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Etwas liegt in der Luft, ich spüre es schon den ganzen Morgen, doch greifen kann ich es nicht. Es ist ein unbestimmtes Gefühl, dass Freude mit Furcht vereint. Ich versuche mich nicht von diesem Gefühl leiten zu lassen, doch ich komme nicht umhin. Ich ändere meinen Weg zur Arbeit, statt an der Hauptstraße zu wandern, schleiche ich durch die kleinen Gassen. Doch niemand kann seinem Schicksal entkommen. Meines hat mich hierher geführt, damit ich ihn sehe. Er rennt um die Ecke, ich sehe ihn von weiten auf mich zu kommen. Ein Ausweichen ist nicht möglich, da die Autos rechts am Straßenrand zu dicht geparkt sind. Die verwirrenden Gefühle, die mich schon den ganzen Tag begleiten nehmen überhand. Ich stelle mich dicht an die Häuserwand, damit er mich nicht umrennt. Er ist maskiert, was mir keine Furcht bereitet, da ich weiß, dass er eine andere Tat begangen hat, die nichts mit mir zu tun hat. Er sieht mich, dann zieht er mich am Jackenärmel in den Toreingang, der gleich neben mir war, ohne dass ich ihn bemerkte. Er stellt sich vor mich, so dicht, dass ich seinen Atem in meinem Gesicht spüre. Ich sehe in seine Augen, die das blau des Himmels tragen und so voller Feuer zum Leben glühen. Er sieht verwirrt aus, doch diese Sekunde vergeht rasend schnell, so wie sein Puls fliegt, den ich durch den Jackenärmel durch seine Fingerschlagen spüre. Er presst mir eine Plastiktüte in den Arm und verschwindet im Hinterhof. Wie von selbst stecke ich sie in meinen Rucksack, um mich dann auf meinen Weg zu machen. An der Ecke angekommen, wo ich ihn zum ersten Mal sah rennt ein Polizeibeamter in mich. Ich kann mich nur auf den Beinen halten, weil er mich festhält. Er sieht mir in die Augen, seine sind grün und schimmern wie das Meer. Ich möchte mich in ihnen verlieren, doch er lässt es nicht zu. Er sieht schnell auf den Boden und fragt, wo er hin gelaufen ist. Die Straße runter und dann links. Es fällt mir nicht schwer zu lügen, denn ich denke an seine himmelblauen Augen, die Hoffnung auf Leben in mir wach gerufen haben. Der Polizist macht sich auf den Weg. Ich sehe ihm nach, bis er das Ende der Straße erreicht hat und um die Ecke verschwindet. Nun muss ich mich auch weiter auf den Weg machen. Ich fühle mich nicht schuldig und denke daran, dass mein Vater ständig im Gefängnis gesessen hat, weil er sich in Villen anderer Leute holen wollte, von dem er glaubte, dass er es verdient hätte. Mein Tag schleicht dahin, doch das unsagbare Gefühl des Morgens ist verschwunden. Das war es denke ich, nicht mehr und nicht weniger. Ein Mann, der mir in die Augen sieht und mir eine Tüte in die Hand drückt. Ich habe auch am Abend nicht das Bedürfnis den Inhalt dieser Tüte zu begutachten, da meine Kollegen mir erzählten, dass die Bank ausgeraubt wurde. Wer hätte es wohl sonst gewesen sein sollen, wenn nicht er? Ich lebe weiter wie bisher, denn ich kann mich nicht entschließen noch mehr in diese, seine Geschichte hinein ziehen zu lassen. Ich wäre gerne mutiger oder ignoranter dem Gesetz gegenüber, doch eine Lüge war schon genug. Wochen später beginne ich mich beobachtet zu fühlen, doch ich kann es nicht näher definieren, bis mich der Polizist, mit den meergrünen Augen, eines Morgens, an der Straßenecke anspricht, an der er mich fast umgerannt hätte. Er würde mich gerne auf dem Revier sehen, damit ich eine Aussage machen könne, da ich wohl die letzte war, die den Täter gesehen hat. Ich nicke stumm, nehme seine Karte entgegen und mache mich auf den Weg, den ich nun seit Wochen jeden Tag gehe. Ich habe es mir abgewöhnt an der Hauptstasse zu gehen, da sich hier in der kleinen Gasse mein Leben für einen kurzen Augenblick nach leben angefühlt und somit für immer geändert hat. Die Tage plätschern dahin, wie in einem Fluss im Frühling. Ich gehe meiner Arbeit nach und mache meine Aussage. Der Polizist ist eher angetan von mir, als dass es ihn interessiert, was ich weiß, das ist nur gut für mich, denn ich habe das Gefühl zu lügen, auch wenn es nur ein verschweigen des wesentlichen ist. In Wahrheit ist es ja nicht Mal eine Lüge, dass ich ihm nicht erzähle, wie sehr ich mich nach den tiefen blauen Augen sehne. Ich frage mich, wie die rechtliche Grundlage ist, wenn ich das Geld ausgeben würde und in wie weit ich schon Mittäter bin, da es bei mir im Wäscheschrank liegt. Diese Gedanken verschwinden so schnell sie kamen, denn es ist wie es ist und ich möchte und kann es nicht ändern. Wenn ich einen Wunsch frei hätte würde ich mir nur wünschen, dass er zu mir kommt, ihn noch einmal sehen, für den Augenblick, wo er das Geld an sich nimmt. Dann könnte ich in Ruhe einschlafen. Ich fühle mich noch immer beobachtet, wenn ich vorher daran gedacht habe, dass es die Polizei sein könnte, so wird mir mehr und mehr bewusst, dass er es ist. Ich weiß nicht, wie ich ihm sagen, zeigen, ihm ein Zeichen geben soll, dass er sicher ist, wenn er zu mir kommt. Ich bin so gefangen, wie er es wäre, würde er in einer Zelle sitzen. Ich möchte mich befreien, doch es ist, als würde ich in einem Spinnennetz sitzen und nur meinen Kopf drehen, aber den Rest meines Körpers nicht bewegen können. Der Zweifel, dass er nie auftaucht, gibt mir auch oft die Hand, doch er verweilt nicht lange.

Verdammt, geh hin und nimm dir das Geld, dieser Satz hämmert seit Wochen an seine Schädeldecke. Doch er kann nicht. Sie zu betrachten fällt ihm leicht, doch nur aus der Ferne. Er weiß nicht was es ist, dass er sich vor ihr verstreckt, doch bevor er nicht dahinter gekommen ist kann er sich nicht einfach seine Beute nehmen und aus ihrem Leben verschwinden. Er was schon so oft in ihrer Wohnung hat oder still gesessen und ihren Duft eingesaugt, doch immer ist er verwirrter daraus weg gegangen, als zuvor. Er war sich so sicher, dass sein Leben eine Wende brauchte und nahm die Chance wahr, die sich ihm bot, als der Wachmann mit dem Sack voller Geld vor ihm stand. Nun musste er sich eingestehen, dass es doch keine gute Idee gewesen sein könnte, doch dann wäre er nie in durch diese Gasse gelaufen, direkt in ihre Arme, um in die Augen einer Frau zu blicken, die wie er so voller Sehnsucht und auch so Furchtlos waren. Das wird es sein, so langsam lichtete sich der Nebel in seinem Kopf. Auf der Suche nach einem Menschen, der ihn gut verstand musste dies alles passieren. Er rannte an diesem Tag beschwingt durch die Straßen und ihm war klar, dass er ihr bald gegenüber stehen konnte, um zu erfahren was sein Leben ihm bringen würde.

Die Jahre flogen, wie Herbstblätter auf die Erde und verwesten mit dem Winter, um im Frühling, die ersten zarten Triebe sprießen zu lassen. Das Leben hatte noch nicht vorgehabt sie zusammen zu führen. Nun waren schon dreißig Jahre verschwunden. Sie, die noch immer dort wohnte und jeden Morgen und Abend am Fenster stand und nach ihm schaute. Er, dessen Schicksal ihn in ferne Länder trug, damit er dort über die Kriege berichtete. Sie ahnte es nicht, als sie jeden Tag den Nachrichtensender einschaltete, um diesen Mann zu betrachten, der seine Augen trug, dessen Stimme jedoch wie gebrochen schien.

Dann war er wieder in der Stadt und seine Füße, die ihn nur noch schwer trugen, unter der Last, des Anblickes, wie verachtend Menschen gegeneinander sein können. Es trug ihn ganz von selbst in die Gasse. Er sah hinauf zu den Fenstern. Er schlich weiter, bis er an das Haus gelangte, wo sie gewohnt hatte. Die Treppenstufen knarrten, wie vor dreißig Jahren. Er erschrak, dass er sich daran erinnern konnte. Gänsehaut breitete sich über seinen Körper aus, wie eine Decke, die er zur Nacht über den Körper zog. Er stand vor ihrer Tür. Seiner Eingebung weiter folgend hob er den Arm. Rechts neben der Tür war ein Stromkasten und dort hinauf hatte er damals einen Schlüssel der Wohnung hinterlegt. Er berührte sofort das kalte Metall, das von einer Staubschicht bedeckt war. Er nahm den Schlüssel in die Hand, betrachtet ihn von allen Seiten, so als ob er so einen Gegenstand zum ersten Mal sah und nicht wusste, was damit anzufangen sei. Er setzte ihn an, er ließ sich leicht in den Zylinder führen, er wartete einen Augenblick, horchte und dann drehte er den Schlüssel, mit einer Mischung aus Hoffnung und Furcht. Ihm war nicht klar, ob er es lieber gehabt hätte, wenn sich die Tür nicht öffnen ließ oder wenn sie noch immer hier wohnte. Übelkeit breitete sich in ihm aus, er schluckte schwer und dann öffnete sich die Tür.

Er sah den Flur entlang und blickte in ihre Augen. Sie sagte nichts, als sie auf ihn zuging. Sie nahm ihm den Mantel ab und führte ihn zum Sofa. Er ließ es bereitwillig geschehen, denn was hätte er schon sagen könne. Sie waren für einander bestimmt, im Jetzt und Hier und die Zeit dazwischen war verschwunden, wie Sekunden. Sie hatte nie an einen anderen gedacht, sich nur für ihn aufgespart, weil ihr klar war, dass er eines Tages kommen musste, denn das Geld lag noch immer im Schrank und hatte, so wie sie, die ganze Zeit auf ihn gewartet. Sie überreichte ihm die Tüte. Er sah sie erstaunt an, nahm sie nur zögerlich. Er konnte nicht glauben was er sah. Das Geld, das er nur aus einer Laune heraus gestohlen hatte, die Scheine, die ihm nie etwas bedeutet hatten. Sie setzte sich zu ihm und sie schenkte Wein ein. Sie tranken, ihr letzter Gedanke war, dass sie nun für immer zusammen sein werden. Er wusste nicht wie ihm geschah, als seine Sinne langsam, von diesem einen Schluck Wein, dahin schwanden.

Ich fand sie einen Tag später, sie sich an ihn lehnend, auf dem Sofa. Das wäre eine Schlagzeile wert gewesen. Mann hätte bestimmt alle, die damals an dem Raub beteiligt waren, Polizisten, Zeugen, die Leute vom Geldtransporter, jeden, der sich noch erinnern konnte befragt und die Geschichte hätte gewiss für eine Woche die Runde gemacht, doch dann wäre sie vergessen gewesen. Ich bin dankbar dafür, dass es nicht so war, denn diese Geschichte ist die von meiner Großmutter. Ich lebe jetzt in ihrer Wohnung und oft spüre ich ihre Gegenwart, doch so traurig, wie sie ihr ganzes Leben war ist sie nun nicht mehr. Sie hat ihren Frieden gefunden. Es gab Zeiten, wo ich diese Geschichte angezweifelt habe, weil sie doch zu absurd scheint und gerade dann, wenn man sie so oft erzählt bekam wie ich. Manchmal gehe ich zum Schrank und sehe nach, ob die Tüte noch da ist. Es fällt mir schwer, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, das Geld auszugeben, doch ich bin mir sicher, dass mein Schicksal mir eines Tages einen guten Grund dafür geben wird.

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Tag der Veröffentlichung: 17.01.2009

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