Cover

Mir hat mal jemand gesagt es lohnt sich nicht zu lieben.
Nicht wenn man nicht geliebt wird.
Aber ob das auch stimmt ?


„Wenn ich mich so in deinem Zimmer umsehe da glaub ich dir nicht dass du nicht weißt was du mit deiner Zeit anfangen sollst.“ Da hatte sie Recht. Selena, meine neue Klassenkameradin. „Weißt du, eigentlich weiß ich es schon. Ich kann fernsehen, lesen, mit meinen alten Freunden telefonieren“ Wie sich das anhört 'mit meinen alten Freunden' als ob sie gestorben sind. Nein. Sie sind nicht gestorben. Ich auch nicht. Nein, ich bin weggefahren. Für immer. In eine andere Stadt.
„Das meine ich doch auch nicht. Du bist vielleicht lustig !“ Ich und lustig ? Na danke. Dann bin ich wenigstens etwas. Nun ja. Das bin ich schon, doch wer redet schon gerne mit einem Mädchen dass selbst nicht weiß was mit sich anzufangen ist ? Niemand. Nein, ich korrigiere fast niemand. „Hey, dass hab' ich doch nicht böse gemeint.“ Ich muss wohl ziemlich frustriert ausgesehen haben, sonst würde sie nicht so verlegen dreinschauen. „Okay. Schon in Ordnung. Lass uns Musik hören. Was hörst du gerne ?“ „Ich ? Also ich höre gerne Rock. Punk finde ich auch echt klasse. Hörst du auch so was?“ Na toll. Kein Wunder dass sie einen an der Waffel hat. „Ehm, also... nein... ich...“ Was soll ich ihr sagen ? Dass sie nach Hause gehen soll weil weil mir das alles zu viel wurde ? Das sie nicht mit mir befreundet sein soll ? Es war ja natürlich auch eine dumme Idee von mir gleich am ersten Schultag nach den großen Ferien jemanden mit nach Hause zubringen den ich kaum kenne. „Ach, ist schon gut. Wir können auch gerne in den Garten gehen wenn du magst “, sagt Selena schnell. Garten ? Hab ich total vergessen. Mum wollte in ein Haus ziehen mit großem Garten. „Klar, können wir machen. Magst du auch einen Milchshake haben ? Ich kann uns welche machen.“ „Milchshake ? So was kannst du ? Na klar, darf ich dir helfen ?“ Ich würde ja jetzt gerne sagen 'Entschuldige, du kannst mir nicht helfen, es sei denn, du schaffst es irgendwie durch ein Wunder meine Beste Freundin hierher zu bringen damit ich alles klären kann. ' Doch das wäre unangemessen, so wie alle meine Gedanken. Ich muss aufhören zu denken. Zumindest so negativ.
Und siehe da, ein kleines Lächeln huschte über meine Lippen.

„Für immer und ewig. So wie wir es uns damals geschworen hatten...“ „Kelsey, was redest du da ?“ „Ehm, also.. ach vergiss es. Ich habe einfach nur laut gedacht.“ Das Lachen war zwar ziemlich gespielt, doch es fällt Selena nicht auf. So was darf mir nicht nochmal passieren. Ich muss aufpassen. „Oh.. achso.“ Mist. Ich muss jetzt was passendes sagen. Nein, ablenken. Das ist es.
„Ja, also..“ Warum bin ich so..aufgeregt? Sie ist nur ein Mensch, ein ahnungsloser Mensch.Das versuch ich mir einzureden. Es ist besser wenn es keiner weiß. Niemand. Noch nicht mal ich weiß es. Doch ich habe eine Ahnung und ich werde es noch herausfinden.
„Komm, lass uns in die Küche gehen, wir wollen doch keine Wurzeln in meinem Zimmer schlagen !?“ „Du hast Recht.“ Ein Lächeln. Sie lächelt. Sie hat so ein schönes Lächeln. Aber was rede ich da ? Meine Beste Freundin hat das schönste Lächeln überhaupt! Was ist mit mir los ? Ich will nicht so sein. Warum habe ich mich so verändert? Gedankenverloren schaut sich Selena in meinem Zimmer um. Sie hat meinen alten CD Player angemacht. Gitarrenklänge tönen durch das Zimmer. Die Sonne scheint. „Das ist.. wirklich schöne.. Musik.“ Wieso bringt sie das so aus er Fassung ? Ein Punkt mehr den ich raus finden muss. „Danke. Ich höre am liebsten das vierte Lied auf der CD.“ Wieso sag ich ihr das ? Das weiß nur meine Beste Freundin. Ehemalige Beste Freundin. Sie ist Geschichte. Vergangenheit. Okay, andres Thema. Mir kommen gleich die Tränen - Wie ich Sarkasmus und Ironie liebe. Mein Lieblingslied erklingt. Ich fühle mich auf einmal so leer und verlassen.

„Komm lass uns hinunter gehen..“ Langsam wird mir dass hier unangenehm. „Oh, ja klar. 'Entschuldige.“ Auf dem Weg nach unten, auf den extra für uns neu angefertigten Treppen, schweigen wir. Die Haustür steht offen. Wieso steht die Haustür offen? „Selena, hast du die Tür aufgelassen ?“ Kaum zu glauben. Hat die denn keinen Anstand? „Oh, dass selbe wollte ich gerade dich fragen. Komisch. Ich mach sie mal eben zu.“ Die schwere Tür fällt ins Schloss und wir setzen unseren Weg in die Küche fort. „Also Kelsey, du ich muss in einer Stunde wieder gehen. Meine Mum hat gekocht. Ich darf nicht zu spät kommen. Ich bekomme sonst wieder totalen Ärger. Das will ich nicht..“ Sie sieht traurig aus. „Ach Selena, kein Problem. Komm wir machen uns schnell einen Milchshake und setzen uns vor die Röhre oder was immer du magst.“ „Ja, gute Idee. Ich find's im übrigen echt cool dass du so nett zu mir bist.“ Warum sollte ich nicht nett zu ihr sein ? Sie ist kein schlechter Mensch. Sie ist doch auch nett zu mir. Sonst würde sie wohl kaum am ersten Schultag mit zu mir kommen. Ich mag sie... irgendwie.

„Du sagtest, du hörst gerne Punk und Rock, wie kommt es dann dass dir auch meine Musik gefällt ? Magst du alles ?“ Selena sah verlegen zu Boden: „Nein, also ich... ich höre nur Punk und Rock weil mein großer Bruder Charly, gerne Punk gehört hat als er noch da war.“ Sie sieht traurig aus. Ich sollte nicht weiter fragen, ich wusste es.
„Wenn du magst kann ich dir gerne eine CD brennen mit den Liedern die auch dir gefallen. Ich habe oben noch eine ganze Sammlung an solcher Musik. Ich finde es echt schön dass sie dir gefällt.“ „Wirklich ? Das würdest du tun?“ „Ja klar, immerhin sind wir jetzt Freundinnen.“ 'Freundinnen' wie sich das anhört, so vertraut. Es ist ein schönes Gefühl wieder jemanden Freundin zu nennen.
Doch es ist zu früh m ihr meine Geschichte zu erzählen. Sie wird es nicht verstehen. Ich muss aufhören so schlecht zu denken. Ich muss überhaupt aufhören so schlecht zu reden, über die Welt, Menschen, generell das Leben. Ich habe mich so verändert. Reichte es denn nicht, dass mir mein Vater genommen wurde ? Jetzt auch noch meine Lebensfreude ? Und am schlimmsten, meine beste Freundin?
Während unserem Gespräch bemerkte ich nicht dass wir schon in der Küche standen. „Also, was brauchen wir ?“ . Selena erinnert mich an jemanden den ich vergessen muss, wer war das noch gleich ? Ach ja, Victoria, meine Vici.
„Milch und je nach dem was du für einen Shake haben möchtest“, antwortete ich. Wenn sie Erdbeere nimmt, ist es klar. Ich weiß nicht genau was, aber es ist dann klar. „ Ich nehme Banane.“ Banane ? Wieso ausgerechnet Banane ? „Und du?“ Oh, sie wartet auf eine Antwort: „ Ich nehme Erdbeere.“ „Erdbeere ? Gute Wahl“ Sie lacht. „Hätte ich auch fast genommen. Doch aus irgendeinem Grund wollte ich dann doch Banane. Kennst du das ? Wenn du weißt du solltest lieber etwas anderes wählen?“ Du weißt gar nicht wie gut ich das kenne. „Ach.. ich glaube ich weiß wovon du sprichst.“ „Gut. Dann mal los. Sonst stehen wir morgen noch hier.“ So fängt Selena eifrig an das Obst in den Mixer zu stecken und Milch und Vanillezucker beizugeben.

Nachdem wir mit unseren Shakes auf dem Sofa lagen und vor lachen krümmten, veränderte sich die Stimmung. „Kelsey ? Ich muss nach Hause. Wir sehen uns Morgen in der Schule. Bis dann, es war echt schön bei dir. Und danke, für den Milchshake.“ Sie winkte mit ihrem leeren Glas zu. „ Warte, ich bringe dich noch bis zur Tür.“ Sie ging schon nach draußen als sie sich nach mir umdrehte: „ Auf Wiedersehen Kelsey. Bis morgen.“ „Tschüss, komm gut nach Hause und verlauf dich nicht.“ „Du hast Recht, ich weiß ja auch gar nicht wo ich wohne!“ Da geht sie lachend die Straße entlang ohne zu wissen wer ich wirklich bin, wie traurig.


Keine Ahnung was du machen sollst.
Weißt nicht weiter.
Eine Nacht drüber schlafen hilft auch nicht.
Fühlst dich so betrübt.
Kennst keinen Ausweg.
Dein Herz spielt verrückt.
Hast es nicht unter Kontrolle.
Es spielt verrückt.
So ein Durcheinander.
So ein Chaos.
Du fragst dich was du falsch gemacht hast,
doch kennst keine Antwort.
Du fragst dich was du machen sollst
und weißt nicht weiter.


Ich laufe durch einen Wald. Es ist dunkel. Ich sehe kaum was. Da höre ich sie plötzlich: „Kelsey. Kelsey, komm her. Hier bin ich.“ Ich versuche zu ihr zu kommen. Doch ich weiß nicht wo sie ist. „Victoria, wo bist du ? Ich kann dich nicht sehen ? Komm du her.“ Doch ich bekomme keine Antwort. Das Bild ändert sich. Plötzlich stehe ich alleine auf einer Wiese. Um mich herum ist keiner. Weit und breit nur eine grüne Landschaft. Da höre ich sie wieder: „ Kelsey, wieso hast du mich verlassen ? Warum bist du weggegangen ? Erinnerst du dich nicht mehr an unser Versprechen ?“ Ich kann nicht antworten. Ich falle auf die Knie und fange an zu schluchzen. „Es tut mir so Leid Victoria. Es tut mir so Leid.“ Ein kalter Windstoß weht auf. „Erinnerst du dich nicht mehr an unser Versprechen ? Für immer und Ewig. Für immer und Ewig.“ Die Worte werden zu einem unüberhörbaren Echo. Ich fühle mich so schuldig. „ Dann komm doch wieder zurück ! Komm zurück und wir reden über alles! Gib nicht mir allein die Schuld. Wir sind es beide.“ Doch was für eine Schuld ? Wofür ?


