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Prolog


Eine kühle Brise wehte ihr sanft ins Gesicht, umspielte ihr Haar, trocknete ihre Tränen. Obwohl sie wusste, dass sie nicht mehr lange leben würde, verspürte sie ein letztes Mal ein Gefühl der Freiheit.
Freiheit... Wie oft hatte sie davon geträumt. Frei von sämtlichen Zwängen ihre eigenen Entscheidungen treffen zu können. Eine Möglichkeit, die sie nie hatte. Ihr ganzes Leben war vorbestimmt. Mit nur fünf Jahren wurde sie, wie jedes andere Kind, in ein Lager gesteckt. Lager, die einzig und allein den Zweck hatten, die jungen Menschen auf ihre wahre Bestimmung vorzubereiten. Den Jungen wurde schon früh vermittelt, wie man kämpft. Einfache Kampfpraktiken, die mit forgeschrittenem Alter verfeinert wurden. So war jeder der Jungen am Ende seiner Ausbildung eine Kampfmaschine. Die Schwachen wurden schon vorher ausgesiebt und größtenteils ermordet. Nur die starken Männer waren in der Lage, das Vaterland bis auf den Tod zu verteidigen. Und letzten Endes wartete auf jeden der frühe Tod, nur wenige Männer erlebten ihren 25. Geburtstag.
Die Mädchen erfüllten ihre Aufgabe größtenteils hinter dem Herd. Oder als Krankenschwester. Egal, welche Aufgabe man zugeteilt bekam, man musste für das Wohl der Männer sorgen, die nach ihrem Einsatz an der Front nach Essen verlangten, deren Wunden versorgt werden mussten. Auch körperliche Bedürfnisse mussten die Frauen stillen. Das war ihre Aufgabe. Wer sich dagegen sträubte, wurde aussortiert.
Wie Mädchen Nummer TR#2256. Für den Staat waren sie nur Nummern, simple Objekte, die ihren Job zu erfüllen hatten. In Wahrheit hieß Tiara, der Name, den sie von ihren Eltern bekommen hatte. Ihren Namen behielt sie für sich, niemand kannte ihn. Und sie würde ihn auch mit ins Grab nehmen.
Tiara war erst vor kurzem 14 Jahre alt geworden, ihre Ausbildung war abgeschlossen. Sie wurde an die Front versetzt und hatte ihren Job zu erfüllen. Kochen, Wunden verarzten, sie nahm es hin. Als sich jedoch am Vortag dieser riesige Lüstling mit seinem verschwitzten Körper vor sie stellte, sie festhielt und ihr mit einem wahnsinnigen Blick zu verstehen gab, dass er ihren Körper wollte, wurde ihr es zu fiel. Tiara schrie, schrie solange, bis die Wachen kamen. Sie wurde geschlagen, ausgepeitscht und gequält, um ihren Willen zu brechen. Doch dieser war zu stark. Tiara hatte sich geschworen, sich nicht den Männern hinzugeben, wie eine billige Trophäe, die jeden Tag in eine andere Hand gereicht wird. Also musste sie mit den Konsequenzen leben.
Für den Staat war sie nun unnütz. Aufsässige konnte man nicht gebrauchen, der Nachschub an neuen, gehorsamen Frauen war stets gewährleistet. So wurde sie schwer verwundet, gefoltert, gequält. Ihre Wunden waren so groß, dass sie sterben würde. Ihr Körper wurde in der nahen Wildnis ausgesetzt, der nahende Tod war unausweichlich. Ob sie nun von Tieren gefressen wurde oder an ihren Wunden erlag, das spielte keine Rolle mehr. Im Krieg sind alle Regeln der Menschlichkeit außer Kraft gesetzt. Im Krieg zählen nur Loyalität, Einsatz und Kampfeswille. Wer nicht mitzog, war verloren. So wie Tiara. Sie dachte noch einmal an die Grausamkeit, die der Krieg mit sich brachte. Grausamkeit, die die Menschheit schon in ihrer früheren Geschichte bedrohte, sämtliche Völker gegeneinander aufbrachte und nichts als Wut und Verzweiflung hinterließ.
Der Augenblick war gekommen. Eine letzte Träne kullerte über Tiaras Wangen. Sie betete und hoffte inständig, dass der Menschheit wieder bessere Zeiten bevorstünden. Doch das war nur ein Wunschdenken. Der Wind wehte ihr ein letztes Mal ins Gesicht, ließ sie ein letztes Mal aufatmen, ehe ihr Körper nachgab und in sich zusammensackte. Der letzte Funken Leben war aus ihren sterblichen Überresten gewichen.

Habt ihr denn nichts aus der Vergangenheit gelernt?



Impressum

Texte: Kevin Hildebrand
Tag der Veröffentlichung: 21.11.2012

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