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Die Streifen

Ich war gerade unterm Abspülen, als Stefan anrief. Er klang aufgeregt, fast hysterisch, auf jeden Fall beunruhigt.
Sein Penis hatte über Nacht Streifen bekommen.
Ach was, lachte ich und trocknete meine nassen Hände an meiner Hose ab. Das konnte länger dauern.
Wirklich, schrie Stefan, wirklich, lass mich vorbeikommen und ihn dir zeigen.
Mir zeigen? Deinen Penis?
Ich meine, das ist ja nun mal wirklich ein neuer Spruch. Einer, den ich noch nie gehört hab.
Stefan und ich, wir sind schon ewig befreundet, seit der Schulzeit, und wenn er mir auch damals ein oder zweimal seine Zunge in den Mund gesteckt hat, sind wir nie weitergegangen.
Die meisten Leute die ich kenne sagen, das ist nicht möglich, eine Frau und ein Mann, nur Freunde, früher oder später kommt immer der Sex dazwischen, aber Stefan und ich, wir sind der lebende Beweis.
Lisa, sagte er, ich komme jetzt und Chaka. Und dann legte er auf.
Und Chaka, ist etwas was Stefan oft sagt, doch meinen tut er: Ende der Diskussion.
Er braucht nur 15 Minuten um zu meiner Wohnung zu kommen, deshalb schaute ich schnell in den Spiegel.
Unmöglich, das ich mit so einem Gesicht seinen Penis anschauen konnte.
Ich zog mich aus, sprang in eine vier ein halb Minuten Dusche und klatschte ein wenig von meiner sündteuren Gesichtscreme auf meinen Körper.
Bloß gut, dass ich für Notfälle immer ganz neue Unterwäsche in meinem Schrank habe.
Und das war ganz bestimmt ein Notfall.
Ich zog also diesen sexy schwarz-weißen BH und den dazu passenden Slip an, und schlüpfte in eine Jeans und ein T-Shirt. Schließlich war es ja nur Stefan.
Zwölf Minuten später, ich kämmte gerade meine Haare, Wimpern noch ungetuscht, als die Glocke läutete.
Wahnsinn, der musste wie ein Irrer gefahren sein.
Ich tuschte meine Wimpern, doch er ließ seinen Finger permanent auf der Glocke, so dass ich ein wenig Tusche verschmierte.
Verdammt Stefan, sagte ich durch die Sprechanlage, kannst du nicht eine Sekunde warten.
Nicht eine Sekunde länger, rief er. Und während ich in den Spiegel sah - und ich sah gut aus - , hörte ich wie er die ganzen vier Stockwerke nach oben lief.
Er atmete nicht einmal schwer, als er oben ankam. Er ist in guter Form.
Also, sagte ich, wo wollen wir es machen? In der Küche? Im Badezimmer?
Er starrte mich nur an.
Im Schlafzimmer natürlich, sagte er, sag einmal, glaubst du das ist lustig?
Er schob mich ins Schlafzimmer und öffnete den Hosenschlitz von seiner Jeans.
Er kann echt schnell sein, wenn er will.
Schau Lisa, sagte er, schau dir das an.
Und ich sah es mir an. Ich sah es mir ganz genau an. Stimmt schon, da waren Streifen. Nicht schwarz-weiße Streifen wie bei einem Zebra, eher braune und rötliche, wie bei einem alten Gemälde. Und sein Penis war wirklich groß, größer als ich dachte. Und überraschend samtig.
Es schaut hübsch aus, sagte ich, und genauso meinte ich es auch.
Bist du verrückt? Hübsch? Das ist ein einziger Alptraum!, schrie er.
Er raufte sich mit beiden Händen die Haare, während ich immer noch auf sein Problem schaute.
Hast du versucht es abzuwaschen?
Es abzuwaschen, fluchte er. Ich habe ihn bis auf die Poren geschrubbt, da schau doch, meine Eier sind schon wund, schau doch, und er zeigte mir mehr und mehr.
Aber es schaut wirklich gut aus, sagte ich, wie ein Gemälde und er erstarrte.
Liz Hurley!, schrie er, ich bringe sie um!
Liz Hurley?, fragte ich, aber er antwortete mir nicht.
Während er wie wild Nummern in sein Handy tippte, sah ich immer noch auf sein gestreiftes Ding. Es sah so aus, als ob es ein Eigenleben führte.
Hast du mit Liz Hurley geschlafen?, fragte ich ihn lautlos, und er winkte und sein Ding winkte auch.
Nur eine Inderin, die ihr ähnlich schaut, sagte er genauso lautlos zurück, ich bringe sie um.
Er machte mit ihr wirklich über das Telefon Schluss, etwas das ich normalerweise unter aller Kanone finde, das mich aber im Moment überhaupt nicht störte.
Die Nerven von dieser blöden Kuh, sagte er, als er aufgelegt hatte, mich im Schlaf anzumalen.
Es schaut aber richtig cool aus, sagte ich.
Findest du?
Es war wahrscheinlich das Glitzern in seinen Augen, die ganze lächerliche Situation, Stefan immer noch mit seiner Hose unten, oder die Tatsache, dass er mit einer Liz Hurley Doppelgängerin geschlafen hatte, ich weiß es nicht, aber das Leben geht schon manchmal die seltsamsten Wege. Ich habe auch Streifen. Willst du sie sehen?, fragte ich.





Impressum

Texte: Titelbild: Photografie Stefanie Winter (Ausschnitt aus Gemälde Petra Winter)
Tag der Veröffentlichung: 22.06.2009

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