Cover

Copyright

 

 

 

 

Der Roman, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung Autorin unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Die Personen und Handlungen in dieser Geschichte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Teil 1 ... Die Hundert

Teil 2 ... Team 98

Teil 3 ... Die letzten der Hundert

 Teil 4 ... Horror fürs Team

 Teil 5 ... Kahlyns Neubeginn

... Teil 6 ... Kahlyns Wut ...

 

 

 

 

 

Impressum: 1. Auflage 2012

Mail: feenwinter@freenet.de

© Cover-Gestaltung: Katja Neumann

© Grafiken: Katja Neumann

Lektorat: Katja Neumann

Layout, Design: Katja Neumann

Letzte Überarbeitung: 11.Juni 2017

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Ein Blick zurück...

Kahlyn kommt zu Beginn des sechsten Teiles und vorerst letzten Teil, dieses Romans endlich bei den Runges an. Erlebt als erstes eine riesige Überraschung. Sie begreift für wie viele Menschen sie in der kurzen Zeit in Gera wichtig geworden war. Sie lernt Schritt für Schritt mehr das normale Leben kennen und auch für die Runges wird es langsam etwas ruhiger.

 

 

 

Aber auch die Runges müssen verstehen lernen, wieso Kahlyn so misstrauisch gegen über allen anderen Menschen ist. Langsam begreifen vor allem Jo und Viola Runge, wieso Kahlyn niemanden an sich heran lässt und wieso Kahlyn immer wieder von ihrem Misstrauen Fremden gegenüber eingeholt wurde. Die Kinder der Runges, haben keinerlei Problem, Kahlyn so zu akzeptieren wie sie ist und nehmen alle Problem, die durch sie entstehen an, so wie sie halt sind. Als lösbar. Kahlyn lernt aber auch viele neue Freunde kennen und begreift langsam, dass sie völlig umdenken muss.

 

 

 

Kahlyn wir in diesem Teil aber auch Selbstbewusster. Sie lernt sich durchzusetzen und lernt auch einmal zu sagen, nein das will ich nicht. Aber, wie es nun einmal so ist, auch das Erlernen von Selbstbewusstsein fordert seinen Tribut. Man darf nicht vergessen, dass Kahlyn ja noch nicht einmal ein viertel Jahr in dieser ihr so fremden Welt lebt und auf der neuen Dienststelle ist.

 

 

 

Die Kollegen der neuen Wache erkennen bald, das immer wenn sie denken, jetzt kennen sie Kahlyn endlich etwas genauer, ihr neue Kollegin eine neue Überraschung für sie bereit hält. Sie stellen fest, dass sie noch lange nicht ahnen, was ihre Kollegin wirklich zustande bringt. Sie lernen Fähigkeiten von Kahlyn kennen, die ihnen den Atem nehmen und mehr als nur Angst einjagen und müssen begreifen lernen, dass Kahlyn in dieser ihrer Welt aufs äußerste gefährdet ist. Dass sie als Kollegen eine Verantwortung Kahlyn gegenüber übernehmen müssen, die ihnen bis zum Einsatz in Rostock nicht klar war.

Es kommt zu schlimmen Auseinandersetzungen, nicht nur mit den Kollegen der Wache, sondern auch mit ihrem Oberst und mit ihrem neuen Freunden auf der Wache. Diesmal läuft Kahlyn zwar nicht weg, aber sie will Gera für immer verlassen. Wieder einmal beginnt der Kampf um Kahlyn und ihr völlig verdrehte Denkweise. Immer noch haben die Kollegen der Wache nicht begriffen, dass Kahlyn nie jemanden etwas Böses tun würde, sondern alle nur beschützen will. Es spielt dabei keine Rolle, wann, wie und was sie tut. Die Sicherheit ihrer Kollegen stellt sie immer über ihr eigenes Wohl. Kahlyn bekommt sich aber auch mit ihrer besten Freundin Rashida in die Haare und die Kollegen der SEK Teams werden einmal mehr feststellen, dass sie noch lange nicht wissen, zu was diese Kinder wirklich fähig sind.

 

Aber ich denke ihr solltet selber lesen, was passiert, wenn ich hier alles schreibe, braucht ihr das Buch ja nicht mehr zu lesen.

 

Viel Spaß eure Autorin

Erinnert euch ...

Seine Körperwärme tat mir allerdings gut. Sein gleichmäßiges Atmen, half mir schneller aus dem Anfall heraus zu kommen. Langsam entspannte sich mein Körper, der Anfall war vorbei. Erschöpft schlief ich in Rudis Armen ein.

Rudi hatte es allerdings böse erwischt. Nur mühsam konnte er noch atmen und presste seine Hand, auf eine große Wunde am Bauch. Nur mühsam blieb er bei Bewusstsein. Mit der anderen Hand streichelte er mein Gesicht, mit der anderen versuchte er die Blutung zu minimieren. Flüchtete sich in die Taijiatmung, um die Schmerzen besser zu ertragen und versuchte mit der Selbstkontrolle die Blutung unter Kontrolle zu bringen, was ihm allerdings nur teilweise gelang. Die Taijiatmung half ihm nur bedingt, das Atmen fiel ihm immer schwerer. Eine gute Stunde später, wachte ich von einem röchelnden Geräusch auf und sah nach oben. Erschrocken sah Rudi über mir, mit dem Rücken an der Wand lehnend. Ich konnte meinen Major nicht begreifen, warum setzte er sich solcher Gefahren aus.

„Warum bist du zu mir gekommen?“, wollte ich von ihm in Gedanken wissen, weil ich noch nicht sprechen konnte.

„Weil du meine Hilfe brauchtest … Mir macht es nichts aus … wenn du anders bist … Ich kann … dich doch nicht … alleine leiden lassen … zusammen … schaffen … wir alles“, antwortete er mir auf die gleiche Weise, mühsam atmend.

Erst jetzt sah ich, dass sein ganzes Gesicht geschwollen war. Einen schlimmen Schlag hatte er abbekommen. Er tat mir so leid.

„Komm“, bat ich meinen Freund und stand auf.

Half Rudi auf die Beine. Ihn stützend ging ich zurück, zu meiner Pritsche. Dort legte ich ihn hin. Rudi konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Sofort holte ich meinen Medi-Koffer, um ihn zu versorgen.

Meinen Major hatte ich schwer verletzt. Kaum dass Rudi lag, hatte er schon das Bewusstsein verloren. Schnell versorgte ich seine schlimmsten Wunden. Rudi war kurz vor dem Verbluten. Eine große offene Bauchwunde, bei der eine Arterie verletzt war. Vier gebrochene Rippen, von denen eine in die Lunge gestoßen wurde. Deshalb röchelte er so schlimm beim Atmen. Er war kurz davor, an seinem eigenen Blut zu ersticken. Zum Schluss versorgte ich noch sein Gesicht. Das ob ich wollte oder nicht, tüchtig blau werden würde. Das konnte ich nicht verhindern. Den gebrochenen Unterkiefer, konnte ich richten und auch ausheilen, ebenfalls die Kratzspuren in seinem Gesicht. Nach dem ich fertig war, setzte ich das Krantonak ein. Nicht nur um das Blut in seinen Lungen aufzulösen, sondern auch, um die Brüche auszuheilen und eine Narbenbildung zu verhindern. Fast eine dreiviertel Stunde brauchte ich, um mich von den Krantonak zu erholen. Kämpfte mich so schnell es ging, wieder ins Bewusstsein zurück, obwohl ich noch hätte Erholung gebraucht. Aus lauter Angst, um meinen Major. Zum Glück und zu meiner großen Sorge, war Rudi noch ohne Bewusstsein, als ich erwachte. Schnellstmöglich spritze ich ihm fünf Einheiten des Heilers F28, dann hochdosiertes Schmerzmittel. Eins mit Langzeitwirkung, das B97, aber auch ein Mittel, das sofort die starken Schmerzen unterdrückte. Von dem B32 spritzte ich ihm ebenfalls zehn Einheiten, damit er wieder zu Bewusstsein kam. Ich hätte können Schreien vor Wut. Immer wieder fragte ich mich, warum war er zu mir gekommen. Ich war doch extra weggegangen, um ihn nicht zu gefährden. Ich verstand das alles nicht. Langsam kam Rudi zu sich. Ich beobachte ihn genau. Er war völlig desorientiert und noch ganz benommen...

Kapitel 1

"Bin ich jetzt tot oder lebe ich noch?", flüsterte Rudi leise, weil er durch die Dunkelheit, keinerlei Orientierung hatte.

Völlig geschafft lag er auf meinem Bett. Rudi versuchte krampfhaft, die in sich aufkommende Panik zu unterdrücken und suchte tastend nach meiner Hand, die ich ihm gerne reichte.

"Du lebst gerade noch, Rudi. Warum bist du zu mir gekommen? Ich hätte dich töten können", wollte ich wütend von ihm wissen.

Trotzdem drückte ich ihm fest seine Hand und streichelte sein blutunterlaufenes Gesicht. Rudi schluckte schwer und versuchte sich mühsam zu konzentrieren, um sich mein Gesicht vorzustellen. Es war so schwer mit jemanden zu sprechen, den man nicht sah.

"Ich wollte, dass du weißt, dass mir egal ist, was mit dir geschieht. Dass ich auch für dich da bin, wenn du dich anders anfüllst als sonst. Kleene du hast so geschrien, ich wollte dir helfen. Ich kann doch nicht zulassen, dass du so leidest. Ich will immer für dich da sein, auch wenn du gefährlich bist", flüsterte Rudi ganz leise.

Seine Augen suchten nach Halt, nach etwas, dass er sehen konnte. Doch da war nichts. Ich griff entschlossen nach meiner Brille, setzte sie auf und schob sie wie ich es mein Leben lang gemacht hatte nach oben in die Haare. Es wurde Zeit, dass ich ihn erlöste. Ich musste ihn hier heraus bringen, zurück ins Licht.

"Komm Rudi, versuche aufzustehen. Ich will, dass du aus diesem Raum kommst. Damit es dir besser geht."

Rudi schüttelte trotzig den Kopf. Kaum hörbar erklärte er mir, mit zitternder Stimme. "Ich komme erst aus dieser Dunkelheit, wenn ich weiß, dass du wieder mit mir nach Hause kommst. Sonst bleibe ich den Rest meines Lebens hier. Ich will und kann nicht ohne dich leben, meine Kleene."

"Bitte komme erst einmal ins Licht. Dann überlege ich es mir, das verspreche ich dir", bat ich meinen Freund.

Aber Rudi wollte unbedingt durchhalten, bis ich wieder mit nach Hause komme. Stur schüttelte er den Kopf. Er hatte nicht so gekämpft gegen diese Dunkelheit, um jetzt kurz vor dem Ziel aufzugeben und das Handtuch zu schmeißen. Er hatte diese wahnsinnigen Schmerzen nicht ausgehalten, damit jetzt alles für umsonst war. Ich verstand ihn ja. Aber ich konnte mich auch nicht erpressen lassen. Diese Dunkelheit, tat meinem Freund nicht gut. Er musste hier heraus, dann würden wir reden.

"Rudi, ich verspreche dir, ich denke wirklich darüber nach. Es bring doch nichts, wenn du dich diesen Qualen noch länger aussetzt. Wir reden im Hellen darüber, bitte. Was bringt es dir, wenn du mich so unter Druck setzt? Ich könnte ja sagen, nur damit du diesen Raum verlässt. Aber ich lüge nicht, ich habe noch nie gelogen und werde wegen dir nicht damit anfangen. Es ist wichtig, dass du wieder etwas siehst. Diese Dunkelheit zerstört dich, sie macht dich völlig fertig. Ich will nicht, dass du dich noch länger quälst."

Rudi war sichtbar erleichtert. Ich glaube ihn machte diese für ihn ungewohnte Dunkelheit, noch um vieles mehr zu schaffen, als ich überhaupt ahnte. Ich rief nach Struppi, weil ich ihn nicht sah. Der kam den Schwanz zwischen seine Beinchen gesteckt, unter einer Pritsche hervor. Schnell lief ich zu ihm hin und nahm ihn auf den Arm. Eilte zurück zu Rudi und half ihm aufzustehen.

"Komm, lass uns nach draußen gehen, hoch in Dokos Wohnung, dort kannst du dich waschen und frisch machen und dich im Hellen noch etwas ausruhen."

Rudi stand mühsam auf und lief humpelnd neben mir her.

"Was ist mit deinem Bein?"

"Es tut nur weh. Du hast mich vorhin einmal ziemlich heftig getreten. Ich glaube, es ist nichts schlimmes, meine Kleene."

"Warte bitte. Ich muss dich kurz loslassen, bleibe einfach stehen, ich will mir nur dein Bein ansehen."

Rudi blieb schwankend, auf dem rechten Bein stehen. Das linke Bein hatte er dabei völlig entlastet. Ich ließ ihn kurz los und machte einen Schritt nach vorn. Da sah ich schon was passiert war.

"Rudi, warte ich komme, setze dich bitte mal kurz hin. Ich habe dir die Kniescheibe weggetreten. Bitte, halte Struppi mal kurz fest. Ich bringe das gleich hier, noch in Ordnung. Das ist für mich einfacher und weniger anstrengend."

Rudi setzte sich mit meiner Hilfe auf den Boden und nahm Struppi auf den Arm. Mit einem gezielten Griff, drehte ich sein Bein und beugte es, schon war es wieder in Ordnung. Nach einem kurzen Aufschrei, atmete Rudi erleichtert auf. Da nun endlich der Schmerz aufhörte, der trotz der Spritzen, noch heftig war.

"Warum sagst du mir nicht, dass du Schmerzen hast Rudi. Hat das nicht auch etwas mit Vertrauen zu tun?", böse sah ich ihn an. Nur gut, dass er meine Blicke nicht sehen konnte.

"Ich hab das erst beim Laufen gemerkt, Kleene. Du hast aber Recht, mit dem was du sagst. Du siehst, ich bin auch nicht fehlerfrei. Entschuldige bitte."

"Hast du sonst noch Schmerzen, die ich übersehen habe?", erkundigte ich mich bei ihn jetzt vorsichtshalber.

"Ja, ich habe wahnsinnige Kopfschmerzen. Aber ich denke, das liegt an dem Stress und an dieser schlimmen verdammten Dunkelheit. Die macht mir wirklich zu schaffen, meine Kleene", gestand mir Rudi nun endlich.

"Dann komm, lass uns hier herausgehen, damit du wieder etwas siehst. Ich bewundere dich, wirklich sehr. Der Doko hat es hier, nie länger als zwei maximal drei Minuten ausgehalten. Du bist jetzt schon seit über zwölf Stunden hier. Also komm stehe auf", reiche ihm die Hand und half Rudi auf die Beine.

Ich nahm ihm Struppi wieder ab, damit er sich besser auf mich stützen konnte. Er war kaum noch in der Lage zu laufen, so fertig war er. Schritt für Schritt bewegten wir uns langsam auf die Tür zu. Rudi musste sich jeden Schritt schwer erarbeiten, da er ja absolut nichts sah. Ich würde ihn nicht hetzten, er hatte genug gelitten. Ich könnte ja die Tür öffnen, nur dann müsste ich ihn wieder alleine lassen, das wollte ich ihn nicht antun. Wir erreichten nach einigen wenigen Minuten endlich die Tür. Sofort schob ich mir meine Brille über die Augen. Im gleichen Augenblick als ich die Tür öffnete, atmete Rudi erleichtert auf. Denn durch die Notbeleuchtung war es richtig hell hier draußen.

"Endlich sehe ich wieder etwas. Wie hältst du es hier drinnen nur aus? Es ist die Hölle, so stelle ich es mir vor, lebendig beerdigt zu sein", brachte Rudi erleichtert hervor und war mehr als froh, endlich wieder etwas sehen zu können.

"Es ist dort drinnen für mich taghell, Rudi. Ich kenne keine Dunkelheit", erwiderte ich.

Langsam brachte ich ihn zum Fahrstuhl, der hoch in die Wohnung vom Doko fuhr. Der war allerdings durch die Codeänderung ausgeschaltet. "Rudi, ich muss die Sicherung für den Fahrstuhl erst wieder rein machen, die ist bestimmt rausgeflogen. Das passiert jedes Mal, wenn wir die Codes änderten."

"Lauf bitte nicht wieder weg, Kleene", Rudis Blicke brachten seine Angst genauso zum Ausdruck, wie das Zittern seiner Stimme. Er ließ sich einfach an der Wand runterrutschen.

"Nein, ich bin gleich wieder da", eilig lief ich nach vorn, um nach den Sicherungen zu sehen. Es waren alle ausgeschaltet, das verstand ich nicht. Eigentlich, springt nur die Sicherung vom Fahrstuhl heraus. Die arme Dika, saß jetzt die ganze Zeit ohne Strom da. Oh je, das gab richtigen Ärger. Es war jetzt auch egal. Ich schaltete alle Sicherungen wieder an und kehrte sofort zurück zu meinem Major. Wieder am Fahrstuhl angekommen half ich Rudi auf. Mein Freund sah wirklich schlecht aus. Trotz seines blauverfärbten Gesichtes, sah man die tiefen und dunklen Augenringe. Ihm schien es noch schlechter zu gehen, als ich vermutete. Wir betraten den Fahrstuhl und ich fuhr mit ihm nach oben in Dokos Wohnung. Seit fast zwei Jahren, hatte ich vom Hausmeister eine Generalkarte bekommen die das ermöglichte. Mayer hatte das nie erfahren, der wäre glaube ich ausgerastet, wenn er das wüsste. Aber es war notwendig, dass ich mich hier im Objekt frei bewegen konnte, da wir oft für den Doko und den Hausmeister Dinge richten musste. Durch diese Karte brauchte uns nicht immer jemand holen. Genutzt haben wir diese nur im äußersten Notfall, schon deshalb, damit Zimmermann keinen Ärger bekam. Auch der Doko hätte dann schlimmer Ärger bekommen, das konnte ich nicht zulassen. Kaum, dass die Fahrstuhltür auf gegangen war, rief ich nach ihm.

"Doko…"

Weiter kam ich nicht. Immer noch schwer atmend und stark schwankend, unterbrach mich Rudi.

"Kahlyn, dein Doko wohnt nicht mehr hier. Er ist vor einer Woche, in seinem neuen Haus gezogen, ungefähr acht Kilometer von hier."

"Warum ist er den weggezogen? Das ist doch sein Zuhause", ich verstand das nicht.

"Kleene, das Projekt ist geschlossen wurden. Alle die an diesem Projekt gearbeitet haben, sind wieder nach Hause gegangen. Nur du bist noch hier."

Erstaunt sah ich Rudi an. Ich winkte ab und half meinem Freund ins Bad, damit er sich duschen konnte. In der Zwischenzeit lief ich in Dokos Schlafzimmer und sah mich in dessen Schränke, nach brauchbaren Dingen um. Da lag noch einiges an Dienstbekleidung von Jacob. Also nahm ich für Rudi und mich Hosen, T-Shirts und Jacken heraus. Rudis, wie auch meine Sachen waren alle vollkommen kaputt und blutig. Rudi stand mit den Händen an die Wand gestützt, unter der Dusche und genoss es zu duschen. Erst jetzt sehe ich das volle Ausmaß dessen, was Rudi abbekommen hatte. Sein gesamter Körper war mit Hämatomen übersät. Verdammt, warum musste er auch zu mir kommen. Er musste wahnsinnige Schmerzen haben. Auch musste ich mir seinen Kopf, noch einmal genauer ansehen, dort gab es einige böse Hämatome. Deshalb hatte er diese schlimmen Kopfschmerzen.

"Rudi, ich hole schnell mal meine Sachen nach oben. Keine Angst ich komme sofort wieder", rief ich ihm zu und verschwand im Fahrstuhl.

Ich fuhr nochmals nach unten in unseren Raum. Holte meine Sachen und fand in meinem Spind, sogar noch Overalls, Unterwäsche, T-Shirts, Pullover und Jacken von mir. Auch brachte ich aus unserem Duschraum Handtücher mit, so dass wir uns abtrocknen konnten. Ich nahm alles mit nach oben, in Dokos Wohnung. Sofort räumte ich außer der Hose vom Doko, alles wieder ordentlich in dessen Schränke. Meine Hosen waren Rudi viel zu kurz. Die weiße Hose vom Doko, müsste ihm in der Länge einigermaßen passen. Sie war zwar zu weit, aber das kann man mit einem Gürtel richten. Nach einer halben Stunde, kam Rudi aus der Dusche. Ich half ihm dabei sich abzutrocknen, denn er konnte sich immer noch kaum bewegen und gab ihm eine saubere Turnhose von mir zum Anziehen.

"Rudi, bitte lege dich hin, schlafe eine Stunde. Da kann ich in Ruhe duschen und du kannst dich ein wenig erholen", ich sah die Angst in seinen Augen. "Rudi, ich verspreche dir, ich bin noch da, wenn du munter wirst."

Liebevoll, streichelte ich sein zerschundenes Gesicht. Rudi nickte, er konnte sich kaum noch auf den Füßen halten. Die letzten Stunden waren einfach zu viel für ihn gewesen. Ich half ihm ins Schlafzimmer und ins Bett. Kaum, dass Rudi lag, fing er an gleichmäßig zu atmen und fiel in den schnellen Schlaf. Bewies mir auf seine Art, dass er mir vollkommen vertraute. Darüber war ich sehr froh. Aufmerksam, kontrollierte ich noch einmal seinen gesamten Körper. Nicht, dass ich noch mehr Verletzungen, bei meiner ersten Untersuchung übersehen hatte. Es musste zu dem Zeitpunkt alles so schnell gehen und ich war noch gar nicht wieder richtig da. Zum Glück waren es wirklich alles nur Prellungen. Ich hatte keine weiteren schlimmen Verletzungen übersehen. Aus dem Medi-Koffer der im Bad stand, holte die Dose mit Hämlo-Salbe, die dafür sorgen würde, dass die Hämatome sich schneller auflösten. Vorsichtig rieb ich den schlafenden Freund damit ein. Zum Schluss kam sein Gesicht dran. So würden in wenigen Stunden, nur noch die frischen Narben am Bauch und an den Rippen an das Geschehen erinnern. Leider konnte ich nicht alles beseitigen, da mir einfach die Kraft dazu fehlte. Aber das war nicht schlimm, das würde ich irgendwann später, wenn es mir besser ging, noch beseitigen. Ich war so verdammt froh, dass nichts noch Schlimmeres passiert war. Ich nahm mir vor, nach dem Duschen mit Rudi zu schimpfen.

Jetzt musste ich mich erst einmal, um meinen völlig verstörten Struppi kümmern. Der hockte immer noch ängstlich in einer Ecke und sein Schwänzchen guckte an seiner Nasenspitze hervor. Eine Weile streichelte ich ihn sein Köpfchen und den Rücken. Vor allem, graulte ich ihm sein Bäuchlein, so fasste er wieder ein wenig Vertrauen zu mir. Tiere verspürten noch mehr Angst als Menschen, vor unserer Verwandlung. Sie konnten, so hatte ich das Gefühl, noch weniger Begreifen, was da geschah. Ich hoffte nur von ganzem Herzen, dass ich Struppis Vertrauen wieder gewinnen konnte. Dafür würde ich alles tun. Es war das zweitemal in einem so kurzen Abstand, dass ich ihn so verschreckte und zurückstieß und vor allem aber, in einer Art Schock alleine gelassen hatte. Das alles hatte sein Vertrauen vollkommen zerstört und es würde viel Zeit benötigen, um dieses Vertrauen wieder aufzubauen.

Endlich konnte ich auch duschen gehen. Zum zweiten Mal in nur drei Tagen heilte ich meine Hände und mein Gesicht. Dadurch, dass mir Rudi durch seine Nähe geholfen hatte, war ich eher aus dem Anfall zurück gekommen. Es war deshalb nicht ganz so schlimm, wie bei dem Anfall, den ich bei den Runges hatte. Lange stand ich unter der Dusche und konnte mich etwas entspannen.

Nach über einer halben Stunde, drehte ich die Dusche ab und trocknete mich ab. Die Handtücher, unsere schmutzige und kaputte Kleidung warf ich in den Wäscheschacht. Nach dem ich alle persönlichen Dinge entnommen hatte. Anschließend cremte auch ich mich mit der Hämlo-Salbe ein und zog ich mich wieder sauber an. Ich nahm mir meinen Struppi auf den Arm und legte mich neben Rudi ins Bett. Ich war völlig fertig. Diese Anfälle kosteten mich immer wahnsinnig viel Kraft und von der hatte ich sowieso kaum noch welche. Meine Reserven waren alle aufgebraucht und neue konnte ich noch keine aufbauen.

Ich schaltete allerdings die Notbeleuchtung ein. Draußen war es schon ganz dunkel und Rudi sollte, wenn er munter wurde, das Licht sehen. Auf seinen Atem hörend schlief ich nur einige Zeit später ein. Ich merkte noch, wie Struppi an mir schnupperte, erst an meiner Hand, dann an meinen Hals und meinen Gesicht. So, als ob er sich davon überzeugen wollte, dass ich es wirklich war. Erst nach einigen Augenblicken, wurde er ruhiger. Er war sich jetzt wohl ganz sicher, dass dieses Monster von vorhin nicht mehr hier war. Auch, wenn ich noch ein wenig danach roch. Endlich rollte sich der kleine Kerl, entspannt vor mir zusammen. Ängstlich kuschelte sich der Welpe an meinen Bauch und ich glaube, wir schliefen gleichzeitig ein. Zufrieden, dass wir uns wieder hatten. Mir halfen die Wärme des Hundes und sein ruhiger Atem, mich zu entspannen. Langsam ging es mir etwas besser, hoffentlich hörte dieser Stress bald auf, denn davon konnte ich keinen mehr gebrauchen. Vorsichtshalber, programmierte ich mich darauf jede Bewegung zu beachten und fiel dadurch in einen nur sehr oberflächlichen Schlaf, der keine richtige Erholung brachte. Es dauerte keine halbe Stunde als ich wieder munter wurde, da sich Rudi bewegte. Erfreut stellte ich fest, dass er etwas besser aussah.

"Ach bin ich froh, dass es nicht mehr so dunkel ist", fiel Rudi ein Stein vom Herzen und ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass er erleichtert darüber war.

Ich beugte mich zu ihm hinüber und gab ihm einen Kuss. "Wie geht es dir Rudi?", erkundigte ich mich.

Wenn es Rudi nur halb so schlimm ging, wie er aussah, dann ging es ihm immer noch erbärmlich. Mein Freund hatte tiefe, fast schwarze Augenringe. Die letzten Stunden hatten ihn wahrscheinlich wahnsinnig viel Kraft gekostet.

"Mir geht es etwas besser. Mir tut zwar noch jeder Knochen weh, aber wenn ich dich sehe, meine Kleene, dann geht es mir gleich um vieles besser. Bitte sag mir eins, meine Kleene, was machen wir jetzt?"

Ich glaube, das war die Frage, die ihn nicht richtig zur Ruhe kommen ließ. Diese Ungewissheit, was mit uns oder besser gesagt mit mir nun werden würde, machte ihn vollkommen fertig. Ein Blick auf seine Armbanduhr sagte ihm, es war eine kaputte Uhr und er würde von ihr nicht mehr gesagt bekommen, wie spät es nun eigentlich ist.

"Tja, die sagt mir nicht mehr, wie spät es ist", stellte er sarkastisch fest und sah sich suchend nach einer Uhr um.

Nur, da würde er in Dokos Wohnung kein Glück haben. Uhren wurden hier völlig verbannt. Es gab in diesen Räumen nur eine einzige Uhr, das war Dika. Meine Dika Anna war sehr hellhörig, die hasste Uhren wie die Pest. Die würden immer so laut ticken, beschwerte sie sich immer beim Doko. Wenn man sie allerdings nach der Uhrzeit fragte, wusste sie immer wie spät es ist, genau wie wir Kinder.

"Rudi, es ist 22 Uhr 34, frage einfach mich oder Dika, wir sagen dir sofort wie spät es ist", gab ich ihm zur Antwort.

Jetzt musste Rudi lachen. Es freute mich, dass er wieder lachen konnte. Dann ging es mir auch gleich etwas besser.

"Also Kleene, was machen wir jetzt? Geb mir bitte mal einen Rat."

"Ich weiß es nicht", war eine Antwort die Rudi nicht zufriedenstellte, das war mir vollkommen klar. Ich war mir allerdings immer noch nicht im Klaren darüber, was ich tun sollte. Wie meistens, wenn es um mich selber ging, war ich hoffnungslos überfordert, was diese Entscheidung betraf. Ich wusste einfach nicht, was auf mich zukam, wenn ich wieder nach Gera fuhr. Auf der einen Seite würde ich gern wieder mit nach Hause fahren. Denn ich sah Gera als mein Zuhause an, nirgends hatte ich mich bis jetzt so wohl gefühlt. Auch wenn es oft dort Probleme gegeben hatte, so waren es ja doch meistens Missverständnisse die wir klären konnten. Allerding hatte ich auf der anderen Seite, Angst davor.

"Was ist, wenn die Runges mich nicht mehr haben wollen oder es wieder einmal passiert, dass ich einen Anfall nicht in den Griff bekomme. Rudi, ich komme nicht damit klar. Ich will nicht wieder alleine sein. Es tut so weh", versuchte ich meine Ängste in Worte zu fassen.

Etwas, dass mir unwahrscheinlich schwer fiel. Über Gefühle, hatte ich mich noch nie in meinem Leben äußern müssen. Bei meinen Freunden brauchte ich das nie tun, sie kannten ja meine Gefühle. Ich musste nie darüber sprechen, sie waren stets ein Teil von mir. Traurig sah ich meinen so ungewöhnlichen Vorgesetzen an. Immer noch konnte ich nicht begreifen, wie das alles passieren konnte. Wie ich zu einem Vorgesetzten, den ich gerade einmal zwei Monate kannte, solch ein freundschaftliches Verhältnis aufbauen konnte. Alleine schon die Worte Vorgesetzter und Freundschaft, passten nicht in die Vorstellung die ich vom Leben hatte. Mir kam es manchmal so vor, dass ich Rudi schon mein ganzes Leben lang kannte, genau wie John und die anderen. Ich verstand nicht, warum das so war und das verunsicherte mich total. Rudi griff nach meinem Gesicht und gab mir einen Kuss. Er setzte sich einfach in den Schneidersitz, mir gegenüber.

"Kleene, die Runges wollen dich. Auch, wenn es noch einmal passieren würde, dass du so schreist, würden sie dich nicht wegjagen."

Als ich etwas sagen wollte, schüttelte Rudi den Kopf und legte mir den Zeigefinger auf die Lippen.

"Kleene, hab doch endlich mal Vertrauen zu uns. Es war wirklich eine Verkettung von unglücklichen Missverständnissen, die dazu führten, dass du weggelaufen bist. Mit jedem Missverständnis, das passiert, können wir dich besser verstehen. Auch, wenn es nicht schön ist, wird die Gefahr mit jedem Mal geringer, dass du wieder etwas missverstehst. Nur musst du uns auch vertrauen. Verstehst du? Darf ich bitte den Anderen sagen, dass du wieder mit nach Hause kommst, oder wenigstens, dass es uns gut geht", bat er mich.

Nicht nur bei Rudi, sondern auch bei mir versuchen, John und Conny immer heftiger, durch die Notfalltüren zu kommen. Ich nickte und machte die Verbindung zu allen auf.

"Gott sei Dank, wir dachten schon, es ist euch etwas passiert", kam fast ein Schrei der Erleichterung von John. Der wohl diese Türen besser beherrschte, wie Conny. Für den das alles noch ziemlich neu war.

"Es geht uns einigermaßen gut. Bitte, lasst uns einfach noch etwas Zeit, wir müssen noch einiges klären. Bitte!"

Informierte Rudi die Anderen darüber, dass sie sich keiner Sorgen machen müssen. Diese reagierten zu unserer Freude sofort und schlossen die Verbindung wieder. Ich fand es lieb von ihnen und schloss ebenfalls die Verbindung zu den Beiden, ließ nur die zu Rudi offen.

Rudi sah mich offen an. "Also meine Kleene, was machen wir jetzt?", wiederholte Rudi seine Frage noch einmal.

Lange sah ich Rudi an und kämpfte einen verdammt schweren Kampf mit mir. Was sollte ich nur machen und vor allem, was sollte ich hier? Hier war niemand mehr, wie mir Rudi erklärt hatte und er hatte mich noch nie angelogen. Meine Freunde waren alle in Gera und meine alten Freunde, blieben für mich unerreichbar. Das wurde mir mit jeder Minute die ich darüber nachgrübelte klarer. Rudi hatte mir, mehr als irgendjemand anderes bewiesen, dass er zu mir hielt. Egal, was mit mir passieren würde. Er ertrug für mich Qualen und kämpfte sich zu mir durch, obwohl ihm alles hier so zu schaffen machte. Kroch auf allen Vieren, durch eine für ihn vorher nicht vorstellbare Dunkelheit, obwohl er wusste, dass ich ihn verletzen und sogar töten könnte. Was brauchte ich noch an Beweisen?

Die Runges, wie oft hatten wir uns missverstanden und wie oft hatte ich ihn in den letzten Wochen Unrecht getan. Aber sie waren immer ehrlich zu mir, hatten mich immer gut behandelt und waren nie nachtragen. Obwohl ich so oft Ungerecht zu ihnen war und ihnen Dinge vorwarf, die so nicht stimmten. Konnte es wirklich sein, dass ich wieder nur etwas missverstanden hatte. Dass ich völlig falsch lag, genau wie damals mit den Puppen?

Schritt für Schritt ging ich den Vorfall an diesen Abend, noch einmal durch. Versuchte mich an jede noch so unbedeutende Kleinigkeit zu erinnern, ließ für mich jede einzelne Minute noch einmal wie in einem Film durchlaufen. Plötzlich erinnerte ich mich an die Angst, in den Augen von Tim und Tom, als ich in die Küche kam. Aber auch, an das Entsetzen in den Gesichtern von Jenny und Viola. In meiner Erinnerung sah ich aber auch, das Gesicht von Jo deutlich vor mir, bevor er mich so anbrüllte. Diese drückte ein genau solches Entsetzen aus, wie das von Viola. Wie seine gehetzten Blicke über seine Kinder wanderten und wie auf einmal diese unsagbare Wut, in seinen Augen zu sehen war. Diese Wut war nicht von Anfang an da, sie kam plötzlich. Erreichte ihn wie eine Welle. Jo, war sich wahrscheinlich gar nicht bewusst, wie sehr er mich mit seinen Worten verletzen würde. Jo hatte einfach dieser Wut nachgegeben. Er musste Druck abbauen und hatte gehandelt ohne darüber nachzudenken, dass ich seine Worte missverstehen könnte, hatte er gar nicht vorausgesehen. Ich glaube Rudi war das bewusst und er war deshalb zu Jo gegangen, weil er ihn beruhigen wollte. Konnte ich ihm zum Vorwurf machen, dass er sich um seine Kinder und seine Frau sorgte. Nein, das Recht hatte ich nicht. Auch wenn er einen großen Teil der Schuld an dem trug, was dann geschehen war. Aber auch ich hatte Schuld. Rudi hatte Recht, wenn alle die Wirkung der Spritzen gekannt hätte, wäre es nie dazu gekommen.

Es nutzte nichts, über das hätte, könnte und wäre nachzudenken, wir mussten Klarheit schaffen und zu einem für alle vertretbaren Ergebnis kommen. Vor allem, musste ich auch ehrlich zu mir selber sein. An Jos Stelle, hätte ich wahrscheinlich genauso gehandelt und mich schützend vor meine Familie gestellt. Er reagierte nicht anderes, als ich, wenn es hier in der Schule Streit mit dem Oberstleutnant gab und es um meine Freund ging. Da hatte ich mich genauso verhalten, wie Jo an diesen Abend. Das konnte ich ihm nicht zum Vorwurf machen. Warum sollte ich also jetzt hier noch lange grübeln? Ich legte mich auf Rudis Oberschenkel und ließ Struppi auf mir herumturnen. Dann holte ich tief Luft.

"Rudi, wir machen es wie folgt. Ich komme erst einmal mit zum Doko. Dort werde ich mit Jo reden. Wenn ich merke, dass das alles nur ein Missverständnis war und Jo mich wirklich wieder haben will, komme ich wieder mit nach Hause. Ist das nicht der Fall Rudi, finden wir eine andere Lösung. In der ich nicht zu den Runges zurück muss. Ich komme dann auch mit nach Gera. Dann gehe ich aber in meine Wache, bis wir eine andere Lösung gefunden haben. Wenn der Polizeirat, damit einverstanden ist. Wollen wir das so machen? Das kann ich dir nämlich versprechen. Mehr Versprechen, will ich dir jetzt nicht geben. Ich will dich nicht anlügen oder die falsch Versprechungen machen. Denn ich halte immer mein Wort."

Das Lächeln und Strahlen, das in Rudis Gesicht erschien, sagte mir mehr als sein Nicken.

"Aber bevor wir zum Doko und den Anderen gehen, zeige ich dir erst noch mein altes Zuhause. Wenn wir schon mal hier sind, können wir diese Gelegenheit doch auch nutzen", erklärte ich ihm und sah ihn dabei erleichtert an. Vielleicht gab es ja für mich doch noch ein Leben, außerhalb dieser Mauern. Ich würde es mir so wünsche. Vielleicht gab es ja doch eine Familie, die mich wirklich haben wollte und die mich liebte, so wie ich halt war. Die mich auch mochten, wenn ich anders war. Ich würde alles dafür tun, um die Runges zu schützen. Aber ich glaube, Rudi wusste das jetzt. Am liebsten würde ich jetzt etwas schlafen. Meine Worte jedoch, spornten meinen Freund an. Ich denke er wollte nur hier heraus. Aus Angst, dass ich einen Rückzieher machen könnte. Woher sollte er auch wissen, dass ich immer zu meinen Worten stand. Wenn ich etwas sagte, tat ich das auch. Erleichtert beugte sich Rudi zu mir und gab mir einen Kuss auf die Stirn.

"Ich bin so froh, dass du das sagst. So verdammt froh. Kleene, ich kann mit allem leben, solange du nur wieder mit nach Gera kommst", glücklich strahlt Rudi mich an. "Du wirst es nicht bereuen."

 

Vorsichtig schob er mich von seinen Beinen. "Dann komm, zeig mir deine Schule", entschlossen blickte er mich an und stand vorsichtig auf. Das war trotzdem zu schnell. Schwankend ließ er sich wieder, auf das Bett plumpsen.

"Langsam Rudi, es hatte dich ganz schön erwischt. Gehe es langsam an. Ich werde dir auch noch einige Spritze geben, gegen deine Kopfschmerzen. Dein Kopf hat ganz schön was abbekommt. Du hast bestimmt eine leichte Gehirnerschütterung. Außerdem muss ich noch mit dir schimpfen."

Fragend sah mich Rudi an und blieb brav auf der Kante des Bettes sitzen. "Warum musst du mit mir schimpfen?", wollte er von mir wissen und sah mich dabei ganz deprimiert an, so dass ich lachen musste.

Aber ich wurde schnell wieder ernst und sah ihn traurig an. "Weil du zu mir gekommen bist. Rudi, das ist kein Spaß. Ich hätte dich töten können."

Als er etwas sagen wollte, schüttelte ich den Kopf.

"Rudi, was denkst du wie ich mich gefühlt hätte, wenn ich dich in dem Anfall ausversehen getötet hätte. Ich kann das nicht steuern. Es war verdammt knapp. Nur gut, dass ich nicht lange geschlafen habe. Eine halbe Stunde später, wärst du verblutet gewesen. Deshalb geht es dir auch so schlecht. Bitte, wenn ich weggehe von dir und den anderen, habe ich einen Grund. Es ist zu euren Schutz, nicht zu meinen", versuchte ich ihm zu erklären. Schnell stand ich auf und ging ins Bad, um den Medi -Koffer zu holen. "Rudi, ich habe dir vier Rippen gebrochen, eine davon steckte in der Lunge. Du hattest eine schlimme Bauchverletzung, bei der eine Arterie verletzt wurde. Dein Unterkiefer war gebrochen, deshalb siehst du so blau im Gesicht aus. Es war verdammt knapp."

Verwundert sah er mich an. Er schien, dass alles noch gar nicht realisiert zu haben. Ich half ihm auf und führte ihn zu dem Spiegel im Bad. Rudi schrak vor sich selber zurück.

"Oje, das sieht böse aus", stellte er trocken fest.

Wir gingen zusammen zurück zum Bett. Ich holte den Ampullen-Koffer hervor und zog fünf Einheiten, vom J12 auf, einem Mittel das die Blutregeneration fördern würde, aber auch noch einmal zehn Einheiten vom B32 dem Schmerzmittel. So dass er keine Schmerzen mehr hatte. Auch rieb ich ihm das Gesicht vorsichtig mit der Hämlo-Salbe ein. Es sah zwar nicht mehr so schlimm aus, wie vor Stunden, allerdings verfärbte es sich jetzt in allen Farbnuancen. Durch die Salbe wurden nicht nur die Schwellungen, sondern auch die Blutergüsse schneller abgebaut. Ich gab ihm und mir aber auch fünf Tscenns, Struppi bekam auch eine. Wir haben seit Stunden nichts gegessen. Schnell holte für Rudi ein Glas Wasser, er muss dringend etwas trinken. Denn das hatte er seit fast einen Tag nicht mehr. Dann half ich ihm beim Anziehen. Da er keinen Gürtel an seiner Hose hatte, mache ich ihm einen aus Binden. So dass ihm, die viel zu große Hose vom Doko passte.

"Na komm, räumen wir schnell auf, dann zeigst du mir deinen Schule, meine Kleene", schwatzte er immer lockerer werdend, einfach drauf los.

Meinem Major ging es sichtbar besser. Die Spritzen erreicht ihre Wirkung. Rudi konnte wieder besser atmen, da die Schmerzen erträglicher waren. Ich zog noch einmal fünf Einheiten B32 und J 12 auf und spritzte ihn nochmals nach. Damit die Blutregeneration zügiger voranschritt, dadurch konnte sein Kreislauf besser funktionieren. Auch hatte ich jetzt wohl die richtige Dosis des Schmerzmittels erwischt, die jetzt ein Niveau zu hatten in dem er schmerzfrei war. Froh, dass es Rudi wieder besser ging, machten wir das Bett und räumten das Bad auf.

Dann gingen wir zum Fahrstuhl, ich rief meinen Struppi, der kam lustig auf mich zugesprungen, immer wieder, schlug er mit den Hinterbeinchen aus. Als wenn er bockte. Rudi musste lachen, dann setzte der kleine Bursche sich vor uns hin und hielt sein Köpfchen schief, versucht zu bellen. Das klang so lustig, mit seinen gerade einmal elf Wochen, ging das natürlich noch nicht richtig. Es war eher ein Quietschen, als ein Bellen. Ich nahm ihn auf den Arm und biss ihn in sein Ohr. Bellen darf er nur, wenn eine Gefahr war. Hier gab es aber keine Gefahr.

"Struppi, nicht bellen, es ist doch keine Gefahr da. Du bist ein kleiner Dummer. Warum bellst du denn?"

Da drehte er sich in meinen Armen. Er wollte mir etwas zeigen, also ließ ich ihn nach unten. Er lief zum Fenster. Sofort sah ich, was er mir sagen wollte. Mein Struppi war kein dummer Hund, sondern er zeigte mir, dass da etwas nicht stimmte. Durch das Anschalten der Sicherungen, war es zu einem Kabelbrand gekommen. An einer Steckdose qualmte es wie verrückt.

"Rudi, bleibe hier. Ich mache die Hauptsicherung der Wohnung raus."

Ich wartete keine Antwort von Rudi ab und verschwand sofort in Richtung Fahrstuhl. Lief zu der neben den Fahrstuhl befindliche Tür und eilte die Treppe nach unten auf Ebene -2 und schaltete die Hauptsicherung der Wohnung vom Doko aus. Rannte wieder die Treppe nach oben und an die Steckdose, um nachzusehen, was dort passiert war. Durch das einstecken des Steckers einer Lampe hatten sich zwei falsche Kabel verbunden. Diese Isolierte ich mit einem Pflaster. Das war keine gute Sicherung, aber das hielt bis ein Elektriker sich das angesehen hatte. Ich ließ die verschmorte Steckdose offen und die verschmorten Teile auf den Tisch liegen. Zum Glück hatte Struppi uns das Schmoren der Dose gleich gemeldet. Fertig mit meiner Arbeit lobte ich meinen kleinen Freund, er hatte einen schlimmen Brand verhindert.

"Struppi, du bist nicht dumm. Du bist ein kluges Hündchen. Das hast du richtig gut gemacht", liebevoll kraulte ihn hinter den Ohren, genau wie Rudi, der Struppi auch lobte.

Wieder musste ich Rudi helfen, es war wieder dunkel. Diesmal jedoch, nicht so eine erdrückende Dunkelheit. Draußen lugte hinter den Wolken ab und zu mal der Mond hervor.

Kurz entschlossen fuhren wir nach unten in die Ebene -6. Ich wollte Rudi, ja alles zeigen. Die Ebene schwarz war unsere Schwimmhalle. Obwohl das nicht genau stimmte. Eigentlich war es eher ein Abenteuerbad, es gab hier verschiedene Möglichkeiten, des Trainings. Nichts, aber wirklich gar nichts, wurde in unserem Bereich, zum Vergnügen konstruiert. Alles hat einen Trainingscharakter und einen militärischen Nutzen. Wir gingen durch unser Bad.

Rudi sah sich staunend um. "Was ist das denn? Wieso hat man hier so ein Dreck hingemacht?", verwundert zeigte er auf ein Becken in dem sich lauter Schlamm befand. Dieses Becken war circa fünfzehn Meter lang und fünfzehn Meter breit, an der tiefsten Stelle war es sieben Meter an der flachsten nur drei Meter. Der Morast wurde aus einem richtigen Moor geholt und über eine spezielle Anlage aufgearbeitet. Auch waren am Beckengrund Saugvorrichtungen angebracht, um einen ähnlichen Effekte wie in einem richtigen Moor zu erzeugen.

"Rudi, das ist eine Nachbildung von einem Moor. Damit wir lernen konnten, wie man sich verhält, wenn man in einem Moor nach unten gezogen wird. Es ist sehr nützlich gewesen, einige von uns wären sonst in solchen Mooren ertrunken." Rudi sah mich entgeistert an und wollte etwas fragen, aber er ließ es lieber.

"Was ist Rudi?", wollte ich von ihm wissen, weil ich sah, dass er mit sich kämpfte.

"Ach nichts meine Kleene. Ich glaube ich will das lieber nicht wissen. Ich kann mir ehrlich nicht vorstellen, dass ihr das human gelernt habt."

Ich nickte, da hat er wohl recht. "Es war am Anfang schlimm, aber wir haben es schnell gelernt. Heute können wir damit umgehen, keiner muss mehr ertrinken. Am Anfang war das schlimm, da sind einige fast ertrunken und erstickt, weil sie in Panik geraten sind."

Rudi nickte, genauso etwas hatte er sich gedacht. Wir gingen weiter zu einem anderen Becken, das nur einen mal einen Meter groß war. "Was ist das für ein Becken?", interessiert sich Rudi.

"Ein Tauchbecken, in dem wir lernten unsere Luft anzuhalten. Sieh mal dort oben ist der Deckel. Wenn wir in das Becken mussten…"

Rudi unterbrach mich und schüttelte sich, weil er ahnte, was man mit uns gemacht hatte. "Sag mir bitte nicht, man hat den Deckel gesenkt, um euch im Wasser einzusperren?", ängstlich sah er mich an.

"Doch, aber es war nicht schlimm gewesen, am Anfang hat uns das nichts ausgemacht. Erst als wir vier Jahre alt waren, wurde es schlimm. Weil man uns dann oft, über eine Stunde in dem Becken ließ. Da war es dann ganz schön hart. Bei einer Stunde zehn Minuten lag bei fast allen die Grenze des Aushaltbaren. Danach ersticken die meisten von uns. Nur Rashida und ich, halten es länger unter Wasser aus. Bei Rashida sind es fast zwei Stunden, ich schaffe es über Wochen, wenn ich ins Jawefan gehe", erklärte ich Rudi.

Der konnte nicht fassen, was er da zu hören bekam. "Wie, das ist doch nicht dein Ernst?", entrüstet sah er zu mir. "Ich schaffe es gerade mal drei maximal vier Minuten, unter Wasser zu bleiben, aber dann bekomme ich schon Panik", erklärte er mir.

"Ich weiß, Doko hat mir das einmal erklärt. Aber ein paar Vorteile müssen wir doch haben. Von dem, was sie mit uns gemacht haben", achsenzuckend sah ich ihn an und lächelte ihn zu. "Rudi, es ist nun mal, wie es ist."

Weiter gingen wir zu einem langen Schwimmbecken, das fünfzig lang und zehn Meter breit war. Das allerdings seit Jahren nicht mehr genutzt wurde. Man sah es dem Becken auch an, alle Farbe bröckelte dort ab, es wurde auf Befehl von Oberstleutnant Mayer nicht mehr instand gehalten. Dort war schon seit fast elf Jahren, kein Wasser mehr drin. Es wurde nur zur Lagerung von Material genutzt und war bis vor kurzen immer abgedeckt gewesen.

"Warum ist das Becken so verrottet?"

"Tja, wie soll ich dir das erklären Rudi, es war nutzlos. Wir lernten, in diesen Becken das Schwimmen. Nur ist es so, dass dieses Becken, viel zu klein für uns gewesen ist. Wir schwammen einfach zu schnell. Es wurde bis zu unserem fünften Lebensjahr genutzt, danach hatte man das Wasser abgelassen, weil wir nur noch zum Spaß und zum Toben, dort hinein gegangen sind. Etwas, dass wir nicht haben sollten. Nachdem wir alle den Rettungsschwimmer bestanden hatten, wurde es nur noch als Lagerdepot genutzt", erklärte ich ihm.

Rudi blickte mich verwundert an. "Warum? Man muss doch weiter trainieren, um fit zu bleiben. Auch beim Schwimmen."

Ich lächelte meinen Freund an, es war immer unangenehm zu erklären, dass wir in vielen Sachen um so vieles besser waren. "Rudi, wir sind im Schwimmen, genauso schnell wie im Laufen. Diese Becken war einfach nicht groß genug gewesen, damit hatte man bei der Konstruktion dieser Anlage nicht gerechnet. Es wäre ungefähr so, als wenn du auf einer drei Meter Bahn schwimmen solltest. Es wäre sinnlos gewesen. Wir hatten es die letzten beiden Jahre, wirklich nur noch aus Spaß genutzt, um etwas herum zu albern. Mit drei Jahren schwamm ich eine Bahn mit zwei Zügen. Es war einfach zu klein."

Jetzt verstand es Rudi, doch überlegte er hin und her, ob er das, was ihn durch den Kopf ging, fragen sollte. Die Neugier war aber wohl größer. "Wie schnell schwimmt ihr denn?"

Ich zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht Rudi, auf alle Fälle können wir sehr schnell schwimmen, viel schneller als du es dir vorstellen kannst. Ich kann dir keinen Zahlen nennen, weil wir das noch nie ausgemessen haben, aber es ist um vieles schneller als ihr", leider konnte ich ihm keine genauere Antwort geben, ich wusste es wirklich nicht. "Komm lass uns hoch in die Turnhalle gehen, das wird dich bestimmt interessieren."

Mit einer kleinen weiteren Verzögerung, verließen wir den Bereich und gingen zu dem Fahrstuhl. Struppi sprang uns aufgeregt hinterher und war pitschnass.

"Na sag mal, wo hast du dich denn rumgetrieben?", fragte ihn Rudi verwundert.

Ich wandte mich zurück an eins der Regale und nahm ein Handtuch heraus, um ihn abzutrocknen. Schmiss es gewohnheitsgemäß in den Wäschekorb der neben der Tür stand. Gemeinsam fuhren wir nach oben, auf Ebenen lila, die das fünfte Untergeschoss war. Was Rudi dort sah faszinierte ihn sofort. Wir hatten diese Halle immer geliebt. An den Wänden waren hundert Sprossenwände verankert, entlang der Wände führte eine Laufbahn, die sich mit einem speziellen Belag von der übrigen mit Parkett ausgelegten Halle abgegrenzte. In circa sieben Meter Höhe, verliefen im Abstand von zehn Meter lauter acht Zentimeter starke Eisenstangen. Mittig in dem fünfzig Meter breiten und fünfzig Meter langen Raum lagen Matten die ebenfalls fest in den Boden eingearbeitet waren. Wie in all unseren Räumen wurden diese großen Flächen, nur von den Stützsäulen unterbrochen. Rudi war fasziniert von der Größe und der Einrichtung der Halle. In der es alles gab, was man sich als Sportler vorstellen konnte. Er wusste gar nicht, was er dazu sagen sollte. Fasziniert sah er auf unsere Kraftecke, wie wir den Teil der Halle nannten, in dem wir Krafttraining durchführten.

"Es ist eine schöne Anlage, nur in den letzen Jahren, hatten wir sie kaum noch genutzt. Wir hatten einfach keine Zeit mehr dazu. Wenn wir zu Hause waren, haben wir nur geschlafen. Außerdem, war sie viel zu groß für uns geworden. Aber, wenn du jetzt schon staunst, dann halte lieber deinen Unterkiefer fest, wenn wir hoch zu den Parcours kommen. Das wird dich noch mehr interessieren."

Entschlossen drehte ich mich um und lief wieder zum Fahrstuhl. Ich winkte Rudi zu, mir folgen. Als sich die Fahrstuhltür auf der Ebene -4 öffnete. Kaum hatten wir die Ebene gelb betreten, kullerten Rudi fast die Augen aus den Höhlen. Er konnte nicht glauben, was er hier sah, als wir den Raum betraten. Mein Major reagierte wie jeder andere der hier das erste Mal herein kam auch reagierte. Es war selbst für uns jedes Mal faszinierend, hier hereinzukommen. Der Raum war in zwei Ebenen unterteilt. Die gesamte Fläche der großen Parcourhalle, wurde nur durch die Stützsäulen unterbrochen. Der Raum war genau wie die Turnhalle fünfzig mal fünfzig Meter groß, allerdings circa sechsundzwanzig Meter hoch. Vollgebaut mit Hindernissen, die es zu überwinden galt. Der Kinderbereich als solches, war im Projekt der einzige Bereich der eigentlich sieben unterirdische Ebenen hatte. Dadurch, dass der Parcours sich über zwei Etagen erstreckten. Man brauchte die Höhe, um ordentliche Hindernisse einbauen zu können.

Rudi starrte mich an. "Kleene, was um Himmels Willen, ist das denn hier, ein Schrottplatz?", verwundert sah er sich um.

Innerlich lachend musste ich ihm recht geben, es sah auf den ersten Blick wirklich wie ein Schrottplatz aus. Es waren nicht nur alte Autos hier, sondern auch Stahlträger Betonwände.

"Nein Rudi", erwiderte ich ihn breit grinsend. "Das ist kein Schrottplatz, das ist unser Übungsparcours. Hier haben wir das kämpfen gelernt. Immer zwei Mannschaften gegen einander", fasziniert sah sich Rudi jetzt alles noch einmal genauer an.

"Das müssten wir haben. Da könnten wir echt gut trainieren."

Ich sah ihn an, grinsend machte ich ihm den Vorschlag. "Dann baue ich euch einen."

Rudi stutzte und schüttelte den Kopf. "Wie du baust uns einen?"

"Na ja Rudi, der Parcours der erst hier war, der war nicht so befriedigend. Der hat uns schon mit einem Jahr nicht mehr gefordert. Den hier haben wir uns selber gebaut. Das hier ist der letzte. Aber eigentlich sind die nie älter als einen Monat geworden. Dann, waren sie einfach zu langweilig. Wir stellten den Antrag auf Verbesserungen, aber leider hat man nicht alles genehmigt. Wir wollten immer einen bauen mit verschiebbaren Hindernissen. So dass man meinetwegen, die Hindernisse anders anordnen, in der Höhe verstellen oder in der Schräge verstellen konnte, mit Feuerfallen versehen und Wasserhindernissen. Aber, das wäre zu teuer gewesen. Deshalb hatte man das abgelehnt."

Rudi war vollkommen fasziniert von der Idee. "Kleene, wer hat die denn geplant?"

"Hauptsächlich ich. Aber ich muss dazu sagen, der größte Teil der Ideen stammte von mir, die Umsetzung hat aber unser Technikerteam übernommen. Du musst wissen, ich habe immer tolle Einfälle, aber absolut keine Ahnung, wie und ob man das überhaupt verwirklichen kann", verlegen sah ich zu ihm hoch.

Rudi fing schallend an zu lachen und hielt sich dabei die Rippen, die scheinbar schon wieder schmerzten. "Darüber müssen wir mal, mit dem Polizeirat reden. Jo, hat seit Jahren so etwas im Sinn, nur keine richtige Idee wie man das Umsetzten kann. Aber, was ihr hier aufgebaut habt ist sensationell", anerkennend sah er mich an.

Jetzt fing ich schallend an zu lachen und sah breit grinsend zu ihm hoch.

"Rudi, du redest anders, wenn du den einmal laufen musstest. Der hat es, selbst für mich ganz schön in sich. Aber ich kann euch helfen etwas Leichteres zu bauen, das ist kein Problem. Ich habe da noch viele Ideen. Aber glaube mir das Reale Leben, ist immer noch der bessere Lehrmeister", beendete damit das Thema.

Ich ging wieder zum Fahrstuhl. Struppi hatte ich dieses Mal lieber noch auf den Arm behalten, denn hier drinnen war es, für einen kleinen neugierigen Hund wie Struppi, viel zu gefährlich. Wir fuhren nach oben in die grüne Ebene, das dritte Untergeschoss. Kaum hatten wir den Fahrstuhl verlassen, ließ ich Struppi wieder nach unten, der gleich auf Erkundungstour ging. Selbst hier kam Rudi nicht aus dem Staunen heraus, denn es gab hier keinen Scheißstand im herkömmlichen Sinne, obwohl es auf dem Fahrstuhl so stand.

"Tja Rudi, das war einmal unser Schießstand. Ich weiß er sieht etwas anders aus, als ihr das gewohnt seid. Nur ist es so wie unten auf der Schwimmbahn, man hat bei der Planung nicht annähernd geahnt, was wir können. Einen Schießstand in dem Sinne hatten wir nie, denn wir bräuchten, um gefordert zu werden, mindestens zweihundertfünfzig Meter. Deshalb hat man hier drinnen mit uns, das Befreien von Geiseln trainiert. Durch gezieltes Töten, der Geiselnehmer. Es klingt vielleicht leicht, aber es ist so, dass hier in dem Raum über tausend Geiselnehmer und über siebenhundert Geiseln versteckt sind. Die Kombination, war immer eine andere, so dass wir wirklich jedes Mal, eine neue Situation hatten. Allerdings, wurde diese Anlage schon seit elf Jahren nicht mehr von uns genutzt. Das Wachpersonal machte hier seine Trainingseinheiten. Da es uns nicht wirklich mehr etwas brachte. Aber für euch, wäre das bestimmt eine gute Trainingsanlage", erklärte ich dem staunenden Rudi.

"Wie, die brachte euch nichts mehr, nach dem ihr fünf Jahre alt geworden seid?", irritiert sah Rudi sich um, er fand die Anlage fantastisch.

"Rudi, wir sind seit unserem dritten Lebensjahr, ständig im Kampfeinsatz gewesen. Glaube mir, das ist eine effektivere Übung, als das, was wir hier erlebt haben. Im realen Leben, warten die Geiselnehmer nicht an einer Stelle, bis sie erschossen werden", erklärte ich ihm lachend.

Rudi nickte, das konnte er sich vorstellen.

Ich rief Struppi, der sofort angerannt kam. "Na komm, sehen wir uns mal den Raum an, der dir so eine Angst gemacht hat."

Damit fuhren wir in die Ebene blau, den Wohn-, Schlaf- und Sanitärbereich von uns Kindern. Wir verließen den Fahrstuhl und gingen auf die Tür vom Wohn- und Schlafraum zu. Struppi wandte sich in meinem Arm und wollte dort nicht wieder hinein. Ich sprach beruhigend auf ihn ein, auch Rudi wurde ganz blass um seine Nase.

"Keine Angst ihr Zwei, ich mache Licht an. Nur vorhin ging das leider nicht, da die Sicherungen alle draußen waren."

Ich öffnete die Tür und zog die Karte durch den Schalter, um das Licht anzumachen. Denn seit vielen Jahren gab es bei uns keinen Lichtschalter mehr. Das Licht konnte nur mit einer Codekarte angemacht werden. Das hatte der Doko und der Hausmeister Zimmermann für uns engagiert, damit wir einen sicheren Ort hatten. Den in diesen Raum traute sich Mayer sehr selten hinein. Der einzige  Ort an dem wir selten von ihm Prügel bezogen.

"Jetzt begreife ich endlich, warum ich dich nicht finden konnte, der Raum ist ja riesig", verblüfft sah sich Rudi um.

Ich nicke, denn es stimmte, was er sagt. Dieser Raum, war für hundert Kinder konzipiert gewesen, er war fünfundzwanzig breit und fünfunddreißig Meter lang. Die dunkelgrünen Wände, zeigten noch Spuren der anderen Pritschen. Ursprünglich standen einmal dreiundachtzig Pritschen in diesen Raum, mit den dazu gehörigen Schränken. Erstaunt sah sich Rudi um, dann entdeckte er das viele Blut. Das teils von ihm und teils von mir stammt. Erschrocken holte er Luft.

"Ich sagte dir doch, es war verdammt knapp", zusammen gingen wir nach hinten zu meiner Pritsche. Dort entdeckte ich das Portemonnaie von Rudi. "Oh sieh mal, das hast du verloren", ich bückte mich, um es aufzuheben.

"Nur gut, dass wir noch mal hier reingegangen sind, eigentlich wollte ich das gar nicht."

Ich hielt es Rudi hin, der es dankbar annahm.

"Da hab ich aber Glück, ich habe alle Papiere in dem Portemonnaie, das wäre ein Spaß geworden. Danke Kleene", seine Erleichterung war ihm anzumerken.

Ich öffnete noch einmal in meinen Spind und sah nach persönlichen Dingen, doch es war nichts mehr darin, was ich hätte gebrauchen können. Also nahm ich am Wasserhahn den danebenhängenden Schlauch ab, um das Blut wegzuspülen. Ich mochte es nicht, wenn Unordnung war. Struppi versuchte den Wasserstrahl zu fangen, er war ein richtiger Strolch. Kurze Zeit später, war alles wieder in der gewohnten Sauberkeit. Nur unser Struppi war jetzt pitschnass, doch er schüttelte sich einmal richtig, schon war er wieder fast trocken.

"Dann komm, lass uns noch auf die 6/rot fahren und die Krankenstation begutachten", im gleichen Augenblick war ich auf dem Weg zum Fahrstuhl, um auch noch den letzen uns zugängigen Bereich zu zeigen. "Das ist der einzige Bereich mit Lichtzufuhr. Alle anderen Bereiche konnten von uns, auch ohne Brillen benutzt werden. Oft trugen die Ausbilder Nachtsichtgeräte, damit wir ohne Brillen agieren konnten."

Wir verließen den Fahrstuhl und standen sofort in der Krankenstation. Ein heller freundlicher Raum, offen zu dem angrenzenden OP-Saal und Verbandsraum. Die Krankenstation besaß auch einen Wintergarten, in dem sich Schwester Annas Arbeitsbereich befand. Anna war hier die Schwester für alles. Besuchte die kranken Angestellten, lieferte Medikamente aus, fertigte auch welche an. Sie war nicht nur Krankenschwester, sondern hatte sich im Laufe der siebzehn Jahre, auch zu einer Apothekerin ausbilden lassen. Damit man nicht ständig, die ortsferne Apotheke in Berlin bemühen musste. Sie war eine der wenigen Angestellten gewesen, die in den siebzehn Jahren, das Objekt verlassen durfte, da sie ihre Praktika in Berlin machen musste. Sie arbeitete hier vor Ort in zwei Apotheken, die eine befand sich oben in der Nähe der Mensa und dann die hier auf der Krankenstation.

"So Rudi, jetzt hast du alles außer unseren Baum gesehen. Also komm, jetzt zeige ich dir denn auch noch." Damit fuhren wir wieder nach unten auf die Ebene 6/blau.

"Wieso fahren wir wieder nach unten?", wollte Rudi wissen. "Rudi, es ist der einfachste Weg, nach draußen. Dann kann ich auch die Sicherungen wieder alle aus machen. Nicht, dass es noch mehr Brände gibt, wenn hier niemand mehr ist."

Wir verließen über die Gangway und die nach draußen, zur Landebahn, führende Tür, das Objekt und liefen in den Wald. Aber es war schon viel zu dunkel.

"Rudi es hat keinen Zweck, du siehst nichts mehr. Lass uns zum Doko gehen, es ist auch schon spät. Du bist bestimmt müde. Komm lass uns zurück gehen. Ich hole nur schnell unsere Sachen vom Doko."

Entschlossen gingen wir zurück in den Gang, zum Wohn-und Schlafraum von uns Kindern.

"Wartet einfach hier, ich laufe schnell hoch."

Damit drückte ich Rudi meinen Struppi in die Hand und lief durch die Verbindungstür nach oben. Kaum drei Minuten später stand ich wieder neben Rudi, der erleichtert aufatmete.

"Na dann komm, lass uns zu Doko gehen", sagte ich lachend.

Rudi sah mich ungläubig an. "Du kommst wirklich mit nach Hause?" erkundigte er sich, weil er es nicht glauben konnte. Ich nickte und bekam dafür sogar einen dicken Kuss.

"Du musst mir aber noch einmal vertrauen und mir durch einen dunklen Gang folgen. Es ist ein Gang, in dem es kein Licht gibt. Wirst du das schaffen, Rudi?" unsicher sah ich Rudi an, weil ich mir da nicht so sicher war.

Allerdings nickte er. "Ich folge dir. Kleene ich weiß, dass du mich beschützt", gab er mir sofort zur Antwort.

Also schnallte ich mir den Rucksack um und nahm Rudis Hand. "Komm", forderte ich ihn kurzentschlossen auf und drückte meine Hand gegen eine Wand, schon ging eine geheime Tür auf. Wir liefen hinein, sofort bemerkte ich wie Rudi schwerer atmete. "Rudi, es ist nur ein kleines Stück, rede einfach mit mir. Dann ist es nicht so schlimm."

Rudi versuchte sich zu beruhigen. "Du hast recht, meine Kleene. Es ist nichts. Aber ich glaube, ich war zu lange im Dunklen. Ich kann nichts dagegen machen. Sag mal, warum nutzen wir nicht den Gang, durch den ich herein gekommen bin", fragte er mich, weil ihn das irritierte.

Jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich wusste jetzt wie Rudi zu mir gekommen war. Durch einen unsere geheimen Tunnel, die er in meinen Erinnerungen gesehen hatte. Er muss wirklich alle meine Erinnerungen durch gegangen sein, denn diese Tunnel lösche ich aus meinen normalen Erinnerungen, sie sind in einem gesonderten Areal meines Gedächtnisses versteckt. Eine dieser Erinnerungen musste ich vergessen haben zu verschieben. Das war Pech und ließ sich nicht mehr ändern. Auf der anderen Seite war ich froh, dass Rudi diese Erinnerung gefunden hatte. Erleichtert dass ich keinen Fehler bei der Sicherung des Kinderbereichs gemacht hatte, lächelte ich Rudi an und erklärte ihm wieso wir diesen Bereich jetzt nicht mehr nutzen konnten.

"Wir haben einige Sicherungen eingebaut, Rudi. Der Gang kann nur einmal aller fünf Tag benutzt werden, wenn man die Zugangstür nicht gegendrückt. Ich glaube nicht, dass du das gemacht hast. Wird diese Sicherung nicht gedrückt, sperrt sich diese Tür automatisch für hundertzwanzig Stunden. Es gibt noch fünf andere Zugangstunnel. Die wir benutzen können, außer dem Tunnel, den wir jetzt benutzen. Aber die anderen Tunnel sind um vieles länger und nicht so einfach zu laufen. Außerdem führt uns dieser Tunnel genau zum Tor. Ich denke, dass dort auch noch Wachposten sind. Also mache dich, auf etwas Stress gefasst."

Informierte ich meinen Freund vorsorglich, dass es eventuell gleich Stress geben könnte. Dabei lief ich aber immer weiter. Rudi folgte mir unsicher, da er ja absolut nichts sah. Nach zehn Minuten, erreichten wir wieder eine Tür, ich öffnete diese über einen Codeschalter. Schon standen wir am Eingangstor des Objektes.

Rudi war froh, wieder aus dem Gang zu sein, erleichtert atmete er aus. "Kahlyn, ich habe noch nie Angst im Dunkeln gehabt. Was ist das nur. Seit heute, macht mir das Dunkle richtig Angst."

Beruhigend klopfte ich ihm auf die Schulter. "Rudi, es ist eine absolute Dunkelheit. So dunkel ist es normalerweise nirgends. Es gibt immer irgendwelche Lichtreflektionen, die ein Rest sehen ermöglichen. Mach dir keine Sorge, sollte es dich zu sehr belasten, kann ich das auch blockieren. Sage mir einfach Bescheid."

Sofort lief ich auf das Tor zu und öffnete das Tor.

Erschrocken sahen mich zwei Wachleute an. "Wo kommen sie denn her? Nehmen sie die Hände hoch", brüllte uns gleich einer der Wachleute an, der erschrocken auf uns blickte.

Da es nicht sein konnte, dass wir aus dem "Projekt Dalinow" kamen. Dass sie ja bewachen sollten und wir nicht offiziell hinein gegangen waren. Rudi konnte ihre Verwirrung gut nachvollziehen.

"Genossen Unterleutnant, nehmen sie bitte die Waffe runter. Ich weise mich sofort aus. Major Sender vom SEK Gera, ich suchte nach der jungen Frau hier, die weggelaufen war. Sie ist eine der Schülerinnen dieser Institution, kennt einige verborgene Wege hinein. Es besteht keine Gefahr für sie persönlich oder für das Objekt, dass sie bewachen sollen. Bitte beruhigen sie sich wieder. Moment bitte, ich zeige ihnen gleich mein Dienstausweis", vorsichtig griff er ganz langsam, nach hinten in die Hose und zog sein Portemonnaie heraus, hielt dem Kollegen den Ausweis hin.

"Trotzdem, bleibt die Frage Genossen Major, wie sind sie hier herein gekommen. Wir sollten das Objekt bewachen. Keiner von unseren Leuten hat sie eingelassen. Also wie kommen sie in dieses Objekt? Wir haben heute früh vier Leute eingelassen, die sind aber wieder herausgekommen. Also, wo kommen sie her?"

Rudi sah die beiden offen an, die ihre Waffen wieder gesichert und weggesteckt hatten. "Genossen, es gibt hier einige von den Kindern geschaffene Geheimgänge, die aber niemanden etwas nutzen, denn außer den Kindern und mir kommt dort keiner rein. Weil keiner weiß wie man die Türen öffnet. Machen sie sich da mal keine Sorgen. Auch, wenn die Gänge durch Zufall gefunden werden, kann niemand in das Objekt. Da diese durch einen komplizierten Verschlussmechanismus gesichert sind. Vertrauen sie uns einfach. Könnten sie mir bitte einen Gefallen tun?"

Immer noch skeptisch, musterte der Wachmann Rudi, doch dann vertraute er einfach, den ranghöheren Offizier. "Was kann ich für sie tun, Genosse Major?", fragte er offen.

"Könnten sie Kahlyn und mich, bitte nach Großschwansee fahren, zu Doktor Jacob. Ich bin ehrlich gesagt, am Ende meiner Kräfte. Ich habe keine Lust, noch fast neun Kilometer zu laufen oder holen sie uns einfach ein Taxi", brachte Rudi vor, was er sich wünschte.

Der Wachmann schüttelte den Kopf. "Genosse Major, hier gibt es keine Taxis. Das hier ist das Ende der Welt, wie ich immer gern sage. Wir haben hier auch kein Fahrzeug, wir werden gebracht und abgeholt."

Enttäuschst sah mich Rudi an. Ich hatte mir allerdings in der Zeit schon Gedanken gemacht. "Dann müssen wir Jo einfach bitten uns zu holen, frage doch John oder Conny."

Rudi schlug sich gegen seinen lädierten Kopf, was nicht so gut war. Er verzog schmerzvoll das Gesicht. Ich stellte den Rucksack nach unten, holte den Medi-Koffer hervor, dann den Ampullen-Koffer und zog eine neue Spritze mit zehn Einheiten B32 und J12 auf. Die letzte Injektion war schon einige Zeit her. Bei den schweren Verletzungen war es besser, nochmals nach zu spritzen. Ich ging auf Rudi zu und gab ihm noch eine Injektion. Nach einigen Minuten trat die Wirkung ein. Rudi atmete erleichtert auf. In der Zeit in der ich die Spritze aufgezogen hatte, kontaktierte Rudi schon Conny und John und bat um Abholung. Kaum fünf Minuten später, erschien der schwarze Wolga von Jo. Freundlich verabschiedeten wir uns von den Wachleuten, die unsere Personalien aufgenommen hatten. Auch gaben wir den Wachleuten Bescheid, von dem Kabelbrand in Dokos Wohnung. Dass man einen Elektriker bitten sollte, nach weiteren Defekten, in der Elektrik zu suchen. Beziehungsweise, den Objektschutz nach innen zu verlagern, um solchen Bränden vorzubeugen. Dankbar für diese Informationen, sah uns der Wachmann an und winkten uns hinterher.

 

Wir gingen auf Jo zu. Der sprang, kaum, dass das Auto stand, aus seinem Wagen und kam auf uns zu geeilt. "Kahlyn, meine Kleene, ich hab das doch nicht so gemeint, wirklich nicht", begrüßte er mich völlig aus dem Häuschen. Erst dann da er Rudi an. Erschrocken, wich er zurück. "Um Gottes Willen, Rudi, was ist denn mit dir passiert?", entfuhren ihm entsetzt die Worte, als er seinen Freund anblickte. Starte erst Rudi an und dann mich.

"Es ist meine…", weiter kam ich nicht.

"Nein Kleene es ist nicht deine Schuld, sondern meine. Jo, es sieht schlimmer aus als es ist. Lass uns erst mal zu Fritz fahren, ich bin total fertig, will mich irgendwo ausruhen. Wo es hell ist, auf einen weichen Stuhl setzen, etwas essen und vor allem trinken. Bitte Jo, ich bin kurz vor dem Verhungern und Verdursten und die Kleene bestimmt auch", spielte er seine Verletzungen einfach herunter, in dem er auf etwas anderes lenkte.

Jo sah noch einmal mich und dann Rudi an. "Kommt", bat er kurz, ohne noch etwas zu bemerken.

Aber ich traute mich nicht. Immer noch hatte ich ihm nicht völlig verziehen und vor allem seinen vorwurfsvollen Blick gesehen. Er gab mir die Schuld an Rudis Aussehen, ohne dass er wusste was geschehen war.

Rudi der mein Zögern bemerkte, sah mich ernst an. "Kleene, du machst schon wieder das, was du nicht machen sollst. Dinge in etwas hinein interpretieren, die so nicht stimmen. Komm bitte, wir klären das alles zu Hause, bei deinem Doko und deiner Dika."

Tief holte ich Luft. Rudi hatte ja irgendwo recht, ich machte es wirklich schon wieder. Ich musste mir das abgewöhnen. Also lief ich auf Rudi zu, der mir die hintere Tür des Autos aufhielt und selber mit einstieg. Jo fuhr sofort los, wir brauchten nicht einmal zehn Minuten zu dem neuen Zuhause, von Doko und Dika. Wir fuhren, die mit weißen Platten ausgelegte Einfahrt hinein und stellten den Wolga vor der Garage ab. Stiegen aus und schon fiel mir Dika um den Hals.

"Bin ich froh, dass es dir gut geht", wandte sich auch Rudi zu, ignorierte einfach sein Aussehen und gab auch ihm einen Kuss. "Dem Himmel sei Dank. Danke, dass du sie mir wieder gebracht hast. Wir hatten so eine Angst."

Doko, John, aber auch Conny, sahen Rudi entsetzt an.

Mein Major schüttelte nur den Kopf. "Bitte, ihr sagt jetzt nichts und lasst uns erst einmal rein gehen, ich falle gleich um, vor Hunger und Durst", bat er nochmals lachend und spielte sein Aussehen herunter.

Zum Glück gaben alle den Weg frei, damit wir das neue Heim von Doko betreten konnten. Neugierig sah ich mich um und ließ die anderen erst einmal vor gehen. Setzte Struppi auf den Boden, der sofort sein Geschäft machte.

Es war einfach schön hier. Gleich neben dem Haus befand sich ein kleiner See, aber es gab hier auch viel Grün, einige Bäume, Sträucher. Auch kleine  Felder mit Blumen und viel Rassenfläche. Das Grundstück hatte, eine sehr niedrige weiß getünchte Mauer, die nur ungefähr dreißig Zentimeter hoch war. Darauf standen kleine Türme. Jeder dieser Türmchen hatte ein mit schliffgedecktes Dach und standen aller zehn Meter auf dieser Mauer. Zwischen den Türmen befanden sich Kästen mit winterfesten rosafarbener Hortensie, die eine farbenfrohe lebende Mauer zwischen den Türmen bildeten. Es sah aus wie in einem Märchen. Die durchgehende Mauer wurde nur zweimal unterbrochen, einmal von einem mit weißen Platten ausgelegten Weg, der direkt zur Eingangstür führte. Der Weg war nur maximal drei Meter breit. Ein zweites Mal von der Einfahrt zur Garage und dem kleinen Parkplatz für die Patienten, die in einem Bogen zum Haus führte und ebenfalls mit weißen Platten ausgelegt wurde. Das Haus stand mitten in einem kleinen Park und nahe dem See. Es war einfach nur schön hier. Es war ein mit weißen Klinkern versehenes Haus, das ein Stockwerk hoch gebaut wurde, aber eine große Dachterrasse besaß, die nach Norden zeigte. Das Spitzdach war mit Schilf gedeckt, genau wie die Türmchen auf der Mauer. Die standen in einen eigenartigen Akzent zu dem neugebauten Haus. Neben der Tür, stand ein großes silbernes Schild, beschrieben mit schwarzen Lettern, das etwa einen halben Meter vom Haus entfernt und auf zwei dicken silbernen Säulen befestigt war.

"Praxis für Allgemein Medizin,

Chirurgie, Kinderheilkunde

Dr.rer.med.pharm. Fritz Jacob.

Apotheke Großschwanensee

Im Notfall immer klingeln."

Der liebe Doko, hatte wie immer vierundzwanzig Stunden am Tag, für seine Patienten auf. Ich hatte so manches Mal den Eindruck, dass er gar nicht mehr anders konnte. Doko hatte einfach ein zu gutes Herz. Langsam ging ich auf die weiße mit dicken Glasscheiben verzierte Haustür zu, in der immer noch meine Dika stand und mich alles in Ruhe ansehen ließ. Ich drehte mich um und rief nach meinem Hund.

"Struppi, komm, wir wollen rein gehen", sofort kam der kleine Kerl an getapst.

Dika konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Sie fand den Hund genauso süß wie ich. "Na mein Mädel, der Kleine hört ja aufs Wort."

Ich nickte und nahm ihn auf dem Arm, betrat den Flur. Links kam ich an einem Schild "Praxis" vorbei, rechts stand an einer Tür "Apotheke" Ich lief weiter und trat durch eine weitere Tür, mit dem Schild "Privat". Jetzt stand ich in einen großen Vorraum, von denen man das ganze Haus erreichen konnte. Die Praxis erreicht man, über eine Tür auf der linken Seite. Nach rechts ging es in ein Labor. Neugierig schaute ich dort hinein. Der Doko, wollte also weiter forschen. Erstaunt sah ich Dika an.

"Ja Kahlyn, dein Doko hört nicht auf zu forschen. Das kann er glaube ich nicht," erklärte sie mir lachend, als ich in den Raum sah. "Na komm", bat sie mich ungeduldig.

Geradeaus ging es in eine große Wohnküche und von dort aus kam man in den Wohnraum und auf die Terrasse, die in einen Garten, mit einem großen Schwimmbecken mündete, mit Blick auf den See. Rechts führte eine Treppe in den ersten Stock. Verwundert sah ich mich um, es war alles fast so, wie bei Doko in der Schule eingerichtet.

"Da staunst du mein Mädel, wir haben hier fast die gleichen Möbel, wie in der Schule. Die haben uns immer sehr gefallen. Deshalb haben wir es uns hier wieder so schön gemütlich eingerichtet. Bis auf ein paar kleine Abänderungen. Komm mit in die Küche. Ich mache dir einen Brei. Du hast doch bestimmt großen Hunger. Dünn bist du geworden meine Kleine. Wie ich dich kenne, hast du schon seit Tagen nichts gegessen."

Ich nickte wortlos, sah ich mich immer noch um. Ich fühlte mich hier gleich wie zu Hause. Wie oft, war ich oben beim Doko, es war immer schön bei ihm. Ich folgte Dika in die Wohnküche. Einem hellgelb gestrichenen Raum, mit Blick in den wunderschönen Garten. Küchenmöbeln aus Naturholz das lackiert wurde. Der Fußboden war mit sandfarbenen Fliesen belegt, in dem gleichen Farbton, wie der Fliesenspiegel. So dass die Küche hell und freundlich wirkte. Mitten in der etwa zwanzig Quadratmeter großen Küche stand ein großer Eichentisch, an dem zwölf Stühle standen. Dort waren all meine Freunde. Jo, John, Conny, Doko und Rudi, der bereits am Küchentisch saß. Erst einmal machte ich eine Runde um den Tisch und gab allen einen Kuss. Wobei ich bei Jo, erst einmal zögerte und mich dann aber doch dazu entscheide, ihm einen zu geben. Damit fertig, setzte ich mich neben Rudi an den Küchentisch und zog die Füße auf den Stuhl, schmusend lehnte mich an ihn. Auch die anderen setzen sich hin.

Es herrschte eine bedrückende Stimmung, alle starrten sie abwechselnd Rudi und mich an. Rudi weil er wirklich schlecht aussah und mich weil sie vermuten, dass ich dessen Aussehen verursacht hatte. Dika ging gleich an den Herd, bereitete für Rudi und mich erst einmal etwas zu Essen vor. Der Doko dagegen, reichte allen einen Kaffee. Dann setzte er sich ebenfalls an den Tisch und brachte zur Sprache, was alle interessierte.

"Sag mal Rudi, was ist denn mit dir passiert? Du siehst aus, als wenn du fünfzehn Runden gegen Muhamet Ali geboxt hättest", wandte er sich lachend an Rudi.

Der wollte über das Thema einfach nicht sprechen. Er hatte genügend andere Probleme, die wesentlich wichtiger waren, dass man sie klärte. "Mein Aussehen ist egal. Das gibt sich in ein paar Tagen. Sagen wir es einfach so, ich habe meine Nase in eine Sache gesteckt, die mich nichts angeht. Die Kleene trifft keine Schuld. Also fangt hier nicht an darüber zu diskutieren. Es gibt wichtigere Sachen die wir zu klären haben", hielt er den Anderen in einen keinen Widerspruch zulassenden Ton, vor die Augen.

Doko nickt, er ahnt bestimmt, was geschehen war, auch Dika verstand Rudis Argument. Jo der immer alles genau wissen wollte, konnte das so nicht gelten lassen.

"Rudi bitte, ich möchte wissen…"

Weiter kam Jo nicht, denn Rudi unterbrach ihn wütend. "Jo, genau das ist dein Fehler. Du machst es schon wieder, genauso hast du vor drei Tagen die Kleene in die Ecke getrieben. Du willst immer alles kontrollieren und alles ganz genau wissen. Wenn man es dir nicht genau erklärt, drängst du ein in die Ecke. Das funktioniert aber bei Kahlyn nicht. Akzeptiere doch einfach, dass es ist, wie es ist. Verdammt nochmal. Jo, ich habe das nicht alles durchgestanden, damit du das alles wieder kaputt machst. Versuche doch einfach einmal Kahlyn so zu nehmen, wie sie ist. Sie ist nicht Jenny, Tom oder Tim. Deine Kinder, kannst du kontrollieren, aber nicht Kahlyn. Behandele sie einfach so, wie du mich behandelst, als gleichberechtigten Partner. Sie ist nicht wirklich 16 Jahre alt, sondern eigentlich viel älter, behandle sie auch so. Du weißt, dass wir in unseren Anfangsjahren, einige massive Probleme hatten. Wir haben uns darauf geeinigt, dass du mich nicht mehr ständig kontrollierst. Damit, sind wir gut gefahren. Versuche das bitte auch mit Kahlyn, sonst zwingst du mich dazu, bei euch auszuziehen. Dann suche ich für Kahlyn und mich eine eigene Wohnung. Ich lasse nicht mehr zu, dass du sie ständig in die Ecke drückst. Noch ein paar solchen Anfälle halte ich nämlich nicht mehr aus. Ich gehe nicht nur körperlich kaputt, sondern auch psychisch. Die letzten Tage, vor allem aber die letzten Stunden, waren die Hölle für mich", ernst sah er seinen Freund an, der nicht begriff, was Rudi ihm da sagte.

Erschrocken sah ich Rudi an. Ich wollte nicht, dass er sich mit seinem Freund wegen mir entzweit. Ich hatte begriffen, dass Jo für ihn wichtig war. "Rudi, bitte wir finden einen Weg. Du hast mir erklärt, dass wir Zeit brauchen, um uns kennen zu lernen. Diese Zeit, braucht aber Jo auch."

Rudi sah mich traurig an. "Kahlyn, du hast zwar recht, aber ich halte viele solcher Tage nicht mehr aus. Jo muss begreifen lernen, dass es bei dir Sachen gibt, die er einfach akzeptieren muss. Wenn er das nicht lernt, ist ein Zusammenleben nicht möglich", erklärte er mir, sah dabei abwechselnd, von Jo zu mir.

"Rudi, warum lässt du unsere Freundschaft zerbrechen?", Jo sah traurig zu seinem besten Freund. Da er nichts von dem begriffen hatte, was Rudi versuchte ihm sagt.

"Jo, ich lasse unsere Freundschaft nicht zerbrechen. Du musst allerdings begreifen lernen, dass es Dinge im Leben gibt, die du nicht kontrollieren kannst. Kahlyn kannst du nicht kontrollieren. Sie musste sich all die Jahre, gegen diesen Mayer durchsetzen. Das hat sie zu einer starken Persönlichkeit gemacht. Einem willensstarken Menschen. Kahlyn weiß ganz genau, was sie will und was sie kann. Die jedoch unsere Welt nicht versteht und vieles falsch interpretiert. Ihr deinen Willen aufzudrängen, sie zu Sachen zu zwingen, die sie noch nicht kann, drängt sie in die Ecke. Du hast das bisschen Vertrauen, das wir seit dem 1. September bei ihr aufgebaut hatten, wieder vollkommen zerstört. Es hat mich viel Kampf gekostet, Kahlyn davon zu überzeugen, dass sie wenigstens mir trauen kann. Dass sie uns noch eine Chance gibt. Ich habe sogar mein Leben dafür riskiert, glaube nicht, dass ich zulasse, dass sie noch einmal verletzt wird. Ich liebe die Kleene mehr, als mein Leben. Du kannst von ihr nicht das erwarten, was du von uns erwartest, jedenfalls noch nicht jetzt. Vielleicht in ein oder zwei Jahren wird Kahlyn das alles verstehen, aber nicht jetzt. Jo, die Kleene ist noch nicht einmal zwei Monaten bei uns, woher soll sie wissen, wie wir denken. Sie muss erst lernen wie das hier alles läuft, dazu braucht sie drei Dinge. Zeit, Verständnis und vor allem unser Vertrauen. Wenn Kahlyn sagt, sie möchte auf ihr Zimmer gehen, dann sollten wir sie auch lassen. Sonst passiert das, was vor drei Tagen geschehen ist immer wieder", böse sah er Jo an, der ständig den Kopf schüttelte, nichts von dem wahr haben wollte, was Rudi ihm sagte.

"Rudi, zum Zusammenleben, gehört gegenseitige Rücksichtnahme…."

Rudi sprang jetzt ganz aus dem Anzug, seine überreizten Nerven, ließen es nicht mehr zu, dass er sich voll und ganz beherrscht. "Jo, genau das ist ja der Punkt. Du verlangst ständig, dass Kahlyn auf euch alle Rücksicht nimmt. Wer nimmt auf Kahlyn Rücksicht, auf ihre Bedürfnisse? Die ganz anders sind, als die Bedürfnisse die wir kennen. Überlege einfach mal wie Kahlyn ist, sie stellt ihre Bedürfnisse stets hinter die der anderen. Denke an das Bienchen, an Tim, an Ramira. Sag mir bitte, was weißt du über ihre Bedürfnisse? Ich weiß nur eins, sie will, dass es allen gut geht", wütend sah Rudi Jo an, jedes Wort hatte er leise gesprochen, allerdings merkte man jedem Wort die unsagbare Wut an, mit der es gesprochen wurde. Wut deshalb, weil Jo es einfach nicht begreifen wollte. "Jo, du hast Kahlyn vor drei Tagen auflaufen lassen. Nur, weil du ihr deinen Willen aufgezwungen hast, hat sie so geschrien. Statt sie nach oben in ihr Zimmer gehen zu lassen, zwangst du ihr ein Gespräch auf. Deshalb konnte sie einen Anfall in den sie hineingerutscht war, nicht abfangen können. So konnte sie nicht mehr in die Taijiatmung gehen, in dem sie diesen Anfall kontrollieren kann. Deshalb hat sie so geschrien. Du bist selber schuld daran, dass deine Kinder sich so erschrocken haben. Nicht Kahlyn trägt die Schuld daran, sondern einzig und alleine DU, mit deinem verdammten Kontrollwahn. Wie oft hat sie dir gesagt und dich darum gebeten, du sollt sie gehen lassen, beantworte dir diese Frage, ehrlich?", wütend sah Rudi seinen Freund an.

Jo schwieg, rief sich den Morgen, von vor drei Tagen ins Gedächtnis. Ein Satz von Kahlyn fiel ihm sofort ein, er hörte noch die verzweifelte Stimme. "Jo, mir läuft die Zeit weg. Es gerät außer Kontrolle, wenn du mich nicht nach oben gehen lässt." Hatte er wirklich nicht zugelassen, dass Kahlyn ihren Anfall kontrollierte? Müde stützte er seinen Kopf auf die Hände und starrte auf die Tischplatte. Rudi ließ seinem Freund die Zeit, die dieser zum Überlegen brauchte. Als die anderen etwas sagen wollten, schüttelte er den Kopf. Er kannte seinen Freund sehr genau, dieser brauchte Zeit zum Nachdenken. Fast zehn Minuten, grübelte Jo vor sich hin, jede einzelne Minute des Morgens, ging er durch. Er musste Rudi recht geben, er hatte Kahlyn wirklich nicht gehen lassen. Es war seine eigene Schuld.

Plötzlich gab sich Jo einen Ruck. "Kleene, es tut mir leid. Rudi hat vollkommen Recht mit dem, was er gesagt hat. Ich habe dir wirklich meinen Willen aufzwingen wollen. Aber mir war das nicht bewusst. Ist es wirklich so, dass du wegen mir, ungeschützt in einen Anfall gerutscht bist", fragend sah er mich an, die Angst vor der Antwort, stand in seinen Augen.

Was sollte ich sagen, lügen hatte ich nie gelernt, es würde doch auch nichts bringen. "Ja Jo, es ist wirklich so. Hättest du mich gehen lassen, hätte ich nicht geschrien. Der Anfall wäre zwar auch gekommen, aber ich hätte ihn über das Taiji, abfedern können."

Entsetzt sah mich Doko an. "Kahlyn, was für einen Anfall. Sag mir bitte nicht, dass du einen Ginobusanfall hattest?"

"Fritz, was ist los, warum …" "… siehst du Kahlyn, so entsetzt an?" fragten John und Conny gleichzeitig, wobei Conny die Frage fertig formulierte.

Fritz fuhr sich durch die Haar, genau wie Schwester Anna, die erschrocken zu mir sah. "Kahlyn, ich habe dich etwas gefragt", forderte Doko, eine Antwort von mir.

"Ja Doko, ein Ginobusanfall", antwortete ich leise und sah verlegen auf meine Finger, die anfingen zu spielen.

Doko sah Jo erschrocken an. "Jo, weißt du, was ihr für ein Glück hattet, ein unbeschreibliches Glück. Dass nichts passiert ist. Kahlyn, wie viel Einheiten vom N47 hast du dir gespritzt, dass das so glimpflich ausgegangen ist?", erkundigt sich mein Doko bei mir.

Ich druckste herum. Auch, weil ich wusste, dass der Doko gleich aus dem Anzug springen würde. Ich gab ihm deshalb sehr leise zur Antwort.

"Doko, fünf Einheiten, ich wollte auf Nummer sicher gehen. Ich musste es tun Doko, es ist einfach alles zu viel, zurzeit. Ich kann doch nicht zulassen, dass ich jemanden gefährte, nur um mich zu schonen."

Antworte ich ehrlich, obwohl ich wusste, dass ich gleich eine Standpauke von Doko bekommen würde. Der diese Injektion, hasste wie die Pest. Nicht nur einmal, sind unsere Leute daran fast gestorben. Aber damit konnte ich leben, die Sicherheit der Runges und Rudi, war wichtiger, als meine Gesundheit. Zum zweiten Mal erlebte Rudi, dass jemand deswegen ausrastet. Erst jetzt wurde ihm vollkommen bewusst, wie schlimm diese Injektion sein musste. Dass Doktor Jacob so ausrastete, hat er selten erlebt.

"Kahlyn, du hast sie doch nicht mehr alle", schrie er mich an, mehr bekam mein Doko, einfach im Moment nicht heraus.

Er stand auf und lief sich die Haare raufend, in der Küche hin und her, viel zu aufgebracht über das Gehörte, um klar denken zu können. Jo, John, Conny, aber auch Rudi sahen Fritz erschrocken an.

"Was ist los Fritz? Wieso hat Kahlyn, sie nicht mehr alle?", wollte Jo jetzt wissen.

Der ja nichts von den schlimmen Nebenwirkungen, der Spritze wusste, die ich mir vorsorglich gegeben habe. Mein Doko war jedoch nicht in der Lage zu reden, deshalb übernahm es Dika.

"Jo, dieses N47, ist das schlimmste Mittel, dass Kahlyn je erfunden hat. Glaube mir, sie hat einige schlimme Medikamente erfunden, um das Überleben ihrer Leute zu sichern. Fritz und ich, sehen aber das N47, als das absolut Schrecklichste an. Da es wahnsinnig schlimme Nebenwirkungen hat, die diese Kinder zwar zum großen Teil abfangen können. Aber trotzdem, ich glaube, in drei Fällen fast zum Tod führte. Kahlyn ist die einzige, die eine Injektion von fünf Einheiten aushält. Bei den anderen sind fünf Einheiten tödlich, doch mit dieser hohen Dosierung sind die Nebenwirkungen der Spritze, fast nicht auszuhalten. Es führt zu inneren Blutungen, welche die Kinder zwar kontrollieren können, aber trotzdem nicht ungefährlich sind. Die Kinder müssen Blut erbrechen, auch husten sie Blut, da sich ihre Lungen mit Blut füllen. Das Blut läuft aus den Augen, der Nase, den Ohren. Sogar die Haut fängt an zu bluten, dies alles sind noch die harmlosesten Nebenwirkungen", erklärte Dika meinen Freunden, die immer entsetzter zu mir sahen.

"Harmlos? Warum spritzt die Kleene sich das Zeug dann? Warum nicht das N91?", wollte Jo jetzt wissen. Er ahnte, dass wohl nichts Gutes dabei herauskommen würde.

"Um den Ginobusanfall kontrollieren zu können. Das N91 hilft bei diesem Anfall nicht, keins der anderen Präparate, hilft den Anfall zu kontrollieren. Unterdrücken, kann man den nicht. Dadurch, dass du sie hast nicht nach oben gehen lassen, Jo. Ist sie ungeschützt in diesen Anfall hinein gerutscht. Kahlyn tut mir so leid, es muss schrecklich gewesen sein für sie. Diese Anfälle, sind furchtbar. Wir haben einige davon erlebt. Ich hasse diese schlimmen Anfälle, die zum Glück nur selten vorkommen, doch ab und zu, unter seelischen Druck geschehen können. Kahlyn hat sich so hochdosiert gespritzt, um deine Familie und Rudi zu schützen. Aber bei diesen Anfällen, haben die Kinder unvorstellbare Schmerzen. Sie verwandeln sich in Wesen, die du dir nicht vorstellen willst. Die Wirbelsäule verkrümmt sich, die Rippen werden verschoben. Die Kinder können in diesen Anfällen nicht mehr stehen, sondern können sich nur noch auf allen Vieren vorwärtsbewegen, wie Tiere. Aus ihren Fingern kommen Krallen, die scharf sind wie Rasiermesser. Wenn sie jemanden gezielt schlagen, ist er auf der Stelle Tod. Die Füße verformen sich zu einer Art Klumpen. Ihr Gesicht verformt sich, wird schmaler, länger. Die Schädeldecke verformt sich, wird nach oben hin spitz. Wir wissen nicht, warum das so ist. Aber wir wissen, dass sie so, die perfekten Mördermaschinen sind. Wegen dieser Anfälle, sind die Mauern um die Schule so erhöht wurden, um die Bevölkerung zu schützen. Glaube mir, es macht dir richtig gehend Angst, diese Verwandlung zu sehen. Nur in der Taijiatmung, können die Kinder bei Bewusstsein bleiben, so ihr Handeln kontrollieren. Genutzt haben sie diese Fähigkeiten im Kampf nur, wenn man sie so in die Ecke getrieben hat, dass ein Überleben nicht anders möglich war. Ich weiß von Kahlyn, dass sie so im Kampf schon gefährlich sind. Aber wenn sie sich verwandelt haben, sind sie unbesiegbar. Das taten sie nur, wenn ihnen selbst mit der letzten Option, dem Tod des Gegners im Kampf, keine Aussicht auf das Überleben blieb. Wenn sie in dieser Gestalt kämpfen, sind sie Monster. Danach war keiner in der Lage das Kampfgebiet aufzuräumen, das mussten immer die Kinder selber machen. Es war der reinste Horrorschauplatz. In der Schule hatten wir am Anfang extra einen gesonderten Sicherheitsbereich gebaut, einen Raum von fünf mal fünf Metern, der eine Sprengung von zwei Kilo TNT überstanden hätte. Wisst ihr was das bedeutet? Zwei Kilo TNT, bedeutet eine Sprengkraft von fünfhundertsechzig mbar, bei siebenhundert mbar, stürzen Wohnhäuser ein. Damit ihr euch das besser vorstellen könnt. Es ist so, als ob man acht S-Minen, also Landminen, in dem Raum explodieren lässt. Eine dieser S-Minen hat eine Sprengkraft von zweihundertfünfzig Gramm TNT. Einen einzelne dieser Minen, tötet jeden im Umkreis von zwanzig Metern, bis zu einer Entfernung von hundert Metern haben diese Minen eine verheerende Wirkung. So sicher wurde dieser Raum gebaut. Trotzdem haben es die Kinder, bis zu ihrem dritten oder vierten Lebensjahr geschafft, aus diesen Schutzbereich auszubrechen. Jetzt sind sie noch wesentlich stärker. Könnt ihr euch vorstellen, was dazu für Kräfte notwendig sind?"

Entsetzen machte sich auf Jos Gesicht breit, ihm wurde bewusst, dass er mit seinem Vorgehen, alle gefährdet hatte. "Aber es ist nichts passiert, wieso?", fragte er fassungslos.

"Weil Kahlyn, mit diesen Anfällen besser umgehen kann, wie die Anderen. Sie kann sie besser kontrollieren, als die anderen Kinder. Sie hat einfach mehr Möglichkeiten. Sie kann sich, in das Jawefan flüchten, wenn sie es nicht schafft, in das Taiji zu gehen. Dort ist allerdings keine Schmerzkontrolle mehr möglich. Im Gegenteil, diese wahnsinnigen Schmerzen, werden dadurch noch um ein Vielfaches verstärkt. Zu der Verformung des Körpers, kommt noch die Muskelverkrampfung, die es ihr unmöglich macht sich zu bewegen. Jeder von euch, hat schon mal einen Wadenkrampf gehabt, stellt euch vor, ihr habt diesen Schmerz im gesamten Körper. Alle Muskeln in ihrem Körper, bekommen gleichzeitig Krämpfe. Sie kann in diesen Krampf kaum noch atmen. Schon gar nicht kann sie verhindern, dass sie schreit. Weil sie irgendwo, zwischen Bewusstsein und Bewusstlosigkeit gefangen ist. Erst, wenn sie wieder bei Bewusstsein ist oder in die Bewusstlosigkeit eintritt, hört das Schreien auf", Dika sah mich traurig an.

Ich nickte, sie hat es genauso beschrieben, wie es war. "Es stimmt, was die Dika sagt. Ich konnte es wirklich nicht mehr steuern, ich bin bloß froh, dass ich die Dosierung hoch genug gewählt habe, aber es war verdammt knapp, Jo", sagte ich ernst zu ihm.

Jo sah mich fragend an, traute sich aber nicht zu fragen, was wäre wenn. Dika ahnte allerdings, was ihn beschäftigte. Diese Frage stellte sie uns auch einige Male, als ich Zusammenstöße mit dem Doko hatte, wegen der gefährlich hohen Dosierung.

"Jo, du willst wissen, was wäre wenn?", wandte sie sich an Jo, der nickte zwar erst, schüttelte dann aber gleich wieder den Kopf, aus Angst vor der Antwort. "Ich kann es nach vollziehen, dass du es nicht unbedingt wissen willst. Aber ich denke du solltest es wissen. Damit du endlich eins begreifst. Dass, wenn Kahlyn sagt, sie möchte auf ihr Zimmer, dass das nur zu Eurem Schutz geschieht. Wenn Kahlyn die Dosierung nicht hochgenug gewählt hätte, wäre sie aus ihrem Zimmer ausgebrochen. Ich denke, sie hat die Tür und Fenster von innen verkeilt, damit ihr nicht in den Raum könnt. Kahlyn geht immer auf Nummer sicher, bei diesen Anfällen. Sie hätte die Tür, aber von innen öffnen können. Oder, was wahrscheinlicher ist, sie wäre einfach durch die Wand gegangen. Eine gemauerte Wand, ist in diesem Zustand kein Hindernis. Da stellen nicht einmal zwanzig Zentimeter starke Panzerstahlplatten ein Hindernis dar. Ihr hättet Bekanntschaft mit einer außer Kontrolle geratenen Kahlyn gemacht. Etwas, dass euch nicht sehr gut bekommen wäre. Ich denke, Rudi beweist das ganz gut", traurig sah sie Rudi an.

Fritz der sich wieder etwas beruhigt hatte, nickte bestätigend.

Rudi nickte ebenfalls. "Allerdings ist es nicht die Schuld der Kleenen. Ich bin zu ihr gegangen, beziehungsweise gekrochen. Um ihr zu beweisen, dass es mir egal ist, was mit ihr geschieht. Das ich immer zu ihr halten werde. Sie ist in die andere Ecke des Schlafsaales gegangen, doch ich habe sie trotzdem gefunden. Mir ist es egal gewesen, ob mir etwas passiert. Ich wollte ihr beweisen, dass sie mir immer vertrauen kann. Jetzt weiß ich, dass es falsch war. Aber heute Nachmittag, war es die einzig richtige Entscheidung, die ich treffen konnte. Es ist ja dem Himmel sei Dank, nichts Schlimmeres passiert. Die Blutergüsse verschwinden wieder."

Doko sah Rudi wie einen Geist, an. "Du hast das überlebt? Rudi, weißt du, was du für ein Glück hattest."

Rudi winkte ab, doch ich konnte das so nicht gelten lassen.

Von Jo, Conny, aber auch von John, kam die Frage. "Wieso gekrochen?"

"Fritz, das weiß ich jetzt auch. Kahlyn hat mir den Kopf schon zu Recht gesetzt. Aber sie hat so geschrien, was sollte ich denn machen? Ich habe doch nichts gesehen. Dort drinnen ist es so dunkel. Ich bin auf allen Vieren, tastend durch den Raum gekrochen, um sie zu finden. Ich habe die Kleene, eine halbe Ewigkeit gesucht. Mich nur an den Schreien orientieren können. Ich wollte ihr doch nur helfen. Erst als ich bei ihr war, merkte ich, was los war. Sie hatte es mir doch kurz vorher erst erklärt. Aber da war ich schon in ihrer Nähe. Zurück hätte ich, sowieso nicht mehr gefunden, also hab ich sie einfach in den Arm genommen. Klar hab ich einiges abbekommen. Aber ich lebe noch. Das ist doch das, was zählt", erklärte Rudi sein Verhalten.

"Nichts Schlimmes passiert Rudi? Nur einiges abbekommen?", rutschte es mir heraus, nun war es auch egal. Sollten die Anderen ruhig wissen, wie schlimm es wirklich war. "Rudi du hattest vier gebrochene Rippen, eine steckte davon in deiner Lunge. Dein Unterkiefer war gebrochen. Du hattest eine schlimme Bauchverletzung, bei der eine Arterie verletzt war. Dein Knie hätte ich dir fast zertreten. Hätte ich nur eine halbe Stunde länger geschlafen, wärst du jetzt Tod. Dein gesamter Körper, ist übersät mit Hämatomen", brachte ich ihm zur Erinnerung wie schlimm es war.

Doko schüttelte den Kopf. "Du hast wirklich Glück gehabt, Rudi. Verdammtes Glück", ernst sah mich Doko an, versuchte nicht an das zu denken, was hätte passieren können. "Wie lange, warst du denn dort in den Raum, Rudi?", wollte Doko jetzt von ihm wissen.

Rudi zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht, Fritz. Eine Ewigkeit. Ich bin sofort als ich im Objekt war, zu Kahlyn gegangen. Hab sie fast sofort gefunden. Struppi ist ein schlauer Bursche", fragend sah er mich an.

"Rudi, ich weiß nicht wie lange du schon da warst, bevor ich aufgewacht bin. Munter geworden bin ich, gegen 9 Uhr heute früh, raus gegangen sind wir kurz nach 21 Uhr. Also mindestens zwölf Stunden warst du in unseren Raum", erklärte ich ihm.

Rudi lachte. "Vorgekommen ist es mir, wie hundert Jahre", meinte er trocken.

Doko, wie auch Dika, starrten Rudi fassungslos an. "Du warst zwölf Stunden, in der Hölle", fragte Dika entsetzt Rudi.

Auch die Beiden waren ab und zu mal in der Dunkelheit, wenn jemand ausversehen die Tür verschlossen hatte. Da die Tür eigentlich nicht offenstehen durfte. Nur, wenn Dika und Doko bei uns waren, durften wir diese einmal offen lassen. Die Anderen, verstanden die Reaktion von Dika nicht.

"Was ist so schlimm an ein bissel Dunkelheit, Anna?", Jo musterte Dika und Doko, verwundert.

Anna erklärte es ihm. "Jo, es gibt verschiedene Nuancen der Dunkelheit. In den Räumen der Kinder, herrscht, absolute Dunkelheit. Nur so können die Kinder, auch mal ohne Brille sein", immer noch nicht begriffen die anderen, was das sollte.

"Dunkel ist doch dunkel", John schüttelte verwundert den Kopf.

Conny schüttelte den Kopf, Rudi holte tief Luft, wieder kam dieses bedrückende Gefühl, in ihm hoch. "Dunkel ist nicht dunkel John, das habe ich bis heute, auch nicht gewusst. Aber ich glaube Conny weiß, was ich meine. So stelle ich es mir vor, lebendigt beerdigt zu werden. Du siehst nicht einmal deine Hand, wenn du sie auf die Nasenspitze legst. John, du weißt ich bin kein Angsthase. Aber diese Dunkelheit, hat mich an die Grenzen, meiner psychischen Leistungsfähigkeit gebracht. Als die Kleene von mir weg ist, hatte ich das Gefühl, jeden Moment ersticken müssen. Ich dachte die Dunkelheit, verhindert das Atmen. Selbst jetzt, wenn ich nur daran denke, habe ich wieder das Gefühl, ersticken zu müssen. Du kannst dir das nicht vorstellen, es war schlimm."

Nervös rieb sich Rudi den Nacken, er kämpfte gegen seine Emotionen, gegen seine Angst, gegen seine Panik, die wieder nach oben wollte. Beruhigend, legte ich die Hand auf seine Schulter, langsam wurde es besser. John sah Rudi entsetzt an, so hatte er seinen Freund noch nie erlebt. Doko der sah, dass John es nicht begriff und sagte leise.

"Ich bin einige Male, in Situationen gerade. Dass die Kinder die Tür geschlossen haben. Es waren doch auch nur Kinder, die mal einen Schabernack treiben wollten. Da schlossen sie die Tür und zogen sich alle von mir zurück. Ich bekam nach zwei Minuten Schreikrämpfe, nach drei Minuten fiel ich einfach um. Da haben die Kinder mich erlöst. In all den Jahren, ist es nie besser geworden. Anna ging es genauso. Seit die Kinder wissen, dass sie uns damit richtig ängstigen können, haben sie das mit uns nie wieder gemacht. Nur wenn der Oberstleutnant, wieder mal auf hundertneunzig war und wutentbrannt den Kinderraum betrat. Dann schlossen sie die Tür. Aber ihm hat auch nie jemand geholfen, den Raum wieder zu verlassen. Sie haben ihn einfach auf dem Boden liegen lassen und sind durch eine Notfalltür, die in einen der geheimen Gänge führt, aus dem Raum verschwunden. Haben den Oberstleutnant, brüllend in dem Raum alleine gelassen. Das war ihre Art ihn zu bestrafen. Seit fast zehn Jahren, hat Mayer den Raum der Kinder, nicht mehr betreten. Dort waren die Kinder in Sicherheit vor ihm. Niemand von der Wachkompanie, war bereit ihm in diesen Raum zu folgen. Alle durch die Reih weg, hatten sie Panik, vor diesem Raum. Beim den Projektmitarbeitern, wurde er der Panikraum genannt. Das sagt wohl alles."

Mit ernstem Gesicht erzählte Doko das. Nur als er über den Oberstleutnant sprach, huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Jo lachte nicht mit den anderen, man sah ihn einen schweren Kampf kämpfend. Dann nahm er seinen Mut zusammen.

"Kleene, ich begreife jetzt, das ich total falsch gehandelt habe, kannst du mir noch einmal verzeihen. Ich werde versuchen, dass ich dich nie wieder so in die Ecke treibe. Aber ich bin halt oft so, dass ich alles genau wissen will. Das liegt wohl an meinem Beruf. Ich bin wohl einfach schon zu lange Polizist. Das nächste Mal, sage einfach zu mir. Jo ich bekomme einen Anfall. Wenn ich es anders nicht kapiere. Es tut mir so leid, das wollte ich nicht. Vor allem, weil ich dich dann noch angemeckert habe und dir die Schuld gab. Das obwohl die Schuld, ganz alleine bei mir zu suchen ist. Jetzt begreife ich auch, warum du so reagiert hast. Du wusstest gar nicht, warum ich dich so angemacht habe. Du hast ja alles versucht uns zu schützen. Hast unbeschreibliche Schmerzen, auf dich genommen. Ich dagegen habe deinen Schutz kaputt gemacht. Es tut mir so leid. Wirklich, kannst du mir noch einmal verzeihen", bittend sah er mich an.

Ich stand auf und lief auf ihn zu, gab ihm einfach einen Kuss. Dann ging ich wieder zu Rudi und nahm ihn in den Arm. "Klar Jo, ich verzeih dir, wenn du mir verzeihen kannst. Aber Jo, du musst dir darüber im Klaren sein, dass ich dir nicht versprechen kann, dass so etwas nicht noch einmal passiert. Das weiß ich nicht. Ich komme nur wieder mit zurück, wenn ich weiß, dass ich wirklich bleiben kann. Den zweiten Anfall bekam ich nur, weil ich mir vorgestellt habe, dass du mich nochmal wegschickst. Das halte ich nicht aus. Ich hab euch doch alle lieb. Aber ich kann doch nichts dafür, für das, was ich bin. Ich versuche ja mich schnell einzuleben und will euch alles recht machen, aber es ist oft so schwer. Ihr denkt so ganz anders als ich, oft weiß ich nicht, was ihr von mir wollt. Weiß oft nicht, wie ich es euch erklären soll. Auch, weil ich davor Angst habe, dass ihr mich, weil ich ein Monster bin, einfach wieder wegschickt. Wenn du mich wieder wegschickst, das ertrage ich nicht. Lieber gehe ich schlafen, als wieder alleine zu sein", erklärte ich leise und verlegen. Es war nicht meine Art, über mich zu reden, für mich selber etwas zu erbitten.

Jo sah mich traurig an. "Kahlyn, du bist kein Monster wirklich nicht, sage so etwas nicht. Ich hoffe, dass ich nie wieder so unüberlegte Worte zu dir sage. Weißt du, ich war in Wut. Meinen Kindern ging es nicht gut, ich wollte sie nur beschützen. Mir war doch nicht klar, dass ich das ausgelöst habe. Du kannst so lange bei uns wohnen, wie du möchtest, von mir aus bis du alt und grau bist. Wirklich meine Kleene. Wir haben dich doch alle lieb, du gehörst doch zu unserer Familie, genau wie Rudi. Wir werden, wenn wir zu Hause sind, den Kindern erklären was passiert ist, dann verstehen sie das. Auch, dass es immer wieder einmal passieren kann, dass du schreist. Vor allem meine Kleene, wenn mal wieder etwas ist, dann laufe nicht weg, sondern rede mit uns. Oder, wenn du es bei uns nicht aushältst, laufe wenigstens auf die Wache", offen sah er mich an.

Ich wusste, dass er das meint, was er sagte, man sah es an seinen Augen. "Ich wollte ja auf meine Wache, aber dann fiel mir ein, dass ich da nicht mehr hin kann, Jo. Du hattest mich doch weggeschickt", blickte auf meine spielenden Finger.

"Warum nicht, Kahlyn?", Jo blickte verwundert zu mir.

Als John für mich antworten wollte, unterbrach ihn Rudi. "Weil…", fing John an.

"John nicht, Kahlyn soll das Jo ruhig mit ihren Worten erklären."

Ich sah von einem zum anderen, wie sollte ich das erklären. Leise nach Worten suchend, begann ich meine Gedankengänge darzulegen. "Weil ich, wenn du mich wegschickst, doch nicht mehr auf der Wache arbeiten kann."

Jo sah mich verständnislos an. "Warum? Ich verstehe es nicht. Warum kannst du nicht mehr auf der Wache arbeiten?", verständnislos blickte Jo in die Runde.

Ich begriff einfach nicht, wieso er das nicht sah. "Es ist doch so Jo, dass als wir hier aus der Schule weg mussten, hier auch nicht mehr arbeiten durfte. Jetzt wohne ich bei dir, du bist der Polizeirat. Der größte Chef von der Wache, wenn ich also nicht mehr bei dir wohnen darf, dann darf ich auch nicht mehr bei dir arbeiten. Das ist doch logisch. Deshalb bin ich ja wieder, in die Schule gelaufen. Wo hätte ich denn sonst hingehen sollen? Ich kenne doch niemanden", erklärte ich die logischen Zusammenhänge meiner Gedanken.

Jo stützte den Kopf auf die Hände und wusste nicht, was er sagen soll. Als jemand anderes etwas dazu erklären wollte, unterbrach Rudi ihn genauso, wie vorher John.

"Nein Leute, last das bitte Jo und Kahlyn, untereinander klären. Beide müssen lernen einander zu verstehen, sonst passieren eben diese Missverständnisse immer wieder", bat er meine Freunde, verständnislos sah ich Rudi an.

"Wieso Missverständnisse Rudi?" Ich war völlig irritiert.

"Höre Jo genau zu, dann verstehst du es", erklärte mir Rudi, mich beruhigend anlächelnd.

Jo raufte sich immer noch die Haare. Er rang sich dazu durch, mir meinen falschen Gedankengang zu erklären. "Ach meine Kleene, wie oft wird es uns noch passieren, dass wir so aneinander vorbei denken. Höre mir bitte mal genau zu. Mir war bis eben nicht klar, dass du das eine, mit dem anderen vermischst. Pass mal auf meine Kleene. Dass du bei uns wohnst, ist die eine Sache. Stell dir mal vor ich wäre Kneipier, wie der Carlos. Würdest du dann in die Wache laufen, wenn ich dich zu Hause rausschmeiße."

Ich nickte. "Ja natürlich, denn da sind doch meine Freunde."

Jo holte tief Luft. "Siehst du, dort liegt dein Gedankenfehler, Kahlyn. Was hat meine Arbeit als Polizeirat, mit deiner Wache zu tun? Erkläre mir das bitte."

Verwirrt sah ich ihn an. "Na du bist doch der große Chef, du bist der Polizeirat. Mein unmittelbarer Vorgesetzter", völlig durcheinander, starrte ich ihn jetzt an.

"Ja das stimmt, ich bin dein großer Chef. Aber Kahlyn, dass du bei mir wohnst, hat doch nichts mit meiner Arbeit zu tun oder?", versuchte es jetzt Jo von der anderen Seite.

Verständnislos sah ich zu Rudi und begriff nicht, was Jo von mir will. "Wieso nicht? Rudi ich versteh seine Worte, begreife aber nicht dessen Sinn", erklärte ich ihm, in einem verzweifelten Ton und fing an auf meinen Stuhl hin und her zu schaukeln.

Aber auch Rudi wusste nicht wie er mir das anders erklären sollte, sah verzweifelt zu meinem Doko. Doko stand auf und bat Rudi ihn auf seinen Stuhl zu lassen, zog mich einfach in den Arm.

"Ich weiß ja, dass dies alles für dich schwer zu verstehen ist, du musst es langsamer angehen. Kahlyn, komm beruhige dich erst einmal. Du bist schon wieder auf den besten Weg, in einen Anfall zu rutschen. Komm, wir machen das ganz langsam, Schritt für Schritt. Ich helfe dir dabei, das alles zu verstehen. Beruhige dich erst einmal."

Doko streichelte mir den Rücken und zwang mich dazu ruhiger zu atmen. Doko hatte recht ich war auf dem besten Weg mich in einen Anfall hineinzusteigern, mühsam fuhr ich herunter. Langsam wurde es besser. Nach gut zehn Minuten, hatte sich mein Atem wieder beruhigt. Doko streichelte mein Gesicht.

"So ist es besser, meine Kleine. Also pass auf, dass du bei Jo wohnst ist die eine Sache. Dass er der Polizeirat ist spielt keine Rolle. Verstehst du das."

Ich schüttelte den Kopf. "Er ist doch aber der Polizeirat", erwidere ich ganz leise, im trotzigen Ton, zu Doko. Wuttränen liefen mir über die Wangen, weil keiner verstand, dass es doch logisch ist. "Also spielt es eine Rolle."

Doko lächelt mich an. Wie oft hatte er erlebt, dass ich bestimmt Zusammenhänge einfach nicht verstand, weil ich eine andere Sichtweise der Dinge habe. "Kahlyn, versuche mir bitte mal etwas zu erklären. Wenn Jo ein Hubschrauberpilot wäre, wie dein Gosch. Wäre er dann doch auch nicht dein Vorgesetzter oder?"

Ich nickte.

"Wenn du dann bei ihm wohnen würdest, würde es dann für deine Arbeit eine Rolle spielen, wenn du nicht mehr bei ihm wohnen darfst?", fragend sah er mich an.

Ich legte den Kopf schief und sah ihn an. "Nein, dann würde es keine Rolle spielen", antworte ich ihm schließlich, nach einer ganzen Weile.

"Warum spielt es denn dann eine Rolle, dass Jo der Polizeirat ist. Erkläre es mir bitte", wollte er jetzt von mir wissen.

"Na weil er das Sagen hat. Wenn er mich nicht mehr bei sich zu Hause haben will, dann will er mich auch nicht mehr auf seiner Wache. Wenn er mich zu Hause nicht mag, mag er mich doch auch nicht mehr auf der Wache haben. Das ist doch logisch", Erklärte ich ihm ziemlich genervt, weil das doch logisch war.

Doko raufte sich die Haare. "Kahlyn, du bringst mich zu verzweifeln. Warum bitte spielt es bei dem Piloten keine Rolle, bei Jo aber. Ein Punkt, bleibt doch bei beiden gleich. Das eine ist privat, das andere ist dienstlich. Der Rang von Jo in der Polizei, spielt doch zu Hause keine Rolle. Das ist so, als wenn du den linken Schuh, an den rechten Fuß ziehen willst. Das passt doch nicht", verzweifelt sah er mich an.

Lange überlegte ich, versuchte zu verstehen, was mir Doko erklären wollte. Aber es passt so gar nicht mit dem überein, was ich bis jetzt gelernt habe. Ich drückte mich von ihm weg und stand auf. Ich musste mich einfach eine Weile bewegen. Dabei konnte ich besser denken. Wenn Jo ein Pilot wäre, dann könnte ich weiter auf der Wache arbeiten, auch wenn er Kneipier wäre. Das bedeutet ja, dass auch, wenn ich bei dem Polizeirat wohne, er mich nicht mehr haben wollte, ich trotzdem noch auf meine Wache gehen kann. Lange sah ich aus dem Fenster, ging alle Varianten des eben Gehörten durch. Spielte alle Möglichkeiten durch, die ich hatte. Es bleibt dabei. Ich hatte eine völlig falsche Schlussfolgerung gezogen, hatte wieder einmal etwas missverstanden. Langsam tief in Gedanken, ging ich zurück zum Tisch. Setzte mich, zog die Füße auf den Sitz und legte meinen Kopf auf die Knie. Dann hob ich den Kopf und sah Jo lange an.

Ganz leise wollte ich wissen, ob meine Schlussfolgerungen richtig sind. "Das ist aber trotzdem für mich unlogisch, Doko. Aber, wenn ich dich richtig verstanden habe, heißt das. Wenn Jo mich bei sich zu Hause nicht mehr haben will. Will er mich trotzdem auf der Wache noch haben. Ich verstehe die Logik dessen nicht. Wenn er mich zu Hause nicht mag, mag er mich doch auch auf der Wache nicht", hilflos blickte ich zu meinen Freunden.

Die wussten sich auch keinen Rat mehr.

"Weißt du Kahlyn, akzeptiere es doch einfach mal, vielleicht verstehst du es mit der Zeit", gab mir Dika einen Rat.

John sah Rudi fragend an, weil er sich nicht sicher war, das er sich einmischen durfte. Rudi nickte, da er auch keinen Rat mehr wusste.

"Mäuschen, sehe doch einfach mal darüber hinweg, dass Jo der Polizeirat ist, ignoriere es einfach. Sieh mal, du sprichst doch Jo bei euch zu Hause, auch nicht mehr mit Sir an. Das obwohl er der Polizeirat ist, du ihm doch eigentlich Respekt zollen müsstest. Was du ja auch tust, sobald er auf Arbeit ist. Diesen Unterschied hast du doch begriffen", fragend musterte er mich an.

Ich nickte, denn soweit hatte ich es verstanden.

"Na siehst du. Wenn du also zu Hause bist, dann ist das alles privat. Dann duzt du Jo, redest ihn mit Vornamen an. Weil das nichts mit der Wache zu tun hat. Genauso ist es, mit dem Wohnen dort. Das hat auch absolut nichts, mit der Wache zu tun. Wenn du auf der Wache bist, dann bist du im Dienst, dann sprichst du Jo mit Sir an, auch zollst du ihm Respekt. So, wie es korrekt ist. Wenn es für dich einfacher zu verstehen ist, dann wohnst du halt bei Viola. Die haben genau wie Jenny, Tom und Tim alle nichts mit der Wache zu tun. Es ist etwas ganz anderes. Verstehst du, das?" Wieder sah er mich fragend an.

Endlich hatte ich es begriffen. "Ach so, das heißt ja, wenn ich also auf der Wache bin, dann hat mir Jo etwas zu sagen. Wenn er mich dort aus der Wache schmeißen würde, dann kann ich dort zwar nicht mehr arbeiten, könnte aber noch zu Viola und den Kindern, nach Hause gehen", jetzt wurden mir die Zusammenhänge klar.

Erleichtert nickten alle.

"Dann hätte ich also, in meine Wache laufen können?", wollte ich Sicherheitshalber noch einmal wissen.

Diesmal lächelten mich alle an und nickten noch einmal.

"Ach Manne bin ich dumm", murmelte ich traurig vor mich hin.

Jo der das gehört hatte, schüttelte den Kopf. "Nein meine Kleene, du bist nicht dumm. Weißt du, es ist nur so, dass du bis jetzt wirklich nur Dienst gekannt hast. Du weißt nicht, was es heißt private Dinge zu machen. Für mich ist es aber schwer zu begreifen, dass du das alles vermischst. Es tut mir so leid, dass wir so aneinander vorbeigeredet haben. Kleines, egal was passiert, ob auf Arbeit oder zu Hause. Du musst nie weglaufen. Rede einfach mit uns. Von mir aus, schreie mich auch mal an. Aber rede. Dann können wir solche Sachen klären, ohne, dass wir Angst um dich haben müssen. Wir habe dich doch alle lieb", ernst sah er mich an.

Doko stand auf und ließ Rudi wieder auf den Stuhl neben mir. Ich war froh, dass ich es jetzt begriffen hatte. Also musste ich nicht mehr hierher laufen. Ich konnte bei meinen Freunden bleiben. Erleichtert sah ich sie an, wandte ich mich anderen wichtigeren Dingen zu.

"Doko, es ist jetzt kurz nach halb Drei, ich denke wir sollten langsam ins Bett gehen. Aber vorher wir sollten schnell noch etwas essen. Nach dem Essen gebe ich Rudi noch eine Injektion, ich denke die Schmerzen kommen langsam wieder. Ihn hatte es ganz schön erwischt. Er braucht endlich etwas Ruhe. Vor allem, sollten wir in seinem Schlafraum für etwas Licht sorgen, damit er, wenn er munter wird, nicht wieder in Panik gerät. Also, was denkt ihr", wandte ich mich fragend an Dika und Doko.

Die nickten beide, Dika machte Rudi sein Essen auf den Teller und bereitete mir einen Brei zu. Die anderen, bekamen alle noch einen Kaffee. Nach dem Essen, ging ich mit Struppi nochmals in den Garten, da er auch etwas zu futtern und Wasser bekommen hatte. Dann verteilten uns unsere Gastgeber, auf die Zimmer. Im Gästezimmer angekommen, versorgte ich Rudi nochmals mit Injektionen, rieb sein Gesicht und auch den Körper, mit der Hämlo-Salbe ein. Fertig damit, legte sich Rudi in sein extra großes Bett, ich legte mich mit Struppi einfach daneben. Es dauerte keine zwei Minuten, dass wir drei tief und fest schliefen. Wir waren froh das alles geregelt war.

 

Traumlos, vor allem erholsam schliefen wir, bis gegen 9 Uhr 30, wurden von der Sonne geweckt, die durch eine Lücke in den Wolken schien. Rudi drehte sich um und streichelte mein Gesicht.

"Guten Morgen, meine Kleene, wie geht es dir denn?", wollte er als Erstes von mir wissen.

"Mir geht es wieder fast gut, ich bin satt, liege in einem warmen weichen Bett. Neben mir, liegen der liebste Mensch den ich mir wünschen kann und mein kleiner Hund. Wie soll es mir denn da schlecht gehen? Aber wie geht es dir?", wollte ich nun von ihm wissen und beugte mich zu ihm hinüber, streichelte sein Gesicht.

Das zum Glück fast wieder normal aussah. Die Hämlo-Salbe hatte es wieder einmal gerichtet. Die Schwellungen waren zurück gegangen und die Blutergüssen fast verschwunden. Durch das erholsame Schlafen hatte Rudi auch fast keinen Augenringe mehr. Da lag wieder der Rudi den ich kannte.

"Mir geht es fast wieder gut, habe noch etwas Kopfschmerzen, auch die Rippen tun mir noch weh. Aber sonst geht es mir gut", gab er mir zur Antwort, schelmisch guckend. "Meine Kleene liegt lächelnd neben mir, dazu ein kleiner süßer Welpe. Wie soll es mir da schlecht gehen? Wenn ich jetzt noch ein schönes Frühstück bekomme und auf der Wache anrufen kann, damit alle informieren werden können, dass es dir gut geht. Dann ist mein Tag, in bester Ordnung", erklärte er mir und zog mich einfach in seine Arme.

Einen Moment lang blieben wir noch so liegen, es war ein so wunderschönes Gefühl. Einen Freund in seiner Nähe zu wissen, auf den man sich verlassen konnte. Wir genossen beide die Zweisamkeit, zu dritt. Auch Struppi, schien den Frieden und unsere Nähe zu genießen. Als es auf einmal klopfte.

Dika steckte ihren Kopf in unser Zimmer. "Na ihr beiden, wollt ihr heute gar nicht mehr aufstehen?", erkundigte sie sich.

"Am liebsten nicht", neckte ich sie lachend. "Es ist so schön, mit Rudi und Struppi zusammen, hier zu liegen."

Dika kam ins Zimmer, gab mir und Rudi einen Kuss auf die Stirn. "Aber, dann muss ich mein Frühstück ganz alleine aufessen. Wer von euch beiden, bezahlt dann die Handwerker, wenn ich nicht mehr durch die Tür passe, wenn ich alles alleine futtern muss."

Entsetzt sah ich Dika an. "Dika, ich kann die nicht bezahlen, ich habe doch kein Geld", erwiderte ich ernst.

Rudi begann schallend lachen und hielt sich dabei die Rippen. "Na meine Kleene, wollen wir deiner Dika bei der Vernichtung des Frühstücks helfen? Es wäre doch schade um das schöne Haus", verwirrt sah ich ihn an. Rudi flüsterte mir ins Ohr. "Kleene, das ist ein Spaß."

Jetzt begriff ich die beiden und musste auch lachen. Dabei zog ich ihm einfach die Decke fort. Er hielt sie fest und so gab es eine kleine Kampelei, bei der mir die Dika half. Zum Schluss hatten wir die Decke von Rudi bekommen. Er gab auf. Wir liefen der Dika folgend aus dem Raum und gingen in die Dusche, die sie uns zeigte. Dika gab mir den Beutel mit Anziehsachen, den Viola für mich extra zu Recht gemacht hatte. Dann legte sie auch Rudi einige Sachen zum Anziehen hin, die sie aus Dokos Schrank heraus suchte.

"Rudi, ich hoffe die Sachen passen einigermaßen, sonst musst du Kahlyns Gürtel nehmen, zum festbinde. Also macht hin die Eier und der Kaffee werden kalt, beides schmeckt kalt nicht", befahl sie uns lachend.

Übers gesamte Gesicht grinsend, ließ sie uns alleine. Wir duschten uns und zogen uns an. Rudi der als erstes fertig war, nahm Struppi und ließ ihn hinaus in den Garten. So kam ich als letztes an den Frühstückstisch. Dort war Rudi schon mit Doko in ein Gespräch vertieft.

"Sag mal Fritz, kann ich hier irgendwo mal telefonieren? Damit ich die anderen davon informieren kann, dass wir Kahlyn gefunden haben, die machen sich doch alle Sorgen."

Doko schüttelte den Kopf. "Rudi, ich habe noch kein Telefon. Wir könnten nur noch einmal zurück zum Projekt fahren, dort gibt es ein Telefon in der Wachstube."

An dieser Stelle hängte ich mich in das Gespräch. "Doko, das wäre schön, dann kann ich Rudi noch unseren Baum zeigen und den anderen."

Bittend, sah ich ihn an. Da nickte Jo, Doko aber auch die anderen. Ich freute mich sehr über diese Möglichkeit. Jetzt konnte ich Rudi nach dem Frühstück doch noch unseren Baum zeigen, von dem ich ihm schon so viel erzählt hatte. Freudig setzte ich mich an den Tisch, löffelte meinen Brei. Ich hatte ziemlichen Hunger. Auch die Anderen langten richtig zu, wir redeten über viele Dinge, die in den letzten Wochen passiert waren. Über Dikas und Dokos Umzug und ihre Zukunftspläne, schnell war eine Stunde vorbei. Jo, der ja morgen wieder arbeiten musste, mahnte zum Aufbruch. Also verabschiedeten wir uns von den beiden liebsten Menschen, die ich in der Schule hatte. Bekam die Ermahnung, nicht wieder wegzulaufen, sondern erst zu reden und dann zu handeln.

Doko wollte aber, noch einmal kurz mit mir reden. "Kahlyn, kommst du bitte mal mit mir in die Praxis, ich brauche von dir bitte noch eine Blutprobe", bat er mich.

Ich nickte und folgte ihm aus der Küche in die Praxis. Dort nahm er eine Spritze, um mir etwas Blut abzuzapfen. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass dies nur ein Vorwand war.

"Doko, was ist los, du hättest das auch in der Küche machen können", stellte ich ihn zur Rede.

Doko lächelte mich verlegen an. "Ja Kahlyn, ich hätte das auch dort, machen können. Ich möchte aber, von dir eine ehrliche Antwort. Wie geht es dir wirklich?",  forschend musterte er mich.  

"Was willst du von mir hören, Doko? Mir geht es beschissen, wenn ich ehrlich sein soll. Sag mir, was ich machen soll. Es war einfach alles zu viel, in den letzten Wochen. Ich verstehe nichts von dem, was man von mir will. Ich verstehe zwar die Worte, die man zu mir sagt, aber oft nicht den Sinn. Das macht mich einfach verrückt. Es lässt mich einfach nicht zur Ruhe kommen. Ich dachte immer ich bin nicht dumm. Aber seit dem wir hier weg sind, seit dem 1. September, denke ich oft ich bin total bescheuert. Alles hat sich geändert. Ich laufe seit Monaten am Limit. Wie soll es mir da gut gehen?", fragend sah ich ihn an.

"Kahlyn, das glaube ich dir gerne. Bloß, wie willst du in Zukunft, verhindern dass noch mehr solche Anfälle kommen. Kahlyn, fünf Einheiten N47, du weißt selber, dass es der blanke Wahnsinn ist. Willst du dir das nächste Mal sechs Einheiten spritzen. Kleine, das überlebst du doch nicht", ernst und voller Angst sah mich Doko an. Er hatte ja irgendwo Recht.

Nur, mir fiel nichts anders ein. "Doko, sag mir bitte, was ich hätte machen sollen. Ich habe seit Monaten kaum etwas gegessen und hatte ständig hohes Fieber. Meinen neuen Kollegen ging es beschissen. Ich musste ihnen doch helfen. Einer von ihnen, war kurz vor dem Wahnsinn. Dann kam Rudi und bat mich darum ihm zu helfen, dass er mich besser verstehen kann. Sag mir Doko, was hätte ich denn machen sollen. Ich musste doch die Runges schützen. Eine Alternative wäre das G24, du weißt wie gefährlich das Zeug ist. Es hätte zwar die Genausbruch unterdrückt, aber du weißt doch selber, dass ich das hochdosiert spritzen muss. Wenn fünf Einheiten N47 kaum gereicht haben, hätte ich mindestens vier Einheiten von dem Zeug spritzen müssen. Du weißt aber auch, dass bei den anderen drei Einheiten tödlich sind. Hätte ich das gemacht, die einzige Option, die ich noch hatte. Dann hättest du mich schlafen schicken müssen, ich wäre zu nichts mehr in der Lage gewesen. Hätte nicht mal mehr, meinen Namen gewusst. Also sag mir, was hatte ich für andere Optionen?"

Doko sah mich traurig an, ihm wurde mit jedem Wort klarer, dass es wirklich keine andere Möglichkeit gegeben hatte.

"Aber was ist, wenn…"

Ich ließ ihn nicht ausreden. "Doko, darüber denke ich nach, wenn es soweit ist. Bitte, ich habe im Moment wirklich andere Probleme, als den Ginobusanfall. Du kennst mich schon so lange wie ich lebe Doko. Denkst du nicht, dass ich weiß, was ich mache. Ich entscheide das doch nicht aus dem Moment heraus, sondern gehe alle vorhandenen Möglichkeiten durch. Nutze die Sinnvollste. Warum, hast du immer noch kein Vertrauen zu mir?", traurig sah ich ihn dabei an. "Denkst du wirklich, ich würde mein Leben jetzt riskieren, nach dem ich all die Jahre durch gehalten habe, gegen den Oberstleutnant. Jetzt, wo mein Leben das erste Mal schön ist. Bringe ich mich doch nicht leichtsinnig um. Versuche doch mich mal zu verstehen, ich muss ob es mir gefällt oder nicht, trotzdem immer für die Sicherheit der anderen sorgen. Ich habe doch auch eine Verantwortung zu tragen", ernst musterte ich ihn.

Doko atmete tief durch. "Du hast recht, ich hab nur vorhin einen riesen Schreck bekommen", Jacob streichelte mir liebevoll mein Gesicht.

"Ich weiß Doko, ich verstehe dich doch auch. Nur müsst ihr doch endlich mal begreifen, dass ich weiß, was ich kann. Vor allem, dass ich weiß, wie viel ich mir wagen kann zu spritzen. Wenn ich das nicht weiß, wer dann, Doko. Ich habe diese Sachen doch zum Großenteil erfunden."

Doko blickte mich betrübt an. "Du hast ja so Recht Kahlyn. Nur will ich dich nicht verlieren. Pass gut auf dich auf, verspreche mir das."

Ich ging zu ihm hin und gab ihm einen dicken Kuss. Vor allem drückte ihn ganz lieb und schob ihn ein Stück von mir weg. Lange sah ich ihn mit schiefgehaltenen Kopf und vor allem wissend an. Ich verstand ihn ja, deshalb versuchte ich ihn zu beruhigen.

"Doko ich verspreche dir, ich passe wirklich auf. Ich werde Doko Karpo fragen, ob ich sein Labor einmal benutzen darf. Mir gehen da seit Wochen, einige Ideen durch den Kopf. Die eventuell auch gegen den Ginobusanfall helfen könnten. Ich muss das mal austesten. Leider habe ich dazu noch keine Gelegenheit gehabt. Habe es immer vor mich hergeschoben, in der Hoffnung, dass ich diese Anfälle in Gera nicht mehr bekomme. Du weißt, dass ich diese Anfälle immer auf den Stress in der Schule geschoben habe. Ich konnte doch nicht vermuten, dass wir jetzt genauso viel Stress haben, auch wenn er jetzt vollkommen anders ist. Ich habe mich allerdings getäuscht den Stress betreffend, der ist im Moment schlimmer als hier in der Schule. Aber ich setzte mich die nächsten Tage hin und knobel etwas aus. Das verspreche ich dir. Vor allem, weil ich weiß, dass die anderen sich das N47, nicht alleine spritzen würden. Ich muss mir also unbedingt etwas einfallen lassen. Denn früher habe ich das Mittel bei den Anderen gespritzt. Selber würde sich das keiner von den Achten spritzen. Das habe ich jetzt bei Rashida begriffen, als ich ihr sagte, sie soll sich zwei Einheiten als Notfallspritze zu Recht machen. Also muss ich sehen, das ich etwas anderes finde, was diese Anfälle kontrollierbarer macht. Also mache dir keine Sorgen", bat ich Doko und gab ich ihm noch einen Kuss.

Jetzt lächelte mein Doko wieder, ich hatte es also geschafft ihn wieder zu besänftigen.

"Dann ist es gut. Da muss ich mir keine Sorgen mehr machen. Komm gehen wir zu deinem Baum", er legte den Arm um mich und schob mich aus der Praxis, zu Jos Auto und drückte Anne die Spritzen in die Hand.

Conny kam auf mich zu. "Engelchen, ich muss los. In zehn Minuten holt mich Gosch ab, um mich nach Hause zu fliegen. Also, mein Engelchen, pass gut auf dich auf. Bitte, wenn etwas ist rufe mich an, wenn du wieder weglaufen willst. Ich hab dich lieb Engelchen, wenn etwas ist, du kannst jeder Zeit auch zu mir kommen. Versprichst du mir das?"

Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, aber Conny hob mich einfach hoch auf seine Hüften.

"Also Engelchen, bis zum nächsten Mal und dann möchte ich einen fitten und lachenden Engel sehen", Conny gab mir einen Kuss.

"Ich verspreche mich zu bessern Conny. Pass gut auf dich auf, vor allem nehm deinen Kopf runter, du weißt dich sieht man immer", neckte ich ihn lachend.

Conny drehte sich einfach, ein paar Mal um sich selber, ich drückte ihn ganz sehr. Dann setzte er mich auf den Boden und lief in Richtung Norden davon. Wie immer, kämpfte er gegen seine Emotionen. In der Verbindung sagte ich ihm noch.

"Conny, ich hab dich lieb. Das nächste Mal, wenn ich weglaufen muss, komme ich einfach zu dir. Ich lasse mir von Rudi zeigen, wo das ist. Also sei nicht traurig, du hast immer einen Platz in meinem Herzen, das weißt du."

Damit kappte ich die Verbindung. Drehte mich zu meinen Freunden, aus Gera um. Dort stand auch meine Dika, ich lief auf sie zu und gab ihr einen Kuss.

"Ich werde dich vermissen Dika, bleibe mir schön gesund", verabschiedete ich mich traurig.

Dika nahm mich in den Arm. "Das bleibe ich, keine Angst. Es ist ja jetzt kein Oberstleutnant mehr da, der mich kaputt schlägt. Also Mädel, pass auf dich auf. Wir sehen uns bestimmt einmal wieder. Außerdem sehen wir uns dann gleich noch einmal kurz, du musst doch Struppi noch holen, den lässt du erst einmal hier. Was soll der kleine Kerl im Auto sitzen, der ängstig sich doch. Und ihr müsst ja den Doko wieder herbringen."

Nickend drehte ich mich zum Auto und stieg ein. Jo, John, Rudi und Doko saßen schon im Auto. Sobald ich die Tür geschlossen hatte, fuhr Jo los. Ein letztes Mal, fuhren wir zu unserer Schule. Wir hielten direkt vor dem Tor.

Die Wachposten begrüßten uns freundlich. "Guten Morgen Genosse Polizeirat, Genosse Jacob, müssen sie noch einmal in das Objekt?", begrüßte uns Worms, der heute wieder Dienst hatte.

"Unterleutnant Worm, ja wir müssten noch einmal kurz in das Objekt, wenn das möglich ist. Kahlyn möchte sich noch von ihren Freunden verabschieden. Sie möchte noch einmal, auf den Friedhof der Kinder", erklärte Doko dem Unterleutnant von der Objektbewachung.

Der nickte verwundert und ging jedoch ohne Diskussion zum Tor, um dieses zu öffnen.

"Danke Genosse Unterleutnant. Es wird nicht lange dauern", bedankt sich nun auch Jo.

Wir gingen hindurch, Rudi der das hier ja alles noch nicht gesehen hatte, bleibt wie angewurzelt stehen.

"Das ist ja der blanke der Wahnsinn", rutschte es ihm heraus. "Es ist wunderschön hier", er war begeistert.

Doko konnte das verstehen. "Ja, wir haben uns all die Jahre, immer sehr wohl gefühlt. Auch wenn wir hier immer eingesperrt gelebt haben. Aber, es war immer eine Wohlfühloase. Kommt ich zeige euch heute mal alles. Wir müssen ja nicht ewig gucken. Aber ihr solltet die Bereiche der Kinder, ruhig einmal gesehen haben. Damit ihr wisst, wie Kahlyn bis jetzt lebte. Vielleicht hilft es euch, sie ein wenig besser zu verstehen."

Alle waren einverstanden.

Als Jo etwas sagen will, unterbrach ich ihn. "Leute ich…"

"Jo, ich bringe dir dann das schnelle Schlafen bei, dann ist es egal, wann wir zu Hause sind. Dir reichen zehn Minuten und du kannst morgen, trotzdem arbeiten. Bitte es wäre schön, wenn ihr euch das alles einmal ansehen könnt."

Verwundert sah er mich an.

Als er etwas sagen wollte, schüttelte Rudi den Kopf. "Jo nimm es einfach, wie die Kleene das sagt. Vertraue ihr, nur dieses eine Mal."

Da war auch Jo einverstanden, auch wenn ihm nicht wohl war dabei. Also sahen wir uns alles in Ruhe an. Da heute alle entspannter waren, sahen sie das Objekt mit ganz anderen Augen. Erstaunt folgten sie erst Dokos und im Anschluss dann, meiner Führung durch unseren Bereich. Wie schon zuvor Rudi, waren alle entsetzt, das in diesem Bereich auf jeglichen Luxus verzichtet wurde. Als wir unseren Wohnbereich besichtigen, ließ ich alle den Raum betreten, nur Rudi und Doko warnte ich vor, dass ich die Tür schließen würde. Kaum, dass ich die Tür geschlossen hatte, hörte ich alle mühsam atmen. Jo und John stöhnten, so öffnete ich die Tür fast sofort wieder, schon wegen Doko und Rudi, denen es noch schlimmer vorkam, als den anderen beiden. John sagte sobald die Tür auf war und er wieder richtig Luft bekam.

"Rudi, jetzt weiß ich, was du gemeint hast. Ich wusste nicht, dass es solch eine Dunkelheit gibt."

Erleichtert atmeten beide auf. Wir verließen den Wohnraum und gingen noch in unseren Sanitärraum. Einen zehn breiten und zehn Meter langen, schwarz geteerten Raum. Auf dessen rechter Seite hintereinander neun Löcher im Durchmesser von circa sieben Zoll, also circa sechzehn Zentimetern waren. Die man im Abstand von fünfundachtzig Zentimeter in den Boden eingearbeitet hatte. Auf der linken Seite befanden sich im gleichen Abstand, sieben Reihen Rohre, die im Abstand von einem Meter, aus der Decke kamen. So dass insgesamt dreiundsechzig Duschplätze entstanden. Früher hatten die Plätze nie gereicht, jetzt konnten wir uns aussuchen, wo wir duschen wollten. Verwundert sahen mich die Freunde an.

"Was soll das denn sein?", keuchte Jo erbost auf.

"Unser Sanitärbereich. Auf der rechten Seite, sind die Toiletten, Links sind die Duschen", erklärte ich ihm. Da ich ahnte, dass er dies, nicht als das ansah, was es war. Auf der Wache, war alles viel schöner. Was jetzt passiert, hatte ich nicht für möglich gehalten, auch wenn ich wusste, dass es auf der Wache anders war.

Jo flippte richtig aus. "Das ist jetzt nicht dein Ernst Kleene, das nennst du Sanitärraum?"

Verwundert sah ich Jo an. Weil ich nicht wusste, warum er mich an pulverte. Ich konnte doch nichts dafür, dass es bei uns anders war. "Was ist denn Jo? Ich habe, das doch nicht so gebaut", verlegen sah ich ihn an.

"Nein Kleene, so hab ich das ja nicht gemeint. Aber es kann doch nicht sein, dass ihr all die Jahre, so gelebt habt. Wo sind die Duschköpfe, wo die Toiletten- und Waschbecken?" Wieder sah ich ihn verwundert an.

"So etwas hatten wir noch nie. Ist aber nicht schlimm, man kann auch so duschen. Das wir das nicht hatten, ist nicht schlimm", antwortete ich ihm ehrlich.

Jo schnappte regelrecht nach Luft.

"Jo, was ist denn so schlimm daran?", mich irritierte sein Verhalten vollkommen, weil ich nicht verstand, was ihn so aufregte.

"Kleene, ihr habt doch nicht mal Toilettenbecken hier und Kabinen. Nicht einmal eure Intimsphäre, wurde hier geschützt."

Ich zuckte mit den Schultern, weil ich nicht kapierte, was daran so schlimm war. "Jo, im Wald habe ich doch auch kein Toilettenbecken und keine Kabine, was ist da schlimm dran?", wiederholte ich meine Frage.

Jo schüttelte den Kopf, als er etwas sagen will, mischte sich Doko ein.

"Jo, bitte du verlangst von Kahlyn, dass sie etwas versteht, was sie nicht kennt. Genau auf diese Weise, treibt ihr sie jedes Mal, in die Ecke. Das ist der Grund, weshalb ich wollte, dass ihr seht wie Kahlyn gelebt hat. Diese Kinder kennen keinen Luxus. Man hat sie so gehalten, entschuldigt diesen Ausdruck, wie sie im Krieg, im Einsatz, leben müssen, halt minimalistisch. So sah Kahlyns gesamtes Leben aus. Nur das Minimum, gerade so viel wie zum Überleben notwendig war, wurde ihnen gestattet. Habe ich mich als Schularzt dagegen verwehrt. Bekam ich vom Oberstleutnant Schläge, nicht weniger als die Kinder. Dass ich keine Narben habe, verdanke ich ausschließlich Kahlyn, sie hat alle weg gemacht. Keiner ihrer Kameraden hat Narben, nur Kahlyn hat welche, weil keiner sie wegmachen konnte."

Jo sah Doko entsetzt an. Schüttelte immer noch den Kopf. "So kann man doch keine Kinder leben lassen, vor allem ausbilden. Haben diese Kinder, denn nicht auch Rechte?", entrüstet sah Jo, meinen Doko an.

"Doch Jo, wie du siehst konnte man das. Wenn du mich fragst, hatten diese Kinder, niemals Rechte. Es ist ein Verbrechen, was man die ganzen Jahre, mit ihnen gemacht hat. Aber ich konnte mich noch so viel beschweren, es kam nie an der richtigen Stelle an. Der Oberstleutnant, hat alles abgefangen. Wir hatten keine Möglichkeit, für die Kinder etwas zu tun. Ich kann dir, wenn es dich interessiert, alle Beschwerden zukommen lassen. Es sind hunderte, wenn nicht sogar tausende. Ich habe irgendwann aufgehört sie zu zählen. Aber nie, bekam ich eine Antwort. Zweimal habe ich mich, von einer Konferenz aus schriftlich beschwert. Habe sie mit der normalen Post, an die obersten Instanzen geschickt. In der Hoffnung, dass sich so wenigstens einmal etwas zum Positiven ändert. Im Anschluss kam auch nichts, nur Prügel vom Oberstleutnant. Auf Bitten von Kahlyn, habe ich dann vor neun Jahren damit aufgehört, weil Kahlyn Angst hatte, dass mich Mayer irgendwann tötet. So haben wir es dann gelassen, wie es ist. Ach Kahlyn, weißt du wo Jaan die Kiste versteckt hat, die ich euch vor Jahren anvertraut habe?"

Ich schüttelte den Kopf. "Nein, aber ich kann sie suchen gehen, Doko."

"Brauchst du nicht, ich frage ihn einfach mal. Dann kann ich dir Beweise liefern gegen die Betreuer, Ausbilder und gegen Mayer, Jo. Ich habe über Jahre hinweg alles dokumentiert und durch Jaan in ein Versteck bringen lassen."

Jo starrte Doko fassungslos an. "Fritz, das wäre gut, wenn du Beweise hast. Organisiere das und bitte schicke mir alles, was du an Beschwerden geschrieben hast zu und alle Beweise schnellst möglich zu. Füge bitte auch noch eine persönliche Stellungnahme, über alle die bekannten Vorfälle dazu, so detailgenau wie nur möglich. Wenn es in deinem Interesse ist würde ich dich gern als Zeugen benennen."  

Doko holte erleichtert Luft. Er konnte nicht glauben, dass es nun doch endlich einmal jemanden interessierte, was hier die ganzen Jahre gelaufen war.

"Gern, aber mache dich auf einige Ordner Lektüre gefasst. Alleine über die Verletzungen, durch Misshandlungen der Kinder, habe ich über zwanzig Ordner. Wenn ich schon damals nichts machen konnte, wird es mir eine Genugtuung sein, wenn ich jetzt noch etwas erreiche. Ich habe sechszehn Jahre lang, Fotos von Misshandlungen gesammelt. Von den Kindern, aber auch von den Angestellten. Glaube mir, da hast du lange daran zu lesen."

Entsetzt sah ich Doko an. "Doko…"

Diesmal unterbrach er mich. "Kahlyn, es ist nicht rechtens, was man mit euch gemacht hat. Ich bin immer noch der Meinung, dass auch ihr etwas Recht verdient habt. Wenn ich das erreichen kann, werde ich dies auch tun."

Ich schüttelte wie verrückt den Kopf und starrte meinen Doko an. Das wollte und durfte ich nicht zulassen. Vor allem, durfte der Doko das nicht tun. "Doko du weißt, dass es dich deine Rente oder wie das heißt kostet. Von was, willst du und die Dika dann leben? Du hast immer gesagt, ohne deine Rente kannst du später nicht leben, deshalb habe ich dir doch immer gesagt, du sollst das nicht machen. Willst du dein neues Haus wieder verlieren", pulverte ich meine Doko böse an, weil ich mir Sorgen um ihn und die Dika machte.

Jo sah mich verwundert an, weil ich richtig laut geworden war.

"Jo, du musst gar nicht so gucken. Bei diesem Vertrag wurde vereinbart, dass keiner der am Projekt beteiligten, sich jemals gegen das Projekt stellen darf. Sollten sie es trotzdem machen, verlieren sie alle Ansprüche. Die ihnen auf Grund, der Länge des Projektes, zugestanden wurden. Rente, Abfindung, Urlaub, Erschwerniszuschläge, was immer das alles ist? Aber es muss wichtig sein, sonst hätten sich mehr, dagegen verwehrt. Doko würde alles verlieren, was er jetzt hat. Hat mir Dika einmal erklärt. Das darf nicht passieren, das wäre schlimm. Also selbst das Haus, wo sollen sie dann wohnen? Alles wäre weg."

Jo sah mich an, wie einen Außerirdischen. "Das ist nicht dein Ernst, Kahlyn."

"Doch Jo, es ist so. Lass dir von Doko den Arbeitsvertrag zeigen. In meinen Augen, ist das kein Arbeitsvertrag, sondern ein Sklavenvertrag gewesen. So haben es einige der Mitarbeiter jedenfalls beschrieben. Ich habe nie verstanden was sie damit meinten. Vor allem bekamen sie erst, nachdem sie schon ein Jahr, beim Projekt gearbeitet haben, diese Arbeitsverträge, als Duplikat ausgehändigt. Wie die Unterschriften auf diese Verträge darauf gekommen sind, weiß keiner. Keiner, wirklich keiner der im Projekt tätigen, hat den je unterschrieben. Weder Doko, noch Dika, noch andere Mitarbeiter mit denen ich gesprochen habe", erklärte ich Jo jetzt, mit ernstem Gesicht.

"Fritz, sage mir bitte, dass dies nicht stimmt", entsetzt sah er meinen Doko an.

"Leider stimmt jedes Wort, Jo, Kahlyn hat voll und ganz recht. Weder Anna, noch ich haben diesen sogenannten Arbeitsvertrag unterschrieben. Aber wir sind rechtlich daran gebunden. Was sollen wir denn machen? Wir haben keine Möglichkeit zu beweisen, dass wir den nicht unterschrieben haben. Ich habe heimlich über einen Freund, einen forensischen Handschriftenvergleich machen lassen, es ist angeblich nachweisbar, meine Unterschrift", erklärte Doko dem Polizeirat aus Gera.

Der konnte nicht begreifen, was er erzählt bekam. "Das gibt es doch nicht, wann hast du das machen lassen?", wollte er jetzt wissen.

Doko überlegte einen Moment. "Vor vielleicht zehn Jahren oder vielleicht sind es auch schon elf Jahre. Ich weiß es nicht mehr genau. Da muss ich nachsehen, in den Unterlagen."

Jo war fassungslos.

Ich sah Doko an, mir kam in diesem Moment eine Idee. "Dann lassen wir das jetzt noch einmal machen, die Kriminaltechnik hat in den letzten Jahren riesen Fortschritte gemacht. Wir bitten einfach den Oberst, um Hilfe. Der kennt einige gute Leute. Außerdem geht der an die Decke, wenn er von so etwas erfährt. Vielleicht hat der Oberstleutnant deinen Freund, auch irgendwie bestochen. Lass es den Oberst machen, dann hast du Klarheit", fiel mir gerade ein.

Doko sah mich erstaunt an. "Du hast recht Kahlyn, das werde ich machen. Dein Oberst wird uns helfen."

Ich freute mich, sehr das ich meinen Doko, auch einmal helfen konnte.

 

"Na dann kommt, gehen wir mal zu deinem Baum, damit du dich von deinen Freunden, verabschieden kannst", forderte uns der Doko auf und lief in die Richtung des Baumes.

Ich nickte und ging aus dem Sanitärbereich heraus, gefolgt von meinen vier Freunden. Wir verließen das Gebäude über den Landebahnausgang und liefen nach links in Richtung des Waldes. Nur reichlich anderthalb Kilometer, mussten wir laufen, um an unseren Baum zu kommen. Der sich auf einer großen Lichtung befand und fast genau in der Mitte stand. Wie es für Außenstehenden aussah auf einer Anhöhe. Jo und John, die den Baum ja schon gesehen hatten, beobachten genau wie ich Rudi. Erst war Rudi völlig begeistert von der Schönheit des Baumes. Je näher wir kamen, umso bestürzter wurde er. Dann starrte mich entsetzt an und schluckte er trocken.

"Kahlyn, du hast mir so viel von eurem Baum erzählt, er ist wunderschön. Aber ich habe nicht geahnt, dass es so schlimm ist ihn aus der Nähe zu sehen", versuchte er seine Gefühle zu erklären.

"Warum ist das schlimm?", wollte ich von Rudi wissen, weil ich wie so oft seine Worte zwar verstand, aber nicht deren Sinn begreifen konnte.

"Weißt du Kleene, es ist schon schlimm zu wissen, dass einundneunzig Kinder gestorben sind. Aber diese ganzen Ketten zu sehen, verdeutlicht einen wie schlimm das wirklich ist. Einundneunzig ist halt nur eine Zahl, verstehst du. Jetzt begreife ich erst, wie viele es wirklich sind."

Ich begriff, was Rudi meint. "Ich weiß Rudi, aber es lässt sich doch nicht ändern. Wichtig ist nur, dass man sie nicht vergisst", traurig sah ich ihn an.

Durch meine Freunde abgelenkt, entdeckte ich jetzt erst, das Schlimmste, was es für mich geben konnte. Entsetzt sah ich zu Doko, der folgte meinem Blick und begriff sofort, was mich so entsetzte. Es war einfach zu viel. In meiner momentanen Situation, war es einfach der Tropfen der das Fass wieder einmal, zum Überlaufen brachte. Ich versuchte ja dagegen anzukämpfen. Aber das, was man jetzt mit uns machte, war schlimmer als alles zuvor. Tief atmend, versuchte ich mich zu beruhigen. Dennoch wollte es mir nicht gelingen. Leise mühsam sprechend bat ich.

"Doko, Ginobus mako. – Doko, ich bekomme eine unsagbare Wut, ich weiß keinen Ausweg."

Jo sah erschrocken zu mir, weil er nicht verstand, was passierte. Jedoch sah er wie mühsam ich atmete und wie ich mich krampfhaft versuchte zu beruhigen. Rudi übersetzte für ihn, da er der einzige war der unsere Sprache noch nicht sprach.

"Sie hat gesagt, Doko ich habe eine unsagbare Wut. Ich finde keinen Ausweg."

Verwundert sah Jo mich an, dann seine Freund, weil er nicht verstand. Darum fragte er, noch bevor Doko antworten konnte. "Warum?"

Ich zeigte auf unseren Baum, der mit einen rosa Kreuz markiert war. Alle vier, sahen jetzt erst das Kreuz. Doko war genauso entsetzt darüber, wie ich. Immer heftiger atmete ich und kämpfte gegen einen erneuten Anfall, den ich nicht in den Griff bekam, weil ich emotional viel zu aufgewühlt und wütend war.

"Rashida nikyta. – Beruhige die meine Kleine", redete der Doko in einen beruhigenden Ton auf mich ein.

Aber mit ängstlichem Blick stellte er fest, dass er alle Symptome eines Anfalls erkannte.

"Fritz sagt, beruhige dich meine Kleine", übersetzte Rudi für Jo.

Ich ging in die Knie. Da ich so um vieles besser, in die Taijiatmung kam, um den Anfall zu kontrollieren.

Mühsam sagte ich. "Nisön, levedo sidu? Kri. Rafik. Mirna, mirna! – Freund, warum bestraft man uns? Wir vergossen unserem Blut. Man entehrt unsere Freunde. Verlasst mich, geht!"

Doko raufte sich die Haare und drehte sich zu den Freunden um.

"Bitte, lasst uns gehen. Ich glaube Kahlyn bekommt den Anfall, nicht unter Kontrolle, es ist einfach zu viel."

"Was hat sie gesagt? Ich habe es nicht verstanden oder besser gesagt, ich begreife den Sinn dessen nicht", wollte Rudi jetzt von meinen Doko wissen.

"Sie sagte, mein guter Doko, wir wurden bestraft mit unserem Blut, jetzt entehrt man auch noch meine Freunde. Verlasst mich, geht!", irritiert sahen sich die Freunde an.

Sie begriffen nicht den ganzen Sinn, meiner Worte. Doko drängte meine Freunde, aus Gera zurück.

"Warum müssen wir gehen?", wollte Rudi wissen. Er wollte mich nicht alleine lassen.

"Weil ihr sonst verletzt werdet. Das man ihren Baum fällen will, ist einfach zu viel. Es ist der Friedhof der Kinder. Bitte lasst uns weggehen, nicht das Kahlyn jemanden von Euch verletzt. Das würde sie jetzt nicht auch noch verkraften."

Jo sah Doko entsetzt an. "Wieso fällen?" Er begriff es nicht, wie ich auf diese Idee kam.

John erklärte es ihm. "Jo, wenn der Förster bestimmte Bäume mit einen rosa Kreuz markiert, werden diese gefällt."

Jo verstand es immer noch nicht. "Warum?"

John zuckte mit den Schultern. "Das weiß ich nicht, eigentlich sieht der Baum gesund aus. Ich weiß nicht aus welchem Grund er gefällt werden soll. Vielleicht ist das die letzte Rache von diesem Mayer. Das könnte ich mir jedenfalls vorstellen."

Jo raufte sich die Haare. Mittlerweilen waren alle auf einen sicheren Abstand gegangen. Beobachteten mich aus einer Entfernung von fast vierzig Metern, vom Rand der Lichtung, vom Waldrand aus. Ich versuchte immer noch mich zu beruhigen, doch es gelang mir nur teilweise, zwar konnte ich den Anfall abschwächen, doch nicht verhindern. Also konzentrierte ich mich, auf die Kontrolle des Anfalles. Gab mich kontrolliert der Verwandlung hin, auch den damit verbundenen Schmerz. Ich fing an zu schreien.

 

Vom Waldrand aus wurde Kahlyn, durch ihre Freunde beobachtet. Doko der Kahlyns schmerzerfüllten Schrei hörte, wusste, dass Kahlyn die Verwandlung nicht verhindern konnte. Aber er hörte auch heraus, dass Kahlyn die Kontrolle behalten hatte. Er drehte sich zu ihren Freunden um.

"Ihr wolltet wissen, was passiert, wenn Kahlyn den Anfall nicht kontrolliert hätte. Jetzt könnt ihr es sehen. Dass sie schreit ist normal, es ist der Klageruf der Gino. Der kontrollierten Tiere, wie sich die Kinder im kontrollierten Anfall, immer nennen. So kämpfen sie, in aussichtslosen Fällen, als kontrollierte Ginos."

Entsetzen stand auf den Gesichtern der Geraer Kollegen. Es waren Schreie, die einen durch Mark und Bein gingen. Wenn die Männer dachten die Schreie, die Kahlyn während ihrer Anfälle in Gera von sich gab, dass diese schlimm gewesen waren, so wurden sie jetzt eines besseren belehrt. Kahlyns Schreie gingen durch Mark und Bein. Jo beobachtete Kahlyn, mit immer entsetzterem Gesicht. Was er sah war einfach grauenvoll. Auch Rudi wurde mit jeder Sekunde klarer, was er für ein Glück gehabt hatte. Er sah, was er vorher nur gefühlt hatte.

Plötzlich begann Kahlyns Körper sich zu verformen. Sie bekam einen Buckel, die gesamte Wirbelsäule, krümmte sich. Die Fersen der Füße zogen sich nach oben, die Zehen krümmten sich, so dass sich eine Art Tatze bildete. Die Knie verlagerten sich über die Tatzenspitze, so dass Kahlyn gezwungen war auf der Tatze zu stehen. Der Brustkorb verengte sich und wurde nach von spitz. Auch zogen sich die Schultern nach unten, so standen die Ellenbogen, parallel zu den hinteren Beinen und wie die vorderen Gliedmaßen enger beieinander. Der Hals bog sich in Richtung Rücken, so dass der Hinterkopf im Winkel von hundertzwanzig Grad zur Wirbelsäule stand und die Wirbelsäule streckte sich wieder. Auch wurde der Kopf des Mädchens immer länger, nach oben spitz verlaufend und das Kinn spitze sich zu. Die Jochbeine verengten sich, schoben sich nach vorn. Jetzt sah das Gesicht einem Tier ähnlicher, als einem Menschen. All diese Veränderungen, schienen von höllischen Schmerzen begleitet zu werden. Oder waren das Schrei der Wut, die Kahlyn von sich gab. Die Freunde, konnten es sich nicht erklären. Sie waren zu entsetzt, um gleich zu fragen. Sie vermuten, dass dies beides verbunden war und es sich um wütende Schmerzschreie handelte.

"Warum passiert das Fritz?", konnte sich Rudi nicht verkneifen. "Das ist doch entsetzlich, was die Kleene da durchmachen muss. Kann man das nicht verhindern?"

Entsetzen über das Erlebte, stand in seinem, wie auch in Johns Gesicht geschrieben. Aber vor allem in Jos Gesicht, stand das pure Grauen, noch schlimmer als bei den Anderen, wenn das überhaupt möglich war.

"Nein Rudi, verhindern hätte sie es nicht können, ohne sich nochmals N47 zu spritzen. Dazu war die Zeit viel zu kurz und es wäre auch viel zu gefährlich. Hoffen wir, dass sie noch genügend N47 im Blut hat, um es zu kontrollieren. Der Schock darüber, dass man ihren Baum fällen will, ist einfach zu heftig. Ihr müsst euch das so vorstellen, als wenn man den Friedhof auf denen eure Angehörigen beerdigt sind, auf einmal ohne Grund weg machen will. An dem Baum hängen nicht nur die Ketten, unter dem Baum, liegen sämtliche Kinder beerdigt, die sie noch beerdigen konnten. Kahlyn und ihre Freunde stahlen mit Hilfe der Leute aus dem Projekt, die in den Kühlkammern aufgebahrten Leichen ihrer Kameraden. Der Oberstleutnant gab sie nie freiwillig heraus gegeben. Jeden ihrer Kameraden, mussten die Kinder sich heimlich holen. Mayer weiß wahrscheinlich nicht einmal, dass alle Kinder hier begraben sind. Alle außer Fünfzehn, die immer noch verschollen sind. Zehn der Kinder liegen irgendwo in Chile und fünf weitere Kameraden Kahlyns liegen in einer unerreichbaren Tiefe im Stechlinsee. Selbst die Kameraden die in Einsätzen fielen, brachten die Kinder immer nach Hause. Sie holten ihre toten Kameraden oft unter Lebensgefahr aus den Kampfzonen und erreichten damit, dass sie nach Hause zurückkehren konnten. Alle anderen und zwar sechsundsiebzig, liegen hier unter den Baum vergraben. Deshalb hat es den Anschein, dass der Baum auf einem Hügel stehen würde. In Wirklichkeit jedoch, wurden alle Kinder unter dem Baum begraben. Der Baum steht auf einem Grabhügel", Fritz sah Rudi, Jo und John traurig an. "Wenn man diesen Baum fällt, wird man auch die Wurzeln ausgraben wollen. Damit zerstört man die letzte Ruhestätte der Kinder und den letzten Schlaf ihrer toten Kameraden. Versteht ihr, dort liegen sechsundsiebzig tote Kinder."

Jetzt begriffen alle, warum Kahlyn so wütend war. Was sie in einen neuen Anfall hinein getrieben hatte. Über eine viertel Stunde dauerte es, bis die Verwandlung vollendet war. Plötzlich fing Kahlyn an sich zu bewegen. Einem Geparden gleich, bewegte sie sich um ihren Baum. Die nach oben gewölbte Wirbelsäule, begradigte sich. Die Bewegungen waren grazil, wie die einer Raubkatze. Immer wieder, umkreiste sie ihren Baum. Ständig kamen wütende grelle Schrei aus ihrem, wie soll man es nennen, Maul. Schreie die so viel Wut ausdrückten und so viel Leid beschrieben, dass es den Freunden aus Gera, das Herz zerreißt wollte. Immer schneller umkreiste Kahlyn ihren Baum, als wenn sie jemanden jagte.

"Warum macht sie das?", Jo blickte entsetzt zu Kahlyn. "Denkt sie noch wie ein Mensch, Fritz? Ist sie überhaupt noch ein Mensch?", zitternd stellte er diese Fragen.

"Jo, das kann ich dir nicht beantworten. Die Kinder haben nie über diese Anfälle reden wollen. Ich weiß nur, dass sie diese Anfälle hassen wie die Pest. Aber ich denke, es sind tief in sich drinnen immer noch Menschen. Es ist für mich immer genauso schwer über diese Anfälle zu sprechen wie für Kahlyn. Aber vielleicht hilft es euch, mein kleines Mädchen besser zu verstehen. Vor zwölf Jahren bekam Kahlyn, einen dieser Anfälle, sie konnte ihn nicht kontrollieren. Warum, kann ich euch nicht genau erklären, das hatte immer verschiedene Gründe. Kahlyn litt schon immer viel öfter unter diesen Anfällen wie alle anderen der "Hundert". Ihr müsst wissen, sie hat um einiges mehr an Emotionen als ihre Kameraden. Damals hatten sie während eines schweren Einsatzes, die Ginos als Waffe eingesetzt. Ihr müsst wissen, nach dem Rufen der Ginos verbleibt für sehr lange Zeit eine unwahrscheinliche Wut in den Kindern. Diese Wut war noch nicht abgeklungen. Mayer der wie immer nicht auf mich hören wollte, musste sie zusätzlich noch provozieren, bis aufs Blut. Innerhalb von nur zwei Minuten, verletzte sie fünfzehn Leute von der Wachkompanie schwer, weil die Leute den Befehl von Mayer bekamen, sie einzufangen und einzusperren. Ich bin heute noch der Meinung, dass Kahlyn eine Restkontrolle hatte, denn sonst wären diese Männer alle tot gewesen. Mayer befahl den Wachleuten, sie mit Flammenwerfern in die Ecke zu treiben. Kahlyn blieb also nur noch der Angriff, gegen die Wachmannschaft übrig, wenn sie überleben wollte. Feuer hieß damals tödliche Gefahr für die Kinder, müsst ihr wissen. Als der Anfall vorbei war, kam als erstes von ihren Lippen, sie konnte kaum sprechen. "Warum haben sie das gemacht, ich konnte es doch nicht kontrollieren." Danach ging sie zu den Männern hin und heilte sie, obwohl sie sich kaum auf den Beinen halten konnte. Ich denke deshalb, die Kinder wissen sehr genau, was sie da tun, auch wenn sie es nicht kontrollieren oder besser verhindern können. Nach diesem Vorfall, hat nie wieder jemand versucht die Kinder zu bändigen. Man hat sie einfach in Ruhe gelassen, egal was Mayer sagte. Keiner vom Wachpersonal ist noch einmal dieses Risiko eingegangen. Sie taten das Gleiche, was wir jetzt machen werden. Sollte Kahlyn uns angreifen oder auf uns zukommen, wehrt euch nicht. Setzt euch hin, macht euch so klein es geht. Am besten ihr legt euch flach auf den Boden und schaut sie nicht an. Das ist laut Kahlyn, der beste und einzige Schutz, gegen die Ginos", erklärte Fritz weiter. Dabei beobachtete er, genau wie die Freunde aus Gera, was Kahlyn machte.

"Ich vermute, sie macht sich mit dem Laufen Luft, damit die Wut nachlässt. Vielleicht sucht sie auch nach einer Lösung", Rudi sprach seine Vermutungen einfach aus.

Fritz stimmte dem zu, denn immer schneller umrundete Kahlyn ihren Baum. Sie zog immer größere Kreise, kam den Freunden immer näher. Etwas das Fritz mit Entsetzen feststellte und dass ihm gar nicht gefiel.

"Bitte seid leise, redet und bewegt euch jetzt nicht mehr. Die Ginos haben ein noch besseres Gehör als die Kinder. Macht Kahlyn, nicht auf uns aufmerksam. Es könnte sein, dass sie dadurch ihre Wut unbewusst auf uns konzentriert."

Die Freunde beobachten Kahlyn, die in nur drei Metern Entfernung vorbei lief. Jo starrte Fritz an und wollte etwas sagen. Fritz legte den Finger auf die Lippen und schüttelte ganz vorsichtig den Kopf. Zeigte ihm so, dass er schweigen soll. Kahlyn die ihr Tempo plötzlich verringerte, sah in die Richtung der Freund. Sie hatte diese kleinen Bewegungen von Fritz wahrgenommen. Erst jetzt sah man, wie extrem die Veränderung in ihrem Gesicht wirklich war. Es hatte keine Ähnlichkeit mehr, mit dem Gesicht von Kahlyn, nur die Augen waren die gleichen, orange rot glühenden Augen, die einem jetzt noch mehr Angst einjagten. Kahlyn blieb stehen und gab ein fauchendes Geräusch von sich. Es war eine Art Drohgebärde. Zum Glück bewegte sich keiner der Männer, alle blieben wie angewurzelt stehen und hielten sogar die Luft an. Sie waren so erschrocken von dem, was sie sahen, dass sie wie versteinert waren. Kahlyn bewegte ihren Kopf hin und her, als wenn sie etwas suchte, dann lief sie einfach weiter.

Nach einigen Minuten trauten sich alle aufzuatmen. Sie waren erleichtert, dass nichts passiert war. Kahlyn allerdings, schien sich an ihr Vorhaben erinnert zu haben. Sie zog ihre Kreise wieder näher an den Baum. Plötzlich lief sie auf das Kreuz zu, holte mit den Krallen die Borke vom Baum. Als, wenn sie begriffen hätte, das, wenn das Kreuz nicht mehr da wäre, ihr Baum gerettet würde. Sobald sie die Borke vom Baum geholt hatte, legte sie sich hin. Das Schreien hörte auf und ging in ein Wimmern über, das genauso schlimm war, wie die Schreie zuvor. Die Männer schauten ständig zu Fritz, der schüttelte den Kopf.

"Wir können noch nicht zu ihr, ich weiß nicht ob der Anfall vorbei ist."

Erklärte Doko den Dreien, weshalb er nicht zu Kahlyn ging. Nach weiteren zwanzig Minuten, trat eine Stille ein. Eine unheimliche Stille. Erst jetzt merkten die Männer wie ruhig es im Wald war, kein Rascheln, kein Zwitschern war mehr zu hören. Als wenn der Wald ausgestorben wäre.

Doko atmete erleichtert auf. "Es ist vorbei, sie hat es geschafft. Kommt, sehen wir nach wie es Kahlyn geht. Ich hoffe gut. Es ist schlimm, sie hatte drei schwere Anfälle in nur vier Tagen gehabt. Kahlyn muss am Ende ihrer Kräfte sein. Kommt", bat er traurig.

Sofort lief er auf den Baum der Kinder zu. Kahlyns Freunde folgten ihm. Vorsichtig ging Fritz auf die am Boden liegende Kahlyn zu, die zu schlafen scheint. Näherte sich ihr von vorn, so dass Kahlyn ihn kommen sah. Indem er um den Baum lief und vom Baumstamm auf sie zuging. Jo, Rudi und John machten es ihm nach. Erschrocken stöhnten Jo und John auf, als sie Kahlyns Gesicht sahen, was vollkommen blutunterlaufen war. Kahlyn schien ohnmächtig zu sein. Fritz beugte sich über Kahlyn und kniete sich neben das am Boden liegende Mädchen.

 

 "Kahlyn, halikon? – Ist es vorbei Kahlyn?", besorgt erkundigte er sich, für Jo übersetzte er gleich die gesprochenen Worte. "Ist es vorbei, Kahlyn?"

Müde sah ich zu Doko hoch, flüsterte kaum hörbar. "Krisin, rafik. Kri, pör rafik. Halikon!"

"Ich habe meine Freunde erschreckt. Habe alles zerstört, jetzt bin ich ein Monster für meine Freunde. Es ist vorbei!", übersetzte jetzt John für Jo.

Ich finge an zu weinen. Doko schüttelte den Kopf.

Rudi kam auf mich zu und zog mich in seine Arme. "Kahlyn, du bist kein Monster. Wirst es für mich niemals sein, ich habe dir gesagt ich liebe dich, meine Kleene. Daran wird sich nie etwas ändern", er streichelte liebevoll mein Gesicht und sah mir in die Augen, die ich geschlossen hielt. Da ich keine Brille mehr trug. Ich wusste, dass er meinte, was er sagte. Langsam, kam ich wieder ganz zu mir. Ich musste den Baum heilen, ging es mir durch den Kopf. Ich hatte ihn verletzt. Vorsichtig befreite ich mich aus Rudis Umarmung, er sah mich verwundert an.

"Ich muss ihn heilen, sonst stirbt er", erklärte ich leise.

Schwankend stand ich auf. Rudi ebenfalls und er stützte mich. Alleine hätte ich die wenigen Schritte bis zum Baum nicht mehr geschafft. Gemeinsam liefen wir auf unseren Baum zu. Ich stützte mich mit meiner letzten Kraft, gegen den fast drei Meter dicken Stamm, genau an der Stelle, wo die Borke fehlte. Dann öffnete ich meine Augen, auch wenn die Schmerzen durch das Licht, fast unerträglich waren. Durch das Krantonak heilte ich die Wunde des Baumes aus. Verschwommen sah ich aber auch die erschrockenen Blicke der Anderen, als sie die Verwüstung sahen, die ich angerichtet hatte.

Der Baum hatte ein richtig tiefes Loch, an der Stelle, wo das Kreuz gewesen war. Ich hatte einfach mit den Krallen, das Kreuz aus dem Baum gerissen. Langsam wuchs das Loch wieder zu, die Bork legte sich schützend um den Stamm des Baumes, er war wieder gesund. So, wie ich die Heilung abgeschlossen hatte, brach ich zusammen. Rudi der mich die gesamte Zeit beobachtet hatte, sah wie ich immer blasser wurde und fing mich auf. Verhinderte so, dass ich unkontrolliert auf dem Boden schlug. Doko dagegen, nahm sein sauber gebügeltes Taschentuch aus seiner Hose und band es mir über die Augen. So dass ich nicht mehr so schlimm, vom Licht geblendet wurde.

"Kommt, lasst uns hinein gehen, damit Kahlyn wenigstens eine Stunde schlafen kann", bat Doko meine Freunden.

Er bückte sich und hob meine kaputte Brille auf. John blickte Rudi fragend an, dieser nickte. Also hob mich John mit Rudis Hilfe auf und nahm mich auf seine Arme. Gemeinsam folgten alle meinem Doko, zurück in die Schule. Sie gingen in unseren Schlafraum, wobei sie die Tür offen ließen, damit sie etwas sahen. Doko zeigte John mein Bett, auf das er mich vorsichtig legte. Rudi nahm eine Decke und deckte mich damit zu. Setzte sich neben mich und zog mich auf seinen Schoss. Fast sofort atmete ich gleichmäßiger und ruhiger. Ich spürte die Nähe eines lieben Menschen. Jo ging nach nebenan in den Sanitärbereich, holt ein nasses und ein trockenes Handtuch und säuberte mir damit das blutverschmierte Gesicht, auch die Hände. Erst jetzt sah er, dass meine Finger blutig waren. Er blickte meinen Doko entsetzt an.

"Was ist mit ihren Händen?" Entsetzen stand auf seinem Gesicht.

Doko versuchte Jo zu beruhigen. "Jo, das ist normal. Die Krallen, drücken einfach die Fingernägel weg. Kahlyn kann das, wenn sie wieder munter ist heilen. Es ist nicht schlimm. Viel schlimmer sind die Verletzungen der Organe, die durch die Verwandlung geschehen können. Warten wir ab, bis sie wieder bei Bewusstsein ist", erklärte Doko, Jo.

Der wusch auch meine Hände sauber, ganz vorsichtig, auch trocknet er mir das Gesicht und die Hände ab. Erst jetzt sah er, wie schlimm mein Gesicht aussehen musste, durch die Dunkelheit sah es fast schwarz aus.

Doko entschuldigte sich kurz. "Ich komme gleich wieder, ich muss hoch ins Labor, nachsehen, ob ich für Kahlyn noch eine Brille habe. Ansonsten muss ich ihr die Augen verbinden, so kann sie nicht nach Gera fahren. Einer sollte bei Kahlyn bleiben."

Rudi bot sich an diese Aufgabe zu übernehmen. "Ich bleibe bei Kahlyn, geht ruhig. Lasst aber bitte, die Tür einen kleinen Spalt auf", sah die anderen bittend an. Schon verließen Jo, John und der Doko den Schlafraum und gingen nach oben in das Labor. Ich dagegen schlief friedlich. Ich war viel zu fertig, als dass ich etwas mitbekommen hätte. Verzweifelt suchte der Doko nach einer Ersatzbrille. Es waren nur noch einzelne Teile da.

Jo musste lachen. "Wenn das mal keine Herausforderung für mich ist. Wenigstens einmal kann ich mich nützlich machen. Dann machen wir aus vielen Teilen eine Brille. Kommt helft mir bitte mal."

Ohne zu zögern, nahmen die Drei die Brille auseinander. Die kaputten Brillen die noch im Labor herum lagen nahmen sie auch auseinander. Einen ganzen Brillenrahmen hatte, Jo schnell gefunden, der ungefähr für Kahlyn passte. Er war zwar etwas größer, aber mit einem kleinen Trick machte er den Rahmen passend. Er bat einfach den Doko, ihn den Brenner anzumachen. Ganz vorsichtig erhitzte er den Rahmen so, dass er das Gestell biegen konnte. Auch erwärmte er den Rahmen, in der Höhe vorsichtig, um die etwas kleineren Gläser von Kahlyn, genau einzupassen. Nach zwanzig Minuten hielten die Gläser richtig fest im Rahmen. Auf die gleiche Weise passte er die Seitenkörbe der Brille an Kahlyns Bedarf an.

Doko staunte Bauklötzer. "Woher kannst du das?", verwundert sah er Jo zu.

"Mein Onkel ist Optiker, er hat mich schon als Kind manchmal helfen lassen, daher kann ich das. Schweißerbrillen werden auf die gleiche Weise hergestellt, nur dass sie halt, aus durchsichtigem Material sind. Ich habe meine Lehre bei ihm gemacht, bevor ich zur Polizei gegangen bin. Ich bin gelernter Optiker. Auch, wenn ich lange nicht im Beruf gearbeitet habe, bin ich immer noch ganz gut. Ich hab noch nicht alles verlernt. Ich fahre am Freitag mal zu ihm, dass er für Kahlyn eine richtige Brille macht. Auch, wenn er schon etwas älter ist, hat er noch richtig etwas drauf, in der Brillenfertigung. Er wird der Kleenen ganz schnell eine neue Brille bauen. Nur die Gläser und Seitenkörbe, werden ein Problem werde", erklärte Jo, seinen erstaunten Freunden.

"Jo das ist kein Problem, ich habe noch genug Teile zu Hause, halt nur hier nicht. Da kann ich dir einiges mitgeben", lächelnd, aber auch dankbar, sah Doko Jo an.

"Dann ist das alles kein Problem", antwortete er etwas einsilbig, da er Schwierigkeiten damit hatte, an dieser etwas verbogenen Brille, die Bügel und Seitenstege festzubekommen. Nach einigen gewaltigen Flüchen, hatte er aus Nichts, eine zwar etwas eigenartig geformte, aber eine brauchbare Brille gezaubert. Zufrieden sah er zwar nicht aus, aber er hielt das Provisorium, Doko zur Begutachtung hin.

Jacob nickte glücklich. "Damit kommt Kahlyn, auf alle Fälle ein paar Tage hin. Zur Not kann sie ja auch, die Kontaktlinsen tragen, ein paar Tage geht das schon. Das hast du verdammt gut zusammengebastelt, das hätte ich nie geschafft", erfreut klopfte er Jo auf die Schulter, machte die Brenner aus.

"Dann komm, gehen wir nach unten, vielleicht wird die Kleine bald munter."

Ordentlich räumten die Drei das Labor wieder auf und liefen gleich nach unten in den Schlafraum. In dem ich immer noch ruhig schlief. Rudi hatte sich nicht bewegt, um meinen Schlaf nicht zu stören. Jo zeigte ihm sein Provisorium.

Rudi lachte ihn an. "Na, von dir lasse ich mir aber keine Brille bauen, die sieht aus, wie ein bissel schief und verbogen. Einen Wettbewerb gewinnst du damit nicht", neckte er seinen Freund leise und doch lachend. "Aber schön, dass sie überhaupt wieder eine Brille hat", fügte er leise flüsternd hinzu.

Ich wurde munter, weil ich leise Stimmen hörte. Ich öffnete meine Augen und fühlte, dass ich etwas vor die Augen gebunden hatte. Vorsichtig hob ich meine Hand, um nach diesem etwas zu greifen. Immer noch ganz verwirrt, sah ich mich um. Meine Freunde waren noch da, meine größte Angst, dass ich sie vertrieben hatte, bestätigte sich nicht.

Ich drehte ihnen in dem fast dunklen Raum meinen Kopf zu. "Es tut mir leid, dass ihr das erleben musstet, wirklich, es tut mir so leid. Ich kann verstehen, wenn ihr nichts mehr mit…", weiter kam ich nicht.

Jo unterbrach mich und setzte sich auf mein Bett und zog mich einfach in seinen Arm. "Dass wir nichts mehr mit dir zu tun haben wollen. Kahlyn, warum denn?", traurig sah er mich an.

"Weil ich ein Monster bin", gab ich leise zur Antwort.

"Du bist doch kein Monster, meine Kleene." Jo, John, Rudi sahen mich ernst an.

"Doch", widersprach ich ziemlich kleinlaut. "Wer von euch verwandelt sich sonst noch, in einen Gino?", wollte ich von den Anderen traurig wissen.

"Keiner. Aber du machst das doch nicht freiwillig. Wenn du es dir hättest aussuchen können, dann würdest du das bestimmt auch nicht machen. Ein Monster wärst du nur Kleene, wenn du ohne Rücksicht auf andere, diese Verwandlung zulassen würdest. Nur dann. So bist du nur ein Opfer, von verantwortungslosen Menschen, die gar nicht wissen, was sie dir angetan haben", erklärte mir Jo.

"Ihr mögt mich trotzdem noch?", verwundert sah ich die Anderen an.  

Jo antwortete für alle. "Natürlich! Vor allem, weil wir jetzt endlich begriffen haben, weshalb du dir diese fruchtbare Spritze angetan hast. Weil wir jetzt wissen, dass du niemals zulassen würdest, dass du uns schadest. Also Kleene, du bist alles, aber kein Monster. Aber etwas anderes, was viel wichtiger ist. Deine Brille ist kaputt gegangen. Ich hab versucht eine zusammen zu basteln. Die ist zwar nicht besonders schön, aber besser als ein Verband um die Augen, auf alle Fälle. Morgen früh, fahren wir zu meinen Onkel August. Der macht dir eine hübsche, die dazu auch noch schön aussieht. Oder ich baue dir ein, wenn er keine Zeit hat."

Jo hielt mir eine Brille hin. Die wirklich etwas verschoben aussah. Als ich sie allerdings aufsetzte, passte sie wie angegossen. "Danke", sagte ich ganz leise.

Doko streichelte mir mein Gesicht. "Na komm Kahlyn, lass uns nach Hause fahren, dein Struppi hat bestimmt Angst, um dich. Aber, vorher bringst du dein Gesicht in Ordnung, meine Kleine, du siehst schrecklich aus."

Ich schüttelte den Kopf. "Doko, ich habe keine Kraft mehr. Ich kann das jetzt nicht in Ordnung bringen", erklärte ich Doko traurig.

Der streichelte mich ganz lieb. "So schlimm Kahlyn? Aber das ist nicht tragisch, dann lasse es so wie es ist, nehm dann die Hämlo-Salbe, das hilft auch. Dann muss Rudi noch telefonieren. Also kommt, verlassen wir diesen Ort. Er gehört nicht mehr in dein Leben. Er ist endlich Vergangenheit."

Aufmunternd lächelnd, reichte Doko mir die Hand, ich stand auf und half meinerseits Rudi auf die Beine. Unsicher stand ich da, war hin und her gerissen zwischen Scham und Freude. Ich wusste nicht so genau, was ich denken sollte. Es ging mir wieder etwas besser. Ich nahm mir, einen sauberen Overall aus dem Schrank, zog den an, denn meine Sachen waren kaputt. Langsam gingen wir nach draußen, immer wieder musste ich eine Pause machen, da ich noch nicht wieder richtig fit war. Kurz nach Viertel Drei, verließen wir meine ehemalige Schule. Leutnant Worm sah mich erschrocken an, als er etwas sagen wollte, erklärte ihm Doko.

"Genosse Worms, es ist nichts passiert, nur müssen wir telefonisch einiges regeln. Wie sie wissen, ist mein neuer Anschluss noch immer nicht bereit gestellt. Können wir von ihrem Telefon einige Gespräche führen. Mit der Wache in Gera, vor allem aber, mit ihrem Vorgesetzten. Man will den Friedhof der Kinder schänden. Das können wir so, nicht durchgehen lassen. Deshalb ist Kahlyn, vorhin so ausgerastet."

Worms holte tief Luft, man sah ihm an, dass die letzten Stunden die Hölle für ihn waren, dass er wissen wollte, was dort drinnen geschehen war.

"Genosse Jacob, bitte sie können mir doch nicht sagen, dass dort drinnen alles in Ordnung war. Wer hat da so geschrien? Uns ist hier vor Schreck, fast das Herz stehen geblieben."

Man sah Worms an, dass es der Wahrheit entsprach, was er sagte. Seine Stimme zitterte immer noch, von dem Gehörten.

"Genosse Worms, ich erklärte ihnen doch, dass man den Friedhof der Kinder schänden will. Das ist Kahlyn nicht bekommen. Sie wissen doch wie diese Kinder sind. Waren doch lange genug bei uns, um zu wissen, was passiert, wenn man die Kinder in die Ecke treibt. Bitte, Kahlyn muss nach Hause, lassen sie uns schnell telefonieren. Schon sind sie uns los und sie haben wieder ihre Ruhe."

Worms verstand was Jacob meinte, jetzt erst begriff er, was da vorhin geschehen war. Zu genau waren ihm solche Vorfälle aus der Vergangenheit bewusst, nur brachte er die Schreie von heute, nicht damit in Verbindung. Da er ja wusste dass niemand mehr in der Schule ist.

"Kommen sie bitte mit. Leutnant Kahlyn sie auch, im Büro können sie sich setzten", bat er mich freundlich, mitzukommen.

Wir folgten ihm und betraten das Büro der Wachkompanie. Hinten in der Ecke, stand ein Doppelstockbett.

"Leutnant Kahlyn, wenn sie möchten, können sie sich so lange hinlegen."

Ich war dankbar für den Vorschlag und lief nach hinten, um mich auf das unter Bett zu legen. Erschöpft schloss ich einfach die Augen, in der Hoffnung etwas Ruhe zu finden. Rudi und Jo kamen mir nach. Ich öffne eine Verbindung zu Rudi. "Rudi, ob ich Jo fragen kann, ob er das Jawefan mit mir macht? Dann kann ich ihm das schnelle Schlafen und alles beibringen. Vielleicht, geht es mir dann etwas besser. Ich muss ihm nur eine Spritze geben, wegen der Schmerzen."

Rudi nickte, sah er doch, dass es mir nicht besonders gut ging. "Kleene, hast du schon wieder Fieber? Ich rede mit ihm."

Ich schüttelte den Kopf. In der Verbindung antwortete ich ihm. "Nein Rudi, nur geht es mir nicht besonders gut, ich muss unbedingt etwas schlafen. Es ist der dritte Anfall in vier Tagen, das ist selbst für mich zu viel. Ich kann einfach nicht mehr."

Mühsam versuchte ich mein inneres Gleichgewicht wieder zu finden, doch wollte es mir nicht so richtig gelingen. Mir ließ die Sache, mit dem Baum einfach keine Ruhe.

"Kleene, schlafe erst einmal eine halbe Stunde, so lange dauert das auf alle Fälle hier. Dann machst du mit Jo das Jawefan, vielleicht geht es dir dann etwas besser."

Ich rollte mich auf dem Bett zusammen. John kam heran und legte sich einfach hinter mich, damit ich meine Ruhe fand. Seine Körperwärme tat mir gut, langsam ließ das Zittern meines Körpers etwas nach. Durch Johns Hilfe, kam ich schnell in den Schlaf. Jo und Rudi, gingen nach vorn zu meinem Doko, der böse mit einer ihm vorgesetzten Stelle, zusammen geraten war.

Jo unterbrach Doko. "Was ist denn los Fritz? Gibt es Ärger."

Doko entschuldigte sich kurz bei seinen Gesprächspartner. "Bitte einen Moment, Genosse Oberstleutnant", erklärend wandte er sich Jo zu. "Jo, diese verbohrten Bürokraten sind der Meinung, der Baum müsse weg, er würde das Gesamtbild des gesamten Objektes verschandeln und eine Gefahr darstellen. Ich fasse es nicht", richtig gehend wütend sah Doko aus.

Jo schüttelte den Kopf. "Darf ich mal, mit diesen Leuten sprechen, Fritz", Doko reichte den Hörer an Jo weiter. "Polizeirat Runge, am Apparat. Mit wem spreche ich, Oberst Jacob sagte mir gerade, dass sie nichts von unserem Anliegen hören wollen. Verbinden sie mich bitte mit ihrem Vorge…", wollte Jo sein Anliegen vorbringen, wurde allerdings einfach unterbrochen. Er konnte nicht glauben, was da geschah.

"Oberstleutnant Riedel am Apparat. Genosse Polizeirat, wie ich eben schon Oberst Jacob, der hier schon als Querulant eingestuft wurde, gesagt habe. Wird der zuständige Förster, morgen den Baum fällen. Daran wird sich nichts mehr ändern lassen, es wurde oben ein Beschluss dazu gefasst. Ich kann doch daran auch nichts mehr ändern."

Jo hörte fassungslos zu. "Was wagen sie sich eigentlich Genosse Riedel? Wer sind sie eigentlich? Dass sie der Meinung sind, über den Dingen zu stehen, die sie nicht einmal begreifen können. Waren sie schon einmal im "Projekt Dalinow"? Haben sie sich den Baum der Kinder, gestern oder heute schon einmal gesehen? Antworten sie mir bitte und zwar sofort", Jo war richtig gehend aufgebracht.

"Genosse Polizeirat, natürlich kenne ich das "Projekt Dalinow" ich war selber lange genug als vertretender Projektleiter vor Ort eingesetzt. Und nein ich war einige Zeit nicht vor Ort und habe den Baum über lange Zeit nicht gesehen. Allerdings kann ich ihnen keine andere Aussage dazu geben", teilte Jo mit.

"Dann verbinden sie mich sofort, mit ihrem Vorgesetzten oder ich sorge dafür, dass sie richtig gehend Ärger bekommen. Ihr Benehmen ist wirklich eine Zumutung. Wenn ich sofort sage, meine ich auch sofort. Sie stellen mir auf der Stelle eine Verbindung mit dem Generalmajor Hunsinger her und das sofort. Haben sie das verstanden Oberstleutnant Riedel. Der doch soviel ich weiß ihr unmittelbarer Vorgesetzter ist."

Am anderen Ende der Leitung hörte man, einen kleinen genervt klingenden Wortwechsel. Es dauerte nicht lange und Generalmajor Hunsinger übernahm von Riedel den Hörer.

"Hunsinger am Apparat, Genosse Polizeirat. Was haben sie für ein Problem, dass sie meinen Adjutanten so herunterputzen."

Jo antwortet sofort. "Genosse Hunsinger oder darf ich sie weiter, mit Franz ansprechen? Hier ist Jo Runge", Jo lächelte den Hörer an und zwinkerte Doko zu.

"Ach du bist es Jo, was ist denn los? Warum pulverst du hier einen meiner Leute an?", wollte Hunsinger wissen.

"Ich pulvere niemanden an, wenn das nicht sein muss. Franz, soweit müsstest du mich kennen. Nur lasse ich es mir nicht einfach bieten, dass man mir ins Wort fällt, mich nicht aussprechen lässt oder meine klaren Ansagen nicht ausführt. Du weißt genau, dass ich aus der Haut fahre, wenn mir jemand ins Wort fällt. Was dein Adjutant gerade gemacht hat, kann man als Befehlsverweigerung und Amtsmissbrauch bezeichnen. Ich kann gern eine Beschwerde gegen ihn, bei der Dienst machen. Dann hat dessen Benehmen gegenüber Oberst Jacob und mir, für ihn ernsthafte Konsequenzen. Das kann doch alles nicht wahr sein. Ich glaube ich bin im falschen Film", regte sich Jo richtig auf und steigerte sich in seine Wut hinein.

Jacob schüttelte den Kopf und legte dem Polizeirat beruhigend die Hand auf die Schulter. Auf diese Weise brachte das Gespräch mit Hunsinger nicht den gewünschten Erfolg. Dem Geraer Kollegen wurde das schlagartig bewusst und Jo atmete tief durch, um sich wieder zu beruhigen. Jacob hatte Recht mit seinen Gesten.

"Entschuldige Franz, aber so ein Verhalten lasse ich mir nicht gefallen, weder von meinen eigenen Untergebenen, noch von deinen. Außerdem denke ich, dass Riedel seine Kompetenzen bei weitem überschritten hat. Ich verlangte dich zu sprechen und bekam statt einer Verbindung mit dir, von ihm einen Vortrag gehalten, über Beschlüsse die gefasst wurden wären. Das interessiert mich eigentlich nicht. Der Grund, warum wir hier angerufen haben, ist der, dass ich mit dir reden muss. Weil hier im "Projekt Dalinow" einiges mehr schiefläuft, als du vielleicht ahnst. Wahrscheinlich, weißt du vieles überhaupt nicht Bescheid, Franz", erklärte Jo seinem Kollegen Hunsinger, der erschrak hörbar.

"Was ist denn los Jo? So aufgebracht habe ich dich noch gar nicht erlebt", Hunsinger zeigte Verständnislosigkeit auf der ganzen Linie mit seinen Worten zum Ausdruck.

"Danke dass ich jetzt deine volle Aufmerksamkeit habe. Dann werde ich dir das einmal genau erläutern, Franz. Es ist folgendes…" Detailgenau berichtete Jo von den Dingen, die er heute hier erlebt hatte, berichtete von den Menschenunwürdigen Bedingungen der Kinder. Aber auch davon, dass man den Friedhof der Kinder einfach beseitigen wollte. "… kannst du dir vorstellen, Franz, wie dieses kleine Mädchen, die so viele ihrer Kameraden hat sterben sehen, darauf reagiert hat. Sie hat einen schweren Anfall bekommen. Das kannst du doch nicht zulassen, Franz. Bitte komme her, sieh dir das genau an, dann erst kannst du darüber einen Beschluss fassen lassen. Ihr könnt doch nicht einfach, die letzte Ruhestätte der Kinder zerstören. Ihr seid doch keine Leichenfledderer. Franz, das geht doch nicht auf diese Art und Weise", Jo erzählte diese ganzen Tatsachen in einem sachlichen, aber freundlichen Ton.

Hunsinger konnte nicht glauben, was er da zu hören bekam. "Jo, du musst dich irren. Mir wurde berichtet, dass dieser Baum eine Gefahr darstellte, das Leben der Menschen bedroht, weil er jeden Moment umkippen könnte. Es wäre nur ein toter Baum. Nur noch ein Gerippe."

Fassungslos hörte Jo zu. "Wer hat dir das berichtet Franz? ...", genau hörte Jo auf die Antwort.

"Das berichteten mir Mayer, Bär, und einige aus der Wachkompanie."

"... das heißt du hast dich wieder von Mayer und Konsorten einlullen lassen. Hast du immer noch nicht begriffen, dass es von dieser Seite nur Lügen gibt... ", schwer holte Runge Luft. "... Moment Franz, ich gebe dir mal einen Kollegen von mir, der etwas von Bäumen versteht. Peters Schwiegervater ist Förster und dadurch kennt sich der Leutnant mit Bäumen ganz gut aus", aufgebracht legte Runge den Hörer hin und lief hinter zu John, um ihn um Hilfe zu bitten. "John, kommst du bitte einmal kurz. Kannst du Generalmajor Hunsinger bitte erklären, in welchen Zustand der Baum wirklich ist."

John stand sofort auf, auch auf die Gefahr hin, dass ich munter werden könnte. Ich schlief allerdings so fest, dass ich dies nicht mitbekam.

"Leutnant Peters, vom SEK 61 Gera, am Apparat", meldete sich John vorschriftsmäßig.

"Genosse Leutnant, was können sie mir, über den Zustand der Kastanie berichten?", erkundigte sich Hunsinger sofort.

"Genossen Generalmajor, ich bin zwar kein Förster, aber soweit ich das beurteilen kann, ist es eine gesunde etwa hundertfünfzig Jahre alte Kastanie, die sehr gepflegt aussieht. Es besteht kein Grund diesen gesunden Baum zu fällen. Ich habe ihn mir vorhin genau angesehen. Er zeigt keinerlei Spuren von Borkenkäfern, hat keine Ameisen oder sonstigen Ungeziefer, nicht mal eine Rosskastanienminiermotte habe ich dort gesehen. Es ist ein durch und durch gesunder Baum. Ich verstehe wirklich nicht, dass man einen solchen völlig gesunden Baum fällen will. Vor allem, weil es der Friedhof der "Hundert" ist. Bitte Genosse Generalmajor, verhindern sie diese Ungerechtigkeit."

Hunsinger war geschockt. "Danke Genosse Peters, können sie mir bitte den Polizeirat noch einmal geben?"

John reichte Jo den Hörer zurück. "Franz, ich bin wieder am Apparat, glaubst du mir nun. Bitte, du musst wirklich mal aus Berlin hier herkommen. Oberst Jacob, kennt sich in dem Objekt gut aus. Er kann dir hier alles zeigen. Was ich heute dort gesehen habe, Franz, das ist eine Verletzung der Menschenrecht schlecht hin. Ich frage mich ernsthaft, wieso ich Polizist geworden bin, wenn ich es zulasse, dass man Kinder auf diese Art und Weise großgezogen hat und ausgebildet wurden. Bitte Franz, du weißt ich sage sonst nicht gleich etwas, aber das, was hier läuft, ist unter aller Sau. Auf der einen Seite für die Mitarbeiter Luxus pur und für die Kinder alles auf minimaler Stufe. Ich verstehe das wirklich nicht. Vor allem beschimpft Oberstleutnant Riedel den hier zuständigen Schularzt, als Querulant. Ich habe Jacob nur als loyalen Arzt kennen gelernt, der sich für das Wohl der Kinder eingesetzt hat. Das ist schon eine richtige Frechheit."

Franz Hunsinger kann nicht fassen, was er da hörte. "Jo, ich kümmere mich darum. Wenn mir das jemand anderes erzählt hätte, ich würde es nicht glauben. Aber bei dir weiß ich, dass du nicht übertreibst. Ich fahre morgen persönlich ins Projekt und sehe mir das alles selber einmal an."

Jo war erleichtert. "Das ist in Ordnung. Soll ich so lange hier bleiben, oder reicht es dir, wenn dir Jacob das Objekt zeigt? Vor allem Franz, lass dir bitte mal den Knebelvertrag von den Jacobs zeigen, den dieser nicht einmal unterschrieben haben. Wie viele der hiesigen Mitarbeiter, weiß auch Jacob nicht, wie seine Unterschrift auf diesen Vertrag gekommen ist. Ich kenne Fritz Jacob zwar erst seit dem 2. September, aber ich habe ihn nur als aufrichtigen Menschen kennen gelernt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser so etwas erfindet. Da ich unabhängig davon, einige Sachen von Leutnant Kahlyn erfahren habe, die sich hundertprozentig mit dem decken, was mir Jacob erzählt hat, glaube ich beiden. Kümmere dich darum, so etwas darf nicht sein. Sonst nehme ich das persönlich in die Hand. Mir ist egal, wie viele Köpfe und warum rollen. Vor allem, sorge bitte dafür, dass man den Friedhof der Kinder nicht zerstört. Man hat diesen Kindern, schon genug Leid angetan, gewährt ihnen wenigstens jetzt ihre letzte Ruhe. Danke Franz, für deine Hilfe."

Hunsinger stimmte dem zu. "Jo, mache dir keine Sorgen, ich kümmere mich persönlich darum, langsam habe ich das Gefühl, dass ich den Bock zum Gärtner gemacht habe. Erst dieser Mayer, der seine Untergebenen halb tot schlägt und jetzt auch noch der Betreuer der Kinder dieser Reimund Bär und die Leute von der Wachkompanie. Die scheinbar auch nur Mist gemacht haben. Ich verstehe nicht mehr, was hier vor sich geht. Ich glaube langsam, dass ich Doktor Jacob, all die Jahre Unrecht getan habe. Ich kann mich doch nicht, um alle Projekte persönlich kümmern. Wenn ich anfange, alles zu kontrollieren, dann komme ich zu meiner eigentlichen Arbeit nicht mehr. Jo ich verspreche dir, ich kümmere mich diesmal höchst persönlich darum. Sage dem Genossen Jacob bitte, dass ich morgen bei ihm vorbei komme, er soll den hiesigen Wachleuten mitteilen, wo ich ihn erreichen kann. Also einen schönen Tag noch. Entschuldige ich muss rein, du hast mich aus einer Besprechung geholt. Ich melde mich die Tage bei dir. Bis bald Jo", ohne eine Antwort abzuwarten legte Hunsinger auf, der hörbar genervt klang.

Jo drehte sich zu Doko um. "Fritz, eine gute Nachricht. Hunsinger kommt morgen persönlich aus Berlin, sieht sich diese Schweinerei selber an. Du möchtest den Wachleuten hier bitte hinterlassen, wo du zu erreichen bist. Soll ich bis morgen hier bleiben, damit du Rückendeckung hast?"

Jacob wirkte unschlüssig, entschied er sich, dass er das alleine schaffen würde. "Jo, ich denke ich schaffe das alleine. Ich mag den Hunsinger zwar nicht. Ich habe ihn allerdings vor Jahren das letzte Mal gesehen. In Himmelpfort hat er jedenfalls vernünftig reagiert. Ich denke, ich komme mit ihm klar."

John sah Jo interessiert an. "Jo, wird er versuchen Kahlyns Baum zu retten?", fragte er direkt nach dem, was ihn am meisten interessierte.

Jedoch kam Jo nicht mehr dazu, ihm zu antworten. Weil ich schreiend aufwachte. John lief hinter zu mir, desorientiert saß ich aufrecht im Bett. "Mäuschen, du hast geträumt, beruhige dich doch. Kahlyn, rashida. Komm beruhige dich wieder."

Völlig aufgelöst und schwer atmend, erzählte ich ihm. "Sie haben ihn einfach gefällt. John sie haben ihn einfach gefällt", immer heftiger atme ich, steigerte mich immer mehr hinein.

"Kahlyn, keiner wird deinen Baum fällen. Das kann ich dir versprechen. Beruhige dich doch, meine Kleene", versuchte Jo, mich zu beruhigen.

John setzte sich neben mich und zog mich einfach in seinen Arm. Er fing an ein Lied zu summen und begann sich dabei mit mir hin und her zu bewegen, um mich zu beruhigen. Nickte aber Jo zu, er sollte weiter mit mir reden.

"Kleene, ich habe gerade mit Hunsinger gesprochen, der kommt morgen persönlich her. Er wird verhindern, dass man die letzte Ruhe deiner Kameraden stört. Komm beruhige dich. Komm meine Kleene, von mir aus bleiben wir bis morgen hier, dann kannst du dich selber davon überzeugen."

Langsam wirkten die Worte und das Summen von John.

Ich fand wieder zurück. "Sie haben ihn nicht gefällt?", fragend sah ich Jo an.

"Nein Kahlyn, dein Baum steht noch, wenn du willst gehe mit Rudi und John noch einmal nachsehen."

Erschöpft legte ich mich in Johns Arme und fing an zu weinen. "Ich will nach Hause, ich kann nicht mehr", flüsterte ich leise.

John streichelte mir den Kopf.

Rudi setzte sich auch auf das Bett. "Komm her meine Kleene, du bist doch total fertig. Komm schlaf noch etwas."

John drückte mich in Rudis Arme, ich fühlte seine Nähe, seine Sicherheit. Allmählich kam ich wieder ganz zu mir, allerdings nickte ich immer wieder weg. Ich war am Ende meiner Kräfte und konnte einfach nicht mehr.

"Ich will nach Hause, in meine Wache", flüsterte ich immer noch weinend.

Rudi nickte John zu. Mein Freund nahm mich einfach hoch und trug mich zu Jos Auto. Vorsichtig setzte er mich in den Fond und stieg auf die andere Seite des Wagens ein. Sofort zog er mich wieder in seinen Arm. Rudi rief schnell noch die Wache an und bat darum Inge, Carlos, Carmen, Viola, Rashida, den Oberst davon zu informieren, dass man mich gefunden hatte und dass es mir einigermaßen gut ging. Bat noch darum, dass man den Oberst davon unterrichten sollte, dass der Baum der Kinder gefällt werden sollte. Ob dieser das verhindern könnte. Man hätte zwar Hunsinger schon informiert, nur traue er persönlich, niemanden mehr aus diesem Projekt.

Nach dem Telefonat bedankten sich Doko, Jo und Rudi, bei den Wachleuten für die gute Unterstützung. Rudi ließ sich noch die Telefonnummer von der Wache geben, damit er die Jacobs davon unterrichten konnte, wie es Kahlyn ging und ob sie gut zu Hause angekommen waren. Auch hinterließ Doko die genaue Adresse seines Hauses, wünschen den beiden noch einen schönen Tag. Sofort setzte sich Jo hinters Steuer und fuhr zu Dokos Haus zurück.

Dika kam, als sie den Wagen hörte, sofort an die Haustür. Sie hatte sich schlimme Sorgen gemacht, die Schrei Kahlyns waren bis hier im Dorf zu hören. Dika war gerade im Dorfkonsum, als ihr die Dorffrauen erzählten, dass die Werwölfe wieder gekommen sein. Man wollte sie heute Abend jagen gehen. Auf einmal wurde ihr bewusst, dass das Schreien der Kinder, oft bis hierher zu hören war. Dass man hier also erst Aufklärungsarbeit, mit den Bewohnern leisten musste. Es würde ein schwieriges Unterfangen werden. Umso sehnsüchtiger erwartete sie ihren Mann zurück, um sich mit ihm darüber zu unterhalten.

Aber nur Doko stieg aus dem Wagen und gab seiner Frau einen Kuss. "Anna, kannst du Struppi bitte holen. Kahlyn muss nach Hause, ihr geht es gar nicht gut."

Dika nickte und lief schnell in das Haus. Doko ging ihr hinter her, da er die Brillenteile für Jo holen wollte. Anna kam mit Struppi, dem Restfutter und einer Falsche Wasser, sowie einem Schälchen zum Auto gelaufen. Als sie mich im Auto liegen sah, erschrak sie sichtbar. Allerdings bekam ich davon nichts mehr mit. Ich schlief in Johns Armen tief und fest. Doko kam heran, reichte Rudi zwei Schachteln, mit Ersatzteilen. Dann wandte er sich an seine Frau.

"Anna lass wir sie schlafen. Unser Mädchen hat die letzten Tage genug Stress gehabt. Sie muss endlich etwas Ruhe finden. Ich denke, wenn die Vier in Gera sind, geht es ihr wieder etwas besser. Rudi ruft in der Wache vor der Schule an, die informieren mich morgen."

Kurz entschlossen nahm er Struppi aus Dikas Armen und legte ihn einfach in die Kuhle zwischen mir und der Rücklehne, wo sich Struppi gleich zusammenrollt und sich an mich schmiegte. Stellte das Futter und die Flasche, einfach zwischen Sitz und Rückenlehne.

"Also, ihr Vier. Ich hoffe wir sehen uns bald mal wieder. Passt mir gut auf Kahlyn auf. Seht zu, dass sie endlich etwas zur Ruhe kommt. Ich wünsche euch eine gute Heimfahrt."

So leise es bei einem Auto ging, schloss er die Tür, um mich nicht zu wecken. Doko ging auf seine Frau zu und nahm sie in den Arm. Traurig sahen die beiden zu ihrem Sorgenkind. Aber sie wussten sie in guten Händen und vertrauten den drei Freunden, dass sie alles für das Wohl ihres kleinen Mädchens tun würden.

Kapitel 2

Jo startete das Auto, winkte noch einmal zum Abschied aus dem Fenster, genau wie John und Rudi. Zügig fuhr er los, weg von dem Horror den er hier erleben musste und endlich wieder nach Hause, zu seiner Familie. Der er vieles erklären musste, vor allem jetzt auch konnte. Langsam verließ er die Ausfahrt des Grundstückes der Jacobs und fuhr durch das Dorf, über die nach Süden führende Landstraße L1, in Richtung Kalkhorst. Folgte der Landstraße weiter nach Südwesten in Richtung Dassow, um dann auf die B104 und dann endlich auf die Autobahn zu gelangen. Nach fast fünfeinhalb Stunden Fahrt, kurz vor dem Hermsdorfer Kreuz, wurde ich munter. Erfreut stellten alle fest, dass ich wieder etwas besser aussah. Struppi der ebenfalls gemerkt hatte, dass ich nicht mehr schlief, begann auf mir herum zu klettern und leckte mein Gesicht.

"Na hast du gut geschlafen?"

Jo sah mich Rückspiegel musternd an. Müde sah er aus. Bei den anderen Beiden ging es, sie konnten auch während der Fahrt etwas schlafen.

"Ja, es geht mir wieder besser Jo. Tut mir leid, dass ich es nicht verhindern konnte. Wirklich", versuchte ich mich für das Geschehene zu entschuldigen.

"Ach Kleene, du musst dich doch nicht entschuldigen. Ich bin auch fast ausgerastet. Du musst keine Angst mehr haben, dein Baum wird nicht gefällt. Also versuche noch etwas zu schlafen, in einer halben Stunde sind wir in deiner Wache", beruhigte mich Jo.

Ich setzte mich auf und lehnte mich einfach an Johns Schulter, um seine Nähe zu spüren. "Ich schlafe dann noch etwas. Jo, können wir dann bitte einmal kurz anhalten? Struppi hat einen ganz dicken Bauch."

Jo konnte sich vorstellen, dass der Welpe mal auf eine Wiese musste, denn seit fast sechs Stunden fuhren sie nun schon. Eine lange Zeit für so ein kleines Kerlchen. "Lass mich noch auf die A4 auffahren. Gleich nach dem Hermsdorfer Kreuz ist ein Parkplatz, dort kann Struppi sein Geschäft machen."

Erleichtert sah ich Jo an. "Rudi, kannst du dich dann bitte um Struppi kümmern? Dann mache ich mit Jo, das Jawefan. Der kann doch kaum noch fahren und muss morgen früh, auch wieder arbeiten. Es ist doch schon nach halb zehn."

Rudi drehte sich nach hinten um. "Klar machen wir das. Vielleicht geht es dir nach dem Jawefan etwas besser. Du siehst nicht gut aus, meine Kleene. Wie geht es dir wirklich?", besorgt blickte er mich an.

"Lassen wir das, es wird nicht besser, wenn ich darüber rede. Morgen früh, geht es mir bestimmt besser. Mach dir keine Sorgen", versuchte ich ihn zu beruhigen.

Rudi akzeptierte meine Antwort, darüber war ich sehr froh.

John sah mich von der Seite ganz lieb an. "Sag mal Kahlyn, mit dem Krantonak kannst du wohl alles heilen? Wie hast du das gemacht, dass dieses tiefe Loch wieder zugewachsen ist. Man sah hinterher gar nichts mehr von dem Loch, nicht einmal die Rinde hat mehr gefehlt."

Ich zuckte mit den Schultern. "Ich habe gar nichts gemacht, das war der Baum selber. Ich hab ihm nur gesagt, er soll sich heilen und habe ihm etwas Energie gegeben", versuchte ich zu erklären, was geschehen war. 

Verwundert sah mich John an. "Wie, der Baum hat sich selber geheilt?", wollte er von mir wissen.

"Na ja, ich kann das nicht so genau erklären. Der Baum ist mit uns verbunden. Er liebt uns so, wie wir ihn. Er wächst, wenn wir das wollen. Lässt sein Laub fast das ganze Jahr an den Ästen, damit uns der Oberstleutnant nicht findet. Wir geben ihn dafür Energie, wenn er welche braucht oder wenn er verletzt ist. Wisst ihr, diese Kastanie ist erst sechzehn Jahre alt. Aber der Förster schätzt sie, auf ungefähr hundertsechzig bis hundertsiebzig Jahre. Dabei wurde sie erst gepflanzt, als wir ein halbes Jahr alt waren. Wir haben diesen Baum selbst gepflanzt. Wir wollten nur ein Symbol setzten, am Anfang. Etwas Gemeinsames machen, was uns als Gruppe verbindet. Es waren dreiundachtzig Kastanie, die wir zum wachsen gebracht haben. Wir gingen in die Mitte der Lichtung und nahmen uns an den Händen, gemeinsam gruben wir ein Loch. Anschließend legten wir alle Kastanien hinein und machten die Erde wieder darauf. Deshalb sagen wir ja, es ist unser Baum, wir haben ihn über all die vielen Jahre, gehegt und gepflegt. Insgesamt dreiundachtzig rechte Hände, haben dieses Loch gegraben. Lacht bitte nicht, dabei haben wir gesungen und gelacht. Jeden Tag, ging einer von uns den Baum gießen. Wir waren damals erst 6 Monaten und wir mussten uns heimlich aus unserem Raum heraus schleichen. Dann wurde der Baum krank, verlor alle Blätter, verdorrte einfach. Wir waren damals reichlich ein Jahr alt, wir haben so geweint damals. Wir wollten nicht, dass er stirbt. Also habe ich ihn mit dem Krantonak gerettet. Danach legte jeder eine Hand auf die Schulter des Nachbarn, die zweite Hand legten wir an den Baum. Ich machte das Jawefan. Auf diese Weise gaben wir ihm die Energie, die er brauchte um gesund zu werden. Danach ist er wie verrückt gewachsen. Nach einem weiteren Jahr, hatte der Stamm schon einen Durchmesser, von fast anderthalb Metern. Ich weiß nicht, wie wir das gemacht haben, wirklich nicht. Ganz gerade war er in den Himmel gewachsen, aber er hatte nur vier Äste. Da baten wir ihn, dass er mehr Äste bekommen sollte, weil wir ja zehn Teams waren und die anderen Kinder, die schon Tod waren, auch einen Platz brauchten. Einige Monate später hatte er zehn starke und einen etwas schwächeren Ast. Da kam uns wieder die Idee, dass er unser Friedhof werden könnte. Wir haben ihn einfach gefragt und er hatte nichts dagegen. Die ersten siebzehn Ketten kamen an den schwächeren Ast, da dort ja niemand drauf saß und die anderen dorthin, wo wir alle immer alle gesessen hatten."

Ich sah meine Freunde an, die wirklich interessiert zuhörten, also erzählte ich weiter von unserem Baum. Das erste Mal in meinem Leben interessierte sich jemand, für unseren Friedhof. Es tat gut, darüber zu berichten, denn damit gab es einige Menschen mehr, als die "Hundert" die an die vielen Kameraden von uns denken würden, die unter unserem Baum lagen und für immer schliefen.

"Eines Tages war es dann endlich soweit, der Oberstleutnant war nicht da und auch die Betreuer und die Lehrer nicht. Da halfen uns Freunde aus dem Projekt, der Doko und die Dika, und wir konnten unsere Freunde beerdigen. Wir holten die ersten achtzehn Kinder aus dem Kühlhaus, wo sie konserviert wurden. Legten unsere Kameraden, um den Baum herum, so als wenn sie schlafen würden und zum Himmel hinauf sahen. Als wir die erstes siebzehn Kinder aufgebahrt hatten, diejenigen die sofort nach der Geburt getötet wurden, deckten wir sie mit Erde zu, so dass es wie ein Hügel aussah. Dann kam Keri an die Reihe, der erste von uns, der schlafen geschickt werden sollte. Wieder schütteten wir wieder Erde auf und so wuchs der Baum immer höher. Je höher der Hügel wurde, umso dicker wurde der Stamm."

Ungläubig sahen mich die drei an, doch war es so. Ich konnte doch nichts anderes berichten.

"Ihr könnt mir das ruhig glauben, es ist wirklich so gewesen. Der Baum, so sagen wir immer, hat unsere Freunde in sich aufgenommen. Er nahm sich die Energie von unseren toten Freunden um schneller zu wachsen und aus Dankbarkeit, beschützt er unsere Freunde bei ihrem ewigen Schlaf. Je mehr von meinen Kameraden starben, umso größer und dicker wurde er. Versteht ihr? Nur dadurch, dass so viele meiner Freunde unter dem Baum schlafen, ist er so groß geworden."

Wieder blickte ich in die verwunderten Augen meiner Freunde aus Gera, die nicht richtig glauben wollten, was ich ihnen da erzählte. Es machte mich verrückt, dass sie mir nicht richtig glaubte. Ich habe noch nie gelogen, warum sollte ich dies jetzt tun. Die ganze verdrängte Wut, die vom Rufen und dem ungewollten Durchbrechen der Ginos in mir war, kam wieder an die Oberfläche, nur mühsam konnte ich sie unterdrücken und diese ließ nicht zu, dass ich normal sprach. Wütend wurde meine Stimme und ich konnte nur mit sehr viel Mühe diese Wut zu unterdrücken, was mir nur zum Teil gelang.

"Deshalb ist es ja unser Baum. Wir haben ihn gepflanzt. Wir haben ihn gepflegt. Wir werden ihn auch fällen. Kein anderer hat ein Recht dazu, niemand anderes wird ihn fällen", setze ich trotzig nach.

John streichelte mir das Gesicht und legte seinen Arm um meine Schulter, um mich zu beruhigen.

"Da hast du Recht, keiner hat ein Recht, diesen Baum ohne eure Zustimmung zu fällen", bestätigte Jo, meinen Gedankengang.

Ich war froh, dass er das auch so sah. In diesem Moment, fuhr Jo auf den Parkplatz. Struppi wuselt mit seinem kleinen Po hin und her. Er musste ganz dringend sein Geschäft machen, es war so dringend, dass er sogar versuchte zu pellen. Alle mussten lachen, weil das so niedlich klang. Kaum, dass Jo den Wagen zum Halten brachte, stieg Rudi aus und nahm sich Struppi auf den Arm. Eilig lief er auf das an den Parkplatz grenzende Feld zu und ließ dort den kleinen Kerl runter. Struppi sauste sofort los, um sich zu entleeren.

Jo stieg aus, gähnte herzhaft und streckte sich erst einmal. Auch John stieg mit steifen Gliedern aus dem Wagen und öffnete mir von außen die Tür. So verließ ich auch das Fahrzeug und lief nach hinten zum Kofferraum, in dem mein Medi-Koffer lag und versuchte diesen zu öffnen. Leider gelang mir das nicht, denn dieser war verriegelt. Jo kam zu mir und schloss mir den Kofferraum auf. Ich holte meinen Koffer heraus und bat Jo mitzukommen.

"Jo, komm bitte mal mit."

Nahm ihn einfach an die Hand und zog ihn hinter mir her. Verwundert blickte er mich an. Ein kleines Stück entfernt standen ein Tisch aus Steinen und eine Bank. Dort führte ich Jo hin.

"Setzt du dich bitte mal auf die Bank, Jo", bat ich ihn.

Öffnete sofort den Medi-Koffer und auch den Ampullen-Koffer. Ich zog für Jo fünfundzwanzig Einheiten B32 auf, ein Schmerzmittel das verhindern solle, dass Jo meine ganzen Schmerzen abbekam.

"Was ist Kleene, was willst du mit mir machen?" Jo sah mich fragend an.

"Das wirst du gleich merken, Jo. Bitte ich habe gerade genug geredet. Vertraue mir einfach, bitte Jo. Nur dieses eine Mal, ich mache nichts, was dir schadet. Ich will dir nur helfen. Bitte, ich bin einfach viel zu fertig, um lange etwas zu erklären."

Müde sah ich ihn an, setzte mich auf den Tisch in den Schneidersitz und griff nach den fünf Injektionen. Ich sah ihn kurz fragend an, da nickte er. Also verabreichte ich ihm das Schmerzmittel und ergriff danach einfach seine Hände.

"Jo, versuche bitte in meinen Atmenrhythmus zu kommen. Höre einfach auf meinen Atem. Ein-aus, ein-aus, ja genauso ist es richtig."

Immer ruhiger und gleichmäßiger wurde Jos Atem. Wir wurden zu einer Einheit. Gleichzeitig breitete sich eine wohltuende Wärme in meinem Körper aus. Dadurch wusste ich, dass der Kreis sich geschlossen hatte. Ich konnte in die Verbindung gehen, die jetzt offen war. Jetzt konnte ich Jo alles beibringen, was ich den Jungs in der Wache beigebracht hatte: alle Kampfarten, das Taiji, meine Sprache, die Selbstkontrollen. Vor allem aber, das Wichtigste von allem was ich konnte, war das schnelle Schlafen. Fast vierzig Minuten hielt ich Jo länger, als notwendig im Jawefan, er war todmüde. Mich wunderte es, wie er in diesem Zustand überhaupt noch Auto fahren konnte. Er hatte seit Tagen kaum geschlafen und wenn, dann nicht erholsam. Runge tat mir so leid. Er noch fertiger, als ich selber, wenn dies überhaupt möglich war. Er stand genauso wie ich, kurz davor zusammenzubrechen. Von dem bisschen Kraft, was ich noch besaß, zog er mir auch noch etwas ab. Aber es half nichts, er brauchte es dringender als ich. Endlich nach einer kleinen Ewigkeit, schlug sein Herz wieder kräftig und gleichmäßig und seine Vitalwerte waren wieder in einem normalen Bereich. Nach über fünfzig Minuten, die ich Jo im tiefen Schlaf ließ, brachte ich ihm noch das Öffnen und Schließen der Verbindung und der Notfalltüren bei. Dann ging ich aus dem Jawefan, ganz vorsichtig und behutsam, um ihn nicht wieder aus dem Rhythmus zu bringen. Nach über einer Stunde erwachte Jo erholt aus dem Jawefan und sah mich verwundert an

"Danke Kahlyn, ich fühle mich, als wenn ich drei Wochen Urlaub gehabt hätte. Was hast du mit mir gemacht?", wollte er neugierig wie er nun einmal war, von mir wissen.

"Das Jawefan. Du hast auch ungefähr so lange geschlafen. Du kannst jetzt auch das schnelle Schlafen nutzen. Wenn du dich heute Abend ins Bett legst, schließt du die Augen, atmest genauso wie jetzt beim Jawefan und sagst dir ich will zehn Minuten schlafen oder wie lange du Zeit hast oder schlafen willst. Danach erwachst du, wie nach acht Stunden Schlaf. So kannst du morgen, gut arbeiten."

Erleichtert darüber, ihm geholfen zu haben, gab ich ihm einen Kuss auf die Stirn. Schnell räumte ich meinen Koffer ein und brachte ihn in den Kofferraum. Rudi brachte mir meinen Struppi, der sich wie verrückt freute, dass er wieder zu mir durfte. Ich nahm ihn auf den Arm. Sofort stiegen wir in das Auto ein, es war schon kurz nach 23 Uhr 30, als wir alle wieder im Auto saßen.

Jo fuhr erholt weiter. "Danke meine Kleene, du hast mir gerade das Leben gerettet. Ich habe nicht gewusst, wie ich es noch bis nach Gera hätte schaffen sollen. Ich war todmüde", bedankte sich Jo.

"Hab ich gern gemacht Jo", murmelte ich leise und rollte mich noch einmal zusammen. Nur fünfundzwanzig Minuten später fuhren wir auf den Hof der Wache und stellten Jos Wagen dort erst einmal ab. Gemeinsam gingen wir zur Treppe, hoch in den Bereitschaftsraum.

"Rudi, hab ich so viel Zeit, dass ich schnell Duschen gehen kann. Mir tut alles weh und ich fühle mich ganz dreckig", bat ich Rudi, um das, was ich gern machen wollte.

"Klar, ich muss sowieso noch einige Anrufe machen, lass dir Zeit. Ich weiß doch, dass dir das Duschen gut tut."

Sofort liefen die anderen mit Struppi in den Bereitschaftsraum, ich jedoch nach hinten in die Dusche. Ich genoss jede Minute in der das heiße Wasser über meinen Körper lief, langsam lockerten sich meine verkrampften Muskeln. Ich konzentrierte mich auf meine Hände, reparierte die kaputten Finger und versuchte dann auch mein Gesicht auszuheilen, so dass die Hämatome verschwanden. Fast eine Stunde, stand ich unter dem heißen Wasser, langsam erholte ich mich und es ging mir wieder etwas besser. Die Schmerzen und vor allem die Krämpfe in meinem Körper ließen etwas nach. Endlich wurden auch meine Kopfschmerzen weniger. Nachdem ich die Dusche abgedreht hatte, nahm ich mir ein Handtuch und trocknete mich ab und holte ich mir aus meinen Spind neue Sachen. Zog diese an, denn die Sachen die mir Viola mitschickte, hatte ich zerrissen. So wie es immer geschah in den Anfällen und der Overall roch eigenartig. Ich hatte keine Ahnung, warum das so war. Also nahm ich mir einen Overall hier von der Wache und zog den an. Dann wandte ich mich nach vorn, zu den anderen. Detlef sprang auf als er mich sah und lief sofort auf mich zu, um mit mir zu schimpfen.

"Kahlyn, warum bist du nicht zu uns gekommen, du hättest doch nicht weglaufen müssen. Ich hab mir solche Sorgen gemacht", bei den letzten Worten nahm er mich einfach in den Arm, erst in dem Moment wurde ihm bewusst, wie ich aussah. "Ach Kahlyn, mein kleiner Floh, wie siehst du denn aus? Komm setzt dich, trink einen Kaffee oder willst du einen Tee."

Verwundert sah ich ihn an, nicht nur wegen des Namens den er mir gab, sondern weil er sich Sorgen um mich gemacht hatte. "Warum bin ich ein Floh?", wollte ich wissen, da fing er an zu lachen.

"Oh je, entschuldige, das hab ich immer zu meiner kleinen Schwester gesagt. Die war auch so eine kleine Zwecke wie du. Wenn du das nicht willst, sage ich das nicht wieder."

Da musste ich lachen. "Warum gebt ihr mir alle solche Namen? Ich bin doch kein Floh, ich beiße doch niemanden", gab ich ihm Kontra.

Da lachte Detlef und zog mich an sich. Er gab mir noch einen Kuss auf die Stirn. "Komm Floh, setzt dich", bat er mich sorgenvoll. "Nicht, dass du mir noch umfällst. Ab heut bist du mein Floh, weil ich dich nämlich mag. Das sag ich nur zu Leuten, die ich mag. Also komm", mit diesen Worten zog Detlef an den Tisch. 

Tino gab mir einen Kaffee, mit den Worten. "Lass ihn dir schmecken", sprach es und setzte sich auch an den Tisch.

"Danke Tino. Sagt mal wie geht es euch eigentlich. Ihr seht wieder viel besser aus, habt ihr Himmelpfort endlich verkraftet?", wandte ich mich neugierig an die Jungs. "Martin, Kurt ist bei euch zu Hause wieder alles in Ordnung. Konntet ihr alles klären, oder braucht ihr meine Hilfe?", wollte ich es jetzt ganz genau wissen.

Die Jungs sahen mich verwundert an und schüttelten den Kopf.

Kurt fing sich als erstes. "Kahlyn, bei mir ist wieder alles in Ordnung. Ich hab meiner Frau alles erklärt, sie verzeihen mir noch einmal. Aber sag mal, hast du nicht selber genug Probleme. Warum denkst du eigentlich immer nur an andere? Du vergisst dich immer selbst! Kein Wunder, dass du dich nicht erholen kannst", traurig sah er mich an.

Martin bestätigte Kurts Gedanken und auch seine Worte. "Kahlyn, bei mir ist auch alles in Ordnung, aber bei dir nicht. Du siehst schrecklich aus Mädchen. Willst du dich etwas hinlegen oder geht es dir besser, als du aussiehst?"

Jetzt musste ich auch lachen. "Na ja, gut geht es mir nicht gerade. Ich hoffe, ich sehe nicht halb so schlimm aus wie ich mich fühle. Aber keine Angst, das regelt sich, wenn ich etwas geschlafen habe. Ich möchte eigentlich nur noch nach Hause und in mein Bett", erklärte ich den Jungs ehrlich, dass es mir nicht sonderlich gut ging.

Rudi, der gerade aus seinem Büro nach vorn kam, begleitet von Jo und Struppi, sagte lachend zu mir. "Na dann komm, fahren wir nach Hause. So dass du endlich zur Ruhe kommst."

Sofort stand ich auf und ließ sogar meinen Kaffee stehen, denn ich wollte wirklich nur in Ruhe schlafen. Irgendwo, wo ich mich geborgen fühlte und mich fallen lassen konnte. Struppi biss in mein Hosenbein und zog daran. Ich beugte mich nach unten, knurrte ihn böse an. Zwickte ihn in sein Ohr, schon hörte er auf damit. Dann begann er übermütig, um mich herum zuspringen. Das war allerdings kein Wunder, nach so einer langen Fahrt, brauchte der kleine Welpe einfach Bewegung.

Ich verabschiedete mich von den Jungs. "Also bis bald und passt auf euch auf", bat ich sie noch.

Rückwärts gehend und ihnen zuwinkend, lief ich hinter Rudi und Jo her. Gefolgt von einem übermütigen Struppi, der herum sprang, als hätte er tausend Flöhe. Die Jungs schmissen sich weg vor Lachen, über diesen kleinen putzigen Gesellen. Die Treppe zum Hof nach ich mit einem Sprung, um die beiden anderen einzuholen, schon saßen wir in Jos Auto und fuhren endlich nach Hause. Vor dem Haus Runges angekommen, lief ich mit Struppi ein Stück in Richtung Wald. Rudi und Jo dagegen, gingen sofort ins Haus. Nach einer guten viertel Stunde, kam auch ich vor dem Haus der Runges an und klingelte.

Viola kam an die Haustür, um diese zu öffnen. Kaum, dass die Tür offen war, nahm sie mich in den Arm. "Ach Mädel, warum bist du nur weggelaufen. Ich hab mir so viel Sorgen gemacht. Bitte mach das nie wieder."

Deshalb konnte ich sie erst gar nicht begrüßen. "Guten Abend Viola, tut mir leid. Bitte ich möchte schlafen gehen, kannst du Struppi etwas zu fressen geben. Ich bin so müde."

Viola nickte und ging mit Struppi nach vorn in die Küche. Ich jedoch ging hoch in mein Zimmer. Viola, die gar nicht dran gedacht hatte, dass ich ja noch nichts von dem Umbau wusste, kam alleine in der Küche an.

Rudi blickte verwundert zu Viola. "Wo ist denn meine Kleene?", wollte er wissen.

"Die ist nach…" Viola schlug sich an den Kopf und sprach gar nicht weiter. Sondern drehte sich auf dem Absatz herum und lief zur Treppe.

Ich jedoch war auf dem Weg zu meinem Zimmer, erst noch bei Tim reingegangen, um zu sehen, wie es meinem kleinen Freund ging. Auch bei Tom klopfte ich an, aber auch der größere Bub der Runges schlief schon und in Jennys Zimmer war niemand. Also ging ich weiter in mein Zimmer. Entsetzt stellte ich fest, dass ich kein Bett mehr hatte. Traurig ging ich in den Raum und legte mich einfach auf den Boden. Viel zu müde, um noch einmal nach unten zu gehen, um zu fragen, was los war und warum mein Bett nicht mehr da war. Viola, die nur eine halbe Minute, nachdem ich die Tür geschlossen hatte, in ihrem Hauswirtschaftsraum ankam, konnte nicht glauben, was sie da sah.

 

"Kahlyn, warum in Gottes Namen, liegst du auf denn dem Boden, mein Mädel. Komm stehe bitte auf, du bist hier falsch in dem Zimmer", informierte sie mich darüber, dass ich wo anders schlafen musste.

"Wieso, ich hab doch immer hier geschlafen!? Aber hier ist kein Bett mehr, das ist aber nicht schlimm Viola, ich kann auch auf dem Boden schlafen", gab ich ihr müde zur Antwort.

Viola hockte sich zu mir und hielt mir die Hand hin. "Komm bitte mit Kahlyn. Ich möchte dir mit Rudi, Jo und Jenny etwas zeigen. Bitte steh noch mal auf."

Müde sah ich sie an. "Viola, können wir das nicht morgen machen, ich bin so müde."

Viola schüttelte den Kopf, also stand ich notgedrungen noch einmal auf, um ihr zu folgen. Viola legte den Arm um mich und streichelte lieb meine Wange.

"Du wirst es nicht bereuen, vertraue mir einfach, mein Mädel."

Ich nickte, was hätte ich auch sonst machen sollen. Es machte mich traurig, dass man einfach mein Bett weggenommen hatte. So sehr hatte ich mich, an dieses weiche Bett gewöhnt, dass ich es schon jetzt vermisste. Gemeinsam liefen wir die Treppe hinunter in die Küche. Jenny kam weinend auf mich zugestürmt.

"Kahlyn ..." Mehr konnte sie nicht sagen und fiel mir schluchzend um den Hals.

Jo, aber auch Rudi standen sofort auf und kamen schmunzelnd auf mich zu.

Viola erklärte den anderen. "Ich hab sie zusammen gerollt, auf dem Fußboden liegend gefunden. Kahlyn hätte oben im Hauswirtschaftsraum auf den Fussboden geschlafen, ohne zu murren. Ich verstehe das nicht", verwirrt sah sie Jo an, doch dieser winkte ab.

"Viola, wir klären das später, lass die Kleene erst einmal in ihr Bett, siehst du nicht wie müde sie aussieht. Die Kleene ist fix und fertig", lächelnd kam er auf mich zu. "Ach meine Kleene, dein Bett ist weg nicht wahr."

Traurig sah ich ihn an und nickte.

"Keine Angst meine Kleene, du musst nicht auf den Fußboden schlafen. Wir haben noch eine kleine Überraschung für dich", mit diesen Worten schob mich Jo einfach in Richtung des Hauswirtschaftsraumes.

"Sieh mal, was da steht, Kahlyn", bat mich Jenny immer noch schniefend, sie konnte sich gar nicht richtig beruhigen.

Ich verstand einfach nicht, warum. Aber ich war viel zu müde, um noch nachzudenken. Verwundert sah ich die Vier an. Auf der Tür steht mit schöner Schrift

"Kahlyns Reich!

Bitte Licht ausschalten!"

Irritiert musterte ich die Anderen an. "Wie, mein Reich?", mühsam kämpfte ich gegen meine Müdigkeit.

Ich konnte kaum noch die Augen offen halten. Zum Nachdenken, fehlte mir einfach die Kraft. Jo lächelte mich glücklich an. Ihm kam die Erinnerung daran, wie all die vielen Freunde dieses kleine Wunder zustande gebracht hatten.

"Sieh doch selber mal nach, meine Kleene. Fass die Klinke ruhig an, die beißt dich nicht."

Ich ging an die Tür vom Hauswirtschaftsraum und öffnete sie. Komischerweise kam ich als erstes in einen kleinen Vorraum. Der war sonst nicht hier gewesen. Ich lief weiter und als ich um die Ecke kam, blieb mir die Luft weg. Hier war kein Hauswirtschaftsraum mehr, alles war anders. Das, was ich da erblickte, konnte ich einfach nicht glauben. Es war wie in einer anderen Welt. Wie in einem Wunder, so schön war es hier. So ein wunderschönes Zimmer, ich konnte es nicht glauben. Jo fasste an den Lichtschalter, der die Sonnenblumenlampe anschaltete. So sahen auch die anderen wie ich staunte.

"Na geh schon hinein Kahlyn, das ist jetzt dein Zimmer. So bist du näher bei Rudi. Vor allem, ist es so hoffen wir alle sehr, auf deine Bedürfnisse zugeschnitten. All deine Freunde haben hier mit angepackt, um dir eine Freude zu machen. Aber das besprechen wir morgen. Jetzt solltest du dich erst einmal hinlegen und dich richtig ausschlafen. Damit es dir endlich wieder besser geht. Komm."

Diesmal nahm mich Jo an die Hand und zog mich einfach zu meinem neuen Bett. Struppi hopste hinter mir her. Ich war sprachlos und wusste nicht, was ich sagen sollte.

"Kahlyn, leg dich hin. Komm meine Kleene", bat mich nun auch Rudi, der mich sorgevoll ansah.

Also legte ich mich ohne zu widersprechen in das Bett und rollte mich einfach zusammen. Ich war viel zu müde, um das alles realisieren zu können. Ich war nur froh endlich zu liegen und genoss einfach das schöne Bett. Kaum, dass ich lag schlief ich schon und bekam nicht einmal mit, dass er Struppi in sein Bett legte und das Bett zu mir heran drehte. Rudi drückte er mir noch meine Bären in den Arm und war zufrieden, dass ich mein Reich sofort akzeptiert hatte. Mein Major nahm mir nur meine Brille ab und legte sie auf den Tisch, deckte mich noch liebevoll zu und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Zusammen verließen meine Freunde das Zimmer.

"Guten Nacht Kahlyn, schlaf schön", wünschte er mir und machte die Lampe aus, schloss leise die Tür.

Von alledem, bekam ich allerdings nichts mehr mit. Ich war abgetaucht in einen Schlaf, der mir etwas Erholung bringen konnte. So gut das in meinem jetzigen Zustand überhaupt möglich war. Ich fühlte mich beschützt und behütet und konnte so vollkommen entspannt schlafen. Etwas, dass ich so dringend brauchte, um mich endlich zu erholen.

 

Jo, Viola, Jenny und Rudi gingen wieder nach vorn in die Küche. Jenny verabschiedete sich von Rudi und ihren Eltern. Zu ihrem Vati, aber auch zu Rudi sagte sie leise.

"Danke, dass ihr unsere Kahlyn wieder nach Hause gebracht habt. Jetzt kann ich endlich wieder beruhigt schlafen gehen. Ich bin so froh, dass sie sich nichts angetan hat. Guten Nacht."

Müde lief Jenny nach oben in ihr Zimmer, um ebenfalls zu schlafen zu gehen. Viola holte für alle, erst einmal ein Glas Wein und setzte sie sich mit einem sehr bösen Gesicht, zu den Männern an den Tisch.

"Nun erzählt mir mal, was die letzten beiden Tage los war. Wieso schläft Kahlyn einfach auf den Boden? Warum sieht mein Mädel und du, Rudi, so hundsmiserabel aus? Könnt ihr mir mal erklären, was wieder los war. Los jetzt, macht den Mund mal auf und erzählt mir all das, was geschehen ist. Ich bin hier die letzten beiden Tage, durch die Hölle gegangen. Ich hatte alle Hände voll zu tun, die Kinder einigermaßen zu beruhigen. Aber, statt dass man einmal etwas von euch Beiden hört, kam nichts, kein Lebenszeichen, rein weg gar nicht", steigerte sich Viola immer mehr in ihre Wut. "Nur gut, dass mich wenigstens die Wache angerufen hat, sonst wüsste ich jetzt noch immer nicht, dass unser kleines Mädchen noch lebt. Verdammt nochmal, könnt ihr euch eigentlich vorstellen, was hier die ganze Zeit los war. Die Kinder haben die ganze Zeit nur geweint und ständig nach Kahlyn gefragt. Was hätte ich den Kindern erzählen sollen? Wo ich doch selber nichts wusste, weil die Herren es nicht mal für nötig hielten, hier anzurufen und mir zu sagen, was los ist", machte Viola den Männern, wütend zum Vorwurf.

Sie konnte einfach nicht verstehen, warum man sie so lange, im Unwissenden gelassen hatte. Viola war so aufgebracht, über das vermeintlich unmögliche Verhalten, von ihrem Mann und Rudi, dass sie am ganzen Körper zitterte. Man merkte ihr diese seelische Anspannung an, durch die sie die gesamte Zeit gegangen war. Viola war nicht nur angespannt, sondern sah auch sehr schlecht aus. Die Augenringe die sie hatte, zeigten den Männern, dass sie die letzten Tage sehr wenig geschlafen hatte. Nicht, weil sie durch die Kinder wach gehalten wurde, sondern von den Sorgen, die sie sich um Kahlyn und ihre beiden Männer machte.

Jo, gab seiner Frau erst einmal einen Kuss. "Veilchen, schimpfe bitte nicht mit uns. Fritz, hat doch noch kein Telefon. Wir wissen doch selber, dass es gemein war dich so lange im Unklaren zu lassen. Aber glaube mir, bei uns war auch die Hölle los. Es hat sich einfach alles überstürzt. Außerdem, hat Rudi der Wache sofort den Auftrag gegeben, sie sollen dich anrufen und die anderen, damit ihr beruhigt seid", versuchte er Viola zu beruhigen, die ziemlich wütend war. "Erst gestern Nacht, kurz vor Mitternacht, kontaktierte mich Rudi, über John und Conny, dass ich ihn vor der Schule abholen sollte. Als ich ihn dann sah, war ich so bestürzt, dass ich an alles gedacht habe, aber nicht daran dich anzurufen. Veilchen, Rudi sah noch schlimmer aus, als die Kleene jetzt. Ich war so froh, dass er lebte und vor allem die Kleene mitgebracht hatte. Dass sie erst einmal bereit war, mit zu ihrem Doko kommen. Dass ich nur so schnell wie möglich, von dort weg wollte. Dann haben wir, bis kurz vor 3 Uhr alles abgeklärt, was zu klären war. Danach, fielen wir wirklich nur noch in die Betten. Wir waren fix und alle. Heute früh, sind wie dann erst kurz nach 9 Uhr aufgestanden, haben bis 10 Uhr gefrühstückt, dann noch einige Sachen besprochen. Dann wollte Kahlyn Rudi wenigstens noch ihren Baum zeigen. Abends war es zu dunkel, da konnte sie es nicht mehr zeigen, weil Rudi nichts mehr gesehen hat. Doch dann…" So genau wie möglich, erzählte Jo seiner Frau, was sich dann alles zugetragen hat. Versuchte ihr zu erklären, warum Kahlyn sich einfach auf den Boden gelegt hatte. Bis hin zu dem Telefonat, mit Hunsinger. Viola blieb der Mund offen stehen, als sie von dieser Ungerechtigkeit erfuhr und war nur daran, mit dem Kopf zu schütteln. "…Viola, du kannst dir nicht vorstellen, wie leid mir das alles tut. Ich wollte doch eigentlich nur, der Kleenen helfen. Statt sie zu beschützen, habe ich sie dadurch, in die Hölle geschickt. Die Kleene tut mir so leid."

Jo stützte den Kopf auf die Hände und brauchte einige Zeit, bis er sich wieder beruhigt hatte. Er kämpfte schwer an dem, was er durch seine Wut verzapft hatte. Mit jeder Minute wurde ihm Klarer, dass er nicht nur Kahlyn sehr geschadet hatte, sondern dass er auch seiner Familie eine schlimme Zeit zugemutet hatte. Das er selber seine Kinder durch die Hölle gejagt hatte, durch seinen Ausraster.

Schon des Öfteren hatten die Runges schlimme Zeiten überstanden, aber nie hatte sein Frau und seine Tochter so mitgenommen ausgesehen. Er hatte seine Familie nicht beschütz, wie er es eigentlich vorgehabt hatte, sondern ihnen nur geschadet. Als er dann Viola ansah, war diese erschrocken, denn Jo hatte Tränen in den Augen.

"Wegen mir, ist unsere Kleene durch die Hölle gegangen. Sag mir die Wahrheit Veilchen, bin ich wirklich so kontrollsüchtig? Will ich wirklich alles kontrollieren?" Jo sah seine Frau ernst an, verlangte von ihr eine aufrichtige Antwort.

"Jo, was soll ich dir drauf sagen. Ja, du bist oft kontrollsüchtig. Aber das liegt wohl an deinen Beruf. Wir können mit dieser kleinen Unart von dir leben, weil wir wissen, dass du es nicht böse meint. Es regt uns oft auf, das ja, aber wir schauen einfach darüber hinweg. Ich habe allerdings nicht geahnt, dass du Kahlyn damit so in die Ecke drängst. Glaube mir, sonst hätte ich schon viel eher etwas gesagt. Unsere Kinder können damit leben, aber Kahlyn kommt damit nicht klar", ernst sah sie Jo an.

Runge konnte nicht fassen, dass seine Frau ihm genau das Gleiche bestätigte, was ihn schon Rudi vorwarf. Rudi merkte, dass Jo vollkommen verzweifelt war und er sich alleine die Schuld an der Misere gab.

"Jo, hör mir bitte mal zu. Es ist ja nicht schlecht, dass du über alles Überblick behalten willst. Das verlangt doch auch deine Arbeit als Polizeirat von dir. Nur ist es oft so, dass du diesen Überblick auch über alles in deiner Familie haben willst. Das funktioniert aber nicht immer. Deine Jenny kommt oft zu mir, um sich bei mir auszuweinen. Sie versteht dich, akzeptiert auch dein Verhalten. Zum Ersten weil sie dich liebt und zum Anderen, weil sie weiß, dass du in deinem Beruf, eben durch diese Eigenschaft so weit gekommen bist. Nur kannst du das gleiche Verständnis, nicht von Kahlyn erwarten. Die Kleene ist einfach anders aufgewachsen", auf einmal lächelt Rudi seinen Freund Jo an. "Weißt du eigentlich, dass ihr Beide, also du und Kahlyn, euch verdammt ähnlich seid", fragte er seinen Freund gerade heraus.

Jo verstand diese Frage von Rudi nicht richtig. "Wieso sind Kahlyn und ich, uns ähnlich? Das verstehe ich nicht. Wie meinst du das?", Verwunderung, stand auf seinem Gesicht geschrieben.

"Jo, vergleich bitte mal deine Situation mit der von Kahlyn. Du trägst die Verantwortung für viele Leute. Das musste Kahlyn, bis jetzt auch immer machen. Jo, du willst deine Leute alle beschützen. Das musste Kahlyn, bis jetzt auch immer machen. Jo, du musst immer alles koordinieren. Das musste Kahlyn, bis jetzt auch immer machen. Merkst du, was ich meine?"

Fassungslos sah Jo, seinen besten Freund an. "Rudi, du hast recht. So habe ich es bis jetzt allerdings nie gesehen. Für mich ist sie nur... "

Rudi nickte und unterbrach seinen Freund, indem er dessen Satz vorführte "... ein kleines Mädchen. Genau, dort liegt dein Fehler. Jo, kannst du dich noch an die anderen der Hundert erinnern?"

Jo konnte den Sinn der Frage nicht verstehen, konnte seinem Freund gedanklich nicht folgen und sah verwirrt zu Rudi. "Ja, warum?"

"Es ist doch so, stell dir mal Rashida vor. Ich hab Rashida ja etwas näher kennen gelernt, in den zwei Tagen in Forst. Kahlyn, ist wirklich eine Miniaturausgabe von Rashida. Ich würde fast sagen, sie gleichen sich, bis auf die Haarfarbe und die Größe. Rashida hat rote Haare, allerdings ist sie viel imposanter, durch ihre Größe von zweihundertundsieben Zentimeter und ihrem Gewicht von mindestens hundertachtundreißig Kilo. Würdest du, in ihr auch das kleine Mädchen sehen, Jo? Denke einmal darüber nach", erwartungsvoll sah Rudi zu Jo.

Der schüttelte den Kopf und kratz sich verlegen am Kopf.

"Jo, du machst genau das, was all die Kollegen dort draußen ständig mit der Kleenen machen. Du siehst nur, ihre kindliche Gestalt und reduzierst sie auf ihre Größe. Weißt du was Rashida in Forst zu mir sagte, als ich mich darüber aufregte, dass man die Kleene nicht akzeptierte. "Rudi, es war immer das Gleiche. Egal, wo wir hin kamen. Man reduziert Kahlyn immer auf ihre Größe. Wir haben uns einmal einen Spaß erlaubt. Ich übernahm die Einsatzleitung, bei einem ganz komplizierten Einsatz. Kahlyn sagte mir in der Verbindung alles, was ich sagen und was ich machen sollte. Genauso, wie sie es selber sagen und tun würde, wenn sie die Einsatzleitung hätte. Mich hat man von Anfang an akzeptiert, nur weil ich so groß bin. Hinterher haben wir es dem Haupteinsatzleiter gesagt, der wollte es nicht glauben. Keiner hatte gemurrt. Ich musste mich nicht durchsetzten, nur wegen meiner Größe." Rashida erzählte mir auch, dass die Jungs in Forst, sie sofort akzeptiert hatten. Sie musste sich keinen Respekt verdienen. Das bestätigte mir auch der Teamleiter. Der Respekt war von Anfang an da. Jetzt machst du das hier zu Hause auch noch mit der Kleenen, kannst du verstehen, dass ihr das langsam zu viel wird. Nehm sie doch einfach einmal ernst, vertraue ihr. Verdammt Jo, du weißt doch, dass sie verantwortungsbewusst ist. Dann behandele sie auch so."

Jo stützte den Kopf auf und starrte eine ganze Weile auf die Tischplatte. Gedanklich ging er alles noch einmal durch, was Rudi ihm gerade erklärt hatte. Punkt für Punkt hackte er ab und musste sich eingestehen, dass Rudi mit jedem Wort genau ins Schwarze getroffen hatte. Jo ließ kurz sein Genick krachen und rieb sich das Gesicht. Dann nahm der Polizeirat die Schultern zurück, so wie er es oft machte, wenn er einen Entschluss gefasst hatte und lächelte gezwungen..

"Du hast Recht, mit allem, was du sagst, Rudi. Auch, wenn es schwer wird, werde ich es ab heute versuchen. Ich hoffe, dass ich das auch schaffe. Es ist für mich verdammt schwer. Ich will sie doch nur beschützen, genau wie Jenny."

Rudi klopft seinen Freund auf die Schulter. "Ich weiß Jo, aber Kahlyn kann sich selber beschützen. Das macht sie seit sechszehn Jahren, vertraue ihr einfach. Ich glaube, dann wird es für euch beide einfacher."

Viola stand auf und gab ihrem Jo noch ein Glas Wein und einen Kuss. Auch Rudi, wollte sie noch ein Glas Wein geben. Der schüttelte völlig fertig den Kopf.

"Veilchen, lass gut sein. Mir geht es auch noch nicht so gut. Wenn ihr nicht böse seid, würde ich mich gern hinlegen. Mir tut jeder Knochen weh."

Viola schüttelte den Kopf. "Nein Rudi ich bin nicht böse, leg dich ruhig hin. Du siehst auch nicht besonders gut aus."

Rudi erhob sich und ging auf Viola zu, um ihr einen Kuss auf die Stirn zu geben. "Viola, es tut mir echt leid, dass ich gestern Abend nicht dran gedacht habe dich anzurufen. Aber ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten. Ich war einfach nur fertig."

Viola schenkte Rudi ihr schönstes Lächeln und gab ihm ebenfalls einen Kuss auf die Stirn. "Ich verzeih dir noch mal. Nach allem, was ich gerade gehört habe, bin ich froh, dass ihr überhaupt Bescheid gesagt habt. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich in der Situation überhaupt nicht daran gedacht. Also schlaf schön, bis heute irgendwann."

Rudi, klopfte Jo auf die Schulter. "Dann schlaf auch gut Jo, nutze das schnelle Schlafen, damit du morgen fit bist", als er gehen wollte hielt ihn Jo noch einmal kurz zurück.

"Du Rudi, wie machen wir das mit Kahlyns Brille?", wollte er noch wissen, das hat er ganz vergessen abzuklären.

"Sag mal Jo, können wir das nicht morgen spontan endscheiden?"

Jo überlegt kurz, dann nickte er. "Ich würde sagen, ich rufe morgen Onkel August einfach einmal an und kläre grob mit ihm alles ab. Dann sage ich Viola Bescheid. Wenn die Kleene von alleine munter wird, besprechen wir, wie wir das machen. Bitte ihr lasst sie ausschlafen, bis sie von alleine munter wird. Und wenn du dann auch munter bist, dann ruft ihr mich einfach an. Ich sage Inge, wo ich zu erreichen bin. Dann fahren wir schnellst möglich zu ihm und lassen Kahlyn eine schöne Brille machen. Wenn sie morgen den ganzen Tag schläft, dann halt am Samstag oder Sonntag."

Rudi bestätigt Jos Gedankengänge. "Ich glaube das ist eine gute Idee, die Kleene muss unbedingt schlafen. Der geht es gar nicht gut. Ich hole auch Struppi gleich noch einmal heraus, nehm ihn mit zu mir, damit sie ausschlafen kann. Falls sie aufsteht, lasst sie am besten in Ruhe."

Viola mischte sich jetzt ein und schüttelte den Kopf.

"Was ist Veilchen? Warum schüttelst du den Kopf", Jo sah seine Frau verwundert an.

"Rudi, ich würde Struppi, an deiner Stelle noch einmal kurz raus in den Garten lassen, das ja. Aber ihn dann wieder ins Zimmer geben. Ich denke Kahlyn hat sich auf die Bedürfnisse des Welpen eingestellt. Du würdest sie sonst völlig damit irritieren, wenn du ihn einfach aus dem Zimmer holst. Du sagst, sie ist verantwortungsbewusst, dann hat sie sich, so denke ich auf ihn eingestellt. Sie wird aufstehen und ihn raus lassen, wenn dieser muss. Dann legt sie sich wieder hin und schläft weiter. Wir sollten nur dafür Sorge tragen, dass sie sich wieder hinlegen kann", mit dem Vorschlag von Viola waren alle einverstanden.

Rudi ging runter in Kahlyns Zimmer, holte sich den Welpen und ließ Struppi noch einmal sein Geschäft machen. Als er zurückkam, stellte er fest, dass Kahlyn ganz unruhig schlief. Also legte er Struppi wieder in Kahlyns Bett, kurze Zeit später schlief sie wieder ganz ruhig. Also hatte Viola recht, die Beiden waren miteinander verbunden.

Deshalb beugte sich Rudi, zu Kahlyn herunter. "Dann schlaf mal schön meine Kleene und träume etwas Schönes. Bis morgen."

Rudi streichelte seiner kleinen Freundin, das Gesicht und gab ihr einen letzten Kuss auf die Stirn. Leise verließ er den Raum, machte die Sonnenblumenlampe aus und schloss leise die Tür. Lief nach hinten in seine Wohnung. Dort zog sich Rudi aus und legte sich ebenfalls schlafen. Froh, dass er sein kleines Mädchen, jetzt in seiner Nähe wusste und froh darüber, dass alles so gut ausgegangen war.

  

Es war kurz nach 6 Uhr in der Früh, als Struppi unruhig wurde. Er stupste, mit seiner feuchten Nase in mein Gesicht, verschlafen öffnete ich die Augen, sah mich verwundert um. Wo war ich? Fragte ich mich völlig durcheinander. Da lagen Ruvijo und Inti, meine beiden Bären. Ich drehte mich auf die Seite, nahm Struppi in den Arm und streichelte ihn, graulte seine Ohren. Es war schön hier. Die Wände waren in einem schönen dunklen Königsblau gestrichen, über meinem Bett hing das Bild, das ich von Rashida und Katrin geschenkt bekam. Umrandet von einem zartblauen, wunderschön verschnörkelten Rahmen, von dem aus Ranken durch das gesamte Zimmer liefen und die sich auch auf den Möbeln wiederfanden. Trotzdem wirkt es nicht überladen, sondern gut durchdacht. Es waren zarte Farbtupfer an der Wand. Rosa, gelbe, aber auch zart blau gezeichnete Blüten von verschiedenartigsten Blumensorten, die eigenartig leuchteten. Dazu wurden mit einer zarten Pastellfarbe, grün, Blätter sowie Knospen gezeichnet. Aber auch Bienen und Schmetterlinge, in allen möglichen Farbennuancen. Ich setzte mich auf und griff nach meiner Brille. Allerdings schob ich sie nach oben in die Haare. In diesem Raum brauchte ich sie nicht. Ich blickte mich weiter um, es war einfach wunderschön hier. Über dem Schreibtisch, gab es ein Gemälde, es sah aus wie ein Garten, dort sprangen zwei Hündchen und eine Katze herum. Bienen und Schmetterlinge flogen zu den Blüten. An der Decke zogen Adler ihre Runde, aber auch Raben und Spatzen. Ich begriff nicht, wie ich hierher gekommen war. War ich tot? Kam mir der Gedanke, so stellte ich mir das Paradies vor. Hier konnte man sich wohlfühlen. Langsam stand ich auf und ging zu dem Schrank, öffnete ihn. Dort waren all meine Sachen, die ich von den Runges bekam. Ich konnte also gar nicht tot sein. Außerdem war ja auch Struppi noch bei mir. Meine Sachen, Ruvijo und Inti waren hier. Verwirrt fuhr ich mir durch die Haare und drehte mich um. An einer Wand im Raum, war eine wunderschöne Sonnenblume gezeichnet. Ich trat näher. Verwundert stellte ich fest, dass dies eine Lampe war. Ein Stück weiter, kam ich zu einem kleinen Durchgang, dort war eine Tür. Ich schob meine Brille über die Augen. Leise öffnete ich die Tür, ganz vorsichtig. Erstaunt stellte ich fest, dass ich bei den Runges war. Den Gang kannte ich. Aber wie so schlief ich im Hauswirtschaftsraum. Ich war ganz durcheinander und schloss die Tür. An der Tür stand geschrieben.

"Kahlyns Reich! Licht ausschalten!"

In dem Moment fiel mir alles wieder ein. Gestern Abend ging ich in mein Zimmer und da war kein Bett mehr. Dann nahm mich Viola an die Hand, wir waren hier herunter gegangen. Jo erzählte etwas, dass meine Freunde das Zimmer extra für mich hergerichtet hatten. Langsam ganz in Gedanken versunken, lief ich nach oben in die Küche. Struppi wandte sich in meinen Armen, er wollte herunter. Also ging ich zur Terrassentür, öffnete sie und lief hinaus, setzte Struppi auf den Boden. Der sauste los, wie von einer Tarantel gestochen, so eilig hatte er es. An den nächsten Busch hob er seine Beinchen, um sich zu erleichtern. Lachend sah ich ihm zu. Hinter mir hörte ich ein Geräusch und drehte mich um.

Viola kam gerade zur Vordertür herein. "Guten Morgen Kahlyn. Na hat dich Struppi geweckt?", Sie sah mich freundlich an.

Ich nickte, war viel zu sehr in meinen Gedanken beschäftigt, um sprechen zu können. Stromer, den Viola gerade von der Leine gemacht hatte, kam an mir vorbei gerannt, um in den Garten zu sausen. Struppi der seinen Freund sah, fing an mit ihm zu toben.

Ich ließ die Terrassentür einen Spalt offen und ging auf Viola zu, um diese zu begrüßen. "Guten Morgen Viola, wie geht es dir?", Ich lächelte sie verhalten an.

"Gut Kahlyn. Wie geht es dir denn, ein bisschen besser? Du siehst blass aus Mädel. Leg dich doch noch einmal hin."

Ich schüttelte den Kopf. Es würde vom Liegen nicht besser werden. Ich brauchte ein paar Tage Ruhe und Geborgenheit, bis es mir wieder richtig gut gehen würde. "Vielleicht später, Viola. Kann ich dir etwas helfen?", bat ich sie, um etwas Arbeit.

"Wenn du magst, kannst du Rührei machen, das Essen Tim, Tom und Jenny sehr gern. Da haben sie ein leckeres Frühstück. Möchtest du einen Kaffee Kahlyn?"

"Gern, Viola."

Ich ging an den Kühlschrank, um mir die Zutaten heraus zu holen. Schnell bereitete ich das Rührei zu, es ging immer schneller, ich wusste jetzt schon genau, wie man das machte. Als ich den Käse schneiden wollte schüttelte Viola den Kopf und nahm ihn mir aus der Hand, schnitt ihn für mich klein. Ich fand das total lieb von ihr. Sie machte mir auch den Herd an, dafür war ich ihr dankbar. Ich hatte damit immer noch meine Probleme und bekam das mit dem Anzünden der Flamme einfach nicht hin. Da gab es irgendeinen Trick, den ich noch nicht heraus gefunden hatte.

"Viola, könnte ich bitte auch etwas zu essen bekommen, ich habe großen Hunger", bat ich einfach, um das, was ich haben möchte.

Das erste Mal, seit dem ich bei den Runges war, bat ich um etwas. Viola lächelte mir erfreut zu.

"Natürlich mein Mädel, wie viel soll ich dir denn von deinem Brei machen?"

Eine Weile überlegte ich, hin und her. Aber mir wurde klar, dass es mir erst wieder besser gehen würde, wenn ich wieder ein paar Reserven hatte. Also musste ich in der nächsten Zeit, größere Mengen essen. Ich musste das alles, einfach in den Griff bekommen. Es konnte doch nicht sein, dass ich sechszehn Jahre in der Schule schadlos überstanden hatte und mich jetzt hier alles kaputt machte.

"Viola, ich würde gern fünfhundertfünfzig Gramm Brei haben. Ich muss endlich wieder zu Reserven kommen. Damit es mir wieder einmal, etwas besser geht", versuchte ich ihr zu erklären, warum ich so eine große Menge Brei brauchte.

"Kahlynchen, du musst dich doch nicht entschuldigen, nur weil du Hunger hast. Das ist doch normal, du bist so dünn geworden, sieh mal sogar dein Overall, hängt nur noch an dir herum. So dünn warst du nicht mal, bei deinem ersten Besuch und damals ging es dir richtig schlecht. Darf ich dich mal drücken Mädel. Ich bin so froh, dass du wieder zu Hause bist."

Sie kam auf mich zu und nahm mich in den Arm. Ich genoss es, dieses Gefühl der Wärme, wenn mich Viola umarmte. So stellte ich mir vor, fühlten sich Kinder bei ihrer Mutter geborgen. Auf einmal liefen mir Tränen über das Gesicht, ich wusste gar nicht warum. Viola sah mich erschrocken an.

"Warum weinst du Kahlyn? Habe ich etwas falsch gemacht?"

Ich schüttele den Kopf. "Nein", brachte ich mühsam hervor und drehte mich aus der Umarmung, um mich, um die Eier zu kümmern.

Tom und Jenny kamen gerade in die Küche.

Tom kam, als er mich erblickte, sofort auf mich zugestürmt. "Kahlyn, ich freue mich, dass du wieder da bist. Ich habe es Jenny gar nicht glauben wollen. Laufe nie wieder weg. Bitte, das halte ich nicht noch einmal aus. Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht. Ich war ganz traurig, als du weg warst", er stellte sich auf die Zehenspitzen, um mich zu drücken. Tom war sehr klein für sein Alter, nur hundertfünfunddreißig Zentimeter groß.

Ich nahm ihn in den Arm. "Es tut mir leid Tom. Ich habe etwas Falsches gemacht. Ich verspreche dir, nicht wieder wegzulaufen. Du musst dir also keine Sorgen mehr machen", versprach ich meinem kleinen Freund. Der schmiegte sich an mich, ich merkte wie froh er war, dass ich wieder da war.

"Darf ich dich etwas fragen Tom?", wandte ich mich an den Jungen.

"Na klar Kahlyn, du darfst mich alles fragen", Tom musterte mich interessiert.

"Warum bist du traurig gewesen? Ich verstehe das nicht. Du kennst mich doch kaum. Es kann dir doch egal sein, wenn ich nicht mehr da bin."

Tom kämpfte einen schweren Kampf mit sich, wusste scheinbar nicht, was er darauf sagen sollte. Viola streichelte mir mein Gesicht und verteilte dann das Rührei auf die Teller der Kinder.

"Kahlyn, willst du gleich essen oder dann später mit uns?"

"Viola, ich esse dann mit euch. Sonst denkt Rudi wieder, ich esse nichts", bat ich Viola, mein Essen später zu machen.

Tim war jetzt auch wach geworden und wollte jetzt nach unten. Er rief nach seiner Mutti. "Mama, delf mir bitte", kam es vom Treppenabsatz, im oberen Geschoss.

Jenny lief zur Treppe hin, um ihrem kleinen Bruder zu helfen. "Dande Nenny", bedankte sich Tim, bei seiner Schwester.

Tom entschloss sich dagegen, mir zu erklären, warum er traurig war. "Kahlyn, weißt du es ist halt so, ich mag dich sehr. Es ist doch egal, warum? Ich war halt traurig, du gehörst doch zu uns. Da bin ich halt traurig, wenn du weg bist", gab mir zu verstehen.

In dem Moment sah Tim mich. "Meine Dalyn, meine Dalyn, ist wieder da", Tim kam auf mich zugerannt und schlang seine Ärmchen, um meine Beine.

Ich sah Viola verwirrt an.

"Tja Kahlyn, Tim hat zwei Tage lang geweint, weil du weg warst. Ich habe ihn kaum beruhigen können. Er dachte, du kommst nie wieder. Tom dachte, du suchst dir jetzt eine andere Familie und Jenny hatte ganz schlimme Angst, dass du dir etwas antust."

Entsetzt sah ich von einem, zum anderen. Ich verstand nicht, wieso die Kinder sich solche Gedanken, um mich gemacht hatten. Sie kannten mich doch kaum. Traurig setzte ich mich an den Tisch und zog meine Füße auf den Stuhl. Ich legte meinen Kopf auf die Knie und fing an zu schaukeln. So wie ich es immer machte, wenn ich mich überfordert fühlte. Wenn ich über Dinge nachdachte, die ich nicht verstand.

Viola kam zu mir, zog mich in ihren Arm. "Was ist los Kahlyn?"

Ich zuckte mit den Schultern.

"Versuche es uns zu erklären."

"Ich weiß nicht Viola, ich verstehe euch nicht. Es kann euch doch egal sein, ob ich da bin oder nicht. Ich gehöre doch nicht zu euch. Ich bin doch eine Fremde."

Jenny schüttelte den Kopf und sprach aus, was wohl auch die anderen dachten. "Nein Kahlyn, du bist keine Fremde. Du gehörst zu uns."

"Aber warum Jenny? Ihr kennt mich doch noch gar nicht lange."

"Kahlynchen, guck mal. Es ist doch so, du hast keine Mama und keinen Papa, keiner der dich wirklich lieb hat, bis auf deine Rashida. Jetzt bist du bei uns, ist das denn so schlimm, wenn ich deine kleine Schwester bin und Tom und Tim deine kleinen Brüder. Dann hast du doch auch eine Familie. Du hast meinem kleinen Bruder, das Leben zurück gegeben. Er ist, seit dem du ihn gesund gemacht hast, ein richtig kleiner Teufel geworden. Das ist einfach schön, zu sehen wie gut es ihm jetzt geht. Ich muss, keine Angst mehr um ihn haben. Dafür liebe ich dich für alle Ewigkeit. Wenn du weg gehst, dann bin ich ganz traurig. Es ist so als, wenn mir jemand ein Stück, aus meinem Herzen heraus gerissen hätte. Ich habe jede Nacht geweint. Ich dachte, du bringst dich um", die letzten Worte von Jenny, kamen unter Schluchzen heraus, jetzt weinte sie ganz schlimm.

"Jenny, das hab ich nicht gewollt. Höre auf zu weinen bitte, ich verspreche dir, nie wieder wegzulaufen", ich drehte mich aus Violas Armen und lief zu Jenny, um diese zu beruhigen.

Jenny sah mich mit tränennassem Gesicht an. "Versprichst du mir das wirklich?", offen blickte sie in mein Gesicht.

Ich nickte ihr zu. "Ja Jenny, ich verspreche es dir", gab ich ihr ehrlich zur Antwort. Es war mir nicht egal, wenn sich hier drei Kinder, um mich Sorgen machten.

Tom sah mich fragend an.

"Was ist Tom?", wollte ich von ihm wissen.

"Kahlyn, warum hast du so geschrien, vor drei Tagen?"

Viola wollte dazwischen gehen, sie wollte nicht, dass ihre Kinder die ganze Wahrheit erfuhren. Ich dachte aber anders darüber und schüttelte den Kopf.

"Viola, die Kinder sollten wissen, was geschehen ist, dann erschreckt es sie nicht mehr. Lass es mich erklären, ich weiß wie man das am besten macht."

Viola sah mich lange an, dann nickte sie. Es war für mich ein Zeichen, dass sie mir vertraut.

"Tom, du weißt doch, dass ich anders bin als ihr."

Tom sah mich aufmerksam an und zeigte auf meine Brille. "Ja Kahlyn, du hast andere Augen. Aber das ist nicht schlimm."

Ich sah erst Tom, dann Tim, zum Schluss aber auch Jenny an. Wusste ich doch, dass es geschehen konnte, dass diese drei Kinder sich von mir abwenden, wenn sie die Wahrheit erfuhren. Aber es nutzte nichts, sie mussten es verstehen lernen, auch damit sie keinen Schaden nahmen.

"Es sind nicht nur die Augen, es ist vieles bei mir anders. Aber es ist sehr schwer zu erklären. Ihr müsst wissen, es gab Wissenschaftler, die einen viel stärkeren Menschen erschaffen wollten. Nur waren sich diese nicht darüber im Klaren, dass man mit Genen nicht herum experimentieren sollte. Aber sie haben es trotzdem getan. Sie vermischten so viele Gene miteinander, dass sie das, was daraus entstand, nicht mehr voraussehen konnten. Wir sind ganz anders geworden, als sie es wollten."

Ich sah zu den Kindern und dann zu Viola, fuhr dann einfach fort. Es war egal, ich würde ihnen jetzt alles erklären. Je eher sie begriffen, dass ich nicht normal war, um so eher wüsste ich woran ich war. Ich würde merken, ob sie mich wirklich auch dann noch mochten, wenn sie wussten, dass ich ein Monster bin.

"Wisst ihr, diese Leute, wollten dumme, nur Befehle ausführende, starke Soldaten aus uns machen. Wir aber können denken und machen nicht alles, was man uns sagt. Nur bringt uns das, was wir tun mussten, oft in seelische Konflikte. Wenn euch das geschieht, dann werdet ihr wütend und schreit oder tobt", ich sah die drei Kinder an und alle nickten. "Bei uns ist das leider anders. Wenn bei uns der Konflikt oder Druck zu groß wird, werden Gene in uns aktiv, die nicht so schön sind. Wenn diese Gene aktiv werden, bekommen wir starke Schmerzen. Euer Paps, wollte mit mir vor fünf Tagen eigentlich nur helfen, weil es mir halt nicht gut ging. Wisst ihr, ich sah noch schlechter aus, wie jetzt. Er wollte mir helfen, aber er begriff nicht, dass er mir damit die Zeit wegnahm, die ich so dringend gebraucht hätte. Ich konnte es ihm auch nicht mehr erklären, weil es mir schon richtig schlecht ging. Ich wollte nur nach oben in mein Zimmer. Deshalb konnte ich mich vor den Schmerzen, die bei der Aktivierung dieser Gene kommen, nicht mehr schützen. Als er mich dann gehen ließ, war es schon viel zu spät. Ich konnte den Schutz nicht mehr aufbauen, den ich in diesem Fall gebracht hätte, deshalb musste ich schreien. Ich kann das nicht kontrollieren oder steuern. Wisst ihr, es ist so, dass wenn diese Gene durchbrechen bei mir, bin ich nicht mehr richtig bei Bewusstsein, aber ich bin auch nicht bewusstlos. Ich bin irgendwo dazwischen und habe keinen Einfluss darauf, was ich mache. Den Schutz vor den Schmerzen, habe ich nur in der Taijiatmung. Versteht ihr", die Kinder nickten zustimmend, auch wenn sie nicht alles begriffen. "Euer Paps konnte das aber nicht wissen. Aber, jetzt weiß er das und es wird so hoffe ich sehr, nicht mehr passieren, dass ich so schreie. Leider, kann ich es euch aber nicht versprechen, dass es nicht mehr passiert. Aber ich werde mein Bestes geben, damit ihr euch nicht wieder so erschreckt, das verspreche ich euch. Ich kann doch nichts dafür, dass das so bei mir ist. Ich halte viel Schmerzen aus, aber wenn die Schmerzen zu stark werden, muss auch ich schreien. Könnt ihr mir noch einmal verzeihen? Ich wollte euch nicht erschrecken. Euren Paps trifft keine Schuld. Wenn jemand Schuld hat, dann nur mich, weil ich es ihm nicht gesagt habe. Dass ich solch einen Anfall bekommen kann. Ich hab mich geschämt dafür. Wenn ihr jemanden böse sein müsst, dann bitte mir."

Jenny, Tom und sogar der kleine Tim schüttelten den Kopf.

"Wir sind dir nicht böse. Aber es ist gut zu wissen, warum du so geschrien hast. Hoffentlich bekommst du nie wieder, so einen Anfall. Es ist nicht gut, wenn jemand Schmerzen hat. Das ist gar nicht gut."

Verwundert sah ich Tom an, doch dann nickte ich.

Viola allerdings drängte jetzt zum Aufbruch. "Kinder, ihr müsst los, ihr kommt zu spät in die Schule, jetzt aber husch, husch", lachend jagte sie die Kinder auf, die widerspruchslos ihren Anordnungen folgten. Schnell liefen sie in den Flur und zogen sich ihre Jacken über. Es kam noch ein gerufenes. "Bis heute Nachmittag, Tschüss ihr Drei", schon waren Tom und Jenny aus der Tür und liefen in Richtung Bus davon.

Viola sah mich liebevoll an, stand auf und kam auf mich zugelaufen. "Danke", flüsterte sie mir ins Ohr und streichelte mir über mein Gesicht.

Lief dann weiter zu Tim. "Komm Tim, wir müssen dich noch anziehen, für den Kindergarten. Bis gleich", sie reichte Tim die Hand und stieg mit ihm die Treppe nach oben in sein Zimmer.

Ich saß am Tisch und grübelte darüber nach, was mir die Kinder gesagt hatten. Ich begriff einfach nicht, warum die drei sich Sorgen um mich machten. Nachher, wenn Rudi aufgestanden war, musste ich ihn fragen, ob er mir das erklären konnte. Meine Kameraden hatten sich nie Sorgen, um mich gemacht. Vielleicht Rashida, aber die anderen nicht. Lange sah ich Struppi und Stromer beim Toben im Garten zu, merkte gar nicht wie die Zeit verging.

Fast erschrak ich, als Tim auf einmal neben mir stand und an meinem Ärmel zupfte. "Dalyn, bindst du mis bitte mit in den Dindedarten?", fragte er mich ganz lieb.

"Tim ich weiß nicht, ob ich das darf."

Viola die vom Flur aus zu gesehen hatte, nickte. "Natürlich darfst du mitkommen, warum denn auch nicht. Zieh dir Schuhe und eine Jacke an, dann holen wir Stromer und Struppi, gehen mit den Beiden gleich noch eine Runde."

Ich nickte und stand auf, doch dann sah ich Viola verlegen an. "Viola, ich weiß nicht, wo meine Schuhe sind, die habe ich in den Wäscheraum gestellt."

Viola lachte. "Komm her, sieh mal hier ist ein Regal, dort gehören die Schuhe eigentlich hinein, die du nicht anhast."

Da entdeckte ich auch schon meine Schuhe. "Danke Viola, das wusste ich nicht, sonst hätte ich sie immer dort hin gestellt."

Viola wuschelte mir durchs Haar. "Das weiß ich doch Kahlyn, ist auch nicht schlimm. Na komm Tim, lassen wir Kahlyn Zeit, zum Anziehen. Wir beide holen jetzt erst einmal Struppi und Stromer", forderte sie Tim auf.

Ich zog in der Zwischenzeit meine Schuhe und die warme Jacke an. Kaum, dass ich fertig angezogen war, kam Tim mit Struppi an der Leine auf mich zu, reichte mir seine Hand.

Lachend sah er mich an. "Domm Dalyn, jetzt zeid is dir meinen Dinderdarten", erklärte er mir ganz stolz.

Ich musste lachen, es klang immer so niedlich, weil er die Worte noch nicht richtig aussprechen konnte. Ich würde es wohl mit ihm mal üben müssen, damit er richtig sprechen konnte oder ich lerne es ihm über das Jawefan. Da fiel mir ein, dass ich mit Viola und den Kindern auch noch das Jawefan machen wollte, damit sie meine Sprache verstehen konnten. Das durfte ich nicht vergessen. Ich nahm Tim die Leine aus der Hand, nahm ihn zusammen mit Viola an der Hand. Wir liefen die Straße hinunter. Es war schön hier, vor allen Häusern gab es kleine Parkanlagen. Zwar waren dort keine Blumen mehr zu sehen, aber überall waren kleine Felder und Sträucher. Kein Haus glich dem Anderen. Zwei Straßen weiter, kamen wir an ein bunt bemaltes Haus, am Zaun entlang waren lauter bunte Tiere. Interessiert blieb ich stehen.

Tim zupfte mich am Ärmel. "Domm Dalyn, dleich sind wir da."

Er nahm meine Hand und zog mich hinter sich her. Nur noch wenige Schritte waren es, bis zum Tor des Kindergartens. Über dem Eingang, stand ein großes Schild, darauf konnte man lesen

"Storchennest – Dorfkindergarten."

Ganz aufgeregt zog mich Tim mit sich, Viola öffnete ein Verschluss über dem Tor. Erschrocken sah ich sie an. Viola bemerkte meinen Blick sofort.

"Kahlyn, keine Angst, das ist nur zur Sicherheit der Kinder. Damit sie nicht weglaufen können. Es gibt schon mal welche, die alles erkunden wollen, die Frauen die hier arbeiten, können doch nicht alle Kinder im Blick behalten, deshalb ist diese Sicherung."

Ich verstand diese Maßnahme nicht. "Man darf die Kinder doch nicht einsperren. Was ist, wenn sie nach Hause wollen? Weil es ihnen hier nicht gefällt. Sie können doch dann nicht einmal weg", ernst sah ich Viola an.

"Ach Kahlyn, ich weiß nicht wie ich dir das erklären soll. Können wir das dann zu Hause bitte besprechen. Es ist nicht, so wie du dir das jetzt vorstellst. Komm, ich stelle dir mal die Erzieherinnen vor", genau beobachtete mich Viola.

Sie bemerkte sofort, dass es mir überhaupt nicht gefiel, dass Tim nicht sofort nach Haus konnte, wenn er das wollte. Verzweifelt wandte sie sich an eine rundliche Frau, mit blonden kurzgeschnittenen Haar und einer Brille.

"Guten Morgen Frau Wolf."

Die Kindergärtnerin sah mich verwundert an. "Guten Morgen Frau Runge, na Tim kommst du wieder zu uns? Ich dachte schon du bist krank."

Viola schlug die Hand vor den Mund. "Oh mein Gott, Frau Wolf ich habe vergessen, bei ihnen anzurufen. Tut mir so leid, wir hatten die letzten fünf Tage, die Hölle bei uns zu Hause. Deshalb habe ich Tim nicht gebracht. Tut mir leid, ich habe zwar in der Schule angerufen, aber hier, das habe ich total vergessen, durch den Stress mit Kahlyn."

Verwundert sah ich Viola an.

"Frau Wolf, ich stelle ihnen erst einmal unsere Kahlyn vor. Sie ist unsere neue Mitbewohnerin und die zukünftige Adoptivtochter von Rudi Sender, dem Patenonkel von Tim."

Genau beobachtete mich diese Frau. Ich fühlte mich nicht wohl dabei. Tim forderte meine Aufmerksamkeit.

"Dalyn, das ist meine Tante Rosi, die is danz lieb. Vor der mut du deine Andst haben", erklärte er mir.

Ich hockte mich zu ihm. "Denkst du ich habe Angst, Tim?", lächelnd sah ich Tim an und streichelte ihm über seinen Kopf.

Er nickte ernst. "Ja, du dudst so domisch", erklärte er mir.

Frau Wolf musste lachen. "Da spricht unser Tim, wohl die Wahrheit. Darf ich auch, Kahlyn zu ihnen sagen junge Frau?"

Freundlich lächelnd hielt sie mir die Hand hin. Verlegen sah ich zu Viola. Ich mochte es nicht, gleich mit mir fremden Menschen Kontakt zu schließen, die ich gar nicht kannte. Viola legte mir beruhigend die Hand auf die Schulter und sah dabei Frau Wolf offen an.

"Frau Wolf, lassen sie Kahlyn etwas Zeit. Sie hatte es nicht so gut in ihrem bisherigen Leben. Sie ist Fremden gegen über sehr misstrauisch. Sie war schon wieder ganz durcheinander, nur weil am Tor eine Sperre ist. So dass die Kinder nicht alleine rauslaufen können."

Irritiert sah mich Rosi Wolf an. "Kahlyn, wir müssen für die Sicherheit der Kinder sorgen. Was ist, wenn eins einfach wegläuft und überfahren wird? Wir können doch nicht ständig achtzig Kinder mit vier Kindergärtnerinnen in den Augen behalten, wir müssten sie praktisch an die Leine legen. Wenn mal eins der Kinder auf die Toilette muss, sind wir hier draußen nur noch zu dritt. Dadurch, dass wir das Tor gesichert haben, können die Kinder sich hier drinnen frei bewegen."

Verstehend nickte ich. Es waren ja auch viele Kinder, die hier herum tobten. "Komm schau dir alles an, doch müsst ihr die Hunde hochnehmen. Nicht, dass eins der Kinder gebissen wird", lud sie uns ein, die Anlage zu besichtigen.

Immer noch musterte sie mich verwundert, da ich noch kein Wort gesagt hatte. So begleiteten wir sie, durch die gesamte Anlage, dann in das Gebäude, Tim war zwischen den Kindern verschwunden. Er lief lachend, mit einem Jungen um die Wette, es war schön zu sehen, wie gut es ihm ging. Wir betraten das Büro der Leiterin des Kindergartens.

"Guten Morgen Frau Runge, wir haben uns schon Sorgen um Tim gemacht. Wieso ist denn er nicht in den Kindergarten gekommen?", wollte diese sofort wissen.

Viola blickte verlegen drein. Bevor sie etwas sagen konnte, gab ich für sie eine Antwort.

"Mam, entschuldigen sie bitte, Mam. Es ist nicht die Schuld von Tims Mama, sondern meine. Ich habe für etwas Unruhe gesorgt, weil ich weggelaufen bin. Bitte, wenn sie jemanden verantwortlich machen wollen, dann mich, Mam", erklärte ich leise und immer wieder auf Viola guckend.

"Ach Kahlynchen, es ist nicht deine Schuld. Frau Weser, ich habe einfach nicht daran gedacht."

Frau Weser, eine schlanke Frau mit langem graumeliertem Haar, sah verwundert auf mich. "Wieso sprichst du mich mit Mam an?"

Verlegen sah ich zu Viola, wie sollte ich denn sonst sagen. Das machte ich immer, wenn ich jemanden nicht kannte.

"Frau Weser, nehmen sie es bitte wie es ist. Manches ist bei Kahlyn etwas kompliziert. Das lässt sich nicht in zwei Worten erklären. Tim wollte ihr einmal seinen Kindergarten zeigen, weil sie so etwas noch nicht kennt. Tut mir leid, in dem ganzen Stress die letzten Tage habe ich einfach vergessen, Bescheid zusagen, dass Tim nicht kommen kann. Es ging ihm nicht so gut, weil Kahlyn weggelaufen war. Kahlyn, müssen sie wissen, ist die zukünftige Adoptivtochter von Rudi Sender und unser aller Ziehkindel. Sie kennt das hier alles nicht. Oft ist sie einfach überfordert. Vor fünf Tagen gab es ein böses Missverständnis, zwischen meinem Mann und Kahlyn. Da ist sie weggelaufen, weil sie dachte, wir wollen sie nicht mehr haben. Mein Mann und Rudi Sender haben sie erst vorgestern Abend, in der Nähe von Feldhusen gefunden. Dort ist sie hingelaufen, in ihre alte Schule."

Kaum hatte Viola ausgesprochen, rief Rosi Wolf. "Jetzt weiß ich, wo ich dich her kenne und vor allem, wer du bist Kahlyn. Du bist eins dieser Menschen fressenden Werwolfkinder vom Deipsee", erschrocken sah sie mich an und wich ängstlich einen Schritt vor mir zurück.

Viola die nicht verstehen konnte, weshalb Rosi Wolf so reagierte, konnte sich die Frage nicht verkneifen. "Werwolfkinder von Deipsee?"

Rosi Wolf sah panisch zu mir. "Wie können sie eine dieser Bestien bei sich aufnehmen, Frau Runge? Und dann auch noch so eine Bestie hierher in unseren Kindergarten bringen. Sind sie verrückt geworden", fuhr sie Viola jetzt böse an.

Ich fühlte mich immer unwohler in meiner Haut. Der Drang einfach wegzulaufen, hatte mich wieder erfasst. Nur zu gut, war mir die ablehnende Haltung der Bewohner der umliegenden Dörfer bekannt, die uns immer so genannt hatten. Ich zog mich, soweit es ging, zurück zur Tür, um die Frau nicht zu ängstigen.

Viola wollte das nicht zulassen. "Kahlyn, bleibe bitte hier. Wir klären das und zwar sofort. Frau Wolf es gibt keine Werwölfe. Wie können sie es wagen, Kahlyn eine Bestie zu nennen? Was bitte soll das?", wollte sie aufgebracht von der Erzieherin, ihres Sohnes wissen.

Frau Weser erhob sich und kam auf mich zu. Ich wich immer mehr zurück und fühlte mich immer mehr in die Ecke getrieben. Viola unterband das, fast sofort.

"Bitte Frau Weser, lassen sie Kahlyn. Es ist nicht gut, wenn man sie dermaßen unter Druck setzt, bitte. Wir sind froh, dass sie endlich etwas Vertrauen hat. Kahlyn, kommt von alleine, wenn sie merkt man drängt sie nicht. Kahlyn, beruhige dich, es tut dir hier niemand etwas. Das lasse ich nicht zu. Komm setz dich auf einen Stuhl. Mädel du bist schon wieder schneeweiß im Gesicht. Komm Mädel, ich pass doch auf dich auf."

Viola legte mir beruhigend den Arm um meine Schulter und schob mich sanft zu einem der Stühle. Ich setzte mich, zog die Füße auf den Stuhl und lehnte mich zurück. Hielt dabei allerdings meine Knie umschlungen und beobachte die Frauen, voller Misstrauen.

Viola jedoch wandte sich an Frau Wolf. "Frau Wolf, wieso geben sie Kahlyn einen solchen Namen. So etwas finde ich erniedrigend. Sie sind doch Erzieherin, wie können sie es wagen, einem so jungen Mädchen so etwas vorwerfen. Sie kennen Kahlyn doch gar nicht, wie können sie es wagen, sie so zu beschimpfen. Bitte Frau Weser, das ist doch nicht in Ordnung."

Iris Weser sah böse zur ihrer Kollegen. Auch sie verstand das Verhalten der sonst sehr netten Kindergärtnerin nicht. "Rosi, da muss ich Frau Runge recht geben, es ist nicht in Ordnung, was du hier machst."

Rosi Wolf sah panisch auf mich und dann zu ihrer Chefin und zu Viola. "Entschuldige bitte Kahlyn, aber ich war so erschrocken. Weißt du, ich komme aus Kalkhorst. Oft, konnte man euch bis dorthin schreien hören. Bei uns hieß es dann immer, die Werwölfe sind wieder da. Ich kann es nicht ändern. Es ist ein Grund, warum ich von dort weggezogen bin. Weil ich diese Schreie, nicht mehr ausgehalten habe und weil..."

Iris Weser konnte nicht glauben, was ihre Kollegin da erzählt. "Rosi, wer glaubt denn heute noch, an Werwölfe? Kein normaler Mensch glaubt daran."

Viola sah mich entschuldigend an und dann verständnisvoll zu Frau Wolf. "Doch, ich kann mir das vorstellen. Diese Schreie hören man bestimmt Kilometer weit. Wir haben einen der Anfälle, von Kahlyn vor fünf Tagen erlebt, es war grauenvoll. Das ist der Grund gewesen, weshalb es Tim und meinen anderen Kindern nicht so gut ging, warum mein Mann und Kahlyn sich gestritten haben. Aber Kahlyn ist kein Werwolf. Kahlyn ist nur ihr ganzes Leben lang misshandelt wurden, selbst ihre Geburt ist eine, ach ich weiß nicht wie ich das nennen soll. Dafür kann das Mädel doch nichts, im Gegenteil, sie nimmt noch mehr Schmerzen auf sich, um uns und andere zu schützen. Bitte Frau Wolf, sprechen sie nicht so, über ein unschuldiges kleines Mädchen."

Rosi Wolf, sah mich offen an. Ich wich ihrem Blick nicht aus. Warum auch, wir hatten nie jemanden verletzt. "Bei uns im Dorf, sind einige Menschen verschwunden, sie wurden von den Werwölfen geholt. Mein Mann wurde auch von ihnen geholt", berichtete Frau Wolf panisch.

Jetzt schüttelte ich den Kopf. "Mam, wir haben nie jemanden geholt, Mam. Weder einen Mann, noch eine Frau, noch ein Kind, Mam."

Ich konnte einfach nicht glauben, was die Frau da über uns erzählte. Aber Rosi Wolf, kam jetzt böse auf mich zu und wollte nach meiner Brille greifen, allerdings zog ich den Kopf zur Seite, so dass sie danebengriff.

Iris Weser, griff jetzt durch. "Setzt dich hin Rosi, das ist doch nicht dein Ernst. Dass du hier jemand tätlich angreifst."

"Iris, ich will dir nur ihre Augen zeigen, damit du mir glaubst."

Iris Weser glaubte nicht, was sie da hören und erleben musste. "Rosi, kann man da nicht wie ein vernünftiger Mensch fragen, ob sie die Brille absetzt? Ich geh doch auch nicht und will dir deine Brille von der Nase ziehen. Das kann doch alles nicht wahr sein. Was fällt dir eigentlich ein?", pulverte sie ihre Mitarbeiterin wütend an.

Böse sah Iris Weser auf ihre Kollegin, die setzte sich auf ihren Platz und stützte den Kopf auf die Hände.

Ich nahm die Brille ab, damit Iris Weser meine Augen sehen konnte. "Mam, ich kann doch nichts für meine Augen, Mam. Aber, wir haben nie einen Menschen etwas angetan, niemals, Mam. Ich bin Polizistin, dazu da um Leben zu schützen, Mam. Aber es stimmt, was die Frau sagt. Man nennt uns in der Region, um unserer Schule, so, Mam. Die Werwolfkinder vom Deipsee, Mam. Aber die Schreie kamen selten von Anfällen, sondern oft von den Misshandlungen, denen wir ausgeliefert waren. Gegen die wir uns nicht wehren konnten und durften, Mam. Wir fressen keine Menschen, Mam", setze ich traurig nach.

Um es zu beweisen, stand ich auf, um meine Jacke und den Overall auszuziehen. Anschließend zog ich noch das T-Shirt aus und drehte mich um, zeigte den Frauen meinen Rücken. Erschrockenes ausatmen hörte ich und kleidete mich sofort wieder an. Wandte mich nachdem ich mich wieder angezogen hatte, an Rosi Wolf.

"Mam, wirklich ich habe ihren Mann nichts getan. Wenn sie wollen, dann erzählen sie mir alles, dann stelle ich Nachforschungen an, wo dieser sein könnte. Es wäre mir eine Ehre, ihnen bei der Suche zu helfen. Aber glauben sie mir, ich würde niemals, jemanden ein Leid antun, Mam. Niemals, Mam", offen blickte ich sie an.

Immer noch hatte ich meine Brille in der Hand. Das Licht trieb mir die Tränen in die Augen, die mir über die Wangen liefen. Viola beendete dies, mit den Worten.

"Bitte Kahlyn, setze deine Brille wieder auf, dir geht es doch schon schlecht genug. Musst du dich denn jetzt, noch mehr quälen. Du hast doch schon genug Schmerzen. Die Brille muss Kahlyn tragen, weil das Licht ihren Augen weh tut. Sie hat höllische Schmerzen, wenn sie die Brille nicht trägt."

Ich setzte meine Brille wieder auf und wischte mir verlegen die Tränen aus den Augen. Entsetzen stand auf den Gesichtern der beiden Frauen.

"Wer hat dir das angetan?", mehr bekam Iris Weser nicht heraus und musste sich sofort hinsetzten.

Verlegen zuckte ich mit den Schultern. "Mam, Leute die mit Genen herum experimentiert haben und unser Vorgesetzter. Aber das ist nicht schlimm, es gibt schlimmer Sachen die man uns antat. Ich habe diese Leute, vor einigen Wochen angezeigt. Aber bitte Mam, sie müssen mir glauben, wir sind keine Werwölfe, schon gar nicht, tun wir jemanden ein Leid. Ja, wir sind anders, auch schreien wir einmal schlimm, in einem Anfall wie vor fünf Tagen. Aber, weder ich, noch einer meiner Kameraden, würde zulassen, dass man jemanden etwas tut, Mam."

Iris Weser glaubte mir jedes Wort. "Rosi wie kannst du denken, dass Kinder deinen Mann gefressen haben, das glaube ich jetzt nicht."

Rosi schüttelte den Kopf. "Jetzt kann ich das auch nicht mehr glauben. Aber, wo ist er dann hin? Es hieß doch immer so, bei uns. Es tut mir leid Kahlyn, ich war nur so erschrocken."

Irgendwie tat mir die Frau leid. "Mam, ist nicht schlimm, ich bin es gewohnt abgelehnt zu werden. Mein Angebot steht, geben sie mir einfach alle Informationen die sie vom Verschwinden ihres Mannes haben, dann werde ich ihren Mann auch finden. Ich bin ein guter Spurensucher, Mam."

Viola bestätigte meine Worte. "Darf ich Rosi zu ihnen sagen, Frau Wolf?", als Frau Wolf zustimmend nickte, fuhr sie fort. "Es stimmt, was Kahlyn erzählt. Rosi, haben sie am Anfang des Monats von der vermissten Schulklasse in Schwerin gehört? Das kam ja groß im Fernsehen und im Radio."

Beide Frauen nickten zustimmend, Rosi Wolf erzählte sofort. "Ja klar, ich war total fertig deswegen, meine Nichte Carola und ihre beste Freundin Sandra gehörten, zu den vermissten Kindern."

Ich hielt den Kopf etwas schräg und hörte einfach nur zu. Dabei kamen mir die Erinnerungen, Sandra hieß das erste Mädchen, dass ich aus der Höhle geholt hatte und Carola, war glaube ich die dritte oder vierte. Ich konnte mich noch so genau an die Namen erinnern, weil Carola als ich sie geweckt hatte, darauf bestand, dass ich als erstes, ihre Freundin nach draußen bringen sollte. Sie weinte erst, als ich ihr erklärte, dass ich eine Sandra schon nach oben geschickt hatte. Ich fragte sie, warum ich Sandra als erstes nach oben schicken sollte. Sie antwortete mir, weil sie meine beste Freundin ist. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Viola hatte mich genau beobachtet und ahnte sie was in meinem Kopf vor sich ging?

"Kahlyn, du kannst dich an die Namen erinnern, stimmt es Kleine?"

Es war nicht meine Art, über solche Sachen zu reden, deshalb schwieg ich.

"Kahlyn, warum antwortest du mir denn nicht?", wollte Viola wissen.

"Über bestimmte Dinge darf man nicht reden, Viola. Das weißt du doch, dein Mann ist doch auch Polizist", wies ich sie darauf hin, dass wir nicht über unsere Arbeit sprechen durften.

Viola brach aber das Schweigen. "Wenn du es nicht darfst, ich bin nicht daran gebunden. Frau Wolf, Kahlyn hat diese Kinder gefunden. Nur ihr haben sie es zu verdanken, dass diese Kinder noch leben. Mein Mann sagte mir, dass alle Kinder einen Tag später tot gewesen wären. Soweit zu dem Werwolf, der Kahlyn sein soll. Sie bringt keine Leute um, sondern rettet sie. Rudi Sender, der mit unten am Stollen war, sagte mir. Zum Schluss hatte man dort unten, kaum noch atmen können. Er hatte so eine Angst. Ein Funke hätte genügt, um den ganzen Berg zu sprengen. Soviel Gas war dort unten. Keiner hat bis heut begriffen, wie Kahlyn dort unten hat graben können. Die Männer hatten kaum genug Luft, um die Kinder zum Förderkorb zu tragen. Alle waren froh, wenn sie nach zehn Minuten dort wieder raus waren. Kahlyn allerdings, war dort unten über sechs Stunden und hat auch noch schwer gearbeitet. Die Steiger vom Schacht, erklärte Rudi, dass seine Rettungstruppe mindesten zwei bis drei Tage gebraucht hätte. Da man auf Grund der hohen Gaskonzentration, keinerlei Technik einsetzen konnte. Er konnte nicht begreift wie das Mädel, das in so kurzer Zeit allein geschafft hatte."

Rosi Wolf starrte mich an. "Kahlyn, du hast meine Carola gerettet. Ich glaube es nicht und ich dachte, du bist ein Werwolf. Es tut mir so leid, wirklich."

Ich winkte ab, es war doch egal. "Mam, machen sie sich keine Gedanken, Mam", wies ich sie darauf hin, dass es nicht schlimm war.

Viola stand auf, wir mussten wieder gehen. "Frau Weser, es tut mir wirklich leid. Ab heute kommt Tim wieder regelmäßig in den Kindergarten, das verspreche ich ihnen. Nur ist es noch so ungewohnt, dass er in einen Kindergarten gehen kann. Das haben wir auch nur Kahlyn zu verdanken. Ich habe einfach nicht daran gedacht. Also, wir müssen los, sonst ruft mein Mann noch die Polizei an und lässt uns suchen", machte sie einen Scherz, den alle verstanden, außer mir.

Verständnislos sah ich Viola an. "Warum?"

Viola fing schallend an zu lachen. "Kahlyn, das war ein Spaß. Komm lass uns nach Hause gehen, sonst kommt Jo zu spät zum Dienst, es ist gleich Viertel Acht."

Violas Bitte folgend, stand ich sofort auf. Frau Wolf und auch Frau Weser gaben Viola die Hand. Wollten mir auch die Hand reichen, doch ich war nicht bereit dazu. Ich mochte diese Frauen nicht, auch wenn ich ihre Beweggründe verstand.

Viola bat die Frauen um Geduld. "Bitte, haben sie mit Kahlyn ein wenig Geduld, sie ist Fremden gegenüber sehr misstrauisch, was ich langsam verstehen kann."

Beide Frauen gaben ihr Recht.

"Na, ist doch nicht so schlimm, vielleicht kommst du uns ja mal wieder besuchen Kahlyn?", aufmunternd sah Iris Weser mich an.

Ich zuckte mit den Schultern, dann schüttelte ich den Kopf und folgte Viola nach draußen.

 

Sobald wir den Kindergarten verlassen hatten, setzten wir Struppi und Stromer, wieder auf den Boden. Die sprangen gleich herum, eilig folgen wir den Beiden nach Hause. Liefen nun doch den kürzesten Weg zurück. Zu Hause angekommen, machte ich die Hunde los und Viola ging sofort, Jo wecken. Fertig damit lief ich in die Küche und bereitete noch einmal Rührei zu. Viola bat mich auf den Rückweg darum. Mit Jo zusammen, kam auch Rudi in die Küche, ich freute mich ihn zu sehen, vor allem, weil er wieder besser aussah.

"Guten Morgen, ich freue mich dass du auf bist, Kleene. Wie geht es dir?", Jo ging zu seiner Frau und gab ihr einen Kuss, dann mir und setzte sich auf seinen Platz.

Als erstes, nahm er einen großen Schluck Kaffee, dem folgte ein. "Mmmhhh. Jetzt geht es mir besser."

Viola grinste ihren Mann über das ganze Gesicht an. "War dein Koffeinspiegel so niedrig, Jo?", witzelte sie mit ihm herum.

Auch Rudi nahm erst einmal einen kräftigen Schluck, des schwarzen heißen Gebräus. "Viola, das ist doch immer das schönste am Morgen, der erste Schluck heißen Kaffees und der Anblick von zwei schönen Frauen", lachend zog er mich zu sich und gab mir einen Kuss. "Na Kleene, du sagst ja gar nichts, wie es dir geht? Gut bestimmt nicht, du siehst nicht sehr erholt aus. Warum legst du dich nicht noch etwas hin?", Rudi musterte mich besorgt.

Ich schüttelte den Kopf. "Rudi, es wird vom schlafen nicht besser, mein Körper braucht einfach etwas Zeit. Vor allem Ruhe."

Viola nickte und setzte aber sofort nach. "Vor allem Ruhe und dass dich die Menschen nicht immer unter Druck setzen."

Jo sah seine Frau verständnislos an. "Wer hat unsere Kleene schon wieder unter Druck gesetzt."

Nötigte so Viola zu erklären, was sie damit meinte. Viola holt tief Luft, ich verteilte das Rührei auf den Tellern und bekam von Viola meinen Brei hingesetzt. Gemeinsam fingen wir an zu essen. Dabei erzählte Viola, was im Kindergarten vorgefallen war.

"Tim, hat sich so gefreut heute früh, dass Kahlyn wieder da war und wollte, dass sie ihn mit in den Kindergarten bringt. Diese Erzieherin von ihm ist unmöglich. Hat sie doch tatsächlich Kahlyn, als Werwolfskind von Deipsee bezeichnet. Ich dachte ich spinne…" Genau berichtet sie von dem, was im Kindergarten vorgefallen ist.

Jo und Rudi schüttelten den Kopf. "Ich glaube das jetzt wirklich nicht. Veilchen, sag mir das dies nicht wahr ist."

"Doch Jo, genau das hat Rosi Wolf gesagt", bestätigt Viola das gerade erzählte.

Jo sah mich verzweifelt an. "Ach Mensch Kleene, es ist doch kein Wunder, dass du nie zur Ruhe kommst. Ich glaube ich muss dir Ausgangsverbot erteilen, damit du einmal etwas zur Ruhe kommst. Mir graut schon davor, was beim Optiker heute wieder passiert, vielleicht ist es günstiger Onkel August zu bitten, herzukommen. Was meinst du, Kleene?"

Verlegen sah ich alle an, ich wusste es doch auch nicht, also zuckte ich mit den Schultern. Auch weil ich nicht wusste, was er mit Optiker meinte.

"Sag doch auch mal was dazu, Kleene."

Zum Glück half mir Viola, die wohl an meiner gesamten Haltung sah, dass ich nicht wusste, um was es ging und von was hier eigentlich die Rede war.

"Kahlyn, weißt du überhaupt, was ein Optiker ist?"

Verlegen schüttelte ich den Kopf.

"Nein, ich habe so etwas noch nie gesehen", erklärte ich leise.

Jo schüttelte den Kopf. "Ach verdammt, immer denke ich nicht daran, dass du keine Ahnung hast, von was wir reden. Kahlyn, mein Onkel August stellt Brillen her. Deine Brille ist doch kaputt gegangen. Ich möchte dir eine neue machen lassen. Jetzt ist nur die Frage, soll Onkel August hier herkommen oder wollen wir zu ihm hinfahren."

"Jo ich weiß nicht, wir können ruhig hinfahren. Aber, dann werde ich lieber, die Kontaktlinsen rein machen", gab ich ihm verunsichert zur Antwort.

"Das wäre vielleicht ganz gut, denn Onkel August muss die Brille ja anpassen. Rudi am besten du kommst mit, damit sich die Kleene sicher fühlt."

Rudi nickte nur, da er gerade den Mund voll hatte und erst herunter kauen musste. "Kann ich machen", sofort schob er den nächsten Löffel in den Mund und grinste dabei verlegen. Als er den Mund leer hatte setzte er nach. "Kahlyn, schaffst du das heute überhaupt. Meine Kleene du brauchst etwas Ruhe. Nicht, dass du gleich wieder in einen Anfall hineinschlitterst, weil wir dich überfordern?", traurig streichelte er mir über die Wange.

"Ich weiß nicht Rudi. Eigentlich brauch ich doch keine andere Brille, die geht doch. Entschuldige aber im Moment, kann ich keine klaren Entscheidungen treffen. Es ist einfach so, dass mir alles zu viel ist. Vorhin im Kindergarten, da…", verzweifelt suchte ich nach den richtigen Worten. Lange überlegte ich und wusste aber nicht, wie ich das erklären sollte.

Jo, der nicht aus seiner Rolle herauskann, alles genau zu wissen, fragte nach. "Was war da Kahlyn?"

Nervös spielte ich mit meinen Fingern und zog die Beine auf den Stuhl. Unsicher sah ich Rudi an.

"Was ist meine Kleene? Kannst du es nicht erklären?"

Schulterzuckend nickte ich, was soll ich auch sagen? Es gibt Sachen die ich einfach nicht in Worte fassen konnte. Sachen die nur die "Hundert" verstanden.

"Nedis, gino, sumdrei. – Es ist schwer über all das die Kontrolle zu behalten, über die unsagbare Wut in mir", versuchte ich es in meiner Sprache zu erklären, nicht daran denkend, dass Viola diese ja nicht verstehen konnte.

"Was heißt das?", wollte Viola gern wissen.

Jo versuchte das Gesagte zu übersetzen, was gar nicht so einfach war. "Beschwerlich ist es mich selber und die Geschehnisse zu kontrollieren. Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe. Kleene, jetzt geht es mir so, wie es dir so oft passiert. Ich verstehe zwar deine Worte, aber nicht deren Sinn. Langsam verstehe ich wie du dich oft fühlen musst. Es ist schlimm, aber wie können wir lernen, auf einer Ebene zu sprechen. So dass wir uns verstehen?"

Rudi sah ebenfalls fragend zu mir, denn ihm erging es nicht anders, als Viola und Jo. Verzweifelt suchte ich nach den richten Worten, um verständlich zu machen, was ich meinte.

"Diese Frau, Jo gibt gehörte Dinge wieder, projiziert Sachen hinein, die so nicht richtig sind", nervös raufte ich mir die Haare und legte meinen Kopf auf die Knie, um besser denken zu können. "Sie vermischt Sachen die nicht stimmen. Stellt uns als schlechte Personen dar, obwohl sie uns gar nicht kennt."

Mühsam versuchte ich meine Wut in den Griff zu bekommen, aber es war so viel Wut in mir, dass ich sie kaum unterdrücken konnte. Wütend schob ich meinen halbleeren Teller weg, mir war der Hunger vergangen. Ich musste mich bewegen, einfach, um mich zu beruhigen. Ich stand deshalb auf und lief in der Küche hin und her. Nach einer Weile wurde es etwas besser und ich konnte mich wieder an den Tisch setzen. Nur war mir der Appetit gänzlich vergangen, mir war einfach nur schlecht.

Rudi der mich ängstlich beobachtete, streichelte mir das Gesicht. "Komm rege dich nicht so auf, wir können das auch später klären."

Ich wollte nur dass endlich diese verdammte Wut aufhörte, die ich in mir trug. "Rudi, ich möchte das gleich klären. Weil es mich wütend macht, wenn man uns so etwas unterstellt. Wir haben nie jemand ein Leid angetan. Diese Frau behauptet, wir hätten ihren Mann gefressen. Wisst ihr es ist anstrengend dabei, nicht die Kontrolle zu verlieren. Über die Geschehnisse und über mich selber. Oft ist die Wut in uns und vor allem aber, in mir so groß, dass wir sie kaum kontrollieren können. Weil man uns Dinge unterstellt, die so nicht stimmen", verzweifelt rieb ich mir die Stirn und dann den Nacken, weil ich schlimme Kopfschmerzen bekam. "Warum machen Menschen so etwas?"

Rudi zog mich in seinen Arm und legte den Arm um mich, gab mir so eine gewisse Sicherheit.

Viola versuchte es mir zu erklären, in Worten die ich auch verstehen konnte. "Weißt du Kahlyn, auch erwachsene Menschen, flüchten sich bei Sachen die sie nicht verstehen, oft in Mythen, Sagen oder Überlieferungen, um diese Dinge begreifbar zu machen. Sie sind genauso wissbegierig wie ihre Kinder. Wenn sie etwas nicht begreifen, dann macht es ihnen ungeheure Angst. Was ihnen Angst macht, das wollen sie in eine Figur stecken, die sie begreifen können, um sich dadurch ein Bild zu machen. Damit sie etwas Reales haben, dass sie bekämpfen können. Wie zum Beispiel einen bösen Wolf, Drachen, Vampire, Werwölfe oder den Teufel. Dann haben sie eine angreifbare Gestalt. Es gibt Mittel gegen Drachen, Werwölfe. Man kann sie töten. Verstehst du?"

Trotzallem konnte ich es nicht begreifen. "Wir haben den Leuten doch nichts getan. Ja, wir haben oft geschrien. Was ist da schlimm daran? Warum wollen sie uns töten?", weinend lehnte ich mich an Rudis Schulter. "Wir haben einige Male, sogar die Männer aus hoher See gerettet und an den Stand geholt. Dabei sind Ona und Emy umgekommen, sie waren damals gerade einmal fünf Jahre alt. Was sollen wir denn sonst noch machen, um zu beweisen, dass wir den Leuten nichts tun. Aber, da sagt keine etwas darüber", weinend und immer wieder vom Schluchzen unterbrochen, erzählte ich das.

Viola stand auf und kam zu mir und hockte sich vor meinen Stuhl. "Kahlyn, bestimmt erzählt man sich Geschichten darüber. Dass es eine Seejungfrau gewesen ist, mit feuerroten Augen, die diese Männer gerettet hat. Bringt ihnen Opfer dar, in dem man Fische wieder in das Wasser entlässt. Weißt du meine Kleine, es ist oft so, dass, wenn Menschen etwas nicht verstehen, sie zu Mythen greifen. Damit sie es besser verstehen können."

"Wahrscheinlich hast du recht, Viola. Aber es ist gemein, wir haben den Leuten nichts getan", immer wieder rieb ich mir meinen Nacken, da meine Kopfschmerzen immer schlimmer wurden. "Ich leg mich noch etwas hin, mein Kopf schmerzt ganz schlimm. Ich will mir nicht schon wieder Medikamente spritzen. Kann ich Struppi bei euch und Stromer lassen?"

Viola nickte, auch Rudi und Jo.

"Ist alles in Ordnung mit dir?", wollte Jo besorgt wissen.

Ich nickte.

Ich stand einfach auf und ging ohne noch ein Wort zu sagen, aus der Küche. Mir war das einfach alles zu viel. Viola schaute mir traurig hinter her. Aber man ließ mich gehen. Ich war froh, dass ich nicht schon wieder erklären musste, warum ich gehen wollte. Ich war doch nur auf der Suche nach etwas Frieden, ohne ständig darüber nachgrübeln zu müssen, warum etwas war, wie es war. Rudi stand auf und lief mir hinterher. Kaum, dass ich mein Bett erreicht hatte, kam er auch schon in mein Zimmer und schaltete die Sonnenblumenlampe an.

"Kleene, soll ich dir beim Schlafen helfen oder willst du lieber etwas alleine sein."

Ich sagte gar nichts und hielt ihm als Antwort, bloß meine Arme hin. Ich mochte nicht mehr reden. Ich war viel zu müde dazu. Rudi setzte sich auf mein Bett und zog mich auf seinen Schoss, hielt mich einfach nur fest. Er begann gleichmäßig und ruhig zu atmen. Nicht einmal fünf Atemzüge brauchte ich, um fest zu schlafen, so sicher und beschützt fühlte ich mich. Nach zehn Minuten ließ mich Rudi auf mein Bett gleiten und stand vorsichtig auf, um mich nicht zu wecken. Genauso vorsichtig nahm er mir die Brille ab und lief zur Tür und machte das Licht der Sonnenblume aus, das mich nicht einmal gestört hatte. Leise schloss er die Tür und lief nach vorn zu den Anderen, in die Küche.

 

 "Guckt doch nicht schon wieder, als wenn man euch erschrocken hätte. Die Kleene ist nur total fertig, sie schläft ganz ruhig. Also macht euch mal keine Sorgen, es kommt nicht schon wieder ein Anfall. Sie brauchte glaube ich, nur etwas Ruhe", erleichtert setzte sich Rudi auf seinen Platz und aß sein Rührei auf.

Das zwar inzwischen kalt geworden war, aber es schien ihm dennoch zu schmecken.

Jo sah Viola kopfschüttelnd an. "Ich glaube wir leiden langsam an Verfolgungswahn. Rudi du hast recht. Ich geh jetzt mal Onkel August und Inge anrufen. Mal sehen, was ich organisieren kann. Bis gleich", erleichtert erhob er sich und lief nach hinten in sein Büro, um die genannten Personen anzurufen.

Viola setzte sich zu Rudi an den Tisch und schenkte Kaffee nach. "Na Rudi, du haust ja rein. Hast du so ein Hunger, soll ich dir noch etwas machen."

Rudi kaute herunter. "Nein, lass mal Viola, ich bin satt. Hoffentlich kommt Onkel August hier her, dann muss Kahlyn nicht schon wieder, in fremde Umgebung. Ich glaube ihr ist im Moment, alles zu viel. Wenn sie noch ein paar solche Zusammenstöße wie heute hat, das verkraftet sie glaube ich im Moment nicht mehr."

Viola waren die gleichen Gedanken gekommen wie Rudi. "Das stimmt, was du sagst Rudi. Heute im Kindergarten, war Kahlyn schon wieder schneeweiß im Gesicht. Ich glaube, sie wäre am liebsten weggelaufen."

Rudi sah Viola erschrocken an. "Was so schlimm? Ach man, wenn man ihr nur irgendwie helfen könnte. Aber egal, was wir versuchen, alles geht nach hinten los. Ich glaube langsam Kahlyn hat recht, sie kommt nur auf Arbeit zur Ruhe, weil sie da alles kennt. Dort werden wir mit Sicherheit Probleme bekommen, ihrem Tempo zu folgen. Aber mal etwas anders, ich denke schon seit Tagen darüber nach, ob wir es wagen können mit Kahlyn nach Leipzig in den Zoo zu fahren? Kahlyn liebt doch Tiere über alles, nur als ich das plante hatten wir Stromer und Struppi noch nicht, die können wir doch nicht alleine lassen. Also werde ich wahrscheinlich, doch nur mit ihr alleine fahren können", Rudi sah fragend zu Viola, in der Hoffnung, dass diese eine Lösung für das Hundeproblem wusste.

"Rudi, wann willst du denn fahren? Hast du schon einen genauen Termin oder habe ich ein paar Tage Zeit, um etwas zu organisieren?"

"Viola ich habe noch keinen Termin, nur weißt du doch selber, dass wir nur noch zwei Wochenenden haben. Ab übernächster Woche, sind wir wieder in der Wache, dann sind wir sechs Wochen hier festgebunden und können nicht mehr weg. Dann ist schon tiefster Winter", müde und abgespannt rieb sich Rudi das Gesicht. "Ich darf gar nicht darüber nachdenken, dass unser Frei schon bald wieder vorbei ist. Vor allem, weil ich mich noch kaputter fühle, als zu Beginn meiner freien Tage. Ich weiß gar nicht, wie ich die nächsten sechs Wochen durchstehen soll."

Viola musterte Rudi mitleidig. Rudi sagte die Wahrheit und hatte vollkommen recht, er sah völlig fertig aus.

"Ach Rudi, vielleicht werden die nächsten Tage ein wenig ruhiger. Jo hat mir gesagt, ihr könnt jetzt besser schlafen, nutze das doch einfach, um etwas Schlaf nachzuholen. Vielleicht geht es dir dann etwas besser."

Rudi nickt und stand auf ging sich noch einen Kaffee holen. In dem Moment kam Jo aus seinem Büro.

"Also Leute, meine Inge ist doch ein Engel. Die hat für heute noch alle Termine umgelegt und auf andere Abteilungschefs verteilt, damit ich heute frei habe. Demnach, haben wir heute einmal einen richtig ruhigen Tag. Können also etwas ganz ungewohntes machen, nämlich mal nichts. Mit Onkel August habe ich auch gesprochen, sobald die Kleene aufgestanden ist, sollen wir in Ruhe mit ihr reden. Dann entscheiden, ob er herkommen soll oder ob wir hingehen. Auf alle Fälle, macht er Kahlyn eine neue Brille, damit die Kleene was Vernünftiges hat."

Rudi sah Jo erleichtert an, dann auf seine Uhr, wieder einmal stellte er fest, dass die ihm nichts mehr sagte, da sie defekt war. "Verdammt, ich brauche eine neue Uhr."

"Wieso das denn? Du hast die doch noch gar nicht lange", stellte Jo verwundert fest.

Rudi hielt Jo sein Handgelenk hin und zeigte ihm das Malheur.

"Tja, nicht nur meine Rippen haben etwas abbekommen, Jo. Viola gucke nicht so erschrocken. Ich hab meine Nase in Dinge gesteckt, die mich nichts angehen. Es gibt schlimmeres. Ich muss nur in die Stadt fahren und mir eine neue kaufen, vielleicht hat die Kleene heute Nachmittag Lust, mit mir zusammen einen Kaffee trinken zu gehen. Etwas Bewegung, tut ihr bestimmt gut", überlegt Rudi laut, schlürfte dabei genüsslich seinen Kaffee.

 

Es war kurz vor zehn Uhr als ich munter wurde, ich stand auf und griff nach meiner Brille, die Rudi vorsorglich auf den Schreibtisch gelegt hatte, nachdem ich eingeschlafen war. Langsam schlenderte ich nach vorn in die Küche. Als ich diese betrat, hörte ich wie Rudi zu Jo und Viola sagte, dass er mit mir in die Stadt fahren wollte und dass mir etwas Bewegung gut tun würde.

"Das können wir gern machen, Rudi", gab ich ungefragt zur Antwort.

"Kleene, hast du schon ausgeschlafen?", Rudi musterte mich fragend.

Ich schüttelte den Kopf. "Nein, aber ich kann nicht mehr schlafen, ich hatte einen schlimmen Traum", erklärte ich den Dreien und setzte mich auf meinen Platz.

Viola sah mich traurig an, entschloss sich dann doch zu fragen. "Was hast du denn schlimmes geträumt? Oder willst du darüber nicht reden? Soll ich dir noch etwas zu essen machen?", stellte sie mir gleich drei Fragen.

"Viola, ich will nicht darüber reden, es war halt nicht schön. Wenn ich darf, würde ich gern noch etwas essen, dreihundert Gramm. Aber, wenn du mir den Herd anmachst, kann ich mir auch alleine etwas machen", beantwortete ich ihr Fragen.

Viola stand auf und kam zu mir, um mein Gesicht zu streicheln. "Ach Mädel, ich mache für die anderen doch auch das Essen. Warum sollst ausgerechnet du dir deines dann alleine machen? Bleib ruhig sitzen. Sag mal, geht es dir wieder etwas besser?"

Ich nickte und nahm den Kaffee den mir Viola reichte. "Danke, es ist etwas besser. Nur dauert es ein paar Tage, bis es mir wieder richtig gut geht, mach dir keine Sorgen, ich bekomme das in den Griff."

Jo sah mich lächelnd an. "Sag mal Kleene, wie sieht es aus, traust du dir zu in den Laden von meinem Onkel zu fahren oder soll ich ihn bitten herzukommen. Ich denke, du solltest eine neue Brille bekommen. Ich habe mit Onkel August gesprochen, er macht dir gleich zwei, damit du wenigstens eine Reservebrille hast."

Genervt rieb ich mir den Nacken. Aber was soll's, ich musste lernen, dass hier alles anders war. Was nutzte es Sachen die getan werden mussten, vor sich her zu schieben. Es brachte mir doch nichts, zu sagen ich schaffe es nicht, nur weil ich Angst davor hatte. Jo lauerte auf eine Antwort, wie immer war ich nicht schnell genug für ihn.

"Kleene, redest du nicht mehr mit mir? Oder warum gibt’s du mir keine Antwort auf meine Frage."

Rudi schüttelte den Kopf. "Jo, lass der Kleenen doch mal etwas Zeit. Sie muss erst mal nachdenken können, wie es am besten ist. Es ist nicht so wie bei deinen Kindern, dass die genau wissen, was auf sie zukommt. Die Kleene muss erst mal überlegen, ob sie das schafft oder nicht."

Jo zog die Augenbrauen nach oben. Ihm wurde bewusst, dass er mich schon wieder bedrängte. "Entschuldige Kleene, ich werde wohl eine Weile brauchen, ehe ich das lerne." 

Verstehend nickte ich ihm zu. "Ist schon klar, Jo. Ich überlege nur gerade, was am besten ist. Ich bin mir da nicht ganz sicher, verstehst du. Auf der einen Seite, denke ich es wäre gut, wenn ich das alles kennen lerne. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das heute schaffe. Kannst du das verstehen?"

Jo kam zu mir und zog sich einen Stuhl heran. "Kahlyn, genauso lernen wir dich verstehen. Wenn du schweigst, dann wissen wir nicht, was los ist. So können wir wenigstens, deine Gedankengänge nachvollziehen."

"Jo, das ist mir schon klar. Nur weißt du, es ist für mich schwer immer zu reden. Früher waren meine Freunde, Teil meiner Gedanken. Es ist auf der anderen Seite aber so, wenn ich ständig die Verbindung auflasse, wird euch das zu viel. Das weiß ich von John. Aber reden so wie jetzt, bin ich nicht gewohnt. Es ist oft schwer für mich die richtigen Worte zu finden. Ich bin nicht gewohnt so viel laut zu reden."

Jo konnte meine Gedankengänge sehr wohl nachvollziehen. "Kleene, ich kann mir vorstellen, dass es schwer für dich ist. Aber ich denke, dass du dich dran gewöhnen musst. Du hast ja nicht ständig nur mit uns zu tun. Auch immer öfter mit fremden Menschen."

Nervös rieb ich meinen Nacken. "Das ist ja mein Problem. Ich rede nicht gern mit Fremden. Aber ich habe auch begriffen, dass ich jetzt ständig mit fremden Menschen, Kontakt haben muss. Mir wird langsam bewusst, wie isoliert wir immer gelebt haben. Es hat mich nie gestört, im Gegenteil. Ich liebe die Einsamkeit. Es macht mir nichts aus, nur mit Menschen zusammen zu sein, die ich lange kenne. Kann ich denn nicht, die Brille behalten die ich jetzt habe? Die erfüllt doch ihren Zweck."

Jo, Rudi, aber auch Viola schütteln den Kopf. "Kahlyn, hast du dir die Brille mal angesehen? Sie sieht schrecklich aus", stellte Viola mit lachendem Gesicht fest.

"Wieso das denn?", ich verstand sie nicht und stand auf, um noch vorn an den Spiegel zu gehen. Dort sah ich sie mir einmal genau an und kehrte sofort in die Küche zurück. "Na ja, die sieht schon etwas komisch aus, aber ihren Zweck erfüllt sie doch."

Rudi wuschelte mir durch die Haare. "Wie immer, mit dem wenigsten zufrieden, Hauptsache es erfüllt seine Aufgabe", meinte er lachend. "Na Kleene, was hältst du davon, wenn wir es einfach mal probieren, genauso, wie damals im Kaufhaus. Wenn es nicht geht, dann sagst du einfach Bescheid. Onkel August kommt bestimmt mit hierher."

Was blieb mir anderes übrig? Ich nickte, wollte ich doch Rudi und die anderen nicht enttäuschen. "Ja, so machen wir es, aber wir müssen in die Wache vorbei fahren, die Kontaktlinsen habe ich im Spind. Die habe ich nicht mit hierher genommen, da ich diese ja nur im Dienst brauchen kann."

"Kleene, das ist nicht schlimm, dann fahren wir vorher dort einfach einmal vorbei und holen sie. Dann kannst du die Kontaktlinsen schon in der Wache in die Augen machen. Oder brauchst du da Hilfe dabei."

Jetzt musste ich lächeln. "Nein Rudi, das kann ich ohne Hilfe machen. Wann wollt ihr los? Ich möchte das schnell hinter mich bringen", versuchte ich ihnen meinen Standpunkt klar zu machen.

Dass, wenn ich es tun muss, dann gleich. So hatte ich wenigstens keine Zeit erst ewig drüber nachzudenken. Auf diese Weise erledigte ich immer Dinge die ich nicht gern tat.

"Dann zieh dir was Schönes an, wenn dir dann noch danach ist, gehen wir einen Kaffee trinken. Anschließend noch einmal zu Inge. Ich muss mir doch eine neue Uhr kaufen, meine ist kaputt. Ich hasse es, wenn ich nicht weiß wie spät es ist."

Jetzt fing ich an zu kichern, etwas was bei mir selten passierte. Aber mir fiel gerade eine ähnliche Situation mit dem Doko ein, der fast die gleichen Worte wie Rudi gebrauchte. Ihm ging es stets genauso. Es hatte nie geholfen, dass wir ihm sagten wie spät es war, weil seine Uhr stehen geblieben war. Er hatte es uns nie geglaubt.

Viola stellte mir meinen Brei hin. "Erst isst Kahlyn etwas, in der Zwischenzeit lege ich dir Sachen ins Bad, dann kannst du noch schnell duschen", erschrocken stellte ich fest, dass ich heute noch nicht geduscht hatte und wollte aufstehen, um sofort duschen zu gehen.

Viola setzte sich diesmal durch. "Erst essen, dann duschen", wies sie mich, auf die gewünschte Reihenfolge hin. "Kahlyn, du hast genug Zeit."

Also machte ich mich über mein Essen her, diesmal schmeckte es mir richtig lecker. Ich war nicht mehr so durch den Wind wie heute früh. Genüsslich futterte ich meinen Brei auf. Rudi stellte mir noch eine Tasse mit Tee hin, entschuldigte sich.

"Kleene, ich gehe mich dann mal umziehen, lass es dir schmecken."

Gefolgt von Jo, der mir auch einen guten Appetit wünschte und Rudi folgte. Also blieb ich alleine am Tisch zurück. Kaum zwei Minuten später war Viola wieder da, die das richtig aufregte.

"Kann das denn wahr sein?"

Schnell schluckte ich meinen Brei hinunter. "Was denn Viola?"

Kopfschüttelnd antwortete sie mir. "Dass die Männer dich ganz alleine am Tisch sitzen lassen. Hätten die nicht die paar Minuten, noch warten können?"

Verständnislos sah ich sie an. "Was ist denn da dabei?", bat ich Viola um eine Erklärung, weil mir nicht klar war, wieso sie sich so darüber aufregte.

"Man lässt niemanden alleine am Tisch sitzen, da schmeckt doch das Essen nicht mehr."

Irritiert sah ich Viola an. "Mein Brei schmeckt mir trotzdem gut Viola, du musst dir da keine Gedanken machen", wollte ich sie beruhigen.

In dem Moment kam Rudi wieder in die Küche und war fertig angezogen. "Oh je, jetzt bekomme ich einen Anpfiff", gab er lachend von sich und setzte sich an den Tisch, sah Viola ganz komisch an.

Die fing schallend an zu lachend und stand auf, ging auf Rudi zu. Sagte mit grinsendem Gesicht. "Sofort stehst du auf, ich muss dir jetzt den Po verhauen."

Böse sah ich Viola an, weil sie Rudi schlagen wollte.

Rudi der sofort mitbekam, dass ich etwas falsch verstanden hatte, wandte sich lachend an Viola. "Nee lass mal Viola, ich glaube das versteht meine Kleene falsch. Sieh mal, sie guckt dich schon ganz böse an."

Jetzt erst bemerkte Viola, meinen bösen Blick und dass ich aufgehört hatte zu essen. Verzweifelt sah sie zu Rudi und dann zu mir.

"Ach Kahlynchen, immer denke ich nicht daran, dass du so etwas nicht kennst. Das war nur Spaß. Keine Angst ich haue deinen Rudi nicht."

Verwundert sah ich von Rudi zu Viola und wieder zurück. Rudi schien wirklich gar nicht böse zu sein. Im Gegenteil er lachte sich gerade weg, immer wieder sah er zu Viola und bekam immer mehr Tränen in die Augen vor Lachen. Teils weil er so lachen musste, teils weil ihm höchstwahrscheinlich die Rippen beim Lachen weh taten. Immer wieder vom Lachen unterbrochen, versuchte er zu sprechen.

"Siehst du Viola, jetzt ist es nicht mehr möglich, den armen Rudi einfach zu verkloppen. Ich habe jetzt meinen eigenen Schutzengel. So…" Damit nahm er seien Hände an die Ohren, streckt Viola die Zunge raus und wackelte mit den Finger.

Viola fing nun auch noch an schallend zu lachen, dass ihr die Tränen aus den Augen liefen, sie musste sich sogar hinsetzen. "Na du erst noch Rudi, was soll Kahlyn von dir denken?", brachte sie nach einer Weile schwer atmend hervor.

Verwirrt sah ich von einem zum andern, dann zu Jo der gerade herein kam.

"Das soll jetzt eurer Meinung nach, die Kleene verstehen. Ihr habt doch nicht mehr alle Tassen im Schrank. Die Kleene weiß gar nicht, was los ist. Werdet ihr zwei jetzt wohl aufhören dermaßen herumzualbern und mir die Kleene völlig durcheinander zu bringen", Jo setzte sich kopfschüttelnd hin.

"Kleene, nehme die beiden nicht ernst. Die sind wirklich albern."

Rudi und Viola konnten einfach nicht aufhören zu lachen, es war, als wenn eine große Last von ihren Schultern gefallen wäre.

"Esse ruhig weiter Kahlyn, das gibt sich in ein paar Minuten. Dann sind die beiden wieder normal", meinte Jo der jetzt auch breit grinste.

Also zog ich meinen Teller wieder zu mir heran, um weiter zu essen. Rudi und Viola versuchten krampfhaft, mit dem Lachen aufzuhören. Aber jedes Mal, wenn sie sich angucken, fingen sie wieder an zu lachen. Jetzt fing auch noch Jo an zu lachen. Fertig mit meinem Brei, stand ich kopfschüttelnd auf und lief nach hinten ins Bad, um mich zu duschen und anzuziehen. Nach über einer halben Stunde kam ich nach vorn zu den Anderen, die sich endlich wieder beruhigt hatten. Gekleidet in einen hellbeigen Norwegerpullover mit roten Sternen, einer roten Hose, setzte ich mich an den Tisch.

Rudi gab einen lauten Pfiff von sich. "Na, du siehst aber schick aus. Sag mal, ist das nicht der Pullover von Sigi", wollte er von mir wissen.

Verwundert sah ich ihn an. "Ja, aber der riecht ganz anders, auch fühlt er sich ganz anders an."

Lächelnd erklärt mir Viola. "Natürlich riecht der anders, ich habe ihn doch auch gewaschen."

Verwundert sah ich zu ihr. "Unsere Sachen haben nie so gut gerochen, auch die Overalls waren nie so weich."

"Na ja Kahlyn, die nehmen in der Wäscherei bestimmt keinen Weichspüler. Die Overalls werden nur gewaschen und dann gerollt. Da sind die oft wie Brett. Das war mit Jos Hemden auch so, erst seit dem ich die hier zu Hause waschen, sind die angenehm zu tragen", erklärte mir Viola, warum das so war.

"Das musst du mir mal zeigen, dann kann ich dir dabei helfen", bat ich sie mir zu erklären wie man das alles so weich machen konnte, denn ich verstand nicht wirklich, was Viola mir erklärte.

Rudi wuschelte mir durch dir Haare. "Na, dann wollen wir mal. Jo, weiß Onkel August Bescheid, dass wir kommen oder willst du noch mal kurz anrufen?"

Jo stand auf und lief nach hinten ins Büro, kurze Zeit später kam er wieder nach vorn und erstattete er Bericht. "Wir können gleich vorbei kommen", er reichte mir eine Hand, um mich auf die Beine zu ziehen.

"Na meine Mädel, dann lass dir mal einen schöne Brille machen, von Onkel August. Der ist ganz lieb, du kannst ihn vertrauen", gab mir Viola noch den Rat.

Also folgte ich Jo und Rudi in Richtung Auto, kurz vor der Haustür rief mir Viola hinterher. "Kahlyn, deine Jacke, vergiss sie nicht."

Deshalb kehrte ich nochmals um, nahm meine Jacke vom Haken und lief hinaus, zu Jos schwarzem Wolga. Sofort fuhr er los, da wir ja noch in die Wache mussten. Unterwegs erklärte mir Rudi, ich sollte alleine in die Wache gehen, sonst müssten sie sich erst einen Parkplatz suchen, was um diese Uhrzeit sehr schwierig war. Jo fuhr das Auto halb auf den Bürgersteig vor der Wache und ich stieg schnell aus. Lief an den Jungs im Bereitschaftsraum vorbei, weiter nach hinten zu den Spinden. Detlef der mich kommen sah, folgte mir zu dem Spind, allerdings war ich schon verschwunden, da ich weiter gelaufen war in die Abstellkammer. Kaum eine Minute später, kam ich ohne Brille mit den Kontaktlinsen in den Augen, wieder zurück. Die Brille hatte ich in die Jacke gesteckt. Detlef sah mich verwundert an. "Mensch Floh, du siehst ohne Brille ganz anders aus. Noch viel jünger. Wieso hast du keine Brille auf?", wollte er von mir wissen.

"Meine Brille ist kaputt gegangen, ein Onkel August, will mir eine neue machen, hat mir Jo gesagt. Dazu muss ich aber die Kontaktlinsen rein machen, weil die doch angepasst werden muss. Du Detlef ich muss mich beeilen, hat Rudi und Jo gesagt, sie würden dumm stehen, mit dem Auto."

Detlef grinste mir zu. "Dann ab mit dir und viel Spaß", rief er mir noch hinterher.

Kopfschüttelnd ging er wieder nach vorn, zu den Jungs, die gerade alle beisammen saßen. Ich dagegen war schon aus der Wache. Keine drei Minuten hatte ich gebraucht, schon saß ich wieder im Auto.

Rudi sah mich verwundert an. "Na, nur gut Kleene, dass du immer die Brille trägst, ohne die siehst du noch jünger aus, als Jenny", stellte er nun auch noch lachend fest.

Ich nickte bestätigend. "Das hat mir Detlef auch gerade gesagt."

Jo drehte sich um, grinste mich breit an. "Aber noch hübscher als sonst."

Er setzte den Blinker und fuhr los. Wir mussten nicht weit fahren, den Weg kannte ich schon, denn hier waren wir schon einige Male hingefahren. Wir fuhren auf die Humboldstraße, wie mir Rudi erklärte. Jo suchte dort einen Parkplatz, wir hatten großes Glück und fanden einen in der Nähe. Wir verließen das Auto und liefen die wenigen Schritte in Richtung Sorge, der Einkaufsstraße der Stadt. Plötzlich blieb Rudi stehen, der mich von der Seite beobachtet hatte, lächelte mir zu.

"Hier kennst du dich schon aus, stimmt's meine Kleene?", wollte er von mir wissen.

Nickend zeigte ich auf das Haus in dem Inge und Tina arbeiten. "Dort ist das…", kurz musste ich überlegen. "… das Centrum Warenhaus und dort ist die Eisdiele, in der die nette Frau arbeitet", erklärte ich meinen beiden Freunden.

"Na, du kennst dich ja schon richtig gut aus, dass Wichtigste kennst du schon", meinte Jo und hielt mir fragend seine Hand hin.

Ich ergriff sie und wir liefen los. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Plötzlich sah Jo richtig glücklich aus.

"Dann komm, wir müssen gar nicht weit laufen. Sieh mal Kahlyn, da vorn ist schon das Geschäft von Onkel August. Es ist schon seit Generationen im Familienbesitz", wir überquerten die Straße und liefen das kleine Stück bis zur Sorge.

Genau gegenüber der Einmündung von der Humboldstraße, befand sich das Geschäft, in das wir wollten. Jo, betrat mit mir an der Hand den Laden, erschrocken drehte ich mich um, weil es über mir auf einmal "kling-bing-klong" machte. Da entdeckte ich ein Glockenspiel und hielt mir die Ohren zu. Der Ton tat mir bis in die Knochen weh. Ein junger Mann, vielleicht Ende Zwanzig kam sofort in den Geschäftsraum.

"Guten Tag, was kann ich für sie tun?", erkundigte er sich, mit einem freundlichen Ton.

"Guten Tag, ich würde gern den Geschäftsinhaber sprechen, ist das möglich?", erkundigte sich Jo, der den Angestellte noch nicht kannte.

Der junge Mann konnte erst vor kurzem hier angefangen haben.

Zu Jos Erstaunen wusste er allerdings über ihr Kommen Bescheid. "Einen kleinen Moment bitte. Sie sind bestimmt Herr Runge."

"Ja", bestätigt Jo sofort.

Der Angestellte verschwand nach hinten in die Werkstatt. Kurze Zeit später, kam ein älterer kahlköpfiger Herr, von Rudis Statur, in den Laden. Er war allerdings um einiges schlanker als mein Major. Er mochte gute fünfundsiebzig bis achtzig Jahre alt sein. Obwohl ich ehrlich zugeben musste, sein genaues Alter konnte man schwer schätzen. Er hatte allerdings die gleichen klaren und hellblauen Augen wie Viola und ihr Bruder.

"Guten Morgen Jo, na wie geht es dir?", begrüßte er herzlich Jo und nahm ihn in den Arm, klopfte ihm dabei auf den Rücken.

"Guten Morgen Onkel August, mir geht es gut und selber?", er drehte sich aus der Umarmung. "Darf ich dir unser Ziehkindl Kahlyn vorstellen. Rudi kennst du ja. Er möchte Kahlyn in den nächsten Wochen adoptieren."

Onkel August kam auf mich zu und wollte, auch mich in den Arm nehmen. Ich wich einfach einen Schritt zurück und sah völlig verunsichert zu Rudi und dann zu Jo.

"Onkel August nicht, lass Kahlyn etwas Zeit, wie ich dir schon am Telefon erklärt habe, ist Kahlyn etwas …", Jo machte eine kleine Pause, weil er nicht wusste, wie er mein Verhalten mit wenigen Worte erklären konnten. "… wie soll ich sage sehr vorsichtig fremden Menschen gegenüber. Was ich langsam auch verstehen kann. Sie lässt nicht jeden an sich heran, gebe ihr Zeit dich ein wenig besser kennen zu lernen."

Onkel August sah mich interessiert an. "Was ist mit deinen Augen, mein Kind? Du trägst eigenartige Kontaktlinsen. Darf ich sie mir bitte mal ansehen."

Verneinend schüttelte ich den Kopf. "Sir, das geht hier nicht, Sir. Da müssen wir in einen dunklen Raum gehen, Sir. Hier blendet mich das Licht, es schmerzt in meinen Augen, Sir", gab ich leise aber sofort zur Antwort, Jo dabei musternd.

Der nickte mir Mut machend zu. Onkel August hielt mir die Hand hin. Allerdings schüttelte ich den Kopf. Immer noch erschreckte es mich, wenn mich ein mir unbekannter Mensch, gleich berühren wollte und ich mitgehen sollte. Zu schlecht waren meine Erfahrungen in dieser Hinsicht und ich war unbewaffnet, so viel Vertrauen hatte ich nun doch noch nicht zu den Menschen, die mich umgaben.

Rudi kam auf mich zu und flüsterte mir ins Ohr. "Du kannst ihn vertrauen oder soll ich mitkommen. Mach einfach die Verbindung zu mir und Jo auf, dann fühlst du dich nicht so alleine", gezwungener Maßen nickte ich und ging auf diesen Onkel August zu, ohne dessen Hand zu berühren. Langsam folgte ich ihm in den hinteren Bereich, in dem sich die Werkstatt befand. Wir kamen in einen Raum der fast dunkel war.

"Reicht dies hier oder noch dunkler, mein Kind?"

"Sir, es reicht, wenn ich sie nicht allzu lange raus machen muss, Sir. Sonst muss ich eine Binde über die Augen machen, Sir", antwortete ich ihm leise.

Onkel August lächelte mich mir eigenartig zu, alle Alarmglocken waren bei mir an. Diese Art zu Lächeln kannte ich nur zu gut und sie hatte mir nur Schmerzen eingebracht.

"Mein Kind, du musst nur eine der Linsen herausmachen, kannst dir also mit der Hand, das Auge ohne die Linse zuhalten."

Verneinend schüttelte ich den Kopf. "Sir das nützt mir nichts, ich kann durch meine Hände sehen, es ist kein Schutz gegen das Licht, Sir."

Trotzdem entfernte ich eine der Kontaktlinsen. Onkel August nahm sie entgegen und verschwand kurz aus dem Raum. Nach etwa sechs Minuten kam er wieder und reichte sie mir.

"Diese Linsen sind absolut lichtundurchlässig, mein Kind", erst jetzt sah er mein Auge, erschrocken atmete er aus. "Darf ich mir dein Auge einmal etwas genau ansehen, Kahlyn", fragte er interessiert. Verwundert sah er mich an.

"Sir, ja, Sir."

Er trat einen Schritt auf mich zu und betrachtete intensive mein Auge, von allen Seiten. "Das sind Facettenaugen. Wieso hast du Insektenaugen? Wer hat dir das angetan? So etwas ist doch unmenschlich", wütend sagte er diese Worte und streichelte mein Gesicht. Da ich das nicht wollte versuchte ich auszuweichen und schlug mit dem Kopf gegen den hinter mir befindlichen Schrank. In diesem engen Raum hatten kaum zwei Leute Platz. Erschrocken, nahm Onkel August die Hand zurück. Ich konnte seine Reaktion gar nicht so richtig einordnen.

"Entschuldige, hast du dir weh getan, das wollte ich nicht. Bitte mache sofort deine Linse wieder rein, dein Auge tränt ganz schlimm", bat er mich mit einem eigenartigen Zittern in der Stimme. 

Ich setzte die Kontaktlinse wieder ein und wischte mir die Tränen vom Gesicht. "Sir, bitten entschuldigen sie. Aber ich kann das nicht verhindern, Sir."

"Darf ich?" fragte er jetzt lieber vorher.

Onkel August hob langsam die Hand zu meinem Gesicht, nach dem ich genickt hatte. Ganz vorsichtig, man könnte sagen zärtlich fuhr er mit dem Daumen an meinem Auge entlang, um die restliche Tränenflüssigkeit wegzuwischen.

"Mein Kind, du musst nicht Sir zu mir sagen. Mache es einfach wie alle anderen und sage Onkel August zu mir. Du gehörst doch praktisch zur Familie, genau wie der Rudi. Also komm, lass uns mal schauen, was wir dir für eine Brille machen können. Diese Kontaktlinsen wirst du nicht lange tragen können. Die tun dir bestimmt schnell in deine Augen weh."  

Bestätigend nickte ich. "Sir, das stimmt, Sir. Länger als drei bis vier Stunden kann ich die nicht tragen, danach wird es zur Qual. Es ist dann fast schlimmer, als wenn ich keine Kontaktlinsen tragen würde. Die Schmerzen sind genauso schlimm, manchmal sogar noch schlimmer, als durch das Licht, Sir."

"Das kann ich mir vorstellen, meine Kleine. Aber ich werde dir andere machen, die wirst du besser vertragen. Diese Kontaktlinsen sind viel zu hart und scheuern auf deiner Hornhaut. Wir werden einmal weiche Linsen herstellen, vielleicht ist es damit besser. Wer hat die eigentlich angefertigt? Es sind keine, von einem Optiker hergestellte Linsen, die werden anders hergestellt und sind dadurch um vieles besser verträglich", verwundert sah er mich an.

"Der Doko in der Schule hat die besorgen lassen über den Oberstleutnant. Wo die her sind weiß ich nicht, da müssen wir Doko Jacob selber fragen. Die Brillen weiß ich, hat er mit Hilfe eines Fachmannes angefertigt."

Damit reichte ich ihm die von Jo zusammen gebastelte Brille. Lachend nahm Onkel August die verschobene Brille entgegen. "Um Himmels Willen, wer hat das denn verbrochen?", kopfschüttelnd sah er die Brille an. 

Irritiert blickte ich zu ihm auf. "Sir, warum, Sir?", rutschte es mir heraus.

"Das ist doch keine Brille, sondern ein Verbrechen."

Jetzt wurde ich richtig böse und pulverte ihn wütend an. Schon wieder kam diese verdammte Wut in mir hoch und ich hatte Mühe mich zu beherrschen, um ihn nicht etwas anzutun. Es regte mich auf wie dieser Mensch über einen Freund von mir sprach, der mir in der Not geholfen hatte. In einem sehr bösen und eiskalten Ton fuhr ich deshalb Onkel August an.

"Sir, diese Brille hat mir Jo, aus lauter kaputten Brillen zusammen gebastelt, Sir. Weil ich meine eigentliche Brille völlig kaputt gemacht hatte. Meine alte Brille ging absolut nicht mehr zu reparieren. Ich finde das nicht besonders nett von ihnen, dass sie Jo beschimpfen. Er hat sich solche Mühe gegeben, mir aus nichts eine Brille zusammen zu bauen. Ansonsten hätte man mir die Augen verbinden müssen. Sie brauchen mir keine neue Brille machen. Mir reicht die von Jo, sie ist wunderschön, Sir."

Ich riss im meiner Brille aus der Hand und verließ wütend den Raum.

"Kahlyn, so warte d…", rief Onkel August mir hinterher.

Ich war viel zu aufgebracht, um auf ihn zu hören und ging nach vorn zu Rudi und Jo.

"Wir können gehen, ich möchte keine Brille von diesem Menschen", teilte ich den Wartenden schon von weitem, meine Entscheidung mit und wandte mich in Richtung der Tür.

Verwundert sahen mich Rudi und Jo an, die ja in der Verbindung mitbekommen hatten, dass Onkel August nichts Schlimmes zu mir sagte. Rudi holte tief Luft und nahm mich an der Schulter, verhinderte so, dass ich den Laden verließ. Er konnte sich denken, was mir dermaßen in die Nase gefahren war.

"Ach meine Kleene, Onkel August hat das doch gar nicht so gemeint. Weißt du, wir haben nun einmal einen anderen Umgangston als ihr in der Schule. Komm sei so lieb, geb ihn eine Chance."

Böse Blicke trafen Rudi und wütend schüttelte ich den Kopf. "Rudi, es ist bösartig, was der Mann sagt. Jo, hat sich so eine Mühe gegeben mir eine Brille zu bauen. Er bezeichnet das als Verbrechen. Ich finde die Brille schön, sie erfüllt seinen Zweck. Ich brauche keine neue Brille."

Jetzt ergriff Jo auch noch Partei für seinen Onkel, der nun bei uns angekommen war und verwundert zu mir sah und absolut nicht verstehen konnte, was er falsches gemacht hatte.

"Kleene, Onkel August hat das wirklich nicht so gemeint, wie du das aufgefasst hast", Jo klopfte mir beruhigend auf die Schulter und dann streichelte er mein Gesicht. "Es ist so lieb von dir, dass du meine Brille verteidigst. Komm lass dir eine neue machen. Du wirst sehen, die sieht wirklich besser aus."

Jo nahm mich in den Arm und drückte mich ganz lieb, hielt mich einfach fest.

Onkel August sah mich immer noch irritiert an. "Mein Kind, kannst du mir bitte erklären, was ich falsch gemacht habe. Ich verstehe deine Reaktion nicht. Die Brille ist do…"

Rudi unterbrach ihn einfach. "Bitte Onkel August, versuche die Kleene einfach mal zu verstehen. Die bekam in ihrem Leben immer nur das Notwendigste. Jo hat vor zwei Tagen versucht, aus dem Nichts für Kahlyn eine Brille zu zaubern. Die Kleene war ihm total dankbar dafür. Du macht das jetzt schlecht. Sie kennt keinen Spaß, keine derben Sprüche, keinen Humor. So etwas, ist ihr völlig unbekannt. Alles, was du an Worten sagst, nimmt sie so, wie du es aussprichst, nämlich wörtlich. Wenn du jetzt sagst, die Brille ist ein Verbrechen. Dann definiert sie das, all etwas Böses. Sie will Jo nur beschützen. Verstehst du?"

Jetzt fiel es dem älteren Herren, wie Schuppen von den Augen. "Oh mein Gott", entfuhr es ihm. "Kahlyn, so habe ich es nicht gemeint. Entschuldige bitte. Natürlich ist die Brille für die Möglichkeiten, gut geworden. Bitte sei mir nicht mehr böse, ich wollte Jo nicht ärgern. Komm sehen wir mal, ob wir dir sowas in der Art, auf die Schnelle zusammenbauen können."

Er blickte hilfesuchten zu Jo und lief zu einem Regal in dem bestimmt hundert verschiedene Brillen war. Ich wusste bis jetzt noch nicht einmal, dass es so viele verschiedene Brillen gab. Er suchte sieben verschieden Formen aus, damit er sie nach und nach aufprobieren konnte und legt sie auf einen Tisch. In der Zwischenzeit, bat mich Jo in der Verbindung seinem Onkel eine Chance zu geben. Verwundert sah ich diesem Mann mit schiefgehaltenen Kopf zu. Es lagen auf dem Tisch schwarze, rote, grüne, silberne, brauen Gestelle und zwei bunte.

Onkel August sah mich mit einem eigenartigen Blick an. Mit einer ganz warmen Stimme, bat er mich zu sich. "Sei einem alten Mann doch nicht mehr böse. Ich habe es wirklich nicht so gemeint. Na komm, setze dich bitte mal hier her, mein Kind."

Rudi wandte sich nochmals an den Optiker. "Onkel August, bitte erkläre Kahlyn immer, was du machst. Oft kommt es vor, dass sie sonst Abwehrreaktionen macht. Habe bitte ein wenig Geduld mit ihr."

August verstand sofort, was Rudi meinte. Wenn das Mädchen schon bei einem Spaß so reagierte, musste er sehr sorgsam vorgehen. "Also mein Kind, wir probieren einfach mal diese Gestelle auf. Ob die eventuell für dich passen könnten. Ich mache es ganz vorsichtig."

Onkel August nahm das erste Gestell zur Hand und setzte es mir auf die Nase. Auf diese Weise probierte er nacheinander die Gestelle aus. Ein schwarzes Gestell, ein buntes und das rote legte er zur Seite. Die anderen räumte er weg. Dann lief er nach hinten in die Werkstatt.

Jo fiel ein, dass er im Auto noch die Ersatzteile liegen hatte. "Rudi, ich muss schnell mal ans Auto, oder gehst du? Du bist wesentlich schneller als ich. Die Schachteln mit den Ersatzteilen, liegt hinten im Kofferraum."

Jo reichte Rudi den Schlüssel und schon war Rudi aus dem Laden. Kaum drei Minuten später und zeitgleich mit Onkel August, kehrte er in den Laden zurück. Rudi reichte Jo die Schachtel. "Onkel August, sieh mal Doktor Jacob hat mir zwei Schachtel mit Ersatzteilen mitgegeben, vielleicht kannst du davon, etwas verwenden."

Dankend nahm der Optiker die Teile in Empfang und schaute herein. Nahm sich die Gläser und Seitenkörbe aus der Kiste, begutachtete alles. "Wartet einen Moment. Die schwarze kann ich gleich fertig machen. Die anderen beiden, da muss ich mir etwas überlegen. Aber bestimmt fällt mir etwas ein. Kahlyn, möchtest du zusehen wie ich die Brille fertig mache?"

Fragend sah ich zu Jo und Rudi, weil ich mir nicht sicher war, wie ich mich verhalten sollte. Da beide wussten wie wissbegierig ich war und sahen dies auch als Möglichkeit mein angeborenes Misstrauen gegen Fremde abzubauen, deshalb nickten sie mir aufmunternd zu. Misstrauisch aber trotzdem neugierig folgte ich Onkel August. Ich war gespannt, was dieser Mann jetzt machen würde. Onkel August ging zielstrebig in die Werkstadt. Aufmerksam sah ich zu, wie er innerhalb weniger Minuten, die Rohgläser in das Gestell einpasst, auch die Seitenkörbe befestigte er im Nu an dem Gestellt. Die Seitenstege waren ebenfalls schnell angebracht. Ab und an, sah er mal zu mir und bemerkte, wie aufmerksam ich ihm zusah.

"Es interessiert dich wohl sehr, was ich hier mache. Hast du so etwas noch nie gesehen", erkundigte er vorsichtig bei mir.

"Sir, nein, Sir", gab ich ihm einsilbig zur Antwort. Ich hatte ihm noch nicht verziehen, dass er Jos Brille so in den Dreck zog.

"Tja, man muss lange üben, bis das so schnell geht. Ich bedauere immer noch, dass Jo zur Polizei gegangen ist. Er hatte großes Talent und ich hätte ihm gern meinen Laden überlassen. Es ist schade, dass er nicht weiter gemacht hatte. Er war und ist ein Meister dieses Handwerks. Was man ja auch bei deiner Brille sieht. Er konnte aus nichts noch schöne Brillen machen", er unterbrach kurz seine Arbeit und drehte sich um. "Sieh mal dort an der Wand die Brille, die aussieht wie ein Vogel, die hat Jo einmal aus Langerweile gemacht, weil er hier auf mich warten musste. Da war er schon lange bei der Polizei", zeigte beim Erzählen an die Wand.

Dort hingen viele verschiedene Brillen, von denen eine aussah wie zwei sich unterhaltende Vögel. Bei diesem lustigen Anblick musste ich unwillkürlich lachen. Irgendwie war dieser Mann gar nicht böse. Sollte er es vorhin wirklich nicht so gemeint haben, wie ich es aufgefasst hatte? Immer öfter wurde mir hier in Gera bewusst, dass irgendwie alles verkehrt war, was mein Leben bis jetzt ausgemacht hatte.

"Sieht lustig aus, nicht wahr? Kahlyn, das war vorhin wirklich nicht böse gemeint. Ich staune, dass er überhaupt eine Brille zustande bekommen hat, denn der Rahmen ist viel zu groß für deine Gläser und es ist mir unbegreiflich, wie er daraus etwas für dich passendes zustande gebracht hat. Er ist, obwohl er schon so lange aus dem Beruf heraus ist, immer noch ein Künstler. Na ja, setz die Brille bitte einmal auf, mein Kind. Mal sehen, ob ich auch gute Arbeit geleistet habe."

Ich nahm die Brille entgegen und setzte sie auf. Onkel August kontrollierte den Sitz und nahm sie mir noch einmal ab. Korrigierte den Sitz ein wenig. Noch einmal musste ich sie anprobieren und schon passte sie genau.

"Jetzt passt sie", stellte er lächelnd fest. "Wenn du magst Kahlyn, dann gehe hinter und mache diese ollen Kontaktlinsen heraus, die tun dir doch bestimmt schon weh. Könntest du mir die bitte da lassen, dann versuche ich dir in den nächsten Tagen ein paar andere zu machen. Dann hast du bestimmt weniger Schmerzen", schlug er mir vor.

Ich lief nach hinten in den Raum und nahm die Kontaktlinsen heraus, setzte die neue Brille auf. Die saß wirklich gut. Vorsichtig verließ ich den Raum und stellte erleichtert fest, dass kein Licht von der Seite in die Augen kam. Befreit atmete ich auf. Ich hasste diese Kontaktlinsen, die schon wieder in den Augen weh taten. Ich mochte diese Dinger einfach nicht. Leider brauchten wir diese doch ab und an einmal, sie waren einfach notwendig. Wieder vorn in der Werkstatt hielt ich, Onkel August die Kontaktlinsen hin.

"Sir, danke, Sir. Die Brille sitzt wirklich sehr gut, besser noch als die, welche ich bis jetzt hatte. Auch ist die nicht so schwer. Vielen Dank, Sir."

Kurz entschlossen hielt ich ihm die Hand hin, erfreute nahm Onkel August sie und drückte sie vorsichtig. Sie fühlte sich warm an. Wir gingen nach vorn zu den anderen. Jo, wie auch Rudi pfiffen laut, als sie mich sahen.

"Na, du siehst ja schick aus", konnte sich Rudi nicht verkneifen, verwundert sah ich ihn an. Onkel August nahm einen Handspiegel und hielt ihn mir hin. Verwundert sah ich hinein. Lange sah ich der fremden Frau in die Augen, die mich aus dem Spiegel ansah und hielt den Kopf etwas schief. Ich sah völlig anderes aus. Das Gestell der Brille, war nicht ganz schwarz, wie ich am Anfang gedacht hatte. Es waren am Rahmen Verzierungen, die aussahen wie zwei Flügel, die etwas nach oben wegstanden, ganz zart weiß bemalt waren sie. Trotzdem es ja eigentlich, wie eine Sonnenbrille aussah, wirkte es ganz anders.

"Na gefällt es dir?", wollte Jo jetzt von mir wissen.

Intensiv begutachtete ich mich in dem Spiegel. "Ich weiß nicht Jo, ich sehe ganz anders damit aus. Nicht mehr, so wie immer", immer noch sah ich in den Spiegel, begutachtete mich, auf einmal beschloss ich mit mir. "Ich glaube, ich gefalle mir, es sieht ungewohnt aus, aber irgendwie interessant."

Jetzt lachten alle, auch Onkel August.

"Aber…", ich versuchte die richtigen Worte zu finden.

"Aber was, meine Kleene?", wollte Jo von mir wissen.

Ich zuckte verlegen mit den Schultern. "Aber, ist das hier wie bei Inge im Haus?", fiel mir mit Schrecken ein, dass ich kein Geld besaß.

"Wie meinst du das?", verstand Rudi meine Gedankengänge nicht, er konnte mir einfach nicht verfolgen.

"Ich meine, hat das hier auch alles einen Preis oder wie man das nennt. Ich habe doch kein Geld und kann mir nichts kaufen", versuchte ich den beiden mein Gedankengang zu erklären.

Onkel August strich mir übers Gesicht und schüttelte dabei den Kopf. "Kahlyn, du musst die Brillen nicht bezahlen. Die schenke ich dir. Es ist doch für die Familie."

Verständnislos sah ich ihn an. "Sir, ich gehöre doch nicht zu ihrer Familie. Ich bin doch eine Fremde, Sir", wieder einmal verstand ich nicht, wieso man mich mit zur Familie zählte.

Jahrelang wurde uns eingetrichtert in der Schule, dass wir keine Familie hatten, dass die Schule unsere Familie sei. Dass uns niemand haben wollte, weil wir abartige Kreaturen waren.

Onkel August sah mich verständnislos an. "Kahlyn, du gehörst doch praktisch schon zur Familie. Du wohnst bei den Runges. Rudi ist bald dein Vati. Das heißt Jo und Viola, wären dann eigentlich so etwas wie Großeltern für dich, da sie ja auch Rudi halb adoptiert haben. Also gehörst du jetzt zu uns."

Wild schüttelte ich den Kopf und sah traurig den alten Mann an. "Sir, nein, Sir. Ich kann doch nicht zu euch gehören. In der Schule sagte man uns immer, dass wir abartige sind und zu niemand gehören. Das wir kein Recht hätten darauf, eine Familie zu haben und sowieso niemals von jemanden wirklich geliebt werden würden, weil wir Missgeburten sind. Also kann ich ihr Geschenk nicht annehmen. Es wäre unrecht, Sir."

Onkel August winkte ab. "Das klären wir ein anders Mal, mein Kind. Ich glaube, du musst erst noch ein wenig hier wohnen, bist du das alles verstehst und begreifst, dass du zu uns gehörst. Was man dir in dieser komischen Schule erzählt hat, ist falsch. Für mich, bis du ein kleine hübsches Mädchen, mit kranken Augen. Auch, wenn du nicht zu unserer Familie gehören würdest, würde ich dir trotzdem die Brillen schenken. Weil es sich niemand verdient hat, dass ihm die Augen schmerzen. Das ist nicht gut. Also egal, ob du dich nun zu uns gehörig fühlst oder nicht, ich schenke dir die Brillen. Es ist mein Laden und ich darf das selber bestimmen. Die anderen beiden Brillen bringe ich euch in ein paar Tagen vorbei, dann hast du mal zwei Brillen zum Wechseln, musst nicht immer dieselbe aufsetzten, vor allem hast du eine in Reserve."

"Sir, ich verstehe es nicht, Sir."

August kam auf mich zu und sah mich lange an. Er hob langsam die Hand und streichelte ganz lieb mein Gesicht. "Mein Kind, du musst nicht alles verstehen, nehme es einfach wie es ist. Also bis dieser Tage. Ich muss noch einiges aufarbeiten, es kommen dann noch einige Kunden, die ihre Brillen brauchen. Pass gut auf dich auf, Kahlyn", vorsichtig beugte er sich herunter und gab mir einfach einen Kuss auf die Stirn.

Einfach auf mein Herz hörend, nahm ich ihn in den Arm und drückte ihn, sage ganz leise. "Danke, Onkel August." Auf einmal sah ich, wie seine Augen nass wurden. Er drehte sich um und verschwand nach hinten in die Werkstatt. "Hab ich etwas falsch gemacht?", wandte ich mich fragend an Rudi und Jo.

Beide schüttelten den Kopf.

"Nein, Kahlyn."

"Aber, warum sind seine Augen jetzt ganz nass geworden?"

Rudi nahm mich in den Arm. "Weil du ihn gedrückt hast und weil du dieses doofe Sir, weggelassen hast. Kleene, das waren Freudentränen. Ach komm Kleene, du musst das heute nicht verstehen. Lass uns einen Kaffee trinken gehen, ich habe Appetit auf ein Eis", Rudi zog mich einfach aus dem Laden.

"Auf Wiedersehen", rief ich beim Hinausgehen, genau wie Rudi und Jo.

 

Kapitel 3

Kaum hatten wir den Laden von Onkel August verlassen, drehte sich Rudi zu Jo um. "Wie sieht es aus, kommst du mit auf ein Eis? Die Kleene und auch ich, wir verpetzen dich nicht. Dann geh ich schnell noch hinüber ins Kaufhaus, um mir eine neue Uhr zu holen."

 Jo nickte lachend.

"Warum sollen wir denn petzen?", wollte ich von Rudi wissen, weil ich wieder einmal nichts verstand.

Jo musste stehen bleiben, weil er so lachen musste. "Na ja meine Kleene, sehe dir meinen dicken Bauch an", gab er mir stattdessen zur Antwort.

Ich sah mir seinen dicken Bauch genau an, begriff aber nicht, was er wollte. "Jo, der sieht aus wie immer, kugelrund und gesund", stellte ich zufrieden fest. "Damit ist wirklich alles in Ordnung. Da ist nichts, über was du dir Sorgen machen musst. Ich habe ihn mir genau angesehen", ernst sah ich Jo an.

Rudi, wie auch Jo fingen schallend an zu lachen und konnten sich beide nicht gleich wieder beruhigen. "Ach meine Kleene, du bist so absolut ehrlich. Hilfe, wie soll ich dir das erklären. Ich bin einfach zu dick. Viola sagt immer, ich darf nicht so viel essen, sonst werde ich noch dicker. Aber mir schmeckt das Essen einfach zu gut. Dadurch, dass ich auch keinen Sport mehr machen kann, bekomme ich ihn aber auch nicht weg. Wenn ich Viola jetzt sage, das ich Eis essen war. Dann schimpft sie wieder mit mir, weil ich den Diätplan durcheinander gebracht habe. So einfach ist das."

In diesem Moment fiel mir wieder ein, dass ich Jos Knie, aber auch den Rücken, noch in Ordnung bringen wollte. Das musste ich in der nächsten Zeit unbedingt einmal machen, dann konnte Jo auch wieder etwas Sport machen.

"Na dann muss ich dafür sorgen, dass du wieder Sport machen kannst, Jo. Aber ich glaube nicht, dass dein Bauch davon weggeht. Doko Jacob hat mir einmal erklärt, dass wenn man viel Sport gemacht hat, dann durch Krankheit auf einmal keinen mehr machen kann, dass das Fett dann ganz schlecht wieder weg geht. Es ist so, dass es sich in den Muskeln festsetzt. Es ist anderes Fett als bei dicken Menschen, die durchs Essen dick geworden sind. Beim Doko war das auch immer so. Erst seit dem er im Rollstuhl gesessen hat, erst seit dem hat er seinen dicken Bauch. Die Dika achtet auch sehr auf gesunde Ernährung, aber sie hat es nicht verhindern können", auf einmal kam mir eine Idee. "Na ja, vielleicht kann ich doch etwas für dich tun, wenn dich dein Bauch stört. Aber mir wird er fehlen, ich mag deinen dicken Bauch", ich sah traurig zu ihm.

Rudi lächelte mich an.

Jo jedoch nahm mich einfach in den Arm. "Danke meine Kleene, das hast du so schön gesagt. Aber ehrlich, mich stört er schon. Etwas weniger wäre schon gut. Aber wir gehen trotzdem ein Eis essen und du sagst Viola dann, dass du ganz traurig bist, wenn er weg ist. Vielleicht darf ich ihn dann behalten", lachend gab er mir einen Kuss.

Und ließ mich wieder einmal verwirrt zurück. Ich hatte nicht wirklich verstanden, was er von mir wollte. Aber es war auch egal, ich musste ja nicht alles verstehen. Es war also eine beschlossene Sache, dass wir ein Eis essen, beziehungsweise einen Kaffee trinken gehen. Wir liefen also die Sorge nach oben, in die Eisdiele. Rudi meinte wir sollen Platz nehmen und holte für sich und Jo ein Eis und für mich einen großen Kaffee. Kaum dass er Platz genommen hatte, fingen die beiden an zu futtern. Ich trank genüsslich meinen Kaffee. Rudi musterte mich immer wieder.

"Was ist Rudi?", verwundert sah ich ihn an.

"Eigentlich nichts, nur siehst du mit der Brille ganz anders aus, viel erwachsener. Es stimmt, was Jo immer sagt. "Brillen machen Leute", genau wie Kleidung."

Jo stand auf, ging vor an den Tresen und holte für uns alle noch einen Kaffee. "Sag mal Kahlyn, was du gerade zu Onkel August gesagt hast, war das einer der Sprüche die dieser Mayer von sich gegeben hat."

Eine ganze Weile überlegte ich. "Nein Jo, das haben viele in der Schule zu uns gesagt. Betreuer, Lehrer, ein paar von den Hausmeisterleuten, einige vom Wachpersonal. Die Einzigen die das nie gesagt haben, waren Doko, Dika, die Schwestern, unser Hausmeister, Heiko und Chris. Die haben uns immer so genommen, wie wir waren", erklärte ich ihm.

"Jo, wie können erwachsene Menschen, solche Ausdrücke zu Kindern sagen. Manchmal frage ich mich ernsthaft, wieso ich Polizist geworden bin, seit dem ich die Kleene kenne. Wir setzen uns für Gerechtigkeit ein und trotzdem gibt es in unseren eigenen Reihen Menschen, die Kinder dermaßen abwertend behandeln."

Jo raufte sich die Haare. "Kahlyn, waren außer Doko und Dika noch andere nett zu euch?"

Ich stützte meinen Kopf auf die Hände, starrte nachdenklich, erst auf die Tischplatte, dann aus dem Fenster. "Meinst du so wie Dika und Doko?"

Jo nickt. "Ja Kahlyn, so wie Dika und Doko."

Nach einer Weile sah ich Jo an. "Ich weiß nicht mehr genau, es gab einige als wir noch ganz klein waren. Aber die sind nach und nach alle verschwunden. Zum Schluss waren es nur noch Doko, Dika, der Hausmeister, Heiko, Chris und die beiden Piloten, die immer nett zu uns waren. Die anderen waren nur nett, wenn sie etwas von uns wollten. Hilfe bei einer Reparatur, beim Ausästen von Bäumen oder bei Umbauarbeiten am Parcours. Die sich ohne unsere Hilfe, wesentlich länger hingezogen hätten. Da wir wesentlich stärker sind als ihr, brauchten wir für viele Sachen keinen Kran, sondern hoben viele Sachen nur mit der Muskelkraft. Das geht halt schneller und ist effektiver und vor allem billiger", achselzuckend sah ich meine beiden Freunde an.

"Sag mal meine Kleene, hat man euch überhaupt mal etwas machen lassen, was euch Spaß macht? Kino, Zirkus, irgendwas halt."

An meinem verwirrten Blick, sah er die Antwort sofort. "Was ist das, Rudi?"

"Meinst du Kino, Zirkus?"

Als ich nickte, raufte Rudi er sich die Haare.

"Na Kino ist so etwas Ähnliches wie Fernsehen. Zirkus ist das, was Carlos mit seiner Familie gemacht hat, als wir die Feier hatte, so in etwa kannst du dir das vorstellen. Nur das dann halt noch Tiere dort sind, die ebenfalls Kunststücke vorführen und Clowns." 

"Rudi, was sind Clowns, wie machen denn Tiere Kunststücke?", wollte ich wissen, weil ich mir das nicht vorstellen konnte. "Tiere kämpfen jeden Tag ums Überleben. Da haben sie doch keine Zeit Kunststücke zu machen", versuchte ich meine Gedankengänge offen zu legen, so wie Jo mir das vorhin erklärt hatte.

Rudi sah verzweifelt zu Jo, weil er nicht so genau wusste, wie er mir das erklären sollte. "Kahlyn, es gibt auch Tiere, die man in Käfigen hält. Die bekommen immer genug zu fressen, dafür lernen sie dann auf zwei Beinen zu laufen oder durch Reifen zu springen. Halt so Sachen, die man ihnen andressieren kann."

Jetzt verstand ich, was er meinte. "Ach so, wie man es bei uns gemacht hat. Wie damals, als wir noch kleiner waren. Da hat man uns gelernt bestimmte Dinge zu tun, bevor man uns bei Veranstaltungen vorgeführt hat. Da hatten unsere Trainer uns auch immer gesagt, wir müssen das so und so machen, wenn wir es richtig gemacht hatten, bekamen wir eine Mahlzeit zusätzlich", erklärte ich den Beiden, dass ich verstanden hatte, wie sie das meinen.

Die Reaktion die ich bekam, war jedoch wieder einmal ganz anders, als ich es erwartet hatte.

"Wie man hat euch vorgeführt?", wollte Jo von mir wissen. Seinen Augen nach zu urteilen, war er voller Wut.

Etwas, dass ich absolut nicht verstand. "Warum bist du wütend auf mich Jo? Das verstehe ich nicht."

Verzweifelt schüttelte Jo seinen Kopf. "Ach Kleene, ich bin doch nicht auf dich wütend. Ich verstehe nur nicht wie man Kinder vorführen kann."

"Jo, ist das denn nicht das Gleiche, als wenn man das mit Tieren macht? Wo ist da der Unterschied?"

Lange sahen mich Jo und auch Rudi an.

"Du hast recht, es gibt da keinen Unterschied. Aber trotzdem würde mich schon interessieren, was man euch zwang vorzuführen", meinte Jo dann verlegen

Da musste ich erst einmal nachdenken, das war alles so verschwommen, weil es so lange her war. "Es war unterschiedlich, manchmal waren es Kampfübungen. Am Anfang mussten wir sprechen, rechnen und so was. Aber da waren wir noch kleiner oder die Einser Serie musste singen. Da saßen immer viele Militärs und beobachteten uns genau. Ich habe das immer gehasst. Manchmal mussten wir auch nur da stehen und die sind an uns vorbeigelaufen, haben uns angefasst. Sie begutachtet dann immer, wie viel Muskeln wir schon aufgebaut hatten. Manchmal, wollten sie auch nur unsere Zähne sehen. Als wir uns dann aber das Fobnekotar beigebracht hatten, mussten wir fast nur noch das machen. Dann blieben uns diese anderen Sachen erspart. Vor allem, dass man uns ständig antatschte. Das habe ich noch nie gemocht. Ich hasse es, wenn mich fremde Leute berühren. Das mag ich heute noch nicht", versuchte ich zu erklären, warum das alles so war.

Rudi nickte zustimmend. "Jetzt verstehe ich auch, warum du es nicht magst berührt zu werden. Ich kann diese Menschen einfach nicht verstehen. Wie kann man Kinder zur Schaustellen, wie Vieh? Aber du hast meine Frage nicht beantwortet Kleene. Hat man euch überhaupt mal etwas machen lassen, was euch Spaß gemacht hat?"

Lange sah ich aus dem Fenster und überlegte und ging systematisch die ganzen Jahre durch. Als Jo etwas sagen wollte, schüttelte Rudi den Kopf. Über eine viertel Stunde, starrte ich aus dem Fenster. In der Zwischenzeit hat Rudi noch ein Eis und für alle Kaffee geholt. Dann schüttelte ich den Kopf. "Ich weiß nicht, ich glaube nicht. Das einzige was wir ab und zu einmal gemacht haben, war das Rumtoben im Schwimmbecken. Aber das hat man dann ganz schnell abgelassen. Wenn wir einmal Zeit hatten, haben wir uns durch die Geheimgänge, zu unserem Baum geschlichen. Dort haben wir gesungen und gelacht. Ich glaube das war der einzige Spaß, den wir uns geleistet haben", irritiert sah ich zu Jo und Rudi. "Ist es denn wichtig Spaß zu haben? Ich verstehe den Sinn dieser Frage nicht", gestand ich offen.

Rudi und Jo schüttelten beide den Kopf. "Nein, es ist nicht wichtig Spaß zu haben. Aber es hilft einen zu entspannen. Jetzt weiß ich auch endlich, wieso du nie zur Ruhe kommst. Du bist es gar nicht gewohnt, einmal vollkommen abzuschalten. Aber glaube mir, das lernst du schon noch."

Jo schielte zu Rudi der schon seinen zweiten Eisbecher verdrückte.

Rudi lächelte ihn an. "Hol dir doch auch noch einen, so selten wie du dazu kommst mal einen Eisbecher zu essen, bringt dich das nicht um."

Da lächelte ich ihn an. "Ich verrate es auch Viola nicht", sagte ich ihm lachend.

Lachend stand Jo auf und holte sich noch einen Eisbecher. Löffelte ihn genüsslich. Schade ging es mir so durch den Kopf, dass ich kein Eis vertrug, es schmeckte bestimmt lecker, wenn zwei mir liebe Menschen sich so dafür begeistern konnten.

"Kleene, sag mal. Kannst du uns nicht ein bissel was, von der Zeit in der Schule erzählen. Ich würde da gern mehr darüber erfahren. Wie habt ihr euch so untereinander verstanden? Habt ihr bestimmte Sachen gern gemacht und so in der Art", wollte Rudi von mir wissen.

"Was soll ich da so erzählen?", nervös rieb ich mir den Nacken.

"Du musst das nicht machen, Kleene. Wenn es dir nicht gut tut, dann lasse es einfach", wollte Rudi seine Bitte korrigieren.

Ich schüttelte den Kopf, vielleicht verstanden mich Jo und Rudi besser, wenn sie etwas über die Zeit in der Schule wussten, ging es mir durch den Kopf. Ich zog die Füße auf den Stuhl, umschlang meine Beine und legte den Kopf in den Nacken. Kurz dachte ich zurück an die Zeit in der Schule, die auf einmal so weit entfernt war, als ob es Jahre her wäre, dabei waren es erst neun Wochen.

"Ich weiß nicht wie ich das so sagen soll. Es ist halt so, dass wir solange ich denken kann, einen festen Zeitplan hatten. Ganz am Anfang, ich war glaube ich drei oder vier Monate alt, bekamen wir die Kampfausbildung."

Jo sah mich irritiert an.

"Das ist ungefähr das Alter, das Tom jetzt hat. Wir sind halt von einer Station zur anderen gezogen. Schießübungen,  Lauftraining, Schwimmen, Tauchen, Kampftraining. Damals waren wir so viele, dass wir in fünf Teams gearbeitet hatten. Wir bekamen sieben Stunden lang Ausbildung, dann eine Stunde Schlaf, dann wieder sieben Stunden immer in der Reihenfolge. Die Ausbilder haben bei uns in drei Schichten gearbeitet. Wenn wir die Norm nicht geschafft haben, dann mussten wir solange trainieren bis wir es konnten, dann erst wurde gewechselt. Das hat uns halt als Team stark gemacht, wenn wir nicht gut waren, konnten wir nicht schlafen. Am Anfang waren wir oft so müde, dass wir uns kaum noch auf den Beinen halten konnten. Wir lernten dadurch schnell, dass wir uns gegenseitig helfen mussten, etwas was die Betreuer nicht gern gesehen hatte. Wir durften ja nie miteinander reden. Dann später als wir so um die sechs Monate alt waren, hatten wir die Verbindung, konnten so miteinander reden. Ohne, dass die Betreuer das mitbekamen. Dadurch wurde vieles einfacher, ich konnte den anderen dann besser helfen und die mir."

Beide hörten interessiert zu, ohne die Wut die sie oft erfasst, wenn ich etwas erzählte.

