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Wann lassen wir los?
I

In unserem Leben gibt es so viele Dinge die geschehen, es ist das Leben, das uns jede Sekunde widerfährt.
Wir treffen Menschen und treffen Entscheidungen. Wir gehen, atmen und lieben.
Doch wann lassen wir eigentlich los? Wann beginnen wir wirklich, loszulassen, wenn wir durch Umstände dazu gezwungen werden?

Der Tod, zum Beispiel, das Klassischste von allen. Erst der tiefe Schock, unbedeutend wie erwartend gekommen, und dann diese andere Welt in die wir verfallen, als wäre sie stets nur Millimeter von unserem Sein und Leben entfernt. So nah, so dunkel, so wenig und doch so unglaublich hilfreich. Und dieser Kloß in unserem Hals scheint uns die Luft zu nehmen. Wir weinen und weinen oder schweigen einfach nur.

Wir fühlen wie alles zerbricht. Wir glauben es geht nie vorbei. Die Zeit verbleicht, verschwimmt, existiert nicht. Vielleicht fragen wir uns manchmal, wann den bloß die letzte Woche vorbei gegangen ist. Der letzte Monat, das letzte Jahr. Es ist ein Kampf gegen und um jeden Atemzug. Ein Kampf den wir einfach nur kämpfen, weil unser Sein, dass Blut und jeder Herzschlag uns dazu zwingt. Da werden Worte einfach nur zu Worten, hohl, egal über wessen Lippen sie gekommen sind. Da werden Umarmungen zu lästigen Betatschungen, egal wer es ist, dessen Arme sich um uns schlingen. Wir wollen nicht, doch, wir atmen, wir reden, wir antworten, wir werden und umarmen selbst.

Und dann, da wachen wir auf und es ist nicht mehr alles dunkel, unsere so eigene Welt, ist wieder um die paar Millimeter zurück gewichen, immer noch bedrohlich nah und dennoch gewichen. Tage werden wieder zu Tagen, Monate zu Monaten. Jahre werden wieder zu Jahren. Die Zeit bekommt Bedeutung, denn mit ihr, durch sie und nur durch sie, leben wir wieder. Es ist das Leben.
Doch wann lassen wir los? Wann lassen wir jemanden wirklich gehen? Ob nun gestorben oder gegangen, mit Gebrüll oder ohne. Wann und doch vor allem wie, können wir gehen lassen, sterben lassen, leben lassen.
Beziehungen, ob gut oder schlecht, Trennungen in unserem und in dem Leben unserer Freunde sind stets nur zu allgegenwärtig. Sie sind da, lauern klammheimlich in den Köpfen und oft überraschen sie dich aus dem Hinterhalt. Doch wann, ob wir nun verlassen oder selbst die Tür schließen, lassen wir los?
Ist es der Moment in dem die Person nicht mehr ständig in unserem Kopf zu uns spricht? In der wir uns kein Gespräch ob laut oder leise mehr ausmalen? In der wir, ob tot oder lebendig, nicht ständig hinterfragen was sie tut? Ist es der Moment, indem man endlich über erlebtes lächeln kann? Der Moment in dem wir fast fühlen können, dass der Mensch uns ganz nah ist, ob dunkler Schatten oder süße Erinnerung? Oder doch der Moment nach dem Sturm, indem man zur Ruhe kommt und nichts mehr fühlt? Indem man sich darauf besinnt wer und was man ist, was einem früher Spaß und Freude gebracht hat? Der Moment indem alles wieder anfängt den gewohnten, so verhöhnten und doch so wertvollen, Alltag zu verschwinden? Oder beginnt man hier doch erst zu leben?
Lassen wir am Grab los? Beim letzten Kuss? Nach dem letzten Blick?
Oder ist es vielmehr so, dass wir erst loslassen, wenn wir auf keine durch das Schicksal geöffnete Tür mehr hoffen können.
Als allerletztes, stirbt die Hoffnung. Und wenn sie stirbt, ist das dann loslassen?
Oder überleben wir nur? Resignieren?

Ist „loslassen“ am Ende nicht mehr, als bloßes Überleben?


II

Jemand fragte einst, ob wir wirklich loslassen. Ob alles nicht nur der Äußere Schein sei, ob wir nur lernen, mit jeder Erfahrung und mit jedem unsäglichen Loslassen, zu leben, jedoch niemals gehen, niemals wirklich loslassen? Niemals danach wieder so frei atmen, wie wir es zuvor getan haben.
Ist loslassen vielmehr nur ein Wort? Oder ist es eigentlich nur das, was wir tun weil alle, weil wir selbst es erwarten?

Es ist der Schock, es ist der Schmerz. Es ist das Gefühl der Leere, gefüllt von Buchstaben über Buchstaben die letztendlich Worte ergeben, die wiederum zu bohrenden Fragen werden. Sie füllen deinen Kopf, sei es das schmerzliche Warum? Oder das so verhasste und doch so menschliche Was hätte ich tun können? Sie sind da, und erschweren alles. Sie machen es dir unmöglich, zu tun was zu tun von uns verlangt wird oder aber was wir selbst tun wollen.
Wir sind heute darauf programmiert zu funktionieren, klar wir dürfen traurig sein, betrübt und gebrochen.
Aber alles hat heute eine zeitliche Begrenzung. Wie lange wir Beziehungen führen, wie lange wir Kinder sind, wie lange wir Trauern. Und seien wir ehrlich, irgendwann während wir Trauern, wird uns bewusst, dass es Zeit sein muss, wieder auf die Beine zu kommen. Es ist nicht die Frage ob wir schon dazu bereit sind, ob wir es schon können, es überhaupt jemals können werden, wir haben gefälligst weiter zumachen. Wir haben weiter zu machen, zu leben, zu handeln. Wir haben zu leben.
Genauso verhält es sich doch mit dem Loslassen. „Du kommst schon darüber hinweg“ oder „du musst loslassen“, nette Sätze, die lediglich bedeuten „reiß dich gefälligst zusammen! Und zwar je schneller desto besser.“
Und genau solche Sätze bringen uns dazu, schneller und besser zu werden, schneller und besser im „wir-tun-mal-so-als-wären-wir-Gedanken-nicht-mehr-dort“.
Das Äußere erscheint wieder gesund und heil, quasi wie eine wunderschöne Vase. Außen schön und innen, tja, innen leider völlig leer.
Es ist und bleibt dann nichts als der Schein, der Schein es ginge uns gut, denn das Leben aller anderen um uns herum geht weiter, während wir irgendwo stehen geblieben sind, als hätten wir vergessen, wie man seine Füße bewegt. Wir tun also so, als würden wir mit ihnen wandern, laufen, hetzen. Und so wird jedes Loslassen zu einer Sache die nur begrenzte Aktualität haben darf, bitte, trauere, aber bloß nicht zulange. Bitte, krieg es auf die Reihe.

Loslassen, nach außen und nach innen, zwei Dinge die auf dasselbe zurückgehen und doch so unterschiedlich sind wie Tag und Nacht. Wie können wir heute ehrlich loslassen, wenn wir doch so dazu gezwungen sind, es möglichst schnell zu tun?
Und wie können wir noch unterscheiden zwischen „Ich habe ehrlich und wirklich losgelassen“ und „Habe ich wirklich losgelassen oder musste ich mich irgendwann dazu entscheiden?“ Wie können wir bei diesem Wirrwarr und all den Erwartungen wirklich noch einschätzen, was wir wann wie und warum entschieden haben? Und ob wir überhaupt jemals loslassen können? Und wer hat entschieden, dass wir das eigentlich müssen?

Haben wir losgelassen? Oder ist jegliches Handeln nicht nur das Überleben an sich, sondern nur noch der Schein, dass wir auch ja losgelassen und damit abgeschlossen haben?

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.04.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
danke an Inga, Liza & Anni, dafür, dass ihr mich liebt.... In Gedenken an H.W. & B.J.

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