Die Verfolgung!!!
Ich laufe durch die engen Gassen und die Furcht sitzt wie ein nasses, kaltes, totes Tier in meinem Nacken. Schweiß bahnt sich seinen Weg von meinem Hals über Rücken und Bauch, zu den Füßen. Ich laufe mich wund, doch noch spüre ich nur die Furcht, die mich voran treibt. Nicht umdrehen, sonst holt es Dich ein, dieser Gedanke ist mein ständiger Begleiter. Ich würde gerne aus diesem Alptraum erwachen, doch so sehr es in meinem Kopf, meiner Seele und meinem Körper auch nach diesem Ausweg flehen mag, es wird in diese Richtung nichts geschehen. Tränen rinnen über mein kaltes Gesicht. So sehr mein bekleideter Körper schwitzt, so sehr friere ich im Gesicht und an den Händen, die vom kalten Wind, der mir entgegen kommt und mich so in die Richtung der Furchtquelle treiben möchte, sich wie eine Zwiebel abgeschält anfühlen. Es ist die Furcht, die mich antreibt und mich weiter laufen lässt, denn das Geräusch von folgenden Schritten kann ich schon lange nicht mehr hören, da mir das Adrenalin die Ohren verstopft. Mein Herz schlägt wild gegen meine Brust und ich dränge Bilder eines geplatzten Herzens in den Keller meiner Seele. Auch Gedanken an Herzinfarkt und Kreislaufzusammenbruch, so wie einen Schwächeanfall müssen hartnäckig auf einen späteren Zeitpunkt, der vielleicht auch nie kommen mag, verschoben werden. Ich bin ohne Ziel gelaufen, als es anfing, doch da ich mich langsam an das Adrenalin in meinem Körper gewöhnt habe, will mir scheinen, dass mein Handeln und denken klarere Linien und Strukturen bekommen hat. Ich kann und möchte nicht ermessen, ob ich das, was mich verfolgt größer und bedrohlicher gemacht habe durch meine Furcht, denn nun gilt es nur noch es abzuschütteln, damit ich mich auf mein Sofa legen und mich davon erholen kann. Schatten an den Mauern, die der Mond scharf, wie Krallen zeichnet, sind doch nur Schatten von Ästen und Stämmen, die die Allee säumen. Nicht mehr lange und ich kann mich erholen, ein wenig ruhen. Die Tür schließe ich so leise, wie ich sie geöffnet habe, was mich immense Kraft gekostet hat in meinem Zustand der Erregung. Nichts mehr denken, nur noch erholen von der Hetzjagd, die meinem Leben galt. Kaum auf dem Sofa, fällt alle Anspannung von mir ab. Das Adrenalin hindert mich nicht am Schlafen, doch es lässt meine Augen in ihren Höhlen, wie Murmeln, die gerade in eine Sandkuhle gefallen sind, kreisen. Ich spüre einen stechenden Schmerz in meiner rechten Wade und ich muss mir eingestehen, dass ich noch immer nicht zu Hause bin. Ich laufe weiter um mein Leben. Verwirrung macht sich breit. Ich bin erstaunt, dass ich nicht gestolpert, gestrauchelt oder hingefallen bin. Was kann der Körper noch alles ertragen, wenn er unter so einer schweren Anspannung steht? Ich darf nicht wieder den Verstand, die Kontrolle über meinen Geist verlieren. Bin ich in diese Sache hinein geraten oder mache ich hier freiwillig mit, ist mein nächster Gedanke. Wirre Gedanken, doch besser, als einzuschlafen und zu sterben. Doch woher ich weiß, dass ich sterben werde, wenn ich nicht mehr laufe, ist mir ein Rätsel. Ich muss zu den Anfängen zurück. Etwas packt mich an den Schultern. Ich habe vor lauter Anspannung nicht Mal mehr denn Willen zu schreien.
