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Der Dirigent der Straße

Das ich den Dirigenten grüße, das war ihr letzter Wille!
Als ich die Tür zur Südspitze öffnete, empfing mich ein Rauchschwall, der mich komplett verschlang! Mein erster Gedanke war Silvia und wie vermutet saß die schöne Mit Sechzigerin auf ihrem Stammplatz, trank Whisky und rauchte verträumt ihre Zigarren; die wohl nicht all zu viel gekostet haben dürften, denn dieses verriet mir ihr Geruch!
Der Wirt der Südspitze begrüßte mich wie immer mit einem Nicken, ich setzte mich und bestellte mir das erste Bier. Es war das erste Bier seit Stunden, und ich spürte wie gut es mir tat, als es mir die Kehle herunter ran. Ich versuchte den bleiernen Krankenhausgeschmack herunter zu spülen, doch er haftete wie Teer an meinem Gaumen. Im Hintergrund lief Marianne Rosenberg, und ich bemerkte wie sich Hass in mir breit machte, da sie besang wie einer von Beiden gehen müsse. Wieder leerte sich mein Glas wie von alleine!
Wortlos stellte mir der Wirt ein neues Bier zur rechten und wandte sich dann wieder Silvia zu, die von früher erzählte und ins Schwärmen geriet.
Vierzehn Jahre kannte ich Silvia nun und sie war wie der Gleichgang der Gezeiten. Immer in Schwarz gekleidet, immer einen Whisky vor sich, und immer eine Zigarre in der Hand. Auch das müde, leicht gequälte Lächeln war immer das selbe. Fortwährend musste ich an Lilianne denken; meine Liebe!
Die Bestrahlungen setzten ihr zu und es schien ihr jeden Tag schlechter zu gehen. Mein Magen verkrampfte sich bei den Gedanken an ihre endlosen Schmerzen. So lange litt sie nun schon, und ich konnte ihr nicht helfen!
Lilianne war dennoch fast immer voller Hoffnung. Ich erinnerte mich dass ich sie nicht danach gefragt hatte, was sie damit meinte; ich solle den Dirigenten der Straße grüßen, da ich vermutete die Antwort, eine Erklärung würde sie zu viel Kraft kosten, und das wollte ich ihr ersparen. Der Wirt der Südspitze riss mich aus meinen Gedanken und bat mich für einen kurzen Moment die Tür zu öffnen, da Silvias Qualm die gesamte Kneipe in englischen Nebel hüllte. Marionetten gleich handelte ich, öffnete die Tür, schob den Holzkeil unter blieb für einen Moment im Eingang stehen. Wie doch die Zeit vergeht dachte ich und realisierte das schon wieder Oktober war. Ich betrachtete die sich wiegenden Baumkronen, die fallenden viel farbigen Blätter und dann sah ich etwas, das mir den Geist für alle Zeit befreien sollte.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sah ich ihn, und wahrhaftig; es war der Dirigent! Da stand ein alter Mann mit einem langen rabenschwarzen Mantel, mit Hut, Vollbart und in jeder Hand einen elfenbeinernen Stock. Er dirigierte die vom Himmel her tanzenden Blätter; wie einst Herbert von Karajan
sein Orchester führte. In Faszination gefangen, betrachtete ich dieses unwirkliche Schauspiel und war von einer Glückseligkeit durchströmt, die mich in Starre verweilen ließ. Ich konnte dem älteren Herrn der mir den Eindruck vermittelte, dass er schon Jahrhunderte die Welt bevölkerte, genau in die Augen sehen; und sie verrieten mir dass alles gut sei und ich mich nicht zu Sorgen brauchte. Erinnern konnte ich mich nicht mehr, wie lange dieses Szenario dauerte, doch als ich für einen winzigen Augenblick den Blick abwandte, war der Mann wie durch Zauberhand verschwunden, und außer den zwei Bäumen unter denen er gestanden hatte und die immer noch glitzernde Blätter zu Boden warfen, war alles wie zuvor. Die Geräusche der Straße kehrten an mein Ohr zurück und ich fühlte die Schwere aller Lasten zurückkehren. Leicht hektisch befragte ich den Wirt und zwei zuvor nicht bemerkte Gäste, ob sie auch den Mann gesehen hatten; der voller Inbrunst die Blätter zum tanzen brachte. Silvia kam mit mir vor die Tür und suchte die Stelle mit den Augen ab, wo mir der Mann mit dem Stetson erschienen war.
Dann legte sie zärtlich den Arm um mich und lächelte verständnisvoll.
Energisch streifte ich ihre Hand von mir, kehrte ins innere der Südspitze zurück und lenkte meine Schritte in Richtung Toilette. Während ich mich erleichterte, dachte ich unwillkürlich an den Tag vor zwölf Jahren zurück, an dem mir Silvia ein unmoralisches Angebot machte. Ich bemerkte wie ich erregte, und als nächstes kamen mir die Jahre in den Sinn, die ich nicht mehr mit Lilianne geschlafen hatte. Auch fühlte ich auf einmal ein unbändiges Verlangen und um dieses Gefühl schnell zu verbannen, wusch ich mir das Gesicht mit kaltem Wasser. Dann kehrte ich zurück und nippte an einem neuen Bier. Keiner außer mir schien den Mann gesehen zu haben, oder von seiner Existenz zu wissen; und alles was mir an diesem Tag bleiben sollte, war das Gefühl vollkommen befreit zu sein und keinerlei Angst zu verspüren. Noch einmal kehrte ich auf die Straße zurück und sah mich noch ein weiteres mal nach dem Dirigenten um, kehrte dann aber enttäuscht zum Tresen zurück und verweilte mit wirren Gedanken. Die Augen des wundersamen Mannes hatten sich unauslöschlich in meine Netzhaut gebrannt und ich fühlte regelrecht eine starke spirituelle Anwesenheit, die mich gänzlich umfing. Es war als wäre ich in einer Art Trance gefangen, was mir etwas später der Wirt und auch Silvia bestätigten. Sie meinten ich hätte vollkommen verändert ausgesehen, was ich mit einem Schmunzeln bekundete. Aus einem Gefühl heraus verließ ich am frühen Abend die Kneipe und beschloss noch mal am Krankenhaus vorbei zu schauen, denn ich wollte Liliaane von den unfassbaren Ereignissen berichten.
Meine Schritte waren leicht wie selten und es stellte sich ein Gefühl ein, welches man verspürt wenn man zur Beichte geht. Wie ein Magnet zog es mich voran und meine Wahrnehmung war klar wie nie! Ich konnte Lilianne schon sehen obwohl ich noch nicht mal am Krankenhaus angekommen war.
Ich fühlte dass etwas schlimmes geschehen würde und beschleunigte meinen Gang! Als ich vollkommen entkräftet ihr Krankenbett erreichte, lag sie friedlich da und schlief den Schlaf der Gerechten. Ich zog mir einen Stuhl heran, setzte mich und nahm ihre Hand. Sie fühlte sich an wie ein kalter Krähenfuß den man im Schnee gefunden hatte, und ich erschrak über diesen Vergleich. Dann blickte ich zum Fenster und sah das wundervolle Licht der Abendsonne, welches urplötzlich das ganze Zimmer in ein samt weiches Leuchten hüllte, und ich verspürte zum zweiten mal die besondere Kraft der völligen Zufriedenheit, die mich förmlich zu tragen schien und mir ein Gefühl vermittelte; als würde ich schweben! Lilianne öffnete ihre Augen und diese strahlten wie nie zuvor. Ich bemerkte wie sie meine Hand drückte, und dann sah sie mir direkt ins Herz. Sie fragte mich mit spröden Lippen, ob ich ihren Wunsch erfüllt hätte, und ich nickte. Es wäre schön gewesen, ihr von diesem besonderen Ereignis zu berichten, doch ich wusste dass dies nicht mehr nötig war! Mit einem letzten Lächeln verriet mir Lilianne, meine einzige Liebe, dass auch sie nun ein tanzendes Blatt sei, und ein Teil des göttlichen Orchesters.
Dann ließ sie mich für immer zurück, und ich verspürte Dankbarkeit!
Seither kehre ich jedes Jahr im Oktober an ihr ihr Grab zurück, schwöre ihr meine Liebe, entnehme dem moosbedeckten Grab zwei elfenbeinfarbige Stöcke, und schwinge sie zum Himmel schauend im Rhythmus der tanzenden Blätter. Ich ersehne nichts, fühle mich leicht und frei; den nun....
.... bin ich ein Dirigent!


(c) by Shelben Ried (Falk Peter Scholz)

Impressum

Texte: Alle Rechte an dem Text, liegen beim Autoren Falk Peter Scholz! ( Coverbild by Google )
Tag der Veröffentlichung: 13.12.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Jürgen Wulf!

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