Lieb Vaterland magst traurig sein
Antworten auf Fragen, die keiner stellt.
Drei Lieder ohne Noten für Katzenjammer und Weltschmerz
Lied 1 Denk ich an Deutschland in der Nacht,
hat Heine mich um den Schlaf gebracht.
Nicht nur er, auch viele andere an Zeitgenossen, Menschen die vor und nach ihm lebten, waren für die meist schweigende Mehrheit unbequem, Nestbeschmutzer, Vaterlandsverräter und wie sonst die „Ehrennamen“ hießen. - Wenn sie nur so hießen, warum sind uns dann heute diese Begriffe noch so vertaut?
Was haben diese bösen Menschen denn Böses getan? Sie haben getan, was in vielen Zeiten und Gegenden dieser Erde isoliert, ausgrenzt, ja mitunter tödlich ist: sie haben es gewagt, die Wahrheit zu sagen.
„Das ist doch nur eine reichlich kühne Behauptung, für die Wahrheit wird keiner vor Gericht gestellt, jedenfalls nicht hier bei uns. Ich lass mir doch von ihnen – wer sind sie denn eigentlich, ich kenn sie gar nicht; haben sie denn überhaupt etwas zu sagen – also von ihnen lass ich mir doch nict verbieten, auf das stolz zu sein, was Generationen aufgebaut haben. Arbeit und Ruhe wollen wir haben, Brot und Spiele. Sie haben wohl vor lauter Wahrheit suchen, völlig vergessen, was wirklich zählt auf dieser Welt: Fernsehen, Filzpantoffeln, Flaschenbier, Frauen und Freiheit.
Mit allem anderen, da können sie mir gestohlen bleiben oder noch besser, gehen se damit hinter die sieben Berge zu den sieben Zwergen und erzählen denen das. Hier will keiner so einen Quark hören. So nun wissen, wat mir davon halten. Dann man Tschüss.“ „Ja un dat will ich ihne' auch noch sage'.
De Karneval, den laase mer uns duch so'n Wahrheitsfanatiker wie sie nicht vermiese'.“
Wie war das eigentlich in der Vorweihnachtszeit? Durfte man da wirklich überall die Wahrheit sagen oder auch nur fragen, ob Weihnachten mehr ist als ein Konsumfest und ein Stückchen Erinnerung für die, die es nötig haben? Selbst der religiöse Gehalt von Weihnachten ist vielfach zu einem „seid nett zu einander“ verflacht.
Ob in den Heilig Abend Gottesdiensten Weihnachts-plätzchenrezepte vorgelesen und am Ausgang verteilt wurden oder von Glaubensinhalten gesprochen wurde, ist den meisten egal gewesen, Hauptsache alle konnten hinterher sagen: „Herr Pastor, dat hamm se aba gut über de Bühne jebracht. Janz pünklich, auf en Glockenschlag, Prima, wie machen se dat bloß?- Ach ja, Frohet Fest auch“.
Was ist Wahrheit? Wenn es überhaupt Wahrheit gibt? Wahrheit, ja mag ja wichtig sein, aber wahr für wen, zu wessen Vorteil? Oder gibt es etwas für alle Wahres, ganz egal wo und wann und unter welchen Bedingungen die Menschen leben? Antworten wir nicht übereilig mit ja oder nein. Vielleicht gibt es Wahrheit nur unter Bedingungen, die zuvor erfüllt sein müssen, weil sonst schon die Frage nach Wahrheit zur Lüge wird.
Ich denke an Schüler , Anfang der 9. Klasse Realschule. Er stellt die Frage: Wozu soll das gut sein, sich über Wahrheit Gedanken zu machen. Und mit der letzten Silbe schaut er gelangweilt aus dem Fenster. Die Frage an ihn: warum möchtest du das wissen, beantwortet er nicht, hat er nicht mal wahrgenommen.
2.Lied Als die Römer frech geworden...
Was gehen mich die Römer an. Cäsar, Augustus, Varus und wie die Kerle alle heißen, mir hat sich keiner von denen vorgestellt, also sind sie auch nicht wichtig.