Es ist der Wind, der an mir zerrt. Es schmerzt in meinen Schultern, als ob jede Sehne einzeln zerreißt. Wo mag meine Schmerzgrenze erreicht sein? Eine knochige Hand legt sich auf mein Schulterblatt und dringt tief ins Fleisch. Jetzt wird er mir die letzte Kraft rauben. Ich wehre mich, sage mir, dass es alles nur Einbildung ist. Ich versuche mich zu entspannen, in dem ich mein Gewicht immer wieder, bei jedem Schritt, von den Fersen auf die Zehen verlagere. Es hilft ein wenig, wenigstens so weit, dass meine Schultern nicht mehr so unermesslich schmerzen. Doch ich wollte zum Anfang zurück. Wo begann der Lauf um mein Leben und warum fürchte ich mich so? Die Nacht hüllt alle Häuser und mich ein. Der Glaube daran, dass ich im Vorteil bin ist ganz klar, mit dem eben erlebten auf Null geschrumpft. Wo sind die Menschen, wenn man sie braucht? Niemand ist zu sehen, kein Motor heult auf. Es ist so verdammt ruhig in dieser Stadt, die ich glaubte zu kennen, mit all ihren täglichen und nächtlichen Geräuschen. Die Furcht ist es wohl, die einem den Tod auf die eigene Fährte bringt, doch vielleicht verbreitet der Tod selbst den Geruch von Schwefel und pflanzt so die Furcht in einen jeden, weil er selbst so voller Zweifel und Furcht steckt, wie es kein Mensch je sein könnte. Meine Gedanken bringen mich an den Rand des Wahnsinns und die Gewissheit über einen Sinn des ganzen Denkens ist mir schon lange abhanden gekommen. Ich laufe, dass ist die Wahrheit, die mir bleibt, denn aus einem Traum hätte ich längst aussteigen können. Laufen, bis die Lungen, die Seiten, der ganze Körper schmerzt. Meine Augen suchen, verschleiert, von den tränen, die der kalte Nachtwind bringt, nach einem Ausweg in Form eines Einganges, der mich wie ein Maul aufsaugt und nie mehr hergibt, damit das, was meine Furcht schürt mich nicht einholen und fangen kann. Wenn der Mond nicht durch die Gassen scheint ist es noch immer Finster. Hinter keinem Fenster ist auch nur der Hauch eines Lichtschimmers wahr zu nehmen. Immer wieder beschleicht mich diese Wut, die sich unter die Furcht mischt. Ich weiß, dass es eine gefährliche Mischung ist und das lässt mich Furcht vor mir selbst bekommen, was mich nach und nach auf den Boden der Tatsachen zurück bringt. Ich muss mein zu Hause finden oder einen Unterschlupf für die Nacht. Woher ich weiß, dass das was mich verfolgt mit dem Morgengrauen verschwindet ist mir ein Rätsel, doch es überhaupt zu wissen beruhigte meine Nerven, bis die Turmuhr ein Mal schlug. Mitternacht vorbei, doch noch so lange bis zum nächsten Morgen. Ironie des Schicksals hätte man meinen können, doch für mich gibt es kein Schicksal, nur Bestimmung, der wir auf allen Pfaden entgegen gehen.
Wer auch immer für dies alles verantwortlich sein mag, bitte lege Deine schützende Hand über mich, damit ich noch ein Stück des Weges auf Erden wandeln kann. Geläutert werde ich nie sein, dass ich auf die Knie falle und etwas oder jemanden anbete, den ich nicht sehen, deren Geschichte für mich nur eine Geschichte ist. Der Wunsch manchmal alles hinter mir zu lassen und diese Welt zu verlassen keimt doch auch in mir, doch dann spüre ich ganz tief in meiner geschundenen Seele, dass es für mich noch nicht an der Zeit ist. Was auch immer noch kommen mag, ich werde nie bereit sein und diese Furcht, die mich heute begleitet wird ewig ein Freund sein, der mir, bei allem was ich tue, auch weiterhin, über die Schulter sehen wird, ich gelegentlich umklammert und manchmal auch nur in trügerischer Freundschaft umarmt hält.
Ich frage mich, ob ich eine Berechtigung habe darüber nachzudenken, ob ich existieren darf. Doch wer entscheidet über mein Leben, wenn ich es nicht tue? Manchmal stelle ich mir die Welt als Puppentheater oder Schachspiel vor, welche von größeren Wesen bespielt werden. Da bekommt, der Aussatz: Die Bühne des Lebens doch gleich eine höhere Bedeutung. Ich bin ein nichts, ein niemand, eine Randfigur in diesem Stück. Wer will da entscheiden, wie wichtig ich da wirklich bin?
Ein knarren bringt mich aus meinen Gedanken. Die Dunkelheit wird jäh von einem Lichtstrahl, der hart in die Gasse fällt, unterbrochen. Keine Zeit anzuhalten. Ich renne an der Tür vorbei und meine Seele erfasst mehr von den Bildern vom Innenraum, bevor es mein Kopf in Worte fassen kann. Blut, die Wände waren gekachelt und Blutverschmiert. Ein erstickter Schrei quält sich meine Kehle hinunter, so, als hätte ich mir die Hand vor den Mund geschlagen, dass kein Laut ihm entströmen kann. Denn irgendwas sagt mir, dass es nicht abstoßendes hatte. Ich laufe etwas langsamer, damit ich mich umdrehen kann. Die Furcht ist verdrängt. Ich sehe Männer, die Schweinehälften schultern und auf den Wagen laden, der wie aus dem Nichts aufgetaucht sein muss, ich vernahm kein Motorengeräusch. Vielleicht hat mir meine Furcht auch nur das Gehöhr vernebelt. Dann sehe ich einen Schatten, der sich neben den Wagen, an der Hauswand, entlang drückt. Kein Blick zurück und nichts wie weg hier. Diese Gegend ist mir so unbekannt. Ich frage mich, ob ich den Weg nach Hause je finden werde oder wenigstens einen sicheren Unterschlupf für die Nacht? Jede Hoffnung ist verflogen, wenn der Schmerz sich ins Gedächtnis zurück ruft, doch noch habe ich eine geraume Zeit zum Verschnaufen, gedanklich, wie furchtlos, doch das Laufen bleibt mir noch immer nicht erspart. Wege und Gassen gibt es massig in dieser, wie ich so oft dachte, kleinen Stadt. Nun erst merke ich, dass das Gassengewirr einem unendlichen Labyrinth gleich kommt.
Ich bin müde, halte nach dem Mond Ausschau, wenn ich schon keinen Stern erblicke und keine Laterne, die mir den Weg hinaus weist. Nur ich kann mich aus dieser Lage befreien, doch meine Gedanken kreisen dabei um Selbstmord, den ich nie begehen würde und werde. Es wird sich ein Licht auf tun und vielleicht werde ich später bemerke, dass dieses Licht trügerisch war und mir nichts als die Flucht bleibt, doch nun laufe ich erst ein Mal vor dem Schatten davon, der mich das Fürchten lehrt und von dem ich ahne, dass es der Teufel persönlich ist, der mich in seine Hölle zerren möchte. Ich frage mich noch immer, wie dies alles angefangen hat und werde jäh in meinem Gedankengang unterbrochen, so, als ob jemand verhindern möchte, dass ich diesen Gedanken zu Ende denke. Das könnte der Ausweg sein; denke ich. Wenn ich mich an den Beginn erinnern werde, werde ich meine Furcht verlieren und werde ruhig durch die Nacht nach Hause schlendern können. So einfach und zu schön um wahr sein zu können, oder? Ich werde langsamer, drehe mich nicht um. Was auch immer mich holen möchte wird mich holen. Spätestens, wenn ich erschöpft zu Boden sinke. Ich hole tief Luft und werde immer langsamer bis sich Atmung, Herzschlag und Gang wieder vereint haben. Ein Grinsen beschleicht mein Gesicht. Ich finde aus dem dunklen Gassengewirr auf eine beleuchtete Hauptstraße, die mir helfen wird meinen Weg nach Hause zu finden.
Doch die Hölle, die ich verlassen hab, steht dieser in nichts nach, nur, dass mein Puls und ich nicht mehr rasen.
Ein Kopfschmerz zerreißt meine Schläfen und nun erst werde ich mir der Stille bewusst, die in dieser Stadt in den Straßen herrscht.
Kein Absatz, kein Mantel, nichts gibt hier einen Laut von sich. Keiner, der pfeift, schnalzt oder sonst wie auf sich aufmerksam macht, weil auch er die Furcht der Nacht bekämpfen möchte.
Die Menschen, die wenigen, die sich hier aufhalten gleichen Monstern. Ihr Gang ist schleppend und mir will scheinen, dass ich Schatten über ihren Gramgebeugten Rücken sehe, die einer schweren Last gleichen, auf der ein Teufel sitzt, der sie antreibt. Ich suche und finde ein Schaufenster, damit ich mich davon überzeugen kann, dass mich nicht auch selbst dieses Schicksal ereilt hat. Keine Spur von einem gebeugten Rücken, doch als ich mich umdrehe beuge ich mich beim gehen nach vorne, um nicht aufzufallen. Auch ich schleiche mich an den Mauern entlang, als könnte ich jeder Zeit umfallen, doch niemals lasse ich mein Ziel aus den Augen in meinen eigenen Wänden Schutz zu suchen.
Ich fange an zu frieren, mir wird bewusst, dass mir beim Rennen, der Schweiß in strömen über den Körper floss. Ich spüre meine geschundenen Füße, die sich Blase auf Blase gelaufen und aufgescheuert sind. Mein Körper ist an allen Stellen, wo sich Gliedmaßen beim Laufen berührt haben wund und schmerzbehaftet.
Meine Beine knicken ein und zittern und mir wird klar, warum die anderen diesen Gang haben, den ich versuchte nachzumachen. Nun bin ich nur noch einer unter vielen, da auch ich gramgebeugt, mit zitternden Knien, so wie sie, hier die Hauptstraße entlang wackle. Ich suche in den Schaufenstern nach einer Straße, die mir bekannt genug ist, damit ich meinen Heimweg antreten kann. Mir ist es nicht mehr möglich den Kopf so weit zu heben, um meine Umgebung und meine Mitmenschen zu betrachten. Ich möchte weinen, weil ich der Furcht entkommen bin, doch zu welchem Preis. Eine Hölle tauscht sich mit der nächsten ab. Hand in Hand geht mein Leben von einem Unglück ins Nächste.
Eine flackernde Laterne schenke ich meine Aufmerksamkeit, so wie sie es stillstehend fordert. Sie lehnt lässig an einer Hauswand, die aussieht, als hätte sie niemals gute Zeiten erlebt. Ich lege meinen Kopf eine Nuance schräger und kann das Straßenschild im Halbdunkel entziffern, doch mir will keine Erinnerung in den Kopf kommen, nur die Seele schreit mir zu diese Gasse gegen die Hauptstraße zu tauschen. Ich tue wie mir befohlen und fühle mich augenblicklich befreit von all der Last, die noch eben meinen Körper zu ersticke, zu zerdrücken drohte. Ist dies wohl der erste Schritt Richtung Heimat? Still hoffe ich es und sehe mich in Gedanken im Hausflur auf den Boden fallen, um die Dielen zu küssen. Keine Zeit für solche Albernheiten. Auf nach Hause, der Heimat entgegen mit schnellen Schritten. Wie Blei sind meine Beine und jeder Tritt auf den Grund lässt mich an Wackelpeter denken, den es mit festen Schritten zu besiegen gilt, ein schier unlösbares Unterfangen. Ich mache meinen Kopf von den Ketten, so wie der Last des vorher Erlebten frei und so werden auch meine Schritte energiegeladener, nicht schneller und der Boden verliert seine Weichheit. Jetzt geht es im Spaziergang dem Ruhepol entgegen.