Die Sonne schien ins Zimmer. Wärme und der Klang der Vögel erfüllte den Raum. Kelsey öffnete langsam ihre Augen und sah sich um. „Daran muss ich mich noch gewöhnen. An mein neues Zimmer. Meine neue Freundin. Mein neues Leben.“ Verschlafen tappte Kelsey durch den Flur zu den Treppen. Sie hörte jemanden in der Küche fluchen. „Verdammt nochmal. Warum muss mir das immer passieren ? “ Mum hat wohl keine Gute Nacht gehabt.Ich sollte mir besser etwas aufmunterndes einfallen lassen. In der Küche angekommen. Setzte sich Kelsey ihrer Mutter gegenüber auf einen Küchenstuhl an den Tresen. „Guten Morgen mein Spatz“ Elisabeth gab ihrer Tochter einen Guten-Morgen-Kuss auf die Wange. „Morgen Mum. Alles in Ordnung bei dir ?“ „Ach, es geht. Mir ist meine Liebslingstasse aus der Hand geglitten. Jetzt liegen die Scherben verteilt auf dem Boden.“ Müssen wir jetzt von allem in unserer Vergangenheit abschließen ? Dürfen wir noch nicht mal die Erinnerungen behalten ? „Das ist doch nicht so schlimm Mum. Ich kauf dir eine neue.“ „Oh danke mein Spatz. Doch dass wird die Erinnerung auch nicht zurück bringen.“ Mum hatte Recht. Die Erinnerungen verblassen. Plötzlich fiel mir wieder der Traum ein. „ Mum, ich hab von Victoria geträumt. Weißt du wie es ihr geht?“ Mum sah mich nachdenklich an. „Kelsey, ich kann es dir nicht sagen. Ich darf es nicht. Es ist schon schlimm genug dass sie... Ich weiß auch gar nicht wie ich es dir sagen soll. Vergiss sie einfach.“ Das kann ich nicht. Ich soll meine beste Freundin vergessen ? „Mum! Ich kann doch nicht einfach meine beste Freundin vergessen ! Wie soll das gehen ? “ Mein vorwurfsvoller Ton gefiel mir selbst nicht. „Ich kann sie nicht einfach so vergessen. Das geht nicht. Ich weiß noch nicht mal wieso ich sie vergessen soll. Sag es mir. Was ist passiert ? Damals, nach der Schule ? Ich will es endlich wissen! Ich bin keine 12 Jahre mehr. Ich bin 15 !“ So habe ich noch nie mit meiner Mutter gesprochen. Was ist bloß los mit mir ? „Kelsey, es tut mir Leid. Aber versuch es zu verstehen. Irgendwann wirst du es auch erfahren. Irgendwann...“ Diese Worte waren nicht an mich gerichtet. Mum blickte verzweifelt zum Küchenfenster nach draußen in den Garten. „Gut, wie du meinst. Dann rede eben nicht mit mir.“ Beleidigt und aufgeregt verzog ich mich auf mein Zimmer. Ich verstehe dass alles nicht. Mum kam die Treppe hinauf und klopfte an meine Tür. „Schatz, du musst dich für die Schule fertig machen.“ Ich kramte schnell nach meinem Handy um auf die Uhr zu sehen. „Mist, ich komme zu spät.“ „Ich kann dich fahren. Wenn du dich ein wenig beeilst, schaff ich es auch noch rechtzeitig ins Rathaus.“ Dann mal sehen was ich so alles brauche. Meine Tasche musste ich nicht packen. Wir hatten noch keine Bücher. Also ging ich schnell ins Bad und legte mein tägliches Make-up auf. Da fiel mir ein, dass ich am Tag zuvor nicht mein Grusel-Make-up, wie ich es mir auf der Fahrt nach Sunville schwor, auftrug . Ich dachte auch heute dies zu lassen. Weniger ist mehr. Also nur ein wenig Puder um meine unreine Haut abzudecken und den roten Labello. Gedankenverloren sah ich in den Spiegel und was ich sah hatte sich nicht wirklich verändert. Diese 1 Woche veränderte einen auch nicht äußerlich. Nein, nur innerlich. Obwohl meine braunen Augen heute einen noch dunkleren Ton als sonst hatten. Mein braunes Haar fiel mir glatt über die Schultern. Diese wenigen Locken in meinem Haar gaben meinem Gesicht etwas friedliches und schönes. Ich bin nicht eingebildet. Nein, aber ich versuche das positive in mir zu entdecken. Damals war alles noch so einfach. Ich will gar nicht daran denken. Die Erinnerungen machten mich traurig. „Kelly, beeil dich doch ! Du kommst sonst echt zu spät !“ Kelly ? Mum nennt mich Kelly ? So hat mich niemand mehr seid der Beerdignung meines Vaters genannt. Ich bin nur die nette Kelsey. Die Kelsey, die ihren Vater und nun auch ihre beste Freundin verlor. Doch aus welchen Grund wusste sie selbst nicht, diese Kelly. Wie traurig.
Ich musste auf andere Gedanken kommen. Ich sollte das vergessen, warum also nicht wirklich vergessen ? Wenn ich es nicht wissen durfte, dann hatte es schon seinen Grund. „Kelsey, jetzt komm. Deine Schultasche liegt schon im Auto !“
Ich rief: „Danke Mum“, sah noch einmal in den Spiegel und lächelte mir zu. Diese Aufmunterung brauchte ich jetzt. Mum startete den Wagen bevor ich die Haustür abschloss.
Ich ließ mich auf den Beifahrersitz fallen und blickte stumm in den Rückspiegel. Ich sah wie wir unserem neuen Zuhause immer weiter weg kamen und mich überkam ein Gefühl von Heimweh und Freude zugleich. Dieses Gefühl hatte ich damals auch.. Und ich dachte daran was mir Victoria als letzes schrieb. 'Im Rückspiegel siehst du all' die Jahre hinter dir.' Wie Recht sie doch immer hatte. Ich vermisse sie so.


