Die beiden Polizisten sahen einander an. Die Person im Schlamm war ein Junge, das Alter schwer zu schätzen. Sechzehn, vielleicht aber auch schon achtzehn, fest stand nur, dass er tot war. Laut Aussage des Gerichtsmediziners seit ungefähr vierundzwanzig Stunden. Den Körper bedeckten bloß seine Jeans, er war barfuß, der Oberkörper nackt, und auch im Umkreis konnten weder Schuhe noch sonst irgendetwas von ihm gefunden werden. Kein Hinweis auf seine Identität.
Während der genaueren Obduktion stellte sich heraus, dass er zunächst gewürgt worden sein musste, das aber nicht seinen Tod verursacht hatte, er war vermutlich anschließend mit dem Gesicht in die Schlammpfütze gedrückt worden und schließlich so erstickt. Der Vergleich mit zwei als vermisst gemeldeten jungen Männern war bereits negativ verlaufen, in der Zwischenzeit war aber erneut eine Vermisstenmeldung eingelangt. Der achtzehnjährige Sohn des in dieser Stadt sehr angesehenen Professors für Geschichte, Markus Heintel, der vor vier Tagen mit Freunden nach Wiesen zum Forestglade-Festival gefahren war, war seither nicht mehr aufgetaucht.
Die Polizisten Weber und Friedrich läuteten an der Tür von einem der Freunde, die sich zuletzt in seiner Gesellschaft befunden hatten, Harald, der ebenfalls noch bei seinen Eltern lebte und persönlich die Tür öffnete. Nachdem sich die beiden Kollegen zu erkennen gegeben hatten, begann er sogleich zu stottern: „G-geht es um Max? Hat man ihn schon g-gefunden?“
„Allerdings. Was weißt du denn von der Sache?“
Der Bursche lief nun im Zimmer auf und ab wie ein Tiger im Käfig und wirkte hochnervös, er sprach: „Meine Eltern sind mit seinen sehr gut befreundet, ich weiß, dass er abgängig ist. Wir waren zusammen in Wiesen, wollten das ganze Wochenende über dort bleiben. Wir blieben ja ...“
„Wer wir?“
„Florian, Freddie und ich, Max war bereits in der Nacht vom Freitag auf Samstag nicht mehr aufzufinden gewesen.“
„Und ihr seid dennoch ohne irgendeine Meldung bis Sonntag Nachmittag dort geblieben?“
„Ja ... wissen Sie, es ist schon irgendwie normal, wenn bei so einer Veranstaltung einer abhanden kommt ... zumeist trifft man sich ja sowieso wieder am Tag der Heimreise beim Wagen.“
„Auch wenn man ihn zwei Tage nicht mehr zu Gesicht bekommt?“, fragte Weber skeptisch.
„Na ja, wir haben viel gebechert, waren sozusagen im Dauerrausch ... und haben es nicht als so tragisch empfunden, weil Max bekannt dafür ist, ohne ein weiteres Wort plötzlich zu verschwinden und irgendwann mal wieder aufzutauchen ... er ist ein bisschen seltsam, wissen Sie.“
„Was meinst du mit seltsam?“, wollte Weber nun wissen, Friedrich machte daneben Notizen und hob nur ab und zu eine Braue.
„Max ... was ist nun eigentlich mit ihm? Was sollen die Fragen? Hat man ihn gefunden? Ich meine ...“
Es folgte ein kaum merkliches einander Zunicken der beiden Polizisten, dann sprach der andere, Friedrich. „Man hat ihn gestern am späten Nachmittag in einer Waldlichtung nahe der Stadt tot aufgefunden.“
Der junge Mann sank auf die Sitzbank in der Küche nieder und starrte die beiden Männer zunächst nur an, einen Augenblick später fragte Weber ihn wieder: „Also weshalb sagst du, er wäre seltsam gewesen?“
„Tot ..? Wie ... warum?“
„Dazu später, jetzt beantworte bitte mal unsere Fragen“, forderte Weber ihn nachdrücklich auf und setzte sich an den Tisch, Friedrich tat es ihm gleich.
„Er ist ein bisschen anders – normalerweise eher still und verschlossen, nur wenn er betrunken ist, geht er aus sich raus ... ging er ... ist er wirklich tot?“
Weber nickte, sagte aber nichts, so fuhr er fort: „Er hatte noch nie eine Freundin, hat aber auch nie zugegeben, dass er ... schwul ist ... obwohl wir uns dessen mittlerweile schon ganz sicher gewesen sind.“
„Und wie seid ihr darauf gekommen?“
„Er schien ein bisschen verliebt in Florian zu sein, klebte ein Zeit lang regelrecht an ihm und ist ihm auch manchmal nähergekommen ... so, dass er mal seine Hand genommen hat oder ihn einfach nur angesehen hat, dabei ganz nah an seinem Gesicht war - damals habe ich wirklich regelrecht darauf gewartet, dass er ihn gleich küsst.“
„Damals? Wann war das?“
„Uff, das ist jetzt schon wieder länger her ... vier, fünf Monate. Auf das hinauf hat ihm Florian erklärt, dass er ihn für einen netten Kerl hält, er aber nicht mehr von ihm will, daraufhin hat Max dann aber so getan, als wär‘ eh nichts gewesen und ist eine Weile stinkig auf ihn gewesen, er sagte auch zu mir, dass er keinerlei Hintergedanken gehabt hätte. Er hat es geleugnet.“
„Soso.“
Auch die Aussagen der anderen beiden Jungs ergaben dieses Bild und auch der Körper des jungen Mannes hatte bei seiner Obduktion verraten, dass noch etwa drei bis fünf Stunden vor seinem Tod ungeschützter Analverkehr stattgefunden haben musste. Das dabei gefundene Sperma war untersucht worden und hatte ergeben, dass der Mann, mit dem er zuletzt Sex gehabt hatte, die Blutgruppe 0 habe. Auch waren dem Mediziner leichte Schürfwunden an den Handflächen und ein paar Knutschflecke an Hals und Oberkörper aufgefallen.
