Das Flüstern der Zweifel
Dunkelheit.
Mit geschlossenen Augen lag er da, ließ die Umwelt auf sich einwirken.
Sanftes Vogelgezwitscher. Der Geruch von frisch gemähtem Gras. Die Wärme der Sonnenstrahlen auf seiner Haut. Ameisen, die über seine nackten Füße krabbelten. Harter Erdboden unter ihm.
Zart streichelten ihn die Grashalme, sanft wehte der lauwarme Sommerwind über seinen Körper. Es war einer dieser Tage, an denen alles perfekt war.
Leise seufzte er und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf. Die Füße an den Knöcheln überkreuzt lag er da und sog all die Eindrücke in sich auf. Er fühlte sich wohl. Sicher. Zufrieden. Tief atmete er die warme Sommerluft ein, fühlte sich eins mit der Natur. Behütet.
Langsam öffnete er die Augen, wollte seine Umgebung nicht nur riechen, spüren und schmecken, sondern auch sehen. Mit allen Sinnen in sich aufnehmen. Verinnerlichen. Mit der Natur zu einem Ganzen werden.
Ein saftig grünes Blätterdach begrüßte ihn, nur durchbrochen vom strahlend blauen Himmel. Vorsichtig setzte er sich auf und betrachtete seine Umgebung. Eine grüne Wiese, soweit er nur sehen konnte.
Vereinzelte Laubbäume ragten in den Himmel.
Gänseblümchen zierten das ansonsten unbefleckte Grün. Bienen summten durch die Luft.
Zwei Vögel spielten Fangen, umkreisten sich, flogen miteinander im Einklang. Lieblich zwitscherten sie sich an, neckten sich. Genossen die Ruhe. Die Stille. Die Friedlichkeit.
Ein Flüstern riss ihn aus seinen Beobachtungen. Verwundert schaute er sich um. Weit und breit war niemand zu sehen. Keine Menschenseele. Er war allein.
Und doch… Er meinte, etwas zu hören.
Eine leise, jedoch eindringliche Stimme. Ein penetrantes Summen in seinen Ohren.
Er schaute sich noch einmal um. Niemand.
Verwirrt legte er sich wieder hin, schloss die Augen, und versuchte dieses Flüstern zu ignorieren. Er konzentrierte sich nur auf den harten Boden unter ihm. Die Wärme der Sonne. Das Zwitschern der Vögel. Der Geruch von Sommer in der Luft.
Doch so sehr er es auch versuchte… die Stimme wurde immer lauter.
Mörder.
Nur vereinzelte Bruchstücke nahm er wahr. Unzusammenhängende Worte. Ein lautes Rauschen.
Du… Mörder…
Ruckartig setze er sich auf. Schaute sich um. Drehte den Kopf in alle Richtungen.
Doch er war immer noch alleine.
Angst kroch in ihm hoch. Nahm ihm die Luft zu atmen. Ein Schauer rann ihm den Rücken hinunter.
Fröstelnd stand er auf, schlang die Arme fest um sich. Verwundert blickte er in den Himmel. Wolken bedeckten ihn nun. Dunkle, graue Wolken. Bedrohlich. Ein Gewitter zog auf.
Der vorher so warme Sommerwind schwoll zu einem kalten Sturm an. Hart peitschte er um ihn. Wehte ihm braune Blätter entgegen. Laut rauschte er in den Bäumen.
Kein Vogel war mehr zu sehen. Keine Biene summte durch die Luft. Vertrocknetes Gras bedeckte den Boden.
Und über all dem diese Stimme. Aus dem Flüstern war ein Schreien geworden. Laut beschuldigte sie ihn. Verfluchte ihn.
Mörder. Abschaum. Verschwinde.
Panisch drehte er sich um die eigene Achse. Suchte nach einem Menschen. Nach der Stimme. Nach irgendjemandem. Doch nichts.
Er fühlte sich bedroht. Verfolgt. Angstschweiß stand ihm auf der Stirn. Doch innerlich fror er.
Langsam fing er an zu laufen. Versuchte zu fliehen. Vor der Stimme. Vor der Natur. Vor sich selbst.
Einen Schritt vor den anderen. Immer schneller wurde er. Er fing an zu rennen. Drehte sich immer wieder um. Doch die Stimme folgte ihm. Ließ ihn nicht alleine. Egal wie schnell er rannte, wie hecktisch sein Atem ging, wie laut sein Herz in seinen eigenen Ohren pochte… Die Stimme schwieg nicht.
Mörder.
Und dann wurde alles schwarz um ihn herum.
Laut seufzte sie auf und schüttelte den Kopf. Es war bereits das dritte Mal an diesem Tag. Sie hatte gehofft, dass ihre langen Gespräche mit ihrem Patienten etwas gebracht hätten. Oder die Medikamente. Hatte gehofft, dass er langsam die Mauer um sich herum abreisen würde. Sich seiner Angst stellen würde. Und endlich zu dem stehen, was er begangen hatte. Doch stattdessen musste sie wieder einmal beobachten, wie er in seinem kleinen Zimmer auf dem Boden lag, erst ganz friedlich, sich aufsetzte und auf einmal immer panischer wurde. Bis zu dem Moment, in dem er aufgestanden und losgerannt ist.
Egal wie oft er schon gegen die Wand seines Zimmers gerannt ist, sich dabei selbst verletzt hat, er war immer noch in sich selbst gefangen.
In seinem eigenen Verstand.
In seiner eigenen Illusion.
Tag der Veröffentlichung: 22.06.2015
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