"Ihr müsst wissen, wir sind nicht alle gleichstark gewesen, das sind wir erst mit der Zeit geworden. Gleichstark sind wir heute noch nicht, es gibt heute noch riesige Unterschiede im Können. Raiko zum Beispiel, ist absolut kein Kämpfer, genau wie Rina es nie war. Das heißt jetzt nicht, dass sie schlechter sind als ihr, aber viel schlechter halt als die Anderen aus unserem Team. Raiko kann wunderbar Klavier spielen, auch wunderschön Singen, er ist ein Mathematisches Genie, genauso wie er in punkto Sprachen unschlagbar war. Er schafft es innerhalb von wenigen Minuten einen Code zu knacken, ob der nun aus Zahlen Buchstaben oder Zeichen bestand, das war egal. Er sagte immer Musik, Sprachen und Mathematik haben viel gemeinsam. Alles hätte einen logischen Aufbau. Wir alle sind sehr gut in Mathematik, nur bei Raiko und Rina war es so, die konnten eine Formel ansehen, wussten sofort die Ergebnisse, wo wir halt erst rechnen mussten. So ist jeder auf einem speziellen Gebiet stark."

Rudi sah mich fragend an. "Sag mal Kahlyn, kann das sein das die Talente von Serie zu Serie unterschiedlich sind?"

Wieder musste ich eine Weile überlegen, verglich die Mitglieder der einzelnen Teams, wie ich sie immer genannt hatte. Serie klang mir einfach immer zu blöd.

"Wenn ich darüber nachdenke, dann ist da schon etwas dran. Rashida und ich gehörten zu dem Team 10 oder wie man in der Schule immer sagte zur 9ner Serie. Wir sind durch die Reihe weg, alles Gute Taktiker, genau wie alle aus dem Team 5. Raiko, Rina, Kyra, waren alle Sprachbegabt, sie kamen aus dem Team 1, fast alle waren mathematische Genies gewesen. Musikalisch hochbegabt, waren deshalb von Oberstleutnant die Lieblinge, der liebte Musik über alles. Dagegen waren die Teams 2, 6 und 7 die besten Schützen, die Teams 3, 4, 8 und 9 waren die Nahkampfspezialisten gewesen. Wogegen ich sagen würde, im Team 10 waren wir durch die Reihe weg alles sehr gute Allrounder. Also denke ich hast du Recht mit der Annahme, dass es etwas mit den Serien zu tun hat. Obwohl es in jeder Serie auch Allrounder gab."

Rudi war klar, wie ich das meine. "Das ist eigentlich logisch, Kahlyn. So hat man versucht bestimmte Merkmal, entschuldigt diesen blöden Ausdruck, hochzuzüchten. Mir fällt leider kein anderer Begriff dazu ein. Aber ist es nicht so, dass sie nicht das erreicht haben, was sie eigentlich erreichen wollte?"

Da musste ich ihm recht geben. "Stimmt Rudi, man wollte bei diesen Züchtungen, nie erreichen, dass wir denken können. Ich weiß nicht, ob ich das jetzt richtig ausdrücke?", verzweifelt versuchte ich die richtigen Worte zu finden. "Wenn wir zu Untersuchungen mussten, dann sprachen die Wissenschaftler immer über uns, als wenn wir nicht dabei wären. Es war immer ein total blödes Gefühl."

Jo sah mich interessiert an. "Wie meinst du das, Kleene?"

"Jo, zum Beispiel bei unserer letzten Untersuchung, das ist jetzt glaube ich fünf oder sechs Jahre her. Saßen wir dort auf unseren Pritschen, die Ärzte kamen, um uns zu untersuchen. Bevor wir dort hin geflogen wurden, bekamen wir immer ein genaue Ansage, was wir zu tun und zu lassen hatten. Zum Beispiel durften wir da nicht reden, hatten absolutes Sprechverbot. Durften nicht zustimmen, nicht verneinen oder Bewegungen in der Art machen. Das einzige, was wir durften, war da sitzen und alles über uns ergehen lassen und uns von diesen Leuten auf alle mögliche Art und Weise betatschen lassen. Diese Ärzte kamen untersuchten uns. Sprachen mit uns wie mit Dummköpfen. Ungefähr so. ‚Würdest du aufstehen.‘ Weißt du so ganz langsam, als ob wir nicht denken können. Rashida hatte immer Mühe, mich ruhig zu halten. Ich bin jedes Mal fast an die Decke gegangen. Oh man, was hatte ich immer für eine Wut im Bauch, wenn wir zu diesen Tests und Untersuchungen mussten. Die anderen haben mich immer versucht abzulenken, weil die genau wussten, dass ich kurz vor dem Explodieren war. Dann haben sie Reaktionstests mit uns gemacht. Wir sollten Bälle fangen. Manchmal war ich so wütend, dass ich aus purer Wut nicht einen Ball gefangen habe. Dann kamen die zu mir und taten so, als wenn ich total dumm bin. Sie versuchten mir das Fangen eines Balles beizubringen. Ich hab die dann immer nur angestarrt. Dann fingen sie an, über mich zu reden. Solche Sachen wie. "Die Nummer 98 ist eine komplette Fehlzüchtung, keinerlei Reaktionen, beim Vorzeigen von bestimmten Tätigkeiten. Nummer 98 begreift nicht die einfachsten Tätigkeiten, irreparabler Verlust der kompletten Motorik. Keinerlei Hand-Augen Koordination möglich." Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie ich mich auf der einen Seite weg geschmissen habe vor Lachen. Aber auf der anderen Seite, war ich total wütend. Die anderen haben das dann auch gemacht, wir hatten uns schon auf dem Hinflug abgesprochen, dass wir diesen Mist, nicht mehr länger mitmachen wollten. Dann wollten sie Blut von uns, da haben wir halt nach den Spritzen geschlagen, haben bei der letzten Untersuchung, einfach alles abgeblockt. Wir hatten einfach keine Lust dazu, uns wie Versuchskaninchen untersuchen zu lassen. Ich hab ja nichts dagegen, wenn man mich untersucht. Aber wenn ich dann immer wieder zu solchen Tests muss, dann hat man keine Bedarf mehr daran. Vor allem, wenn ich dann solche sinnlosen Diagnosen bekomme wie. "Nummer 98 leidet an Granulation", wie der Wildwuchs von Narbengewebe bezeichnet wird, weil mein Oberkörper so vernarbt ist. Statt mich nur einmal zu fragen, warum, spekulierte man sinnlos herum. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was die da alles für Vermutungen in meinem Beisein äußerten. Ich würde mich mit Messern selber verletzen, immer wieder die gleichen Narben aufschneiden, weil ich das ästhetisch finden würde. Vor allem, stell dir mal vor, wie ich das auf meinen Rücken hab machen sollen. Glaub mir, nicht nur einmal wäre ich am liebsten von der Pritsche aus, an die Kehlen dieser sogenannten Ärzte gesprungen", während ich das erzählte, steigerte ich mich immer weiter in meine Wut.

Rudi legte mir beruhigend die Hand auf die Schulter. "Beruhig dich meine Kleene. Ich kann dir das gut nachempfinden. Ich wäre wahrscheinlich gesprungen."

Jo sah mich verlegen an.

"Ich hab auch nicht nur einmal, darüber nachgedacht. Allerdings, wollte ich noch die Krallen zeigen, aber dann hätte man mich wahrscheinlich weggesperrt, für immer und ewig. Aber glaube mir, Rashida hatte immer schwer zu tun, mich zum Ruhig bleiben zu überreden. Nach dieser Untersuchung, brauchten wir nie wieder hin. Allerdings bekamen wir alle im Anschluss eine nette Behandlung vom Oberstleutnant, weil wir nicht mitgearbeitet hatten. Ihn also in ein schlechtes Licht darstellten. Ungefähr vier Wochen nach dieser Untersuchung, lud er diese Ärzte, dann noch einmal, zu uns in die Schule ein. Führte uns auf den Schießstand und den Parcours vor, dann mussten wir noch das Fobnekotar vorführen. Ich war ja der Teamchef gewesen. Ich werde nie vergessen, als ich die Kommandos zum Start und zur Beendigung gab. Sagte einer dieser Wissenschaftler erstaunt. "Mein Gott, sie kann sogar sprechen." Ich hab im Anschluss daran, in unseren Raum zehn Spinde zerlegt, so bin ich ausgerastet. Allein, wenn ich nur daran denke, kommt schon wieder die blanke Wut in mir hoch. Verdammt nochmal, wir sind doch nicht dumm. Ja, wir sind anders, aber doch nicht dumm. Wie können die sich die Frechheit heraus nehmen, uns so zu behandeln", wütend sah ich Rudi und Jo an.

Rudi zog mich mit dem Stuhl zu sich heran und nahm mich einfach in den Arm. "Ach Kahlyn, diese Menschen können einen nur leidtun. Wenn die wüssten, was sie sich selber vergeben haben. Würden sie sich jetzt noch ärgern. Du bist so ein schlaues Mädchen, du musst dich nirgends verstecken", erklärte er mir.

Ich hatte eine unsagbare Wut auf diese Leute. Das Erzählen, brachte das alles wieder hoch. Jo bemerkte das und versuchte mich zu beruhigen.

"Kleene, diese Menschen sind deine Wut nicht wert, glaube mir das ruhig. Wenn die Verhandlung gegen den Mayer kommt, solltest du auch solche Sachen mit ansprechen. Was diese Wissenschaftler mit euch abgezogen haben, ist Menschenunwürdig. Gestern Nacht, habe ich noch an den Staatsanwalt Phillips einen Brief geschrieben. Indem ich ihn bat, sich eure Schule, vor allem aber den Bereich, wo ihr Kinder gelebt hab, einmal genauer anzusehen. Habe ihm so einiges beschrieben. Glaube mir, das wird alles mit zur Sprache kommen. Aber mal eine andere Sache, habt ihr auch mal untereinander lustige Sachen erlebt. Ich denke mal, gerade weil es euch nicht besonders gut ging, habt ihr es euch selber schön gemacht, so gut es halt ging."

Ich schüttelte den Kopf. "Jo, wie denn? Meistens war es doch die letzten Jahre so, dass wir nach Hause kamen und ins Bett gefallen sind. Wenn wir mal wirklich Zeit hatten, dann sind wir zu unserem Baum gegangen. Das war immer das, was uns Spaß machte, dann erzählten wir unseren toten Freunden halt, was wir so erlebt hatten. Aber, das war wirklich selten, in den letzten Jahren. Meistens hatten wir zwischen den Einsätzen, nur zwei oder drei Stunden Luft oder waren, danach auf dem Hof. Als Dank dafür das wir einen undurchführbaren Einsatz geschafft hatten und hingen an der Wand, obwohl wir eigentlich nur schlafen wollten. Aber weiß du, was ich dich einmal fragen wollte. Tina hat mich darauf gebracht, irgendwie lässt mich die Frage nicht mehr los. Ihr verdient doch alle Geld, wenn ihr in der Wache arbeitet. Was ist mit der Zeit, in der Schule? Wir haben doch auch immer gearbeitet, würde meinen Freunden, nicht für diese Zeit auch Geld zustehen? Wenn man darüber nachdenkt, ist das doch nicht gerecht. Sie haben so viele Jahre gekämpft, aber nie hat man ihnen, auch nur ein einziges Mal Geld dafür gegeben. So teuer, kann unsere Nahrung doch gar nicht sein."

Rudi, wie auch Jo nicken.

"Dieser Gedanke, ist uns auch schon einige Mal durch den Kopf gegangen, da werde ich mich auch mal erkundigen. Ich vermute, dass das Geld, was ihr verdient habt, einfach vom Oberstleutnant einbehalten wurde. Das ist unrecht, dieses Geld hätte euch zugestanden, wenn auch nicht alles, aber wenigstens ein Teil. Das habe ich Staatsanwalt Phillips, auch in dem Brief geschrieben, dieser Gedanke beschäftigt mich schon eine ganze Weile. Ach im Übrigen, müssen wir dir in der nächsten Zeit, auch noch ein Konto machen. Damit dein Lohn überwiesen werden kann. Du hast Anfang der Woche Geld bekommen. Wir habe das erst einmal, auf dein Sparbuch eingezahlt, was ich für dich angelegt habe. Aber du wirst ja irgendwann, auch mal etwas Geld brauchen. Rudi denke bitte mal mit daran."

Rudi nickte. "Das machen wir im nächsten Frei, für diesmal haben wir genug gemacht. Ach Jo, mir fällt gerade noch etwas ein. Wir müssen für Kahlyn unbedingt einen Personalausweis beantragen. Kannst du das organisieren, bitte, du weißt ich hab's nicht so mit den Ämtern. Hört mal, wollen wir nicht langsam mal rüber gehen, es ist jetzt gleich 15 Uhr, ich glaube Viola hat schon auf der Wache angerufen und uns als vermisst gemeldet", erklärte er uns lachend.

Jo nickte, erschrocken stellte er fest, dass Rudi recht hat und erhob sich sofort. "Na dann komm, wollen wir dir eine neue Uhr kaufen. Rudi, die bezahle ich, ich bin schuld dass deine kaputt gegangen ist. Du brauchst mit mir nicht zu diskutieren. Das ist mit Viola abgesprochen, die rechnest du dir mit zum Geburtstag. Um den Ausweis für die Kleene kümmere ich mich."

Rudi atmete erleichtert aus und stand auf. Ich erhob mich ebenfalls und folgte den beiden Männern hinaus auf die Straße. Im Stillen dachte ich bei mir, schade, dass diese nette Frau nicht da war, wundere mich darüber. Gern hätte ich ihr, noch einmal gedankt. Ich musste Rudi dann einmal fragen, wieso sie nicht mehr hier war. Aber fast augenblicklich, vergaß ich diesen Gedanken wieder, durch die vielen Menschen die hier waren, hatte ich Mühe Jo und Rudi nicht zu verlieren. Wir überquerten die Sorge und betraten das Kaufhaus. Gleich ganz unten links, neben dem linken Eingang, war ein Stand an dem es Uhren zu kaufen gab. Oh man war das laut hier, überall machte es Tick … Tack, so etwas hatte ich noch nie gehört. Die Uhr vom Doko war immer ganz leise und machte nicht so einen Radau. Schon gar nicht wusste ich, dass es so viele verschiedene Uhren gab. Das hatte ich mir mit Inge gar nicht angesehen, ging es mir durch den Kopf. Neugierig wie ich nun einmal war, sah ich mir all diese verschiedenen Uhren an. Auf einmal entdeckte ich eine, da war am Sekundenzeiger eine Ente befestigt. Die sah lustig aus. Immer, wenn der Zeiger weitersprang, sprang die Ente mit.

"Wieso lachst du, Kleene?", wollte Jo von mir wissen, weil ich mich innerlich weg schmiss vor Lachen. Da ich die Verbindung noch offen hatte, bekam er das natürlich sofort mit. Ich zeigte auf die Uhr mit dem Entenzeiger.

Jo kam heran und sah sich die Uhr an. Jetzt musste er ebenfalls lachen. "Da hast du Recht, das sieht lustig. Sieh mal Kahlyn, dort ist noch eine mit einem Bären."

Ich schüttele den Kopf. "Die andere sieht lustiger aus. Es sieht aus, als wenn die Ente im Uhrenglas schwimmen geht. Das ist bestimmt schwer gewesen, die Ente ist so winzig klein und die dann an den Zeiger fest zu bekommen", erklärte ich Jo.

Rudi hatte sich in der Zwischenzeit schon zwei Uhren ausgesucht und konnte sich allerdings nicht so richtig entscheiden. Jetzt fragte er mich, welche mir besser gefiel. "Sag mal meine Kleene, welche würde dir besser gefallen?"

Verlegen sah ich ihn an, auch weil mir bewusst wurde, dass ich schuld daran war, dass Rudi sich jetzt eine neue Uhr kaufen musste. "Also ich würde die, mit dem bläulichen Ziffernblatt nehmen, die sieht einfach robuster aus und die tickt nicht so laut", entschuldigend sah ich ihn an und erklärte ihm, was ich machen würde.

Jo grinste über das ganze Gesicht. "Rudi, beim ersten Punkt gebe ich Kahlyn recht, die überlebt die nächsten vierzehn Tage bestimmt. Ich würde auch sagen, die ist besser", dabei klopfte er Rudi auf die Schulter. Dann sah er mich an neugierig an. "Sag mal Kahlyn, hast du eigentlich eine Uhr?", da ihm bewusst wurde, eine solche noch nie an mir gesehen zu haben.

Ich schüttelte den Kopf. "Nein, ich mag keine Uhren. Auch brauche ich keine. Ich weiß zu dreiundneunzig Prozent immer, wie spät es ist. Es sei denn, ich bin richtig schlimm krank, so wie vor ein paar Wochen, dann komm das schon einmal, durcheinander."

Rudi war irritiert. "Wieso magst du keine Uhren?"

Verlegen druckste ich herum. "Na ja, es gibt mehrere Gründe. Ich mag nichts an den Handgelenken tragen, es stört mich einfach. Außerdem ist es eine große Verletzungsgefahr und vor allem, macht mich dieses Ticken verrückt. In meiner Haut gibt es Reizsensoren, die dieses Ticken weiterleiten, ich kann das nicht so genau erklären. Es macht mich ganz verrückt", verlegen sah ich auf meine Füße.

"Na, dann kannst du viel Geld sparen, meine Kleene. Was ich schon für Geld für Uhren ausgeben musste, weil ich sie ständig kaputt mache. Also ich nehme die blaue", Rudi wollte gerade zur Kasse gehen.

Jo hielt ihn an der Jacke fest und drohte ihm mit der Faust. "Rudi, ich bezahle die, sonst ziehst du morgen aus", unterstrich er die Drohgebärde mit Worten, allerdings meinte er das nicht ernst, denn er lachte dabei. Im ersten Moment sah ich ihn erschrocken an. Jo beugte sich zu mir und flüsterte in mein Ohr. "Das ist nur ein Spaß, meine Kleene, aber verrate es Rudi nicht."

Lachend streichelte er mir, über das Gesicht. Ich sah Jo verwundert an und lachte einfach mit. Das erste Mal begriff ich sofort, was er meinte und freute mich riesig darüber. In der Verbindung sagte ich zu ihm. "Willst du ihm damit Angst machen? So, dass er brav ist und auf dich hört. Du bist böse, Jo."

Aber ich lachte herzhaft über die Art mit der Jo seinen Freund neckte. Jo streichelte mir über den Kopf und lächelte mir zu. Dann nickte er und freute sich, dass ich diesen Spaß verstanden hatte.

"Na kommt ihr Beiden, lasst uns heimfahren, sonst bekommt Viola noch graue Haare und macht sich unnötige Sorgen. Sie denkt bestimmt, dass schon wieder etwas mit der Kleenen ist", versuchte uns Jo zu erklären, dass wir uns beeilen sollten, als er die Uhr bezahlt hatte. So liefen wir zu Jos Auto und fuhren nach Hause. Es war schon kurz nach 16 Uhr, als wir bei den Rungen ankamen. Ich hing meine Jacke auf, ging nach hinten in die Küche und gab Viola einen Kuss.

Viola musterte mich genau. "Na mein Mädel, das ist doch besser als die verschobenen Brille, die du erst auf hattest."

Böse Blicke meinerseits trafen Viola. Ich mochte es nicht, wenn jemand etwas schlechtes über einen Freund sagte, der sich Mühe gab und mir half. Viola die gleich mitbekam, dass ich etwas falsch verstanden hatte, setzte sofort nach.

"Kahlynchen, das ist doch nicht böse gemeint. Jo hat dir aus dem nichts eine super Brille gebastelt. So etwas kann nur Jo, der macht aus nichts noch wunderschöne Brillen. Lass dir einmal von Jenny ihre Sonnenbrillensammlung zeigen, da siehst du wie gut Jo wirklich ist. Aber die Brille, die du jetzt auf hast, die ist doch viel schöner oder?"

Ach so meinte sie das. "Ach Viola, es ist so schwer mit euch, warum sagst du das nicht gleich so. Dann muss ich doch nicht denken, du machst Jos Arbeit schlecht", traurig setzte ich mich auf meinen Platz.

Müde schob ich die Brille nach oben und rieb mir mein Gesicht. Mein Kopf brummte, wie ein ganzer Schwarm Bienen, am liebsten würde ich mich hinlegen. Bevor ich das machen konnte, musste ich mich allerdings erst einmal um Struppi kümmern, nur konnte ich ihn nirgends sehen.

"Viola, wo ist denn mein Struppi hin?", wollte ich von ihr wissen.

"Jenny und Tom, sind vor einer dreiviertel Stunde mit den Hunden spazieren gegangen, die wollten eine große Runde laufen."

"Ach so. Sagt mal seid ihr böse, wenn ich mich etwas hinlege, mir tut mein Kopf ganz schlimm weh und ich bin total müde."

Rudi und Jo, die nun auch wieder in die Küche angekommen waren und sich Trainingsanzüge angezogen hatten, sahen mich traurig an. Rudi setzte sich auf seinen Stuhl und zog mich an sich heran.

"Ist es schon wieder so schlimm oder war das alles schon wieder zu anstrengend?"

Verlegen zog ich meine Füße auf den Stuhl und legte meinen Kopf an Rudis Schulter. Was sollte ich sagen? Klar, war das anstrengend. Ich verstand nichts von dem, was hier lief. Irgendwie war hier alles verkehrt. Aber, das konnte und wollte ich meinen Freunden nicht sagen, die sorgten sich schon genug. Also umging ich die Frage.

"Rudi ich bin einfach fertig und todmüde. Außerdem macht mir die Spritze, immer noch schwer zu schaffen. Ich sehne mich nur nach Ruhe und nach Sachen die ich verstehe, wo ich nicht ständig überlegen muss, wie etwas gemeint ist. Es ist nicht schlimm, aber es ist halt nicht schön", erklärte ich ihm, in einem ruhigen sachlichen Ton, den man aber anhörte wie müde ich wirklich war.

Rudi gab mir einen Kuss. "Dann lege dich hin, dass du endlich mal zur Ruhe kommst."

Dankbar stand ich auf, gab allen noch einen Kuss und ging in Richtung meines Zimmers, als mir Rudi noch hinterher rief. "Kleene, ich nehme Struppi dann mit zu mir, damit du mal richtig schlafen kannst."

Ich drehte mich noch einmalmal kurz um und nickte. "Danke Rudi, dann kann ich in Ruhe etwas schlafen", schon war ich im Gang verschwunden, der nach unten in mein Zimmer führte.

Einen kleinen Augenblick später betrat ich diesen wunderschönen Raum. Immer noch konnte ich nicht begreifen, dass es Menschen gab, die mir ohne Grund eine solche Freude machten. Die sich hinstellten und so viel Arbeit investierten, um mich zu überraschen und mir zu zeigen, dass sie mich lieb hatten. Ich zog mich aus und legte meine Sachen ordentlich auf den Stuhl. Auch meine Brille setzte ich ab und sah mir meine Brille, hier in meinem Reich, noch einmal genau an. Hier brauchte ich meine Augen nicht schützen und konnte endlich einmal, ohne meine Brille bewegen und alles genau betrachten. Es sah aus, als wenn die Brille Flügel hätten. Dass sie wie ein Rabe ihre Flügel ausbreitete. Vorsichtig legte ich sie auf das Brett über den Schreibtisch, damit sie nicht kaputt ging. Ich setzte mich grübelnd auf mein Bett und zog meine Füße in den Schneidersitz, stützte meine Ellenbogen auf die Knie und legte meinen Kopf auf die Hände.

Lange überlegte ich, was zurzeit eigentlich los war, wieso meine Welt auf einmal dermaßen auf dem Kopf stand. War im meinem bisherigen Leben alles falsch gewesen? War alles falsch, was ich bis jetzt erlebt hatte? Hatte man uns all die Jahre belogen? Hatte der Doko recht, dass man uns so nicht behandelnd durfte? Ich konnte all diese Fragen, mit einem Ja beantworten. Egal, wie ich es drehte, egal, was ich verglich, es war immer das Gleiche. Mir fiel das Entsetzen von John, Conny, Jo und Rudi ein, als ich ihnen unseren Sanitärraum zeigte. Es war pure Fassungslosigkeit die in ihren Gesichtern geschrieben stand. Jo sagte mir, selbst die Tiere im Zoo hätten bessere Sanitärbereiche. Aber warum, hatte man das mit uns gemacht? Was wollte man damit erreichen? Das wir nichts vermissten, im Kampf? Uns hatte nie etwas gefehlt. Wir waren immer mit dem zufrieden, was wir hatten. Wir kannten ja nichts anderes. Wenn wir auf der Krankenstadion waren, war das für uns immer unbegreiflich schön. Die Wohnung vom Doko, kam mir immer wie ein Paradies vor. Er sagte mir einmal, er schämte sich dafür, in so einem Luxus zu leben. Er hätte immer ein schlechtes Gewissen, wenn er nur daran dachte wie wir hausen würden. Ich begriff damals nicht, was er damit meinte. Wir hausten doch nicht. Wir hatten ein Bett, eine Decke, einen Tisch, mehr brauchten wir doch nicht. Hier allerdings lebten alle Menschen so, wie der Doko. Selbst Jim und seine Familie, die nicht viel besaßen, hatten mehr als wir je alle zusammen unser eigenen nennen konnten. Immer noch begriff nicht, warum wir Spaß haben sollten. Zu was war Spaß nützlich? Ich verstand es einfach nicht.

Na egal, ich kam nicht weiter mit meiner Grübelei, mein Kopf schmerzte immer schlimmer. Vielleicht sollte ich mal mit Rudi darüber reden oder ich sollte es einfach akzeptieren, wie es ist. Ich würde es einfach versuchen, wie Carolos mir es geraten hatte. Dies hier war mein neues Leben. Ich sollte endlich begreifen, dass nichts mehr war wie ich es kannte, vielleicht wurde es dann endlich etwas leichter. Müde fuhr ich über mein Gesicht und streckte die Arme weit über den Kopf, so dass die Wirbelsäule knackte. Ich ließ auch mein Genick noch einmal richtig knacken.

Erschöpft von all diesen ungewohnten Dingen die ich heute erleben musste, von diesem mir ungewohnten Stress, den ich bald nicht mehr ertragen konnten, legte ich mich hin und kroch unter meine Decke. Ich nahm Ruvijo und Inti in den Arm, hielt mich an ihnen fest wie an zwei Rettungsseilen und rollte mich zusammen. Froh, dass ich hier sein durfte. Wenn ich so nachdachte über mein jetziges Leben, hoffte ich so sehr, dass ich noch lange hier bleiben konnte. Wenn ich ehrlich war, in der Schule, das würde mir jetzt wie in der Hölle vorkommen. Es war erstaunlich, wie schnell man sich an dieses Leben gewöhnte. Langsam entspannte ich mich und die Schmerzwellen die immer noch meinen Körper durchliefen, ließen etwas nach. Mein letzter Gedanke war, bevor ich einschlief. Ich brauche mir keine Sorgen mehr machen, dass mich jemand schlägt oder aus dem Schlaf prügeln würde, hier waren Menschen die mich beschützten und meinen Schlaf bewachen. Die niemals zuließen, dass mir hier in diesem Raum etwas geschehen würde, hier hatte ich meinen Frieden und würde ihn immer haben. Tief atmend, glitt ich hinüber in einen traumlosen und vor allem, erholsamen Schlaf.

 

Rudi der eine halbe Stunde später nach Kahlyn sah, fand sie friedlich schlafend vor. Leise zog er sich den Stuhl heran, um ihr eine Weile beim Schlafen zu zusehen. Nur um sicher zu sein, dass sie Ruhe fand. Erfreut stellte fest, dass sie ruhig und so schien es traumlos schlief, so ging er wieder nach vorn in die Küche.

"Guckt doch nicht schon wieder so besorgt. Die Kleene schläft richtig ruhig, diesmal sogar ohne Hilfe. Ich glaube sie hat endlich begriffen, dass wir sie hier beschützen. Dass wir nie zulassen würden, dass ihr etwas geschieht. Lassen wir sie einfach schlafen, auch wenn sie wieder einmal nichts gegessen hat. Ich denke den Schlaf, braucht sie dringender, als alles andere", stellte er sachlich fest und setzte er sich auf seinen Stuhl. Er gähnte herzhaft.

Jo beobachtete seinen Freund genau. "Rudi, ich glaube du brauchst den Schlaf genauso dringend", hielt er Rudi vor. "Weißt du was Rudi, wir haben uns gestern Abend noch Gedanken gemacht, wegen dem Zoobesuch in Leipzig. Ich würde das nicht mehr dieses Wochenende machen wollen. Ich glaube, das wird einfach zu stressig, nicht nur für uns, sondern vor allem für die Kleene. Ihr solltet einfach die zehn Tage noch dazu nutzen, um ein wenige auszuspannen. Dann habt ihr gleich wieder sechs anstrengende Wochen vor euch. Du weißt doch selber nur zu gut, der Oktober ist noch nie ein ruhiger Monat gewesen."

Rudi stimmt Jo zu. "Das habe ich mir auch schon überlegt. Vielleicht sollten wir einfach ein bisschen spazieren gehen mit den Kindern, in den Wald und vielleicht ein paar Pilze suchen. Einfach ein bissel gesunde frische Luft tanken. Statt der Kleenen, schon wieder eine Reise und viele fremde Leute zu zumuten. Oder wir gehen einfach mal hier in den Tierpark. Der gefällt der Kleenen sehr, vor allem kennt sie den schon. Dann kann sie mal die Hirsche für Tim rufen."

Rudi sah gedankenverloren aus dem Fenster und bekam die fragenden Blicke der beiden Freunde gar nicht mit.

"Wie die Hirsche rufen?", wollte Viola und auch Jo wissen.

"Ach, das hab ich euch ja noch gar nicht erzählt. Also Kahlyn, ging an das Gehege mit dem Rotwild, nahm ein Grashalm…", genau schilderte er Viola und Jo, was dann geschehen war, dass die Hirsche einfach an den Zaun kamen und man sie sogar streicheln konnte. "… als ich sie fragte, ob wir wieder einmal hierher wollen, meinte sie, ja. Aber wir müssen dann solche rote Stangen mitnehmen, die mögen die Hirsche am liebsten. Sie meinte Möhren."

Viola, aber auch Jo staunten, über das, was ihnen Rudi erzählte. Damit beschlossen alle drei, wenn Kahlyn morgen aufstehen würde, mit ihr und den Kindern in den Tierpark zu gehen. Kurz vor 18 Uhr, Tim sah sich gerade das Sandmännchen an, kamen Jenny und Tom nach Hause, mit zwei todmüden Hunden. Stromer und Struppi waren genauso fertig und wollten nur noch schnell etwas saufen und sich dann auf dem Sofa zusammenrollen. Aber auch Tom und Jenny waren geschafft, wollten ebenfalls nur noch Abendbrot essen und dann schlafen gehen. Kurz nach 21 Uhr eine ungewohnte Zeit für Rudi, verschwand auch dieser in seiner Wohnung, um schlafen zu gehen. Viola hatte mit ihm vereinbart sich um Struppi zu kümmern, da Rudi ständig am Küchentisch eingeschlafen war, dachte man, dass dies die bessere Lösung wäre. Kurz darauf war Ruhe im Haus der Runges, etwas Ungewohntes um diese Zeit, denn auch bei Viola und Jo hatten die letzten Tage ihren Tribut gefordert und die beiden gingen schlafen.

Am nächsten Morgen kurz nach 10 Uhr, kam ein ausgeschlafener und erholter Rudi in die Küche, der sich verwundert nach Kahlyn umsah. Diese schlief immer noch ganz ruhig in ihrem Zimmer. Nach einer kurzen Beratung, ließ man das Mädchen einfach schlafen, egal ob sie Hunger hatte oder nicht. Selbst Jenny war der Meinung, dass Kahlyn, wenn sie Hunger oder Durst hatte, munter werden würde und sich etwas holen kam. Immer wieder ging Rudi leise in Kahlyns Zimmer gucken, ob diese noch ruhig schlief. Es kam keinerlei Reaktionen von ihr, obwohl er sie einige Male wieder zudeckte und ihr Ruvijo und Inti wieder in den Arm legte die aus dem Bett gefallen waren.

Auch Jo, der am Abend kurz nach 19 Uhr von der Arbeit kam, war der Meinung sie einfach schlafen zu lassen, denn sie hatte nur noch neun Tage, um sich etwas zu erholen. So machte man nach dem Abendessen, noch ein kleines Spielchen und zog sich frühzeitig ins die Betten zurück. Diesmal allerdings nahm Rudi, den kleinen Struppi mit zu sich, nachdem er dem Welpen gezeigt hatte, dass sein Frauchen nicht wieder weggelaufen war, sondern einfach nur schlief. Beruhigt schliefen nun auch Rudi und Struppi, einen beruhigten und erholsamen Schlaf.

Am Samstagmorgen frühstückten allen gemütlich, man hatte lange geschlafen und alle waren erst kurz nach 9 Uhr aufgestanden. Saßen deshalb kurz vor 11 Uhr noch alle am Frühstückstisch, als eine völlig schlaftrunkene Kahlyn in der Küche erschien.

"Guten Morgen meine Kleene", wurde sie von Rudi begrüßt. "Hat dich der Hunger geweckt", verschlafen und völlig desorientiert, wie Kahlyn war, nickte sie nur.

Viola stand auf und gab dem völlig verschlafenen Mädchen einen Kuss auf die Stirn. "Kahlynchen, wie viel willst du denn essen oder willst du erst duschen gehen?"

Rudi zog Kahlyn auf seinen Schoss. "Hallo Kleene, hast du Viola gehört?", erkundigte er sich bei ihr, als nach fünf Minuten, immer noch keine Antwort kam. Verwundert sah Kahlyn ihn an und wusste gar nicht, was man von ihr wollte. "Wie viel Brei soll dir Viola machen, Kleene?"

Kaum hörbar antwortete sie. "Dreihundertfünfzig Gramm bitte", mühsam ein Gähnen unterdrückend.

Viola sah breit grinsend zu ihr. "Na mein Mädel, du bist noch gar nicht richtig munter oder?"

Kahlyn schüttelte den Kopf und sagte kein Wort. Sie legte ihren Arm um Rudi und sah nach draußen in den Garten, völlig abwesend und nicht in der Lage den Gesprächen der anderen zu folgen.

"Ist nicht schlimm, mein Mädel, dann legst du dich dann einfach noch mal hin."

Kahlyn nickte und schien gar nicht reden zu wollen. Viola drückte ihr eine Tasse Tee in die Hand, die sie gierig austrinkt. Nur drei Minuten später war Kahlyns Brei fertig. Viola stellte ihn auf den Tisch.

Ein ganz leises und kaum hörbares. "Danke", kam aus Kahlyns Mund.

Umso hungriger machte sie sich über ihre Mahlzeit her und bekam noch eine Tasse Tee. Im Nu hatte sie alles aufgegessen. Immer noch saß sie auf Rudis Schoss und trank noch ihre Tasse leer. Kaum dass sie diese leergetrunken hatte stand Kahlyn auf, gab Rudi und Viola einen Kuss, drehte sich um und verschwand wieder in ihrem Zimmer.

Fassungslos sahen die beiden sich an und begannen schallend zu lachen. "Na, ob die Kleene überhaupt weiß, dass sie hier war? Ich glaube die hat noch geschlafen."

Viola kam gerade der gleiche Gedanke. Leise lief Rudi nach hinten in das Zimmer, seine Kleene lag schon wieder schlafend in ihrem Bett. Nicht einmal die Brille hatte Kahlyn abgenommen. Also nahm er die Brille und legte sie auf den Schreibtisch, deckte seine Kleene wieder zu. Kopfschüttelnd ging er aus dem Raum und nach vorne in die Küche.

"Viola, ich glaube die Kleene weiß wirklich nicht, dass sie auf war. Wir werden sie morgen, spaßeshalber einmal fragen, ob sie sich daran erinnert. Da bin ich mir nicht so sicher."

Viola antwortete Rudi mit einem Blick auf den gerade hereinkommenden Jo. "Rudi, das weiß die Kleene bestimmt nicht. Die hat wirklich noch geschlafen."

Jo der gerade von der Arbeit kam, da er heute noch einmal ins Büro musste, sah seine Frau und seinen Freund irritiert an. "Wie, was weiß die Kleene nicht?"

Rudi lachte schallend und berichtet seinem Freund. "Ganz einfach, Jo. Es geht darum, dass sie gerade etwas gegessen und getrunken hat. Aber wir glauben, dass sie das gar nicht weiß", kurz und bündig erzählte er Jo, was gerade passiert war.

"Das gibt es doch gar nicht, schlafwandelt unsere Kleene auf einmal", wollte er nun ebenfalls lachend wissen.

Rudi zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung, aber ich denke sie hat das unbewusst gemacht. Fritz hat mir das einmal erzählt, dass Kahlyn das auf der Krankenstation auch ab und an mal getan hat, wenn sie völlig erschöpft war, aber großen Hunger hatte", lachend saßen sich alle am Tisch und ließen es sich schmecken.

Es wurde ein gemütlicher Samstagnachmittag, man traute sich nicht weit weg. Alle waren fröhlich, sogar Struppi der begriffen hatte, dass sein Frauchen nur schlief, balgte sich zufrieden mit Stromer und den Kindern. Es wurde seit Wochen wieder richtig gelacht, es war eine erholsame und entspannte Atmosphäre im Raum, wie es lange nicht mehr der Fall war. Alle konnten sich dieser Ruhe hingeben, da man wusste, dass es Kahlyn endlich einmal richtig gut ging. Abends saßen Rudi, Jo, aber auch Jenny und Viola lange beieinander und sprachen über viele Dinge die in den letzten Wochen passiert waren. Jenny die vieles nicht begriffen hatte, von dem was hier vor sich gegangen war, stellte viele Fragen, die man mit Geduld beantwortete.

Kurz vor 22 Uhr zog auch Jenny sich zum Schlafen zurück. Auch ihr fehlten viele Stunden, erholsamen Schlafes. So saßen dann nur noch Rudi, Jo und Viola bei einem Glas Wein am Tisch und spielten entspannt eine Runde Rommé. Sie lachten und scherzten und man beschloss, dass man Kahlyn das Rommé spielen lernen würde, so dass man das auch einmal abends machen konnte. Wenn wieder frei war.

Rudi sah den nächsten Wochen, nicht mehr so bang entgegen, denn ihm ging es wieder richtig gut, selbst die Rippen schmerzten nicht mehr so schlimm. Kurz nach 1 Uhr gingen alle schlafen. Erholten sich von den anstrengenden letzten Wochen.

 

Erholt wachte ich auf und fühlte mich ausgeschlafen, etwas, dass ich lange nicht gefühlt hatte. Schnell stand ich auf und wunderte mich, wieso meine Brille auf dem Schreibtisch lag. Ich hatte sie oben auf das Brett darüber gelegt. Verwirrt kratzte ich mir den Kopf. Ach egal, dachte ich bei mir, da hab ich mich wohl geirrt. Ich ging an meinen Schrank, nahm mir frische Sachen heraus und auch einen Trainingsanzug. Lief nach vorn in die Dusche, schnell war ich geduscht. Verlegen stellte ich fest, dass es schon spät war. Es war gleich 10 Uhr. Nur gut, dass ich Struppi, bei Rudi gelassen hatte. Der arme kleine Kerl, hätte sich sonst glatt ins Fell machen müssen. Falko aus der Wache hatte recht, ich war eine Schlafmütze. Ernsthaft fragte ich mich, wieso ich hier immer so lange schlief, das machte ich doch sonst nie. Na egal, wie sagte Doko mal zu mir. "Kahlyn, dort gibt es Sachen die du nicht kennst, die du dir in deinen kühnsten Träumen nicht vorstellen kannst. Aber hast du dich erst einmal daran gewöhnt, dann möchtest du das nicht mehr missen." Recht hatte er, das Duschen und das Schlafen, möchte ich nicht mehr vermissen. Angezogen, wenn auch barfuß, ging ich nach vorn in die Küche.

"Guten Morgen, na sagt schon, dass ich eine Schlafmütze bin. Warum habt ihr mich nicht geweckt?", begrüßte ich lachend die Runges und Rudi. Alle grinsten mich an.

"Oh Kahlynchen, heute du siehst aus, als wenn du ausgeschlafen hättest", wandte Jenny an mich.

"Ja, das bin ich auch. Ich habe vielleicht einen Hunger und noch einen schlimmeren Durst. Viola darf ich mir einen Brei machen, bitte. Ich glaube, ich bin kurz vor dem Verhungern", bat ich lachend, um etwas zu Essen.

Viola schüttelte zu meiner Verwunderung den Kopf und sah mich mit ernstem Gesicht an. Eigenartigerweise lachten aber ihre Augen. "Nein, du hast doch gestern erst etwas bekommen und noch dazu eine riesen Portion, du futterst uns ja die Haare vom Kopf."

Enttäuscht sah ich sie an. Auf einmal musste sie sich setzen, weil sie so lachen musste. Ich sah von einem, zum anderen. "Warum lachst du mich aus Viola?"

Aber diese konnte gar nicht antworten, stattdessen erklärte mir Rudi, der ebenfalls gegen das Lachen ankämpfte. "Kleene, du weißt, was heute für ein Tag ist?"

"Na Samstag, wieso?", gab ich ihm verwirrt zur Antwort.

Rudi schüttelte den Kopf. "Nein meine Kleene, guck doch nicht schon wieder, als wenn man dir die Nase gemaust hätte. Heute ist Sonntag. Du wunderst dich, warum Viola so lacht. Weil du nicht weißt, dass du gestern hier warst."

Jetzt sah ich Rudi noch verwirrter an.

"Komm setz dich mal, auf meinen Schoss, ich erzähle es dir."

Breit grinsend klatschte er sich auf die Beine. Also setzte ich mich auf seinen Schoss. Rudi musste mühsam gegen das Lachen ankämpfend und erzählte mir was passiert war. Vor allem erklärte er mir warum Viola so lachen musste. Kopfschüttelnd hörte ich zu, musste dann aber auch lachen.

"Oh je, das weiß ich wirklich nicht. Du willst mich bestimmt verwirren, Rudi."

Der schüttelte lachend den Kopf. Ich saß nun auf seinem Schoss wie ein begossener Pudel. Dann nahm ich den Kopf nach oben und gab ihm einen Kuss.

"Na ja, dann esse ich halt heute nichts", stand auf, setzte mich auf meinen Platz.

Viola kam auf mich zu. "Klar bekommst du noch etwas zu essen. Sag mir nur wie viel. Damit ich es dir, machen kann."

Jetzt wollte ich aber meinerseits auch mal etwas necken und schüttelte ernst den Kopf. "Nein Viola, das geht nicht. Schließlich habe ich meine Portion von heute, gestern schon gegessen. Sonst werde ich noch so dick wie Jo und der Doko."

Das brachte mir ein Knuffer von Rudi ein. Sofort fing ich an so zu tun, als wenn ich weinen würde. Tim der ja auch mit am Tisch saß, hopste von seinen Stuhl und rannte um den Tisch. Er schlug mit seinen kleinen Fäusten auf Rudi ein.

"Nis meine Dalyn hauen, Ondel Rudi das is böse. Das darfst du nis. Dalyn hat nis demacht."

Lachend ließ sich Rudi verhauen.

Ich nahm den Zwerg auf den Schoss und flüsterte ihm ins Ohr. "Tim, das war ein Spaß, der Rudi hat mir nicht weh getan. Du musst ihn nicht verhauen."

Da schlang der kleine Kerl seine Arme um mich und gab mir einen Kuss.

"Für was ist der denn?"

"Weil du meine Dalyn bist", erklärte er trotzig. "weil is dich lieb hab."

"Na ja Tim, dann muss ich dir auch einen geben oder besser zwei, denn gestern hast du keinen bekommen."

Schon gab ich ihm rechts und links einen Kuss. Zufrieden, dass er mich beschützt hat, wollte er gehen. Ich sag ganz leise zu ihm.

"Oh je, guck mal Tim, der Rudi weint."

Rudi, dem ich das in der Verbindung schon gesagt hatte, tat so als ob wer weint, also setzte ich Tim auf Rudis Schoss.

"Nimmer weinen Ondel Rudi, is bin auch wieder lieb mit dir."

Sofort bekam der geschlagene Rudi, auch noch einen Kuss.

"Also mein Mädel, wenn jetzt alle wieder lieb sind und sich vertragen. Wie viel Brei soll ich dir machen?", wollte Viola jetzt von mir wissen.

"Bitte ich würde gern dreihundertfünfzig Gramm haben wollen, ich habe wirklich einen mörderischen Hunger", gab ich sofort zur Antwort.

Lachend saßen wir am Tisch. Es wurde viel herumgealbert und gescherzt, so etwas hatte ich noch nie erlebt. Die ganze Stimmung, war eine ganz andere als die letzten Wochen. Es war so, als wenn alle erlöst wären. Viola gab mir meinen Brei und eine große Tasse Tee und setzte sich auf ihren Platz. Alle sahen mir beim Essen zu, aber das störte mich nicht. Genüsslich aß ich meinen Brei, dann trank ich meinen Tee in Ruhe aus. Jo sah mich immer wieder von der Seite an.

"Was ist, Jo?"

Aber er schüttelte nur den Kopf, nach fast zwanzig Minuten entschloss er sich doch etwas zu sagen. "Sag mal Kleene, dir geht es wohl gut?"

"Ja, Jo. Warum denn auch nicht? Ich bin zu Hause, bei meinen Freunden. Dort draußen toben zwei süße kleine Welpen. Ich bin satt und mir geht es das erste Mal, seit langen richtig gehend gut. Ich habe kein Fieber, kaum noch Schmerzen und nicht einmal mein Kopf tut weh. Außerdem necken mich meine Freunde und ich habe jemand der mich beschütz, nämlich den Tim. Da muss es mir doch gut gehen", erklärte ich ihm genau.

Jo schüttelte den Kopf. "Wenn mir das jemand vor fünf Tagen gesagt hätte, den hätte ich den Piepmatz gezeigt."

Jo stand auf und kam auf mich zu. Zog mich einfach auf die Füße. Dann drehte er mich, einmal um mich selber, dann noch einmal und schob mich wieder auf den Stuhl.

Verwundert sah ich ihn an. "Was ist Jo? Warum drehst du mich?"

Tausend kleine Teufel guckten aus seinen Augen. "Kleene, ich hab nur nachgesehen, ob du das wirklich bist. Aber ich glaube man hat dich nicht vertauscht oder doch?"

Jetzt fing Jenny laut an zu lachen, aber auch die anderen. Ich saß da und sah meine Freunde verwirrt an. Rudi der sich mühsam versuchte zu beruhigen, versuchte mir zu erklären, was ich wieder einmal nicht verstand. Da es Jo nicht konnte, er kämpfte noch mehr gegen das Lachen, als Rudi.

"Kleene, das war ein Spaß. Du bist heute so anders, wirklich so ganz anders, als die letzten Wochen. Das wollte dir Jo damit sagen, also hat man dich vertauscht."

Ich schüttelte den Kopf. "Ihr seid immer komisch, manchmal verstehe ich euch nicht, aber egal. Lacht ruhig. Doko Jacob hat immer gesagt, Lachen ist gesund."

Beendete ich die Diskussion über Dinge, die ich nicht verstand. Rudi gab mir einen Kuss und zog mich an sich. Ich lehnte mich einfach gegen seine Schulter und genoss einfach diese Familie, die Ruhe und die Zweisamkeit. Alles Dinge, die ich bis vor kurzen kaum kannte.

Rudi sah mich von der Seite an. "Sag mal Kleene, hast du Lust mit uns einen Ausflug, in den Tierpark zu machen?"

Ich nickte, da es mir dort sehr gefiel.

"Na dann los, zieht euch alle etwas Hübsches an. Ich lade euch zum Essen ein. Dann muss Viola heute mal nicht kochen. Für dich nehmen wir Nahrung mit, das bekomme ich schon hin. Also los, macht hin", übernahm er jetzt das Kommando.

Schon kam Bewegung in die Küche. Die Kinder liefen nach oben in ihre Zimmer, Rudi und ich nach unten und Jo hinter seiner Frau her. Nur knappe zwanzig Minuten später, waren alle warm angezogen und fertig zum Losgehen.

"Rudi, können wir so rote Stangen mitnehmen. Ich habe vergessen, wie das heißt. Für die Hirsche, ich hab es ihnen doch versprochen."

Rudi sah Viola an, die ging in die Vorratskammer und holte einen Bund Möhren.

"Kahlynchen, meinst du das?"

Ich nicke. "Ja."

"Mein Mädel, das nennt man Möhren."

Verlegen sah ich auf meine Füße. "Ich vergesse immer, wie das heißt. Rudi hat mir das schon zweimal gesagt, ich merke mir das einfach nicht."

Wieder einmal lachten alle.

"Ist nicht schlimm, Kahlynchen, das merkst du dir schon irgendwann."

Jenny drückte mir lachend die Möhren in die Hand und hielt mir die Hand hin. Verwundert sah ich Rudi an, der nickte, also griff ich zu. Ohne lange rumzutrödeln, liefen wir los zu den Autos. Wir mussten mit beiden Wagen fahren, wir waren einfach zu viele Leute. Jenny sah ihre Eltern fragend an, die nickten. Also stieg sie mit in Rudis Trabi und ich setzte mich mit zu ihr nach hinten. Jo fuhr zeitgleich mit Rudi los in Richtung B2, dann weiter in Richtung Gera. Kurz danach bogen wir dann nach rechts ab, auf die Straße des Friedens und hatten kurze Zeit später wir schon den Parkplatz des Tierparkes erreicht. Erstaunt stellte ich fest, dass er gar nicht weit von den Runges entfernt war. Ich verstand ehrlich nicht, wieso wir dieses kurze Stück nicht gelaufen waren, wir mussten nur um den Wald herum gefahren. Jenny blieb immer an meiner Seite, Tim lief mit seinen Eltern und Tom mit Rudi. So schien jeder glücklich zu sein. Wir folgten den Weg nach oben, vorbei an der Wasserquelle und kamen schnell bei dem Gehege mit den Hirschen an.

Tim ließ seine Eltern los und rannte wie wild auf das Gehege zu. "Rehlein domm mal her, is will dis streiseln", rief er laut.

Ich ließ Jenny los und hockte mich zu dem kleinen Buben. "Tim, wenn du so laut bist, bekommen die Hirsch Angst, du musst ganz leise sein. Das sind keine Rehe, Tim, sondern Hirsche. Weißt du, das sind ganz scheue Tiere. Wenn du ganz leise bist, dann rufe ich sie mal für dich."

"Du dannst die rufen?", wollte Tim erstaunt von mir wissen, ich nickte.

Ich nahm mir einen Grashalm und legte dann aber den Finger auf den Mund. "Du musst ganz leise sein Tim, sonst laufen sie wieder weg."

Tim nickte ernst, also fiepte ich immer und immer wieder. Die Hirschkühe antworteten mir und fiepten zurück. Zwischenzeitlich erklärte ich den Kindern ganz leise, auch Tom und Jenny waren zu mir gekommen. Das diesen Ton, den ich mit dem Grashalm erzeugte, die Kitzen von sich geben, wenn sie nach ihren Müttern riefen. Interessiert hörte mir alle drei zu. Immer wieder rief ich die Tiere und ganz langsam kamen die Hirsche auf uns zu. Sie erkannten mich wieder. Immer wieder rief ich sie, mit einem Grashalm. Auf einmal standen neun Hirschkühe am Zaun. Tim, der ganz aufgeregt war, wollte unbedingt ein Tier streicheln.

"Tim, du musst ganz langsam machen. Hirsche musst du wissen, sind Fluchttiere, wenn die sich bedroht fühlen, dann laufen sie sofort weg. Also ganz vorsichtig, bitte", wieder fiepte ich und signalisierte den Tieren, dass keine Gefahr war. Dass wir sie nur streicheln wollten. Leise wandte ich zu Viola. "Kannst du mir ein paar von den…", wieder fiel mir der Name nicht ein, es ärgerte mich, dass ich immer vergaß wie diese roten Stangen hießen.

"Möhren", flüsterte mir Jenny ins Ohr.

"…Möhren geben. Danke Jenny."

Viola brach einige Möhren vorsichtig ab und reichte mir eine Hand voll.

"Tim, ganz langsam."

Auch Tom und Jenny gab ich eine Möhre. Tim traute sich allerdings nicht. Also nahm ich seine Hand, in die meine. Wir füttern die Hirschkuh zusammen. Glücklich sahen alle drei aus, noch nie hatten sie die Hirsche, von so nah gesehen. Vorsichtig zog die Hirschkuh die Möhre aus Tims Hand. Große und glänzende Augen, hatte der Bub. Aber auch Tom und Jenny konnten nicht glauben, was sie da erlebten. Da ich jetzt die Hände wieder frei hatte fiepe ich wieder und nahm mir Tim auf den Arm, so dass er über den Zaun fassen konnte. "Rudi, nehm Tom bitte mal auf den Arm, dann kann er auch mal ein Tier streicheln." Flüsterte ich leise, immer wieder fiepend und ging ganz behutsam an das Tier heran. Am Zaun angekommen, nahm ich Tims Hand und streichelte der Hirschkuh den Hals. Das kleine Herz von dem Buben sprang fast heraus, so aufgeregt war er.

"Lassen wir die Tiere wieder laufen. Wenn wir nach Hause gehen, rufe ich sie euch noch einmal."

Alle drei Kinder nickten. Also schröckte ich die Tiere, in dem ich ein Art heißeres Bellen imitierte. Sofort liefen sie weg, jetzt konnte ich wieder normal reden und den Kindern einiges erzählen. Dann war es für die Kinder, aber auch für die Tiere nicht so anstrengend.

"Wisst ihr, dass Hirsche fünfundzwanzig Jahre alt werden und eigentlich außer den Menschen, nur einen wirklichen Feind in der Natur haben?", fragte ich Jenny und Tom, die beiden älteren Kinder. Denn Tim konnte das nicht wissen, er war viel zu klein. "Nur die Wölfe sind für die Hirsche gefährlich, sonst gibt es kein Tier, das den Hirsch einholt. Nur die kleinen Kitzen, wenn sie gerade geboren werden, haben mehr Feinde. Die werden oft von Kohlraben, Füchsen und Wildschweinen gefressen. Deshalb haben die Kitzen diese Flecken. Wenn die sich zusammenrollen, dann sieht man die kaum noch. Wisst ihr so ein ausgewachsener Hirsch kann sehr gefährlich werden. Er hat ein Gewicht von ungefähr siebzig bis hundert Kilo, wenn der sich richtig bedroht fühlt und seine Herde verteidigt in der Brunftzeit, dann greifen die einen schon einmal an. Es kommt zwar nur sehr selten vor, aber es ist schon passiert. Mit dem Geweih, ist er richtig gefährlich…" Vieles erklärte ich den Kindern noch, über diese schönen Tiere. Dann gingen wir weiter. Bei vielen der Tiere konnte ich erreichen, dass sie zu mir kamen. Interessant war auch das Verhalten der Wölfe, mit denen ich mich richtig unterhalten konnte und die alles machten, was ich wollte. Als ich sie dazu brachte an den Zaun zu kommen und ihnen hinter den Ohren kraulte, schüttelten alle drei Erwachsenen den Kopf und konnten nicht glauben, was ich da tat.

Es war schon kurz nach 17 Uhr, als Viola zum Aufbruch drängte. Tim rieb sich immer wieder müde die Nase. Also liefen wir zurück, als ich nach einem Grashalm greifen wollte, um die Hirsche noch einmal zu rufen, schüttelten alle den Kopf, also ließ ich es sein. Wir liefen den Berg hinunter und auf der anderen Seite wieder hinauf, verwundert sah ich Rudi an.

"Wir wollen doch noch etwas Essen gehen", erklärte mir Jenny leise.

Ich verstand zwar nicht warum wir da nicht nach Hause gingen, also folgte ich den anderen. Keine hundert Meter später, sah ich ein in den Fels eingearbeitetes Gebäude. Darüber stand ein großes Schild "Gaststätte zum Martinsgrund". Darauf steuerten die Runges und Rudi zu.

"Hab keine Angst Kahlynchen, ich passe auf dich auf", flüsterte mir Jenny ins Ohr und nahm einfach meine Hand.

Dankbar sah ich sie an. Es waren so viele Menschen hier. Rudi merkte, dass mir diese vielen Menschen, Probleme machten. "Kahlyn, wird es gehen? Sonst laufe in die Wache, ich hole dich dann dort ab, Kleene."

Tief holte ich Luft, schüttelte dann den Kopf. "Es geht schon. Ich hab bloß nicht geahnt, dass hier so viele Menschen sind. Ist schon in Ordnung", ich atmete ich tief durch.

Ich war mit den Runges hier und mit Rudi, da konnte mir nichts passieren. Auch, wenn mir nicht sonderlich wohl dabei war, wollte ich meinen Freunden nicht den Abend verderben. Ich bekam schnell mit, dass die Kinder sich sehr darauf freuten. Also bemühte ich mich, so locker wie möglich zu sein. Jo sprach mit einer Frau und schon bekamen wir einen Platz zugewiesen. In einem der hinteren Räume. Erleichtert atmete ich auf. Hier war es nicht so laut. Dankbar sah ich Jo an. Ich glaube er hatte der Frau erklärt, dass es mir hier zu laut war. Schnell kam diese Frau wieder an den Tisch.

"Was darf ich ihnen bringen?", wollte sie die Bestellung aufnehmen. Jeder sagte genau, was er trinken wollte. Dann war die Reihe an mir. Ich wusste nicht, was ich wollte. Ich hatte so etwas, noch nie gemacht.

"Kahlyn, was möchtest du trinken, Kaffee oder Tee?", Rudi konnte denken, dass ich überfordert war und half mir deshalb.

"Tee", gab ich Rudi zur Antwort, leise und kaum hörbar.

"Möchtest du Brei oder möchtest du Bratkartoffeln und Boulette probieren?", verwundert sah ich Rudi an.

"Brei bitte", ich traute mich nicht, bei anderen etwas zu essen.

"Also junge Frau, wir haben hier ein kleines Problem, das Mädchen hier kann nicht alles essen, könnten wir ihr eventuell einen Brei machen?", erkundigte sich Rudi.

Verwirrt sah mich die Bedienung an. "Tja, wenn sie dem Koch erklären wie der Brei zubereitet wird, denke ich, ist das durchaus machbar."

Viola freute sich über diese Möglichkeit und nahm die Dose aus dem Beutel. "Dann kommen sie bitte", bat die Frau, immer noch verwirrt drein schauend.

Viola folgte ihr sofort. Allerdings kam sie nach zwei Minuten wutentbrannt zurück. "Das gibt es doch nicht, das ist so ein…", böse sah sie Jo an, der ahnte das nichts Gutes dabei heraus kam.

"Veilchen, was ist denn los."

Bevor Jos Frau antworten konnte, kam die Bedienung schon mit einem Tablett voller Getränken, an unseren Tisch. "Es tut mir wirklich leid. Ich kann mich nur entschuldigen, für das Benehmen unseres Koches. Der Kollege ist heute aber auch mies drauf. Ich möchte mich bei ihnen wirklich ganz sehr entschuldigen. Das lasse ich so nicht durchgehen. Ich habe schon den Chef angerufen, so geht das nicht. Sie haben ganz freundlich gefragt und heute ist wirklich nicht viel los. Da hätte er den Brei ruhig machen können. Haben sie bitte einen Moment Geduld, der Chef ist in fünf Minuten spätestens da."

Viola atmete tief durch und sah nicht mehr so böse aus. "Vielen Dank, junge Frau. Ich dachte jetzt eben, ich bin im falschen Film."

"Nicht nur sie, ich auch", bestätigte die Bedienung, dass Viola nicht zu Unrecht wütend war. Stellte allen, das bestellte Getränk hin. Meinen Tee, hatte sie nicht mitgebracht.

"Junge Frau, was möchten sie für Tee, ich habe vergessen, was sie für Tee haben wollten."

Verwundert sah ich diese Frau an. "Mam, ich möchte nur Tee haben, Mam", antwortete ich ganz leise.

Rudi streichelte mir das Gesicht. "Bringen sie ihr Kamillentee."

Bedauernd sah sie mich an. "Oh je, sowas haben wir hier nicht. Ich habe Pfefferminztee da, Schwarztee oder Früchtetee."

Rudi sah mich fragend an. Achsenzuckend blickte ich zu ihm hin.

Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen. "Mam, dann trinke ich Kaffee. Mam, tut mir leid, Mam. Ich weiß nicht, ob ich das trinken darf, Mam."

Rudi freute sich, dass ich von mir aus eine Alternative anbot.

"In Ordnung, dann Kaffee, kommt sofort."

Im selben Augenblick flitzte sie wieder weg. Sie war noch nicht richtig um die Ecke, da kam sie schon wieder, auf dem Tablett hatte sie eine Tasse Kaffee. Ihr folgte ein gut durch trainierter, aber nicht sehr großer, dunkelhaariger Mann.

"Guten Abend die Herrschaften, ich habe gehört es gab hier Ärger. Würden sie mir bitte sagen, was los war", erkundigte er sich.

"Herr…?"

"Siebenhaar, entschuldigen sie bitte", stellte er sich noch vor.

Jo sprach weiter. "Herr Siebenhaar, meine Frau wollte mit dem Koch reden, weil unsere Kahlyn nichts von dem essen kann, was sie auf der Karte haben. Sie hat eine Lebensmittelallergie. Ihr Kollege war wohl sehr garstig zu meiner Frau. Sie kam richtig wütend zurück. Viola bitte erzähle dem Herrn, was los war."

Viola holte tief Luft, man merkt ihr an, dass sie sich immer noch nicht beruhigt hatte. "Die sehr freundliche und sehr hilfsbereite Kellnerin brachte mich zu ihrem Koch. Ich bat ihn sehr nett darum, ob er denn Kahlyn, so heißt die junge Frau hier, einen Brei machen könnte. Da schrie er mich in einem Ton an, den sie sich nicht vorstellen können, ob ich zu faul wäre zu Hause den Brei zu kochen. Er kann nicht für jeden eine extra Suppe kochen. Ich solle sehen, dass ich wegkomme. Er hat nicht mal gefragt, warum und weshalb. Wir können diesen Brei nicht vorbereiten, der wird wie Zement. Der Brei muss immer frisch zubereitet werden. Das dauert gar nicht lange und ist völlig unkompliziert, ich brauche nur einen Topf und etwas Wasser, da kann ich das auch selbst schnell machen. Der Brei muss nur kurz aufgekocht werden", erklärte Viole dem Inhaber der Gaststätte

Jetzt wusste ich wenigstens, warum Viola so wütend war. "Ach Viola, das ist nicht schlimm. Ich esse dann zu Hause etwas. Ich muss jetzt nichts essen. Mach dir keine Sorgen. Ich hab doch heute früh erst etwas gegessen."

Entsetzt sah mich der fremde Mann an. "Dann hast du doch bestimmt Hunger."

Ich schüttelte den Kopf. "Sir, es ist nicht schlimm, Sir, ich verhungere nicht so schnell, Sir", erklärte ich ihm leise, auf meine Finger sehend.

"Kommen sie bitte noch einmal mit. Das kann doch nicht wahr sein."

Viola erhob sich ein zweites Mal und folgte jetzt Herrn Siebenhaar in die Küche. Nach kurzer Zeit kam Viola grinsend mit einem Teller Brei zu mir.

"Lass es dir schmecken, mein Mädel."

Hungrig machte ich mich über den Brei her und bekam von allen Seiten ein. "Guten Appetit."

Auch Herr Siebenhaar kam noch einmal an den Tisch. "Na siehst du junge Frau, jetzt musst du nicht hungern. Aber appetitlich, sieht das nicht gerade aus", stellte er trocken fest.

Jo sah hoch zu dem noch stehenden Siebenhaar. "Setzen sie sich doch einen Moment zu uns, dann erklären wir ihnen gern, was los ist. Vielen Dank, dass sie meiner Kleenen etwas zu essen gemacht haben. Die hat in ihrem kurzen Leben genug gehungert."

Siebenhaar setzte sich auf einen der freien Stühle. Kurz und nicht ins Detail gehend, erklärte Jo dem Besitzer der Gaststätte, warum ich die normale Nahrung nicht vertrug. In der Zwischenzeit hatte ich meine große Portion aufgefuttert.

"Na willst du noch etwas haben?"

Ich schüttelte den Kopf. "Sir, nein, Sir." Ich griff nach meinem Kaffee, da lagen kleine Hütchen auf dem Teller. Als ich mir diese ansehen wollte, rief Rudi.

"Nicht Kleene, das ist Milch."

Erschrocken zuckte ich zurück. Jenny, sah jetzt erst die Kaffeesahnepäckchen, griff danach und legte sie weit weg von mir. Siebenhaar, der den fast panischen Ruf von Rudi nicht verstehen konnte, erkundigte sich.

"Was ist an Milch so Schlimmes, dass die junge Frau so zurück schreckt und sie so panisch reagiert?"

Rudi froh, dass mir nichts passiert war, erklärte sich. "Herr Siebenhaar, wenn die Kleene mit Milch in Berührung kommt, verbrennt ihre Haut."

"So etwas gibt es doch nicht. Milch ist das gesündeste Lebensmittel, das es gibt", wiedersprach ihm Siebenhaar.

Rudi schüttelte traurig den Kopf. "Das dachte ich bis vor kurzen auch", kurz erklärte er, was in der Eisdiele passiert war.

Immer ungläubiger sah mich Siebenhaar an. "Du Arme", mehr bekam er nicht mehr heraus.

Kopfschüttelnd stand der Kneipier auf und ging nach vorn. In diesem Moment kam auch das Essen der Anderen, die sich hungrig darüber her machten. Immer wieder guckte Siebenhaar um die Ecke, ob alles in Ordnung war. Kaum, dass ich meinen Kaffee ausgetrunken hatte, bekam ich eine neue Tasse.

"Die geht aufs Haus", erklärte er mir.

Als er mir die Tasse ohne die Portion Kaffeesahne hinstellte. Tim der neben mir saß, lehnte sich an mich an. Auf einmal, nickte immer wieder sein Köpfchen nach unten. Ich zog ihn in meine Arme und streichelte seinen Rücken. Er kuschelte sich an mich und schon schlief er tief und fest.

Viola konnte sich nicht sattsehen an dem Bild, das sich ihr bot. "Da fühlt sich jemand wohl. Tim ist heute aber auch herumgetobt. Es ist immer noch unvorstellbar für uns, dass er so herum flitzt. Vor zwei Monaten noch mussten wir für längere Strecken immer den Sportwagen mitnehmen, obwohl er dafür eigentlich schon viel zu groß war. Aber lange Strecken laufen konnte der Bub gar nicht. Immer fing er nach wenigen Metern an zu weinen und steigerte sich dann so hinein in das Weinen, dass er keine Luft mehr bekam. Einfach nur schön ist das ihn jetzt so toben zu sehen. Die frische Luft tut ihm so gut. Er sieht einfach aus wie ein gesunder kleiner Junge. Nie hätte ich mir erträumen lassen, dass ich so etwas bei ihm erlebe. Ich hatte ständig Angst, dass er mir unter der Hand einfach wegstirbt", verstohlen wischte sie sich eine Träne aus den Augenwinkeln.

"Ich freu mich auch sehr. Es tut gut zu sehen, dass es ihm so gut geht. Aber irgendwann, muss ich das Herz von Tim und Jos Knie und Rücken, noch in Ordnung bringen. Aber im Moment schaffe ich das nicht", erklärte ich leise.

Als auch Tom und Jenny aufgegessen hatten, rief Rudi nach Herrn Siebenhaar, um zu bezahlen. Schon machten wir uns auf den Weg nach Hause. Tim wurde nach einer kurzen Diskussion, in meine Jacke eingewickelt. Das kleine Stück bis zum Auto brauchte ich nicht unbedingt eine Jacke. Außerdem war ich die einzige, die nicht sofort krank wurde. Auf diese Weise konnte der Bub weiterschlafen, ohne dass man ihm durch das Anziehen erst wecken musste. Nachdem ich aufgestanden war, nahm ich den Kleinen einfach in meiner Jacke auf den Arm. Ohne Umwege fuhren wir nach Hause, nicht nur damit Tim ins Bettchen kam. Vor allem, weil wir dort sehnsüchtig von Stromer und Struppi erwartet wurden. Die beiden Welpen saßen ganz traurig in der Küche und hatten nicht einmal ihr Futter angerührt. Jo nahm mir Tim ab und brachte ihn nach oben ins Bett. Ich kümmerte mich erst einmal, um unsere beiden kleinen Freunde, die ganz deprimiert am Wassernapf saßen. Ein bisschen rumtoben und schon war die kurze Einsamkeit vergessen. Tom und Jenny verabschiedeten sich auch sofort, beide waren müde und völlig geschafft von dem Tierparkbesuch. Sie gingen ebenfalls schlafen, morgen war wieder Schule und da mussten sie fit sein. Nachdem die Kinder, alle in den Betten waren, holte Viola eine Flasche Wein aus dem Keller und schenkte drei Gläser ein, gemütlich setzten wir uns an den Tisch in der Küche.

Jo sah mich neugierig an. "Kahlyn, sag mal, du kannst wohl mit jedem Tier reden."

Ich zuckte mit den Schultern. "Jo, ich weiß nicht, ob ich mit ihnen reden kann, aber sie verstehen oft, was ich von ihnen will."

"Das hat man gemerkt, so etwas habe ich noch nie erlebt und ich gehe schon so viele Jahre in den Martinsgrund. Für die Kinder war das heute ein unglaubliches Erlebnis, vor allem, hast du ein Wissen über Tiere. Wo hast du das nur her?"

Verwirrt sah ich Jo an. "Das habe ich durch beobachten bekommen. Du musst wissen, vieles weiß ich durch die Einsätzen wir gemacht haben. Weißt du, wir mussten oft an Tierherden vorbei. Dadurch waren wir oft gezwungen, uns anzupassen, sonst hätten uns die Tiere verraten. Das wäre in vielen Situationen böse ausgegangen. Also mussten wir Wege finden, den Tieren zu signalisieren, dass wir ihnen nichts tun. Tiere haben einfach Vertrauen zu mir, mehr als die Menschen", erklärte ich offen.

Vieles wollte Jo noch von mir wissen und stellte Fragen, die ich ihm gern beantworte. Immer wieder schüttelte er ungläubig den Kopf und konnte kaum glauben, was ich ihm da erzählte.

Kapitel 4

Unerwartet für uns alle, klingelte am späten Abend plötzlich das Telefon. Rudi stand auf und nahm ab. "Bei Runge, Sender am Apparat", meldete er sich.

"Rudi, hier ist Detlef. Entschuldige bitte, dass ich dich zu Hause anrufen. Rudi ich bin völlig verzweifelt, ihr müsst mir helfen. Ich brauche unbedingt deinen und Kahlyns Rat. Rudi ich drehe ihr gleich durch, bitte. Ich komme nicht weiter, bei einer Akte die ich vor sieben Stunden erhielt. Ich weiß nicht mehr wo mir der Kopf steht und komme damit einfach nicht zu Rande. Für mich geben diese Informationen einfach keinen Sinn. Du weißt, ich würde dich sonst nicht anrufen. Bitte könntet ihr beide einfach mal kurz in die Akte gucken und mir einen Tipp geben, was ich hier machen soll", verzweifelt klang dessen Stimme, die zitterte beim Sprechen und ständig japste Detlef nach Luft.

'Um Gottes Willen', schoss es Rudi durch den Kopf. 'Was in drei Teufelsnamen ist denn mit Detlef los?', so hatte Rudi seinen Kollegen noch nie erlebt. In der Wache musste etwas Schwerwiegendes sein, denn Detlef war ein Mensch der sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen ließ. Auch wenn der Oktober immer ein schlimmer Monat war und oft viele Einsätze anstanden, derart durch den Wind hatte er den Teamleiter des Delta-Teams noch nie erlebt.

"Detlef, du musst mir einen Wagen schicken, ich habe eben ein Glas Wein getrunken und Jo auch. Wir können also beide nicht mehr fahren. Beruhige dich erst einmal. Wir kommen beide schnell einmal vorbei. Zusammen bekommen wir das schon hin. Keine Angst, zusammen biegen wir drei das schon gerade", versuchte Rudi seinen Kollegen zu beruhigen.

Detlef atmete erleichtert auf. "Ich schicke dir einen. Danke, du rettest mir glaube ich, gerade das Leben."

"Na, so schlimm, wird es doch nicht sein, Detlef, oder? Dann bis gleich", wollte Rudi von seinem Teamleiter wissen.

"Wenn du wüsstest, was hier zurzeit los ist, Rudi. Sei froh dass du frei hast. Also bis Gleich ich schicke euch einen Wagen."

Rudi legte auf. "Tja Leute das war's wohl mit einem gemütlichen Abend. Detlef schickt uns gleich einen Toni. Kleene, wir müssen ihm unbedingt helfen. Er klang total verzweifelt und kommt mit einer Akte nicht klar."

Ich stand auf und lief nach unten, um mir meinen Overall anzuziehen. Rudi ging sich ebenfalls umziehen. Zum Abholen fertig, setzten wir uns an den Tisch und warteten auf die Kollegen. Deshalb bekamen wir erst bei unserer Rückkehr an den Küchentisch mit, dass Jo ganz böse dreinschaute.

"Verdammt nochmal Rudi, können die euch nicht mal die drei Wochen in Ruhe lassen, die ihr Frei habt? Deine Teamchefs haben doch genug Erfahrung, dass sie die paar Einsätze alleine über die Runden bekommen. Oder ist Großalarm ausgelöst wurden? Das kann ich mir allerdings nicht vorstellen, denn darüber hätte man mich auch informiert", Jo war richtig ungehalten über diese Störung.

Der Polizeirat konnte sich maßlos darüber aufregen, dass man Rudi in seiner knapp bemessenen Freizeit, oft auch noch in die Wache holte.

"Jo, du weißt doch selber wie das so manches Mal ist: Bestimmte Sachen traut sich Detlef nicht alleine zu. Er will einfach Gewissheit darüber haben, dass er keine falschen Entscheidungen fällt. Detlef geht immer auf Nummer sicher und stimmt bestimmte Dinge lieber mit mir ab, bevor ich ihm dann die Ohren lang ziehe", Rudi grinst Jo verlegen an. "Da ich weiß, dass Ronny im Moment auf der Wache ist, muss da schon arg etwas am Brennen sein, wenn die mich holen. Ronny, wie auch Detlef, machen sich die Entscheidung nie leicht und überlegen sehr lange, ob sie mich anrufen, wenn ich Frei habe oder ob sie es nicht vielleicht doch alleine geregelt bekommen. So wie der Gute am Telefon geklungen hat, ist das kein kleines Feuer das ausgebrochen ist, sondern eher ein Großbrand", Rudi machte eine Pause und verdreht die Augen. "Oh ... oh, mir schwant da nichts Gutes. Da ist irgendetwas passiert, Jo, Detlef klang total verstört. Mein Bauch bekommt gerade ein ganz komisches Gefühl. Es ist nun mal, wie es ist. Du warst doch selber lange genug bei der Truppe und vor allem auch über Jahre hinweg Teamleiter. Es gibt einfach Situationen, wo man Hilfe oder Rat braucht. Da schrei ich doch auch heute noch, Jo helf mir."

Jo winkte ab und nickte dann zustimmend. Rudi hatte ja Recht. Als er noch etwas sagen wollte klingelte es an der Tür. Wir mussten also los und hatten keine Zeit mehr zum Reden.

"Dann, bis später", rief Rudi und eilte schon zur Tür.

"Kümmert ihr euch bitte um Struppi", bat ich die Runges noch.

Beide nickten.

"Klar mach dir, um deinen kleinen Freund keine Sorgen", rief mir Viola noch nach.

Ich griff mir meinen Medi-Koffer und rannte Rudi hinterher. Kaum dass ich im Wagen saß, fuhr der Fahrer mit Blaulicht und Sirene in Richtung Wache. Von Detlef kam also nicht nur ein Hilfeschrei, sondern es brannte Lichterloh. Die Teamleitung hätte den Kollegen sonst nicht um diese Uhrzeit befohlen mit Blaulicht und Sirene durch die Siedlung zu fahren. Ich stellte mich schon einmal seelisch darauf ein, dass ich auf der Wache bleiben musste. Mein Bauch sagte mir, genau wie der von Rudi, dass etwas Schlimmes auf uns zukam. Kaum dass wir den Bereitschaftsraum betreten hatten, kam uns schon ein völlig verzweifelter Detlef mit einem dicken Ordner entgegen. Er hatte tiefe dunkle Augenringe und sich vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten konnte. Er sah aus als hätte er seit Tagen überhaupt nicht geschlafen.

"Hallo Detlef, um Himmels Willen wie seht ihr den aus. Was ist denn bei euch los?", wollte Rudi wissen, der sich verzweifelt seine Leute ansah, die auch nicht besser aussahen.

"Hier ist die Hölle los. Rudi wir hatten, seit einer Woche, noch nicht eine Minute Luft zum Atmen. Sind vor zwei Stunden erst von einem Hölleneinsatz zurück gekommen. Ständig kommt ein Einsatz nach dem Anderen, ohne Atempause und einer schlimmer als der nächste. Deshalb brauche ich ja deinen Rat und deine Hilfe. Wir können nicht mehr richtig denken, so müde sind wir. Die Köche machen haben uns seit drei Tagen, eben die erste warme Mahlzeit zubereitet. Wir haben allerdings vor sieben Stunden schon den nächsten Einsatz bekommen. Waren aber zu dieser Zeit noch mitten im letzten Einsatz. Weder Ronny noch ich sind mehr in der Lage, normal zu denken. Es geht einfach nichts mehr. So schlimm war es lange nicht mehr. Ich sitze seit zwei Stunden über den Ordner. Mir wird mit jeder Seite die ich lese, immer schlechter. Ich habe keine Ahnung, wie wir das hinbekommen sollen. Hallo Floh, entschuldige bitte. Sag mal, kannst du dir den Ordner bitte angucken, vielleicht siehst du da durch. Mir brummt dermaßen der Kopf, irgendwo steckt da ein Fehler, aber ich finde ihn nicht. Du hast doch gesagt, wir sollen Hilfe schreien, wenn wir, welche brauche. Bitte Floh, ich brauche deine Hilfe. Sonst drehe ich, heute noch durch hier", dabei raufte er sich verzweifelt die Haare und ließ sich auf den nächsten Stuhl fallen.

Ich ging zu ihm hin und legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. "Hallo Detlef, komm bleibe mal ganz ruhig. Wir sind ja jetzt hier. Ich sehe es mir gleich an und du legst dich sofort hin. Nutze das schnelle Schlafen, so wie du aussiehst, nutzt du niemanden etwas. Sondern fällst gleich um, genau wie deine Jungs", bei meinen letzten Worten drehte ich mich zu den Jungs um, die auch nicht besser aussahen.

Hier musste jemand für Ordnung sorgen, Detlef konnte das nicht mehr, der lief selber am Limit.

"Los hoch mit euch und alle ab in die Betten. Das ist ein Befehl. Legt euch hin und schlaf dreißig Minuten im schnellen Schlaf. Verdammt, warum bringe ich euch so etwas eigentlich bei, wenn ihr es dann doch nicht nutzt. Da hätte ich mir die Mühe sparen können", befahl ich in einem Ton, bei dem mir keiner widersprach, auch wenn ich da meine Kompetenzen überschritt.

Verlegen sahen mich die Jungs an. Die waren so durch den Wind, so fertig, dass sie scheinbar gar nicht mehr daran gedacht hatten.

Ich schüttelte den Kopf. "So könnt ihr doch nicht mehr arbeiten", schimpfte ich die Jungs aus.

Als einige der Männer mit mir diskutieren wollten, wurde ich laut, in einen für die Jungs ungewohnten scharfen Ton, sagte ich sehr laut und bestimmt.

"Verdammt nochmal, in die Betten habe ich gesagt. Das ist ein klarer Befehl gewesen und mir ist egal, ob ich hier etwas zu sagen habe. Ich will hier keine Diskussion mehr. Ich brauche mindestens zwanzig Minuten, um den Ordner durchzuarbeiten, in der Zeit könnt ihr sowieso nichts machen. Auf mit euch, los ab in die Betten jetzt. Sonst werde ich richtig gehend böse oder muss ich euch ins Bett prügeln."

Rudi sah mich breit grinsend an und musste sich mit Müh und Not das Lachen verkneifen. Selbst Detlef und Ronny, die kaum noch die Augen offen halten konnten, grinsten breit.

"Was lacht ihr denn?", wollte ich von den Dreien wissen.

"Man merkt sofort, dass du Jahre lang Verantwortung für ein Team gehabt hast. Du greifst ja richtig durch", meinte Ronny.

Ich zuckte mit den Achsen. "Manchmal, muss man das auch machen. Also ab mit euch und schlaft dreißig Minuten im schnellen Schlaf. Dann geht es euch besser. Rudi und ich halten die Stellung. Also los, hopp, hopp, hopp…" Scheuchte ich die Jungs wie die Hühner hoch. Ohne zu Murren standen beide Teams auf, schleppten und schwankten mehr als das sie gingen, nach hinten in den Schlafraum.

Rudi wuschelte mir durchs Haar und beugte sich zu mir herunter. "Kleene, das hast du richtig gut gemacht", erfreute sah er mich an. "Das hätte ich dir jetzt mal gar nicht zugetraut", bei diesen Worten grinste er breit.

Ich winke ab, das war jetzt nicht wichtig. Wichtiger war, dass ich mir erst einmal einen Überblick verschaffen musste, was hier eigentlich los war. Die Jungs sahen aus, als würden sie gleich Tod umfallen und hier lag schon der nächste Einsatz vor ihnen. Eigentlich waren die gar nicht mehr einsatzfähig. Wie sollten die den nächsten Einsatz lebendig überstehen. So war kein Arbeiten mit dem Team möglich.

"Also Rudi, du machst uns einen Kaffee und ich sehe mir mal an, was Detlef so verzweifeln lässt", nahm ich einfach die Einsatzleitung in meine Hände, ohne dass mir das wirklich bewusst war.

Da mich Rudi angrinste, grinste ich frech zurück und setzte mich an den Tisch. Ohne lange zu zögern vertiefte ich mich in den Ordner. Nach den ersten zehn Seiten, ging es mir nicht besser als Detlef. Schnell verging mir allerdings das grinsen, denn mit jeder Seite die ich las, wurde mir schlechter. Mir fiel nicht nur das Grinsen aus dem Gesicht, sondern mir richtig elend zu mute.

Rudi sah verwundert zu mir, als ich ein verzweifeltes "OH NEIN" von mir gab oder besser schrie.

Dann schwieg ich wieder und wurde mit jeder Seite die ich las, immer blasser. Nach zwanzig Minuten klappte ich den Ordner zu und stützte verzweifelt den Kopf auf beide Hände, starre fast fünfzehn Minuten auf die Tischplatte. Mein Grübeln dauerte Rudi viel zu lange.

Als er mich fragen wollte. "Was…?"

Schüttelte ich nur mit dem Kopf und gab ihn durch ein Handzeichen zu verstehen, dass er ruhig sein sollte und meinen Gedankenfluss nicht unterbrechen sollte. Bestürzt sah mich Rudi an und zog sich den Ordner heran. Krampfhaft suchte ich nach einer Lösung, die ohne mein Beisein funktionieren könnte, aber das klappte nicht. Egal von welcher Seite, ich an diese Sache heran ging, es wurde kein Schuh daraus. Also entschloss ich mich zu bleiben, mein Bauch hatte mich also wieder einmal nicht getäuscht. Die Sicherheit der Jungs war wichtiger, als meine freien Tage. In meinem alten Leben, hatte ich so etwas auch nicht. Ich griff hinüber zu Rudi und zog mir nochmals den Ordner heran. Nicht darauf achtend, dass Rudi entsetzt zu mir sah. Er war nicht weit mit Lesen gekommen, aber was er gelesen hatte, genügte um ihn blass werden zu lassen. Ich arbeitete den Ordner ein zweites Mal durch, indem ich mich mit einplante. Immer wieder nickte ich, so könnte es funktionieren. Blätterte zurück, schüttelte den Kopf. Las weiter, Schritt für Schritt ging ich die Sache noch einmal durch. Schon trafen die ersten aus dem Team ein, die ausgeschlafener aussahen. Wollten mit mir reden, aber ich konnte jetzt nicht reden. Ich musste erst diesen Wirrwarr an Informationen in eine Reihenfolge bringen, die mir etwas nutzte und dieses Chaos richten. Deshalb schüttelte ich den Kopf, es wurde mir einfach zu laut hier, so konnte ich nicht arbeiten.

"Rudi, ich gehe hinter ins Besprechungszimmer. Ich brauche Ruh zum Denken. Gebt mir bitten eine Stunde, dann habe ich wenigstens eine Idee, wie wir durch diesen Alptraum oder Schlamassel einigermaßen heil heraus kommen", ohne auf eine Antwort zu warten stand ich auf, klemmte mir den Ordner unter den Arm und verschwand nach hinten in den Besprechungsraum.

Bekam nicht mal mit, dass mich Rudi fassungslos ansah. Fast vierzig Minuten brauchte ich, um einen einigermaßen brauchbaren Einsatzplan zustande zu bringen, es würde eine knifflige Angelegenheit werden. Einen Plan, bei dem wir nicht alle Teams dazu holen mussten. So dass wenigstens das Alpha Team außen vor blieb, die brauchten dringend ihre freien Tage, um sich zu erholen. Zu gut war mir deren Aussehen nach dem letzten Einsatz noch in Erinnerung. Weitere zehn Minuten benötigte ich, um Skizzen und Einsatzpläne zu schreiben. Eine Liste von Aufgaben zu erstellen, die Detlef abklären musste, er muss dies organisieren. Dazu waren nur die Teamleiter berechtigt. Nach fünfundfünfzig Minuten war ich zufrieden und ging wieder nach vorn zu den Kollegen.

"Bitte Floh, habe eine Lösung für mich", flehte mich Detlef an.

Der Teamleiter war kurz vor dem Verzweifeln und auch Ronny sah mich hoffnungsvoll und verzweifelt an. Bevor ich ihm antworte, wandte ich mich an Rudi.

"Rudi, bitte ich muss bei dem Einsatz dabei sein, sonst bekomme ich die Jungs da nicht heil durch."

Rudi hatte sich das schon gedacht, als er meine Reaktion beim Lesen des Ordners sah. Die paar Seiten die er gelesen hatte, jagen ihm eine Höllenangst.

"Also dann, kommt mal mit hinter, ich erläutere euch erst einmal wie wir vorgehen könnten. Dann sprechen wir das alles mit den Jungs durch", bat ich die drei Teamleiter. Kurz sah ich die Jungs an. "Na geht es euch wieder besser?"

Alle nickten und sahen mich verlegen an.

"Warum nutzt ihr das schnelle Schlafen nicht? Verdammt noch mal. Ich habe euch das extra gegeben, damit ihr euch nicht so zerschlagen fühlt. Räumt bitte die Tische zur Seite, macht eine Runde Taiji", verwundert sahen mich die Jungs vom Delta Team an. In dem Moment fiel mir ein, die konnten das ja noch gar nicht. "Entschuldigt, ich habe nicht daran gedacht, dass ihr das noch nicht gar nicht könnt. Wir machen das dann zusammen. Also bis dann. Ronny, Rudi, Detlef."

Ich winkte den Dreien zu mitzukommen und nahm den Einsatz einfach, ohne mir die Zustimmung der beiden Teamleiter zu holen, in meine Hand. Ohne es überhaupt zu merken, hatte ich die wieder einmal die Teamleitung übernommen. Lief nach hinten ins Büro, die Drei sahen sich kopfschüttelnd an. Sie konnten nicht glauben, was sie hier gerade erlebten. Folgten mir aber auf der Stelle, Detlef drehte sich nur noch einmal kurz um, zeigte Simon vier Finger und eilte den anderen hinter her. Kaum im Büro angekommen setzte ich mich vor den Schreibtisch von Rudi, schob alles was darauf lag einfach zur Seite um Platz für die Unterlagen zu bekommen. Begann mit der Besprechung, nicht dran denkend, dass ich hier ja eigentlich überhaupt nichts zu sagen hatte. Ich war so in den Einsatz vertieft, dass ich gewohnheitsgemäß einfach die Einsatzleitung übernahm. So wie ich dies Jahre gemacht hatte.

"So jetzt zu dem Einsatz, Detlef. Dieser Einsatz wird die Hölle, ohne Hilfe von außen, werden wir das nicht schaffen. Ich möchte, dass du den Oberst Fleischer anrufst. Du musst ihn unbedingt um Hilfe bitten", da klopfte es Simon brachte uns vier Kaffee, ich zeigte genervt auf einen Tisch und sprach weiter. "Wir brauchen folgendes. Gosch und den Drachen. Die Erlaubnis, in der VR Polen zu fliegen. Der Oberst soll das abklären. Detlef uns läuft die Zeit weg. Alleine brauchst du die vierfache Zeit. Also lass das den Oberst machen. Der kennt die richtigen Leute, an den richtigen Stellen. Er soll auch abklären, dass die die Oprawcy - Todesschwadron oder Śmierć dzieci - Todeskinder in dem vorgeschrieben Bereich uneingeschränkte Handlungsfreiheit haben. Verwende bitte diese Namen. Ich habe keine Lust, mich wieder mit den Polen anzulegen. So wie bei vielen der anderen Einsätze. Ich brauche da immer Hilfe. Ich kann kein Polnisch. Das gibt es dann wieder nur Probleme und Missverständnisse. Das können wir bei diesem Einsatz, aber nicht gebrauchen. Wir müssen das alles vorher abklären. Lass es deshalb bitte den Oberst klären. Ich weiß du kannst das auch, aber auf diese Weise geht das alles zügiger. Der Oberst ist ein Organisationsgenie. Detlef, dann brauche ich für den Einsatz, zwei Teams vom Oberst und zwei Teams von Conny. Der Oberst soll sich mit Simon in Verbindung setzen, ich brauche Rashida. Mir ist egal wie er das organisiert bekommt, daran geht kein Weg vorbei. Alleine schaffe ich es nicht, euch sicher durch den Einsatz zu bringen. Wenn Simon Zeit hat, kann er auch mit zwei Teams kommen. Je mehr Leute wir sind, umso einfacher wird es heil durch diesen Einsatz zu kommen. Wir haben es mit mindestens fünfhundert bis achthundert Leuten zu tun. Wenn denn die Aufklärung hier ordentlich gearbeitet hat. Ich denke aber, die Aufklärung hat wie immer geschlampt und es werden wesentlich mehr Leute dort sein. Etwa so viele, wie in Himmelpfort, wenn nicht sogar noch mehr. Also bei allem, was ich kann, das schaffe ich nicht alleine, jedenfalls nicht, wenn wir das große Blutvergießen verhindern wollen. Ich brauche dringend Rashidas Unterstützung. Ohne sie geht es nicht. Dann brauche ich in Augustow eine Basis. Von der aus der Oberst alles koordinieren kann. Rashida und ich, werden den ersten Tag alleine arbeiten. Ihr nutzt die Zeit, um euch auszuschlafen. Ich brauche euch top fit. Da wir wesentlich schneller agieren können als ihr, ist dass die effektivste Methode. Wenn wir erst alleine arbeiten und euch dann dazu holen, wenn wir die Lager haben. Wir müssen ob es euch gefällt oder nicht, erst einmal das Lager finden. Solche Gruppen haben wir schon einige Mal gejagt und diese Einsätze waren wirklich immer die Hölle. Die sind vor allem nicht mehr dort, wo die Aufklärung sie vermutet. Die bleiben höchstens drei oder vier Tage, am gleichen Ort, maximal eine Woche. Ich kann auf euch nicht verzichten, wenn wir nicht wollen, dass hinterher tausende Tod am Boden liegen. Sonst würde ich diesen Einsatz nur mit meinen Leuten machen. Aber nur mit meinen Leuten, bekomme ich den Einsatz ohne Blutvergießen nicht hin, wir sind einfach zu wenig Kämpfer. Ihr müsst deshalb gleich mitkommen, damit ich euch in der Nähe habe, falls wir die schnell finden. Ihr schlagt eure Basis, beim Oberst, in Augustow auf. Dann gehen Rashida und ich die jagen. Anders Detlef funktioniert das nicht. Sonst musst du den Auftrag ablehnen. Sollen sich doch die Polen, mit der Gruppe rumschlagen. Verdammt nochmal, immer müssen wir denen ihre Scheiße aufräumen", entfuhr es mir wütend und ich sah ernst zu Detlef, Ronny, aber auch zu Rudi.

Detlef nickte, langsam entspannte er sich, atmete erleichtert auf.

Rudi wollte allerdings davon nichts wissen. "Kleene, du kannst doch nicht mit Rashida alleine fünfhundert oder achthundert Leute jagen, wenn die euch erwischen?", verzweifelt sah er mich an. "Warum holen wir nicht, unser drittes Team dazu?"

Jetzt musste ich gezwungener Maßen lachen. Ich rieb mir verlegen das Genick und sah meinen Major dabei traurig an. Auch wenn ich wusste, dass meine Reaktion von allen drei Teamchefs nicht wirklich verstanden wurde. Wieder einmal wurde mir klar, wie wenig meine Kollegen von unseren Fähigkeiten eigentlich wussten. Ich überlegte krampfhaft, ob überhaupt einer der Anderen, unsere Fähigkeiten alle kannte. Nein, ich glaube außer meinen eigenen Leuten und ich, wusste Niemand, zu was wir wirklich imstande waren. Nie haben wir jemand voll und ganz vertraut, um uns vollständig zu öffnen. Nicht einmal unser guter alter Doko, wusste alles von uns. Ich glaube das war auch besser so. Zwar ahnte der Oberst einiges, aber auch er wusste nicht alles. Es würde unsere Freunde erschrecken, richtige Furcht würden wir ihnen damit einjagen und sie würden sich aus purer Angst von uns abwenden. Das wollte ich mit aller Macht verhindern, denn es gab nicht viele Menschen die uns wohl gesonnen waren. Deshalb versuchte ich unsere Fähigkeiten immer herunterzuspielen und zeigte nur das, was sich nicht verhindern ließ.

"Rudi, sei bitte einmal ganz ehrlich zu dir selber. Die Jungs brauchen die wenigen freien Tage, genauso wie du. Sieh doch einfach einmal in den Spiegel, dann siehst doch selbst du wie fertig du aussiehst. Wir müssen uns sowieso Hilfe holen, ob wir das nun machen wollen oder nicht. Egal wie wir es drehen, mit dreißig Leuten schaffen wir diesen verdammten Einsatz ohnehin nicht. Dann können wir unsere Gruppen, nach bestmöglichsten Kriterien einsetzen und so nutzen wie wir sie da haben, ohne alle Leute vollständig zu verheizen. Himmelpfort, hängt dem Alpha Team immer noch an, genauso wie den anderen Teams vom SEK61. Lass doch wenigstens eins der Teams, einmal etwas zur Ruhe kommen. Den fehlen doch sowieso schon wieder einige Tage Erholung, durch die Suche nach den Kindern und weil ich weggelaufen bin. Rudi, sonst laufen dir irgendwann alle Leute am Limit. Komm vertraue mir einfach, du weißt dass ich viel besser einschätzen kann, als du, was ich kann und was nicht. Du kennst meine Möglichkeiten noch lange nicht. Du ahnst vielleicht ein Minimum von dem, was ich kann. Aber selbst Doko weiß nicht alles über uns, genau wie der Oberst. Von mir aus komme mit, nur kannst du die ersten Tage sowieso nichts machen und sitzt nur herum. Wir müssen diese Gruppe erst einmal finden. Ich weiß, du bist ein sehr guter und ausdauernder Läufer, aber mal ganz ehrlich, hältst du über Stunden, ein Tempo von dreißig bis vierzig Stundenkilometern aus?"

Rudi schüttelte verzweifelt den Kopf.

