich ungläubig aus großen Augen an.

„Du lügst! Das kann gar nicht stimmen! Niemand lebt da.“ , brüllt er mir entgegen.

„Glaub doch was du willst! Ich war da und hab sie gesehen. Na ja, zumindest wenn ich wirklich da war.“

Der Junge vor mir mustert mich und schaut mich dann skeptisch an.

„Warum weißt du das nicht genau? Warum weißt du nicht mal genau wer du bist?“

„Xeryf meinte, ich hätte mir den Kopf angeschlagen, als ich in einen Abgrund gestürzt bin, und dadurch meine Erinnerungen verloren.“

Ich trete an den größeren Jungen heran und mustere ihn genauso skeptisch.

„Erzählst du mir denn jetzt auch wer du bist? Wir haben jetzt genug über meine Wenigkeit erfahren.“ , bemerkte ich arrogant.

„Ich bin Nempha von den Lyrosad.“

„Das nenne ich mal einen langen Namen.“ , murmele ich frech vor mich hin.

„Das ist doch nicht mein Name! Mein Name ist Nempha und ich komme von den Lyrosad. Das ist ein Stamm, der hier in diesem Gebiet lebt.“

„Achso, klingt ja interessant. Also, Nempha, haben alle deine Leute so eine braune Spirale auf der Stirn?“

Nempha starrt mich nur verständnislos an.

„Na das Zeichen dort. Haben alle das, oder nur du?“ , ich deute auf seinen Schädel.

„Achso. Natürlich haben das alle. Das ist ein Erkennungsmerkmal von den Lyrosad.“

Wir schwiegen kurz und es kam eine peinliche Stille auf.

„Aus was für einen Stamm kommst du? Du siehst aus wie eine.... aber nein, dass kann ja nicht sein. Also, woher stammst du?“ , bricht er das Schweigen.

„Ich weiß es nicht. Wie gesagt, ich kann mich an nichts erinnern. Wie sehe ich denn aus? Weißt du, wo ich herkomme?“ , ich schau ihn verdutzt an.

„Na ja, ich hätte auf die Crynoi getippt, aber das ist eigentlich nicht möglich. Der Stamm ist schon vor langer Zeit aus seiner Heimat weggegangen und nie wiedergekommen. Die Mitglieder sind alle verstorben. So wurde es uns jedenfalls berichtet. Aber du siehst wirklich genauso aus. Deine langen, hellen Haare, die heller sind, als jede goldene Blume, die hier wächst, deine kleinen Punkte im Gesicht, die leuchten, wie die Monde in der Finsternis, deine feinen Gesichtszüge, ja selbst die Art zu gehen...“

„Was hab ich denn für Punkte im Gesicht?“ , unterbreche ich ihn irritiert.

„Na diese...“

Nempha kommt auf mich zu, legt seine Hand auf meine Wangen und streicht mit seinem Daumen darüber.

„Und hier“ , er fährt mit dem Zeigefinger über meine Nase.

„Ach, du meinst meine Sommersprossen. Ja, ich habe mich schon immer gewundert, warum sie weiß und nicht braun sind...“

„Sommersprossen“ , wiederholt er mit Bewunderung in der Stimme.

Komischer Kerl, bestaunt so etwas wie Sommersprossen und flippt sofort aus, wenn ich ihm erzähle, dass Xeryf im Grozya Sopphax lebt.

„Sag mal, wenn ich nicht im Grozya Sopphax bin, wo bin ich dann?“

Ein kindliches Lachen dringt aus Nemphas Kehle.

„Wir sind im Tzuflan Ronyx.“

„Und wie komme ich zurück nach Emphira?“

Nempha kippt vornüber und hält sich den Bauch vor Lachen. In mir dagegen steigt Wut auf, meine Wangen füllen sich mit heißem Blut.

„Was, verdammt nochmal, ist so lustig?“ , brülle ich.

Er wischt sich eine Träne aus den Augenwinkel und antwortet dann gelassen:

„Ach na ja, eigentlich bist du schon in Emphira. So schnell kommst du hier auch nicht raus.“

„Na gut. Und wo ist dann Grozya Sopphax?“

„Das liegt hinter Wlinhoxio Feyhna, dem Gebiet des Wassers. Daher stammen die Crynoi.“

„Können wir dahin? Zeigst du mir den Weg?“

„Ich kenne einen schnelleren Methode.“

Er wendet sich ab und macht ein seltsames, gurgelndes Geräusch in einem ohrenbetäubendem Ton.

Ein Schatten huscht über die Erde und ein großes Wesen senkt sich auf den Boden nieder.

Ich schrecke zurück, drehe um und will gerade weglaufen, als Nempha meine Schulter festhält und mich wieder umdreht.

„Was hast du denn?“

„Nempha, da ist ein Dafüx!“ , flüstere ich panisch in einer hellen Stimme.

„Ja ich weiß, ich hab ihn gerufen.“ , erwidert er verwirrt.

„Warum? Der wird uns gleich umbringen! Das letzte Mal wurde ich von so einem angegriffen! Warte... Ich war schon mal hier! Ich habe schon mal einen Dafüx gesehen. Und irgendwer war bei mir...“

Gedankenverloren grübele ich weiter und bemerke gar nicht, was Nempha währenddessen macht. Er zieht mich mit sich und hievt uns beide auf diesen Giganten. Dieses drachenähnliche Fellmonster erhebt sich in die Lüfte und erst, als es einen lauten, gurgelnden Schrei von sich gibt, werde ich aus meinen Gedanken gerissen und mit dem konfrontiert, was ich hier gerade mache. Ich sitze auf einem Dafüx und fliege! Verängstigt rutsche ich hin und her und falle fast von diesem gefährlichen Geschöpf. Bevor ich jedoch stürzen kann, legen sich zwei Arme von hinten um mich und halten mich dadurch sicher oben.

„Warum machst du das?“ , frage ich vollkommen irritiert.

„Damit du nicht runter fällst?“

„Nein! Ich mein auf einem Dafüx fliegen. Das ist doch riskant. Wahrscheinlich sogar lebensmüde!“

„Ach quatsch. Okay, ich muss zugeben, ein Dafüx kann schon ziemlich angriffslustig sein, jedoch nur Fremden gegenüber und unser Stamm arbeitet schon seit man denken kann mit diesen Lebewesen.“

Wir schweigen wieder und ich versuche die Aussicht zu genießen. Die Angst um mein Leben hindert mich aber daran. Ablenkung wäre jetzt gut...

„Nempha, wie alt bist du eigentlich?“ , fragend wende ich meinen Kopf nach hinten.

„Wie alt?“ , fragt er mich verwirrt.

„Ja. Wie alt bist du? Wie lange ist es her, seit du geboren wurdest?“

„Ich weiß es nicht. Wir messen die Zeit hier nicht. Wozu auch? Es reicht uns zu wissen, dass, wenn das Licht dunkler wird, wir zurück zu unseren Stamm müssen. Na ja und, dass direkt nach der Finsternis Wasser vom Himmel fallen wird.“

„Ihr messt die Zeit nicht... Wasser vom Himmel? Regen? Regnet es jedes Mal, wenn das Licht nach der Dunkelheit wiederkommt?“

„Ich weiß nicht genau. Ist Regen das, was ich meine? Dann ja.“

Ich nicke ihm nachdenklich zu. Sie messen die Zeit nicht... Machen die denn gar nichts, wofür man Zeit braucht? Warte mal... Xeryf hat die Zeit gemessen! Sie sagte, ich hätte für drei Finsternisse geschlafen und sie hat auch gesagt, dass der Schnee nach spätestens sechs Finsternisse wiederkommt! Das ist doch Zeit.

„Nempha, Xeryf hat die Zeit aber gemessen..“

Verblüfft schaut er mich an und wartet, dass ich es ihm erkläre.

„Weißt du, sie hat die Zeit mit den Finsternissen gemessen. Sie meinte, direkt nachdem ich bei ihr aufgewacht bin, ich hätte für drei Finsternisse geschlafen.“

Jetzt sieht Nempha nachdenklich aus.

