Verstrubbelte graue Haare, die versuchsweise zu einem Pferdeschwanz gebunden wurden, tränende Augen, tiefe Augenringe und ein vom Rauchen gelblich gewordener Schnurrbart waren das Markenzeichen von Alan McKinsley. Selten sah man ihn ohne seine Pfeife, die er auch beim Sprechen nie aus dem Mund nahm, wodurch er furchtbar nuschelte. Sein Outfit bestand meistens aus einem zerknitterten dunkelgrünen Trenchcoat, Hemd mit karierter Fliege, die oft farblich überhaupt nicht zusammen passten. Die Hosen schlapperten an ihm herum, als würden sie nicht zu ihm gehören und eine Schirmmütze, im gleichen Karomuster wie die Fliege. Sein Gehstock diente dem Detektiv nicht nur als Gehhilfe, sondern war gleichzeitig Schirm, wie auch seine einzige Waffe. Er zog das linke Bein ein wenig nach. Sein linkes Knie hatte vor vielen Jahren einmal etwas zu viel abbekommen und ließ sich deshalb nicht mehr so gut beugen. Aber das hinderte Kinsley nicht daran, Verbrecher zu verfolgen. Der ehemals gut durchtrainierte Privatermittler, hatte in den letzten Jahren, nicht nur sein Äußeres sehr vernachlässigt, sondern auch seinen Körper. Er trank oft mehr als für ihn gut war und hasste sich selbst dafür. Die Schuld daran gab er seiner Frau, die sich vor einer halben Ewigkeit, nach nur drei Monaten Ehe, von ihm scheiden ließ. Sie nahm McKinsley alles, was ihm wichtig war, nämlich seine Familie. Seit dem ließ sich der sechsundfünfzigjährige mehr und mehr gehen. Heute wohnte er praktischer Weise in seinem Büro, das sich auf dem Smugglers Way im Londoner Stadtteil Battersea befand. Man sah ihm mittlerweile an, dass er Stammgast in jeder Frittenbude Londons war. Sein Waschbrettbauch, war heute gut gepolstert. Im Großen und Ganzen konnte man sagen: McKinsley hatte schon bessere Zeiten gesehen.
Trotz seines heruntergekommenen Aussehens, hatte der Privatdetektiv einen guten Ruf. Auch wenn seine neuen Mandanten erst einmal erschraken, wenn sie sein Büro betraten. Nach dem ersten Auftrag, empfahlen sie ihn gern weiter. McKinsley erledigte alle Aufträge, zur Zufriedenheit seiner Mandanten. Sein einziges Mango war, dass er stets allein arbeitete. Er hatte zu niemanden mehr Vertrauen und zog alle Ermittlungen ohne jegliche Hilfe durch. Das bedeutete mehr Kaffee, als für ihn gut war und viel weniger Schlaf als er eigentlich bräuchte, um gut auszusehen. Man sah dem Detektiv an, dass er nicht genug auf seine Gesundheit achtete. Er wirkte wie kurz vor dem hundertsten Geburtstag, so zerknautscht war sein Gesicht.
McKinsley war in seinen jungen Jahren ein sehr guter Polizist. Bis zu diesem verhängnisvollen Ereignis, das ihm nicht nur seine Ehe gekostet hatte. Er nutzte aber seine alten und immer noch sehr guten Verbindungen zu Scotland Yard, um seine heutigen Fälle zu lösen. Das erleichterte ihm seine Arbeit sehr. Wie auch in seinem letzten Fall, den er gestern erst abgeschlossen hatte. Diese Verbindung brachte ihm oft die wichtigen Informationen, die er zur Lösung seiner Fälle benötigte.
Um seinen Erfolg zu feiern hatte er sich eine gute Flasche Whisky und vorher ein Essen in "The Ship" gegönnt. Dem entsprechend zerknittert und übernächtigt, sah Alan McKinsley aus, als es um 11:28 Uhr an der Tür zu seinem Büro klingelte. Verschlafen erhob sich Alan und schlurfte zu Tür.
"Guten Morgen", grunzte er die vor ihm stehende junge Frau an und hatte Mühe seine Augen zu öffnen. "Was kann ich zu der frühen Morgenstunde für sie tun?"
McKinsley trat ein Schritt beiseite und ließ die Besucherin eintreten. Ein Lächeln huschte über dessen Gesicht, als er die ansprechende Figur seiner Besucherin betrachtete. Die rothaarige Schönheit hatte alles, was ein Mann sich bei einer Frau wünschte. Hinten wie vorn, stimmte das Profil. Der Detektiv schüttelte über sich selbst den Kopf. Schnell fuhr er mit dem Zehnfingerkamm durch sein strubbliges Haar, um es einigermaßen zu ordnen und band es mit dem Lederband, das er immer ums Handgelenk trug, zusammen.
Die Rothaarige verzog leicht das Gesicht, als sie den überlaufenden Aschebecher auf dem Schreibtisch sah und die darauf stehenden Gläser und Flaschen. Im Büro des Detektives roch es nach Alkohol und kalten Rauch. Hier musste dringend einmal gelüftet werden.
"Setzen sie sich ruhig", bot der Detektiv ihr einen Platz an und räumte mit wenigen Handgriffen seinen Schreibtisch ab. "Entschuldigen sie die Unordnung. WIR haben gestern ein wenig gefeiert", sagte Alan verlegen. "Das muss auch einmal sein. Was kann ich für sie tun Miss...?"
Gähnend und sich die Augen reibend, ließ sich der Detektiv in seinen Sessel auf der andere Seite des Schreibtisches fallen und sah sein Gegenüber neugierig an. So gut das halt nach einer durchzechten Nacht ging, unterdrückte er ein Gähnen. Der Pegel seines Coffeinspiegels war noch auf null. Man konnte von McKinsley in diesem Zustand, noch nicht viel erwarten. Sehnsüchtig schaute er nach der Kaffeemaschine. Deshalb erhob er sich noch einmal, um Abhilfe zu schaffen.
"Möchte sie auch einen Kaffee?"
Die junge Dame musterte den Detektiv mit gerunzelter Stirn und hochgezogener Augenbraun. Am liebsten würde sie den Raum sofort wieder verlassen. Aber das ging nicht. McKinsley war ihre letzte Hoffnung. Wenn sie jetzt ginge, würde sie nie Antworten auf ihre Fragen bekommen. Sie kam auf Empfehlung einer Freundin hierher und hatte sich die Detektei, vor allem aber den Detektiv, ganz anderes vorgestellt. Das Büro machte keinen Vertrauen erweckenden Eindruck auf die Besucherin. Dabei hatte Luise, ihre Freundin, so von dem Detektiv geschwärmt. Die junge Frau riss sich zusammen und holte tief Luft.
"Mister McKinsley, meine Freundin hat mir ihre Detektei wärmstens empfohlen. Allerdings habe ich mir das hier ganz anders vorgestellt", entschuldigend zog die Rothaarige ihre linke Schulter nach oben. "Ich weiß nicht so recht, ob ich hier richtig bin", gab sie zu.
"Miss...", forderte sich Alan ein zweites Mal, den Namen seiner neuen Mandantin ein, die sich noch nicht einmal vorgestellt hatte und stellte ihr eine Tasse Kaffee vor die Nase. Auch ging er zum Fenster, um dieses anzukippen und auf diese Weise für Frischluft zu sorgen. "Milch und Zucker?"
"Danke nichts von beiden. Entschuldigen sie, ich vergaß mich vorzustellen. Ich bin Samantha Smith."
"Also Miss Smith, lassen sie sich von meinem Büro nicht irritieren. Ich lege mehr Wert auf meine Arbeit, als auf ein äußeres Erscheinungsbild. Das gehört zwar dazu, passt aber zu mir."
McKinsley fing schallend an zu lachen. Zaghaft stimmte die junge Frau mit ein. Damit war das Eis gebrochen. Samantha Smith holte tief Luft und fing einfach an zu erzählen.
"Mister McKi..."
"Sagen sie einfach Alan zu mir, das ist einfacher und schafft Vertrauen", unterbrach McKinsley sie.
