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Als wir die Bretterbuden abbrachen und aus der Stadt Westerville, Ohio, auf ein Hausboot im River Thames verzogen, war ich ein junges Ding von sechzehn, siebzehn Jahren. Damals begann die aufregendste Zeit meines Lebens, sie war so knapp bemessen wie tödlich.

Um mich kurz vorzustellen, ich heiße Candice Emily Carter, inzwischen zähle ich sechsundneunzig Jahre und Vieles ist dem großen Vergessen anheimgefallen. Nur die Geschehnisse, die sich um den einzigen Mann in meinem Leben, Pretty Boy Floyd – so nannte man ihn – , rankten, stehen mir noch in lebendigster Erinnerung.

Welch ein undankbares Geschöpf meine braven Eltern an mir großgezogen hatten, wie oft sorgte ich seinerzeit für Zank und Hader in der Familie. Mit meinen sechs Geschwistern, ich war die Älteste, war ihnen mehr Ruhe, Frieden und Glück beschieden. Mich jedoch erzürnte die unabreißliche Abfolge von Aufträgen, Gängelungen, Ermahnungen, Ansprachen seitens Mum's und Dad's.

Ich weiß noch, als wäre es erst gestern gewesen, wie wir den Fluss hinunter trieben, seit Wochen war er nicht mehr vom Regen geschwellt, es herrschte Trockenzeit, unser wohnliches, Teer gestrichenes Holzboot, die Columbus, schwankte von den Untiefen und schöpfte zunehmend reichlich Wasser, bis sich schlussendlich rechts und links fast seenartig ein Morast ausbreitete und uns zwang, an Land zu gehen und vom Ufer aus mit Seilen unser schwimmendes Zuhause wieder flott zu bekommen. Da vernahmen wir Pferdegetrappel, und wenig später sprengte ein Reiter heran. Ein gutgekleideter, auffallend schöngesichtiger, apfelrotbäckiger junger Mann mit hochgekremptem Hut, sein Blick ging über uns alle hin und blieb an mir haften, er lupfte seinen Hut für mich, sofort lief ich glutrot an. Er frug, ob wir ihm eine Portion Bohnen mit Speck anbieten könnten, so beköstigten wir ihn. Wofür er uns mit freiem Oberkörper ziehen half, und ich gestehe, ich schmachtete ihn an. Bevor er weiter ritt, eröffnete er uns, dass er ein Desperado, ein Outlaw sei, genannt Pretty Boy Floyd, und man richtig frei und ungebunden auch auf keinem Hausboot sei; man sei es nur ohne Auflagen und Gesetze.

Der Erwerb des Hausboots war auf eine eher unbedachte Äußerung meiner Wenigkeit zurückgegangen, deshalb kribbelte es gerade mir in den Gliedern, so ein abenteuerliches Dasein auch einmal für mich zu haben – und wenn darauf hundertfache Verdammnis stand, ich riss aus, mich Pretty Boy Floyd aufs Geratewohl anzuschließen. Ich lief etliche Meilen, bis sich mitten zwischen hohen Bäumen und Strauchwerk ein runder Lagerplatz auftat, um dessen glimmendes Feuer eine Handvoll stoppelbärtiger Männer saß. Floyd erkannte mich augenblicklich wieder und ich war weiß Gott ansehnlich, es nahm wenig Wunder, dass er mich als Art Beute bei sich behielt. Ohne jedwede Einstimmigkeit der anderen Bandenmitglieder wurde ich von ihm aufgenommen, war es auch nur darum gewesen, mich seiner Wollust zu opfern. Er habe eine Ehefrau und im Allgemeinen halten seine Liebschaften nicht allzu lang, spöttelten die Männer hinter kaum vorgehaltener Hand. Mir war es einerlei, Floyd verhieß mir das Entkommen aus allen familiären Zwängen, Pflichten und Obliegenheiten, verhieß mir die Freizügigkeit in allem.

Sie zogen mit mir tiefer waldeinwärts, denn: Wenn uns die Kleine findet, finden uns auch die Sheriffs

, wurde geunkt. Bald dämmerte es und wir machten Halt. Später standen Floyd und ich auf einem schroffen, absturzgefährdeten Felsen, der sich in eine tiefe Kluft hinabbückte, und küssten uns. Ich sah in seine dunklen Augen, früher Tod malte sich darin. Und er gab mir zu trinken, ich trank an diesem Abend zum allerersten Mal Feuerwasser. Vom Whiskey und voller Begierde siedete mein Blut ... Ich will hier nichts Unzusammenhängendes in die Feder geben, aber auch nicht alles preisgeben, was sich zwischen uns zutrug. Nur dass keine Stunde nach dem ersten Schwips mich Pretty Boy Floyd entjungfert hatte, er hätte nichts Heilsameres für mich tun können. Außerdem hatte es die unausgesetzte Beschützung meiner Person durch ihn zur Folge, seine Kumpanen würden sich nicht an mich vergreifen.

Mein bis dahin beschaulich-langweiliges Leben war wie ausgetilgt. Mit notfalls gezogenem Revolver wurden von den Farmern der Umgebung Lebensmittel requiriert, zudem war mir gewahr, dass nicht nur Banken überfallen wurden, aber das ging auch künftig ohne mein Zutun vonstatten. Näheren Aufschluss über die Aktivitäten der Bande, die sich gewohnheitsmäßig aufsplittete, so dass meist zu zweit auf Raubzug gegangen wurde, erhielt ich ebensowenig. Ich blieb im Hintergrund.

Und jeden Tag lernte ich Floyd besser kennen. Er war nicht übermäßig klug und ziemlich ungebildet, doch mit seiner Persönlichkeit beeindruckte er nicht nur mich auf geheimnisvolle Weise. Eigentlich war seine Liebhaberei die Pferdezucht, die wohl für ihn eine Rebellion gegen die Automobile darstellte, die mehr und mehr das Straßenbild in den Städten beherrschten. Bloß waren Pferdezüchter in aller Regel gesetzestreu. Wahrscheinlich besaß er, aus bettelarmem Haus stammend, obendrein klassenkämpferische Motive.

Der Anfang vom Ende brach an, als sich Ruheständler Erv Kelley, ein überaus erfahrener und gewiefter Kriminalist – er stand im Ruf, mehr Verbrecher zur Strecke gebracht zu haben als irgendein anderer Gesetzesvertreter zur damaligen Zeit -, überreden ließ, gegen Floyds Verbrechertum zu Felde zu ziehen. Er begab sich ins Operationsgebiet, auf unsere Fährte.

In Floyds Zunft mag es ein Vorteil sein, skrupellos, hemmungslos, seelenlos zu sein, er soll Morde begangen haben, aber so hatte zumindest ich ihn nicht kennen gelernt. Eines üblen Tages saß er in Erv Kelleys und seiner Deputies Falle, mich hatten sie unbeachtet gelassen, als sie ihn einkreisten; es war wohl nicht darstellbar für sie, dass ein Mädchen für ihn einstehen würde. Wie Floyd den Kugeln auswich, die auf ihn abgefeuerten Salven unterlief, entstand in mir eine Kraft, die war mächtiger als alles. Floyd und sein Kumpan waren nur kurzläufig bewaffnet, zum Gewehr griff nun ich. Nein, auf einen Menschen mehr oder weniger kam es mir nicht viel an, so legte ich hinterrücks auf Erv Kelley an und zielte, als läge das Fortbestehen der ganzen Welt in meinem Schuss, und da ich den Finger am Abzug einknickte, wusste ich, dass er sein Ziel nicht verfehlen würde. Es streckte ihn scheinbar leblos zu den Füßen eines Anderen nieder, und nachdem er so noch einiges Blei von mir einsteckte, machte es, dass seine Leute sich sammelten und das Schießen einstellten, sodass uns die Flucht zu dritt gelang. Floyd war böse angeschossen worden, unter anderem hatte es ihm den Hodensack angerissen, man musste um seine Manneskraft fürchten. Als wir ihn verbanden, stand die Sonne niedrig am Horizont und schien blutrot wie eine Drohung für Leib und Leben, nahenden Abschied verkündend.

Nach Kelleys Tod schlug die Großwetterlage bei Bürgern und Landbewohnern um, die bisher Pretty Boy Floyd als modernen Robin Hood angesehen und Sympathien für ihn entwickelt hatten. Kaum vorzustellen, dass es jetzt für die Allgemeinheit noch etwas Schlimmeres als ihn unter der Sonne gab. Allein die Kriminalannalen lügen, denn ich war der Todesschütze gewesen, nicht Floyd.

Er versah mich mit einem Bündel Dollarnoten und entließ mich, das ist das passende Wort. Heirate nie einen, der schlechter ist als ich

, gab er mir mit auf den Weg. Ich kehrte zum Hausboot zurück, fand es direkt am Flusslauf, als habe es dort auf mich gewartet, mir die gesamte Zeit über in Zuflucht nehmerische Reichweite gefolgt. Meine Familie war überglücklich und beharrte auch nicht darauf zu erfahren, wo ich gewesen war, ich war nur einfach wieder bei ihnen auf dem Hausboot, als wäre ich kurzzeitig nach Carson City gegangen, um in einem Saloon mein Glück zu versuchen.

Es gibt Frauen, die sich selbst verlieren, wenn sie ihren Mann verloren haben. Ich hoffte noch. Zumal Floyd mir die Nummer eines Telefonanschlusses gab, unter welchem er hin und wieder möglicherweise zu erreichen sei, doch so oft ich die Technik, die die Entfernungen aufhebt, die die Stimmen transportiert, bemüht habe, jedes Mal wurde er, genauer, die Bekanntschaft mit ihm verleugnet.

Bis in sein dreißigstes Jahr vermochte er seinen Häschern noch zu entkommen, dann aber starb er eines schimpflichen Todes, man schoss ihm förmlich in den Rücken. Aber was änderte das überhaupt, der Strang war ihm längst zuerkannt worden. Die gesamte Stadtgemeinde wimmelte zu Pretty Boy Floyds öffentlicher Aufbahrung, ungelogen halb Ohio defilierte, unter der strömenden Volksmenge fand auch ich mich an, warf einen letzten Blick auf ihn – im Tode noch ein schöner Mann, vernichtet von einem Schicksal, das ich nicht abwenden hatte können -, bis ich vom Rückfluss mitgerissen wurde.

Floyd war der Mann meines Lebens, es hat nie ernstlich einen anderen für mich gegeben. Immerfort lebte ich mit seinem Gespenst, lange Jahrzehnte, ja, die längste Zeit auf dem Hausboot, das ich von den Eltern übernahm und auf Floyd umtaufte, bis es patiniert von der Zeit und den Witterungs- und vermehrt Umwelteinflüssen endgültig seinen Geist aufgab, und ich in die Städte wechselte und zuletzt in diese Sterbeeinrichtung, wo mein Pretty Boy noch immer gespenstert. Ich habe meine Geschwister überlebt - auf all deren Namen ich mich schon nicht mehr besinnen kann -, weil mein Leben, das nur von der einen flüchtigen Episode zehrte, letztlich wohl dennoch das reichere war. Meine Tage sind unwiderruflich gezählt, ich habe die Ärztin mit dem Pfleger tuscheln hören, keine Woche geben sie mir mehr. Meine Geschichte aber wollte noch erzählt sein.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 22.05.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für den Hausboot-Wettbewerb

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