Die Eltern wurden befragt. Die Mutter stand so unter Schock, dass sie kaum sprechen konnte und der Vater schien zwar gefasst, aber ebenfalls tief getroffen.
„Hat ihr Sohn irgendetwas merkwürdiges gesagt, bevor er sich auf den Weg nach Wiesen machte?“, fragte Weber.
„Nein ... ich weiß nicht ... ich war nicht zu Hause“, sagte der Professor, die Augen auf seine Frau gerichtet, die mit äußerst blassem Gesicht dort saß und keine Anstalten machte, irgendeine Antwort geben zu wollen.
„Hatte er irgendeine Liebesaffäre, von der sie wussten?“
„Markus? Nein, nicht, dass ich wüsste. Er ist da, glaube ich, ein wenig hinterher. Oder er hat es so geschickt verheimlicht, dass wir nichts gemerkt haben. Ich weiß auf alle Fälle nichts von einem Mädchen, du, Angelika?“
Wortlos schüttelte Frau Dr. Heintel, eine Ärztin, den Kopf.
„Und mit Männern?“
„Mit Männern?!“ Der Professor fuhr hoch. „Was soll das? Mit Männern?“
„Ruhig, ganz ruhig. Die Obduktion hat ergeben, dass kurz vor seinem Tod Analverkehr stattgefunden haben muss. Wir haben eindeutige Beweise dafür – auch das Sperma des Mannes.“
Nun regte sich auch die Frau des Professors, leise begann sie: „Ich weiß, dass er mit Männern verkehrt hat ... er hat es mir vor ein paar Monaten erzählt.“
„Markus?!“ - Professor Heintel war nun äußerst erregt, er rief: „Warum hast du mir das denn nicht gesagt?!“
Seine Frau seufzte. „Ich weiß ja, wie du darauf reagiert hättest – du hättest es ihm garantiert auszutreiben versucht“, antwortete sie leise.
„Und ob ich das hätte! Du siehst ja, wo das hingeführt hat!“
Friedrich legte dem Mann die Hände auf die Schultern und versuchte ihn zu beruhigen: „Es kann aber auch sein, dass der Mann, mit dem er zuletzt zusammen gewesen ist, überhaupt nichts mit seinem Mord zu tun hat, viele Dinge sind oft ganz anders als sie zunächst scheinen.“
„Ja …“, antwortete der Professor schließlich und setzte sich wieder.
Man suchte das einzige Lokal dieser Kleinstadt, in dem sich Homosexuelle treffen konnten, auf und zeigte dem Kellner dort ein Foto des jungen Heintels, er reagierte sofort.
„Ja, den kenne ich. Hübscher Kerl, dieser Max. Er ist oft hier ... gewesen. Er ist doch der Sohn von diesem Geschichtsprofessor, nicht wahr? Der ermordet wurde?“
„Korrekt. Können sie uns verraten, mit wem er in letzter Zeit zusammen gewesen ist?“
„Schwer zu sagen. Ich wage zu behaupten, dass er bereits alle durch hat, er war nicht sehr wählerisch, müssen Sie wissen ...“
„Alle durch?“, nun war selbst der Polizist ein wenig perplex. „Der Junge war erst achtzehn!“
„Und äußerst aktiv“, setzte der Kellner fort, „Wir nannten ihn schon den kleinen Nimmersatt.“
„Und zuletzt?“
„Rund zwei Monate hab ich ihn überhaupt nicht mehr gesehen, aber vorher war er mit Andi zusammen ... der heute nicht hier ist.“
„Wissen sie den vollen Namen von diesem Andi?“
Der Kellner lachte. „Tut mir leid, ich schätze, er heißt Andreas, aber mehr kann ich wirklich nicht sagen.“
Im Laufe der nächsten Tage gingen ein paar Hinweise ein, jedoch spärlich und weitgehend nutzlos. Die Polizei tappte im Dunkeln, bis sich die Mutter des Opfers wieder meldete und ihnen telefonisch mitteilte, dass ihr Sohn in den letzten Wochen öfter einen Fotografen erwähnt hatte, der Fotos von ihm mache. Ob er auch Sex mit ihm gehabt hatte, wüsste sie allerdings nicht, vermutete es aber. In dieser Stadt gab es drei professionell tätige und etliche Hobbyfotografen, die Suche konnte also beginnen.
Der erste Profi schied sofort aus, das war ein weibernärrischer Macho, der nur Augen für das andere Geschlecht hatte, auch in seinen Fotobeständen fand sich kein einziger Hinweis. Der Zweite war schon interessanter, der hatte tatsächlich Fotos von Markus, allerdings bereits ein Jahr alte, der Junge war als Siebzehnjähriger vor seiner Kamera gestanden. Als Weber ihn befragte, ob er sexuellen Kontakt zu ihm gehabt habe, verneinte er, widerrief später jedoch und gab zu, ab und zu mit ihm geschlafen zu haben. Der Mann hieß Norbert Zechner und war auch in homosexuellen Kreisen bekannt, hatte aber für die vermutete Tatzeit ein stichfestes Alibi. Der dritte professionelle Fotograf war im Moment nicht zu erreichen, da er mit seiner Frau just am Vortag weggefahren war. Italien. So wurden einige hobbymäßig tätige ausgeforscht und auch hier wurde man fündig. Markus war ein allseits beliebtes Fotoobjekt gewesen, zwei weitere Männer hatten Aufnahmen von ihm, bestritten aber vehement, auch sexuellen Kontakt zu dem jungen Mann gehabt zu haben.
Knapp zwei Wochen später war Konrad Neidhart, der dritte professionelle Fotograf der Stadt, aus Italien zurückgekehrt und wurde ebenfalls vernommen. Auch er hatte Fotos von Markus, die er den Beamten bereitwillig zeigte. Die beiden Polizisten waren sich darin einig, dass dieser Mann die mit Abstand besten Aufnahmen von Markus gemacht hatte, hauptsächlich schwarzweiß und künstlerisch äußerst wertvoll. Sie waren so beeindruckt, dass sie sich die Fotos sehr lange und genau ansahen. Wunderschöne Bilder, eines davon sprach Weber am Meisten an, es war ebenfalls ein Schwarzweißbild und zeigte nur Markus‘ Gesicht, lächelnd und mit einem Glänzen in den Augen, das einzufangen sicher nicht sehr einfach gewesen war. Er sprach den Fotografen darauf an, der erwiderte: „So schwer war das nun auch wieder nicht, Markus ist ein Naturtalent gewesen, er bewegte sich vor der Kamera wie ein Profimodell ... es ist wirklich sehr schade um ihn.“
„Wie sind Sie auf ihn gekommen?“
„Ich habe ihn auf der Straße angesprochen und er war sofort bereit, mit mir mitzukommen. Ein wenig leichtsinnig, wenn ich es jetzt so überlege ...“
„Warum haben sie den Knaben angesprochen?“
„Ist ja nicht zu übersehen, welch schönen Anblick er abgibt. Er ist mir einfach ins Auge gesprungen, er hat eine sehr gute Figur und ein wunderschönes Gesicht.“
„Mit Verlaub gesagt: So etwas fällt mir höchstens an Frauen auf, nicht aber an Jungs.“
Der Fotograf lächelte jetzt etwas, dann sagte er: „Künstlern entgeht keine Schönheit, ob männlich oder weiblich.“
„Homosexuelle Tendenzen?“
„Vielleicht .. aber ich kann Ihnen schwören, dass ich, seit ich verheiratet bin, meiner Frau treu geblieben bin.“
„Und vorher?“
„Ja, zweimal hatte ich was mit einem Mann, das ist jetzt aber schon ... fast zehn Jahre her und ich bin seit sieben Jahren glücklich verheiratet.“
„Wo waren sie denn am Sonntagnachmittag?“
„Bin in der Gegend herumgefahren, ich mache das gern, fahre irgendwo eine Freilandstraße entlang und lasse mich von der Umwelt inspirieren.“
„War ihre Frau dabei?“
„Nein, die war das ganze Wochenende über weg, eine Freundin besuchen.“
Ein paar Tage später suchte Weber mit seinem Kollegen Friedrich die Gattin von Herrn Neidhart auf, die gerade dabei war, Gartenarbeit zu verrichten. Sie begrüßten sie und sie richtete sich auf. Diese Dame machte dem Künstlergeschmack alle Ehre, sie war eine wirklich gutaussehende Frau mit langem, dunklem Haar und einem bezaubernden Lächeln. Sie bat die Herren ins Haus und bot ihnen Kaffee an, was sie auch annahmen.
„Kannten sie Markus Heintel?“, wollte Weber nun von ihr wissen und sie antwortete: „Na ja – ich habe ihn nur einmal kurz zu Gesicht bekommen, als ihn mein Mann hinunter in sein Studio geführt hat. Ich kann mich erinnern, dass ich mich ein wenig geärgert habe, weil er meinen Gruß nicht erwidert hat.“
„Was wissen sie denn von ihm?“
„Nur, dass er der Sohn von Professor Heintel ist.“
„Ihnen ist nichts aufgefallen?“
„Nein, aber wie gesagt, ich sah ihn ja nur einmal flüchtig.“
„Und ihr Gatte sprach nie über ihn?“
„Doch, doch. Aber wenn er ins Schwärmen gerät, schalte ich zumeist irgendwann ab, es ist nervig, ihm dabei zuhören zu müssen, wie er diese oder jene Aufnahme gemacht hat, wie das Licht auf welche Körperstelle eingefallen ist und so weiter...“
„Nicht irgendeine Wortmeldung, die Sie – wenn auch nur kurz – nachdenklich gestimmt hat?“
„Nein“, sie überlegte kurz, „Nein, wirklich nicht.“
„Sehen sie sich die Fotos, die ihr Gatte macht, auch an?“
„Manchmal. Früher öfter, da war ich noch ganz wild auf seine Arbeiten – aber mit der Zeit lässt das nach – die Fotos von Markus habe ich mir allerdings angesehen, weil Konrad gar so davon geschwärmt hat. Er hat den Jungen wirklich sehr gut getroffen ... jetzt, wo ich daran denke ... ob mich was nachdenklich gestimmt hat ... wissen Sie, manchmal werde ich tatsächlich ein bisschen eifersüchtig, wenn ich mir so manche Bilder ansehe. Diese erotischen Sachen ... als ich mir die Fotos ansah, die er noch vor ein paar Wochen von ihm gemacht hat, hat mich dieses Gefühl wieder beschlichen ... haben sie das Bild gesehen, das ihn nackt auf dem Rücken liegend zeigt? Wo nur ein Schatten seine Geschlechtsteile verbirgt?“
Weber sah Friedrich an und hob die Brauen.
„Erotische Sachen hat er uns nicht gezeigt“, sagte er dann, zu Frau Neidhart gewandt, „Könnten sie uns die vielleicht ...?“
„Nein, auf keinen Fall, die soll er ihnen schon selber zeigen“, wehrte sie ab.
„Noch etwas, bevor wir gehen: War ihr Mann irgendwann über Nacht abwesend?“
„Das ist er öfter mal ... ja, auch in letzter Zeit.“
„Und was macht er da?“
„Ausgedehnte Spaziergänge in der Nacht, das liebt er heiß, auch da bin ich früher mit von der Partie gewesen, er kann so unheimlich romantisch sein ... aber irgendwann hat sich das aufgehört, schade irgendwie.“
„Wo war er denn in der Nacht vom 14. auf den 15. August?“
„Ich weiß nicht, was waren das für Tage?“
„Freitag auf Samstag.“
„Ach so, ich weiß schon. Das kann ich leider nicht sagen, weil ich das Wochenende in Hollabrunn bei einer Freundin verbracht habe. Am Montag bin ich nach Hause gekommen, da hat er gerade in der Dunkelkammer herumgewerkt.“
Für die Tatzeit hatte er also kein wirkliches Alibi. Am Abend desselben Tages bekam Herr Neidhart wieder Besuch von Weber, der nach einer kurzen Begrüßung gleich die von seiner Frau angesprochenen Fotos sehen wollte. Zunächst stutzte er ein wenig, dann aber zeigte er sich bereit und ließ ihn sich in seinem Studio setzen, während er die Bilder suchte.
„Ich stehe also unter Verdacht, hm? Wissen Sie eigentlich, dass ich nicht der Einzige bin, der ihn abgelichtet hat?“
„Ja, allerdings. Unter anderem auch jemand, der zugegeben hat, nicht nur Fotos von ihm gemacht zu haben“, antwortete Weber.
„Und?“
„Was und?“
„Na, ob er auch verdächtigt wird.“
„Momentan ist noch jeder verdächtig.“
Herr Neidhart hatte jetzt die Bilder und legte sie dem Kriminalbeamten vor. Das erste zeigte den Knaben in sehr kurzen, nassen, weißen Shorts, von hinten. Die folgenden zeigten ihn von der Seite, von vorn - und dann kamen die delikateren Fotos, auf denen er nackt zu sehen war, zwar nie so, dass man sein Geschlecht auch nur erahnen hätte können, aber auch so, dass man es keinem Kind mehr zumuten hätte können, die erotische Spannung zwischen Fotograf und Modell war richtig zu erfühlen, sah man sich diese Bilder an – und da war dann auch dieses Bild, von dem Herrn Neidharts Gattin gesprochen hatte, in liegender Stellung und die Augen auf die Kamera gerichtet, nur ein Schatten um die Mitte, der das Wesentliche verbarg. Weber fragte Neidhart, wie er das gemacht hätte und der antwortete: „Das war in der Tat ein wenig schwierig, wir haben eine Zeit lang gebraucht, bis ich ihn in der Stellung hatte, in der ich ihn so fotografieren konnte.“
„Ich sehe nicht, ob er da nun wirklich nichts anhat oder doch, können sie mir das verraten?“
„Er war nackt.“
„Ist es nicht mit sehr viel Selbstdisziplin verbunden, vor allem für einen Mann, der auch das eigene Geschlecht nicht abstoßend findet, mit jemandem wie Markus zu arbeiten? Der da nackt vor einem liegt ... den man in die richtige Stellung bringen muss, wie sie selbst sagten?“
„Ich kommandiere und mein Modell bewegt sich von selbst“, antwortete der Fotograf nun, immer noch sehr ruhig, „Der einzige Moment, in dem ich wirklich mit ihm in Berührung gekommen bin, war, als ich ihm beim einölen seines Körpers behilflich war.“
„Regt sich da nichts bei ihnen?“
„Mir reicht die Stimmung, das Gefühl, das dabei entsteht. Ich bin verheiratet.“
„Das schließt ja nichts aus ...“, deutete Weber an, worauf Neidhart erwiderte: „Ja, schon möglich. Aber ich hatte nie Sex mit ihm.“
„Welche Blutgruppe haben sie denn?“
Neidhart zögerte, dann antwortete er: „Null positiv, warum?“
„Routinefrage“, antwortete der Polizist und verließ ihn dann relativ rasch.
Was gänzlich fehlte, war auch nur ein einziger Beweis. An der Leiche war wegen des Schlamms, der sich schon vor der Gewalteinwirkung auf seinem Körper befunden hatte, nicht der geringste Hinweis auf den Mörder gefunden worden, auch beschäftigte die Polizei wie auch die Gerichtsmedizin die Frage, wo der junge Mann in der Zeit zwischen Freitag, gegen acht Uhr, als er zuletzt gesehen worden war und der vermuteten Tatzeit, sonntags gegen fünf oder sechs Uhr, wohl gewesen sein mochte.
Auch Zechner wurde erneut vernommen und auch auf Neidhart angesprochen.
„Der Herr Kollege? Ich weiß nur, dass er verdammt teuer ist“, Zechner lachte, „Aber ich muss zugeben, dass er das Geld auch wert ist, auch wenn er mein größter Konkurrent ist. Er ist ein Perfektionist. Er hat Markus als letzter fotografiert, sagen Sie? Schon möglich. Markus sagte mir selbst, dass er sich in Zukunft nur mehr von ihm ablichten lassen wolle, weil ihm seine Bilder besser gefallen. Das hat mich natürlich gekränkt, ich meine, so was sagt man jemandem doch nicht ins Gesicht! Aber was soll’s, jetzt wird ihn ja wohl keiner von uns mehr fotografieren können ...“
Auch Zechner hatte die Blutgruppe Null.
Einen Tag später saß ein Herr Andreas Unger auf der Polizeiwache, der sich von selbst gemeldet hatte und angab, mit Markus kurze Zeit liiert gewesen zu sein, die Beziehung dann aber von Markus abgebrochen worden war, da er sich in einen anderen Mann verknallt hätte. Markus hätte auch erwähnt, dass er ein Fotograf sei, aber keinen Namen genannt. Das sei vor zwei Monaten gewesen und der junge Mann sei seitdem nicht mehr oft anzutreffen gewesen, vor allem nicht in dem Lokal, in dem er sich bis dato so oft aufgehalten hatte. Auf die Frage, ob er vermute, wer dieser Fotograf sein könne, antwortete Unger nur: „Zechner ist es nicht, denn den habe ich sehr wohl auch weiterhin gesehen. Ich tippe eher auf jemanden, der mit der Szene sonst nichts am Hut hat.“
Ein Bild perfekter als das andere! Er sah sich die Fotos nun schon zum zigsten Male an und immer wieder aufs Neue spürte er eine sofortige Erektion, kaum hatte er das erste in der Hand. Hier – dieser wunderbare Körper – der Oberkörper blank, untenrum nur die Jeans, und nur er allein wusste (Polizei und Gerichtsmedizin zählten für ihn nicht), dass er darunter auch nichts getragen hatte. Dieses Foto war wahrlich perfekt, Markus, zwar noch stehend aber gerade im Begriff, sich nach hinten in den Schlamm fallen zu lassen, die Augen geschlossen und der Kopf bereits etwas nach hinten gekippt, die Arme auf die Seite gestreckt. Das nächste Bild zeigte, wie der Schlamm gerade wieder zurück nach unten klatschte, im nächsten Bild war eine schlammige Gestalt zu sehen, auf dem Bauch und gerade im Begriff, sich gleich aufzurichten – und – ja, hier, dieses Foto machte ihn schlicht und einfach geil – Markus, wie er, über und über mit Schlamm bedeckt, in der Pfütze kniete, den Kopf zurückgeworfen, die Hände an die Hüften legend und sein Becken nach vor schiebend ... wieder war es soweit, er spritzte ab.
Nun, entspannt und immer noch vor den Bildern sitzend, begann er nachzudenken. Gut, er hatte diese Fotos, aber was brachten die ihm, auf Dauer gesehen? Der Bursche war tot und konnte ihm nur noch so festgehalten Freude spenden, nie wieder würde er seine Haut berühren, seine Lippen küssen und in seine Augen blicken können. Obwohl der Ausdruck in ebendiesen im Moment seines Todes auch nicht zu verachten gewesen war – in diesem Augenblick, kurz bevor er das Bewusstsein verloren hatte, hatte er ihm gehört – ihm allein und niemand anderem auf dieser Welt. Schon, er war traurig darüber, ihn damit auch verloren zu haben, aber andererseits konnte ihn jetzt auch kein anderer mehr haben, Markus war sein. Und er war ja auch selbst schuld daran, er hätte ihn nicht verführen dürfen. Ihn, wo er sich so fest vorgenommen hatte, nun ein geregeltes Eheleben zu führen und jeder Versuchung standzuhalten. Verdammter Knabe!
Der Tag, an dem er ihn entdeckt hatte, war sowieso von vornherein verflucht gewesen, schon am Morgen hatte es Zoff mit Cornelia gegeben, die ihn bedrängt und schließlich wirklich dazu gebracht hatte, mit ihr zu schlafen, aber mittendrin war plötzlich Sense gewesen, wie schon des öfteren, sein gutes Stück hatte einfach nicht mehr gewollt und sie war daraufhin eiskalt geworden. Zwei Aufträge für diesen Tag hatte er schnell erledigt gehabt und war, bevor er wieder nach Hause fahren hatte wollen, am Brunnen in der Innenstadt vorbeigewandert, als er plötzlich stehenbleiben hatte müssen. Was für ein Anblick das gewesen war! Ein Bursche in knappen, kurzen Jeans und einem engen, weißen Shirt war dort gesessen, mit kurzem, dunklem Haar, einem Buch im Schoß und einer Zigarette in der Hand. Er wusste nicht mehr wie es geschehen war, aber plötzlich war er bei ihm gewesen und hatte ihn angesprochen. Der Knabe, er hatte ihn auf siebzehn geschätzt, hatte die Sonnenbrille nach oben geschoben und ihn angestrahlt. Wunderschöne braune Augen hatten zu ihm aufgesehen.
„Hallo, junger Mann! Mein Name ist Neidhart, ich besitze das Fotostudio ...“
„... in der Erbergasse, ich weiß.“
„Du kennst mich?“
„Vom Namen her, ich habe oft Ihre Auslage bewundert, Sie sind genial!“
„Danke, danke! Hättest du Lust, selbst dorthin zu kommen?“
„In die Auslage?“, Markus lachte, „Natürlich! Wann hätten Sie denn Zeit?“
„Sofort, und du?“
Markus erhob sich, nahm den letzten Zug von seiner Zigarette und hängte sich dann sogleich bei ihm ein, stieg in Neidharts Wagen und ließ sich zu ihm nach Hause chauffieren, wo im Privatstudio die ersten Bilder entstanden, unter anderem auch das ‚Strahlende Gesicht‘. Schon vier Tage später läutete Markus wieder an seiner Tür, es war nichts ausgemacht gewesen, aber er hatte gerade Zeit und so fotografierte er ihn erneut, wobei es geschah, nachdem Cornelia sich verabschiedet hatte, dass der Bursche ihn animierte, ihn nackt ablichten zu sollen. Er hatte nichts dagegen, warf ihm ein Fläschchen Körperöl zu und ließ ihn sich damit einölen. Als Markus fast damit fertig war, erhob er sich, drückte ihm das Fläschchen in die Hand und forderte ihn auf, seinen Rücken einzureiben, da er selbst nicht hinkomme. Neidhart ölte ihn langsam ein, sanft fuhr er über die weiche, zarte Haut und spürte zugleich eine Erektion hochkommen. Schnell beendete er daraufhin die Sache und fotografierte ihn mal in dieser, mal in jener Stellung, zuletzt sagte er ihm, er solle sich auf die Matratze legen, kam zu ihm, zupfte an der Überdecke und berührte ihn dabei manchmal kurz, als er seinen Kopf ein wenig drehte und seine Beine in die richtige Lage brachte, dann verschwand er wieder hinter seiner Kamera, kommandierte ihn ein wenig herum, um dann aber trotzdem noch mal hervorzukommen und ihn sanft am Becken ein wenig hinunterzudrücken. In dem Moment passierte es Markus, dass er einen Steifen bekam, schief grinsend sah er zu Neidhart hoch, der ihm daraufhin den Tipp gab, an Edith Klinger denken zu sollen. Markus lachte herzlich, woraufhin auch Neidhart mit einstimmte und kurz bei ihm sitzen blieb. Dann wollte sich Markus wieder aufrichten, er aber drückte ihn erneut runter und verschwand wieder, schoss fünf Fotos und kam anschließend mit einem Badetuch wieder, das er dem Knaben in die Hand drückte.
