Hi! Falls du meine Nummer gelöscht hast: Markus hier. Der, vor dem du weggelaufen bist. Habe zwei tolle Musiker kennengelernt. Sie Bass, er Gitarre. Wir suchen einen Sänger/Gitarristen. Bist du zurzeit frei? Band-technisch meine ich, das andere lassen wir lieber.
Matthias legte seinen Kopf zurück und stöhnte. Ja, er war frei, Band-technisch. Und er hatte wirklich große Lust, wieder in die Saiten zu greifen und sich die Seele aus dem Leib zu singen. Aber mit Markus? Er überlegte ein paar Minuten, ging nervös ein paar Schritte auf und ab und schrieb schließlich zurück:
Ja, bin frei. Welche Musikrichtung?
Schwer zu sagen. Sind aber für einiges offen. Alternative/Industrial/Hardcore/Indie Rock, krankes Zeug … you name it.
Fuck, dachte Matthias, genau mein Ding. Markus wusste, wie man ihn angeln konnte. War aber auch kein Wunder, sie waren knapp neun Jahre zusammen gewesen, als Paar, und sieben Jahre davon in einer Band. Leicht zitternd vor Aufregung tippte er auf Anruf. Er hatte seine Nummer nach ihrer Trennung nicht gelöscht - da Matthias auf Kriegsfuß mit Zahlen war und sich keine einzige Handynummer merken konnte, hatte er so wenigstens gesehen wann er nicht abheben wollte.
„Matthias!“ strahlte Markus ins Telefon. Er konnte ihn strahlen hören.
„Hi. Wo? Und Wann?“
„Sie haben einen Proberaum im sechsten Bezirk gemietet. Genaue Adresse schreibe ich dir noch. Ginge diesen Samstag, 18 Uhr bei dir?“
„Ja. Muss ich was mitbringen außer Gitarre und Mikro?“
„Mikro und Verstärker haben sie. Gitarre reicht.“
„Okay.“
Kurze, betretene Stille.
„Ich kann dich auch abholen und hinfahren, falls du das möchtest“, bot Markus ihm an.
Ein kalter Schauer lief Matthias über den Rücken.
„Nein, ich komm‘ schon irgendwie hin. Wird ja auch mit den Öffis erreichbar sein, oder?“
„Ja“, antwortete Markus, mit hörbarer Enttäuschung in der Stimme. „Also ich schicke dir noch die Adresse per SMS. Bis dann …“
„Okay, ciao!“
Matthias legte auf, ließ den Arm sinken und atmete erstmal tief durch. Er hatte jetzt nur zugesagt, weil er unbedingt wieder von Musik passiv zu Musik aktiv wechseln wollte. Es ging ihm schmerzlich ab. Dass er Markus bald wiedersehen würde, lag ihm im Magen. Wenn sie einander jetzt, nach rund zwei Jahren, wiedersahen, musste er damit rechnen, dass er ihm die Frage nochmal stellte, die er ihm nach seiner Hals-über-Kopf-Flucht so oft per SMS gestellt und nie eine Antwort bekommen hatte. Warum er damals gegangen war. So ganz sicher war sich Matthias immer noch nicht, nur eins war klar: etwas war schiefgelaufen, und zwar schleichend. Dann waren die Panikattacken gekommen und schließlich die Flucht.
Da stand Markus nun mit einer sympathisch aussehenden jungen Frau, schwarzen Haaren, Pixie-Cut, androgyn aber gerade noch als weiblich erkennbar, draußen vor dem Eingang. Sie rauchten und unterhielten sich. Mit jedem Schritt, den Matthias näherkam, wurde er nervöser. Er hatte ein immens schlechtes Gewissen. Markus sah ihn, lächelte und winkte ihm zu. Das Lächeln, in das er sich sofort verliebt hatte. Er lächelte immer mehr mit den Augen als mit dem Mund, Matthias hatte sich oft gefragt wie er das machte. Markus stellte ihm Lisa, die Bassistin, vor, und nach kurzem Smalltalk, während dem Matthias es vermieden hatte, ihm in die Augen zu sehen und sich hauptsächlich auf Lisa konzentriert hatte, gingen sie runter in den Proberaum. Der Gitarrist, Felix, kam kurz danach, auch er war Matthias auf Anhieb sympathisch. Ein großer, schlanker Typ, rote, kurze Haare und ein ebenso roter Dreitagebart. Felix wiederum hatte ein Grinsen, das an einen Hai erinnerte. Lisa schien in Matthias‘ Alter zu sein, Felix sah ein wenig älter aus, doch jünger als Markus, der zweifelsohne der Älteste in der Runde war. Unten gab es Bier, Matthias nahm es dankbar an, da er dringend etwas brauchte, das seine innere Verkrampfung löste. Er tat sich schwer mit fremden Personen, war üblicherweise bei Erstkontakten äußerst schüchtern, doch da er einem Gespräch mit Markus aus dem Weg gehen wollte, fand er in seiner Verzweiflung tatsächlich Stoff für ein Gespräch mit den beiden. Während sie ihre Instrumente stimmten, saß Markus hinterm Schlagzeug, trank sein Bier und ließ Matthias nicht aus den Augen. Dieser tat so als würde er es nicht bemerken, während er angestrengt versuchte, seine Hände am Zittern zu hindern. Obwohl sie zu viert im Raum waren, fühlte er sich als wäre er nur von ihm umgeben. Zu seinem Glück schlug Lisa schließlich vor, dass er und Markus zuerst mal was aus ihrem Repertoire vorspielen sollten. Markus war schon bei ihrer letzten Probe dabei gewesen, aber da er und Matthias schon früher miteinander in einer Band gewesen waren, wollten sie etwas davon hören. Und natürlich waren sie neugierig auf Matthias. Was der glücklicherweise nicht wusste, war, dass Markus vor allem seinen Gesang hochgelobt hatte. Das hätte ihn wahnsinnig unter Druck gesetzt und er hätte vermutlich keinen Ton rausgebracht. So aber war es nicht schwierig für ihn, er kramte in seinem Gedächtnis herum, wählte zwei Songs aus, die man auch ohne Bass gut spielen konnte, nannte Markus die Titel und hoffte, dass er sich auch noch daran erinnerte.
Wenn er spielte, fühlte er sich sicher. Das war der einzige Bereich, in dem er auch Markus kontrollieren konnte, da er, Matthias, die meisten Songs geschrieben hatte und Markus das tat was er ihm sagte. Er hatte ihn sogar dazu bringen können, ihn bei ein paar Songs gesanglich zu unterstützen. Gut, gesanglich war wohl der falsche Ausdruck dafür, er hatte ihm Schrei-Unterstützung gegeben. Matthias hatte ihn so lang gedrillt, bis er sich so anhörte, wie er sich das vorgestellt hatte. Es gab zwei Songs, bei denen sie richtige Schrei-Duelle gehabt hatten. Es war ein großartiges Gefühl gewesen, ihn so anschreien zu können, wenigstens im Proberaum.
