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Haiku im Januar 2011

Da unten im Müll
zwischen Konservendosen
und Plastiktüten

wo Ratten fangen spielen
werden Kinder geboren.


Dem Tod geweiht
kennen sie Hunger und Durst
schon vor der Geburt

Sauberes Wasser ist rar,
ein Streit endet oft tödlich.


Blut schreit zum Himmel,
ist da einer, der es hört?
Hoffnung längst verwelkt.

Keiner begießt den Samen,
auch das Vieh stirbt futterlos.


Schnee taut vor sich hin
kalte Füße habe ich
Meise sucht Futter


Schneerose zeigt sich
bricht aus Harschresten hervor
Krokusse folgen


Kreuzfahrturlauber
grüßen die Pinguine
im südlichen Eis


Geburtstag feiern
fünf und sechzig Jahre alt
ob Weisheit jetzt kommt


Geburtstagsessen
auch am folgenden Tage
noch immer ein Fest


Monitor bleibt Schwarz
will nicht mehr helle werden
Mensch ärger dich nicht


Menschen gehen leise
verbleichen so vor sich hin
in lieblosem Eis


Eis der Gesellschaft
ist furchtbar asozial
lässt viele sterben


Eulen in Athen
Zeichen tödlicher Weisheit
Sokrates weiß es


Aneurysmata
im Bauchraum können platzen
machen mir Sorgen


Nur noch elf Tage
eine furchtbar lange Zeit
die ich warten muss


Bücher gelesen
nichts verstanden, nichts erkannt
doch staunen gelernt


Staunen notwendig
vielleicht auch das Erschrecken
um Mensch zu werden


Stunde geschlagen
immer wieder: für wen jetzt
ich bin noch nicht dran


Rollender Rubel
wer kennt Klang echten Geldes
Falschmünzer lachen


Neue Haiku vom 7.2. 2011


Frühlingsgefühle
Hamamelisstrauch erblüht
Meise sucht Bauplatz


Meisenknödel hängt
leer in den dürren Zweigen
der Himmel erblaut


Auch zur Mittagszeit
wirft Sonne lange Schatten
blendet Wanderer


Die Bauernregeln
zuverlässiger als der Hahn
mit seinem Krähen


Glücklich die Menschen
die sich selbst vertrauen
sind auf gutem Weg


Wie der Lenz uns grüßt
seht nur Krokusse blühen
nur die sind nicht echt


Wir können wünschen
es möge des Nachts regnen
der Natur ist das recht


Zur Zeit treffe ich
leere Hülse, taube Nuss
Störche flogen fort


Niemals hoffnungsleer
behaust und voller Liebe
wollen wir leben


Glück will ich teilen
mit dir, so werden wir wie
lachende Kinder


Nicht glücklich leben,
sondern Glück mit anderen
teilen, wollte ich


Ich stehe Sprachlos
mit meinen Kinderaugen
vor Sprachgeschöpfen


Hai kuk emal da!
Er ist es ganz leibhaftig
Herbst steht vor der Tür


Die Stunden schleimen
dahin in zeitlosem Grau;
sie ermüden mich


Trauer

Bin eingemauert
in Ohnmacht Kummer und Wut
NICHTS ist wie es war


Grausam verstümmelt
zum Objekt gemacht, nicht nur
zwischen den Schenkeln


Halt die Augen auf
zu schmecken, zu sehen, was
auf der Zunge liegt


Osterspaziergang
denk ich an das Gewimmel
Revierblumenstrauß


Parkbank und Winde
bringen doch eine Ahnung
Schnee wird bald tauen


Winterlandschaft weiß
Dohlen vertreiben Amseln
vom Futterhäuschen


Verschneite Landschaft
Amseln haben gefunden
den Apfel für sie


Um Zuckerrüben
schwirren die letzten Fliegen
Kartoffelfeuer


Das letzte Einhorn
hat nicht mehr retten können
das staunende Kind


Wir lernen lieben
ohne Dogma und Moral
der Schöpfung gemäß


Ein gutes Los ist
gelassen und auch heiter
leben zu wollen


Allen steht es zu
Leben lieben zu lernen
in aller Freiheit


Noch 'ne Mütze Schlaf
bevor der Hahn den Morgen
überschwänglich grüßt


Pflichten des Alltags
rufen mit rauer Stimme
Schluss mit dem Knutschen


Rotes Ahornblatt
zu seinesgleichen fällt es
lautlos wie alle


Heute sah ich wieder
fliegende Elefanten
auf dem Dach brüten


Nasen weiß getüncht
so treten sie wieder auf
die Harlekine


Gans aufgefressen
vom listig lispelnden Fuchs
Mutter Natur schmollt


Glück, wo bist du hin
Gestern lachten wir bei Tisch
Schimmel macht sich breit


Sterben ist grausam
Lebenswille braucht viel Mut:
wer wird wohl siegen?


Segen für den Tag
wünsche ich allen Freunden
die am Tisch sitzen

Kann ich auch wünschen
Segen für meine Feinde
die sitzen bei Tisch


Wünsche kann keiner tadeln,
tät ich's, würd ich verhungern.


Putze die Nase
zu riechen würzigen Duft
der reifen Trauben


Engel

Sind manchmal schon da
eh nach ihnen gerufen
kennen die Sorgen


Erde weint für die
die keine Tränen haben
durch fehlende Kraft


Totes Kind im Arm
Ordnung der Welt nicht gestört
morgens um halb acht


Ob das einfach ist
mitten in diesen Zeiten
einfach nur Mensch sein?


Fast beiläufig schon
erbricht der Soldat Grauen
Folgen des Krieges


Mensch ist schuldfähig
Schiedspruch der Buckelwale
Redet vor'm Hören


Haut wie Faltenrock
frisch aus der Waschmaschine
so voller Leben


Birkenblätter nass
von den Tränen der Engel
nichts menschliches fremd


Treiben im Walde
schon spät am Samstagabend
zwischen den Fichten

Impressum

Texte: Das Original des Titelbildes ist eine japanischer Zeichnung
Tag der Veröffentlichung: 28.02.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich möchte meinen Mund auftun für die Stummen

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