Zittern und Zweifel packt mich, laufe ich hier vielleicht dem Teufel, der mir die Furcht gebracht hat entgegen, statt ihm im Nacken, beim Flüchten zu spüren? Der Strudel reißt mich in die Tiefe und nur schwer kann ich mich an die Oberfläche bringen, doch es gelingt mir.
Das Straßenschild kam mir so vertraut und Glückverheißend vor und nun nagen diese Zweifel an meiner Seele und meinem Körper.
Ich muss diesen Wahnsinn in die Schranken weisen. Es ist Zeit nach Hause zu gehen und sich nicht an Gedanken ans Versagen zu klammern. Ich wische mir den Schweiß von der Stirn und aus den Augen und gehe erhobenen Hauptes den Weg, der mir der wahre erscheint.
Selbst wenn ich mich wieder und wieder irren sollte, so ist dies alles besser, als im Stillstand darauf zu warten, dass es mich einholt, mich frontal angreift und mich mit in den Strudel von Tod und Verderben mit reißt.
Zweifel drängen wieder und wieder in mein Hirn und machen sich mit Blitz und Donner bemerkbar und breit, weil das Licht der Hauptstraße schwindet und die Häuser links und rechts so bedrohlich auf mich herab zu sehen scheinen. Sie winden ihre Dächer auf mich herab und lachen mir frech ins Gesicht. Ihr könnt nicht wissen, was hier mit mir geschieht denke ich und der Spuk hat ein Ende.
Denken ist das einzige, was der Mensch für sich hat, alles andere darf und muss er immer in irgendeiner Form mit einem anderen Teilen.
Mir wird klar, dass ich nach Nahrung lechze und so lecke ich das Wasser von der Wand, weil ich nicht anderes finde und mein Durst, der dem Hunger in nichts nach steht, mich aufzufressen droht. Wie erniedrigend, wäre vor ein paar Stunden, wohl noch mein Gedanke gewesen, doch nun ist es das natürlichste auf der Welt, nicht darüber nach zu denken, sondern nur meinen Durst zu stillen, meinem Körper zu geben wo nach ihm verlangt, nicht nach Leckereien, sondern nach dem, was greifbar ist. Verstohlen blicke ich mich um, erst, um zu sehen, ob nicht doch jemand mein Tun beobachtet und dann hektisch, ob nicht jemand etwas von meinem Schatz abhaben möchte. Ich spüre, wie mein Blick etwas Irres bekommt und schüttle den Kopf, um es los zu werden. Bei klarem Verstand bleiben, so weit es möglich ist, nur das kann mich hier heraus bringen, denke ich. Ich lasse den Wasserfall hinter mir, um mich weiter in den Dschungel der Häuserreihen vor zu wagen, die im Halbdunkel liegen. Ein kichern stört meine Aufmerksamkeit, bis ich begreifen muss, dass es meinem Mund entronnen ist. Erschreckend, gruselig, was mit einem passieren kann, wenn er auf dem Weg nach Hause die Orientierung verliert und die Furcht im Nacken nicht los wird. Ein klarer Gedanke, denke ich und freue mich wie ein Kind, dass ich dazu noch fähig bin. Doch ehrlich zu mir selbst muss ich schon sein, entbehrt es nicht jeder Logik über seinen eigenen Geisteszustand zu urteilen? Mir wird bewusst, dass ich die ganze Zeit in meinen Taschen gekramt habe, als mir ein kleiner Stein, den ich bei einem Spaziergang gefunden habe, in die Finger kommt. Ich weiß, dass er wichtig ist, doch wozu wollte ich ihn oder etwas Ähnliches finden? Ein kratzendes Geräusch gibt mir eine Antwort, ich bin es Mal wieder selbst, der dieses Geräusch verursacht. Ich kratze einen Pfeil in die Mauer. Daher kam ich, dorthin gehe ich, ein Kinderspiel und doch so ultimativ wichtig, wie eine Straßenkarte oder ein Einweisungsbeleg für eine Anstalt, je nach dem, ob man es unbeschadet übersteht und einen Ausweg aus dem Labyrinth des Lebens findet oder sich wieder und wieder mit seinen selbst gemalten Pfeilen aus einander setzen muss. Ein Schauer jagt sich wieder und wieder kalt meinen Körper hinunter, er hat ein Eigenleben, was mich dazu bringt meine Füße und dann meinen Körper schwerfällig in Bewegung zu setzten. Es wird ein Ende geben, so oder so. Ich fange an zu zählen. Langsam bei dreißig male ich einen Pfeil, doch dieses Mal ohne stehen zu bleiben, sondern nur mit etwas verlangsamten Schritt. Ich halte diese Zahl nicht immer ein, da ich so ins zählen vertieft bin und es so eine beruhigende Wirkung hat, dass ich fast glaube, dem Weltlichen entfliehen und in meiner Seele platz nehmen zu können, dass ich mich jedes Mal selbst aus dieser Trance heraus katapultieren muss, damit die Wand zu meiner rechten eine Markierung bekommt. Es wird wieder heller und ich möchte schon an den Morgen glauben, doch da fehlte noch die tiefe, schwarze Welle, die das Land überrollt, bevor der Tag anbricht, das Morgengrauen. Es ist eine Querstraße. Ich sehe sie in beide Richtungen herauf und herunter. Schwarze Schatten, am Ende des Blickes. So weit wie das Auge reicht, nichts als Ödnis. Kein Mensch, kein Gefährt. Nur der Geruch nach salzigem Nass. Da schimmert eine Erinnerung am Horizont meines Verstandes auf. Der Fluss, der für mich das Meer war. Dorthin, die Richtung ist es, die ich einschlagen muss und werde. Doch noch zögert es in mir, obwohl mich meine Füße doch schon in die Richtung tragen. Der Fluss ist tückisch. Er verschlingt die Menschen mit Haut und Haar, hat er sie erstmal mit seinen Versprechungen, auf ewigen Frieden, gelockt. Kalte, heiße Schauer. Meine Augenlider sind schwer und dürfen sich nicht zur Ruhe senken, sonst falle ich tatsächlich noch in das kalte, nasse Grab der Verdammnis mitten unter die Selbstmörder. Das Wasser glitzert silbern, der Mond scheint über den Fluss zu wachen mit einem hämischen Grinsen. Dann sehe ich warum er grinst. Mein Blick gleitet über die Wasseroberfläche und nach und nach werde ich der Hände und Arme gewahr, die sich dem Mond, die sich mir entgegen strecken. Es geht ein Raunen, ein herzerweichender Gesang durch das Plätschern der Wellen. Jedes einzelne Geräusch, was so verursacht wird, ist ein Hilfeschrei und gleichzeitig eine Ermahnung, sich dem zu widersetzen. Ich möchte schwach sein und stehe doch, wie ein Fes in der Brandung auf der Brücke und lasse mich von dem Gefühl der Furcht, welches sich wieder kalt in meinem Nacken bemerkbar macht, leiten weiter zu gehen. Schritt um Schritt und doch lautlos, so wie in einem Traum schwebe ich über den Asphalt der Brücke, dem Weg entgegen. Pflastersteine lassen mich tänzelnd nach Halt suchen, da sie von Regen nass und einige von ihnen mit Moos bedeckt sind. Alles geht gut, auch wenn mein Gleichwicht mich sonst nie beschützte. Ein leichtes Schwindeln im Kopf bleibt zurück, doch der weitere Weg wird wieder asphaltiert sein, wenn ich das Ende dieses Weges hinter mir habe. Einen Spaziergang in lauer Nacht kann ich dann vielleicht meinem Hirn vorgaukeln, denn der Schrecken wird vergehen, sobald ich ihn nicht mehr hinter mir spüre, das ist sicher.