Sie spielten aber zwei andere Songs, da Markus sein Headset nicht dahatte. Den einen hatte er noch perfekt im Kopf, beim anderen strauchelte er etwas, doch nach ein paar Riffs auf der Gitarre klickte es wieder bei Markus. Sie spielten immer noch perfekt zusammen, wie ein Schweizer Uhrwerk. Währenddessen musste Matthias ihn manchmal ansehen, um ihm mit leichten Kopfbewegungen anzuzeigen wann eine Pause oder ein Rhythmuswechsel anstand. Nur für den Fall, dass er es doch vergessen hatte. Während sie spielten, war es wieder wie früher, musikalisch waren sie immer noch ein Dream Team. Das sah man danach auch in den Gesichtern der beiden anderen. Lisa und Felix sahen ihn nach Beendigung des ersten Songs derart ergriffen an, dass er auflachen musste. Wenn er sang, sang er mit Herzblut, und wenn er in Geschrei überging, schrie er derartig, dass einem angst und bange wurde. Auch hatte er die Eigenschaft, Gesang, Flüstern und Geschrei innerhalb eines Songs immer wieder abzuwechseln, oft überraschend und so schnell, dass einem die Ohren surrten. Lisa machte ihm das schönste Kompliment, das er je bekommen hatte, seine Musik betreffend: „Hätte ich einen Penis, hätte ich jetzt einen Ständer.“
Nach der Probe verabschiedete er sich rasch, um Markus so schnell wie möglich wieder zu entkommen. Während der Spielpausen hatte er es vermieden, ihm zu nahe zu kommen, hatte sich so weit wie nur möglich von ihm entfernt hingesetzt. Mit ihm im selben Raum zu sein war schon Herausforderung genug, neben ihm zu sitzen hätte er nicht ausgehalten. Markus hätte ihn zwar sicher nicht vor den beiden anderen zur Rede gestellt, aber danach womöglich. Er war noch nicht bereit dazu.
Nachdem Matthias plötzlich in Hektik geraten war und sie eilig verlassen hatte, standen die restlichen drei draußen und rauchten noch eine bevor sie sich voneinander verabschiedeten.
„Er ist fantastisch“, sagte Lisa zu Markus, der nickte.
„Ist er.“
„Aber ich hoffe, die Situation zwischen euch bessert sich.“
Felix und sie wussten, dass sie ein Paar gewesen waren, da Markus es, als er ihn vorgeschlagen hatte, erwähnt hatte. Er sagte, er sei sich nicht sicher ob Matthias zusagen würde, da ihre Trennung traumatisch gewesen sei.
„Er wird schon wieder warm werden“, antwortete Markus, um kurz darauf bis über beide Ohren zu grinsen, da ihm die Doppeldeutigkeit der Aussage erst ausgesprochen bewusstwurde.
„Dein Wort in Gottes Ohr“, lachte Lisa, um danach etwas ernster zu fragen: „Willst du ihn wieder zurück?“
„Ja“, kam es sofort aus Markus‘ Mund.
„Das war eindeutig“, bemerkte Felix.
„Wieso habt ihr euch eigentlich getrennt?“ wollte Lisa nun wissen, Markus verzog den Mund und schüttelte den Kopf.
„Das lassen wir lieber. Vorerst.“
In der darauffolgenden Woche traf Matthias als Zweiter ein, nach Lisa, die immer als Erste kam, da sie die Herrin des Schlüssels war. Nach kurzer Begrüßung setzte er sich zu ihr und holte seine Gitarre aus der Tasche.
„Bier?“ fragte sie ihn, er nickte.
„Danke. Habt ihr hier ein Lager?“
„Ein kleines“, antwortete sie grinsend und gab ihm eins rüber. „Einmal im Monat kaufen wir zusammen welches. Bis Ende des Monats bist du noch eingeladen – Markus hat sich selbst Alkoholfreies besorgt, weil er mit dem Auto fährt.“
„Du bist letzte Woche wegen ihm so schnell abgehauen, oder?“ fragte sie ihn nach kurzer Pause, in der sie überlegt hatte, ob sie ihn überhaupt fragen sollte.
„Äh – ja“, antwortete Matthias, etwas beschämt. „Hat er es euch erzählt?“
„Er hat es erwähnt, ja.“
„Was genau hat er gesagt?“
„Nur, dass ihr zusammen wart und eure Trennung traumatisch war.“
„Traumatisch … er hat echt traumatisch gesagt?“
„Ja. Sagst du mir, weshalb ihr euch getrennt habt?“
„Das ist … kompliziert. Vielleicht ein andermal und vor allem woanders“, erklärte er, mit nervösem Blick auf die Tür.
„Das verstehe ich“, antwortete sie, aufmunternd lächelnd. „Sorry, dass ich so neugierig bin. Aber so wie er dich ansieht – und du vermeidest, ihn anzusehen – kann man das unmöglich ignorieren. Ihr scheint Redebedarf zu haben.“
„Sag mal – bist du Psychologin?“
„Nein. Sozialarbeiterin. Was machst du beruflich?“
„Ich habe eine kleine Buchhandlung, zusammen mit Gerald, einem ehemaligen Studienkollegen.“
„Das ist ja cool! Wie läuft sie?“
„Ganz gut, wir können davon leben.“
„Mit diesem Gerald bist du aber nicht zusammen, oder?“
Matthias grinste. „Nein, wir haben eine rein berufliche Beziehung.“
Felix traf ein, kurz darauf Markus. Diesmal versuchte Matthias, nicht so abweisend ihm gegenüber zu sein und wagte es, ihn anzusehen. Auch wich er ihm diesmal nicht so großräumig aus, ließ es sogar zu, dass er an ihm entlangstreifte, als er nach hinten zum Schlagzeug ging. Es war Matthias völlig klar, dass genug Platz hinter ihm gewesen wäre, er hätte nicht so nah an ihm vorbeigemusst. Er suchte einfach nur seine Nähe. Erstaunlich, eigentlich. Wenn man bedachte, wie Matthias ihn sitzen hatte lassen, musste er ihn eigentlich hassen. Aber er war sehr locker ihm gegenüber, und wenn er ihn anlächelte, konnte man meinen, er hätte sich in ihn verliebt und wolle ihn verführen – wüsste man nicht, dass sie bereits eine langjährige Beziehung hinter sich hatten.
Bei der übernächsten Probe geschah es, dass Markus in der Pause zu Matthias‘ Notenständer ging, auf dem die Blätter mit den Texten befestigt waren. Der Text des aktuellen Songs war obenauf und er las ihn aufmerksam, was Matthias, der bereits am anderen Ende des Raumes gegenüber der beiden anderen saß, nervös machte. Er war zwar mit dem Rücken zu ihm gesessen, hatte aber bemerkt, dass er hingegangen war.
„Was machst du?“ fragte er Markus.
„Ich verstehe dich nicht, akustisch – nur ein paar Brocken.“
„Ist vielleicht auch besser so …“ deutete Matthias an, während er versuchte, ihn per Telepathie vom Textblatt wegzubringen. Daran musste er noch arbeiten.
Schließlich blickte Markus wieder auf und fragte, scheinbar zusammenhangslos: „Carly Simon?“
„Was?“ fragte Matthias verdattert zurück.
„Naja, You’re so vain, you probably think this song is about you“ sang er, um dann weiter zu fragen: „Bin ich vain oder geht’s da um mich?“
Rote Ohren auf Matthias‘ Seite. „This song is about you“, gab er schließlich, leise, zu. Zwecklos, es zu leugnen.
Felix und Lisa fühlten sich wie im Kino – hätten sie Popcorn gehabt, hätten sie es eingeworfen, während sie die beiden beobachteten. Matthias‘ Augen, die grundsätzlich schon recht groß waren, wurden immer größer, als Markus nun auf ihn zukam, ihm von hinten die Hände auf die Schultern legte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Matthias erstarrte kurz, dann drehte er seinen Kopf zu ihm und antwortete mit einem leisen „Okay“.
Lisa hoffte inständig, dass sich die beiden zumindest wieder vertragen würden, wenn schon nicht wieder zusammenkommen. Obwohl sie letzteres bevorzugt hätte. Die beiden schienen zusammenzugehören, warum auch immer sie es nicht mehr waren, an mangelnder Zuneigung schien es nicht zu liegen.
Markus hatte ihn gefragt, ob er nach der Probe mit ihm reden könne. So richtig bereit dazu fühlte Matthias sich immer noch nicht, doch er war es ihm schuldig. Und zwar schon seit zwei Jahren. Nachdem sie sich voneinander verabschiedet hatten, stieg er zu ihm in den Wagen, schnallte sich an und fühlte sich hundeelend.
„Danke“, sagte Markus und schenkte ihm sein bezauberndes Lächeln. „Wo wollen wir reden?“
„Bei mir“, antwortete Matthias nach kurzem Zögern. Er wollte in kein Lokal und auch nicht zu ihm. Der Gedanke daran, wieder die Wohnung zu betreten, in der sie zusammengelebt hatten, machte ihm Angst.
„Gut, wenn du mir sagst wo das ist, fahren wir hin.“
Er nannte ihm die Adresse, Markus tippte sie in den Navi ein, fuhr los und schwieg die ganze Zeit über, was Matthias nicht unrecht war. Er musste sich noch überlegen, was er sagen sollte.
„Nette, kleine Wohnung“, bemerkte Markus nachdem er sie betreten hatte, während Matthias zum Kühlschrank ging.
„Willst du was trinken? Alkoholfreies hab‘ ich aber nicht … ich meine, kein alkoholfreies Bier“, stotterte Matthias nervös.
„Ein Bier schadet nicht“, meinte Markus und lächelte ihn wieder an. Diesmal allerdings etwas bemitleidend.
Sie setzten sich auf die Couch, tranken erstmal, dann wandte sich Markus ihm zu.
„Okay. Du weißt, was ich wissen will. Hoffe ich zumindest.“
Matthias seufzte und ließ den Kopf hängen. „Warum ich dich verlassen habe.“
Dann hob er den Kopf wieder und sah ihn an. „Ich kann dir sagen, weshalb ich es dir nicht sagen konnte.“
Markus legte den Kopf schief. „Okay … wäre mal ein Anfang.“
„Es war nur ein Gefühl. Ich fühlte mich von dir erdrückt, wusste aber nicht genau, warum. Ich meine … ich wusste ungefähr, warum, aber nicht genau was bei mir die Panikattacken verursachte. Und dein Heiratsantrag hat einfach das Fass zum Überlaufen gebracht. Der Gedanke daran, hochoffiziell dir zu gehören, löste in mir Fluchtgedanken aus.“
„Und eine Panikattacke.“
Matthias sah ihn verzweifelt an. Markus hatte ihn dafür gehasst, dass er ihn ohne nachvollziehbaren Grund sitzen lassen hatte, doch er hatte zwei Jahre gehabt, um darüber nachzudenken, was seinen Hass wieder abflauen hatte lassen. Matthias war einfach nicht gut darin, seine Gefühle in Worte zu fassen. Womöglich hatte er es sogar versucht und er hatte es nicht gecheckt. Er war ein Typ Mensch, der zum Arzt ging und dort alle Symptome so runterspielte, dass sich der Arzt wundern musste, weshalb er wegen einer solchen Lappalie eigentlich kam. Obwohl er in Wahrheit schon sehr leiden musste, um überhaupt zu einem Arzt zu gehen.
„Du sagtest, du wusstest ungefähr, warum. Was ist das ‚ungefähr‘?
Matthias‘ Gesichtsausdruck wurde noch verzweifelter, dann versuchte er zu erklären: „Du warst so … hast immer über unser Leben bestimmt. Du hast geführt und ich bin gefolgt.“
„Ja“, bestätigte Markus, „Aber ich hatte nie das Gefühl, dass dich das stören würde. Bei einigen Sachen hast sogar du mir gesagt, dass ich es für dich machen solle. Du weißt schon, Anrufe bei Ämtern, Termine bei Ärzten … du hattest doch vor allem Angst, was du nicht kanntest.“
„Ich weiß. Daher ja das ‚ungefähr‘. Denn eigentlich habe ich es gut gefunden, dass du mir vieles abgenommen hast. Aber manchmal bist du mir einfach drübergefahren, wenn ich doch ein Wörtchen mitreden wollte."
„Du hättest ja nur den Mund aufmachen müssen.“
„Du weißt, dass mir das schwerfällt“, erwiderte Matthias gereizt. Markus seufzte. So wurde das nichts. Er musste tief durchatmen und ruhig weiterreden.
„Weißt du, ich habe auch nachgedacht. Mein Fehler war, dass ich mich von dir korrumpieren habe lassen.“
Matthias runzelte die Stirn. „Ich habe dich korrumpiert?“
„Ja. Dadurch, dass du so bist wie du bist. Du warst weich, formbar, auf eine für mich erotische Art und Weise. Es hat mir gefallen – weswegen ich wahrscheinlich auch nicht bemerkt habe, dass es dir nicht gut ging. Bis es zu spät war. Das tut mir leid.“
„Und mir tut es leid, dass ich dir keine Chance mehr gegeben habe“, erwiderte Matthias nach einem Augenblick des Schweigens.
„Was machen wir jetzt?“ fragte Markus.
„Ich will nicht mehr da landen wo ich am Ende war. Panikattacken sind scheiße.“
„Dann lassen wir es nicht mehr so weit kommen.“
„Aber wie wollen wir das anstellen? Ich weiß ja gar nicht, was genau es war, das mir zu viel war. Da waren ein paar Dinge …“, er seufzte, da er nicht wusste, wie er ihm klarmachen sollte, dass es da etwas gab, das ihm Angst gemacht, aber ihn gleichzeitig auch immens angetörnt hatte. Das konnte aber auch nicht der Grund sein, oder? Schließlich erklärte er: „Ich kann dir nicht sagen, was genau mich gestört hat.“
„Du bist ein schwieriger Fall, Süßer“, bemerkte Markus und sah ihn mit diesem Blick an, der Matthias‘ Innereien verflüssigen konnte. Dieser durchdringende, abschätzende Blick von oben herab. Matthias‘ Ohren wurden rot. Er wollte in seine Arme fallen und sich vergessen. Nicht mehr nachdenken. Nicht mehr reden. Stattdessen saß er nur da und sah zu Boden.
Vorsichtig legte Markus einen Arm um ihn und zog ihn zu sich. Die Wärme und Nähe überwältigte Matthias nun dermaßen, dass ihm Tränen über die Wangen liefen, er schluchzte. Einen Augenblick später lag er in seinen Armen und heulte wie ein Schlosshund. Nach ein paar Minuten japste er nach Luft, da das viele Heulen seine Nase blockiert hatte. Er setzte sich wieder gerade hin, stand dann auf und holte Taschentücher. Markus sah ihn mitleidig an, da er ein Häufchen Elend abgab. Er saß nun wieder neben ihm und versuchte sich zu beruhigen.