„Na ja, aber eigentlich messen wir so etwas nicht. Mir kommt diese Frau ziemlich seltsam vor. Was hat sie denn davon? Die Zeit ist egal hier. Die Umstände bleiben immer gleich. Hier in Tzuflan Ronyx regnet es nach jeder Finsternis. Und im Grozya Sopphax kommt immer wieder Wasser vom Himmel, wenn der Boden sich grau gefärbt hat. Ich verstehe nicht, was so wichtig daran ist, dass man weiß, wie viel Zeit dazwischen liegt.“

Ich weiß nicht... Was soll ich denn davon halten? Was soll ich von ihm halten? Oder von Xeryf? Er hat ja schon irgendwie Recht. Was nützt es die Zeit zu messen, wenn sich nichts verändert.

„Schau mal nach unten.“ , fordert mich der Junge hinter mir auf und deutet runter.

Ich folge seiner Anweisung und sehe unter uns ein wunderschönes Land, durch das sich endlose Flüsse schlängeln. Überall ist Wasser. Wasser, das jetzt allerdings dunkelblau schimmert und glitzert.

„Das ist das Land der Crynoi.“ , erklärt er geradewegs.

„Wunderschön.“ , murmele ich leise vor mich hin.

„Willst du da hin?“

Ich schaue ihn aus großen Augen an. Vielleicht bin ich ja eine Crynoi und gehöre genau hierhin.

„Ja, bitte. Können wir darunter?“ , bettele ich ihn an.

Nempha macht wieder irgendwelche seltsam klingenden Töne und sofort stürzt der Koloss, auf dem wir sitzen, hinab. Ängstlich fiepe ich auf, klammere mich an Nemphas Arme und rutsche nah an ihn heran. Sein Griff um mich verstärkt sich. Mit einem starken Ruck landet der Dafüx auf dem Land und, hätte Nempha mich nicht festgehalten, wäre ich heruntergefallen. Die Umklammerung wird gelöst und der Junge gleitet elegant hinab auf den Boden. Ich tue es ihm gleich und rutsche von diesem merkwürdigen Geschöpf.

„Das Gebiet ist jetzt weitgehend unbewohnt.“

„Warum? Es ist doch toll hier. Wenigstens wird man hier nicht von Blumen mit irgendein Schleim bedeckt.“

Nempha kichert leise und erklärt dann ungerührt:

„Die meisten Lyrosad können nicht schwimmen und deshalb ist es ziemlich gefährlich für mein Volk hier zu sein. Andere Völker kommen nicht her, da es hier wilde Dafüx gibt. Selbst die Crynoi hatten oft Probleme mit unseren Begleitern.“

Ich schaue mich staunend um. Überall weit und breit Wasser und kleine Landflächen. Er hat schon Recht. Wenn man nicht schwimmen kann, ist dieses Land kein guter Ort zum Bleiben. Auch wenn das Wasser nicht überall sonderbar tief aussieht.

„Kannst du schwimmen?“ , will ich von ihm wissen.

Er nickt stolz.

„Ja, ich habe es gelernt. Hier. Gezwungenermaßen. Bin vor langer Zeit von einem Dafüx gefallen und dann in einen der Ozeane gelandet.“ , er deutet weit in die Ferne.

„Die Ozeane trennen dieses Gebiet von den anderen. Nur an einigen Stellen kann man hindurch, ohne hinüber schwimmen zu müssen. Eigentlich kann man sogar von Tzuflan Ronyx nach Grozya Sopphax laufen. Na ja, aber nur, wenn man durch niedriges Wasser hindurch watet. Ganz trocken kommt man durch dieses Land nicht.“

Ich starre ihn ungläubig an. Er erzählt mir, einfach so, ohne auch nur die geringste Angst vor der Erinnerung, dass er von einem Dafüx in einen Ozean gefallen ist und nicht mal schwimmen konnte.

„Nempha, das meinst du doch nicht ernst, oder? Du bist, was weiß ich von wie hoch, von so einem Vieh gefallen und hast dann einfach spontan entschlossen zurück zum Land zu schwimmen? Ohne vorher auch nur in einem Gewässer gewesen zu sein?“

„Ja, so in etwa.“ , gibt er nur schulterzuckend zurück und setzt sich in Bewegung.

Muss man aus diesen Typ schlau werden? Ohne weiter darüber nachzudenken, folge ich ihm und schaue mich weiter um.

„Wer seid ihr denn?“ , schallt hinter uns eine brüchige Stimme.

Gleichzeitig wenden Nempha und ich uns um und starren in das alte Gesicht des schwarzhaarigen Mannes vor uns.

Nempha strafft seine Schultern und beginnt:

„Ich bin Nempha von Lyrosad und das ist...“ , er deutet auf mich.

„Arixon von den Crynoi.“ , unterbreche ich ihn.

Der Mann vor uns mustert mich zweifelnd. Er hat ein Wesen bei sich, das auf dem Wasser steht. Seine Füße sehen aus, wie große grüne Blätter.

„Was ist das?“ , frage ich geradeheraus und schaue Nempha erwartungsvoll an.

„Das ist ein Calyrs. Damit kann man über Wasser reiten. Calyrs sind friedliche Tiere. Sie leben hier.“ , antwortet er mir ruhig und wendet sich danach an den älteren Herren.

„Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“

Noch immer liegt sein Blick auf mir. Durchdringend mustert er mich wieder und wieder.

„Wir kennen uns Kleine, oder?“ , fragt er, ohne auf Nemphas Frage zu antworten.

„Ich weiß nicht. Ich kann mich nicht erinnern Sie schon mal gesehen zu haben.“

„Doch, doch. Du hast hier geschwommen und warst vollkommen erstaunt über das Gefühl. Ich habe dich hier entdeckt und dich gefragt wer du bist, aber du wusstest es selbst nicht.“

„Ich wusste doch, dass du eine Crynoi bist. Du warst vorher hier, im Wlinhoxio Feyhna. Auf deinem Land.“ , wirf Nempha ein.

„Und warum weiß ich dann, was ein Dafüx ist, aber nicht, was ein Calyrs ist?“ , bemerke ich schnippisch.

„Ich denke, auf diese Frage kann ich dir eine Antwort geben. Letztes Mal, als du hier warst, wurden wir von einem Dafüx angegriffen und du hast ihn nur erstaunt angestarrt. Er hätte dich fast gekriegt und in Stücke gerissen, hätte ich und mein Calyrs dich nicht gerettet. Daraufhin habe ich dir erklärt, dass diese Geschöpfe nicht gerade freundlich sind.“ , erklärt der Fremde.

„Und wer sind Sie jetzt?“ , beharrt Nempha weiter .

„Ich bin Wolxaz.“

„Wolxaz? Und aus welchen Stamm kommen Sie, Wolxaz?“ , ist es wieder mein braunhaariger Begleiter, der weiter fragt.

„Aus gar keinen. Ich bin alleine. Ich habe nie einem Stamm angehört.“

„Wie geht das denn? Jeder gehört einen Stamm an! Der Stamm übernimmt die Kinder doch und zieht sie dann auf.“

„Ich weiß auch nicht. Als kleiner Junge war ich einfach alleine und bin es auch immer geblieben. Aber das ist nicht so wichtig! Soll ich euch Wlinhoxio Feyhna zeigen?“

Ich nicke und ehe ich mich versehen kann hievt Wolxaz mich auf sein Calyrs und setzt sich hinter mich. Nempha schaut mich missbilligend an und geht dann zurück zu dem Dafüx.

Eingeschlafen

 

„Amilia! Du verpasst die Schule.“, blökt ihre Mutter genervt.

Amilia streckt sich und schaut auf die Uhr.

„Was? Schon zwanzig nach sieben?“, ruft sie empört aus und springt aus ihren Bett.

„Von Morgen zu Morgen wird es schwerer dich wach zu kriegen!“, bemerkt ihre Mutter noch angesäuert und spaziert aus Amilias Zimmer.

Amilia sprintet ins Bad, wäscht sich und zieht sich schnell um. Dann läuft sie schnurstracks in die Küche und setzt sich neben ihre Geschwister an den Küchentisch.

„Vergesst nicht, morgen kommt Jana. Amilia, du wirst mit ihr das Zimmer teilen. Daher wirst du nachher das Klappbett aufbauen, es beziehen, dein Zimmer blitzblank putzen und Wäsche waschen. Hannah, du wirst mir nachher in der Küche helfen, das Wohnzimmer auf Vordermann bringen, dich um das Badezimmer kümmern und Paul vom Kindergarten abholen. Danach sorgst du dafür, dass dein und Pauls Zimmer akzeptabel aussehen.“, verkündet die Hausherrin ohne Punkt und Komma.

Hannah wirft Amilia einen genervten Seitenblick zu, der soviel heißt, wie “Woher wusste ich das wohl?“

*

„Amilia... Pssst. Wach auf. Hey? Amilia, Herr Schulte bemerkt das gleich.“, flüstert eine Stimme neben Amilias Ohr.

Amilia schlägt augenblicklich die Augen auf. Leider zu spät. Ihr Lehrer hat längst bemerkt, dass eine seiner Schülerinnen weggetreten war.

„Ach hallo, Amilia. Hast du dich entschlossen vielleicht doch noch am Unterricht teilzunehmen? Deine Verschnaufpause gönnst du dir bitte nach der Stunde, okay?“, fährt der Lehrer sie ärgerlich an.

„Oh man. Du warst gar nicht wach zu kriegen.“, tuschelt Amilias bester Freund Felix.

„Du hast fast eine Viertelstunde geschlafen. Selbst, als ich dich gekickt habe, hast du nicht reagiert. Eigentlich ein Wunder, dass Herr Schulte erst jetzt was bemerkt hat.“, wispert er noch, bevor die beiden nochmals von dem Lehrer ermahnt werden.

Die Pausenglocke läutet und verkündet somit den Schulschluss. Verschlafen schleift sich das blonde Mädchen auf den Schulhof.

„Du siehst aus, als hättest du den Schlaf echt nötig, Amilia. Was ist denn los? Warst du die ganze Nacht wach?“, fragt Felix, der verblüfft neben ihr herläuft.

„Nein, eigentlich nicht. Ich bin in letzter Zeit einfach nur todmüde.“, wirft Amilia nachdenklich ein und winkt zum Abschied, da sich die Wege der beiden trennen.

In Gedanken versunken läuft sie die Straßen entlang und gelangt schließlich zu ihrem Haus.

„Amilia, dein Lehrer hat gerade angerufen. Er meinte, du wärst in seinem Unterricht eingeschlafen. Das kann doch nicht normal sein! Komm wir fahren zum Arzt.“, ruft die Stimme ihrer Mutter ihr schon entgegen, als sie die Tür öffnet.

Amilia kann gerade noch ihre Tasche durch die Tür werfen, bevor ihre Mutter sie wieder raus schleift und ins Auto setzt.

*

„Frau Lilith, Ihrer Tochter geht es bestimmt gut. Sie war sicherlich nur übermüdet und ihr Körper hat sich die Energie, die ihm fehlte, einfach durch längeren Schlaf wieder geholt. Kinder in dem Alter reagieren stärker auf Übermüdung. Wahrscheinlich hat sie einfach nur vor ein paar Tagen die ganze Nacht durch gespielt oder mit ihren Freunden gechattet, ohne, dass sie etwas davon wussten. Wenn das der Fall ist, wird sich ihr Zustand bald verbessern. Sobald Amilias Körper wieder den normalen Energiestand erreicht hat, wird sie auch nicht mehr so müde sein.“

Amilia sitzt an dem Tisch im Untersuchungsraum und zeichnet. Sie hat sich zurückgezogen, damit der Arzt ihr nicht noch weitere nervige Fragen stellt.

„Was ist das?“

Amilia zuckt zusammen. Sie hat gar nicht bemerkt, dass sich dieser nervtötende Arzt hinter sie gestellt hat.

„Ein Calyrs. Und diese komischen Pflanzen. Das habe ich heute Morgen in meinem Traum gesehen.“, erwidert sie nur knapp.

„Vom Körper sieht das aus wie ein Pferd. Der Kopf aber.. hm.. womit könnte man das vergleichen? Ja, genau! Das sieht aus, wie der Kopf von Loch Ness. Hast du schon mal Bilder von Nessi gesehen? Sieht doch gleich aus! Aber was hat das denn für Hufe?“

„Darf ich jetzt wieder gehen?“, fragt Amilia genervt und steckt ihre Zeichnung in die Hosentasche.

Sie ist bereits auf den Weg nach draußen, als sie hinter sich noch hört, wie der Arzt ihrer Mutter noch etwas zu murmelt:

„Um ehrlich zu sein finde ich diese blühende Fantasie Ihrer Tochter deutlich besorgniserregender. So etwas ist eigentlich normal für eine Achtjährige. Vielleicht sollten wir die Kleine mal einem Test unterziehen, um zu schauen, wie stark und präsent denn diese Einbildungskraft ist.“

Amilia knallt die Tür hinter sich zu und läuft zu dem Wagen. Einige Minuten später kommt auch ihre Mutter endlich aus dem Ärztehaus raus und gesellt sich zu ihr. Angespannte Stille herrscht auf der Rückfahrt.

„Amilia, ich weiß, dass dich Papas Tod schwer getroffen hat. Seitdem flüchtest du dich immer in deine eigenen Welten, aber meinst du nicht auch, dass es so langsam reicht? Außerdem weiß ich,dass wir nie so eine Bindung hatten, wie du zu deinem Vater, aber...“

„Mutter, bitte. Hör auf. Wir werden nie eine solche Beziehung haben! Finde dich damit ab. Haben wir nicht noch was ganz Dringendes zu erledigen? Fahr endlich nach Hause!“, unterbricht Amilia ihre Mutter.

Verletzt starrt die Frau das blonde Mädchen an.

„Sprich nicht so mit mir.“, presst sie wütend hervor.

Für den Rest der Fahrt herrscht wieder Schweigen, was diesmal niemand durchbricht.





 

Was ist denn los?

 

„Arixon? Arixon, komm wieder zu dir! Bitte mach die Augen auf.“, fleht eine ängstliche Stimme.

Langsam öffne ich die Augen und strecke meine Hand nach demjenigen aus, der so angsterfüllt die Worte gebettelt hat, um ihn zu beruhigen. Sie wird ergriffen und stark umklammert. Allmählich klärt sich mein Blick und ich kann erkennen, wer sich über mich beugt.

„Nempha, was ist denn los? Dreht der Dafüx durch oder warum wimmerst du wie ein Kind?“

„Ich wimmre nicht wie ein Kind.“, schnaubt er empört.

Nun tritt auch der alte Mann namens Wolxaz in mein Blickfeld.

„Ach, die Kleine ist wieder wach.“, stellt er ungerührt fest, ohne mich einer Begrüßung zu bedenken.

„Was? Habe ich geschlafen? Wann bin ich denn bitte eingeschlafen?“

Nempha schaut mich besorgt an.

„Kannst du dich nicht erinnern? Wir sind gerade losgezogen um Wlinhoxio Feyhna zu erkunden, da bist du einfach so von dem Calyrs gefallen und direkt ins Wasser...“, berichtet Nempha sorgenvoll, doch er wird von dem Alten unterbrochen:

„Der Junge ist sofort hinterher gesprungen und hat dich raus gefischt.“

Auffällig verdreht er die Augen. Nempha schubst ihn zur Seite und meint zu ihm:

„Warum interessiert dich das nicht? Passiert dir das öfters, dass die Leute, die bei dir sind, einfach das Bewusstsein verlieren?“

„Wie schon gesagt, ich kenne die Kleine und letztes Mal war es dasselbe. Ich habe sie, als sie bewusstlos war, mit zu mir genommen und nachdem ich mich nur für einen kleinen Augenblick von ihr abgewendet habe, war sie auf einmal weg.“

„Warum sollte sie einfach weggehen? Hat sie doch jetzt auch nicht gemacht.“, stößt er zweifelnd hervor.

„Kein Wunder, du bist ihr ja auch keine Minute von der Seite gewichen! Erstaunlich, dass du nicht auch eingeschlafen bist. Also ich fand dieses ganze Warten echt langweilig.“, knurrt er grimmig.

Ich hasse es, wenn ich bei einem Gespräch außen vor gelassen werde! Vor allem wenn es um mich geht!

„Hallo? Ich bin auch noch da. Wie lange war ich denn weg?“

Verwirrt schaue ich mich um. Wir befinden uns auf einer freien Fläche, nicht weit vom Ufer entfernt. Die sanften Klänge der Wellen, die auf das Land schwappen, sind nicht zu überhören. Das Licht am Himmel hat abgenommen.

„Eine ganze Weile.“, bekomme ich nur eine knappe Antwort von dem Jungen neben mir.

Er richtet sich auf und hilft mir hoch. Verdutzt starre ich auf das Wasser. Nun schimmert es nicht mehr in irgendeinem Blauton, sondern in einem sanften Lila.

„Was ist das denn? Warum sieht es jetzt anders aus als vorher?“

Nempha zuckt nur mit den Schultern und meint unbekümmert:

„Die Farbe ändert sich. Wiederholen sich immer wieder. Nach jeder Finsternis fängt es wieder bei Gelb an.“

Ich laufe hin und merke, dass meine Kleidung unerwartet störend ist. Ich bin noch immer klitschnass und friere auch ein wenig. Was würde ich nicht alles dafür tun, um jetzt die angenehme Wärme aus dem Urwald zu spüren.

„Nempha? Können wir zurück nach Tzuflan Ronyx? Für heute habe ich echt genug von Wasser um mich herum. Außerdem ist es hier kälter.“

„Klar ist das hier kälter! Grozya Sopphax ist nicht mehr weit. Umso näher man kommt, umso kälter wird es.“

„Ist ja schön und gut aber ich friere.“, jaule ich unzufrieden.

Nempha fängt an zu lachen. Er schnappt sich mein Handgelenk und zerrt mich davon. Im Laufen winken wir dem alten Mann, den wir achtlos stehen lassen, zu. Etwas abseits erkenne ich den Dafüx, der sich zusammengerollt hat und vor sich hin schlummert. Sanft streichelt Nempha den Hals des Dafüx hinunter, bis runter zum Rücken, als wir bei dem großen Biest angekommen sind.Langsam hebt es den Kopf und richtet sich schwankend auf.

„Bist du dir sicher, dass der überhaupt noch fliegen kann? Der kippt ja so schon fast um!“, meine ich unsicher.

„Vertrau ihm. Er weiß, was er kann und was nicht. Wenn er das nicht schaffen würde, würde er sich weigern. Außerdem mag er den Wald auch lieber.“, versucht er mich zu beruhigen.

Dann umfasst er meine Hüfte und hievt mich auf das Wesen. Mit einem Hops sitzt er plötzlich hinter mir. Sofort erhebt sich die Kreatur in die Lüfte und flattert davon. Mir scheint es so, als würden wir diesmal schneller fliegen.

Tests?

 


Amilia blinzelt verwirrt, bevor sie die Augen aufschlägt. Sie kann gerade noch sehen, wie ihr kleiner Bruder Paul aus der Tür flitzt. Kurz darauf kommt ihre größte Schwester Jana ins Zimmer gestürmt.

„Schwesterherz...“, beginnt sie und setzt sich zu ihr aufs Bett.

„Ich dachte, du wolltest erst um fünf kommen...“, beginnt die Kleine.

„Schau mal auf die Uhr. Es ist schon fünf!“

Jana deutet auf die Uhr, die über der weißen Tür hängt und erst jetzt bemerkt Amilia, dass dieses Zimmer nicht ihres ist. Verwirrt folgt sie der Anweisung und erkennt, dass es bereits Viertel nach fünf ist. Eine halbe Stunde war die Kleine weggetreten.

„Wo bin ich überhaupt?“

„Du bist im Krankenhaus. Vorhin bist du.... Ich weiß auch nicht so genau... In Ohnmacht gefallen? Mom meinte, du hättest gerade das Geschirr abgetrocknet, da bist du plötzlich umgekippt. War wohl ziemlich irritierend. Auf jeden Fall hat Mom dich dann ins Auto geschafft und dich dann kurzerhand hergebracht. Mir hat sie nur eine SMS geschrieben, dass sie hier sei, ich aber auch nach Hause zu Hannah fahren könnte.“, erklärt Jana ruhig.

„Und wo ist Mutter?“, seufzt Amilia gelangweilt.

„Redet gerade mit dem Arzt.“, erwähnt die Große beiläufig.

Amilia schaut sie irritiert an, doch bevor sie etwas erwidern kann, fliegt die Tür auf. Ihre Mutter stürmt hinein, hinter ihr ein weiß gekleideter Arzt. Er tritt an das Krankenbett heran. Amilia richtet sich auf, setzt sich auf die Bettkante und reicht ihm die Hand.

„Hallo, mein Name ist Dr. Riek und ich bin Ihr zuständiger Arzt. Ich habe noch einige Fragen an Sie.“, setzt er melodisch an.

„Meinen Sie, es ist was Ernstes?“, wirft Jana gleich besorgt ein.

„Nach den Schilderungen Ihrer Mutter können wir das nicht ausschließen. Genauso gut könnte es aber auch sein, dass der Kreislauf der jungen Dame einfach nur verrückt gespielt hat.“, beantwortet der Arzt die Frage nachdenklich.

„Ok. Kommen wir zu den Fragen. Ist Ihnen in letzter Zeit öfters schwindelig?“
Amilia schüttelt mit dem Kopf.

„Hm. Ist Ihnen denn unwohl? Haben Sie irgendetwas bemerkt, bevor sie vorhin umgefallen sind?“
Auch das verneint die Blonde.

„Na gut. Aber Sie verspüren in letzter Zeit öfters Müdigkeit, habe ich Recht?“

„Na ja, vielleicht bin ich ein bisschen müder als sonst, aber nicht so, als dass ich das als merkwürdig empfinden würde. Um ehrlich zu sein, bemerke ich es oft gar nicht, dass ich überhaupt einschlafe.“, antwortet Amilia ehrlich.

„Fühlen Sie sich in den letzten Tagen kraftloser als sonst?“, will der Mediziner wieder wissen.
Amilia zuckt mit den Schultern.

„Eigentlich nicht.“

Als der Arzt keine Anstalten mehr macht weiterzusprechen, ergreift wieder Jana das Wort:

„Und? Können Sie jetzt was Genaueres sagen?“

„Na ja, anscheinend ist de Zustand ihrer Schwester unverändert, was die Frage aufwirft, warum dieser Unfall passiert ist. Ich denke, wir machen noch ein paar Tests und wenn wir nichts finden, kann Amilia auch wieder mit nach Hause. Für die Nacht aber bleibt sie hier.“, schließt er das Gespräch und holt ein paar Schwestern rein.

„Und was heißt das jetzt im Klartext? Ein paar Tests?“, fragt Amilia genervt.

„Also auf jeden Fall einen Komplettcheck. Blut- und Urinproben, EKG, Belastungs- EKG, einen Ultraschall aller Organe und dazu noch ein EEG und wahrscheinlich ein MRT.“

„Bitte ohne Ärztekauderwelsch.“, seufzt die Kleine jetzt angesäuert.

„Mit den EKGs checken wir dein Herz ab und mit dem EEG und MRT überprüfen wir, ob mit deinem Hirn alles in Ordnung ist. Spätestens morgen haben wir alle Untersuchungen abgeschlossen.“

Kaum hat der Arzt seine Erklärung beendet, bohrt auch schon eine der Schwestern eine Nadel in Amilias Arm. Die andere läuft währenddessen aus dem Zimmer und kommt sogleich mit einem EKG-Gerät wieder.

„Wenn ich Sie bitten dürfte zu gehen oder draußen zu warten.“, wendet sich der Arzt an Amilias Mutter und Schwester und scheucht sie zur Tür hinaus.

„Und Sie bitte ich zum Ultraschall zu kommen, nachdem die Schwestern fertig sind. Schwester Erika wird Sie dahin begleiten.“, meint er nun zu Amilia und deutet auf eine zierliche Brünette.

Was ist das?

 

„Na endlich bist du wach.“, höre ich die vertraute Stimme erleichtert murmeln, als ich nach meinem schmerzendem Arm greife.

Ich blicke in Nemphas lächelndes Gesicht und fühle mich gleich viel besser.

„Ja anscheinend. Ist es etwa schon wieder passiert?“, gebe ich deprimiert zurück.

„Ja. Einfach so, als wir gerade auf dem Dafüx saßen. Du bist plötzlich schlaff zusammengesackt und von ihm heruntergerutscht. Ich konnte dich gerade noch am Arm packen und wieder hochziehen. “

Unbewusst streichle ich über meinen lädierten Arm. Nempha schaut mich schuldbewusst an. Dann reicht er mir ein oranges Kraut.

„Iss das. Das wird helfen.“, meint er.

„Und was ist das?“

„Iss einfach.“

Skeptisch schiebe ich mir das Gewächs in den Mund und kaue zaghaft. Kurz nachdem ich es herunter geschluckt habe, merke ich, wie die Schmerzen in meinem Arm abebben. Ich starre mein Gegenüber ungläubig an. Nempha seufzt nur und meint dann abschließend:

„Das war nichts Schlimmes oder Besonderes. Jede Pflanze hier hat eine Wirkung. Ich zeig es dir später.“

Daran zweifelnd schaue ich mich um. Ich befinde mich auf einem hölzernen Podest, welches mit Blättern bedeckt ist. Es ist deutlich gemütlicher, als es aussieht. Wie aus heiterem Himmel, kommt ein flauschiges Etwas um die Ecke gewatschelt. Es ist über und über mit Federn in verschiedenen Farben und reicht mir gerade mal bis zu den Waden. Erstaunt sehe ich den kleinen Wuschel an.

„Was ist das denn?“

„Das ist ein Lomis. Er lebt bei mir. Lomis können zu guten Gefährten werden, wenn sie einen auswählen. Mein Lomis hat mich zwar nicht auserwählt, doch der Kleine mag mich. Deshalb bleibt er bei mir. Er hilft mir bei allem, bei dem ich ihn gebrauchen kann.“, erklärt Nempha stolz.

Nemphas kleiner Freund kommt näher und hüpft auf mich drauf. Er begutachtet mich und ist dann genauso schnell wieder verschwunden, wie er gekommen war.

„Putziges Kerlchen. Woher wissen Auserwählte, dass sie auserwählt sind?“, will ich wissen.

„Das bemerken die sofort. Der Lomis wird einem nicht mehr von der Seite weichen und er wird einem, wenn man Hunger hat, die schmackhaftesten Sachen bringen. Aber sie sind auch in vielen anderen Hinsichten sehr nützlich.“

Grübelnd sehe ich ihn an. Was versteht er unter schmackhaft? Hat er jemals was in meiner Gegenwart gegessen? Nein, meines Wissens nach nicht. Also frage ich einfach nach:

„Sag mal, wovon ernährt ihr euch eigentlich?“

Nempha verzieht den Mund und schaut verblüfft.

„Eh... Von den Pflanzen und Früchten hier aus dem Wald. Warum? Isst du etwas anderes?“

„Ich weiß es nicht.<, gebe ich ehrlich zurück.

„Was ist mit Fleisch? Geht ihr jagen?“

„Was meinst du?<, Nempha sieht mich fragend an.

„Na, fangt ihr Tiere und esst sie?“

Entsetzt schüttelt er den Kopf.

„Nein! Niemals! Warum sollten wir so etwas schreckliches tun? Wie kommst du nur immer auf solche Ideen?“, entgeistert steht er auf.

Ich zucke nur unschlüssig mit den Schultern und tue es ihm gleich. Eine Weile stehen wir nur planlos herum, bis Nempha mich schließlich mit sich fort zieht. Ohne Widerrede laufe ich mit. Letztendlich kommen wir an dem Wasserfall an, den ich schon einmal vor mir hatte.

„Was wollen wir hier?“

„Ich will dir was zeigen.“, meint der Junge nur geheimnisvoll und deutet auf das blau-rote Gras, auf dem ich schon einmal aufgewacht bin.

„Probiere es.“

Kurz betrachte ich das Gras und starre ihn dann ungläubig an. Was? Ich soll Gras essen? Trotzdem folge ich seiner Anweisung und zupfe einen Büschel aus dem Boden. Ich muss zugeben, ich vertraue ihm. Wenn er sagt, dass man das essen kann, dann kann man das essen... Mit diesen Gedanken stopfe ich mir es in den Mund und schmecke sogleich verschiedene Aromen. Es schmeckt leicht süßlich und fruchtig. Zudem fühle ich aber auch, wie Glücksgefühle in mir aufsteigen. Mit großen Augen glotze ich ihn an. Ein kindliches Lachen kommt aus seinem Mund.

„Und? Das macht gute Laune. Man kann eigentlich alles, was du hier an Kraut, Pflanze oder Frucht findest, essen. Der Saft der schwarzen Blüten zum Beispiel wirkt beruhigend.“, er deutet auf eine Blume, die mir vage bekannt vorkommt.

„Das ist ja cool. Und was findest du am besten?“

„Mein Favorit ist die Blüte einer speziellen Pflanze. Man findet sie nur selten und die Blume ist wunderschön.“

Koma!?

 

Stöhnend schlägt Amilia die Augen auf. Ein nerviges Piepen dringt an ihr Ohr. Etwas geschwächt richtet sie sich auf und sieht, dass ihre Schwester Hannah auf dem Besucherstuhl neben ihrem Bett schläft. Amilia stupst sie an, damit sie aufwacht und fragt verwirrt:

„Was machst du hier?“

Hannah öffnet langsam ihre Augen und fällt ihrer kleinen Schwester sofort um den Hals.

„Endlich bist du wach!“, krächzt sie unter Tränen.

„Hä? Hab ich was verpasst? Was ist denn jetzt los?“

„Amilia, du lagst zwei Tage lang im Koma!“, erklärt Hannah fassungslos.

„Was? Du veräppelst mich. Niemals!“

Hannah schüttelt den Kopf und zieht ihr Handy hervor. Flink tippt sie ein paar Worte ein und steckt es wieder weg. Dann schaut sie die Kleine ernst an.

„Die Ärzte waren komplett ratlos, warum du plötzlich ins Koma gefallen bist. Dann ist denen aufgefallen, dass irgendetwas mit den Aufzeichnungen deines Hirns nicht stimmte. Genau weiß ich nicht, was nun los war. Hab ich irgendwie nicht verstanden, doch eins ist klar: Die Ärzte sind sich auch noch nicht sicher, was es ist. Sie müssen auf jeden Fall, jetzt wo du wach bist, nochmal ein paar Tests oder Aufzeichnungen machen.“

Und wie aufs Stichwort betritt eine Krankenschwester den Raum und schaut das junge Mädchen auf dem Krankenbett aus großen Augen an.

„Sie ist wach!“, ruft sie auf den Flur.

Mit schnellen Schritten kommt sie näher und auch andere Schwestern und ein Arzt kommen in das Krankenzimmer.

„Ist Ihnen schwindelig oder Ähnliches?“, fragt der Arzt sie freundlich.

Amilia schüttelt den Kopf.

„Gut. Wenn Sie nichts dagegen haben, würden wir jetzt gerne noch ein paar Tests durchführen. Die letzten Aufnahmen, die wir gemacht haben, deuten darauf hin, dass etwas nicht in Ordnung ist, jedoch sind sie nicht aufschlussreich genug. Es ist daher sehr wichtig neue zu machen.“, fährt der Doktor fort.

Amilia nickt nur zögernd und sofort wird sie samt Bett aus dem Zimmer geschoben.

„Wir wollen Sie noch nicht groß belasten, da Sie gerade erst aus einem Koma aufgewacht sind.“, murmelt eine der Schwestern als Erklärung.

Erinnerungen

 

Als ich wieder die Augen öffne, nach einem völlig unfreiwilligen Schlaf, liege ich wieder auf dem hölzernen Podest mit Blättern, auf dem ich schon das letzte Mal aufgewacht bin.

„Willkommen zurück.“, höre ich Nemphas glückliche Stimme neben mir.

Voller Freude richte ich mich auf und schlinge die Arme um Nemphas Hals.

„Endlich bin ich wieder hier. Ich weiß jetzt woher ich diese ganzen komischen Gedanken habe. Jedes Mal, wenn ich einschlafe, kommen diese komischen Träume mit einer schrecklichen Welt. Ich will da nicht mehr hin Nempha...“

Ungewollt rollen mir Tränen die Wangen hinab und ich fange an zu schluchzen. Nempha legt unbeholfen seine Arme um mich.

„Arixon, bitte beruhige dich. Es ist doch alles gut.“

„Nichts ist gut! Ich falle ständig um und träume dann grausame Sachen! Und ich kann nichts dagegen tun!“, schreie ich, während ich mich gewaltsam aus seiner Umarmung reiße und noch stärker anfange zu weinen.

„Arixon, bitte. Man kann da bestimmt was gegen tun. Lass uns diese komische Frau besuchen, die du im Grozya Sopphax getroffen hast. Ich glaube, sie weiß mehr darüber als wir.

Ich beruhige mich und nicke verlegen. Oh man. Was war das denn? Ich habe gerade vor ihm geheult. Einfach so. Spontan, nachdem ich auf seinem Bett aufgewacht bin.

Nempha streicht mein Haar zurecht und lächelt mich an, bevor er mich wieder am Arm packt und davon zerrt. Ruckartig bleibt er stehen und ich knalle hart gegen ihn. Wie schnell sind wir denn gerannt, dass der Zusammenstoß so schmerzhaft ist?

„Was ist denn los?“, meckere ich ihn an und trete neben ihn, um ihn ins Gesicht sehen zu können, bleibe jedoch reglos stehen, als ich das große Geschöpf vor uns erblicke.

Ein wunderschönes Tier mit weißem Fell. Es hat einen bauschigen Schwanz, auf dem blaue Zeichen sind, genauso wie auf der Stirn. Der Rücken reicht mir ungefähr bis zum Bauch.

„Ist das gefährlich?“, flüstere ich ängstlich in Nemphas Richtung.

„Nein.“, kichert er nur.

„Und warum erschreckst du mich dann so?“, nörgele ich mürrisch.

Nempha schaut mich kurz an, eine Augenbraue hochgezogen, bevor er antwortet:

„Das ist ein Opanos. Die sieht man selten hier. Eigentlich sieht man sie sowieso selten. Zumindest leben sie in Grozya Sopphax.

Das atemberaubende Wesen kommt langsam auf mich zu und schnüffelt an mir. Dann stupst es erst meine Hand und dann mein Arm an. Ich bin ein wenig überlastet. Was will das Tier von mir? Ich strecke meine Hand nach seinem Kopf aus, der Opanos weicht jedoch zurück. Ratlos lasse ich die Hand wieder sinken. Dann spüre ich Nemphas warme Arme um meinem Bauch, welche mich von meinen Füßen reißen und mich hochheben. Ehe ich mich versehe, sitze ich auf dem Tier, welches einige Sekunden zuvor noch Berührungsängste hatte.

„Nempha? Was machst du da?“, kreische ich verängstigt.

„Er will dich mitnehmen. Mit ihm wirst du schneller sein, als mit dem Dafüx. Ich komme hinterher. Keine Angst, er ist ein sanftes Wesen.“

Ich wollte gerade noch was sagen, als sowohl der Opanos, als auch Nempha sich voneinander abwenden und in verschiedene Richtungen laufen. Ich bin mir noch nicht sicher, was ich empfinden soll. Muss ich jetzt Angst haben? Wohin bringt mich der Opanos jetzt? Er weiß doch gar nicht wo ich hin will...

Aber ich muss zugeben, er ist deutlich bequemer als das fliegende Monster. Und sein Fell ist so flauschig und weich. Vielleicht sollte ich mir nicht so viele Sorgen machen. Auch wenn er mich, wer weiß wohin, verschleppt, egal. Hier oben fühle ich mich wohl.

Ich lehne mich vor und bette meinen Kopf auf den starken Hals des Tieres, welches in einer erstaunlichen Geschwindigkeit den Wald mit all seinen prachtvollen Pflanzen hinter sich lässt. Die Wassermengen, die jetzt rot schimmern, breiten sich aus, woraus ich schließe, dass wir im Wlinhoxio Feyhna angekommen sind. Das Geschöpf unter mir läuft unbekümmert durch das niedrige Wasser, über etwas tiefere Stellen hüpft es einfach hinweg. Ich spüre seine Bewegungen kaum und genieße mit geschlossenen Augen das Kribbeln auf meiner Haut, wenn das flauschige Fell über meinen Körper streicht.

Nach einiger Zeit merke ich, wie immer kälterer Wind mein wohliges Gefühl verschwinden lässt. Auch das Plätschern hat aufgehört, welches die Pfoten des Opanos verursacht haben, wenn er durch Pfützen und Wasserläufe lief. Ich schaue mich um und muss erstaunt feststellen, dass ich nun von grauem Gestein umgeben bin. Nur Stellenweise ist noch Schnee zu erkennen. Der Blick erscheint mir endlos, denn nirgendwo trifft er auf Bäume oder sonstige Gegenstände, die den Blick verstellen können. Nur leichte Steigungen sind in der Landschaft zu erkennen.

Der Opanos setzt wieder zum Sprung an und schwebt über einen Abgrund hinweg. Es ist ein unglaubliches Gefühl. Mit einem sanften Ruck trifft er wieder auf dem Boden auf.

Irgendwann bleibt das Wesen, auf dem ich sitze, stehen. Ich gleite zögerlich von seinem Rücken und überlege, wie ich das Zuhause dieser seltsamen Frau überhaupt wiederfinden will. Als ich gerade loslaufe, ohne überhaupt sicher zu sein wohin, höre ich eine vage vertraute Stimme meinen Namen rufen.

„Arixon? Mädchen, was machst du hier?“

Ich drehe mich erleichtert um und blicke in die Augen, die ich schon einmal gesehen habe.

„Ich habe dich gesucht.“, seufze ich beruhigt.

„Achso? Na dann komm mal mit, Kleine.“

„Was machst du hier draußen?“, frage ich sie neugierig.

„Ich hole Wasser. Du kommst mit und hilfst mir.“, bestimmt die Dame.

„Xeryf? Ich glaube du weißt mehr, als die meisten hier.“

Die Frau schaut mich einige Momente stumm an, während wir beide weiter in das scheinbare Nirgendwo stapfen.

„Ja, das stimmt wahrscheinlich. Ich weiß wirklich eine Menge. Das kommt sicherlich davon, dass ich mich nicht nur mit dem allernötigsten Wissen abgeben will. Ich war schon als Kind sehr neugierig.“

„Hm. Weißt du, ich falle ständig unbewusst um und schlafe dann. In der Zeit träume ich fürchterliche Sachen. Kannst du mir sagen, was ich dagegen tun kann?“

Ungläubig schaut die Frau zu mir runter.

„Ich weiß nicht, was man dagegen tun kann.“, murmelt sie bekümmert.

„Du bist aber nicht die Erste. Die Crynoi, unser wasserliebendes Volk, sind vor einiger Zeit weggegangen, um eine Antwort auf diese Frage zu finden. Irgendwann fingen einige Kinder plötzlich an umzukippen. Sie fielen in einen tiefen Schlaf, aus dem sie nicht von anderen geweckt werden konnten. Manchmal schliefen sie einige Finsternisse lang. Manche wachten letztendlich nie wieder auf. Die Fälle häuften sich, immer mehr Crynoi waren betroffen und sie beschlossen fortzugehen, um andere Stämme zu fragen, andere Pflanzen zu probieren. Irgendetwas musste ja helfen. Was genau aus ihnen geworden ist, weiß keiner. Nur eins: Seitdem wurde keiner von ihnen mehr hier in Emphira gesehen. Keiner ist zurückgekehrt. Vielleicht haben sie ja einen schöneren Ort gefunden zum Leben...“

„Vielleicht haben sie aber auch einfach nur keine Lösung gefunden und sind alle gestorben.“, meine ich ernüchtert.

Wir kommen beim Wasser an und schöpfen mit den Gefäßen, die Xeryf dabei hat, Wasser. Ich höre hinter mir Flügelschläge und drehe mich um. Nempha kommt mit dem Dafüx auf uns zu. Erst, als er gelandet ist, erkenne ich noch eins dieser riesigen Wesen hinter ihm. Auch das kommt auf dem Boden auf.

„Um dich zurückzubringen.“, erklärt er nur zwinkernd.

Er kommt auf uns zu und stellt sich vor:

„Hallo, ich bin Nempha von den Lyrosad. Sie sind bestimmt Xeryf. Arixon hat mir von dem Treffen mit Ihnen erzählt.“

Ohne Xeryf nur die Möglichkeit zu geben zu antworten, falle ich Nempha um den Hals. Ich klammere mich an ihn und seufze. Verzweiflung steigt in mir auf.

„Sie kann mir nicht helfen!“, schluchze ich bekümmert.

Nach einiger Zeit löse ich mich schließlich und wische mit eine Träne aus dem Gesicht. Nempha und Xeryf schauen mich überrascht, über meinen spontanen Gefühlsausbruch, an. Ich spüre wie mir Blut ins Gesicht schießt. Man, ist mir das peinlich!

„Wollt ihr mit zu mir kommen? Du zitterst ja, Arixon. Ich habe Zuhause warme Decken, die werden dich wieder aufwärmen.“

„Nein. Ich will wieder zurück. “

Nemphas Augen blitzen auf.

„Gern. Dann zeig ich dir, wie du einen Dafüx fliegst. Ich will ja nicht, dass du von mir abhängig bist! Nicht, dass es mich stören würde...“, meint er lächelnd.

„Ist mir recht. Hauptsache von diesen tristen Ort weg. schneebedeckt war es hier schöner...“, murmle ich einfach nur.

„Ok. Dann wünsche ich euch einen schönen Flug.“

Ohne weitere Worte laufe ich zu den zweiten Dafüx und grübele, wie ich alleine auf dieses Biest raufkomme. Nempha tritt hinter mich und hält kurz inne. Dann hievt er mich, ohne ein Wort zu sagen, auf das Geschöpf und meint dann:

„Eigentlich fliegen sie von allein. Du musst ihnen nur ein Zeichen geben, wenn du runter willst.“

Und auch er begibt sich jetzt zu dem anderen Monster und klettert hinauf. Gleichzeitig heben wir vom Boden ab und fliegen davon.

Traum?

 

Amilia starrt die Frau neben sich eine ganze Weile misstrauisch an.

„Mama?“, bringt sie verwirrt hervor und richtet sich auf.

Die Frau erstarrt. Ein erschrockener Ausdruck schleicht sich auf ihr Gesicht.

„Amilia... Endlich bist du wieder da. Vier Tage. Du bringst mich um.“, murmelt die Frau mit piepsiger, leiser Stimme vor sich hin.

Das junge Mädchen sackt wieder in ihr Bett und legt ihren Kopf auf das Kissen. Sie starrt geistesabwesend an die Decke und Schweigen erfüllt den Raum. Nach einer Ewigkeit steht sie auf und trottet zu einem Tisch im Zimmer, auf dem Blätter und Stifte ausgebreitet sind. Als sie an ihrer Mutter vorbeigeht, bemerkt sie, dass der Frau still Tränen die Wangen hinab gleiten. Emotionslos nimmt sie das zur Kenntnis und folgt ihrem Ziel. Wieder in Gedanken, kniet sie sich vor den kleinen Tisch und zeichnet. Amilias Mutter hingegen bricht auf ihrem Stuhl zusammen und heult laut los.

*

„Frau Lilith? Wie ich sehe ist Ihre Tochter wieder wach. Wie lange schon?“

Der Doktor ist ins Zimmer gekommen und schaut das kleine Mädchen mit einem etwas traurigen Blick an.

„Seit etwa einer halben Stunde.“, antwortet Amilias Mutter, als sie sich noch einmal über die Augen gefahren ist.

„Oh unglaublich... Das ist ja viel länger als die letzten Male.“, entgegnet der Arzt begeistert.
Die Frau hingegen beobachtet nur betrübt ihre Tochter, die sich auf den Boden gehockt hat und Fernsehen schaut. Sie deutet den Doktor näher zu treten.

„Irgendwas stimmt mit ihr nicht. Vorhin beim Aufwachen war sie orientierungslos. Nicht so wie sonst. Sie wusste, glaube ich, nicht mal genau wer ich bin. Und sie hat mich „Mama“ genannt. Das hört sich bestimmt merkwürdig an, aber so hat sie mich das letzte Mal als Kleinkind genannt. Sie würde das nie zu mir sagen. Vor allem nicht nach dem Tod ihres Vaters. Außerdem hat sie seitdem gar nicht mehr geredet. Und schauen Sie sich die ganzen Bilder an, die sie ständig malt.“

Der Arzt wischt sich verzweifelt durchs Gesicht.

„Ich bin kein Psychiater. Wahrscheinlich hat ihre Tochter einfach nur eine Menge Fantasie. Aber wir haben ihre Gehirnfunktionen beobachtet und in ihrem Kopf passiert Unerklärliches. Gehirnzellen sterben und ihr Körper baut auch immer mehr Muskelgewebe ab. Alles in einer rasenden Geschwindigkeit. Ich glaube, es wäre ein Wunder, wenn sie morgen noch den Weg aus der Klinik laufen könnte. Das schlimme ist: Solange wir nicht wissen, was das verursacht, können wir es nicht aufhalten. Wir haben Experten miteinbezogen, doch auch die sind genauso ratlos wie wir.“

Enttäuscht über sich selbst schüttelt der Arzt den Kopf und geht zu dem jungen Mädchen.

„Hallo Amilia. Wie geht es dir heute? Ich darf dich doch duzen, oder?“

Amilia nimmt langsam den Blick von dem flackernden Bildschirm. Sie sagt nichts, sieht ihn nur ausdruckslos aber durchdringend an.

„Ich träume.“, meint sie letztendlich.

„Ja ich weiß. Davon hat mir deine Mutter erzählt.“

Er geht zu dem kleinen Tisch und nimmt die darauf liegende Zeichnung in die Hand.

„Von einem weißen Tier mit blauer Zeichnung auf Stirn und Schwanz? Eine Mischung aus Wolf und Katze? Was steht da? Opanos?“

„Nein! Ich träume jetzt.“, meint das Mädchen nun energischer.

Der Arzt schaut sie verwundert an. Für einen Moment ist er sprachlos.

„Meinst du damit, du hast Halluzinationen?“

Amilia springt vom Boden auf.

„Nein!“, brüllt sie ihn beinahe an.

„Okay. Beruhige dich. Erkläre es mir.“, meint der Doktor, während er das Mädchen vorsichtig auf das Bett setzt.

Amilia seufzt und schaut den Mann vor sich wieder für eine Weile schweigend an.

„Ich fühle mich wie in einem Traum. Alles ist unwirklich. Alles hier ist unlogisch. Schauen Sie sich doch um! Das da, und das, und das!“, meint Amilia und deutet auf den Fernseher, auf das Handy ihrer Mutter, sowie auf den Pager des Arztes.

„Überlegen Sie mal. So etwas ist vollkommen unlogisch. Irgendwelche Geräte, bei denen kein Mensch weiß, wie sie funktionieren, bekommen Energie durch Kabel, die wiederum mit einem Stromlieferanten, wie einem Kraftwerk, verbunden sind. Zudem müssen sie nicht mal an ihren Kabeln angeschlossen sein, um zu funktionieren. Jeder, der ein Handy hat, kann ein anderes Handy anrufen und dann mit dem Besitzer des anderen Telefons reden. Die Geräte müssen nicht einmal miteinander verbunden sein.“

Amilia macht eine Pause und starrt ins Leere.

„Habgier bestimmt die Erde. Außerdem hassen alle sich. Es gibt Kriege. Alle sind zueinander unhöflich. Selbst die Tiere hassen die Menschen und die Menschen die Tiere. Immerhin essen sie sie auf.“

Bei diesen Worten bricht der Arzt in schallendes Gelächter aus. Amilia wirft ihm einen vernichtenden Blick zu, sodass der Mann innehält.

„Oder was ist mit Umweltverschmutzung? Warum machen Menschen ihren eigenen Lebensraum kaputt? Warum schaden sich Menschen selber? Warum machen sie so etwas wie rauchen oder Drogen nehmen? Das ist einfach nur dumm. Das kann nicht echt sein. Emphira ist echt. Alle Lebewesen verstehen sich miteinander und wollen nur das, was sie brauchen. Alles was man da fühlt ist: Frieden, Zufriedenheit, Ruhe, Glück. In dieser grausamen Traumwelt kann man nicht leben.“

Der Arzt schaut verwirrt zu Amilias Mutter. Sie schüttelt lediglich mit dem Kopf und deutet auf das Bild, welches das blonde Mädchen gemalt hat.

„Amilia... Die Welt ist echt und man kann auch auf ihr leben! Hier gibt es doch auch Glück und Frieden. Nur nicht immer. Nichts ist perfekt, Kleine. Wie dem auch sei, ich denke, du bist etwas verwirrt. Ich besorge dir am Besten etwas, was dagegen hilft.“

Der Arzt verlässt den Raum. Amilias Mutter folgt ihm.

„Verstehen Sie jetzt was ich meine?“, brüllt sie hysterisch.