„Du kannst die Dusche benutzen, sie ist oben – die Stiege draußen rauf und dann gleich die erste Tür links.“
Markus aber machte keine Anstalten, sich zu erheben, er blieb sitzen und musterte den Mann, der nun ein wenig nervös wurde.
„Du wärst der Erste, der mich ungevögelt wieder entlässt“, begann Markus, mit einem verschmitzten Grinsen im Gesicht. Neidhart errötete leicht, dann erwiderte er: „Ich bin verheiratet.“
„Na und? Mehr als fünfzig Prozent der Kerle, die sich mit mir vergnügt haben, sind das auch.“
„Aber ...“
Markus beugte sich nach vor und erwischte die Hände des Mannes, zog ihn näher zu sich und wollte sie an seinen Körper führen, Neidhart aber sträubte sich und versuchte es erneut: „Nein ... ich nicht“, zog seine Hände, kurz bevor sie Markus‘ Haut berührt hätten, zurück und wandte sich dann schnell um. Er atmete tief durch und kämpfte regelrecht die Erektion nieder, die nun erneut in seiner Hose hochgekrochen war.
„Okay, dann geh‘ ich jetzt rauf“, verkündete Markus endlich und verließ ihn nun tatsächlich, um nach oben zu gehen.
Bis er frisch geduscht, das Badetuch um die Hüften geschlungen, wieder vor ihm stand, hatte Neidhart einfach nur auf der Matratze gesessen sich Phantasien hingegeben, sein hartes Ding in der Hose war dadurch natürlich nicht weicher geworden sondern hatte sich hartnäckig gehalten, Markus bemerkte seine Latte und wickelte sich wortlos aus dem Badetuch, blieb, nackt, wie er nun wieder war, vor ihm stehen und sah ihn nur an. Dieser Ausdruck in seinen Augen! Wie unverschämt er ihm damit signalisierte: Ich krieg‘ dich doch noch!
Ja, und wie er ihn kriegte! Als er sich einen Augenblick später auf Neidharts Schoß niederließ und dessen Hände an seine Hüften führte, schaltete dessen Gehirn aus, erst ließ er sich küssen, dann begann er selbst gierig nach Markus‘ Mund zu schnappen, saugte an dessen Zunge, Hals und später an den restlichen Körperteilen, es folgten zwei Stunden ungebrochener Geilheit. Danach, als der junge Mann erschöpft unter ihm lag, in seinem Innern eine sicherlich irrsinnig große Menge seines Spermas, ja, da hatte er bereits zum ersten Mal den Wunsch verspürt, ihn zu erwürgen. Dass er es damals doch noch nicht getan hatte, war an Markus gelegen, der ihn plötzlich, ganz im Gegensatz zu seinen eigenen Gedanken, so zärtlich über das Gesicht gestreichelt hatte und „Du bist mein Mann“, geflüstert hatte.
Der Bursche hatte sich in ihn verliebt und er, allem Widerstand zum Trotz, ebenfalls in ihn. Arge Stimmungsschwankungen waren gefolgt, mal verspürte er den Drang, ihn an der Hand zu nehmen, um mit ihm weit weg zu gehen, Griechenland oder Kanada, Brasilien oder Island. Ein andermal wieder kroch ein solcher Hass auf den Jungen in ihm hoch, mit dem gleichzeitigen Wunsch, ihn zu vernichten, um wieder in Ruhe weiterleben zu können. Am Tag, an dem Markus ihm mitteilte, er sei ihm zu stressig, er fahre lieber mit Freunden auf dieses Festival, waren seine Gefühle erneut Achterbahn gefahren. Sie hatten einen hässlichen Streit gehabt.
„Fahr nur! Kein Problem, ich will dich sowieso nicht mehr sehen, komm mir nur ja nicht wieder unter die Augen!“, hatte er gebrüllt, worauf Markus zurück geschrieen hatte: „Du bist ein Arsch! Im Bett mit mir bist du eine geile Sau und deiner Frau spielst du den perfekten Ehemann vor!“
Da hatte er zugeschlagen, nur einmal, aber sehr fest auf Markus‘ Hinterkopf, so dass der auf allen Vieren gelandet war und sich dabei die Handflächen etwas aufgeschürft hatte, wütend war er wieder aufgesprungen und hatte ihn dann seinerseits zornig angebrüllt: „Schlagen kannst du deine Frau!“, dann hatte er sich davongemacht.
Das war am Donnerstag gewesen und von Donnerstag auf Freitag hatte er unmöglich schlafen können, war ziellos in der Gegend herumgestreift, bis er endlich irgendwann gegen halb sieben nach Hause gekommen, todmüde ins Bett gesunken war und dort bis vier Uhr nachmittags geschlafen hatte. Auf dem Küchentisch hatte ein Zettel, eine Nachricht von seiner Frau, gelegen, worauf hatte sie ihm mitgeteilt hatte, dass sie ein wenig Abstand von ihm bräuchte und das Wochenende bei Franziska, ihrer Freundin in Hollabrunn, verbringen würde. Das war ihm sehr gelegen gekommen, drehte sich in seinem Kopf sowieso nur noch alles um Markus. Er hatte den Entschluss gefasst, ebenfalls nach Wiesen zu fahren, ihn zu suchen und um Verzeihung zu bitten, ihn zu beten, den Samstag und den Sonntag mit ihm zu verbringen.
Über achtzig Kilometer fuhr er für diesen Burschen, stellte seinen Wagen schließlich an einem Wegesrand ab und versuchte, sich möglichst unauffällig unter die jungen Leute zu mischen, er trug an diesem Tag schwarze Jeans und ein schwarzes Shirt, der Hitze zum Trotz, und fiel wirklich nicht sonderlich auf. Erst, als es bereits dämmerte, fand er Markus endlich, er saß ziemlich weit außerhalb allein, nur in Gesellschaft einer schon fast leeren Bierflasche und einer Packung Zigaretten auf der Wiese und schien die vorbeischlendernden Menschen zu beobachten. Langsam ging er auf ihn zu, seine Füße schmerzten schon vom vielen Herumirren, dann blieb er stehen und sah auf ihn hinab.