"Na siehst du. Rashida und ich können das aber sehr wohl. Wir suchen die Gruppe erst einmal. Wir haben da unsere eigenen Methoden und ganz andere Möglichkeiten wie ihr. Wir können zu zweit weitläufige Terrains absuchen. Vor allem in einem Tempo, was du dir nicht einmal annähernd vorstellen kannst. Das alles könnt ihr leider nicht wirklich nachvollziehen. Mit einigen Helis wäre das zwar auch machbar, aber dann warnen wir die nur. Wenn wir vor Ort ankommen, sind die dann schon weitergezogen. Also, mach dir keine Gedanken. Du kennst unsere Fähigkeiten noch lange nicht. Frage Conny, wenn du wartest und den Oberst. Die bekommen uns nicht und selbst wenn sie uns bekommen würden, wäre es nicht schlimm. Wir rufen euch dann einfach zu Hilfe und hauen ihnen den Hintern voll. Vertrau mir einfach. Wenn Gosch allerdings fliegt, ist das nur ein Heli, der fällt weniger auf. Habe einfach etwas Vertrauen in mich."

Rudi holte tief Luft, sah mich kurz an und nickte dann.

"Also Detlef hier ist ein Einsatzplan. Hier ein Liste mit Sachen die wir brauchen und das, was du schnellstmöglich mit dem Oberst abklären müsstest. Das hier, solltest du Rashida bitten mitzubringen, die weiß, was das bedeutet. Das wär's erst einmal von meiner Seite. Hoffen wir nur, dass wir die finden, bevor die nach Russland abgehauen sind. Dann wird es richtig schwierig. Kläre diese Sachen bitte so schnell du kannst, mit dem Oberst ab, denn uns läuft die Zeit davon. Du findest mich vorn bei deiner Truppe. Ich mache mit denen das Taiji. Damit es den Jungs wieder etwas besser geht. Dir erkläre ich das Zwischendurch, wenn wir einmal Zeit haben, das geht jetzt nicht anders."

Fertig mit der ersten Lagebesprechung stand ich auf und ging nach vorn in den Bereitschaftsraum, in dem die beiden Teams laut schwatzend saßen. Ließ die drei Teamleiter völlig verwirrt zurück. Das war mir allerdings gar nicht bewusst. Die konnten einfach nicht fassen, mit welchem bestimmten Auftreten, ich das alles organisiert hatte. Ronny folgte mir sofort, da ja nicht drei Leute in einer Sache herum wurschteln konnten und überließ Detlef, das organisieren. Da dieser der Haupteinsatzleiter war. Ronny kam auf mich zugelaufen und zog mich erst einmal in seinen Arm.

"Na mein Engel, wie geht es dir?", wollte er von mir wissen.

"Gut und dir?", musterte allerdings in der Zwischenzeit die Jungs, die zum Glück wieder etwas besser aussahen, wenn auch noch lange nicht gut. "Sagt mal, warum nutzt ihr eigentlich, das schnelle Schlafen nicht? Ich kann das wirklich nicht verstehen."

Die Jungs sahen mich verlegen an.

"Weil wirklich, keiner von uns daran gedacht hat. Wir waren einfach nur fertig. Du kannst dir nicht vorstellen, was die letzten Tage hier los war", erklärte mir Acar, vom Beta Team. "Wir haben einfach nicht daran gedacht, wirklich nicht. Aber glaube mir, so schnell vergessen wir das nicht wieder", breit grinste er mich an.

"Das will ich auch stark hoffen. Verdammt nochmal, so könnt ihr nicht arbeiten. Ihr müsst immer darauf achten, dass es euch gut geht, sonst ist die Gefahr viel zu groß, dass ihr verletzt werdet. Das geht so überhaupt nicht", ernst sah ich die Jungs an.

Alle nickten betrübt und sahen mich verlegen an. Einige zogen ein ganz eigenartiges Gesicht.

"Ach ihr seid albern. Na kommt, ich zeige euch jetzt noch etwas. Dann geht es euch gleich wieder richtig gut. Ihr zieht bitte alles aus, bis auf die Turnhosen, räumt bitte mal die Tische zur Seite und macht vor allem die Fenster weit auf", gab ich genaue Anweisungen.

Kurz entschlossen ging ich an eins der Sofas, um ebenfalls meinen Overall auszuziehen. Mit keiner Silbe dachte ich mehr an die Hämatome, die ich noch am ganzen Körper hatte. Erschrocken sahen Ronny, aber auch die Jungs meinen immer noch ziemlich blutunterlaufenen Oberkörper.

"Um Gottes Willen, Engelchen, was ist denn mit dir passiert? Wer hat dir das denn angetan?"

Ich winkte nur ab. "Ist doch egal. Niemand hat mir etwas getan. Bitte, ich möchte jetzt im Moment darüber nicht sprechen. Vergesst einfach wie ich aussehe. Das wird auch nicht besser, wenn wir jetzt eine Stunde darüber diskutieren. Ich will darüber nicht reden, Ende in Gelände", würgte ich jede Diskussion ab.

Zum Glück, fragten sie nicht weiter nach. Alle zogen sie ihre Overalls aus, so dass wir alle in Turnhosen da standen. Rudi kam auch gerade nach vorn. Lachend zog auch er seinen Overall aus, stellte sich zu den anderen. Als die etwas sagen wollten, schüttelte er nur den Kopf. Die Blicke der Jungs sagten alles, man konnte in ihren Gesichtern lesen, was sie dachten.

"Es ist nur bedingt richtig, was ihr denkt", wies ich sie darauf hin, dass sie falsch lagen mit ihren Vermutungen. Sie wussten ja, dass mich Rudi gefunden hatte. "Fangen wir an. Stellt euch bitte in einem Block auf. So dass ihr mit ausgestreckten Armen, noch einen halben Meter Abstand zu einander habt", bat ich die Jungs darum, sich Bewegungsfreiheit zu lassen.

Mit den Worten "Sedoc Taiji sonde zurien, almech. - der Tag das Taiji, frei zu lassen", schaltete ich bei allen das Taiji frei.

Genau erklärte ich, wie die Bewegungsabläufe des Taijis gemacht wurden und brachte ihnen die Taijiatmung bei. Gleichzeitig korrigierte ich die Fehler, so dass sie es sofort richtig anwenden konnten. Nach einer reichlichen halben Stunde, hatten alle begriffen, wie das Taiji funktionierte.

"Dann los, bitte lasst uns damit beginnen eine Runde Taiji zu machen. Das hilft euch wieder zu Energie zu kommen. Atmet euch bitte ein."

Tief atmete ich mich in mein Qi, begann mit den einfachen Übungen, die Jungs folgten mir und steigerte sich langsam zu den schwereren Übungen. Nach neunzig Minuten, tauchte nicht nur ich erholt aus dem Taiji auf, sondern auch die Jungs. Lachend sah ich sie an und zog meinen Overall wieder über.

"Na wie geht es euch jetzt?", wollte ich wissen.

Mike vom Beta Team, kam auf mich zugelaufen, mit den Worten. "Bitte nicht umschmeißen", und hob mich hoch und gab mir einfach einen Kuss.

Verwundert sah ich ihn an. "Warum bekomme ich den denn?", ich konnte nicht begreife, warum mich von einem mir völlig fremde Kollege küsst wurde.

"Ach Kahlyn, einfach weil du uns gerade drei Wochen Urlaub verschafft hast. Wenn ich ehrlich bin, ich wusste vor zwei Stunde nicht, wie ich diesen Tag überleben sollte. Ich hatte schlimmes Herzrasen und mir war furchtbar schlecht, so müde war ich. Jetzt geht es mir wieder richtig gut", liebevoll streichelte er mir das Gesicht.

"Gern geschehen, nur hätte es euch gar nicht so schlecht gehen brauchen, wenn ihr nur ein einziges Mal euer Gehirn dazu genommen hättet", gab ich ihm frech zur Antwort.

Das brachte mir einen derben Knuffer ein, dem ich aus dem Reflex heraus auswich. Mike stolperte an mir vorbei und fing sich mit einer Rolle ab. Kopfschüttelnd stand er wieder auf.

"Ach manne, wann bleibst du einfach einmal stehen, wenn man dich knuffen will", schimpfte er mit mir lachend.

"Dann, wenn du so schwarze Haar hast, wie Conny. Aber da musst du wohl noch üben", konterte ich unbewusste, da ich in Gedanken versunken war.

Mir fielen gerade noch einige Varianten des Einsatzes ein. Die Jungs sahen sich gegenseitig an und fingen schallend an zu lachen. Verwirrt sah ich Rudi an, weil ich nicht wusste, was los war. Ich ließ es einfach darauf bewenden, sollten sie ruhig noch etwas lachen. Das Lachen würde ihn bald wieder vergehen.

"Dann kommt, lasst uns einmal kurz diesen Horroreinsatz besprechen. Setzt euch ich werde euch grob umreisen, um was es geht. Damit euch klar wird, auf was wir uns da wieder einmal eingelassen haben. Detlef weiß Bescheid, er ist am organisieren. Aber ich denke ich sollte euch seelisch auf diesen Einsatz vorbereiten, so dass ihr nicht einen ganz so großen Schock bekommt."

Die Jungs sahen mich erschrocken an und setzten sich aber gleich, um den Tisch herum.

"Also wir haben den Auftrag bekommen, wie nenne ich es am besten, eine Gruppe Rechtsradikaler oder Neonazis, aufzulösen. Gruppe ist eigentlich das verkehrteste Wort für solche Gruppen. Ich würde es eher als ein kleines Bataillon voller Hobbysoldaten nennen, die gern Krieg spielen möchten. Vermutlich besteht es aus mehreren Kompanien, die aus verschiedenen Bezirken Polens wie auch Deutschland und Russlands kommen und sich in einer Art Agitation-, Übungs- oder Trainingscamp zusammenschließen."

Die Gesichter aller zwanzig Teammitglieder wurden ernst und verloren schlagartig die Farbe. Ihnen fiel buchstäblich, das Lachen aus dem Gesicht.

"Ihr ahnt das Richtige. Wir werden ähnliche Bedingungen bekommen, wie in Himmelpfort. Nur haben wir hier einen großen Vorteil, wir kämpfen draußen. Unser größtes Glück dabei ist, dass die Leute in diesen Lagern nicht ganz so gut ausgebildet sind, wie die Leute von Friedrich. Die waren schon extrem. Außerdem müssen wir uns diesmal nicht in einem gesicherten und nach außen hin verbarrikadierten Höhlensystem, auf einen Zweifrontenkrieg einlassen", versuchte ich die Teams zu beruhigen, was mir leider nicht völlig gelang.

Ein Stöhnen ging durch die Reihe der Jungs. Sie taten mir richtig leid. Sie waren es nicht wie die "Hundert" gewohnt in solchen Dimensionen zu kämpfen. Deshalb versuchte ich sie etwas zu beruhigen.

"Ach Leute, was nutzt das Stöhnen, es ist wie es ist. Keine Angst, so schlimm wie in Himmelpfort wird es nicht. Dafür werde ich mit Hilfe von Rashida schon sorgen, das verspreche ich euch. Himmelpfort war nur deshalb so extrem schlimm, weil wir selber nicht den Ort des Geschehens wählen konnten. Bei diesem Einsatz und dem letzen Kampf, werden wir den Ort bestimmen und den Zeitpunkt, an dem wie kämpfen wollen. Rashida und ich haben da so unsere Möglichkeiten. Ihr müsst uns nur vertrauen. Also Kopf hoch", sprach ich ihnen Mut zu.

Verständnislosigkeit stand in allen Gesichtern geschrieben.

"Wie kannst du nur behaupten, dass es nicht wieder so schlimm wird wie in Himmelpfort? Kahlyn, es sind wieder um die tausend Leute, gegen die wir kämpfen müssen. Wenn ich ehrlich bin, das verkrafte ich nicht noch einmal", sprach Raphi wohl das aus, was die Anderen auch dachten. Seine Augen waren riesig groß und das Gesicht verlor alle Farbe. Es war das blanke Entsetzen, was ich auf seinem Gesicht sah.

"Raphi, habe ich dich schon einmal angelogen?"

Raphael schüttelte den Kopf, genau wie die anderen Kollegen.

"Ich versuche es euch einmal, kurz zu erklären. Wenn nicht alle Stricke reißen und wir in einen Hinterhalt hineinstolpern, dann wird es ein Kampf sein, der kurz und schmerzlos ist. Ich hoffe inständig, dass wir nur sehr wenigen, vielleicht sogar ohne Tote auf der Seite der Feinde, diesen Einsatz beenden können. Versprechen kann und will ich euch das aber nicht. Weil auch ich niemals alles vorausplanen kann. Sollten wir allerdings in einen Hinterhalt schlittern oder was weiß ich, von irgendeiner, von mir nicht bedachten Seite angegriffen werden, dann wird es mein und Rashidas Problem werden. Ich verspreche euch, dann halte ich euch komplett aus dem Kampf heraus. Glaubt ihr wirklich, ich würde euch so kurz hintereinander, ein zweites Himmelpfort zumuten. Ihr habt doch noch nicht einmal, das erste verkraftet. Glaubt mir eins, es wird ein harter, aber normaler Einsatz, ungefähr so, wie der mit Conny, im Drogenlabor. Also macht euch mal nicht, meinen Kopf heiß."

Rudi musterte mich lange und ausgiebig. Kämpfte einen schweren Kampf mit sich, dann musste er trotzdem fragen. "Kahlyn, bitte Kleene, was soll das denn schon wieder heißen?"  

"Was soll was heißen, Rudi?", hackte ich nach.

"Das es dein und Rashidas Problem ist, wenn wir in einen Hinterhalt geraden."

Ich lächelte ihm zu. "Das, was ich eben gesagt habe. Es wird nicht euer, sondern meins und das Problem von Rashida sein, deshalb will ich sie ja dabei haben. Vertraue mir einfach. Keine Angst, mir geht es hinterher nicht wieder schlecht. Wir sind doch solche Einsätze gewohnt. Leute, mein altes Team, hatte nur solche Einsätze. Komm Rudi, lass uns nicht jetzt schon wieder über Dinge diskutieren, die wir dann sowieso nehmen müssen, wie sie kommen. Akzeptiere sie einfach wie sie kommen, dann ist es für euch auch einfacher. Es zählt nur, dass wir siegen und niemand aus unserem Team verletzt wird, dass er stirbt", entschlossen beendete ich diese sinnlose Debatte über Dinge die man nicht ändern kann.

Detlef kam aus dem Büro und ich stand auf, um mir sagen zu lassen, was er erreicht hatte. "Na Detlef, konntest du den Oberst erreichen."

Detlef nickte und schüttelte jedoch gleich den Kopf. Entgeistert sah ich ihn an.

"Kahlyn, du möchtest bitte einmal nach hinten ans Telefon kommen. Ich war deinem Oberst wohl zu konfus. Der meinte ich würde reden als wenn ich besoffen wäre. Er blickt nicht durch, bei den Infos die ich ihm geben wollte", verlegen sah mich Detlef an, aber auch entschuldigend.

Der Teamchef des Delta Teams war völlig betrübt, weil er die Infos nicht verständlich rüberbrachte. Aber Detlef war immer noch dermaßen übermüdet, dass er einfach nicht geradeaus sehen konnte.

Im Laufschritt begab ich mich nach hinten ins Büro. Ließ Rudi und die anderen, einfach mit ihren Fragen stehen. So brauchte ich wenigstens nicht jetzt schon, über Fragezeichen zu diskutieren, auf die ich selber noch keine Antwort wusste. Es gab auch für mich immer wieder einmal Einsätze, die ich im Voraus nicht zu hundert Prozent durchplanen konnte und aus der Situation heraus entscheiden musste, wie ich vorgehen würde. Das würde ein solcher Einsatz werden. Es gab einfach zu viele unbekannte Faktoren, die ich jetzt noch nicht kannte und über die ich mir mit Rashida erst einmal Informationen einholen musste.

Aber, das war ich ja gewohnt, fast alle unsere vergangen Einsätze waren so gewesen. Wenn wir uns nur einmal auf die Aufklärung verlassen könnten, dann wäre ich glücklich. Die arbeiteten einfach aus einem völlig anderen Blickwinkel als wir. Es war jedes Mal das Gleiche, die Aufklärung arbeitete schlampig.

"Leutnant Kahlyn am Apparat", meldete ich mich vorschriftsmäßig, als ich den Hörer aufgenommen hatte.

"Kahlyn, hier ist der Oberst. Kannst du mir bitte einmal verraten, was um Himmels Willen, hast du dir da nur wieder ausgedacht, bei diesem Einsatz? Irgendwie, komme ich mit den wirren Informationen, von eurem Teamchef des Delta Teams in Gera, nicht wirklich klar. Bitte erkläre mir noch einmal verständlich, was du von mir willst", innerlich lachend hörte ich dem Oberst zu.

"Sir, oh je, entschuldigen sie bitte Sir. Da habe ich Detlef wohl völlig überfordert. Tut mir leid, sie wissen doch wie ich arbeite, Sir. Passen sie auf, folgende Dinge brauche ich…", aufs Genauste erklärte ich, mit kurzen knappen Sätzen, was ich vorhatte und was ich brauchte. "…Sir, sonst bringe ich die Jungs, da nicht heil heraus, Sir. Anders geht es wirklich nicht, Sir."

Der Oberst hatte mir genau zugehört. Vor meinem inneren Auge sah ich ihn, an seinem Schreibtisch sitzen und vor sich hin nickend Notizen machen. "Kahlyn, so gibt das alles einen Sinn. Was in Gottes Namen, war denn mit Detlef los? Der klang als ob er besoffen wäre und war völlig von der Rolle", wollte er lachend von mir wissen.

"Sir, die Jungs hier auf der Wache, fallen von einem schlimmen Einsatz in den nächsten. Die laufen völlig am Limit. Ich glaube Detlef kann im Moment, gar nicht mehr richtig geradeaus denken, so müde ist er, Sir. Er hat vorhin das erste Mal seit sieben Tagen geschlafen, Sir", verteidigte ich den Teamchef unseres Delta Teams.

"Ja Kahlyn, so hat sich das für mich auch angehört. Warum nutzen die Jungs denn das schnelle Schlafen nicht?"  

"Sir, weil die Teams so fertig waren, dass sie mit keiner Silbe mehr dran gedacht haben. Sie haben einfach vergessen, dass sie das jetzt können. Es ist wohl einfach noch zu neu und zu ungewohnt für sie. Es war keiner da, der sie daran erinnern konnte, Sir", machte ich den Oberst lachend klar.

Fast sofort ertönte sein schönes Lachen am anderen Ende der Leitung. "In Ordnung Kahlyn, gebe mir bitte eine Stunde, dann melde ich mich. Scheuch deine Jungs nochmals ins Bett, damit die wieder normal denken können."

Jetzt lachte ich auch. "Sir, das mache ich gleich, keine Sorge. Bis dann also. Ach klappt das mit Rashida, die brauche ich unbedingt bei diesem Einsatz, Sir", bat ich, um meine beste Freundin.

"Klar klappt das. Ach Kahlyn, willst du die beiden Teams von Simon auch dazu haben? Ich glaube das wäre bestimmt besser, da können wir auf die Mittarbeit polnischen Kollegen ganz verzichten", wies mich der Oberst extra noch einmal darauf hin, dass er wusste wie sehr ich es hasste mit den polnischen Kollegen zusammenzuarbeiten.

Es war nicht so, dass ich dieses Volk nicht mochte, nur hatten die polnischen Kollegen eine ganz andere Ausbildung als wir. Sie gingen vollkommen anders, an solche Probleme heran. Brachten dadurch allerdings, dass die Absprachen nie hundertprozentig klappten, meistens die gesamten Teams in Gefahr. Die Zahl der Toten war deshalb oft eine viel höhere, als sie eigentlich hätte sein müssen. Es hatte wirklich nichts mit der Nationalität zu tun, sondern nur mit der Sprachbarriere, die oft zu Missverständnissen führte. Noch schlimmer war es bei den russischen und rumänischen Kollegen. Deshalb zog ich es lieber vor, mit unseren eigenen Leuten zu arbeiten, denn die verstanden mich. Weil ich keinerlei Sprachkenntnisse hatte und ständig Dolmetscher brauchte. Selbst dann gab es immer wieder einmal Missverständnisse, nur diese konnte ich niemals alleine und ohne die Hilfe eines Dolmetschers klären.

"Sir, das wäre super, dann habe ich ausreichend Leute für ein V-Formation, ob wir sie nun brauchen oder nicht, Sir. Danke bis später, Sir", erleichtert legte ich auf und freute mich, dass der Oberst jetzt die Organisation in die Hand nahm.

Ich mochte seine Art der Organisation sehr, er dachte einfach in meinem Rahmen, dadurch wurde vieles einfacher. Wenn ich etwas übersah, fügte er es einfach mit ein. Genau, wie mir jetzt einfiel, dass wir alle Medi-Koffer brauchten. Er würde von sich aus daran denken, er kannte seit Jahren meine Vorgehensweise, bei solchen Einsätzen. Müde rieb ich mir den Nacken und drehte mich um, lief nach vorn zu den Jungs.

"So, das hätten wir jetzt auch geregelt. Also in etwa zwei Stunden weiß ich mehr. Ihr legt euch alle, sofort noch einmal hin. Ihr wisst, um was es in etwa geht. Eine erste Einsatzbesprechung mache ich in Augustow. Da habe ich dann alle Teams zusammen und muss nicht alles doppelt und dreifach erklären. Rudi, wenn du mitkommen willst, dann lege dich auch hin. Diese Sache ist nicht in einem Tag erledigt. Wir müssen die erst finden. Ach Rudi, sagst du bitte den Runges Bescheid, dass wir mindestens fünf bis sechs Tage weg sind, so dass die sich keine Sorgen machen. Also ab mit euch ins Bett, um 6 Uhr 30 also in drei Stunden, will ich euch hier wieder einigermaßen fit sehen. Ihr nutz das schnelle Schlafen. Ab mit euch ins Körbchen, ihr könnt morgen im Flieger quatschen. Detlef du bleibst, noch kurz hier", fordernd sah ich die Jungs an, die diesmal ohne Diskussion aufstanden und in Richtung Schlafsaal verschwanden.

"Also komm Detlef, zieh den Overall aus, ich zeige dir noch das Taiji, das hilft dir mehr, als wenn du zwei Stunden mehr Schlaf hast, dann legst du dich auch noch einmal kurz hin."

Ein zweites Mal ging ich zum Sofa, um meinen Overall auszuziehen.

Erschrocken sah mich Detlef an. "UM..."

Weiter ließ ich ihn nicht reden. "Nichts... UM...", äffte ich den Teamleiter nach. "Detlef, es sieht schlimmer aus, als es ist. Wenn alles schief läuft, sehe ich nach dem Einsatz wieder so aus oder besser gesagt noch schlimmer. Also nehme es so, wie es ist. Weder du noch irgendwer anderes, kann daran etwas ändern. Es sind Äußerlichkeiten, wir haben wichtigeres zu tun. Also höre mir jetzt lieber zu…", ohne auf seine Diskussion einzugehen, begann ich ihm zu erklären, wie das Taiji, die Taijiatmung funktionierte und schaltete das Taiji bei ihm frei. Wir waren gerade fertig mit dem Erklären, als das Telefon klingelte.

"Bleib hier Detlef, das ist der Oberst. Ich warte auf den Anruf", eilig lief ich nach hinten, ins das Büro der Teamchefs. "SEK 61 Gera, Leutnant Kahlyn am Apparat", melde ich mich wie gewohnt.

"Kahlyn schön, dass du gleich am Apparat bist. Also pass auf, ich schicke euch um 8 Uhr einen Truppentransporter, einen Mi 8. Da passt ihr alle rein. Der fliegt euch direkt bis nach Augustow. Ihr müsst unterwegs zwei Mal tanken, aber das weißt du ja besser, als ich. Das habe ich alles abgeklärt, die Piloten wissen Bescheid. Da musst du dich nicht drum kümmern, kannst also während des Fluges schlafen. Ihr bleibt in den Maschinen, auch beim Auftanken. Das habe ich alles mit den Piloten abgeklärt. Dass ihr in der Maschine bleibt, gefällt den Piloten zwar nicht, aber da müssen sie durch. Ich hab das damit begründet, dass die Jungs schlafen müssen. Gegen 15 Uhr so denke ich, haben wir alle Teams in Augustow zusammen. Deine Rashida kommt mit den beiden Teams von Simon. Ausrüstung bringe ich mit, nehmt warme Kleidung mit. In Augustow ist es sehr kalt, hat mir der Verbindungsoffizier extra gesagt. Für die Unterkunft und Verpflegung vor Ort ist gesorgt, auch werdet ihr von den Hubschraubern mit Robur LKWs abgeholt. Also entspanne dich und lege dich gleich auch noch etwas hin. Bereitest du die Einsatzunterlagen, für die anderen Teams mit vor?", wollte er von mir noch wissen.

"Sir, die habe ich schon fertig. Nur für das Simon Team, muss ich noch welche erstellen. Das dauert nicht lange. Wir müssen sowieso improvisieren, so wie sich das die Taktiker vorgestellt haben, wird das wieder einmal nicht funktionieren. Die sind nicht mehr dort, wo sie waren, vor allem sind die Hälfte der Leute Tod, wenn mir nach dieser Taktik vorgehen. Ich habe schon oft solche Truppen erlebt, die sind wandern. Aber das bekomme ich schon hin. Vor Ort schaue ich mir alles in Ruhe an und schreibe dann einen funktionierenden Einsatzplan, Sir so wie ich es immer mache. Da wir die Verbindung haben, ist das jetzt alles einfacher, Sir. Kann ich bitte den Gosch bekommen, Sir? Das würde vieles vereinfachen, Sir. Ach und ich werde alle Medi-Koffer brauchen, die sie finden können. Bitte bringen sie alles mit, was sie da haben, Sir."

Die schöne Lache vom Oberst erklang am anderen Ende der Leitung. "Mach dir keine Sorgen, Gosch ist schon unterwegs, auch hat er die Militärkennung überklebt, das habe ich abgesprochen, so dass er wie ein privater Heli aussieht. So kann er auch mal in die Nähe des Lagers fliegen. Wladyslaw meinte nur, dass ihr nicht wie ihm Chelm, alles kaputt machen sollt. Aber er hat gelacht. Der Oberstleutnant meinte, er weiß, dass ihr keine andere Möglichkeit mehr hattet. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er die ganze Sache damals abgekürzt. Nur kurz eine große Bombe auf die Stadt geschmissen, so hätte er das Problem gelöst. So viel Zeit wie ihr, hätte er sich nicht genommen", berichtete mir der Oberst lachend, von seinem Telefonat mit dem Verbindungsoffizier. Auch weil der Oberst genau wusste wie ich darauf reagieren würde.

"Sir, das war mir klar. So lösen die immer ihre Probleme. Aber es geht auch friedlicher. Na ja lassen wir das lieber Oberst, sonst rege ich mich nur wieder auf. Aber dieser Wladyslaw, ist ein sehr netter Kollege. Mit ihm arbeite ich immer gern zusammen, vor allem weil er sehr gut Deutsch kann. Kommt er wieder als Beobachter oder lässt er mir freie Hand, Sir?"

Wieder ertönte das herzhafte Lachen, des Obersts. Fleischer wusste nur zu genau, wie sehr ich es hasste, wenn mir jemand auf die Finger schaute und ich jeden Schritt erklären musste.

"Nein Kahlyn, es kommt niemand vorbei, um dir auf die Finger zu gucken. Du hast völlig freie Hand", erleichtert atmete ich aus. Na wenigstens etwas Positives.

"Sir, dem Himmel sei Dank, würde der Doko jetzt sagen. Das hätte mir bei dem Einsatz, gerade noch gefehlt. Also bis heute Nachmittag. Vor allem lobe, lobe. Nicht, dass sie sich wieder beschweren müssen, dass sie keiner lobt, Sir", neckte ich meinen Oberst ein wenig.

Ich wusste nur zu genau, dass Fleischer gerade einen verdammt harten Organisationsmarathon hinter sich gebracht hatte. Immer wieder wundert es mich, wie er in so kurzer Zeit, alles organisiert bekam. Auch, wenn er gute Beziehungen hatte, war das jedes Mal ein kleines Wunder. Etwas, dass viele gar nicht zu würdigen wussten. Durch die vielen Einsätze, die ich selber organisieren musste, wusste ich wie schwer, vor allem anstrengend das war. Lachend dankte mir der Oberst.

"Na meine Kleine, da danke ich dir aber sehr. Wenigstens du weißt meine Talente zu schätzen. Wir reden nach dem Einsatz noch einmal miteinander. Machen wir erst einmal eine Sache fertig. Als bis später dann", schon legte er auf.

Erleichtert ging ich nach vorn zu Detlef. "Es ist alles organisiert, Du kannst dann bis halb 7 Uhr schlafen. Um 8 Uhr werden wir in Leumnitz vom Flugplatz abgeholt. Denke bitte nachher mit dran, dass sich alle warme Sachen mitnehmen, es ist schon tüchtig kalt in Augustow. Komm wir machen eine Runde Taiji, dass du auch noch etwas schlafen kannst."

Ohne eine Antwort abzuwarten begann ich mich in mein Qi zu atmen und fing mit dem Taiji an. Nach anderthalb Stunden beende ich es und atmete aus. Fragend sah ich Detlef an, der nahm mich einfach in den Arm.

"Danke Floh, du hast mir wirklich das Leben gerettet. Ich konnte vorhin einfach nicht mehr klar denken. Am liebsten hätte ich mich hingesetzt und geheult, so fertig war ich. So beschissen ist es mir, eine Ewigkeit nicht mehr gegangen. Weißt du, was mich am meisten ärgert, dass wirklich keiner der Jungs, an das schnelle Schlafen gedacht hat."

Ich klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. "Tja Detlef, das ist nun einmal die Aufgabe des Teamleiters, an all das zu denken. Aber auch an die Dinge, an die die anderen nicht denken. Wir haben das schon manchmal ganz schön schwer. Die Anderen verlassen sich viel zu sehr auf uns. Aber, wenn du willst, gebe ich dir einmal ein paar Tipps wie du das ändern kannst. Aber jetzt lege dich erst einmal hin, wir werden nicht mehr viel zum Schlafen kommen, in den nächsten Tagen. Da zählt jede Minute. Vergesse nicht das schnelle Schlafen zu nutzen", stichelte ich bei Detlef ein wenig.

Energisch schob ich ihn in Richtung Schlafsaal. Gemeinsam betraten wir ihn und legten uns sofort hin, die Uhr über der Tür zeigte 5 Uhr 28 also hatten wir noch ein Stunde.

An Detlefs gleichmäßigen Atemzügen, die ich nach einer Minute hörte, merkte ich, dass er das schnell Schlafen nutzte. Ich konzentrierte mich auf die ruhige Atmung der Anderen, so schlief ich auch nach einigen Atemzügen, tief und erholsam. Nach fünfundfünfzig Minuten wachte ich erholt auf und ging nach vorn in die Dusche. Ich genoss noch einmal die Möglichkeit ausgiebig zu duschen. Da ich nicht einschätzen konnte, ob ich in den nächsten Tagen noch einmal dazu kam. Damit fertig öffnete ich meinen Spind, cremte mich ein und zog aber nur den Overall an. Da ich erst noch frühstücken wollte. Kurz vor 7 Uhr erschien ich als eine der Letzten am Frühstückstisch. Erfreut stellte ich fest, dass sich alle sichtbar erholt hatten. Wenn sie heute Nacht noch einmal richtig schliefen, waren sie morgen wieder alle fit.

"Guten Morgen ihr Schlafmützen", begrüßte ich alle lachend.

Bekam von allen ein ausgeschlafenes Hallo zurück, was mich freute. "Na dann lasst es euch mal schmecken. Rudi, bitte sei so lieb, lass bitte alle Medi-Koffer von Doko Karpo holen. Du weißt ich mag es nicht, so knapp zu sein."

Rudi sah mich lachend an, stand kurz auf, um das mit der Wachstube abzuklären.

Simon der Koch des Delta Teams sah mich fragend an.

"Simon ich würde gern vierhundert Gramm haben."

Als Raphi mich verwundert ansah, da ich ja sonst immer nur maximal zweihundertfünfzig Gramm gegessen hatte, lachte ich los.

"Tja Raphi, ich muss etwas mehr essen in Augustow ist es arg kalt, es sind nur noch minus 10°C dort. Also nehmt euch die Thermounterwäsche mit, warme Jacken, Handschuhe und vor allem dicke Socken. Ich kenne die Region, es geht dort oft ein sehr kalter Wind", im gleichen Augenblick bekam ich meinen Brei vorgesetzt und begann zu futtern.

"Simon, bitte stecke zwei Dosen mit Nahrung ein, damit Rashida und ich dort was zu essen haben", bat ich zwischen zwei Löffeln. "Leute beeilt euch bitte um 8 Uhr müssen wir auf den Flugplatz sein. Es werden alle Waffen mitgenommen, Nah wie auch Fernkampfwaffen. Wir wissen nicht, was uns dort erwartet. Vor allem, vergesst eure Pflegesets nicht", gab ich noch letzte Anweisungen.

Kaum, dass ich fertig war mit essen, stand ich auf und rief den Jungs schon im Weglaufen über die Schulter zu. "Wenn ihr mich sucht ich bin hinten, die Einsatzpläne schreiben."

Lief nach hinten in das Besprechungszimmer, in dem noch die Unterlagen lagen, machte für Simons Teams auch noch zwei Einsatzpläne fertig. Damit fertig, kehrte ich zu den Spinden zurück, es war erst 7 Uhr 32. Also konnte ich mich ganz in Ruhe anziehen und meine Ausrüstung zusammenpacken. Den Nahkampfanzug die Schuhe waren schnell angezogen. Den Overall zog ich darüber und nahm mir allerdings die Stiefeln zum Anziehen. Legte die Gurte um und rüstete mich aus. Die Schwerter und auch die Waffen ließ ich allerdings in den Kisten, dort wurden sie schonender transportiert. Nur fünf Minuten später war ich fertig. Erfreut stellte ich fest, dass wirklich alle fertig waren, kontrollierte, dass sie warme Sachen mithatten, beziehungsweise, schon anhatten. Hagen und René schickte ich noch einmal zum Spind, weil sie nur normale Schuhe trugen, so dass sie zu den warmen Stiefeln wechselten. Sie würden es mir später danken. Es gab nichts Schlimmeres, als irgendwo lange zu stehen und dadurch kalte Füße zu bekommen. Zufrieden stellte ich fest, dass alle viel besser aussahen. Also gab ich das Signal zum Aufbruch. Ich war mir gar nicht bewusst, dass ich einfach die Einsatzleitung übernommen hatte. Denn eigentlich wäre der Befehl zum Aufbruch, Detlefs oder Rudis Aufgabe gewesen.

"Also los, fahren wir zum Flugplatz", gab ich den Befehl zum Aufbruch.

  

Zusammen gingen alle runter in den Hof und zu den Einsatzfahrzeugen, die uns nach Leumnitz auf den Flugplatz brachten. Diesmal fuhren zwei der Wachtmeister die Busse, da ich nicht wollte, dass diese so lange unbewacht auf dem Flugplatz herumstanden. Wir konnten rechtzeitig Bescheid geben, dass man uns dann wieder abholte. Ich rechnete mit fünf bis sechs Tagen, die wir weg sein würden. Es war eine lockere Stimmung im Bus, das war gut. Rudi der sich neben mich gesetzt hatte, sah mich lachend von der Seite an.

"Was ist Rudi?", wollte ich wissen.

"Eigentlich nichts, meine Kleene. Nur wie du auf einmal drauf bist, finde ich bewundernswert. Wo hast du nur die kleine scheue Ich-trau-mich-nicht Kahlyn gelassen? Haben wir die in der Schule etwa in den Spind eingesperrt oder in den Wäscheschacht geschmissen und nicht wieder mitgenommen", alberte er herum.

Ich nickte. Irgendwie hatte er recht, seit dem ich aus der Schule zurück war, sah ich viele Dinge mit ganz anderen Augen. Ich glaube, ich hatte endlich akzeptiert, dass ich hier her gehörte.

"Kann schon sein Rudi. Weißt du, ich war schon immer sehr vorsichtig und konnte Veränderungen nur sehr schwer annehmen. Ich weiß nicht, warum das so ist. Die anderen der Hundert, die nahmen es immer, wie es war. Ich habe schon immer, alles in Frage gestellt. Ich war schon immer anders, als die Anderen. Aber ich denke, das hat mich auch immer irgendwie, ausgezeichnet. Wahrscheinlich bin ich deshalb schon so lange Teamleiter, weil ich halt auf Dinge achte, die anderen entgehen."

Rudi wuschelte mir die Haare. "Da hast du Recht. Aber sag mal, wie geht es dir?"

Verlegen sah ich auf meine Hände. "Wenn ich an den Einsatz denke, richtig schlecht. Rudi, wir werden dort die Ginos rufen müssen. Ich glaube nicht, dass uns das erspart bleibt. Aber mal eine andere Sache, hast du bei den Runges Bescheid gesagt, dass wir länger weg sind, frisst Struppi etwas?"

Rudi sah mich entsetzt an. "Warum lenkst du gleich wieder a …?"

Ich unterbrach ihn. "Rudi, ich lenke nicht ab. Ich wollte dich nur vorwarnen. Damit du dich jetzt schon darauf einstellen kannst. Bitte, diskutiere darüber nicht mit mir. Rashida und ich, wir sind nur zu zweit, wenn wir in einen Hinterhalt geraten, bekommen wir euch anders nicht heraus. Ich wollte es dir nur sagen, damit du dann keine Panik bekommst. Wenn ich sie rufen muss, Rudi, dann werde ich sie auch rufen. Sonst mache ich das sowieso nicht. Ich tue mir das bestimmt nicht, zum Spaß an."

Rudi nickte betrübt und drückte mich ganz lieb. "In Ordnung meine Kleene, aber wirklich nur im Notfall, bitte", flehentlich sah er mich dabei an.

Ich streichelte ihm das Gesicht, sagte nichts dazu, denn ich wollte ihn nicht anlügen. Lächelte ihn aber beruhigend an, das schien ihn zu genügen.

"Dann ist es gut. Struppi frisst und spielt mit Stromer. Ich habe vorhin noch einmal bei den Runges angerufen, er läuft zwar immer mal wieder zu deinem Zimmer. Er scheint allerdings zu denken, du schläfst. Er nimmt es nicht wieder so tragisch. Die Runges wissen Bescheid, dass wir ein paar Tage nicht da sind. Ich habe schon meinen Anpfiff, von Jo weg", gestand er mir, aber er lachte, was mich wieder beruhigt.

Ich genoss einfach nur seine Nähe. "Wieso das denn? Was wohl John macht?", erkundigte ich mich so ganz nebenher, als Rudi sein Gespräch mit Acar beendet hatte.

"Na ja, weil wir in unseren freien Tagen, einen Einsatz machen. Das gefällt ihm gar nicht. Aber, was soll's, da muss er wohl durch. John ist ein paar Tage weggefahren. War ganz traurig, als er gestern Abend anrief. Er wollte dich mitnehmen. Aber er meinte, dann halt beim nächsten Mal. Ich soll dich lieb Grüßen."

"Weißt du, wie es ihm geht, Rudi?", erkundigte ich mich.

"Wie er meint, geht es ihm wieder richtig gut. Er hat wohl mit Himmelpfort abgeschlossen."

Erfreut schielte ich zu Rudi hoch. "Dann bin ich aber froh. Wenn ich ehrlich sein soll, ich begreife wirklich nicht, wieso euch das so zu schaffen macht. Liegt es daran, dass ihr sonst immer nur, entschuldige ich weiß nicht wie ich es sonst nennen soll, kleine Einsätze hattet", neugierig sah ich hoch zu ihm.

"Na ja, das kann schon sein, Kleene. So wie ich das jetzt sehe, haben wir gegen euch, nur ruhige Einsätze gehabt. Keine Ahnung, warum wir auf einmal nur solche, Großeinsätze bekommen. Ich versteh das ehrlich gesagt nicht."

Ich schon, mir ging seit gestern so ein Gedanke durch den Kopf, der mich nicht mehr los lassen wollte. Lange überlegte ich, ob ich diese Gedanken äußern konnte. Ich war aber der Meinung, dass ich es tun musste. Es wäre meinen Freunden gegenüber unfair.

"Rudi, ich denke es liegt an mir. Die Einsätze werden doch von ganz oben verteilt und sind eigentlich Regional gebunden. Allerdings bekommt ihr seit dem ich bei euch bin, ständig Einsätze die nicht in eurem eigentlichem Einsatzgebiet liegen. Deshalb kam mir der Gedanke, dass man diese Einsätze, wegen mir zum SEK 61 umleitet. Weil sie wissen, dass ich dort bin. Vielleicht sollte ich mal mit dem Oberst darüber reden, weil ich das so nicht richtig finde. Es ist doch so, dass es die Todesschwadron jetzt nicht mehr gibt. Ich habe das Gefühl die wollen, das SEK 61 zu einer neuen Todesschwadron umfunktionieren. Das kann und werde ich nicht zulassen. Es macht euch kaputt. Ich komme ja klar damit, aber ihr nicht", grübelnd starre ich an die Decke des Helikopters. Ich konnte mir nicht helfen, aber es war einfach auffällig.

Rudi schüttelte den Kopf. "Kleene mach dir da mal keinen Kopf. Wir haben immer mal so eine Zeit, wo ein Einsatz den nächsten jagt. Das wird wieder ruhiger. Das liegt bestimmt nicht an dir. Auch, wenn es so wäre, mit dir haben wir ja eine Chance, heil durchzukommen. Das hast du jetzt schon mehrmals bewiesen. Aber eine andere Sache, muss das mit den Ginos wirklich sein?"

Ronny der sich gerade in den Gang vor uns, in den Schneidersitz gesetzt hatte, sah Rudi fragend an.

"Rudi, was sein muss, muss sein. Ob es mir nun gefällt oder nicht. Die Sicherheit von euch geht einfach vor."

Ronny sah mich zweifelnd an. "Was ist mit den Dinos? Was haben Dinosaurier, mit dem Einsatz zu tun?", völlig irritiert sah er mich an.

Da fing Rudi schallend an zu lachen, auch ich bekam mich nicht mehr ein, so dass die anderen zu uns sahen. Ich musste so lachen, dass mir die Tränen aus den Augen liefen. Ronny sah Rudi und mich, immer verwirrter an. Immer wieder wollte ich damit beginnen etwas zu sagen, allerdings kam immer wieder das Lachen hoch. Mühsam atmete ich mich herunter, so dass ich wieder normal denken konnte.

"Ronny, doch keine Dinosaurier und auch keine Dinos. Die sind doch ausgestorben. Das heißt Ginos", versuchte ich ihm zu erklären, immer noch mühsam gegen das Lachen ankämpfend, das immer wieder hochkam.

"Na ja, dann halt Ginos, was ist das denn? Und wie kann man die rufen", wollte er nun noch irritierter wissen.

Langsam wurde ich wieder ernst und zog die Füße auf den Sitz. Sollte ich jetzt schon darüber reden? Ich war mir nicht ganz sicher. Aber im Endeffekt spielte es keine Rolle, wann ich es tat. Wir hatten noch fast fünf Stunden Zeit, also konnte ich das auch gleich machen. Dann wusste wenigstens mein Team Bescheid. Ich hoffte sehr, dass der Oberst, Conny und Rashida den Flug ebenfalls nutzten, um auch mit ihren Teams darüber zu sprechen, dann würde es im Einsatz einfacher werden. Angespannt, rieb ich mir das Genick.

"Ich denke da sollten alle zuhören, dann muss ich es dann, nicht noch einmal erklären", wandte ich mich an Rudi, der nickte.

"Jungs hört bitte aller Mal kurz der Kleene zu, die muss euch für den Einsatz etwas erklären. Es ist wichtig, damit ihr dann nicht erschreckt", gab Rudi den Befehl an alle weiter.

Also sahen mich alle an.

"Ronny, setz dich bitte einmal auf meinen Platz. Ich rutsche in die Mitte. Dann brauche ich nicht so zu brüllen." Ich tauschte den Platz mit Ronny. "Es ist folgendes, ich hoffe ihr mögt mich dann noch. Aber ich denke, ich werde die Ginos bei diesem Einsatz brauchen."

Verständnislos sahen mich die anderen an. Raphi der gleich etwas fragen wollte, wurde von mir zum Schweigen gebracht.

"Wartet doch einmal einen kleinen Moment. Ich erkläre es euch ja sofort", fuhr ich böse auf, weil er dazwischen quatschen wollte. "Es ist doch so, wie ihr wisst, ist bei mir einiges anders…"

"Du hast andere Augen, kannst schneller rennen und springen, na und?", unterbrach mich Raphi, wie immer der Schnellste in seinen Äußerungen.

"…verdammt nochmal, könntest du mich einmal ausreden lassen, dann könnte ich es erklären Raphi", wies ich ihn zu Recht.

Der Kollege atmete erschrocken aus. "Entschuldige Kahlyn, ich halte schon den Mund", verlegen zog er den Kopf zwischen die Schultern.

"Schon gut, ist nicht schlimm, aber es wäre schön, wenn ich das hintereinander erklären könnte. Mir fällt das sowieso immer schwer."

Alle nickten mir aufmunternd zu.

"Also, wie ihr wisst ist bei mir ja einiges anders. Ich kann nicht nur schneller laufen, höher springen, schneller schwimmen als ihr. Sondern es gibt noch viele andere Dinge, die bei mir besser ausgeprägt sind. Ich denke meine Augen sind schon ein Beweis, dass ich nicht rein menschlich bin. Der Optiker meinte, ich hätte Facettenaugen. Also Augen wie sie eigentlich nur Insekten besitzen. Wie ihr wisst, hat man tüchtig mit unseren Genen, herumexperimentiert. Dadurch ist das halt so."

Nervös rieb ich mir den Nacken. Es war immer so schwer, über dieses Anderssein zu sprechen. Beim Oberst hatte ich den Gino schon einige Male rufen müssen, aber das erste Mal, war es genauso schlimm, wie hier.

Detlef der merkte, dass ich für einen schweren Kampf mit mir kämpfte und kam auf mich zu, hockte sich zu mir. "Kahlyn, egal was ist, du musst keine Angst haben, wir werden dich immer mögen. Du bist viel zu wichtig für uns, als dass wir dich wegen so einer Kleinigkeit, von uns wegstoßen."

Ich war mir sicher, dass er das so meinte. Nur gab es leider Dinge, die sich ein normaler Mensch, so nicht vorstellen konnte. Rudi griff nach unten streichelte mein Gesicht. Er konnte sich gut vorstellen, wie schlimm das für mich sein musste.

"Kleene, soll ich es den Jungs erklären?", wollte er mir helfen.

Ich schüttelte den Kopf. "Nein, ich sollte das selber machen, gebt mir einfach ein wenig Zeit, das ist nicht so einfach für mich. Wisst ihr, es ist schwer einen Menschen etwas zu erklären, was er nicht kennt. Was er sich nicht einmal in seinen ärgsten Träumen nicht vorstellen kann."

Rudi nickte, wenn er ehrlich sein sollte, musste er zugeben, dass er nicht wüsste wie er das erklären sollte, was er am Baum der Kinder erlebt hatte.

"Wie gesagt es ist so, dass wir vermuten, dass man tierische DNA in unsere Gene gemischt hat. Diese Gene werden, unter akuten Stress aktiv. Mit der Zeit haben wir aber auch gelernt dieses eine bestimmte Gen bewusst zu rufen. Die Auswirkungen sind die Gleichen, beide Male haben wir wirklich extreme Schmerzen und durchlaufen verschiedene Zyklen der Verwandlung. In dem sich unser gesamter Körper verändert. Aber nicht nur unser Körper, sondern auch viele unserer Körperfunktionen, stellen sich auf dieses andersartige Gen ein", nervös rieb ich mir mein Genick.

Ich wusste sehr genau, dass es wieder einige geben würde, die sich von mir abwandten. Aber da musste ich durch.

"Wie dein Körper verändert sich?", wollte Raphi jetzt von mir wissen.

"Wir nennen uns selber dann Tiergestalten. In unserer Sprache heißt das, Gino, genetisch instabile Organismen. Da wir die Gestalten, als solches, nicht beeinflussen können. Es ist so, dass meine Knochen sich in meinem Körper verschieben, sie ordnen sich völlig anders an", genervt holte ich Luft. "Hat jemand von euch einen Stift dabei? Ich kann das schlecht erklären", fragte ich kurzerhand.

Es ließ sich besser aufzeichnen, als erklären. Ronny griff in seine Jacke und holte einen Stift heraus. Ich griff unter meinen Sitz, holte meinen Ordner hervor, in dem die Einsatzpläne abgeheftet waren. Dort hatte ich noch einige leere Blätter, eins holte ich mir jetzt heraus. Kurz entschlossen zeichnete ich zwei Ginos auf, nämlich Rashida und mich. Die als Gino eine ganz andere Gestalt annahm, wie ich. Nach zehn Minuten etwa, hatte ich die Zeichnung fertig. Rudi schüttelte den Kopf.

"Was ist Rudi, stimmt etwas nicht?", fragte ich ihn.

Rudi kämpfte schwer gegen seine Emotionen, dass er erst einmal nicht antworten konnte. "Kleene, es stimmt genau, was du gezeichnet hast. Nur war mir nicht bewusst, dass du weißt wie du aussiehst, nach der Verwandlung."

Ronny sah Rudi entsetzt an. "Wie du hast das schon erlebt?"

Rudi nickte traurig, sah mich aber lächelnd an. "Ja Ronny, ich habe es schon zweimal erlebt. Das erste Mal habe ich es nur gefühlt und das zweite Mal habe ich es mit ansehen müssen. Es ist einfach grauenvoll, was man den Kindern angetan hat. Kleene, ein Frage habe ich an dich, damals an eurem Baum, hast du da geschrien aus Wut oder aus Schmerz." Ängstlich blickte er mich an.

Verschämt sah ich auf meine Finge und begann nervös zu spielen. "Erst aus Wut, dann vor Schmerzen. Es kam zu plötzlich, ich konnte es nicht mehr steuern. Es war einfach keine Zeit mehr, dass ich es hätte kontrollieren können."

Rudi beugte sich zu mir herunter und gab mir einen Kuss auf die Stirn. "Das glaube ich dir gern."

Die Jungs starrten mich an, dann Rudi.

"Bitte, ich will nicht mehr darüber sprechen. Ich bin froh, dass ich diese unsagbare Wut, wieder einigermaßen unter Kontrolle habe. Bitte, lasst uns über den Einsatz reden, das ist viel wichtiger. Das andere ist vorbei. Das können wir sowieso nicht mehr ändern. Nur das, was vor uns liegt, können wir beeinflussen", ernst sah ich die Jungs an, die immer noch nicht richtig begriffen hatten, was ich ihnen mit dieser Zeichnung sagen wollte.

"Also, wenn ich die Ginos rufe, so nennen wir das, wenn wir bewusst in die Verwandlung einer Tiergestalt gehen, dann werden die Gene kontrolliert aktiviert. Ich kann selber bestimmen, in welcher Zeit ich die Verwandlung durchlaufe. Wir setzen uns vorher eine Spritze, die verhindert, dass wir die Kontrolle verlieren."

Ein erschrockener Ausruf von Rudi, unterbrach mich wieder. "Nein Kleene, das lass ich nicht schon wieder zu. Du spritzt dir nicht schon wieder, dieses Höllenzeug."

Wütend sah ich ihn an und fauchte ihm die ersten Wörter regelrecht entgegen, bis ich wieder einigermaßen die Kontrolle über mich hatte. " PFFCH! … Pfch! ...", tief atmete ich durch, um überhaupt sprechen zu können. "... pffch ... es geht nicht anders", nochmals schloss ich die Augen, um mich zu beruhigen und atmete tief in mein Qi. "... wenn ich das nicht mache...", sprach ich mit einem Zittern in der Stimme der man die unterdrückte Aggressivität anmerkte. "...kann ich es nicht kontrollieren. Verdammt nochmal Rudi, mache es mir doch nicht noch schwerer als es sowieso schon jedes Mal ist. Ob es dir gefällt oder nicht, ich muss es tun", langsam beruhigte ich mich wieder und mein Atem ging ruhiger. "Keine Angst, ich spritze mich diesmal nicht so hochdosiert, sondern nur drei oder vier Einheiten. Je nachdem, wie ich gut oder schlecht ich in diesem Moment psychisch drauf bin. Es kommt auf meinen psychischen Zustand an. Wie hoch ich diese Dosierung wählen muss. Also je weniger Stress ich habe, umso geringer ist die Dosierung und dadurch sind die Auswirkungen auch nicht so schlimm."

Rudi raufte sich verzweifelt die Haare, als er noch etwas sagen wollte, schüttelte ich den Kopf. "Rudi bitte, lass uns nicht über Sachen diskutieren, die sinnlos sind. Es gibt Sachen die man tun muss, das weißt du als Teamleiter doch genau. Einfach um zu verhindern, dass etwas außer Kontrolle gerät, um zu verhindern, dass jemand aus deinem Team stirbt. Es geht nicht anders. Die einzige Möglichkeit die sonst bleibt, ist der Kampf. Aber sei dir darüber im Klaren, dass der schlimmer wird als Himmelpfort, wir sind nur zu zweit. Ich garantiere dir eins, zum Ende des Kampfes, brechen die Ginos dann unkontrolliert aus, weil wir irgendwann einfach keine Kraft mehr haben. Deshalb sonst verlieren würden. Also kontrolliere ich die Sache doch lieber, von Anbeginn an. Ende der Diskussion", sagte ich in einem keinen Widerspruch zulassenden Ton und sah ihn dabei ernst an. Zum Glück bekam ich ein Nicken von ihm, er hatte es begriffen. "Also noch mal, wenn ich darum bitten darf, ohne, dass ich ständig unterbrochen werde, denn das nervt mich. Wenn ich die Ginos rufe im Kampf, so nennen wir die kontrollierte Verwandlung, verändert sich mein gesamter Körper. Jeder aus meinem alten Team, hat diese Möglichkeit. Es ist das allerletzte Mittel, das wir anwenden. Erst, wenn wir die letzte Option, den Tot unserer Gegner ausgeschöpft haben und trotzdem noch in die Enge getrieben werden, dann rufen wir normalerweise die Ginos. Ihr müsst euch das so vorstellen. Jeder einzelne Knochen in eurem Körper, rutscht an eine andere Stelle. Bei mir ist es so, dass die Wirbelsäule sich zu einem Buckel krümmt, dann rollen sich die Zehen der Füße ein, so dass die Hinterläufe eine Art Tatze bilden. Die Schultern klappen nach unten und die Halswirbelsäule krümmt sich nach hinten. Aus meinen Händen kommen Krallen, die fast zehn Zentimeter lang sind, aber scharf wie Rasierklingen sind. Ich kann dann nur noch auf allen Vieren laufen. Dann begradigt sich meine Wirbelsäule wieder und fällt ins Hohlkreuz. Mein ganzes Gesicht verformt sich, es wird schmaler und länger, der Hinterkopf wird spitz, das Kinn länger, die Jochbeine verschieben sich. Zum Schluss sehe ich dann, aus wie auf dem Bild. So sieht Rashida, meine Freundin dann aus", ich zeigte auf die beiden Bilder. "Wenn ihr denkt, wir sind so schon gefährlich, dann stellt euch das zehnmal so stark vor. So sind die Ginos. Sie sind unbesiegbar. Wenn wir uns zu Ginos verwandelt haben, erreicht uns keine Kugel, kein Schlag. Wir töten alles, was uns angreift. Das schlimme an dieser Verwandlung, sind nicht nur die ungeheuren Schmerzen. Sondern vor allem die Tatsache, dass wir egal, ob wir uns unkontrolliert oder kontrolliert verwandeln, alles mitbekommen. Wir hören noch besser, riechen noch besser, schmecken noch besser. Das Einzige was schlechter wird, ist das Sehen. Wir sehen dann nur noch thermisch. Wir können in der Verwandlung keine Gesichter mehr erkennen, sondern sehen nur noch das Leuchten eines Körpers, wie Wärme und Kälte, Stress und Ruhe, Hass und Liebe, Angst, Panik, Grauen  und Mut, Freude, Tapferkeit. Ich kann euch das nicht so genau erklären, aber ich sehe dann genau, was ihr fühlt. Je nachdem wie ihr fühlt, verändert sich eure Farbabstrahlung. Ihr seid dann mit einer Aura umgrenzt, nur dadurch kann ich euch dann erkennen."

Verzweifelt versuchte ich mich zu beruhigen und ging in die Taijiatmung, um die unkontrollierte Wut in den Griff zu bekommen. Hier drinnen war es eng, ich durfte nicht zulassen, dass es mich hier unkontrolliert überfiel. Lange atmete ich im Taiji. Bemerkte den besorgten Blick von Rudi, der wohl ahnte, dass ich kurz davor stand, die Kontrolle zu verlieren. Der dafür sorgte, dass man mich in Ruhe ließ. Ganz langsam beruhigte ich mich wieder.

"Danke", flüsterte ich ganz leise.

Rudi atmete erleichtert aus.

"Es ist in unseren Anfangsjahren, nicht nur einmal vorgekommen, dass wir unkontrolliert Jagen gingen. Die Mauern in unserer Schule sind aus guten Grund so hoch, und fünf fach gesichert. Es gibt zusätzlich zu dem Stacheldraht noch fünfzehn Meter lange elektrisch geladene Speere, die ausgefahren wurden, wenn einer von uns ausgebrochen war. Damals hat das etwas genutzt, so war die Mauer dreißig Meter hoch. Wir waren damals erst ein oder zwei Jahre alt. Wir hatten damals noch eine Heidenangst vor Stromschlägen, weil man versucht hatte, uns mit Elektroschockern zu bändigen, als wie noch ganz klein waren. Heute würden diese Mauern, niemanden mehr schützen. Als Gino springen selbst Jaan und Rashida, die schwersten meines alten Teams, über eine Mauer von fünfundfünfzig Meter, ohne sich groß anzustrengen. Wenn wir zuschlagen, bleibt nichts mehr dort, wo es mal war. Fragt Rudi, er hat es zweimal erlebt. Das erste Mal hätte ich ihn, in dem unkontrollierten Anfall fast getötet. Beim zweiten Mal, hätte eine falsche Bewegung genügt, um eine Katastrophe auszulösen. Nur gut das Doko dabei war, der John, Jo und Rudi sagte, sie sollen sich kleine machen, vor allem ruhig sein. Es ist wichtig, dass keiner von euch, auf uns zu kommt. Solange wir Ginos sind, verhaltet ihr euch ruhig, bleibt wo ihr seid und rührt euch nicht. Bewegungen heißen für uns in diesen Momenten immer Angriff. Wir gehen sofort auf Verteidigung, das können wir nicht beeinflussen. Seid ihr nicht ruhig, seid ihr tot. Vor vielen Jahren, haben einige vom Wachpersonal, versucht mich einzufangen, als ich ein Gino war. Ich war damals glaube ich, drei oder vier Jahre alt. Ich habe damals fünfzehn von den achtzehn Leuten, innerhalb von einer halben Minute, sehr schwer verletzt. Zum Glück konnte ich sie alle retten. Aber es war verdammt knapp. So knapp, wie bei dir Rudi. Also, wenn wir Ginos sind, lasst uns in Ruhe, egal wie wir schreien, keiner kommt zu uns. Vor allem, bei der Rückverwandlung. Wir kommen zu euch, wenn wir es wieder unter Kontrolle haben. Versprecht mir das, sonst mache ich den Einsatz von Anfang an, nur mit Rashida alleine."

Ernst sah ich die Männer an. Das Bild, was ich gezeichnet habe, wanderte immer noch durch die Reihen der Männer.

Passy vom Delta Team, stand auf und kam auf mich zu, hockte sich zu mir hin. Er war mit seinen hundertsiebenundneunzig Zentimeter, einer der Größten im Team, ein gut durchtrainierte, sehr muskulöser Kollege, mit blonden dichtem Haar und wunderschönen braunen Augen, die einen eigenartigen Kontrast bildeten. Der nicht nur sehr zurückhaltend war, sondern wenn er einmal etwas sagte, immer den Nagel auf den Kopf traf. Er gehörte allerdings mit seinen siebenunddreißig Jahren zu den erfahrensten Kämpfern, im Team von Detlef. Verwundert sah ich zu ihm hoch, da ich mit ihm noch nicht ein Wort gesprochen hatte. Passy war eher der Schweigsame, ein Kollege der nie auffiel. Weder positiv noch negativ, man nahm ihn wahr, doch hörte und sah man ihn kaum.

"Darf ich dich mal in den Arm nehmen, Zwerg?"

Ich ging auf die Knie, damit ich ein Stück größer war. Er nahm mich in den Arm und drückte mich ganz lieb. Nachdem er mich wieder losgelassen hatte, sah ich ihn mit schiefgehaltenen Kopf an.

"Du verstehst nicht, warum ich dich jetzt in den Arm genommen habe?"

Ich nickte.

"Das hat drei Gründe. Erstens, weil ich es sehr befriedigend finde, dass du jetzt so offen zu uns redest. Zweitens, weil du bereit bist diese Verwandlung auf dich zu nehmen, um uns zu schützen. Zum dritten weil du mir leid tust. Ich kann nicht verstehen, wieso es Menschen gibt, die euch so etwas angetan haben. Ich finde es ist unmenschlich und grausam. Egal, was ist. Kahlyn, du wirst immer meine kleine Freundin sein. Ich denke es wird allen hier so gehen. Vielleicht trauen sich viele nicht, das so offen wie ich zu sagen. Möglicherweise erschrecken sich auch einige, wenn sie dich das erste Mal als Gino sehen. Aber glaube mir, das hat nichts mit dir zu tun. Sondern einfach nur damit, weil wir nicht begreifen können, wie man euch so etwas Grausames antun konnte. Das musste ich dir jetzt einfach mal sagen. Du hast mir in den zwei Monaten schon so viel gegeben, jetzt musste ich dir einmal etwas zurückgeben. Das ist sonst einfach unfair", er gab mir einen Kuss auf die Stirn und streichelte über mein Gesicht.  

Passy stand wortlos auf und ging zurück zu seinem Platz. Irritiert sah ich zu Rudi. Nicht alles, was mir Passy gesagt hatte, konnte ich verstehen. Ich fand es trotzdem total lieb. Vor allem, weil Passy sonst kaum ein Wort sagte.

"Danke", sagte ich leise in seine Richtung.

Irgendwie wusste ich nicht so richtig, wie ich mich in diesem Augenblick verhalten sollte. In den Gesichtern der Anderen, sah ich nur Zustimmung. Verwundert sah ich Rudi, Ronny und Detlef an. Ronny kam zu mir und setzte sich einfach in den Schneidersitz neben mich.

"Du verstehst es nicht, Engelchen. Stimmt's, du verstehst die Reaktion von Passy und den Anderen nicht."

Ich nickte, was sollte ich auch sonst anderes sagen. Es war so. Bei vielen Einsätzen in meiner Vergangenheit, mussten wir den Teams die Ginos erklären. Viele der Anderen hatten uns danach beschimpft, als unnormal, als abartig, teilweise sogar als Monster bezeichnet. Deshalb hatte ich ja solche Probleme es zu erklären. Weil ich Angst hatte, dass man sich wieder von mir abwandte.

"Weißt du, vielleicht begegnest du seit dem 1. September einfach Menschen, die Verstand und Herz haben und dich als Mensch auf ihre Stufe stellen. Dadurch unterscheiden wir uns von den Menschen, die du bis jetzt kennen lernen durftest. Wir sehen dich als unsersgleichen an und nicht als irgendein Monster. Wir denken nach, bevor wir sprechen und lieben dich so wie du bist. Was du gestern Abend mit uns abgezogen hat. War einfach sensationell. Keiner von uns, hätte dir das so zugetraut, dass du so rigoros durchgreifst. Du hast uns so oft schon geholfen. Spielt es dann eine Rolle, dass du etwas anders bist als wir. Ich denke, nicht nur ich, sondern auch die anderen denken und empfinden so. Du bist ein wertvolles Mitglied unserer Teams, in nur zwei Monaten geworden. Viele mein Engelchen, brauchen dazu Jahre, du machst das in nur wenigen Wochen. Ich darf mir gar nicht vorstellen, dass du einmal wieder verschwindest. Keine Ahnung, wie wir ohne dich klar kommen sollen", da lachte er mich an. "Aber eins verspreche ich dir. Mir persönlich ist es scheißegal, ob du auf zwei oder vier Füßen kämpfst. Auch ist mir egal ob du grün, blau, lila gesprenkelt rum läufst. Eins habe ich begriffen, egal, was du machst, du willst uns schützen. Mir ist egal, wie du aussiehst, ich sehe nur dein liebes Herz."

Mit den letzten Worten zog er mich in seine Arme. Es war so lieb, was er zu mir sagte. Jede Reaktion hatte ich erwartet, aber nicht diese. Ich konnte nichts mehr sagen, so sehr ich wollte, es ging nicht. Mehrmals machte ich den Mund auf, dann wieder zu, aber es kam kein Ton heraus. Nun rollten plötzlich lauter Tränen über meine Wangen. Ich drehte mich um, zu seinem nicht vorhandenen Bauch und legte meine Arme darum. Fing einfach hemmungslos an zu weinen. Schluchzend lag ich in Ronnys Armen. Konnte es nicht begreifen, dass sich keiner von mir abgewendet hatte, weil ich ein Monster war. Das war mir in den vielen Jahren noch nicht passiert. Es dauert lange, bis ich mich wieder beruhigt konnte. Ronny hielt mich einfach fest und streichelte vorsichtig meine Wange. Erschöpft schlief ich ein.

Dieser emotionale Stress machte mich völlig fertig. Ich konnte ihn einfach nicht mehr wegstecken. Die ganze Aufregung, diese verdammte Wut, die ich krampfhaft versuchte zu unterdrücken, kostete mich einfach zu viel Kraft. Etwas, dass ich seit Wochen kaum noch hatte. Auch, wenn ich mich die letzten beiden Tage etwas erholen konnte, war ich immer noch sehr am Limit. Rudi rollte seine Jacke zusammen, Ronny legte mich einfach darauf, ganz langsam und vorsichtig, Raphi nahm seine Jacke, um mich zuzudecken.

Ganz leise sagte er. "Kahlyn, ist einfach fertig. Kein Wunder, alles was sie kennt ist anders. Auch wir scheinen ganz anders zu reagieren, wie sie es gewohnt ist. Das Häschen muss endlich einmal zur Ruhe kommen. Wenn wir ihr nur irgendwie helfen könnten", zärtlich streichelte er mein Gesicht.

Rudi nickte. "Raphi, da hast du Recht. Aber ich denke, sie hat vor sechs Tagen einen großen Schritt, in die richtige Richtung gemacht. Wir müssen ihr einfach Zeit lassen."

Alle zwanzig Kollegen waren der gleichen Meinung.

Ronny jedoch interessierte etwas ganz anderes. "Sag mal Rudi, wieso ist das Engelchen so grün und blau. Du ebenfalls."

Rudi raufte sich die Haare. "Na ja, was soll ich sagen, die Kleene trifft keine Schuld, sondern…" Genau schilderte er seinen Kollegen, was in der Schule passiert war, von seinem Zusammenstoß mit Kahlyn. Er erklärte ihnen allerdings auch, dass es seine Schuld war. Zum Schluss jedoch berichtete er noch "…Jedes Mal nach der Verwandlung, sieht die Kleene so blau aus. Ich hab das nun schon drei Mal erlebt. Es war immer genau das Gleiche. Ihr Gesicht ist dunkelblau, fast schwarz, die Fingernägel sind weg, ihr gesamter Körper ist voller Hämatome. Es ist grauenvoll. Deswegen will ich ja nicht, dass sie das schon wieder macht. Es bricht mir das Herz. Vor allem diese mörderische Spritze, dann blutet sie aus dem Augen, den Ohren, der Nase, sogar ihre Haut, fängt an zu bluten. Es ist barbarisch", erzählte er mit leiser Stimme.

"Wieso dreimal?", wollte Raphi wissen.

"Ach so, das wisst ihr ja auch nicht. Bevor die Kleene weggelaufen ist, hat sie doch so geschrien. Da hatte sie auch schon so einen Ginobusanfall, wie das Fritz nennt. Deshalb hatte sie so geschrien, weil Jo verhindert hat, dass sie es kontrolliert. Die Kleene ist ohne Taijiatmung dort hinein gerutscht."

Rony sieht Rudi entsetzt an. "Um Gottes Willen, dann hat sie ja drei solche Anfälle in vier Tagen, gehabt. Sie will das schon wieder tun. Das können wir doch nicht zulassen, das Engelchen geht doch kaputt daran."

Rudi rieb sich müde das Gesicht. "Ronny, du weißt doch wie sie ist. Wie willst du sie davon abhalten? Das kannst du nicht."

Ronny raufte sich die Haare. "Ich rede noch einmal mit ihr. Vielleicht gibt es, eine andere Lösung. Na ja, lassen wir sie schlafen, wir haben noch gut drei Stunden Flug. Tut mir alle einen Gefallen, bitte schlaft auch noch etwas. Das Engelchen braucht eine fitte Mannschaft, sonst macht sie noch mehr Sachen, die ihr nicht gut tun. Ich denke auch, wir werden noch einige Reaktionen von ihr bekommen, die wir nicht verstehen. Die Kleine ist einfach nur fertig."

Kurz entschlossen legte Ronny sich einfach in den Gang, auch einige der anderen nutzen diese Möglichkeit, um noch etwas zu schlafen.

Kapitel 5

Kurz vor halb drei wurde ich munter, da mir jemand das Gesicht streichelte.

"Frido, Nikyta, Frido. Wach auf, Engelchen, wach auf."

Verschlafen blickte ich mich um.

Ronny kniete neben mir. "Kahlyn, entschuldige, dass ich dich wecke. Der Oberst verlangt dich dringend am Funk."

Ich stand wortlos auf und lief vorsichtig den Gang entlang, was gar nicht so einfach war. Es lagen viele im Gang und schliefen, worüber ich mich sehr freute. Dann waren sie später ausgeschlafen und besser erholt. Vor allem waren sie durch den Schlaf wieder richtig einsatzfähig. Am Cockpit angekommen klopfte ich an und betrat es nach Aufforderung.

"Sir, guten Tag, Sir, ich sollte vorkommen, ich bin Leutnant Kahlyn, Sir", stellte ich mich vor.

Der Copilot hielt mir seinen Kopfhörer hin.

"Sir, bitte können sie die Kopfhörer auf minimale Lautstärke stellen. Bitte, Sir."

Verwundert sah er mich an. "Warum das denn? Dann verstehen sie doch nichts."

Ich sah ihn verlegen an und schüttelte den Kopf. "Sir, bitte ich kann viel besser Hören als sie. Machen sie es doch bitte einfach, Sir."

Da nickte er, stellte ohne lange Diskussion die Lautstärke auf die leiseste Stufe.

"Sir, danke, Sir."

Vorsichtig setzte ich diese auf. Der Oberst kannte mich schon genau, er sprach sehr leise ins Mikrophon.

"Sir, Leutnant Kahlyn am Funk, Sir", meldete ich mich ordnungsgemäß und freute mich ihn zu hören.

"Schön dass ich dich endlich erreicht habe. Kahlyn wie lange braucht ihr noch? Wieso seid ihr so spät dran, ich mache mir langsam Sorgen."

"Genosse Oberst, das weiß ich nicht. Ronny hat mich gerade erst geweckt, Sir. Einen kleinen Moment ich frage den Piloten, Sir", sogleich wandte ich mich an den Piloten, des Helis. "Sir, wie lange brauchen wir noch bis zur Basis? Warum sind wir so spät dran, will der Genosse Oberst wissen, Sir?"

Der kontrollierte seine Armaturen. "Tut mir leid, Leutnant, wir mussten lange beim letzten Auftanken warten. Dann bekam ich ewig keine Startfreigabe. Tut mir wirklich leid, das kann ich leider nicht beeinflussen. Ich denke in zwölf bis dreizehn Minuten sind wir da, Leutnant."

"Genosse Oberst, der Pilot meint zwölf bis dreizehn Minuten brauchen wir noch zur Basis. Er musste lange beim Tanken warten, bekam dann ewig keine Startfreigabe. Warum denn, Sir?"

"Kahlyn, ist nicht schlimm, wir haben uns nur Gedanken gemacht. Moment."

Einen Moment war Ruhe im Funk. Man hörte den Oberst im Hintergrund reden, Fleischer wurde richtig laut. Auch wenn ich ihn nicht verstand. Zwei Minuten später meldete er sich wieder, jedoch mit einem ganz anderen Thema, auch einem völlig anderen Ton und fuhr mich ziemlich böse an.

"Kahlyn, wir müssen dann sofort miteinander reden. Verdammt noch mal so geht das nicht. Wir reden dann erst einmal, wegen der Ginos, vorher lasse ich dich nicht fort. So funktioniert das nicht Kahlyn. Ich habe vorhin mit Doko Jacob gesprochen, so geht das absolut nicht, mein Kleine. Also stelle dich drauf ein, dass wir erst miteinander reden werden, bevor du losgehst. Danach, kommt erst der Einsatz und das ohne Diskussion."

Wütend sah ich aus dem Fenster. Warum muss der Doko sich eigentlich in alles hineindrängen. Wie oft hatte ich ihm gesagt, er sollte das nicht immer machen. Aber er hörte, einfach nicht auf mich. Also würde es wohl erst einmal wieder, Stress mit dem Oberst geben. Mir bleibt also nichts erspart.

"Sir, wenn es denn sein muss, Sir. Aber sie werden mit dem Gespräch nicht wirklich viel erreichen. Was ich tun muss, um meine Leute zu schützen, werde ich tun. Ob mit oder ohne ihre Erlaubnis. Daran wird auch ein Gespräch nichts ändern. Das ist nichts anderes, Sir, als pure Zeitverschwendung, es kostet ihre und meine Nerven. Denn ich bin der Einsatzleiter, ich trage die Verantwortung und nicht sie, Sir", erklärte ich ihm sehr leise und übertrieben freundlich, weil ich mich zwingen musste ruhig zu bleiben.

"Kahlyn, das weiß ich, deshalb möchte ich auch mit dir reden, auch noch über etwas anders. Bitte stelle dich darauf ein, ich habe keine Lust darauf, dass du erst ausflippst. Deshalb sage ich dir das jetzt schon am Funk."

Völlig genervt holte ich Luft. Ich hasste es wie die Pest mit dem Oberst solche Debatten zu führen. Weil es dann immer Streit gab und vor allem Stress. Den konnte ich im Moment überhaupt nicht gebrauche.

"Sir, wenn es denn sein muss, Sir. Aber damit machen sie die Sache auch nicht besser. Bitte, erklären sie ihren neuen Leuten die Sache mit den Ginos, Rashida soll es ihren Leuten auch bitte erklären, damit ich dann nicht erst stundenlang reden muss, Sir."

Der Oberst gab mir zwar Recht, wollte aber trotzdem nicht nachgeben. "Geht klar, wir reden trotzdem dann als Erstes. Ohne Diskussion, verstanden Kahlyn. Gebe mir bitte den Piloten noch einmal. Bis gleich", wütend nahm ich den Kopfhörer ab und reichte ihn zurück an den Copiloten.

"Sir, der Oberst möchte sie nochmals sprechen. Danke, Sir. Denken sie an die Lautstärke, die müssen sie wieder hochdrehen, sonst können sie nichts hören, Sir."

Ich drehte mich auf dem Absatz herum und verließ sehr verärgert das Cockpit. Auf dem Weg zu meinem Platz, weckte ich die Jungs. Die sofort aufstanden und sich auf den Ausstieg vorbereiteten. Wir räumten unsere Sachen zusammen.

Rudi guckte mich prüfend an. "Was ist denn mit dir los, meine Kleene? Warum guckst du so böse?"

Ich winkte ab. Rudi konnte nichts für die Wut, die ich auf den Doko und den Oberst hatte.

"Redest du nicht mehr mit mir, Kleene?", harkte er nach.

"Doch, ich rede noch mit dir. Nur bin ich wütend auf Doko Jacob, der hat mich beim Oberst verpetzt. Ich habe ihm so oft schon gesagt, er soll sich nicht in Dinge einmischen, die ihn nichts angehen und er nicht versteht. Bitte ich lass mich in Ruhe. Ich will nicht, dass du ungerechter Weise meine ganze Wut abbekommst. Du kannst doch nichts dafür. Ich finde es ja lieb, wenn der Doko und der Oberst sich Sorgen um mich macht. Nur mag ich es absolut nicht, wenn man sich in meine Arbeitsweise einmischt. So etwas hasse ich wie die Pest. Jetzt habe ich wieder Stress mit dem Oberst. Das kann ich im Moment gar nicht gebrauchen. Mir geht es nicht besonders gut. Der Stress der dadurch wieder entsteht, macht alles nur noch schlimmer. Ich habe sowieso immer noch eine wahnsinnige Wut im Bauch."

Rudi trat ein Schritt zurück. Ich war richtig laut geworden, so wütend wurde ich. "Kleene, hab Erbarmen mit mir, ich bin unschuldig", versuchte er mit mir zu scherzen und wies mich in einer lustigen Art darauf hin, dass er doch nichts dafür konnte. Weil er damit erreichen wollte, dass sich die Lage etwas entspannte.

"Ach lasst mich doch alle, in Ruhe", wütend setzte ich mich auf meinen Platz und zog die Beine auf den Sitz, legte meinen Kopf auf die Knie.

Schon wieder bekam ich diese schlimmen Schmerzen. Ich konnte im Moment einfach keinen Stress mehr gebrauchen. Er tat mir einfach nicht gut. Erschrocken sah mich Ronny und Rudi an, keiner von Beiden sagte noch ein Ton. Es passierte selten, dass ich so wütend war und noch seltener, dass ich es an anderen ausließ. Aber in manchen Situationen passierte es, dass man mich auf den falschen Fuß erwischt, so wie es gerade eben passierte war, bei Rudi. Tief atmend versuchte ich mich zu beruhigen, legte den Kopf in den Nacken und atmete mich in die Taijiatmung. Endlich hatte ich mich wieder beruhigt, immer wieder schielte ich rüber zu meinem Freund.

"Tut mir leid Rudi. Ich weiß, du kannst ja nichts dafür. Nur regt mich das langsam aber sicher alles auf. Der Doko soll sich nicht immer in meine Angelegenheiten mischen. Ich weiß doch besser als er, was ich machen kann und was nicht. Um einiges besser als er, er kennt mich noch lange nicht. Warum macht er das immer?"

Rudi streichelte meine Wange und hockte sich vor meinen Platz. "Aus Sorge um dich, meine Kleene. Er will nicht, dass dir etwas passiert", versuchte er mir zu erklären, dass das alles bestimmt nicht bös gemeint war.

Ich schüttelte den Kopf. "Damit erreicht er genau das Gegenteil. Dann bin ich wieder mit meinen Gedanken nicht bei der Sache."

Wir waren beide so abgelenkt, dass wir nicht einmal das Anschnallsignal mitbekommen hatte. Erst jetzt merkten, dass der Heli zur Landung angesetzt hatte. Fast im gleichen Moment setzte der Heli auf und wir mussten aussteigen. Sofort griff ich unter meinen Sitz, nahm meinen Rucksack, den Medi-Koffer, den Ordner auf und griff mir meine Waffen.

"Also kommt, lasst uns den Mist beenden, den sie uns wieder einmal eingebrockt haben", sagte ich zu den Jungs.

Die standen lachend hinter mir und folgten mir eilig auf den Robur, der uns in das Basislager, eine Turnhalle brachte. Es war das, was man arschkalt nannte. Der Oberst hatte Recht es war verdammt kalt hier in der Region und das, obwohl noch nicht einmal der Oktober vorbei war.

An der großen Turnhalle die wir nutzen durften, wartete schon Rashida, die mir entgegen gelaufen kam.

"Hallo Täubchen, na wie geht es dir?", begrüßte sie mich lachend.

Ich war allerdings richtig schlecht drauf. Das Gespräch mit dem Oberst im Cockpit, hing mir immer noch nach.

"Hallo Rashida, gut und dir?", gab ich geistesabwesend zur Antwort.

Verwundert sah mich meine Freundin an.

"Nimmst du bitte meine Sachen, ich muss zum Oberst zum Rapport", brummelte ich meine Bitte mehr heraus, als dass ich sie freundlich formulierte und gab ihr nicht einmal einen Kuss.

Fassungslos musterte mich Rashida, die sich die Begrüßung etwas anders vorgestellt hatte. Beim letzten Wort drückte ich ihr ohne auf eine Antwort zu warten, meine Waffenkisten, den Rucksack, den Ordner sowie die Medi-Koffer in die Hand. Ließ sie einfach stehen.

"Oh, oh...", rutschte es ihr heraus. Enttäuscht und nun ebenfalls wütend, sah Rashida mir hinterher. Drehte sich dann fragend zu Rudi um. "Was ist denn mit meinem Täubchen los? Ich hab mich so auf sie gefreut."

Der zuckte verlegen mit den Schultern. "Keine Ahnung Rashida. Die Kleene hatte wohl eine ziemliche Auseinandersetzung mit dem Oberst, wegen eures Dokos. Sie hat mir aber nicht gesagt warum. Sie ist vorhin im Heli schon richtig ausgerastet", versuchte er, mein Verhalten zu erklären.

"Ach je, das gibt Stress...", brummelte nun auch Rashida in ihren nicht vorhandenen Bart.

Sie konnte sich schon denken, was mir so in die Nase gefahren war und winkte ab. Eilig brachte sie meinen Sachen in unsere Ecke.

 

Ich dagegen, ging auf den kürzesten Weg zum Oberst, der in seinem provisorischen Büro saß und meldete mich zum Dienst. "Sir, Leutnant Kahlyn meldete sich mit dem SEK61 Gera Beta und Delta Team, zum Einsatz, Sir."

Der Oberst kam auf mich zu und wollte mich in den Arm nehmen. Ich war so wütend auf ihn, dass ich mich wegdrehte. Erschrocken sah er mich an.

"Guten Tag Kahlyn, was soll das denn werden?"

Wütend fuhr ich ihn an. "Sir, das kann ich ihnen genau sagen, Sir. Mich kotz es mit Verlaub an, wenn man mir ständig sagt, was ich kann und was ich nicht kann. Der Doko, soll sich gefälligst um seinen eigenen Dreck kümmern, da hat er genügend zu tun. Ich bin alt genug, um zu wissen, was ich kann und was nicht, Sir", brüllte ich ihn sofort an.

Das war etwas, etwas das nur sehr selten vorkam. Allerdings ab und an passiert, wenn man sich in Sachen einmischt, von denen man nicht verstand. Ich hasste es wie die Pest, mir bei meiner Arbeit Vorschriften von Leuten machen zu lassen, die wie der Doko oder Mayer, absolut keine Ahnung von der Materie hatten und gar nicht einschätzen konnten, um was es dabei ging.

Doko war ein sehr guter Arzt, einer der besten Ärzte die ich kannte, aber von Kampfeinsätzen, hatte er nun einmal absolut keine Ahnung. Der könnte nicht einmal eine Taktik entwerfen, die zur Verteidigung der Krankenstation notwendig wäre. Er konnte das einfach nicht. Aber mir Vorschriften machen, was ich im Kampf tun und lassen sollte, das konnte er schon immer gut. Das war oft der einzige Grund, weshalb wir uns stritten und dann meistens richtig heftig.

"Nun aber mal langsam, Kahlyn. Wie bist du denn drauf? Keiner mischt sich in deine Sachen ein. Der Doko macht sich nur Sorgen um dich und ich auch. Was ist denn da so schlimm dran?", verständnislos sah mich der Oberst an, der mein Verhalten absolut nicht verstand.

Mit jedem Wort wurde ich lauter. "Sir, was da schlimmes dran ist, Sir. Das kann ich ihnen sagen. Ihr macht mich wahnsinnig damit. Ich sage ihnen doch auch nicht, was sie können und was nicht, und wie sie ihre Arbeit zu machen haben. Verdammt nochmal. Ich bin seit dreizehn Jahren Einsatzleiter, ich weiß ganz genau, was ich zu tun habe. Wie würden sie sich fühlen, wenn ich ihnen ihre Arbeit vorschreiben würde, von der ich nichts verstehe. Warum machen sie das dann ständig bei mir, Sir? Dann wundert sie sich wieder, wenn mir etwas passiert, weil ich in Gedanken nicht bei der Sache bin. Wann begreift sie endlich einmal, dass ich sehr wohl weiß, was ich kann und was ich tue, Sir. Was ich in einem Einsatz verantworte, ist meine alleinige Entscheidung. Das haben wir doch schon tausendmal durchgekaut. Sie kümmern sich um ihren Mist, ich mich um den meinen. Ich kann im Moment keinen zusätzlichen Stress gebrauchen. Entweder sie akzeptieren das jetzt, oder sie müssen sich einen anderen Einsatzleiter holen, Sir. Ich bin nicht mehr länger bereit, über meine Einsatzführung zu diskutieren. Ich möchte nur ihre Entscheidung, soll ich den Einsatz leiden, ja oder nein. Zu einer anderen Diskussion, bin ich nicht mehr bereit, Sir. Ende der Diskussion, Sir", wütend sah ich ihn an.

Der Oberst schüttelte nur mit dem Kopf. "Kahlyn, ich wollte mich mit dir nur kurz darüber unterhalten, was los war. Wieso rastest du so aus?"

Ich nahm die Hände auf den Rücken, stellte die Füße auf Beckenbreite auseinander, senkte meinen Blick zu den Füßen und stand stramm. Signalisierte den Oberst, auf meine Weise, dass ich nicht bereit war darüber auch nur noch ein einziges Wort zu reden.

"Kahlyn bitte, fahre runter. Setze dich, bitte", der Oberst sah mich traurig an.

Immer heftiger atmete ich und versuchte meine verdammte Wut in den Griff zu bekommen. Es wollte mir allerdings nicht gelingen. Ich hatte mich festgefahren in einer Meinung, etwas das mir öfter einmal passierte. Wenn ich der Meinung war, ungerecht behandelt zu werden. Was durch die Anhäufung der vielen Missverständnisse, in der letzten Zeit, ja häufig genug vorgekommen war. Eigentlich hatte der Oberst sich am Funk, ja nur ein wenig im Ton vergriffen. Es war allerdings der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

"Kahlyn setze dich, habe ich gerade gesagt", kam der Befehl vom Oberst, der wusste, dass er nun ganz schwer an mich heran kommt.

"Sir, ich stehe lieber, Sir", gab ich trotzig zur Antwort, in einem eisigkalten Ton.

So wie ich es über Jahre mit dem Oberstleutnant gemacht habe. Selbst dieser hat mich nie zu etwas zwingen können, dass ich nicht selber wollte. Jetzt riss auch dem Oberst, der Geduldsfaden und er donnert los. Etwas, das sehr selten passierte, Fleischer verlor seine Beherrschung, weil er sich mein Benehmen nicht erklären konnte. Durch meine Sturheit in bestimmten Dingen, allerdings schon einige Male passieren war. Es prallten bei uns beiden dann immer, zwei Fronten aufeinander. Es kam zu richtigen Wutausbrüchen auf beiden Seiten, die in früheren Zeiten, des Öfteren auch mal mit tätlichen Auseinandersetzungen endeten.

"Himmel Arsch und Zwirn! Setze dich, hab ich gesagt und zwar sofort! Das ist ein Befehl. Sonst…", brüllte er mich an.

Ich fiel ihm noch lauter brüllend ins Wort und blieb stur stehen. Kein Mensch zwang mich zu etwas, wenn ich das nicht wollte. Das hat nicht mal der Oberstleutnant geschafft. Lieber ließ ich mich auspeitschen.

"Sir, sonst was, Genosse Oberst? Peitschen sie mich dann aus, wollen sie mich in die Lichtzellen stecken oder an die Wandhängen oder ziehen sie ein Fass mit Milch vor, SIR, wie der Oberstleutnant es gern getan hat, SIR", provozierend sah ich ihn an.

Der Oberst konnte nicht fassen, war er hier erlebte. "Kahlyn, setzte dich sofort hin", befahl er mir, sich zum leise Sprechen zwingend.

"Sir, ich stehe lieber, Sir", beharrte ich genauso leise auf meinem Standpunkt.

In einem übertrieben höfflichen Ton. Wütend sah ich zu ihm hoch, weil ich nicht verstand, warum er mich so anging. Rashida, die durch das Brüllen, auf meine Auseinandersetzung mit dem Oberst aufmerksam gemacht wurde, kam in das Büro.

Sah den Oberst kopfschüttelnd an. "Sir, bitte lassen sie das, Sir. So erreichen sie bei Kahlyn nur das Gegenteil von dem, was sie erreichen wollen, Sir."

Der Oberst fuhr nun auch noch Rashida an, die ja leise und höfflich zu ihm gesprochen hatte. "Raus, wer hat sie in das Büro gerufen, Leutnant?"

Das ist zu viel, Rashida hatte nichts gemacht. Sie war mein Teammitglied und ich stellte mich schützend vor sie. "Sir, lassen sie Rashida da raus. Sie hat nichts mit unserem Problem zu tun. Weshalb brüllen sie, meine Leute an, Sir? Wir haben ein Problem miteinander, Sir und nicht mein Team, Sir", brüllte ich ihn wieder an.

"Rashida halte dich da raus, bitte gehe. Das ist ein Befehl", wandte ich mich in einem ganz anderen Ton an meine beste Freundin.

Mein Teammitglied hatte nichts mit dem Stress zu tun hatte, es war eine Auseinandersetzung in die sie sich nicht einzumischen hatte. Der Oberst sah mich entsetzt an und wusste absolut nicht, was er falsch gemacht hatte. Ihm war allerdings klar, dass er das, was gerade geschah, irgendwie verursacht hatte. Durch falsch gewählte Worte oder einen falschen Ton. Dass er mich so nicht gehen lassen konnte, ohne Gefahr zu laufen, dass ich im Einsatz schwer verletzt wurde. Rashida, dagegen wusste genau, dass ich richtig ausflippen würde, wenn man meine Befehle missachtete, drehte sich wortlos um und verließ das Büro.

Der Oberst setzte sich auf seinen Stuhl und sagte gar nichts mehr, in der Hoffnung, dass ich mich wieder beruhigen würde. Auch ich schwieg. Nach dem minutenlangen Anbrüllen, war das für die Leute, die ahnungslos vor dem Büro warteten, genauso unangenehm. Fast eine halbe Stunde schwiegen wir uns an. Ich war nicht bereit nachzugeben, als es klopfte.

Der Oberst brachte ein genervtes "Herein", heraus.

Rudi steckte zögerlich den Kopf ins Zimmer. Oberst Fleischer zischte nur. "Wenn nichts Wichtiges ist, dann raus, das wird hier erst geklärt und wenn wir bis morgen früh hier sitzen."

Da verschwand Rudi lieber wieder. Weiter fünfzehn Minuten später, wagte sich der Oberst, leise einen Satz zu sagen.

"Hast du dich wieder beruhigt oder wollen wir unser Kräftemessen fortsetzen, von vor neun Jahren?"

Vor neun Jahren hatten wir eine ähnliche Situation und die war dermaßen eskaliert, dass ich im Anschluss den Oberst wieder zusammenflicken musste. So etwas würde ich nie wieder zulassen, lieber tät ich ihn hier im Büro sitzen lassen. Deshalb kam auch keine Reaktion von mir. Schweigend, starrte ich wütend auf einen Punkt am Fenster.

"Du willst also nicht mehr mit mir reden. Ist in Ordnung, aber du kannst mir ja zuhören."

Immer noch reagierte ich nicht auf den Oberst. Ich konnte nicht, selbst wenn ich gewollt hätte. Der blanke Hass hatte von mir Besitzt ergriffen und ließ mich nicht mehr klar denken. Wie oft hatte ich solche Situationen, mit dem Oberstleutnant hinter mich gebracht. Es war immer das Gleiche gewesen, er rannte gegen Mauern.

Man konnte sehr lange mit mir vernünftig reden, aber wenn man sich nicht in meine Arbeitsweise einmischte, war es vorbei. Wollte man mir aber Vorschriften über meine Vorgehensweise bei Einsätzen machen, flippte ich regelmäßig aus. Ich wusste genau, was ich konnte und vor allem, was ich mir zumuten konnte. Die Einmischungen von Doko, der nichts von unserer Arbeitsweise verstand, brachten mich auch regelmäßig in der Schule, in solche Situationen und erreichten stets das Gegenteil, von dem was er eigentlich erreichen wollte. Er beschütze mich dadurch nicht, sondern fügte mir zusätzliche Schmerzen zu, weil er mich in die Ecke drängte.

"Kahlyn, ich will nur gern wissen, wie es dir wirklich geht. Doko Jacob hat mir erzählt, dass du in nur vier Tagen drei Ginobusanfälle hattest. Kannst du dir denn nicht vorstellen, dass ich mir da Sorgen mache. Bitte, du weißt doch, dass ich dich lieb habe. Ich könnte mir nicht verzeihen, wenn dir etwas passiert, nur weil wir hier zu wenige Leute sind."

Ich reagierte nicht auf meinen Oberst. Zwar hatte ich seine Worte genau gehört, aber ich wollte nicht mit ihm reden. Es war viel zu viel Wut in mir, auf Gott und die Welt, wie es die Dika immer ausdrückte. Selbst, wenn ich gewollt hätte, ich hätte jetzt im Moment nicht vernünftig mit ihm reden können. So war das leider mit mir.

Der Oberst verstand mich auf der einen Seite, auf der anderen Seite war es allerdings so, dass der Oberste seine eigenen Vorstellungen von einem gut geplanten Einsatz hatte. Er konnte oft meine Arbeitsweise nicht verstehen. Ich arbeitete anders als herkömmliche Einsatzleiter und er kannte meine Einstellung zu solchen Einmischungen mehr als genau. Ich hasste es wie die Pest wenn man sich in meine Einsatzplanung einmischte. Als Einsatzleiter, hatte ich das Sagen über die Vorgehensweise während des Einsatzes und dort durfte mir niemand hineinreden. Würde ich diese Einmischungen billigen, wäre die Sicherheit aller Teams in Gefahr und dies würde ich niemals zulassen. Der Oberst war während der Einsätze nichts anderes, als ein gewöhnliches Teammitglied. Das den Auftrag hatte mir bei der Organisation von den Einsätzen zu helfen. Dinge zu koordinieren, die mich viel Zeit gekostet hätten und die ich oft nicht machen konnte, weil ich nicht seine Beziehungen, zu den richten Stellen besaß. Sein Rang und seine Position innerhalb der Polizei, spielten während der Einsätze keinerlei Rolle. Oberst Fleischer wusste durch die vielen gemeinsamen Einsätze, wie meine Denkweise war und konnte sich fast immer in mich hinein versetzen. Auch, wenn er im Moment nicht verstand, warum ich gerade jetzt so reagierte. Er versuchte zu vermitteln zwischen uns, obwohl ihm klar war, dass er gegen eine Wand sprach. Der Oberst stand auf und zog sich einen Stuhl heran und setzte sich auf seinen Schreibtisch, stellte die Füße auf die Sitzfläche.

"Kahlyn, bitte. Wir haben uns doch immer gut verstanden. Ist es denn so schlimm, wenn ich mir Sorgen um dich mache? Ich möchte wirklich nur wissen, wie es dir geht. Um einschätzen zu können, wie hoch das Risiko bei dem Rufen, der Ginos für dich wirklich ist. Was ist denn da Schlimmes dran?", lange betrachtete er mich an.

