Evina lauschte nachdenkend den an den Strand schlagenden Wellen zu. Wie oft noch würde sie die roten Sonnenuntergänge sehen? Sie hatte Angst, große Angst! Mit ihrer Familie war sie vor 2 Jahren in den kleinen malerischen Ort gezogen. Ihrem Bruder Erec tat die salzhaltige Luft an der See gut. Die Asthmaschübe wurden weniger, und er konnte wieder in die Schule gehen.Evinas Eltern arbeiteten beide in einer großen renommierten Autofirma. Das Leben hier ist so schön, dachte Evina.Und nun das! Konnte man den Medien Glauben schenken? Es hieß, eines der Nuklearforschenden Länder habe der Welt mit einem atomaren Schlag gedroht, wenn nicht auf ihre Forderungen eingegangen wird. Evinas Hände bohrten sich schmerzhaft in den Sand. Was würde sein wenn sie ihre Drohung wahrmachten. Nur nicht daran denken! Sie wischte sich die Tränen aus ihrem sonnengebräunten Gesicht. Die Sonne ging wie ein rubinfarbener Feuerball über dem Pazifik unter, und erinnerte Evina daran, dass es langsam Zeit wurde nach Hause zu gehen. Vielleicht würde sie ja den kurzen Weg über die kleine Strandpromenade das letzte Mal gehen? Das schicke Blockhäuschen was Evinas Familie angemietet hatte lag etwa 10 Gehminuten vom Strand entfernt. Wie würde die Stimmung zu Hause sein? Evina schloss leise die Tür auf und vernahm schon auf der Treppe die aufgeregten Stimmen der Nachrichtensprecher. Die ganze Familie war im Wohnzimmer versammelt. Evina, endlich bist Du da, rief ihre Mutter. Weinend fiel sie Evina um den Hals. Sie tun es Evina, Sie machen es wahr in 2Tagen schluchzte sie. Nein, das dürfen sie doch nicht stotterte Evina und wieder liefen die Tränen über ihr Gesicht. Papa sag doch was, stimmt’s es wird nicht passieren? Doch ihr Vater antwortete nicht. Er saß einfach steif, wie eingemauert in seinem Sessel und verfolgte die neuesten schlimmen Nachrichten. Er spricht nicht mehr, versuchte ihr Erec zu erklären. Schon seit heute Mittag nicht mehr. Ich glaube, er hat einen Schock. Erec nahm Evinas Hände und sah ihr in die Augen. Wir müssen jetzt stark sein. Evina schaute in seine roten verweinten Augen. Wir rufen die gesamte Bevölkerung auf, sich mit Wasser, und haltbaren Lebensmitteln einzudecken, an den Hilfsstützpunkten werden dann Taschenlampen, Batterien und Kerzen verteilt krächzte die Stimme aus dem Fernseher.Evina, flüsterte Erec leise, gleich morgen früh gehen wir los und besorgen alles. A..a..aber sie dürfen doch nicht stammelte Evina. Hör zu, sagte Erec jetzt ernster, es nützt nichts, wir müssen uns im Notfall versorgen können. Du siehst ja selbst das Mama und Papa unter Schock stehen. Evina sah in die bittenden Augen ihres Bruders und nickte zögerlich. Bitte versuche ein wenig zu schlafen, es wird morgen sicher ein harter Tag für uns, bat er Evina. Sie sah noch einmal zu ihren Eltern um ihnen wie gewohnt eine gute Nacht zu wünschen, aber diesmal kam kein Wort über ihre Lippen. Papa und Mama saßen engumschlungen und versuchten sich gegenseitig zu trösten. Evina schlich in ihr Zimmer. Schlafen wollte sie nur noch tief schlafen. Sie fiel auf ihr Bett und betete. Vielleicht ist das alles nur ein böser Traum aus dem sie bestimmt bald wieder erwachen würde. Und morgen ist ihre Welt bestimmt wieder in Ordnung. Evina versuchte etwas Ruhe zu finden, doch die einschnürende Angst in ihrem Körper ließ keinen Schlaf zu. Sie musste Stunden wachgelegen haben, denn wo sie ihre Gardine ein wenig beiseiteschob graute schon der Morgen. Es wurde schon hell und Evina beschloss, sich nicht mehr hinzulegen um auf den Schlaf zu warten. Plötzlich horchte sie auf, irgendwo klirrten Fensterscheiben, Menschen schrien und Pistolenschüsse wurden abgegeben. Hatten die Leute angesichts der bedrohenden Lage etwa den Verstand verloren? Es klopfte zaghaft an ihre Tür. Evina bist Du schon wach, hörte sie ihren Bruder fragen. Ja, komm herein erwiderte sie leise und Erec betrat das Zimmer. Was ist da draußen los, wollte Evina wissen. Das sind nur ein paar Leute die nicht einsehen wollen, dass jeder Mensch ein paar Vorräte braucht. Dann hat die Polizei eingegriffen und ein paar Mal in die Luft geschossen, versuchte Erec sie zu beruhigen. Er wusste nur zu gut, dass es viel schlimmer war als er zugab. Komm Schwesterchen, Mama und Papa schlafen noch fest, da können wir ja schon einiges besorgen und zog sie sanft am Arm. Es war ein schöner sonniger, aber noch kühler Morgen als sie das Haus verließen. Lass uns gleich in den Supermarkt gehen, dort holen wir uns erst mal einen großen Vorrat an Lebensmitteln uns Wasser meinte Erec.Evina sah die vielen Menschen die an ihr vorbeizogen. Eigentlich ungewöhnlich für den kleinen Ort wusste sie. Sie kamen am Supermarkt an und zuckten zusammen. Da wo früher riesige Fensterscheiben glänzten, klafften nur noch große Löcher. Eine nicht kleiner werdende Menschentraube schrie, schlug und beschimpfte sich vor dem Eingang. Bitte keine Panik, dröhnte es aus einem Lautsprecher, bleiben sie ruhig. Erec ich habe Angst, gestand Evina. Ich auch, sagte er aber wir müssen uns hier anstellen. Sie wurden, während sie in der langen Schlange standen getreten, geschupst und angepöbelt bevor sie endlich durch den von der örtlichen Polizei bewachten Eingang durften. Eilig lief das Geschwisterpaar durch die Gänge zum Getränkeregal. Sieh mal Erec, das reicht doch niemals für alle, und Evina zeigte auf die restlichen Getränkeflaschen. Sie entschieden sich nur 10 Flaschen mitzunehmen. Doch auf einmal baute sich ein kleiner untersetzter Mann vor ihnen auf und fauchte die beiden an: Alles wieder hinstellen, das ist alles meine. Drohend lief er auf Evina und Erec zu.Evina schrie vor Angst, wollte ihren Bruder schützen. Doch da traf sie die Kante vom Krückstock am Kopf und sie sackte zusammen. Warmes Blut tropfte auf ihre Schulter und in ihrer Stirn begann es zu klopfen. Sie sah wie Erec auf den Ausgang zulief und mit wilden Gestikalutionen den Polizisten etwas zurief. Evina musste kurz bewusstlos gewesen sein ehe sie ihre Augen wieder öffnen konnte. Einige Minuten waren bestimmt schon vergangen, da sah sie Erec in Begleitung zweier Polizisten auf sie zukommen. Evina, es tut mir so leid, er kramte ein Taschentuch hervor und presste es auf ihre offene Wunde am Kopf. Wo ist der Mann fragt Evina ängstlich. Den hat die Polizei mitgenommen, er ist schon mal in gleicher Weise aufgefallen. Evina, soll ich Dich ins Krankenhaus bringen fragte Erec besorgt. Nein, es geht schon wieder, noch etwas taumelnd stand sie auf und stützte sich auf Erec. Schnell packten sie sich noch ein paar Lebensmittel ein, Konserven, Nudeln, Kekse. Was meinst Du Erec, wird das reichen? Erec zuckte mit den Schultern, ich weiß es nicht Evina .Keiner weiß es! Elvina ging zielstrebig auf die Kasse zu. doch wo war die Verkäuferin? Es gibt keine Bezahlung mehr, erklärte Erec. Die Polizisten sind nur für eine gerechte Verteilung da. Sie lassen nur kleine Gruppen in den Markt um eine größere Panik zu vermeiden, Beide stopften alle Waren in ihre Rucksäcke und Reisetaschen, die sie mitgenommen hatten und wollten schnell den Markt verlassen. Der Versuch, sich durch die meuternde Menschenhorde zu bahnen wurde fast zum Debakel. Hände krallten sich an ihren Taschen fest und versuchten ihnen die Lebensmittel zu stehlen. Menschen fielen bettelnd auf die Knie, Geschrei und Gezeter erfüllte den kleinen Parkplatz am Markt. Eine Gruppe schwarz gekleideter Leute standen am Rand des Geschehens und hielten Plakate in der Hand. Erec las: Der Tag der Vergeltung ist gekommen. Der Untergang steht bevor! Verärgert darüber sagte er zu Evina: Müssen die noch mal Panik machen, wo doch die Menschen schon genug Angst haben! Komm Evina, lass uns noch ein paar Taschenlampen und Batterien vom Stützpunkt holen. Doch dort bot sich den beiden die gleiche angsteinflößende Szene. Ein Familienvater von 3kleinen Kindern brüllte einen Mitarbeiter wütend an: Wie sollen 10 Batterien für 3 Taschenlampen reichen? Ein Uniformierter versuchte ihn zu beschwichtigen. Wissen sie, sagte er wir haben nur eine begrenzte Anzahl und da jeder etwas bekommen soll, müssen Sie sich damit abfinden. Daraufhin spuckte der Vater dem Beamten ins Gesicht. Angewidert wandte sich Evina ab. Halte durch Evina, wir haben es gleich geschafft, sagte Erec tröstend. Endlich waren die beiden an der Reihe. 2Taschenlampen, 6Batterien, 10 Kerzen. Ist das alles? Evina war etwas erschrocken. Ja, wurde ihr gesagt, das muss reichen. Der nächste bitte! Abgefertigt und wie im Trance verließen Erec und seine Schwester den Stützpunkt. Evinas Kopf schmerzte noch vom Schlag mit dem Krückstock. Sie fasste mit einem Finger an die Wunde und stellte fest das, das Blut längst eingetrocknet war. Das ist doch gar nicht so schlimm, dachte sie. Jedenfalls nicht so schlimm wie das was vielleicht kommen würde. In diesem Moment dachte sie an ihre Familie und die vielen Menschen. Bitte Erec, ich möchte nach Hause, flehte sie ihn an. Das wollte Erec auch, er nahm Evina liebevoll an die Hand, und sie machten sich die Waren schleppend auf den Nachhauseweg. Erec sieh mal, rief Evina auf einmal sehr aufgeregt. Die Leute dort brechen in die Läden ein, wir müssen was tun! Eine Gruppe junger Männer versuchte offensichtlich sich mit Gewalt Eintritt in einige Geschäfte der Stadt zu verschaffen. Evina war außer sich vor Wut. Nein Evina, so schlimm auch das für Dich ist, wir können jetzt gar nichts tun, meinte Erec. In dieser furchtbaren Zeit ist jeder auf sich allein gestellt, genauso wie wir jetzt. Denn wir wollen überleben. Evina verstand, und bald kamen sie wieder zu Hause an. Mama, Papa wir sind wieder da. Sie schleppten ihre Einkäufe die vielen Holzstufen hinauf. Mama, Papa rief Evina noch einmal, aber es kam keine Antwort von ihren Eltern. Sie drückte die Türklinke des Wohnzimmers herunter. Sie erstarrte für einige Sekunden, als sie die beiden so sitzen sah. Eng umschlungen, wie gestern Abend bevor Evina ins Bett ging. Und aus dem Fernseher dröhnte es unheilvoll: Gespräche gescheitert, Raketen auf Angriffsposition.Evina setzte sich zu ihren Eltern die scheinbar um sich herum nichts mehr mitbekamen. Mama, ich war mit Erec im Supermarkt und auf dem Stützpunkt, es ist so schrecklich…. ! Mama neigte jetzt den Kopf ein wenig zur Seite und flüsterte mit tränenerstickter Stimme: Wir wissen es Schatz. Und es wird noch schlimmer! Evinas Vater schien noch von der gleichen Starre befallen zu sein, er verharrte seit 2Tagen im selben Zustand. Seine Augen spiegelten die Angst und die Kälte wieder die ihn umgab. Nur manchmal verstand man sein Stöhnen: Angst, Familie, alle sterben. Evina musste sich zusammenreißen um nicht auch noch zu weinen. Doch dann krampfte sich auch ihr Herz zusammen und es brach aus ihr heraus. Haben die denn kein Herz, warum soll morgen alles leben ausgelöscht werden? Zitternd fiel sie zwischen ihre Eltern auf den Boden und umarmte sie beide. Erec, der gerade das Zimmer betrat, war schockiert als er die drei so hilflos auf dem Boden sitzen sah. Mama, Papa, Evina, alle hatten sich in den letzten Tagen verändert. Und er? Er wusste nicht mehr, was er denken oder glauben sollte. Nur noch eine Nacht. Dann entscheidet sich alles. Ob sie überleben? Oder sterben? Oder auch überleben und dahin vegetieren. Würde der ganze Planet betroffen sein? Erec sah traurig zu seiner Familie auf dem Boden, bevor er sich entschloss, eine Deck und ein Kissen aus seinem Zimmer zu holen um die Nacht bei ihnen zu verbringen. Die Stimmung war schrecklich, Mama und Evina weinten und beteten leise, Papa stieß unverständliche Worte aus. Erec legte sich behutsam zu ihnen. Lange hörte er noch das Bersten von Fensterscheiben in der Nachbarschaft. Die sind wie ein Rudel Wölfe, dachte Erec. Wie stille Jäger auf ihrem Beutezug durch die Stadt. Die Nacht brach herein, die Sterne schaukelten glänzend am Himmel, und der Mond hing wie eine schwere Sichel zwischen den Wolken. Auch Evina starrte noch in den friedlichen Nachthimmel. Ich glaube, Mama und Papa schlafen jetzt, sagte sie mit zittriger Stimme. Die Mutter lag mit dem Kopf auf Papas Brust, und schaukelte mit seinem unruhigen Atemrhythmus auf und ab. Komm her, Evina, du musst Dich jetzt auch ein bisschen ausruhen, forderte Erec seine Schwester auf. Zaghaft stand sie auf, blickte noch einmal zu ihren Eltern, und legte sich dann neben ihren Bruder. Ängstlich fragte sie ihn: Vielleicht sind wir ja weit genug weg und überleben es, oder? Erec rang mit sich ehe er ihr antwortete. Selbst wenn wir es überleben, nichts wird so sein wie vorher. Verstehst Du, Evina? Nichts! Es muss sein dachte er, auch wenn es hart ist, Evina muss es wissen. Weißt Du noch Erec, wie Oma uns früher immer Geschichten zum Einschlafen erzählt hat? Evina konnte kaum noch sprechen, so müde war sie. Ja das weiß ich noch, die Geschichten von den Engeln sprach Erec leise. Bitte erzähl mir eine, bat Evina. Erec tat ihr den Gefallen und erzählte von den Engeln die im Wolkenpalast wohnten, von der Melodie ihres Flügelschlagens, die nur Kinder hören konnten. Erec, Evina, Mama und Papa versanken in einem tiefen Schlaf. Sie träumten von einem gewaltigen Lichtblitz der die gesamte Welt umrundete. Einer Druckwelle der sogar die Wolkenpaläste der Engel erschütterte. Und sie träumten von einer Engelsschar, welche die Menschen von der toten Erde, aus der Dämmerung ins Licht trugen.
Tag der Veröffentlichung: 11.02.2013
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