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Eine Beklemmung, ein intensiver Geruch nach Fisch, das laute Ticken ihrer Standuhr. Sekunde für Sekunde, tak tak, sie drehte sich schnell um, tak tak.
Ich werde beobachtet, dachte sie, ja, das ist es, ich werde beobachtet.

Zenta sah als erstes unterm Bett nach. Das war gar nicht so einfach. Seit ihrem neuen Kniegelenk vor elf Monaten war sie nicht mehr auf dem Boden herumgekrochen, und hatte dadurch auch gewisse Ecken nicht mehr saubergemacht. Mein Gott, dachte sie, wenn Erwin da vielleicht eine Fischsemmel, aber der Fischgeruch war nicht mehr auszumachen, sie spürte dem Geruch nach, sog die Luft tief ein, nein, er war verflogen.
Endlich war sie am Boden, ihr dicker Bauch war ihr auch hinderlich. Sie stöhnte, die Standuhr, tak tak, eine Beklemmung, jetzt, dachte sie, aber unter dem Bett, nichts, nur Staub, Staub und ein altes Papiertaschentuch, dass wie ein Flieger gefaltet war. Mühsam rappelte sie sich wieder hoch.

Wenn ich mich jetzt ganz schnell umdrehe, dachte sie. Ganz schnell muss es sein, dann sehe ich es. Es steht hinter mir. Jetzt. Ganz schnell.
Zentra drehte sich so schnell um, dass sie sich am Nachtkästchen festhalten musste, ihr wurde schwindlig.
Da war etwas gewesen. Sie spürte Augen in ihrem Rücken. Ganz bestimmt. Da war etwas gewesen. Es war schneller als sie.

Am besten ignoriere ich es einfach, dachte sie. Tak tak, eine Beklemmung, aber kein Geruch. Ich tue einfach so, als ob es nicht da ist, und mache einfach weiter wie bisher.
Aber das war gar nicht so einfach.
Es fiel ihr nicht leicht das Nachthemd auszuziehen, und den Schlüpfer an, und den BH, und den Kittel, gar nicht so einfach, wenn sie überall Augen spürte.
„Da schau nur!“, sagte sie laut. „Schau nur her!“
Ihre Knie zitterten so stark, dass sie sich in den Sessel fallen ließ. Langsam knöpfte sie den letzten Knopf ihres Kittels zu, schlüpfte in ihre Hausschuhe und beobachtete den Raum, unauffällig.
Den Schrank. Das Bett. Die Nachtkästchen. Den Teppichläufer. Den Spiegel.
Es ist unter dem Sessel, dachte sie. Gerade jetzt ist es unter dem Sessel, schau nach!
Doch Zenta stand schnell auf, hetzte aus dem Schlafzimmer und schloss die Tür ab. Die Standuhr schlug sechsmal.

Unter Tags war es dann weg. Die Beklemmung war weg. Alles fühlte sich normal an, nur einmal stutzte sie, als sie sich in ein Taschentuch schnäuzte, das nachher wie ein Papierflieger aussah. Sie entsorgte das Taschentuch, erledigte ihren Haushalt, keine Beklemmung, alles normal.

Als sie am Abend das Schlafzimmer wieder aufsperrte, schalt sie sich „blöde Kuh“.
Sie zog sich aus, ging ins Bett, der Mond beleuchtete ihre Bettdecke. Sie stand noch einmal auf und ließ die Jalousien herunter. Dann drehte sie sich auf die Seite, tak tak, tak tak, die Standuhr schlug zehnmal.

Zenta Dorfmeister hätte besser nachgesehen, denn am nächsten Morgen war sie tot.

Sie lag vor ihrem Bett im Nachthemd, erschlagen von ihrer Standuhr, das Schlafzimmer eine einzige Verwüstung.
Die Daunenkissen, das Daunenbett, aufgeschlitzt, der Schrank offen und leer, der Boden ein Durcheinander von Kostümen und Pullovern und Schlüpfern. Selbst das Bild von ihrem verstorbenen Mann Erwin hing nicht mehr an der Wand, sondern lag ebenso wie der Spiegel zerbrochen am Boden.
Nur der Sessel, der Sessel sah normal aus, ein alter brauner durchgesessener Sessel.

Es gab keine Erklärung. Die Außentür war verschlossen. Die Obduktion ergab keine Fremdeinwirkung.
„Sie hat nur über Beklemmung geklagt“, erzählte die Nachbarin, „nur über Beklemmung, tagelange Beklemmung, sonst nichts.“


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Tag der Veröffentlichung: 10.08.2009

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