… akzeptiere mich wie ich bin und denke daran: lies die Sachen, die ich schreibe nicht, wenn du nur danach fragst, wann ich wieder etwas Schönes schreibe, denn: ich kann keine Rosen aufs Papier malen, wenn das Leben mir Dornen unter die Fingernägel treibt…
Ich möchte nicht an diese, ihre letzen Worte denken. Ich habe sie verletzt, dass war mir klar doch der Neid, der sich wie ein Dieb in meine Seele geschlichen hatte fraß mich auf, höhlte aus, was voller Zuneigung, voller zärtlicher Gefühle zu ihr war. Kein Wort war zurück zu nehmen, keine Geste ungeschehen zu machen. Es war so, wie es nun ist. Jetzt gehe ich die Straßen der Einsamkeit entlang, auf dem Weg in ein kaltes, leeres Haus, welches mein zu Hause ist und die Furcht sitzt mir im Nacken, wie der Teufel. Ich sehe sie vor mir, wie sie den Dachboden erklimmt. Zwischen all dem was einst ihr Lebensinhalt war. Das Schreibpult, die Staffelei, ich kenne jeden Farbklecks an der Wand und auf dem Boden, jeden Tintenfleck auf, neben und unter dem Pult. Doch heute Nacht wird sie nicht schreiben, wird ihre Enttäuschung nicht in Farben Ausdruck verleihen. Heute Nacht steigt sie, mit einem Seil bewaffnet, auf den Schemel und wird ihr Leben an den seidenen Faden der Verdammnis hängen und der ewigen Hölle ihre Seele verschreiben. Keine Hand mehr, die ich ergreifen und halten kann, wenn Zuneigung mich in ihrer Gegenwart innerlich brennen lässt. Keinen Mund, den ich nachschmachten kann, wenn ich ihren Worten mit Augen und Ohren lausche. Nie wieder dem Timbre ihrer lieblichen Stimme hören. Vorbei, dies alles und noch so viele Kleinigkeiten mehr.
Mir ist übel, denn die Gefühle würgen sich in mir hoch. Sie ist weg und ich bin verloren in dieser Finsternis, die mich nicht los lässt, mir nur die Furcht auf den Hals schickt und die wohl nie vergeht.
Mir ist klar, dass kein Wort, dass gesagt, kein, Wort, dass nicht gesagt wurde, ob nun von mir oder ihr, nichts wird sie wieder bringen. Nichts wird mich so sein lassen, wie ich bei ihr war. Es hat schon etwas Neues begonnen, doch noch umhüllt mich die Finsternis wie eine alte Haut, die ich nicht abstreifen kann. Erst wenn dieser Schleier meinen Körper frei gibt werde ich wieder sehend für das, was schon angefangen hat und für das ich erst dann bereit sein werde. Ich schlummere in mir, wie ein Kind ziehe ich meine Beine an den Körper und umschlinge sie mit meinen Armen, um mich selbst zu beschützen. Dies alles denke ich, denn ich bin noch immer hier draußen. Mein Blick wird langsam klar und ich kann die Sterne verblassen sehen. Der Morgenhimmel verfinstert sich. Ich bleibe stehen, recke den Kopf gen Himmel, denn ich möchte das erste Licht des Tages nicht verpassen.
Dann nur ein leichter Schauer, wie ein Hauch von Atem im Nacken und dann wie ein heftiger Ruck zieht es in meinem Genick. Ich sehe mich selbst in die Knie gehen und sie mit einem boshaften Lachen auf den ach so zärtlich gewesenen, vertraut scheinenden Lippen, wie sie meinen Nacken aus ihren Klauen entlässt und mich sanft zu Boden legt.
Sie war die Furcht, die mich verfolgt hat kann ich noch denken, als mich die Finsternis, die sie, wie ein Tuch um sich trägt, aufsaugt und in tausend Teile bricht.
Tag der Veröffentlichung: 11.05.2009
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