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Vorwort

Dieses Buch richtet sich an alle Familien, die mit dem Risiko einer Erbkrankheit leben. Aber auch an alle, die dieses Thema interessiert, weil sie Bekannte, Freunde oder Nachbarn mit dieser Herausforderung kennen. Dieser Band ist auch für Familien mit anderen seltenen Erbkrankheiten interessant, denn die Sorgen und Nöte in den Familien sind die gleichen, es ändert sich im Prinzip nur der Name der Erkrankung. Angelika Schmid berichtet über ein fünf Jahrzehnte langes Leben mit der Chorea Huntington.

 

Sie gewährt dir in diesem Band einen Einblick in die Schwierigkeiten und ebenso, wie man diese große Herausforderung gut meistern kann. Es ist sowohl eine Zustandsbeschreibung als auch ein Blick mit Optimismus in die Zukunft und in die Vergangenheit. Das Leben mit einer Erbkrankheit ist nicht einfach, die Autorin will es auch gar nicht verniedlichen, sondern Lösungsansätze anbieten, um mögliche Schwierigkeiten zu überwinden. Lasse dich tragen in eine Welt ohne Trivialität. 

 

Das ganze Leben ist von Kompromissen geprägt. Du hast dabei immer die Wahl, das Leben als kräftezehrend und bleischwer oder bejahend und zufrieden anzugehen. Die Einsicht, dass man couragiert an das hier und heute denken sollte, schimmert ganz deutlich durch die zu Herzen gehenden Schilderungen dieses kompakten Ratgebers. Wenn man guten Mutes in die Zukunft blickt und alle Herausforderungen des Lebens beherzt annimmt, können auch wunderbare Glücksgefühle entstehen und wachsen.

Was ist Chorea Huntington?

Die Huntington-Krankheit (HK) gehört in Deutschland zur Gruppe der seltenen Krankheiten. Es wird geschätzt, dass in Deutschland etwa 8.000 Betroffene leben. Die Dunkelziffer, sowie die Risikopersonen oder Genträger ohne derzeitigen Ausbruch der Krankheit, ist sicherlich noch deutlich höher. Aufgrund der hohen Sterberate der Elterngenerationen aus der Kriegszeit ist vielen Familien auch gar nicht bekannt, dass die Erbkrankheit existiert.

 

Was bedeutet der Begriff seltene Krankheiten?

 

Von insgesamt über 30.000 bekannten Krankheiten gelten über 6.000 als seltene Krankheiten. Sie werden eingeteilt nach der Häufigkeit der registrierten Erkrankungen. Hiervon sind in Deutschland wiederum auch über vier Millionen Menschen betroffen. Im Prinzip ist das viel, doch die Unterteilung auf 6.000 verschiedene Krankheiten relativiert diese Zahl. Für die Forschung sind dadurch Geldquellen nicht so zahlreich vorhanden, es sei denn, sie finanzieren sich durch Spenden. Für die Betroffenen heißt das wiederum, dass sie auf positive Forschungsergebnisse vielleicht länger warten müssen. 

 

Von seltenen Erkrankungen spricht man, wenn von 10.000 Personen fünf Menschen erkranken. Oder anders erklärt existiert hierbei ein Verhältnis von 1 : 2.000. Bei der Huntington-Krankheit betrifft dies geschätzte 8.000 Menschen in ganz Deutschland, hierbei ist allerdings die Dunkelziffer noch nicht berücksichtigt.

 

Ein Huntington-Kranker könnte alkoholisiert wirken

 

Aufgrund der Seltenheit wissen es Unbeteiligte ja auch nicht besser. Viele kranke Menschen leiden deshalb unter einer ungerechtfertigten Stigmatisierung. Damit wir uns nicht falsch verstehen, auch ein Alkoholkranker sollte nicht schief angeschaut werden, das ist im Prinzip bei jedem kranken Menschen eine Sache, die sich verbieten sollte. Die Realität sieht eben leider anders aus, denn Alkoholiker werden in unserer Gesellschaft eben doch stigmatisiert.

 

Die Huntington-Krankheit (HK) oder Morbus oder Chorea Huntington genannt, ist begleitet von den typischen, unwillkürlich, und raschen, unregelmäßigen und nicht vorhersehbaren Bewegungen. Hinzukommend ist ein unsicherer Gang, mit häufigen kleinen Zwischenschritten mitunter auch auf den Zehenspitzen, dies wirkt fast tänzelnd auf Fremde. Zudem kommt noch ein torkelndes Gangbild und/oder sogar ein plötzliches Grimassieren des Gesichtes hinzu. Aus Erfahrung muss ich leider sagen, dass die Kranken sehr häufig mit Alkoholismus in Verbindung gebracht werden. Entsprechende Ablehnung erfahren sie deshalb in ihrem Umfeld. Dies hat dann wiederum häufig ein Abschotten oder totales Abgrenzen der Betroffenen zur Folge.

 

Woher stammt der Name Chorea Huntington?

 

Benannt ist sie nach dem amerikanischen Arzt George Huntington aus Long Island (New York, USA), der sie erstmalig 1872 ausführlich beschrieb und publizierte. Allgemein ist die Huntington-Krankheit etwas besser bekannt als erblicher Veitstanz. In der Ärzteschaft wird sie auch Morbus oder Chorea Huntington genannt. Der Beiname Chorea (griechisch choreia = Tanz) ist abgeleitet aus den typischen, unwillkürlich und raschen, unregelmäßigen und nicht vorhersehbaren Bewegungen. Begleitend ist ein unsicherer Gang, mit häufigen kleinen Zwischenschritten, dies wirkt auf Außenstehende fast tänzelnd. Zudem kommt ein torkelndes Gangbild hinzu und mitunter sogar ein plötzliches Grimassieren des Gesichtes. Sämtliche Bewegungen resultieren daraus, dass der/die Kranke nicht mehr in der Lage ist, diese bewusst zu steuern oder zu kontrollieren.

 

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass die Kranken sehr häufig mit Alkoholismus in Verbindung gebracht werden. Selbst im Krankenhaus, nach einem Fahrradunfall meines Mannes, wurde ich von den behandelnden Ärzten umgehend auf seinen „hohen Alkoholkonsum“ angesprochen. Die seltene Erbkrankheit wird zumeist nur durch erfahrene Neurologen richtig erkannt, eingeschätzt und bewertet. Die meisten Hausärzte, Psychologen, Therapeuten, Fachärzte und auch Notare haben, aufgrund des seltenen Vorkommens, noch nie einen Huntington-Patienten gesehen. Theoretisch haben vermutlich alle auch dieses Krankheitsbild kennengelernt, doch da es sich so vielschichtig zeigt, ist es offensichtlich trotzdem schwer zu erkennen. 

 

Genmutationen lösen die Huntington-Krankheit aus 

 

Schuld an allem ist ein verändertes Gen, das von der Mutter oder dem Vater auf den Nachwuchs vererbt wird. Das Huntington-Gen tragen wir alle in uns, allerdings in einem „normal üblichen“ Maße. Es bewirkt im Prinzip viel Gutes, doch bei den Huntington-Genträgern beginnt das Unheil mit einem veränderten Eiweißbaustein. Dieser wiederholt sich viel zu häufig und verklumpt deshalb. Diese Klumpen verursachen alle weiteren Folgen. Die Forscher haben große Probleme, unter der großen Anzahl an Bausteinen unserer menschlichen Gene die genauen Zusammenhänge hierfür exakt zu entschlüsseln. Wären sie hierzu in der Lage, läge vermutlich auch eine Lösung nahe, welche die Krankheit beherrschen könnte. Unser Nervensystem ist sehr kompliziert und erfüllt so viele Aufgaben, was bei einer Verstopfung der Nervenzellen offensichtlich verheerende Folgen auslöst.

 

Die übliche Funktionalität des Eiweißes, welches den Namen „Huntingtin" trägt, ist noch nicht genau bekannt. Klar ist seit 1993, dies ist der Zeitpunkt, zu dem auch ein Gentest möglich wurde, dass die Huntington-Krankheit ein Eiweiß produziert, welches sich häufiger vermehrt, als dies bei gesunden Menschen normalerweise üblich ist. Durch die vielen Eiweiß-Klumpen, die mit der Zeit immer größer anwachsen, werden der Zellkern und die Nervenzellen zerstört.

 

Entdeckung des kranken Gens 1993

 

Im Jahr 1993 wurde die Veränderung (Mutation) entdeckt, die für die Huntington-Krankheit verantwortlich ist. Ein Gen des Chromosoms 4 ist betroffen. Erhöhte, sogenannte CAG-Repeats (Wiederholungen) führen zur Mutation der Zellen durch das Verklumpen der verlängerten Gene. Ab 36 CAG-Repeats besteht ein Graubereich zur Erkrankung. Ab 40 CAG-Repeats spricht man von der Huntington-Krankheit. Mit dieser oder einer höheren Repeat-Zahl wird ein Genträger mit Sicherheit erkranken. 

 

Über die genauen Zusammenhänge kann man zur Zeit nur spekulieren. Die Forschung bemüht sich entschlossen, dieses Rätsel zu entschlüsseln. Es könnte sowohl an einem belasteten Zuckerstoffwechsel oder an freien Radikalen oder noch ganz anderen Ursachen liegen, was letztlich die Zerstörung der Nervenzellen verursacht. Das klumpige Eiweiß verändert den Zellkern von Nervenzellen derart, dass diese keine Chance haben, sich zu regenerieren. Das dadurch letztendlich die Nervenzellen komplett absterben könnten, klingt auch für Laien durchaus logisch und nachvollziehbar. 

 

Da auch die Nervenzellen im Gehirn vernichtet werden, führt die Krankheit schleichend zur Beeinträchtigung sämtlicher Körperfunktionen. Auf Röntgenbildern ist die weit fortgeschrittene Huntington-Krankheit auch an abgestorbenen Zellen und einer daraus folgenden Abnahme des Gehirns deutlich zu erkennen.

 

Kontrollfunktionen unseres nervlichen Organismus

 

Das Nervensystem kontrolliert und koordiniert sämtliche Körperfunktionen. Milliarden von Nervenzellen wirken in unserem Körper und sorgen für das harmonische Zusammenspiel von Körper und Geist. Der Huntington-Kranke verliert aufgrund der Degeneration sämtliche Fähigkeiten, die ein menschenwürdiges Leben ausmachen.

 

Alle wichtigen Körperregionen werden koordiniert:

 

  • Das Gehirn
  • Im Rückenmark 
  • Sämtliche Nervenstränge

 

Zahlreiche Kontrollverluste bei Huntington-Kranken

 

Alle menschlichen Fähigkeiten wie Gedächtnis, Handlungen, Sprache, Gefühle usw. sind darauf angewiesen, dass unser Nervenkosmos gut miteinander vernetzt ist. Jegliche Störungen verursachen eine Unterbrechung und damit können Impulse anfangs gestört, später gar nicht mehr weitergegeben werden. All dies verursacht, dass Schmerzen nicht mehr wahrgenommen werden und kein Hungergefühl mehr auftritt. Die Kommunikation wird anfangs erschwert, dann stark verlangsamt und im letzten Stadium sogar unmöglich. Auch zum Laufen benötigt man die Signale der Nervenzellen. Dies bedeutet, die Muskelbewegungen werden nicht mehr selbständig koordiniert und plötzlich ausschießende Bewegungen sind daher unkontrolliert. Die unwillkürlichen und plötzlich hervorschießenden Bewegungen des Oberkörpers, der Arme, der Beine oder der Zunge sind deshalb auch typisch für Huntington-Patienten. Unterschiedliche Medikationen können eine zeitlang diesen heftigen Prozess ein wenig eindämmen. Sie werden kurzfristig eine Linderung bringen, eine Heilung ist bis heute nicht möglich.

 

Beschreibung der Auswirkungen:

 

Als progrediente und unbeeinflussbar bis zum Tode fortschreitende Erkrankung ist die Chorea Huntington ein schweres Nervenleiden. Aufgrund des Gendefektes führen Ablagerungen im Gehirn zum Absterben der Zellen. Dies wiederum führt dann zu ständig gesteigerten Beeinträchtigungen. Die Krankheitsschübe sind bei den Betroffenen unterschiedlich zu beobachten. Während die einen völlig apathisch sind, reagieren einige Kranke gereizt bis hin zu gesteigerter Aggressivität. 

 

Die Auswirkungen sind dabei nicht statisch, sondern unterliegen einem ständigen Wandel. Jeder Krankheitsschub bringt neue Veränderungen mit sich, auf die man sich als Pflegeperson einstellen muss. Bei den meisten Patienten ist die Chorea Huntington schon Jahre vor dem letzten Stadium sichtbar und einhergehend mit stetig steigernden Einschränkungen.

 

Huntington-Kranke fallen auf durch:

 

  • Sozialen Anpassungsfähigkeiten durch auftretende Persönlichkeitsstörungen
  • Schwer gestörtem Verhalten zur Familie und dem Umfeld
  • Sich stetig steigernder Mangel an Selbständigkeit - die Angehörigen organisieren den gesamten Alltag
  • Anfangs sporadisch auftretende zuckende Bewegungen, die in einer ausladenden Körpersprache versteckt werden. In weiteren Krankheitsstadien ist dies nicht mehr möglich, denn ein Huntington-Patient kann diese ab einem bestimmten Zeitpunkt auch überhaupt nicht mehr selbst kontrollieren 
  • Schwere generalisierende Störungen der Bewegungsabläufe werden immer häufiger, in aller Regel endet dies in einer völligen Bettlägerigkeit
  • Berufsausübung: wegen physischer und psychischer Unfähigkeit sind Patienten schnell den Anforderungen des realen Arbeitsalltages nicht mehr gewachsen, aufgrund dessen droht mehr oder minder rasch auch die Arbeitslosigkeit. Manche Patienten sind vorübergehend noch in der Lage in einer Behindertenwerkstätte zu arbeiten, da diese besondere Arbeitsbedingungen mit Rücksicht auf Behinderte bieten
  • Kognitive und motorische Defizite steigern sich ständig
  • Inkontinenz folgt ca. im mittleren Stadium
  • Erschwerte Ernährung (mundgerecht, püriert, füttern) 
  • Schluckstörungen bis hin zum Ersticken 
  • Familienerbe des 50 %-Risikos und belasteter Kinderwunsch stehen im Raum
  • Magensonde und Patientenverfügung
  • Suizid-Wünsche - Suizid-Risiko

 

Krankheitsdauer und Ausprägung

 

Die Krankheitsdauer kann vom Ausbruch beginnend ca. fünfzehn oder in flachen Verläufen auch bis zu vierzig Jahre anhalten. Hierbei sind Symptome und Fortschreiten sehr unterschiedlich, gleich ist bei allen Betroffenen nur das Endstadium. Der Verlauf der Erkrankung ist so individuell, wie das Leben selbst. Zahlreiche Studien scheinen zu belegen, dass ein gesunder Lebenswandel lebensverlängernd sein kann. Hierzu muss man Risikopersonen anraten, falls sie Rauchen, dieses aufzugeben und zudem möglichst alle Stressquellen auszuschalten. Der Theorie, dass eine hohe Repeatzahl einen Ausschlag gibt für einen raschen Verlauf, widersprechen viele Ärzte. Was man allerdings vermutet, je jünger der Patient beim Ausbruch der Krankheit ist, desto rascher sind die Krankheitsschübe. Ärzte sprechen hierbei auch von der sogenannten juvenilen Form.

 

Gleiche Krankheit  - unterschiedliche

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Angelika Schmid
Bildmaterialien: Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 17.03.2016
ISBN: 978-3-7396-4376-2

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