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Der zweite Weltkrieg ist noch in den Gedanken der Menschen.
Wir schreiben das Jahr 1951. Es ist Oktober, und die Tage werden immer kürzer. Der Herbst mit seinem Nebel, den wütenden Stürmen hat Einzug gehalten. Die Menschen machen es sich in den Wohnungen und Häusern wieder gemütlich. Keinen treibt es jetzt freiwillig hinaus in das feuchte, leicht nebelige Wetter.
So auch an diesem Abend des 12. Oktober 1951 in Northville.
Langsam wird es dunkel, die Beleuchtung erhellt notdürftig die Straßen des kleinen Ortes.
Dieser kleine Vorort von Washington soll in den nächsten Stunden Schauplatz von Gewalt, Ungerechtigkeit und falschen Indizien werden.

Andrew hat heute länger arbeiten müssen. Die letzten Wochen vor Weih­nachten sind immer die schlimmsten.
In dem Elektrogeschäft, einer Zweigstelle eines großen Elektronik­konzerns, geht es hoch her.
Da der Abteilungsleiter Andrew schon lange kennt und Vertrauen hat, überlässt er ihm die Schlüssel, damit er abschließen kann. Der Herr Smith muss noch zu Kunden fahren.
So wurde es 20 Uhr, ehe Andrew fertig war.
Seine Freundin, sie waren jetzt schon zwei Jahre zusammen, konnte er telefonisch nicht erreichen; und er macht er sich auf den Weg, um noch mal bei ihr vorbeizuschauen.
Andrew war im Juni 32 Jahre alt geworden. Er war der Jüngste in der Familie. Seine beiden Geschwister John und Carrie waren schon lange verheiratet und lebten in Kalifornien. Dadurch war der Kontakt ein wenig eingeschlafen.
Okay, zu den Geburtstagen seiner Eltern sah man sich. Sie blieben dann einige Tage, was Andrew sehr genoss. Er war ein Familienmensch und wünschte sich ein schönes Zuhause.
Doch bis vor zwei Jahren hatte er nicht viel Glück in seinen Beziehun­gen gehabt. Doch nun, mit Yvonne, verstand er sich prächtig.
Seine Eltern hatten die drei Kinder nach bestem Wissen erzogen. Sonn­tags ging es immer in die Kirche, Kindergottesdienst und Laienspiel, gemütliches Zusammensein, all das machte Andrew sogar Spaß und Freude.
Als er aber mit 16 Jahren eine Lehre anfing und seine besten Freunde wegzogen, besuchte er immer seltener die Gottesdienste.
Seinen Eltern zuliebe ging er hin und wieder mit zur Kirche. Doch auch das wurde in den Jahren immer weniger.
Als dann sein Vater vor zwei Jahren starb und ein Jahr darauf seine Mutter, hatte er mit der Kirche gebrochen.
Der Verlust seiner Eltern war ein schlimmes Erlebnis. Yvonne war in dieser Zeit seine einzige Stütze gewesen.
Er liebte sie, und so schritt er schnell die spärlich erleuchteten Straßen entlang. Er freute sich schon auf das warme Zimmer, eine heiße Tasse Tee und auf seine Liebste.
Der feuchte, kalte Wind wehte durch seine dunkelblonden Haare, die normalerweise ordentlich mit einem Mittelscheitel leicht nach hinten gekämmt waren. Mit seinen 1.80 Meter Größe und seinem muskulösen, athletischen Körperbau war er ein attraktiver Mann. Seine braunen Augen verliehen ihm etwas Südländisches, was durch die etwas buschi­gen Augenbrauen und leicht markanten, aber gütigen Gesichtszüge unterstrichen wurde.
Jetzt stand er vor dem im viktorianischen Stil gebauten Haus. Es lag ein wenig zurück in einem wunderbaren Garten mit großem altem Baum­bestand.
Während Andrew auf dem Weg zu Yvonne war, hielt eine Straße weiter ein schwarzer Ford am Straßenrand.
Nach einigen Sekunden wurde die Fahrertür langsam geöffnet.
Der Fahrer, der einen großen Hut aufhatte, so dass sein Gesicht kaum zu sehen war, wollte gerade aussteigen, als eine alte Dame mit ihrem Pudel um die Ecke kam. Schnell schloss sich die Tür, bis die Dame vorbei und verschwunden war.
Wieder wurde die Tür vorsichtig geöffnet, der Mann mit Hut und einem langen Mantel drückte die Tür leise ins Schloss.
In diesem Moment kam Andrew um die Ecke. Sich kleinmachend, ver­steckte sich der Mann hinter seinem Wagen.
Andrew bemerkte diese Gestalt nicht und schritt zügig dem Hause zu, vor dem er jetzt stand.
Es war kein Licht bei Yvonne. Egal, er ging über den leicht vermoosten Kiesweg.
Hätte er sich jetzt umgedreht, wäre ihm eine dunkle Gestalt aufgefallen, die in der Einfahrt stand.
Andrew klingelte. Erst nach mehrmaligem Läuten machte einer der
Stu­denten auf, die mit Yvonne in dieser Wohnung lebten.
Ein pensionierter Professor der Mathematik hatte die freien Zimmer vermietet, denn es war eine sehr große Wohnung. Allein in dieser Woh­nung zu leben, das war ihm zu einsam. So hatte nun jeder seinen eigenen Bereich und war trotzdem nicht allein.
Da der Student Andrew kannte, ließ er ihn hinein.
Andrew klopfte bei Yvonne. Als sich niemand meldete, trat er ein und knipste das Licht an. Bis Yvonne kommen würde, wollte er schon mal Wasser für einen Tee aufsetzen.
Während das Wasser im Kessel sich langsam erhitzte, saß Andrew gemüt­lich im Sessel. Er holte sich die Zeitung und begann darin zu blättern.
Das Wasser kochte, und so stand er auf und goss es über den Tee. Bald würde auch Yvonne kommen.
Gerade hatte sich Andrew wieder in den großen Sessel gesetzt, als ein fremdes Geräusch an sein Ohr drang. Er setzte sich aufrecht und lauschte.
Das Zimmer grenzte genau an das Arbeitszimmer des Vermieters. Aufge­regte Stimmen drangen herüber. Andrew erhob sich langsam vom Sessel und ging lauschend zur Tür.
Ein Poltern, ein kurzer Aufschrei, dann Ruhe.
In ein paar kurzen Sätzen war Andrew durch die Tür auf dem Flur. Er sah die halb geöffnete Holztür des Arbeitszimmers. Vorsichtig öffnete er sie. Da sah er den Professor vor dem geöffneten Safe liegen. Er ging hin und beugte sich über den Körper. Andrew spürte nur noch einen dumpfen Schlag, dann wurde es dunkel um ihn.
Wie lange er am Fußboden gelegen hatte, konnte er nicht sagen. Er rappelte sich hoch.
Da wurde auch schon die Tür aufgestoßen und die beiden Studenten schauten herein.
Erst jetzt bemerkte Andrew, dass er den Brieföffner in seiner blutver­schmierten Hand hielt. Kaum wurde er sich dessen bewusst, warf er ihn von sich. Doch zu spät. Die Studenten hatten es gesehen, und jetzt schaute auch Yvonne in das Zimmer hinein.
„Ich war es nicht, ich war es nicht“, stammelte Andrew. Doch die Situation war eindeutig.
Alle drei schauten entsetzt in das Zimmer und auf Andrew. Die Gesichter drückten Ratlosigkeit und Entsetzen aus. Besonders Yvonne konnte es nicht fassen. Immer wieder schüttelte sie den Kopf, als wolle sie nicht wahrhaben, was sie sah. Totenstille lag über dem Geschehen.
Einer der Studenten hatte die Polizei gerufen. Jetzt hörte man die Sire­nen, und kurz darauf erschienen zwei Polizeibeamte.
Andrew war wie gelähmt. Er kniete immer noch auf dem Boden, neben dem Professor, um den sich eine Blutlache gebildet hatte.
„Ich war es nicht, ich war es nicht“, war das einzige, was Andrew hervor­brachte.
Die beiden Polizisten durchbrachen die eisige Stille. Sie traten in das Zimmer. Einer der beiden, ein kleiner untersetzter, etwa 40 Jahre, trat zu Andrew. Legte ihm seine Hand auf die Schulter, und im ruhigen Ton sprach er Andrew an. Die Art und Weise, wie er es tat, zeigten die Erfah­rung, die dieser Polizist im Laufe der Jahre gesammelt hatte. Im Gegen­satz zu dem jungen, kräftig gebauten Kollegen, der etwas unsicher umherschaute und auch umständlich die Kamera fertig machte.
Nachdem der ältere Polizist mit Andrew auf den Flur getreten war, wurden noch einige Fotos abgelichtet.
Mit einer Entschuldigungsfloskel wurden Andrew die Handschellen ange­legt. Inzwischen waren die Beamten der Spurensuche eingetroffen und begannen ihre Arbeit.
Andrew und Yvonne standen einander gegenüber. So hatte Andrew sie noch nie gesehen. Sie schüttelte voller Verachtung den Kopf und sagte dann: „Das hätte ich von dir nicht erwartet, du hast mich so enttäuscht, ich will dich nie, nie wiedersehen.“
Andrew, seiner Unschuld bewusst, sah in ihre tränengefüllten blauen Augen. „Yvonne, glaube mir, ich war es nicht. So etwas hätte ich nie tun können. Ich bin niedergeschlagen worden – glaub mir bitte, bitte.“
Wortlos drehte Yvonne sich um und ging langsam in ihr Zimmer.
Andrew wurde in den Streifenwagen gebracht und auf der Polizeistation in eine karge Zelle gesperrt.
Da saß er nun. Er konnte es immer noch nicht begreifen. Die gefalteten Hände unter dem Kinn, saß er auf der Bettkante.
Immer wieder durchlebte er diesen Abend. Wie konnte er beweisen, dass er den Professor nicht umgebracht hatte? Wie kam das Messer, bzw. der Brieföffner, in seine Hand? Da war noch jemand im Raum gewesen, und das war der Mörder. Er war regelrecht in eine Falle gelaufen.
Andrew stand auf, ging die vier mal drei Meter hin und her. Wie sollte er beweisen, dass er es nicht war?
Am nächsten Tag berichteten die Zeitungen über den Mord. Ein grausa­mer und heimtückischer Mord an einem alten, gebrechlichen Professor, aus lauter Habgier. Dieser alte Mann hatte sterben müssen, weil er so gutmütig war.
Voller Trauer, wütend und ratlos, so wurden die Untermieter beschrie­ben. Besonders die Freundin des Mörders ist kurz vor einem Nerven­zusammenbruch. Sie steht unter ärztlicher Beobachtung und wird einige Zeit zu ihren Eltern aufs Land ziehen.
Die Zeitungen wissen schon jetzt, wer der Mörder ist. Die öffentliche Meinung steht fest. Andrew Bushow ist schuldig.
Viele Verhöre muss Andrew über sich ergehen lassen. Immer werden ihm die gleichen Fragen gestellt. Und immer antwortet er: „Ich war es nicht, ich war es nicht.“
Psychologen und immer wieder andere Beamte bombardieren Andrew mit allen möglichen Fragen. Kein Tag ohne lange Verhöre. Doch er bleibt dabei, dass er nicht der Mörder ist. Das weiß er ganz genau, und er weiß, dass er unschuldig ist.
Mit der Hoffnung, dass der Schuldige noch durch irgendeinen Umstand gefunden wird, rettet er sich von einem Tag zum anderen.
Dann ist es so weit, der große Tag ist gekommen. Die Gerichtsverhand­lung wird es an den Tag bringen. Sie müssen ihm einfach glauben. Noch nie ist er mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Noch nie hat er mit der Polizei etwas zu tun gehabt. Er hat eine reine Weste.
Voller Hoffnung, dass seine Unschuld offenbar wird, betrat er, begleitet von zwei Beamten, den Gerichtssaal.
Ein Raunen erfüllte den Saal. Andrew schaute sich um. Da entdeckt er Yvonne. Er will ihr zuwinken, doch sie schaut in die andere Richtung. Warum ist sie so abweisend? Hat sie ihn nicht die letzten zwei Jahre kennen gelernt? Sie muss doch wissen, dass er es nicht war! Doch kein Wort, kein Brief noch irgendein Lebenszeichen war von ihr gekommen.
Auch seine Geschwister hatten sich nicht gemeldet. Warum wenden sich alle von mir ab?
Das machte Andrew traurig. Um so mehr hoffte er auf einen guten Aus­gang.
Fast zwei Stunden dauerte die Verhandlung.
Alle Zeugen wurden befragt. Alle sagten das gleiche aus, dass er neben dem Toten gekniet und noch den Brieföffner in der blutigen Hand hatte. Auch die Fotos bestätigten die Aussagen.
Der Verteidiger versuchte sein Bestes zu geben, doch bei diesen ‚Bewei­sen‘ war das nicht ganz leicht. Danach bekam Andrew die Möglichkeit, ein letztes Wort zu sagen:
„Hohes Gericht, sehr verehrte Geschworene, meine Damen und Herren. Ich stehe zum ersten Mal in einem Gerichtssaal. Ich habe mir bisher nichts zuschulden kommen lassen. Einige kennen mich, sie wissen, was ich für ein Mensch bin. Jemand, der Streit aus dem Weg geht! Gerne schenkt, und der hilfsbereit ist. Und nun werde ich des Mordes ange­klagt? Das kann nicht sein, und es ist auch nicht so. Nie, niemals wäre ich dazu fähig gewesen. Ich weiß, die Indizien sprechen gegen mich. Aber mein bisheriges Leben spricht für mich. Als ich in das Zimmer kam, lag der Professor schon am Boden. Sofort bin ich zu ihm gegangen.
Als ich mich über ihn beugte, bekam ich einen dumpfen Schlag auf den Hinterkopf und verlor das Bewusstsein. Als ich dann etwas benommen aufwachte, bemerkte ich, dass ich einen Brieföffner in der Hand hielt. Vor lauter Schreck warf ich ihn aus der Hand. Ohne dass ich es merkte, standen die Studenten und meine Freundin im Türrahmen und sahen mich an. Ja, so war es.
Ich habe noch eine Frage. Warum stand das Fenster auf in dem Zimmer? Es muss noch jemand da gewesen sein.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, prüfen Sie bitte alles noch ein­mal genau. Ich kann nur immer wieder das gleiche sagen.
Ich war es nicht, ich bin kein Mörder!! Ich bin unschuldig. Bitte, bitte glauben Sie mir. Danke.“
Die Urteilsverkündung wurde auf den nächsten Tag verlegt.

Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil:
Der Elektroverkäufer Andrew Bushow ist des Mordes, an dem Professor Dr. Jonathan Semmeling, schuldig gesprochen.
Die Geschworenen haben es sich nicht leicht gemacht und haben die Akten noch einmal durchgeschaut. Danach sind sie zu dem einstimmigen Urteil gekommen – schuldig.
Aufgrund der Schwere der Schuld, des Mordes aus Habgier, verkünde ich folgendes Strafmaß:
Andrew Bushow wird zum Tode durch den Strang verurteilt.
Das Urteil wird in 40 Tagen vollstreckt werden.
Hat der Verurteilte noch etwas zu sagen?

Andrew war wie betäubt. Das konnte nicht sein, das war unmöglich! Die haben sich geirrt.
Andrew räusperte sich und stand langsam auf. Alles drehte sich um ihn herum. Er atmete tief ein und sprach dann mit lauter, fester Stimme: „Meine Damen und Herren, Sie haben soeben ein Fehlurteil verkündet. Ich bin unschuldig, verstehen Sie? Ich bin unschuldig!!
Ich habe diesen Mord nicht begangen! Der Mörder läuft frei herum!
Ich bin unschuldig!!!“
Damit setzte er sich. Seine Hände zitterten, und mit einem Mal war er sich bewusst, dass er keine, fast keine Aussicht hatte, jemals wieder frei zu sein. Eine nie gekannte Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit überfielen ihn. Er konnte sich nicht mehr halten und begann hemmungslos zu weinen. Den Kopf in den Armen verborgen, auf den Tisch gelegt, schluchzte dieser Mann wie ein kleines Kind.
Betroffen standen einige Besucher, aber auch einige der Geschworenen etwas unsicher am Ausgang. Auch die Richter und Schöffen sahen nach­denklich zu Andrew hinüber. So etwas hatten sie in ihrer Laufbahn noch nicht erlebt.
Andrew wurde in den Todestrakt gebracht. Die Zelle 7 sollte nun für die letzten 40 Tage sein Zimmer sein.
Da saß er nun auf dem Stuhl und schaute sich seine neue Umgebung an.
In dieser Zelle sollte er 40 Tage auf seinen Tod warten. Niemals, schrie es in ihm. Und plötzlich war ihm, als bewegten sich alle vier Wände auf ihn zu. Irgendetwas schnürte ihm den Hals zu. Nein, hier hielt er es nicht aus. Er wollte raus, es in die Welt schreien, dass er unschuldig ist. Nicht er, ein anderer gehörte hier her.
Er sprang auf, so dass der Stuhl nach hinten umkippte. Er stürzte auf die Tür zu, trommelte mit seinen Fäusten gegen das Eisen und schrie so laut er konnte: „Ich will hier raus!! Ich bin unschuldig! Ich bin unschuldig!
Ich bin unschuldig!!!!!“
Eine ganze Zeit lang klopfte und hämmerte Andrew gegen die Tür, bis seine Kräfte nachließen.
Gebeugt und kraftlos ging er zurück zum Stuhl, hob ihn auf, und dann setzte er sich an den Tisch. Den Kopf in die Hände gestützt saß er lange Zeit vor sich hinstarrend, nachdenkend am Tisch. Nein, er konnte es immer noch nicht fassen und begreifen. Er, Andrew, zum Tode verurteilt. Das überstieg seine Vorstellungskraft.
Aber so lautete das Urteil. Er kam zu dem Entschluss, einen Brief an den Gouverneur zu schreiben, mit der Bitte um Begnadigung. Diesen Brief wollte er dann Yvonne oder einem seiner Besucher mitgeben. Gleich morgen wollte er damit anfangen.
Sein Bedürfnis nach Schlaf wurde immer stärker. So legte er sich einfach auf das Bett und schlief auch bald ein.
Der 1. Tag

Eine Sirene riss Andrew unsanft aus dem unruhigen Schlaf. Wo war er, was war geschehen? Langsam wurde ihm wieder bewusst, in welcher Situation er sich befand.
Ihm gegenüber das kleine, vergitterte Fenster. Es war noch dunkel drau­ßen. Die Wände waren einmal weiß gewesen, hatten aber nie wieder neue Farbe gesehen. Viele Kritzeleien, Sprüche und Strichlisten zierten die Wände. Durch einen altersschwachen Vorhang getrennt, die Nass­zelle. Und all das erhellt eine Glühbirne in 3,50 Meter Höhe, notdürftig.
Die zwei Stahlstühle, der etwas wackelige Holztisch und das kleine Regal rundeten die Einrichtung ab.
Andrew erhob sich von seinem Stahlbett, um sich fertig zu machen. Er hoffte so sehr, dass Yvonne käme oder zumindest einer seiner Freunde. Aber John und Carrie, die würden doch sicherlich vorbeikommen.
Nach dem Frühstück fragte er nach einem Block und Schreibzeug, das ihm dann auch gebracht wurde. Sogleich setzte er sich an den Tisch und schrieb ein Begnadigungsgesuch an den zuständigen Gouverneur.
So verging der Tag, nichts Besonderes geschah.
Immer wieder durchdachte er seine Situation. Fragen stiegen auf, die er nicht beantworten konnte, sich aber immer wieder in den verschieden­sten Variationen stellte.
Nachdem um 22 Uhr das Licht ausgeschaltet worden war, lag Andrew noch lange wach. Warum hatte ihn keiner besucht, keiner eine Nachricht hinterlassen? Aber sicherlich morgen. Mit diesem Gedanken tröstete er sich und fiel wieder in einen unruhigen Schlaf.
Der 2. Tag

Auch dieser Tag verging, ohne dass sich irgendjemand bei Andrew mel­dete. Das Warten ging ihm schon an die Nerven. Warum kam niemand?
Andrew nahm allen Mut zusammen und fragte den Wärter, einen schon etwas älteren Mann, ob nicht nach ihm gefragt worden wäre. Auch ob ein Brief für ihn da sei, wurde mit einem „tut mir leid“ beant­wortet.
Seine Gedanken gingen zurück in seine Kindheit. Die Eltern, seine Geschwister, die Urlaube, das Zusammensein und auch die vielen Kirch­gänge, der Bibelclub der Jugend. Alles wurde wieder wach in ihm. Andrew wurde traurig, als er über all das nachdachte und seine jetzige Situation sah. Wenigstens die Eltern hätten sich gemeldet, das wusste er, aber die waren tot. Das brannte in seinem Herzen.
Gleichzeitig war Andrew auch froh, dass sie das nicht mitzuerleben brauchten.
In Gedanken tauchten die vergangenen Freunde des Bibelclubs vor ihm auf. „Ob sie das Geschehen in der Zeitung gelesen haben?“ Andrew erschrak, denn er hatte laut seine Gedanken gesagt. Hoffentlich hat niemand was gehört!
Der alte Gefängniswärter, der schon viele Verurteilte betreut hatte, war zufällig bei einem Kontrollgang an der Zellentür vorbeigekommen und hörte eine Stimme. Neugierig ging er nahe an die Tür, schob ein wenig die Klappe zur Seite und sah Andrew auf seinem Bettgestell sitzen. Viel bekam er nicht mit, aber genug, um zu beurteilen, dass dieser Gefangene etwas anders war als die üblichen in der gleichen Situation. Er wollte den Gefängnispfarrer mal bitten, diesen Andrew Bushow zu besuchen.
Der 3. Tag

Es war 10 Uhr. An der Zellentür war Schlüsselgeklapper zu hören. Im schweren Eisenschloss wurde zwei Mal der Schlüssel gedreht. Dann ging die Tür auf.
Andrew starrte wie gebannt, voller Hoffnung, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Doch es war nur der alte Wärter, der mit den Worten „Besuch für Sie, Herr Bushow“, die schwere Eisentür weit öffnete.
Andrew stockte der Atem, das Herz raste – endlich kommt – doch weiter kam er nicht, denn im Türrahmen erschien ein Mann mit schwarzem Anzug. „Darf ich vorstellen: Der Gefängnispfarrer Herr Wang, und das ist Herr Bushow“, und damit verschwand der Wärter.
Es war schon eine komische Situation. Sie standen einander gegenüber. Der eine in seiner Gefängniskleidung und der andere im gut sitzenden schwarzen Anzug. Unter dem Arm eine schmale Tasche.
Der Pfarrer, so gegen 45 Jahre alt, räusperte sich: „Nun, Herr Bushow, wie gesagt, mein Name ist Wang. Sie sind nun schon drei Tage bei uns, und wie es so üblich ist, wollte ich Sie nun auch besuchen.“
„Danke für Ihre Aufmerksamkeit, doch wollen Sie sich nicht setzen?“ Während Andrew die Stühle zurechtrückte, versuchte er sich zu sammeln und auch seine Enttäuschung herunterzuschlucken.
„Tja, Herr Bushow“, begann der Gefängnisseelsorger, „kann ich für Sie noch etwas tun?“
„O ja“, entgegnete Andrew, „Sie brauchen mich nur hier herauszuholen.“
Pfarrer Wang lachte etwas gekünstelt und meinte dann, nachdem er tief Atem geholt hatte: „Tja, wenn das so einfach wäre. Nun, ich weiß, dass Ihre Situation nicht zum Besten steht. Darum bin ich ja hier. Ich möchte Ihnen helfen, Frieden mit Gott, und für sich selbst, zu finden.“
„Waren Sie bei der Gerichtsverhandlung, Herr Wang?“
„Nein, ääh, hätte ich da sein sollen?“
„Wenn Sie da gewesen wären, wüssten Sie, dass ich unschuldig bin“, entgegnete Andrew.
„Nun, das behauptet fast jeder hier im Gefängnis. Seien Sie doch nicht so verbohrt, erleichtern Sie Ihr Gewissen.“
„Ich brauche mein Gewissen nicht zu erleichtern. Ich bin nämlich unschuldig. Verstehen Sie? … unschuldig!!
Meine Verurteilung ging viel zu schnell. Ich habe das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Aber was, das weiß ich nicht. Aber dass ich unschuldig bin, das weiß ich.“
Eine Pause entstand. Dieser Gefangene war irgendwie anders als die anderen Gefangenen, fiel dem Pfarrer auf. Oder war er ein guter Schau­spieler? Ein Fehlurteil hatte es bisher noch nie bei diesem Gericht gege­ben, und so verwarf er den Gedanken, dass vielleicht etwas falsch gelaufen sein könnte.
„Herr Bushow“, begann der Seelsorger und nahm somit das Gespräch wieder auf, „nehmen Sie die Sache nicht so auf die leichte Schulter. Sprechen Sie sich aus. Ich meine es gut und will Ihnen doch nur helfen“.
„Wie wollen Sie mir denn helfen? Ganz konkret!“
„Tja, Sie haben doch sicherlich Groll und Zorn in ihrem Herzen?“ kam es etwas zögerlich, fragend. „Haben Sie schon Ihrem Feind vergeben? Denn nur durch Vergebung kommt Ihr Innerstes zur Ruhe.“
Andrew saß nachdenkend, einen kleinen schwarzen Punkt an der Wand fixierend, da. Langsam und eindringlich fragend er drehte sich zum Pfar­rer und schaute ihm in die Augen.
„Wem soll ich denn vergeben, ich kenne doch gar nicht die Person, die mich niedergeschlagen hat!?“
Mit dieser Antwort hatte Herr Wang nicht gerechnet. Deswegen entgeg­nete er: „Ich meine ja auch nicht nur diese eine Person, obwohl ich meine, Sie machen sich da etwas vor, sondern auch all die anderen, von denen Sie annehmen ungerecht behandelt worden zu sein. Beten Sie zu Gott, so wie der Psalmist gebetet hat ‚Gott, schaffe in mir ein reines Herz und gib mir einen neuen gewissen Geist?. Glauben Sie mir, Gott wird Sie erhören.“ Damit lehnte er sich in dem Stuhl zurück.
Andrew war wie vom Schlag getroffen. Er verstand nur Bahnhof.
Natürlich konnte er sich an früher erinnern, aber das war Vergangenheit und sollte es auch bleiben.
Und so entgegnete er etwas genervt: „Herr Pfarrer, ich bin zwar kein Heide, oder wie auch immer, aber das, was Sie mir da empfehlen, ist für andere hilfreich, aber nicht für mich. So eine Hilfe brauche ich nicht. Tut mir leid, aber ich sehe keine Basis für weitere Gesprächseinheiten.“
Etwas verlegen kam die Antwort: „Tja, dann werde ich Sie nicht länger, nun ja – ääh – belästigen. Aber glauben Sie mir, ich will Ihr Bestes, ich habe es gut gemeint. Und falls Sie mit mir noch einmal sprechen wollen, bin ich jederzeit für Sie da.“
Damit stand der Pfarrer auf, reichte Andrew die Hand. Andrew bedankte sich für den Besuch, machte aber noch einmal klar, dass es wohl nicht mehr zu einer Begegnung kommen würde.
Der Pfarrer klopfte an die Tür, sie wurde ihm geöffnet. Er ging auf den Flur, drehte sich noch einmal um und lächelte.
Die Tür schlug zu, zweimal drehte sich der Schlüssel im Schloss, dann war Andrew wieder allein.
Der 4. Tag

Auch dieser Tag begann wie jeder andere. Keine Post, keine Zeitung. Zu den Mahlzeiten sah er den Wärter. Sonst niemanden.
Andrew fühlte sich einsam und verlassen. Das einzige waren der Brief­block und der Bleistift.
Der Besuch des Pfarrers hatte ihn aufgewühlt. Erinnerungen an seine Jugendzeit wurden wieder wach.
Noch 36 Tage; und wenn sein Gnadengesuch nichts bewirkte, ja, dann war seine Zeit abgelaufen. So gut es ging, verdrängte er diesen Gedan­ken.
Da er gerne zeichnete, verbrachte Andrew die Zeit mit Bleistiftzeichnun­gen. Das lenkte ihn etwas ab.
Der 5. Tag

Schweißgebadet wachte Andrew noch vor der Sirene auf. Was war gesche­hen? Furchtbare Alpträume hatten seinen Schlaf beendet. Andrew hatte Angst. Eine dunkle Gestalt hatte ihn verfolgt, war immer näher gekom­men. Andrew rannte um sein Leben, konnte diese drohende Person nicht abschütteln. Immer näher kam sie, die weißen Knochenhände schon nach ihm ausgestreckt. Und dann das schrille, überhebliche und grau­same Gelächter. Und dann der Satz, der durch das niederträchtige Lachen zu ihm drang: Ich kriege dich? - der jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken. Dann kam die weiße Knochenhand und wollte ihn greifen. Je näher sie kam, umso größer wurde sie. Jetzt war sie über ihm und wollte zugreifen. Da stolperte er … und erwachte.
Licht, Licht, Licht, schrie es in ihm, denn es war dunkel. Als endlich die Sirene und gleichzeitig das Licht angingen, war es für Andrew wie eine Erlösung.
So etwas Furchtbares hatte er noch nie geträumt.

Auch dieser Tag verlief wie fast all die anderen. Kein Besuch, keine Zeitung. Nur Einsamkeit und Fragen, die keiner beantworten konnte.
Der 6. Tag

Diese Nacht hatte Andrew zwar unruhig geschlafen, doch der Traum war nicht wiedergekommen.
So gegen 10:30 Uhr klopfte es an der Zellentür und gleichzeitig drehte sich im Schloss der Schlüssel.
Gespannt, und wieder voller Hoffnung, jemanden aus dem Bekannten­kreis zu sehen, stand Andrew vom Bett auf und ging die wenigen Schritte zur Tür, die sich nun öffnete.
Welche Enttäuschung, wer war das denn?
Ein Mann mittleren Alters und in grauem Anzug, dazu etwas kleiner als Andrew, betrat die Zelle.
„Darf ich mich vorstellen, mein Name ist Graatz, mit doppel a.“
„Bushow, guten Morgen.“
„Ich bin geistlicher Fürsprecher und möchte Ihnen den Trost der Kirche bringen.“
Andrew glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Trost der Kirche? Damit konnte er überhaupt nichts anfangen. Nein, etwa noch so ein Pfarrer, der ihm nicht glaubt?
„Herr Graatz“, begann Andrew, „ich habe schon Besuch von einem Geist­lichen gehabt, das hat mir gereicht. Im Moment ist mir das etwas zuviel.“
„Gut, dann werde ich wieder gehen, Sie werden noch den Trost der Kirche brauchen, ob Sie ihn dann finden? Nun, es ist Ihre Entscheidung. Auf Wiedersehen.“
Damit verließ Herr Graatz die Zelle, ohne sich noch einmal umzu­schauen.
Andrew war froh, diesen Menschen los zu sein. Nein, so jemanden brauchte er nicht. Er sehnte sich nach einer Person, die ihn verstand, mit der man vernünftig reden konnte und die ihm glaubte. Aber wie an den anderen Tagen, so auch heute, war dieser Besuch die einzige Abwechs­lung.
Und wieder überfielen ihn die Einsamkeit und die Angst vor dem, was ihn erwartete.
Der 7. Tag

Andrew fragte den Wärter noch einmal, ob es nicht möglich wäre, mal eine Tageszeitung zu bekommen. Das wäre hier nicht üblich und neue Methoden wollten sie auch nicht einführen. Dann könnte man ja gleich einen Zeitschriftenhandel betreiben.
Andrew, der immer ruhig und höflich war, platzte nun der Kragen: „Wenn ich in den nächsten zwei Stunden nichts zu lesen bekomme, schlage ich alles kurz und klein, und danach werde ich mich umbringen! Ob jetzt oder in 33 Tagen, das spielt dann auch keine Rolle mehr. Nur, dann bekommen Sie richtig Ärger. Also, bekomme ich nun eine Zeitung?!?“
Der Wärter versuchte Andrew zu beruhigen, doch dieser war nun richtig in Fahrt gekommen. „Und in Zukunft verlange ich heißen Kaffee und kein lauwarmes Abwaschwasser, und die Brötchen könnten auch frischer sein. Ist das verstanden worden, oder soll ich noch lauter schreien, so dass alle das hören?“
Mit hochrotem Kopf ließ sich Andrew auf das Bett fallen. Das hatte herausgemusst.
Der Wärter, es war diesmal ein jüngerer, versprach das Gewünschte zu veranlassen. Doch wenn jetzt nicht Ruhe einkehre, müsse man ihn in eine Gummizelle sperren, ohne Zeitung und nur mit Wasser und Brot. Ob er das auch verstanden hätte??
Andrew erhob sich vom Bett und entschuldigte sich, versprach, dass so etwas nicht mehr vorkommen werde.
Die Entschuldigung wurde angenommen und sein Ausraster hatte somit keine Folgen für Andrew.
Der 8. Tag

Das Frühstück war heute ganz prima. Andrew bedankte sich, was den Wärter sichtlich freute.
Gegen Mittag wurde Andrew eine zwei Tage alte Zeitung durch die Klappe geschoben. Und gleichzeitig hörte er hinter der Tür: „das muss für die nächsten zwei Tage reichen“.
Andrew stürzte sich wie ein ausgehungerter Löwe auf die Zeitung. Endlich mal was anderes, endlich Ablenkung.
Einige Stunden verbrachte Andrew damit, alles zu lesen. Die vielen ver­schiedenen Nachrichten und Informationen sog er auf wie ein trockener Schwamm, der Wasser in sich hineinzieht.
Der 9. Tag

Andrew hatte nun die Hoffnung aufgegeben, dass sich irgendjemand noch für ihn interessieren würde. Alle hatten ihn vergessen. War ja auch klar. Wer will schon einen Mörder besuchen.
Andrew fühlte sich wieder schrecklich einsam und verlassen.
Warum lässt Gott das zu? Ja, gibt es diesen Gott der Liebe? Wo bleibt seine Hilfe?
Dann überdachte er sein Leben. Was hat er geschafft? Einen Sinn im Leben, im Überlebenskampf, nein, sein Leben war rückblickend ohne wirkliche Sinnerfüllung. Egoismus und Vergnügen, das hatte sein Leben geprägt.
Nein, nicht ganz! Die Zeit, als er mit seinen Eltern zur Kirche gegangen, als er in der Jugendgruppe gewesen war. Das war so etwas wie sinnvoll leben, oder? Es war schon zu lange her und fast aus seinem Gedächtnis gestrichen.
Mit seinen 32 Jahren war er aber noch zu jung, um zu sterben.
Angst stieg in Andrew hoch und er überlegte, was wohl nach dem Tod sei.
Lange saß er am Tisch und grübelte über all die vielen Fragen, die letzt­endlich doch offen blieben.
So verging auch dieser Tag ohne eine Nachricht von außen.
Der 10. bis 13. Tag

Auch an den folgenden Tagen verlief das Zellenleben des Andrew Bushow ohne nennenswerte Vorkommnisse.
Die Einsamkeit machte ihm sehr zu schaffen. Hatten ihn denn alle ver­gessen? Auch der Verteidiger, der kurz hereinschaute, konnte Andrew nur wenig Hoffnung machen in Bezug auf die Begnadigung.
So bleibt nur noch das Warten auf den 40. Tag, auf 6.00 Uhr. Dann würde sein Leben zu Ende sein.
Und wieder kommen die Fragen. Was passiert nach dem Tod? Bin ich dann im Himmel oder komme ich in die Hölle? Was ist die Hölle? Die Bibelstunden lagen schon sehr lange zurück, und da hat man eben nicht so aufgepasst. Jetzt bereute er es, nur noch so wenig zu wissen.
Einiges war aber haften geblieben. Er konnte sich auch daran erinnern, dass Jesus auf die Erde gekommen war, um die Menschen zu erlösen.
Auch an einige Wunder konnte sich Andrew noch erinnern. Wie zum Beispiel die Heilung des Blinden und Lahmen und auch des aussätzigen Menschen, die Totenerweckung.
Wenn Andrew so über diese Dinge nachdachte, sah er seine Eltern und Geschwister vor sich und konnte auch ein wenig die friedliche Atmo­sphäre spüren.
Dann sah er wieder die Zelle, die Realität, die ihn umgab. Und er bekam wieder die Angst vor dem Ungewissen. Er versuchte sich an das Gebet Jesu zu erinnern:
Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name, das tägliche Brot und dein …
Nein, er konnte es nicht mehr zusammenbekommen.
Aber in seiner Verlassenheit und Angst wollte er beten. Das einzige Gebet, das ihm einfiel, war das kleine Gebet, das er immer mit seinen Eltern gebetet hat: Ich bin klein, mein Herz mach rein, soll niemand drin wohnen, als Jesus allein.
Danach schlief Andrew meistens schnell ein.
Der 14. Tag

Als Herr Schmitt, der alte Gefängniswärter, Andrew das Frühstück brachte, strahlte er über das ganze Gesicht, so dass man seine Zahnlücke gut sehen konnte. „Herr Bushow, ich habe eine gute Nachricht für Sie. Besuch hat sich angemeldet. So gegen zehn Uhr wird er hier sein. Eine Frau Lanz und ein Pfarrer.“
Andrew hätte den Herrn Schmitt am liebsten umarmt. Endlich, endlich kommt sie, seine Yvonne. Aber was der Pfarrer von ihm wollte, war Andrew schleierhaft. Der brauchte nun nicht unbedingt dabei zu sein.
Nervös ging Andrew in der Zelle hin und her. Sein Herz drohte zu zer­springen.
Dann, endlich, hörte er die Kirchturmuhr in der Ferne schlagen. Jetzt war es zehn Uhr. Gespannt lauschte er auf jedes Geräusch, das von außen in die Zelle drang.
Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, als er Stimmen und Schritte vernahm, die sich der Zelle näherten. Jetzt war es so weit. Was sollte er sagen, wie sich verhalten?
Der Schlüssel drehte sich zwei Mal im Schloss. Dann ging die Tür auf. Zuerst trat der Pfarrer ein, und da war auch schon Yvonne im Türrah­men.
Andrew übersah den Pfarrer und umarmte erst mal seine Freundin mit den Worten: „Endlich bist du da“. Es war, als ob Andrew seine Yvonne nicht mehr loslassen wollte. Sie standen immer noch im Türrahmen. Der Wärter schob die beiden langsam, mit einem Lächeln zum Pfarrer hin, in die Zelle und schloss die schwere Eisentür hinter sich. Eine Stunde Besuchszeit, hörte man noch, und dann wurde es still in dem Raum.
Da standen sie nun. Ein wenig unsicher in der kargen Zelle.
Andrew fand aber schnell zurück und begrüßte nun auch den Pfarrer, der ihm irgendwie bekannt vorkam. Der Pfarrer war auch nicht mehr der Jüngste, und so war er dankbar, als Andrew ihm und auch Yvonne einen Stuhl anbot.
Er selbst, Andrew, war neben Yvonne stehen geblieben.
Sie sah prächtig aus, so anmutig in ihrem hellgrauen Rollkragenpullover und der grauen Hose. Ihr stand alles gut. Damals hatte er schon gesagt, dass sie ein Fotomodell hätte sein können, daraufhin hatte sie schallend gelacht und ihm einen Kuss gegeben.
„Ich freue mich, dass ihr mich endlich besucht, aber warum erst jetzt? Ich habe so auf irgendein Zeichen oder einen Brief gewartet, aber jetzt seid ihr ja da!“, begann Andrew das Gespräch.
Nun räusperte sich der Pfarrer: „Ich weiß nicht, ob du – ich darf doch du sagen? – mich noch kennst? Es ist schon lange her, da warst du Mitglied in meiner Jugendgruppe. Wir haben Laienspiele und andere Aktivitäten unternommen. Kannst du dich noch erinnern?“
Jetzt fiel es Andrew wie Schuppen von den Augen. Natürlich, das war der Pfarrer Heilmann, und jetzt war ihm auch klar, warum Yvonne ihn mit­genommen hatte.
„Aber natürlich kann ich mich an Sie erinnern, Herr Heilmann. Es war eine wunderbare Zeit, die ich in Ihrer Jugendgruppe verbrachte. Gerade in der letzten Zeit habe ich oft daran gedacht. Ja, es ist schon lange her. Aber schön, dass Sie mitgekommen sind.
Und nun treffen wir uns wieder unter nicht gerade idealen Bedingun­gen.“
Daraufhin drehte sich Yvonne zu Andrew, sah ihn mit ihren wunderschö­nen blauen, aber traurigen Augen an. „Wir kommen erst jetzt, weil ich bei meinen Eltern war und die ganze Sache erst einmal verdauen musste. Die Zeitungen waren ja voll davon und die Journalisten wollten mich immer wieder befragen. Dazu hatte ich keine Lust, und ich bin weg und zu meinen Eltern gefahren. In dieser Zeit habe ich viel nachgedacht, geweint und bin dann zu dem Entschluss gekommen, dich noch einmal zu besuchen. Nicht allein, sondern zusammen mit Pfarrer Heilmann. Und nun sind wir da.“ Eine Pause entstand, dann nach einem tiefen Atemzug: „Ich kann es einfach nicht begreifen, was passiert ist, es ist alles so furchtbar. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll?“
Andrew hatte die ganze Zeit Yvonne angesehen und gemerkt, dass sie nervlich immer noch sehr angeschlagen war, und nun rollten einige Tränen ihre Wangen herunter.
„Andrew“, begann nun der Pfarrer, „was auch geschehen ist, wir können es nicht beurteilen, wir können dich auch nicht verurteilen, das steht uns nicht zu. Aber, glaube mir, wir wollen dir helfen, – ja, helfen, bereit zu sein für deinen letzten Gang.
Hast du schon Gott um Vergebung deiner Sünden gebeten?“
Andrew ging nun einige Schritte in der Zelle umher. Was sollte er davon halten? Es war eine eigenartige Situation. Er lehnte sich an die Wand, den beiden gegenüber. Sie wollten nun hören, was er, Andrew, dazu zu sagen hatte.
„Ich möchte niemanden von euch falsch beurteilen oder verletzen, doch habe ich das Gefühl, dass ich für euch der Mörder des Professors bin. Und das stimmt nicht. Ich, der helfen wollte, werde als Täter beschul­digt. Ich bin unschuldig. Und wenn ihr mir helfen wollt, dann dadurch, dass ihr mir glaubt, und mir zur Seite steht.“
Die Stille, die den Raum füllte, war mit einer ungeheuren Spannung geladen. Jedes falsche Wort konnte nun die Situation zur Explosion bringen.
Vorsichtig, und jedes Wort abwägend, begann der Pfarrer zu sprechen: „Mein lieber Andrew, ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst, und trotzdem muss ich dir sagen, mache dich bereit, deinem Herrn zu begeg­nen. Egal, was auch gewesen sein mag.“
Andrew war es allmählich leid, er fühlte die Distanz, die sich aufbaute. Warum war Yvonne so schweigsam? Er musste nun Nägel mit Köpfen machen.
Und so begann Andrew, so freundlich es ging: „Also, ich weiß nicht recht, aber vielen Dank für die einfühlsamen Worte. Ich soll also um Verge­bung bitten für etwas, was ich nicht getan habe? Ich glaube, da läuft was falsch.“
„Andrew, versteh’ doch, Herr Heilmann will doch nur dein Bestes.“
„Dann denkst du also auch so, in deinen Augen bin ich also auch schul­dig, dein Freund ist der Mörder????“
„Ich weiß es nicht, ich bin so hin- und hergerissen. Aber als ich dich da so sitzen sah, neben dem erschlagenen Professor -- ich weiß es nicht, ach, ich weiß es nicht.“
Yvonne konnte nicht mehr. Auf der einen Seite wollte sie Andrew glau­ben, andererseits waren die Beweise so erdrückend, dass sie Schwierig­keiten hatte, Andrew voll zu vertrauen. Und wenn er nur spielte? Sie brauchte Zeit, und die hatte sie nicht.
Etwas erregt und enttäuscht zugleich versuchte Andrew eine klare Stand­ortbestimmung durchzuführen.
„Also stellst du dich auch gegen mich, lässt mich allein mit allen Beschuldigungen. Ich dachte, du würdest mir glauben und mir ver­trauen?“ Und mit einem Seitenblick zum Pfarrer: „ich hoffte, da wäre jemand, der mir hilft, in dieser Situation nicht ganz allein zu sein. Jemand, mit dem man reden kann ohne immer zu denken, der glaubt einem nicht.“
„Ich bitte dich, Andrew“, kam es etwas empört von Yvonne.
„Ach hört doch auf mit eurem Getue!“
„Aber Andrew“, schaltete sich jetzt der Pfarrer in das Gespräch. „So darfst du nicht reden. Schau, wir sind Menschen und können nicht in die Her­zen sehen. Auch wir stehen etwas hilflos da, und haben so oder so unsere Zweifel. Sei nicht so hart.“
„Ja, ja, ja, irgendwie kann ich das ja auch verstehen. Aber ich brauche euer Vertrauen, eure Hilfe, euren Glauben und Beistand.“
„Deswegen sind wir ja auch hier“, entgegnete der Pfarrer.
„Davon habe ich bisher nur wenig gespürt. Euch wäre es doch am liebs­ten, wenn ich weinend auf meine Knie fallen und um Vergebung bitten würde, für das, was ich nicht getan habe. Mit dieser Vorstellung seid ihr doch hergekommen! Oder etwa nicht?
Aber darauf könnt ihr lange warten!!“
Andrew tat es leid, so reden zu müssen, aber wie sollte er sonst seine Gedanken loswerden.
„Andrew, das ist unfair und ungerecht, wie du uns behandelst.“
„Was? Das sagst du? Die immer an das Gute im Menschen glaubte? Kommt, hört doch auf mit dieser Heuchelei.“
„Nein, so geht das nicht, mir reicht’s. Da kommt man um dich zu trösten, dir zu helfen, und was kommt dabei heraus???“
„Trösten?? Ihr wollt mich trösten, dass ich nicht lache. Ihr wisst doch gar nicht, wie es in mir aussieht! Ich bin einer, der zum Tode verurteilt wurde, unschuldig! Ihr habt ja gar keine Ahnung, was ich durchmache! Ich bin verzweifelt! Aber da brauche ich niemanden, der an mir und meiner Aussage zweifelt, sondern jemanden, zu mir steht und mir glaubt!“
Der Pfarrer hatte bisher schweigend die Auseinandersetzung mit ange­hört, doch nun schaltete er sich ein: „Ich kann das nicht mehr hören, kommen wir doch mal wieder auf den Boden der Tatsache. Was nützt das denn, wenn wir uns gegenseitig heruntermachen? Gar nichts, im Gegenteil, die Fronten verhärten sich. Andrew, sieh’ doch mal unsere Seite. Wir kommen, um bei dir zu sein, dir zu helfen, und ernten so etwas. Ich gebe ja zu, ganz Unrecht hast du nicht, aber nicht in diesem Ton. Und deswegen möchte ich vorschlagen, dass wir etwas zur Ruhe kommen.
Jeder von uns braucht nun Abstand. Andrew, gerne kommen wir wieder, aber für heute sollten wir es gut sein lassen. Ist das in Ordnung?“
Andrew war überrascht über diese Wende, das hatte er dem Pfarrer nicht zugetraut, und so wurde sich verabschiedet und Andrew sollte bestimmen, wann sie noch mal kommen sollten.
Eine kurze Umarmung, ein fester Händedruck, und damit verließen Yvonne und der Pfarrer die Zelle.
Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, setzte sich Andrew auf einen Stuhl. Er überdachte die letzte Stunde und Traurigkeit überfiel ihn. Vieles war falsch gelaufen. Aber war das seine Schuld? So viel hatte er sich von diesem Besuch versprochen, und jetzt wünschte er, dass es ihn nie gege­ben hätte. Das war Enttäuschung pur. Warum glaubten sie ihm nicht? Oh, Yvonne, ich liebe dich trotzdem.
Einige Kilometer weiter fuhr ein Bus mit 26 Jugendlichen auf den Park­platz einer Kirche.
Eine Woche Freizeit in den Bergen ging zu Ende. Die Eltern standen schon bereit, ihre Kinder wieder in Empfang zu nehmen. Es war eine muntere Truppe, die ihren Jugendpfarrer heiß und innig liebte. Er war einfach ein toller Typ.
Nachdem alles aus dem Bus geräumt war und jeder seine Sachen gefun­den hatte, wurde ein großer Kreis gebildet, zusammen mit Eltern und den Jugendlichen. Walter Wenzel sagte noch einige Abschiedsworte und gab die nächste Jugendstunde bekannt. Danach stimmte er das Abschiedslied an und alle sangen:
„Wenn wir jetzt auseinander geh´n, lasst uns im Geist zusammen steh’n, Gott wird uns leiten, den Weg bereiten, bis wir uns wieder sehn.“
Und mit einem kräftigen „Aufwidersehen“ löste sich die Gruppe auf.
Auch der Jugendpfarrer Walter Wenzel setze sich, nachdem die Letzten sich in Bewegung gesetzt hatten, in seinen kleinen Ford und fuhr müde und dankbar nach Hause. Dort erwartete ihn schon seine Frau.
Drei Tage später, es war Mittwochabend. Walter Wenzel war gerade auf den Parkplatz der Ortsgemeinde gefahren, als schon ein paar Jugendliche angelaufen kamen. Alle wollten wissen, ob er schon etwas Neues erfah­ren hatte. Langsam, langsam, wehrte er sich, ich erzähle es euch gleich, sonst kann ich alles zehn Mal wiederholen.
Im Jugendraum saßen sie nun alle. Nach dem üblichen Anfang, Lied und Gebet war die Zeit, um Termine und Neuigkeiten auszutauschen.
Ein Projekt, das sich die Jugendlichen vor einigen Wochen ausgesucht hatten, war, einmal eine Gerichtsverhandlung mitzuerleben. Und so traf es sich, dass sie genau bei der Verhandlung das Gericht besucht hatten, als die Mordanklage von Andrew Bushow verhandelt wurde.
Am nächsten Tag waren sie auch da, um die Urteilsverkündung mit anzuhören.
Alle Jugendlichen waren schockiert, als das Urteil auf Tod durch den Strang verkündet wurde.
Betroffen verließen sie den Gerichtssaal. Zwei hatten ihre Taschen ver­gessen und liefen noch einmal zurück. Da sahen sie, wie Andrew zusam­mengebrochen an seinem Platz saß und so bitterlich weinte.
Das war wie ein Stich ins Herz und ließ sie nicht mehr los.
Draußen erzählten sie, was sie gesehen hatten. Spontan, noch auf dem Vorplatz, wurde beschlossen, ein Gnadengesuch einzureichen.
In ein paar Tagen sollte die einwöchige Freizeit beginnen. Walter Wen­zel fühlte sich auch etwas unbehaglich, als er das Urteil hörte. Dieser Mensch hatte etwas ausgestrahlt, das einfach zu einem Mörder nicht passte.
In der Freizeit besprach man nun diese Gerichtsverhandlung.
Gemeinsam wurde das Gnadengesuch aufgesetzt und alle Jugendlichen unterschrieben den Brief.
Das war vor einer Woche gewesen. Und nun war die große Frage, ob eine Antwort schon da sei.
Walter hatte Antwort erhalten. In dem Brief stand aber nur, dass dieses Gesuch geprüft werde.
Ferner wurde von einigen Jugendlichen der Vorschlag gemacht, den Gefangenen doch mal zu besuchen, um persönlich diesen Menschen kennen zu lernen.
Das fand die Jugendgruppe prima, und so wurde beschlossen, dass der Jugendpfarrer im Auftrag der örtlichen Jugendgruppe den Gefangenen Andrew Bushow besuchen solle. Walter nahm diese Aufgabe gerne an und vereinbarte gleich am nächsten Tag einen Termin, um den Gefangenen in Zelle 7 besuchen zu dürfen.
Andrew hatte sich beruhigt und damit abgefunden, dass wirklich niemand ihm recht glauben werde. Die nächsten Tage schienen ihm recht zu geben, denn zu außer den Mahlzeiten sah er niemanden. Auch hatte man wieder vergessen, eine Zeitung vorbeizubringen. Das war ihm nun auch egal. Die Angst und das Verlassensein machten Andrew immer mehr zu schaffen. In einer Nacht hatte er auch wieder einen Alptraum. Diesmal stürzte er einen Abgrund hinab, und als er aufschlug, erwachte er.
Der 19. Tag

„Guten Morgen, Herr Bushow, hier Ihr Frühstück, und gleichzeitig möchte ich Ihnen Besuch ankündigen. Ein Herr Wenzel fragte gestern nach einem Termin. Ich sagte ihm, dass 9.30 Uhr in Ordnung sei. Ich hoffe, dass Sie heute mehr Glück mit Ihrem Besuch haben. Ich mag Sie nämlich.“
Der Wärter Schmitt lachte und verschwand.
Pünktlich um 9.30 Uhr drehte sich der Schlüssel wieder im Schloss. Kaum war die Tür offen, kam auch schon mit einem guten Morgen, mein Name ist Walter Wenzel, ein leger gekleideter Mann in die Zelle. Er reichte Andrew die Hand, und Andrew ergriff sie und spürte die Entschlos­senheit und Sicherheit dieses Menschen.
Andrew konnte bis auf, ich bin Andrew Bushow, kein Wort herausbringen. Er war so überrascht von diesem Auftreten.
„Entschuldigen Sie bitte, aber ich habe gar nicht nachgefragt, ob Sie mit meinem Besuch einverstanden sind.“
„Doch doch“, beeilte sich Andrew, „ich freue mich sogar, dass ich noch nicht zu den Vergessenen gehöre. Bitte nehmen Sie doch Platz.“
„Dankeschön, Herr Bushow. Die Floskel na, wie geht es, erspare ich mir. Erst einmal habe ich Ihnen die aktuelle Tageszeitung mitgebracht. Man hat mir erzählt, dass kein Interesse bestünde. Das konnte ich aber nicht glauben, also, hier ist sie.“
Andrew war wie vom Blitz getroffen. Dieser Herr Wenzel hatte alle Erwartungen übertroffen. Und so sagte er nur: „Zwei Mal habe ich in den letzten 14 Tagen eine Zeitung bekommen, das war’s. Gerne lese ich die Zeitung, vielen Dank. Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet.“
„So den ganzen Tag hier in diesem Raum, das kann sehr langweilig werden. Meinen Namen kennen Sie nun, aber sicherlich interessiert es Sie, was ich mache und woher ich komme.
Nun ganz kurz. Ich bin Jugendpfarrer in der örtlichen Gemeinde und habe eine wunderbare Jugendgruppe.
Wir waren bei Ihrer Verhandlung und haben auch alles mit verfolgt. Wir sind dann zu einer einwöchigen Freizeit in die Berge gefahren. Hier haben wir viel über Ihren Fall und das Urteil diskutiert. Ganz spontan haben unsere Jugendlichen den Vorschlag gemacht, ein Gnadengesuch einzureichen, da wir von Ihrer Unschuld überzeugt sind. Das erst einmal in Kurzform.“
„Das finde ich großartig, ich bin überwältigt, ja, ich kann es kaum fassen. Sie müssen mir mehr von sich und der Jugendgruppe erzählen. Ich bin sprachlos. Da sind Menschen, die an mich glauben, für die ich unschul­dig bin! Ich könnte jubeln!“
Das hatte der Jugendpfarrer nicht erwartet. Das ist kein Mörder. Gerne hätte Herr Wenzel mehr Zeit gehabt, er wollte eigentlich nur vorbei­schauen. „Herr Bushow“ begann er, „ich habe heute leider nicht viel Zeit mitgebracht, ich wollte nur mal hereinschauen, Sie kennen lernen und fragen, ob ich vielleicht wieder kommen kann. Dann hätte ich mehr Zeit. Was meinen Sie dazu?


„Natürlich freue ich mich, wenn Sie wiederkommen, am liebsten gleich morgen?“
„Kein Problem, aber vor 11 Uhr bin ich ausgebucht. Am besten, ich komme am frühen Nachmittag, dann habe ich Zeit.“
Mit einem kräftigen Händedruck verabschiedete sich Walter.
„Also, dann, bis morgen.“ Zurückschauend, mit der erhobenen grüßen­den Hand, betrat Walter den Korridor.
Bevor der Wärter die Tür verriegelte, schaute er noch einmal kurz in die Zelle, zwinkerte mit den Augen, dann drehte sich auch schon der Schlüssel im Schloss.
Kaum war die Tür zu, da packte Andrew die pure Freude. Er hüpfte und sprang, riss die Hände hoch und mit einem befreienden Jjjaaaaaa!!!!!! aus tiefstem Herzen fühlte er sich wie neugeboren.
Er konnte es einfach nicht glauben, da waren Menschen, Jugendliche, die zu ihm standen, die an ihn glaubten. Nun wird alles gut. Und morgen bleibt er sogar länger, ich kann mit jemandem reden, der mich versteht, der mir zuhört. Wahnsinn, toll. Danke, danke, Gott!
In dieser Nacht schlief Andrew vor lauter Erwartung sehr unruhig. Die Freude, dass jemand Interesse an seinem Wohlergehen hatte, bewegte seine Gedanken. Nun würden wohl auch die Fragen, die Andrew mit sich umhertrug, vielleicht endlich beantwortet werden.
Der 20. Tag

Andrew erwachte, bevor die Sirene und das Licht den neuen Tag einleite­ten. Er dachte nach und war schon voller Spannung und Erwartung. Heute Nachmittag würde der Besuch kommen, den er sich von Anfang an herbeigesehnt hatte. Andrew hatte das Gefühl, dass die Zeit im Zeitlupen­tempo dahinkroch. Er lenkte sich mit den Artikeln der Zeitung ein wenig ab, und dann war auch schon Mittag. Der Wärter merkte die Verände­rung, die mit Andrew geschehen war, und gab seiner Freude darüber Aus­druck, indem er generell die Besuchszeit auf zwei Stunden verlängerte.
Gegen 2.45 Uhr hörte Andrew Schritte und Stimmen, die immer näher kamen. Doch die Tür wurde nicht aufgeschlossen, was war los? Er horchte gespannt. Dann vernahm er ein vielen Dank und einige Augen­blicke später öffnete sich die schwere Zellentür.
Mit einem „Hallo, da bin ich wieder“ und „habe schon auf Sie gewar­tet“, begrüßten sich die beiden.
„So, erst einmal die neue Zeitung, und dann habe ich noch eine Flasche Apfelmost und ein Tütchen Kekse dabei. Es gab ein bisschen Schwierig­keiten, deswegen ist die Tüte schon offen.“
Da klopfte es, und zwei saubere Gläser wurden durch die Klappe hereingereicht.
„Vielen Dank, Herr Schmitt“, und durch die Klappe vernahm man ein „Ich wünsche einen schönen Nachmittag“.
„Endlich mal was anderes, vielen Dank für die Zeitung, Sie verstehen es zu überraschen.“
„Ach, meine Idee ist das nicht gewesen. Einige Jugendliche brachten mich darauf. Ich sagte ja, das ist eine tolle Truppe.“
Andrew holte noch einen Teller, auf den er die Kekse legte, während Walter die Flasche öffnete und die Gläser füllte.
Die Zelle war plötzlich nicht mehr die gleiche.
Walter Wenzel schaute Andrew in die Augen, und mit einem gewinnenden Lächeln sage er: „Noch etwas, alle nennen mich Walter, wenn jemand Herr Wenzel sagt, klingt das bei mir immer so geschäftlich und distan­ziert. Ich möchte Ihnen, oder dir, mein Du anbieten.“
„Damit habe ich keine Probleme, also – ich bin der Andrew.“
Damit hob jeder sein Glas, und mit einem „auf die Zukunft“ stieß man an.
„Damit du mich ein wenig besser kennen lernst, werde ich dir kurz ein paar Stationen meines Lebens erzählen.“
„Au, ja, das interessiert mich!“
„Ich bin vor zwei Monaten 36 Jahre alt geworden. Habe aber erst vor drei Jahren geheiratet und wir erwarten in fünf Monaten unser erstes Kind.
Ich wuchs mit noch zwei Geschwistern, Bruder und Schwester, in einer ganz normalen Familie auf. Die Religion spielte keine große Rolle. Natürlich gingen wir zu den Feiertagen auch mal in die Kirche, das war es dann auch.
Als ich 18 Jahre alt war, lockte mich das große Geld. Meine Lehre als Tischler hatte ich gerade fertig, als ich zwei ältere Jungs kennen lernte, die mir viel Geld versprachen.
Wir begingen Einbrüche, raubten Handtaschen und waren auch sonst nicht zimperlich. Hauptsache, es brachte Geld.
Als ich dann 20 Jahre alt war, wurde meine Freundin schwanger. Da Geld jetzt noch mehr an Wichtigkeit gewann, wurden unsere Überfälle und Einbrüche immer dreister. Wir lebten super die nächsten zwei Jahre.
Dann war meine Freundin plötzlich verschwunden, hatte alles Geld mitgenommen, das ich gesammelt hatte, um mit dem Kind ins Ausland zu verschwinden. Das war ein echter Tiefschlag.
Bei einem Bankraub wurden wir dann alle geschnappt. Ende der Lauf­bahn.
So saß ich mit 23 Jahren erst einmal sechs Jahre im Gefängnis. Ich hatte damals einen Nachtwächter niedergeschlagen.
Doch jetzt hatte ich viel Zeit über mein Leben nachzudenken.
Im Gefängnis besuchten mich natürlich die Pfarrer verschiedener Kir­chen. Doch meistens bekam ich nichts als Phrasen und fromme Sprüche zu hören. Dann lernte ich einen Pfarrer kennen, der ein praktisches Christenleben führte. Das tat gut, und daraus entwickelte sich eine Freundschaft.
Dabei wuchs der Wunsch, ein neues Leben zu beginnen. Ich fühlte eine Aufgabe in mir, Menschen in schweren Situationen zu helfen. Wegen guter Führung wurde ich schon nach vier Jahren entlassen. Ich studierte Theologie und bin seit fast zwei Jahren Jugendpfarrer in der örtlichen Kirche. Und ich bin glücklich in meiner Aufgabe. Mein Leben hat einen Sinn bekommen.
So, das war ein kurzer Lebenslauf. Jetzt weißt du, wen du vor dir hast.“
„Wow! Alle Achtung. Ich bin platt. Das hört sich nach viel Aktion und Erfahrung an.“
„Das stimmt, aber viele dunkle Stunden hätten nicht sein brauchen. Aber manchmal weiß man nicht, wozu dieses oder jenes gut ist. Ich für mein Teil versuche mein Leben in Einklang mit der Bibel zu leben, das heißt, auf die Stimme Gottes zu achten und zu hören.“
„Schön und gut, aber da steht doch nicht jede Lösung drin, die ich für meine Probleme brauche. Wie ist das denn mit mir? Ich bin unschuldig und trotzdem sitze ich hier und werde in 20 Tagen nicht mehr leben. Dafür kann es doch keine Lösung geben? Oder?“
„Ach Andrew, pass mal auf, ich will mich nicht davor drücken, diese Frage zu beantworten, auf keinen Fall. Ich würde lieber ein bisschen mehr von dir wissen als nur das, was in den Zeitungen stand.
Ich habe dadurch, so glaube ich, eine zu einseitige Information über dich. Was meinst du?


Ja, schon, aber diese Frage ist mir sehr wichtig. Diese Ungerechtigkeit, das bekomme ich nicht auf die Reihe. Ich suche nach einer Lösung und kann sie nicht finden. Aber damit du mir richtig antworten kannst, ist es wohl doch nicht so abwegig, dir meine Lebensgeschichte zu erzählen.“
„Na, dann leg mal los.“
Zuerst fiel es Andrew schwer, aus seinen Kinderjahren zu erzählen, doch die große Anteilnahme von Walter machte es ihm leicht. Es tat Andrew gut, dass da jemand saß und ihm zuhörte. Und nicht nur das, sondern auch daran interessiert war.
Auch über die Besuche, die stattgefunden hatten, berichtete Andrew.
Walter hatte ihn zum besseren Verständnis einige Male unterbrochen, aber sonst still und aufmerksam zugehört.
Nun war er sich noch sicherer, dass Andrew unschuldig hier in der Zelle, saß. Eine heikle Situation. Im Stillen bat Walter, dass Gott ihm Weisheit und die rechten Worte geben möge.
Die zwei Stunden vergingen wie im Fluge. Erst durch das Klopfen und das Schlüsselgeklapper merkten sie, dass die Besuchszeit schon vorbei war.
Der Wärter meinte, Ordnung müsse sein. Morgen sei ja auch noch Zeit.
So verabschiedeten sich Andrew und Walter. Walter wollte am nächsten Tag wiederkommen, was auch erlaubt wurde.
Als Andrew wieder alleine in der Zelle war, wurde ihm immer mehr bewusst, welches Geschenk dieser Besuch war. Walter war ein toller Typ, so unkompliziert, so frei und offen, einfach ganz natürlich. Mit dem konnte man reden. Und darauf freute sich Andrew.
Der 21. Tag

An diesem Morgen stand Andrew ganz anders auf als sonst. Irgendwie mit mehr Schwung.
Nach dem Frühstück setzte er sich an seinen Tisch und machte einige Notizen und schrieb auch einige Fragen auf, die ihn bewegten.
Endlich war es so weit. Die Eisentür wurde wieder aufgeschlossen und Walter trat mit einem breiten Lächeln in die Zelle.
Die Sonne stand nun so tief, dass ein Sonnenstrahl direkt in die Zelle schien. Dadurch wurde das karge Zimmer ein wenig freundlicher. Auch das Licht brauchte nicht gleich angeschaltet zu werden.
Die beiden begrüßten sich mit einem kräftigen Händedruck.
Walter legte eine neue Zeitung wieder auf den Tisch, sowie Knabberzeug und was zu trinken. Er meinte, damit das leibliche Wohl nicht zu kurz komme. Damit setzte er sich an den Tisch, schaute Andrew in die Augen und stellte erfreut fest, dass der traurige Ausdruck nicht mehr da war. Einige Minuten unterhielten sich die beiden über alles Mögliche, was so außerhalb der Gefängnismauern passierte.
Doch dann wurde Andrew ein wenig nachdenklich, denn bei allem Schö­nen, was dieser Besuch mit sich brachte, rückte der Tag seines Todes immer näher. So sagte er dann zu Walter:
„Walter, ich bin ja so froh, dass du hier bist, dass wir uns unterhalten können, doch mir brennen noch einige Fragen auf der Seele. Ich habe ja schon gestern gefragt, ob die Bibel Antworten auf alle Probleme gibt. Was passiert mit mir, wenn ich sterbe? Wo bin ich dann? Ewiges Leben, Himmel, gibt es so etwas wirklich? Und wenn ja, wie komme ich dahin? Kann ich sicher sein, dass meine Sünden vergeben sind?
Da siehst du mal, was mir so zu schaffen macht.“ Andrew machte eine Pause, als ob er noch etwas vergessen hätte, doch dann füge er sozusa­gen als Erklärung und auch Wunsch noch hinzu:
„Und deswegen will ich meine letzten Tage nicht mit irgendwelchem nichtssagendem Gerede verbringen.“
Walter hatte aufmerksam zugehört und suchte nun anhand der Fragen, die er sowieso nicht alle auf einmal beantworten konnte, so etwas wie einen roten Faden, mit dem diese Fragen und auch andere nachvollzieh­bar beantwortet würden.
„Andrew, das ist eine gute Einstellung, und so gut es geht will ich dir helfen, deine Fragen zu beantworten. Aber nicht alle auf einmal.“
„Hauptsache, sie werden so beantwortet, dass ich die Antwort verstehe“, warf Andrew ein.
„Du hast mir erzählt, dass du früher viel in die Kirche gegangen bist, so glaube ich, dass noch einiges haften geblieben ist, zumindest wieder ausgrabbar.
Ich überlege mir gerade, wie ich dir diese Fragen, und noch die, die dazukommen, fundiert beantworten kann.“


Walter machte eine kleine Pause, überlegte ein wenig, während Andrew still da saß. Andrew spürte, dass diese Fragen besondere Fragen waren; und er war sich sicher, dass Walter sie nicht auf die leichte Schulter nahm.
Walter schaute auf und sah Andrew mit einem zufriedenem Lächeln an: „Ich glaube, mir ist was eingefallen.“
„Ja super, komm, ich schenke uns noch mal was ein.“
Andrew nahm die Flasche, und als beide Gläser voll waren, war die Fla­sche leer. Mit zwei Salzstangen im Mund begann Walter nun zu reden:
„Danke für den Nachschub, ich nehme noch mal einige Salzstangen. Ja, wenn ich dich richtig verstanden habe, ist es dir nicht ganz klar, ob es einen gerechten Gott gibt.
Wenn man sich umschaut: Unglücke, Terror, Gewalt und Naturkatastro­phen. Da fragt man sich schon, ob es einen gerechten und liebenden Gott gibt.“
Eine Salzstange langsam zerkauend meinte Andrew: „Ja, wenn ich so zurückdenke, als ich so 16 Jahre alt war, da empfand ich so etwas wie einen Gott, der bei mir ist und Interesse an mir hat.
Das ist schon so lange her, und in erster Linie war ich dort, weil ich mich da wohlfühlte, da hatte ich gute Freunde.
Doch nun, nach all den Jahren, ist mir Gott immer fremder geworden. Und heute? Ein persönlicher Gott? Das ist mir irgendwie zu hoch.“
Walter hatte gespannt zugehört, denn das waren entscheidende Sätze und hier wollte er ansetzen. Was würde es nützen, über Dinge zu reden, die nicht den Kern treffen? Und so versuchte er das Gehörte zusammen­zufassen.
„Dann hattest du zwar eine schöne Zeit in dieser Jugendgruppe, und auch gute Erinnerungen an deinen Glauben und die Bibelstunden, doch dieser Glaube von damals hat seinen Reiz verloren. Nur noch die Erin­nerung an eine schöne Zeit ist geblieben?!“
„Ganz genau, so ist es, ey, da hast du ins Schwarze getroffen. Ja, so ist es, der Glaube gibt mir nichts mehr. Und trotzdem würde ich mich nicht als ungläubig bezeichnen. Ich glaube schon an einen Gott, aber so richtig persönlich, der Interesse an mir hat???“
Walter überlegte kurz, überdachte sein Leben und meinte dann: „Ich glaube an einen persönlichen Gott, der meinem Leben nicht gleichgültig gegenübersteht. Auf der anderen Seite kann ich dich auch verstehen. Da fragt man sich dann wirklich manchmal, ob Gott wirklich ein liebender Gott ist?!“
Durch das offene, aber vergitterte Fenster hörten die beiden einen Hund heulen. Wie auf Kommando sahen Andrew und Walter zum Fenster.
Dann meinte Andrew. „Es ist wirklich manchmal zum Heulen. Das ganze Leben ist zum Heulen, und wenn es dem Ende entgegengeht, merkt man erst, wie sehr man daran hängt. Dann kommen die Fragen nach Gott, dem Leben nach dem Tode, Lebenssinn und und und …“


Walter sah auf seine Uhr und musste feststellen, dass die Besuchszeit fast um war. Und so sagte er: „Du trägst einen ganzen Berg von Fragen mit dir herum. Lass mich ein wenig darüber nachdenken. Morgen bin ich ja wieder da.“
„Das will ich hoffen“, kam es von Andrew.
Schon hörte man den Schlüssel im Schloss. Mit einem „bis morgen“ und einem kräftigen Handschlag verabschiedete sich Walter.
Für Andrew waren die zwei Stunden wie im Fluge vergangen. Endlich konnte er seine Gedanken und Fragen besprechen. Das tat gut. Doch jetzt war er wieder allein.
Da war die Zeitung. Andrew blätterte sie durch, fand aber nicht so den rechten Dreh. Immer musste er an Walter denken und an all das, was sie beredet hatten.
Er nahm sich einen Stift und Papier und fing an, die zwei Stunden zusammenzufassen. Das würde Ordnung in seine Gedankenwelt bringen und ihm helfen, das Gehörte zu begreifen und Zweifel klar zu formulie­ren.
Der 22. Tag

Da saßen sie nun wieder zusammen. Eine Tüte mit Erdnüssen und eine Flasche Cola standen neben der obligatorischen Zeitung auf dem Tisch.
Andrew war schon gespannt, was Walter wohl zu sagen hatte, und goss die beiden Gläser voll.
„Weißt du, Andrew“, begann Walter, nachdem sie sich ein wenig unter­halten hatten über das Neuste in der Politik, das Befinden von Andrew, die Dinge, die Walter gestern zu erledigen gehabt hatte, „weißt du, Andrew, ich habe mir gestern Abend, als meine Besucher gegangen waren und endlich Ruhe eingekehrt war, habe ich mir Gedanken über unser Treffen gemacht. Und da bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass wir nur auf einer gemeinsamen Basis unsere Gespräche, was den Glauben angeht, aufbauen können. Was meinst du? Was hältst du davon?“
Andrew holte tief Atem, sah ein wenig unsicher und nachdenklich auf die Erdnüsse. Ja, was sollte er sagen? Irgendwo hatte Walter Recht. Trotz­dem kam ihm das ganze Gerede ein wenig zu formell vor. Er wollte sich ungezwungen unterhalten, ganz normal seine Fragen stellen und Ant­wort darauf bekommen. Eine gemeinsame Basis? Wir sind doch nicht in der Schule!
Andrew schaute auf und hatte sich entschlossen, erst einmal zu sehen, wie dieses Basisfinden nun laufen würde. So sagte er zustimmend zu Walter: „Na, dann wollen wir mal versuchen eine Basis zu finden, ich weiß im Moment nicht richtig was ich davon halten soll. Dann fang mal an.“
Damit hatte Walter nicht gerechnet, und so versuchte er es so zu erklä­ren, dass viele der Fragen eine gemeinsame Basis oder einen gemeinsa­men Ausgangspunkt haben, und dass deswegen diese Art von Findung notwendig ist.
Walter fühlte sich auch nicht ganz wohl, und so griff er noch einmal zu den Erdnüssen und leerte das Glas.
„Also, Gott ist dir schon mal ein Begriff! Aber was hältst du von Jesus Christus?“
„Das ist Gottes Sohn. Da wird ja Weihnachten immer so ein Trallala drum gemacht.“
„Nun, Trallala würde ich das nicht nennen. Der Verkaufsrummel ist nicht angemessen, für das, was vor rund 2000 Jahren geschah.
Jesu Geburt wird trotzdem noch von vielen als ein Besinnungs- und Dankfest angesehen und gefeiert.“
„Alles schön und gut. Da heißt es doch: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und so weiter. Da haben wir es wieder. Gott in der Höhe, der Unnahbare und ich hier unten.?“
„Das sieht im ersten Moment so aus. Jesus kam aus dieser Höhe, wie du sagst, auf diese Erde. Und was meinst du, was hat er gemacht und was war seine Aufgabe?“
„Wieso Aufgabe? Ich glaube, er hat viele Menschen gesund gemacht und eine neue Denkungsweise vorgelebt. Dann waren da noch seine Jünger, die mit ihm zogen.“
„Ja, genau, und die neue Denkungsweise finden wir in der Bibel. Und darin heißt es, dass Jesus auf diese Erde kam, um uns Gott näher zu bringen, damit wir ihn besser verstehen können. Jesus, der Sohn Gottes, kam aus der Höhe, aus der


Sündlosigkeit, wurde Mensch und lebte unter Menschen, um schließlich uns die Möglichkeit des ewigen Lebens zu schenken.“
„Alles schön und gut. Aber konnte das nicht ein Engel für Jesus erledi­gen?“
„Nein, das ging nicht. Damals im Garten Eden lebten Adam und Eva sündlos. Sie ließen sich durch Satan, der sich als Schlange getarnt hatte, zur Sünde verleiten. Und mit der Sünde begannen das Leid und der Kampf zwischen Gut und Böse. Dem Weltall und allen anderen Geschöpfen wollte Jesus zeigen, dass er und Gott die Menschen, die er erschaffen hat, unendlich liebte. Um den Menschen zu ermöglichen, wieder in das Paradies zurückzukommen, kam Jesus auf diese Erde und starb für uns am Kreuz auf Golgatha. Kein Engel hätte diese Aufgabe erfüllen können.“
„Stopp, stopp, das war eine geballte Ladung. An einiges kann ich mich dunkel erinnern, und trotzdem war das ein wenig zu viel, um es zu begreifen.“
„Du hat Recht. Aber da kannst du mal sehen, wie viel sich hinter dem Namen Jesus Christus verbirgt.“
Andrew nickte zustimmend. „Das kannst du laut sagen.“
Plötzlich sieht Walter auf und schaut wie in weite Ferne. Den Mund zum Sprechen halb offen, und trotzdem hat Andrew das Gefühl, dass Walter mit seinen Gedanken ganz weit weg ist.
Andrew wagt sich nicht zu rühren, geschweige denn zu sprechen. Er sitzt nur ganz still und wartet.
Dann dreht sich Walter zu Andrew hin. Ein breites Lächeln auf dem Gesicht:
„Andrew, ich hab’s, das ist die Idee. Pass auf“, und mit viel Elan und Begeisterung schildert Walter, was ihm in den Sinn gekommen ist.
„Lass uns gemeinsam auf eine Zeitreise gehen. Stell dir vor, du lebtest vor 2000 Jahren und begleitetest Jesus als Beobachter.
Ich bin natürlich auch dabei und wir werden darüber sprechen. Wir werden die Bibel zu Wort kommen lassen, und ganz nah am Geschehen sein.
Begleiten wir nun Jesus und seine Jünger kurz vor der Vollendung seiner gewaltigen Aufgabe.
Wir werden teilnehmen an einem ganz besonderen Abschnitt der Welt­geschichte, der einmalig ist und ohne den wir keine Hoffnung in unserm Leben hätten.
Lass uns gemeinsam die letzten Wochen mit Jesus auf dieser Erde verbringen.“
Der 23. Tag

Noch nie war Andrew so gespannt auf den Besuch von Walter gewesen wie heute. Eine Reise in die Vergangenheit? Wie sollte das ablaufen?
Endlich schlug die Uhr drei Mal, und schon war das bekannte Geräusch zu hören.
Nach der herzlichen Begrüßung saßen sie nun wieder am Tisch. Diesmal hatte Walter nicht nur was zum Trinken und zum Knabbern mit, sondern er stapelte vier Bibeln auf. Andrew schaute Walter fragend an. Dann erklärte Walter, dass er die vier Evangelien – Matthäus, Markus, Lukas und Johannes – miteinander vergleichen und dabei nicht immer umblät­tern wolle. Und außerdem schildere jeder Jünger das gleiche Ereignis aus einem anderen Blickwinkel.
„Sicherlich kannst du dich noch daran erinnern, dass Israel unter der römischen Besatzungsmacht lebte.
Das jüdische Volk suchte einen Befreier und glaubte in Jesus den zukünftigen König zu sehen. Doch Jesus machte deutlich, dass sie sich in diesem Punkt irrten. Er sagte:
‚Mein Reich ist nicht von dieser Welt.
Die geistige Elite, das heißt die Schriftgelehrten und Pharisäer, planten Jesus zu töten, da sie in ihm einen Konkurrenten sahen. Sie boten dem­jenigen Geld, der Jesus an sie verraten würde. Sie hatten nämlich Angst vor dem Volk Jesus in aller Öffentlichkeit gefangen zu nehmen. Am besten ohne Zeugen.
Walter öffnete die Bibel und zeigte auf Lukas 22.
„Und nun werden wir beide einmal schauen, wo Jesus sich befindet und was die Jünger so machen.
Stell dir vor, wir sind unsichtbar. So können wir alles aus nächster Nähe sehen und hören.“ Walter begann in der Bibel zu lesen. Die Zelle ver­blasste und die Vergangenheit wurde klar. Und schon befanden sie sich in der Nähe Jesu und seiner Jünger.
Es war schon etwas dämmrig. Die Jünger hatten sich unter einem großen Baum gelagert. Der Wind hatte sich fast gelegt.
Angenehm was es und schön, so den Abend mit Jesus zu verleben.
Judas saß am Rande der Gruppe. Es hatte den Anschein, als sei er etwas nervös. Immer wieder schaute er zu Jesus, der mit dem Rücken zu ihm saß und sich mit einigen Jüngern unterhielt. Andere hatten sich hingelegt.
Jetzt war es fast dunkel. Petrus zündete ein Feuer an.
Judas war langsam aufgestanden und entfernte sich vorsichtig von der Gruppe. Was hatte er vor?
Wir folgten ihm.
Schnellen Schrittes, sich immer wieder umschauend, lief er durch die Gassen und Straßen, die durch einige Fackeln ein wenig erleuchtet waren. Dann stand er vor dem Tempel.
Er zögerte, trat aber dann doch ein und ging in den Raum, wo sich die Schriftge­lehrten und Pharisäer aufhielten.


Etwas erstaunt, einen Jünger Jesu zu sehen, fragten sie ihn nach seinen Wün­schen. Er wollte sich die 30 Silberlinge abholen und dafür Jesus verraten.
Hocherfreut, und ihn mit vielen Schmeichelworten bedenkend, gaben sie Judas die abgezählten 30 Silberlinge.
Schnell steckte er sie in seine Tasche und versprach Bescheid zu sagen, so bald sich eine Gelegenheit bot.
Eilig verließ er den Tempel und lief den Weg zurück. Die Jünger mit Jesus waren immer noch da; und es sah genau so aus wie vorhin. Judas setzte sich wieder an seinen Platz.
Jakobus war aufgefallen, dass Judas weg gewesen war, und so fragte er ihn, was er gemacht habe. Judas versuchte so nichtssagend zu wirken wie möglich, als er sagte, dass er ein wenig umhergelaufen sei. Nichts weiter. Jakobus schien mit der Antwort zufrieden zu sein und Judas auch. Doch als sich Jesus umdrehte und ihm in die Augen sah, wusste Judas, dass Jesus ihn durchschaut hatte.
Das Thema wechselnd fragte er nach etwas zu essen.
Nach dem Essen richtete jeder sein Nachtlager her; und bald hörte man nur noch ein ruhiges Atmen oder leises Schnarchen.
Nur zwei Personen waren noch wach. Jesus und Judas.
Jesus betete und Judas dachte an das Geld.

„Sag mal, Walter, warum hat Jesus den Judas nicht zur Rede gestellt? Die Beweise waren doch in der Tasche?“
„Hast du gesehen, wie Jesus den Jünger angesehen hat?“
„Ja, still und traurig, und Judas hat so getan, als hätte er es nicht gese­hen.“
„Das wäre die Möglichkeit gewesen, alles wieder rückgängig zu machen und zu bereuen, aber er wollte nicht.
So, Andrew, leider ist die Besuchszeit wieder um. Ich muss nun gehen. Ich hoffe aber, dass es dir gefallen hat, unsere Zeitreise?“
„Oh, ja, sehr. So kann ich das alles viel besser verstehen. Kommst du morgen wieder?“
„Klar, um 10 Uhr bin ich wieder da. Ich lasse die Bibeln hier. Kannst ja mal reinschauen.“
Der 24. Tag

Kaum war die Sirene verstummt, stand Andrew schon vor dem Bett, machte sich fertig und setzte sich wieder an den Tisch, um noch einmal Lukas 22 zu lesen und darüber nachzudenken.
Ungeduldig erwartete er Walter. Wie wird es weitergehen?
Pünktlich stand Walter wieder in der Zelle. „Und, Andrew hast du gut geschlafen?“
„Nein, ein bisschen unruhig war’s schon, und mit dem Einschlafen hatte ich auch Probleme. Viele Gedanken gingen noch durch meinen Kopf. Ich bin ja so gespannt, wie es nun weitergeht.“
Walter öffnete wieder die Bibeln und erklärte Andrew, was das Passah­lamm den Juden bedeutete. Passah war ein hoher Feiertag, der an den Auszug aus Ägypten erinnern sollte.
Die Salzstangen und Getränke hatte Andrew inzwischen auf den Tisch gestellt. Dann setzte er sich voll Spannung auf den Stuhl.
„So, Andrew, bist du bereit?“
„Und ob!“
„Dann wollen wir wieder hineintauchen und mal sehen, was Jesus und seine Jünger vorhaben.“
Walter öffnete seine Bibel und schlug noch mal Lukas Kapitel 22 auf.

Andrew und Walter standen an dem gleichen Platz wie gestern Abend. Doch von Jesus und den Jüngern war nichts zu sehen.
Zufällig kamen einige Frauen mit Wasserkrügen vorbei. „Hallo, könnt ihr uns sagen, wo Jesus mit seinen Jüngern hingegangen ist?“ Erschrocken drehten sich die Frauen nach allen Seiten, um zu sehen, wer sie angesprochen hat. Doch sie konnten niemanden entdecken. Ein wenig verstört gingen sie schnell weiter.
„Ich habe vergessen, dass wir ja unsichtbar sind.“ Andrew wollte schon loslaufen, doch Walter hielt ihn zurück. In der Bibel fanden sie, was sie suchten.
Jesus war mit seinen Jüngern außerhalb der Stadt. Und da es nur einen Weg gab, gingen Walter und Andrew auch diesen Weg.
Nach einer guten halben Stunde sahen sie die Gruppe. Beim Näherkommen hörten sie, wie Jesus zu den Menschen sprach und ihnen vom Himmel erzählte. Andächtig hörten die Menschen zu. Als Jesus fertig war, schickte er die Menschen wieder an ihre Arbeit. Er selbst ging mit den Jüngern ein wenig abseits, um auszu­ruhen und etwas zu essen und zu trinken.
Auch Andrew und Walter legten sich in den Schatten eines Ölbaums. Sie müssen eingeschlafen sein, denn durch Stimmen, die an ihr Ohr drangen, wurden sie wach.
Durch das Stimmengewirr drang die Frage: „Meister, wohin willst du, dass wir gehen und das Passahlamm bereiten, damit du es essen kannst? „
Jesus schaute auf zum Himmel, dann sagte er zu Matthäus und Andreas:


„Geht ihr beide in die nächste Stadt. Bevor ihr durch die Stadtmauer geht, kreuzt ein anderer Weg. Auf diesem Weg werdet ihr einen Mann sehen, der Feuerholz trägt. Geht diesem Mann einfach hinterher und auch in das Haus, das er betritt. In diesem Haus wollen wir unser Passahlamm essen.
Sprecht den Hausherrn an und sagt folgende Worte:
Der Meister lässt dich fragen: Wo ist der Raum, in dem ich das Passahlamm mit meinen Jüngern essen kann? Danach wird er euch einen großen Saal zeigen, der mit Polstern versehen ist. Dort bereitet alles vor.“
Sogleich machten sich die beiden Jünger auf den Weg, während Jesus mit den anderen Jüngern durch einige Dörfer zog, predigte und heilte.
Währenddessen gingen die beiden Jünger zur Stadt. Wir folgten ihnen. Alles trat genau so ein, wie Jesus es vorausgesagt hatte.
Es wurde langsam Abend, ein warmer sonniger Tag neigte sich seinem Ende zu. Bald würde die Sonne sich hinter den Hügeln schlafen legen und als Abschied den Himmel in den schönsten Farben malen.
Die beiden Jünger hatten alles vorbereitet und warteten auf die Gruppe. Sie setz­ten sich auf eine Holzbank vor dem Haus und unterhielten sich über die Dinge, die geschehen waren, und auch über Jesus und seine Andeutungen, dass er sterben werde.
Die Sonne färbte den Himmel in ein buntes Feuerwerk und tauchte die ganze Umgebung in ein unwirkliches, faszinierendes Licht.
In diese Stimmung hinein betrat Jesus mit den zehn Jüngern den kleinen Vorplatz vor dem Haus. Der Duft des Abendessens lag über allem.
Matthäus und Andreas gingen zu Jesus und luden ihn ein: „Komm, Meister, es ist alles bereit.“
„Ich danke euch für diesen Dienst. Möge dieser Abend euch und uns allen zum Segen werden.“
Das Farbenspiel am Himmel wurde langsam durch die hereinbrechende Nacht verdrängt.
Die Jünger gingen die Treppe in den Saal im Obergeschoss. Jesus stand noch einige Minuten, die Hände gefaltet, vor dem Haus. Sein Blick ging zum Himmel, und so verharrte er.
Doch dann drehte er sich um, und ging langsam die Treppe empor; es war nun fast Nacht.
Die Jünger standen sich unterhaltend in kleinen Gruppen. Etwas abseits, alles beobachtend, stand Judas.
Als Jesus den durch Kerzenschein und Öllampen erhellten Raum betrat, wurde es leiser und alle sahen ihren Rabbi an.
Das Passahmahl war stets ein Ereignis von besonderem Reiz gewesen; doch an diesem Passahfest zeigte sich der Herr betrübt. Sein Herz war bedrückt, und ein Schatten lag auf seinem Gesicht. Seine Jünger erkannten sofort, dass irgendetwas sein Gemüt beschwerte.


Als sie um den Tisch versammelt waren, sagte Jesus mit bewegter Stimme: „Mich hat herzlich verlangt, dies Passahlamm mit euch zu essen, ehe denn ich leide.“
Jesus wusste, dass ihm der Vater alles in seine Hände gegeben hatte und dass er von Gott gekommen war und zu Gott ging.
Da stand er vom Mahl auf, legte sein Obergewand ab und nahm einen Schurz und umgürtete sich.
Danach goss er Wasser in ein Becken und fing an, den Jüngern die Füße zu waschen, und trocknete sie mit dem Schurz, mit dem er umgürtet war.
Joh. 13,3-5
Die Jünger waren so überrascht, als sie sahen, was Jesus vorhatte und dann auch in die Tat umsetzte. Er schaute sie alle der Reihe nach an. Da Jesus nicht so war wie sonst, sondern viel ernster und irgendwie trauriger ließen sie es mit sich geschehen. Nur Petrus wehrte sich gegen diese Handlung, denn das war eigent­lich Sklavendienst. Doch Jesus sagte ihm, dass er sich sonst aus der Gemein­schaft ausschließen würde, und so ließ er es geschehen. Eine eigenartige Atmo­sphäre lag in der Luft. Ob es die Ahnung der baldigen Trennung war? Oder die kurze Erwähnung Jesu, dass nicht alle rein seien? Wobei er Judas meinte?
Als Jesus allen, auch Judas, die Füße gewaschen hatte, setzte er sich nieder und sprach:
„Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es mit Recht, denn ich bin es auch .Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr untereinander die Füße waschen.
Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe.
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Knecht ist nicht größer als sein Herr und der Apostel nicht größer als der, der ihn gesandt hat.
Selig seid ihr, wenn ihr dies wisst, und selig seid ihr, wenn ihr danach tut.
Diese Fußwaschung soll euch und all die, die an mich glauben, vorbereiten zum heiligen Abendmahl.
Joh. 13,13-16
Andrew zupfte Walter am Ärmel und flüsterte ihm zu: „Gut, alles habe ich nicht ganz verstanden, aber dass Jesus, der Sohn Gottes, Sklavenarbeit verrichtet, das gibt es doch nicht. Wieso hat er das getan und wir sollen es auch tun? Also, ich weiß nicht, wenn ich mir vorstelle, einem fremden Menschen die Füße zu waschen? Nee also, das ist in unseren Breitengraden ja auch nicht üblich.“
Walter rückte noch etwas näher zu Andrew und versuchte das Erlebte kurz zu erklären:
„Jesus wollte damit zeigen, dass Dienen nichts zu tun hat mit hoch oder niedrig, sondern mit Menschenwürde. Ich achte den anderen, meinen Nächsten, genauso hoch oder niedrig wie mich. Ich stelle mich auf die gleiche


Stufe. Es gibt Kirchen, die praktizieren diese Form des Abendmahls noch heute.
Da wäscht einer dem anderen die Füße. Ist zwar etwas gewöhnungsbedürftig, aber ganz besonders bekommt diese Fußwaschung eine Bedeutung, wenn ich mit jemandem im Streit war. Es fand eine Versöhnung statt und jetzt feiere ich mit diesem Menschen Abendmahl und zur Vorbereitung waschen wir uns gegenseitig die Füße. Wer das einmal erlebt hat, der weiß um die tiefe Bedeutung dieser Handlung.“
„Wow, das war ja fast eine Predigt. Aber irgendwie fantastisch, durch eine einfa­che Handlung wird einem viel gesagt.
Aber was ist mit Judas, ihm hat Jesus die Füße auch gewaschen. Der müsste doch allmählich gemerkt haben, dass Jesus ihn liebt. Wie geht es denn weiter und was macht Judas?“
„Pass auf, wie es nun weitergeht, jetzt kommt es zur Entscheidung. Nimmt Judas die ausgestreckte Hand Jesu oder wird Satan siegen? Und das werden wir jetzt gleich miterleben.“
Die Jünger hatten sich nun an den großen Tisch gesetzt. Jesus saß in der Mitte. Alle Augen waren auf ihn gerichtet.
Was wird Jesus sagen? Wie geht es weiter?
Eine gespannte Stille lag über dem Geschehen. Da nahm Jesus das Brot in die eine und den Kelch mit Wein in die andere Hand und sprach:
„Nehmet, esset, das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; solches tut zu meinem Gedächtnis. So auch den Kelch nach dem Mahl. Dieser Kelch ist das Neue Testament in meinem Blut; solches tut, so oft ihrs trinket, zu meinem Gedächtnis. Denn so oft ihr von diesem Brot esset und von diesem Kelch trinket, verkündigt ihr des Herrn Tod, bis dass er kommt.“
Die Jünger saßen in gespannter Erwartung, denn nachdem Jesus den Kelch zurückgestellt hatte, legte sich eine nie gekannte Traurigkeit auf sein Gesicht. Man spürte förmlich, dass nun etwa kommen würde, womit keiner gerechnet hat.
Der Atem Jesu ging schwer, als er zum Sprechen ansetze: „Ich muss euch noch etwas sagen … einer unter euch wird mich verraten!“
Damit hatte niemand gerechnet. Das konnte nicht sein, nein, das durfte nicht sein. Bestürzung und Traurigkeit, gepaart mit Unsicherheit, erfasste jeden in der Runde, bis auf Judas.
Furcht und Misstrauen gegen sich selbst überfiel sie. Alle fragten: „Herr, bin ich’s? Könnte ich es sein? Meister, bin ich die Person?“
Nur Judas schwieg. Die Unruhe, die eingetreten war, wurde durch die Frage des Johannes ein wenig gedämpft. Johannes wagte die Frage: „Herr, wer ist es denn?“
Und Jesus antwortete: „Der ist es, dem ich den Bissen eintauche und gebe.“
Judas hatte bisher geschwiegen und wagte nun auch die Frage: „Bin ich es?“


Da nahm Jesus das Brot, dankte und brach’s und gab es den Jüngern: „Nehmet und esset, das ist mein Leib.“
Und er nahm den Kelch. „Trinket alle daraus; das ist das Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.“
Und Jesus nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas, dem Sohn des Iskariot. Und als er den Bissen genommen hatte, fuhr der Satan in ihn. Da sprach Jesus zu Judas:
„Was du tust, das tue bald. Der Menschensohn geht zwar hin, wie von ihm geschrieben steht; weh aber dem Menschen, durch den der Menschensohn ver­raten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre.“
Nachdem Judas den Bissen genommen hatte, erhob er sich. Erschrocken über sein verändertes Aussehen, hinderte niemand ihn daran, den Raum zu verlassen. Ohne sich umzudrehen verschwand Judas in der Dunkelheit der Nacht.
Sie beendeten das Abendmahl. Eine gedrückte Atmosphäre erfüllte den Saal. Jetzt war ihnen klar, dass die Zeit mit Jesus, ihrem Meister und Herrn, zu Ende gehen würde.
Hinein in diese Stimmung sprach Jesus: „Ich werde von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken bis an den Tag, da ich‘s neu trinken werde, mit euch, in meines Vaters Reich.“
Diese Worte gaben den Jüngern Trost und Hoffnung, ihren Herrn wieder zu sehen.

Das Klopfen an der Zellentür holte die beiden wieder in die Zeit zurück. Keiner hatte gemerkt, wie die Zeit verstrich.
Der alte Wärter hatte durch das kleine Sichtfenster geschaut, als die zwei Stunden um waren. Doch er konnte einfach nicht stören, und so gab er noch eine Stunde dazu. Sein Dienst war nun auch vorbei.
„Tut mir leid“, sagte er mit einem Ausdruck tiefen Bedauerns, „aber länger geht es wirklich nicht. Morgen ist ja auch noch ein Tag.“
Walter und Andrew verabschiedeten sich nun schnell voneinander, dank­ten dem Gefängniswärter.
Das alles ging fiel zu schnell. Gerne hätte sich Andrew noch ein wenig über das Abendmahl unterhalten.
So öffnete er die Bibel und begann noch einmal in Matthäus 26 und Markus 14 die Stellen nachzulesen.
Wie gerne hätte er diese ganze Geschichte auch mit Yvonne besprochen.
So saß Andrew noch lange an seinem Tisch. Fast hatte er vergessen, wo er war. Doch nun stand es wieder ganz lebendig vor seinen Augen. Noch 15 Tage, und seine Zeit, sein Leben, würde vorbei sein. Dieser Gedanke schnürte ihm fast die Kehle zu. Sein Herz begann zu rasen und eine nie gekannte Angst begann in ihm


hoch zu kriechen. Er nahm das halb volle Glas und stürzte die Flüssigkeit in sich hinein; etwas gegen diese Angst musste er tun. Aber was???

Andrew sprang vom Stuhl auf, lief wie gehetzt durch die Zelle. Es muss einen Ausweg geben. „Ich will nicht sterben! Warum höre ich nichts von dem Gnadengesuch? Ich habe Angst, schreckliche Angst, ja Todesangst. Will mir den keiner helfen? Ich bin doch unschuldig, soll ich für einen anderen sterben? Nein, Nein, Nein!!!!
Walter, warum bist du nicht hier? Hilfe, ich brauche Hilfe.“
Andrew war am Ende. Er ließ sich auf das Bett fallen, vergrub sein Gesicht im Kissen. Ein Schütteln durchlief seinen Körper, und immer wieder: „Ich will nicht sterben, ich bin unschuldig!!“
Er weinte wie ein Kind, das plötzlich die Mutter im Gedränge der Stadt verloren hat. So lag er eine ganze Zeit da und merkte gar nicht, dass es schon dunkel wurde.
Andrew hatte sich nun wieder beruhigt und drehte sich herum. Er starrte an die Decke.
Plötzlich hatte er das Gefühl, er wäre nicht mehr allein. Er versuchte mit seinen Augen das Dunkel zu durchdringen. Sein Herz begann zu klop­fen. Es war, als höre er ein leises Atmen. Andrew wurde es langsam unheimlich. Da war es wieder. Er konnte nicht schreien, er lag da wie gelähmt. Ausgeliefert, dem Unbekannten in seiner Zelle. Sollte das sein Ende sein? Kalter Schweiß lief über sein Gesicht. Jetzt spürte er den Atem, etwas beugte sich über ihn und legte die kalten Hände um seinen Hals. Er konnte sich nicht wehren, das war sein Ende. Nein, nein, nein, schrie es in ihm. Dann sah er das Gesicht, ein Schrecken durchfuhr ihn, er zitterte am ganzen Körper. Wie war das möglich? Dieser Mensch hier. Jetzt – ein furchtbares Lachen erfüllte den Raum. Der Mund öffnete sich, Andrew konnte die gelben Zähne genau sehen: „Ich kriege dich! Ich kriege dich!“
Das Herz raste und mit letzter, fast übermenschlicher Anstrengung schrie Andrew: „Herr Jesus Christus hilf, o Gott hilf mir bitte!!!!“
Wie vom Blitz getroffen sank die Gestalt des Judas in sich zusammen. Dann war nichts mehr zu sehen.
Andrew hörte ein aufgeregtes Schlüsselgeklapper an der Zellentür. Er öffnete die Augen. Da stand der Wärter im Türrahmen.
"Was war denn los? Ich dachte sie wollten sich umbringen."
"Nein, nein bemühte sich Andrew so ruhig wie möglich zu erwidern. Ich habe schlecht geträumt, sonst ist alles ok."
"Na, dann ist ja alles in Ordnung."
Noch einmal, mit den Augen die Zelle inspizierend, ging der Wärter wieder nach draußen.


Der 25. Tag

Es wurde 15 Uhr, bis Walter zum Gefängnis kam. Der Morgen war angefüllt gewesen mit den Vorbereitungen zu einer Trauung. Die Arbeit musste weiterlaufen. Walter merkte schon, dass die zwei Stunden im Gefängnis ihm fehlten. Aber er sah darin eine wichtige Aufgabe. Und wenn er daran dachte, dass Andrew in zwei Wochen nicht mehr da sein würde, getötet für etwas, was er nicht getan hat, wurde es ihm ganz anders. Er hatte Andrew gerne und konnte sich vorstellen, so einen Men­schen als Freund zu haben. Andrew war ein wertvoller Mensch, das hatte Walter gemerkt. Und jetzt freute er sich schon auf die Zeit mit ihm.
Nach der freundschaftlichen Begrüßung konnte Andrew es kaum abwarten, Walter von seinem furchtbaren Traum zu erzählen.
Walter lauschte gespannt der Erzählung, konnte sich keinen rechten Reim darauf machen. Vielleicht, so meinte er, habe ihn die Erzählung sehr berührt und getroffen.
Aber der Satz „ich kriege dich“ machte beide doch etwas stutzig, zumal er auch schon im ersten Traum vorgekommen war.
Ob es vielleicht mit der Todesstrafe zu tun hat?
Walter meinte dann, dem Traum nicht so eine große Bedeutung zukom­men zu lassen, das würde nur Zeit wegnehmen und letztlich doch nichts bringen.
Andrew stimmte zu und war nun gespannt, wie es bei Jesus und den Jün­gern weitergehen würde.
„Ich schlage vor“, sagte fragend Walter, „ein kurzes Gebet zu sprechen, falls du nichts dagegen hast?“
„Nein, ganz im Gegenteil, nach dem Traum sehe ich das als wichtig an.“
Walter bat Gott um Weisheit und Verständnis beim Studieren der Bibel und legte die Zukunft, ganz besonders die von Andrew, in die Hände Jesu.
Dann öffnete er die Bibel und schlug das Neue Testament auf. Er blät­terte zu Johannes, Kapitel 16.
Er erklärte, dass die Jünger diese neue Situation nicht richtig deuten konnten. So vieles war geschehen.
Das Abendessen oder Abendmahl war beendet, das restliche Brot und der Wein wurden weggestellt.
Wie die Jahre davor, so sangen sie nun den Lobgesang als gemeinsamen Abschluss. Doch es sollte ganz anders kommen.
Walter nahm Andrew wieder mit auf die Zeitreise, zurück in das Oberge­mach, wo Jesus mit seinen Jüngern gerade die 3. Strophe aus einem Psalm voller Kraft und Ehrfurcht sang.
Andächtig standen sie am anderen Ende des Raumes. Der Gesang drückte die Dankbarkeit für die Führung Gottes in der Vergangenheit aus und zugleich das Vertrauen, dass die Zukunft auch in Gottes Hand liegt. Mit einem bestätigenden Amen reichten alle einander die Hände.
Stille herrschte im Raum, alles wartete auf Jesus. Auf Jesu Gesicht lag Traurig­keit, aber auch Zuversicht und Hoffnung.


Normalerweise sprach Jesus nun ein Gebet. Doch da dieser Abend ein besonde­rer war, sagte Jesus vorher noch folgendes:
„Wir haben gemeinsam Abendmahl gefeiert. Es hat mir gut getan, diesen letzten Abend mit euch zu verbringen. Leider ist Judas nicht mehr unter uns, seine Ent­scheidung hat er getroffen.
Ich bin vom Vater, vom Himmel auf die Welt gekommen und werde wieder zu meinem Vater gehen. Seid nicht traurig, denn ich werde euch und allen, die an mich glauben, eine himmlische Heimat bereiten, damit ihr seid, wo ich dann bin. Ja, ich werde dann wiederkommen und alle zu mir holen.
Ich lasse euch aber nicht allein, der Heilige Geist wird dann bei euch sein.
Ich habe nun einen schweren Gang vor mir. Auch ihr werdet vieles nicht verstehen und mich allein lassen.
Deswegen, lasst uns gemeinsam hinknien zum Gebet.“
Die Jünger waren erstaunt über die Worte Jesu. Betroffen und unsicher standen sie einfach da. Was sollte das alles? Keiner wagte zu fragen. Jesus kniete sich nun nieder, und diesem Beispiel folgten die Jünger. Ein Kreis hatte sich gebildet.
Andrew und Walter waren so von der heiligen Atmosphäre berührt, dass auch sie automatisch, in dem Bewusstsein der Gegenwart Gottes, auf ihre Knie sanken.
Jesus faltete seine Hände und der Blick zeigte zum Himmel.
„Vater, die Stunde ist da: Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrli­che.
Denn du hast mir Macht gegeben über alle Menschen, damit ich allen das ewige Leben geben kann, die du mir gegeben hast.
Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.
Ich habe dein Werk vollendet. Ich habe meinen Jüngern und den Menschen dein Wort gegeben, und die Welt hat sie gehasst, den sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin.
Ich bitte dich nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie bewahrst vor dem Bösen.
Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, damit sie alle eins seien.
Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast.
Gerechter Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast.
Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen.
Amen.”
Während Jesus betete, strahlte sein Gesicht. Jeder im Raum spürte die innige Gemeinschaft zwischen Gott und Jesus.
Jesus stand nun auf, nicht traurig, sondern seiner Sendung bewusst.
Bevor sie den Raum verließen, stimmte er noch ein Loblied an.
Mit seiner frohen Stimme verscheuchte er die etwas gedrückte und angespannte Stimmung der Jünger, die dann auch mitsangen:
Lobet den Herrn, alle Heiden!
Preiset ihn, alle Völker!
Denn seine Gnade und Wahrheit
waltet über uns in Ewigkeit.
Halleluja!
Voller Ehrfurcht standen Andrew und Walter am Rande des Geschehens. Tief ergriffen folgten sie nun Jesus und den Jüngern aus dem Haus.
Draußen auf der Straße umfing sie das orientalische Treiben. Jesus bahnte sich mit seinen Jüngern einen Weg über den Marktplatz. Dann bogen sie in eine kleine Seitengasse ein, die direkt auf die Stadtmauer zulief.
Durch das Tor führte der Weg ins Freie, zum Ölberg.
Als sie schweigend den Fuß des Ölbergs erreicht hatten, hielt Jesus noch einmal an. Er bat sie noch einmal alle zu sich.
„Meine lieben Freunde. Ich habe zwölf erwählt. Der eine, der nicht mehr unter uns ist, ist ein Teufel!
Ich sagte es schon, das in dieser Nacht ihr alle Ärgernis an mir nehmt und mich alle verlassen werdet.“ Und zu Petrus, der das nicht Wahrhaben wollte, sagte Jesus: „Wahrlich ich sage dir: Heute, in dieser Nacht, ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“
Eine Empörung entbrannte: „Wir werden dich doch nicht allein lassen?“ Und Petrus bekräftigte das Ganze noch, indem er mit Jesus in den Tod gehen wollte.
Doch auf die Prüfung, die vor den Jüngern lag, waren sie nicht vorbereitet.
Jesus schaute voller Mitleid auf seine Jünger und setzte seinen Weg fort. Sein Ziel war ein abgeschiedener Ort. Hierhin zog es Jesus. Schon oft war er die letzten dreieinhalb Jahre hierher gekommen, um zu beten.
Dieser Ort war ein kleiner Garten mit altem Baumbestand und nun Zufluchtsort Jesu. Dieser Garten sollte Zeuge werden, was die Liebe Gottes und der Gehor­sam Jesu Christi vollbringen würden.
Sie waren nicht mehr weit von diesem Garten Gethsemane.
Jesus fühlte schon jetzt die Einsamkeit, das Verlassensein und die Verantwortung, die auf ihm lasten sollte. Er hatte Angst.
Es waren nur noch wenige Meter bis zum Eingang. Da sagte Jesus zu seinen Jüngern:
„Meine Seele ist betrübt bis an den Tod.“
Walter hatte Andrew bis hier her immer mal einige erklärende Worte gesagt. Doch nun gingen sie schweigend hinter der Gruppe her. Andrew fiel auf, dass Jesus wie unter einer schweren Last stand. Mit den Jüngern erreichte er den Eingang vom Garten Gethsemane. Nachdem die Gruppe sich im Garten um Jesus geschart hatte, hörten Andrew und Walter, die noch am Eingang standen, wie Jesus seine Jünger bat, für ihn zu beten, aber auch für sich selbst. Er bat sie, mit ihm zu wachen und ihn auch so zu unterstützen, in der Entscheidung, die vor ihm lag.
Mit Petrus, Jakobus und Johannes ging Jesus noch ein Stück weiter in den Garten hinein.
„Was ist denn an den drei Jüngern so besonders, dass Jesus sie mit sich nimmt?“ fragte flüsternd Andrew.
„Weil diese drei seine vertrautesten Gefährten waren. Sie waren mit Jesus auf dem Verklärungsberg gewesen und hatten erleben dürfen, wie Mose und Elia mit Jesus sprachen. Auch die Stimme Gottes vom Himmel hatten sie hören dürfen. Deswegen wollte Jesus sie in der Nähe wissen während seines großen Kampfes, den er zu bestehen hatte.“
„Horch, Jesus spricht mit ihnen.“ Andrew und Walter gingen noch einige Schritte näher an die Vierer-Gruppe.
Der Mond trat in diesem Moment hinter einer kleinen Wolke hervor. Er beschien mit seinem fahlen Licht die ganze Szenerie und verwandelte alles in eine eigenar­tige, weltfremde Atmosphäre.
Andrew und Walter hatten sich eine Stelle unter einem alten knorrigen Olivenbaum ausgesucht. Von hier aus würden sie alles mit ansehen und anhören können.
Die Wolken hatten sich verzogen und der Mond stand nun voll am sternenklaren Himmel, alles beleuchtend.
Die drei Jünger wurden sich nun langsam bewusst, dass sich etwas Außerge­wöhnliches ereignen würde.
Sie erkannten ihren Herrn kaum noch. Diese aufrechte Gestalt, voller Selbstbe­wusstsein, Güte und Liebe, ihr Meister, war in sich zusammengesunken. Das Licht zeichnete tiefen Kummer und Angst in sein Gesicht. Dann sagte Jesus:
„Ich brauche eure Nähe und Anteilnahme. Ich brauche eure Gebete. Ich habe Todesangst, helft mir in diesen Stunden, den Kampf siegreich zu beenden. Betet für mich, damit ich nicht überwunden werde.
Betet für mich, damit ich die Aufgabe, für die ich auf diese Erde gekommen bin, siegreich beenden kann, zum Segen für alle Menschen. Darum, bleibet hier und wachet mit mir.“
Bei den letzten Worten zitterte Jesu Stimme. Er drehte sich noch einmal zu seinen drei Jüngern um, nickte ihnen mit flehenden Augen zu und ging langsam und gebeugt noch ein wenig weiter.
Ein alter umgestürzter Ölbaum lag neben einem mächtigen Baum, dessen Krone sich weit ausladend, ja fast beschützend über Jesus legte.
Unter diesem blieb Jesus stehen, flehend sah auf zum Himmel. Nach einigen Minuten beugte er sich und sank auf seine Knie.
Seine gefalteten Hände ruhten auf dem gestürzten Ölbaum, dessen abgestorbene Äste sich wie hilfesuchende Arme und Hände zum Himmel streckten.
Andrew und Walter saßen wie versteinert. Sie waren von der Atmosphäre der Stunde gefangengenommen.

Erst das laute, wiederholte Klopfen an der Zellentür holte die beiden Freunde zurück in die Gegenwart.
Gerade jetzt, wo die Spannung der Situation Andrew und Walter in ihren Bann gezogen hatte, war die Besuchszeit wieder abgelaufen.
„Walter, es ist aber auch zu dumm. Ich habe etliche Fragen, die ich mit dir besprechen will.“
„Ich lasse dir noch eine Konkordanz da, damit kannst du Bibeltexte finden, indem du einfach nach einem bestimmten Wort suchst. Zum Beispiel Leben – unter diesem Stichwort findest du alle Texte, die mit Leben zu tun haben. Versuche doch einmal, das, was wir erlebt haben, noch einmal zu erarbeiten. Vielleicht kannst du dir deine Fragen selber beantworten. Versuchs mal!
Doch, bevor ich‘s vergesse. Morgen und übermorgen kann ich leider nicht kommen, ich habe eine lang geplante Fahrt mit meinen Jugendli­chen. Tut mir leid, Andrew. Aber Donnerstag, pünktlich um 15 Uhr, bin ich wieder da. Versprochen.“
Das passte Andrew gar nicht, und er war ein wenig sauer, musste aber zugeben, dass nicht nur er allein auf der Welt war und auch andere Verpflichtungen für Walter wichtig waren.
Nach einem kurzen Segensgebet verabschiedeten sich die beiden.
Ganze zwei Tage. Bei dem Gedanken wurde es Andrew doch ein wenig komisch im Magen. Niemanden, mit dem er sich unterhalten konnte. Er war nun allein mit seinen Gedanken.
Andrew legte sich erst einmal auf sein Bett. Das, was er erlebt hatte, musste er für sich nun noch einmal durchdenken.
Das Abendbrot wurde durch die Klappe gereicht. Mit viel Appetit genoss er die guten Sachen.
An diesem Abend lag Andrew noch lange wach. Die Bilder hatten sich tief eingegraben.
Was hatte Jesus gesagt? Er würde vor der Vollendung seiner Aufgabe stehen? Warum hatte er denn solche Angst? Ja, die ganze Gestalt Jesu war nicht mehr dieselbe wie beim Abendmahl.
Wie riesig und schwer muss dieser Kampf sein, der einen Menschen so verändert.
Andrew sah ganz klar das Bild vor sich, wie Jesus sich niederkniete, die Hände faltete und auf den Baumstamm legte.
Diese Szene vermittelte, dass hier etwas Ungeheures und Einmaliges geschehen würde.
Andrew war so von seinen Überlegungen und Gedanken gefangengenom­men und so versunken, dass er gar nicht bemerkte, dass der alte Wärter in die Zelle gekommen war. Erst als dieser Andrew am Arm zupfte, sah er den Wärter, Herrn Schmitt, vor sich stehen.. Er zuckte erschreckt zusammen. Andrew wollte schon fragen, was denn los sei, als der Wärter den Finger an den Mund legte und somit Ruhe signalisierte.
Andrew wusste nicht, wie ihm geschah. Was sollte dieses geheimnisvolle Gehabe?
„Los, steh auf, die Freiheit winkt“, flüsterte der Wärter. Ungläubig starrte Andrew ihn an und flüsterte zurück: „Ich verstehe nicht, ich kann doch nicht so einfach abhauen, das ist doch wie ein Schuldgeständnis.“
„Dummes Gerede, jeder weiß, dass du unschuldig bist, und deswegen steht dir die Freiheit zu!“
„Aber ich kann doch nicht so einfach …“
„Rede nicht so ein dummes Zeug“, zischte er, „vertrau mir, ich kenne mich damit aus. Komm einfach mit. Ich helfe dir, deine Freiheit wieder zu bekommen.“
„Wo soll ich denn hin? Ich werde doch immer ein Verfolgter sein, immer mich verstecken. Wovon soll ich leben? Nein, das ist mir zu heikel.“
„Du stellst dich aber an. Ich werde schon für dich sorgen, vertraue mir. Ich mag dich, und deswegen helfe ich dir auch. Meine Hütte in den Bergen wird dir ein Zuhause sein. Als Gegenleistung musst du allerdings ein wenig Holz für mich schlagen und zu Brennholz verarbeiten. Die Arbeit wird dir gut tun. Das ist doch besser, als hier in der Zelle auf den Tod zu warten. So, nun komm und überlege nicht lange, deine Freiheit ruft. Ich bin bei dir!“
Immer noch zögernd stand Andrew auf und ging hinter den Wärter her. Komisch war ihm allerdings zumute. Nein, das konnte er nicht machen, schoss es Andrew durch den Kopf, und er blieb stehen.
„Ich komme nicht mit“, rief er leise dem Wärter zu.
Dieser drehte sich um, lächelte ihn honigsüß an und sagte überzeugend: „Du kennst doch die Geschichte in der Bibel von Petrus im Gefängnis? Auch er war unschuldig! Da kam nachts ein Engel des Herrn und verhalf ihm zur Flucht. Also, ich bin dein Engel, begreif es doch endlich! So, und nun weiter.“
Andrew musste sich eingestehen, dass er nichts dagegenzusetzen hatte, und so folgte er dem Wärter.
Durch viele Türen und Gänge gingen sie, und für alle waren die richtigen Schlüssel stets da.
Und dann standen beide draußen vor dem Gefängnis – in Freiheit.
Andrew sog die kühle Nachtluft begierig ein und konnte es kaum glauben.
Der Wärter legte Andrew einen Schlüssel in die Hand und sagte: „Pass genau auf! Du gehst diese Straße, die aus dem Ort führt, immer gerade­aus.
Nach gut zwei Kilometern kommst du an eine Kreuzung. Biege nach links ab, in den Wald. Diese Straße führt in die Berge. Nach weiteren drei Kilometern kommst du an eine Gabelung. Die Hauptstraße geht weiter in einer Rechtskurve, die andere, etwas kleinere führt weiter fast geradeaus. Zusätzlich steht auf dem Wegeschild „Zur Höhe“ – diese Straße gehst du. Nach knapp zwei Kilometern endet dieser Weg auf einer großen Lichtung.
Du wirst gut drei Stunden brauchen. In drei Stunden werde ich dann kommen, und gemeinsam gehen wir dann zur Hütte. Alles kapiert? Na, dann man los und verliere den Schlüssel nicht!“
Kaum hatte der Wärter ausgesprochen, verschwand er auch schon hinter der schweren Tür.
Da stand Andrew, konnte es kaum glauben – in Freiheit.
Die Nacht war stockdunkel und er musste sich erst an diese Dunkelheit gewöhnen. Der Nordwind war kalt und blies genau aus der Richtung, in die sein Weg in die Freiheit führte.
Erst jetzt bemerkte Andrew, dass er einen Mantel umhatte, und dankte im Stillen für die Fürsorge des Wärters. Der Himmel war übersät mit Ster­nen, nur der Mond verbarg sich noch.
Schnellen Schrittes folgte Andrew der Straße. Es war eine Allee, rechts und links standen alte Bäume.
Kein Laut war zu hören. Es war ein Glück, dass die Straße in einem guten Zustand war, denn die Dunkelheit wurde durch die Bäume noch verstärkt.
Bald erreichte Andrew die Kreuzung. Aus allen vier Himmelsrichtungen trafen sich die Straßen.
Er bog links ab. Wie spät mochte es jetzt wohl sein? Kein Geräusch, noch nicht einmal das stündliche Läuten der Glocken war zu hören. Eine erdrückende Stille umgab den einsamen Wanderer. Ein wenig unheimlich war ihm schon zumute.
Es war nicht nur die Stille; auch die Situation war ungewöhnlich. Immer wieder kam die Frage: „Habe ich es richtig gemacht?“
Dann musste er an Walter denken, und so etwas wie ein schlechtes Gewissen kam in ihm hoch. Er würde Walter für lange Zeit nicht mehr sehen. Die Fragen, das Geschehen im Garten Gethsemane, endeten mit seiner Entscheidung, diesen abenteuerlichen Weg zu gehen.
Langsam bekam er aber Zweifel. Wenn das nun eine Falle war? Er wollte genau aufpassen.
Andrew fröstelte, trotz des Mantels. Er vergrub seine kalten Hände in die Tiefen der Seitentaschen. Doch was war das? Er hielt eine Tafel Scho­kolade in seinen Händen. Die kam wie gerufen.
Bald hatte er den Wald erreicht. Nur noch ein leises Rauschen war zu hören. Der Wind wurde durch die Bäume abgehalten, die ihre blattlosen Äste in den Himmel hoben. Andrew war nun schon bald zwei Stunden unterwegs. Prüfend schaute er in die Dunkelheit hinein, irgendwo müsste bald die Weggabelung auftauchen.
Schnellen Schrittes ging er weiter. Ein junger Mann voller Zweifel und Fragen, voller Sorgen und mit ein wenig Angst.
Irgendwie hatte Andrew das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Er blieb stehen und horchte. Nichts, nur das Rauschen des Windes in den blatt­losen Baumkronen war zu hören. Vielleicht war es ein Tier?
Andrew ging weiter. Die Zweifel wurden immer stärker. „Ich hätte es nicht tun sollen, ich war ja so dumm! Und nun? Ich laufe auf einer unbe­kannten Straße einem unbekannten Ziel entgegen. Warum habe ich mich verführen lassen? Warum habe ich auf das Gerede gehört?“ Und er ver­wünschte den Wärter.
Wie aus dem Nichts tauchte vor ihm die Gabelung auf. Dann sah er das Schild „Zur Höhe“, da wusste er, dass er richtig war.
Sollte er wirklich weitergehen? Er hatte Angst, in etwas zu geraten, das er nicht mehr kontrollieren konnte. Sollte er umkehren? Noch hatte er Zeit. Wenn er jetzt umkehren und sich stellen würde, wäre das sicherlich ein gutes Zeichen.
Andrew überlegte hin und her. Den ganzen Weg zurück? Und wenn er dabei geschnappt würde?
Während Andrew noch so unschlüssig da stand und am liebsten alles rückgängig gemacht hätte, blinkte in der Ferne ein Licht auf. Sollte das schon der Wärter sein? Nein, dafür war es noch zu früh. Andrew setzte seine Wanderung mit großem Unbehagen fort.
Nach einigen hundert Metern hörte der Asphalt auf und der Weg redu­zierte sich auf zwei Fahrspuren.
Unser Wanderer war fast fünfzehn Minuten gegangen, als das Licht wieder hinter ihm auftauchte. Diesmal aber schon bedeutend näher. Kalter Schweiß brach ihm aus, und Andrew begann zu laufen.
Auf dem steinigen Weg war das Laufen sehr unsicher. Die Entfernung zu dem Licht, wohl einem Motorrad, betrug noch etwa vierhundert Meter.
Rechts und links vom Weg undurchdringliches Gestrüpp und Bäume.
So lief Andrew so schnell es die Umstände zuließen der Lichtung zu, die irgendwo im Dunkel vor ihm liegen sollte.
Der Lichtkegel rückte immer näher. Während Andrew sich kurz umdrehte, passierte es. Eine Wurzel brachte ihn ins Stolpern, und er fiel der Länge nach hin. Unter Schmerzen und ein wenig humpelnd setzte er seinen Weg schnellstmöglich fort.
Das Licht war nun so nah, dass der Kegel ihn fast erreichte. Komisch war nur, das kein Motorengeräusch zu hören war.
Da war die Lichtung. Andrew machte eine Gruppe von Bäumen aus, die dicht beieinander standen und mit den Büschen darunter erst mal ein gutes Versteck abgaben.
Dorthin flüchtete er. Kaum hatte Andrew das Versteck erreicht, war das Licht auch schon auf der Lichtung. Spätestens jetzt hätte man ein Geräusch hören müssen, doch es war still. Sein schneller Atem und das Klopfen seines Herzens kamen Andrew furchtbar laut vor.
Das Licht war nun auf der Mitte der Lichtung angekommen. Jetzt tastete es den Waldrand ab.
Andrew stand hinter einer dicken Eiche, bereit, so fort loszulaufen. Der Lichtkegel kam immer näher. Jetzt hatte das gleißende Licht die Baum­gruppe erfasst, hinter der Andrew stand. Das Herz drohte ihm zu zersprin­gen. Das Licht hielt kurz an, dann war wieder Dunkelheit.
Das Licht hatte die 360-Grad-Drehung beendet. Es war, als überlege es sich, was nun zu tun sei. Dann setzte sich der Lichtkegel wieder in Bewegung. Und das alles, ohne das geringste Geräusch zu machen.
Wieder stand die Baumgruppe für kurze Zeit im hellen Schein. Nach etwa zehn Metern hielt er an und bewegte sich wieder auf die Baumgruppe zu. Er ging weiter, stoppte wieder, kam zurück. Es war, als ob sich das Licht auf die Baumgruppe einpendeln würde, hinter der Andrew, dicht an den Stamm gepresst, stand.
Die Pendelbewegung war zum Stillstand gekommen. Andrew wollte los­laufen, doch es war ihm vor lauter Angst, ja Todesangst, nicht mehr möglich.
Der taghelle Kegel kam langsam auf die Baumgruppe zu. Einige Meter vorher blieb er stehen.
Plötzlich teilte sich das Licht und kam von beiden Seiten auf Andrew zu.
Das Licht blendete so stark, dass die Augen schmerzten. Er konnte nur noch die Augen schließen. Das reichte nicht, und so nahm er noch seine Hände dazu und legte sie über seine Augen.
Dann hörte Andrew eine Stimme wie einen Wasserfall, so mächtig.
„Warum hast du das getan?“
Andrew verlor alle Kraft aus seinen Knien und sank zu Boden.
Dann schrie er in Todesangst: „Erbarmen, ich weiß es nicht, ich weiß es nicht.“
So saß er kniend am Fuße des riesigen Baumes und flehte, die gefalteten Hände vor sich, in seiner Todesangst, um Gnade.
Plötzlich was das Licht verschwunden. Dunkelheit umgab ihn.
Erst nach einer ganzen Weile öffnete Andrew vorsichtig die Augen. Das was er jetzt sah übertraf alles bisher da gewesene. Er konnte es nicht glauben, und doch war es so.
Andrew befand sich kniend vor seinem Bett in der Zelle.
Er saß in der gleichen Gebetshaltung wie Jesus im Garten Gethsemane. Seine Hände lagen auf dem Bett und er schaute nach oben.
Andrew konnte es kaum fassen, so real war das alles gewesen. Er brauchte eine ganze Weile, um überhaupt zu begreifen, wo er war.
Die Sirene ertönte, das Licht ging an, ein neuer Tag begann.
Der 26. Tag

Andrew erhob sich langsam. Sein Knie schmerzte. Ja, sein ganzer Körper tat ihm weh. Er war während des Traums aus dem Bett gefallen.
Er setzte sich auf die Bettkante und ließ den Traum noch mal an sich vorüberziehen. Eine Ahnung stieg in ihm hoch, und langsam begriff er, dass dieser Traum für ihn eine Bedeutung haben sollte.
Aber welche?
Dankbar faltete er seine Hände und stammelte zum ersten Mal seit lan­gem ein Dankgebet.
Das Frühstück schmeckte ihm heute besonders gut.
Den einstündigen Hofgang genoss er. Schnee lag in der Luft, denn der Wind hatte sich gedreht und man konnte es riechen.
Ein wenig durchgefroren erreichte er seine Zelle. Dort nahm er die Bibel zur Hand und las noch einmal die Stelle durch, die er mit Walter erlebt hatte.
So verging der Tag.
Immer wieder kehrten seine Gedanken zum Traum zurück.
Als am späten Nachmittag der alte Wärter noch in die Zelle kam, um die vorgeschriebene Kontrolle durchzuführen, hätte Andrew ihm beinahe den Traum erzählt, so real hatte er ihn erlebt. Doch als der Wärter erwähnte, dass er heute morgen erst von New York zurückgekommen sei, war es Andrew endgültig klar, dass es ein Traum gewesen war.
Der 27. Tag

Als die Sirene den neuen Tag begrüßte, sprang Andrew gleich aus dem Bett. Er hatte wunderbar geschlafen und freute sich schon auf den Besuch von Walter. Er konnte es kaum abwarten.
Gegen 11.00 Uhr klopft es an die Tür.
„Endlich, komm rein“, Andrew war aufgesprungen, um seinen Freund zu begrüßen.
Doch welche Enttäuschung, Walter war es nicht. Der Wärter übergab nur ein Telegramm.
Das war bestimmt die ersehnte Nachricht vom Gouverneur. Ohne auf den Absender zu sehen, riss Andrew den Umschlag voller Erwartung auf.
Als er aber die wenigen Zeilen las, wurde ihm ganz anders im Magen. Warum? Das konnte und durfte doch nicht wahr sein.
Lieber Andrew,
leider muss ich dir mitteilen, dass wir einen Unfall mit dem Bus gehabt haben. Ich bin z. Zt. noch im Krankenhaus, hoffe aber bald bei dir zu sein.
Gott gebe dir viel Kraft und Segen!
Dein Freund Walter
Wie konnte das denn passieren? Andrew war wie vom Schlag getroffen. Er hatte sich schon so gesehnt, mit Walter wieder hineinzutauchen in das Geschehen Gethsemane. Und nun das.
„Das ist unfair, Gott“, kam es aus ihm heraus. Ja, er fand es regelrecht gemein. „Gott, du bist doch allmächtig! Es wäre ein Leichtes für dich gewesen, bewahrend einzugreifen. Du weißt doch, wie ich auf Walter warte und ihn brauche? Ich verstehe das nicht, da komme ich nicht mit! Wo bleibt deine väterliche Fürsorge? Du bist doch unser Vater im Him­mel? Handelt so ein liebender Vater?
Wenn du schon alles in deinen Händen hältst, dann lass Walter morgen bitte hier sein, dann mache ihn ganz gesund. Du weißt, ich brauche ihn. Und noch etwas. Lass ein Wunder geschehen, dass ich nicht die Todes­strafe bekomme, stimme den Gouverneur gnädig.
Ich habe doch so schreckliche Angst zu sterben. Zeige deine Macht. Verzeihe mir meine anklagenden Gedanken, aber so empfinde ich das alles. Amen“
Andrew öffnete die Augen, sah auf seine gefalteten Hände, und mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass er ja gebetet hatte. Ja, er hatte Zwiespra­che mit Gott gehalten. Zum ersten Mal ein ehrliches Gebet.
Andrew fühlte sich innerlich frei, und auch die Enttäuschung über das Telegramm war nicht mehr so niederschmetternd.
Er nahm sich vor, das vernachlässigte Tagebuch wieder auf den neuesten Stand zu bringen. Er hatte vor drei Tagen aufgehört zu schreiben. Irgendwie war es ihm nicht mehr so wichtig gewesen, doch jetzt empfand er ein Bedürfnis, diese letzten drei Tage im Tagebuch festzuhalten. Er hatte sich vorgenommen, am letzten Abend vor der Hinrichtung Walter das Buch als Abschiedsgeschenk zu geben.
Müde legte er sich ins Bett. Ein Tag mit den verschiedensten Stim­mungsschwankungen neigte sich dem Ende zu. Andrew ließ alles noch einmal an sich vorüberziehen. Irgendwie war er dankbar. Das Schreiben hatte ihm viel gegeben, denn vieles war ihm bewusst geworden.
Nachdem das Licht gelöscht war, dankte Andrew im Gebet für den Tag und bat für Walters Genesung. Aber auch seine Zukunft, mit der Bitte, ihn nicht sterben zu lassen, legte er Gott vor.
Mit einem tiefen Frieden im Herzen schlief Andrew ein.
Der 28. Tag

Andrew fühlte sich nicht gut, als er aufwachte. Er hatte auch schlecht geschlafen. Immer wieder musste er an den Traum denken.
Mühsam stand er auf, machte sich fertig um dann in Ruhe sein Frühstück zu genießen.
Doch irgendwie war alles ohne Sinn. Eine depressive Stimmung nahm Besitz von Andrew. Draußen war die Sonne hinter einer Regenwand verschwunden. Missmutig setzte er sich auf das Bett.
Was würde wohl Walter machen? Es war ihm klar, der würde zu Gott beten. Aber auch dazu hatte Andrew keine Lust. An gar nichts hatte er Interesse.
Nach dem Mittagessen legte er sich hin, und schlief fast bis zum Abend.
Er fühlte sich etwas besser und ausgeruhter. Doch irgendetwas steckte in ihm drin.
Abendbrot, eine Kopfschmerztablette und dann hinlegen.
Als das Licht gelöscht wurde, war Andrew schon längst eingeschlafen.


Der 29. Tag

Erst als das Licht anging wachte Andrew auf.
„Na, immer noch müde, oder sind sie krank? Haben sie noch Kopfschmerzen?
Andrew schaute den Wärter mit halb offenen Augen an, und murmelte wie im Halbschlaf: „ Vielen Dank, es geht schon etwas besser, aber so richtig, ne glaube ich nicht. Der Kaffee wird mir sicherlich gut tun.“
„ Na dann ruhen sie sich aus. Der Hofgang bleibt ihnen ersparrt. Guten Appetit. Bis später.“

Nach dem Essen legte Andrew sich wieder hin. Er dachte an Walter. Morgen würde er kommen. Endlich, wieder jemanden haben, mit dem man sich unterhalten konnte, der einen verstand. Dankbar schlief er ein.
Zwischen wachen und schlafen verging der Tag. Abends ging es ihm schon besser. Er las noch ein wenig, dachte nach, betete und dabei schlief er friedlich ein.


Der 30. Tag

Heute kommt Walter, waren die ersten Gedanken, die Andrew hatte, als er aufwachte. Als Walter dann aber um zehn Uhr nicht da war, hoffte Andrew auf 15 Uhr. Doch als es dann halb vier wurde, wuchs die Enttäu­schung.
Er hätte doch wenigstens Bescheid sagen können, dass es wieder nicht klappt. Sonst war er immer so pünktlich und genau. Auf Walter konnte man sich verlassen. Und jetzt das!
Ob er überhaupt noch kommen würde? Aber diesen Gedanken schob Andrew schnell von sich.
Die Zeit vergeht ja so langsam, wenn man auf etwas wartet.
Der Zeiger der Kirchturmuhr bewegte sich auf die Vier zu. Doch was war das? Ein bekanntes Geräusch. Schritte näherten sich. Und jetzt das Ras­seln des Schlüsselbundes. Die Tür öffnete sich. Das leise knarrende und quietschende Geräusch der Tür war wie Musik in den Ohren von Andrew.
Da stand Walter, strahlend ging er auf Andrew zu und beide umarmten sich:
„Da bin ich wieder, sei gegrüßt, mein Freund.“
„Endlich bist du da, was bin ich froh, dich gesund zu sehen. Wie geht es dir? Hast du alles gut überstanden? Mensch, das war ja ein Schreck, als ich von dem Busunglück hörte. Wie geht es denn den anderen?“
„Du kommst mir vor wie ein wandelndes Fragezeichen. Bevor ich auf all diese Fragen antworte, erst einmal Zeitung, Trinken, Essen. Ich muss dir aber gleich sagen, dass ich heute nicht lange dableiben kann. Ich habe noch viel zu erledigen, was liegengeblieben ist. Morgen komme ich dafür schon um zehn Uhr. Aber ein halbes Stündchen habe ich noch.“
Und dann begannen die beiden zu erzählen, was sie in den letzten Tagen so erlebt hatten.
Andrew berichtete von seinem so realen Traum, aber auch darüber, dass er mit Gott geschimpft hatte, weil der Unfall passiert war.
Die Zeit verging wie im Fluge.
Walter sah auf seine Uhr und meinte dann: „Wir haben überzogen! Ich muss leider gehen.
Andrew war glücklich. Alles, was sich so angestaut hatte, war gesagt wor­den. Er spürte, wie gut es tut, wenn ein Mensch da ist, Zeit hat und zuhören kann. Ein Mensch, der Anteil nimmt, ist etwas Großartiges.


Nach dem Mittag genoss er es, die Zeitung in Ruhe durchzulesen. Nebenbei knabbern und was Schönes trinken. Wie wenig braucht ein Mensch, um dankbar zu sein.
Der 31. Tag

Pünktlich um 10 Uhr war Walter da.
„Und, gut geschlafen heute Nacht? Oder hast du dich irgendwo herum­getrieben“, scherzte Walter.
„Komm, hör auf, diese Tour hat mir gelangt. Bin heute noch ganz außer Atem“, konterte Andrew. „Setz dich doch, du hast nur noch neunmal Gelegenheit hier zu sein“, witzelte er mit einem traurigen Unterton.
„Ist denn schon irgendeine Reaktion vom Gouverneur gekommen?“
„Nicht wirklich, er schrieb nur, dass dein Fall in Arbeit ist, und wenn nichts dazwischen kommt, werden wir in etwa fünf Tagen mit einer vorläufigen Antwort rechnen können.“
„Was heißt vorläufig? Entweder Ja oder Nein! Oder gibt es noch was anderes?“
„Das einzige, was noch sein kann, ist die dritte Variante. Der Termin wird verschoben.“
„Ist letztlich auch egal, ich muss es so nehmen wie es kommt.“
„Genau, unser starker Gott kann Dinge ändern und ganz neue Situatio­nen schaffen, an die wir nicht mal im Traum dran denken.“
„Wieso bist du dir da so sicher?“
„Ich habe schon einiges erlebt. Meine Zukunft hatte ich mir auch ganz anders vorgestellt. Und dann kommen plötzlich Ereignisse, die dein gesamtes Gedankengebäude einstürzen lassen. Und bisher muss ich sagen, dass nach anfänglicher Wut und auch Verzweiflung langsam die Einsicht kam, dass es wohl doch richtig war. Vertrauen wir einfach auf seine Führung.“
„Ich habe keine andere Wahl.“
„Das stimmt, aber du hast die Wahl, dich dagegen aufzulehnen, dir unnötig Sorgen zu machen, oder die Situation, wie sie nun einmal ist, so weit es geht zu akzeptieren. Nicht nach dem warum fragen, sondern wozu.“
„Leicht gesagt! Weißt du, ich denke mehr als du ahnst an das Urteil. Und dann bekomme ich furchtbare Angst und Beklemmungen. Ich fange an zu schwitzen. Ich weiß dann nicht, wie ich die nächsten Stunden durchstehen werde. Es ist einfach schrecklich. Das Alleinsein hier in der Zelle. Und dann sehne ich mich nach einem Menschen, der zu mir hält. In dir habe ich so einen Menschen gefunden, doch dann muss ich an Yvonne denken, und dass sie nicht mehr kommt. Das bricht mir dann fast das Herz. – Ich muss mich eben damit abfinden.“
Walter schaute Andrew tief und nachdenklich in die Augen. „So genau hast du mir das ja noch nie erzählt.“
Beide saßen ruhig am Tisch, jeder in seiner Gedankenwelt, als Andrew schließlich meinte: „Ich muss es so nehmen wie es kommt!
Aber jetzt interessiert mich, was eigentlich im Garten Gethsemane pas­siert. Können wir wieder eintauchen in das Geschehen?“
„Natürlich! Also, Jesus stand kurz vor der Vollendung seiner Aufgabe. Und diese Aufgabe türmte sich vor ihm so mächtig auf, dass er Angst hatte, sie nicht zu erfüllen.“

„Es steht doch irgendwo, dass Jesus die Sünden der ganzen Menschheit zu tragen hatte, um uns zu erlösen? Ist das diese besondere Aufgabe?“
„Ja, genau. In Johannes 3.16 steht:
Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eigenen Sohn dahingab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, son­dern das ewige Leben haben.
Jesus ist nun bereit, die Sündenlast auf sich zu nehmen, und das, weil er uns liebt. Gott hat schon zu Eva und Adam im Paradies gesagt, dass eines Tages ein Retter kommen werde, der den Kopf der Schlange, das ist Satan, zertreten werde. Und nun ist das eingetroffen, was durch viele Stellen in der Bibel prophezeit wurde.
Jesus kam auf die Erde, lebte hier und stirbt den Tod, den wir eigentlich sterben sollten. Denn wer sündigt, ist schuldig und trennt sich von Gott und muss sterben.“
„Dann muss Jesus doch auch sterben, wenn er die Sünden aller Men­schen auf sich nimmt?“
„Ja, wenn Jesus gesündigt hätte. Doch Jesus war sündlos. Nur ein sünd­loses Wesen konnte diese Aufgabe übernehmen. Jesus war bereit dazu.
Satan versuchte ihn zur Sünde zu verleiten, doch durch die enge Ver­bindung mit seinem Vater im Himmel konnte er bis jetzt widerstehen.
Kannst du nun verstehen, in welcher Lage sich Jesus befand? Er hätte sich befreien können, doch seine Liebe zu uns Menschen ist so groß, dass er durch das letzte Kapitel seiner Erdenlaufbahn ging.
Und dadurch bekommt die Versöhnungstat, die universale Heilstat Jesu, für mich noch mehr Gewicht.“
„Jetzt begreife ich, Jesus kann dem Ganzen entfliehen. Er tut es aber nicht, weil er uns liebt … weil er mich liebt. Er möchte, dass ich auch bei ihm sein kann. Das ist Wahnsinn. Aber warum? Was findet Gott oder Jesus besonders an mir? Ich bin doch nur ein kleines Sandkorn im Meer der Zeit.“
„So ist das aber. Jesus liebt den Sünder, aber nicht die Sünde. Er liebt jeden Menschen – Gott ist Liebe, Jesus ist Liebe.
Das kann man mit unserm kleinen Verstand nicht fassen. Denn wenn wir Gott begreifen könnten, wäre Gott, nicht mehr Gott. Indem Jesus anstelle von uns die Sündenlast trägt, zeigt er seine unbegreifliche Liebe zu sei­nen Geschöpfen.“
„Hätte Gott nicht die Macht gehabt, schon damals, im Garten Eden, die Sünde, das heißt Satan, den Teufel, zu vernichten und auszurotten?“
„Ja schon, die Macht hätte Gott gehabt, aber dann hätten die Welten und die Engel nicht mehr aus Liebe gehorcht, sondern aus Furcht. Gott wollte dem ganzen Universum zeigen, wie schrecklich Sünde ist, was sie bewirkt, wohin es führt, wenn man sich mit dem Bösen beschäftigt.
Satan hatte nämlich Gott angeklagt. Er behauptete, dass Gott ungerecht sei und nicht ein Gott der Liebe.
Jesus ist der Beweis, dass Gott nur das Beste für uns will.“
Das waren einige neue Gedanken, die Andrew erfahren hatte; umso weni­ger konnte er es abwarten, wieder die Zeitreise zu beginnen. Er wollte Jesus noch besser kennen lernen.
Walter nahm seine Bibel zur Hand und schlug Matthäus 26.39 auf.

Da waren sie wieder an ihrem Platz im Garten Gethsemane.
Als Andrew die Augen öffnete, sah er gerade, wie der Mond sich hinter einem mäch­tigen Baum versteckte. Ein leichter Wind wehte. Alles war still. Kein Vogelruf, keine Grillen, nur das leichte Rascheln der Blätter konnte man erahnen. Andrew wagte kaum zu atmen. Jedes Geräusch würde die Einzigartigkeit und die Heilig­keit der Situation stören. Die Ehrfurcht gebietende Stille, der Mond, der nun wieder sein ganzes Licht über das Geschehen ausbreitete, verkündeten die Besonderheit der Stunde.
Ein Klageruf zerriss die Atmosphäre.
Jesus, der bisher still und fast bewegungslos neben dem Stamm des Ölbaums gekniet hatte, riss seine Hände empor.
Jesus fühlte sich so erbärmlich, der Abgrund, der sich vor ihm auftat, war so gewaltig, dunkel und tief, dass sein Geist davor zurückschauderte. Er durfte seine göttliche Macht nicht benutzen, um diesem Kampf zu entrinnen. Als Mensch musste er die Folgen der Sünde der Menschheit erleiden, als Mensch musste er die Strafe auf sich nehmen, stellvertretend für uns Menschen„Oh, mein Gott, verlass mich nicht, hilf mir in dieser Stunde. Mein Vater, mein Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst.“
Mit aufgerissenen Augen, getroffen bis ins Herz, saßen Andrew und Walter unter dem Ölbaum. Tränen stiegen ihnen in die Augen. In diesen Sätzen Jesu war die ganze Einsamkeit, die große Verantwortung, die grausame Tragweite der Sün­denlast zum Ausdruck gekommen.
„Jesus fühlt nun die große Verantwortung und die Schwere der Sündenschuld auf sich. Jesus fühlt sich von seinem Vater verlassen, die Sünde trennte Jesus von seinem Vater. Er fürchtete, dass seine menschliche Natur nicht fähig sein würde, den Kampf mit den Mächten der Finsternis zu bestehen.
Jetzt war der Versucher zum letzten schrecklichen Kampf gekommen, auf den er sich während der dreijährigen Lehrertätigkeit des Herrn vorbereitet hatte. Alles hing von dem Ausgang dieses Kampfes ab,“ erklärte, im Flüsterton, Walter.
Jesus war in sich zusammengesunken. Die Last der Sünde lag auf ihm.
Doch jetzt erhob er sich. Mühsam machte er einige Schritte. Das war nicht mehr die gleiche Gestalt. Er lenkte seine Schritte zu den Jüngern. Das menschliche Herz sehnt sich im Schmerz nach Anteilnahme; auch Christus war in seinem Innersten von dieser Sehnsucht erfüllt. In dieser seelischen Not kam er zu den Jüngern, um bei ihnen Beistand, Trost Stärke und Mitgefühl zu bekommen.
Er war nun an der Stelle, wo er seine drei Jünger zurückgelassen hatte. Doch was er da sah, machte ihn noch trauriger und einsamer, als er ohnehin schon war. Er fand sie schlafend.
Jesus wandte sich an Petrus und fragte ihn:
„Simon, schläfst du? Vermagst du nicht eine Stunde mit mir zu wachen?
Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach.“
Traurig sah er auf die Jünger, wie sie mit dem Schlaf kämpften. Sie hatten die wahre Situation nicht erfasst und begriffen.
Am liebsten wäre Andrew aufgesprungen und hätte die Jünger wachgerüttelt und Jesus in die Arme genommen.
Aber das war nicht möglich. Gespannt verfolgten Walter und Andrew das Gesche­hen, das sich vor ihnen abspielte.
Jesus wurde von übermenschlicher Angst ergriffen. Fast ohnmächtig vor Schwä­che taumelte er zu seinem Platz zurück.
Andrew und Walter spürten die Angst, die sich auf Jesus legte. Sie sahen, dass er unendliche seelische Qualen litt. Immer wieder setzte Jesus zum Gebet an. Seine Schweißtropfen waren wie Blut. Ein Kampf fand statt. Jetzt war die Stunde der Macht der Finsternis über ihn hereingebrochen. Satan versuchte mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, Jesus dahin zu bringen, zu sterben, oder die Menschheit Satan und seinen Engeln zu überlassen.
Und wieder erklang seine Stimme, wie ein Hilferuf. Sie war erfüllt von Angst und Sorge:
„Mein Vater, o mein Vater, ist‘s nicht möglich, dass dieser Kelch an mir vorüber­gehe, ich trinke ihn denn, wenn es dein Wille ist. Nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“
Andrew konnte das alles nicht glauben. Der Sohn Gottes kämpft gegen die dunklen Mächte, damit er, Andrew, einmal bei Jesus sein kann. Unbegreiflich, unfassbar, und einmalig in der Menschheitsgeschichte.
Er zitterte, und auch Tränen des Mitgefühls rannen über seine Wangen. Aber nicht nur er, sondern auch Walter war durch das, was sich vor ihnen offenbarte, tief bewegt.
Keiner merkte, wie dunkle Wolken aufzogen. Wie ein schwerer, dunkler Vorhang zog die Wolkenwand langsam näher und immer näher.
Noch leuchtete der Mond über allem und verzauberte mit seinem silbrigen Licht den Garten Gethsemane.
Das, was sich hier, abgeschieden von allem Volk, vollzog, sollte die großartigste Tat werden, die jemals für die Menschheit getan wurde.
Jesus hörte man sprechen. Seine Stimme war aber so zittrig und angsterfüllt, dass Andrew die Worte nicht verstand.
Walter und Andrew starrten wie gebannt auf Jesus, der Blutstropfen schwitzend, einsam und verlassen, einen Geisteskampf zu durchstehen hatte.
Die ganze Gestalt Jesu war gezeichnet durch Willensstärke und gleichzeitig so gebrechlich und entstellt. Kein Mensch wird je ermessen und nachvollziehen können, was in diesen Stunden der Mensch Jesus Christus durchzustehen und zu leiden bereit war.
Die Faszination, die von diesem Menschen ausging, fesselte Andrew so sehr, dass er gar nicht merkte, das Walter aufgestanden war und ihn schon zum zweiten Mal nun aufforderte, wieder zurückzukehren, in das 19. Jahrhundert.
Da saßen sie nun wieder am Tisch, in der Todeszelle, unfähig auch nur ein Wort zu sagen. Walter formulierte ein Dankgebet:
„Großer Gott, im Namen deines lieben Sohnes sitzen wir vor dir, hier in dieser Zelle, um dir zu danken. Du gabst deinen Sohn für uns, damit wir ewig leben können. Wir sind unfähig, das alles zu begreifen. Aber was wir können, wollen wir tun, dir danken, Herr Jesus Christus, für deine Bereitschaft, an unserer Statt die Strafe auf dich zu nehmen. Deine Liebe, das Opfer für uns zu bringen, können wir nicht fassen. Nimm unser Leben in deine Hände, begleite uns, besonders Andrew. Führe alles so hinaus, wie es für Andrew am besten ist. Dankbarkeit erfüllt unsere Seele. Amen“
Ergriffen von dem Erlebten standen Walter und Andrew auf und fielen sich in die Arme.
„Ich danke dir, dass du mir das ermöglichst und gezeigt hast. Das gibt mir Kraft für die letzten Tage. Danke, Walter.“
Der 32. Tag

Andrew hatte selten so tief und fest geschlafen wie in dieser Nacht. Ein bis dahin kaum gekannter Frieden lag auf ihm. Er war glücklich.
Walter hatte versprochen wiederzukommen, aber erst am Nachmittag. So verbrachte Andrew die Zeit damit, sein Tagebuch zu vervollständigen. Er versuchte auch einige Szenen Jesu mit Bleistift nachzuzeichnen.
Immer wieder kam der Traum der Flucht in seinen Sinn. Was hatte das grelle Licht zu bedeuten und der Satz, „Warum hast du das getan“?
Er konnte keine Antwort darauf finden.
Er versuchte auch herauszufinden was noch trennend zwischen Gott und ihm stand. Andrew hatte ein unbestimmtes Gefühl, dass da noch etwa zu bereinigen war, aber was?
Er bat Gott und Jesus, es ihm zu zeigen und ihm zu helfen, bereit zu sein für Jesu zweites Kommen. Er hatte Sehnsucht nach dem Himmel. Ja, er wollte Walter auch dazu noch etwas fragen.
Wie Andrew so am Tisch saß und über alles nachdachte, kam die Angst vor dem Tod wieder. Sein Mund wurde trocken, sein Herz begann laut zu pochen und seine Hände konnten den Bleistift kaum noch halten. Tod durch den Strang?
Lieber Gott, soll das mein Ende sein? Das Leben, ein neues Leben mit Jesus hatte gerade begonnen. Warum der Gouverneur sich nicht meldet? Irgendetwas muss geschehen, die können doch nicht so einfach einen Unschuldigen töten?
Andrew wurde von einer Panikattacke übermannt. Schwitzend, zitternd und unfähig sich zu Rühren saß er da, jeden Moment dem Tod in die Augen sehend.
Er konnte nur noch stammeln: „Herr Jesus, hilf!“
Nach einigen Minuten löste sich die Spannung, die Todesangst war gewichen.
Andrew sehnte Walter herbei, jemanden der trösten kann, einen Men­schen, der ihn versteht.
Walter war so ein Mensch, vielmehr, er war ein guter Freund geworden.
Endlich war es 15 Uhr. Da hörte Andrew auch schon das Rasseln des Schlüsselbundes.
Walter kam herein, dankte dem Wärter und begrüßte seinen Freund herzlich.
Andrew erzählte, wie er den Morgen verbracht hatte. Seine Panikattacke und seine Angst vor der Vollstreckung des Urteils waren für Walter das Zeichen, Andrew noch mehr über Jesus und die Zukunft der Welt zu erzählen. Er wünschte sich so sehr für seinen Freund, dass er die Bot­schaft der Bibel nicht nur mit dem Verstand begreift, sondern dass sie sein Herz berührt.
Walter wusste und merkte, dass Andrew den Glauben nicht auf die leichte Schulter nahm. Er war kritisch, und das war in Ordnung. Auf dieser Basis konnte man gut diskutieren. Die vielen Fragen, die Andrew stellte, zeigten, dass er die Sehnsucht im Herzen hatte, alles nach bestem Wis­sen und Gewissen zu tun. Er war ehrlich.
„Weißt du, Walter, wenn Gott über alles herrscht und die absolute Macht hat, warum musste Jesus diesen furchtbaren Weg gehen? Gott hätte doch im Garten Gethsemane sagen können: So, ich habe gesehen und alle Engel auch, dass du, mein Sohn, bereit bist, für die Menschheit die Sünde auf dich zu nehmen. Das reicht, quäle dich nicht mehr. Ich werde Satan vernichten.“
„Sicherlich hätte Gott das tun können, aber Gott ist auch ein Gott der Ordnung. Die Gebote, die er aufgestellt hat, sind für ihn genauso bin­dend wie für alle Geschöpfe. Und deswegen musste Christus leiden, damit auch die Schrift, die Prophezeiungen erfüllt würden.“
„Jesus sagt an einer Stelle, dass er Wohnungen für uns im Himmel vor­bereitet hat. Wie kann ich das den verstehen“
„Ganz einfach, da wir, wenn Jesus wiederkommt, in den Himmel aufge­nommen werden, brauchen wir auch einen Ort, um zu wohnen. Wie hier auf der Erde aber viel schöner.
In der Bibel steht:
Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört, das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben. In der Offenbarung steht, dass es dann keine Sünde mehr gibt. Keine Krankheit, kein Schmerz und Traurigkeit wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen. Alles ist neu.“
„Wenn ich das also recht verstehe, werden wir so ähnlich leben wie hier auf der Erde. Also, ein zweiter Garten Eden. Ein friedliches Miteinan­der. Jeder hat seine Beschäftigung, oder besser gesagt eine sinnvolle Arbeit, die ihn ausfüllt. Der Mensch lebt in völliger Harmonie mit sich, mit dem Nächsten, mit Gott und dem ganzen Universum?“
„Ja, so könnte man das sagen. Es heißt auch noch, dass wir Weinberge und Häuser bauen werden. Keiner braucht Angst zu haben, dass etwas gestohlen wird. Und jeden Sabbat werden wir als große Gemeinde zusammenkommen, um Gott zu loben und zu preisen in ewiger Dank­barkeit.
Es ist eigentlich so: Das, was wir uns hier auf Erden mühsam erkämpfen, oder erstreben, was unsere Wünsche sind, das alles wird im Himmel uns geschenkt werden und noch mehr.“
„Wenn das so ist, ist der Himmel ein Ort, der alles Irdische übertrifft? Und nicht, wie ich schon gehört habe, dass man den ganzen Tag Harfe spielen muss und Halleluja singt.“
„Es gibt schon irrige Ansichten. Doch wer in der Bibel darüber gelesen hat, zum Beispiel in Jesaja 65 ab Vers 17, bekommt einen kleinen Ein­blick, wie es einmal sein wird. Lies dir das mal in Ruhe durch, wenn du allein bist.
Wenn ich das so lese und mich hineindenke, bekomme ich manchmal richtiges Heimweh. Dann erscheint mir all das hier auf der Erde nicht mehr so erstrebenswert, das ich deswegen meinen Glauben und die Beziehung zu Gott und Christus aufs Spiel setzen würde. Und wenn ich lese, was Jesus für mich getan hat, damit ich für immer bei ihm sein darf, erfüllt mich eine große Dankbarkeit und Liebe.“
„Mensch, Walter, wenn ich dich so reden höre, kann ich dich nur benei­den. Ich wünschte, ich könnte genau so denken und leben.“
„Wenn das wirklich dein echter Wunsch und Wille ist, wird dir Gott das auch geben. Bete darum, dass dein Glaube stark werde, dass Jesus sozusa­gen in dir wohnen kann. Das heißt, versuche Jesus noch besser zu ver­stehen und seine Botschaft. Beschäftige dich mit der Bibel und lass dich vom Teufel nicht abhalten. Er wird es mit vielen Tricks probieren, dich vom Studium der Bibel abzulenken. Nur mit einem klaren Ziel vor Augen wirst du den Weg gehen können.“
„Alles schön und gut, wenn kein Wunder passiert ist mein Weg bald zu Ende. Ich könnte wahnsinnig werden, gebe es denn keinen Ausweg, als allein auf die Begnadigung zu warten? Glaub mir, Walter, das tut so weh, das macht mich so fertig. Ich versuche das alles zu verdrängen, aber es nützt nichts. Es kommt viel stärker zurück. Ich habe Angst, furchtbare Angst.“
Andrew verbarg sein Gesicht in den Armen, die auf dem Tisch lagen. Walter versuchte ihn zu trösten und legte einen Arm um seine Schultern.
Nach einer Weile der Stille fing Walter einfach an zu beten und bat Gott, Andrew zu trösten und zu stärken für die Zeit, die vor ihm lag.
„Danke, Walter, du hast mich verstanden. Ich bin so froh und Gott dankbar, dass du hier bist. Das du dir jeden Tag Zeit für mich nimmst. Ich weiß, das ist nicht selbstverständlich. Deswegen bin ich dir ja so dankbar, und auch dafür, dass du mich zum Glauben zurückgeführt hast. Alles, was tief verschüttet war, ist wieder da. Ich bin so glücklich darüber, denn mein Leben hat wieder einen Sinn bekommen. Ich weiß, ich bin ein Kind Gottes, dem größten König eigen. Du glaubst gar nicht, wie gut das tut, zu wissen woher man kommt und wohin man geht.“
„Ich komme gerne zu dir, das weißt du. Und ich weiß auch, dass Gott mich zu dir geführt hat. Alles hat seinen Sinn, auch wenn wir im Moment nicht alles begreifen, so wissen wir uns geborgen in Gottes Händen. Auch wenn dein Leben in wenigen Tagen zu Ende sein sollte, so ist es doch wie es kommt für dich zum Besten.
Was nützt es, hier auf Erden alles zu besitzen und zu horten, wenn ich dadurch das Ewige Leben aufs Spiel setze. Jesus Christus will uns vorbe­reiten, damit wir bei ihm sein können. Dazu bedarf es manchmal Maß­nahmen, die uns vielleicht nicht gefallen, sie dienen aber nur zu unserem Wohl.“
„Oh nein, der Wärter kommt schon. Ich hätte dir noch länger zuhören können. Kommst du morgen?“
„Klar, so gegen 15 Uhr. Lies mal Jesaja 65, 17. Machs gut, mein Freund, ich denke an dich. Heute Abend kommt die Jugend zu mir nach Hause. Ich darf doch ein wenig von uns hier erzählen?“
„Keine Frage, natürlich. Grüße alle unbekannterweise von mir und sag auch Dank für die Gebete, die mich begleiten.“
Etwas ungeduldig wartete der Wärter an der Tür. Mit einem Husten erinnerte er noch mal an das Ende der Besuchszeit.
An der Tür drehte sich Walter noch einmal zu Andrew, nickte ihm zu.
Der 33. Tag

Pünktlich um 15 Uhr stand Walter wieder in der Todeszelle. Andrew war schon gespannt, wie es mit Jesus nun weitergehen würde.
„Ich soll dich ganz herzlich von allen Jugendlichen grüßen. Sie nehmen starken Anteil an deiner Situation und beten weiterhin für dich.“
„Danke, Walter, grüß zurück. Gerne würde ich einmal bei so einer Jugendstunde sein.“
„Wir haben noch mal einen Brief an den Gouverneur aufgesetzt und ihn um Gnade für dich gebeten, zumindest aber um eine nochmalige Prüfung des Falls, da viele Dinge nicht erwähnt wurden, die aber wichtig sind, um die Situation zu verstehen.“
„Hoffentlich meldet er sich auf diesen Brief. Die Ungewissheit ist einfach schwer zu ertragen. Aber wie geht es jetzt nun weiter?
Jesus hat doch nun zum zweiten Mal seinen Vater angefleht, ihm eine Möglichkeit zu zeigen, den Weg des Sündenfluches und der Kreuzigung nicht gehen zu müssen. Sein Kampf mit den Mächten der Finsternis war doch jetzt im vollen Gange.“
„Gut, dann schlagen wir die Bibel wieder auf. Markus 14 ab Vers 39.“
Und sobald Walter anfing zu lesen, verblasste die Zelle mit all dem, was die beiden umgab, und der Garten Gethsemane mit Jesus gewann an Klarheit und Realität.

Da standen die beiden Freunde wieder unter dem alten Ölbaum und konnten Jesus sehen, wie er tief gezeichnet am umgefallenen Baumstamm kniete.
Noch schien der Mond und sendete seinen Silberglanz zur Erde. Doch die Wol­kenwand rückte bedrohlich immer näher. Es war nur noch eine Frage der Zeit, dann würde alles durch eine undurchdringliche Dunkelheit überdeckt sein.
Jetzt bewegte sich Jesus. Er schaute zum Himmel. Dann erhob er sich, schwerfäl­lig und mühsam. Langsam wankte er zu der Stelle, wo er hoffte, die Jünger fürbit­tend, im Gebet anzutreffen.
Doch wieder bot sich ihm das gleiche Bild. Sie schliefen. Aufgeweckt durch seine Gegenwart, wussten sie nicht, was sie Jesus antworten sollten. Zudem waren sie so erschrocken, als sie die Gestalt Jesu sahen. Keine Schönheit, dieser Jesus hatte sich so verändert,

wie es nur die Last der Sünde vermag. Erschrocken schauten die Jünger in das vom blutigen Schweiß entstellte Gesicht. Die gebeugte, Gestalt Jesu war fremd und hässlich, so dass nichts, aber auch nicht das Geringste an den Menschen Jesus erinnerte, der sonst selbstbewusst und auf­recht dastand.
Traurig drehte er sich um und ging schweren Schrittes an seinem Zufluchtsort zurück. Ermattet und zitternd fiel er zu Boden. Die menschliche Natur Jesu zitterte in dieser entscheidungsschweren Stunde.
Jetzt betete er nicht mehr für seine Jünger, sonder für seine eigene fast zerbro­chene und gemarterte Seele. Der schrecklichste und entscheidende Augenblick war gekommen. Die Zukunft und das Schicksal der ganzen Menschheit sollten nun entschieden werden. Noch war alles in der Schwebe. Noch konnte Christus sich weigern, die Sündenlast, den Fluch der Sünde auf sich zu nehmen. Noch konnte er der Erniedrigung, der Folter, der Lästerung und Verspottung und der Kreuzigung absagen und die Menschen der Macht Satans ausliefern.
Noch konnte Jesus Christus, der Unschuldige, die Schuldigen allein und dem Fluch der Sünde überlassen.
Die ersten Schleier der Wolke hatten den Mond erreicht. Langsam, aber stetig zunehmend, verschwand die helle Scheibe hinter der immer dichter und dunkler werdenden Wand.
Ein kühler Windhauch war zu spüren.
Andrew und Walter begannen zu frösteln. Die Dunkelheit hatte sich über den Gar­ten, über Jesus, ja, über alles gelegt.
Die totale Einsamkeit lastete auf Jesus.
Wie würde er sich entscheiden? Würde die Angst siegen, von der Sündenlast erdrückt zu werden und zu sterben, und damit nie wieder zurückzukehren zu seinem Vater, in die Herrlichkeit Gottes?
Oder würden die Liebe zu den Menschen und der Gehorsam zu seinem Vater im Himmel siegen?
Eine gespannte, eine zum Zerreißen gespannte Stille lag über dem Garten Gethsemane.
Die Entscheidung über ewiges Leben oder ewigen Tod aller Menschen stand kurz bevor.
Es war, als ob die Natur, die Welt und das ganze Universum den Atem anhielte. Alles sah auf Jesus. Wie würde er sich entscheiden?
Sein Schweiß war mit Blut vermischt, Todesangst, Dunkelheit und Einsamkeit lasteten auf ihm. Schwer ging sein Atem. Satan versuchte mit äußerster Kraft, Jesus zum Aufgeben zu bewegen. Würde die Liebe zu den Menschen siegen?
Dann, nach Minuten des letzten geistigen Kampfes mit Satan einerseits seinen verlo­ckenden Einflüsterungen zu erliegen, oder die Angst von der Sündenlast erdrückt zu werden. Mit letzter, fast übermenschlicher Kraft und Anstrengung durchbrach die Stimme Jesu die Stille.„Mein Vater, ist‘s nicht möglich, dass dieser Kelch an mir vorübergehe, ich trinke ihn denn, so geschehe dein Wille.“
Jesus hat sich für die Menschen entschieden. Der Weg zurück ins Paradies ist wieder offen.
Nach den Worten „Dein Wille geschehe“ fiel Jesus wie tot zu Boden.
Andrew und Walter konnten nicht fassen, was sie gesehen und gehört hatten. Das überstieg alles bisher Dagewesene. Worte vermochten dieses Drama nicht zu beschreiben, das die beiden grade erlebt hatten.
Sprachlos vor Ergriffenheit und tiefstem Dank standen sie da und konnten es nicht glauben.
Dieser Mensch und gleichzeitig Gottes Sohn hatte die Entscheidung getroffen, auch für die Feinde und Übeltäter zu sterben. Das war das Größte, was es je gegeben hatte.
Die Dunkelheit lag noch immer wie eine schwarze Decke über dem Geschehen. Es sah so aus, als ob eine Wand sich zwischen Gott und Jesus geschoben hätte.
Walter zupfte Andrew am Arm: „Morgen sind wir wieder da, die Zeit drängt, komm, wir müssen wieder zurück.“
Tief in Gedanken und überwältigt von dem einmaligen Ereignis trennen sich die beiden von dem Ort der Entscheidung.

Walter schloss die Bibel, faltete die Hände und dankte Gott für seine große Liebe.
Da wurde auch schon die Eisentür aufgeschlossen. Die Besuchszeit war wieder einmal viel zu schnell zu Ende gegangen.
Nach der herzlichen Verabschiedung folgte wieder die Einsamkeit
Andrew war beeindruckt von der großen Liebe Jesu Christi. Er legte sich auf sein Bett und dachte über die Tat Jesu nach.
„Meine Schuld hat er auf sich genommen und sich damit für mich ent­schieden. Ich bin ihm nicht gleichgültig.
Jeden Menschen liebt er und will, dass niemand verloren geht, sondern immer und ewig bei ihm sein wird; wenn man will.
Ich darf Jesus um Vergebung bitten, so wie im ‚Vater Unser‘, dem Mus­tergebet von Jesus. Und dann macht er mich frei von der Sünde.“
Andrew war so bewegt von diesem Gedanken, dass er es im Bett nicht mehr aushielt. Er stand auf und schlug die Bibel auf. Und dann las er noch mal die Texte in Matthäus und Markus nach.
Noch einmal rollten die verschiedenen Bilder an ihm vorbei: Jesus in seiner Agonie, die schlafenden Jünger, der Mond der über allem stand.
Da erbebte plötzlich die Erde. Andrew schreckte hoch, so dass der Stuhl umkippte. Das kann doch nicht sein! Ein Erdbeben?
Andrew ärgerte sich, dass er so aus seinen Gedanken gerissen wurde.
Und wieder bebte die Erde. Staub und Rauchgeruch erfüllten die Zelle. Andrew pochte an die Tür. Er musste hier raus. Eine weitere Erschütterung sprengte die Tür aus dem Rahmen. Voller Panik verließ er die Zelle, rannte den langen Korridor entlang, vorbei an schreienden Menschen. Er sprang über Betonteile, Möbel und Menschen, die tot am Boden lagen.
Andrew brauchte nicht lange zu überlegen, wohin er laufen musste, er kannte den Weg. Es war der Weg, den er im Traum geführt worden war.
Wieder bebte die Erde, Feuer und Staub nahmen Andrew fast den Atem. Wie durch ein Wunder waren alle Türen, durch die er durchmusste, um nach draußen zu gelangen, offen. Endlich gelangte er mit noch anderen nach draußen, endlich an der frischen Luft. Es gab ein fürchterliches Krachen und Bersten, und das Gefängnis stand nicht mehr.
Sirenengeheul, einstürzende Gebäude, und immer wieder wurde die Erde durch kräftige Erdstöße erschüttert. Dunkle schwarze Wolken bedecken den Himmel. Blitze zucken hin und her. Ein gewaltiger Sturm fegte über das Chaos. Es schien, als ob die Natur aus den Fugen gerät.
Ein Lichtstrahl bahnte sich durch die Wolken. Viele Menschen schauen zum Himmel, andere dagegen schreien – das ist das Ende!
Plötzlich reißt der Himmel auf und jeder Mensch auf der Erde kann den König aller Könige und den Herren aller Herren ansehen.
Einige rufen angstvoll: „Weh mir, ich vergehe, Berge und Hügel, bedeckt mich vor dem Angesicht dessen, der auf dem Thron sitzt!“
Inmitten all des Durcheinanders hat sich eine Gruppe gebildet, die freu­dig zum Himmel sieht.
Und da stand ja auch Walter! Am liebsten wäre Andrew schnell zu Walter gelaufen, doch der Herrscher und Richter Gott und Jesus fesseln seine Aufmerksamkeit. Er kann gar nicht anders, als in das Gesicht Jesu zu sehen. Welch ein gewaltiger Unterschied zu der Person im Garten Gethsemane und dem Lamm Gottes, Jesus Christus.
Diese Herrlichkeit war unbeschreiblich.
Andrew jubelte und hüpfte vor Freude. Endlich durfte er bei Jesus sein.
Dann eine Stimme, die wie Donner und ein gewaltiger Wasserfall zugleich erschallte: „Kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das ich für euch vorbereitet habe.“
Ein Erdbeben ungeahnten Ausmaßes brachte die Erde zum Wanken. Die im Glauben an Jesus Christus gestorben waren wurden, durch den Ruf Gottes aufgeweckt. Diese sah Andrew aus den Gräbern heraustreten. Alle, die Gott und Jesus Christus ansehen konnten, wurden nun emporgeho­ben, Jesus entgegen.
„Jesus ist wiedergekommen, ich darf ewig leben“, rief Andrew, und ebenso die anderen, und dann begannen sie zu singen und Gott zu loben und zu preisen. „Dem Herrn entgegen! Halleluja!“
Doch was war das? Es ruckte und Andrew blieb stehen in der Luft. Alle anderen zogen an ihm vorbei, auch Walter. Der wollte helfen, doch eine andere Macht ließ es nicht zu. Dann begann Andrew zu sinken, zurück in das Chaos. Sein Fuß hatte sich in etwas verfangen. Andrew versuchte mit aller Gewalt, das Kabel von seinem Fuß zu lösen. Es war einfach unmöglich.
Die Berührung mit der Erde machte ihm bewusst, dass der Himmel ver­loren war.
„Nnnnnneiiiiiiiiiiinnnnnn!!!!“ schrie es aus ihm in größter Ver­zweiflung. Oh, Gott, lass mich nicht zurück, errette mich, errette mich. Er versuchte noch einmal, das Kabel zu lösen, und diesmal fiel es ihm fast in die Hände. Und wie er das Kabel genauer betrachtete, erkannte er es wieder.
Ein Donnerschlag ließ Andrew aufhorchen. Wo war er? Um ihn herum alles dunkel. Wieder blitzte und donnerte es gleichzeitig. Ein Windstoß drückte gegen das Fenster, so dass es aufsprang.
Ein Unwetter tobte sich genau über der kleinen Stadt aus.
Andrew konnte alles noch nicht richtig einordnen. „Jetzt ist Realität und das andere war ein Traum“, sagte sich Andrew.
Schweißgebadet und mit zitternden Händen wollte er aufstehen. Doch seine Beine versagten, und dann begann er hemmungslos an zu weinen. Seine Nerven lagen blank. Das war für ihn zu viel gewesen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Andrew sich beruhigt hatte. Und in dieser Zeit der Ruhe und Erholung wurde ihm mit einem Mal deutlich, was dieser Traum zu bedeuten hatte. Sogleich holte er sich Schreibzeug und ein Blatt Papier und begann zu schreiben.
Nach dem er fertig war und alles mit seiner Unterschrift besiegelt hatte, fühlte er sich besser und gestärkt.
Diesen Tag und den Traum würde Andrew nie wieder vergessen. Mit einem Dankgebet auf den Lippen schlief er friedlich ein.

Der 34. Tag

Walter kam um 10 Uhr, denn am Nachmittag hatte er eine Trauung zu gestalten. Wie gerne wäre Andrew mitgekommen, heraus aus diesen vier Wänden.
Nachdem Andrew seinem Freund den Traum erzählt hatte, zog er den Brief hervor und begann diesen vorzulesen:

Sehr geehrter Herr Klinton!

Seit über drei Jahren haben wir uns nicht mehr gesehen. Vielleicht haben Sie in der Zeitung von mir gelesen, aber das ist nicht wahr. Da mir keiner glaubt, muss ich die Strafe, die ein anderer verdient hätte, auf mich nehmen.
Der Grund, warum ich mich nach dieser langen Zeit bei Ihnen melde, ist folgender: Ich möchte Sie um Vergebung bitten. Warum? Bitte lesen Sie.
Es war von dreieinhalb Jahren. Wir hatten mal wieder die monatliche große Warensendung erhalten. Sie hatten mich damals beauftragt, alles auszupacken und in die Regale ein­zusortieren. Unter anderem einen Karton mit Antennen­kabeln. Da gerade meins kaputt gegangen war, war die Versu­chung so groß, dass ich kurzerhand ein Kabel einsteckte. Gewissensbisse hatte ich noch eine ganze Zeit, und immer wenn Sie mich angesprochen haben, fühlte ich mich unwohl. Aber auch diese Zeit ging vorüber und das Kabel war verges­sen.
Und nun stehe ich da und will diesen Diebstahl wieder gut machen. Gott hat mir auf ganz drastische Weise gezeigt, dass dieses Kabel mich vom Himmel ausschließt. Ich will wieder alles ins Reine bringen.
Mein Freund Walter, der mich täglich im Gefängnis besucht, wird diesen Brief bei Ihnen vorbeibringen und den Betrag für das Kabel bezahlen.
Nochmals möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen und bitte Sie, mir diesen Diebstahl zu verzeihen.
Ich danke Ihnen.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Andrew Bushow

„Und, wie findest du den Brief?“
„Ich glaube, der ist okay. Ich werde ihn dann abgeben. Wie teuer war das Kabel?“
„Ich glaube, so 8.50 Dollar. Es war ungefähr sechs Meter lang. Finde ich toll, dass du das für mich machst, so weiß ich, dass alles in Ordnung geht. Du bist der einzige, dem ich vertrauen kann.“
„Ist schon gut. Für einen Freund ist das etwas Selbstverständliches.
Noch mal zurück zum Traum. Viele Dinge, die du erlebt hast, findest du auch in der Bibel wieder. So ähnlich wird das Kommen Jesu auch dort beschrieben.“
„Wenn ich daran zurückdenke, fühle ich beinahe die Situation.
Du glaubst ja gar nicht, was das für ein schreckliches Gefühl war, als die anderen an mir vorbei in den Himmel flogen, und du ja auch. Du woll­test mir helfen, konntest aber nicht. Schon eigenartig!“
„Aber, ist das nicht fantastisch, dass Gott dir im Traum zeigt, was noch trennend zwischen dir und ihm steht? Du bist ihm nicht gleichgültig, er liebt dich. Und so geht er jedem Menschen nach. Das bedauerliche ist nur, das so wenige Gott in ihr Leben lassen oder etwas von ihm wissen wollen.“
Andrew war sichtlich gerührt von so viel göttlicher Führung. Er wollte noch mehr über Gott und Jesus Christus erfahren. Das, was er wusste, war nur ein wenig angekratzt. Er hatte gehört, aber nie verstanden, dass Menschen, die schon 30, 40 oder sogar über 50 Jahre die Bibel lasen, immer noch Neues und Interessantes entdecken. Jetzt begann er die Tiefe der Botschaft, des Evangeliums, zu erahnen. Da war mehr, als er sich je hätte träumen lassen. Und so mehr er sich mit den Themen der Bibel beschäftigte, umso spannender wurde es.
Ja, den Sinn seines Lebens hatte er nun entdeckt. Er wusste nun, wohin er ging, wozu er da war, und er kannte sein Woher.
Andrew fühlte sich unbeschreiblich wohl bei diesen Gedanken. Sein Leben war, trotz der Beschränkung, reicher und erfüllter.
Aber nun wollte er wieder hineintauchen in die Bibel, in die letzte Phase des Erlösungsplans. Walter hatte schon die Bibel aufgeschlagen und begann zu lesen. Lukas 22.42.

Andrew und Walter mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen, die den Garten Gethsemane überdeckte.
Flüsternd rief Walter das, was geschehen war, zurück ins Gedächtnis: „Du weißt ja, dass Jesus, nachdem er von den schlafenden Jüngern zurückgekehrt war, zum dritten Mal Gott anflehte, die Sündenlast von ihm zu nehmen.
Und dann kamen die Worte:
… ich trinke ihn denn, so geschehe dein Wille‘.
“Nach dieser Entscheidung, den Weg bis zum Kreuzestod zu gehen und die Last und den Fluch der Sünde zu tragen, fiel Jesus wie tot zu Boden.
Mit angstvollen Blicken beobachteten die beiden Jesus. Man hätte glauben kön­nen, er wäre tot.
Kein Lufthauch bewegte die Blätter. Kein Geräusch war zu hören. Absolute Stille lag über Gethsemane und lastete auf Jesus.
Man hätte glauben können, die Natur und das Weltall hielten den Atem an.
Auch Andrew und Walter wagten kaum zu atmen, geschweige denn sich zu rühren. Wie versteinert standen sie neben dem Ölbaum und konnten ihren Blick nicht von Jesus abwenden.
So etwas hatten sie noch nie erlebt. Diese Grabesstille, diese Totenstille, am Rande des Ölbergs.

Doch sie trauten ihren Augen kaum, Jesus bewegte sich. Jetzt stand er langsam auf und schaute in die Richtung der Jünger. Doch nichts war zu sehen. Wie schön wäre es gewesen, wenn sie da gewesen wären, um ihren Meister zu stärken.
Niemand stand Jesus zur Seite, er musste den Weg allein gehen.
In dieser furchtbaren Krise, da alles auf dem Spiel stand und der Kelch des Leids noch in seinen Händen zitterte, öffnete sich der Himmel. Ein Licht durchbrach die erdrückende Dunkelheit.
Ein Engelfürst trat an die Seite Jesu.
Das Licht dieses Wesens war so rein, so blendend, so hell, dass die beiden Freunde die Hände vor ihre Augen halten mussten.
Dann hörten sie eine Stimme, deren Klang wie Harfen und Geigen, wohltuend in Harmonie war. Diese Stimme sprach zu Jesus:
„Deinen Leidenskelch darf ich dir nicht helfen zu tragen. Doch dein Vater im Him­mel ist größer und mächtiger als Satan. Er wird mit dir sein, wenn deine Feinde um dich sind. Deine Entscheidung ist der Sieg über Satan. Das Kreuz wird Satan zeigen, dass er verloren hat. Die große Schar der Erlösten ist es wert, diesen Weg nun bis zum Ende zu gehen.
Dein Vater liebt dich..“
Der Engel hatte Jesus wieder Kraft gegeben. Sein Opfer, seine Entscheidung, den Fluch der Sünde zum Kreuz zu tragen und zu sterben, wurde durch die Zusicherung der Liebe seines Vaters, durch den Engel, ihm Trost und Kraft.
Gestärkt, ruhig und gefasst ging Jesus aus dem Kampf hervor. Der himmlische Frieden ruhte auf seinem Angesicht.
So kam er nun zu den drei Jüngern, die durch den Engel und das Licht zwar aufgeweckt worden waren und auch die Trostworte des Engels gehört hatten und sich ein wenig schuldig fühlten, ihren Herrn und Meister allein gelassen zu haben; aber ihr körperlicher Zustand ließ sie die Einzigartigkeit des Geschehens nur wie im Traum wahrnehmen. So waren sie nach dieser himmlischen Begegnung wieder eingeschlafen. Und so fand sie nun Jesus.
Jesus sprach seine geliebten Jünger mit lauter, fester und trauriger Stimme an: „Ach, wollt ihr nun schlafen und ruhen? Siehe, die Stunde ist da, dass des Men­schen Sohn in der Sünder Hände überantwortet wird.“
Die beiden Freunde waren langsam hinter Jesus hergegangen.
Dass die Jünger immer wieder eingeschlafen waren, konnte Andrew nicht verstehen.
Ganz überrascht waren die beiden Freunde auch über das Aussehen von Jesus. Nichts erinnerte mehr an die Seelenqualen der vergangenen Nacht.
Die Entscheidung war gefallen, der Rettung aller Menschen stand nichts mehr im Weg. Doch zuvor musste Jesus noch einiges an Demütigungen, Folter, den Verrat und die schmerzhafte Kreuzigung auf sich nehmen.

Jesus hatte sich entschieden, diesen Weg zu gehen, hatte das Ziel vor Augen, und davon können die körperlichen Leiden ihn nicht abbringen. Der Weg musste bis zum Ende gegangen werden. Die Prophezeiungen mussten erfüllt werden.
Seine Entscheidung, die in der Einsamkeit getroffen worden war, zeigte er nun in der Öffentlichkeit und für alle Menschen sichtbar. Das Zeichen des Kreuzes sollte alle Menschen daran erinnern, dass Jesus die Sünden der Welt auf sich genom­men hat. Sie sind mit Jesus an das Kreuz genagelt worden. So dass, wer auf das Kreuz, auf Jesus schaut, weiß, dass seine Sünden ihn nicht ewig von Gott trennen werden. Der Mensch weiß, dass jemand da ist, der die Strafe an seiner Statt erlitten hat. Das ruft nach Dankbarkeit.
Die drei Jünger schreckten hoch und waren erstaunt, Jesus zu sehen, wie er so verändert vor ihnen stand.
Sie hatten alles noch gar nicht richtig begriffen; und als die anderen auch dazu kamen, wiederholte Jesus die Worte: „Wollt ihr weiter schlafen und ruhen? Die Stunde, von der ich euch erzählte, ist nun da. Des Menschen Sohn wird in die Hände der Sünder überantwortet. Steht auf, der, der mich verrät, ist nahe. Die Häscher kommen. Siehe, der mich verrät, ist hier!“
Kaum hatte Jesus die Worte ausgesprochen, sahen Andrew und Walter, wie eine Schar von Soldaten, Priestern und Altesten des hohen Rats, auf sie zu kam und vor Jesus stehen blieb.
Jesus zeigte keine Spuren mehr von dem überstandenen Ringen. Schützend vor seinen Jüngern stehend, fragte er: „Wen suchet ihr?“
Sie antworteten: „Jesus von Nazareth.“
Da sprach Jesus zu ihnen: „Ich bin‘s!“
In diesem Augenblick tat sich der Himmel auf und der gleiche Engelfürst trat zwischen Jesus und die Häscher.
Dieses himmlische Licht konnten die Feinde nicht ertragen und sie fielen wie tot zu Boden. Der Engel zog sich zurück und das Licht verblasste.
Kaum hatten sich die Soldaten und ihr Gefolge erholt, sprangen sie auf. Auch Judas stand auf, ging auf Jesus zu: „Gegrüßt seiest du, Rabbi!“ Und er gab Jesus einen Kuss.
Jesus sprach zu ihm: „Mein Freund, warum bist du gekommen?“
Und traurig fügte er hinzu: „Judas, verrätst du des Menschen Sohn mit einem Kuss?“
Andrew und Walter hatten sich so weit herangeschlichen, dass sie alles gut sehen und verstehen konnten.
Nachdem Jesus einem Soldaten das Ohr angeheilt hatte, das Petrus im Verteidi­gungsreflex abgehauen hatte, sagte er: „Stecke das Schwert weg! Denn wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen. Was meinst du denn, dass ich hilflos bin? Ich könnte meinen Vater bitten, mir mehr als zwölf Legionen Engel zu senden. Wie würde dann aber die Schrift erfüllt
werden? Soll ich den Kelch denn nicht trinken, den mir mein Vater gegeben hat?“
Die Soldaten hatten sich bis hier her zurückgehalten, doch nun, aufgefordert von den Priestern, Pharisäern und Ältesten des Hohen Rats, traten sie in Aktion. Noch einmal redete Jesus zu den Soldaten und den Anführern: „Ihr seid ausgegangen wie zu einem Mörder, mit Schwertern und Stan­gen, um mich zu fangen. Ich bin täglich bei euch gewesen und habe im Tempel gelehrt und ihr habt mich nicht ergriffen. Die Nacht eignet sich besser für euer Werk, jetzt ist eure Stunde und die Macht der Finsternis!“
Das reichte den Obersten und sie ließen Jesus fesseln und abführen.
Als die Jünger das sahen, flohen sie.
Walter hielt Andrew zurück, als er hinter den Soldaten hergehen wollte. Er hatte das Gefühl, Jesus nicht allein lassen zu wollen.
„Komm, es ist Zeit.“ Nur mit Mühe trennten sie sich von dem Garten Gethsemane, denn sie wussten, dass sie nicht mehr hierher zurückkommen würden.
Während Jesus abgeführt und vor den Hohen Rat gebracht wurde, gingen Walter und Andrew langsam und nachdenklich zurück zum Garten Gethsemane, zum Ort der Entscheidung.
Noch einmal schauten sie sich alles an. Ehrfürchtig standen beide schweigend und dankbar im Garten. Die Gebetsstätte Jesu wurde durch die ersten hellen Streifen am Horizont, die den Tag ankündigten, leicht erhellt, und nichts deutete auf den großen, schweren Entscheidungskampf zwischen Gut und Böse hin, der hier stattgefunden hatte.
Dann wurde es höchste Zeit. Ein letzter Blick, und die Zelle hatte sie wieder.

Immer noch überwältigt von all dem, was geschehen war, saßen die beiden Freunde noch eine Weile nachdenklich zusammen. Dann faltete Andrew seine Hände und begann zu beten:
„Großer Gott, lieber Vater im Himmel. Im Namen deines lieben Sohnes komme ich voll Dankbarkeit zu dir. Ich habe erleben dürfen, welches Opfer dein Sohn auch für mich gebracht hat. Ich kann nur danke sagen. Schenk mir deine Liebe ins Herz. Habe Dank für Walter. Gehe mit ihm, begleite ihn und bewahre ihn davor, falsche Wege zu gehen. Segne ihn in all seinem Tun. Sei auch mein Führer. Nimm mein Leben in deine Hand und lass mich nicht in Stich. Ich danke dir im Namen Jesu. Amen“
Walter und Andrew sahen sich an, standen auf und fielen sich in die Arme. „Walter, dass du da bist, ist, neben Jesus, das größte Geschenk.“
Der 35. Tag

Heute konnte Walter erst wieder um drei Uhr kommen. So hatte Andrew genügend Zeit, am Vormittag auch mal wieder in der Zeitung zu lesen und sein Tagebuch auf den neusten Stand zu bringen.
Da hörte Andrew Schlüsselgeklapper. Wer wollte ihn denn jetzt besuchen? Vielleicht hatte Walter einen anderen Termin.
Die Tür ging auf, der alte Wärter kam herein. „Herr Bushow, Besuch für Sie.“
Gespannt stand Andrew da.
„Einen schönen guten Tag, Herr Bushow. Darf ich hereinkommen?“
„Ja, bitte setzen Sie sich, was kann ich für Sie tun?“
„Ich möchte mich erst einmal vorstellen. Mein Name ist Johnson, Kai Johnson. Ich bin Pfarrer und wollte bei Ihnen mal vorbeischauen. Da ich gehört habe, dass bald das Urteil vollstreckt wird, habe ich mir so gedacht, also, vielleicht kann ich irgendwie helfen.“
Die ganze Zeit stand Pfarrer Johnson etwas nervös von einem Bein auf das andere wippend vor Andrew.
„Ich danke Ihnen, dass Sie an mich gedacht haben. An welche Hilfe hatten Sie denn gedacht. Ach, setzen wir uns doch an den Tisch. Im Moment habe ich nur den einen Wunsch, dass ich begnadigt werde.“
„Haben Sie denn schon ein Gnadengesuch geschrieben? Doch was man so hört, wird es nichts nützen. Tut mir leid das zu sagen, Ihr Vergehen macht das fast unmöglich.“
„Nun gut, was wollten Sie mir denn anbieten?“
„Also, anbieten? Ich wollte Sie fragen, ob Sie Ihre Schuld schon bekannt haben und würde mit Ihnen auch darüber reden.“
„Das finde ich sehr nett von Ihnen, doch ich, ich bin unschuldig. Ich habe das Urteil nicht verdient. Und über etwas reden, das ich nicht getan habe, fällt mir etwas schwer.“
„Sie meinen also, dass Sie unschuldig sind und zu Unrecht das Todes­urteil vollstreckt wird?“
„Ganz genau so, wie Sie es sagen.“
„Dann würde es mich aber sehr interessieren, wie Sie damit umgehen. Sie machen mir so einen zufriedenen und, ich weiß ja nicht, auch glück­lichen Eindruck. Ich kann mich natürlich täuschen?“
„Sie täuschen sich nicht. Ich bin glücklich und zufrieden. Was in meiner Macht steht, habe ich getan. Den großen Rest, den muss Gott erledigen. Ich vertraue auf seine Führung. Auch wenn es nicht ganz einfach ist.“
„Starke Worte, junger Mann. Hochachtung. So weit muss man erst mal kommen. Also, ich an Ihrer Stelle, also, ich weiß nicht.“
„Ja, aber Sie sind doch Pfarrer? Allein schon von Ihrer Berufung zu diesem Dienst, dieser Aufgabe, müssten Sie doch … oder?“
„Ich weiß, was Sie denken, aber glauben Sie mir: Ein Pfarrer ist auch nur ein Mensch. Auch im Leben eines Geistlichen gibt es nicht nur Höhen­flüge. Man weiß viel, aber das Wissen genügt nicht, es muss ins Herz rutschen. Und das ist manchmal nicht so leicht.“
„Wem sagen Sie das. Wissen Sie, was mir geholfen hat? Ein Mensch, der mir die Augen für Jesus Christus geöffnet hat. Der mir sein Leben regel­recht vor Augen gemalt hat, damit ich die Person Jesus Christus besser kennen lerne. Ich habe wieder einen Sinn in meinem Leben gefunden und weiß, dass Gott mich führt und alles so lenkt und leitet, wie es für mich und mein ewiges Leben im Himmel am besten ist.“
„Junger Mann, ich kam, um Ihnen zu helfen, und was ist passiert? Sie haben mir geholfen, Jesus wieder in mein Leben stärker einzubeziehen. Das hört sich komisch an, ist aber so wie ich´s sage. Ich habe meine Aufgabe nur noch mit halber Kraft getan.
Herr Bushow, ich beneide Sie, und wünsche Ihnen weiterhin diesen starken Glauben und den Segen Gottes.“
Etwas unsicher und nervös klopfte er daraufhin an die Zellentür, die sogleich geöffnet wurde. Der Pfarrer drehte sich noch einmal um, lächelte Andrew an und sagte: „Sie werden Ihren Weg gehen, und wenn Sie an mich denken, bitten Sie unsern Gott, dass er mich auch in seine Arme nimmt.“
Es schien Andrew, als wenn es dem Pfarrer Johnson ein wenig schwer fallen würde zu gehen. So entgegnete Andrew: „Wenn Sie wollen, Sie wissen ja, wo ich zu finden bin, okay?“
„Danke“, kam es erleichtert. „Auf ein Wiedersehen.“
Was war das denn für ein Besuch? So etwas hatte er noch nie erlebt. Da kommt jemand, um ihn zu trösten oder irgendwie zu helfen, und am Ende wird dem Besuch geholfen.
Das war schon eigenartig. Das musste er Walter erzählen. Vielleicht kannte er den Pfarrer?
Wie gewohnt, um 15 Uhr, war Walter wieder bei Andrew.
Die beiden verstanden sich großartig. Ohne viel Einleitung ging es zur Sache. So erzählte Andrew von seinem Besucher und dem Eindruck, den er gehabt hat.
„Ich muss zugeben, das ist schon etwas ungewöhnlich. Wie hieß der Pfarrer noch?“„Sein Name ist Kai Johnson. Woher er kommt, weiß ich nicht.“
„Warte mal, ich glaube, den Namen habe ich schon gehört. Ich kann ihn im Moment noch nicht einordnen. Aber ich werde das schon herausfin­den. Vielleicht besucht er dich doch noch mal. Da kannst du ihn mal fragen. Das ist aber jetzt nicht so wichtig. Du sagtest mir, dass du noch einige Fragen hast?“
„O ja, Jesus sagt manchmal ‚auf dass die Prophetie erfüllt wird‘ oder ‚damit die Schrift erfüllt wird‘ – was hat das zu bedeuten?“
„Damit hast du ein sehr interessantes Thema angeschnitten, es zeigt zugleich, dass die Bibel kein gewöhnliches Buch ist, und dass Jesus der verheißene Messias ist.
Ich werde dir mal einige Texte zeigen. Da wären diese Verheißungen.“

Walter schlug nun die Bibel auf und las den ersten Text in Micha, Kapitel 5, Vers 1 im Alten Testament.
Und du, Bethlehem Ephratha, die du kleine bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Aus­gang von Anfang und Ewigkeit her gewesen ist.
Als nächstes Jesaja 7,14:
Darum wird auch der Herr selbst ein Zeichen geben: Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.
Psalm 22,17:
Denn Hunde haben mich umgeben, und der Bösen Rotte hat mich umringt; sie haben meine Hände und Füße durchgraben.
Psalm 109,4:
Dafür, dass ich sie liebe, feinden sie mich an; ich aber bete.
Psalm 69,22:
Sie geben mir Galle zu essen und Essig zu trinken für meinen Durst.
Nachdem Walter diese Texte vorgelesen hatte, war Andrew doch ein wenig überrascht, dass so etwas zum Teil schon Hunderte von Jahren vorher geschrieben worden war.
Doch damit nicht genug, meinte Walter und schlug das Buch Daniel auf. „Dieses Buch steht auch im Alten Testament. In diesem Buch gibt es Parallelen zum Buch der Offenbarung, dem letzten Buch der Bibel.
Und nun noch zu etwas ganz anderem.“
Jetzt schlug Walter im Alten Testament das Buch Daniel, und hier das 2. Kapitel, auf.
In diesem 2. Kapitel hat Nebukadnezar einen Traum. Ihm werden fünf Weltreiche an Hand einer Statue gezeigt. Verse 32–34 und 45
Das Haupt des Bildes war aus Gold, seine Brust und seine Arme waren von Silber, sein Bauch und seine Lenden waren von Kupfer, seine Schenkel waren von Eisen, seine Füße waren teils von Eisen und teils von Ton.
Das sahst du, bis ein Stein herunterkam, ohne Zutun von Menschen­händen; der traf das Bild an seinen Füßen, die von Eisen und Ton waren, und zermalmte sie.
So hat der große Gott dem König kundgetan, was dereinst geschehen wird. Der Traum ist zuverlässig, und die Deutung ist richtig.
Walter hatte nur kurz einige Texte gelesen und begann dann zu erklären: „Dieses Bild zeigt die Geschichte der Menschheit bis in unsere Zeit, bis Jesus wiederkommt. Dieser Stein, der plötzlich da ist und die Füße trifft und alles zerstört, ist mit Jesu Wiederkunft zu vergleichen. Alles bisher Dagewesene hat nun keinen Bestand mehr, Gottes Reich ist nun da.
Es würde zu lange dauern, bis ich dir alles erklärt habe. Du kannst das mal in Ruhe nachlesen.“

Andrew war etwas enttäuscht, nur so einige Brocken zu hören, zumal Walter noch von anderen Ereignissen sprach, die vorhergesagt worden waren und Hunderte von Jahren später sich genau erfüllten.
„Das ist ja nicht zu glauben, was so alles in der Bibel steht. Und dass eine ganze Stadt ins Meer geschüttet wird ist tatsächlich eingetreten?“
„O ja, alle Steine, selbst der Sand ist in das Meer geschüttet worden. Noch heute findet man an der Stelle Zeichen und alte Mauerreste aus der damaligen Zeit. Die Geschichte hat die Aussagen der Bibel bestä­tigt.“
Die Zeit verging wieder viel zu schnell. Walter hatte noch einige Besu­che zu erledigen und ein wichtiges Gespräch mit einigen Eltern zu füh­ren.
„Also, Andrew, bis morgen. Eventuell bin ich schon um zehn Uhr da, mal sehen. Gott segne dich.”
Der Abschied fiel Andrew immer schwerer, und so hatte er mit den Tränen zu kämpfen. Ihm wurde dann immer bewusst, dass bald der große Abschied kommen würde. Noch vier Tage, dann war es so weit.
Der 36. Tag

Tatsächlich kam Walter schon um zehn Uhr. Die neuste Tageszeitung war neben Knabberzeug und einer Flasche Coca-Cola wie immer mit dabei.
Andrew war angespannt. Immer wieder eilten seine Gedanken der Zeit voraus, zu seinem letzten Gang in die Todeskammer.
Walter bemerkte seine Veränderung und sprach ihn darauf an. Zuerst wollte er gar nicht raus mit der Sprache und druckste so unbestimmt herum. Da aber Walter nicht locker ließ, begann Andrew dann doch zu erzählen: „Ach Walter, ist es nicht furchtbar? Wir haben uns kennen gelernt und jetzt bist du mir ein guter Freund geworden. Und das alles wird zerrissen durch dieses Urteil, das ich noch nicht einmal verdient habe. Ich finde das so gemein und schrecklich. Dazu kommt die Angst, ach, was heißt Angst? Todesangst vor dem, was mich erwartet.
Ich weiß mich geborgen in Gott, und trotzdem kommen diese Gedanken und überwältigen mich. Ja, regelrechte Panikattacken, würde ich so sagen. Ich zittere am ganzen Körper und bin schweißgebadet. Okay, das geht dann wieder weg, meistens wenn ich bete. Doch oft denke ich dann gar nicht daran.“
Walter hatte mitfühlend sich alles angehört. Und spürte, dass sich Andrew auf eine handfeste Krise zubewegte. Er wusste, dass auch so etwas im Leben eines jeden Menschen vorkommt und nichts Außergewöhnliches ist. Doch jetzt, vier Tage vor der Vollstreckung des Urteils? Wie sollte Walter seinem Freund aus dieser Krise heraushelfen?
Walter betete im Stillen zu Gott, ihn in seinen Worten und Gedanken zu führen und zu lenken. Er bat um die Weisheit, die der Heilige Geist ihm verleihen sollte.
„Andrew, pass mal auf. Würde es dir was ausmachen, wenn ich heute nachmittag einen jungen Mann, also einen Jugendlichen aus meiner Gruppe, mitbringen würde?“
Damit hatte Andrew nicht gerechnet, war aber nach anfänglichem Zögern bereit. „Ja, und was soll er hier, etwa einen Todeskandidaten anschauen, etwas von dem Unausweichlichem hautnah spüren?
Nach dem Motto: ‚Und hier, meine Damen und Herren, sehen sie einen Todeskandidaten‘?“
„Na, hör mal, so gut solltest du mich kennen, dass ich dich nicht wie einen Affen im Zoo ausstellen und zeigen will! Dieser junge Mann, den ich eventuell mitbringe, braucht deine Hilfe.“
„Das kann ich mir nicht vorstellen. Für mich hat es eher den Anschein, als wolltest du meine Situation anderen zeigen. Kaum geht es mir nicht so gut, und schwups, kommt der erste Besucher, um sich mich anzuse­hen.“
„Also, Andrew, mach mal halblang. So kenne ich dich ja gar nicht.“
„Hast recht, aber als Zirkusaffe zu fungieren, das ist nicht mein Ding, da mache ich nicht mit!“
„Nun beruhige dich doch, es war doch nur eine Frage, und du hast doch zugestimmt.“
„Ja, ja, dumm wie ich bin, die letzten Tage noch einen auf schönes Wetter machen, nee, nee, so läuft das nicht. Ich komme mir ja so was von bescheuert vor, ich glaube, ich brauche jetzt erst mal meine Ruhe.“
„Andrew, jetzt reicht‘s aber! Bist du denn ganz daneben, mich so zu ver­unglimpfen und solche Behauptungen gegen mich auszusprechen ohne den geringsten Anlass?“
„Jetzt fang nur noch an mit Moralapostel und als ob du der Angegriffene wärest, ich bin dir doch ausgeliefert. Wer ist denn in Freiheit?
Wer kann kommen und gehen wann er will? Und ich, ich muss hier in diesen 16 Quadratmetern auf meine Hinrichtung warten. Meinst du, das ist ein Vergnügen, ich werde fast wahnsinnig hier. Immer das Gleiche, und dann die Angst, die Einsamkeit, kein Brief, nur warten, warten, warten … ich halte es einfach nicht mehr aus, ich kann nicht mehr … ich will nicht mehr, aus – Schluss – Ende!“
Andrew sprang auf von seinem Stuhl, gab diesem im Umfallen noch einen Tritt und warf sich aufs Bett.
Sein Gesicht vergrub er im Kopfkissen. Sein ganzer Körper zitterte. Mit den Nerven fix und fertig, wurde er von Weinkrämpfen geschüttelt. Ein Mensch am Ende seiner Kraft.
Walter war wie vom Donner gerührt. Mit so etwas hatte er nicht gerech­net. Was war zu tun? Er stand langsam auf, und nach einigen Minuten, als Andrew ruhiger wurde, setzte er sich auf die Bettkante. Ruhig und abwartend.
Plötzlich drehte sich Andrew um und schrie: „Hau ab, ich brauche deinen Trost nicht! Mir reicht’s, ich hasse euch alle, wie ihr da seid.
Ich will allein sein, haut ab! Ich bring mich um, wenn ihr mich nicht in Frieden lasst! Verschwindet doch endlich, ich will nicht mehr! Ich kann nicht mehr, ich mache Schluss, endgültig! Dazu brauche ich niemanden, niemanden, ich will endlich meine Ruhe!“
Total erschrocken sprang Walter vom Bett auf. Er starrte auf Andrew.
Dieser schaute mit irren Augen in die Runde. Schrie wieder, dass er Schluss machen wolle, alle sollten abhauen und ihn in Frieden lassen. Völlig irrsinnig führte er sich auf. Er raufte sich die Haare, dann sprang er auf, stand da und fuchtelte mit den Händen in der Luft herum. Dabei drehte er sich wild um sich selbst, als fühle er sich bedroht.
Walter war in die äußerste Ecke geflüchtet. Andrew stand jetzt auf dem Tisch. Mit einem Satz hatte er es geschafft. Er schrie seine unsichtbaren Gegner an: „Kommt heraus, aber mich bekommt ihr nicht, ich weiß, dass ihr da seid! Los, kommt! Ich bringe euch alle um! Und dann mache ich Schluss. Ich kriege euch!“
Damit sprang er in einem großen Satz auf sein Bett, verlor das Gleichge­wicht, ruderte nach etwas greifend mit den Armen in der Luft, bevor er mit lauten Krachen vom Bett stürzte und auf dem Boden liegen blieb.
Als Walter sah, welche Kraft plötzlich in Andrew steckte, wusste er, dass Andrew unter dämonischem Einfluss stand.
Laut schrie Walter dann: „Herr Jesus Christus hilf, hebe dich weg, Satan. Im Namen Jesu lass ab von Andrew, er ist ein Kind Gottes.“
Dabei nahm er die Bibel in die Hand und ging auf Andrew zu, der röchelnd vor dem Bett lag. „Oh, großer Gott, rette Andrew, nimm ihn in deine Arme.“
Andrew lag wie tot. Er rührte sich nicht. Als Walter die kaltschweißigen Hände von Andrew nahm, und Gott um Hilfe anflehte, spürte Walter nach kurzer Zeit, ein leichtes Atmen. Dann kam Bewegung in den Körper. Langsam, so schien es, kam das Leben wieder.
Walter hatte sich hingekniet und Andrew‘s Kopf mit der Hand abgestützt. Jetzt ein leichtes Zucken im Gesicht. und dann öffnete Andrew die Augen.
Er schien noch gar nicht zu begreifen, was los war. Er starrte nur an die Decke.
„Hallo, Andrew? Wie geht es dir?“
Wie aus weiter Ferne erreichten die Worte das Bewusstsein. Andrew konnte das alles gar nicht einordnen. Alles um ihn herum war ver­schwommen, und er hörte nur ein undeutliches Gemurmel.
Was war geschehen? Wo bin ich? Das waren seine ersten Gedanken. Andrew versuchte aufzustehen, was er aber nicht schaffte. Er versuchte seine Gedanken zu sammeln. Was war mit ihm denn los?
Er begann zu frieren. Die Augen hatte er wieder geschlossen. Irgendwie fühlte er sich aber geborgen.
Wieder öffnete er seine Augen. Nun war alles fast scharf zu sehen. Da war ja auch Walter. Wieso lag er auf dem Fußboden, mit einer Decke bedeckt?
„Was ist los?“, fragte Andrew
„Andrew, du bist wieder da, du bist wach, habe Dank, großer Gott, Andrew lebt!“
„Jetzt verstehe ich nichts mehr. Natürlich lebe ich.“
Andrew versuchte aufzustehen, und es gelang ihm auch. Wenn auch ein wenig schwankend und taumelnd. Doch schließlich stand er da, setzte sich aber doch schnell auf die Bettkante.
Irgendetwas war geschehen, das fühlte Andrew, aber was? Er konnte sich an nichts erinnern.
Mittlerweile war Walter auch aufgestanden, hatte den Stuhl aufgehoben und sich zu Andrew ans Bett gesetzt.
Fragend schaute Andrew zu Walter, der nun erzählte, was sich in den letzten fünfzehn bis zwanzig Minuten abgespielt hatte.
Immer wieder schüttelte Andrew ungläubig den Kopf. Wie konnte das sein? Wie kann sich ein Mensch sich so anders verhalten, und das gegen seinen Willen?
Walter versuchte Andrew zu erklären, wie es zu dieser Machtdemonstra­tion Satans hatte kommen können:
„Andrew, du kannst dich doch erinnern, dass es dir heute Morgen nicht so gut ging? Oder?“
„Ja, daran kann ich mich erinnern. Ich war schlecht drauf.“
„Das habe ich gemerkt und wollte dir helfen, aus dieser Situation herauszukommen. Ich habe gelernt, dass es oft das Beste ist, wenn man sich um andere kümmert, von sich weg sieht und dem anderen versucht zu helfen. Daraufhin habe ich den Vorschlag gemacht, einen Jugend­lichen am Nachmittag mitzubringen.“
„Ich weiß nicht warum, ich fand die Idee zwar nicht schlecht, aber gleichzeitig habe ich mich dabei auch nicht wohl gefühlt. Ich war in dem Moment wütend auf mich, auf die Situation, ja eigentlich auf alles, und, jetzt erinnere ich mich, ich war wütend auf Gott. Ich beschuldigte ihn, mich in diese Situation gebracht zu haben, in eine Zukunft ohne Aus­weg.“
„Und das hat Satan ausgenutzt. Er hat dich immer mehr angestachelt. Dir hat er was Falsches vorgegaukelt. Er hat gemerkt, dass du dich zu Gott hin wendest, ihn in dein Leben nimmst. Da hat er auf eine Gele­genheit gewartet, in der du anfällig gegen falsche Einflüsterungen bist. Das hast du nicht gleich gemerkt. Und als du es merktest, war es dir irgendwie peinlich, anders zu reagieren.“
„Du bist ein Hellseher! Ja, so war es. Und das hat mich wieder geärgert, oder besser gesagt, Satan hat mir das eingeflüstert und ich bin darauf hereingefallen.“
„Damit begann das, woran du dich nicht mehr erinnern kannst. Der Teufel wollte dich in seine Gewalt bringen, was ihm auch fast gelungen wäre. Ich glaube sogar, er wollte dich zum Schluss töten.“
„Das ist ja schrecklich, dann bin ich also immer noch bedroht. Ja, wie ist denn das? Kann der Teufel wieder so etwas mit mir machen, mich unter seinen Einfluss ziehen?“
„Nein, solange du Jesus Christus an deiner Seite hast, kann dir nichts, aber auch gar nichts passieren. Jesus ist für dich gestorben, hat im Garten Gethsemane sich für dich entschieden. Satan ist besiegt. Er hat den Kampf verloren. Jesus ist Sieger, bleibt Sieger. Wer Jesus auf seiner Seite hat, steht auf der Siegerseite.“
„Phantastisch, das lässt mich gut schlafen. Ich will Jesus an meiner Seite haben. Und wenn wieder so etwas passiert? Was soll ich tun?“
„Dann bete zu Gott. Bitte ihn in Namen Jesu Christi dir zu helfen. Dich zu bewahren vor dem Bösen. Dich in seine Hand zu neh­men und zu leiten. Bitte um den göttlichen Frieden. Im Namen Jesu.“
„Und du meinst, das klappt? So einfach ist das?“
„Ja, so einfach ist das. Du musst es glauben. Du kannst Jesus beim Wort nehmen. Jesus wird dir dann helfen. Du bist sicher in Jesu Armen.“
Andrew und Walter unterhielten sich noch lange über dieses Thema. Die Zeit verstrich. Zufällig schaute Walter auf seine Armbanduhr. Wie war das möglich? Normalerweise wäre der Wärter spätestens nach zwei Stunden gekommen. Doch heute war alles anders. Es war bereits 14.30 Uhr, als der Wärter das Ende der Besuchszeit ankündigte.
Walter bat noch um zehn Minuten. Der Wärter nickte, schloss wieder ab und ging seine Runde.
„Dieser Tag, Andrew, hat dir gezeigt, dass es mehr gibt, als wir sehen kön­nen. Nicht umsonst heißt es in der Bibel, dass wir, die Erde und beson­ders die Menschen, ein Schauspiel geworden sind. Das soll heißen, dass es noch andere bewohnte Planeten gibt, auf denen geschaffene Wesen leben. Diese haben die Fähigkeit, die Sünde zu beobachten und wie sie uns von Gott wegzieht und trennt.
Man könnte sagen, wir sind das abschreckende Beispiel, was Satan mit Menschen und mit der ganzen Schöpfung schon gemacht hat.“
„Zerstörung“, entgegnete Andrew. „Das ist schrecklich und gleichzeitig unheimlich interessant. Ich staune immer wieder, was so alles in der Bibel zu lesen ist.“
Bevor der Wärter kam, betete Walter noch mit Andrew. Er dankte für die Bewahrung. Aber auch für das Wunder der langen Besuchszeit. Gemein­sam beteten sie noch das Vater Unser.
Nun war es so weit. Dankbar und herzlich war die Verabschiedung.
Beim Herausgehen fragte Walter den Wärter, warum die Besuchszeit heute so lang gewesen war. Etwas schuldbewusst entgegnete dieser, dass er etwas eingeschlafen sei. Dann hätte ein Häftling Krawall gemacht. Tja, so war es gelaufen. Und er fügte hinzu, dass er so etwas noch nie bei sich erlebt hatte.
Nachdem die Tür sich geschlossen hatte, setzte sich Andrew an den Tisch. Er faltete seine Hände und wiederholte noch einmal das Gebet des Herrn:
Vater unser, geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme, dein Wille geschehe, im Himmel wie auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben denen, die an uns schuldig geworden sind.
Und führe uns nicht in Versuchung; sondern erlöse uns vom Bösen. Denn dein ist das Reich, und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewig­keit. Amen
Der 37. Tag

Als Walter die Zelle betritt, erwartet ihn Andrew schon sehnsüchtig.
Er hatte schlecht geschlafen. Immer wieder hatte er an die schlimme Situation denken müssen. Aber er war auch voll Dankbarkeit, dass ihm nichts passiert war.
„Walter, sei gegrüßt.
„Hi, Andrew. Wie geht‘s?“
„Mir geht‘s wieder gut. Habe zwar schlecht geschlafen. Musste immer wieder an gestern denken. Ich schäme mich richtig dafür.“
„Brauchst du nicht. Ich bin froh, dass ich dich so antreffe, habe mir auch meine Sorgen gemacht. Um es gleich zu sagen, ich kann heute nicht lange bleiben. Zwei Jugendliche liegen im Krankenhaus wegen einer zu hohen Dosis Rauschmittel. Die will ich besuchen und dann noch mit den Eltern sprechen. Vorher muss ich auch noch zu einer Beerdigung.“
„Also, volles Programm.“
„Kann man wohl sagen. Mir war es aber wichtig, dich zu besuchen.“
„Und warum haben die sich gespritzt?“
„Probleme in der Schule, und der eine hat mit seiner Freundin Schluss gemacht, weil er sie mit jemand anderem ertappt hat. Ja, und schon sind die Probleme da, und man sieht keinen Ausweg mehr.“
„Das ist aber ein wenig kurzsichtig. Vieles kommt doch wieder in Reihe, zumal sie doch dich haben.“
„Leider bauten viele Menschen, und besonders Jugendliche, die Sinn­frage im Leben auf vergängliche Dinge auf. So wie Auto, Freundin, Idole, genug Geld und Ansehen. Wenn das nicht mehr da ist, gerät das Lebensgebäude ins Wanken. Dann ist die Zukunft plötzlich dunkel und kein Ausweg ist zu sehen.“
„Aber das ist doch irgendwie dumm. Auf der anderen Seite habe ich früher auch so gedacht. Mein Horizont war nicht so weit. Ich habe auch gedacht, die Welt geht unter, wenn man nicht mehr weiter weiß. Jetzt habe ich erfahren, dass viele Dinge erstrebenswert sind, aber nicht wirk­lich den Lebenssinn ausmachen.“
„Aber mach das mal den Jugendlichen klar. Was soll ich denen sagen, wenn die mich nach dem Sinn des Lebens fragen? Was würdest du denn erzählen?“
„Ich würde denen folgende Frage stellen: Was wäre euch wichtig, wenn ihr nur noch drei Monate zu leben hättet? Dann tauchen nämlich Fragen nach den Woher, Wohin und Wozu auf. Was ist nach dem Tode? Die Bibel beantwortet diese Fragen, und daraus ergibt sich der Sinn des Lebens. Im Blick auf das Ende bekommen Dinge den richtigen Stellen­wert. So oder so ähnlich wären meine Überlegungen.“
„Ganz genau. Man müsste natürlich dann in die Einzelheiten gehen. Find ich gut, wie du das so zusammengefasst hast. Dann weiß ich auch, dass du für dich den Sinn gefunden hast, oder?“
„Stimmt, und darüber bin ich sehr glücklich. Jemand sagte: Des Men­schen Herzen ist unruhig, bis es Ruhe findet in Gott. Und dem kann ich nur zustimmen.
Auch wenn mein Leben wohl bald vorbei ist, habe ich die Gewissheit, einmal bei Gott zu sein. Das erfüllt mich mit einem wunderbaren See­lenfrieden.“
„Es tut mir so leid, dass ich unsere Unterhaltung nun abbrechen muss, aber die anderen Aufgaben und Verpflichtungen warten auf mich. Mein lieber Andrew, ich freue mich über deine Einstellung und deine Verfas­sung. Das macht es mir leicht zu gehen. Morgen bin ich aber wieder da. Gott segne dich.“
Nachdem Walter gegangen war, setzte sich Andrew sogleich an sein Tage­buch. Dieses Tagebuch sollte, wenn sich doch noch eine Begnadigung ergeben sollte, ihm stets vor Augen führen, wie Gott ihn geführt und geleitet hatte. Wenn nicht, so sollte Walter es als Abschiedsgeschenk erhalten.
Einige Verse aus Psalm 103, die Walter vorgelesen hatte, waren ihm wichtig.
Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. Der dir alle deine Sünden vergibt und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöst und dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit …
Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unserer Schuld. Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, lässt er seine Gnade walten über denen, die ihn ehren und fürchten.
So fern der Morgen ist vom Abend, so weit entfernt er die Schuld von uns.
Wie ein Vater sich seiner Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über alle, die ihn fürchten …
Der Herr hat seinen Thron im Himmel errichtet, und sein Reich herrscht über alles.
Lobet den Herrn, ihr seine Engel, ihr starken Helden, die ihr seinen Befehl ausrichtet, dass man höre auf die Stimme seines Wortes!
Lobe den Herrn, meine Seele. Und so nahm er wieder seinen Bleistift zur Hand und ließ den Tag, einen der letzten Tage seines Lebens, noch einmal an sich vorüberziehen.
Der 38. Tag

Andrew hatte an diesem Tag vieles mit Walter zu besprechen. Viele Fragen wurden beantwortet. Auch der Abschied fiel beiden nicht leicht.
Nachdem Walter gegangen war, schrieb Andrew weiter an seinem Tage­buch:
Heute war ich schon vor der Sirene aufgewacht. Mein erster Gedanke, der mir ein wenig die Kehle zuschnürte, war, dass ich in zwei Tagen schon nicht mehr leben würde. Das Urteil soll um sechs Uhr vollstreckt werden. Und jetzt war es fünf nach sechs. Ein eigenartiges Gefühl. Aber was half es. Aufstehen, sich fertig machen und Gott für den neuen Tag danken und ihn bitten, Walter und auch mich durch diesen Tag zu begleiten.
Dann wie immer das Frühstück. Diesmal gab es Erdbeermarmelade und knusprige Brötchen. Ich hatte richtigen Appetit. Dazu der heiße Kaffee, und gleich fühlt man sich schon besser.
Um acht Uhr wurde das Geschirr geholt. Jetzt hatte ich Ruhe. Walter konnte erst um drei Uhr kommen. Das ist eine lange Zeit. Zum Glück schien die Sonne, sonst hätte es keinen Hofgang gegeben. Das tat gut, draußen die frische Luft und den Sonnenschein zu genießen. Die halbe Stunde ging schnell vorbei.
Der Wärter, Herr Schmitt, begleitete mich wie fast jeden Morgen wieder zurück in die Zelle. Heute sagte er nicht viel, und ich war auch nicht sehr gesprächig. Irgendwie war die Situation anders als sonst. Nun ja, kein Wunder.
Ich nahm mir die Bibel und schlug noch einmal Psalm 103 auf. Das tut gut und lenkt ab. Ja, irgendwie habe ich das Gefühl, getröstet zu werden. Dann schlug ich den Psalm 23 auf. Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln …
Früher hätte ich darüber gelacht, wenn mir das einer erzählt hätte, dass er Trost und Kraft in der Bibel findet. Heute ist das ganz normal für mich.
Wenn ich zurückschaue, kann ich es kaum glauben, dass ich so viele Jahre im Grunde genommen nur so dahingelebt habe. Viele unnötige Sorgen hätte ich mir sparen können. Es ist eigentlich schade, dass der Mensch nur in extremen Situationen an Gott denkt und dann wieder anfängt zu beten.
Aber Gottes Liebe steht über allem und jeder Mensch bekommt die Gelegenheit, sich zu entscheiden. Da ist Gott anders als Satan. Habe es ja erlebt.
Satan nimmt, aber Gott bietet an. Satan bricht die Tür auf, Gott klopft an. Das hätte ich früher wissen sollen. Doch wenn ich ehrlich bin, habe ich es eigentlich schon gewusst. Aber es hat nicht in meine Lebenspla­nung hineingepasst. So denkt man eben.
Man sieht sich als der, der den großen Durchblick hat. Und was ist? Dabei kann ich noch nicht einmal wissen, was in fünf Minuten passiert. Ich kann es erahnen und rückschauend planen, aber mehr doch nicht. Ich lebe doch in einer ständigen Ungewissheit.
Was bin ich froh, dass diese Zeit vorbei ist. Ich weiß, dass Gott mich führt und nur das Beste für mich will. Ist vielleicht nicht immer einfach, doch es geht ja nicht um ein Superleben hier auf der Erde. Gott will mich auf die Ewigkeit vorbereiten. Und was sind dann schon die 60, 70, 80 oder 90 Jahre, im Vergleich zu einer Ewigkeit.
Und das ohne die Sorgen, Krankheiten, Tod und Schmerzen. Das ist der eigentliche Sinn im Leben, mich auf die Ewigkeit vorzubereiten.
Ich schreibe das alles so schön auf. Ja, das ist einfach. Aber im täglichen Leben denke ich oft anders. Zum Glück ist Gott da, der mich kennt. Er weiß, dass ich eigentlich nicht sündigen will. Das Wichtige ist, so glaube ich; wozu ich mich entschieden habe!
Als Walter dann kam, war die Wartezeit vergessen. Er ist schon ein toller Typ. Bei ihm habe ich das Gefühl, dass der Glaube einfach dazu­gehört, wie Brot und Butter, oder so ähnlich. Nichts Gekünsteltes. Ganz normal und das tut gut.
Als er mich allerdings fragte, ob ich innerlich mich auf den letzten Gang vorbereitet habe, fing mein Herz doch ganz schön an zu klopfen. Ich weiß ja, dass ich gerettet bin, weil ich Jesus Christus als meinen persön­lichen Heiland und Fürsprecher angenommen habe; und trotzdem über­kommt mich dann wieder diese Unsicherheit.
Fand ich toll, als Walter dann einfach die Bibel aufschlug, ich glaube in Römer hat er einige Texte vorgelesen:
So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Jesus Christus sind.
Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus.
Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
Und dann haben wir uns darüber unterhalten, dass ich gar nichts zu meiner Rettung beitragen kann, außer Jesu Opfertat anzunehmen und ihn als den Sohn Gottes zu ehren. Dann kommt automatisch, aus lauter Dankbarkeit, dass ich mein Leben nach dem Willen Gottes ausrichte und ihm übergebe. Weil ich weiß, dass es das Beste für mich ist. In der Stille lernen, auf Gottes Stimme zu hören, wie auch Jesus mit seinem Vater immer in Verbindung stand, ist mir wichtig geworden. Oft gehe ich doch meine eigenen Wege und dann merke ich, wie dumm ich war.
Ein Text hat mir allerdings noch etwas zu schaffen gemacht:
Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.
Nach einigen Überlegungen habe ich es mir vorgenommen. Ich habe mir dann mit Walter vorgestellt, der wahre Mörder würde jetzt vor mir ste­hen. Wie würde ich reagieren? Könnte ich ihm verzeihen und eventuell sogar sterben, um ihm die Möglichkeit zu geben, zum Glauben zu kom­men? Au, das geht ans Eingemachte.
Was da für Gedanken plötzlich auftauchen, glaubt man nicht. Aber ich muss sagen, wenn ich weiß, dass ich gerettet bin und Gott mich bei seiner Wiederkunft aufweckt, was habe ich eigentlich zu verlieren? Gar nichts! Außer das bisschen Leben, das sowieso nicht immer Honigschle­cken ist. Aber man hängt doch irgendwie am Leben.
Deswegen hatte Jesus wohl auch die Bitte, dass, wenn es möglich wäre, ein anderer Weg genommen werden sollte. Es gab aber keinen, und so nahm Jesus den Kelch von Gott an. Wie schnell die Zeit wieder vorbei war. Aber diese Zeit mit Walter hat mir viel gegeben und mich auch vorbereitet auf mein Ende. So bin ich Gott dankbar für diese Zeit, die Walter jeden Tag, oder fast jeden Tag, bei mir sein kann.
Als Walter dann Gott für mein Leben bat, dass er mich mit Frieden erfüllen und all die Hassgedanken hinwegnehmen soll. Und stattdessen mich mit guten und vergebenden Gedanken füllen soll, da konnte ich nicht mehr. Ich musste einfach losheulen. Dieses Abschiednehmen ist einfach schwer. Das ist auch ein Punkt, den ich am liebsten ausklammern würde.
Die Zeit verging wieder zu schnell. Herr Schmitt kam dann und beglei­tete Walter nach draußen.
Ja, und nun sitze ich hier und schreibe meine Gedanken ins Tagebuch und fühle mich gut.
So, in 20 Minuten gibt es Abendessen. Danach ein wenig lesen, nach­denken und beten.
Ich bin heute richtig müde. Werde mich wohl nach dem Essen gleich hinlegen.


Der 39. Tag

Es ist sechs Uhr morgens. Die Sirene heult auf. Zeit zum Aufstehen.
Erschrocken springt Andrew aus dem Bett. Diese Sirene hat ihn aus dem Tiefschlaf gerissen. Nun sitzt er am Bettrand, um erst einmal zu sich zu kommen.
Da überfällt ihn der Gedanke – nur noch ein Tag zu leben. Panik steigt in ihm hoch. Doch da erinnert sich Andrew, was Walter gesagt hat: „Rufe Gott im Namen Jesu Christi um Hilfe an.“
Andrew faltet seine Hände und bittet Gott, ihm nahe zu sein, ihm seinen Frieden zu geben und den Bösen fern zu halten.
Andrew wird wieder ruhiger. Er macht sich nun fertig für das Frühstück.
Da klopft es an der Tür.
Andrew: „Ja, bitte?“
Die Tür geht auf und der Gefängnisdirektor geht auf Andrew zu, reicht ihm die Hand, mit einem forschen: „Guten Morgen, Herr Bushow. Darf man fragen, wie es Ihnen geht?“
„Guten Morgen, Herr Muresano. Danke, es geht so.“
„Ja, Ihr letzter Tag ist angebrochen. Haben sie noch einen Wunsch oder noch etwas zu sagen?" „Nur so viel: Ich danke Ihnen, dass der Jugendpfarrer, mit dem ich mich sehr gut verstehe, täglich kommen durfte.
Zu den Urteil kann ich nur noch mal wiederholen, dass ich nicht der Mör­der bin – ich bin unschuldig!“
Der Gefängnisdirektor sah Andrew ein wenig mitleidig an. Wie oft hatte er schon diesen Satz gehört. Er hatte fast schon darauf gewartet. So sagte er dann leicht genervt: „Okay, wenn Sie meinen. Ach ja, dem Wärter, Herrn Schmitt, sagen Sie bis 10 Uhr ihren Mittagswunsch.“
Nachdem er die Zelle mit den Augen kurz inspiziert hatte: „Und noch etwas, der Gouverneur hat Ihr Gnadengesuch noch nicht unterschrieben, und so wie ich es aus Erfahrung weiß, sollten Sie nicht mehr darauf hoffen.
Soweit das. Was ich noch sagen wollte, ich danke Ihnen, dass Sie uns keine Schwierigkeiten gemacht haben, denn wie ich sehe, ist das Mobi­liar heile geblieben.
Wir sehen uns dann morgen früh, um 5.45 Uhr.
Mit dem Abendbrot werden Sie Beruhigungstabletten bekommen.“
Damit drehte sich der Gefängnisdirektor zur Tür, um zu gehen.
Da nahm Andrew allen Mut zusammen und sprach so fest und sicher wie es ging: „Ach, Herr Muresano, ich hätte da noch eine Bitte?“
„Und die wäre?“ kam es ein wenig gereizt.
„Ich möchte Sie bitten, Herrn Walter Wenzel die Erlaubnis zu geben, mich morgen …“ Bis hier hatte sich Andrew in der Gewalt gehabt, doch nun versagte ihm die Stimme. Er schluckte ein paar Mal und stockend beendete er den Satz „auf meinem – letzten – Gang – zu – begleiten???“
Für den Gefängnisdirektor kam diese Bitte überraschend, und so wirkte er etwas verlegen. Man merkte, dass er nach den richtigen Worten suchte. Er trat einen

Schritt auf Andrew zu und in einem väterlichem Ton sagte er dann: „Nun ja, normalerweise haben wir unseren Gefängnis­geistlichen, der diese Aufgabe übernimmt.“ Und dann in einem wohl­wollenden Ton: „Aber in Anbetracht Ihrer guten Führung lässt es sich wohl einrichten. Der Herr Walter, ääh, Wenzel möchte doch heute Nachmittag in meinem Büro vorbeischauen.“
„Ich danke Ihnen, vielen Dank.“
„Ist schon in Ordnung, Herr Bushow. Wir haben Sie schätzen gelernt. Der Herr Schmitt, der Wärter, sagte vor einigen Tagen in der Kantine zu mir, dass er noch nie so einen Todeskandidaten hatte.“ Und er fügte, mehr zu sich selbst sprechend, ein „erstaunlich“ hinzu.
„Also, dann, – auf Wiedersehen – bis morgen.“
„Auf Wiedersehen, Herr Direktor.“
Und schon war er draußen und die Tür fiel ins Schloss.
Andrew war wie benommen. Jetzt werden nur noch die Stunden gezählt.
Bis zu Schluss hatte Andrew auf das Gnadengesuch gehofft, doch mit der Feststellung des Direktors schwand auch diese letzte Hoffnung. Allein Gott kann helfen. Aber wie? Wird er überhaupt helfend eingreifen? Ist meine Lebenszeit abgelaufen?
Andrew setzte sich auf die Bettkante, den Kopf in die Arme gestützt.
Er musste an die Träume denken und stellte fest, dass sich einiges schon erfüllt hatte. Aber der Satz „ich kriege dich“ ließ ihm keine Ruhe.
Er wusste, dass Satan ihn auf seine Seite ziehen wollte. Aber er hatte sich vorgenommen, mit Gottes Hilfe standhaft zu bleiben.
Da klopfte es, und dann ging auch schon die Tür auf. Walter hatte es einrichten können, schon vormittags Andrew zu besuchen.
Herzlich begrüßten sich die beiden. Andrew war so froh, dass Walter da war.
„Und, mein Freund, schon Besuch gehabt?“
„Ja, der Gefängnisdirektor.“ Andrew machte eine Pause, denn was er jetzt zu sagen hatte, fiel ihm sehr, sehr schwer. Er schluckte:
„Du, Walter, wir haben darüber noch nicht gesprochen, und ich weiß auch nicht, ob du – bereit bist – mich morgen früh – auf meinem, mei­nem – Weg in die Todesk – kammer – zu begleiten?“
Andrew konnte nicht mehr weitersprechen. Tränen rollten über seine Wangen. Es waren schon Abschiedstränen. Abschied war für Andrew schon immer eine schlimme Angelegenheit gewesen. Und jetzt musste er an seine Eltern denken, die schon gestorben waren.
Walter legte ihm den Arm um die Schultern und tröstete Andrew, indem er von Jesus erzählte, dass er ihn nicht allein lassen wird.
„Gott wird dir Kraft geben, auch dieses letzte Stück zu gehen. Schau mal, wie wunderbar er dich geführt hat. Er hat dir gezeigt, was noch trennend zwischen dir und ihm steht. Du hast es bereinigt. Du stehst am Eingang der Ewigkeit. Gott wird dich bei seiner Wiederkunft rufen, und du wirst seine Stimme hören. Und umgewandelt ihm entgegenfliegen. Das ist eine phantastische Zukunft, die dich und auch mich erwartet.
Und nun zu deiner Frage. Natürlich werde ich morgen bei dir sein. Das ist doch selbstverständlich. Obwohl es für mich sehr“, da versagte die Stimme, und mit Tränen in den Augen: „es wird sehr schwer auch für mich sein. – Ich verliere – einen – guten Freund. Und das ist – schmerz­haft.“
Walter und Andrew sitzen traurig und betroffen nebeneinander auf der Bettkante. Keiner kann sprechen. Die Tränen rollen.
„Ich – ich weiß gar nicht, – wo ich dann nachmittags hingehen soll?“, versucht Walter stockend das Gespräch wieder in Gang zu bringen.
„Besuch mich doch mal auf dem Friedhof, aber keine Kekse mitbrin­gen.“
Beide müssen lachen. Jetzt schauen sie sich in die verweinten Augen. Das Eis ist gebrochen, und lachend fallen sie sich in die Arme.
„Ach, Walter, du bist wunderbar, danke, mein Freund.“
„Du bist aber auch nicht schlecht, mein Guter – tut mir leid, aber ich muss es dir sagen. Ich habe im Büro vom Gouverneur angerufen. Er ging gar nicht erst ans Telefon. Er ließ nur ausrichten, dass er für so etwas keine Zeit habe. Menschlich gesehen – das war‘s. Aber unser, dein Leben liegt in Gottes Hand.“
„Das weiß ich, und ich freue mich schon, wenn wir uns im Himmel wiedersehen. – Wenn ich so an morgen denke, bekomme ich Angst, richtig Angst.“
„Ich glaube, das ist etwas ganz Normales. Ich habe vor einiger Zeit etwas gelesen und es mir aufgeschrieben. Warte, ich habe es in meine Bibel gelegt:

Du hast Angst, aber keine Panik.
Du hast Angst, aber sie erdrückt dich nicht.
Du hast Angst, aber es ist nicht das Ende.
Du hast Angst, aber tief in dir ist Hoffnung.
Du hast Angst, aber gleichzeitig im Herzen Frieden.
Du hast Angst, weil du einen Weg gehst, der noch im Dunkel liegt –
aber gleichzeitig weißt du,
ich gehe diesen Weg nicht alleine.
Einer ist da, der mir zur Seite steht.“

„Wer hat das denn geschrieben? Das trifft genau zu. Das bin ich.“
„Das weiß ich nicht, aber es soll jemand geschrieben haben, der sich auch in einer schwierigen Lage befand. Das einzige, was er hatte, war sein Glaube an Gott und Jesus Christus.“
Da klopfte es an die Tür. Der Wärter schaute herein.
„Es ist schon über die Zeit, meine Herren. Tut mir leid. Aber ich gebe ihnen noch 15 Minuten.“ Mit einem freundlichen Lächeln schloss der Herr Schmitt die Tür.
„Lass uns diese Zeit nutzen, um mit Gott zu sprechen.“
Beide beugten ihren Kopf, falteten die Hände. Walter bat Gott inständig, Andrew die letzten Stunden die Ruhe und den Frieden zu geben, die nur Gott geben kann. Sein Leben, die Zukunft legten sie in Gottes Hand. Wohl geborgen und geführt.

„Oh, Andrew“, und die Stimme begann zu zittern, „vor diesem Abschied habe ich immer Angst gehabt.
Ich kann nur wiederholen: Gottes Wege sind nicht unsere Wege. Gott kennt die Zukunft und weiß, was für uns letztlich gut ist.“
„Ja, ja, du hast Recht! Und trotzdem ist mir flau im Magen. Ein schlim­mes Gefühl. Ich kann das gar nicht richtig beschreiben. So ähnlich stelle ich mir das Gefühl bei dem ersten Sprung eines Fallschirmspringers vor. Theoretisch weiß man alles, doch nun kommt die Praxis, der Sprung.“
Schlüsselgeklapper, und dann wurde auch schon die Tür geöffnet.
„Ach, äh, Herr Schmitt, ich hätte da noch eine Frage.“
„Ja bitte?“
„Darf Herr Wenzel morgen schon so gegen 5 Uhr zu mir kommen? Der Direktor hat zugestimmt.“
„Herr Bushow, Herr Bushow, ich glaube, das geht etwas zu weit“, sagte der Wärter in liebevoller, aber bestimmter Art. „Das gab es noch nie! Wenn das Schule macht! So früh?
„Entschuldigung, dass ich mich einmische. Wenn Sie bedenken, dass es der letzte Wunsch von Herrn Bushow ist?“
Dabei schaute Walter den Wärter so flehentlich und fragend an, und bittend setzte er hinzu: „Bitte, haben Sie ein Einsehen.“
Der Wärter atmete schwer, als wenn er eine große Last zu tragen hätte. Kratzte sich überlegend am Kopf, und während er sprach, strich er sich über seine schon spärlichen Haare: „Also, gut, ist zwar nicht ganz nach der Ordnung, aber ich werde mal ein Auge zudrücken.“
Und mit der Betonung des ‚nichts geht mehr‘ fügte er hinzu: „Um 5.15 Uhr werde ich Sie einlassen. Mehr kann ich aber nicht für Sie tun.“
„Ich danke Ihnen, also dann bis morgen.“
Dann schauten sich Andrew und Walter an, fielen sich schweigend in die Arme.
Das hatte der Wärter noch nie gesehen. Irgendwie war dieser Herr Bushow anders als all die anderen Häftlinge. Und irgendwie, tief im Inneren frage er sich, ob hier in der Zelle nicht ein Unschuldiger auf seinen Tod wartet.
Der Abschiedsschmerz ist bitter. Keiner will den anderen jetzt allein lassen. Doch das ermahnende Husten des Wärters trennt die beiden Freunde.
„Bis morgen, Andrew. Gott sei mit dir und segne dich.“
Andrew konnte nur nicken und drückte nochmals voller Dankbarkeit die Hände seines einzigen Freundes. Er wollte noch was sagen, aber seine Stimme versagte. Das war auch nicht schlimm, denn die beiden verstan­den sich auch so.
An der Tür drehte sich Walter noch einmal um. Die Blicke trafen sich durch die Tränen hindurch. Beide schickten jeweils dem anderen ein kleines aufmunterndes Lächeln zu.
Dann fiel die schwere Eisentür in das Schoss.
Jetzt begann für Andrew die schlimmste Zeit, das Warten auf etwas, das wie ein Felsbrocken auf ihm lag. Doch er zerbrach nicht daran, sondern er ging in seinen Gedanken zurück, in den Garten Gethsemane.
Dort sah er noch einmal, wie Jesus für ihn, für seine Sünden, die Strafe auf sich nahm, den Weg zum Kreuz zu gehen und für ihn und die ganze Menschheit stellvertretend zu sterben.
Dankbarkeit überkam Andrew. So verging die Zeit wie im Fluge.
Abends kam noch einmal der Wärter und brachte die Kleidung für den nächsten Tag. Eine schwarze Hose und ein weißes Oberhemd.
Der 40. Tag

Andrew war schon früh aufgewacht. An diesem Tag hatte er die Möglich­keit bekommen, schon früher Licht in der Zelle zu haben.
So saß er nun schon fertig in den neuen Sachen am Tisch, vor der Bibel.
Er war nochmals die letzten Wochen in Gedanken durchgegangen.
Abendmahl, Judas, Fußwaschung, das Gebet Jesu. Garten Gethsemane, wie Jesus betet und die Jünger schlafen.
Das zweite und dritte Gebet, die Angst, Schweiß wie Blut. Aber auch wie Jesus gestärkt wird durch den Engel.
Es klopfte, dann das Umdrehen des Schlüssels. Die Tür geht auf und Walter steht da. Etwas unsicher, aber froh, Andrew zu sehen.
„Guten Morgen, Andrew, und? Wie ist‘s?
„Moin Walter, lass dich umarmen, mein Freund.“
Erstaunt stellt Walter fest, dass Andrew ganz normal mit ihm reden kann. Er hatte sich schon darauf eingestellt, ihn traurig und niedergeschlagen vorzufinden. Das macht die Sache viel leichter.
„Ich sehe, du hast gerade in der Bibel gelesen. Und da komme ich und störe dich.“
„Du störst nie, weißt du, ich habe die halbe Nacht im Gebet verbracht. Immer wieder überkam mich eine Angstwelle, die ich durch Gebet mit Gottes Hilfe überwunden habe.
Ich habe so gehofft, dass, wenn ich aufwache, alles nur ein böser Traum sei. – Aber die Wirklichkeit hatte mich schneller eingeholt, als mir lieb war.“
„Wo warst du beim Lesen, als ich kam?“
„Als Jesus sagte: ‚… ich trinke ihn denn, so geschehe dein Wille! ‘
Und wie Jesus dann wie tot zu Boden fiel und dann der Engel kam, um Jesus zu stärken.
Immer, wenn ich daran denke, läuft es mir kalt den Rücken herunter. Das war so etwas Einmaliges, so ergreifend, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. All das, was wir miteinander besprochen und gesehen haben, war wieder da und wurde ganz lebendig. Und du hast mir das ermöglicht.“
„Schau mal, Jesus kann nicht mehr, er ist am Ende seiner Kraft. Und da kommt Hilfe. Und genau diese Hilfe steht uns auch zur Verfügung, wir nutzen sie nur viel zu wenig. Jesus war ganz allein, denn die Jünger schliefen. Und dann kommt die Hilfe von oben.“
„So ähnlich ist es mir letzte Nacht ergangen. Ich war beides, Jesus und Jünger. Mal wachen, beten, weinen, schwitzen, und dann wieder müde und geschlafen.“
„Und wie geht es dir jetzt?“
„Ich nehme das ungerechte Urteil an. Ich muss es so nehmen, habe alles versucht. Jetzt habe ich mein Leben in die Hände Gottes gelegt, und dass ich das kann, erfüllt mich mit einem wunderbaren inneren Frieden.“
„Du glaubst ja gar nicht, wie froh und glücklich ich bin, trotz Traurig­keit, dass du so denken kannst. Dafür bin ich Gott so dankbar.“
Walter, ich sehe das als große Gnade an, dass ich mein Leben in einem ganz anderen Licht sehe. Ich habe den waren Sinn des Lebens gefunden. Und du hast mir dabei geholfen, ja, ohne dich hätte mein Ende einen erbärmlichen Eindruck hinterlassen.
Schau mal, Walter. Ich habe hier in dieses Heft all meine Gedanken der letzten Wochen aufgeschrieben. Dies ist mein Abschiedsgeschenk an dich. Wenn Gott mich errettet, werde ich dir eine Kopie davon anferti­gen.
Oh, Walter, mir ist ganz komisch zumute, ich habe Angst vor dem, was mich erwartet. Bitte bete mit mir.“
„Du hast recht, diese letzten Minuten sollten wir dazu nutzen.
Dann lass uns noch einmal vor Gott niederknien und um seinen Heiligen Geist bitten, der uns die rechten Gedanken in dieser Situation gibt. Glaub mir, Andrew, mir geht es auch nicht gut. Komm, wir haben nicht mehr viel Zeit.“
Walter beginnt zu beten: „Großer Gott, lieber himmlischer Vater. Im Namen Jesu Christi, deines Sohnes, kommen wir noch einmal zu dir. Bitte sei uns ganz nahe in dieser Stunde.
Ich bitte dich für Andrew, schenke ihm deine Kraft, deine Liebe, deinen Heiligen Geist, deine Nähe.
Nimm sein Leben in deine Hand. Vergib, wo wir Unrecht getan haben, und nimm alles Trennende hinweg. Lass Satan keine Macht über uns haben, sondern umgib uns mit deinem heiligen Engelheer.
Wir übergeben dir alles und danken dir, dass du uns erhört hast.
Amen“
Dann beginnt Andrew zu beten: „Lieber Gott, Herr Jesus. Es ist soweit und ich habe furchtbare Angst. Ich habe aber auch die Gewissheit, dass mein Leben in deiner Hand ruht – dafür danke ich dir. Sei weiterhin mit Wal­ter, begleite ihn und bewahre ihn.
Und so will ich mit den Worten Jesu mein Gebet beenden, im Vertrauen auf deine große Liebe, Weisheit und Barmherzigkeit.
Wenn es noch eine Möglichkeit gibt, mich zu erlösen von dieser Strafe – aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe.
Amen“
Beide stehen vom Gebet auf, fallen sich in die Arme, da betritt auch schon die Abordnung die Zelle.
Sie stehen sich gegenüber. Andrew muss unwillkürlich daran denken, wie Jesus und die Schar der Hohenpriester und Schriftgelehrten zusammen mit den Soldaten vor Jesus standen und ihn schließlich abführten zur Verurteilung
Während die Gruppe langsam den Weg zum Hinrichtungstrakt geht, sehen die beiden Freunde in ihrer Vorstellung, wie Jesus verspottet wurde, die Dornenkrone bekam, die Verurteilung, und wie Jesus mit letzter Kraft das Kreuz tragen muss.
Genau so, wie Andrew aus der Zelle herausgetreten ist, aufrecht und gefasst, erreichen sie die Tür, die in den Hinrichtungstrakt führt.
Neben Andrew geht Walter, vor ihm der Gefängnisdirektor und der Staats­anwalt, ganz in schwarz. Hinter den beiden Freunden der alte Gefäng­niswärter und der Gefängnisgeistliche.
Andrew werden plötzlich die Knie weich und er droht hinzufallen. Doch Walter ist zur Stelle und hilft ihm auf, genauso wie Simon helfend ein­greift, als Jesus das Kreuz nicht mehr tragen konnte.
Andrew und Walter sehen sich mutmachend an. Und mit einem Blick nach oben sagen sie sich, Gott ist da.
Die große Eisentür wird geöffnet. Dieser Raum liegt drei Stufen höher, und während Andrew und Walter die Stufen hochgehen, sehen sie Jesus, wie er an das Kreuz genagelt wird. In dem Moment, als das Kreuz mit einem dumpfen Hall in das Loch fällt, wird der Vorhang zur Hinrich­tungsstätte zur Seite geschoben.
Man sieht den Scharfrichter neben dem Galgen stehen. Auch ganz in schwarz.
Der fensterlose, weiß gestrichene Raum wirkt kalt und abweisend.
Von der Decke werden der Raum und die Hinrichtungsstätte durch fünf Scheinwerfer grell beleuchtet.
Neben dem Eingang steht ein kleiner Tisch, auf dem sich ein Rotes Telefon befindet. Links neben der Tür kann man die Bank sehen, auf der die Abordnung Platz nimmt.
In der Mitte des Raumes ist die Hinrichtungsstätte, noch mal um fünf Stufen höher. Ein schwarzes Holzpodest, mit dem Galgen und der Fall­tür. Brutal und furchteinflößend steht dieses Mordinstrument in der Mitte des Raums.
Wild pochen die Herzen von Andrew und Walter. Ein letzter Händedruck, ein letztes „Gott sei mit dir“.
Andrew wird zu den Stufen gebracht, die auf das Podest führen. Der Scharfrichter begleitet ihn hinauf, stellt ihn genau unter die Schlinge, auf die Falltür.
Walter kann das gar nicht mit ansehen und würde am liebsten herauf­stürmen und Andrew in Sicherheit bringen.
Doch er steht da, die Hände gefaltet im Gebet.
Die Stimme des Gefängnisdirektors durchbricht das Schweigen.
„Herr Andrew Bushow, haben Sie noch etwas zu sagen? Wenn ja, dann sprechen Sie jetzt.“
Eine eisige Stille herrscht in der kalten Atmosphäre dieser Stätte.
Andrew schaut in die Runde. Jeden schaut er an. Jedem schaut er in die Augen. Doch keiner kann dem Blick standhalten, außer Walter. Es ist eine angespannte Situation, keiner wagt etwas zu sagen. Zum Schluss schaut er dem Scharfrichter genau in die Augen. Auch dieser sieht an ihm vorbei.
Dann beginnt Andrew zu sprechen. Seine Worte sind klar und deutlich und in einem überzeugenden Ton gesprochen.
„Zuerst danke ich meinem Freund Walter. Ohne ihn hätte ich meinen Glauben an Jesus Christus gänzlich über Bord geworfen.
Ich danke allen anderen, die mich freundlich und als Menschen behan­delt haben. Besonderen Dank verdient Herr Schmitt.
Ich möchte es noch einmal sagen – ich bin unschuldig.
Ich vergebe allen, die falsch an mir gehandelt haben“, dabei blickte er über die Runde, die zu ihm aufsah. Der Blick blieb am Henker haften, „und die falsch an mir handeln werden.“
Walter sieht im Geiste Jesus am Kreuz, wie er für seine Feinde betet und ihnen verzeiht.
„Meine Herren, ich verlese die Anklageschrift und die Urteilsbegrün­dung“, ergriff der Staatsanwalt das Wort. Amtlich, ohne jede Emotion wurde vorgelesen:
„Im Namen des Volkes. Aufgrund der Schwere des …“
Andrew hörte gar nicht hin. Er sieht Jesus am Kreuz. Über ihm das Schild mit dem Grund der Verurteilung. Die Spott- und Höhnrufe:
„Anderen hat er geholfen, soll er zeigen, dass er der Sohn Gottes ist und vom Kreuz herabsteigen.“
Der Himmel wurde dunkel und die Sonne verlor ihren Schein. Dann die Worte Jesu:
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Das tat Jesus für mich, musste Andrew feststellen.
Draußen am Haupteingang des Gefängnisses hielt derweil mit quiet­schenden Reifen ein Polizeiauto. Der Beifahrer sprang heraus und klin­gelte nach dem Pförtner.
„Ich muss unbedingt und sofort den Direktor sprechen, es geht um Leben oder Tod.“
„Also, immer mit der Ruhe, ein alter Mann ist kein D-Zug. Worum geht es denn?“ entgegnete, extra langsam sprechend, der Pförtner.
„Ich muss mit dem Direktor sprechen und ihm diesen Brief sofort geben.“
„Also, sofort gibt es bei uns nicht. Höchstens bitte sofort.
Übrigens wird grade einer hingerichtet, da kann jetzt keiner mehr hin. Es ist sowieso gleich vorbei.“ Nebenbei schaut der Pförtner auf die große Wanduhr. „Also, wenn die Uhr richtig geht, wird in zwei Minuten das Urteil vollstreckt. So lange müssen Sie schon warten.
„Aber das kann ich nicht, der Staatsanwalt und der Direktor müssen den Brief jetzt, bitte jetzt, sofort bekommen, und zwar noch vor 6.00 Uhr.“
„Also gut, weil Sie es sind.“, erwiderte der Pförtner im herablassenden Ton. „Hey, Winfried, saus doch mal schnell zum Direktor, ja ja ich weiß, aber es ist eilig. Du hast noch eine Minute.“
„Könnten Sie beim Direktor anrufen, falls Ihr Winfried es nicht schafft? Bitte, bitte schnell!“
Der Staatsanwalt war fast fertig, bis auf: „… und somit wird Herr Andrew Bushow zum Tode durch den Strang verurteilt.
Henker, walten Sie Ihres Amtes.“
Bei dem letzten Satz begann auf dem Tisch das rote Licht des Telefons zu blinken. Doch niemand sah in die Richtung.
Alle waren nun aufgestanden und beobachteten den Ablauf.
Der Henker will Andrew eine Binde um die Augen legen.
„Das brauche ich nicht“, war die kurze Antwort.
Der Henker legt die Schlinge um den Hals.
Das Telefon blinkt immer noch.
Jetzt nimmt der Scharfrichter den Knoten in die Hand, und die Schlinge legt sich straff an den Hals.
Andrew faltet seine Hände.
Das Telefon blinkt noch immer.
Der Henker geht nun an die Seite, auf der sich der Hebel für die Falltür befindet. Er legt seine Hand an den Griff.
Andrew ist mit seinen Gedanken bei Jesus. Er sieht ihn am Kreuz.
Ohne dass Andrew es will, spricht er folgenden Satz:
„Großer Gott, in deine Hände lege ich mein Leben“,
und im gleichen Moment sehen Andrew und Walter Jesus, wie er in die Nacht ruft:
„Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“
Der Henker schaut noch einmal in die Runde der Anwesenden, während das Telefon immer noch blinkt.
Dann richtet sich der Blick auf den Staatsanwalt, dieser schaut auf seine Uhr: „Noch 15 Sekunden.“
Der Henker legt nun beide Hände an den Hebel, schaut dann noch ein­mal zu Andrew, der mit erhobenem Haupt und geschlossenen Augen dasteht. So etwas hatte der Scharfrichter noch nie gesehen.
Das Lämpchen des Telefons leuchtet noch immer.
„Noch 5 Sekunden“, zählt der Staatsanwalt.
Der Henker schaut noch einmal zum Direktor.
„Noch 3 Sekunden.“
Da entdeckt der Henker das Blinklicht des Telefons. Und zum Direktor „Telefon!!!“
„Noch 2 Sekunden“,
Der Direktor hob den Hörer ab. Im gleichen Moment erscheint der Beamte mit dem weißen Umschlag.
„noch 1 Sekunde.“
Der Direktor gibt dem Henker ein Zeichen, zu warten.
„Das Urteil wird vollstreckt, 6 Uhr. Henker, walten Sie Ihres Amtes.“
Nichts geschieht, nur das Rascheln des Umschlags ist zu hören.
Der Henker wartet immer noch auf das Zeichen vom Direktor.
Andrew ist immer noch mit seinen Gedanken auf Golgatha. Jetzt hebt Jesus sein Haupt, schaut auf zum Himmel und spricht die Worte: „Es ist voll­bracht!“
Im gleichen Moment ruft der Direktor: „Das Todesurteil ist aufgehoben, Andrew Bushow ist begnadigt!“

Der Henker befreit Andrew aus der Schlinge und gratuliert ihm mit den Worten: „Diesmal wäre es mir sehr schwer gefallen. Denn so wie Sie kann nur ein Unschuldiger sein.“
Andrew steht immer noch auf dem Podest. Er faltet die Hände und betet laut:
„Ich danke dir, mein Gott, im Namen Jesu Christi. Amen“
Die beiden Freunde fallen sich um den Hals. Diesmal laufen Tränen der Freude und Dankbarkeit.
Alle, außer Walter und Andrew, verlassen nachdenklich, etwas beschämt den Raum. Innerlich erleichtert, denn jeder hatte gespürt, das dieses Urteil ein Fehlurteil gewesen ist.

Neue Aufgaben und Herausforderungen warten auf Andrew und Walter, die glücklich und Gott von Herzen dankbar ihren Weg in ein neues Leben, in eine neue Zukunft antreten.


Jesus sagt:
Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.
Darum gehet hin in alle Welt und erzählt von mir.
Und ich bin bei euch alle Tage, bis an das Ende der Welt, bis ich wiederkomme und euch zu mir nehme.


Offb. 21
Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen …
Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.
Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss!


Nachwort
Viele Jesusfilme habe ich in den vergangenen Jahren gesehen. Das Lei­den Jesu hat mich immer tief berührt und gleichzeitig mit Dankbarkeit erfüllt. Dankbarkeit für die Erlösungstat Jesu, der mir die Möglichkeit gibt, bei Jesu Wiederkunft dabei zu sein.
Dann kam der Film von Mel Gibson: Die Passion.
Viele, die diesen Film gesehen haben, sind beeindruckt gewesen.
Doch als ich all das furchtbare Leid sah, dass Jesus zugefügt wurde, kam mir ein Gedanke. Nein, mehr eine Frage, die mich nicht mehr losließ:
Wie konnte Jesus das überhaupt aushalten und durchhalten, ohne auch nur einmal die Fassung zu verlieren?
Da musste etwas geschehen sein, das ihm diese Kraft zum Tragen der Folter, Schläge und Beleidigungen gab. Ja, bis zu seinem Tod am Kreuz auf Golgatha ertrug er alle Schmach und Schmerzen. Ja, Jesus konnte sogar für seine Feinde beten.
Wie war das möglich?
Meine Gedanken gingen zurück nach Gethsemane.
Und mit einem Mal war mir klar, warum Jesus all das Unerträgliche tragen konnte. Es war die ENTSCHEIDUNG, die er im Garten Gethsemane getroffen hatte. Die ENTSCHEIDUNG, die Sündenlast der Welt auf sich zu nehmen und damit allen Menschen die Möglichkeit zur Umkehr, Verge­bung der Sünden und ewiges Leben zu schenken.
Diese Zeit, die Jesus im Gebet im Garten Gethsemane durchlebte, aber auch schon die Tage davor, sind der Schlüssel, der den Leidensweg möglich machte.
Gethsemane ist der Höhepunkt im Kampf mit Satan. Jesu ENTSCHEIDUNG ließ ihn den letzten Weg der Erniedrigung, der Schmerzen und schließ­lich den Tod für uns, ja für jeden einzelnen Menschen, auch für Sie, ertragen.
Jesu Liebe und die Liebe seines Vaters zu uns Menschen haben den Weg ins Paradies möglich gemacht. Das ruft nach Dankbarkeit.
In Joh. 3,16 steht: Weil Gott die Welt liebt, hat er seinen eigenen Sohn dahingegeben, auf dass alle, die an Jesus Christus glauben, nicht verlo­ren gehen, sondern das ewige Leben haben sollen.
Ihr Martin Freitag


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Tag der Veröffentlichung: 16.08.2011

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