„Mach's gut meine Süße.“ Mum gab mir einen Kuss auf die Wange und ich stieg aus. Das Wetter hatte sich verändert. Die Sonne war nun irgendwo hinter den schwarz aufziehenden Wolken. Es fing bald an zu regnen. Passte ja perfekt zu meiner Stimmung. Grau und trüb. „Tschüss Mum. Danke für's fahren. Viel Gück für später.“ Auf dem Weg zum Schulgebäude überlegte ich mir , ob auch heute alle so nett sein würden wie am ersten Schultag.. Ich hoffte es und schickte ein Stoßgebet in den Himmel. Ich war noch gut in der Zeit, denn die Älteren der Schule standen noch bei ihren ach-so-tollen Rollern. Ich persönlich hielt nichts von diesen langweiligen und langsamen Fahrzeugen. Ich sah schon ein paar meiner neuen Klassenkameraden und ein kleines Lächeln huschte mir über meine Lippen. Mal sehen was der Tag so brachte. Wenigstens in der Schule hatte ich meinen Frieden. „Hey, was lachst du so vor dich hin?“ Erschrocken drehte ich mich um. Wie konnte er das nur gesehen haben ? Er stand doch hinter mir. „Ich hab eben an was schönes gedacht. Wieso fragst du?“ Wieso erzählte ich ihm das eigentlich? Ich kannte diesen Jungen nicht. „ An etwas schönes gedacht. Darf ich wissen an was ?“ Ich ries mich echt zusammen um nicht zu lachen. Dann antwortete ich ihm: „Ja, stell dir vor, ich kann denken.“ Die Frage jedoch ignorierte ich. „Das hätte ich auch nicht bezweifelt“, antwortete der dunkelhaarige Junge. Er schien bemerkt zu haben dass ich ihn von der Seite musterte während wir durch den Schulflur gingen, denn er blickte verlegen zur Seite. „Ich heiße im übrigen Chris. Darf ich wissen wer du bist ?“ Seine weißen Zähne blitzten auf und ich merkte wie mein Herz schneller schlug. „Ich denke, ich bin ein Mädchen. Doch da bin ich mir auch nicht so sicher.“ Ich grinste ihn an. Chris sah mich fragend an. Ich war ja auch ein wenig merkwürdig, ich würde an seiner Stelle auch so gucken. Mit seiner tiefen Stimme stellte er mir gleich die nächste Frage. Er schien sich für mich zu interessieren. Kein Wunder, ich war ja auch neu hier. Also noch interessant. Erneut fragt er nach meinem Namen : „Wie heißt du ? Oder soll ich raten?“ Ein Schüler stieß versehentlich mit ihm zusammen und er berührte meinen Arm. „Da sage ich nicht nein. Du sollst ruhig raten. Du hast 3 Versuche.“ Belustigt sah mich Chris an. „Also gut, entweder heißt du Mary-Lynn-Elisabeth, Sophie-Isabella oder Jenniffer.“ „Tut mir Leid. Aber echt keine schlechte Wahl.“ Mein Lächeln steckte ihn an. „Du bist gemein. Sagst du mir deinen Namen?“ Mit seinen grau-blauen Augen sah er mich voller Hoffnungen an, da konnte ich nicht widersprechen. „Ich heiße Kelsey. Kelsey Miller..“ Der Schulgong läutete und Chris verabschiedete sich. „Ich muss jetzt leider in den Unterricht. Sehen wir uns nach der Schule ?“ Voller Eifer antwortete ich: „Klar. Um 3 an der großen Linde.“ Es gab zwar noch viele andere Bäuem auf dem Schulgelände aber ich fand diesen am schönsten. Er fiel mir schon gleich am ersten Schultag auf. „Gerne, dann bis später. Ich freu mich schon.“ Zum Abschied winkte er mir zu und ich setzte meinen Weg in die Klasse fort. Nach der Schule würde ich ihn wiedersehen. Mein Herz schlug schneller. Es fühlte sich gut an mal wieder etwas derartiges zu spüren.


