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raußen war es bereits hell geworden als Sie die Tür öffnete und den Glockenturm verließ. Sie drehte sich noch noch einmal herum, schaute ihm tief in die Augen und verschaffte ihm damit die nötige Ruhe für kommende Taten. Theresa war bewusst das sie jetzt nicht mehr zurück konnten und auch Pierre erkannte die Macht des einen Moments. Noch einmal lief sie zu ihm, drückte ihm einen zärtlichen Kuss auf die geröteten Wangen und streichelte sein Haupt. Noch immer fühlte sie tief den Schmerz der frischen Liebe, seiner Liebe – der Liebe zu ihr und dem Kind. Sieben Monate war ihre erste Begegnung nun schon her, eine Begegnung die durch die Liebe des ersten Moment geprägt war. Eine Liebe die niemals hätte stattfinden dürfen, wäre es nach ihren Familien gegangen. Ein unverzeihlicher Afrong gegen Glauben und Vaterland. Pierre ein Sohn der Revolution so wie es ihr Vater zu pflegen sagte, sie eine Tochter Gottes und des Glaubens. Ihre zwei seit fast zwei Jahrhunderten verfeindeten Familien, Familien die sich bis aufs Blut hassten und der Ausrottung der jeweils anderen Familie mit Applaus begegnen würden, sie würden niemals Akzeptanz walten lassen. Ihrer beider Schicksal war nunmehr besiegelt, genauso wie es Pater Stephanus vorausgesagt hatte. Vor vier Monaten hatte sie ihm in einer Beichte ihr Leid geklagt, hatte dem Pater von dem unauslöschlichen Hass erzählt den ihre Familien hegten. Er wiederum bestätigte sie in ihrer Liebe, erklärte Theresa dass Liebe niemals etwas falsches sei und willigte ein sie und ihren Geliebten im Glockenturm zu beherbergen, wann immer sie sich sehen konnten. Pater Stephanus war ein tief gläubiger Mann, doch kannte auch er die Kraft einer versagt gebliebenen Liebe, lange bevor er ein Mann des Glaubens wurde. Von nun an traf das verliebte Paar sich heimlich, im Glockenturm von Calais. Unter den Augen Gottes verbrachten sie hier die Stunden voller Verzückung und Hingabe. Auch Pater Stephanus besuchte das junge Paar wann immer ihm die Zeit zu lang erschien, erzählte ihnen alte Geschichten von Liebespaaren denen es ähnlich erging. Die Lieblingsgeschichte der beiden war wohl die von Abaelard und Heloise, ein Liebespaar dem ebenfalls das Recht auf Liebe genommen wurde. Die Geschichte besagt dass Abaelardus ein Gelehrter und Philosoph seiner Zeit Hauslehrer von Heloise wurde, ein junges Ding von gerade mal siebzehn Jahren. Der vierzig jährige Lehrer verliebte sich direkt in Heloise und die beiden zeugten ein Kind Namens Astralabius. Ihr Onkel Fulbert willigte zwar in die Ehe ein, doch unter der Bedingung dass diese geheim bliebe. Dadurch dass Abaelard seine Heloise ins Kloster berief und Fulbert dieses als eine Verletzung seiner ehelichen Pflichten betrachtete, ließ er Abaelard entmannen und setzte der Widerspenstigkeit ein Ende. Eine Geschichte die Theresa und Pierre wie ihre eigene erschien. Es war wohl auch der Grund dafür dass die beiden einen wirklich finsteren Plan schmiedeten, ein gemeinsames Kind der beiden verfeindeten Familien. Dieses wäre eine perfekte Kreuzung, ein Experiment. Die Erschaffung des Antichristen und des Engels des Todes. Ein von Rachelüstern genährter Zeugungsprozess, die Zusammenkunft der verfeindeten Familien. Die Beichte der beiden im elterlichen Hause glich einer Katastrophe. Beide Familien verbannten ihre Kinder auf Lebenszeit und so mussten die beiden von nun an ihr Dasein im Glockenturm fristen. Selbst Pater Stephanus hielt dieses für eine schlechte Idee die Familien zusammen zu führen, auch wenn er dieses Kind als ein Geschöpf Gottes betrachtete. Er ahnte ja nicht dass dieses Kind keineswegs als Mittel der Schlichtung gedacht war, sondern ein Kind der Rache war. Es würde ein Kind des Hasses werden, nur gezeugt durch Verachtung und Missbilligung. Er konnte nicht ahnen dass er der Auslöser dafür war. Diese Liebesgeschichte die so voller Schmerz und Trauer war, hatte die beiden zu diesem Entschluss getrieben. So gingen die Monate dahin, Theresa