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Der Tourist
Erzählung eines Reisenden

Die Stadt der Liebe

Es ist der Morgen des 1. November, Toussaint. An diesem Morgen liegt die Französische Hauptstadt in dichtem Nebel; es war so nebelig das man kaum die Hand vor Augen sah. Der Tourist näherte sich mit weichem Schritt der dreihundert Meter hohen
Sehenswürdigkeit. Den Reiseführer hatte er immer noch in der Hand, die Stelle markiert!
Zur Vorsicht hatte sich der Tourist nochmal vergewissert, die Daten überprüft.
Sieben Tausend Tonnen Stahl, eingeweiht zur Weltausstellung 1889, erbaut von Gustav Eiffel.

„Ah ja“, da war es ja; dreihundert Meter hoch, dreihundert einundzwanzig mit Antenne.
Nun ja, auf die Antenne würde er nicht gelangen; aber es sollte wohl auch so reichen, dachte er sich.
Nun stand er auf dem Champs du Mars, dieser wundervoll angelegten Grünflächenanlage mit Blumen, Skulpturen und tanzenden Fontänen. Ein bisschen Wehmut hatte der Tourist schon bei diesem Anblick. Tausende von Meilen war er in seinem Leben geflogen, doch in Paris war er noch nie! Trotz alle dem würde Ihn das nicht umstimmen, zu groß der Schmerz, zu tief saß die Enttäuschung. Da war er wieder, der Gedanke, ein Gedanke an seine Frau; an „Christine“.

Ich würde gerne mal mit Dir in meine Geburtsstadt fahren, hatte sie damals gesagt. Und er, der gehörnte Ehemann hatte, wie es sich gehört direkt reagiert.
Zu Christines Geburtstag hatte er die Tickets in einem Strauß aus 36 Rosen versteckt.
Das war jetzt drei Tage her, das Fremd gehen nur einen Tag! Er griff sich in die Jackentasche
Und holte erst mal einen „Kurzen“ raus, vorsorglich hatte er sich noch aus der Mini bar versorgt, bevor er sich um 9 Uhr auf den Weg machte; den Weg den er für seinen letzten hielt.
Der Tourist hatte sich nun wieder in Bewegung gesetzt, sein Gang war nun wieder entschlossener! Nach wenigen Minuten hatte er die „Venus aus Stahl“ erreicht. Von nahem sah das Ding noch Monströser aus. Viel höher als er gedacht hatte, aber dass konnte dem kommenden ja nur zur Genüge reichen. Als dann, setzte sich der Tourist auf eine Bank nahe des Ticketstandes, an dem reges Treiben herrschte.

Ein Souvenierverkäufer gestikulierte wild mit den Händen, ein verliebtes Pärchen fest umschlungen. Eine Frau mit roten Luftballons und einem kauzigen Federhütchen auf, versuchte krampfhaft sich ein nervendes Kind vom Leib zu halten und ein Mann mit Hut und Stock steckte sich ein Pfeifchen an. Ansonsten war hier noch nicht viel los. Der Tourist schaute auf die Uhr, noch 20 Minuten bis zum Einlass. Er streckte sich kurz, atmete tief durch. Als nächstes zog er ein Päckchen -Pall Mall- aus der Brusttasche seines Hemds und steckte sich eine an. Rauchen ist tödlich; war auf der Schachtel zu lesen. Der Tourist lächelte in sich hinein! Um die restliche Zeit zu nutzen, flanierte er noch ein wenig um den Turm herum, betrachtete die Statue des Erbauers, betrachtete das Gebilde vom unteren Mittelpunkt und lies sich für ein paar Cent eine Souveniermünze in einem der nahe gelegenen Automaten prägen, der einen mit den freundlichen Worten „Willkommen am La Tour Eiffel“ begrüßte!

Dann ließ er die Münze in die Tasche gleiten und setzte sich in Richtung Einlass in Bewegung.
Nach weiteren vier Lungenröllchen hatte er den Eingang erreicht, bezahlte brav den Eintrittspreis und verlangte noch nicht einmal das Restgeld zurück!

