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Weihnachtsbilder
Meist hat sie ihren Platz oben auf dem Regal,
alltäglichen Belästigungen entzogen, zur Heimat geworden für Staub und Spinnweben.
Nur hin und wieder, ein zwei mal im Jahr, wird ihre Ruhe gestört, dann überfällt der
Putzteufel sie, der so aprilfrisch riecht und gar nicht nach faulen Eiern oder sonst Schwefel haltigem. Die Gesichter glänzen so Heiligen mäßig als hätte sie das Osterglockengeläut geschwängert. Nurnoch einmal, knapp neun Monate später, finden sich ähnliche Gesichter auf Markt und Straßen.
Aber ich denke, es wird Zeit, dass ich Sie vorstelle, Sie, der oben auf dem Bücherregal die Heimsuchung des Putzteufels widerfuhr. Sie ist nicht besonderes, nicht aufregendes. Es ist eine qudratische Blechschachtel, die immer noch etwas silbrig aussieht, obwohl sie wohl mindestens ein halbes Jahrhundert alt ist. Nichts als eine alte Schachtel, wenn auf dem Deckel nicht allzu deutlich
die Profile von Zimtsternen und Dominosteinen zu erkennen wären. Allein diese Zeichen weckten die Erinnerung an Adventskranz, Nikolaus und Knecht Rupprecht, an Äpfel, Nuss und Mandelkern.
Schon lange, sehr lange sind keine Plätzchen mehr in der Dose gewesen, und doch beim Blick in Kerzenflammen und ein Adeste Fideles“ im Ohr scheint sie noch immer nach Zimt und Kardamon,
nach Vanille und Anis zu riechen.Seit dem letzten Umzug sind Bilder in ihr. Ganz unterschiedliche Fotos, Ansichtskarten, seasons Greatings, Zeitungsfotos. Manche irgendwie vorsortiert, die meisten aber wild durcheinander. Ein Pressefoto von Konrad Adenauer neben Erinnerungen an Trümmergrundstücke auf meinem Schulweg, eine idyllische Bergkirche im tief verschneiten Wald neben dem ausgebrannten Haus und den frierenden Kindern davor, weil der Weihnachtsbaum mit brennenden Kerzen von der Katze – ein Weihnachtsgeschenk – umgeworfen wurde.
Nicht nur die Bilder von Reinhard May, die vom vornehmen Kiesweg, vom zweckentfremdeten Schnaps und der grenzenlosen Freiheit über den Wolken. - Mal so ganz nebenbei: über die Wolken, ins Wolkenkuckucksheim, da gehört die Freiheit im tiefsten Grunde auch hin. Wo kämen wir denn hin, wenn über Freiheit nicht nur in Kirchen und Parlamenten schöne Reden geschwungen würden,
deren rhethorischer Wert von niemandem bestritten wird. Ja, was wäre denn, wenn zwischen Kirche, Parlament und Börse Freiheit und Menschenrechte vorgelebt würden? Beginnen würde die Zeit des herrschaftsfreien Dialogs, in dem es um Lösungen und nicht um Spesen geht.
Bilder fallen mir ein, dass die Zeit der Nacht, des Tappens in der Finsternis endlich ein Ende hat..
Die Sehnsucht nach Lösung, nach Erlösung, weiß etwas davon, dass diese endlose scheinende Finsternis von keiner Jahreszeit abhängig ist. Sie lebt in und von der Hoffnung, dass dann, wenn die Nacht ein Ende hat, die Dornen Rosen tragen. Dann werden aus Wüsten fruchtbare Gärten entstehen.
Mir fallen Gogol und Tolstoij ein; auch ich will nicht, dass Mädchen und Jungen am Weihnachtsabend verhungern und erfrieren, ich will nicht, dass das Mädchen mit den Schwefelhölzern kein Dach über dem Kopf findet. Und doch kann und will ich nicht vergessen,
dass zu Weihnachten die Waffen genauso laut und mörderisch sind wie an anderen Tagen,
dass zu Weihnachten fast noch mehr Menschen verhungern und erfrieren als an gewöhnlichen Tagen.
Es tut weh, dass all dies auch zu Weihnachten geschieht, noch schmerzhafter aber ist es für mich, wie sehr wir und an die Alltäglichkeit des grausamen Leidens und Sterbens gewöhnt haben.
Elvis Presley ist tot, Michael Jackson ist tot und mir ist auch schon ganz schlecht. Unter diesem Blickwinkel wundert es nicht, wenn Tausend Tote nach einem „Vater Unser“ vergessen sind;
es waren ja nur ganz normale Menschen und keine Heroen.
In China und Nordkorea, in Indien und im Sudan, auf den Fidschi-Inseln und auf den Osterinseln wird Weihnachten gefeiert, oder politisch korrekt X-mas.
Die political correktness zeigt unmissverständlich, dass es sich dabei um eine Event handelt, ähnlich wie früher im Circus Maximus „Brot und Spiele“. Das Brot, das 13. Monatsgehalt wird inzwischen den Löwen vorgeworfen, ganz im Einverständnis mit den Tierschutzverbundenen, denn man kann die armen Tiere doch nicht verhungern lassen, nur weil die Todesstrafe für Menschen vielfach unerwünscht ist. Geblieben sind ein paar arbeitsfreie Tage. Es wird aber von den global Managern erwartet, dass für diese freien Tage mehr Geld ausgegeben wird als für die sechs Wochen vorher. Wer das nicht tut, gibt der Obrigkeit nicht, was er ihr zu geben schuldig ist..
Meist genau an dieser Stelle fällt die Blechdose laut scheppernd von den Knien.
Vom Rollstuhl aus sammele ich den Inhalt mit Hilfe einer Zange ein. Während ich damit beschäftigt bin, darf mir keiner zu nahe kommen.

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen beim Autor
Tag der Veröffentlichung: 18.12.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gewidmet all den Kindern, die auch in diesem Jahr wieder zu denen gehören, die zu kurz kommen.

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