In Geschichte sah ich mich gelangweilt in der Klasse um. Einige schriebensich Briefe, andere flüsterten und dann gab es die ruhigen die ihren Gedanken nachhingen - wie ich. Noch 2 Schulstunden, dann würde ich Chris wiedersehen.. Er war so nett. Mir fiel auf dass Selena gar nicht da war. Wo war sie bloß ? Ich hatte Geschichte und Mathe gemeinsam mit ihr. Sie war bestimmt krank. Morgen oder übermorgen würde sie schon wieder da sein.
Ich musste ständig auf die Uhr sehen. Jetzt waren es noch 20 Minuten. 20 qualvolle Minuten die ich hier sitzen musste bis ich Chris sehen und vielleicht besser kennenlernen konnte. . Ich freute mich.
Frau Becker schien heute gute Laune zu haben. Sie ließ uns 10 Minuten früher raus damit wir nicht im Regen nach Hause laufen mussten. Natürlich freuten wir uns alle. Doch jeder wusste dass sie das nur tat um schneller in der Cafeteria essen zu können. Es stimmte wirklich. Ich hatte schon so einiges von den Lehrern hier gehört. Die waren hier so anders, nicht so wie die Lehrer auf meiner alten Schule. Ich packte meine Tasche und ging langsam aus dem Klassenraum. Ich musste mich nicht beeilen, ich hatte ja Zeit. Doch als ich draußen stand ging ich trotzdem zur Linde. Da sah ich Chris schon. Er lehnte an dem alten Baum und kehrte mir den Rücken zu. Die perfekte Situation um ihn zu erschrecken. Langsam schliech ich mich an ihn heran. Seine Kumpels stehen vor ihm. Ich gab ihnen ein Zeichen mich nicht zu verpetzen. Da drehte er sich um und da ich nicht damit rechnete, erschreckte ich mich. „Man, hast du mich erschrocken“, war das einzige was ich sagen konnte , bevor ich einen heftigen Schluckauf bekam. Seine Freunde lachten und verabschiedeten sich von uns, hauptsächlich von Chris. „Man sieht sich Alter.“ „Bis morgen.“ „Mach's gut Chris.“ „Viel Spaß noch.“
Nun stand ich da vor ihm und wusste nicht was ich sagen sollte. Doch dann ergriff das Wort in der Stille: „Tut mir Leid dass ich dich so erschrocken habe. Ich wusste ja nicht dass du so einen Schock bekommst. Geht es wieder ?“ Ich nickte ihm nur zu. Mein Schluckauf war schrecklich mit anzuhören- so dachte ich jedenfalls. „Komm, als Entschädigung bringe ich dich nach Hause.“ Endlich kam ich nach meinem Anfall wieder zu Wort. Wie peinlich dass eben doch war. „ Oh, Danke. Das ist aber lieb von dir. Ich wohne nicht weit von hier. An der Kreuzung links und dann zweite Straße rechts. Das große Haus mit der Nummer 4.“ Er grinste mir zu. „Ich weiß wo du wohnst. Du bist neu hergezogen, stimmt's ? Ich wohne dir gegenüber.“ Ich hatte wohl einen eigenartigen Gesichtsausdruck , denn er fing an zu lachen, so laut, dass sich sogar schon ein paar Schüler nach uns umdrehten. „Achso ist das. Deswegen hast du mich also angesprochen heute Morgen.“ „Ja, stimmt. Ich habe dich gestern schon gesehen. Aber leider nur kurz an der Haustür.“ „Du bist ein ziemlicher Stalker, was ?“ Meine Antwort warf ihn aus der Bahn, denn er kratzte sich verlegen am Kopf und sah zu Boden. „Stimmt gar nicht. Komm setz' dich hinten auf meine Maschine. Du kannst meinen Helm tragen.“ Mir fiel gar nicht auf, dass seine coole 'Maschine' auf der anderen Seite des Baumes stand. Ich setzte mich zum ihm. „Halt dich gut fest, das Ding hier fährt nicht so wenig wie die normalen. Ich hab da ein bisschen dran rumgebastelt.“
War ich froh. Doch keine Alte-Leute-Fahrt.
Der Fahrtwind roch so frei und unbeschwert. Wie gerne ich in diesem Moment geflogen wäre. Chris überfuhr eine rote Ampel und bekam dafür einen kleinen Stupser von mir. „So was macht man nicht“, rief ich ihm von hinten zu und klammerte mich noch fester an ihn. Er blickte nur grinsend in den Rückspiegel. Der hatte vielleicht Nerven und Charme.
Vor meinem neuen Zuhause stieg ich ab. Ich richtete meinen Pulli der ein Stück hochgerutscht war und zog den Helm ab. Doch er wollte ihn nicht wieder haben. „Behalt den ruhig. Ich hab noch einen. Wenn du willst, nehme ich dich morgen mit in die Schule. Dann musst du nicht alleine laufen.“ Ich kramte nach meinem Haustürschlüssel „Danke. Du bist echt lieb zu mir. Wir sehen uns morgen. Und nochmals danke für mitnehmen.“ Ich wunk ihm zum Abschied einmal zu und er fuhr mit seinem Motorrad zum gegenüberliegendem Haus in die Garage und weg war er.


Weißt du wie es sich anfühlt verlassen zu werden ?
Einsam zu sein ?
Es ist ein Gefühl der Leere.
Du fühlst nichts.
Es ist schlimmer als Schmerz.
Ich weiß dass die Vergangenheit nicht hier ist.
Es ist ein abgeschlossenes Buch.
Voller Trauer.
Und doch kannst du nicht loslassen.


