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Vorwort

Dieses Buch richtet sich an alle Menschen, die sich mit dem Recht auf Selbstbestimmung auch beim allerletzten Weg beschäftigen. Gehen wir gemeinsam auf eine Sinnsuche, ob es jedem Menschen selbst überlassen bleiben sollte, in diesem persönlichsten aller Bereiche eigenständig zu entscheiden.

 

Seit mehr als fünf Jahrzehnten erlebt Angelika Schmid in der Familie ihres Mannes ein langwieriges, kräftezehrendes und trauriges Schicksal Betroffener. Sie hat sich deshalb schon einmal mit dem Tod vertraut gemacht. Die Erbkrankheit der Familie heißt Chorea Huntington. Sie gehört zu den seltenen Krankheiten und ist deshalb nur wenigen Menschen bekannt. Der erbliche Gendefekt nimmt einem Kranken alles, was das Leben lebenswert macht, jeden Tag ein Stückchen mehr … In die Liste solcher leidvollen Wege kann man sicherlich noch einige Krankheiten einreihen. Seit 16 Jahren pflegt sie ihren eigenen Mann, nachdem die Erbkrankheit auch bei ihm ausgebrochen ist. Einige Familienmitglieder sind den leidvollen Krankheitsweg schon vorausgegangen. Diese Erfahrungen lehrten sie mehrfach, dass die Kraft nach vielen Jahren und Jahrzehnten schlicht zu Ende geht. Daraus resultiert der Buch-Titel: Das Recht auf Leben ist keine Pflicht zum Leiden.

 

Zahlreiche Podiumsdiskussionen zeigten deutlich, dass diese Debatte sehr kontrovers geführt wird. Die Argumente beider Seiten kann Angelika Schmid gut verstehen, doch sie möchte noch einige weitere „vergessene“ Aspekte hinzufügen. Die Palliativ-Medizin kann sicherlich vielen Patienten helfen, doch eben leider nicht allen! Das Für und Wider zu beleuchten kann auch polarisieren, doch spannend ist es allemal, da es uns früher oder später alle betreffen könnte.

Die Sterbehilfe ist ein diskussionsbedürftiges Thema

Hast du in melancholischen Momenten einmal darüber nachgedacht, wie er sein wird, dein letzter Weg? Nach einer Behandlung im Krankenhaus, bei einer Beerdigung, oder als du einem Bestattungswagen hinterhergeschaut hast, unwillkürlich drängt sich der Gedanke auf - wie es sein wird, zu sterben. Hast du dich wirklich schon einmal gefragt, wie das sein wird? Oder wagst du dich vielleicht nicht heran an diese Frage? Wenn das Leben zu Ende geht, wünschen sich die meisten Lebewesen keine Schmerzen und vor allem keine lange Leidenszeit. Meine Erfahrung ist, dass die meisten Menschen solche Gedanken nicht an sich heranlassen. 

 

Warum beschäftigen wir uns nicht mit dem Sterben? 

Gehört der Tod etwa nicht untrennbar zum Leben? Manche denken sogar, dass dieser dem Ganzen erst seinen Sinn gibt. Auch der Tag und die Nacht gehören zusammen, man kann eines nicht vom anderen trennen. Normalerweise ängstigt uns nicht das Vertraute, sondern das Unbekannte, das Fremde. Wenn wir alle eines Tages sterben müssen, warum wenden wir uns dem Thema nicht öfter zu? Ich hörte hierzu Argumente wie: „Ich bin doch noch viel zu jung dafür.“ Ist es nicht ein Trugschluss, dass nur alte Menschen sterben? Ein Unfall, Naturkatastrophen, Kindersterblichkeit, schwere Krankheiten und auch Kriege machen vor jungen Menschen nicht Halt. Manche Befragte sagten mir, dass die häufige Beschäftigung mit dem Thema sogar eine Art Todessehnsucht wecken könnte. Manche Menschen liefen gar Gefahr, das eigene Leben deshalb früher zu beenden. Das halte ich für eine sehr gewagte These, denn der Lebenswille ist bei uns allen durchweg stark ausgeprägt. Meinem Mann war das Leben schon so schwer geworden, doch trotzdem war sein Wille nicht gebrochen, noch möglichst lange bei uns zu bleiben. 

 

Seit über 20 Jahren pflegte ich ihn mit ständig zunehmender Intensität. Er litt an einer heimtückischen Erbkrankheit namens Chorea Huntington. Es ist ein schweres und seltenes Nervenleiden, welches ich im nächsten Abschnitt des Buches kurz näher erläutern werde. Die Ausführungen machen die Verzweiflung der Betroffenen und den verständlichen Wunsch nach einem Ende der Leiden mehr als deutlich. Es kann sehr bereichernd sein, einem Menschen in Not zu helfen. Es wird trotzdem schwer, in seiner Verzweiflung ständig für ihn da zu sein. Manchmal fehlen mir die Worte, um noch Mut zuzusprechen. In diesen Momenten nehme ich ihn wortlos und still ganz fest in den Arm. Gemeinsames Schweigen in einer innigen Umarmung kann manchmal mehr helfen als falsche Worte.

 

Lange Beschäftigung mit Leiden und Sterben

 

Die Krankheit begleitet die Familie schon fast fünfzig Jahre lang. Denn Familienmitglieder waren oder sind schon seit den 1960er Jahren pflegebedürftig. In den 10 - 20 Jahren der ständig akuten „Sterbephasen“ leisten wir Angehörigen dabei Trauerarbeit am lebenden Menschen. Zudem besteht auch ständig die Gefahr, sich schon am Speichel zu verschlucken, was einen nachvollziehbar qualvollen Tod mit sich bringt. Ich habe in dieser Zeit sehr viel über Sterben und Trauer gelernt. Es motiviert mich jeden Tag ganz fest mit beiden Beinen in der Realität zu stehen, und Ängste, so weit es geht, nicht an mich herankommen zu lassen. Wir können dabei das Wissen nicht ausklammern, dass wir alle einmal sterben werden.

 

Mein Bruder machte vor 40 Jahren eine Nahtodeserfahrung. Er fiel 20 Meter von einer Leiter und wurde wiederbelebt. Seinen Erfahrungsbericht an mich, nachdem ich ihn in der Klinik besuchte, werde ich niemals vergessen. Mein Bruder war kein Sprücheklopfer, deshalb kann ich dir diese Worte mit guten Gewissen weitergeben.

 

Ich möchte dir meinen "Mutmacher-Satz" mit auf den künftigen Weg geben:

 

„Angelika, sterben ist überhaupt nicht schwer. Ich sah ein helles Licht, Oma und Opa waren da und wollten mich begrüßen, es war einfach wunderbar. Ich genieße jetzt das weitere Leben und kann dir sagen, dass wir davor überhaupt keine Angst mehr haben müssen.“

 

Heute stelle ich mir den Tod deshalb sanft, gütig und warm vor. Ähnlich wie ein vertrauter Gefährte, der mich irgendwann einmal hinüber begleiten wird. Diese Gedanken nehmen mir den Schrecken, denn eines Tages werden auch weitere Familienmitglieder folgen und ich hoffe, dass wir uns dann wiedersehen. Diese Vorstellung macht mir Mut! Es motiviert mich, mein Leben bewusst in die Hand zu nehmen. Ich möchte alles ausprobieren, Fehler machen, das Leben schmecken und fühlen bis zu diesem Moment.  

 

Diesem brisanten Thema kann man sich auch nicht eindimensional, sondern nur vorsichtig emphatisch nähern. Betonen möchte ich dabei, dass es sich bei meiner Beschäftigung mit der Sterbehilfe um unumkehrbar Todkranke und freiwillig Sterbewillige dreht. Auch wenn man eine lange Leidenszeit beenden möchte, so hat das Leben doch einen hohen Stellenwert. Vermutlich wird wegen dieser Selbstverständlichkeit das komplizierte Thema quer durch alle Bevölkerungsschichten kontrovers diskutiert.

 

Was wünscht sich die Bevölkerung?

 

Es gibt zahlreiche Umfragen, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Das Schweizer Institut GALLUP isopublic AG stellte fest, dass 76 % der Deutschen gegen jedwede Strafandrohung sind und sogar 79 % sich wünschen, dass der Arzt ihres Vertrauens ihnen behilflich wäre. Ob die Nichtachtung dieses mehrheitlichen Willens demokratisch ist, das überlasse ich nun meinen Lesern.

 

Bei einer Volksabstimmung im Kanton Zürich am 15.5.2011 haben 85 % aller Stimmberechtigten es abgelehnt, die gängige Freitod-Hilfe zum Delikt für Gerichte zu machen. Aufgrund dessen hat sich die Regierung entschlossen, davon Abstand zu nehmen. Die Schweizer Tatsachen belegen, dass die dort praktizierte sowie freiheitlichste Lösung zum Thema Sterberecht die geringsten europäischen Zahlen bei diesen Sterbefällen aufweisen. Das führt einige Argumente der Gegner ad absurdum. 

 

Fazit: Die Schweizer sind zu beneiden, denn sie praktizieren, was unser Bundespräsident in Sonntagsreden verkündet: Freiheit in eigener Verantwortung!

 

Ärzte werden mit Strafen und Berufsverboten bedroht

 

Ebenso verhält es sich mit Ärzten, die einem hohen Ethos verpflichtet sind, sie wollen eigentlich Leben retten. Natürlich möchten sie gerne heilen und keinesfalls ihre sämtlichen Patienten aus einer Laune heraus sterben sehen. Es stimmt nicht, dass Ärzte nicht belangt werden können, wenn sie Todkranken helfen. Sie sind häufig großen Unsicherheiten ausgesetzt und im Zweifelsfall unterlässt man eben die Hilfe für unheilbar Kranke, um seine eigene Approbation und Zulassung nicht zu gefährden. Das beabsichtigte strafrechtliche Eingreifen des Staates hindert viele daran, obgleich sie ethisch vielleicht ein anderes Verständnis ihrer ärztlichen Verantwortung gegenüber Leidenden hätten. 

 

Die Patientenverfügung stößt manchmal an ihre Grenzen

 

Falls sich ein Sterbender nicht mehr klar artikulieren kann, ist die Sterbehilfe in Deutschland an eine gültige schriftliche Patientenverfügung oder den mutmaßlichen Willen gebunden. Auch vorherige mündliche Äußerungen könnten als eine solche Patientenverfügung angesehen werden. Seit dem Jahr 2009 wird eine Patientenverfügung als rechtlich bindend vorgegeben. Sowohl Ärzte wie auch Angehörige müssen dem festgehaltenen Willen des Betroffenen Folge leisten, doch tun sie das immer? Die zeitweilige Verschärfung des Gesetzgebers trug noch zu dem Gefühl bei, dass Betroffene in ihrer Not buchstäblich im Stich gelassen wurden.

 

Liegt keine Patientenverfügung oder mündliche Aussage vor, müssten die nächsten Angehörigen, im Sinne des Patienten entscheiden. Sie müssen dann darüber befinden, welche Maßnahmen getätigt oder unterbleiben sollen. Eine solche Entscheidung ist furchtbar belastend, weshalb ich jedem Menschen nur dringend anraten kann, eine Patientenverfügung zu erstellen. Dieses Szenario sollte man seinen Lieben wirklich ersparen.

 

Nöte todkranker Menschen ernst nehmen

 

Es bleibt die drängende Frage im Raum stehen: Wer kümmert sich um die Seelennot der Betroffenen und ihren Angehörigen? Dies an Gesetze, Bedingungen und Strafen zu knüpfen, hat schon perverse Züge. Den allerletzten humanen Dienst eines Arztes mit einem Tabu zu belegen, ihm zu verbieten, einen Todkranken im Sterben sicher zu begleiten, das alles kann man doch nicht ernsthaft weg befehlen wollen.

 

Viele Menschen haben nicht so sehr Angst vor dem Sterben, sondern eher Angst vor den Qualen und Schmerzen davor. In einigen Fällen könnte die Palliativ-Medizin wertvolle Hilfe leisten. Allerdings hat auch dies seine Grenzen, wenn sich der Sterbeprozess über Jahrzehnte hingezogen vollzieht. Für manche Kranke gibt es nur solche Lösungen: Den Finger am Abzug, Springen aus großer Höhe oder vor einen Zug werfen. Für manche Kranke bleibt bei einer wachsenden Hilflosigkeit nicht einmal mehr dieser Ausweg. Von den vielen dramatischen, weil gescheiterten Suizid-Versuchen will ich hierbei noch gar nicht reden.

 

Ich möchte hierzu einen Satz des Dr. Uwe-Christian Arnold zitieren: „Wir Ärzte sind fürs Leben da. Aber zum Leben gehört auch Sterben“.

 

Ein abschreckendes Beispiel - von mehreren - aus unserer Familie:

 

Meine Schwiegermutter, ebenfalls an Chorea Huntington erkrankt, war im letzten Stadium (immerhin 11 Jahre lang !! ) schwer gezeichnet. Sie war trotzdem die ganze Zeit bei Bewusstsein. Ihr ganzer Körper wurde ständig von schweren Zuckungen geschüttelt. Sie wirbelte mit Armen und Beinen, sie rang schwer nach Luft und konnte schon Jahre davor kein Wort mehr sprechen. Sie wurde lange künstlich ernährt und musste qualvoll kämpfen und ringen um ihren Tod. Meinem Schwager droht nach 23 Jahren Kampf das gleiche Schicksal.

 

Warum das alles? Zunächst einmal haben Verwandte ihre Suizid-Versuche aus christlichen Motiven heraus vereitelt. Häufig habe ich mit unseren Verwandten diskutiert, denn sie sagen, Menschen dürften das von Gott geschenkte Leben nicht beenden, das ist Sünde. Sie pfuschen dem lieben Gott aber gleichzeitig ins Handwerk, indem sie es durch menschlich gegebene Mittel künstlich verlängern. Fraglich, ob es nicht auch eine Sünde, jedoch zumindest eine Zumutung ist, einen Menschen, der sein Leben nicht mehr ertragen kann, auf diese Weise am Ende des Leidens zu hindern.  

 

Viele andere Krankheiten wie Gehirntumore, manche Krebsarten usw. verlaufen ähnlich qualvoll. Ich kann mir ernsthaft nicht vorstellen, dass irgendjemand solch ein Sterben ertragen möchte. Ebenfalls ist es mir unvorstellbar, dass sich auch nur ein Politiker mit solchen Fällen unter Einbeziehung von Betroffenen auseinandergesetzt hat. Bei vielen Erbkrankheiten und weiteren tödlich verlaufenden Schicksalen sind solche Schilderungen keine Einzelfälle.

Die Unterschiede der aktiven und passiven Sterbehilfe

Eine sachliche Erklärung zur juristischen Bedeutung ist sinnvoll, da sie häufig falsch interpretiert werden. Nicht nur in der deutschen Bevölkerung werden diese Begriffe verwechselt. Die Bundesärztekammer befragte Ärzte und deckte auf, dass

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Angelika Schmid
Bildmaterialien: Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 30.03.2016
ISBN: 978-3-7396-4609-1

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