Dieses Buch richtet sich an alle Menschen, denen das Behindertenrecht am Herzen liegt. Jedoch auch an alle Rollstuhl-Benutzer, die täglich vermutlich mehrmals vor unüberwindlichen Barrieren stehen. Seit 16 Jahren pflegt Angelika Schmid ihren schwer kranken Mann. Seit vielen Jahren schiebt sie deshalb auch seinen Rollstuhl.
Die langjährigen Erfahrungen als Pflegeperson, sowie als schiebende Rollstuhl-Nutzerin haben sie dazu veranlasst, diesen kleinen Band zusammenzutragen. Die zahlreichen Tipps und auch die Hinweise auf die Sonderrechte Behinderter sollen allen Interessierten helfen, zu ihrem guten Recht zu kommen. Beantrage rechtzeitig den Status zur Schwerbehinderung. Eine Teilhabe am gesellschaftlichen und beruflichen Leben, auch mit einem Handicap, muss für jeden Menschen gesichert sein.
Es geht natürlich auch darum, barrierefreien und behindertengerechten Wohnraum zu finden. Alle Bausteine helfen mit - trotz gegebener Einschränkungen - möglichst unbeschwert zu leben. Die Inklusion behinderter Menschen ist ein Menschenrecht. Sorgen wir alle gemeinsam dafür, dass dieses Menschenrecht auch umgesetzt wird.
Jeden Tag stehe ich beim Schieben des Rollstuhles vor neuen Barrieren. Ganz gleich, ob man nur einen Spaziergang macht oder eine Fahrt von A nach B plant. Jeder Ausflug in dieses mit Barrieren nur so angereicherte Umfeld ist schon ein kleines Abenteuer.
Zahlreiche Liftanlagen sind entweder defekt oder noch viel schlimmer, es sind gar keine vorhanden. Treppenanlagen oder Rolltreppen sind mit einem Rollstuhl völlig nutzlos. Viele Arztpraxen befinden sich in Altbauten ohne Lift. Daher sind sie also ebenfalls unerreichbar für Rollifahrer. Viele weitere unerreichbare Ziele könnte ich hier nun auflisten. Menschen mit Handicap wollen gar nichts Besonderes sein, sondern nur eine Gleichbehandlung. Das kann doch wirklich nicht zu viel verlangt sein. Leider sieht die Realität trotz zahlreicher gut gemeinter Gesetze völlig anders aus.
In den Neunziger Jahren wurde zwar ein Benachteiligungsverbot in das Grundgesetz aufgenommen, doch Gesetze alleine schaffen auch keine Abhilfe. Zumindest bei einigen Behörden wurde eine Barrierefreiheit geschaffen, doch längst noch nicht bei allen. Im öffentlichen Raum hapert es an der Herstellung der Barrierefreiheit noch viel mehr. Die Sozialvereine bemühen sich redlich und mahnen zwar ständig, doch die Umsetzung der Gesetzes-Vorgaben dauert und zieht sich über Jahre und Jahrzehnte.
Einfühlen in die Situation fehlender Barrierefreiheit
Ein gesunder Mensch kann sich nur schwer vorstellen, wie frustrierend das ist, vor einer Rolltreppe, vor hohen Stufen oder sonstigen Barrieren zu stehen. Das soll bitte kein Vorwurf sein, denn ich wusste es früher auch nicht besser. Wer jedoch schon einmal hilflos vor verschlossenen Türen stand, der kann das unangenehme Gefühl vielleicht in einigen Momenten nachvollziehen. Sich dies hin und wieder bewusst zu machen, das hilft, sensibel für Benachteiligte zu bleiben. Heute gehe ich mit ganz anderen Augen durch unsere Stadt. Viele Dinge fallen mir auf, die ich früher nicht so bemerkt hätte.
Zudem macht es mich auch immer wieder traurig, dass sich gesunde Menschen, ohne Ausweis an der Windschutzscheibe, auf Behindertenparkplätze stellen. Ich habe einen solchen Ausweis im Auto. Mir würde es jedoch niemals einfallen diesen zu nutzen, wenn ich ohne meinen behinderten Mann unterwegs bin. Ich laufe lieber ein paar Hundert Meter und freue mich daran, dass ich gesund bin. Ich würde mich schämen diesen zu nutzen, denn ich weiß, wie dringend man beim Transport eines schwer kranken Menschen darauf angewiesen ist.
Deshalb mein Appell sowohl an die Allgemeinheit als auch an die Politik:
Schaut hin und sorgt für Abhilfe!
Barrierefreiheit bedeutet, alle haben die gleichen Chancen und alle können gleichberechtigt neben- und miteinander teilhaben. Wenn eines fernen Tages das Anderssein die Normalität darstellt, dann haben wir eine Teilhabe und die Inklusion aller Menschen erreicht. Darauf freue ich mich schon heute! Ein rücksichtsvoller Umgang kann für jeden Menschen bereichernd sein.
Gefühlslage bei Barrieren im Alltag
Meine Gefühlslage ändert sich schlagartig, wenn ich mit meinem Mann und Rollstuhl unterwegs bin. Dies beginnt schon, wenn man vor der ersten unüberwindlichen Barriere steht. Man fühlt sich regelrecht ausgeschlossen und lieblos missachtet. Man fühlt sich zudem im Umfeld ständig entweder mehr oder minder verdeckt beobachtet oder im Gegenteil dazu völlig unbeachtet. Es fühlt sich in jedem Fall alles andere als „normal“ behandelt an. Es ist ein Riesenunterschied dazu bemerkbar, wenn ich alleine unterwegs bin.
Eine ermöglichte Teilhabe Behinderter gegenwärtig unter diesen Umständen schon anzupreisen, das wäre tatsächlich schon zynisch. Zahlreiche Politiker nehmen blumige Worte in den Mund und was passiert? WENIG BIS NICHTS.
In diesem Band kann ich über zahlreiche Erfahrungen berichten. Diese reichen von der schwierigen Wohnungssuche, über Ausflugserlebnisse bis hin zum alltäglichen Barrieren-Lauf. Von zahlreichen Auseinandersetzungen mit Behörden, um die Rechte meines Mannes durchzusetzen, ganz zu schweigen.
Berichten möchte ich auch von manch abschätzigen Blicken, von der Nichtbeachtung oder von übertriebener Fürsorglichkeit. Beides ist unnötig, denn kranke Menschen möchten schlicht nur normal behandelt und als selbstverständlich wahrgenommen werden. Behinderte haben es auch ohne Barrieren schon schwer genug, diese und ähnliche Erschwernisse müssen nicht zusätzlich dazukommen.
Behinderungen hat es immer gegeben, sie waren nur mal mehr und mal weniger intensiv im Bewusstsein der Menschen angekommen. Die öffentliche Wahrnehmung eines Menschen im Rollstuhl ist von ganz unterschiedlichen Reaktionen begleitet. Die Palette bei Erwachsenen reicht von der Nichtbeachtung, abschätzigen oder verdeckt neugierigen Blicken bis hin zu übertrieben gezeigter Fürsorglichkeit. Die ganze Bandbreite menschlicher Verhaltensweisen ist zu beobachten. Eher selten sind völlig natürliche und ungezwungene Handlungen.
Kinder sind hierbei in ihren Aktionen viel ungezwungener. Dabei können wir Erwachsene uns noch einiges abschauen. Ich habe im Kindergarten unserer Kinder beobachtet, dass sie mit ihren behinderten Mitgenossen zumeist nicht sonderlich zimperlich umgehen. Trotzdem ist zu erkennen, dass sie auf ganz natürliche Art Nachsicht mit den Defiziten haben. Sie handeln also eher instinktiv aus dem Bauch heraus, während wir Erwachsenen uns von unserem Verstand leiten lassen.
Mitleid offen zeigen?
Die Missachtung und Verfolgung früherer Zeiten haben wir zum Glück längst hinter uns gelassen. Verstehen wir uns bitte richtig, ich finde Barmherzigkeit und Nächstenliebe ganz wunderbar. Allerdings mögen es Behinderte gar nicht, wenn wir das „Miteinander“ nur mit übermäßigem Mitleid, aus diesen Motiven heraus geprägt, wahrnehmen. Mit den Begriffen Freiheit oder Gleichheit für alle Menschen haben diese Handlungsweisen nur wenig zu tun. Es sollte jedem Menschen zur Gewohnheit werden, Behinderte als gleichberechtigt wahrzunehmen. Wer nicht der allgemeinen Norm entspricht, möchte ebenfalls ganz natürlich und in aller Selbstverständlichkeit angemessen behandelt werden. Nichtbehinderte und Behinderte handeln und denken im gleichen Sinne eigenverantwortlich und mündig. Als solche gleichgestellten Mitbürger möchten sie auch wahrgenommen werden.
Vielfalt kann bereichernd sein
Jeder Mensch hat seine Schwächen und Stärken. Auch völlig gesunde Menschen verfügen nicht gleichzeitig über alle Fähigkeiten. Zahlreiche Behinderte können einen vermeintlichen Hemmschuh sogar zum Ausbau besonderer Fähigkeiten nutzen. Sie müssen zumeist nur die entsprechenden Hilfsmittel und eine sinnvolle Förderung bekommen, um dies zu erreichen. Ein behindertenfeindliches Umfeld wäre hierbei für die gesamte Gesellschaft kontraproduktiv. Deshalb müssen den
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Angelika Schmid
Bildmaterialien: Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 15.04.2016
ISBN: 978-3-7396-4868-2
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