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Ohne Gepäck reistest du nach Deutschland ein, nur mit ein paar Träumen, dem Gegenwort von Ballast.

Du hast dein Zelt in meinem Herzen aufgeschlagen, Nomadin. Nichts war je besser in meinem Leben, als mit dir zu übersommern, zu überwintern. Damals, als wir einander fanden, waren es die wärmsten Tage des Jahres. Noch ehe ich dich an der verabredeten Stelle erreichte, flirrte deine Erscheinung luftgespiegelt auf dem Asphalt zu mir hin, als könntest du dich projizieren oder dich beamen ...

Endlich erreichte ich dich, deine Hüftknochen zeichneten sich unter dem hauchdünnen Musselinkleid ab, und plötzlich, wie von einer Woge geradezu in die Nase gefächelt, roch ich deine Haut: deinen Hals, deine Achseln, deine Brüste, deine Scham. Wurde ich deiner Verschwitzung gewahr. Du – wie alle Wüstenbewohner – schwitztest mit Begeisterung.

Mir war immer einerlei, wo wir waren, ich war so froh, dass du da warst; und war es auch der trostloseste Ort. Ich stützte deinen Kopf, wenn er wieder einmal zu gedankenschwer hinsank, voll von Heimat und Elend. Und was du mir erzähltest, machte mich nüchtern, verschämt und traurig. Die lieblichsten Augen sind immer deine dunklen, ehrlichen gewesen, weil ich gewusst habe, sie würden bald wieder trocken sein, ohne ihr Funkeln zu verlieren. Habe mich darüber gebeugt, wie einer, der in der Sahara halb verdurstend die Oase erblickt. Dein Augenpaar ist meine Glückseligkeit gewesen, es schmückt dich wie ein Geschmeide.

So vertraut gewesen bist du mir wie der Saft sonnengereifter Früchte. Unsere Aussicht auf ein Leben miteinander wäre eine blendende gewesen; der Frühling kehrt gerade wieder, die Hauptstädter legen ihre Winterverhängung ab. Manche fliegen in den Süden, um sich vorzuwärmen, du nicht. Du nicht, Aufständische. Im Aufstände machen, darin bist du doch noch nie gut gewesen. Doch alle Zügel los, ins Orientierungslose!

In Tobruk, Libyen bist du groß geworden, dort ist deine Familie, dort ist deine Heimat. Nah der ägyptischen Grenze, geschichtsträchtig, und das nicht erst seit siebzig Jahren, als im heißen Wüstensand Alliierte auf der einen Seite und Deutsche, Italiener, sogar polnische Einheiten auf der anderen sich Löcher in die Köpfe schossen. Über deiner Geburtsstadt ragt quadratisch, viertürmig das zentrale deutsche Kriegerdenkmal für die in Libyen gefallenen deutschen Soldaten auf. Jeden Kindheitstag hattest du es erschauen können – deine Mutter schon -, vielleicht war es sogar ausschlaggebend dafür, dass du dich vor dem Regime und der Unterdrückung ausgerechnet hierher flüchtetest. Dich in meine offenen Arme flüchtetest.

Vom Leben weiß ich, dass es einmal endet, aber es schenkt auch Augenblicke, die kommen der Ewigkeit gleich. In unseren Armen haben wir nicht an Krieg gedacht und nicht an Tod. Aber was sind zwei Körper voll Liebe gegen hunderttausende Aufbegehrende, gegen zehntausende Flüchtlinge und tausende Tote? Du bist noch bei mir gelegen, doch du bist bereits durch Nordafrika geflirrt, als könntest du schattenfliegen, dich projizieren, dich beamen ...

Deine letzte Umarmung, die mich nicht loslässt, dein letzter Kuss, der nicht von meinen Lippen ablässt, sollen mich tragen durch die Zeit ohne dich. Denn eine Stunde darauf ist dein Flieger gegangen. Du hast mit Todesverachtung gesagt, ich soll mich raushalten, das gesamte Ausland solle sich raushalten, es sei die deinige Sache und die deines Volkes.

Seitdem bin ich ganz entzwei, werde die Fernseh- und überhaupt alle beweglichen Bilder aktuell aus Libyen in Zeitlupe betrachten, hinsichtlich jeder etwaigen Lebenszuckung von dir auf volle Bildschirmgröße zoomen. Und Du wirst hoffentlich durch die Welt zu mir flirren, als könntest du Beobachtungssatelliten und Kameras fernlenken, dich projizieren, dich beamen, dich teleportieren ...

Eine Fata Morgana ist kein Phantasma, wie die Leute allgemein fälschlich annehmen, vielmehr ist es die Spiegelung, die Übertragung von etwas höchst Realem eins zu eins, nur in Geflimmer – wie durch ein mit Sonnencreme eingeriebenes Objektiv betrachtet. Was fern oder anderswo liegt, rückt näher heran, ein physikalisch erklärliches Naturphänomen.

Meine stolze, mutige, opferwillige Wüstenprinzessin, ich möchte eine tägliche Fata Morgana von dir. Als Beweis, dass du lebst, dass du überlebst, als Vorgriff, dass ich noch einmal deinen Sonnenduft rieche, dich umarme. Dich nie wieder loslasse.


E N D E

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 08.03.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss. (Johann Wolfgang von Goethe)

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