"Dann nennen sie mich aber Sam, so rufen mich meine Freunde", etwas verlegen dreinschauend fuhr Samantha fort. "Es geht um Folgendes. Ich suche nach meinem Vater. Vor ungefähr dreiundzwanzig Jahren starb meine Mutter bei einem Unfall, bei dem auch ich schwer verletzt wurde. Ich war damals erst drei Jahre alt und habe keine Erinnerungen mehr an meine richtigen Eltern. Nach dem Unfall wurde ich von Mister und Miss Smith adoptiert. Für mich waren das immer meine Eltern. Sie können sich vorstellen, was das für ein Schock für mich war, als ich nach deren Tod von der Adoption erfuhr. Seit zwei Jahren versuche ich nun schon, meinen richtigen Vater zu finden. Allerdings habe ich weder den Namen meiner Mutter noch den Namen meines Vaters. Ich weiß nur, dass ich in Guy´s Hospital geboren wurde. Dort ist meine Geburtsurkunde ausgestellt wurden. Leider sind die Namen meiner Eltern durch umgeschütteten Kaffee so verwischt, dass man sie nicht mehr lesen kann."
Samantha zog ihre Geburtsurkunde aus einem Dosier, was sie mitgebracht hatte und reichte sie McKinsley.
"Mmmhhh, das ist nicht gut. Da wird mir auch mein Freund in der Forensik nicht mehr helfen können. Was wissen sie sonst noch über ihre Eltern, Sam."
"Nicht mehr viel. Meine Mutter hatte wie ich rote Haare und grüne Augen. Sie muss eine Irin gewesen sein, laut dem Tagebuch meiner Mutter, sorry Adoptivmutter. Sie muss eine sehr temperamentvolle Frau gewesen sein. Sie ließ nicht viel Gutes an ihrem Mann, der sie wohl sitzen gelassen hat. Über meinen Vater weiß ich nur, dass er Polizist war. Mehr ist über ihn nicht bekannt. Großeltern gibt es wohl keine. Sonst hätte man mich nicht zur Adoption freigegeben. Mehr weiß ich nicht", verlegen zuckte Sam mit den Schultern.
"Das wird schwierig. Ich will ehrlich sein, zu ihnen. Große Hoffnung habe ich nicht, dass ich ihren Fall lösen kann. Auch ich benötige Fakten mit denen ich arbeiten kann oder wenigstens irgendeinen konkreten Ansatzpunkt. So ganz ohne Informationen wird es schwer werden ihren Vater oder andere Angehörige ausfindig zu machen. Aber ich werde mein Bestes geben. Bis jetzt habe ich jede noch so harte Nuss geknackt. Warum sollte das jetzt anders sein? Weshalb suchen sie eigentlich gerade jetzt nach ihren Wurzeln?"
Mit sich kämpfend druckste Samantha erst eine Weile herum, weil sie nicht wirklich mit der Sprache herausrücken wollte. Sie gab sich einen Ruck und gestand dem Detektiv ganz leise.
"Es ist nicht schön so ganz ohne Familie zu sein. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass mein Vater irgendwo da draußen ist und mich auch sucht. Ich kann es nicht so genau erklären." Sam hob den Kopf und sah McKinsley offen an und setzte noch nach. "Werde ich mir das überhaupt leisten können? Viel mehr als 500 £ kann ich mir nicht leisten", automatisch zog sie den Kopf zwischen die Schultern und schielte verlegen zu ihrem Gegenüber.
"Machen sie sich wegen des Geldes erst einmal keine Sorgen. Wir bekommen das schon hin. Ich schau erst einmal, ob ich überhaupt eine Chance habe, ihren Vater ausfindig zu machen."
McKinsley stand auf und zog sich eine Kopie von der Geburtsurkunde, dem einzigen Ansatzpunkt, den er über Samantha hatte und reichte ihr das Original zurück. Gemeinsam füllte sie noch einige Dokumente aus, die den Detektiv bevollmächtigten, in Samanthas Vergangenheit herumzustochern. Die Beiden verabschiedeten sich und vereinbarten, dass sich der Detektiv bei ihr melden würde, sobald er neue Informationen hatte. Nichts war mehr von den anfänglichen Spannungen übrig geblieben. Samantha war froh, dass sich ihr erster Eindruck von dem zerlumpt ausschauenden Detektives nicht bestätigt hatte. Er war ein sympathischer Zeitgenosse und sie gab ihrer Freundin Recht, zu ihm konnte man Vertrauen fassen. Erleichtert ging sie nach Hause.
Alan dagegen verschloss seine Bürotür und schmiss sich noch einmal auf die Couch. Er musste unbedingt etwas Schlaf nachholen. Der letzte Fall steckte ihm noch tief in den Knochen und der Umtrunk gestern Abend, hatte ihm den Rest gegeben.
Erst kurz vor 5 Uhr am nächsten Morgen erwachte er, ausgeschlafen und erholt. Frisch geduscht, mit sauberer Kleidung, rasiert und mit ordentlich gekämmten Haar, zog er nach einigen Recherchen im Internet los, um seinen neuen Fall zu lösen. Trotz Recherchen im Internet und einem Telefonat mit seinem Freund Jo Kober, der wieder einmal den Computer des Scotland Yards für seinen Freund durchforstete und nach Informationen über eine Samantha Smith Ausschau hielt, hatte McKinsley kaum neue Informationen gewonnen.
Je länger er im Netz recherchierte, umso mehr setzte sich ein komisches Gefühl in seinen Därmen fest. Er konnte dieses eigenartige Gefühl nicht richtig fassen. Wusste aber, dass es in den meisten Fällen nichts Gutes bedeuten konnte. In Alans Kopf wirbelten die Gedanken durch einander. Wie immer wenn er sich an einem Fall festgebissen hatte. Irgendwo hatte er etwas übersehen. Aber was? Es bedeutete nichts Gutes, wenn ihn dieses Gefühl beschlich. Wann immer er es hatte, passierte etwas Unvorhersehbares und das mochte der Detektiv gar nicht. McKinsley wünschte sich, über alle Geschehnisse die Oberhand und die Kontrolle zu haben. Alan schob das eigenartige Gefühl fürs Erste bei Seite und machte sich auf den Weg ins Guy´s Hospital. Das lag im Stadtcentrum Londons und in unmittelbarer Nähe der London Bridge. Eine Stunde Fahrzeit musste er dafür einplanen. Es war der einzige Ansatzpunkt den er gefunden hatte.
McKinsley stieg in sein altes Peugeot Carpio, dass wie er, auch schon wesentlich bessere Tage gesehen hatte und fuhr stöhnend und über sich selbst fluchend durch den Berufsverkehr Londons. Im Zentrum Londons war der Berufsverkehr die Hölle und ihm stand noch Schlimmeres bevor. Das Guy´s Hospital, war die größte Klinik Londons und völlig verbaut. Auf nüchternen Magen, musste er sich eingestehen, wollte und konnte er sich das nicht antun. Also suchte Alan erst einmal einen Pup, um Hunger und Durst zu stillen. Erst dann begab er sich in das Hospital, um mit seinen Ermittlungen zu beginnen.
Schon beim Pförtner bekam er das erste Problem, wegen seiner Pfeife. Drei Stunden später und gefühlten zehn Zentimeter kürzer, traf er endlich in der Verwaltungsstelle der Guy´s Klinik ein und bekam Lany Miller vorgestellt. Die Verwaltungsangestellte konnte ihm zu mindestens sagen, dass am 23.Oktober 1989 um 02 Uhr 13, hier im Haus ein Mädchen geboren wurde. Allerdings hieß das Mädchen nicht Samantha sondern Maisie. Die Uhrzeit und Unterschriften auf der Geburtsurkunde, stimmten mit den Dokumenten der Klinik überein.
"Kann es sein, dass bei der Adoption von Kindern, der Vorname geändert wird? Ich habe ja schon einige solcher Adoption Fällen recherchiert. Da stimmten allerdings immer die Geburtsdaten, der Vorname überein", erkundigte sich der Detektiv verwundert Lany Miller.
"Die Möglichkeit besteht, laut Adoptionsgesetz, wenn es dem Seelenfrieden des Kindes nicht schadet. Das heißt, dass das Mädchen noch sehr klein war und damit keine Probleme auftreten, die durch Namensänderung entstehen können. Dann ist das schon möglich", erklärte ihm Lany.
Alan zog automatisch die Pfeife aus seiner Jacke, um besser nachdenken zu können. Plötzlich schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. "Gibt es Unterlagen über einen Unfall, der ca. drei Jahre später hier eingeliefert wurde? Bei dem die Mutter starb und das Kind überlebt hat. Ich meine, Unfälle werden doch meistens hier in dieses Hospital eingeliefert?" Alan gratulierte sich selbst zu der Idee das noch zu überprüfen. "Dann müsste ja die Mutter hier gestorben oder schon tot hier eingeliefert wurden sein", hakte der Detektiv nach.