verbrachte die Zeit meistens mit dem Lesen alter Schriften oder der Anfertigung von Babykleidung, Pierre verrichtete ein paar Instandsetzungsarbeiten am Glockenturm und Pater Stephanus schaute wann immer er Zeit fand nach den zwei Liebenden und ihrem ungeborenen Kind. Doch merkte der Gottesmann schnell dass die beiden sich mit der Zeit veränderten. Von einer unumstößlichen Liebe war bald nicht mehr viel zurückgeblieben. Pierre war ständig gereizt, ihm war die Zeit hier oben unerträglich geworden und dass er sich nicht frei bewegen konnte war strickt gegen seine Natur. Auch ertrug er dieses ewige Gerede um das Kind und die Namensfindung nicht mehr und so kam es bald darauf zum Bruch der Liebe zwischen Theresa und Pierre. Anfang Oktober verließ Pierre den Glockenturm, er ging zurück zu seiner Familie, kroch zu Kreuze, er flehte um Vergebung und verleugnete alsbald auch seine Liebe zu Theresa und dem Kind. Pierres Familie akzeptierte seine Verfehlung mit dieser Gläubigen und nahm ihn wieder in den Schoß der Familie auf. Pierre kehrte niemals zum Glockenturm zurück. Nun war Theresa ganz auf sich allein gestellt, nur der Geistliche war ihr als Stütze geblieben. Doch Theresa ertrug die verleugnete Liebe und die karge Behausung mit sehr viel Würde. Sie beschwerte sich nie und gebar schließlich an einem sonnigen Tage im April ihr Kind, einen Sohn Namens Pierre. Theresa erwählte den Namen des Vaters, auch wenn er seinen Sohn nie zu Gesicht bekommen sollte. Pater Stephanus holte den Jungen in einer sehr schwierigen Geburt auf die Welt und nur kurz darauf verstarb Theresa an zu starken Blutungen, noch ohne ihr Baby jemals in den Armen gehalten zu haben. In den letzten Minuten ihrer Agonie rang Theresa dem Pater das Versprechen ab dass er sich um den kleinen Pierre kümmern sollte und ihm wenn er alt genug sei die Wahrheit über den Grund seiner Existenz zu sagen, auch wenn es ihm schwer falle. Pater Stephanus versprach ihr den Jungen wie sein eigenes Kind groß zu ziehen und ihm alles zu lehren was ihm im späteren Leben von Nutzen sei. Dann schloss er die Augen und stimmte ein Gebet zur Vergebung an. Jetzt war Eile geboten, dieses wusste er. Wenn die Familie erst einmal von Theresas Tod erfuhr, würden sie den Jungen zu sich nehmen und er würde den ganzen Hass zu spüren bekommen, da er ein Kind des Frevel war. So beschloss der Pater den Jungen einem alten Glaubensbruder mit zu geben, der eine viermonatige Reise in den Orient unternahm. Er sollte dem Jungen dort ein Zuhause suchen, ihn möglichst weit weg von Frankreich aufwachsen lassen. Am nächsten Tage war es dann soweit, er übergab den Jungen und ein paar Briefe der Mutter sowie einen von ihm selbst verfassen Brief mit Informationen über seine Herkunft und Calais. Später einmal sollte der Junge wissen ( ganz nach dem Willen der Mutter ) was und warum es geschah, auch wenn es ihm förmlich das Herz brach. Wie er vermutet hatte waren schon zwei Tage darauf die Familien in Calais eingetroffen, auch ein Abgesandter der Heiligkeit. Pater Stephanus wurde öffentlich der Prozess wegen Ketzerei gemacht und er wurde schon wie Abaelardus zu einem lebenslangem Aufenthalt in ein Kloster verbannt. Nur über einen geheimen Briefkontakt war es dem Geistlichen möglich etwas über den Jungen zu erfahren, der jetzt im Orient verweilte und dem es ersichtlich gut zu gehen schien. Wie aus den Briefen hervorging wuchs der kleine Pierre schnell heran und schon bald hatte er sein 17 Lebensjahr erreicht. Die Jahre waren wie im Fluge vergangen und wie Pater Stephanus erfahren hatte, wurde der Vater des Jungen vor ein paar Jahren während blutiger Aufstände in Paris tödlich verwundet und starb wie es von seiner Familie erwartet wurde. Während des Kampfes und für Frankreich, sein Vaterland. Wie er verfügt hatte wurden dem Jungen im Alter von 16 Jahren die Briefe seiner Mutter ausgehändigt und so war es nicht verwunderlich dass Pierre nun nach Europa zurück kehrte und eines Tages das Kloster in dem Pater Stephanus verweilte aufsuchte.
Pierre blieb eine Woche im Kloster und die beiden die sich das letzte mal sahen als Pierre noch ein Säugling war, unterhielten sich lange über seine Mutter, seinen Vater, die tragische Verfeindung der beiden Familien und über Calais von dem ihm der Pater sagte dass er niemals dorthin zurückkehren könne. Wie er erfuhr studierte Pierre im Orient schon seit mehreren Jahren, Philosophie, Anatomie, sowie Geisteswissenschaften. Es schien verwunderlich doch Pierre schien keinerlei Groll gegen Pater Stephanus zu hegen, im Gegenteil; er dankte ihm für alles was er für ihn und seine Mutter getan hatte. Nach einer Woche brach Pierre nun zum Glockenturm von Calais auf und zum Grab seiner Mutter welches sich nach der Beschreibung des Paters im hinteren Teil des Kirchlichen Gartens befand. Pierre sollte es nur an einem von Hand gefertigten Holzkreuz erkennen. Nachdem er das Grab seiner Mutter besucht hatte, darauf spuckte und seine Mutter von der er aus einem Brief erfuhr dass er nur als ein Kind des Zornes geboren wurde, verschaffte Pierre sich Zugang zum Glockenturm der mit Holzbrettern versiegelt war, schaute sich ein wenig um und nahm sich nur ein altes verrostetes Messer mit. Er kehrte zum Grab seiner Mutter zurück und schwor bei seinem Leben dieses Messer so lange zu schleifen bis es so scharf war dass man damit Seide schneiden könne. Er schwor die Frauen die ihre Liebe hemmungslos an Freier verschenkten und nicht wussten dass die Liebe ein Geschenk Gottes sei, zu bestrafen. Er der keinerlei Mutterliebe erfahren hatte, würde sie alle zur Rechenschaft ziehen und sie von Quell der Lust befreien so wie es schon Abaelardus ergangen war. Pierre beschloss weiter zu studieren und erwählte England das ihm für das Studium der Theologie, Geschichte und dem Studium der Mathematik am geeignetsten erschien. Pierre studierte viele Jahre, reiste viel ins Ausland und eignete sich jedes Wissen an das er für seinen Plan der Rache erwerben konnte. Erst 32 Jahre nachdem er Frankreich verlassen hatte kehrte Pierre zum Kloster des Paters zurück. Hier erfuhr er auch dass Pater Stephanus schon vor 19 Jahren verstorben sei. Er ordnete aber an Pierre einen handgeschriebenen, versiegelten Brief des Paters auszuhändigen. Der Brief enthielt einige Worte des Dankes und der Vernunftregelung in dem der Pater Pierre riet sein Leben nicht sinnlos herzugeben nur um seiner Rache zu frönen. Doch für Pierre war es bereits zu spät, sein Hass hatte sich bereits ins unermessliche gesteigert, die Wut auf Frauen die sich der käuflichen Liebe verschrieben hatten war so groß dass es Pierre unmöglich war noch um zukehren. Die Jahre der Reisen und seines Studiums hatten ihm sogar drei Doktortitel eingebracht, doch wusste er auch dass es der Hass gewesen ist der ihn dieses ermöglichte. Sich jeden Tag aufs Neue zu motivieren, jeden Tag zu lernen und all dies nur um einen Plan in die Tat umzusetzen den er so lange in sich trug. Nun war die Stunde der Rache gekommen und wie er es einst schwor hatte Pierre das stumpfe, verrostete Messer geschliffen bis es die Form eines Skalpells
angenommen hatte und bereit war selbst pure Seide ohne Fasern zu schneiden. Er hatte ein Werkzeug Gottes erschaffen. Pierre verabschiedete sich voll des Dankes am Grab von Pater Stephanus und begab sich nach England, dem Land in dem er seinen Feldzug beginnen wollte. Dem Land in dem es so viele Huren gab, so viel Unrecht und Schmutz dass er sich fast wie einen Erlöser sah, er würde das Unrecht dahin zurückschicken wo es hergekommen war. Diesen Tempel der käuflichen Lust würde er zum Einsturz bringen und soviel Schrecken und Angst im Land verbreiten dass man ihn überall auf der Welt fürchten würde. Er war der Mann der die Menschen zum Umdenken bewegen musste. Es war seine Aufgabe den Menschen die Augen zu öffnen und den Christlichen Gedanken zurück in die Köpfe der Leute zu führen. Er beschloss sich einen anderen furchteregenden Namen zu zu legen, einen Namen vor dem selbst die Polizei und alle anderen erzittern würden. So führte er eine blutige Fährte durch ganz Europa und war bald darauf zu einem der gefürchtetsten Verbrecher aufgestiegen, genauso wie er es einst schwor. Die Spur des Blutes war so grauenvoll dass man ihm mehrere Namen verlieh. Bestie betitelten ihn die Zeitungen, Monster der Nacht, der Schlächter von London waren nur einige der Namen die ihm die Morde an Huren und Freiern einbrachten. Nach einigen Jahren wurden ihm schon mehr als fünfzig Morde und Verstümmlungen zugeschrieben, viel zu wenig für ihn. Nein niemals würde er seine Aufgabe vernachlässigen. Es gab noch soviel zu bereinigen, noch immer so wahnsinnig viel Prostitution und Dreck in der Welt, er musste seinen Weg fortsetzen und Gottes Werk verrichten. Wann immer ein Mord geschah der seine Handschrift zierte, hielt die Welt den Atem an. Die Furcht kroch übers Land wie eine Epidemie und wer weiß was aus ihm geworden ist, dem Schlächter. Man sagt auch viele Jahrzehnte später würde sein Geist noch immer durch die Straßen ziehen und im Mondlicht blitzt eine geschärfte Klinge in der Dunkelheit, und eine Warnung prangert an den Wänden:
Seid wachsam liebe Bürger, die Nacht des Schattens ist erwacht!
Texte: Falk Peter Scholz
Tag der Veröffentlichung: 04.06.2009
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Dieses Werk widme ich Hans Joachim Schmitt