Der Aufstieg

Bedächtig stieg der Tourist die stählernen Stufen hinauf, immer eine nach der anderen. Der Wind nahm nun schlagartig zu, der Mann fror sogar ein bisschen. Geduckt setzte er seinen Aufstieg fort. Er war noch nicht weit gekommen, als er abrupt stoppte, eine Frau lehnte bedächtig an der Reling, wippte ständig mit dem Oberkörper hin und her; säuselte ein Lied, in einer Sprache die er nicht verstand. „Entschuldigung“ , begann der Tourist um das Eis zu brechen. „Kann ich Ihnen helfen, geht’ s Ihnen nicht gut, Hallo-Verzeihen Sie, Madame. Die Frau schien Ihn nicht zu hören, vorsichtig näherte er sich der anscheinend älteren Dame. Sie hatte einen wirklich merkwürdigen Geschmack für Kopfbedeckungen, wie er fand. Der Tourist tippte der „alten“ auf die Schulter. Erschrocken wandte sie sich zu Ihm um, als hätte sie einen Geist gesehen; leere Augen, blasses Gesicht! „Kann ich Ihnen helfen“? fragte der Mann erneut. „Oh, nein vielen Dank“, die alte Dame sprach an Ihm vorbei.
Beim näheren betrachten, stellte der Tourist fest, dass es die ältere Frau mit den Luftballons war, die er soeben noch unten gesehen hatte. Er versuchte sich zu erinnern; Eine Frau stand
Mit roten Luftballons vorm Eiffelturm, versuchte krampfhaft das Kind abzuschütteln, dass immer wieder versuchte einen von diesen „roten Fliegern zu erwischen!
Wie war er nur darauf gekommen, das die Frau die Luftballons verkaufte? Nein, es waren Ihre! Hatte Sie die Ballons gekauft, oder vielleicht geschenkt bekommen? Viele Gedanken schossen dem Touristen durch den Kopf, - Gedanken, die er gar nicht wollte! Hatte er nicht schon genug Probleme, was kümmerte es Ihn, war nicht jeder selbst verantwortlich für seine Taten. Was würde Sie tun, springen, nur weinen? Sie wirkte gebrochen, wie nach dem Verlust einer großen Liebe! Er stellte sich neben die „ergraute“- kramte nach dem Schnaps und verzehrte das Gesöff in einem Zug. Sichtlich genesen stand die alte Dame nun neben Ihm und strahlte Ihn an. Das gibt’s doch gar nicht, dachte der Tourist; „die alte will saufen“, gierig zischte die Frau den Stoff hinunter, der Mann reichte Ihr noch zwei Prozenteampüllchen
geleitete Sie ein-zwei Stufen hinunter und schaute ihr Kopfschüttelnd beim Abstieg nach.


Die Rast

Was für eine Stadt, dachte sich der Tourist, steckte sich eine an und setzte qualmend seinen
Aufstieg fort. Nach einer Weile hatte er fast die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht!
Hier oben zog es jetzt wie Hechtsuppe, der Tourist hatte Schwierigkeiten sich ohne am Geländer festhalten zu müssen, fort zu bewegen.
Auf der zweiten Plattform angekommen, zwang er sich zu einer Rast. Seine körperliche Verfassung hatte in den letzten Jahren sichtlich gelitten; Sport hatte er immer gehasst und auch das wöchentliche Schwimmen hatte er seiner Frau zuliebe aufgegeben! Sie vertrat nämlich die Auffassung ein Mann gehöre an die Seite seiner Frau; und da Sie nicht schwimmen konnte, zog er es vor an Ihrer Seite sitzend, die neuesten Modezeitschriften zu wälzen. Aus dem Souvenirshop sah der Tourist zwei strahlende Kinder heraustreten, in den kleinen Fingern drehten sie Glaskugeln hin und her, in denen sich je nach dem zu welcher Seite man sie drehte, ein kleiner Eiffelturm von tanzenden Schneeflocken eingehüllt wurde.
Er lehnte sich zurück, zündete sich eine Zigarette an, pustete hustend aus und spülte anschließend das Kratzen mit einem weiteren Schnaps hinunter!
Als der Tourist seine Rast beendet hatte, beugte er sich hinunter und massierte seine Waden; die Ihm schmerzten, um dann seinen Aufstieg fortzusetzen.