"Mister McKinsley, wenn sie tot war, wird sie hier nicht eingeliefert. Dann wird sie von einem Bestattungsunternehmen abgeholt. Aber ich sehe einmal unter den Todesfällen nach, ob ich da etwas finde. Das dauert aber einen Moment", Miller begann sofort die entsprechenden Daten in ihrem Computer aufzurufen und wurde fündig.
"Ja ... ich habe hier etwas. Die Daten stimmen mit der Mutter von Maisie überein."
"Können sie feststellen, wer die Eltern von Maisie waren? Oder besser gefragt, ob es Angaben über den Vater oder anderen Angehörigen gibt. Ich meine, wenn sie am gleichen Tag und der gleichen Urzeit hier geboren wurde, kann das ja nicht anders möglich sein. So viele Kinder werden nicht zur gleichen Zeit in einem Krankenhaus geboren", bat Alan Lany Miller diese Angaben zu überprüfen.
"Natürlich kann ich ihnen diese Unterlagen raussuchen. Aber das dauerte ein paar Stunden. Dazu muss ich runter ins Archiv. Bestimmte Daten sind noch nicht im Computer erfasst. Kann ich ihnen diese zu faxen oder per e-Mail zusenden?"
"Natürlich. Ich bin über jedes Detail froh, in diesem Fall. Ich habe viel zu wenige Informationen, über Samantha. Danke, sie helfen mir damit ein großes Stück weiter. Ich kann es förmlich riechen, dass ich auf der richtigen Spur bin", entgegnete Mc Kinsley lachend.
Miss Miller erwiderte das Lächeln. Sie sah dem Detektiv an, dass der froh war, wenigstens ein kleines Stück weiter gekommen zu sein. Sie wusste selbst wie schwierig diese Art der Nachforschungen waren. Sie selbst war ebenfalls als kleines Mädchen adoptiert wurden und kannte all die Probleme, die bei den Recherchen entstanden.
Kurz nachdem McKinsley den Raum verlassen hatte, fiel Lany Miller noch etwas ein. Sie sprang auf und wollte dem Detektiv hinterher eilen. Als sie schwungvoll die Tür öffnete und aus dem Raum laufen wollte, knallte sie fast mit McKinsley zusammen. Alan hatte seinen Spazierstock in der Schirmablage vergessen und wollte gerade an die Tür klopfen. Es gab einem lauten Knall. Der Detektiv und Tür stießen hart zusammen. Alan saß urplötzlich auf dem Boden und schüttelte seinen malträtierten Kopf. Ganz verdattert von dem harten Schlag brauchte er ein paar Sekunden, um zu verstehen, was eigentlich geschehen war.
"Autsch", war das einzige, was er in diesem Moment heraus bekam.
Miller dagegen sah erst einmal erschrocken, dann breit grinsend auf dem am Boden sitzenden Mann.
"Das war ein Knockout. So hat mich schon lange keiner mehr zu Boden geworfen", konnte sich der Detektiv nicht verkneifen zu sagen.
"Äh...", stotterte Miller verlegen herum. "... äh, ich ... entschuldigen sie. Ich wollte ihnen eigentlich nur noch etwas sagen und sie nicht k.o. schlagen", versuchte sie sich zu erklären.
Miller hielt dem immer noch am Boden sitzenden und sich die Stirn reibenden Mann die Hand entgegen, um ihn aufzuhelfen. Verlegen sah sie ihn an.
"Darf ich mal", erkundigte sie sich und sah sich ohne auf die Antwort zu warten den Kopf ihres Gegenübers etwas näher an. "Es ist glaube ich nichts kaputt gegangen. Wird nur eine große Beule geben", gestand sie ihm.
"Ach ist nicht so schlimm. Mein Kopf hält das schon aus. Der hat schon schlimmere Schläge abbekommen. Was wollten sie mir denn noch sagen?"
"Mister McKinsley mir ist gerade noch etwas eingefallen. Bis Ende 1992 hat meine Schwiegermutter noch auf der Kinderstation gearbeitet. Vielleicht kann die sich noch an den Fall mit der kleinen Maisie erinnern. Sie hat ein sehr gutes Gedächtnis. Vor allem dann, wenn es sich um solche dramatischen Geschehnisse handelt. Ist ja nicht so ein alltäglicher Fall gewesen. Vielleicht hilft ihnen das weiter. Ich gehe unabhängig davon, gleich einmal runter ins Archiv und schau nach, was ich dort noch an Unterlagen finden kann. Ich würde ihnen so gern helfen. Ich weiß wie es sich anfühlt seine Wurzeln nicht zu kennen."
"Ich danke ihnen. Wo finde ich denn ihre Schwiegermutter?"
"Das liegt auf dem Weg zum Archiv. Meine Schwiegermutter liegt hier auf der chirurgischen Station, Oberschenkelhalsbuch. Ich sag ihr schnell Bescheid und zeige ihnen den Weg. "
Gemeinsam betraten sie nochmals das Büro. Lany Miller rief ihre Schwiegermutter an und Alan holte sich seinen Gehstock. Anschließend liefen Beiden durch endlose Flure und Korridore des Krankenhauses, bis sie in dem Gang standen, in dem Lanys Schwiegermutter lag.
"Sie gehen jetzt nur den Gang bis zum Ende. Die letzte Tür auf der rechten Seite, ist das Zimmer in dem meiner Schwiegermutter liegt. Ich habe ihr Bescheid gesagt, dass sie vorbei kommen", breit grinsend sah sie McKinsley an. "Und passen sie auf die Türen auf. Ich muss hier entlang", verabschiedete sie sich. "Ich schicke ihnen die Unterlagen per e-Mail zu. Viel Erfolg wünsche ich ihnen und ihrer Mandantin."
McKinsley bedankte sich und lief weiter nach hinten, zu dem angezeigtem Zimmer. Auf der rechten Seite des Türrahmens stand ein Name, "Amanda Nilson". Verwundert, ob des Namens, klopfte Alan an und betrat nach dem "Ja, bitte." das Zimmer. Es war ein helles und freundliches Zimmer, mit nur einem Bett.
"Guten Morgen Miss Nilson. Ich bin Alan McKinsley. Ihre Schwiegertochter hat mich angekündigt. Sie meinte, sie könnten mir in einem Fall eventuell weiterhelfen", kam er sofort zu dem Grund der Störung.
"Guten Morgen der Herr. Wobei kann ich ihnen denn behilflich sein?"
"Miss Nilson, für dreiundzwanzig Jahren, gab es einen schweren Unfall. Bei dem die Mutter starb, die Tochter Massie aber überlebte. Ihre Schwiegertochter meinte, dass sie sich vielleicht an den Fall erinnern könnten. Meine Mandantin sucht nach Verwanden, Vater, Opa, Oma, vielleicht Geschwistern und ich möchte ihr dabei behilflich sein", versucht er sich kurz zu fassen. "Maisie muss damals drei Jahre alt gewesen sein. Können sie sich noch an das Mädchen erinnern?"
"Maisie ... Maisie", grübelte die alte Dame und wühlte in ihrem Gedächtnis herum. "An eine Maisie kann ich mich nicht erinnern, aber an eine Samantha Ruckby. Die wurde damals schwerverletzt auf unserer Station eingeliefert. Die Mutter lag auf der Intensivstation und überlebte aber die Nacht nicht. Der Vater von ihr starb an der Unfallstelle. Mich hatte die Sache damals sehr mitgenommen. Samantha, so fand die Polizei damals heraus, war sofort nach der Geburt adoptiert wurden. Sie stand nun zum zweiten Male ohne Eltern da. Zeitgleich lag noch ein anderes Mädchen auch auf Station, die von einem LKW erfasst wurde und in der Nacht verstarb, als Samantha eingeliefert wurde", die alte Dame überlegte kurz und fuhr dann fort. "Die Eltern der kleinen Ana Smith, fanden Trost in Samantha und nahmen sich des Waisenkindes an. Soviel ich weiß, haben sie lange Zeit nach Angehörigen gesucht, aber niemanden gefunden. Sie adoptierten Samantha schließlich. Ein Name fiel damals allerdings öfter, Caren Bloomfield. Das ist Samanthas leibliche Mutter. Ich merkte mir den Namen, weil meine Großmutter ebenfalls Caren Bloomfield hieß. Kommissar Kober bearbeitete den Fall damals", gab Miss Nilson zahlreiche wichtige Informationen bekannt.
Fassungslos sah der Detektiv die alte Dame an und konnte sich nicht verkneifen zu sagen. "Wow, Miss Nilson sie haben wirklich ein gutes Gedächtnis. So viele Details hatte ich gar nicht gehofft zu erfahren", kopfschüttelnd notierte er sich alles in seinem kleinen schwarzen Notizbuch. Ein Detail hatte ihn aufhorchen lassen. "Sie sagten die leibliche Mutter hieß Caren Bloomfield? Sind sie sich da sicher?"
"Hunderprozentig! Ich vergesse nie einen Namen von meinen einsamen Kindern. Ich habe es mir zu meiner Lebensaufgabe gemacht, Kindern in Not zu helfen", erklärte die alte Dame. "Wie könnte ich das, wenn ich sie aus den Augen verlöre. Samanthas zweiten Adoptiveltern starben vor circa zwei Jahren, seit dem habe ich Samantha wieder im Visier...", verlegen zuckte Amanda Nilson mit den Schultern. "... Auch wenn ich schon lange in Pension bin, die Verantwortung für meine Kleinen kann ich nicht abgeben."
"Das kann ich verstehen Miss Nilson. Aber eine Frage habe ich noch, dann lasse ich sie in Ruhe. Damit sie sich erholen können. Wissen sie was aus Caren Bloomfield geworden ist?", erkundigte sich McKinsley mit einem unguten Gefühl im Bauch.
"Miss Bloomfield lebt in einer geschlossenen Abteilung des Bethlem Royal Hospitals so viel ich nach letzten Informationen weiß", gestand etwas unsicher. Der Mann der gegenüberstand, wurde bei jedem Wort blasser, dass sie sprach. "Alles in Ordnung mit ihnen Mister McKinsley?"
Der Detektiv zog sich erst einmal einen Stuhl heran. Er musste sich setzen. Sonst hätte es ihm wahrscheinlich die Füße unter dem Körper weggezogen. Die letzten Worte von Miss Nilson verwirrten ihn vollkommen. Etwas, dass ihm noch nie zuvor passiert war.
"Wissen ... äh ... äh ... wissen sie, warum Miss Bloomfield in der Psychiatrie lebt?", verwirrt und völlig von der Rolle sah der Detektiv die ehemalige Krankenschwester an.
"Soviel ich weiß, kam es vor sechsundzwanzig Jahren zu einem tätlichen Übergriff, bei einem Einsatz der Polizei. Bei dem der Vater und die Mutter der Kleinen schwer verletzt wurden. Der Vater war Polizist ... ", plötzlich ging Miss Nilson ein Licht auf. "... Sie sind der Alan McKinsley, der mit Caren Bloomfield verheiratet war?"
Der Detektiv nickte zögerlich. "Meine Frau ließ sich nach nur drei Monaten, ohne Gründe anzugeben, von mir scheiden. Alles lief über Anwälte. Ich habe sie nie wieder zu Gesicht bekommen. Sie machte mir den Vorwurf, schuld an dem ganzen Vorfall zu sein und erließ eine einstweilige Verfügung, dass ich mich ihr auf nicht mehr als 500 Meter nähern darf. Ich habe sie nie wiedergesehen", brachte er mühsam und immer leiser werdend hervor.
"Oh mein Gott", stieß Amanda hervor. "Sie wissen von dem ganzen nichts?"
"Von was soll ich etwas wissen? Meine Frau hasst mich seit dem. Sie wollte mich nie wiedersehen. Ich weiß nicht einmal warum. Damals war ich nicht einmal im Dienst. Wir waren auf dem Weg in ein Cafe, als die Schießerei losging und wir verletzt wurde. Ich hätte es gar nicht verhindern können. Selbst wenn ich es gewollt hätte", erklärte McKinsley voller Wut. Diese kalte sinnlose Wut von damals stieg wieder in ihm auf.
"Alan ... Ich darf sie doch Alan nennen?" Sie wartete sein Nicken ab. "Ihre Frau wurde damals ebenfalls schwer verletzt. Das wissen sie doch."
McKinsley nickte, ohne ein Wort zu sagen.
"Sie kennen das Verletzungsbild ihrer Frau?"
McKinsley nickte abermals. "Es war mir egal, dass die Explosion ihr das halbe Gesicht weggerissen hat. Ich habe sie geliebt. Mir ist es heute noch egal wie sie aussieht...", plötzlich stützte er seinen Kopf in die Hände die er auf den Knien abgestützt hatte. "... ich liebe sie heute noch so wie damals. Habe nie wieder eine andere Frau angesehen", gestand er der alten Dame. Plötzlich brach das jahrelang heruntergeschluckte Leid aus ihm heraus und die Tränen liefen über sein Gesicht. Die Erinnerung an seine Frau, war zu viel für den taffen Detektiv. Die Bilder von damals, der er stets im Alkohol ertränkte kamen mit einem Schlag nach oben. Egal was er sagte, er gab sich noch heute die Schuld an dem Geschehenen, auch wenn ihm keine Schuld traf.
"Alan, ihre Frau kommt bis heute nicht mit dem Geschehen von damals klar. Ich weiß, dass sie immer noch etwas für sie empfinden. Es gab zahlreiche Operationen, die das Gesicht ihrer Frau wieder herstellen sollten. Sie sieht heute bis auf einige Narben, wieder normal aus. Vielleicht sollten sie versuchen mit ihr Kontakt aufzunehmen, über die Anwälte. Gerade wegen Samantha, die sollte endlich Vater und Mutter haben."
McKinsley nickte und starrte mit tränennassen Augen auf seine Hände. Ihm wurde bewusst, dass sein Bauchgefühl ihn wieder einmal nicht getäuscht hatte. "Danke Miss Nilson. Ich weiß gar nicht wie ich das jemals wieder gut machen soll. Ich hatte keine Ahnung, dass meine Frau damals schwanger war...", der Detektiv schlugte bitte an dieser Tatsache. "... Ich wünsche ihnen eine gute Besserung, auf Wiedersehen", verabschiedete sich Alan eilig von der alten Dame. Er musste hier raus und nachdenken, wie es weitergehen sollte. McKinsley beugte sich zu der alten Dame herunter und gab ihr rechts und links einen Kuss auf die Wange und hauchte noch ein "Danke", in ihr Ohr.
Völlig geflasht lief er ohne auf seinen Weg zu achten, zum Parkplatz und ließ sich in seinen alten Peugeot fallen. McKinsley konnte hinterher nicht mehr sagen, wie lange er grübelnd in seinem Auto gesessen hatte, bis er sich überwinden konnte das Handy in die Hand zu nehmen und Samantha Smith, SEINE Tochter anzurufen.
"Samantha, McKinsley am Telefon. Können wir uns in zwei Stunden in meinem Büro treffen. Ich habe Neuigkeiten", erklärte er Sam mit zittriger Stimme.
"Was ist...", versuchte Samantha eine Frage.
"Bitte komme einfach ins Büro. Ich kann das am Telefon nicht erklären", Alan war kurz angebunden und legte auf.
Zwei Stunden später saß Samantha einen völlig zerzausten und aufgelösten Detektiv gegenüber. Das erste Mal in seinem Leben, wusste McKinsley nicht, wie er seiner Mandantin die Neuigkeiten beibringen sollte. Seit zwei Stunden hatte er sich den Kopf zermürbt, wie er es seiner Tochter beibringen sollte. Schlussendlich kam er zu der Meinung, ihr alles offen darzulegen, ohne um den heißen Brei zu reden.
"Sam ich weiß nicht wie ich es dir beibringen soll. Ich bin genauso fassungslos, wie du es gleich sein wirst. Ich bin dein Vater. Deine Mutter lebt in Bethlem Royal Hospital. Glaube mir eins, ich wusste bis vor drei Stunden nicht, dass ich eine Tochter habe", schloss Alan.
Eine lange Aussprache zwischen Vater und Tochter folgte, in der Samantha alles über ihre turbolente Vergangenheit erfuhr und sich mit ihrem Vater aussprach.
Tag der Veröffentlichung: 27.11.2016
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für alle die ein überraschendes Ende mögen.