„Wir können es ja langsam angehen“, versuchte es Markus. „Kein Druck.“
„Warum willst du mich eigentlich noch?“
„Weil du einzigartig bist. Du hast mir etwas gegeben, das ich vorher nicht gekannt hatte. Unsere Beziehung war so intensiv … vielleicht sogar zu intensiv. Jedenfalls warst du für mich wie eine Droge, als du mich auf kalten Entzug gesetzt hast, ging es mir grottenschlecht. Und als ich dich jetzt wiedergesehen habe, wusste ich, dass ich dich wiederhaben will. Ich liebe dich immer noch. Noch mehr als vorher, wenn das überhaupt möglich ist.“
Markus lächelte wieder sein Lächeln, diesmal steckte er Matthias damit an. Eine Hand berührte seine Wange, wanderte an seinen Hinterkopf und zog ihn an sich ran. Markus küsste ihn, erst zaghaft, dann fordernder. Wenig später lag er auf ihm und Matthias atmete so schwer, dass er sich links und rechts von ihm abstützte und ihn besorgt ansah.
„Kriegst du mir jetzt wieder eine Panikattacke?“
Matthias horchte kurz in sich hinein. „Nein, ich glaube nicht. Reine Erregung. Hoffe ich“, antwortete er keuchend.
„Dann kann ich weitermachen?“
Nicken.
Es folgte die Art von Sex, die Matthias liebte. Er fühlte Markus nah bei sich, tief in sich, sie verschmolzen miteinander, verloren den Verstand, Matthias schrie auf und krallte sich in Markus, der ebenfalls in ihm kam. Eng umschlungen keuchten sie noch eine Weile, dann glitt Markus vorsichtig aus ihm raus und rollte sich auf den Rücken.
„Das war … magisch.“
„Ja“, bestätigte Matthias.
„Darf ich hierbleiben oder soll ich gehen?“
„Wenn es dich nicht stört, dass wir nur ein Kissen haben, kannst du bleiben.“
„Ich würde mit dir auf einer Heurigenbank schlafen, wenn’s sein müsste.“
Matthias lachte und nahm seine Hand, drückte sie. Es war schön, ihn wieder so nah bei sich zu haben. Er hatte keine Ahnung, wie das jetzt weitergehen sollte, doch für den Moment fühlte er sich glücklich.
Sie hatten sich am darauffolgenden Morgen voneinander verabschiedet, ohne sich etwas auszumachen. Sie hatten ja ihre Telefonnummern und spätestens in einer Woche sahen sie einander sowieso wieder. Markus hatte sein Versprechen gehalten und keinen Druck gemacht. Kein Anruf, kein SMS.
Matthias war diesmal absichtlich viel früher gekommen, um noch vor Lisa da zu sein. Er musste mit einem Außenstehenden reden, und zwar so bald wie möglich. Seine Gedanken waren wirr und drehten sich in seinem Kopf im Kreis. Vielleicht konnte sie sie etwas entwirren. Als sie endlich eintraf, fühlte er sich allein schon durch ihre Anwesenheit besser. Sie hatte etwas Beruhigendes an sich.
„Na? Bin ich so spät dran oder du zu früh?“ fragte sie, nachdem sie ihn begrüßt hatte.
„Ich bin zu früh. Ich muss mit dir reden …“
Sie steckte sich eine Zigarette an.
„Auweia. Was war letzte Woche?“
„Nichts Schlimmes … aber du wolltest wissen, weshalb wir uns getrennt haben. Genau dieser Grund macht mir jetzt ganz besonders zu schaffen. Ich brauche geistige Entwirrung.“
„Kein Problem. Willst du nach der Probe mit mir was trinken gehen? Oder lieber an einem anderen Tag, ohne, dass es Markus mitbekommt?“
„Letzteres.“
„Gut, dann …“, begann sie und nahm ihr Smartphone zur Hand, tippte darauf herum. „Sorry, das sieht jetzt aus als wolle ich mich wichtigmachen“, sie kicherte, „Aber ich habe so unterschiedliche Arbeitszeiten, dass ich immer nachsehen muss wann ich frei bin.“
„Kenne ich von Markus, kein Ding“, grinste Matthias.
„Wie wär’s mit Montag oder Mittwoch am späten Nachmittag oder Abend?“
Sie einigten sich auf Mittwochnachmittag und die Donauinsel.
Da sie noch eine halbe Zigarettenlänge vor sich hatte, fragte sie noch, bevor sie runtergingen: „Habt ihr letzte Woche miteinander geredet?“
Er seufzte und blickte auf seine Fußspitzen. „Ja. Aber ich könnte nicht sagen, dass wir auf einen grünen Zweig gekommen wären.“
Sie verzog mitleidig das Gesicht. „Habt ihr gestritten?“
„Nein. Wir hatten stattdessen Sex.“
Sie lachte auf. „Okay … das ist auch eine Möglichkeit.“
Diesmal war es für Matthias wieder schwieriger, als Markus den Raum betrat. Wie sollte er sich verhalten? Zu ihm gehen und zur Begrüßung küssen? Auch Markus schien unsicher zu sein, grüßte sie beide, stand dann einen Moment unschlüssig da, ging schließlich zum Bierdepot und köpfte eins von seinen Alkoholfreien, dann folgte ein kurzer Blick auf Matthias‘ Gitarre, in das er bereits das Kabel gesteckt hatte, das andere Ende mit dem Stecker für den Verstärker noch in der Hand. Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht, dann stellte er sich, scheinbar zufällig, genau vor den Verstärker, um sein Bier zu trinken. Matthias verfluchte ihn gedanklich. Er ging hin, und natürlich wich Markus nicht zur Seite, sondern grinste nur auf ihn herab. Markus war fast einen Kopf größer als er und muskulöser. Außerdem um vierzehn Jahre älter. Es war kein Wunder gewesen, dass sich Matthias ihm so unterworfen hatte, allein aus diesem Grund war das bei ihnen schon von Anfang an vorprogrammiert gewesen. Matthias schüttelte leicht den Kopf, fing nun auch an zu grinsen und sagte: „Komm schon, das ist peinlich.“
Lisa versuchte, nicht allzu auffällig hinzusehen, doch sie beobachtete sie aus den Augenwinkeln, während sie so tat als wäre sie in das Stimmen ihres Basses vertieft.
„Dann mach es unpeinlich“, erwiderte Markus, noch breiter grinsend.
Matthias drückte sich von der Seite an ihn heran, die Gitarre zwischen ihnen, und versuchte, ihn wegzuschieben. Keine Chance. Dann versuchte er, den Stecker hinter ihm in die Buchse zu stecken, doch Markus drängte seine Hand weg. Er gab auf. Er wusste, was er von ihm wollte, schließlich kannte er ihn schon eine sehr lange Zeit. So drückte er sich jetzt von vorn an ihn und stellte sich etwas auf die Zehenspitzen, um seine Lippen zu erreichen. Küsste ihn.
Sie waren gerade dabei, sich allmählich wieder voneinander zu lösen, als Felix eintrat.
„Holla!“ kam es auch sogleich aus dessen Mund, „Hab‘ ich was verpasst? Seid ihr jetzt wieder zusammen?“
Unsicher sah Matthias Markus an, der die Schultern zuckte.
„Wir versuchen es zumindest …“, antwortete Matthias vorsichtig, Markus schien damit einverstanden zu sein.
Der Tag war optimal dazu geeignet, sich auf der Wiese niederzulassen und zu plaudern. Es war Anfang April, etwas zu warm für Matthias‘ Geschmack, doch noch nicht allzu unangenehm. Er ließ sich neben Lisa niederplumpsen, öffnete sein Cola und nahm einen Schluck.
„Wie war dein Wochenende?“ fragte sie, woraufhin er etwas beschämt und verträumt lächelte.
„Ähnlich wie das vorangegangene. Mit dem Unterschied, dass wir diesmal noch weniger geredet haben.“
„Na gut, wenigstens sexuell scheint ihr euch wieder zu verstehen“, bemerkte sie grinsend.
„Damit hatten wir nie Probleme.“
„War er immer so zu dir? Ich meine … so wie er dich letztens dazu gebracht hat, ihn zu küssen.“
„Ja. Er weiß ganz genau, wie er kriegen kann was er will“, antwortete Matthias, und starrte dabei auf die Wiese.
„Wie alt warst du, als ihr zusammengekommen seid?“
„Zweiundzwanzig. Er sechsunddreißig.“
„Lass mich raten … er hat die Führung übernommen?“
„Ja, aber das war okay für mich. Ich habe das geliebt. Er war so selbstsicher und organisiert, das genaue Gegenteil von mir. Ich ließ ihn alles checken, was das tägliche Leben betraf. Er hat mir alles, was mir zuwider war, abgenommen. Bis hin zum Geld“, er lachte, „Ich meine, er hat mir nicht mein Geld abgenommen, sondern die Verwaltung.“
„Verstehe“, sagte Lisa nachdenklich und nickte.
„Ich war ein Chaot und überängstlich“, nach kurzer Pause fügte er an: „Viel hat sich da bei mir nicht geändert. Als ich von ihm wegzog und dann allein war, war ich so dermaßen überfordert, dass mir meine ältere Schwester helfen musste.“
„Du hast noch bei deinen Eltern gewohnt bevor du zu ihm gezogen bist, oder?“
„Ja.“
„Also war es bei dir nicht so, dass du mit dem Auszug von zu Hause selbständig wurdest – eher noch unselbständiger?“
Matthias antwortete mit einem langgezogenen, nachdenklichen „Jaaa“. Diese Erkenntnis kam erst soeben.
„Allmählich verstehe ich, weshalb ihr euch so seltsam verhaltet. Ehrlich, bei der ersten Probe mit dir hatte ich schwere Zweifel ob das gutgehen könne. Die Spannung zwischen euch war teilweise unerträglich.“
„Ich weiß. Das hab‘ ich selbst gemerkt und mich am Riemen gerissen. Aber ich hatte so ein schlechtes Gewissen ihm gegenüber, und Angst, er würde mich gleich darauf ansprechen.“
„Worauf?“
„Unsere Trennung. Ich habe ihn verlassen, ohne ihm zu erklären, warum.“
Sie runzelte die Stirn.
„Warum?“
„Weil es kompliziert war – und ich nicht wusste, wie ich es ihm erklären sollte.“
„Also hast du einfach deine Sachen gepackt und bist weg?“
„So ungefähr. Er hat mir ja leidgetan. Ich habe mich total schäbig gefühlt, aber ich konnte nicht mehr bleiben.“
„Das solltest du genauer erklären. Was war der Auslöser?“
„Sein Heiratsantrag.“
„Oh. Kalte Füße?“
„Panikattacke.“
„So kalte Füße?“
Er lachte auf. „Das klingt jetzt im Nachhinein witzig, aber damals war es das nicht. Er hat mir den Antrag gemacht und ich bin als Antwort darauf aufgesprungen und habe nach Luft geschnappt. Der Arme wusste nicht wie ihm geschah, er wollte schon den Notarzt rufen.“
„Scheiße. Hast du die öfter?“
„Im letzten Jahr unserer Beziehung, ja. Allerdings hat er die ersten nicht mitbekommen, da er entweder schon geschlafen hatte oder unterwegs war. Die erste, die er miterlebte, war genau die.“
„Wie hat er reagiert?“
„Mit Humor – nachdem ich ihm japsend erklärt hatte, dass es gleich wieder vorüber ist und ich keinen Herzinfarkt habe.“
„Das wäre ja noch schöner gewesen – Herzinfarkt auf Heiratsantrag. Noch viel übler ginge es nicht.“
„Er meinte, das wäre jetzt nicht die Reaktion gewesen, die er sich erhofft hatte“, grinste Matthias.
„Verständlich.“
„Aber dann kamen wir nicht mehr zusammen, ich habe ihn abgeblockt. Ich wollte weg. Ich musste weg. Für mich fühlte sich diese Beziehung inzwischen an wie eine Boa Constrictor. Langsam aber sicher hat sie mir die Luft abgeschnürt.“
„Er war zu dominant“, erklärte Lisa. Das war keine Frage, sondern eine Feststellung gewesen.
Matthias nickte. „Und hier kommen wir zu meinem Problem: ich will nicht, dass er weniger dominant ist. Genau das finde ich ja so anziehend. Aber ich will auch nicht mehr von der Boa erwürgt werden.“
Lisa sah ihn einen Augenblick lang schweigend an, machte die Augen schmal und begann dann: „Weißt du, wie sich das für mich anhört? Nach TPE.“
„Wonach?“
„Total Power Exchange. Ist so ein Ding in der SM-Szene. Der eine Partner gibt die ganze Macht dem anderen. Muss gar nichts mit Sex zu tun haben, das betrifft die ganze Beziehung – allerdings üblicherweise nach vorangegangener Absprache. Die hattet ihr wohl nicht.“
„Nein“, antwortete Matthias erstaunt. „Ich wusste nicht mal, dass es dafür eine eigene Bezeichnung gibt.“
„Habt ihr euch nie mit BDSM beschäftigt? Wundert mich ein wenig bei eurer … Konstellation.“
„Ehrlich gesagt, nein. Wir fanden das immer ein bisschen lächerlich. Wieso weißt du da eigentlich Bescheid?“
„Ich war eine Zeit lang in der Szene unterwegs. Ich hab es nicht religiös betrieben, aber ich war interessiert und hab mir ein paar Sachen abgeschaut“, endete sie grinsend. „TPE wäre aber definitiv nichts für mich, nicht mal als Top.“
„Top?“
Sie lachte. „Mann, du hast echt Aufholbedarf. Ich würde dir raten, mal auf Datenschlag zu gehen und das Thema anzuklicken“, um dann gleich selbst die Antwort auf die Frage zu geben, die Matthias stellen wollte: „Das ist so was Ähnliches wie Wikipedia, nur für BDSM.“
Matthias sah sie skeptisch an. Sie war bi und er fiel eigentlich in ihr Beuteschema, sie mochte so sanfte, sensible Typen. Seine dunklen Haare, die dunkelblauen Augen und das rötliche Bärtchen, das dieses bezaubernde Gesicht, das man knutschen wollte, zierte – ja, er hatte was. Aber er gehörte Markus. Eindeutig. Sie hoffte, dass der wusste, was er an Matthias hatte. Wahrscheinlich, sonst wäre er nicht so erpicht darauf, ihn wieder zurückzuerobern.
„Ich glaube, dass euer Problem war … oder ist, dass ihr da reingerutscht seid und nicht wusstet was ihr tatet. Also ich hoffe sehr, dass ihr beide es nicht wusstet. Sollte sich herausstellen, dass Markus tatsächlich wusste, was er tat, hau ich ihm meinen Bass auf den Schädel.“
„Das ist lieb von dir“, grinste Matthias, „Aber er hat gesagt, dass ich ihn korrumpiert habe.“
Lisa hob die Brauen. „Oha. Also gibt er dir die Schuld?“
„Naja … Mitschuld. Er hat ja recht. Ich hätte nur was sagen müssen. Mich wehren müssen. Das hab ich aber nie getan. Im Gegenteil, ich habe ihn tatsächlich oft dazu aufgefordert, die Kontrolle zu übernehmen. Mal direkt, mal indirekt.“
„Das ist nicht so leicht, sowas kriegt oft eine Eigendynamik – und ehe man sich’s versieht ist man drin und weiß nicht mehr wie man rauskommt. Drum ist dieses Konzept ein bisschen … sagen wir, umstritten.“
„Das ist genau das Gefühl, das ich am Ende hatte“, Matthias sah aus als hätte er soeben eine Erleuchtung gehabt. „Ich wusste nicht mehr wo oben und unten ist, und ich hätte nicht sagen können was genau nicht passt. Es passte einfach nicht mehr.“
Sie nickte verständnisvoll und zündete sich eine Zigarette an. „Du musst mir nicht antworten, wenn du nicht willst – aber du hast erwähnt, dass der Sex nie ein Problem war. Weil du es da ganz besonders genossen hast oder weil es sich abseits davon abgespielt hat?“
Matthias überlegte. „Ich … weiß nicht … die Grenzen verschwammen oft. Du weißt ja, wie das in Beziehungen ist. Das eine ergibt das andere, im einen Moment kocht man noch gemeinsam und im anderen wird man plötzlich auf dem Küchentisch gevögelt.“
Lisa lachte auf. „Ist, glaube ich, nicht in jeder Beziehung der Fall. Jedenfalls klingt es sexy.“
„Er hat schon teilweise Sachen mit mir angestellt, die … grenzwertig waren“, erklärte er weiter, „… aber ich kann mich nur an zwei Situationen erinnern, wo er mich so richtig in Panik versetzt hat.“
„Beim Sex?“
„Ja.“
„Erzählst du es mir?“
Matthias errötete etwas.
„Wie gesagt … du musst nicht. Ich kann mir einiges ausmalen.“
Er atmete tief durch. „Nein, schon okay. Das erste Mal war auf dem Gelände eines Konzertveranstalters, das recht groß war. In der Nacht konnte man dort ganz nach hinten gehen und ungestört sein, da man diesen Bereich vom beleuchteten Bereich aus nicht sehen konnte. Nach unserem Auftritt haben wir uns dorthin geschlichen. Ich werde oft laut, wenn er … mich fickt, deshalb hat er mir den Mund zugehalten. Durch die Nase bekam ich aber zu wenig Luft. Da hatte ich ein paar Momente lang Todesangst.“
„Und das zweite Mal?“
„Ähnliche Situation. Wir haben immer gemeinsam gebadet, und einmal hat er mich währenddessen unter sich gedrückt, um mich unter Wasser zu küssen. Ich … hatte einen panischen Orgasmus.“
Lisa unterdrückte ein Lachen. „Sorry. Ich weiß, ist nicht lustig. Aber es klingt lustig.“
„Kein Problem. Ich habe dann auch gelacht, nachdem ich wieder Luft hatte.“
„Also das mit dem Ersticken ist ein wiederkehrendes Thema. Dein Vergleich mit einer Boa Constrictor ist völlig einleuchtend.“
Matthias machte einen tiefen Atemzug und legte sich mit angewinkelten Beinen auf den Rücken. „Was soll ich jetzt tun?“
„Lies. Ehrlich. Lies dich in die Materie ein. Wenn du willst, gehe ich auch mit dir in ein einschlägiges Lokal, das einen Stammtisch hat, wo Neulinge reinschnuppern können.“
„Nein danke“, blockte Matthias sofort ab.
„Ja, eigentlich solltest du, wenn, mit Markus dorthin gehen. Es mag euch lächerlich vorkommen, und ich finde auch nicht alles toll, aber manche Dinge brauchen Regeln, die sollte man nicht einfach so tun. Du hattest kein Sicherheitsnetz, warst ihm vollkommen ausgeliefert. Er ist dir ja auch körperlich überlegen. Vielleicht brauchst du auch nur ein Safeword … wobei … das mit Hand auf dem Mund oder unter Wasser eher sinnlos ist.“
„Das ist das erste Wort, von dem ich bereits gehört habe“, bemerkte Matthias.
„Tatsächlich? Und du bist nie auf die Idee gekommen, eins einzusetzen?“
„Dazu hätte mir erstmal bewusst werden müssen, dass ich eins brauchen könnte.“
„Auch wieder wahr“, gab sie zu. „Korrigiere mich bitte, wenn ich falsch liege, aber ich glaube nicht, dass er bösartig ist. Er gefällt sich vielleicht in der Rolle des Überlegenen, aber er scheint dich echt zu lieben. Als er für dich gesungen hat, habe ich das sehr süß gefunden, übrigens.“
Matthias setzte sich wieder auf und umschlang seine Beine. „Nein, er ist nicht bösartig. Er hat es mir immer liebevoll reingedrückt“, er grinste in ihre Richtung, dann fügte er an: „Was auch immer.“
„Gut. Ich will dich nämlich nicht in Teil zwei einer Misere schicken. Das würde ich mir nicht verzeihen.“
„Ich bin sehr froh, dass ich mit dir gesprochen habe. Danke.“
„Wie glaubst du, wäre es jetzt mit euch weitergegangen, wenn du es nicht getan hättest?“
Er zuckte die Schultern. „Wahrscheinlich hätte ich mich wieder von ihm verführen lassen und das Ganze wäre von vorn losgegangen.“
„Mit ‚verführen‘ meinst du jetzt eine neuerliche Beziehung, oder?“
„Ja. Das andere hat er schon geschafft.“
„Dann halt ich dir jetzt die Daumen. Setz dich durch bei dem, was dir wichtig ist. Auch wenn es dir schwerfällt, versuch ihm zu erklären was du brauchst. Wenn er dich liebt, dann geht er auf dich ein. Wenn nicht – du weißt, ich würde meinen Bass opfern. Ich habe noch einen“, endete sie augenzwinkernd. „Und lass dich nicht wieder ganz so unmündig machen“, fügte sie noch an.
Auf dem Weg zu Markus dachte er an ihre erste Begegnung. Er und sein Freund Jerry, der Bass spielte, hatten einen Schlagzeuger gesucht, und er war einer von dreien gewesen, der sich auf ihren Aushang am schwarzen Brett des Treffpunkts, wo sie immer herumgehangen waren, gemeldet hatte. Er tauchte als Zweiter auf und beeindruckte Matthias erstmal durch seine Größe, dann durch sein Aussehen. Er hatte etwas Nordisches an sich – später erfuhr er dann, dass seine Großmutter Finnin gewesen war – und hatte das süßeste Lächeln, das ihm je untergekommen war. Zu diesem Zeitpunkt wusste er natürlich nicht, dass er auch schwul war und fand sich gleich mal vorweg damit ab, dass er diesen Mann nicht kriegen könne. Sie jammten ein bisschen und Markus hörte plötzlich zu spielen auf während Matthias seine üblichen Dinge mit seiner Stimme machte. Jerry und er sahen ihn fragend an und Markus sagte nur, mit Blick auf Matthias: „Ich habe mich gerade verliebt.“
Verlegen wippte Matthias hin und her. „Pass auf was du sagst, ich bin tatsächlich schwul“, erwiderte er dann, breit grinsend. Das Grinsen sprang auf Markus über, der antwortete: „Das trifft sich aber gut“, er ließ das einen Moment bei Matthias sickern, dann meinte er: „Also – falls ihr mich nicht nehmt – würdest du dann zumindest mit mir was trinken gehen?“
Sie nahmen ihn, und er ging mit ihm was trinken. Das war jetzt elf Jahre her. Ihm fiel auch wieder ihr kleines Ritual nach ihren Auftritten, die später folgten, ein. Markus war mit seinen Drumsticks an Matthias‘ Hüfte entlanggestrichen und hatte sie um ihn herumgelegt, sodass er sich wie in einem klitzekleinen Gefängnis nur noch zu ihm umdrehen konnte. Dann kam der obligatorische Kuss. Das hatte oft für Erstaunen bei Anwesenden im Backstage-Bereich gesorgt, die sie nicht kannten. Selten auch zu blöden Meldungen, doch die wurden ignoriert. Sie liebten sich und das zeigten sie auch. Hardcore Pride.
Er kannte seine Eltern, seine beiden Brüder, den Großteil seiner Arbeitskollegen bei der Bestattung, davon insbesondere Andrea, die sehr eng mit Markus befreundet war. Was sie wohl darüber gedacht hatte, als er ihn verlassen hatte? Wieder fühlte sich Matthias schäbig. Zunächst war er nur froh darüber gewesen, aus seiner Umklammerung entflohen zu sein, doch mit der Zeit hatte sich das schlechte Gewissen eingestellt. Aber je mehr Zeit vergangen war, desto weniger hatte er sich dazu durchringen können, sich wieder bei ihm zu melden. Er hatte niemanden in der Zwischenzeit gehabt, nicht mal den Wunsch verspürt, jemand anders kennenzulernen. Nur Markus war immer wieder in seinem Kopf aufgepoppt. Kein Platz für jemand anders. Er holte tief Luft und klingelte an seiner Tür.
Da Markus ihn gleich nachdem er ihn hereingelassen hatte, schon an die Wand gedrückt und ungestüm geküsst hatte, musste er sich erstmal sammeln und sich daran erinnern, dass er heute gern mit ihm gesprochen hätte. Also drückte er ihn sanft von sich weg und sagte: „Wir müssen reden.“
Markus sah ihn alarmiert an. „Oje. Das klingt nicht gut.“
„Nein, nicht was du vielleicht denkst … ich möchte nur … sicherstellen, dass wir jetzt das Gleiche wollen.“
„Okay“, meinte Markus und führte ihn ins Wohnzimmer, setzte sich mit ihm auf die Couch.
„Was willst du?“ fragte Matthias ihn.
„Dich wieder zurück. So wie früher.“
„So wie früher?“
Markus hob die Schultern und seufzte. „Von mir aus auch mit einigen Modifikationen. Was willst du?“
„Ja eh auch …“, begann er, um sich gleichzeitig wieder dafür zu verfluchen, so unfähig zu sein, zu sagen was er dachte.
Markus legte den Kopf schief. „‘Ja eh auch‘ klingt aber nicht sehr überzeugend.“
„Weil es nicht das ist was ich eigentlich sagen wollte“, erklärte Matthias. Scheiße, warum war das so verdammt schwer? Da er immer besser sprechen konnte, wenn er ihm näher war, setzte er sich Gesicht an Gesicht auf seinen Schoß, legte die Arme um ihn und sah ihm tief in die Augen.
„Oha, die Redestellung“, bemerkte Markus und lächelte, während er seine Hände an Matthias‘ Hüften legte und ihn kurz drückte.
„Wir mögen uns doch so wie wir sind, oder?“ fragte Matthias ihn.
„Also was mich betrifft: ja.“
„Ich dich auch. Ich will nicht, dass du dich änderst.“
Matthias merkte, wie Markus nun ein Stein vom Herzen fiel.
„Wir müssen nur … wie du vorhin sagtest … etwas modifizieren. Ich muss mich bei dir sicher fühlen können.“
„Hast du dich nicht sicher gefühlt?“
Matthias schüttelte den Kopf. „Irgendwann nicht mehr. Und dann kamen die Panikattacken.“
„Warum hast du dich nicht mehr sicher gefühlt?“
„Ich hatte zweimal Todesangst. Wegen dir. Durch dich.“
Markus‘ Augen flackerten kurz auf. „Das eine Mal in der Wanne …“
„Das war Nummer zwei.“
„Und Nummer eins?“
„Damals in der Cselley Mühle. Du weißt schon, als wir nach hinten sind und es dort getrieben haben. Dort hast du mich auch fast erstickt.“
„Das war mir nicht bewusst, das tut mir leid. Ehrlich.“
„Das in der Wanne tut dir nicht leid?“
„Ich war mit dir unter Wasser. Ich dachte, du würdest sicher so lang wie ich aushalten.“
„Nicht, wenn man Panik aufreißt.“
„Sorry.“
„Gleichzeitig aber hat es mir wahnsinnig gefallen“, erklärte Matthias nun, zu Markus‘ Überraschung. „Ich hatte beide Male einen Mords-Orgasmus.“
„Jep“, grinste Markus. „Was willst du mir jetzt damit sagen?“
„Wie wär’s mit einem Handzeichen? Ich will dir in solchen Situationen zeigen können, wann es Zeit ist, aufzuhören. Zumindest … Zeit, mir wieder Luft zu geben.“
„Wieso ist dir das nicht schon vor zwei Jahren eingefallen?“
„Das wär‘ schön gewesen … aber ich brauchte Hilfe von außen. A little help from a friend.“
„Du hast mit jemandem über uns gesprochen?“
Matthias nickte.
„Über das alles?“
„Ja.“
„Mit wem?“
Matthias druckste herum. „Ich weiß nicht ob ich will, dass du weißt wer es war.“
„Komm schon, dieser Jemand weiß über unsere intimsten Momente Bescheid. Ich will wissen, wer es ist.“
Da Matthias nicht gleich antwortete, fragte Markus: „Hast du noch jemanden neben mir?“
„Nein. Ich hatte überhaupt niemanden zwischen dir und dir. Es ist …“
„Wer?“
„Hattest du jemanden zwischen mir und mir?“ fragte Matthias stattdessen.
„Das sage ich dir, wenn du mir dann sagst wer es ist.“
Matthias gab sich geschlagen. Daran hatte sich nun überhaupt nichts geändert, er gab immer noch viel zu schnell auf. „Okay.“
„Ich hatte zwei One-Night-Stands. Nichts Ernstes.“
Jetzt war Matthias eifersüchtig, was grotesk war. Er hatte ihn sitzen lassen. Sie waren in dieser Zeit nicht zusammen gewesen. Aber es schmerzte ihn.
„Mach nicht so ein Gesicht, ich wusste ja nicht ob ich dich jemals wiedersehen würde. Es war sowieso enttäuschend. Beide Male. Sie waren nicht du.“
Das baute Matthias nun wieder auf. „Ich bin besser?“
„Du … bist … perfekt“, antwortete Markus und drückte seine Nase gegen Matthias‘.
„Niemand ist perfekt.“
„Doch, du bist es für mich.“
Matthias war gerührt, er schluckte schwer.
„Also wer war es nun?“ erinnerte Markus ihn an die noch nicht beantwortete Frage.
„Lisa.“
„Lisa? Unsere Lisa?“
Nicken.
„Wann habt ihr gesprochen?“
„Vorgestern.“
„Mir ist aufgefallen, dass ihr euch gut versteht. Aber so gut?“
„Sie war genau der Gesprächspartner, den ich brauchte. Meine Schwester ist bei sowas nicht zu gebrauchen, und Gerald hasst dich. Und ich allein war überfordert.“
„Okay … leuchtet ein.“
„Recht ist es dir aber nicht.“
Markus zuckte die Schultern. „Ändern kann man’s jetzt sowieso nicht mehr. Und eins muss man ihr lassen: sie hat es geschafft, dass du Klartext mit mir redest.“
Matthias nickte. „Ohne sie wären wir heute nur wieder übereinander hergefallen und hingen immer noch in der Luft.“
„Glaubst du nicht, dass wir es ohne sie auch geschafft hätten? Vielleicht später – aber doch.“
„Nö. Also ich wäre, glaube ich, nicht auf die Idee gekommen.“
Sie sahen einander schweigend an.
„Hast du jemals von TPE gehört?“ fragte Matthias schließlich.
„Gelesen.“
„Im Ernst?“
„Ja. Nachdem du mich verlassen hast, habe ich alles Mögliche gelesen, das mir irgendwie zu verstehen geholfen hätte, was zwischen uns passiert ist. Dabei bin ich darauf gestoßen.“
„Und dir ist es bekannt vorgekommen.“
Markus grinste. „Woher weißt du davon? Auch von Lisa?“
„Ja.“
„Da tun sich Abgründe auf …“
„Sie meinte, wir sollten in die Szene reinschnuppern. Will ich aber, ehrlich gesagt, nicht.“
„Ich auch nicht. Lieber werde ich von dir korrumpiert“, erklärte er und küsste ihn.
„Erstick mich nur bitte nicht mehr.“
„Meinst du das jetzt im übertragenen oder im eigentlichen Sinn?“
„Beides.“
„Für Letzteres haben wir ja jetzt eine Lösung. Was ist mit dem anderen?“
„Ich weiß nicht. Aber jetzt, da ich weiß, was schiefgelaufen ist, fällt es mir vielleicht auf, wenn es wieder passiert. Dann schreie ich.“
„Das kannst du gut.“
„Ja, im Proberaum oder auf der Bühne.“
„Und beim Sex.“
„Äh – ja.“
„Ich habe das aber nicht nur diese beiden Male gemacht. Eigentlich habe ich dir oft den Mund zugehalten, meine Arme fest um deinen Brustkorb geschlungen, deinen Kopf in das Kissen gedrückt … da hattest du keine Todesangst?“ merkte Markus noch an.
„Meistens wusstest du, wann du aufhören musst.“
„Es ist geil, dass du das mit dir machen lässt.“
Matthias überlegte. Wann hatte das eigentlich angefangen? Am Anfang hatten sie eine ganz normale Beziehung gehabt, hatten sich beim Sex auch öfter mal abgewechselt, wenn auch Markus meistens der Aktive gewesen war. Doch irgendwann hatte nur noch er die Oberhand gehabt. Er fragte ihn.
„Wann hat das angefangen? Ich meine, dass es so wurde. Ich kann mich nicht mehr erinnern ... aber irgendwann war ich mittendrin.“
„Ich weiß es auch nicht mehr genau. Aber es hatte mit deinem Herumgezappel und deiner Schreierei zu tun. Ich musste dich dauernd festhalten oder zum Verstummen bringen.“
„Und so hast du dich immer fester um mich geschlungen.“
„Mit Genuss“, bestätigte Markus.
Matthias drückte sein Becken gegen Markus‘, mittlerweile war er hochgradig erregt.
„Komisch. Genau das, was mich von dir weggetrieben hat, zieht mich jetzt ganz besonders wieder an.“
„Vielleicht hilft es ja schon, es bewusst zuzulassen. Jetzt, wo wir beide wissen, was wir falsch gemacht haben, können wir es besser kontrollieren. Ich werde in Zukunft besser auf dich aufpassen, versprochen.“
„Willst du dich jetzt … wieder um mich schlingen?“ fragte Matthias, drückte sich an ihn und legte seinen Kopf auf seine Schulter.
„Und wie ich das will“, antwortete Markus, küsste ihn auf den Hals, den Mund, drückte ihn in die Waagrechte und hielt seine Handgelenke fest. „Welches Handzeichen willst du mir eigentlich geben?“
Matthias machte den vulkanischen Gruß, Markus grinste. „Live long and prosper. Ersticke keinen Trekkie.“
Er küsste ihn wieder, hielt kurz darauf wieder inne und sah ihn an. „Nur eins noch: du wirst es aber nicht schon beim ersten Anzeichen von Panik einsetzen, oder?“
Matthias runzelte die Stirn.
„Ich meine … was dich erregt, ist doch das Ausgeliefertsein? Ich bin sehr interessiert daran, dich am Leben zu erhalten und passe jetzt ernsthaft auf. Überlass es mir, zu entscheiden, wann ich aufhöre. Nur wenn ich es wirklich nicht bemerken sollte … dann mach das.“
„Wenn ich es dann noch kann …“
„So lang solltest du nicht warten.“
Matthias sah ihn unsicher an.
„Willst du wieder einen Mords-Orgasmus?“
Zögerliches Nicken.
„Dann vertrau mir.“
Markus stand auf und hielt ihm seine Hand hin. „Bett?“
Matthias folgte ihm, doch es fühlte sich an als würde er sich von seinem Henker zur Guillotine führen lassen.
Eine halbe Stunde später schnappte er verzweifelt nach Luft, er war explosionsartig gekommen, unter Markus‘ Augen, die ihn genau beobachtet hatten. Er war kurz davor gewesen, das Handzeichen zu geben, hatte es dann aber doch gelassen, weil er einen Tornado in sich hochkommen fühlte, so ließ er es geschehen – und es war gewaltig. Markus war mitgerissen worden und keuchte jetzt auch als ob er solidarisch die Luft mitangehalten hätte. Sie lagen noch lang schwer atmend ineinander verkeilt da, erst als sich ihrer beider Atem wieder beruhigt hatte, fragte Markus: „Und jetzt?“
„Was jetzt?“
„Wie war es jetzt für dich? Hattest du Angst?“
„Ich dachte, ich würde sterben. Aber es war mir egal", antwortete er. In seinem Kopf drehte sich noch alles.
Markus lächelte mit einem Funkeln in seinen Augen. „Kannst du damit leben?“
„Damit, dass es mir egal ist ob du mich killst oder nicht?“
Diabolisches Grinsen.
„Ich habe Lisa sehr überzeugt gesagt, dass du nicht bösartig bist. Jetzt bin ich mir aber nicht mehr so sicher.“
Markus sah ihm tief in die Augen, dann erklärte er: „Ich will dich nicht killen. Ich bin süchtig nach deinem verzweifelten Aufbäumen, deinem flehenden Blick, deinem krampfhaften dich-an-mir-festkrallen. Sollte ich dich je unabsichtlich in die ewigen Jagdgründe schicken, folge ich dir.“
Matthias war beeindruckt, da das jetzt nicht klang als hätte er es nur so daher gesagt. „Versprochen?“
„Ja.“ - auch das klang sehr überzeugend.
Matthias sah ihn einen Augenblick lang schweigend an, dann flüsterte er hingebungsvoll: „Dann gehöre ich dir.“
„Ziehst du wieder zu mir?“
„Ja.“
Markus lächelte zufrieden, überlegte einen Moment, dann warnte er ihn: „Vorsicht – gleich mache ich dir wieder einen Antrag“, was Matthias diesmal zum Grinsen brachte.
„Willst du mich heiraten?“
Matthias sah zu ihm auf und atmete bewusst tief ein und aus. Atmen. Wie schön das war. Er fühlte sich ihm so verbunden wie eh und je. Ausgeliefert, doch auf eine sehr romantische Art und Weise. „Ja“, antwortete er.
Texte: Birgit Muskovich
Bildmaterialien: Radka Schöne/Pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 16.02.2019
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