Der alte Dieb

Noch eine Stufe, noch eine Stufe, endlos gleich erschien dem Touristen der beschwerliche Aufstieg und der einzige Trost den er fand, war die Tatsache das man aus dieser Höhe, sicher unten landete; wie viele Sekunden es wohl dauern würde? Der Tourist war so in Gedanken versunken, das er den Herrn der vor ihm lief, fast um gestoßen hätte.
„Verzeihen Sie mir bitte, ich hab Sie nicht gesehen“, stammelte der jüngere. „Das macht doch nichts“, antwortete ihm der Alte; der auf einen Stock gelehnt, erst mal verschnaufte! „Das ist das Gesetz der Jugend, da können wir alten nicht mehr mithalten“, rief Ihm der Alte lachend hinterher. Im Augenwinkel bemerkte der Tourist, wie der Alte sich Richtung Geländer bewegte, er hielt inne und betrachtete das Geschehen. Ein paar Stufen unter Ihm, nahm ein alter Mann den Hut vom Kopf und es erschien als würde er beten! Der ältere unter ihm legte einen Spazierstock aufs Metall und zog sich unbeholfen am Geländer hoch.

Flügelschläge später, der Tourist nahm nun zwei Stufen auf einmal, war er bei dem Alten angekommen, wütend, wild atmend zerrte der Tourist den „Hutträger“ vom Geländer weg!

„Sind Sie noch zu retten……? Wollen Sie mir den Tag versauen, was machen Sie den da?
Der Alte stand nun da wie ein begossener Pudel und blickte beschämt zu Boden. Der Tourist
Blickte den Alten durchbohrend an, „Gesetz der Jugend, nicht wahr“, erinnerte er sich.
„Sie können dass nicht verstehen, lassen Sie mich“, entgegnete Ihm der Alte.
„Jetzt hören Sie mal“ der Tourist lief puterrot an. Nicht die Tatsache das der Stöckchenschmeißer dies als letzten Ausweg sah, hatte den Touristen in helle Aufregung versetzt, sondern die Möglichkeit das der „Alte vor Ihm unten ankam und ihm womöglich die Tour vermasselte.
Keuchend lehnte er sich ans Geländer, den Alten nicht aus den Augen lassend. Zeit für die Medizin, dachte er, gönnte sich noch eins von den Taumelfläschchen.

„Feigheit, begann der Mann zu seiner linken, ich bin von Natur aus wahnsinnig feige“.
„Meine Frau, ist ein wundervoller Mensch müssen Sie wissen“! „Dann hüpft man doch nicht so einfach aus dem Leben, wenn man eine Frau hat, die so toll ist“. Der Tourist paffte!

„Sie ist sehr krank, ein Unfall; doch die Versicherung will Ihre Operation nicht zahlen und meine Rente, Na ja, ist nun mal nicht die beste“. „Es reicht hinten und vorne nicht“, dem Alten
schwitzten die Augen. „Das Geld ist das Problem“?, fragte ihn der Jüngere.
„Oh nein, jetzt nicht mehr; ich hab das Geld, hab' s auf den Küchentisch gelegt bevor ich ging!"
Die Krankenschwester wird’ s finden, mit meiner Frau ins Krankenhaus fahren, Sie werden Luise endlich operieren, dann ist alles gut. Das Geld hab ich meinem Chef aus dem Safe gestohlen, 15.000 Euro insgesamt. Ich werde mich nicht stellen!"
Der Tourist sah Ihn verwundert an, beneidete er den Alten um seine Tapferkeit, oder ärgerte er sich über dessen Dummheit.
„Wissen Sie, es geht mich ja nichts an, aber haben Sie mal daran gedacht das die Knete gar nicht beim Krankenhaus ankommt“, entgegnete Ihm der Tourist. „ Sie meinen doch nicht etwa?" Der Alte wirkte sichtlich geschockt, „ aber, aber“ stotterte er.
„Nun sehen Sie, 15.000- das ist kein Pappenstiel nicht war, wie gut kennen Sie die Krankenschwester denn; vertrauen sie Ihr? So wie ich das sehe, werden Sie ja nicht mehr da sein, um es nachzuprüfen, außerdem weiß ich auch nicht nicht ob Ihre Frau sich überhaupt operieren lässt?" „Wieso denn nicht“, der Alte staunte! „Vielleicht ist es Ihr ja gar nicht mehr wichtig, wenn Sie den Rest ihres Lebens gesund aber allein verbringen soll“.
„Was meinen Sie“, der Tourist blickte ernst.
„Mein Gott, so hab ich dass noch nicht betrachtet“, entgegnete Ihm der alte Mann; hob den Stock vom Boden auf, rückte sich Brille und Hut zurecht und machte sich auf den Weg.
Ein Stück weiter unten drehte er sich nochmal zum Touristen um, „Sie sind wunderbar, wirklich toll“; sagte er und war verschwunden!

