Cover

Violine Noir


Encore une fois


M

einen Blick lasse ich ruhig über die Dächer der Stadt schweifen, die kleinen Feuer in den Straßen verrieten mir dass Paris wieder brannte in dieser Nacht. Es sind die brennenden Autos die mir sagen; Die Zeit der Rêsistance ist zurück gekehrt. Die Zeit des Widerstandes. Nach Stunden kehre ich zurück, die Gräber liegen in seichten Nebel. Meine kleine Sysille.
Mein kleines Mädchen. Die Tränen zurück zu halten habe ich schon lange aufgegeben. Als ich vorm Black Violine eintreffe ist alles wie immer. Das alte Eingangsschild hängt immer noch schief herunter, die schwarze Violine die es ziert; verblasst. Gute alte Zeit! Heute weiß ich dass es keinen Aufschub mehr gibt. Der Besuch bei der Bank war wieder mal umsonst. Ich betrete das ehemals beliebteste Lokal von ganz Paris, schlage die zwei Schwingtüren auf die mich an den alten Westen erinnern und stehe inmitten alter Erinnerungen. Dieser Anblick schnürt mit die Kehle zu, das Stechen in der Brust wird wieder schlimmer. Direkt wird mir bewusst dass dies die letzte Nacht des Violine Noir werden wird. Das letzte mal öffnet das Nachtlokal seine Pforten und eine Ära geht zu Ende. Violine Noir ist der alte Name meines Lokals, der mir auch viel besser gefiel. Irgendwann musste ich den aber ändern da der amerikanische Fortschritt sich nicht aufhalten ließ und man sich der Veränderung ja nicht verschließen soll. Wie jeden Tag ist Josef schon da. Ein alter Portugiese der für mich kleinere Reparaturen erledigt. Er hat eine kleine Lagerhalle direkt gegenüber von meinem Lokal und er trinkt sich hier jeden Tag zur gleichen Zeit sein Bier bei mir. Er ist wirklich eine gute Seele und liebt es Mittags völlig alleine in der Bar zu sitzen und den alten Zeiten zu frönen.
Ich überlege mir wie ich ihm beibringe dass es mit dem Lokal vorbei ist.
Es wird ihm wohl das Herz brechen, da Leute in seinem Alter sich nicht mehr verändern. Also wird er wohl danach gar nicht mehr aus dem Haus gehen und sein Leben nur in den eigenen vier Wänden verbringen. Josef kommt direkt auf mich zugelaufen und erzählt mir dass er ein neues Eingangsschild gefertigt hat. Er hält es ganz stolz nach oben und ich kann den alten Namen lesen: Violine Noir. Er lächelt glücklich, doch als ich ihm die ganze Geschichte von der Bank erzähle und dass dies wohl die letzte Nacht des Lokales wird, geht er betrübt zu seinem Stuhl zurück und stiert gegen die Wände. Wie werden die anderen die Nachricht aufnehmen? Was wird Marie sagen die ebenfalls jede Nacht hier sitzt und auf irgendeinen Mann wartet, der sie mit nimmt und ihr eine neue Liebe schenkt. So viele Jahre wartet sie darauf dass das Glück zurückkehrt und sie wieder lächeln kann. Was wird der alte Klavierspieler sagen der jeden Abend alte Pariser Chansons spielt und die Leute mit kleinen Späßen aufheitert. Und dann natürlich Gaston, ein richtig reicher Aristokrat. Er verbrachte auch die Abende hier weil er ein Mann ist der Tradition liebt. Auch wenn er sehr überheblich ist und glaubt ihm gehöre der Laden. Dieser aufgeblasene Arsch ; wie ich immer sage. Selbst ihm wird dieses alte Ding fehlen das schon so viele Generationen besteht, viele berühmte Leute beherbergt hat. Präsidenten, Musiker, Dichter, Denker und sogar viele berühmte Schauspieler waren schon hier und haben hier die Abende verbracht. Ich erinnere mich noch wie Louis de Funês hier am Klavier saß und für die Menschen spielte. Da war er noch nicht berühmt, hatte noch keine Schauspielerlaufbahn angestrebt, hatte noch keine Millionen verdient und ich glaube mich zu erinnern dass er sogar arm gewesen ist und hier ständig über Hunger klagte. Susanne die früher für mich die Küche machte, hat ihm dann zwischen den Liedern die er spielte ein paar Blutwurstbrote hingestellt und er hat direkt etwas schneller gespielt um eher essen zu können. Nun gehe ich zu Josef hinüber, stelle ihm ein Bier auf den Tisch und lege ihm sanft die Hand auf die Schulter. Ich erzähle ihm dass alles wieder gut wird, auch wenn es in meinem inneren ganz anders aussieht. Der Nachmittag vergeht ohne große Besonderheiten. Wie immer stelle ich die Tische und Stühle zurecht, poliere das alte Klavier, öffne noch einmal die Fenster um frische Luft einzulassen. Josef ist gegangen und nun bin ich allein. Ich setze mich und denke an die alten Zeiten. Was würde mein Großvater sagen? Sicherlich wäre er sehr enttäuscht das ich es nicht geschafft habe das Lokal am Leben zu erhalten. Tradition ist alles; so sagte es auch mein Vater und alle die das Lokal führten haben immer alles dafür geopfert. Ihre ganze Zeit und manchmal sogar die Familie. Nun bin ich der einzige der es nicht geschafft hat. Ich fühle mich schlecht und der Umstand dass ich noch nichts im Magen habe macht die Lage nicht besser. Die Bilder der alten Zeit schwirren mir durch den Kopf und vor meinem geistigen Auge durchlebe ich die Feste, die musikalischen Abende. Ich höre das Klirren der Gläser, sehe wie Leute miteinander anstoßen oder jemanden zu prosten. Ich überlege mir ob ich hätte etwas anders machen können. Ich versuche mir einzureden dass ich alles getan habe um die Schließung des Lokals zu verhindern. Dann stehe ich auf, wechsele noch eine defekte Glühbirne und verlasse das Lokal bis zur Nacht. Ich beschließe die Stunden mit einem Spaziergang zu verbringen. Wie schön es hier doch ist, die alten Gassen, der Glanz den diese weiße Kathedrale verströmt. Touristen knipsen wie wild mit ihren Kameras, hier und da ist ein Staunen zu hören, Glocken klingen in der Ferne. Der Reiz dieses Hügels ist seit jeher ungebrochen und im Geiste höre ich die Männer fluchen, höre ihre verzweifelten Stimmen, die Rufe nach einer besseren Zeit. Nun ziehe ich mich in eine kleine Pâtisserie zurück, ich werde nett begrüßt und für eine Stunde sind Sorgen und Schmerz nicht existent. Meine Henkersmahlzeit nehme ich mit schon fast vernichtender Gelassenheit. Der Kaffee erscheint mir kalt, der Kuchen schmeckt mir auch an diesem Tage nicht und die Gespräche von den Nachbartischen dringen nicht heran. Meine Welt, ich bin doch ganz allein. Die schönste Stadt der Welt und ich spüre nur Kälte. Der Abend beginnt, die zwei Touristen die sich ins Violine Noir verlaufen haben sind unbekümmert und erscheinen glücklich. Josef ist auch wieder da. Er erzählt mir dass wenn wir schon untergehen, dann mit einem letzten schönen Abend. Wir trinken ein paar und lauschen den alten Pariser Klängen. Könnte es doch immer so sein. Doch dann zerreißt das Band der Stille. Draußen ist ein lauter Schrei zu hören und alle stürzen nun nach draußen. Menschen laufen wie Hühner durcheinander. Die alten Straßen brennen! Oh nein nicht schon wieder, ist mein erster Gedanke. Nicht an diesem Abend, nicht Heute. Wir stehen vorm Lokal und staunen mit offenen Mündern. Aufstände in den Straßen, blanke Wut in den Augen, Stöcke und Steine in der Hand. Aus einer der Gassen kommt Marie gelaufen, sie schreit. Ich rufe ihr zu dass sie sich beeilen soll. Wir kehren alle wieder ins Lokal zurück, ich schließe die Türen und alle Anwesenden starren sich fassungslos an. Dann fliegt die Tür mit einem großen Knall auf und drei Männer stürzen ins Lokal, einen vierten haben sie im Arm. Die drei Männer sehen sehr wütend aus, der eine schreit und ein anderer setzt den vierten den ich jetzt als den Aristokraten erkenne, wird auf einem der Stühle festgebunden. Zum ersten mal erkenne ich Angst in dessen Augen. Die Männer haben ihm den Anzug zerrissen und auf seiner nun blanken Brust ist etwas eingeritzt. - Liberte`- Freiheit! Gaston ist blutverschmiert. Die gefesselten Hände versuchen krampfhaft sich loszureißen und sein Mund formt die Bitte um Hilfe. Jetzt geht alles sehr schnell. Einer der Männer wirft Stühle und Tische um, ein anderer klemmt Stühle unter die Türklinke, der dritte schreit Parolen. Ein Ruf nach Revolution und Freiheit. Die Gäste haben sich hinter die Bar zurückgezogen, der Klavierspieler ist von seinem Hocker gefallen und liegt jetzt mit dem Gesicht nach unten auf den alten Dielen. Gaston schreit immer noch nach Hilfe und ich stehe wie schock gefroren da und bin nicht fähig mich zu rühren. Marie sitzt immer noch am Tisch, sie ist die Ruhe selbst und trinkt ganz genüsslich an einem Glas Wein. Von draußen klingen immer noch Schreie zu uns, Steine fliegen gegen die Türen und Fenster. Ich erinnere mich an die Studentenaufstände, an die Zeit des Chaos und der Revolution. Erst jetzt begreife ich dass dies kein Kinderstreich mehr ist. Es sind nicht nur einfach wütende Menschen die da draußen toben, nein diesmal ist es anders und mir kommt sogleich in den Sinn dass wir alle in dieser Nacht sterben könnten. Einfach so. Ohne Grund.
Ich versuche die Männer zu beruhigen, hebe beschwichtigend die Hände und beschwöre die Männer keine Dummheit zu begehen. Einer der Männer schreit mich an. Er schreit den ganzen Frust aus seinem Leib. Immer wieder höre ich das es nun reicht, das Leben so keines ist und die verdammte Armut die nun immer schlimmer wird nicht weiter hinzunehmen ist. Ich vernehme dass etwas getan werden muss und dass der Aristokrat dafür bezahlen wird. Mein Puls rast und wie im Wahn beginne auch ich zu schreien. Ich begreife nicht was ich da rufe, doch nun wird eine Pistole gezogen und ehe ich mich versehe trifft mich eine feindliche Kugel. Ich stürze zu Boden und sehe im gleichen Augenblick wie Marie aufgestanden ist und dem Schützen eine Ohrfeige verpasst. Sie schlägt ihm ins Gesicht und dann wird es dunkel. Als ich wieder zu mir komme, erkenne ich die Männer. Zwei stehen zusammen und unterhalten sich. Der eine spricht übers Violine Noir, ein anderer verkündet dass schießen keine Lösung ist und der Anlass der Revolte doch ein anderer war. Ich erkenne Marie. Sie sitzt mit dem dritten an einem Tisch. Sie wirken vertraut, er hält ihre Hand und Marie lächelt zärtlich. Ich begreife rein gar nichts mehr und versuche mich aufzurichten. Mein Arm schmerzt. Der Aristokrat reicht mir die Hand und ich frage Gaston was denn eigentlich passiert wäre. Er erzählt mir dass nachdem der Mann auf mich geschossen hätte, Marie ihm eine Ohrfeige verpasst hat. In diesem Moment hätte er sie erkannt und festgestellt dass Marie eine frühe Jugendliebe von ihm war. Er bereute geschossen zu haben und hat den anderen befohlen mich frei zulassen. Gaston erzählt mir nun dass ich es war der für ihn eingetreten war, ich dem Mann gesagt habe; er solle lieber auf den Wirt schießen als auf einen meiner Gäste. Ich erkenne eine tiefe Dankbarkeit in seiner Stimme und als er mich auf einen Stuhl setzt traue ich meinen Augen kaum. Die Gäste stellen Tische und Stühle zurecht und die beiden fremden Männer helfen dem Klavierspieler auf seinen Hocker. Marie und der dritte Mann schauen sich immer noch verliebt in die Augen und die beiden Touristen unterhalten sich mit Josef, der schon wieder das Eingangsschild in den Händen hält und lächelt. Die drei beschließen noch heute das Schild aufzuhängen und ich sehe wie sie langsam die Stühle von der Tür entfernen. Sie lauschen. Stille! Von draußen ist kein Lärm mehr zu vernehmen. Der Hügel hatte sich beruhigt. Gaston kommt mit einem Tuch und etwas Wasser, er verbindet mir den Arm und teilt mir mit wie stolz er auf mich sei und dass er mir auf ewig dankbar sei. Leise erklingt Musik. Der Mann am Klavier spielt wieder und von draußen kommen neue Gäste. Alles ist friedlich und es scheint so als wäre überhaupt nichts vorgefallen.
Nach ein paar Minuten ist das Lokal fast voll und ich reibe mir die Augen , da ich dieses Wunder nicht verstehen kann. Überall unterhalten sich die Leute , die Fremden zapfen Bier und erzählen Geschichten aus fernen Tagen. Sie erzählen wie die Alten immer hier gesessen haben und wie schön so eine Nacht im Violine Noir gewesen sei. Dieses war die Nacht von Paris. Die Nacht der Veränderung, die Nacht voll Leben und voll Hoffnung. Es wurde noch bis spät in den Morgen gefeiert und die beiden Touristen erzählten mir, wie aufregend das war und dass sie auf jeden Fall wiederkommen würden. Am nächsten Morgen standen eine handvoll Leute vorm Lokal. Sie kamen um zu helfen. Gaston war auch dabei und sicherte mir seine finanzielle Hilfe zu. Er habe schon mit der Bank gesprochen und das Violine Noir würde wieder neu eröffnen. Wie war dies nur möglich fragte ich mich. Noch am selben Abend erstrahlte das Violine Noir im neuen Glanz. Es war unglaublich doch es füllte sich mit vielen neuen Gästen, drinnen erklangen wieder alte Chansons, Zufriedene Gäste unterhielten sich angeregt und Hoffnung erfüllte diese alten Mauern. Ich blickte in die Nacht und war ein neuer Mensch. Der Hügel hatte mich wieder und ein neues Schild verkündete mir Leben.

- Violine Noir-




Fin


Copyright by Falk Peter Scholz


Impressum

Texte: Falk Peter Scholz
Tag der Veröffentlichung: 04.05.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Paris

Nächste Seite
Seite 1 /