Cover


Zimt und Vanille. Stickiger Rauch. Ein dunkles Zimmer.
Rote Kerzen entblößen einen runden Tisch.
Lammknochen. Eine Teekanne. Eine Glaskugel.
Eine wunderschöne, junge Frau mit strahlend blauen Augen. Lorelei.
Eine sanfte Berührung an seiner Handinnenfläche. Der begeisterte Blick seiner Freundin.
Die Glaskugel. Zarte Hände umschließen sie, Lider verstecken die strahlenden Augen.
Sie öffnen sich. Und plötzlich dieser durchdringende Blick. Tief, bis in seine Seele.
Und er… war schutzlos. Ohne seine Fassade aus Reichtum und Arroganz. Er war wieder der kleine, verängstige Junge. Ohne Selbstbewusstsein. Alleine gelassen.
Und plötzlich diese raue Stimme. Gänsehaut. Tief dringen die Worte in sein Bewusstsein ein. Berühren etwas tief in ihm. Ein Feuer.
Ein Feuer aus Angst.
„Eine rothaarige Person wird dein Leben zerstören“
…zerstören…
..zerstören…
…zerstören!




Laut schnappte er nach Luft und riss panisch seine Augen auf. Feucht rann der Schweiß über seine Stirn, sein seidener Schlafanzug klebte unangenehm an seiner Haut.
Orientierungslos setzte er sich auf, griff sich an die Brust, um sein hecktisch schlagendes Herz zu beruhigen.
Nur ein Albtraum. Es war nur ein Albtraum. Mehr nicht.
Das versuchte er sich zumindest einzureden. Doch ihn ließ die ganze Sache nicht mehr in Ruhe. Wieso verfolgte ihn diese wahnsinnige Frau sogar in seinen Träumen?
Lautlose Flüche murmelnd schlug er die Decke zur Seite und stand leise auf, immer darauf bedacht seine Freundin nicht zu wecken, die selig schlummernd neben ihm lag.
Auf Zehenspitzen machte er sich auf den Weg in die Küche und schenkte sich ein Glas Wasser ein, das er gierig in einem Zug austrank, nur um sich noch einmal etwas einzuschenken.
Wieso machte ihm diese Vorhersage so sehr zu schaffen? Eigentlich hielt er nichts von diesem Esoterik-Scheiß und er glaubte auch nicht daran. Doch seine Freundin war total vernarrt in alles Übersinnliche und legte sich jeden Tag Tarot Karten. Nur ihr zu Liebe war er mit zu dieser Lorelei gegangen. Eine Wahrsagerin, die in ganz Deutschland bekannt war für das 100 prozentige Eintreten ihrer Vorhersagen. Nicht nur das Ergebnis der letzten WM hat sie bereits ein halbes Jahr vorher angekündigt, sondern auch Naturkatastrophen oder politische Ereignisse.
Als er seiner Partnerin versprochen hatte einmal mit ihr zu dieser Lorelei zu gehen, hatte er sich nicht viel dabei gedacht. Was hätte dabei auch schon passieren können? Eigentlich hatte er eine verrückte Frau in den Fünfzigern erwartet, die mit erweiterten Pupillen ihnen das Blaue vom Himmel log.
Doch stattdessen hatte sie eine attraktive, junge Frau empfangen, die alles andere als verrückt aussah.
Er war schon oft mit seiner Freundin bei irgendwelchen Wahrsagern gewesen, und egal wie schlimm seine Zukunft in den Augen dieser Geisteskranken und Drogenabhängigen auch aussah, nie hatte er sich darum gekümmert. Wieso auch? Er selbst war der Meinung, dass das Schicksal in den eigenen Händen lag und nicht voraus gesagt werden konnte.

Aber dieses Mal war es anders.
Noch nie klang eine Vorhersage so wahr. Noch nie hatte sie ihn so berührt.
Und noch nie hatte sie ihn verängstigt zurück gelassen und ihn sogar in seinen Träumen verfolgt.
Der eindringliche Blick dieser Lorelei und ihre verheerenden Worte bescherten ihn auch 2 Tage später immer noch Gänsehaut.

Mit einem lauten Seufzen lehnte er sich gegen die Arbeitsplatte seiner Designer-Küche und legte den Kopf in den Nacken.
Er konnte es sich nicht leisten von irgendetwas abgelenkt zu sein. Nicht in seinem Job. Er war ein bedeutender Geschäftsmann, sein ganzes Geld hatte er nur sich selbst zu verdanken.
Niemand stellte sich ihm in den Weg, und wenn doch, dann sicherlich nicht lange. Intrigen und Bestechungen gehörten zu seinem täglichen Werkzeug im Umgang mit Konkurrenten. Doch es machte ihm Spaß. Das Schicksal anderer Geschäftsmänner lag in seiner Hand. Er musste nur einen Anruf tätigen und schon war eine andere Firma plötzlich pleite. Er liebte seinen Job, liebte das Gefühl der Macht.
Doch er wusste auch, wie schnell all sein Reichtum und Ruhm plötzlich weg sein konnte, wie schnell er ohne etwas da stehen würde.
Gefahren und Risiken mussten sofort beseitigt werden.
Und sein Bauchgefühl sagte ihm, dass eine harte Zeit auf ihn zukommen würde.
Vielleicht hatte diese Lorelei ja doch recht.
Vielleicht wartete da draußen eine Bedrohung auf ihn. Eine Gefahr in Form einer rothaarigen Person.
Das konnte er nicht riskieren.


Zweifelnd lag er am nächsten Abend im Bett, seine Freundin eng an ihn gekuschelt.
Es war ein Tag voller wichtiger Entscheidungen gewesen.
Es war ja nicht so als würde er an diesen Quatsch glauben, den ihn die Wahrsagerin erzählt hatte. Aber er war einfach nicht bereit gewisse Risiken einzugehen. Dafür liebte er seinen Job und vor allem sein Reichtum zu sehr.
Und als dann plötzlich dieser rothaarige Praktikant in seiner Firma an ihm vorbei lief… da hatte ihn die Angst und die Wut gepackt.
Er würde sich sein Lebenswerk sicherlich nicht von einem dahergelaufenen Jüngling zerstören lassen. So hatte er ihn einfach in sein Büro bestellt. Doch der Praktikant hatte den Raum nie wieder verlassen.
Zweifel überkamen ihm, ob er auch wirklich das Richtige getan hatte.
Zweifel, ob er überhaupt das Recht dazu hatte, über das Leben einer anderen Person zu entscheiden.
Doch eins musste er zugeben.
Als der junge Körper in seinen Armen erschlafft war, die Augen ihn gebrochen angestarrt hatten… da hatte er sich gefühlt wie ein Teil des Ganzen. Wie ein Herrscher. Ein König. Wie Gott. Es war berauschend. Erregend.
Und nun hatte er einen Widersacher weniger. Eine Person weniger, die sein ganzes Leben zerstören konnte.


Als er am nächsten Morgen das Haus verließ, war er in Gedanken schon bei seinem zweiten Opfer. Er wusste, in dem Hauptsitz seiner Firma gab es noch vier weitere, rothaarige Personen. Mögliche Bedrohungen. Gefahren, die es nicht geben durfte.

Den ganzen Weg bis zu seinem Arbeitsplatz kam er sich beobachtet vor, plötzlich entdeckte er überall rothaarige Personen. Der Briefträger, der Fahrer im Nebenauto, der Student an der Bushaltestelle, oder die Sekretärin im Hauptsitz seiner Firma. Sie würde das erste Opfer für heute sein.
Denn auch eine einfache Sekretärin hätte die Möglichkeit sein ganzes Leben zu zerstören.


Die Tage vergingen, die Anzahl seiner Opfer stieg enorm an.
Und es nahm kein Ende. An jeder Straßenecke begegnete er einer rothaarigen Person.
Er fühlte sich gehetzt. Verfolgt.
Und nur das Gefühl völliger Macht, der Anblick eines toten Körpers konnte ihn beruhigen.
Er war besessen. Besessen von dem Gefühl und dem Gedanken, der Herrscher über Leben und Tod zu sein.
Besessen von dem Gedanken, sein eigenes Leben zu schützen und dabei andere Leben zu zerstören.
Besessen von der Gewissheit, sein eigenes Schicksal in der Hand zu haben.

Doch das Gefühl der Macht machte ihn unvorsichtig. Die Berichte im Fernsehen über den neuen Massenmörder, Mister Red, der nur rothaarige Menschen tötet, beunruhigten ihn nicht im Geringsten. Denn jeder Mensch ist bestechlich. Ob Polizist oder Politiker. Und genügend Geld hatte er auf alle Fälle.
Er wurde unvorsichtig. Unaufmerksam.
Sein Augenmerk lag nur auf der Beseitigung möglicher Risiken.
Aber dabei bemerkte er nicht die misstrauischen Blicke seiner Freundin und seine Umgebung.
Seine Zufriedenheit wuchs mit jedem neuen Opfer immer mehr. Alles andere war egal.


30 Tage. 60 Opfer.
Und er fühlte sich mächtig. Nichts und niemand konnte ihm etwas anhaben. Und schon gar nicht so eine dumme Prophezeiung.
Mit zufriedenem Blick säuberte er das blutverschmierte Messer und steckte es in seinen Aktenkoffer. Das rothaarige Mädchen zu seinen Füßen röchelte noch einige Male und wimmerte leise auf. Tief schaute er ihr in die Augen, beobachte, wie der letzte Funke Leben aus ihr wich. Wie er diesen Moment liebte. Der erschlaffende Körper. Der gebrochene Blick. Der letzte, geräuschvolle Atemzug.
Aber dieser, für ihn so heilige, Moment wurde brutal durchbrochen.
Geschrei. Drohungen.
Gefährliche Kälte an seiner Schläfe.
Der bedrohliche Lauf einer Pistole.
Er war entdeckt worden.

Von da an ging alles ganz schnell.
Handschellen. Ein Haftbefehl. Die Sirene eines Krankenwagens. Doch für das junge Mädchen kam jede Hilfe zu spät.
Flankiert von zwei Beamten saß er auf der Rückbank eines Polizeiautos.
Was war nur schief gegangen?
Wer hatte ihn verraten?
Doch eigentlich konnte er es sich schon denken. Es kam nur seine Freundin in Frage. Oder diese Lorelei.

Nur wegen ihr und ihrer bescheuerten Vorhersage wurde er jetzt verhaftet.
Sein ganzes Leben war zerstört.
Und das nur, weil er eben genau das verhindern wollte.
In dieser spannungsgeladenen Stille im Auto musste er sich eingestehen, dass das Schicksal doch vorher bestimmt war. Und man es nicht beeinflussen konnte.
Und in diesem Moment, in dem er resigniert und betrübt aus dem Fenster starrte und der vorbeifliegenden Freiheit zusah, blickte er in das Gesicht eines Rothaarigen.
In der Spiegelung des Fensters erblickte er den rothaarigen Menschen, der sein ganzes Leben zerstört hatte.
Sich selbst.


Coverbild:

http://adamscurse.deviantart.com/gallery/#/d4wlxpb

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.08.2011

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /