Cover

Liebe Leser,

In "Spreu und Weizen" wird das Heranwachsen eines Jungen in der DDR der 80-er Jahre erzählt.

Bitte wundert Euch nicht, dass die jetzige Leseprobe nicht zu den Kommentaren passt, was einfach daran liegt, dass ich die Textstellen gewechselt habe. Denn das Buch ist lang...




Gleich am ersten Abend saßen wir vor unseren Zelten im Schein der untergehenden Sonne, blickten in die Weite der Müritz und aßen drauflos. Aber schon nach kurzer Zeit quollen mir schier die Augen aus dem Kopf. Mag sein, daß man auf dem Dorf in anderer Gangart aß, ich aber bekam das Gefühl, als dächten die Eltern, man ließe uns auf dem Schloß verhungern. Zum Glück schien das selbst Gerhard zu viel und da er die Führerrolle innehatte, wurde die Fresserei nach zwei Stunden eingestellt und wir machten eine Wanderung am Ufer der Müritz entlang. Unterwegs erzählte uns Gerhard, was er im Urlaub für Pläne verwirklichen wollte. Diese hatten natürlich nichts mit Essen zu tun, sondern drehten sich einzig und allein um Frauen. Eigentlich hatte ich nichts anderes erwartet. Die Tatsache jedoch, daß jeder einzelne von uns fester Bestandteil seiner Planung war, ließ mir die zart geräucherte Putenbrust ziemlich sauer im Magen aufstoßen. Sofort legte Gerhard fest, wie der morgige Tag ablaufen würde. Wohl nicht ganz unzufällig schlenderten wir während seiner Ausführungen zum Bootsverleih. Gerhard blieb vor einem knallroten Ruderboot stehen und meinte: „Na Maxi, was siehst du?“ „Ein Ruderboot“, antwortete ich nachdenklich. Gerhard lächelte überheblich. „Natürlich, ein Ruderboot. Was denn sonst. Aber das ist nicht irgendein Boot, das ist unsere Angriffswaffe. Und Friedhelm, du, was siehst du auf dem See draußen?“ Friedhelm wurde wie immer rot und sagte gelangweilt: „Na Typen, die mit diesen Booten auf dem See rudern.“ „Guuut, Friedhelm“, entgegnete Gerhard, „bloß, daß es nicht irgendwelche Typen sind, sondern bestimmt auch Frauen. Und die sind unsere Opfer. Alles klar?“
Friedhelm grinste verlegen und meinte: „Komm Gerhard, laß das Versteckspielen und sag endlich, was los ist!“ „Na, ich hab’ da einen Plan. Morgen leihen wir uns dieses Ruderboot aus. Unser niedliches Mäuschen setzen wir vorn an die Spitze. Als Lockvögelchen, sozusagen. Unsere beiden starken Männer - Friedhelm und Peter - werden rudern. Das gefällt allen Mädchen! Und ich, ich werde hinten sitzen und die ganze Aktion leiten.“ „So, wirst du das?“ fragte Peter mißtrauisch. „Ja, das werde ich. Sobald wir ein Ruderboot mit Mädchen entdecken, die uns gefallen, rudern wir zu ihnen. Ihr braucht auch nichts zu sagen. Laßt mich nur machen! Ich werde sie für den Abend zu unseren Zelten bestellen und dann geht’s rund. Alles klar?“ „Und du meinst wirklich, das funktioniert so einfach?“ fragte ich leise. „Oh, Maxi, halt doch wenigstens einmal deine Klappe!“ fuhr mich Gerhard böse an. Die beiden anderen sagten nichts.
