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Kapitel 1: Mondschein


Langsam öffnete er seine Augen, während seine Schläfen unaufhörlich im Takt seines Herzens pochten. Stets derselbe, tödlich schnelle Rhythmus, der ihm seine Gesichtszüge vor Schmerz zusammenzucken lässt. Wie lange er hier schon lag? Gute Frage. Wie er an diesen Ort kam? Ebenfalls keine Ahnung. Wo er überhaupt war? Wenn er das nur wüsste! Seine letzten Erinnerungen schienen in ewig weiter Ferne, je mehr er versuchte, darüber nachzudenken, desto schneller verschwammen sämtliche Bilder in seinem Kopf zu einer undefinierbaren Masse aus Farben. Farben, die seine Schmerzen weiter verstärkten.
Er beschloss für sich, gegen den Schmerz anzukämpfen. Unaufhörlich und wie ein Blitz durchfuhr es ihn immer wieder, er überlegte sich, ob dieser Schmerz überhaupt noch länger auszuhalten sei. Doch eines ließ ihm trotz aller Schmerzen keine Ruhe: Der Mond. Minutenlang starrte er schon in den Himmel, begleitet vom trommelähnlichen Hämmern direkt über seinen Augen. Er fühlte sich die ganze Zeit, als würde ihm in den nächsten Minuten der Kopf platzen, einfach zerbersten, da er dem Druck des enormen Pochens nicht mehr standhalten konnte, doch dieser Mond, so voll und friedlich wie er über ihm stand, beruhigte ihn.
Minuten verstrichen, während er einfach nur auf den Mond starrte. Die anfänglichen Fragen, die ihm durch den Kopf schwirrten und seine Situation erklären sollten, rückten immer weiter ins Hintertreffen. Er wollte einfach nur seine Schmerzen abstreifen und wieder klar denken können. Langsam schien es, als würden seine Schmerzen verblassen. Vielleicht bildete er sich das auch nur ein, aber egal, wichtig für ihn war nur der Glaube daran, dass es ihm schon bald besser gehen würde. Bald hätte er keine Schmerzen mehr, und wenn er das nächste Mal seine Augen öffnet, sieht er den vertrauten Anblick seines kleinen, aber dennoch gemütlichen Schlafzimmers in seiner ersten eigenen Wohnung, sein ganzer Stolz. Das Pochen verblasste, sein Herz schlug immer langsamer, sein Puls beruhigte sich und der Mond stand in seinem vollen Glanz über ihm. Allein der Gedanke an sein Bett ließ ihn Müde werden, sämtliche Warnungen seines Verstandes, nicht einzuschlafen, ignorierte er guten Gewissens. Letzen Endes war es nur der Mond selbst, der zusah, wie ein Mann, blutüberströmt und vor Schmerzen leidend, langsam in den Schlaf sank. Ein Anblick, der jedem das Blut in den Adern gefrieren lassen würde. Eigentlich, denn selbst dieser Mann sah im hellen, sanften Mondlicht fast schon friedlich aus. Friedlich... Wäre da nicht der 28. Juli 2011, ein Tag, der das Leben dieses Mannes grundlegend verändert hat. Doch selbst er wusste zu diesem Zeitpunkt nicht im geringsten, was ihm erst kürzlich wiederfahren ist. Die grausame Wahrheit sollte jedoch nicht mehr lange vor ihm verborgen bleiben.

Kapitel 2: Blut


Wenige Minuten, nachdem ihn der Mond in einen kurzen und unruhigen Schlaf gleiten ließ, erwachte er. Geschätzt schlief er nur wenige Minuten, jedoch zitterte sein ganzer Körper, kaum in der Lage zu verarbeiten, was ihm in seinen Träumen geschehen ist.
Stück für Stück setzte sich in diesen Minuten alles zusammen, was seinem Gedächtnis vorher entfallen war. Die vorher nur undeutlich zu erkennende Masse an Erinnerungen wurde immer klarer, Stück für Stück setzten sich neue Bilder zusammen. Am Ende ließ ihn die unheimliche Geschichte, die ihm sein Kopf lieferte, aufwachen.
Und da saß er nun ein alleine auf der Straße, Marcus Scott, 22 Jahre alt und leichenblass. Sämtliche Gedanken an sein warmes Bett, welche ihn vor wenigen Minuten noch in den Schlaf sinken ließen, waren wie weggeblasen.
Marcus beschloss, schnellstmöglich zu handeln. Er stützte seine rechte Hand auf den Boden und versuchte sich langsam aufzurichten, als er vor Schock fast sein Gleichgewicht verlor. Mit einem Blick auf seine rechte Hand wurde ihm klar, dass sein Traum wohl deutlich näher an der Realität seien würde, als er sich erhoffte. An jener Hand zeichnete sich ein Rinnsal aus Blut ab, welches durch seinen kurzen Schlaf jedoch schon leicht angetrocknet war. Inständig hatte er gehofft, ihm sei nur ein Alptraum wiederfahren, jedoch verabschiedet er zu diesem Zeitpunkt sein Wunschdenken. Dafür war seine Situation zu merkwürdig, eindeutig. Sein Herz begann wieder zu pochen und der Schmerz fuhr ihm erneut durch die Schläfen. Bevor er einschlief dachte er nicht, dass er in seinem Leben je einen solchen Schmerz gespürt hatte, doch auch diese Überlegung löste sich nun in Luft auf. Sekunden, nachdem er eben noch völlig desillusioniert seine rechte Hand betrachtet hatte, war der Schmerz wieder da, und diesmal schlimmer als zuvor.
Marcus hatte jedoch keine Zeit mehr, sich um seinen Körper zu kümmern. Er wollte auf die Beine kommen und seine Umgebung untersuchen, Anhaltspunkte finden um in Erfahrung zu bringen, in welcher Lage er sich wirklich befand. Und vor allem wollte er herausfinden, ob ihn sein Unterbewusstsein mit den Ereignissen aus seinem Traum nicht doch einfach nur auf eine falsche Fährte locken wollte. Vielleicht war das Blut einfach von einem Unfall, eine Schnittwunde vom Kochen, dachte er sich, und Marcus malte sich aus, wie er langsam wieder Richtung Heimat stapfte. Er beschloss, den kompletten Abend aus seinem Gedächtnis zu streichen, wenn das Blut an seiner Hand, eventuell die kleine Schnittwunde vom Kochen, seine einzige Sorge für heute bleiben würde. Aber um das herauszufinden, musste er endlich auf die Beine kommen.
Erneut setzte Marcus seine rechte Hand auf den Boden, mit aller Kraft schaffte er es, sich aufzurichten. Sein Körper jedoch war in einem miserablen Zustand. Das Aufstehen hatte ihn mehr Energie gekostet als vermutet, weshalb Marcus nicht sicher stehen konnte. Stattdessen taumelte er wild umher, ehe er eine rettende Wand erreichte, an der er sich abstützen konnte. Ansonsten hätte er wohl wieder am Boden gesessen, wenige Meter von der Stelle entfernt, an der er eben wieder aufwachte.
Sein Herz pochte weiter unermüdlich, während Marcus, nun mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, seinen Körper betrachte. Im Endeffekt war er sich nicht sicher, welcher Schock der größere war. Auf der einen Seite die Tatsache, dass er nicht früher bemerkte, wie schrecklich er aussah oder andererseits die Verzweiflung, nicht zu wissen was ihn in diese Situation gebracht hatte.
Langsam begann er, seinen Körper zu mustern. Schuhe hatte er keine mehr an, und seine Jeans hing in groben Fetzen an seinen Beinen herunter, zumindest der Teil, der von seiner Hose überhaupt noch übrig war. Auch sein T-Shirt war nicht besser dran. Der ehemals weiße Stoff war fast durchweg blutrot gefärbt, nur vereinzelt ließen sich noch geringe Buchstaben des Schriftzugs erkennen, der vorher den oberen Brustbereich seines Oberteils dekorierte. Während seinen rechten Arm nur ein leichtes Rinnsal an Blut schmückte, sah es mit seinem Gegenüber schon deutlich schlechter aus. Ein dunkelroter, gehärteter Überzeug aus Blut zog sich über den ganzen Arm, die Haut darunter ließ sich kaum noch erkennen.
Plötzlich wurde er jedoch in die Realität zurückgeholt. Wenige Meter hinter ihm vernahm er ein Knallen, vielleicht auch ein Scheppern, welches ihn zusammenfahren ließ, als wenn ein blecherner Gegenstand zu Boden fiel. Vermutlich ein Tier oder sowas, dachte er sich, während er wieder an seine Schläfen griff. Laute Geräusche, soviel war sicher, waren pures Gift für seine Schmerzen.
Aber genug Zeit vergeudet. Langsam setzte er sich wieder in Bewegung. Schritt für Schritt, wobei jede Bewegung seinen Körper nahe an die Belastungsgrenze brachte. Immer näher trat er an die Stelle heran, von der er noch eben das laute Geräusch vernahm. Je weiter er sich von der Wand, an der er eben noch vollkommen erschöpft lehnte, entfernte, desto mehr setzte das Gefühl ein, dass er die Kontrolle über sein Bewusstsein verlieren würde. Zentimeter um Zentimeter, zu mehr war Marcus nicht im Stande, kämpfte er sich mit kleinen Schritten nach vorne, und sein Ziel, circa ein dutzend handelsüblicher Mülltonnen, wie er nun erkannte, rückte langsam aber sicher in greifbare Nähe. Das Gefühl der Schwäche wurde jedoch immer stärker. Erneut fühlte sich Marcus, als würde er gleich wieder einschlafen, in wenigen Minuten würde er wieder denken, dass ihn wenige Minuten Schlaf zurück in seine sichere Wohnung bringen würden…
Der Mond schien weiterhin auf die Szenerie, wie ein riesiger, beruhigender Scheinwerfer, während Marcus langsam die Mülltonnen erreichte. Da war es wieder, das befremdliche Bild eines einsamen Mannes, der sich, überzogen von Blut, durch eine dunkle Gasse quälte, unwissend, was ihn eigentlich antrieb. Als die Gefahr am größten war, einfach nachzugeben, sich fallen zu lassen und dem Wunsch des Körpers nach Schlaf nachzugeben, genau in dem Moment, als Marcus schon fast wieder auf seine Knie sank, um bewusstlos auf dem harten Boden aufzuschlagen, da durchfuhr ein unheimlicher Schmerz seinen Körper, wie ein Blitz, und plötzlich war Marcus Scott wieder völlig klar, alle Kraft war wie per Knopfdruck in seinen Körper zurückgekehrt, die immer stärker werdende Schwäche hatte seinen Körper ohne Vorwarnung einfach verlassen. Die Ursache dafür war schnell gefunden. Gerade noch rechtzeitig erreichte Marcus sein Ziel, die Formation von Mülltonnen, damit ihn der Anblick, der sich ihm dort offenbarte, wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholte.
Auf dem Boden lag ein Menschenkörper, viel mehr konnte Marcus nicht erkennen. Bis auf eine Tatsache. Der Körper war umgeben von einer riesigen Lache an Blut. Überall auf dem Boden war das rote Lebenselixier verteilt, mit großer Wahrscheinlichkeit, eigentlich bestand für Marcus daran kein Zweifel, stammte es von dem Körper, der inmitten dieser Pfütze lag. Bei einer weiteren Sache war sich Marcus ebenfalls sehr sicher, obwohl er auf die Antwort auf diese Frage gerne verzichten würde. Sein kurzer, aber intensiver Schlaf sagte ihm genau diese Situation voraus, und da bisher alles stimmte, was sich vor Marcus´ inneren Auge abspielte, vermutete er auch, dass der Mörder ganz in der Nähe war. Dennoch fühlte Marcus keine Angst, selbst angegriffen oder gar ebenfalls ermordet zu werden. Nein, denn der Mörder, so sagte es sein Traum, war Marcus selbst.
Schlimmer hätte es also nicht kommen können. Obwohl er endlich wieder völlig klar war, verschlug ihm diese Situation erneut den Atem. Langsam ging Marcus in die Knie, ehe er sich wieder auf den Boden setzte, direkt vor den leblosen Körper, der in seiner riesigen Blutlache fast schon zu schwimmen schien. Hier an dieser Stelle, hinter den Mülltonnen, wandelte sich Marcus´ Situation erneut. Der Mond, der ihn die ganze Zeit noch friedlich in seinen sanften Schein hüllte, war hier auf dem Boden nicht mehr zu sehen. Kein beruhigender Mondschein, kein wohliger Glanz des Lichtes, an diesem Ort entwickelte sich langsam aber sicher pure Angst in Marcus innerem, obwohl er nur wenige Meter von der Stelle entfernt war, an der er eben noch so einfach einschlafen konnte. Diese Tatsache schien ihm an dieser Stelle mehr als obskur, da der Mensch, der ihm in seinen Träumen begegnete, in Wahrheit nur wenige Meter von ihm entfernt lag. Tot, blutüberströmt und starr. Ein Mensch, der höchstwahrscheinlich von ihm ermordet wurde, dessen Blut an Marcus´ ganzem Körper haftete.
Aus der Angst wurde nun Panik. Was sollte er nur tun, sollte er die Leiche lieber verstecken? Weiterhin musste er sich dringend waschen, das Blut an seinem Körper schien ihm spielend das Prädikat „Mörder“ zu verpassen. All diese Gedanken schossen ihm durch den Kopf, der Schmerz, der ihm vorhin noch so unerträglich schien, war an dieser Stelle schon längst verdrängt. Dennoch schaffte es Marcus nicht, einen klaren Gedanken zu fassen. Jegliches Denkvermögen, was er vor wenigen Sekunden, höchstens Minuten beim Fund der Leiche teilweise wieder erlangte, war schon wieder aus seinem Körper gewichen, seine Vernunft schien ebenfalls über Bord gegangen zu sein. Da er einfach nicht weiter wusste, rannte Marcus um sein Leben. Sämtliche Schwäche war verflogen, auch der pochende Schmerz in seinem Kopf behinderte ihn nicht mehr. Daher lief er unaufhörlich weiter, so weit ihn seine Füße trugen, ja sogar noch weiter. Während er vor sich hinrannte, noch immer von den Spuren der Nacht gezeichnet, erschien langsam die Sonne am Horizont, während der Mond immer blasser und blasser wurde. Bis zum Schluss warf der Mond jedoch einen Blick auf Marcus Scott, der sich nun aus Angst und Verzweiflung durch die Straßen kämpfte. Wohin ihn seine Reise bringen würde, wusste er noch nicht.

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Tag der Veröffentlichung: 07.08.2012

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