Geschichte, kannze doch vergessen, bringt doch alles nix. Heute wird gelebt, oder , wenn se so wollen: gesoffen, bis die Ärzte kommen.
Vor einigen Jahrzehnten musste ich einen Aufsatz schreiben mit dem Titel: Kann man aus der Geschichte lernen? Ich habe damals gefordert, dass wir aus der Geschichte lernen müssen, um nicht leichtgläubig und ahnungslos die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Heute stehe ich nach wie vor zu dem Imperativ, aber mir sind die Bedingungen und Grenzen bewußt geworden. Es reicht nicht, zu sagen: nun tut mal des Notwendige.
Ich muss heute fragen, wem unter den gegebenen Bedingungen möglich ist, das Angemessene, das Not Wendende zu tun. Dabei geht es nicht um die Weltrevolution, sondern viel bescheidener und glaubwürdiger: was kann ich an meinem Leben, an meinen Bedingungen ändern. Eine Vorentscheidung habe ich dabei getroffen, die ebenfalls befragt werden muss: Es ist nichts so gut in unserer Gesellschaft, dass es nicht besser werden könnte.
Wer nach der Melodie lebt: Gib Dich zufrieden und sei stille, der wird meine Voraussetzung ablehnen, wer an das Machtmonopol des Staates glaubt, wird ebenfalls dagegen sein, denn ein solcher Staat ist – zumindest nach der Staatsrechtslehre – nicht irrtumsfähig. (Deshalb ja auch der verbitterte und verbissene Streit, der seinerzeit um die Gültigkeit der NS-Gesetze geführt wurde. )
Wenn Du mich fragst, was denn geändert werden muss, der einzelne Mensch oder die Bedingungen, so sage ich: beides gleichzeitig. Wenn ich z.B. Nachhilfe-unterricht für afrikanische Kinder in meinem Wohnort anbieten würde, so würde ich als alles erste gefragt,ob ich für diese Tätigkeit die notwendige Qualifikation und Berechtigung habe. Da es diese Tätigkeit in diesem speziellen Fall am Ort nicht gibt, kann ich auch keine Berechtigung vorweisen, ich muss sie erst beantragen. Während mein Antrag auf die lange Bank geschoben wird, wird dem Eilantrag eines kommerziellen Unternehmens für Nachhilfe sofort, d.h. innerhalb von 48 Stunden mit sofortiger Wirkung, entsprochen. Mir wird nahe gelegt, meinen Antrag zurück zu ziehen, da er der Sache nach erledigt sei.. Hier muss an den Bedingungen etwas Wesentliches geändert werden. Ebenso ganz konkret und selbst erlitten bei der Durchführung von Gesetzen zur Gleichstellung Behinderter. (vgl. dazu meinen Betrag auf meiner homepage)
Was willst du denn eigentlich, das Haus der Geschichte wird sehr gut besucht und Ausstellungen zur Deutschen Geschichte sind fast immer überlaufen, und da sprichst du von mangelndem Geschichts-bewußtsein? Ja, gerade deshalb, weil der Besuch einer dieser Ausstellungen bei vielen
als lebenslänglicher Nachweis von Geschichts-interesse benutzt wird. Wenn berücksichtigt wird, dass diese Ausstellungen international von Bedeutung sind und die Besucher nicht nur aus Deutschland, sondern zu einem sehr hohen Anteil aus den EG-Ländern und aus Übersee kommen,dann sind insgesamt 5 Millionen Besucher für das Museum ein wirtschaft-licher Erfolg. Die Wirkung auf die eigene Bevökerung sollte aber weder überschätzt noch unterschätzt werden.
Prozentual waren es nur wenige, wenn die Wenigen aber Multiplikatoren sind, ist die Wirkung wesent-lich höher. Multiplikatoren sind etwa Geschichts-lehrer, Dozenten an Volkshochschulen und Kultur-journalisten.
2000 Jahre Varusschlacht: Kalkriese, Detmold und Haltern haben in einer gemeinsamen Ausstellung darauf aufmerksam gemacht. Schon gut 50 Kilometer von den Ausstellungsorten entfernt, nahm teilweise nicht einmal die Lokalpresse davon angemessen Kenntnis, obwohl gerade bei diesen Ausstellungen
an Hand der Forschungsgeschichte Dichtung und Wahrheit, Legenden und Mythenbidung sehr gut verfolgt werden kann. Das Hermannsdenkmal etwa ist kein Zeugnis für Geschichtsbewußtsein, sondern für deutschnationale Heldenverehrung. Dass es immer wieder, alle Jahre wieder, von Massen besucht wird, ist eher ein sehr trauriges Kapitel.
Lied 3 „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder...“
Jeder Mensch kann singen, wer nicht mitsingt, ist zu faul dazu. So war und ist es oft in der Schule, im Verein, im Fußballstadion zu hören, wobei manchmal kaum zwischen singen und grölen unterschieden wird. Ehrlicher ist schon der Satz: „Singe, wem Gesang gegeben“.
Das muss man doch können; das muss man doch wissen. Trotz einiger verkrampfter Versuche, es gibt im mitteleuropäischen Kulturraum keinen verbindlichen Kanon von dem, was „man“ wissen, können muss. Trotzdem gibt es immer wieder Versuche, Menschen auf eine Norm, einen Konsens zu verpflichten.
Ist denn da etwas Schlimmes dran? Muss es denn nicht ein bestimmtes Maß an Gemeinsamkeiten geben, auf die man sich verständigt hat, um ein Zusammenleben zu ermöglichen. Oder ist es doch so, dass auch der Mensch ein im Grunde soziales Wesen ist, das die Gemeinschaft braucht und sucht, aber durch staatliche Eingriffe darin gestört wird?
Auch der Mensch, der sie für sich persönlich ablehnt, weiß, dass es so etwas wie Verantwortung gibt. Eltern haften für ihre Kinder. Wer seiner Haftung nicht nachkommt, der wird verhaftet, oder zumindest mit einem Mangel behaftet. Diese Verpflichtung, sein Handeln zu verantworten, kennt nur der Mensch; nur in Fabeln kommt es doch vor, dann aber meist so, dass die Tiere sich über die mangelnde Verantwortung des Menschen beklagen. Genauer geht es darum, dass viele Menschen sich ihrer Verantwortung nicht (mehr) bewußt sind. Viele Menschen leben auch in dem Empfinden, dass sie nur das ausführen, was ihnen von „oben“ befohlen wurde. Kann man den Befehlsempfänger dafür verantwortlich machen, wenn er nur gehorsam tut, was von ihm erwartet wird? Das Bewußtsein für die Möglichkeit der Befehlsverweigerung ist nur schwach entwickelt. Arbeitgeber, Offiziere und Politiker haben aber meist kein Interesse an einem ausgebildeten Bewußtsein dafür.
So gibt es nur wenige Bereiche und Bedingungen, unter denen es möglich ist, sein Bewußtsein zu erweitern. Denn seit Friedrich dem Großen gilt nach wie vor.: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Die öffentliche Ruhe und Ordnung zu stören, ist für viele schlimmer als eine Tötung im Affekt oder Körperverletzung mit Todesfolge.
Du kannst ja machen, was du willst, aber weck die schlafenden Hunde nicht. Das ist die Verinnerlichung der Pflicht, Ruhe zu wahren. Dass Friedrich etwas ganz anderes meinte, nämlich, nicht in panikartige Betriebsamkeit zu verfallen, ist nicht mehr von Interesse.
Für ein angemessenes Zusammenleben ist es unabdingbar, dass jeder Einzelne weiß, dass er es wert ist, mit Würde, Achtung und Respekt behandelt zu werden, zumindest von Geburt an. Das straffällig Gewordenen die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt werden, ist die Folge eines Handelns, dass die Gemeinschaft nicht bereit ist zu tolerieren, zu dulden. Warum der Einzelne straf fällig geworden ist, spielt zwar bei der Urteilsfindung eine Rolle, nicht aber bei der Definition der Straffälligkeit.
Wo Menschen gezwungen sind, in unwürdigen Verhältnissen und Bedingungen zu leben, da werden diese Menschen bewußt oder unbewußt kriminalisiert, bis dann mal wieder Vorurteile scheinbar bestätigt werden:
hab ich doch gleich gesagt, aus dem wird nie was. Dabei wird hier „nur“ das Prinzip Andorra angewandt: ein Mensch, der sich nicht wehren kann, nimmt auf die Dauer das Verhalten an, das ihm angehängt wird. Das Schauspiel von Max Frisch macht das zeitlos gültig deutlich.
Auftrag der Schulen ist es unter anderem, die vorhandenen Begabungen und Fähigkeiten zu entdecken und zu fördern. Nirgendwo steht geschrieben, dass diese Begabungen und Fähigkeiten wirtschaftlich verwertbar sein sollen oder gar müssen. Soziale und emotionale Intelligenz sowie musische und künstlerische Begabungen sind vielfach aus dem allgemeinen Schulbetrieb ausgegliedert und können im freiwilligen und kostenpflichtigen Besuch von Musikschulen und ähnlichen Einrichtungen entwickelt werden. Chancengleichheit ist dadurch weitgehend ausgehöhlt.
„Ich kann alles, wenn ich nur will.“ Bei einigen psychischen Erkrankungen kann eine solche Einstelung über einen bestimmtn Zeitraum lebens-rettend sein, etwa bei einigen Borderlinepatienten. Allgemein ist solch ein Satz nur geeignet, die tatsächliche Ungleichheit und damit verbundene Ungerechtigkeit zu verschleiern oder gar zu leugnen.
„Wo mann singt, da lass dich ruhig nieder,
und knüpfe zart ihr auf das Mieder.“
Die Minnesänger wußten noch Lieder zu singen, deren Texte hohe Literatur waren wie zuletzt die Liedtexte in „Des Knaben Wunderhorn“.
Anders war es in den Soldaten- und Studentenliedern wie sie etwa in den Carmina burana gesammelt sind. Der scheuen sich nicht vor derben Sprüchen und sexuellen Eindeutigkeiten, legen aber weniger Wert auf gehobene Sprache.
Wo stehen wir heute? Während ein handverlesenes Auditorium der „Winterreise“ von Schuber andächtig lauscht, gehen in der selben Stadt tausende meist junger Menschen zu einem Rockkonzert der 2. Garde. Es scheint ein unüberbrückbarer Graben zwischen den einen und den anderen gezogen zu sein. Brücken gibt es keine, und wenn versucht wird, welche zu bauen, da werden sie oft wegen nicht ordnungsgemäßer Baugenehmigung wieder abgerissen. Versöhnung scheint weder möglich noch nötig, weil jeder in seiner Welt lebt und die Welt des jeweils anderen nur beiläufig wahrnimmt.
Ein Satz der beginnt mit : die Jugend von heute“ war noch nie richtig, weil Jugend nie eine homogene Masse war. Heute scheint er mir jedoch weniger denn je zu stimmen, denn jeder konstruiert sich sein Wirklichkeit selber, so dass er sich darin zurecht findet, auch um den Preis, das er sagt:
Komm mir nicht mit Tatsachen, ich hab mir meine Meinung schon gebildet. Und das ist vielleicht etwas Gemeinsamen: man läßt sich seine mühsam erkämpfte Ordnung und Weltsicht nicht nehmen, auch wenn sie objektiv falsch ist.
Nach meinem Eindruck orientieren sich Menschen über 50 eher an Verlässlichem, an Bewährtem. Der Fernseher muß nicht der allerneuste sein und sämtliche technischen Möglichkeiten bieten, vorrangig soll er störungsfrei und zuverlässig sein. Hat man mit 40 noch selbstverständlich „kleiner Feigling“ getrunken, so leistet man sich jetzt gerne einen „Scharlachberg“. Die Namen sind hier nicht als Werbung gedacht, sondern als Hinweis auf ein bestimmtes Image.
Gesang: Weißt Du noch, wie wir mit der Jugengruppe um das Lagerfeuer saßen und „Kein schöner Land“ gesungen haben? Die Gefahr der Verklärung ist auf einmal zum Greifen nahe. Warum? Weil sehr viele der Meinung sind, dass es in der Gegenwart nicht gibt, was sich zu erinnern lohnt.
Tag der Veröffentlichung: 29.01.2010
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