Die Nacht lag bereits über dem Lager, als wir vom See zu den Zelten zurückkehrten. Überall flackerten gelbliche und grünliche Lichter in der Dunkelheit, die die Zelte auf dem Platz etwas erhellten. Hier und da knisterten Lagerfeuer in Sandkuhlen und zeichneten die undeutlichen Gestalten aus dem Dunkel, die sich um sie zusammengekauert hatten. Vor anderen Zelten glimmte Holzkohle unter den Rosten. Die Luft war voll vom scharfen Duft nach Gegrilltem, vom leisen Säuseln des Windes und vom Summen der Mücken. Wir stellten einen Tisch mit Kerzen vors Zelt. Aus Friedhelms Kassettenrekorder hämmerte der Rock. Ich war mit dem Bierausteilen beschäftigt, und Gerhard ließ die erste Flasche kreisen. Trotzdem wollte keine rechte Stimmung aufkommen. Eigentlich war es nur Gerhard, der euphorisch redete und alle nur denkbaren Fallbeispiele der Frauenanmache durchging. Erst nach einigen Bieren brachen Fried¬helm und Peter endlich ihr Schweigen und störten Gerhard in seinem Schwelgen mit dem Einwurf, daß sie nicht in den Urlaub gefahren seien, um auf Frauenjagd zu gehen, sondern um sich zu erholen. Schließlich seien das alles sowieso nur Hirngespinste, und so einfach ginge es nun doch nicht. Da hätte der Max schon vollkommen recht. Gerhard, über diesen Ungehorsam der Widerrede sehr verärgert und von der Feigheit seiner Kameraden enttäuscht, fing an zu schreien und bezeichnete uns allesamt als Memmen. Wutentbrannt verzog er sich in sein Zelt und legte sich schlafen. Wir Schwächlinge saßen noch eine Weile draußen und einigten uns darauf, daß Gerhards Plan großer Quatsch sei und sowieso nicht funktioniere. Dabei tranken wir noch ein Bier des Mutes wegen und wußten im Innern ganz genau, daß doch jeder mitmachen würde. Schließlich krochen auch wir im mutigen Rausch in unsere Schlafsäcke.
Die Sonne brannte schon auf die Zeltwände, als wir endlich um die Mittagszeit unsere Dösköpfe ausgeschlafen hatten. Ich schwitzte und wühlte mich aus dem Schlafsack. Es war unerträglich heiß.
Gerhard statt dessen lag mit seinem Strohhut vor dem Zelt, ließ sich die Sonne auf den Körper brennen und trällerte ein Lied. Er hatte am Morgen schon ein Bad im See genommen und ausgiebig gefrühstückt. Gleich nachdem wir mit unseren roten Augen aus den Zelten gekrochen waren, bezeichnete er uns wieder als Schwächlinge, die sich erst vollaufen lassen müßten, um etwas auf die Reihe zu bekommen. Keiner sonst sprach ein Wort. Und als wir gegessen hatten, verschloß Gerhard die Zelte und schlenderte los. Friedhelm und Peter folgten ihm schweigend mit einigem Abstand, und auch ich ging mit noch größerem Abstand hinter ihnen her. Dann lief alles genau nach Plan. Ich nahm mit mulmigem Gefühl in der Bootsspitze Platz. Die beiden Starken ruderten, Gerhard saß hinten, strahlend wie ein Honigkuchenpferd. Es dauerte nur ein paar Ruderschläge, bis er die ersten Mädchen ausfindig gemacht hatte. Friedhelm und Peter ruderten betont gelangweilt, ich planschte desinteressiert im Wasser, keiner sagte ein Wort. Schließlich kamen wir einem Boot mit zwei jungen Mädchen näher. „Hallo ihr zwei Hübschen!