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Wieviel Perlen sie um den Hals und Arm zu hängen hat, seht nur, man möchte sie für eine Auster halten!



Aber halt! Versenken wir uns in die Gedankenwelt des fraglichen Antisemiten doch bitte mit etwas mehr Gemach:



Wenn du einen Filmpreis ergattern willst, inszeniere was über die Juden, noch besser die Judenverfolgung. Und selbst wenn du lediglich einen läppischen Schreibwettbewerb gewinnen willst, fabriziere eine mitleidstriefende Geschichte über die Juden, noch besser die Judenverfolgung.
Irgendwie ist zwar alles bereits so oder ähnlich thematisiert, fiktionalisiert worden und mithin ausgereizt, aber wen stört das schon?! Abklatsche schützen ja nicht vor Preisabholung. In unseren Breiten kann es sowieso nichts Betroffenheit Haschenderes geben; im 21. Jahrhundert sind wir ja so entgestrigt, so gutmenschelnd, so neohuman und politisch korrekt, so multikulturell und religionsoffen.



Das ist des fraglichen Antisemiten Denke, und weiter denkt er folgendermaßen:



Es gibt sie nicht, die generationsübergreifende Kollektivschuld. Jeder ist doch bloß das eine Mal Mensch, lebt ein einziges, zumeist winziges Leben. Kein Quentin Tarantino-Leben, der sich in einem Interview zum Dreh von 'Inglourious Basterds' dergestalt äußerte, dass er den Deutschen diesen Film geschenkt habe, um sie ein für alle Mal von ihrem Geschichtstrauma zu befreien. Hitler und Goebbels nur mehr sabbelnde Witzfiguren, zum Totlachen! Schenkelklopfer, wann immer die Kamera auf sie schwenkt. Das ist der andere Blickwinkel, der unkitschige, nicht gefühlsduselige; dies ist nicht für eine Kiste Tand, für eine Handvoll Perlen auf Papier oder Zelluloid gebannt.


Verzeihung, man kann ihm die Denkerei schlecht verbieten, auch wenn es damit nicht besser wird:



Diejenigen, die hingegen den Holocaust nach wie vor um ihrer Selbst willen ausschlachten - wo die Väter der eigenen Väter die Ausschlag gebenden Zeitläufte schon nicht mehr miterlebt haben -, verkörpern sie nicht den gleichen Menschenschlag, welcher damals als Mitläufer, als Schreibtischtäter die Verfolgten deportieren und in letzter Konsequenz ins Gas schicken ließ?



Er ist wohl ohnehin der 'Antityp', kann man ihm nachsehen, er wird grundsätzlich gegen alles sein, wofür die Mehrheit ist, er opponiert liebend gerne. Demnach ist er auch ein Antisemit? Er kann beispielsweise herzhaft über Judenwitze lachen. Beispiele gefällig?



1)
Isaak trifft seinen Freund Grün. "Isaak, komm, lass uns spielen eine Partie Schach."
"Nee", sagt Isaak. "Geht nicht. Ist mir gerade meine Frau gestorben, fühle ich mich nicht so recht für Vergnügen."
"Ach", sagt Grün. "Komm! Nimm die schwarzen Figuren."
2)
"Was?" fragt Isaak seinen Freund Blau. "Fünf Jahre hab ich Dich nicht gesehen. Und jetzt kommst Du und sagst, Du bist immer noch nicht verheiratet."
"Was bin ich ein Pechvogel", klagt Blau.
"Wieso bist Du ein Pechvogel?"
"Immer, wenn ich eine heiraten will aus Liebe, hat sie zu wenig Geld!"
3)
Isaak sitzt mit seiner Sarah auf einer Parkbank. Nebenan sitzt ebenfalls ein Liebespaar. Sie hören Flüstern, Kichern, Lachen. "Siehst Du", klagt Sarah, "in acht Minuten hat er sie achtmal geküsst. Warum tust Du nichts Derartiges?"
"Na", fragt Isaak nachdenklich, "wird se mich lassen?"
4)
Der alte Rabbi ist krank. Der Arzt untersucht ihn. "Na, Rabbi, brauchst Du keine Angst zu haben vor dem Sterben. Jetzt bist du 80. Und 90 Jahre kannst Du werden."
"Das glaub' ich nicht", sagt der Rabbi. "Gott ist einer von unsere Leut."
"Wie meinst Du das?" fragt der Arzt.
"Na - wird er mich nehmen mit 90, wenn er mich haben kann für 80?"
5)
Die Sängerin ist eine Sabre, sie ist in Israel geboren. Sie sieht gut aus, aber singen tut sie zum Gotterbarmen. Nun gibt sie ein Konzert in New York mit jüdischen Liedern. Ein Herr in der ersten Reihe hört sie an, Tränen laufen ihm übers Gesicht, über die Wangen; sie tropfen auf seinen Smoking. Die Sängerin ist gerührt. Nach der Vorstellung beugt sie sich zu ihm hinunter und fragt: "Müssen Sie sein ein Jude."
"Nein", sagt der Mann. "Musiker."


Das ist nur eine zufällige Auswahl von Judenwitzen, die er kolossal witzig findet. Nein, man kann nicht behaupten, dass er vorurteilsfrei ist.



Nehme man Michel Friedman her, diesen schmalzlöckig-eitlen, verkoksten, verhurten, verbärbelt & verschäferten, einstigen Vorzeigejuden mit seinem agitatorischen Diskutierstil. So jemand schürt Hass, typisch Jude irgendwie.
Dann wäre da noch ein gewisser Rolf Eden, schwer gealteter >Playboy


Starker Tobak! Wenn er gedanklich so abledert, müsste er eigentlich Antisemit sein, auch entsinnt er sich einer Begebenheit aus seiner Schulzeit:



Da war ich zwölf, dreizehn und unsere Penne bekam Besuch von einer leibhaftigen Holocaust-Überlebenden, eine höherbetagte, aber noch nicht richtig hochbetagte Dame in piekfeiner, schniekster Garderobe, Samt und Seide, von den Klunkern ganz abgesehen. Alle Jahrgangsstufen und Lehrkörper versammelten sich in der Aula und lauschten ihrer in groben Umrissen vorgenommenen Schilderung, wie sie dem Tode im Lager entronnen ist. Und wo man so andächtig lauschte, machte sich eine klägliche, jämmerliche, bedrückende, belastende Stimmung breit. Im Anschluss durften der Theresienstädterin noch Fragen gestellt werden, vorher hatte sie die Reihen aus Lehrer- und Schülerschaft mit leicht bangem Blick nach Rechtsradikalen oder zuwenigst Kahlgeschorenen abgesucht. Nein, sie hatte nichts zu befürchten … außer von mir. Denn von Veranstaltungsbeginn an kreiselte ein Grüppchen von Fragen in meinem Kopf herum: Ist es nicht typisch jüdisch, aus dem Leid des eigenen Volkes ein einträgliches Geschäft zu machen? Gegen entsprechend ansprechender Gage im Rahmen einer Tournee landesweit, wenn nicht europa- und weltweit die Schulen abzutingeln? Ist es nicht diese nahezu angeborene Geschäftemacherei gewesen, die langfristig den Volkszorn der Deutschen und vieler anderer Nationen heraufbeschwor?
Ich hätte jetzt aufstehen und es vorbringen sollen, und ich erwog es wirklich – eingangs hätte ich erfragt, wieviel sie für den Auftritt bekäme -, doch wer weiß, wie mit mir umgegangen worden wäre, wenn ich den Ehrengast so bloßstellte oder in Verlegenheit brachte. Ein ungläubiges Raunen wäre mit Sicherheit durchs Auditorium gegangen, womöglich wäre ich getadelt worden oder von der Schule geflogen. So überredete ich mich, auf meinen vier Buchstaben sitzen zu bleiben.


Aha, schon seinerzeit beschäftigte er sich mit der allesentscheidenden Frage, ob er denn ein Antisemit sei. Wir fragen uns das also nicht allein. Etliche Jahre nach dem ersten Besuch - er konfrontierte sich frühzeitig mit eben dem, seinem fraglichen Antisemitismus - besucht er ein zweites Mal das Jüdische Museum zu Berlin:



Wie die Eintrittspreise seither ums Doppelte gestiegen sind, typisch diese Geldschneiderei! Und die da mit den vielen Perlen wirkt äußerlich schon auffallend jüdisch. Schwarzes, gewelltes Haar, leicht orientalischer Anstrich, türkisch geschnittene Nase, dunkle Augen, sehr hager, konservativ gekleidet. Sie gefällt mir - und als Antisemit würde ich sie doch unmöglich jetzt anquatschen, um sie nebenan ins Café einzuladen!? Becca (Rebecca) entpuppt sich tatsächlich als Volljüdin, religiös, regelmäßig in die Synagoge gehend. Nach unserem nächsten Treffen, unserer ersten Verabredung nehme ich sie mit zu mir. Wenn ich ein Antisemit wäre, würde ich sie dann beschlafen wollen? Zwischen ihre Beine lässt sie mich nicht, aber sie kniet sich vor mich hin. Ich lockere mir die Krawatte, Becca mir die Hosen. Müsste mir als Antisemit nicht allerspätestens in der Sekunde ein „Du kleine Juden...!“ entfahren? Stattdessen frage ich hinterher, ob sie gehabt hat, und sie bejaht (das ist die wahre Leibesübung und Körperbeherrschung). Von Stund an fordert sie bei jedem weiteren Rendezvous, was zwangsläufig den unsittlichen Zusammenprall der Geschlechter nach sich zieht (auf viel Sexualität folgt noch mehr), ein Präsent von mir: Parfüm, Schmuck, Kosmetika. Wie verstärkt ich Becca gegenüber auf die Flüchtigkeit des Materiellen auch anspielen mag, ich hege keinen Groll gegen ihr Habenwollen, betrachte ich sie schließlich nicht ebenfalls als jemand, von dem ich etwas haben will?! Mir ist klar, dass diese Beziehung nicht für die Ewigkeit sein wird. Und so allmählich reift in mir die Erkenntnis, dass ich kein Antisemit sein kann, ich mache mir einen Dreck aus Rassen-, Volks-, Religions-, Staats-, Partei- oder Vereinszugehörigkeit. All das lässt sich nämlich mehr oder weniger komplett ablegen, und am Ende bleibt immer der Mensch übrig, der es einem wert ist - oder auch nicht. Möglicherweise habe auch ich jüdische Wurzeln, und wenn - es ficht mich nicht im Geringsten an. Feind bin ich nur diesen typischen Verhaltensmustern, die es vermögen, unüberwindbare Unterschiede (arm und reich?) zwischen den Menschen zu schaffen.



Somit ist alles im Schwanken, sollte unser Protagonist am Ende nur ein kritisch denkender Freigeist sein und kein Antisemit? Wahrscheinlich muss ein Jeder für sich selbst diese Frage beantworten.
Wir schließen.

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Tag der Veröffentlichung: 14.02.2011

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