Die silberne Münze

„ So,so wunderbar- Na wenn Du das sagst“, der Tourist zog sich den Kragen tiefer ins Gesicht und setzte Aufstieg fort, Stufe für Stufe kam er seinem Ziel näher und die Sonne wärmte Ihn wann immer sie durch die stählernen Streben brach. Schon nach kurzer Zeit ohne weitere Unterbrechungen hatte er das Plateau erreicht, für Ihn war es in diesem beschaulichen Moment; -Das Dach der Welt- und ein Hauch von Freude erhellte sein Gesicht.
Der Wind blies nun aus vollen Leibeskräften und die Sonne entfaltete ihre ganze Pracht.
Schön war es hier, der Tourist sah sich um, kein Mensch war zu sehen, bis auf dieses Pärchen
auf der gegenüber liegenden Seite der Plattform. Zärtlich kuschelte sie sich an ihren Begleiter, Hand in Hand verbunden.
Unwillkürlich musste der Tourist an Christine denken, wie romantisch dass alles hätte werden können, dachte er bei sich. Er durchwühlte seine Taschen; bis auf eine Zigarette, einen letzten Körperwärmer und eine kleine silberne Münze, war Ihm nichts geblieben!
Den Reiseführer hatte er schon vorm Aufstieg entsorgt, wohl wissend, das er ihn nicht mehr benötigen würde. Das war nun „das Ende“ dachte er bei sich, setzte dass Fläschchen an und leerte es auf einen Zug. Danach steckte er sich die letzte verbliebene Zigarette an. ( Was sich des Windes wegen schwieriger gestaltete, als zunächst angenommen).
Rauchend und innerlich von Zufriedenheit erfüllt, schaute er den Verliebten beim Abstieg hinterher. Langsam näherte er sich dem Geländer, der letzten verbliebenen Barriere, der letzten Hürde die zwischen dem Touristen und seinem Vorhaben stand. Unsicher schaute er in die Tiefe! Wie klein einem alles von hier oben vor kam, die Autos wirkten wie Spielzeuge und die Menschen waren winzig kleine laufend Stecknadelköpfe.
Er fühlte sich riesig, er fühlte sich frei, er fühlte sich gut aber auch feige denn er verspürte nun keinen Zorn mehr; keinerlei Hass, keine Verwundung, keinen Schmerz.
Nun brach alles heraus und er begann zu weinen, empfand sich und sein Vorhaben, lächerlich, kindisch und anmaßend. Wie war er nur so tief gesunken, diese Lethargie, diese von Blindheit geschlagenen Gedanken.
War es der Aufstieg, die unterschiedlichen Begegnungen? War es die Einsicht das er doch im Grunde gar keine Probleme hatte, wieso hatte er seinen Schmerz als den stärksten empfunden?
In dieser Stadt, an diesem Platz, fühlte er sich nun gereift, geläutert und extrem befriedigt.
Entschlossen zog er die kleine silberne Münze aus der Tasche, betrachtete sie; makellos war sie, silberglänzend und kein einziger Kratzer zierte ihr Antlitz!
Auf der einen Seite der Konterfei des Erbauers, auf der anderen war ein kleiner Turm abgebildet, die Säulen aus Eisen ragten in die Höhe. Darunter stand; Symbol der Stärke und Standhaftigkeit geschrieben.
Der Tourist warf die Münze kraftvoll in die Höhe, Sie taumelte im gleißenden Licht; fing Sie mit unumwundener Sicherheit!
Nickend, akzeptierte er das Ergebnis, dass er fest in seiner Hand verschlossen fand. Dann ließ er die Münze zurück in seine Tasche gleiten, drehte sich noch mal nach Osten, blinzelte in die Sonne und trat den Abstieg mit den Worten, „Der Mann der von einem Berg herunter kommt,
wird niemals derselbe sein der Ihn bestiegen hat“ an! Er kehrte nie zurück!


Impressum

Texte: Copyright by Falk Peter Scholz
Tag der Veröffentlichung: 12.10.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Diese Geschichte habe ich für einen verstorbenen französischen Schauspieler geschrieben. FuFu dies ist für dich.

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