Der Arzt streicht sich durch sein Haar, ehe er antwortet:

 „Ich kenne mich wirklich nicht mit der Psyche von Menschen aus, zudem noch die eines Kindes, jedoch denke ich, Amilia glaubt nun sie würde momentan träumen, da sie jetzt viel mehr Zeit in ihrer Traumwelt verbringt, als in der Realität. Sie war vier Tage weggetreten. Vier Tage können eine Menge ausmachen. Das ist ein deutlich längerer Zeitraum als bisher.“

Und noch mehr, was niemand versteht...

 

Wieder gilt mein erster Blick den Bäumen. Wieder weiß ich, dass ich da bin, wo ich schon öfters aufgewacht bin. Wieder kann ich mir sicher sein, dass Nempha neben mir sitzt und mich beim Schlafen beobachtet, darauf wartet, dass ich endlich aufwache.

„Tut mir Leid. Ich hasse es. Aber Nempha, du musst nicht immer warten.“, murmele ich noch benommen.

„Ich will es aber.“

Ich schaue ihn an und forsche in seinen Augen.

„Warum?“

„Du träumst Grausames. Ich möchte, dass das erste, was du nach dem Aufwachen siehst, etwas ist, was dir vertraut vorkommt. Etwas, von dem du dir sicher sein kannst, dass es dir nie etwas tut.“, seufzt er, während er mir Haare aus dem Gesicht streicht.

„Ok, wenn du jetzt wieder fit bist, können wir ja los. Mein Stamm hat diesen Kleinen hier geschickt. Ich glaube, wir begrüßen ein neues Mitglied.“, plappert er, während er auf ein mir unbekanntes Geschöpf zeigt.

„Es ist Pherus.“, ergänzt er schnell.

Das kleine Wesen hat große, schwarze Ovale als Augen, einen runden Kopf und lange, dünne Ohren, von denen schwarze Schwimmhäute zum Kopf führen. Vier dünne Beine mit je drei kurzen Zehen, die ebenfalls mit schwarzen Schwimmhäuten verbunden sind, tragen das Kerlchen. Auch von den Vorderbeinen reichen Schwimmhäute zum Bauch. Aus dem Maul lugen zwei niedliche kleine Zähnchen heraus. Über den Rücken ziehen sich schwarze Streifen, die eine Abwechslung auf dem roten, schuppigen Körper bieten. Am Ende des dünnen Schwanzes ist eine Art Fächer aus Schwimmhäute angebracht, mit dem sich das putzige Ding Luft zuwedelt. Es zappelt die ganze Zeit herum und kann nicht still stehen.

„Eigentlich lebt es in der wärmsten Region hier in Emphira, ich weiß nicht, was es hier macht.“

„Warum hat es überall Schwimmhäute oder so?“

„Damit es sich Abkühlung verschaffen kann. Ein Pherus kann sehr gut schwimmen, kann durch die Luft gleiten und ja, wozu es die “Schwimmhäute“ noch benutzt, siehst du ja.“

Ohne weitere Zeit zu verlieren, stürmt mein Begleiter davon. Verwirrt schau ich ihm nach, bis er schließlich wiederkommt und fragt:

„Kommst du nun?“

Und zieht mich dann wieder davon.

„Wie meinst du das, neues Mitglied? Wo kommt es denn her? Von einem neuen Stamm?“

Nempha wirft mir einen verwirrten Blick zu, so als hätte ich gerade die dümmste Frage gestellt, die es gibt.

„Nein. Jeder von uns kann genau einen Nachfahren zeugen.“

„Wie?“

„Na, wir geben unsere Lebensenergie eines der Ungeborenen. Wir haben eine Pflanze, an der sozusagen kleine Kinder wachsen, um es mal ganz einfach zu sagen. Die Pflanzen von unserem Stamm sind an einem wunderschönen Ort versammelt. Bei den Crynoi wuchsen die Pflanzen unter Wasser. Sie sind irgendwann eingegangen, denn es bedarf viel Pflege diese am Leben zu erhalten.“

Ich verstehe es immer noch nicht aber noch einmal nachfragen, will ich auch nicht.
Mir bleibt fast der Atem weg, als ich zwischen den Bäumen einen Haufen Lyrosad entdecke. Alle haben diese braune Spirale auf der Stirn, durch die man erkennen soll, dass sie zu diesem Stamm gehören. In der Mitte der Gruppe erkenne ich ein kleines, zerbrechliches Kind. Auch dieses hat das Erkennungsmerkmal schon.

„Wann bekommt ihr das?“, murmele ich in Nemphas Ohr.

„Sobald uns Lebensenergie geschenkt wird.“

„Stirbt der, der die Lebensenergie schenkt?“

Nempha nickt unbekümmert, bevor er sich einen Weg durch die anderen Stammesmitglieder bahnt, mich noch immer hinter sich her ziehend.

Keine Antwort

 

Amilias Körper fängt an zu zucken, bevor sie mit einem Schreck aufwacht.

„Schwesterherz! Wenigstens lässt du uns nicht wieder vier Tage warten.“, scherzt Hannah überglücklich und fällt der Kleinen um den Hals.

„Lass mich los! Du bist nicht meine Schwester.“, meint Amilia nur entschlossen und stößt die Größere von sich.

„Amilia spinnst du? Was ist denn in dich gefahren?“

Die Hand der Mutter legt sich auf die Schulter des brüllenden Mädchens.

„Geh und sag dem Arzt Bescheid. Er wird den Psychologen kontaktieren.“, meint sie zu Hannah.

Grimmig stapft das ältere Mädchen aus dem Raum. Gleichgültig schwingt sich Amilia aus dem Bett und setzt sich wieder vor dem laufenden Fernseher.

„Mein bloß nicht, ich werde mit dem reden.“, äußert sich Amilia nach einigen Minuten darüber verärgert.

Die Mutter erwidert nichts und so herrscht Schweigen, bis schließlich die Tür langsam geöffnet wird und ein Mann Anfang Dreißig eintritt.

„Ha! Hat der überhaupt sein Studium fertig?“, faucht Amilia verächtlich.

Der Mann setzt sich neben Amilia auf den Boden.

„Hallo, mein Name ist Dr. Seidel, aber du darfst mich auch Thomas nennen. Wie ist dein Name?“

Amilia ignoriert den Mann einfach.

„Wie geht es dir heute?“

Immer noch keine Antwort.

„Willst du nicht mit mir reden?“

„Warum sollte ich mir die Mühe machen?“, meint das sture Mädchen hochnäsig.

„Weil ich dir glauben werde. Komm schon. Ich will dir doch nur helfen. Von mir aus können wir auch über etwas vollkommen belangloses sprechen...“

Amilia findet auch weiterhin keine Lust dem Doktor zu antworten und starrt weiterhin den Bildschirm des Fernsehers an. Der Psychologe beobachtet das Mädchen eine Ewigkeit, bis er schließlich seufzt und aufsteht.

„Tut mir Leid Frau Lilith. Wenn sie nicht reden will, lass ich sie jetzt erst einmal in Ruhe. Vielleicht wird sie später dazu bereit sein, sich mit mir zu unterhalten.“, murmelt er, während er Amilias Mutter die Hand gibt.

„Ich würde mich wirklich sehr freuen!“, flüstert er Amilia noch ins Ohr, bevor er aus der Tür verschwindet.

Amilia springt auf und schleudert das Kopfkissen, welches auf ihrem Krankenbett liegt, dem Mann hinterher und somit an die Tür, aus der er verschwunden ist.

Das letzte Mal...

 

Der Körper des kleinen Mädchens liegt reglos auf dem Bett. Das EKG, welches die Herzfrequenzen der Kleinen überwacht, fängt an, unregelmäßige Laute von sich zu geben, die letztendlich in ein schrilles “Piep“ übergehen.

*
Ich sitze auf dem Rücken eines Dafüx. Schwebe über das Meer hinaus. Endlose Weite. Alles, was ich sehe, ist schimmerndes, glitzerndes Wasser und der leuchtende Himmel. Alles was ich fühle: Frieden, Glück, Ruhe. Ich und der Dafüx gleiten durch die Luft. Fliegen in die Endlosigkeit.

Impressum

Texte: liegen bei Autorin
Bildmaterialien: liegen bei Autorin
Lektorat: Rita Hergenreiter
Tag der Veröffentlichung: 14.07.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich möchte meiner allerbesten Freundin danken, die vom Anfang an dabei war und mir immer wieder geholfen hat. Auch in Zukunft werde ich sie mit meinen Ideen belästigen und mit Black-outs nerven. An dieser Stelle tausend Küsse und Entschuldigungen an sie.

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