“ schrie Gerhard ihnen entgegen und schwenkte seinen Strohhut durch die Luft. „Was macht ihr beiden denn so allein auf dem Wasser?“ Wir ‚Schwächlinge’ sahen uns plötzlich an und verdrehten die Augen. Die Mädchen nahmen die Ruder aus dem Wasser. Eine legte die Hand über die Brauen und sagte: „Na wir rudern, was denn sonst.“ Gerhard gab den Befehl, unsere Ruder ins Boot zu legen und streckte seinen Arm zum anderen Boot hinüber. „Ganz schön anstrengend das Rudern für zwei Mädchen, was?“ „Ach, naja, es geht so. Seid ihr neu hier? Ich habe euch noch nie gesehen.“ „Ja, ja, wir sind gestern abend erst angekom¬men. Und, was läuft hier so?“ „Für uns eigentlich nicht viel. Mittwochs und samstags ist Disco, das ist alles.“ „Na wo nichts läuft, da müssen wir eben selbst was losmachen. Ich schlage vor, wir treffen uns heute abend vor unserem Zelt und feiern. Oder was meint ihr, Jungs. Habt ihr nicht auch Lust?“ Gerhard sah uns mit fragendem und gleichzeitig drohendem Blick an. „Ja, ja, klar doch“, stammelte Friedhelm und wurde rot. „Na toll“, freute sich Ger¬hard und strahlte. „Und ihr Mädchen? Wollt ihr nicht auch kommen?“ „Doch schon, gern. Warum eigentlich nicht? Bloß müssen wir erst unsere Eltern fragen.“ „Ach, was sollen die schon dagegen haben? Muß ja keine große Feier werden bis spät in die Nacht“, beschwichtigte Gerhard. „Wir werden nur zusammensitzen, plaudern und Musik hören. „Ja, ich denke auch, daß unsere Eltern kaum etwas dagegen haben“, sagte das Mädchen. „Und wer ist sie?“ wollte Gerhard wissen und zeigte auf die kleinere von beiden. „Das ist meine kleine Schwester. Sie ist sehr still und redet nicht viel. Aber von euch vieren kann ja auch nur einer sprechen.“ „Jawohl“, lachte Gerhard laut auf. „Das ist vielleicht ‘ne schüchterne Truppe, die ich da auf meinem Zimmer habe, das kannste aber wissen.“ Ich planschte weiter im Wasser. „Ach, ihr wohnt zusammen im Internat?“ fragte das Mädchen. „Ja doch“, lachte Gerhard, „wir sind Lehrlinge, das heißt, einige wollen es erst noch werden.“
Nun lachten beide Mädchen, und ich spürte, wie sie zu mir herüber schielten. „Und was lernt ihr?“ „Landwirtschaft mit Abitur“, antwortete Gerhard mit stolzer Brust. „Oh, mit Abitur. Ich will auch das Abi machen, aber ich bin erst in der Zehnten. Meine Schwester ist in der Neunten.“ „Na schön“, meinte Gerhard, „aber wollen wir besser nicht von der Schule quatschen! Wie heißt ihr?“ „Ich bin die Maria und meine Schwester heißt Kati. Und ihr?“ „Ich heiße Gerhard. Die beiden Starken an den Rudern sind Friedhelm und Peter. Und unser kleines Mäuschen da vorne heißt Max. Nun denn, un¬sere Zelte stehen gleich am Rande des Platzes neben dem Bootsverleih. Sagen wir heute abend 19 Uhr?“ „Ja, das ist gut.“ Gerhard stieß sich kräftig vom anderen Boot ab und gab Friedhelm und Peter einen Wink. Jetzt schien die Langeweile bei ihnen verflogen und sie ruderten wie besessen drauflos. Gerhard strahlte. Er nahm seinen Strohhut vom Kopf und verbeugte sich tief. „Na seht ihr, ihr Schwächlinge, wo war da nun das Problem?“ Friedhelm und Peter atmeten erleichtert auf. „Na und“, warf ich ein, „wie soll das weitergehen?“ „Oh Mäuschen, bist du endlich still! Du fliegst sonst noch ins Wasser. Laßt mich bloß in Ruhe machen. Ich komm’ schon zu dem, was ich will.“
Nachdem das Boot wieder festgemacht war, liefen wir eilig zu unseren Zelten zurück. „So, Jungs“, rief Gerhard, „jetzt beginnt Teil zwei meines Planes.“ Wir anderen sahen uns wieder in die Augen. „Nun gilt es, Ordnung zu schaffen!“ belehrte er uns. „Das imponiert Mädchen immer!“ „Wir sind nicht blöde, du Macho“, zischelte Peter verärgert. „Ach Peter, jetzt bloß nicht streiten“, besänftigte ihn Gerhard. Binnen kurzem erstrahlten die Zelte in neuem Glanz. Friedhelm und ich kümmerten uns um den Abwasch. Peter fegte, klopfte und bürstete durch die Zelte. Gerhard richtete den Partytisch her. Er gab sich erstaunlich viel Mühe und schuf vor den Zelten ein richtig gemütliches Plätzchen. Irgendwo kramte er eine Tischdecke hervor. Auch standen Kerzen auf dem Tisch. Und selbst der Schnaps sollte nicht wie gewöhnlich aus der Flasche getrunken werden, sondern aus kleinen Gläschen. Dann rannte er zum Kiosk, um einen süßen Likör zu kaufen, den von uns keiner trinken würde. Zurück kam er mit Likör, weißem Wein und einem Strauß Feldblümchen. Schnell verwandelte er ein Bierglas in eine Vase. Schließlich suchte er nach Kassetten mit der passenden Musik, wie er das nannte, lief dann mit dem Waschzeug zu den Duschanlagen. Und noch bevor die Uhr auf halb sieben ging, saß er in seinen besten Sachen am Tisch. Den Strohhut hatte er lässig zurück ins Genick geschoben. Seine roten Bäckchen glühten feurig. Um ihn herum verjagte eine Wolke aus klebrig süßem Duft jede Mücke. Im Gesicht knisterte förmlich die freudige Erwartung. Wir anderen sagten besser nichts dazu, waren uns im Stillen aber einig darüber, daß wir die Sache für etwas übertrieben hielten.
Bei uns belief sich der Aufwand an Herrichtung nur auf ein Bruchteil von dem, was Gerhard sich angetan hatte. Ich wühlte eine saubere Jeans und ein T-Shirt aus dem Rucksack. Sprühte mir etwas Deo unter die Achseln und kämmte mein Haar. Das mußte reichen. Schließlich erschien ich nicht als Hauptakteur in diesem Theaterspiel. Friedhelm, Peter und ich beschlossen, die verbleibende Zeit nicht mit herzzerreißendem Warten zu verbringen und sinnlos auf dem Stuhl hin und herzurutschen; wir spielten eine Runde Skat. Da flippte unser Macho dann völlig aus, denn Skatspielen paßte gar nicht in seinen Plan. Die Mädchen würden sofort wieder davonlaufen, wenn sie uns hier beim Kartenspielen sitzen sähen. Mädchen wollten, daß man auf sie wartet und daß man es kaum noch ohne sie aushielte. Uns war das nun wirklich zu viel und wir lehnten sein Rumgebrülle als Quatsch ab. Da keine Einigung zustande kam, zogen wir uns vom Tisch zurück und spielten verärgert im Zelt auf einer Luftmatratze. Gerhard forderte, daß wir uns kurz vor 19 Uhr wieder zurück an den Tisch setzen müßten, um dann Maria und Kati zu erwarten.
Schon von weitem sah ich die beiden Mädchen über den Zeltplatz kommen, sie trugen weiße Blusen und helle Röcke. Irgendwie erschienen sie verändert, und ich wurde mir immer sicherer, je näher sie kamen. Als sie sich setzten, bemerkte ich, daß ihre langen schwarzen Haare sich in unendlich vielen Locken kräuselten. Das taten sie am Nachmittag auf dem Boot noch nicht. Auch fiel mir auf, daß sie ihre Lippen mit einem kräftigen Kirschrot bemalt hatten und daß die Lider leicht bläulich schimmerten. Es gefiel mir und ich sah erst jetzt, wie hübsch die beiden waren, die sich zudem sehr ähnelten. Gerhards schwerer Duft war mit einem Male wie weggeblasen und wurde von einem leichten und lieblichen ersetzt. Das stimmte mich nun friedlicher und ich nahm sicherheitshalber einen kräftigen Schluck Bier. Obwohl uns Gerhard zuvor eindringlich ermahnt hatte, heute einmal mit dem Biertrinken maßzuhalten, denn andernfalls könnte es die Mädchen verschrecken. Brav stellte ich also das Bierglas auf den Tisch zurück und faltete meine Hände in den Schoß. Gerhard erzählte drauflos. Wir anderen kamen überhaupt nicht zu Wort. Doch störte mich das kaum, weil ich bei fremden Mädchen sowieso nicht gewußt hätte, was ich sagen sollte. Vielmehr ärgerte ich mich, was Gerhard ihnen für Märchen erzählte. Ich dachte mir im Stillen, ob sie wohl wirklich so naiv waren und das alles glaubten. Gerhard fühlte sich sichtlich wohl in sei¬ner Rolle als Held. Und auch den Mädchen schien es zu gefallen, ob sie nun die Geschichten glaubten oder nicht. Jedenfalls warfen sie oft ihre schönen Locken durch die Luft und lachten. Irgendwie war ich überwältigt von dem Geschick, mit welchem Gerhard die ganze Mädchensache von Anfang an im Griff hatte. Und in mir erwachte leiser Neid.
Mich überkam ein Gefühl der Schwäche und des Unterlegenseins, weil ich es so nie fertigbrächte. Die kleine Kati trank Wein und die ältere Maria vom süßen Likör. Ihnen gefielen die Blümchen auf dem Tisch. Sie suchten die schönsten heraus, rochen an ihnen und steckten sie sich zwischen die schwarzen Locken. Die untergehende Sonne, der Schein der Kerzen und die zarten Klänge der Musik tauchten das Ganze in ein paradiesisches Licht. Und alles hatte Gerhard vorher gewußt, alles hatte er so geplant, alles lief auch in Wirklichkeit so ab. Nachdem Gerhards erster Redeschwall zu Ende war, löste sich auch bei Friedhelm und Peter langsam das Schweigen, und sie stammelten verlegen hier und da einen Satz hervor. Ich hielt es immer noch für besser, die Sache lieber schweigend aus der Ferne zu betrachten, lehnte mich tief in den Campingstuhl zurück und nippte genüßlich an meinem Bier. Ich beobachtete die zwei ganz genau. Hielt mich mit meinen Blicken aber zunehmend bei Maria auf, weil ich sie für die hübschere von bei¬den hielt. Ich war fasziniert von ihren langen, schwarzen Locken, von ihren roten Lippen und von ihren blauen Augen mit dem bläulichen Schimmer der Li¬der. Auch ihre kleine, feste Gestalt, an der jede Rundung stimmte, reizte mich. Nur eben die Sprache mochte so gar nicht zu ihr passen. Maria und Kati kamen aus dem tiefsten Sachsen. Aber eigentlich konnte mir das egal sein, und ich belächelte immer häufiger ihre seltsame Wortwahl. Manche Wörter kannte ich gar nicht und fand sie sehr lustig. Maria bemerkte, daß ich sie beobachtete. Wenn mich plötzlich ihr Blick traf, glotzte ich schnell und unschuldig in mein Bierglas. Ihr gefiel diese Spielerei. Vielleicht sogar zu sehr, denn Gerhard redete sich nun schon Fransen an den Mund, ohne daß Maria darauf zu reagieren schien. Doch war Gerhard viel zu erfahren, als daß er nicht mitbekam, wie die Spannung wich. Kurz entschlossen änderte er seine Taktik und erfaßte mich als neues Objekt. Plötzlich drehte sich alle Schwätzerei nur noch um mich. Und dabei konnten auch Friedhelm und Peter gut mithalten. Sie breiteten all meine Geschichten, die ich mir bisher an der Schule geleistet hatte, vor Maria aus. Natürlich nicht ohne die entsprechenden Übertreibungen. Ihr gefiel das und sie hätte davon gar nicht genug kriegen können. Doch plötzlich haute Gerhard mit seiner Faust auf den Tisch, daß das Bier aus den Gläsern zu schwappen drohte. Alle sahen ihn erschrocken an und wurden still. Dann sprach er mit lachender Stimme: „So, Kinder, für heut’ ist’s genug! Es ist dunkel und die Zeit ist ran. Friedhelm, Peter und ich gehen jetzt zum Nachtangeln. Maxi und Maria können ja noch ein bißchen sitzen bleiben. Und die kleine Kati muß wohl langsam ins Bett.“ Friedhelm und Peter begrüßten diese Idee sehr und sprangen sofort zu den Angelsachen. Ich sah Gerhard verstört an und meinte: „Was um Himmels willen ist Nachtangeln? Davon habt ihr noch nie etwas erzählt. Und warum soll ich nicht mitkommen?“
„Oh Mäuschen, du weißt ja nicht einmal, was Tagangeln ist, wie willst du dann Nachtangeln kennen? Außerdem hast du kein Angelzeug“, antwortete Gerhard mit ern¬ster Stimme. Ich schüttelte den Kopf „Nein, Angelzeug habe ich keins.“ „Naja, siehst du! Außerdem kannst du Maria nicht allein lassen“, warf Peter ein. Ausgerechnet Peter, wo von ihm tagelang kein Wort zu hören war. „Eh, Maxi, laß die Nachtangeln gehen, oder wie das heißt, wir machen es uns hier schön gemütlich! Oder?“ Maria legte ihre Hand auf meine Schulter. Ich sah sie an, konnte aber nichts sagen. Ich wollte wieder nach Gerhard und den anderen sehen, doch die waren schon samt Angelzeug im Dunkel verschwunden. Maria schickte ihre kleine Schwester zu den Eltern zurück. Kati wehrte sich dagegen und wollte noch bei uns bleiben. Erst als Maria die Kleine mit drohender Stimme an¬schrie, stand Kati zögerlich auf und verschwand bockigen Schrittes. Mir schoß das Blut in den Kopf, ich wußte nicht, was ich mit Maria allein anfangen sollte. „Du willst wohl nicht mit mir allein sein?“ fragte mich Maria direkt und mit traurigem Unterton. „Ich - nein, nein, wie kommst du denn darauf? Natürlich bin ich gern mit dir allein. Ich war nur ein bißchen sauer auf die anderen, weil sie mir nichts vom Nachtangeln erzählt haben. Und eigentlich erzählen wir uns immer alles, weißt du.“ Marias rote Lippen lächelten mich an. „Ja, ich weiß“, hauchte sie zärtlich und streichelte mit ihren Fingern über meinen Mund. „Möchtest du noch einen Likör?“ fragte ich sie mit heiserer Stimme und mußte kräftig schlucken. „Nein“, flüsterte sie und küßte flüchtig meinen Mund. Streckte dann ihre Arme weit von sich und meinte: „Mäuschen, zeig mir bitte, wo du schläfst, ich möchte mich hinlegen, es war wohl ein Likörchen zu viel!“ „Du - möchtest dich hinlegen?“ Ich spürte, daß ich rot wurde und stammelte: „Naja klar, laß uns ins Zelt gehen, hier draußen kommen jetzt sowieso die Mücken.“
Ich führte sie in meine Schlafkabine, die ich eigentlich mit dem schnarchenden Friedhelm teilte. Maria streckte sich auf meiner Luftmatratze aus, um sich sogleich wieder zusammenzuziehen und unter der Wolldecke zu verschwinden. Sie sah wunderschön aus, als sie so dalag. Ihr kleiner heller Kopf mit dem kirschroten Mund lag weich gebettet in ihren schwarzen Locken. „Du mußt das Zelt noch zumachen, Maxi, sonst kommen die Mücken rein! Ach, und besser noch, daß du auch gleich das Gaslicht löschst, wegen der Mücken, meine ich.“ „Aber, Maria, dann ist es doch völlig dunkel.“ „Ja, na und? Hast du Angst im Dunkeln?“ „Ach, Quatsch“, gab ich mich mutig, „ich meinte ja nur...“ Dann hielt ich den Mund und tastete mich wieder zurück zur Schlafkabine. Vorsichtig schloß ich die Zeltbahn und legte mich artig, doch jagenden Herzens neben Maria. „Du Maxi“, flüsterte sie leise. „Ja, was ist?“ flüsterte ich zurück. „Du gefällst mir von all denen am besten. Gefalle ich dir auch ein bißchen?“ Mein Herz schien sich jetzt überschlagen zu wollen und nachdem ich kräftig geschluckt hatte, antwortete ich leise: „Ja, Maria, du gefällst mir - sehr sogar!“
Sie richtete sich etwas auf und beugte sich über mich. Ihre Lippen schmeckten süß, die Haare verhüllten mein Gesicht. „Sag Maxi, hast du es schon mal gemacht?“ „Was denn gemacht?“ fragte ich mit unschuldiger Stimme. Maria lächelte und ihr heißer Atem wehte mir übers Gesicht. Schon küßte sie drauflos, ohne das Lachen zu verlieren. Ein Lachen, mit dem Klang des Hochmuts und der Überlegenheit, untermalt vom leisen Zit¬tern der Lust. Ihre wildgewordenen Hände zerrten mir die Sachen vom Leibe, und sie ließen auch keine Zeit gelten, in der ich schüchtern Knopf um Knopf ihrer Bluse zu öffnen suchte, als daß sie es besser selbst mit der ihnen gewohnten Eile vollzogen. Nun kam die weiche Masse ihres Leibes, um mich zu verschlingen, mit einer Heftigkeit des Verlangens, daß ich mich willenlos unter ihren Schoß vergraben ließ. Ich hielt mich gehorsam wie ein Kind - still und all ihren Weisungen folgend. „Mehr rechts, noch weiter rechts, kräftig, aber nicht so schnell!“ jammerte Maria. Kein Gefühl schien mir mehr im Leibe zu sein, kein rasendes Herz und kein Schwitzen meiner Haut, nur ein heißes Brennen überall und doch spürte ich nicht wo. Dann das zitternde Flehen in meinen Ohren: „Du wirst schön aufpassen, mein Kleiner, ja, schön aufpassen wirst du, dein Mariechen nimmt noch nichts dagegen. Schön aufpassen wird mein Kleiner.“ Ich nickte und preßte ein langes „Jaaaa“ zwischen meine Lippen. Aber noch bevor es verhallte, lag ich still. Ich spürte die Hitze meines Körpers und die Schwere meines Atems. Auch Maria lag ruhig auf mir ausgestreckt. Noch immer zog das leise Stöhnen ihres Mundes über mein Gesicht. Ein Weilchen später verstummte es ganz. Stille füllte den Raum. Völlige Stille. Draußen säuselte der Wind ums Zelt. Vom See kam das sanfte Rauschen der Wellen herüber. Plötzlich zuckte Maria hoch. Ein lauter Schlag und ich spürte ein schmerzliches Brennen im Gesicht. „Ich hab’ dir doch gesagt, du sollst aufpassen, du Idiot!“ schrie Maria. Sofort sprang sie auf, schnappte die Decke und rieb sie sich zwischen den Beinen. „Mensch, Max, ich will doch nicht schwanger werden!“ Ich sagte kein Wort. Das Blut jagte mir durch die Adern und ich fühlte mich schuldig. „Ich wollte das nicht“, zitterte es über meine Lippen. „Naja, du wirst es lernen“, sagte sie gutmütig und suchte ihre Sachen zusammen. „Und sei nicht so verdammt schnell! Da kann doch kein Mensch mithalten.“ Ich wußte nicht, was sie wollte, antwortete aber sicherheitshalber mit einem kräftigen „Ja“. „Nun zieh dich an, Max, es ist spät, und ich müßte längst zu Haus sein!“
Ich lief mit Maria über den Zeltplatz. Der fahle Schein des Mondes ließ uns den Weg erkennen. Vom See kam ein frischer Wind herüber und kroch unter die Kleider. „Sehen wir uns morgen?“ fragte Maria. „Ja, natürlich“, antwortete ich kurz. Der Wohnwagen ihrer Eltern stand still und dunkel. „Also, morgen nach dem Mittagessen, Max.“ Maria küßte flüchtig meinen Mund, drückte fest meine Hände und verschwand in der Tür.
Ich schlenderte langsam über den Platz. Mein Kopf dröhnte und ich atmete tief die frische, kühle Seeluft. Es war alles so furchtbar schnell gegangen, und ich verstand nichts. Als ich wieder ans Zelt kam, waren die anderen vom Nachtangeln zurück, lagen auf den Luftmatratzen und schliefen. Es wunderte mich, daß sie gerade in den fünf Minuten zurückgekommen waren, in denen ich Maria zum Wohnwagen gebracht hatte. Ich kroch in meine Schlafkabine. Noch immer lag Marias Geruch in der Luft. Doch neben mir schnarchte Friedhelm. Und mir schien es, als sei alles nur ein wunderschöner Traum gewesen, der sogleich einen unheimlichen Schauer in mir ausbreitete.
Als mich die gnadenlose Sonnenhitze aus meinem Schlaf weckte, war ich allein im Zelt und hörte Gerhard draußen seine neuen Pläne verkünden. Verschlafen und mit knurrendem Magen setzte ich mich zu ihnen an den Frühstückstisch. Gerhard griente und drohte vor Erwartung zu platzen. Peter grinste wie gewöhnlich und Friedhelms Kopf leuchtete rot. „Was glotzt ihr mich so blöde an? Habt wohl gleich ‘nen ganzen Eimer Aale gefangen, was?“ fragte ich hämisch. „Nein, nichts haben wir gefangen“, meinte Friedhelm, „sie wollten einfach nicht beißen.“ „Das tut mir leid.“ „Aber, Maxi, das braucht dir doch nicht leid zu tun“, freute sich Gerhard und versuchte seine Neugier im Zaum zu halten. „War wohl gestern eine anstrengende Nacht für dich, Max? Du hast ja heute morgen noch geschlafen wie ein Toter“, prustete er nun doch heraus und war kurz davor, die Kontrolle über sich zu verlieren. „Quatsch, was sollte Anstrengendes gewesen sein?“ fragte ich gleichgültig. Nun konnte er sich nicht mehr halten und lachte lauthals los. Auch Friedhelm und Peter feixten. Im ersten Moment begriff ich nicht, was los war und mußte auch lachen. Dann aber sagte Gerhard, vom ständigen Kichern unterbrochen und sich die Lachtränen aus den Augen wischend: „Oh Mäuschen, nach deinem Theater wäre ich auch halb tot gewesen. Wenigstens das Zielen hätte ich dir zugetraut. Aber du weißt ja nicht einmal, wo rechts und links ist. Dann rammelst du los, schneller als ein Kaninchenbock, um zum Schluß noch eine Ohrfeige einzufangen. Peinlich, peinlich, mein Kleiner.“ Alle drei setzten sie wieder zu einer kräftigen Lachparade an. Diesmal jedoch konnte ich nicht mehr mitlachen, und ich merkte, daß ich rot wurde. „Hach, hach, hach...“, stotterte ich getroffen. „Das war also euer Nachtangeln. Hinterm Zelt stehen und spannen.“ „Paß mal auf, du kleiner Karnickelbock“, schrie Gerhard jetzt plötzlich böse, „sei froh, daß wir dir so schnell das Feld geräumt haben und dich beinah noch zu deinem Vergnügen zwingen mußten, wenn du dich so schüchtern hast.“ „Trotzdem, Gerhard, hinterm Zelt stehen und zuhören, ist nicht gerade die feine Art“, hielt ich dagegen. „Alles hat seinen Preis, Max! Und nun spiel hier nicht den Beleidigten! Oder willst du uns den Urlaub versauen? Naja, und was die Schwängerei betrifft, so kannst du beruhigt sein. Bei einem Mal passiert noch nichts.“

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 15.10.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
meinem Vater

Nächste Seite
Seite 1 /