„Markus?“
Verblüfft sah er hoch. „Konrad? Du? Was machst du denn hier?“
Er setzte sich neben ihn, umfasste kurz seine Hand, dann begann er: „Ich möchte mich bei dir entschuldigen, ich habe mich verdammt blöd aufgeführt ...“
„Das kannst du laut sagen.“
„Ich möchte es wieder gutmachen. Du, meine Frau ist das ganze Wochenende über weg, ich hab‘ sozusagen sturmfreie Bude – fährst du mit mir nach Hause?“
„Ach, zisch wieder ab und fahr allein nach Haus“, antworte Markus zwar, meinte es aber allem Anschein nach überhaupt nicht so.
„Ich bin nicht so weit gefahren, um allein wieder zurückzukehren. Bitte vergiss, was ich zu dir gesagt habe, ich war nicht bei Verstand!“
Diese verführerischen braunen Augen richteten ihren Blick nun auf seine, er vergaß sich für einen Moment und küsste ihn dort im Freien, was Markus imponierte und ihm den letzten Ruck gab, er erhob sich, wobei er aber noch bemerkte, dass er den Dreitagespass jetzt aber umsonst gekauft hätte. Konrad versicherte ihm, ihm das Geld zu erstatten.
Das war auch das Erste, was er zu Hause machte. Er öffnete seine Geldtasche und gab ihm die Summe, die die Eintrittskarte für die drei Tage gekostet hatte. Einige Minuten später waren sie dann im Bett, schliefen miteinander und erwachten tags darauf in enger Umarmung. Um zehn Uhr verabschiedete er sich für drei Stunden von Markus, da er einen Fototermin in der Stadt hatte. Gleich nachdem er wieder zurück war, verspeisten sie die Pizza, die er mitgebracht hatte, miteinander und trieben es danach unter der Dusche. Der Rest des Tages verging wenig spektakulär, sie sahen fern, plauderten miteinander und beendeten den Tag wieder mit einem Gute-Nacht-Fick.
Der Sonntag war verheerend gewesen. In der Nacht hatte es geregnet, nachdem sie erwachten, balgten sie herum und liebten einander erneut, schon während des Frühstücks aber begann die Stimmung schlechter zu werden, da sie ja beide wussten, dass sie sich spätestens heute Abend wieder voneinander trennen mussten. Gegen ein Uhr vernaschte er Markus zum letzten Mal, heftig, gierig und so gut, dass der junge Mann dabei zu schreien begann, während er mit den letzten Stößen seinen Saft in ihn hineinrammte. Er hielt ihm den Mund zu. Nachdem sie sich wieder gesammelt hatten, hatte Konrad eine Idee, überredete Markus, sich von ihm draußen im Wald fotografieren zu lassen, packte die Kamera und alles, was er sonst noch brauchte, in den Wagen, setzte den Knaben hinein und fuhr schließlich los. Dort entdeckte er noch während der Fahrt diese Schlammpfütze und machte Halt.
„Welche Kleidergröße hast du?“
„Wieso fragst du?“
Konrad grinste. „Weil ich vorhabe, dich hier drin zu fotografieren“, und deutete dabei auf die Pfütze, „Natürlich nur, wenn dir meine Sachen passen, denn schlammig werde ich dich ja wohl nicht nach Hause bringen können, ohne damit Aufsehen zu erregen.“
Markus lachte sein süßes Lachen und Konrad zog ihn zu sich, schloss ihn in die Arme und küsste ihn.
„Scheiße“, sagte er, „Ich liebe dich!“
„Ich dich auch“, flüsterte Markus, an seinen Hals gedrückt.
Während Konrad seine Kamera herrichtete, zündete sich Markus eine Zigarette an und begann zu reden.
„Weißt du, woran ich manchmal denke?“
„Woran denn?“
„Dass ich mein Sparbuch plündere und dann mit dir wegfliege ... nach England oder sonstwohin ... und wir dann dort bleiben ... für immer“, er sah Konrad an, der nun ein wenig verstört zu ihm aufsah.
„Genau dasselbe ging mir auch schon durch den Kopf“, erwiderte Konrad.
Markus lächelte. „Warum auch nicht? Was haben wir denn schon zu verlieren?“
Konrad blickte zu Boden und begann dann leise: „All das hier aufgeben? Ich weiß nicht.“
„Du hast doch selbst gesagt, dass du für deine Frau nichts mehr empfindest – und du hast keine Kinder! Wenn du Kinder hättest, würde ich dich verstehen ...“
Fast wäre er darauf eingegangen und hätte Markus damit sein Leben geschenkt, aber letztendlich hinderte ihn seine innere Stimme daran, die ihm immer wieder eingetrichtert hatte, dass das, was er tat, äußerst schmutzig und verwerflich sei und das einzig richtige, was er tun konnte, sich des Knaben zu entledigen und wieder eine intakte Ehe zu führen, um von den Leuten geachtet und respektiert werden zu können.
„Wirf bitte deine Zigarette weg und stell dich hier vor der Pfütze auf“, forderte er ihn nun auf, und Markus gehorchte. Er sagte ihm, was er weiter zu tun habe und der junge Mann tat alles, was von ihm verlangt wurde, ließ sich rückwärts hineinfallen, drehte sich darin auf den Bauch, kroch heraus, richtete sich auf und ließ sich fotografieren, setzte sich nach der Session wieder mitten in die Pfütze und grinste heraus.
„Hey, du solltest auch da reinkommen, das ist ein irre geiles Gefühl!“, rief er Konrad zu, der sich tatsächlich näherte und vor ihm in die Hocke ging.
„Ich habe mich dazu entschlossen, hier zu bleiben.“
„Nichts mit England?“
„Nein. Ich werde weiterhin ein respektabler Mann und Ehegatte bleiben.“
Markus reagierte traurig, verletzt. Er wischte sich, so gut es ging, den Schlamm aus dem Gesicht und sagte: „Dann kannst du mich nicht so sehr lieben wie ich dich.“
In Konrads Augen funkelte plötzlich eine richtige Bösartigkeit, Markus erschrak, als er zwar leise, aber mit Nachdruck zu sprechen begann: „Wie sehr ich dich liebe, zeige ich dir gleich, mein Süßer“, und kurz darauf legte er ihm die Hände um den Hals, drückte zu. Markus redete auf ihn ein, bis er unfähig dazu wurde: „Hör auf damit, bitte! Was tust du denn? Wenn du mich nicht mehr sehen willst, gehe ich dir aus den Augen, verspr...“ – ersticktes Husten – „Ich verspreche dir, ich erzähle niemandem etwas von unserer Beziehung“, seine Stimme war inzwischen in ein röchelndes Flüstern übergegangen, „Lass mich leben! Bitte!“
Konrads Augen waren kalt geworden, er sprach: „Wenn du gehst, kriegt dich ein anderer. Das lasse ich nicht zu, du gehörst mir!“
Noch ein allerletztes Mal ertönte ein kaum hörbares ‚Bitte‘, und Markus‘ Hände krallten sich in seine Handgelenke, versuchten, sie wegzuzerren, doch hatten nicht die nötige Kraft dazu. Konrad ließ erst wieder von seinem Hals, als Markus bewusstlos wurde. Eine Weile blieb er vor ihm sitzen, dann nahm er seine Hand, fühlte seinen Puls. Sehr schwach, aber doch noch. Entschlossen drehte er ihn herum und drückte sein Gesicht in den Schlamm. Eine Stunde blieb er noch reglos neben ihm sitzen und starrte seinen toten Körper an, entsetzt darüber, wozu er fähig gewesen war, dann fuhr er nach Hause.
Dort fiel ihm erst auf, dass er sich kaum gewehrt hatte. Er hatte bloß seine Handgelenke umklammert und versucht, so den Druck von seinem Hals zu nehmen, aber er hatte nicht getreten und nicht gekratzt, gar nichts. Warum? Hatte er nicht damit gerechnet, dass er es tatsächlich zu Ende bringen würde? Hatte er so viel Vertrauen in ihn gehabt? Jetzt wusste Neidhart erst, was es wirklich heißt, sich schlecht zu fühlen, denn nun war er nicht mehr nur eine Schwuchtel, nein, jetzt war er ein Mörder dazu. Obendrein hatte er das Wesen getötet, das er doch geliebt hatte. Und das ihn geliebt hatte. Aber er hatte jetzt keine Zeit, weiterhin darüber nachzudenken, er musste alle Beweise aus der Welt schaffen, den Wagen reinigen, eine alte Tasche aus dem Keller holen. In diese gab er die Schuhe des Knaben, seine Shorts, sein T-Shirt und seine Geldbörse. Das Geld ließ er darin, er brauchte es ja nicht. Auf dem Schrank im Vorzimmer lag Markus‘ Schlüsselbund und die Packung Zigaretten, die er aus dem Wagen mitgebracht hatte, auch das gab er dazu und überlegte dabei krampfhaft, ob er etwas vergessen hätte. Nein, das war alles. Nur seine eigenen Sachen musste er noch in die Waschmaschine geben und reinigen, bevor Cornelia nach Hause käme. Er hätte sie umbringen sollen und nicht diesen süßen Knaben, jedoch:
„Each man kills the thing he loves“
, hatte ja schon Oscar Wilde gewusst, „Some kill their love when they are young, and some when they are old; Some strangle with the hands of lust, some with the hands of gold.“
Er steckte die Fotos zurück, legte sie wieder hinter die Bücher in das Regal, blieb dann für einige Augenblicke davor stehen, überlegte es sich wieder anders und holte sie wieder hervor.
Markus. Wie unwahrscheinlich schön er doch gewesen ist. Wie er gelacht hat, wie er mich angesehen hat, wie er geküsst hat ...
Konrad Neidhart ging auf die Knie, das Kuvert mit den Fotos an sich gedrückt, begann er zu schluchzen und sich schließlich zu verfluchen, bald sprang er auf, eilte in den Keller hinunter und kramte die alte Tasche hervor, öffnete sie und holte Markus‘ Sachen heraus. Als ihm dabei seine Shorts in die Hände fielen, brach er erneut in Tränen aus, er dachte an den Moment, in dem er seine Finger unter den Gummi dieser Hose gesteckt und sie dabei langsam heruntergezogen hatte, wie vertrauensselig sich der Knabe dabei zurückgelehnt und die Augen geschlossen hatte. Ich muss mich stellen
, dachte er sich, früher oder später kriegen sie mich doch. Aber andererseits bin ich dann vollkommen erledigt. Mord! Lebenslänglich!
Nein, auch das war nicht das, was er wollte. Er begann, nach etwas zu suchen, fand einen alten Ledergürtel, hielt inne, sah an die Decke und dann wieder auf den Gürtel in seinen Händen.
Hast du wirklich so viel Mut?
Er schob sich den alten Wohnzimmertisch unter den Balken und stellte sich darauf, dann lief alles nur noch automatisch. Als sich der Gürtel bereits um seinen Hals schmiegte, durchzuckte ihn ein neuer Gedanke: Eigentlich bin ich ja kein richtiger Mörder, es wird garantiert nie wieder vorkommen. Es gibt Psychiater, die solche Gutachten erstellen und sie dem Gericht vorlegen – vielleicht wird es ja gar nicht so schlecht ausgehen?
Da hörte er oben die Tür zufallen, Cornelia war nach Hause gekommen. Wie sehr er sie mittlerweile doch schon hasste! Nein, dieses Leben wollte er nicht mehr weiterführen. Er sprang.
Texte: Birgit Muskovich
Tag der Veröffentlichung: 18.05.2012
Alle Rechte vorbehalten