Ich schaltete das Radio in der Küche aus und ging ins Wohnzimmer. Ich sah im gegenüberliegendem Haus noch Licht brennen. Wahrscheinlich war Chris auch noch wach. Ich wüsste nur zu gerne was er gerade macht. Aber ich konnte ihn doch nicht einfach anrufen. Nein, dass gehört sich nicht für ein Mädchen. Jungen müssen den ersten Schritt machen.
Da es schon spät war und ich am nächsten Tag Schule hatte ging ich ins Bett. Diese Nacht würde ich hoffentlich besser schlafen als letzte Nacht. Letzte Nacht war schrecklich. Nachdem ich nicht mehr schlafen konnte – der Alptraum hielt mich die ganze Nacht wach – setze ich mich auf und fing an zu weinen. Gestern fand ich alles noch Ungerecht und überhaupt nicht in Ordnung. Doch heute sah ich alles so anders. Ich hatte mich damit abgefunden dass ich es erst irgendwann erfahren würde. Also versuchte ich so gut wie möglich ein neues Leben zu beginnen. Einfach neu anfangen. Wünschten sich dass nicht viele ? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Die Vergangenheit vergessen, neu anfangen und alles besser machen ? Wer weiß. Ist mir aber auch herzlich egal. Ich muss erstmal mein eigenes Leben wieder auf die Reihe kriegen bevor ich philosophisch werde. Nächste Woche würde ich einen Einstufungstest schreiben. Ich war zuversichtlich und dachte mir dass ich diesen Test schon schaffen werde. Ich brauch gute Noten. Meine Mum bringt mich um wenn ich nicht gut in der Schule bin. Und 'gut' heißt bei ihr überall bester Kurs und dann auch noch gute Noten, eine 3 ist schon grenzwertig. Aber ich weiß, dass es meine Mum nur gut mit mit meint, deswegen versuch ich auch mein bestes. Auch wenn es manchmal nicht reicht und wir uns oft streiten.

Damit ich morgen früh nicht verschlafen oder müde aussehen würde ging ich schon um 10 ins Bett. Für mich war das früh, da ich sonst immer erst um 11 oder meistens halb 12 im Bett lag. Damals hatte ich so spät auch noch was vor. Ich telefonierte jeden Abend mit Victoria. Doch jetzt, wo sie nicht mehr da ist - und ich auch nicht mehr - wusste ich nicht was ich noch so spät tun soll. Es ist besser sich genau auf das neue Leben zu konzentrieren. Auch wenn man fast jeden Tag damit konfrontiert wird. Doch ich werde es schaffen. Ich bin stark, stärker als ihr alle gedacht habt. Ich bin nicht mehr die nette Kelsey die ihre beste Freundin wie eine Schwester liebte, nein, ich bin Kelsey, die Kelsey die ihr Leben neu anfangen darf, auch wenn sie es gar nicht will.

Ich legte mir schon heute Abend meine Schulsachen zurecht. Was soll ich morgen bloß anziehen ? Die Lederjacke auf jeden Fall – das kommt cool rüber und lässt mich älter wirken. Und bei Chris brauche ich das. Immerhin nimmt er mich jetzt jeden morgen mit in die Schule – da kann er nicht vor seinen Freunden ein kleines braves Mädchen vorstellen. Außerdem bin ich auch nicht so. Ich denke ich sollte shoppen gehen – ich brauche mehr Sachen die meinen Charakter zum Vorschein bringen. Und jemanden mit dem ich über alles reden kann. Vielleicht werden Selena und ich mal wirklich gute Freunde ? Mal sehen was die Zeit so bringt.

Um 10:30 Uhr, lag ich endlich im Bett. Das Licht in Chris' Zimmer - zumindest dachte ich dass es Chris Zimmer ist, denn ich konnte die Umrisse einer E-Gitarre erkennen - war auch schon das Licht erloschen.
Diese Nacht träumte ich von Chris und Selena, wie sie beide auf mich warteten um mir mitzuteilen in welche Kurse ich eingestuft wurde – wie merkwürdig.

Am nächsten Morgen klingelte mein Wecker um 6:30 Uhr. Ich hatte also genug Zeit um duschen zu gehen und zu frühstücken. Neuerdings frühstückte ich morgens - was ich sonst nie tat. Aber es half mir besser in den Tag zu starten. Also ging ich schnell ins Badezimmer gegenüber meines Zimmers. Ich hatte so gut Laune, dass ich anfing zu singen. Meine Mum schlief noch, da aber ihr Schlafzimmer am anderen Ende des Flures lag, würde sie mich nicht hören. Ich war heute schneller fertig als sonst im Bad. In meinem Hello Kitty Bademantel und einem Handtuch über dem Kopf stapfte ich in die Küche.
Nach dem Frühstück zog ich mir einen grauen Pullover und meine Lieblingsjeans an. Dazu noch meine coolen Stiefel und fertig war ich für die Schule. Ich wusste gar nicht wann Chris mich abholen würde – das hatten wir vergessen auszumachen. Also dachte ich, es würde reichen um halb 8 mein neues Heim zu verlassen. Ich nahm den Helm und atmete tief durch. Das ist also mein Neuanfang.

Als ich hinaustrat sah ich ihn mit seiner Maschine zu mir rollen - Sein Haus lag höher als unseres.
Ich schloss die Haustür hinter mir und ging ihm entgegen. Mit einem frechen „Guten Morgen meine Liebe“ begrüßte er mich. Ich sah ihn nur grinsend an – der hatte vielleicht Nerven und unglaublich süß war er auch noch! AAAHH! Wie sollte ich es da schaffen cool zu bleiben ?

Auf dem Weg zur Schule überlegte ich mir schon Fragen, wie ich ihn dazu brachte mit mir etwas zu unternehmen – ich wollte ihn unbedingt kennenlernen !
Keine 5 Minuten später standen wir beide unter der Linde. Ich nahm all meinen Mut zusammen und fragte ihn : „Du, Chris. Gibt es hier auch so was wie 'ne Disco, Kino, Eisdiele, was auch immer ? Bis jetzt kenne ich nur die Schule und mein Zuhause.“ Chris lachte. „Klar haben wir in Sunville Discos oder Kinos oder was auch immer. Es gibt sogar eine richtig coole Shopping-Passage – komm aber nicht auf die Idee dass ich dahin mit komme.“ Er grinste mich unentwegt an. Was sollte ich ihm bloß antworten ? Dann wusste ich schon was : „Ach wie schade. Ich hätte echt gerne was mit dir unternommen. Aber wenn du nicht magst.“ Ich tat als würde ich gehen wollen. Chris hielt mich nicht auf. Ich drehte mich um – aber er stand nicht mehr am Baum. Enttäuscht wollte ich meinen Weg in die Schule fortsetzen, als ich plötzlich Chris am Haupteingang sah – er unterhielt sich mit Selena. Das war meine Chance. Ich lief zu Selene und begrüßte sie herzlich. „Selena, wie geht es dir ? Wo warst du gestern ?“ Chris beachtete ich dabei nicht. Selena lächelte mich an. „Ich hatte gestern einen Arzttermin, tut mir Leid dass ich dir nichts gesagt habe. Ich hatte es selbst vergessen, meine Mum musste mich auch erst daran erinnern.“ Ich antwortete ihr freundlich : „Schön dass du wenigstens Heute wieder da bist. Ich hab mich gestern so gelangweilt, das glaubst du nicht.“ Chris räusperte sich geräuschvoll. „Ehm Mädels, ich will euch nicht stören – aber ich bin auch noch da ! Könnt euch auch gerne mit mir unterhalten.“ Dabei sah er mich an. In seinen Augen erblickte ich die Tiefe eines Meeres und das Grün eines wunderschönes Waldes. Ich konnte ihm nicht böse sein, trotzdem sagte ich ihm meine Meinung. „Ja wenn du mich einfach so gehen lässt.“ Er dachte kurz nach. „Wenn du mich einfach so stehen lässt“ konterte er. Mist, dazu wusste ich nichts mehr. Da kam mir - zum Glück – Selena zur Hilfe. „Habt ihr Freitag schon was vor ? Ich hab gehört die haben in der Ebene einen neuen DJ.“ Endlich mal etwas interessantes. „Hört sich gut an. Also ich komm mit. Wie sieht's mit dir aus Chris?“ Ich lächelte ihn an. „Also ich hab bis jetzt noch nichts vor. Ich komme gerne mit.“


Den Rest der Woche dachte ich nur noch an Freitagabend. Das würde was werden. Ich war überhaupt nicht aufgeregt – im Gegenteil, ich war die Ruhe selbst. In der Schule lief es auch gut. Wir schrieben einen Französischvokabeltest – ich hatte den besten. Auch wenn mich böse Blicke der Klassenzicke Mary beobachteten – mich hielt nichts mehr auf am Freitagabend Spaß zu haben.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 09.10.2010

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /