Cover

Prolog


Wie in Zeitlupe sah ich wie ein Unbekannter ein Messer anhob bereit zuzustechen. Mein Atem beschleunigte immer mehr. Ich spürte wie die Angst in mir hochkroch und allen Mut auffraß. Der Unbekannte holte aus und im selben Moment hörte ich einen Schrei hoch, schrill und unmenschlich. Ich wollte mich umsehen woher er kam, doch ich konnte meinen Blick nicht von dem Unbekannten abwenden. Wie festgefroren stand ich da und hörte wie das Messer sein Ziel traf. Der Schrei brach Abrupt ab. Langsam schaffte ich es meinen Kopf zu drehen und sah einen Körper am Boden liegen. Sein Mund war zu einem stummen Schrei aufgerissen, die Augen blickten leblos und glasig zu mir hoch und trotzdem sah ich die Angst in seinem Blick. Es war ein Junge etwa in meinem Alter. Erst jetzt viel mir der Mörder wieder ein. Ich schaute auf, direkt in seine dunkelgrünen Augen. Er erwiderte meinen Blick und griff nach meinem Arm. Alle Angst die ich eben noch empfunden habe war wie weggeblasen. Das einzige was ich dachte war: Jetzt werde ich sterben. Doch ich hatte keine Panik. Es war einfach so. Und dann stach er zu. Ich schrie.
Schweißbedeckt und mit hämmerndem Herzen fuhr ich hoch. Es war ein Traum. Nur ein Albtraum. Doch dahinter schien eine tödliche Bedrohung zu lauern. Ein schreckliches Geheimnis.

1. Kapitel


Letzten Sommer muss etwas Schreckliches passiert sein. Ich erlitt einen Schock und verlor einen Teil meines Gedächtnisses. Ein Stück meiner Vergangenheit war plötzlich verschwunden und die Erinnerung hatte sich bis heute nicht wieder eingestellt.
An die Woche in der es passiert ist kann ich mich kaum noch erinnern. Immer wenn ich es versuchte war so etwa so als versuche man sich an seine Geburt zu erinnern. Die ärztliche Behandlung hatte ich aufgegeben, schließlich war all das schon ein Jahr her.
Was ist in dieser Woche geschehen, an diesem Tag?
Warum konnte ich mich nicht erinnern?
Meine Freunde waren mir auch nicht hilfreich. Sie antworteten mir entweder gar nicht oder so als wäre all das ein Rätsel. Manchmal fragte ich mich ob sie vielleicht gar nicht wollten, dass ich meine Erinnerung wiederfand. Denn so schlimm konnte es auch gar nicht sein. Vielleicht meinten sie auch, dass sie zu schrecklich sei, damit ich es nicht verkraften würde wenn ich die Wahrheit wüsste.
Mag sein das ich besser als sie dran bin. Vielleicht sollte ich sogar dankbar sein für die Gedächtnislücke.
Manchmal ertappte ich Nele dabei wie sie ihre schönen, grünen Augen zusammenkniff und mich anstarrte. Als würde sie mich einer Prüfung unterziehen. Mag sein, dass ich mir das nur einbilde aber ich hatte das Gefühl, dass sich meine zwei besten Freundinnen Nele und Melina sich seit letztem Sommer zurückgezogen hatten. Sie benahmen sich so als würden sie auf etwas warten
Aber worauf?
Dass ich ausraste um ihnen an die Kehle zu springe um sie zu töten?
Dass ich mir die Seele aus dem Leib schreie?
Oder sonst irgendetwas Verrücktes tue?
Aber wahrscheinlich war alles gar nicht so, wahrscheinlich entsprang alles meiner Fantasie.
Übrigens- darf ich mich vorstellen Charlotte Roth. Alle nennen mich Charly. Ich bin nicht besonders groß oder klein, habe Schulterlanges blondes Haar und viel zu viele Sommersprossen. Wahrscheinlich wirkte ich für die meisten Leute wie das nette Mädchen von nebenan. Das einzige mit dem ich an mir ziemlich zufrieden war sind meine großen, himmelblauen Augen.
So gerne würde ich so aussehen wie Nele mit ihrem perfekten Gesicht, den vollen Lippen, den dunkelgrünen Augen und dem pechschwarzem, langem Haar.
Mike mein bester Freund war begeisterter Ringer. Es war sein größtes Hobby und er verlangte dass ich mir all seine Kämpfe anschaute. Doch auch er war nicht mehr er Alte. Er machte sich nicht mehr über mich lustig und überhaupt war er seltsam drauf. In meinem Kopf wirbelten ständig dieselben Fragen herum: Was war damals geschehen?
Warum gingen meine Freunde mir aus dem Weg?
Wiese hatte ich so oft Albträume?
Doch im Moment versuchte ich alle Fragen zu verdrängen, denn es gab etwas auf das ich konzentrieren musste: Der Zeichenwettbewerb der Schule. Da ich mich für sehr begabt hielt nahm ich dort teil. Ich hatte schon alles für meine Mappe bis auf das Selbstpotrait.
Ich setzte mich an einen stillen Ort und fing an zu malen. Ich begann mit meinen Hellblauen Augen, doch der Stift schien sich wie von alleine zu bewegen. Ich zeichnete kleine braune Augen, eine große spitze Nase und schmale zusammengekniffene Lippen.
Der Junge auf meinem Blatt bekam kleine runde Ohren, in dem rechten steckte ein kleiner goldener Ring. Schmuck! Ich hatte noch nie Schmuck gezeichnet! Aber dafür war es mir gut gelungen. Stellte ich selbstzufrieden fest. Der Junge hatte eine gut sichtbare Narbe am Kinn. Auf der Wange hatte er ein Muttermal. So genau hatte ich noch nie gezeichnet. Ohne zu wissen weshalb wurde ich auf einmal traurig und umso länger ich das Bild anstarrte, dass mein Selbstpotrait werden sollte, umso schlimmer wurde die Traurigkeit die sich in mir breitmachte. Schnell packte ich das Bild weg.
Ich schaute auf die Uhr und seufzte. In 10 Minuten musste ich loslaufen um rechtzeitig zu meiner Französischnachhilfe zu kommen. Schon geisterten die Gedanken in meinem Kopf herum ob ich vielleicht wegen Krankheit nicht kommen kann. Diese Überlegung schlug ich mir schnell aus dem Kopf. Langsam stand ich auf und bewegte mich zur Haustüre. Wie in Zeitlupe ging ich zu dem Haus zwei Straßen weiter.
Nach einer endlosen Stunde ging ich erleichtert auf die Straße. Geschafft!
Noch nicht ganz. Ich musste noch zu einem Ringkampf. Mike behauptete es sei seine Change endlich der beste Ringer der Stadt zu sein. Also hatte ich ihm versprochen zuzusehen. Vor der Halle traf ich Melina mit ihrer kleinen Schwester Taylor (die bei jedem Kampf dabei war und unsterblich in Mike verliebt war).
„Lassen wir es über uns ergehen.“, stöhnte ich.
„So schlimm ist es gar nicht.“, behauptete Taylor.
Ich stöhnte lauter. Langsam, als hätten wir alle Zeit der Welt gingen wir zu der kleinen Zuschauertribüne.
Mike war kein richtiger Profiringer. Er ist schlank und trainiert nie. Eigentlich war ich mir sicher, dass der Gegner gewinnt.
Sein Gegenüber war klein, schwer und ziemlich behaart. Irgendwie hatte er eine Menge Ähnlichkeit mit einem Bären. Gerade hatte er Mike auf die Matte gelegt und hielt ihn mit festem Griff am Boden. Mikes Gesicht lief hochrot an- er wirkte in der Lage nicht besonders glücklich.

Aufgeregt rauft sich Taylor ihre dichten, braunen Haare. Ihr Gesicht wirkte so angespannt als würde sie dort unten mit Mike kämpfen.
Dem war es jetzt doch gelungen sich aus dem Schwitzkasten seines Gegners zu befreien. Mit einer schnellen Bewegung riss er den behaarten Kerl zu Boden. Beide hatten rote Gesichter und gaben vor Anstrengung grunzende Laute von sich. Mike schaffte es seinen Gegner mit beiden Schultern auf die Matte zu drücken. Dann sprang er glücklich auf die Füße.
„Wo!“, schrie Taylor und klatschte wie wild.
Mike stand keuchend da. Nach ein paar Sekunden reichte er dem Gegner die Hand und zog ihn hoch, dann hob er den Kopf und warf mir ein Lächeln zu.
Jedenfalls dachte ich, er hätte mich angelächelt.
Aber Taylor winkte ihm so strahlend zu, als hätte er sie gemeint. Ich schaute Mike an und dachte: „Wenn er doch nur nicht immer auf Zehenspitzen um mich herum schleichen würde!“
Ich weiß nicht genau welcher Gedanke meinen Freunden die ganze Zeit durch den Kopf geht, wenn sie mit mir zusammen sind. Sie fragen sich ununterbrochen ob ich mein Gedächtnis wiedergefunden habe.
Aber sie trauten sich nicht es offen auszusprechen.
Keiner von ihnen möchte über diese Woche im letzten Juli reden. Oder über den Unfall.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 23.02.2012

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /