Kalt ist es draußen, noch schneit es. Besorgt schaue ich nach oben in den Himmel, der sich langsam aufklärt. Schade, von mir aus hätte es weiter schneien können. Wenn der Himmel aufklärt, heißt das es wird richtig kalt werden heute Nacht. Verdammt, es ist schon zu spät um ins Asyl, das Obdachlosenheim, zu gehen. Die wenigen Plätze, sind bestimmt schon alle belegt. Das bedeutet für mich und viele andere, wieder eine Nacht, draußen in der Kälte zu schlafen. Wieder eine Nacht, zu frieren. Vielleicht, so geht es mir durch den Kopf, kommen die Leute von Caritas, wieder heiße Getränke verteilen. Das wäre schön, das hilft ein wenig gegen die Kälte. Langsam gehe ich nach unten, zum Fluss, dort treffen wir uns jeden Abend, an einige Tonnen mit Feuer. Unter der breiten Brücke, der Stadtautobahn. Deren tiefen Nischen, zwischen den Pfeilern, ein wenig Schutz geben, vor dem kalten Wind. Mit großen Kartons, Kisten, uralten Möbeln vom Sperrmüll, die keiner mehr haben wollte, haben wir uns ein wenig abgeschottet. Vor der größte der Nischen, einen Wand aufgebaut, um etwas Schutz vor dem Wind und der Feuchtigkeit zu haben. Hier ist unser kleines Domizil.
Sogar einen alten verkrüppelten Tannenbaum, hat jemand besorgt, mit ein paar aus Plastebechern gebastelten Sternen, sieht er richtig weihnachtlich aus. Als ob wir das bräuchten, ich glaube Tinchen hat das gemacht, damit es ein wenig schön ist, hat sie mir gestern erzählt. Schmunzelnd denke ich daran, finde es total lieb von ihr. Begreife nicht, dass so eine nette Frau hier lebt. Nie erzählt sie warum. Wenn man sie fragt, dreht sie sich um und geht. Deshalb, fragt sie keiner mehr. Viel ist es nicht, was wir hier haben, doch besser als auf den Boden, nur mit einer Decke zu schlafen. Es sind ein paar große Kartons, alte Federböden, darauf verwitterte Matratzen oder Pappkartons, die etwas gegen die Kälte schützen. Einen Schlafsack drauf, schon hat man fast ein richtiges Bett, eine Schlafhöhle. Besser als nichts, auf alle Fälle.
Viele Jahre konnten wir uns, in den U-Bahntunneln verkriechen, doch seit fast zwei Jahren geht das nicht mehr. Patrouillen der Betreiber, verjagen uns immer. Dem Einzigen geschützten, etwas warmen Platz, im Winter. Wut steigt in mir hoch. Die Wut auf die Menschen, die in ihren warmen Häusern sitzen, uns doch nicht einmal, diese kleine Zuflucht gönnen.
Warum fragt ihr euch, lebe ich auf der Straße? Wer ich bin?
Das ist eine lange Geschichte, die ich euch gern erzählen möchte. Doch ich glaube kaum, dass es euch interessiert. Die Geschichte einer gestürzten Existenz. Wen interessiert es schon, wie wir auf der Straße gelandet sind. In den Augen der meisten, sind wir ja doch nur alles Säufer und asoziales Pack.
Das dachte ich früher auch immer.
Doch heute, ein schwerer Seufzer entflieht meiner Brust, heute denke ich anders…Mein Name ist Beno Ruske, Schlosser bin ich oder besser war ich von Beruf. Gestern wurde ich fünfundfünfzig Jahre, genau drei Tag vor Weihnachten, bin ich geboren. Eine schöne Bescherung, war das damals als ich geboren wurde. Leise Lache ich in mich hinein, während ich weiter in Richtung Fluss laufe, mir die kalten Hände reibe. Ich hatte bis vor sechseinhalb Jahren ein ganz normales Leben, so, wie ihr das auch alle habt. Eine schöne Kindheit, mit viel Wärme und Geborgenheit. Nette Kumpels, die mir aus dem Sandkasten, in die Schule folgten. Viele Jahre haben wir gemeinsam gelacht, geweint und wunderschön gefeiert. Doch irgendwann, kamen die Familien, es verlief sich alles. Bis auf einen guten Freund, habe ich alle aus den Augen verloren. Böse stößt es mich auf. Einen guten Freund. Dafür habe ich ihn gehalten, doch er ist schuld daran, dass ich jetzt auf der Straße sitze.
Nein es ist falsch, geht es mir durch den Kopf. Höre auf die Schuld bei anderen zu suchen. Jeder ist selber für seine Taten verantwortlich. Stimmt, gebe ich mir selber, im Zwiegespräch Recht. Selber schuld. Das ist so leicht gesagt, aber so verdammt schwer zu ertragen.
Wenn man nur etwas ändern könnte. Geht es mir durch den Kopf. Frierend reibe ich mir die Arme. Laufe weiter hinunter zum Fluss. Weit ist der Weg dorthin, aber dort sind wir unter uns. Sehen kein Mitleid, werden nicht angepöbelt. Ich kehre zurück, zu meinen Gedanken.
Selber schuld.
Ja es stimmt, nicht er ist schuld, sondern ich selber. Ich habe dem falschen Menschen vertraut. Habe mich fehlleiten lassen. Schlussendlich, war es meine Entscheidung gewesen, nicht die seine. Er ist nur derjenige, der für den Rest seines Lebens entstellt ist. Mit den Folgen, den Rest seines Lebens leben muss.
Genau wie ich. Wer es wohl von uns beiden leichter hat? Ich weiß es nicht.
Es fing alles ganz harmlos an, mit einer Wette. Es sollte nur ein Spaß sein, nur Gaudi. Doch es lief, wirklich alles schief. Damals auf Arbeit, wettete ich meinem Kollegen und besten Freund, das wir es schaffen, einen Multicar, das sind so kleine elektrisch betriebene Fahrzeuge, auf vier Bierbüchsen zu stellen. Es sollte ein Spaß werden. In einer langen Zwangspause die entstanden war, durch die Lieferverzögerung eines Zulieferers, in unserem Betrieb. Wir hängten also den Multicar, an einen Kran, zogen ihn vorsichtig nach oben, ließen ihn dann ganz langsam, nach unten, auf die Cola Büchsen. Wir hatten das, in einer Sendung im Fernsehen gesehen. Was die können, können wir schon lange, sagten wir uns. Nur was wir nicht wussten, Bierbüchsen, sind nicht gleich Cola Büchsen, es ist ein kleiner unwesentlicher Materialunterschied. Nur wer hat auf Arbeit schon Bierbüchsen bei.
Wir nicht.
Wir haben uns nichts dabei gedacht. Kurze Zeit standen die Büchsen auch, wie eine Eins. Als wir den Multicar, vom Kran nahmen, die Sicherung lösten. Doch plötzlich, gaben sie nach, klappten die Büchsen in sich zusammen, mit ihnen mein ganzes Leben. Wegen einer falschen Entscheidung, glitt mir alles aus den Händen. Das Multicar kippte seitlich weg, verletzte meinen Freund und Kollegen, der unachtsam war, einen Moment nicht aufpasste, schwer. So schwer, das dieser sein Bein einbüßte. Es war schlimm zertrümmert, nach der OP, kann noch eine Entzündung hinein. So musste das Bein dann amputiert werden. Was an sich, schon schlimm genug ist. Ich mache mir heute noch schlimme Vorwürfe. Verdammt es war doch nur ein Spaß. Alle haben mitgemacht, mitgelacht. Doch dann, wollte es keiner mehr wissen. Dann hieß es, alle hätten mich gewarnt. Die Schuld, trug nur noch ich.
Was ja auch richtig ist, es war meine Idee.
Noch schlimmer ist dies allerdings, wenn es sich dabei, um deinen besten Freund, noch dazu um den Bruder deiner Frau handelt. Von dem Tag an, hatte ich keine Freunde mehr. Aber auch dessen gesamte Familie, gegen mich. Wurde von allen beschimpft. Keiner wollte mehr etwas mit mir, zu tun haben. Dem Verstümmler, wie sie mich immer nannten. Was man ja, irgendwie, verstehen kann. Ich verlor nicht nur meinen besten Freund, sondern auch meine Familie, meine Arbeit, dann meine Wohnung, meine Zukunft.
Natürlich weiß ich, dass ich dies alles alleine ausgelöst habe. Es trifft nur mich, die Schuld. Doch es war, nur eine EINZIGE falsche Entscheidung, die eine Lawine ins Rollen brachte. Die Buse die ich dafür tue, ist hart, doch irgendwo gerecht, denke ich manchmal. Wie büßt man, für die Zerstörung eines Lebens? Was ist dafür die richtige gerechte Strafe?
Keine Ahnung?
Während der Gerichtsverhandlung, gegen mich, wegen der fahrlässigen schwerer Körperverletzung, stellte sich die Wahrheit dann heraus. Dass alle mitgemacht haben, das alle an der Wette beteiligt waren. Doch was nutzte es, noch? Ich hatte meine Kündigung, mein bester Freund lag in einer Klinik, meine Frau hat mich verlassen. Meine Kinder sahen mich nicht mal mehr an, weil ich einen Menschen schwer verletzt habe. Wenn ich könnte, ich würde die Zeit gern zurück drehen. Schon wegen der Verletzung meines Freundes. Aber es geht nicht. Keiner kann das.
Ich fing an zu trinken. Ja, ich habe getrunken.
Weil ich mit der Schuld und meinem Leben, nicht mehr klar kam. Bekam keine Arbeit mehr. Ich war neunundvierzig Jahre, da findet man nicht so schnell etwas.
Ich war so einsam.
Ich hatte ja niemanden mehr. Also ging ich in eine kleine Kneipe, dort waren nette Menschen, die mit mir sprachen. Sonst redete doch keiner mehr mit mir. Ich vernachlässigte meine Arbeitssuche, rutschte immer mehr ab. Ging nicht zu den Terminen auf das Amt. Irgendwann, strich man mir die Leistung.
Das war es dann.
Als ich begriff, dass ich dabei war mich selber zu zerstören, war es schon zu spät. Nach einem halben Jahr, bekam ich die fristlose Kündigung, der Wohnung, ich saß auf der Straße. Schließlich wollte ich wieder neu anfangen. Ich hörte auf zu trinken. Seit fast drei Jahren, trinke ich keinen Alkohol mehr. Selbst wenn es kalt ist. Dieser alleine hat bewirkt, dass ich hier gelandet bin. Doch was nutzt mir das?
NICHTS.
Wenn man ganz unten ist, bekommt man keine zweite Chance, oder seltenst. Gäbe es diese, würde ich sie nutzen. Nur zu gern…Endlich komme ich an den Feuertonnen an, die unter der Brücke steht. Gustav und Werner sind auch schon eingetroffen. Begrüßen mich, wie immer freundlich.
„Abend Beno, du siehst aber erfroren aus, komm mal ans Feuer.“, ruft mir Werner schon von weitem zu.
„Ist heute arg kalt.“, erkläre ich ihm, wortkarg, da ich friere wie Ast.
Dieser nickt, auch er sieht halb erfroren aus.
„Warum warst du nicht im Obdachlosenheim fragen, ob du dort schlafen kannst, Werner? Dein Husten hört sich schlimm an.“, mache ich ihn darauf aufmerksam, dass er lieber nicht hier schlafen sollte.
„Nee, Beno. Erstens kam ich viel zu spät, war alles schon voll. Außerdem…“, er macht eine verlegene Pause, zuckt entschuldigend mit den Schultern. „… na ja ich habe etliches getrunken, ein bissel viel. Du weißt doch, dass die das nicht mögen. Da kann man nichts machen. Bin ja selber schuld.“, traurig erzählt er mir das, seit über 5 Wochen schon, plagt ihn der Husten. Doch dieser wird einfach nicht besser, wie auch, wenn er sich nicht auskurieren kann. Er müsste mal ein paar Tage ins warme, am besten in ein Krankenhaus, um gesund zu werden. Doch ohne Krankenversicherung, gestaltet sich das schwierig. Ich stelle mich an die Feuertonne, um mich zu wärmen. Ach tut die Wärme gut.
Gustav dreht sich um, lachend sagt er. „Damit ich hinten auch auftaue.“, wir fallen in sein Lachen ein.
Ja das ist schon schwierig, man wird immer nur von einer Seite gewärmt. Vielleicht, kommt mir der Gedanke, sollten wir einen Kreis aus Feuertonnen bauen und uns in die Mitte stellen. Ich schüttle unbewusst den Kopf.
„Was ist?“, will Gustav wissen.
Ich winke nur ab, halte meine Hände gegen die Tonne damit diese auftauen. „Ach nichts, ich hatte bloß gerade einen doofen Gedanken. Vergiss es.“, erkläre ich ihm immer noch lachend.
„Ach Beno, die junge Frau, wie hieß sie doch gleich, Caro oder so ähnlich, war vorhin wieder da. Weißt du die sich schon ein paar Mal, mit uns unterhalten hat. Sie brachte mir etwas, gegen den Husten. Finde die ist total nett.“, glücklich zeigt er mir eine Flasche Hustensaft und Einreibung.
„Find ich wirklich nett. Schade, dass sie schon wieder weg ist.“, erkläre ich ihm. „Ich hätte mich gern mit ihr unterhalten. Sie hat eine gute Einstellung zu uns. Vielleicht hatte sie wieder etwas Arbeit für mich.“, sinniere ich laut vor mich hin.
„Sie will in einer Stunde, noch einmal kommen. Ist hoch ins Asyl gefahren. Will dich dort suchen, du sollst wenn du kommst, nimmer weglaufen, es wäre wichtig. Soll ich dir sagen.“, berichtet er mir.
Verwundert sehe ich ihn an. Doch freue ich mich, auf diese junge Frau, schon einige Male habe ich mich sehr nett mit Charlotte, so heißt sie, unterhalten. Es kommen ja immer einmal Sozialarbeiter hier her, Streetworker. Wollen uns bekehren. Als ob wir zu bekehren wären. Wir wollen doch alle hier nicht leben. Was die sich wohl denken? Erzählen uns, was sie gern alles für uns tun würden. Doch ändern können sie nicht. Uns will halt keiner mehr haben. Immer wieder haben wir uns Hoffnung gemacht, doch so schnell wie sie kam, ist diese wieder verschwunden. Irgendwann hört man einfach auf zu hoffen, erst recht wenn es so kalt wie heute ist. Vorhin habe ich gesehen, auf dem Thermometer an der Bank, es sind nur noch minus 7°C, es wird wieder eine schlimme Nacht werden. Hoffnung macht nicht satt und es nährt dich nicht. Warum soll man hoffen, wenn man ums Überleben kämpft. Mir graut es schon vor heute Nacht, es ist noch nicht einmal 18 Uhr, die Nacht wird die Hölle. Lange unterhalte ich mich noch, mit Werner und Gustav. Auch Tinchen ist eingetroffen. Sie bekam auch keine Möglichkeit mehr, zur Übernachtung im Asyl. Also kommt sie, wie alle, runter zu uns an die Tonnen. Eng stellen wir uns aneinander, so wird es uns etwas wärmer.
Nach über einer Stunde, stößt Charlotte wieder zu uns. „Hallo, Beno, hallo ihr alle. Schön dass du da bist, kann ich dich bitte einmal kurz alleine sprechen?“, fordert sie mich zu einem Gespräch unter vier Augen auf.
Ich nicke, wir entfernen uns etwas von der Gruppe. „Was ist Charlotte? Kann ich dir wieder, bei etwas helfen?“, frage ich sie direkt.
Einige Male schon, habe ich ihr einige Sachen, in der Wohnung repariert, bei denen sie sonst Hilfe von einem Handwerker gebrauch hätte. Sie gab mir dafür ein wenig Geld, Kleidung, Schuhe, aber auch Konserven. So war ihr, wie auch mir geholfen. Sofort kommt sie zur Sache, erklärt sie mir, was sie auf dem Herz hat.
„Beno, wir haben uns schon einige Male unterhalten, wegen Arbeit und Wohnung. Willst du wirklich neu anfangen? Ist es dir wirklich egal, wo? Bitte, wenn du es wirklich willst, kann und werde ich dir helfen.“, fordert sie gleich, in ihrer offenen, direkten Art, von mir eine klare Antwort.
So ist Charlotte nun mal. Sie redet nie lange um den heißen Brei. Sagt uns immer direkt, was sie von uns hält. Gerade das gefällt uns so, an der noch Verhältnis mäßig jungen Frau. Ich schätze sie um die fünfunddreißig Jahre alt. Sie ist auf ihre Weise schön. Hat eine gedrungene Gestalt, ist etwas zu kräftig gebaut. Man sieht ihr im Moment nicht an, das sie viel Sport macht. Das sieht man nur im Sommer. Da zeigt sie uns ihre Muskeln. Aber sie hat ein wunderschönes Gesicht, das von kurzen dunklen Haaren, immer strubbeligen Haar, umrahmt ist. Bezaubernd finde ich ihre Augen, die sie hinter eine Brille versteckt hat. Braune Haselnussfarbene Augen sind es, die viel Wärme ausstrahlen, aber auch richtig schwarz werden, wenn sie böse guckt. Lachend gehen mir diese Gedanken durch den Kopf.
„Natürlich Charlotte, will ich das. Glaubst du vielleicht, mir macht es Spaß, auf der Straße zu leben.“, fahre ich sie, ungewollt, ziemlich böse an.
„Schon gut Beno, so habe ich es nicht gemeint. Nur weißt du, ich habe schon einigen helfen wollen. Bekam dann immer Ärger, weil diejenigen nicht wirklich wollten. Aber ich glaube, du bist anders. Auch weil du keine Alkohol mehr trinkst. Also, wenn du wirklich willst. Komme mit.“, verlangt sie von mir.
Verwundert sah ich Charlotte an, weil ich immer noch nicht wusste, was sie vorhat. Nie sagt sie konkret was sie will. Doch bis jetzt bin ich immer gut gefahren. Vielleicht habe ich so die Möglichkeit, wenigstens diese Nacht, ein wenig zu verkürzen. Vielleicht kann ich wieder einmal, auf dem Sofa bei ihr schlafen. Das wäre schön, es wird bestimmt heftig kalt heute Nacht. Auf alle Fälle, bekomme ich von ihr immer eine warme Mahlzeit, alleine dafür liebe ich sie.
Ab und an, taucht Charlotte über einige Wochen regelmäßig hier auf. Dann wird sie wieder wochenlang, gar nicht gesehen. Plötzlich kommt sie wieder, nimmt jemanden bei der Hand, verschwindet mit demjenigen. Wochen später, taucht sei plötzlich wieder auf, doch selten kamen diejenigen wieder zurück. Wir fragen uns immer, was mit den Leuten geschehen ist. Doch etwas Böses traut ihr keiner zu.
„Was willst du von mir, Charlotte?“, erkundige ich mich deshalb lieber.
„Beno, komm vertraue mir, so wie ich dir vertraue. Lass uns gehen, mir ist furchtbar kalt.“, fordert sie mich, ihre Arme reibend, zum wiederholten Male, zum Mitkommen auf.
„Okay, was habe ich schon zu verlieren.“, greife nach meinem Bündel.
„Nichts.“, kommt ihre kurze Antwort, ihre Augen lachen mir zu.
So folgte ich ihr zum Auto. Rufe den anderen noch über die Schulter zu. „Bis später dann.“, schon steige ich zu Charlotte ins Auto.
Man sieht Charlotte an, wie froh sie ist einsteigen zu können. Hat sie doch nur eine dünne Strickjacke an, ihr ist bestimmt ordentlich kalt. Fast drei Stunde fahren wir, übers Land. Erst über die Autobahn, später dann über die Landstraße.
Auf meine Frage. „Wo fahren wir hin?“, winkt sie nur ab, antwortet mit einem Lächeln. „Ich fahre dich in dein neues Leben, vertraue mir einfach, Beno. Morgen ist Weihnachten, ich habe eine kleine Überraschung für dich.“ Also lehne ich mich zurück, genieße die Wärme der Heizung, die sie voll aufgedreht hat. Langsam kriecht die Wärme in meine Knochen. Die Kälte verschwindet, aus meinem Körper, ich taue langsam auf.
Endlich kommen wir an. Ein kleiner idyllischer Ort, in Thüringen, nahe der ehemaligen Grenze. Abseits der großen Städte. Halten wir auf dem Marktplatz, vor einem gutbürgerlichen Haus. Es scheint eine kleine Firma zu sein. Denn es steht ein großes Schild am Eingang. „Krokers & Söhne“ Am Tag vor Heilig Abend, brennt dort um kurz vor 22 Uhr, immer noch Licht? Die Armen, geht es mir durch den Kopf. Haben die keine Familie, dass die um diese Zeit noch arbeiten müssen. Charlotte steigt aus dem Fahrzeug, winkt mir zu kommen. Klingelt an der Tür. Kaum das sie geschellt hat, öffnet ein Herr um die 60 Jahre die Tür, ein Lächeln huscht über sein Gesicht. „Guten Abend, Gott sei Dank, ich habe mir schon Sorgen gemacht. Los kommt rein, ich dachte schon es ist unterwegs etwas passiert.“, begrüßt er uns freundlich. Öffnet die Tür weit, damit wir eintreten können.
Verwirrt schaue ich zu Charlotte. „Komm schon Beno, dir tut hier niemand etwas. Lass uns reingehen, drinnen ist es warm.“, fordert sie mich auch zum Eintreten auf. Schiebt mich durch die Tür. Betreten beide, eine große Wohnküche. Bekommen sofort einen großen Pott Kaffee, von dem Herrn in die Hand gedrückt.
„Setzt euch.“, fordert er uns auf.
„Beno, darf ich dir Heinz Kroker, vorstellen. Er hat eine kleine Schlosserei hier im Ort. Dieser wird dir ab Januar, in seiner Firma eine Arbeit geben. Er ist ein guter Freund von mir. Der Onkel eins Kollegen. Suchte dringend einen zuverlässigen Schlosser. Wenn dir die Arbeit gefällt, du dich ordentlich machst, kannst du ab 1. April eine Festeinstellung bekommen. Also ein viertel Jahr auf Probe. Das finanzielle, macht ihr unter euch aus.“, erklärt sie mit einem Lächeln.
Ich glaube, ich sehe sie an, wie einen Alien. Schaue von ihr, zu meinem zukünftigen Arbeitgeber, wieder zurück zu Charlotte. Weiß nicht, was ich sagen soll, davon halten soll.
„Beno, ich darf dich doch so nennen?“, erkundigt sich mein Herr Kroker.
Wortlos nicke ich.
„Beno, es stimmt was Charlotte sagt. Sie hat sich für dich, richtig stark gemacht. Hat mir deine Geschichte erzählt. Ich suche wirklich jemanden, der zuverlässig ist, auch arbeiten kann. Ich weiß nicht, ob ich diesen Beschluss bereue. Aber auf Charlotte ist immer Verlass gewesen. Sie hat eine gute Menschenkenntnis. Also vertraue ich ihr. Wenn du willst, vertraue mir auch. Du bekommst ein neues Zuhause und ich einen neuen Angestellten. Bis Januar, kannst du dich hier in Ruhe einleben. Darauf hat Charlotte bestanden. So hast du schon etwas Fuß gefasst, bevor du mit deinem neuen Job anfängst.“, lächelnd mustert er mich.
Doch innerlich höre ich seine Gedanken. ‚Diesem Menschen, soll ich vertrauen? Der soll arbeiten können? Schau ihn dir doch an. Heruntergekommen, dreckig, stinkend. Dieser Mensch, soll für mich arbeiten. Das wird wohl der größte Fehler in meinem Leben sein. Na hoffentlich, bereue ich das nicht.‘ Viele denken bestimmt so von mir, wenn sie mich sehen. Im Sommer waschen wir uns im Fluss. Doch im Winter, bei klirrender Kälte, geht das nur im Asyl. Ich würde ja selber so von mir denken. Weiß ich doch nur zu genau, wie ich aussehe. Ich sehe mich doch in den Schaufenstern, der Stadt. Im Asyl, war ich aber schon einige Tage nicht. Konnte mich also nicht waschen. Schlimm sehe ich aus, dreckig und heruntergekommen. Meine Haare sind lang, fettig verfilzt, habe einen langen Bart. Ich sehe halt aus wie ein Penner. Ich schäme mich, doch was soll ich machen. Verlegen sehe ich zu meinen Füßen.
Doch Heinz Kroker, redet weiter, scheinbar ohne auf mein Äußeres zu achten. „Du kannst am 2. Januar bei mir anfangen, im ersten Monat wohnst du erste einmal hier bei uns, im Gästezimmer. Dann suchen wir für dich, eine kleine bezahlbare Wohnung.“, erklärt er mir noch einmal. Hält mir die Hand hin.
Fassungslos sehe ich auf, dann die Beiden an. Beide nicken mir aufmunternd zu. Ich schlage ein. Kann nicht fassen, dass ich dieses Glück haben soll. So kurz vor Weihnachten. Ich glaube ich träume. Charlotte steht auf, zieht mich vom Stuhl hoch, in ihren Arm, herzt mich.
„Komm Beno, glaube daran, dass es auch für dich eine Zukunft gibt. Aber vermassele es nicht. Wir bleiben in Verbindung.“, ernst sieht sie mich an. Noch einmal drückt sie mich fest.
„Nutze diese Chance, bitte Beno. Onkel Heinz, hilft dir, du musst die Hilfe nur annehmen. Ich muss leider los. Ich habe noch über 400 Kilometer zu fahren. Also alles Gute.“, lässt mich los, lächelt mich ein letztes Mal an.
Gibt Heinz Kroker einen Kuss auf die Wange.
„Ich muss wirklich los. Ich rufe an, wenn ich da bin.“, schon ist sie verschwunden.
Ich sehe ihr hinterher, weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Bin unsicher, weiß nicht was ich falsch oder richtig mache.
„Beno, komm mal mit. Als erstes zeige ich dir das Bad. Ich denke, du möchtest dich bestimmt duschen und dann sauber anziehen, dann essen wir.“, fordert mich Heinz Kroker auf.
Völlig durcheinander, folge ich ihm wortlos. Was hätte ich ihm auch sagen sollen. Klar würde ich mich gern sauber anziehen, vor allem duschen, damit der Dreck runter kommt, vor allem, damit mir mal wieder richtig warm wird. Im Bad angekommen, bittet mich Kroker.
„Beno, geh schon mal duschen, ich hole dir saubere Sachen. Charlotte hat mir extra, Sachen für dich besorgt, damit wir deine Sachen erst einmal waschen können. Was du dann brauchst, holen wir einfach erst einmal hier in der Kleiderkammer im Ort. Also bis gleich.“, schon ist er aus dem Bad verschwunden.
Nach gefühlten 3 Stunden, die nur 45 Minuten dauern, gehe ich geduscht rasiert und sauber gekleidet, zurück in die Küche. Als völlig neuer Mensch. Der Bart ist ab, die Haare gewaschen, habe eine nagelneue Jeans an, einen schicken Pullover, auch neue Turnschuhe. Auf dem Paket das mir Kroker hingelegt hatte, lag ein Zettel.
„Für dich lieber Beno, damit du in ein neues Leben starten kannst. Mit einem neuen Outfit, fühlt man sich gleich wie ein neuer Mensch. Deine alten Sachen, lege in einen Koffer, als Erinnerung an ein Leben das du nie wieder leben möchtest. Ich habe Kroker, reichlich Sachen für dich gegeben. Eine Spende, zum Teil von neuen als auch gebrauchter Anziehsachen, von meinen Kollegen und mir, für dich zu Weihnachten. Alles Gute für dich, einen guten Start ins neue Jahr 1995. Wünschen dir Charlotte und Kollegen.“
Fassungslos habe ich die Karte gelesen. Gibt es wirklich Hoffnung für mich? In der Küche sitzt Heinz Kroker, mit seiner Frau am Tisch, bei einem Glas Wein, wartet auf mich, mit dem Abendessen. Pfeifend werde ich begrüßt.
„Wow…“, kann sich Heinz Kroker nicht verkneifen, zu sagen. „…unter dem Pelz, gibt es ja ein richtig nettes Gesicht. Es ist etwas an dem Spruch dran, der heißt ‚Kleider machen Leute.‘ So gefällst du mir besser.“, erklärt er mir schmunzelnd. „Komm setze dich, so wie du aussiehst, hast du bestimmt Hunger. Das hier ist Inge, meine Frau, die beste Köchin auf der Welt.“, damit gibt er ihr einen Kuss.
Seine Frau steht auf, hält mir die Hand hin. „Hallo Beno, herzlich willkommen, auch von mir. Ich hoffe wir kommen gut miteinander aus.“
Ich nehme ihre Hand. „Das hoffe ich auch. Hoffentlich, enttäusche ich sie nicht.“, zu mehr bin ich nicht in der Lage, mir schnürt es die Kehle zu. Ich kämpfe gegen meine Emotionen. Doch es gelingt mir nicht. Mit Tränen in den Augen, starre ich diese mir fremden Menschen an.
Kroker schüttelt den Kopf. „Das glaube ich nicht. Beno, lasse mal das olle Sie weg, wir sind hier eine Familie. Das ist hier ein Familienunternehmen. Wir sind nur zu sechst. Also ich bin der Heinz, das ist die Inge, sie ist meine Sekretärin und wir sagen du. Schließlich sitzen wir an einem Tisch. Geht es dir gut, geht es uns gut. Wem es gut geht, der kann gut arbeiten, ist mein Motto. Also, lass es dir schmecken.“
So bekam ich, ein neues Leben, zu Weihnachten. Wer kann das schon von sich sagen. Hoffe so, dass es noch vielen, ebenso ergeht. Die Hoffnung, bleibt bis zum Schluss…
Tag der Veröffentlichung: 23.11.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Allen die einfach einmal darüber nachdenken wollen,
was Weihnachten für ein Fest ist.
Das Fest der Nächstenliebe,
denjenigen etwas geben,
die noch weniger haben als wir selber.
Vielleicht hilft es, dass auch nur einer der auf der Straße lebt,
zu Weihnachten, eine warme Mahlzeit bekommt, sich duschen und
sauber anziehen kann. Dann habe ich erreicht was ich möchte.
Nicht allen kann man helfen aber wenn wir einzelnen helfen,
tun wir mehr als dieses Land für seine Obdachlosen tut.
Lg eure Autorin