Innerlich immer noch kochend, wandte ich dem Oberst mein Gesicht zu. Tief holte ich Luft und sprach in einem für den Oberst völlig ungewohnten Ton mit ihm. Dem Tonfall den ich stets benutzte, wenn der Oberstleutnant mich provozieren wollte. Dieser Tonfall brachte Mayer immer zum Toben. Weil er sachlich leise, höflich aber so kalt war, dass man das Gefühl bekam, dass das Blut in den Adern gefror.

"Sir, was soll das, Sir? Können sie wirklich einschätzen, wie gefährlich das Rufen für mich ist, Sir? Denken sie vielleicht, ich bin mir nicht bewusst, in welche Gefahr ich mich begebe, Sir? Wie oft habe sie die Ginos in ihrem Leben gerufen, dass sie sich anmaßen das einschätzen zu können, Sir? Dass sie sich herausnehmen festzulegen, wie gefährlich das für mich ist, Sir? Sind sie umso vieles schlauer als ich, Sir? Dass sie mir sagen können, dass ich gefahrlos die Ginos rufen könnte, Sir. Wissen sie über diese Dinge so vieles mehr als ich, Sir? Kennen sie meinen Körper um so vieles besser als ich, Sir?", ich verlor wieder die Beherrschung und wurde mit jeder Frage die ich ihm stellte laute und brülle ihm zum Schluss wieder an.

Ich konnte es nicht ändern. Ich konnte im Moment einfach nicht ruhig reden, egal wie sehr ich versuchte mich zu beherrschen. Ich hatte so viel angestaute Wut in mir, dass ich diese irgendwo ablassen musste.

"Kahlyn bitte, warum brüllst du mich eigentlich so an? Können wir nicht in Ruhe mit einander reden?"

Wütend sah ich ihn an und versuchte mich langsam herunter zu atmen. "Sir, ich habe sie nicht zuerst angebrüllt, sondern sie mich und das ohne jeglichen Grund. Ich will von ihnen jetzt nur noch eine Antwort, auf eine einzige Frage. Soll ich den Einsatz nun leiten, ja oder nein? Wenn ja!? Werde ich das tun, Sir. Wenn nein!? Überlasse ich ihnen gern die Einsatzleitung. Dann laufe ich nach Hause in meine Wache. Da brüllt mich wenigstens niemand an, SIR", erklärte ich ihm wieder im eisigen Ton.

Jedem Wort hörte man allerdings die unsagbare Wut an, die in mir war. Wieder drehte ich mein Gesicht zum Fenster und starrte hinaus.

Der Oberst sah mich kopfschüttelnd an. "So leitest du keinen Einsatz, das ist dein Todesurteil, Kahlyn. Das weißt du doch selber. Du kannst nicht nach Hause laufen, das ist viel zu weit, meine Kleine", teilt er mir leise und im traurigen Ton mit.

"Sir, es ist nicht weiter als nach Peru, Sir, dann kann ich ja gehen, Sir. Die Unterlagen bringe ich ihnen sofort. Ich kann nach Hause laufen, es sind nur tausend Kilometer. Ich bin schon weitere Strecken gelaufen, Sir", ich knallte, wie wir es in der Schule machen mussten, die Hacken zusammen.

Ich nickte kurz grüßend, drehte mich auf dem Absatz um und verließ den Raum. Fassungslos, blickte mir der Oberst hinterher. Aus dem Raum heraus, ging ich auf Rashida zu.

"Rashida, wo sind meine Sachen?"

Mühsam versuchte ich ruhig zu sprechen, denn meine Freundin, konnte nichts für meine Wut. Rashida zeigte mir schweigend den Weg. Sofort ließ ich sie stehen und lief in die Ecke. Holte mir den Ordner mit den Einsatzplänen und ging nochmals in das Büro vom Oberst.

"Sir, hier sind die Einsatzpläne, Sir. Viel Erfolg, Sir", ich legte sie auf den Tisch, vor seine Nase und wandte mich zur Tür, um das Büro zu verlassen.

"Kahlyn bitte", flehte er mich an. "Wenn du meintet wegen nicht bleibst, dann den Leuten zu liebe. Wie soll ich die ohne dich hier heil durchbringen?", versuchte er an mein Gewissen zu appellieren. "Können wir unsern Krach nicht hinterher regeln? Bitte Kahlyn."

Ich hatte allerdings schon das Büro verlassen. So voller Hass auf dem Oberst, dass ich nicht mal mitbekam, wie mich alle entsetzt ansahen. Wütend lief ich nach hinten, zu unserer Matte und ließ mich an der Wand herunter rutschen. Ich legte meinen Kopf auf die Knie und versuchte meine Schmerzen und diese verdammte Wut in den Griff zu bekommen. Rudi wollte mir hinterher laufen. Wurde von Rashida daran gehindert.

"Rudi, gehe lieber nicht zu meinen Täubchen. So geladen wie die ist, halte lieber hundert Kilometer Abstand. Das wird sonst verdammt schmerzhaft für dich. Lass ihr Zeit sich zu beruhigen."

"Was ist denn los, ich verstehe die Kleene nicht? Bis zu dem Anruf vom Oberst, war sie richtig gut drauf. Was hat sie schon wieder so aus der Bahn geworfen?"

Rashida zuckte mit den Schultern. "Der Oberst hat sie ganz schön an gepulvert am Funk. Das hätte er nicht machen sollen. Ich sehe mal zu, dass ich Kahlyn beruhigt bekommen. Sorge bitte dafür, dass sich niemand einmischt. Bitte Rudi, hole dir den Oberst, Conny und Gosch zu Hilfe, die kennen mein Täubchen", mit diesen Worten wandte Rashida sich um und ging auf mich zu. "Darf ich mich zu dir setzen."

Ich nickte schweigend.

"Was ist denn los, Täubchen? So hast du dich doch noch nie, mit deinem Oberst gestritten."

Böse sah ich meine beste Freundin von der Seite an. "Du kennst mich schon so lange, Rashida. Bin ich wirklich so dumm, dass ich nicht einschätzen kann, wann ich die Ginos rufen kann und wann nicht. Die haben doch gar keine Ahnung, was das bedeutet, wenn man die ruft. Wollen mir aber erklären, wann und wie ich das tun darf und kann. Die haben sie doch nicht mehr alle."

Rashida wollte ihren Arm, um mich legen. Einfach, um mich zu beruhigen, aber ich drehte mich weg. Ich wollte keine körperliche Nähe, ich war viel zu wütend und hatte viel zu schlimmer Schmerzen, um mich anfassen zu lassen.

"Täubchen, nun beruhige dich doch mal. Es nutzt den Jungs hier nichts, wenn du so abdrehst. Ich weiß, dass du die nur rufst, wenn es nicht anders geht. Verstehe aber auch einmal den Oberst, der weiß in welche Gefahr du dich begibst, wenn du die bei diesem Einsatz rufst. Täubchen, denke doch einmal nach, bitte", versuchte sie mich zu beruhigen.

Das waren die falschen Worte zur falschen Zeit. Ich war für kein Wort mehr offen, wütend fauchte ich sie an. "Pffch ... bist du jetzt auch der Meinung, dass ich nicht mehr zurechnungsfähig bin. Kannst du mir sagen, was das soll Rashida? Denkst du nicht, dass ich genau weiß, was ich mir zutrauen kann?", ich stand auf und sah meine beste Freundin böse an, die mir jetzt auch noch in den Rücken fiel.

"Kahlyn bitte", flehte sie mich an.

Ich ging an die Decke. "Nichts ist mit, Kahlyn bitte. Verdammt nochmal Rashida, du weißt besser als die Anderen, was ich kann und was nicht. Wenn die Ginos für mich einen Gefahr darstellen, dann für dich doch noch um ein Vielfaches mehr. Ich habe die Ginos von uns allen, immer am besten beherrschen können. Wer wenn nicht ich kann am besten einschätzen ob ich sie rufen kann. Du hast sie doch nicht mehr alle, verdammt nochmal", brüllte ich nun auch noch Rashida an.

Rashida, wie immer die Ruhe in Person, ließ sich von mir nicht provozieren. "Kahlyn, sieh dich doch einmal an. Du bist fix und fertig. Du weißt, wie hoch die Gefahr von bleibenden Schäden ist. Du hattest drei Anfälle in vier Tagen gehabt. Das ist noch nicht einmal ganz eine Woche her. Bitte Täubchen", beim letzten Wort wollte sie mich in ihren Arm ziehen.

Ich drehte mich weg. "Rashida, es waren sieben Anfälle in vier Tagen. Außerdem sind es meine bleibenden Schäden, nicht deine. Es sind meine Schmerzen, nicht deine. Ich muss es nur für mich verantworten, nicht für dich, nicht für die Jungs, nicht für Rudi, nicht für den Oberst, nicht für Conny… nuuur… füüür… miiiich… ganz alleine", wütend fuhr ich mir durch die Haare und sah Rashida mit einem hasserfüllten Blick an, der sie zurückweichen ließ.

Als sie etwas sagen wollte, unterbrach ich sie, in einem lauten genervt klingenden Ton.  "Kah…" Weiter kam sie nicht.

"Du bist immer meine beste Freundin gewesen. Aber du hast immer noch keine Ahnung, was ich wirklich alles kann und das obwohl du mich ein Leben lang kennst. Aber eins solltest du haben, Vertrauen in mich. Du weißt genau, dass ich nie jemanden anderes gefährden würde. Dass ich mich nie selber in Gefahr bringen würde, wenn das nicht unbedingt sein muss. Wenn ich tot bin, verdammt noch einmal, kann ich euch nicht mehr beschützen. Schalte doch endlich einmal dein verdammtes Hirn ein. Selbst du kennst meine Grenzen nicht, die kenne ich nur alleine. Was willst du von mir, dass ich dir eine schriftliche Bestätigung gebe, das nichts passieren kann? Das werde ich nicht machen. Ich könnte es, aber ich will es nicht. Entweder vertraust du mir oder verschwinde. Mich kotz es einfach nur an, dass mir seit zwei Monaten wirklich jeder sagt, was ich machen soll. Vor allem, dass mir nie jemand vertraut. Seit zwei Monaten, muss ich mich nur noch rechtfertigen, für alles, wirklich alles, was ich tue. Um jedes noch so kleines Vertrauen muss ich kämpfen. Es kotzt mich nur noch an. Lasst mich doch einfach alle in Ruhe. Ich schaffe den Einsatz, auch ohne Euch. Hau endlich ab, lass mich doch endlich alle in Ruhe", wütend stieß ich Rashida von mir weg.

Wütend begann ich mich auszukleiden, bis ich nur noch im Turnhose und Bustier dastand und zog den Overall wieder über. Ich nahm meine Ausrüstung auf, soweit ich diese jetzt brauchte und drehte mich um. Ließ die entsetzt mir nachblickende Rashida einfach stehen und lief nach draußen. Ich musste an die frische Luft. Bevor ich noch etwas tat, was ich hinterher bereute. Ich verließ wütend die Halle. Kopfschüttelnd, verfolgten mich die Blicke der Jungs. Keiner verstand, was mit mir los war. In gleichen Moment, in dem ich die Halle verlassen wollte, prallte ich mit Gosch zusammen.

"Hallo mein Täubchen, wie geht es dir? Hilfe, was ist dir denn, für eine Laus über die Leber gelaufen?"

Ich winkte nur ab und ließ ihn einfach stehen, ohne ein Wort zu sagen. Gosch guckte verdutzt hinter mir her, wie einem Alien. Er konnte nicht begreifen, was mit mir los war. Als er mir hinterher laufen wollte, wurde er vom Oberst gestoppt.

Oberst Fleischer war mir nachgeeilt und rief seinem Piloten zu. "Gosch, zu mir. Lass sie. Kahlyn ist nicht ansprechbar. Ich weiß nur nicht, was ich falsch gemacht habe. Komm rein, wir essen erst mal. Vielleicht beruhigt sie sich bis dahin wieder", er zog Gosch einfach hinter sich her.

Rudi stand ebenfalls in der Tür und schüttelte mit dem Kopf.

"Rudi, komme rein. Du holst dir noch was weg. Kahlyn kommt schon wieder, keine Angst."

Rudi ging nun auch traurig in die Halle zurück.

 

Ich dagegen, lief mir meine Wut ab. Ich nutzte die aufgestauten Emotionen und meine überreizten Nerven, aber auch die Energie der Wut, um Strecke zu laufen. Ich hatte die Karte vom Zielgebiet im Kopf. Musste mich östlich halten, um das Lager zu finden. Dass die Taktiker ausspioniert hatten. Allerdings musste ich erst auf die andere Seite des Sees. Lief erst ein Stück Richtung Nordwesten auf Rospuda zu. Nachdem ich die letzte Brücke über den See Augustowski nordöstlich von Augustow überquerte, lief ich weiter Richtung Osten. Am nördlichen Ufer des Sees in Richtung Netta, die kurze Strecke von sechszehn Kilometer war schnell überwunden. Langsam näherte ich mich dem Zielgebiet, um Maly Borek. Wandte mich dann weiter in Richtung Gruszki.

Langsam beruhigte ich mich wieder etwas. Vor allem ließen diese verdammten Schmerzen nach und ich konnte wieder klarer denken. Endlich konnte ich mich wieder auf meine Aufgabe konzentrieren. Beim Laufen hatte ich für mich beschlossen, den Einsatz, wenn möglich ohne Hilfe der anderen zu machen. Plante den Einsatz auf eine Person um, was schwierig war, aber machbar. Nur musste ich dann, eine völlig andere Vorgehensweise entwickeln. Als erstes, musste ich das Lager erst einmal finden.

Ich fing an Suchschleifen zu ziehen, von Gruszki nach Rygol, in Richtung Westen. Unterhalb von Jazy fand ich nach drei Stunden Suche, die ersten Spuren. Eine halbe Stunde später entdeckte ich ein erstes großes, allerdings bereits verlassenes Lager. Hier hielten sich schätzungsweise tausend bis tausendzweihundert Personen über eine einige Tage auf. Das Lager wurde vor ungefähr acht oder neun Tagen verlassen. Schnell fand ich die Spur, die sich nach Richtung Osten zog. In der Mitte zwischen Muły und Lipiny, mitten im Wald, fand ich ein zweites Lager, das erst vor drei Tagen abgebaut wurde. Sie blieben maximal sechs Tage an einem Ort. Ich musste mich also beeilen. Folgte den Spuren, weiter in Richtung Norden, in Richtung Zelwa.

Ungefähr zwei Kilometer südwestlich der Siedlung, fand ich das Lager. Es war am Rande des Sees aufgebaut wurden und es herrschte dort ein reges Treiben. Lange beobachtete ich die Posten, die das Lager sicherten. Merkte mir die zeitlichen Abläufe. Was mich aber noch mehr interessierte, war der Wagenpark des Lagers. Der befand sich etwas westlich des Lagers und bestand aus fast fünfundzwanzig LKWs mit Anhängern.

Die Lage des Lagers, war ideal für einen Zugriff, da die Temperaturen sehr niedrig lagen, es waren mindestens minus 8°C, würden sich die meisten der Lagerinsassen davor hüten ins Wasser zu gehen. Von zwei Seiten war es von Wasser eingegrenzt. Das Lager lag in einem, einem V ähnelnden Landstück. Das wie eine Halbinsel, in dem See hinausragte. Es war nur nach vorn offen und ließ sich dadurch sehr gut verteidigen. 

Einen besser Platz, so kam mir der Gedanke, würden ich nicht mehr bekommen. Also musste ich dafür sorgen, dass sie noch einige Tage, länger hier blieben. So dass ich den Zugriff, in Ruhe vorbereiten konnte. Krampfhaft suchte ich nach einer Lösung. Wie konnte ich nur erreichen, dass sie länger hierbleiben? Leise schlich ich mich ins Lager. Dort war es ruhig geworden. Nur die Wachposten waren noch auf und liefen ihre Runden. Im Abstand von zwanzig Minuten patrollierten, sie innerhalb des Lagers und um das Lager herum. Es war erst halb Drei in der Früh.

Jeden Schatten nutzend, schlich ich durch das Lager. Immer wieder spähte ich in die Zelte. Zählte so die Bewohner des Lagers und kam auf eine stattliche Zahl von eintausendeinhundertsiebenundachtzig Insassen. Das erschreckende daran war, dass das Lager war schwer bewaffnet war. Alleine am Eingang des Lagers, standen fünf Granatwerfer vom Typ GW 36. Auf diese Weise hatten sie an der offenen Seite des Vs geschützt und das Lager war kaum einzunehmen. Im Lager selbst, sah ich in den Zelten, viele Maschinengewehre vom Typ MG34. Es würde nicht einfach werden, die Leute hier zum Aufgeben zu zwingen. Das zum Lager gehörende Munitionszelt, befand sich direkt am Wasser, an der Spitze des Vs. So dass es bei einem Angriff gut geschützt lag. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. 'Normalerweise und bei normalen Menschen', ging es mir durch den Kopf. 'Aber zum Glück war ich ja nicht normal.' Für mich konnte das Munitionszelt nicht günstiger liegen. Ich musste die darin befindlichen Gewehre und die Munition nur heimlich unbrauchbar machen, schon ging ihnen beizeiten die Luft aus.

Es war kurz vor 4 Uhr, als mir die Idee kam, wie ich die Leute zum Bleiben zwingen konnte. Urplötzlich kam mir der Einfall, die Fahrzeuge daran zu hindern los zufahren, indem ich sie fahruntauglich machte. Das hatten wir vor einigen Jahren schon einmal gemacht. Nach dem Einsatz hatte mir Jahn dann erklärt, wie man ein Fahrzeug vollkommen zerstören konnte. Von daher wusste ich jetzt, wie man die Zündverteiler entfernen konnte, wie man Bremsen zerstörte und Kühler unbrauchbar machte und einiges mehr. Ich kroch unter das erste Fahrzeug und holte mir den Zündverteiler und tobte mich richtig aus. Nacheinander, machte ich alle Fahrzeugen untauglich für den Gebrauch. Außerdem zerschnitt ich sämtliche Kabelbäume, Bremsschläuche und die Benzinleitungen der LKWs, an die ich ohne Probleme herankam. Auf diese Weise hatten sie eine Weile Beschäftigung, um ihre Transportmittel wieder fahrbereit zu bekommen. Selbst, wenn sie einige Ersatzteile in Reserve hatten, brauchten sie mindestens einen Tag, ehe wenigstens ein Fahrzeug wieder einsatzfähig war. Sie mussten ja erst einmal alle Fehler finden, vor allem die vielen Schrauben festdrehen, die ich gelockert und heraus gedreht hatte. Auch wenn ich nicht wusste, zu was sie da waren. Ich musste die Fahrzeuge ja nicht wieder reparieren. Auch mussten sie einige Löcher stopfen, die ich von unten in den Tank und die Kühler gebohrt hatte. Auf diese Weise hatte ich ein Teil meiner schlechten Laune an den Fahrzeugen ausgelassen. Sie konnten vielleicht ein oder zwei LKWs reparieren, für alle würde die Ersatzteile bestimmt nicht reichen. Ich war gründlich in allem was ich tat, auch in dem was ich zerstörte.

Leise und schnell holte ich mir zum Schluss, von einem der LKWs eine Metallkiste, die groß genug für die ausgebauten Zündverteiler und die Schrauben, die ich herausgedreht hatte und nahm auch zwei Seile von dem LKW mit. Packte alles dort hinein und band die Kiste mit dem einem der Seile zu. Schleppte die große Kiste, jedes Geräusch vermeidend, zum Ufer des Sees. Band die Kiste, an einen der am Ufer liegenden Baumstämme, so dass ich die Kiste in die Mitte des Sees daran hängend transportieren konnte. Die Kiste sich durch einfaches ziehen am Seil vom Baumstamm lösen ließ. Damit fertig, ging ich ins Wasser und zog den Baumstamm, schwimmend hinter mir her. Versenkte die Kiste an der tiefsten Stelle des Sees. Wo diese war, wusste ich von der Landkarte, die ich im Kopf hatte. So dass ein normaler Mensch ohne Tauchanzug, nicht mehr an sie heran kam.

Vorsichtig kundschaftete ich noch das Ufer in der Nähe des Munitionszeltes aus. Es ging vom Ufer aus, fast fünfundzwanzig Meter steil nach unten. Das war ideal für mein Vorhaben. Problemlos, konnte ich mich, vom Wasser aus, zum Zelt hoch graben. Ungesehen schwamm ich ans andere Ufer und lief zurück in die Halle.

 

Rudi setzte sich traurig an den Tisch. Ronny, aber auch Rashida nahmen neben ihm Platz.

Rudi sah Rashida lange an. "Was ist los mit ihr, Rashida? Ich verstehe meine Kleene manchmal einfach nicht. Sie war im Heli, so gut drauf", verzweifelt rieb er sich das Gesicht. "Läuft sie jetzt wieder weg? Das halte ich nicht noch mal aus."

Rashida schüttelte mit dem Kopf. "Nein Rudi, du musst dir keine Sorgen machen, Kahlyn wird nicht weglaufen. Ich denke sie geht das Lager suchen. Macht die Arbeit, die wir eigentlich zusammen machen wollten, alleine. Sie ist wütend. Sie muss sich Luft machen. Sonst tut sie etwas, was sie hinterher bereut. Wir haben das einige Male, in der Schule erlebt. Weil sie aus irgendeinem Grund, auf uns oder den Oberstleutnant wütend war. Sie brachte es dann fertig, dass sie einen Einsatz vollständig, alleine vorbereitet hat. So manches Mal, sogar alleine durchführte. Wofür man eigentlich ein ganzes Team brauchte. Wir haben nie begriffen, wie sie das geschafft hat. Selbst uns, hat sie das eine oder andere Mal verblüfft. Wut, bringt in meinem Täubchen Fähigkeiten zu Tage, die ihr euch nicht annähernd vorstellen könnt. Sie wird alles für den Zugriff vorbereiten und uns erst dazu holen, wenn sie alles vorbereitet hat, wenn überhaupt. Mach dir keine Sorgen, Kahlyn passt auf sich auf. Ihr kennt mein Täubchen, noch lange nicht. Sie hat die Verantwortung für zweiundachtzig Leute übernommen. Auch, wenn sie die Einsatzleitung abgegeben hat, an den Oberst. Es ist noch immer ihr Einsatz. Sie wird ihn erfolgreich beenden, zur Not sogar alleine", irritiert sah Rudi, Rashida an.

"Warum macht sie das?", wollte er von der besten Freundin, seines Schützlings wissen.

"Weil sie wütend ist. Auf den Doko und den Oberst. Ich kann sie verstehen. An ihrer Stelle wäre ich das auch."

Rashida nahm dankend die Tasse Kaffee entgegen, die ihr Simon gerade gebracht hatte. Er setzte sich neben sie und zog sie in seine Arme. Auch der Oberst setzte sich an den Tisch.

"Verdammt Rashida, was habe ich eigentlich falsch gemacht. Kahlyn ist manchmal eine … Ach ich weiß nicht, wie ich sie nennen soll. Es ist so ein liebes Mädchen, aber manchmal verstehe ich sie nicht", müde rieb Fleischer sich sein Gesicht. "Ein falsches Wort bei ihr und sie blockt alles ab. Ich hab es doch nur gut gemeint."

Rashida sah die Verzweiflung im Gesicht des Obersts. "Ich weiß, Genosse Oberst. Es geht uns auch oft so, Sir. Aber diesmal muss ich ehrlich sagen, sind sie selber schuld, Sir. Sie haben sich das Problem selber geschaffen, was sie jetzt haben, Sir."

Entgeistert sah Oberst Rashida an, er begriff immer noch nicht, warum? "Wieso, ich verstehe es nicht?"

Rashida musterte den Oberst. Auch sie hatte immer noch Angst, ihre Meinung offen einem Vorgesetzten gegenüber zu äußern. Wie oft wurden sie nach ihrer Meinung gefragt und danach bestraft. Sie wollte Kahlyn aber helfen. Hin und her gerissen war sie, von ihren Gefühlen. Ihre Freundin wurde ungerecht behandelt. Nur deshalb, war sie so verdammt wütend. Rashida konnte ihre Freundin nur zu gut verstehen. Sie selber wäre genauso ausgeflippt, wie Kahlyn. Dabei war sie selber immer noch die Ruhigste im Team. Aber bei solchen Ungerechtigkeiten, reagierten alle vom Team 98 extrem. Zu oft wurden sie schlecht behandelt, in ihrem Leben. Seit dem sie nicht mehr in der Schule und bei Oberstleutnant Mayer lebten, wussten sie alle, dass sie sich dies nicht mehr gefallen lassen brauchten. Kahlyn war schon immer viel Emotionaler, als alle anderen ihres alten Teams. Sie hatte schon immer mehr Probleme, sich bei solchen Dingen zu beherrschen. Aber, wie sollte sie das diesem Oberst erklären. Würde sie dann wieder bestraft? Unsicher sah sie zu Simon, der sie anlächelte und kaum merklich nickte. Also nahm Rashida ihren ganzen Mut zusammen, um ihrer Freundin zu helfen.

"Sir, sie haben sie von einer Minute zur anderen, ohne Grund einfach angebrüllt, Sir. Kahlyn wusste bestimmt gar nicht, warum, Sir."

Der Oberst schüttelte den Kopf, war sich keiner Schuld bewusst.

"Sir, sie brüllten Kahlyn am Funk an, wirklich. Sir. Sie sagten wortwörtlich. "Kahlyn, wir müssen dann sofort miteinander reden. Verdammt nochmal so geht das nicht. Wir reden dann erst einmal, wegen der Ginos, vorher lasse ich dich nicht fort. So funktioniert das nicht Kahlyn. Ich habe vorhin mit Doko Jacob gesprochen, so geht das absolut nicht, mein Kleine. Also stelle dich drauf ein, dass wir erst miteinander reden werden, bevor du los gehst. Danach, kommt erst der Einsatz und das ohne Diskussion..."" Rashida hatte den Oberst ziemlich gut imitiert, als sie nachmachte wie er mit Kahlyn am Funk zusammen gestaucht hatte.

Und sah jetzt in das entsetzt Gesicht des Obersts.

"Das habe ich nicht so zu ihr gesagt? Das glaube ich nicht."

Rashida sah den Oberst böse an. "Sir, genau das haben sie zu ihr gesagt, wortwörtlich und in dem nicht gerade freundlichen Ton, Sir. Ich habe ein sehr gutes Gedächtnis. Vor allem, stand ich doch genau neben ihnen, Sir. Ich an der Stelle von Kahlyn, wäre ich genauso an die Decke gegangen, Sir."

Bestürzt sah Fleischer Rashida an, konnte nicht begreifen, was er da gemacht hatte. "Du hast Recht. Aber das war mir gar nicht bewusst. Oh mein Gott." Mehr bekam er im Moment gar nicht heraus. Verzweifelt sah er aus. "Was mache ich jetzt?", hoffnungsvoll sah er zu Kahlyn’s bester Freundin.

"Sir, ich weiß es nicht, Sir. Sie lässt selbst mich, nicht mehr an sich heran. Sie wissen doch, wie das bei uns ist. Wenn wir die Ginos gerufen haben, sind wir im Anschluss über Wochen hypersensibel, Sir. Reagieren oft sehr extrem. Kahlyn, hat in der letzten Woche, alleine schon sieben Anfälle in nur vier Tagen gehabt. Hat in Cuba neunmal den Gino rufen müssen und in Chelm auch dreimal. Das heißt nur, in den letzten fünf Monaten, hat sie die Ginos neunzehnmal gerufen. Sie ist noch empfindlicher im Moment, als wir es sonst sind. Dann diese ganze Umstellung, auf der neuen Dienststelle. Diesen ganzen Stress den wir im Moment haben. Das ist mir sogar zu viel, wie muss sich da Kahlyn fühlen, Sir? Die ganze Zeit musste sie hungern. Die ganze Zeit musste sie kämpfen, um das Vertrauen, sie hat es wesentlich schwer als ich. Ich denke sie hat eine extreme Wut im Bauch, auf alle und auf alles, Sir. Hat verdammt große Mühe diese Wut zu kontrollieren. Durch ihren Anpfiff, den sie bestimmt nicht böse gemeint haben. Wurde Öl aufs Feuer geschüttet, so würde ich es ausdrücken, Sir. Kahlyn ist kurz vor dem durchdrehen. Sie hat doch gar nichts gemacht, Sir. Ich denke wir sollten sie einfach in Ruhe lassen. Vielleicht bekommt sie sich, von alleine wieder ein. Sonst bringe ich sie, nach dem Einsatz mit Gewalt zur Vernunft. Doch würde ich erst das Ende des Einsatzes abwarten, sonst geht sie schlafen. Wenn wir sie noch mehr in die Ecke drängen, Sir", entsetzt hörte der Oberst zu. Rudi wurde noch mehr denn je bewusst, dass Kahlyn unbedingt zur Ruhe kommen musste.

Der Oberst jedoch, begriff die Tragweite seines unüberlegten Handelns, jetzt erst richtig. "In Ordnung, also würde ich sagen, es legen sich nach dem Essen alle hin und schlafen, damit sie beim Einsatz dann fit sind. Was denkst du, wann Kahlyn wieder kommt?"

Rashida zuckte mit den Schultern. "Sir, das kann ich ihnen nicht sagen. Sie ist total schlecht drauf. Ich denke sie wird das Lager ausspionieren. Bestimmt versucht sie herauszubekommen, mit wie vielen Gegnern wir es zu tun haben. Vor 5 oder 6 Uhr wird sie nicht zurück kommen, Sir. Das auch nur, wenn sie das Lager gefunden hat. Wenn sie es nicht gleich findet, wird sie solange suchen, bis sie es hat. Dann kommt sie zurück. Wird für sie einen Einsatzplan schreiben, sich etwas hinlegen und dann duschen. Ich glaube nicht, dass sie mit ihnen reden wird. Ich würde ihnen auch nicht raten, sie noch mehr zu bedrängen, Sir."

Der Oberst nickte, so gut kannte er Kahlyn, dass er wusste, dass er jetzt sehr viel Geduld brauchte. "In Ordnung, also lassen wir es auf uns zu kommen. Rashida, glaube mir bitte eins, das wollte ich nicht. Ich hatte bevor ich Kahlyn erreicht hatte, gerade eine sehr böse Auseinandersetzung mit einer meiner Chefs. Ich war eigentlich mit meinen Gedanken, noch bei dem Gespräch mit Hunsinger. Den ich zur gleichen Zeit noch am Telefon hatte, der wieder einmal zu weit gegangen war. Ich habe das wirklich nicht gewollt. Hoffen wir, dass ich das wieder grade biegen kann. Mir liegt deine Freundin wirklich am Herzen. Ich will doch nur nicht, dass ihr etwas passiert. Ich darf gar nicht darüber nachdenken, in was für eine Gefahr sie sich begibt, wenn sie schon wieder die Ginos ruft. Kannst du ihr das nicht ausreden, bitte Rashida", verzweifelt sah er zu Kahlyns Freundin, doch diese schüttelte den Kopf.

"Sir, ich habe es versucht, deshalb hat sie mich ja so angebrüllt, Sir. Aber ich denke, es ist nicht so schlimm bei ihr, wenn sie die Ginos bewusst ruft. Kahlyn hat da nie die Probleme gehabt wie wir anderen. Viel gefährlicher sind die unkontrollierten Anfälle bei ihr, das macht sie mir vorhin noch einmal deutlich. Vertrauen sie ihr einfach. Kahlyn weiß was sie riskieren kann. Vor allem aber kann sie die Gefahren viel besser einschätzen, als ich, Sir", ernst sah Rashida in die Augen des Obersts, der nickte.

Aber Rudi wollte es ganz genau wissen, von was die beiden Reden. "Rashida, was heißt sie weiß, in welche Gefahr sie sich begibt? Was sind das für Gefahren?"

Stöhnend blickte Rashida zu Simon, der wollte das aber auch wissen. "Rashi, wat is los, warum stöhnst du so? Hast du mir net alles erzählt? Jomm, los raus mit der Sprach."

Verlegen sah Rashida auf ihre Finger. "Simon bitte, weder Kahlyn noch ich, werden euch jemals alles erzählen, lass es einfach wie es ist. Es reicht doch, wenn wir die Gefahren kennen, warum sollt ihr euch Sorgen über Dinge machen, die nur eventuell eintreten könnten. Bitte Simon, du treibst mich in die Ecke, lass es so wie es ist. Ich will darüber nicht reden, es geht keinen etwas an, außer uns selber. Ich werde auch nicht darüber diskutieren, egal wie sehr ihr mich bedrängt", ernst sah sie Simon an.

Der streichelte ihr übers Gesicht.

Rudi jedoch konnte sich nicht damit zufrieden geben, es war seine Kleene, um die es hier ging. "Rashida bitte, ich mache mir Sorgen um die Kleene."

Rashida schüttelte den Kopf, schweigend trank sie ihre Tasse Kaffee.

Als der Oberst anfangen wollte zu erklären, was es damit auf sich hat, wurde Rashida richtig böse. "Es ist so …"

Weiter ließ Rashida ihn nicht reden. "Es reicht Genosse Oberst, hören sie damit auf. Ich habe gesagt, dass ich darüber nicht diskutieren will. Sie haben kein Recht etwas davon preiszugeben, wenn wir das nicht wollen. Es ist eine sehr persönliche Sache. Sie drängen mich genauso in die Ecke wie Kahlyn. Haben sie heute nicht schon genug Unheil gestiftet, durch ihr unüberlegtes Handeln, Sir", wütend sah Rashida den Oberst an.

Dem wurde bewusst, dass sie recht hatte, mit dem, was sie ihm gerade vorwarf. Er sah Kahlyns Freundin verlegen an. "Tut mir leid Rashida, nur versteh uns doch auch. Wir lieben euch doch. Kannst du dir eventuell vorstellen, dass es einfacher für uns ist, zu wissen, was auf uns zukommt. Als ständig grübeln zu müssen, was eventuell Schlimmes mit unseren Freundinnen, passieren könnte."

Genervt rieb sich Rashida das Genick, auf die gleiche Weise wie es Kahlyn immer tat, wenn sie in die Ecke getrieben wurde. Lange sah sie auf ihre Finger, die krampfhaft die Tasse festhielten. Als diese auf einmal zersprang, einfach von ihr zerdrückt wurde. Welche enormen Kräfte musste diese junge Frau haben, dass sie eine Steinguttasse die sie in der Hand hielt einfach zerdrücken konnte. Erschrocken sah Rashida hoch.

"Sir, tut mir leid, das wollte ich nicht, Sir."

Sofort stand das Mädchen auf und las die Scherben zusammen und ging nach hinten in die Dusche, um einen Lappen zu holen.

"Rashida ist nicht schlimm, entschuldige ich wollte dich nicht so unter Druck setzen", sagte der Oberst zu Rashida.

Rashida nickte und verabschiedet sich mit den Worten. "Ich lege mich hin, mir tut der Kopf weh", gab Rudi und Simon einen Kuss und lief nach hinten in die Ecke, um sich zusammenzurollen. So wie es Kahlyn auch oft tat, wenn es ihr nicht gut ging.

Simon schüttelte den Kopf. "Verdammt Jenosse Oberst, warum jönnen sie net akzeptiern, dat es Dinge jibt, über die diese Jinder net reden wolln. Wat bitte is so schwer daran, bestimmte Dinge enfach zu akzeptiern", wütend sah Simon den Oberst an.

"Simon, ich akzeptiere viele Dinge bei Kahlyn, auch bei Rashida. Doch bestimmt Dinge, das müssen sie noch lernen, sollte man so nicht akzeptieren. Das ist einfach nicht gut. Dieses Rufen von den Ginos ist sehr gefährlich, es führt zu schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen. Der Doktor der Kinder hat mir erklärt, dass die Kinder mit den Schäden zwar leben können, aber für sehr, sehr lange Zeit, schlimme Schmerzen haben werden. Bin ich denn nicht auch den Kindern gegenüber verpflichtet, Verantwortung zu übernehmen und für deren Sicherheit zu sorgen. Die machen sowieso schon immer die schlimmsten Arbeiten", jetzt sah auch noch der Oberst, Simon böse an.

Rudi wollte es jetzt wissen. "Bitte Willy, erzähle mir was los ist", ernst sah er den Oberst an.

"Rudi, die Kinder müssen sich das N47 spritzen, bevor sie die Ginos rufen. Dieses verdammte Zeug führt nicht nur zu inneren Blutungen, sondern greift auch die Muskulatur an. Die Kinder haben über Monate starke Krämpfe. Die wie Wellen durch ihren Körper rasen. Rufen die Kinder die Ginos zu oft, wie es Kahlyn macht, um ihre Leute zu schützen, kommt es dazu, dass die Muskeln dauerhaft im Krampf bleiben. Das musst du dir in etwa so vorstellen, als wenn du permanent mit einem Wadenkrampf leben musst. Kannst du dir vorstellen, welche Schmerzen die Kinder aushalten müssen. Fritz Jacob rief mich vor einigen Stunden an, dass eben das bei Kahlyn im Moment der Fall ist. Er bat wohl Kahlyn, als sie das letzte Mal bei ihm war, für einige Tests die er im Moment macht, um eine Blutprobe. Das war aber noch, bevor sie den Anfall am Baum der Kinder bekam. Dieses Enzym, was er untersuchen wollte, hängt unmittelbar mit bestimmten, Ernährungsproblemen zusammen. Aber es wird auch durch das Rufen der Ginos aktiviert. Fritz bekam einen riesen Schreck, als er diesen Wert sah und bat mich mit Kahlyn darüber zu reden, es ihr vor dem Einsatz zu sagen. Dieser Wert ist bei ihr lebensbedrohlich hoch. Diese Werte sind jetzt noch schlechter, als bei der Probe die er hat. Kahlyn bekam ja mindestens noch einen Anfall, von dem wir wissen. Normalerweise, liegt der Wert des Enzyms bei 0,85 Prozent. Dieser Wert zeigt an, wie stark die Kinder unter diesen Krämpfen leiden. Bei Kahlyn, lag er vor dem letzten Anfall, bei 39,3 Prozent. Nach jedem Anfall steigt der Wert, um circa fünf Prozent und braucht Wochen, um sich wieder abzubauen. Bei zwanzig Prozent, so hat es mir Fritz erklärt, treten diese dauerhafte Krämpfe auf. Wenn der Wert allerdings, auf über fünfundvierzig Prozent steigt, ist Kahlyns Herz in großer Gefahr. Bekanntlich, ist das ja auch nichts anderes als ein Muskel. Es ist eine Frage der Zeit, bis Kahlyn sich selber tötet. Verstehst du das", ernst sah ihn der Oberst an, seine Worte drückten die ganze Verzweiflung aus, die er empfand.

Rudi wurde mit jedem Wort blasser.

Auch Simon begriff nun, warum der Oberst so an die Decke ging. "Jenosse Oberst, kommens mit wir redn mit Rashida. Dat wird sie gar net wissn", er stand auf und lief zu dem Lager auf den Rashida sich zusammengerollt hatte. Der Oberst wie auch Rudi folgten ihm.

"Rashi, bitte ick muss mit dich redn, es is lebenswichtig für Kahlyn. Bitte meene Jleene, höre miche ma zu."

Rashida setzte sich auf und sah ihren Freund an. "Was ist Simon?"

Tief holte Simon Luft, auch der Oberst setzte sich auf die Matte von Rashida, Rudi ging davor in die Hocke. "Jleene, der Doko hat den Oberst heute verzwefelt anjerufn, da er bee der Unersuchung von Jahlyns Blutprobe, eene erschrejende Entdejung jemacht hat. Der Oberst jann dich dat besser erjlärn, bitte hör ihm wenijstens zu."

Rashida nickte, sah aber immer noch böse zum Oberst. "Rashida, bitte ich mache mir nur Sorgen um Kahlyn, es ist wirklich ernst. Du weißt doch, dass beim Rufen der Ginos, ein bestimmtes Enzym aktiviert wird bei euch?"

Rashida sah ihn verwundert an, natürlich wusste sie das. "Ja, wir nennen es das Ginoenzym, weil es nur in unserem Blut ist. Ihr habt das nicht. Es ist aber auch für die Verdauung verantwortlich, wenn wir viel essen sind die Werte auch viel höher, deshalb muss ich jetzt mit dem Essen aufpassen. Weil wir das nicht gewohnt sind, so viel zu Essen. Deshalb hat auch der Doko mit Jaan so geschimpft", erklärte sie den drei Männern.

"Genauso hat es mir der Doko auch erklärt, Rashida. Er will mit Jens Karpo zusammen, eine Art Notration für euch entwickeln, damit ihr während des Einsatzes auch etwas habt, wenn wir nicht kochen können. Deshalb hat er Kahlyn, um eine Blutprobe gebeten. Beim ausmessen dieser Blutprobe, stellte er fest, dass eben dieses Ginoenzym sein Grenzwerte schon lange überschritten hat. Er erklärte mir, dass dies durch den vielen Stress und das viele Hungern von Kahlyn eigentlich nicht sein dürfte. Das also Kahlyn in den letzten Monaten einfach zu oft die Ginos aktiviert hat. Rashida, der Wert lag, vor dem letzten Anfall von Kahlyn, bei 39,3 Prozent, also muss er jetzt bei ungefähr 44 Prozent liegen. Kannst du nicht verstehen, dass ich mir da Sorgen mache", entsetzt blickte Rashida den Oberst an. "Doko meinte ich muss ihr das unbedingt sagen, das wollte ich eigentlich ja auch nur mit ihr bereden."

Rashida wirkte völlig abwesend, versuchte durch eine Verbindungstür zu Kahlyn vorzudringen. Doch die hat alles dicht gemacht, sie kam einfach nicht an sie heran. Selbst die alten Tricks die sie selten, aber in Notfällen schon mal genutzt hat, nutzen nichts. Verzweifelt rieb sie sich die Stirn. Sie wusste, dass wenn Kahlyn alleine Einsätze vorbereitet, sie oft auf die Ginos zurückgriff. Es half nichts, sie musste vor dem Einsatz, versuchen mit ihr zu reden.

"Sir, ich spreche mit ihr sobald sie da ist, Sir. Vertrauen sie mir einfach. Sorgen sie dafür, dass sie etwas schlafen kann, dann bekomme ich das schon hin. Aber es wird heftig werden. Es soll sich keiner einmischen. Es wird zu einem Kampf kommen, Sir", erklärte Rashida leise und legte sich wieder auf ihre Matte, rollte sich zusammen. Simon, der seinen Schützling genau kannte, wusste dass sie weint.

"Lasst uns bitte allene, es hilft niemandn, wenn Rashi jetzt och noch abjlappt."

Rudi und der Oberst erhoben sich und gingen wieder nach vorn an den Tisch. So genau wie möglich, informierten beide Offiziere die Jungs, über die Notlage mit Kahlyn. Erklärten ihnen auch das Wenn und Aber. Kurz vor 23 Uhr jagte der Oberst alle ins Bett oder besser gesagt, auf die Matten. Nur er saß in seinem Büro und verzweifelte immer mehr, weil sein kleines Mädchen nicht zurückkam. Er konnte nicht schlafen, weil er in Sorge war. Vor allem, weil er sich Vorwürfe machte, dass er sich von seiner Wut auf Hunsinger, hatte bei so einer wichtigen Sache ablenken lassen.

 

Die reichlich vierzig Kilometer zur Halle, waren schnell zurück gelegt. So kam ich frierend, kurz vor halb 6 Uhr in der Halle an. Lief in das Büro des Obersts, der an seinen Schreibtisch saß. Ich ignorierte ihn völlig. Griff in meinen Ordner und holte mir die leeren Blätter hervor und nahm einen Stift der auf dem Schreibtisch lag. Setzte mich vorn an den Tisch. Alle anderen schliefen. Ich hatte im Lager eins begriffen, dass ich diesen Einsatz ohne Hilfe, nicht hinbekam. Die Jungs mussten also mit ran, deshalb würde ich alles für den Einsatz Notwenige ausarbeiten. Als der Oberst mir eine Decke umhängte, schmiss ich die von den Schultern. Auch den Kaffee den er mir hinstellte, ließ ich unberührt stehen. Auch, wenn es mich viel Kraft kostete, so schnell konnte ich ihm, die ungerechte Behandlung nicht verzeihen. Er setzte sich an den Tisch, beobachtete mich, genau. Ich ignorierte seinen Blick einfach und konzentrierte mich auf meine Aufgabe. Arbeitete einen funktionierenden ersten Einsatzplan aus. In dem ich die Wachwechsel aufführte, eine Skizze des Lager machte. Schrieb Vorschläge für die Vorgehensweise und eine Liste mit den benötigten Materialien auf. Auch weise ich auf eventuelle Gefahren hin. Damit fertig war ich kurz nach 6 Uhr.

Ich erhob mich und ging in das Büro des Obersts. Legte ihm wortlos den Einsatzplan auf den Tisch, verließ sofort wieder sein Büro. Ich hätte es ihm ja auch vor die Nase legen können, doch wollte ich ihn einfach nur ignorieren. Der Platz für einen Einsatzplan war der Schreibtisch des Ranghöchsten Offiziers und das war nun einmal der Oberst.

Ich sah mich nach einem Schlafplatz um, denn zu Rashida wollte ich mich nicht legen, zu sehr war ich von ihr enttäuscht. Eine einzige Ecke war noch frei, dort ging ich hin. Legte mich ohne Decke, nass wie ich war auf den Boden und rollte mich zusammen. Lange fand ich keine Ruhe, auch wenn ich gleichmäßig atmete, wusste Rashida doch, dass ich nicht schlief. Zu lange kannten wir uns. Mehrere der Jungs versuchten, nachdem sie aufgewacht waren, mich zu zudecken. Sobald sie sich einen Meter von mir entfernt waren warf ich die Decke wieder ab. Ich wollte keine Geborgenheit, immer noch war ich wütend und dieser verdammte Hass hatte mich voll im Griff. Das ich zurück gekommen war, hatte nichts damit zu tun, dass ich die Nähe zu den hier anwesenden Menschen suchte. Sondern es hing einfach und allein, mit meinem Verantwortungsbewusstsein zusammen. Ich hatte diesen Auftrag übernommen und würde diesen auch ausführen. Meinen verlorenen Freunden Wege aufzeigen, wie sie ohne Gefahr dort hindurch kommen konnten. Was danach geschah, wusste ich noch nicht. Aber diesen Auftrag würde ich zu Ende bringen. Selbst, wenn ich ihn alleine durchführen musste.

Völlig erschöpft schlief ich kurz nach halb Sieben ein, es war kein sehr erholsamer Schlaf. Kurz nach 8 Uhr erwachte ich und fühlte mich wie zerschlagen. Ich setzte mich auf, müde legte ich meinen Kopf auf die Knie. Kurz entschlossen stand ich auf und ging in einen der Duschräume. Zog mich aus, um wenigstens etwas wärmer zu werden.

Conny, der fast immer Zugang zu mir fand, legte schweigend trockene Sachen auf den Heizkörper, ging aber wortlos wieder hinaus, als er bemerkte, dass ich völlig dicht gemacht hatte. Also ließ er mich in Ruhe. Lange stand ich unter der Dusche, dann wusch ich mich. Aber auch meine Sachen, die waren schlammig und stanken. Ich wrang sie richtig aus. Lief in den benachbarten Duschraum und hängte sie dort auf die Heizung. Nur im nassen Bustier und Turnhose begleitet, ging ich wieder in meine Ecke. Rollte mich zusammen und versuchte noch etwas zu schlafen. Nach fast einer Stunde, fand ich Ruhe und schlief bis kurz nach Mittag. Als ich erwachte, sah ich als erstes, dass Rudi neben mir saß. Lange sah ich ihn an und er mich.

"Können wir reden, meine Kleene?", erkundigte er sich leise. "Rashida meinte zwar, es hat keinen Zweck, aber ich wollte es trotzdem versuchen. Ich hab dir ja eigentlich nichts getan. Oder etwas doch?", er sah mich lächelnd an.

Ich schüttelte den Kopf. Rudi hatte mir nichts getan.

"Darf ich dich in den Arm nehmen?"

Ich nickte.

Er rutschte ein Stück zu mir heran. Langen sah ich zu ihm hoch, er sagte nichts.

"Was willst du Rudi?", fragte ich ihn nach einer Weile, weil er nichts sagte.

"Mit dir reden, meine Kleene. Weil ich nicht verstehe, was los ist?"

Wieder sah ich ihn lange an. "Warum? Es ändert doch nichts an der Tatsache, dass man mich nicht für voll nimmt. Obwohl ich vieles kann, was andere nicht können, werde ich als Volldummie hingestellt. Was soll ich da noch reden?", traurig sah ich auf meine Finger, die nervös Fingerspiele machten.

"Du bist kein Volldummie. Wer hat das denn gesagt, meine Kleene?"

"Keiner, aber so behandelt man mich ständig. Das macht mich verdammt wütend", gab ich ihm leise zur Antwort.

Rudis Nähe tat mir so gut, seine Wärme beruhigte, meine aufgeriebenen Nerven und half mir etwas gegen die Schmerzen.

"Wer behandelt dich denn so?"

Sah er das denn nicht? Müde winkte ich ab.

"Kleene, wenn du abwinkst, verstehe ich es nicht. Darf ich dir einmal etwas aus meiner Sicht aufzeigen?"

Lustlos zuckte ich mit den Schultern, dann nickte ich.

"Weißt du meine Kleene, ich denke du hast etwas in den falschen Hals bekommen. Hast wieder einmal etwas missverstanden. Keiner hier in dem Raum denkt von dir, dass du dumm bist. Nur habe ich langsam aber sicher das Gefühl, dass deine Nerven blank liegen. Ständig musst du versuchen uns zu verstehen, doch keiner gibt sich die Mühe, dich zu verstehen. Denkst du bei dir", traurig sah er mich an.

Ich legte meinen Kopf an die Wand und starrte nach oben an die Decke. Es war doch so. Außer Rudi, versuchte doch niemand, mich zu verstehen.

"Redest du nicht mehr mit mir?"

Ich nickte, ich wollte mit niemanden mehr reden. Warum denn auch, es verstand mich doch sowieso keiner. Dann konnte ich mir die Mühe des Sprechens auch sparen.

"Schade allerdings. Ich dachte ich bin dein Freund."

Leise kaum hörbar, stellte ich fest. "Ich habe keine Freunde, das habe ich gestern begriffen. Lass es gut sein. Ich habe begriffen, dass ich dumm bin, nichts verstehe, keinerlei Erfahrungen habe. Gefahren nicht einschätzen kann. Selbst bei Sachen zu dumm bin, die nur ich selber einschätzen kann. Da nicht einmal Rashida, davon weiß. Aber ihr seid ja alle um so vieles schlauer als ich. Also denke ich, dass ich nach diesem Einsatz zusehen sollte, dort hinzu gehen, wo ich hin gehöre. Rudi, ich gehöre nicht hierher, ich bin hier fehl am Platz. Ich werde diesen Auftrag den ich angenommen habe, noch zu Ende führen. Dann seid ihr mich für immer los."

Damit stand ich auf und lief in die Dusche zog die fast trockenen Sachen wieder an. Lies Rudi fassungslos zurück. Mein Major konnte nicht glauben, was ich ihm da an den Kopf warf. Aber mir war es langsam egal. Es verstand mich sowieso keiner und es war zwecklos immer wieder das Gleiche zu erklären. Wie oft hatte ich vertraut und wurde enttäuscht, hatte verziehen und wurde wieder enttäuscht. Ich wollte das nicht mehr, es musste ein Ende haben. Fertig angezogen wandte ich mich in Richtung Tür. Als ich die Halle wieder verlassen wollte, um meinen Auftrag zu erfüllen, stellte sich mir Rashida in den Weg.

 "Täubchen, bitte ich muss mit dir reden, es ist wichtig. Du weißt sonst würde ich dich in Ruhe lassen", ernst sah sie mich an.

Ich wollte nicht mit ihr reden. Sie war kein bisschen besser, als die andern. Auch sie vertraute mir nicht. Ich hatte es satt immer um Vertrauen kämpfen zu müssen. Wütend schüttelte ich den Kopf.

"Ich will aber nicht mit dir reden. Du hast mir ziemlich klar gesagt, was du von mir hältst. Lass mich meine Arbeit mache. Aus den Weg jetzt", wütend schob ich sie zur Seite.

Rashida griff nach meinem Handgelenk und wollte mich festhalten. Das hatte sie noch nie gemacht. Immer hatten wir akzeptiert, wenn einer von uns gehen wollte. Nie zwangen wir jemanden zum bleiben, wenn er das nicht wollte. Wieso macht sie das gerade hier und jetzt? Wollte sie sich vor dem Jungs beweisen?

"Lass mich sofort los", pulverte ich sehr laut und sehr wütend, aber auch bestimmt, an.

Rashida wusste genau, dass es gleich zum Kampf kommen würde. Das sah sie an meiner gesamten Körperhaltung. "Ich lasse dich los, wenn ich mit dir gesprochen habe. Es ist wichtig, vorher gehst du nirgends hin, mein Täubchen", versuchte sie mich leise zu beschwichtigen.

Was war nur los mit ihr? Warum konnte sie nicht akzeptieren, dass ich gehen wollte? "Lass los Rashida. Ich will dich nicht verletzen", die Blicke die Rashida trafen, waren voller Hass.

Sehr leise gab ich ihr den Hinweis und zwang mich zum ruhigen Sprechen. Sie schüttelte den Kopf. Nutzte einen uralten Trick, den ich früher beim Training oft benutzte, um meine Freunde an mich zu binden. Ohne, dass ich es verhindern konnte, legte sie mir eine Handschelle an. Entsetzt sah ich sie an. Brüllte sie an. Das hatte sich noch keiner von meinen Freunden gewagt.

"Mach das Ding ab. Sofort. Oder ich reiße dir den Arm heraus. Was soll das?", fassungslos sah ich auf die Handschelle und dann auf meine beste Freundin.

"Dann musst du es tun. Täubchen, du weißt, dass wir gleichstark sind. Willst du wirklich richtig mit mir kämpfen? Hast du unseren Schwur vergessen? Was willst du machen? Mich töten? Kannst du damit auch leben? Ich will nur, dass du dich fünf Minuten hinsetzt und mir genau zuhörst. Täubchen es geht um…", weiter kam Rashida nicht.

Ich ließ ihr keine Zeit mehr sich zu erklären. Da sie schon die ersten Schläge und Tritt abbekam und sich verteidigen musste. Ich rastete völlig aus, verlor sämtliche Selbstkontrolle. Mit der Handschelle hatte sie den Bogen überspannt. Das war einfach zu viel des Guten. Das war so, als wenn der Zünder einer Bombe berührte und diese schlagartig explodieren ließ.

Mein ganze angestaute Wut, dieser verdammte Hass entlud sich in diesem Moment und traf Rashida. Schlag auf Schlag, Tritt auf Tritt regneten die Schläge auf meine Freundin nieder. Rashida, die ja in einer ähnlich angespannten Situation war wie ich, reagierte auf die gleiche Weise. Auch sie hatte durch das Gino rufen noch genügend Wut im Bauch, die sie nur mit Mühe beherrschte. Auch wenn sie weniger Anfälle hatte wie ich. Die Wut war da und entlud sich jetzt gegen mich. Vor allem wurde sie jetzt auch wütend, weil ich sie nicht aussprechen ließ. Etwas, dass Rashida hasste wie die Pest. Sie schlug nun ebenfalls auf mich ein. Es kam zu einem richtig schlimmen Kampf zwischen uns beiden. Etwas, das seit vielen Jahren nicht mehr geschehen war.

Wir gaben uns nach dem unserem letzten Kampf das Versprechen, war wir so einen schlimmen Kampf nie wieder zulassen würden. Bei diesem letzten schlimmen Kampf, hätte ich Rashida fast getötet. Nur mit Müh und Not konnte ich sie damals retten.

Warum brachte sie mich so weit? Das war der letzte normal Gedanke, der mir durch den Kopf schwirrte und der mich gefangen hielt. Warum nur? Im gleichen Moment erfasste mich der Rausch des Kampfes, der alles um mich herum verdrängte.

 

Was die Jungs jetzt zu sehen bekamen, erschreckte sie zu Tode. Wenn die meisten dachten, dass das, was sie in Himmelpfort von uns gesehen hatten, eine großartige Leistung war. So erkannten sie in diesem Moment, dass dies nur ein leichtes Geplänkel war. Das, was sie jetzt sahen, war unvorstellbar. Jeder Schlag den sie sahen, tat ihnen in der Seele weh und sie zogen automatisch die Köpfe ein. Immer panischer zogen sich die Jungs, an die Wände zurück. Rashida hatte ihnen gesagt, dass die Möglichkeit bestand, dass diese Sache richtig aus dem Rudern lief. Hatte versucht ihnen klar zu machen, dass sich niemand einmischen sollte. Egal, wie gefährlich es für sie aussah, keiner sollte versuchen zu helfen. Dass sonst die Gefahr bestünde, dass von ihnen jemand getötet würde. Sie hatten das mehr oder weniger als Unken ansehen. Zwei kleine Mädchen die sich gegenseitig etwas hauten, wo sollte da eine Gefahr für sie bestehen.

Aber jetzt begriffen sie Rashidas Worte. Dass sie beim Kampf gegen Kahlyn nicht auch noch auf andere Rücksicht nehmen konnte. Sie hätte genügend damit zu tun, sich gegen Kahlyn zu verteidigen. Die Jungs hatten darüber schallend gelacht. Etwas dass ihnen jetzt verging. Sie konnten sich vor wenigen Stunden nicht vorstellen, dass das große Mädchen Mühe haben könnte, sich gegen die kleine Kahlyn zu wehren. Das, was sie jetzt zu sehen bekamen, bestätigte allerdings Rashidas Worte. Damit, hatte keiner der Männer gerechnet.

Die Schläge die Kahlyn auf Rashida niederprasseln ließ, taten schon beim reinen Hinsehen weh. Alle gestanden sich ein, dass sie nicht einen dieser Schläge überleben würden. Ängstlich drückten sich alle an die Wand. Schaffte die Tische und Stühle in einen der Duschräume, um zu verhindern, dass sich die Mädchen daran verletzten und um den Mädchen so mehr Bewegungsfreiheit zu geben. Die Schläge die man hörte, waren Geräusche, die man nie wieder vergessen würde. Hart und dumpf klangen sie, wie das Schlagen einer Trommel, die immer im gleichen Takt geschlagen wurde. Rechts, links, rechts, links rechts, links … ohne Pause hagelte es Schlag auf Schlag.

Als einer dieser Schläge Kahlyns gegen eine Wand des Abstellraumes prallte und ein Loch hinterließ, wurde den Männern bewusst, mit welcher Wucht dieses Mädchen zuschlugen. Ihnen schlugen die Herzen bis hoch in den Hals. Die Männer bekamen regelrechte Panik. Nach fast einer Stunde jagten Conny, der Oberst, Rudi und Simon ihre Leute in die Duschräume. Sie merkten, dass dieser Kampf außer Kontrolle geriet und es ein Kampf auf Leben und Tod wurde. Es passierte etwas, was keiner für möglich hielt. Die Schläge wurden immer heftiger und allen wurde angst und bange. Keiner wollte auch nur einen dieser Schläge abbekommen. Ihnen war klar, dass sie keine Chance hatten, diesen Schlag zu überleben. Alle bekamen Angst um die um so vieles größere Rashida, die sichtbare Mühe hatte sich gegen Kahlyn zu verteidigen.

Selbst der Oberst und Conny, erschraken und waren fassungslos. Obwohl die Beiden schon einiges von Kahlyn gesehen hatte und auch gewohnt waren, immer wieder von neuen überrascht zu werden,  Sie stellten fest, dass Kahlyn sich bis jetzt, immer zurückgehalten hatte, bei einem Kampf. Jetzt erst begriffen sie die ganze Tragweite, von Kahlyns immer wieder vorgebrachten Ermahnungen, dass sie Angst hätte einmal völlig die Kontrolle zu verlieren. Rudi wurde in diesem Moment bewusst, was ihm sein kleines Mädchen erklärt hatte, dass sie sich davor fürchtete aus Reflex einmal jemanden zu töten. Wenn er sah, wie die um so vieles größere Rashida Mühe hatte, sich gegen ihre kleine Freundin zu verteidigen. Sender begriff endlich, wieso diese ihre Kameraden all die Jahre trainiert hatte.

Die Schläge von uns Mädchen waren, so die Gedanken der meisten Männer, nicht das Schlimmste. Um einiges schlimmer waren die Schreie von uns Beiden. Die jagten den erfahrenen Kämpfer, Wellen von Schauern über den Rücken. Zu sehen und zur Untätigkeit verdammt zu sein, wie wir Mädchen aneinander gefesselt, aufeinander einschlugen und traten, ängstigte vor allem aber Rudi und Simon. Dabei zu stehen und nichts tun zu können, und zu hoffen zu müssen, dass ihren Schützlingen nichts geschehen würde. Das war noch um einiges schlimmer, als das Zusehen der anderen.

Die Männer beobachteten wie wir beiden Mädchen, an den Wänden nach oben liefen, uns dabei gegenseitig schlugen und traten. In einer Geschwindigkeit, die sich keiner von ihnen vorstellen konnte. Über zweieinhalb Stunden, dauerte jetzt schon dieser Kampf. Er nahm aber an Heftigkeit immer mehr zu, jetzt so schien es, hatte auch Rashida noch die Kontrolle über ihre Wut verloren. Wo nahmen die Mädchen, nur diese ungeheure Kraft her? Fragten sich die Jungs immer wieder. Die Ausdauer, so lange und so kraftvoll zu kämpfen? Plötzlich nach einer weiteren halben Stunde, hörten die Jungs einen markerschütternden Schrei.

Danach war Ruhe. Keine Schläge mehr. Nur eine unheimliche Ruhe. Vorsichtig steckten der Oberst, Simon und Rudi ihre Nase aus dem Duschraum. Sie sahen mich am Boden liegen.  

Rashida hielt meinen Kopf, in dem sie mit den Finger von oben, in meine Augenhöhlen griff. Mit Ihrem gesamten Gewicht, kniete sie auf meinem Rücken. Mit ihrer zweiten Hand drückte sie von hinten in mein Genick. Zog so meinen Kopf nach hinten. Im schnellen Wechsel, trat sie mir mit dem rechten Fuß von hinten in die untere Wirbelsäule. Mit dem linken Knie, rutschte sie mich fest justierend, auf meine Oberschenkel. Hielt mich so in einem eisernen Griff am Boden. Auf diese Weise, zog sie mich in die einzige Stellung, aus der ich mich nicht mehr befreien konnte. In dem ich mit dem Kopf weit ins Genick gelegt, gezwungener Maßen ins Hohlkreuz gehe musste. Das waren Schmerzen, die sich kein normaler Mensch vorstellen konnte. Dies schaffte Rashida nur ganz selten und nutzte das auch nur, wenn sie mich anders nicht beruhigt bekam.

Durch das Wegschlagen der Brille, kam es zu einem stechenden Schmerz in meinen Augen. Deshalb der grelle Schrei. Diesen Bruchteil einer Sekunde musste Rashida nutzen, um mich zu justieren. Sonst hatte auch sie, keine Chance mich auf den Boden zu bekommen. Mit einem eisernen Griff hielt mich Rashida fest.

Ich wusste, dass ich verloren hatte. Aus diesem Griff, konnte ich mich nicht mehr selber befreien. Trotzdem versuchte ich mich noch aus dem Griff herauszuwinden. Auch das Schreien ging nicht mehr, weil mir dazu einfach die Luft fehlte. Rashida, war mir Kräftemäßig weit überlegen, Gewichtsmäßig ebenfalls. So hielt sie mich in einem harten Griff fest, bis ich aufgab. Vergeblich bemühte ich mich, aus ihrem Griff herauszuwinden. Das ging nicht ohne Gefahr zu laufen, mir selber das Genick zu brechen.

Rudi war nicht nur einmal versucht zu Rashida zu laufen um seine Kleene aus dieser Zwangshaltung zu befreien. Der Oberst und Conny versuchten ihn mühsam davon abzuhalten. Zum Schluss musste den Beiden sogar Simon noch helfen, Rudi im Zaun zu halten, damit nicht doch noch ein Unglück geschah.

Nach fast zwanzig Minuten in dieser Zwangshaltung gab ich endlich auf. Schwer atmend lag ich am Boden, Rashida saß neben mir. Erschöpft und schwer atmend, zog sie mich in ihren Arm. Als erstes löste sie die Handschelle und schmiss sie im hohen Bogen weg.

"Redest du jetzt wieder mit mir oder muss ich dich noch mal verprügeln, Täubchen?", fragte sie, mich auf ihre Beine ziehend und nahm mich in den Arm, um mich einfach nur zu drücken.

Wie oft ging es ihr durch den Sinn, hatten wir diesen Kampf wohl schon ausgetragen? Aber es war immer das Gleiche, kaum hatten wir uns besiegt, lagen wir uns weinend in den Armen. So wie jetzt, da ich in ihren Armen weinte. Wie oft hatte sie weinend in meinen Armen gelegen?

"Komm beruhig dich, Täubchen, es ist vorbei."

Rashida stand mit mir auf den Hüften auf und humpelte zu meiner Brille, die sie aufhob und mir auf die Nase setzte. Dann humpelte sie weiter nach hinten zu ihrer Matte. Dort ließ sie sich, mich immer noch im Arm haltend, einfach an der Wand herunter rutschen. "Komm Täubchen, beruhige dich, es ist vorbei. Es ist doch nicht passiert."

Schluchzend lag ich an ihrer Schulter und weinte. Konnte mich gar nicht mehr beruhigen. Liebevoll streichelte sie meinen Rücken. Verzweifelt hielt ich mich an ihr fest.

"Komm beruhige dich, mein Täubchen, es ist alles wieder gut. Lass uns in Ruhe reden. Hast du jetzt deine Wut abreagiert?"

Ich nickte und war gar nicht in der Lage zu reden.

"Das ist gut Täubchen, kannst du wieder klar denken?"

Wieder nickte ich.

Da gab sie mir einen Kuss. Ach, wie ich Rashida liebte, aber ich wusste auch sie liebt mich. Ich könnte nicht einmal erklären, warum das so war. Aber zwischen Rashida und mir, war ein viel engeres Band, als zwischen uns und den anderen. Ich hatte keine Ahnung, warum das so war.

"Komm, lass uns duschen gehen, dann ziehst du dir was Trockenes an, trinkst einen Kaffee und isst etwas. Dann reden wir, komm steh auf."

Also stand ich auf und half Rashida auf die Beine. Unser Streit war vergessen und die Wut abgeklungen. Zusammen gingen oder besser gesagt, humpelten wir in den Duschraum. Lange standen wir mit den Händen, an die Wand gestützt unter der Dusche. Nach einer Stunde ließen die Schmerzen langsam nach. Lächelnd sah mich Rashida an und hielt mir ihre Hand hin.

"Komm, lass dich versorgen, damit die Schmerzen weggehen."

Hand in Hand, zur Verwunderung der Männer, gingen wir zu unserem Schlafplatz. Sorgfältig untersuchte ich Rashida und sie mich, dann trug ich bei ihr die Hämlo-Salbe auf und sie bei mir. Zum Glück hatten wir nur einige sehr schmerzhafte Prellungen abbekommen. Man merkte halt, dass wir gleichstark waren und beide sehr gut durchtrainierten Kämpfer waren. Auf der Uhr in der Turnhalle war es 16 Uhr 42. Als wir uns an den Tisch setzten, ich zog die Füße auf den Stuhl und lehnte mich an Rashida. Conny brachte mir und Rashida einen Teller mit Brei.

"Das wird gegessen und zwar ohne Diskussion", erklärte er breit grinsend, zu Rashida und auch zu mir blickend.

"Danke", kam leise von mir.

Rashida hielt dagegen. "Was so wenig, Conny? Ich dachte ich habe mir mehr verdient", konterte sie lachend.

Machte sich hungrig darüber her, ich dagegen stocherte lustlos im Essen herum. Hatte weder richtigen Hunger noch Appetit. "Komm iss, Täubchen. Der Kampf hat dich viel Kraft gekostet."

Ich schüttelte den Kopf und schob den Teller von mir weg. Ich mochte nichts essen. Conny schob ihn wieder zu mir ran und sah mich ernst an.

"Engelchen, und wenn, es nur zwei Löffel sind, esse bitte wenigstens etwas. Ich weiß du bist aufgewühlt. Aber du musst etwas essen, das ist wichtig, warum erklären wir dir, hinterher."

Also zwang ich mich etwas zu essen. Wie so oft, wenn sich meine Emotionen so hoch geputscht hatten, war mir einfach nur schlecht. Ich hasste es, wenn man mich dann zum Essen zwang. Etwas, dass der Oberst und auch Conny oft machten. Also stocherte ich mehr in meinem Brei herum, als das ich aß. Aber dann ließ man mich wenigstens, in Ruhe. Rudi stellte mir und Rashida, einen Kaffee hin. Den ich sofort trank, ich hatte großen Durst. Rashida, schon immer wesentlich hungriger wie ich, zog sich nach dem sie ihren Teller weggelöffelt hat, grinsend meinen Teller heran und futterte auch den noch leer. Eine Angewohnheit aus der Schule, bei uns wurde nie Essen weggeschmissen. Dazu mussten wir viel zu sehr und viel zu oft hungern. Vollgefuttert und satt sah sie mich von der Seite an.

"Na komm Täubchen, reden wir mit deinem Oberst."

Ich schüttelte den Kopf, denn ich wollte nicht mit ihm reden. "Kahlyn, du machst mich verrückt. Du kommst jetzt bitte mit ins Büro vom Oberst. Höre dir an, was er dir zu sagen hat, dann kannst du wieder gehen. Aber erst, verdammt noch mal, hörst du ihm bitte zu, Täubchen", böse fuhr und sah mich Rashida an. "Denkst du vielleicht, ich hab mich von dir vermöbeln lassen, nur so aus Langerweile. Also komm, gebe mir und den Oberst eine Chance."

Genervt blicke ich sie an, dann nickte ich. Traurig, um Hilfe bittend, sah ich Rudi an. Ich wollte nach Hause, mir war hier alles zu viel. Dieser ständige Stress, machte mich einfach nur kaputt. Rashida stand auf und hielt mir die Hand hin. Auffordernd nickte sie mir zu. Also griff ich danach und ging mit ihr ins Büro vom Oberst, der müde und vor allem traurig am Schreibtisch saß.

"Hallo Kahlyn", begrüßte er mich vorsichtig.

Da er nicht wusste wie ich auf ihn reagieren würde. Schon einige Male, hatten wir schlimme Auseinandersetzungen. Er wusste, dass ein falsches Wort von ihm genügte und ich würde wieder dicht machen. Ihm war schon klar, dass ich so manches Mal sehr anstrengend war, vor allem sehr fordernd. Nicht immer war der Oberst selber schuld, doch diesmal gab er sich alleine die Schuld. Er wusste nur zu genau, wie ich auf ungerechte Behandlungen reagierte. Deshalb wunderte es ihm jetzt auch nicht, dass ich mich ohne ein Wort zu sagen auf den Stuhl setze, zu dem mich Rashida geschoben hatte. Ich zog die Füße auf den Sitz und schaute einfach aus dem Fenster. Ich war nicht bereit, so einfach zu verzeihen. Der Oberst wusste, dass ich Zeit brauchte, er würde mir diese auch geben. Er konnte sich sicher sein, dass auch, wenn ich so tat, als ob ich nicht zuhörte, ich trotzdem alles mitbekam, was er sagte.

Rashida, sah den Oberst ernst an. "Genosse Oberst, ich glaube jetzt sind sie an der Reihe, Sir", aufmunternd nickte sie ihm zu.

Der Oberst lächelte meine Freundin an. "Ja, ich glaube, jetzt bin ich dran. Kahlyn, ich weiß, dass du stinksauer auf mich bist. Du hast sogar recht damit. Was ich gemacht habe war gemein. Ich habe dich angeschrien ohne es zu merken. Meine Kleine, es tut mir leid. Ich war im Gedanken noch bei diesem Telefonat mit dem Hunsinger, was mich tüchtig aufgeregt hatte. Meine Wut galt ihm und nicht dir. Bitte höre mir erst zu, bevor du gleich wieder aus dem Anzug springst. Dein Doko, rief mich gestern gegen Mittag ganz aufgelöst an. Ob ich wüsste, wo du bist. Er könne dich nicht erreichen, man habe ihm nur gesagt, du seist mit Detlef zu einem Einsatz. Es wäre sehr wichtig. Ich solle dir ausrichten, dass dein Wert des Ginoenzyms in einem kritischen, wenn nicht sogar lebensgefährlichen Bereich wäre, nämlich 39,3. Kahlyn, das wollte ich dir eigentlich nur sagen. Bitte, du kannst gleich gehen, doch erkläre mir, wie es sein kann, dass er so hoch ist", fragend sah er mich an.

Genervt sah ich zu Rashida, doch die schüttelte den Kopf. Das heiß ich kam nicht umhin, mich zu erklären.

"Sir, was nutz es ihnen, wenn ich ihnen das erkläre. Sie können den Wert genauso wenig ändern, wie ich. Ich bin mir bewusst, dass er so hoch ist. Das weiß ich schon seit Cuba. Ich weiß wie lange das Enzym braucht, um sich abzubauen. Ich weiß auch, wie es sich hochschaukelt. Also, was wollen sie von mir hören. Sie wollen wissen, wie hoch er jetzt ist. Was nutzt ihnen das, Sir?", versuchte ich ihm sachlich zu erklären.

Steigerte mich allerdings schon wieder in diese unsagbare Wut hinein. Die sich immer in mir aufbaute, wenn sich jemand in meine Angelegenheiten mischte.

"Was wollen sie also genau von mir hören, Sir?"

Der Oberst sah mich an und überlegte lange, was er mir jetzt sagen sollte. Er merkte, wie aufgebracht ich schon wieder war. "Eigentlich würde ich nur gern wissen wie es dir wirklich geht. Wenn ich ehrlich bin, kann ich mir nicht vorstellen, dass es dir gut geht?", traurig sah er aus, wie er hinter seinem provisorischen Schreibtisch saß und mich fragend an sah.

"Sir, sie wollen wissen, wie es mir geht, Sir. Was haben sie davon, Sir?"

Wieder einmal verstand Fleischer meine Gedankengänge nicht. Er konnte einfach nicht nachvollziehen, warum ich so an die Decke ging. "Ich habe nichts davon, Kahlyn. Da hast du recht. Aber bitte meine Kleine, verrate mir einmal, wie würdest du dich an meiner Stelle fühlen. Stell dir bitte vor, du sitzt auf meinen Platz und ich, auf deinem. Würdest du dir da nicht auch Gedanken und Sorgen, um dein Teammitglied machen?"

Traurig schüttelte mein Oberst den Kopf. Er begriff dass er nichts bei mir erreichen würde. Deshalb winkte er ab und stand auf. Er hatte es satt, immer mit mir darüber zu diskutieren, wie es mir ging. Er verließ den Raum und ließ mich einfach sitzen. Er hatte begriffen, dass er in der nächsten Zeit nicht mehr an mich herankam. Aber auch, dass er es sich selber zuzuschreiben hatte. Auch Rashida stand auf und verließ kopfschüttelnd den Raum. Es gab Situationen, in denen man mich am besten in Ruhe ließ. So dass ich für mich Entscheidungen treffen konnte. Genau das wurde Rashida eben klar. Deshalb zog sie sich aus dem Büro zurück und signalisierte mir ohne Worte. 'Du verdammter Sturkopf, denke über die Worte des Obersts nach.'

Fast eine halbe Stunde blieb ich noch sitzen, auf meinen Stuhl. Langsam kam ich zur Ruhe und begann über das nachzudenken, was mir der Oberst gerade gesagt hatte. Ging so wie ich es oft machte, alle Varianten durch, beleuchtete die Situation von allen erdenklichen Seiten. Auch von denen die für mich nicht so prickelnd aussahen. Ob ich wollte oder nicht, ich kam immer wieder zu demselben Ergebnis wie Rashida und der Oberst. Beide hatten recht. Auch ich würde mir dann schlimme Gedanken machen. War ich in meiner Wut, über das Ziel hinaus geschossen? Müde, rieb ich mir mein Gesicht und dann meinen Nacken, der schon wieder höllisch schmerzte. Ich sollte mich bei ihm entschuldigen und noch einmal in Ruhe mit ihm reden. Es war nicht in Ordnung, was ich getan hatte. Kurz entschlossen stand ich auf und lief nach draußen. Der Oberst stand mit Simon und Rashida an einer Säule und unterhielt sich. Zielstrebig ging ich auf ihn zu.

"Sir, entschuldigen sie bitte die Störung, Sir. Hätten sie bitten ein paar Minuten Zeit für mich, Sir?"

Der Oberst sah mich ernst an. "Ja, die habe ich, aber wenn du mich wieder nur anschreien willst, können wir uns den Weg ins Büro sparen. Du hast mich heut schon genug angebrüllt. Mein Bedarf an Brüllerei, ist für heute gedeckt, Kahlyn."

Ich konnte mir vorstellen, dass er genug davon hat. Mir ging es ähnlich. "Sir, meiner auch, Sir", gab ich beschämt und ganz leise zu.

Hoffnungsvoll sah er mich an. "Na dann komm, bereinigen wir zwei, was uns auf der Seele liegt."

Entschlossen das Thema nun endgültig zu bereinigen, drehte Fleischer sich um und wollte er ins Büro gehen. Wieder einmal dachte er nicht an meine Art, ein Team zu führen.

"Sir bitte, ich denke das sollten wir hier klären, Sir. Es ist nicht mehr nur eine Angelegenheit zwischen uns Zweien, Sir. Sondern des gesamten Teams, Sir. Es hat etwas damit zu tun, wie man in einem Team zusammenarbeitet, Sir", ernst sah ich ihn an.

Conny, der bei Rudi stand, fing an breit zu grinsen. "Rudi, jetzt kannst du einmal erleben wie Kahlyn Streitigkeiten beilegt. Das ist ihre Art der Teamführung. Ich finde, dass die Art der Teamführung spitzenmäßig funktioniert. Ich händle es bei meinen Teams ebenso", flüsterte er Rudi zu.

"In Ordnung Kahlyn, dann komm", stimmt der Oberst meiner Bitte zu. Er kannte mich schon so lange genug und wusste, dass ich das so machen musste. "Leute, alle an die Tische und setzen", rief der Oberst laut in den Raum.

Sofort kamen alle heran und setzen sich zusammen. Die Teams vom Oberst und Conny mit einem Lächeln im Gesicht, die anderen vier Teams von Simon und Rudi, mit einem Gesicht, das wie ein großes Fragezeichen aussah. Der Oberst, Rashida und ich jedoch, blieben vor der versammelten Mannschaft stehen. Denn wir waren diejenigen, die Streit miteinander hatten, der bereinigt werden musste.

"Sir, sie haben mir großes Unrecht getan, Sir. Ich finde es nicht in Ordnung, dass sie ihren Frust den sie auf andere haben, an mir auslassen. Ich habe allerdings ebenfalls falsch reagiert, Sir. Dafür möchte ich mich bei ihnen entschuldigen. Ich gab ihnen keine Möglichkeit, sich mir zu erklären. Das war falsch, Sir", begann ich die öffentliche Diskussion über das Vorgefallene, in dem ich es einfach auf den Punkt brachte und allen erklärte, worum es ging.

Conny beugte sich zu Rudi und Simon und versuchte ihnen leise zu erklären, weshalb ich das so machen würde. "Rudi, Simon, Kahlyn macht das deshalb so, der Streit war ja für alle hörbar. Kahlyn, mittlerweilen auch der Oberst und ich, sind der gleichen Meinung, dass es dann auch offen geklärt werden sollte. Sonst gibt es falsche Gerüchte und Spannungen. Funktioniert super."

"Kahlyn, du hast Recht, ich habe dich völlig zu Unrecht angeschrien, es tut mir leid. Doch fand ich dein Verhalten in den letzten vierundzwanzig Stunden völlig daneben. Du kannst nicht einfach verschwinden. Kannst du dir nicht vorstellen, dass wir uns Sorgen, um dich machen?"

"Sir, doch, Sir. Aber ich musste gehen, sonst hätte ich Dinge getan, die mir hinterher leid getan hätten, Sir. Das wollte ich damit verhindern, außerdem habe ich dadurch wenigstens meine Arbeit machen können. Statt mich noch stundenlang mit ihnen anzubrüllen. Denn zu mehr, war ich nicht mehr in der Lage. Ich konnte nicht mehr klar denken, Sir", kam meine ehrliche Antwort.

Jetzt mischte sich auch Rashida in die Diskussion von uns Beiden ein, sie war genauso betroffen. "Sir, wie ich ihnen vorhin schon sagte, haben sie Kahlyn völlig in die Ecke gedrängt. Ihr blieb keine andere Wahl mehr. Ich hätte an Kahlyns Stelle genauso reagiert, Sir. Kahlyn, ich fand es nicht schön von dir, dass du mich so angebrüllt hast. Ich wollte dir nur helfen, aber du bist auf mich losgegangen wie eine Furie. Das macht eine gute Freundin nicht, die hört erst zu, denkt und antwortet leise und korrekt", erklärte sie mir.

Sie hatte recht, aber trotzdem regte es mich auf, wenn sich jeder in meine Sachen einmischt. Deshalb brachte ich das hier, auch noch einmal, zur Sprache.

"Rashida, es stimmt nur bedingt, was du sagst. Natürlich hast du recht, sollte erst man zuhören und leise antworten. Aber es gab dir auch niemand das Recht, dich in meine Sachen einzumischen. Genauso wenig, Sir, haben sie ein Recht dazu, Sir. Dinge die getan werden müssen, müssen getan werden, Sir. Wenn ich die Ginos rufen muss, um das Überleben der Teams zu gewährleisten, dass sage ich ihnen jetzt hier auch noch einmal, werde ich sie auch rufen, Sir. Dann ist mir mit Verlaub auch egal, wie hoch der Wert eines Enzyms in meinem Blut ist. Dann geht es nicht nur um mein Leben. Sondern um das Leben aller Teammitglieder, Sir. Sie kennen mich jetzt schon seit über neun Jahren. Bitte sagen sie mir eins. Habe ich jemals Entscheidungen nur aus einer Laune heraus getroffen, Sir?", ernst sah ich den Oberst an.

Der raufte sich die Haare, wie so oft war er über die Wende der Aussprach überrascht. Dann schüttelte er den Kopf. "Nein Kahlyn, jede deiner Entscheidungen waren den jeweiligen Situationen entsprechend. Das weiß ich doch. Aber es ist doch so, der Wert des Ginoenzyms in deinem Körper ist in einem lebensbedrohlichen Bereich. Wenn du den Gino jetzt noch einmal rufst, kann es passieren, dass du tot umfällst, wer beschützt dann deine Kameraden?"

Ich stöhnte laut auf und schüttelte den Kopf, konnte nicht glauben, was für einen Schwachsinn ich hier zu hören bekam. Wütend nach mich die Hände ins Genick und lief vor der Truppe eine Weile hin und her, bis ich mich wieder beruhigt hatte. Als der Oberst etwas sagen wollte, griff Rashida ihn am Arm und schüttelte den Kopf, auch zu den am Tisch sitzenden gab sie durch ein Zeichen zu verstehen, zu schweigen. Ganz fünf Minuten brauchte ich, um die Wut in mir zu bannen erst dann, konnte ich mich dem Oberst wieder ruhig sprechend zuwenden.

"Sir, wer bitte hat ihnen denn solch einen Bockmist erzählt, Sir?", wollte ich von ihm wissen.

"Dein Doko hat mir gesagt, dass der Wert bei 39,3 lag bevor du zu deinem Baum gegangen bist. Je Anfall steigt dieser Wert um fünf Prozent. Bei fünfundvierzig Prozent bestände die Gefahr eines Herzversagens. Kahlyn, ich bin kein Mathematikprofessor, aber ich kann immer noch 39,3 plus fünf rechnen, das sind bei mir 44,3. Wenn du jetzt noch einmal den Gino bei dem Einsatz rufst, wären wir dann bereits bei 49,3. Das ist bekanntlich mehr als fünfundvierzig Prozent. Kannst du dir vorstellen, dass ich da um dein Wohlergehen besorgt bin?", verzweifelt sah er mich an.

Verdammt ging es mir durch den Kopf, irgendwann würde ich den Doko umbringen. Verzweifelt rieb ich mir das Genick und sah meinen Oberst lange an. Ich konnte ihn jetzt besser verstehen, trotzdem war er im Unrecht, mit seinen Behauptungen.

"Sir, bitte, Sir. Glauben sie doch nicht immer alles, was der Doko Jacob sagt. Alles weiß der doch auch nicht. Fragen sie Rashida, wenn sie mir nicht glauben. Ich bin eine sehr gute Ärztin. Niemals, Sir, wirklich niemals, würde ich zulassen, mich einer solchen Gefahr auszusetzen. Ja, verdammt nochmal, der Wert des Ginoenzyms ist bei mir im Moment sehr hoch, Sir, er liegt bei ungefähr 49,3 Prozent, Sir. Das ist auch normal, der lag bei mir immer weit über den der anderen. Der gefährliche Punkt kommt bei mir allerdings erst bei fünfundsechzig Prozent Enzymanteils. Rufen sie den Doko an, er wird ihnen das bestätigen, Sir. Ihm ist das nur wieder entfallen. Dadurch, dass ich diese Anfälle wesentlich öfter habe, als meine Kameraden, halte ich einen höheren Prozentsatz aus. Aus diesem Grund heraus, muss ich doch auch eine wesentlich höhere Dosis, N47 spritzen. Außerdem ist es so, dass wenn ich den Gino rufe, hat das bei mir keinerlei Einfluss auf das Enzym, Sir. Dann steigt der Anteil dieses Enzyms bei mir nicht, Sir. Da ich die gerufenen Ginos kontrollieren kann. Nur, wenn sie unkontrolliert kommen, dann schnellt diese Enzym hoch oder wenn ich eine Zwischenverwandlungen machen muss, Sir", offen sah ich ihn an, der Oberst konnte nicht glauben, was er da zu hören bekam.

"Rashida, stimmt das, was Kahlyn hier erzählt?"

Rashida sah mich verlegen an. "Sir, ja das stimmt, was Kahlyn sagt, Sir. Verdammt, tut mir leid Kahlyn, ich denke da auch immer nicht daran, dass das bei dir ganz anders ist. Du bist die Einzige die das steuern kann, es tut mir wirklich leid. Jetzt verstehe ich deine Worte, von vorhin auch. Sir, wir haben Kahlyn beide Unfähigkeit vorgeworfen, das war nicht richtig. Es ist kein Wunder, dass sie so wütend geworden ist, Sir. Ich muss glaube ich auch noch einmal mit Doko Jacob reden, der müsste das eigentlich wissen, Sir. Tut mir leid Kahlyn, wirklich. Ich kann deine Wut jetzt verstehen", liebevoll streichelte sie mir das Gesicht und ich lächelte sie an.

Wandte mich aber noch einmal an den Oberst. "Sir, es tut mir leid, dass ich sie nicht verstanden habe, Sir. Ich denke sie haben vollkommen recht mit ihrem Gedankengang. Mir ist klar geworden, dass ich sie genauso zur Rede gestellt hätte, wenn ich auf ihrem Stuhl gesessen hätte, Sir. Denn sie fühlen sich für mein Leben genauso verantwortlich, wie ich mich für das meiner Teamkameraden. Es tut mir leid, dass ich sie missverstanden habe, Sir. Es ist keine Kontrollsucht, sondern nur verantwortungsvolles Handeln, was sie dazu bewogen hat. Ich entschuldige mich für mein falsches Verhalten, Sir", beim letzten Wort hielt ich ihm die Hand hin.

Lächelnd ergriff er diese und zog mich einfach in seinen Arm. "Wieder Freunde?"

"Sir, ja, Sir", gab ich laut und deutlich zur Antwort.

"Darf ich dir die Einsatzleitung dann wieder zurück geben, mit einer Bitte", fragend sah er mich an.

Ich ahnte Schlimmes. "Sir, welche Bitte, Sir."

"Kahlyn, versuche diesen Einsatz bitte ohne Ginos hinzubekommen. Bitte du siehst alles, aber nicht gut aus. Wenn es irgendeine Möglichkeit gibt, versuche es ohne diese furchtbare Sache zu beenden", flehend sah er mich an.

"Sir, wann lernen sie endlich mir zu Vertrauen, Sir. Darf ich sie etwas fragen, Sir?"

Der Oberst lächelte mich an. "Natürlich, Kahlyn."

"Sir, kennen sie noch die Reihenfolge des Kampfes der "Hundert", Sir."

Rashida schmiss sich weg vor Lachen. Nur zu gut konnte sie sich daran erinnern, wie ich das Team damit genervt hatte. Verständnislos sah mich der Oberst an.

"Sir, vor Jahren habe ich ihnen einmal erklärt, dass es mit dem Kampf genauso verhält, wie bei einer Ernte. Erst muss man sähen, dann muss gießen, dann muss es wachsen, dann wird geerntet. Ähnlich ist es im Kampf. Man geht in einen Kampf hinein und sät. Das heißt man bereitet die Ernte vor, leistet Aufklärungs- und Vorbereitungsarbeit. Dann muss man den Kampf pflegen, man macht einen Angriff, versucht das Beste daraus zu machen. Dann kann es passieren, der Kampf wächst. Dann müssen sie entscheiden wie lange sie warten, bis das sie ernten können. Sie kämpfen so lange, bis sie gesiegt oder verloren haben, Sir. Dort entscheiden sie dann. Bringen sie die Ernte nach Hause oder lassen sie diese auf dem Feld verdorren. Die Ernte sind ihre Leute, Sir. Wollen sie diese auf dem Feld verdorren lassen oder lieber nach Hause bringe? Das ist ihre Entscheidung, Sir. Bei mir, bleibt niemand auf dem Feld. Ich bringe meine Ernte bei jedem Wetter nach Hause. Ich habe zu viel Arbeit und Liebe in meine Ernte gesteckt, um sie auf dem Feld verdorren zu lassen. Deshalb ist bei mir immer die gleiche Reihenfolge, bei jedem Kampf. Aufklärung- Kampf- Sieg, Sir. Ist es notwendig, für den Sieg die Ginos zu rufen, dann rufe ich sie, egal ob es euch passt oder nicht. Es ist mein letzter Ausweg und wird dies auch immer bleiben. Es kommt erst nach dem Tot oder wenn es keine andere Möglichkeit gibt, mein Team zu schützen. Bitte Sir, ich möchte ihnen etwas zeigen, damit ich diese Diskussionen mit ihnen nie wieder habe, Sir. Denn ich habe mit Verlaub, keine Nerven mehr dazu, Sir."

Der Oberst sah mich verwirrt an. "Was willst du mir zeigen?"

"Sir setzen sie sich bitte hin. Rashida, ich möchte, dass du den Oberst festhältst. Nimm ihn bitten ein einem sicheren Griff und sorge dafür, dass er meine Hände nicht loslässt. Ihr Anderen, bitte greift nicht in diese Sitzung ein. Egal was geschieht und wie sehr der Genosse Oberst brüllt. Ihr würde ihn damit töten."

Rashida verstand was ich vorhatte. "Geht klar Kahlyn."

"Sir, bitte setzen sie sich auf den Boden, Sir."

Ich setzte mich dem Oberst gegenüber, atme mich tief in mein Qi, auch Rashida setzte sich, genau hinter den Oberst. Ich ergriff seine Hände und Rashida legte ihre, über die Hände des Obersts und über meine Handgelenke.

"Sir, bitte kommen sie in unseren Atemrhythmus, Sir."

Gleichmäßig atmete ich, führte ihn ins Jawefan. Da alle Teams das schon einmal erlebt hatten, wussten sie, was das zu bedeuten hatte. Schnell schloss sich der Kreis, wir waren nur zu dritt. Im Jawefan, sagte ich zu den Beiden.

"Rashida, du ahnst, was ich jetzt mache. Sir, ich zeige ihnen jetzt, wie es sich anfühlt, wenn wir die Ginos rufen, Sir. Bitte wehren sie sich nicht dagegen, Sir. Dann wird es für uns alle noch schlimmer, als es sowieso schon immer ist, Sir. Lassen sie es einfach über sich ergehen, umso schneller ist es vorbei, Sir."

Nach dem mir mein Oberst in der Verbindung bestätigt hatte, dass er alles verstanden hat, öffnete ich die Erinnerung, an das Rufen der Ginos. Für die Jungs die ja nicht wussten, was ich vorhatte, war es glaube ich genauso schrecklich, wie für den Oberst selber. Wir fingen alle drei gleichzeitig an zu schreien, im Jawefan. Schreie, die noch keiner der Männer hier gehört hatte, außer Rudi und Conny. Der Oberst versuchte sich mit aller Macht von uns loszureißen, aber das durften wir nicht zulassen. So weh es mir tat, da musste der Oberst jetzt durch. Der Oberst allerdings bekam nicht nur das Gefühl des Ekels und des Grauens ab, das wir vor dem Rufen der Ginos empfanden, sondern auch den Schmerz. Fast zwanzig Minuten schrie er, wie am Spieß. Dann fing er an zu wimmern, mit Absicht ließ ich ihn alle Phasen der Verwandlung durchlaufen. Ich ließ ihn alle Empfindungen, alle Emotionen fühlen. Damit ich endlich, diese sinnlose Diskussion beenden konnte. Nach einer dreiviertel Stunde, begann ich langsam aus dem Jawefan herauszugehen, noch vorsichtiger als sonst. Ließ ihn noch fast fünfzehn Minuten im Jawefan schlafen, erst dann weckte ich ihn wieder auf. Über eine Stunde hatte es gedauert, bis der Oberst und wir, wieder ansprechbar waren.

"Danke Rashida", sagte ich geschafft.

Sie ließ die Hände vom Oberst los und streichelte mein Gesicht. "Täubchen, ich wusste nicht, dass es so schlimm bei dir ist, wirklich ich wusste es nicht", weinend sah sie zu mir.

Erschrocken sah ich meine Freundin an. "Ist das bei dir anders?", wollte ich von ihr wissen, sie nickt, da sie immer noch Emotional aufgewühlt war. Langsam kam der Oberst zu sich. "Rashida, helfe mir ihn hinzusetzten", bat ich meine Freundin. Rashida konnte mir nicht helfen, sie hatte selber mit sich zu tun. Also fragte ich die Jungs. "Hilft mir bitte mal jemand, dem Oberst an den Tisch zu setzen."

Rudi sprang sofort auf, genau wie Simon. Den Oberst, der immer noch benommen und völlig desorientiert von dem Schmerz war, an den Tisch auf einen Stuhl zu setzen. "Kümmert ihr euch kurz um ihn. Ich muss gucken, was mit meiner Freundin los ist und mich erst einmal um Rashida kümmern", bat ich meine Freunde, die nickten.

Sofort lief ich zu Rashida, die immer noch zitternd am Boden saß. "Was ist denn los?", erkundigte ich mich völlig irritiert, von ihrem Verhalten.

Ich verstand absolut nicht, was mit ihr war. Sie kannte doch die Verwandlung, genauso wie ich. Fassungslos sah ich sie an.

"Wieso ist es so schlimm bei dir?", brachte sie nur mit Mühe unter Tränen hervor und konnte sich nicht beruhigen.

"Wie so schlimm? Ich verstehe dich nicht Rashida."

Rashida, zog mich in ihren Arm flüsterte. "Bitte mach noch einmal das Jawefan. Ich zeige es dir, damit du es verstehst."

Nochmals setzte ich mich vor Rashida auf den Boden und schloss den Kreis. Ging mit ihr ins Jawefan. Nur zehn Minuten brauchten wir, dann wusste ich, was sie meinte. Sofort gingen wir wieder heraus.

"Rashida, entschuldige, ich wusste das nicht, wirklich. Ich dachte ihr erlebt das, genauso wie ich."

Rashida schüttelte, immer noch völlig von der Rolle den Kopf. Ich verstand jetzt auch warum. Sie war nicht auf meine Schmerzen und meine Empfindungen während des Rufens des Ginos gefasst gewesen. Die Verwandlung von Rashida, ging fast schmerzlos von statten. Es fühlte sich nur an, wie ein leichtes ziehen, ein drücken, das zwar unangenehm war, aber nicht schlimm. Ihre Schreie waren nur Wutschreie, sie wollte nicht dieses Tier werden. Anders als bei mir, denn ich schrie jedes Mal vor Schmerzen und vor Wut. Auch spürte sie nicht, wie ich hinterher jeden einzelnen Knochen. Vor allem aber nicht diese wahnsinnige Wut. Jetzt verstand ich auch, weshalb sie nie blau am Körper und im Gesicht war. Vorsichtig streichelte ich ihr Gesicht und nahm sie liebevoll in den Arm. Langsam beruhigte sie sich etwas. Atmete wieder ruhig und gleichmäßig.

"Kann ich dich alleine lassen, Rashida? Ich muss mich um den Oberst kümmern."

Rashida nickte.

Sofort stand ich auf, ging auf Rudi und Simon zu, die sich um den Oberst kümmerten. "Simon, kannst du dich bitte um Rashida kümmern. Ihr geht es gerade nicht so gut. Tut mir leid. Das habe ich nicht gewollt."

Simon nickte, ich zog mir einen Stuhl heran, beobachte den Oberst.

"Sir, kann ich mit ihnen reden Sir?", fragte ich ihn.

Der Oberst nickte, war aber immer noch nicht in der Lage zu sprechen. Er war viel zu aufgewühlt von dem Erlebten.

"Sir, können sie mir jetzt glauben, dass ich mir die Entscheidung die Ginos zu rufen, bestimmt nicht einfach mache, Sir. Denken sie wirklich, ich würde mir das Leichtfertig antun. Es ist jedes Mal so. Wenn die Verwandlung unkontrolliert kommt, ist es noch um ein vielfaches schlimmer, Sir. Ich habe um ihnen das zu zeigen, eine Erinnerung heraus gesucht, wo es mir vorher richtig gut ging, wo ich verhältnismäßig wenig Schmerzen hatte, Sir. Glauben sie mir, wenn ich die Ginos rufe, dann ist es wirklich notwendig, Sir."

Ganz leise, mühsam Wort für Wort erkämpfend hauchte der Oberst mehr, als das er sprach. "Kahlyn, ich glaube dir das gern. Es tut mir so leid, wirklich. Ich kann jetzt verstehen, wieso du so böse auf mich warst", mühsam rang Fleischer nach Luft.

Immer noch war er nicht wieder voll ansprechbar. Das konnte und wollte ich ihm dieses Mal aber nicht abnehmen. Ich wollte, dass diese endlosen Diskussionen endlich aufhörten und er mir glaubte, dass ich die Ginos wirklich nur dann rief, wenn es notwendig war.

Liebevoll streichelte ich sein Gesicht. Ich konnte nur erahnen durch welche Hölle er gerade gegangen war. Wenn selbst Rashida fix und fertig war. Meine Freundin saß am ganzen Körper zitternd und völlig verstört am Boden. Sie lag halb in Simons Armen und war am Weinen, konnte sich einfach nicht beruhigen.

"Sir, glauben sie mir eins, ich werde den Gino nur dann rufen, wenn es für die Rettung der Leute notwendig ist oder ich sie anders, nicht durch den Einsatz bringen kann, Sir."

Der Oberst hatte sich wieder etwas gefangen. Er zog mich auf seinen Schoss und in seine Arme. "Das habe ich jetzt verstanden. Ich werde nie wieder an dir zweifeln."

Ich nickte, es beruhigte mich ungemein, dass er mir endlich glaubte. Denn ich mochte meinen Oberst. Es machte mich total verrückt, wenn er mir nicht vertraute.

"Sir, ist es möglich, dass ich mich noch drei Stunden hinlege, um zu schlafen. Mich macht dieser Stress der ständig ist, völlig fertig, Sir. Mir geht es im Moment gar nicht gut. So nutze ich dem Team nicht wirklich etwas. Ich möchte irgendwo geschützt schlafen und mich wenigstens ein wenig erholen. Rashida, sollte auch etwas schlafen. Vielleicht kann sie mir später etwas helfen, Sir. Umso schneller haben wir den ganzen Mist hinter uns, Sir."

Der Oberst nickte wortlos und kämpfte immer noch schwer mit sich.

"Sir, dann lege ich mich bis 20 Uhr 45 hin. Alles wieder klar bei ihnen. Oder soll ich ihnen etwas spritzen, Sir."

"Nein Kahlyn, es geht wieder. Wenn etwas ist, kann mir Conny auch das N93 spritzen."

Ich stand auf und ging auf Rashida zu. "Rashida, hilfst du mir beim Schlafen? Bitte, mir geht es nicht so gut. Ich bin total fertig."

Rashida sah mich immer noch weinend an. Stand aber sofort auf und gab Simon einen Kuss. "Bis dann Simon, mach dir keine Sorgen, mir geht es wieder gut. Ich erkläre dir alles zu Hause", sie nahm mich an der Schulter und schob mich nach hinten auf ihre Matte. Dort zog sie mich in ihren Arm. "Täubchen, es tut mir so leid, wirklich. Ich habe dir so Unrecht getan, ich konnte doch nicht wissen, dass es bei dir so schlimm ist."

"Ist schon gut Rashida, woher sollst du das wissen, komm lass uns schlafen."

Mit diesen Worten kuschelte ich mich in ihren Arm, zwei Atemzüge später schlief ich tief und vor allem erholsam in den Armen meiner besten Freundin. Auch Rashida schlief fast sofort und völlig erschöpft ein. Wir merkten Beide nicht, dass Simon zu uns hinterher gekommen war und uns mit einer Decke zugedeckt hatte. Liebevoll, streichelte er unsere Wangen. Froh, dass wir beide, so ruhig und friedlich schliefen.

 

Kahlyn war viel zu fertig gewesen, um darauf zu achten wie es den Unbeteiligten ging. Die Jungs, Rudi, Conny und der Oberst saßen am Tisch. Völlig durcheinander, hatte Kahlyn ihre Kollegen zurück gelassen. An Tisch vorn bei den Männern herrschte betretenes Schweigen, als Simon sich ebenfalls setzte.

Oberst Fleischer allerdings, drehte sich plötzlich zum Tisch um und legte die Arme darauf. Er legte seinen Kopf auf die Arme und begann hemmungslos zu weinen. Die Männer sahen ihren großen Chef erschrocken an und verstanden sein Verhalten überhaupt nicht. Sie konnten nicht begreifen, wie dieser sonst so beherrschte Offizier, hier so offen seine Emotion zeigte. Fast zehn Minuten brauchte der Soko Chef, ehe er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. Dann stützte er den Kopf auf seine Hände und starrte grübelnd auf die Tischplatte. Fleischer versuchte das erlebte erst einmal zu verarbeiten. Etwas dass ihm nur sehr schwer gelang. Conny, der Willy Fleischer, neben Gosch, am längsten von allen anderen kannte, schob ihm eine Tasse Kaffee hin. Ein leises. "Danke Conny", kam über dessen Lippen.

Die Anderen, hatten sich alle wieder gesetzt. Während des Jawefan, waren einige der Jungs erschrocken aufgesprungen und wollten ihren Oberst, von den beiden Mädchen wegholen. Wurden nur mit Mühe, von Mario, Conny, Rudi und Simon, daran gehindert. Langsam beruhigten sich die aufgeputschten Nerven, der Männer wieder. Conny der sich ernsthaft Sorgen um seinen Freund machte, wandte sich fragend an ihn.

"Willy, soll ich dir etwas spritzen oder geht es wieder?"

Der Oberst schüttelte den Kopf und lehnte sich zurück. Müde rieb er sich das Gesicht und atmete einige Mal tief durch. Die Männer erschraken, als sie ihren Chef genauer ansahen. Tiefe dunkle Augenringe umrahmten die blutunterlaufenen Augen des Obersts. Er musste gerade durch die Hölle gegangen sein. Er war dafür bekannt, dass ihn so schnell nichts aus der Spur warf. Es war seine Stärke, dass er seine Emotionen gut unter Kontrolle hatte. Conny, Gosch, aber auch Mario schüttelten den Kopf. So aufgewühlt, hatten sie ihren Freund nur selten gesehen.

"Guckt nicht so. Ich erkläre euch gleich, was los war. Es ist alles in Ordnung, gebt mir einfach ein paar Minuten", bat er seine Männer, um etwas Geduld.

Beruhigt hörten sie, dass alles in Ordnung war. Sie hatten sich richtige Sorgen um ihren Chef gemacht. Langsam wurden alle ruhiger. Es wurde Kaffee verteilt und geschwatzt, mehr konnte man im Moment nicht machen. Nur fünf Minuten brauchte der Oberst noch, bis er sich wieder vollständig im Griff hatte.

"Leute es tut mir leid. Ich wollte euch bestimmt nicht erschrecken. Nur denke ich, dass es gut war, was Kahlyn gemacht hat. Jetzt begreife ich um einiges besser, wieso sie so ausgeflippt ist."

Verständnislos, sahen ihn die Männer der acht Teams an, weil keiner den Gedankengängen des Obersts folgen konnte.

"Na guckt nicht so, ich erkläre es euch ja gleich", breit grinsend, überspielte der Oberst wie es ihm wirklich im Moment ging und sah den Männern offen ins Gesicht. Fleischer hatte sich wieder gefangen. "Kahlyn, hat mir gerade über das Jawefan gezeigt, was ihr ja alle kennt, wie es sich anfühlt, wenn sie sich in einen Gino verwandelt", tief holte der Oberst Luft. Da seine Emotionen schon wieder hochkochten. "Es ist die Hölle. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was sie dabei für Schmerzen aushalten muss. Vor allem, welches Gefühlskarussell, Kahlyn da jedes Mal durchlaufen muss. Ich kann es euch das gar nicht richtig erklären. Hass, Furcht, Angst, Ekel, aber was noch schlimmer war, ist diese unsagbare Wut. Wie kann Kahlyn diese Wut nur unterdrücken oder besser kontrollieren? Sie hat diese Wut in mir, vor dem herauskommen aus dem Jawefan abgeschwächt, aber ich hatte Probleme, sie in den Griff zu bekommen. Wenn ich mir jetzt vorstelle, ihr hättet mich so in die Ecke gedrängt, wie ich es mit Kahlyn gemacht habe. Ich glaube ich wäre Amok gelaufen und hätte euch alle gekillt. Verdammt, ich kenne das Mädchen nun schon so lange, trotzdem kenne ich sie noch nicht. Leute, das Kahlyn so ausgetickt ist die letzten beiden Tage, ist nur meine Schuld. Ich weiß schon sehr lange, dass sie extrem auf Ungerechtigkeiten reagiert und das, was ich mit ihr gemacht habe, war sehr ungerecht. In ihrer momentanen Verfassung, ist es kein Wunder, dass sie so ausgeflippt ist. Es ist eher ein Wunder, dass sie hier nicht alles zerlegt hat. Wenn ich nur wüsste, wie man ihr helfen könnte?", traurig sah er die Jungs an.

Raphi, der wie immer seine Klappe nicht halten konnte, brachte es wohl auf den Punkt. Er stand auf und sah zu dem ihm fremden Offizier. "Genosse Oberst, vielleicht in dem wir anfangen, in ihr endlich einmal ein vollwertiges Mitglied unserer Teams zu sehen. Vor allem, ihr endlich einmal Vertrauen. Sie kennen Kahlyn schon viel länger als wir, Genosse Oberst, aber ich glaube, dass Team in Gera, hat mehr Vertrauen in Kahlyn und ihre Fähigkeiten als sie. Sie müssen endlich aufhören, immer alles zu hinterfragen. Die Kahlyn, die ich kennen gelernt habe, hat jeden Schritt den sie tat, immer genau vorausgeplant und vor allem alle Gefahren einkalkuliert, die voraussehbar waren. Sogar die mit einer geringen Wahrscheinlichkeit, was soll das Mädchen denn noch machen, um zu beweisen, dass man ihr vertrauen kann. Genosse Oberst, ich glaube das größte Problem, das Kahlyn im Moment hat, ist folgendes. Kahlyn regt es wahnsinnig auf, dass ihr keiner vertraut. Dass sie sich ständig rechtfertigen und beweisen muss. Das ist das Genosse Oberst, was Kahlyn kaputt macht. In ihrem alten Team, scheint man ihre Entscheidungen, widerspruchslos akzeptiert zu haben. Man vertraute ihr voll und ganz. Genosse Oberst, Kahlyn hat ihr Team durch so viele schlimme Einsätze gebracht, denken sie da nicht, dass sie weiß, was sie machen kann und was nicht. Entschuldigen sie bitte Genosse Oberst, dass ich das hier so offen sage, aber Kahlyn ist meine kleine Freundin und ich will nur, dass es ihr gut geht."

Raphi setzte sich wieder und schielte verlegen zu seinem Teamleiter. Detlef lächelte ihm dankbar zu. Der Oberst sah Raphi verlegen an.

"Genosse Unterleutnant, ich glaube sie haben Recht, mit dem, was sie sagen. Danke, dass sie so offen zu mir waren. Ich denke wirklich, dass ich in den letzten Wochen zu oft die Entscheidungen von Kahlyn in Frage gestellt habe. Conny?", fragen sah er seinen Freund an.

"Willy ich würde sagen, das stimmt. Denk mal an die Sache mit Kurt Schwarz, dort hat auch keiner Kahlyn vertraut. Wir hätten sie fast getötet. Es ist ein Wunder, dass sie uns überhaupt noch vertraut. Aber irgendwann zerbricht das Vertrauen wirklich. Ich gebe Raphael, darin vollkommen Recht", offen sah Conny den Oberst an.

Simon entschloss sich, auch etwas dazu zu sagen. Auch, wenn er den Oberst noch nicht lange kannte. "Jenosse Oberst, ick hab noch nie mit ihnen eenen Eensatz jemacht, jenne sie also net so jenau. Ejentlich steht mich jeen Recht zu, über sie zu urteilen. Doch muss ick ihnen sajen, dat sie Kahlyn fast ständij in die Eje drängn. Jenauso, wie sie es vorhin mit Rashida jemacht ham. Ick jenne diese Jinder erst set zwee Monaten. Rashida is vom Charajter her viel offener, als Kahlyn. Sie sajt eher ihre Meenung, als es Kahlyn tut. Vor allm, wenn ihr etwas net jut tut. So wie sie vorhin jesajt hat,… ihr drängt mir in die Ecke… weeß ick von ihr, dat Kahlyn dat nie sajen würd. Ick hat in dee ersten dree Wochn, mit Rashida enije richtije böse, teelwese sojar,  schmerzhafte Osenandersetzungn, weel ick ähnlich, wie sie vorjejangen bin. Rashida erjlärte mich ens, dat die Jinder niemals ihr Leben in Jefahr brinjen würden. Weel sie dat net jönnen. Der Überlebenswille dieser Jinder, wurd irjendwie jenetisch hochjeschrobt. Sie sin durch ihre Jene jezwungen, so zu jämpfen, dat die Jefahr für sie minimiert wird. Dadurch dat sie so lange schon jämpfen, wissen se Jefahrensituationen viel besser eenzuschätzen, als wir dazu in der Laje sin. Sie ham viel mehr Verjlechsmöjlichjeten, vor allm viel mehr Erfahrungen in ossichtslosen Jämpfen. Sie achten stets druf, dat jeen Teammitjlied in Jefahr jerät. Deshalb hab ick mit ihr osjemacht, ihre Entscheedungen net ständij zu hinerfrajen. Ick akzeptiere die so wie sie kimmen. Seed dem ick dat so machen, jomme ick mit Rashida super jut os. Vor allm, hat se sich set dem sehr jut erholt. Viellecht Jenosse Oberst, sollten se dat och ma machen", Simon sah ernst, zu dem ihm unbekannten Vorgesetzten, überlegte ob er den Rest auch noch sagen sollte. "Vor allm Jenosse Oberst, solltn se ufhören in Kahlyn en kleenes Mädl zu sehn. Vorhin der Jampf, zeejte ihnen doch, dat sie immer noch net wissen, wie jut Kahlyn wirklich is. Rashida hat mir von Chile erzählt. Uf welche Art, Kahlyn ihre Leut dort ros jeholt hat. Globen se mir eens, den Jampf den se jerade jesehen ham, is dajejen nur en leechtes Jeplänkel zwischen zwee Freundinnen jewesen. Ick hab Stunden danach jeheult, weel ick net bejriff, wie Rashida danach noch normal seen jonnte. Dann lernte ich den jleenen Zwerj, von Miniaturosjabe meener Rashida jennen. Ick jonnte net bejreefen, wie dies jleene Mädl, meene Rashida retten jonnte. Rashida sajte eenen Satz zu miche, der mehr sajte, als alles andre… "Stelle dir doch einfach mal vor, Kahlyn wäre die größte im Team, würde es dir dann leichter fallen dir vorzustellen, dass sie die Beste der Hundert ist?"… Ick stellte mir dat vor, schon jonnte ick es bejreefen. Verdammt no ma, reduziert Kahlyn, net immer uf ihre Jröße. Ihr rejt euch über die annern uf, die dat machen, macht dat aber ständig selber. Se is dree Meter jroß un dreehunnert Jilo schwer, verdammt no ma", richtig wütend hatte sich Simon geredet.

Auf einmal mussten alle lachen, es war ein erlösendes Lachen. Alle stellten sich eine drei Meter große und dreihundert Kilo schwere Kahlyn vor. Da konnte man einfach, nur darüber lachen. Aber, dass was Simon erklärte war verdammt richtig. Der Oberst stand auf und ging zu Simon hin. Er zog ihn auf die Füße und nahm ihn in den Arm. Der wusste gar nicht, was ihn geschah.

"Danke Simon. Das, was du gerade gesagt hast, ist verdammt richtig. Ich glaube, wir sollten uns das alle mal verinnerlichen. Vielleicht wird es dann einfacher, mit unserem kleinen Mädchen. Simon, bitte und das gilt für alle hier. Ich bin Willy, bei mir sagt keiner … Sie… bei mir wird jeder mit Du angesprochen. Personen, die mir die Wahrheit ins Gesicht sagen, haben sich dieses Recht doppelt verdient. Das gleiche gilt für dich Raphael. Also Leute, ich würde gern einen Vorschlag machen, denn das rumsitzen hier tut uns nicht gut. Wir tun jetzt etwas für unsere Nerven und unseres Kondition. Wir werden alle etwas für unsere Fitness tun. Das Fobnekotar und das Katzen-Kun-Fu, wird uns allen helfen etwas zu entspannen. Vor allem hilft es uns besser zu werden. Also zieht euch aus und macht Platz", gab der Oberst konkrete Anweisungen.

Wirklich alle zogen sich aus, die Matten wurden zur Seite geräumt und einundachtzig Männer stellten sich auf zum Fobnekotar und zum Katzen-Kun-Fu.

"Wir machen sechs Durchläufe, ich denke das müssten alle schaffen. Danach essen wir Abendbrot. Danach noch, dass Kun-Fu. Wer nicht mehr kann, steigt aus, ohne die anderen zu stören. Also beginnen wir. Erst machen wir fünf Minuten Taiji, dann starten wir das Fobnekotar."

Sofort begann alle mit leichten Taijiübungen, atmeten sich dadurch in ihr Qi. Nach knappen fünf Minuten, begann der Oberst mit den Worten.

"Halikon, Fobnekotar. – Beginnt das Fobnekotar."

Es begannen alle mit dem Fobnekotar, diesem guten Konditionstraining.

 

Mitten im sechsten Durchlauf des Fobnekotar, wurden Rashida und ich munter. Erfreut stellten wir fest, dass alle mitten im Training waren. Stellten uns an die Seite, atmen uns in unser Qi und stiegen in die Übung ein. Auch, wenn es nur ein halber Durchlauf war, der Oberst sagte schon nach wenigen Minuten

"Semro. – Schluss."

Machte es trotzdem Spaß. Exakt beendeten wir diesen Durchlauf des Fobnekotar, atmeten noch einige Male tief durch. Der Oberst stellte erfreut fest, dass Rashida und ich munter waren.

"Na ihr Zwei, habt ihr mitgemacht? Geht es euch wieder besser?", kam er lachend auf uns zu und zog mich als erstes in den Arm. Dann schaute er Rashida an. Die ihm zunickte, so wurde sie auch noch gedrückt.

"Sir, ja, Sir. Leider nur einen halben Zyklus, Sir."

"Na dann, lasst uns Abendbrot essen, Kahlyn, könntest du mir bitte zuvor sagen, wie du diesen Einsatz weiter vorbereiten willst. Können wir uns kurz in meinem Büro unterhalten?"

Ich folgte ihm, nach einem kurzen Nicken, in sein Büro.

"Dann setze dich bitte."

Ich folgte seiner Bitte und setzte mich auf den Stuhl. Der Oberst zog sich einen Stuhl heran, setzte sich so mir gegenüber.

"Sir, ich gehe mit Rashida nach dem Essen noch einmal ins Lager. Wir werden noch einiges vor dem Zugriff, vorbereiten. Ich denke, dass wir morgen in den frühen Morgenstunden soweit wären, dass ich ihnen konkretere Vorschläge machen kann. Vor allem eine erste Einsatzbesprechung. Im Moment, ist das noch nicht möglich, da es zu viele unbekannte Faktoren gibt. Ich denke, wir werden den Zugriff auf übermorgen Früh um 2 Uhr legen. Sie wissen ich mache meine Zugriffe immer gern um diese Zeit, weil dann die Aufmerksamkeit der Leute einfach niedriger ist und dadurch, der Widerstand dann schneller bricht. Es wäre gut, wenn sie dafür Sorge tragen, dass unsere Leute dann ausgeschlafen sind und vor allen fit, Sir."

Der Oberst überlegte kurz und sortierte das Gehörte. "Weißt du schon, was du an Material brauchst? Benötigst du irgendwelche Unterstützung?"

Ich zögerte kurz, es war nicht meine Art, um Hilfe zu bitte. Auch beim Oberst fiel mir das immer noch schwer. "Sir, es wäre schön, wenn uns Gosch bis sagen wir, fünf Kilometer vor das Lager fliegt. Auch dort wieder abholt, es sind fast fünfundvierzig Kilometer bis zum Lager. Es würde uns also viel Kraft sparen. Außerdem sollten sie schon mal den Abtransport, der circa tausendzweihundert Leute organisieren. Die haben zwar LKWs, diese habe ich unbrauchbar gemacht, damit sie mir nicht noch entwischen. Dort wo sie sich im Moment aufhalten, sind sie genau richtig, Sir."

Der Oberst sah mich verwundert an.

"Na ja, Genosse Oberst, ich bin ja davon ausgegangen, dass ich das allein hinbekommen muss. Weil sie nicht mehr mit mir zusammenarbeiten wollten. Ich habe von den LKWs die Zündverteiler geklaut und im See so versenkt, dass keiner mehr dran kommt. Der See ist gut fünfundneunzig Meter tief, da komme auch ich nicht mehr heran", verlegen sah ich den Oberst an. "Na ja Oberst, ich hab meine Wut an den LKWs ausgelassen und hab sie glaube ich völlig kaputt gemacht. Ich glaube nicht, dass die noch zu reparieren gehen. Ich habe eine Menge Schrauben herausgedreht und nicht nur ein paar Kabel durchgeschnitten, sondern alle die ich erreichen konnte und in alles, was nach Flüssigkeitsbehältern aussah, habe ich ein paar Löcher hinein gebohrt. Ich hab doch keine Ahnung von Technik, ich dachte ich mach einfach alles kaputt, solange es keinen Krach macht. Wütend genug war ich ja. Also sie brauchen fünfundzwanzig Zündverteiler für die LKWs und eine Kompanie Handwerker, die die Fahrzeuge reparieren. Im kaputt machen bin ich gut, hat mir Jaan jedenfalls gesagt. Die werden die LKWs nicht so einfach reparieren können. Sie müssen also dafür Sorge tragen, dass diese Leute irgendwie anders zurück gebracht werden. Anders geht das doch nicht, Sir", breit grinste ich ihn an und kratze mir gegen das Lachen ankämpfend den Nacken.

Jetzt verstand der Oberst, was ich meinte und schüttelte den Kopf. "Ach Kahlyn. In Ordnung, ich buche schon einmal ein Aufräumkommando. Du meinst also es wäre besser, wenn wir die LKWs verschrotten? Weißt du was das für LKWs waren?", stellte er mir gleich zwei Fragen die ich ihm nicht beantworten konnte.

Ich schüttelte den Kopf. "Robur, waren keine dabei, Sir, die kenne ich. Ich habe keine Ahnung, Sir, darauf habe ich absolut nicht geachtet. Ich kenne mich doch mit so etwas nicht aus. Ich bin schon froh dass ich einen Bus von einem LKW unterscheiden kann. Ich wollte die LKWs ja nur kaputt machen und nicht reparieren. Das kann ich sowieso nicht. Ich glaube das kann niemand mehr. Aber ich bringe ihnen morgen früh die Typenbezeichnung mit, das kann Rashida machen, die kennt sich mit sowas aus, Sir", machte ich ihm noch einen Vorschlag.

Mühsam verkniff sich der Oberst das Lachen und schüttelte bei meinem Geständnis immer wieder den Kopf. "Du erst noch. Dir guckt doch der Schalk aus dem Nacken. Aber recht hast du. Die Typen brauchst du nicht mitbringen, darum kann sich die Nachhut kümmern. Ich sage ihnen, dass sie fünfundzwanzig LKW-Zündverteiler, eine Kompanie Handwerker und einen großen LKW voller Ersatzteile brauchen. Oder sie sollen der Einfachhalber eine Schrottpresse mitbringen, geht glaube ich schneller, wenn ich deinen Schalk so sehe. Ich sag ihnen auch, dass du an allen möglichen und unmöglichen Schrauben gedreht hast. So jetzt mal Spaß beiseite. Bitte meine Kleine, sei vorsichtig ja."

Ich grinste und stand auf. Gab meinem Oberst ein Kuss, damit er sah, dass wir uns wieder vertrugen. Dann lief ich nach vorn zu den anderen. Deren Abendessen stand schon auf dem Tisch. Ich setzte mich neben meine Rashida und lehnte mich an ihre Schulter.

"Na Täubchen, was machen wir dann?"

Kurz wies ich sie in meine weitere Vorgehensweise ein, sie nickte immer wieder, war also einverstanden.

"Also komm Rashida, lass uns etwas essen, dann gehen wir los. Wir gehen nur in Turnhose und Bustier, wir müssen ins Wasser."

Rashida verdrehte die Augen. Sie wusste, was jetzt auf sie zukam. Sie mochte das nicht sonderlich. Denn sie war eine Genieserin, was das Essen anging. Sie nahm sich immer sehr viel Zeit beim Essen, wenn wir sie einmal hatten.

Tino der Koch vom Beta Team sah mich fragend an.

"Tino, machst du für mich und Rashida bitte fünfhundert Gramm."

Er nickte, guckte allerdings etwas dumm aus seiner Wäsche. So viel Brei hatte ich noch nie verlangt. "Fünfhundert?", fragte er lieber nach. Er war der Meinung, dass er sich verhört hatte oder ich habe mich in der Menge irrte.

"Ja Tino, fünfhundert Gramm. Wir brauchen so viel, weil wir dann ins Wasser müssen und draußen ist es verdammt kalt."

Unser Koch nickte er und machte für uns beide, diese große Menge Brei zurecht.

Rashida grinste mich an und war wieder versöhnt. Jetzt war es für sie nicht mehr so schlimm ins kalte Wasser zu gehen. Die Menge Brei, die sie dafür bekam, entschädigte sie für das nicht genießen können. Ich grinste zurück und freute mich für sie. Natürlich konnte ich mir vorstellen, dass sich meine Freundin freute. Es war für sie bestimmt schön, sich einmal richtig den Bauch vollschlagen zu können. Ich glaube sie hatte häufig großen Hunger. Denn oft würde sie eine solche Menge nicht bekommen, bei den leichten Einsätzen die wir seit zwei Monaten hatten. Diese große Menge Nahrung war diesmal einfach nötig. Sie sorgte dafür, dass unsere Körpertemperatur konstant blieb. Auch, wenn wir lange im kalte Wasser bleiben mussten. Mit einer Stunde musste ich rechnen und das Wasser war verdammt kalt. Auch wenn wir nicht so schnell erfroren, wurde uns trotzdem schnell kalt. Dies verhinderten wir, durch die große Mengen Nahrung, da der Stoffwechsel angeregt wurde. Es half uns einfach, warm zu bleiben.

"Gosch, kannst du dich mit dem Essen bitte etwas beeilen oder später noch etwas essen. Ich möchte, dass du uns zum Zielgebiet fliegst. Morgen früh, dann dort auch wieder abholst. Auf diese Weise sparen wir uns die Kraft dorthin zu laufen, vor allem aber die Zeit."

Gosch nickte, er hatte den Mund voll und musste erst herunter kauen. "Sag Bescheid, wenn du los willst, ich kann hinterher noch etwas essen." 

Kaum fertig mit reden, steckte er sich den nächsten Bissen in den Mund und genoss wie immer die Mahlzeiten. So schlank wie Gosch war, fragte ich mich immer wieder, wohin er diese ganzen Mengen futterte. Wenn ich das mit dem verglich, was der Oberst oder Rudi bei einer Mahlzeit aßen, war das bestimmt die doppelte Menge. Obwohl Gosch um einiges kleiner war. Trotzdem war er gertenschlank. Doko Jacob meinte einmal, er würde Gosch beneiden für seinen Stoffwechsel. Der Doko aß für sein Leben gern, doch seit einigen Jahren, musste er sehr aufpassen, dass er nicht zu dick wurde. Doko würde auch gern so viel futtern, sagte er immer, aber dann würde dann durch keine Tür mehr passen. Ich sah Gosch breit grinsend beim Essen zu und wartete mit einer Tasse Kaffee in der Hand, auf unseren Brei. Rashida tat es mir gleich, sie amüsierte sich auch über Gosch. Dem Oberst war mein Blick nicht entgangen und er fing schallend an zu lachen. Wie oft hatten wir diese Situationen gehabt, dass Gosch einfach nicht genug bekam. Er war immer der erste der mit Essen anfing und der letzte der fertig war, obwohl er keine Pause machte und selten etwas sagte.

"Kahlyn, lach ruhig. Es ist wie immer, der Gosch futtert mir die Haar vom Kopf. Wenn er so weiter macht, habe ich bald Glatze. Glaub mir, ich musste dieses Jahr das Budget für die Ernährung der Teams, schon dreimal aufstocken, weil er den anderen alles wegfuttert", erklärte mir der Oberst. Erschrocken sah ich Gosch an, der genau merkte, dass ich den Oberst nicht richtig verstanden hatte. Diese Bemerkung brachte Willy Fleischer ein Knuffer von Gosch in die Seite ein, der direkt neben ihm saß.

"Täubchen, glaube dem Oberst nur nicht alles. Ich esse niemanden etwas weg", flackste er nun auch herum.

Jetzt begriff ich erst, wie der Oberst diese Bemerkung gemeint hatte und musste nun auch lachen. Gosch hatte mir das einmal erklärt, als ich böse auf den Oberst war, weil ich dachte, er gönnt ihm sein Essen nicht. Ich wurde wieder ernst, denn wir mussten dann wirklich los und wandte mich nochmals an Gosch.

"Gosch, wir fliegen gleich los, sobald wir beide in Ruhe aufgegessen und noch einen Kaffee getrunken haben", sah ihn dabei grinsend an. Gosch wusste, was ihm bevorstand. Bei dieser großen Menge Brei, würden dann alles schnell gehen müssen. Er hatte dieses Verhalten von mir schon einige Male erlebt und stellte sich deshalb, auf einen schnellen Start ein. Ich stand nochmals auf, um nach hinten zu unserer Matte zu gehen. Rashida folgte mir, ohne dass ich etwas erklären musste. Wir machten uns startklar. Ich zog mich bis auf Bustier und Turnhose aus. Legte diesmal allerdings ein Teil der Ausrüstung an: Fangseil, Nahkampfgürtel, Halfter, doch statt der Schwerter nahmen wir Spaten und Hacke in den Halfter. Fertig setzten wir uns wieder an den Tisch. In der Zwischenzeit hatte Tino, unseren Brei fertig gemacht und machte diesen gerade auf die Teller.

Rudi der rechts neben mir saß, sah mich besorgt an. "Kahlyn, es ist arschkalt draußen."

Ich streichelte ihm lieb das Gesicht und lächelte ihm zu. "Warte bitte einen Moment, Rudi. Lasse mich erst essen, dann zeige ich dir etwas."

Rudi sah verwundert zu Rashida und dann zu mir. Wir lächelten ihm beruhigt zu. Er akzeptierte, was ich sagte. Ich war froh, dass er nicht schon wieder mit mir eine Diskussion anfing. Kaum, dass Tino, den Brei vor mich und Rashida gestellt hatte, fingen wir an zu futtern. Oder besser gesagt, wir schlangen den Brei herunter. Dies mussten wir tun. Nur so war gewährleistet, dass der Effekt eintrat, den wir erreichen wollten. Nach einer Minute waren wir mit der großen Menge fertig. Die Jungs sahen uns entsetzt zu, sonst aßen wir jeden Löffel des Breis genüsslich. So etwas hatten sie bei uns noch nicht erlebt. Wir erhoben uns, kaum, dass unsere Teller leer waren und tranken schon im Stehen unsere Tassen aus. Ich hielt Rudi meine Hand hin.

"Greif bitte mal meine Hände an."

Rudi der sofort meine Hände anfasste, zog sie sofort wieder erschrocken zurück, denn meine Hand war glühendheiß. Nicht nur meine Hände, sondern mein gesamter Körper glühte. Das eben war ja der Effekt den wir erreichen wollten.

"Wieso…?"

Ich unterbrach ihn. "Bitte Rudi, frage Conny oder den Oberst, wir müssen los."

Hastig winkte ich Gosch, der sich schnell noch einen Bissen in den Mund stopfte, aber sofort aufstand und losflitzte. Ich lief ihm mit Rashida gemütlich hinterher. Da er ja erst den Heli starten musste und sich die Startfreigabe holen musste. Gosch beeilte sich, mit den Startvorbereitungen. Er wusste durch die vielen gemeinsamen Einsätze, warum ich drängelte. Er saß schon im Drachen und war startbereit, als wir am Drachen ankamen. Sobald wir die Türen geschlossen hatten, konnten wir losfliegen. Der Pilot wusste, dass es für uns unangenehm warm im Heli war und wir schnell wieder nach draußen in die Kälte mussten. Unsere Körper entwickelte durch das schnelle Essen eine enorme Wärme. Diese schütze uns vor dem Auskühlen. Nur war es für uns dann kaum möglich, lange in warmen oder geschlossenen Räumen zu bleiben. Wir wurden in diesen Moment zu einer lebenden Heizung. Nur zehn Minuten später ließ uns Gosch, fünf Kilometer vor dem Zielgebiet aus dem Heli.

"Gosch, fliege bitte sofort zurück. Wir brauchen dich jetzt nicht. Ich sage dir rechtzeitig Bescheid, falls wir dich wieder brauchen sollten. Lege dich bitte hin und schlaf etwas. Vor 5 Uhr denke ich, brauchen wir dich bestimmt nicht."

Gosch schmunzelte und rief uns zu, bevor er die Tür schloss. "Dann viel Erfolg ihr zwei und passt auf euch auf", sofort startete er den Heli und flog zu der Halle zurück.

 

Rashida und ich, liefen weiter in Richtung Osten, auf das Lager zu. Lachend liefen wir nebeneinander und hielten uns an der Hand. Immer wieder neckten wir uns gegenseitig, durch knuffen und ziehen. Es war einfach schön wieder einmal zusammenzuarbeiten. Vor allem, war ich froh, dass wieder alles in Ordnung war, zwischen uns Beiden.

Der Streit mit Rashida, hatte mir mehr zu schaffen gemacht, als ich mir erst eingestand. Immer wieder lächelte ich zu ihr hoch und sie lächelte zurück. Sie wusste genau, was in meinem Kopf vor sich ging. Dazu musste ich keine Verbindung zu ihr öffnen. Sie kannte mich von der ersten Sekunde meines Lebens. Sie wusste genau wie ich fühlte, genau wie ich wusste wie sie fühlte. Es kam selten vor, dass wir uns so wie gestern stritten. Aber auch bei uns, gab es immer wieder einmal Missverständnisse oder Meinungsverschiedenheiten, wie es bei jeder Freundschaft war. Wir waren aber beide nicht nachtragend. Es war geklärt und damit war alles wieder in Ordnung.

Kurz vor dem Lager, wurden wir wieder ernst und konzentrierten uns auf unseren Auftrag. Von meinem gestrigen Ausguck aus, einem Baum, beobachteten wir fast anderthalb Stunden, das Lage. Es hatte sich nichts verändert. Der Rhythmus der Wachen war der gleiche geblieben. Also gingen wir zu meinem Plan über, den ich Rashida in der Zwischenzeit detailgenau erklärt hatte.

Es war kurz nach 23 Uhr, als ich mich mit Rashida zusammen in das Lager schlich. Wir nutzen jeden Schatten, damit uns niemand bemerkte. Vorsichtig arbeiteten wir uns zu dem Schützenstellungen vor. Wir hatten uns darauf geeinigt, dass Rashida zwei und ich drei der Granatwerfer unbrauchbar machten. Die fünf durch Sandsäcke gesicherten Schützenstellungen, boten uns guten Schutz. Die wie gestern schon ohne Wachen und unbesetzt waren. So konnten wir uns aus dem Schatten heraus, hineinschleichen.

In der Schule hatten wir gelernt in kürzester Zeit Waffen zu reinigen egal welcher Art. Der Oberstleutnant hatte jeden Waffentyp besorgt, so dass wir alle Modelle aus dem Effeff kannten. Deshalb war es für uns ein leichtes, diese Werfer auseinanderzubauen. Schnell entfernten wir aus den Granatwerfern das wichtigste Teil, den Bolzen am inneren Ende des Rohres. Wir brauchten keine zwanzig Minuten und die fünf GW36 waren nur noch Zierte. Sie waren nicht mehr einsatzfähig. So wie diese Geschütze aussahen, wurden sie selten gewartet, so dass man das Fehlen der Bolzen erst bemerken würde, wenn man sie einsetzen wollte.

Fertig mit dieser Aufgabe, gingen wir ins Wasser und schwammen am Ufer entlang zu der Stelle, an dem das Munitionszelt stand. Genau sahen wir uns das Zelt noch einmal vom Ufer aus an, in dem wir über die Böschung sahen. Wir besprachen uns und beschlossen in der Tiefe von achtzehn Metern unter der Uferkante des Steilufers, mit dem Graben zu beginnen. Wir gruben uns durch das Erdreich, das zum Glück nicht sehr fest war, schräg zum Zelt hoch. Zusammen war das eine Arbeit von einer dreiviertel Stunde, da wir uns mit dem Graben abwechseln konnten. Dadurch war der fast dreißig Meter langen Tunnel schnell fertigzustellen. Erfreut stellten wir fest, dass wir genau dort mit unserem Tunnel ankamen, wo wir das auch wollte. Da wir auf gut Glück gruben, war das nicht ausgeschlossen, dass wir einmal falsch lagen. Auch, wir konnten uns einmal verkalkulieren. Aber es klappte alles, wie geplant und wir kamen in der hintersten Ecke des Zeltes heraus.

Vorsichtig, jedes Geräusch vermeidend, begannen wir mit dem leeren der Waffen- und Munitionskisten. Unser Herz blutete als wir die guten Waffen im See versenkten. Es musste aber sein, die Sicherheit unserer Kollegen, hing davon ab. Die leeren Kisten, stapelten wir wieder genauso hin, wie wir sie vorgefunden hatten. So würde keiner etwas von unserer Aktion bemerken. Wir ließen wir auch leere Munitionshülsen und entschärfte Handgranaten in den obersten Kisten zurück. Es machte zwar einige Arbeit die Patronen und Handgranaten zu entschärfen. Aber das war notwendig, um die obersten Kisten aussehen zu lassen, als wenn sie voll wären. Wieder einmal dankten wir unseren Ausbildern, dass sie uns in dieser Hinsicht so gedrillt hatten, dass wir das im Schlaf und sehr schnell konnten. Das hatte uns schon einige Male geholfen und Schlimmes zu verhindert. Die restlichen Handgranaten, die Munition, aber auch die Granaten für den Granatwerfer, sowie die Munitionsgurte für die MGs brachten wir, durch den Tunnel außer Reichweite dieser Leute. Kaum damit fertig, legten wir ein Brett über den Tunnelausgang und gaben Erdreich darüber, so dass niemand mehr etwas von dem Tunnel entdecken konnte.

Kurz nach 2 Uhr in der Früh, waren wir damit fertig und hatten auch alle im Munitionszelt sichtbaren Waffen, unschädlich gemacht. Indem wir die Schließfeder, aus den Waffen entfernten. Jetzt kam der gefährlichste Teil, unserer Mission. Auch die in den Zelten befindlichen Waffen, wollten wir weitestgehend entschärfen. Nur auf diese Weise konnten wir sicherstellen, dass unsere Leute nicht sofort getötet wurden. Wenn wir das Lager stürmten, waren wir sofort alle in der Schusslinie. Auch, wenn sie ballistische Schusswesten, Helme und Schilde hatten, waren sie nicht unbesiegbar. Deshalb schlichen Rashida und ich, von Zelt zu Zelt und entschärften lautlos, alle von uns erreichbaren Waffen. Verkleinerten auf diese Weise die Gefahr für unsere Kameraden, auf ein Minimum. Die nicht wie wir, die Möglichkeit hatten den Kugeln ausweichen. Nach fast drei Stunden hatten wir unser Möglichstes getan, um einen sicheren Zugriff zu gewährleisten. Mehr war wirklich nicht machbar, es sei denn, wir machten den Zugriff jetzt.

Einige Male hatte ich in diesen sechs Stunden darüber nachgedacht. Aber es war einfach zu riskant, ohne Sicherung durch die Teams diesen Zugriff zu starten. Vor allem hätten wir das nur tun können, in dem wir hier ein Blutbad anrichteten. Eins das genauso schlimm sein würde wie das beim Prager Einsatz. Das wollte ich unbedingt verhindern. Es sollte ein sauberer Einsatz werden und nicht schon wieder ein Gemetzel. Einige Male dachte ich auch über ein Gespräch nach, aber mit diesen Gruppen waren meiner Erfahrung nach keine Gespräche möglich. Die wollten den Krieg um jeden Preis.

 

Es war kurz vor 5 Uhr, als ich Gosch bat, uns vom Treffpunkt abzuholen. Ganz gemütlich lief ich mit Rashida dorthin. Unterwegs alberten wir etwas herum, was wir lange nicht getan hatten. Als Gosch am Treffpunkt, einem Feld unweit der Ortschaft Wiersnianka ankam, konnte er nicht fassen, was er sah. Von weiten schon, sah er zwei Mädchen, die sich an den Händen hielten und sich im Kreis drehten. Wie es Kinder beim Spielen oft machten. Rashida hatte das in Forst gesehen und mir gezeigt. Es machte so einen Spaß, dass wir Gosch erst im letzten Moment bemerkten. Lachend drehten wir uns und sangen dazu selbsterfunden Lieder, die Rina immer für uns sang. Wir waren so weit vom Lager entfernt, dass uns hier keinerlei Gefahr drohte.

Erst als Gosch keine hundertfünfzig Meter von uns entfernt zur Landung ansetzte, bemerkten wir ihn. Lachend liefen wir, uns an den Händen haltend, auf ihn zu. Gosch stieg aus und kam uns entgegen. Wir nahmen in einfach an der Hand und drehten uns noch ein paarmal mit ihm zusammen im Kreis. Sangen dabei unser Lied.

"Edis, halikon, sonde! Almech, frido eztak! Rina, sina, cankat! Nisön, sön lödein cankat."

Dabei drehten wir uns immer weiter im Kreis. Gosch lachte mit uns und freute sich, dass wir so locker drauf waren. Kaum, dass wir fertig waren, mit unserem Lied, liefen wir zusammen zum Drachen und stiegen ein.

"Na sagt mal ihr Zwei, was ist denn mit euch los. So locker hab ich euch noch nie gesehen", freute er sich mit uns. "Könnt ihr mir mal übersetzen, was ihr da gesungen habt. Ich habe es nicht verstanden", bat uns Gosch, als er sich angeschnallt hatte und er die Startfreigabe bekam. Lachen sah ich Rashida an, die zuckte mit den Schultern. Also blieb es wie immer an mir hängen, es zu erklären. Man konnte das so nicht genau übersetzen.

"Gosch, ich kann das nur sinngemäß übersetzen. Aber ich weiß nicht, ob es wirklich verständlich ist, weil für viele Wörter die wir benutzen, keinen Begriff in eurer Sprache gibt. … Mühsam beginnt dein Tag! Freigelassen wird die erwachende Katz! Fröhlich singst du schöne Blume, bringst mir Glück! Lieber Freund, ich komm zurück, schenke dir mein ganzes Glück! ... Rina hat das oft für uns gesungen, wenn wir in den Kampf gezogen sind. Das Lied hat uns immer Glück gebracht. Nur am letzten Tag in Cuba, hat sie es nicht gesungen", auf einmal stürmte eine Traurigkeit auf mich ein.

Ich lehnte mich an Rashida und hätte fast angefangen zu weinen. Ich riss mich aber zusammen, was nutzte es über etwas zu weinen, was man nicht mehr ändern konnte. Das hatte ich noch nie getan und würde auch nicht damit anfangen. Ich sah zu Gosch vor und sagte in einem festen Ton.

"Diesmal werden wir es singen, dann bringt es uns bestimmt Glück."

Lächelnd sah ich Rashida an, die lachte zurück. Lange, waren wir nicht mehr so glücklich und hatten so gelacht. Nach nicht ganz zehn Minuten, landeten wir vor der Halle und liefen zusammen hinein und nach hinten in die Dusche. Gosch immer noch perplex, von dem gerade Erlebten, setzte sich schweigend zu den anderen. Der Oberst der kopfschüttelnd zusah, wie wir in der Dusche verschwanden, sah Gosch fragend an.

"Gosch, was hast du mit den Mädels gemacht."

Gosch jedoch zuckte mit den Schultern und erzählte, was er gerade erlebt hatte. Völlig von der Rolle, sah er den Teamchef aus Gera an. Rudi grinste, hatte er ähnliches schon erlebt, in Momenten in denen es mir richtig gut ging.

"Gosch, ich glaube dem Mädchen geht es richtig gut, deshalb lachen sie und singen. Lasst sie doch, sie werden uns schon gleich sagen, warum sie so gut drauf sind", mit dieser Erklärung war für Rudi das Thema vom Tisch.

Die Jungs konnten nicht glauben, was da sie hörten.

In der Dusche angekommen, stellten wir uns erst einmal zum Auftauen, unter eine heiße Dusche. Als mir endlich wieder warm war, schielte ich zu Rashida. Einer inneren Eingebung folgend, das hatten wir ab und zu auch in der Schule zum großen Ärger des Oberstleutnants gemacht. Drehte ich eine kalte Dusch auf und spritze mit den kalten Wasser meine Freundin voll. Die fing an zu lachen. Drehte sich ebenfalls eine kalte Dusche auf, schon begann eine kleine Wasserschlacht. Wir vergaßen uns völlig dabei und fingen an laut zu lachen. Erst als Simon, Rudi, Conny und der Oberst, ihre Nasen in den Duschraum steckten. Wurde uns bewusst, was wir beiden für einen höllischen Krach machten. Verlegen hörten wir sofort auf und gingen unter die Dusche, um uns zu waschen. Nach fünf Minuten kamen wir angezogen, wieder aus dem Duschraum heraus. Setzten uns beschämt, an den Tisch. Wir wussten gar nicht, wie wir uns verhalten sollten.

"Was ist los, warum lacht ihr denn nicht mehr?", wollte Rudi von uns wissen.

"Ähhmmm…", mehr bekam ich nicht heraus.

Zu gut war mir noch in Erinnerung, welchen Anpfiff wir immer bekamen, wenn wir einmal in der Schule einen solchen Krach gemacht hatten. Meistens landeten wir im Anschluss an der Wand oder wurden ausgepeitscht.

"Was heißt hier Ähhmmm?", wolle jetzt der Oberst wissen.

Rashida sah mich ängstlich an, ich meine Rashida. "Sir, entschuldigen sie bitte, Sir. Das wir so einen Krach gemacht haben, Sir", entschuldigte ich mich jetzt, für unser unmögliches Verhalten.

Der Oberst schüttelte verständnislos den Kopf. "Kahlyn, warum lacht ihr nicht weiter. Es war so schön, euch lachen zu hören. Ich wusste gar nicht, dass ihr das könnt. Ich dachte gerade, Gosch erzählt uns Märchen. Das glaubt mir euer Doko nie", verwirrt starrten wir beide den Oberst an.

Rashida in solchen Dingen, schon immer mutiger als ich. Stellte die Frage, die mich auch interessierte. "Wie, wir dürfen hier lachen?", ungläubig sah sie den Oberst an, genauso wie ich.

"Natürlich, vierundzwanzig Stunden am Tag. Nur während des Einsatzes ist bedingtes Lachverbot", rief Raphi, vom anderen Ende des Tisches.

Jetzt guckte Rashida zu den Oberst, dann zu mir, genauso wie ich es tat. Plötzlich fing sie an zu lachen. Sie nahm meine Hand und zerrte mich auf die Beine. Kaum, dass ich auf meinen Füßen stand, griff sie nach meiner zweiten Hand und fing an sich mit mir im Kreis zu drehen.

"Edis, halikon, sonde! Almech, frido eztak! Rina, sina, cankat! Nisön, sön lödein cankat", und sang dabei unser Lied, immer und immer wieder.

Fast zehn Minuten, tanzten wir im Kreis. Die Jungs sahen dabei zu, ein paar versuchten sogar mitzusingen. Alle lachten und freuten sich das wir so locker drauf waren. Der Oberst jedoch, lief nach hinten in sein Büro und holte seine Aka 8, seine Filmkamera heraus. Er filmte unseren Reigen. Kopfschüttelnd, blickten die Jungs uns an. Auf einmal zog mich Rashida aus dem Drehen heraus, auf ihre Hüften. Sie hob sie mich einfach hoch. Ich nahm meine Arme zur Seite, als wenn ich fliegen wollte. So wie ich es oft schon gemacht hatte und ließ mich einfach nach hinten fallen. Rashida ließ mich los und so landete ich nach einer Rolle auf den Füßen. Glücklich fiel ich meiner Freundin, um den Hals.

Leise nur für sie bestimmt, flüsterte ich. "Es ist so schön, am Leben zu sein."

Rashida drückte mich ganz lieb. Sie flüsterte mir genauso leise ins Ohr und hob mich wieder hoch auf ihre Hüften. "Das stimmt, mein Täubchen."

Die Jungs jedoch, konnten immer noch nicht glauben, was sie da gesehen hatten. Zu frisch war noch die Erinnerung an den Kampf, den wir beide uns, vor weniger als einem Tag, genau hier in dieser Halle lieferten. Bei dem sie dachten, wir bringen uns gegenseitig um. Vollkommen glücklich, setzte ich mich mit meiner Rashida an den Tisch. Es war kurz vor 6 Uhr als wir mit dem Frühstück begannen. Freudig sahen wir denn Männern zu, wie sie frühstücken. Rashida und ich tranken nur Kaffee. Als uns Tino fragte, was wir an Brei haben wollten.

Sagten wir gleichzeitig. "Nix" und fingen an zu lachen.

Ich erklärte es ihm dann. "Tino, wir haben doch gestern Abend so viel gegessen. Heute Abend müssen wir nochmals so viel essen. Weißt du, sonst erfrieren wir im Wasser. Da können wir jetzt keine Nahrung, zu uns nehmen. Das ist nicht gut. Aber keine Angst, wir sind beide noch satt. Du musst wissen fünfhundert Gramm, sind fünfhunderttausend Kalorien. Das reicht eine Weile", lachend trank ich meinen Kaffee weiter und grinste Tino an.

"Na dann, hab ich ja Glück, dass ich das nicht essen muss", meinte Tino nun auch lachend. "Sonst wäre ich rund, wie ein Fass."

Nachdem er uns gezeigt hatte, wie dick er dann wäre, machte er sich, über seine Schnitten her. Kurz nach halb 7 Uhr, waren die Jungs fertig mit dem Frühstück. Fragend sah ich den Oberst an, der meine Vorgehensweise ja kannte.

"Genosse Oberst, kann ich sie und die Teamleiter kurz in ihren Büro sprechen?"

Oberst Fleischer nickte, er kannte meine Vorgehensweise. Deshalb stand ich auf und ging ins Büro hinter. Gefolgt von Rashida, dem Oberst und den ganzen Teamleitern. Kurz unterbreiten Rashida und ich, unseren Vorschläge des Einsatzes von morgen früh betreffend. Holten uns die Genehmigung, so vorzugehen zu dürfen. Auch, wenn nicht alle Punkte unseres Planes auf Gefallen stießen, waren trotzdem alle damit einverstanden.

"Sir, wenn sie uns jetzt nicht mehr brauchen, würden wir uns gern etwas hinlegen. Dann sind wir heute Nacht fit. Wir würden wenn möglich gern bis 14 Uhr schlafen. Die Nacht war sehr anstrengend und kräfteraubend. Ich würde vorschlagen, dass wir um 15 Uhr die Einsatzbesprechung machen. Bis dahin sollten die Jungs es sich gemütlich machen, soweit das hier geht. Nach der Einsatzbesprechung, werden wir etwas trainieren. Vielleicht klären sie bis dahin ab, ob alle das Eztakfu schon können. Wenn nicht wäre es schön, wenn sie es ihnen schon freischalten und beibringen. Um 20 Uhr Abendessen, danach möchte ich, dass sich alle bis 0 Uhr 30 hinlegen und schlafen. Gosch fliegt Rashida und mich zum Lager, wir kontrollieren dort noch einmal die Lage. Um 0 Uhr holt uns Gosch am Treffpunkt ab. Gegen 1 Uhr sollten uns die Einsatzfahrzeuge hier abholen, so dass wir gegen 1 Uhr 50, zwei Kilometer vor dem Zielgebiet eintreffen. Gegen 2 Uhr 15 erfolgt dann der Zugriff."

Der Oberst wie auch die Teamleiter gaben ihren Segen. So verabschiedeten wir uns und legten uns in Rashidas Ecke schlafen. Keine drei Atemzüge später, waren wir in einem tiefen und erholsamen Schlaf, eng aneinander gekuschelt, wie zwei Kätzchen. Der Oberst, Conny, Rudi, Simon und alle Jungs aus den Teams, sahen immer wieder einmal nach ihren beiden Mädchen. Kein Geräusch störte unseren Schlaf, da wir wussten, wir wurden behütet.

Kurz nach 14 Uhr wachten wir vollständig erholt auf. Sofort liefen wir in das Büro des Obersts, um die Einsatzpläne für die einzelnen Teamleiter vorzubereiten. Rashida kümmerte sich, um das Schriftliche, ich dagegen um die Skizzen. Eine halbe Stunde später, hatten wir alles so gut es halt ging, vorbereitet und machten uns auf den Weg nach draußen in die Halle. Erfreut stellte ich fest, dass die Jungs schon die Zeit genutzt hatten um die Matten zur Seite zu räumen, auch die Tische standen zusammengeklappt an den Wänden. Die Memotafeln wurden bereit gestellt, so dass ich nur noch die Skizzen aufhängen musste. Schnell waren wir mit unseren Vorbereitungen fertig. Konnten uns auch etwas mit den Jungs unterhalten. Dadurch hatten wir auch noch etwas Zeit zum Entspannten. Fünf Minuten bevor wir mit der Besprechung des Einsatzes beginnen wollten, bat ich meine Kollegen auf die Uhr zu schauen. So wie ich es immer machte, denn gern vergaßen die Männer bei ihren Gesprächen einmal die Zeit. Sie hatten nicht wie wir eine innere Uhr, die immer pünktlich Alarm schlug, wenn ein Termin heran gekommen war.

"Nehmt ihr euch bitte alle noch einen Kaffee und setzt euch hin, ich möchte in ein paar Minuten anfangen", fast sofort gingen alle auf ihre Plätze.

Was mich total erfreut, dass die Teamleiter meiner Bitte entsprochen hatten und die Teams nach Scharfschützen und Nahkämpfern zu sortierten. Auch saßen die Teamleiter alle rechts. Es tat so verdammt gut, einmal nicht erst um die Einsatzleitung kämpfen zu müssen. Festzustellen, dass man einfach akzeptiert wurde, so wie man halt war, tat so verdammt gut. Lachend trat ich mit Rashida zusammen vor die versammelte Mannschaft.

"Guten Abend meine Herren. Danke an die Teamleiter, es tut verdammt gut, mal nicht erst um meine Akzeptanz kämpfen zu müssen. Da geht es mir doch gleich besser", breit grinste ich die Jungs an und bekam von allen ein Lächeln zurück. "Ich glaube zwar nicht, dass ich mich noch vorstellen muss. Die meisten kennen mich ja, aber der Ordnung halber werde ich es trotzdem machen. Mein Name ist Leutnant Kahlyn, kurz und bündig Kahlyn. Ich bin 16 Jahre, seit fast vierzehn Jahren im Kampf, seit dreizehn Jahren der Teamleiter, der Hundert oder wie man uns immer nannte des Teams 98.  So war am Anfang mein Name. Seit zwei Monaten gehöre ich fest zum Alphateam des SEK 61 Gera. Ich bin das, was man einen Allrounder nennt. Scharfschütze, Bombenexperte, Pilotin, Nahkampfspezialist. Ich bin aber auch ausgebildete Ärztin und Psychologin. Hier neben mir steht Leutnant Rashida, aus meinem alten Team 98. Rashida stell dich bitte vor."

Rashida lachte. "Für diejenigen unter euch, die mich noch nicht kennen. Ich bin Leutnant Rashida, vom ehemaligen Team 98. Bin nur wenige Stunden älter als Kahlyn. Gehöre seit zwei Monaten zum Team Kreuzer im SEK 23 Forst. Ich bin wie Kahlyn Allrounder, Bombenexpertin, Pilotin, Scharfschütze, Nahkämpfer, aber wenn ich ehrlich sein soll, eher Nahkämpfer als Schafschütze. Auch ich habe eine medizinische Ausbildung. Na ja, als Ärztin würde ich mich nicht gerade bezeichnen, sondern eher als Sanitäter", bei ihren letzten Worten knuffte sie mich lachend in die Seite.

"Danke Rashida, wie ihr bemerkt wird es bei diesem Einsatz, zwei Einsatzleiter geben. Warum das so ist, werde ich euch gleich erklären. Akzeptiert es erst einmal, so wie es ist. Also weiter. Für diejenigen, die meine Arbeitsweise nicht kennen, ganz kurz und bündig, die meisten haben das schon hundertmal gehört und wollen das nicht nochmal hören. Bei mir zählen keine Ränge, ich duze alle, egal welchen Rang ihr habt. Außer meinen Oberst, bei ihm fällt mir das immer schwer. Außerdem, werden in meinen Einsätzen keine Befehle in Frage gestellt. Die Zeit zum Fragen stellen, ist jetzt und hier", ernst sah ich die Männer an, sprach aber nach einigen Sekunden Pause sofort weiter. "Im Einsatz reagiere ich darauf sehr heftig. Bitte Leute, bei diesem Einsatz ist das zwingend notwendig. Wer dazu nicht bereit ist, darf jetzt sofort aufstehen und gehen. Ich brauche bei diesem Einsatz keine Helden. Die sind schneller Tod, als sie au sagen können", ernst blickte ich in die Runde und hoffte, dass es wirklich alle verstanden hatten. Erfreut stellte ich fest, dass alle sitzen blieben. "In Ordnung. Ich hoffe ihr habt die letzten zwei Tage genutzt, um euch etwas miteinander bekannt zu machen. Wir werden uns gegenseitig, sehr vertrauen müssen, bei diesem Einsatz. Sonst wird es die Hölle auf Erden, schlimmer noch als Himmelpfort", wieder sah ich alle an. "Also dann zu den Teameinteilungen…"

Nacheinander teilte ich die Teams entsprechend ihren Aufgabenbereichen ein, aber auch Rashida und mir zu. "Wir gehen wie folgt vor. Als erstes erkläre ich euch, warum wir diesmal zwei Teamleiter haben. Wir bilden beim Angriff eine V-Formation. Rashida übernimmt einen Schenkel also das Team 1, ich den anderen also das Team 2, die Spitze des Vs hält die Stellung, die Ende der Vs schließen den Kreis. So dass wir unsere Gegner einkreisen, das geht nur, indem wir alle zusammenarbeiten. Schaffen wir das nicht, bekommen wir ein zweites Himmelpfort oder noch schlimmer. Bitte Leute, helft mir zu verhindern, dass wieder so viele Menschen sterben müssen", mein Blick sprach glaube ich Bände und die Blicke derer die in Himmelpfort dabei waren, ebenfalls. Es reichte um die Teams, die das nicht nachvollziehen konnten zu überzeugen. Auch, wenn man merkte, dass sich einige wohl im Anschluss informieren würden, was an Himmelpfort so schlimm war. Aber das konnten die Jungs untereinander klären, dazu war jetzt keine Notwendigkeit. Es reichte, wenn sie begriffen, dass dann die Hölle über sie herein brechen würde. Dass sah man allen an, die in Himmelpfort dabei gewesen waren. Während mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, sprach ich weiter.

"Wir machen, dass vor allem deshalb, weil ihr ja die Verbindung noch nicht gewohnt seid. So dass ihr nicht auf achtzig Leute gleichzeitig hören müsst. Haben wir die Teams so geteilt, dass jeder von uns eine Hälfte betreut. Wir können gleichzeitig mit achtzig Leuten reden, wir sind daran gewöhnt. Diejenigen, die zu Rashida gehören, lassen ihre Verbindung nur zu ihr auf, die anderen nur zu mir. Rashida und ich zu allen, so dass wir jeden Einzelnen von euch, sofort erreichen können. Bitte, es wird während des Einsatzes, nur das notwendigste gesprochen. Denkt bitte stets daran, ihr seid diese Verbindung nicht gewohnt. Habt ihr das verstanden", ich sah alle an, jeden einzelnen.

Es war verdammt wichtig, dass wirklich jeder diese Vorgehensweise verstanden hatte. Wieder stellte ich erfreut fest, dass ich diesmal nicht erst kämpfen musste, dass man es so nahm wie ich es erklärte.

"In Ordnung, weiter im Plan. Rashida und ich treiben euch vom Wasser aus, die Kämpfer entgegen. Also in die bestehende V- Formation hinein. Rudi, Oberst, bitte, fangt jetzt nicht beide wieder mit mir erst eine Diskussion an. Es geht wirklich nicht anders. Ich möchte euch nicht bei minus 15°C die wir heute über den Tag hatten, ins Wasser jagen. Also bleibt mir nur die Möglichkeit die Ginos zu rufen. Also Rashida und ich, treiben euch die Kämpfer vom Wasser aus entgegen. Die werden in Panik sein, da sie ja nicht wissen, dass diese Untiere die sie vorwärtstreiben, ihnen nichts tun. Conny, Simon, ihr beide müsst dafür sorgen, dass die Schenkel des Vs, dem Kreis schließen. Ihr anderen folgt dem beiden in dem Kreis."

Ich lief nach vorn an das Memoboard, zeichnete Schritt für Schritt, das Schließen des Kreises ein. Erläuterte, auf welche Art man vorgehen musste, um diese Art Kreis zu schließen und nicht wieder aufbrechen zu lassen. Auch versuchte ich alle erdenklichen Eventualitäten zu erläutern. Ich wusste aber auch, dass ich das nicht konnte. Es würde immer wieder zu Situationen kommen, an die ich nicht dachte.

"Habt ihr das alle verstanden? Bitte, wenn Unklarheiten sind, stellt jetzt die Fragen. Jetzt und hier ist genau der Zeitpunkt an dem wir darüber sprechen sollten. Später wird das nicht mehr möglich sein. Sonst bekommen wir das große Töten", aufmerksam schaute ich in die Runde, alle nickten. "Denkt bitte daran, wir wollen sie wirklich nur zum Aufgeben zwingen. Sie werden mit massiver Kraft auf euch zukommen. Rudi, ihr habt die Aufgabe, sie mit der Spitze des Vs zurückzutreiben. So kesseln wir sie ein. Treiben sie in eine aussichtslose Situation, in der ihnen nur noch der Todeskampf oder aber das Aufgeben bleibt", wieder sah ich unsere Kameraden fragend an. Alle bestätigten durch Kopfnicken, dass sie das verstanden haben. "Rashida und ich, haben gestern Nacht, einige dieser Leute belauscht, es sind alles keine Helden. Ich denke es wird ein kurzer, aber heftiger Kampf werden. Den diese Leute schnell aufgeben, wenn sie merken, das neunzig Prozent, ihrer Waffen nicht mehr funktionieren. Leute bitte, es sind aber immer noch, mindestens zehn Prozent der Waffen einsatzbereit. Eure ballistischen Westen, Helme, auch die Schilde, schützen euch nur bedingt. Nehmt also die Schilde hoch und die Köpfe runter. Wir werden versuchen, euch so gut es geht zu schützen, aber wir können leider nicht, an zehn Stellen zeitgleich sein. Auch, wenn wir sehr schnell sind, so schnell sind wir leider nicht. Die Scharfschützen werden ihre Aufgabe, sehr ernst nehmen müssen, um durch gezielte Streckschüsse die Nahkämpfer zu schützen. Bitte Leute, erschießt nicht eure eigenen Leute. Es wird immer Paarweise gekämpft, so wie ich Euch eingeteilt habe. Das verlängert zwar den Kampf, ist aber eine sichere Methode, da ihr ständig Rückendeckung habt. Dadurch habt ihr 360° Rundumblick, bleibt Rücken an Rücken stehen. Habt ihr das jetzt alle verstanden? Bitte, wenn Unklarheiten sind, ist jetzt genau der richtig Zeitpunkt, um zu fragen", wies ich die Kollegen darauf hin, noch offene Unklarheiten zu bereinigen. "So jetzt wisst ihr in ungefähr, was auf euch zukommt. Bitte, auch wenn wir versucht haben, die Gefahren für euch zu minimieren, es bleibt eine haarige Angelegenheit. Ein einziger Fehler, bringt den gesamten Plan zum Einstürzen. Auch müssen wir immer damit rechnen, irgendetwas Wichtiges übersehen zu haben. Keiner von uns ist fehlerfrei, befolgt unsere Befehle sofort, ohne sie zu hinterfragen. Rashida und ich haben den Überblick über den Kampf, ihr leider nicht. Unterschätzt bitte, niemals euren Gegner. Auch wir können nicht alles voraussehen."

Lange sah ich die Jungs an, keiner hatte noch eine Frage. Nervös sah ich zu Rashida. Es war überhaupt nicht gut, wenn keine einige Fragen gestellt wurden. Das war meist ein sehr böses Omen, da hatten wir irgendetwas Wichtiges übersehen. Ein ungutes Gefühl, machte sich in meinem Bauch breit. Raphi, entschloss sich jetzt allerdings dazu, trotzdem noch etwas zu fragen, dankbar sah ich ihn an, denn begann einer zu fragen, wurden dann erfahrungsgemäß meist noch mehr Fragen gestellt.

"Kahlyn, mir ist eins unklar. Bitte entschuldige, wenn ich jetzt nachfrage. Aber ich denke es ist wichtig. Was ist, wenn welche ins Wasser abhauen wollen?"

Erleichtert und breit grinsend sah ich Raphi an und war ihm dankbar, dass er diesen Punkt ansprach. Auch, wenn mir klar war, dass er und die anderen Kollegen die Antwort nicht sofort verstehen würde.

"Die lassen wir laufen. Raphi, die Wahrscheinlichkeit, so böse das jetzt auch klingen mag, dass die die dreihundert Meter ans andere Ufer schaffen, ist minimal. Wenn sie es schaffen, haben sie sich ihre Freiheit mehr als verdient", erstaunt sahen mich die Jungs an. "Guckt nicht so. Habt ihr schon mal versucht bei minus 15°C mit voller Montur, im eiskalten Wasser zu schwimmen?"

Alle nickten, das gehört zur Ausbildung dazu.

"Wie weit seid ihr das erste Mal gekommen? Überlegt doch mal, das sind doch keine Leute, die wie wir ein Überlebenstraining absolviert haben. Selbst wenn sie diese angenommener Maßen hätten. Was denkt ihr, wie viele von denen freiwillig, an zwei Ginos vorbei, in die eiskalte Flut springen und das auch noch überleben? Selbst Rashida und mir, bleibt die Luft dabei für Minuten weg. Nur können wir Beide, über zwei Stunden ohne Luft zu holen überleben. Was denkt ihr, wie viele das von denen können?", schelmisch dreinblickend sah ich die Jungs an.

Jetzt nickten die meisten und schüttelten dann aber den Kopf.

Speedy vom Kreuzerteam, fragte jetzt. "Kahlyn, wie sollen die Scharfschützen bei dem Gewühl, jemanden erkennen? Die erschießen uns doch, anstatt die Gegner", unsicher sah er mich an.

"Schön, dass du das ansprichst. Serch du bist doch Scharfschütze, ich kann das zwar auch erklären. Aber ich denke, wenn das ein Teamkollege erklärt, ist das höchst wahrscheinlich glaubwürdiger."

Serch nickte, weil er ahnte, was ich meinte. "Speedy, guck mal es ist doch so, dass ich eine ganz andere Art des Sehens habe wie du. Wie oft hast du schon, dumm aus der Wäsche geguckt, weil ich dich zurückgezogen habe. Dich darauf aufmerksam gemacht habe, dass du in eine Schusslinie läufst. Ich kann das schlecht erklären. Es ist einfach so, ich sehe mein Umfeld anders, als du", versuchte er es seinem Kameraden zu erklären.

Speedy verstand aber nur bedingt, genau wie andere Nahkämpfer, was Serch meinte.

Ich versuchte ihm zu helfen. "Speedy, ist es nicht so? Wir Nahkämpfer, haben gelernt auf kurze Entfernungen zu achten. Stolperdrähte, Fallen, Schatten die ein Gegner wirft", fragend sah ich ihn an, Speedy nickte. "Wie oft hast du die Scharfschützen schon gefragt… sag mal bist du blind. Der Gegner steht vor deiner Nase und du siehst ihn nicht…", wieder sah ich ihn an, aber auch die anderen Nahkämpfer. Fast alle grinsten breit, die wenigen dich nicht nickten waren fast alles Allrounder, wie Conny, Detlef, Simon, Ronny, Carl und Rudi. Die haben gelernt eine gute Balance zu halten, zwischen Nah- und Fernkampf. Obwohl, auch die immer eine bevorzugte Entfernung hatten. "Ein Fernkämpfer, so hat es mir der beste Schütze in meinem Team einmal erklärt. Achtet auf andere Sachen, flüchtige Bewegungen auf einen Dach, Helligkeitsunterschiede in der Ferne. Glaube mir die Scharfschützen, rechnen bei einem gezielten Schuss, die Fluggeschwindigkeit der Kugel in die Bewegung der Person ein. Sie schießen bevor die Person an der Stelle ist, wo die Kugel sie treffen wird. Wichtig ist nur, dass ihr nicht urplötzlich die Richtung eurer Bewegungen ändert. Merkt euch also, bleibt immer in der gleichen Bewegung, dann können die Scharfschützen einen sicheren Schuss setzen."

Alle nickten, hatten begriffen, was ich meinte. Zu meinem Glück kamen jetzt noch viele Fragen, die ich abklären konnte. Wichtige und unwichtige, das spielte keine Rolle. Aber das Eis war gebrochen, die Jungs machten sich Gedanken. Nach einer Stunde es war schon fast 17 Uhr waren alle Fragen geklärt. Erleichtert sah ich Rashida an. Wir würden jetzt nach der psychischen auch noch für die physische Vorbereitung sorgen.

"So Leute, ich würde euch jetzt bitten, euch alle auszuziehen."

Sofort bekam ich ein schallendes Gelächter von allen Seiten, das ich nicht verstand. Verwirrt sah ich Rashida an, die zuckte allerdings auch nur mit den Schultern. Deshalb winkte ich ab, wir mussten ja nicht alles verstehen.

"Also los, zieht euch aus. Ich möchte mit euch noch etwas trainieren. Zuvor noch eine Frage, habt ihr alle schon, das Eztakfu gemacht?", alle nickten zu meiner Freude, so konnte ich das heute hier machen, ohne erst lange erklären zu müssen. "Das ist gut, dann stellt euch auf. Wir machen jetzt erst einmal das Taiji."

Schnell waren die Stühle und die Tafeln zur Seite gestellt. Die Truppe stellte sich in einem Block auf. Rashida stellte sich neben Simon, den Oberst, Conny, Rudi und mich, schon atmeten wir uns in das Qi. Ich begann mit den leichteren Übungen, steigerte mich hin, zu den schweren. Nach neunzig Minuten, kam ich aus dem Taiji zurück in die Wirklichkeit. Die Jungs, sahen richtig entspannt aus.

"Dann wollen wir mal, gehen wir das Eztakfu, noch einmal Schritt für Schritt durch. Danach machen wir einige kleine Kämpfe. Bitte ich möchte, dass sich immer zwei gegenüber stellen, die sich nicht kennen. Also SEK 1 gegen SEK 23, SEK 17 gegen SEK 61, damit ihr einmal mit Leuten trainiert, die ihr nicht kennt."

Ohne Verzögerung begannen wir mit den Übungen, nach weiteren neunzig Minuten war ich zufrieden mit dem was ich zu sehen bekommen hatte. Die Jungs hatten sich selber übertroffen, in diesem letzten Training vor dem Einsatz.

"Wisst ihr, dass ihr richtig gut geworden seid", stellte ich erleichtert fest. "So nun machen wir noch zwei Durchläufe des Fobnekotar, dann denke ich haben wir alles getan, das heute alle gut durchkommen", mit den Worten. "Halikon Fobnekotar. - Beginn des Fobnekotar", startete ich den ersten Zyklus, nach der Hälfte des zweiten Zyklus, wies ich meine Freunde darauf hin, dass wir es beenden müssen. "Semro. - Schluss", langsam atmeten wir uns noch aus.

Wieder einmal staunte ich, dass die Jungs schweißgebadet waren. Mir allerdings schien es wieder besser zu gehen, denn ich war diesmal nicht klatschnass. Das war ein gutes Zeichen, mein Körper erholte sich langsam aber sicher. Die Jungs verschwanden in den Duschräumen. Rashida und ich räumten die Tische und auch die Stühle wieder an ihren alten Platz. Bereiteten alles für das Abendessen vor, soweit wir es konnten. Wir waren gerade damit fertig, da kamen die Ersten aus der Dusche. Gemeinsam machten wir das Essen zurecht. Jeder fasste mit an, so war der Tisch beladen und die Männer setzten sich. Tino fragte, wie viel wir essen wollen. Ich vertröste ihn noch einmal.

"Tino, wir essen kurz vor dem Einsatz etwas. Jetzt brauchen wir noch nichts. Du machst uns dann um 1 Uhr, noch einmal fünfhundert Gramm", erklärte ich unserem Koch. In dem Moment fiel mir noch etwas Wichtiges ein, dass ich vorhin ganz vergessen hatte zu erklären. Deshalb rief ich noch einmal laut in die Runde.

"Kollegen, hört ihr mir bitte noch einmal kurz zu? Bitte, wenn wir dann los machen, geht das Folgendermaßen. Ihr fahrt alle mit den LKWs, Rashida und ich jedoch verwandeln uns hier schon, in die Ginos. Keiner …", ich machte eine kleine Pause und sah alle noch einmal sehr ernst an. "… wirklich keiner von euch, kommt uns dann noch zu nahe, bitte. Wenn wir uns verwandelt haben, ist eine unsagbare Wut in uns. Wenn, wir dann weg sind, könnt ihr gern mit dem Oberst darüber reden. Es ist immer wahnsinnig schwer für uns, Freund und Feind auseinander zu halten, es ist fast nicht möglich. Wenn wir also auf euch zukommen. Bitte hockt euch hin und macht euch klein, schreit nicht, lauft nicht weg, macht keine Abwehrbewegungen. Macht ihr das, denken wir ihr seid unsere Feinde. Unsere Freunde, akzeptieren uns so wie wir sind. Sie haben keine Angst vor uns. Sie haben uns schon einmal gesehen. Versteht ihr, dieses einfach Prinzip."

Alle nickten. Hoffentlich wussten das auch alle im Kampf auch noch. Rashida sah mich ängstlich an. Sie dachte wohl das Gleiche wie ich. Wir würden sehr wachsam sein müssen, um Freund und Feind, auseinander zu halten. Gosch der fertig war mit Essen, gab uns ein Zeichen. Also standen wir auf und liefen nach hinten in unsere Ecke, um uns auszuziehen. Folgten Gosch zum Drachen. Kaum saßen wir und waren angeschnallt, flog Gosch schon ab. Schnell hatten wir das Zielgebiet erreicht und verabschiedeten uns. Liefen die restlichen fünf Kilometer im schnellen Tempo. Nochmals überprüften wir die Wachen und kontrolliere auch die Granatwerfer noch einmal. Es hatte sich nicht verändert. Unsere Manipulationen waren also noch nicht entdeckt wurden. Nochmal gingen wir detailgenau den Einsatz vor Ort durch, konnten beide keine Fehler feststellen. Kurz vor Mitternacht, rief ich Gosch zu uns und wir machten uns auf den Heimweg. Trotzdem, hatte sich ein ungutes Gefühl bei mir eingeschlichen, dass ich mir nicht erklären konnte. Rashida die das nur zu genau von mir kannte, wusste was im Moment in mir vorging. Wusste aber auch, dass diese Gefühle leider oft genug, wahr wurden.

"Täubchen, es nutzt nichts, wenn du dir Sorgen machst. Du hast alles getan, was du tun konntest. Ich sehe, was du denkst. Ich spüre deine Bauchschmerzen. Aber es hilft nichts, wenn du dich verrückt machst. Es wird schon gut gehen."

Ich nickte, wo sie recht hatte, hatte sie ja recht. Nur mochte ich dieses verdammte Gefühl nicht, es war einfach ein schlechtes Omen. Zu oft endeten diese Einsätze dann im blanken Horror.

"Na ja, dein Wort in Gottes Ohr, Rashida", ich lächelte gezwungen.

Mir würde erst wieder wohl sein, wenn der Einsatz vorbei war. Wenn keiner schwerverletzt oder gar … nein soweit wollte ich gar nicht denken. Gedanken versunken, stieg ich an der Halle aus dem Drachen. Setzte mich hinten auf die Matte, um einfach noch zehn Minuten Ruhe zu finden. Rashida kam mir nach und zog mich einfach in ihren Arm. So dass ich noch ein paar Minuten schlafen konnte. Ich brauchte das einfach, um mich später richtig konzentrieren zu können.

Vor allem kraute es mir schon wieder, vor dem Rufen der Ginos. Zu oft hatte ich diese Prozedur im letzten halben Jahr durchlaufen. Dieses Rufen kostet mich mit jedem Mal, mehr Überwindung. Ich hasste den Gino, mehr als alle anderen meines alten Teams. Aber ich durfte das nie zeigen und musste für die Anderen mit stark sein. Diese Abneigung gegen die Ginos, war einer der Gründe, weshalb ich so schlimm mit dieser Wut zu kämpfen hatte. Die anderen hatten sich mehr oder weniger mit ihrem Schicksal abgefunden. Ihnen wurde klar, dass die Ginos ab und an einmal notwendig waren, um zu überleben. Dass ich sie nur rufen ließ, wenn es gar nicht anders ging. Sie wussten nur nicht, warum ich das immer gern vermied. Sie hatten die Ginos einfach irgendwann akzeptiert. Für sie war es wie eine zweite Persönlichkeit, die sie zwar nicht sonderlich mochten, doch als ein Teil von sich angenommen hatten. Sie ließen die Ginos einfach laufen und wüten. Sie kontrollierten nur das Kommen und Gehen der Ginos. Ergaben sich dem, was der Gino machte. Für sie war mein Gino so etwas wie das Leittier, das sie dorthin führte, wo sie hin sollten. Sie wussten auch, dass sie mein Gino zur Räson brachte, wenn sie mit ihrem Tun übertrieben. Dadurch, dass sie nicht so viele Emotionen verspürten wie ich, war es für die anderen meines alten Teams, nie so schwer gegen diesen verdammten Ekel anzukämpfen. Es gab einige unter uns wie Raiko zum Beispiel die liebten ihren Gino sogar. Da sie mit ihnen das konnten, was sie als Mensch nicht zu standen brachte, nämlich kämpfen. Dadurch war eine Kontrolle ihrer Ginos schwerer möglich. Im Kampf konnten sie das gar nicht, sondern nur in der Verwandlungsphase. Etwas, das nicht ungefährlich war. Ich musste im Kampf also immer auf sie aufpassen, damit sie nicht übertrieben. Nicht nur einmal, fanden einige von ihnen den Weg fast nicht mehr zurück, weil sie ihren Ginos zu viel Spielraum ließen. Nur Rashida konnte ihren Gino genauso gut kontrollieren wie ich.

Diese Kontrolle, das bewusste Lenken der Ginos, war es aber, das den Ekel verstärkte. Rashida litt nicht so schlimm darunter, jedenfalls zeigte sie das nicht so deutlich. Für mich, war es immer die Hölle. Als ich mich das erste Mal als Gino in einem Spiegel sah, in der Turnhalle der Schule, drehte ich fast durch. Wochenlang erbrach ich mich, so sehr hatte ich mich, vor mir selber geekelt. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass genau das der Grund war, weshalb ich am Anfang so häufig an diesen Anfällen litt. Ich kämpfte so gegen den Gino in mir, dass dieser immer wieder durchbrach. Durch den Ekel vor mir selber, kam dann immer diese ungeheure Wut. Nicht nur auf die Menschen die uns das angetan hatten, sondern auch auf die Lehrer und mich selber, weil ich das Durchbrechen des Ginos nicht verhindern konnte. Diese Wut verhinderte allerdings, dass der Gino die vollständige Kontrolle über mich gewann. Durch diese Wut konnte ich ihn bändigen. Mittlerweile war mein Gino so gut dressiert, dass ich diese Wut eigentlich nicht mehr brauchte. Wir waren ein Team geworden, das sehr gut miteinander harmonierte. Er wollte seine Gino Freunde nur beschützen, wie ich meine Kameraden. Dadurch war es mir möglich, ihn alles machen zulassen, was ich wollte. Ich hatte die absolute Kontrolle über ihn.

Nach dem Erwachen, nahm ich sofort den Ampullenkoffer und lief nach hinten in die Abstellkammer, um die beiden Spritzen für uns fertig zu machen. Zog aber noch eine zusätzliche für Rashida auf, als Notfallspritze. Rashida hatte immer fürchterliche Angst vor dieser Spritze. Die damit verbunden Nebenwirkungen, machten meiner Freundin mehr zu schaffen als mir. Es nutzte nichts, wir mussten diese Spritzen nutzen, um die Kontrolle zu behalten. Die Kontrolle war ohne die Injektion kaum möglich. Selbst für mich, die sich mit ihrem Gino so eng verbunden hatte. Wir würden ohne diese Spritze einfach wie wilde Tiere unseren Trieben folgen, der Wut freien Lauf lassen. Wie oft hatten wir am Anfang versucht, ohne diese Höllenspritze auszukommen. Erst seit elf Jahren hatten wir diese Kontrollmöglichkeit. Ohne die Spritze endete jeder Kampf immer in einer Katastrophe, also bissen wir die Zähne zusammen und ertrugen die Schmerzen. Damit fertig wandte ich mich an meine Freundin, die nach vorn am Tisch saß und stellte den Ampullenkoffer auf den Tisch.

"Rashida, ich habe dir eine Injektion für Forst fertig gemacht. Ich weiß, dass du das immer noch nicht gemacht hast. Bitte, es ist eine Notfallspritze. Wahrscheinlich wirst du die nie brauchen und in einigen Monaten wegschmeißen. Aber ich möchte, dass du sie hast. Erkläre Simon, wie er die im Notfall spritzen muss, damit er Bescheid weiß."

Rashida sah mich böse an, nickte dann aber und nahm die Spritze, legte sie in eine extra Fach in ihrem Ampullenkoffer.

"Rashida, ich werde in den nächsten Wochen etwas versuchen. Wenn ich Zeit habe, einige Tests machen. Mir sind da einige Ideen durch den Kopf gegangen. Es kann sein, dass ich bald ein besseres Mittel habe. Sobald ich das habe, schicke ich euch allen, über den Doko, eine neue Schablone zu. Dann wird es auch für euch einfacher."

Rashida atmete erleichtert auf und streichelte mich ganz lieb. "Danke Täubchen", dafür bekam ich sogar einen Kuss.

Um ein Uhr brachte uns Tino unser Essen. Zur Verwunderung der Männer, saßen wir beide grübelnd am Tisch und konnten nicht anfangen zu essen. Uns war klar, sobald die Teller leer waren, würde es losgehen. Sie konnten nicht verstehen, dass wir nicht wieder so reinhauten, wie gestern Abend. Nur einer verstand, was in uns vorging.

Der Oberst sah uns traurig an. "Kahlyn, ihr müsst das nicht machen."

Dieser Satz war wie ein Signal für uns. Rashida und ich, wir wussten beide, dass es sein musste. Wie auf Kommando sahen wir uns an und griffen nach den Löffeln, fingen an, unser Essen schnell zu verspeisen. Damit fertig, zog ich den Halfter aus und setzte die Brille ab, legte alles zusammen auf den Tisch. Band mir ein Band über meine Augen, genau wie es Rashida machte. Tief holte ich Luft und nahm die beiden Injektionen in die eine und meine Freundin an die andere Hand.

"Komm, bringen wir es hinter uns. Es wird vom Grübeln nicht einfacher", lächelnd sah ich zu Rashida, die nickte bedrückt.

Wir liefen zusammen vor die HalleHhhhh. Die Männer folgten uns, mit gemischten Gefühlen. Ganz wohl war ihnen nicht bei dieser Sache.

Ernst sah ich sie an. "Bitte bleibt an der Wand. Sprecht uns, ab jetzt nicht mehr an. Wir ziehen uns nach der Verwandlung zurück. Folgen euren LKWs in sicherer Entfernung. Denkt bitte daran, was ich euch erklärt habe. Ihr kennt uns. Also habt Vertrauen in uns. Zeigt vor uns keine Angst."

Entschlossen lief ich mit Rashida etwa zweihundert Meter vom Eingang weg und brachte auf diese Weise einen Sicherheitsabstand zwischen uns und die Männer. Egal wie gut ich die Männer darauf vorbereiten würde, es blieb für alle ein Schock. Tief atmeten wir uns in das Qi. Ich gab Rashida meine Injektion und nahm ihre in die Hand. Wir mussten uns gleichzeitig spritzen. Das Zeitfenster, für diese Injektionen war sehr eng. Allerdings hatte ich fünf Einheiten und Rashida nur eine. Deshalb ließ ich Rashida mit dem spritzen anfangen, denn wir mussten gleichzeitig fertig sein. Als sie nur noch eine Einheit in der Spritze hatte, nickte sie kurz. Genauso langsam wie sie bei mir, spritze ich ihr die Injektion. Fertig damit, schmissen wir die leeren Spritzen einfach in die Richtung der Jungs. Es war unsere letzte menschliche Handlung. Ab jetzt waren und dachten wir wie Ginos. Die Männer räumten die Spritzen dann weg.

Wir setzen uns auf die Fersen. Atmeten uns noch tiefer in das Taiji. Gingen völlig in uns. Tief aus unserem Inneren heraus, holten wir die Ginos. Wir fingen an zu rufen. Es war jedes Mal das Gleiche, wir schafften es nicht, ohne dass wir diese Rufe von uns zu gaben. Wir nannten es, die Rufe der Ginos. Für die anderen, waren es markerschütternde Schreie, die einen das Blut in den Adern gefrieren lies. Innerhalb von nur einer Minuten, ging die Verwandlung beim Rufen von statten. Da wir das dann zuließen und nicht bekämpften. Wie oft, hatten wir das Entsetzen in den Augen der Männer gesehen, die diese Prozedur das erste Mal beobachteten. Einige von ihnen mussten sich sogar erbrechen. Weil es für sie einfach nur ekelerregend war. Langsam ließen meine Schmerzen nach und ich konnte wieder richtig denken.

Sofort, nachdem ich die Schmerzen unter Kontrolle hatte, aber auch meine Gefühle, machte ich die Verbindung zu den Jungs auf. Etwas ungewohntes, doch notwendiges. Da die Ginos nicht mehr sprechen konnten. Wir konnten uns nur über bestimmte Laute äußern. Halt die Rufe der Ginos. Es war eine eigene Sprache, die wir entwickelt hatten. Die Jungs konnten diese Sprache nicht verstehen. Auch war es nicht möglich, dass ich sie ihnen nicht beibrachte. Da wir diese nur in der Verwandlung konnten. Warum das so war, konnte ich nicht erklären. Also nutzten wir die Verbindung, das erste Mal als Ginos. Ich war erstaunt, dass dies so gut funktionierte.

"Also los, wollen wir es hinter uns bringen, ich will zurück", bat ich in der Verbindung alle. Gab damit das Startsignal.

Langsam entfernten wir uns von der Halle. Zogen uns von den Jungs zurück. Es musste ein eigenartiger Anblick sein, eine Art Bär lief neben einer Art schwarzen Geparden. Rashida und ich waren schon immer ein sehr ungleiches Paar. Vor allem aber, weil der Gepard um vieles größer war, als normal. Kompakter als seine tierischen Namensvetter. Die Jungs kletterten auf die LKWs und fuhren los. Die reichlich vierzig Kilometer zum Einsatzgebiet, liefen wir einfach neben den LKWs her. Wir fühlten die Blicke der Jungs. Auch, wenn wir diese nicht bewusst sehen konnten. Da wir als Ginos, anders sahen als normal.

Das war das größte Problem das wir hatten. Wenn wir verwandelt waren, sahen wir nur noch thermisch. Wir konnten keine Gesichter erkennen, keine Körper, wir sahen nur Farben. So, als wenn man, thermische Aufzeichnungen der Umwelt sehen würde. Kalt war Blau, zum heißen hin wurde es rot. Alle Abstufungen der Spektralfarben, nahmen wir wahr. Jede Emotion hatte eine andere Farbe. Angst, Hass war dunkelrot bis orange, Beherrschtheit, Neutralität ist Gelb bis Grün. Freude, Zuversicht Blau bis Weiß. Deshalb war es so wichtig, dass die Jungs keine Angst vor uns hatten. Wie sollen wir sie sonst, von unseren Feinden unterscheiden. Am Zielgebiet, übergab ich Rashida ihre Gruppe und übernahm meine.

Conny hatte die komplette Teamführung von meinem Team. Simon von Rashidas Team. Die Jungs gingen in Stellung, wir ins Wasser, unterhalb des Lagers. Wir legten uns tief im Wasser versteckt auf Lauer. Nur zehn Minuten später, bekam ich von allen Seiten die Bestätigung, alle Teams waren auf Position.

"Also Jungs, bitte denkt daran, wenn Rashida und ich, euch zu nahe kommen. Setzt euch hin und macht euch klein. Wir können euch nicht sehen. Wir sehen nur die Farben. Bitte lauft nicht weg. Dann halten wir euch für den Feind. Setzen euch nach und töten euch", von allen Seiten kam noch einmal die Bestätigung, dass man es verstanden hatte. "Dann bringen wir den Mist hier zu Ende. Wünscht uns allen viel Glück", nochmals wartete ich einen Moment, bis sich alle beruhigt hatten. Gab das Kommando, für den Zugriff. "Lözi, kri. – Zugriff."

Rashida, wie auch ich, waren im Wasser unterhalb des Lagers. Beim Kommando Zugriff, drückten wir uns vom Grund des Seeufers, das hier fünfundzwanzig Meter tief war ab und sprangen aus dem Wasser, auf die Halbinsel. Wir begannen zu schreien. Zogen alle Feinde auf das Wasser und lenken die Aufmerksamkeit aller auf uns. Mit einigen Hieben, hatten wir zwei Zelte aus der Verankerung gerissen. Sorgten so dafür, dass die Leute schreiend aus dem Schlaf hochfuhren. Somit die anderen weckten. Im Nu war das totale Chaos ausgebrochen. Verwirrt rannten die Bewohner durch das Lager. Schreiend und in völliger Panik. Einige Mutige erholten sich schnell, von ihren Schrecken. Sie griffen nach den Waffen.

Der Oberst flog mit Gosch über das Lager. Durch Lautsprecheransagen, forderte er die Leute auf, die Waffen kampflos niederzulegen. Sie sollten sich auf den Boden zu legen, mit dem Händen über den Kopf verschränkt liegen zu bleiben. Langsam schlichen Rashida und ich am Ufer des Sees entlang. Trieben die Leute in die Mitte des Lagers. Simon und Conny versuchten den Kreis zu schließen. Überraschend schnell, legten viele die Waffen nieder. Viele legten sich flach auf den Boden. Für mich viel zu schnell, hier stimmte etwas nicht. Das sagte ich auch Rashida, Simon und Conny, auch sie waren der gleichen Meinung.

"Leute passt auf. Hier stimmt etwas nicht. Achtet auf alles, was ungewöhnlich ist. Das ist eine Falle", informierte ich die Kämpfern, in der Verbindung.

Plötzlich und für uns unerwartet, brachen aus Richtung Westen, zwei Kampfeinheiten in das Lager ein. Drückten Rashidas Leute aus der Linie. Ein heftiger Kampf begann. Die Kämpfer drückten einen Keil in unsere Linien und brachen damit unseren Kreis auf. Unsere Kampflinie brach viel zu schnell auseinander, die Teams konnten ihre Stellung nicht halten. Meine Anweisungen, in der Formation zu bleiben, wurden von einigen nicht beachtet. Die Linie brach. Wir verloren die Kontrolle im Kampf, diejenigen die sich schon auf den Boden lagen, bekamen wieder neuen Mut. Sie begannen wieder zu kämpfen. Das schlimme daran war, dass wir dadurch einen Zweifrontenkampf bekamen.

"Zurück in die Formation, verdammt nochmal", brüllte ich in der Verbindung die Leute von Conny und Detlef an. Die ihre Position aufgegeben hatte.

"Rashida, das Gesetzt ist frei."

Rashida bestätigte. "In Ordnung."

In der Verbindung gab ich, allen noch einmal die Anweisung. "Wenn wir auf euch zukommen. Macht euch klein. Wir müssen kämpfen."

Rashida und ich, drangen gegen die Keilformation vor. Die unsere Linie durchbrochen hatte. Mit einigen schnellen Sprüngen waren wir mitten im Kampfgebiet. Schlugen mit unseren Krallen, in die Formation hinein.

Plötzlich kam ein Hilfeschrei. "Kahlyn, Detlef hat es schlimm erwischt. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Verdammt. Ich bekomme die Blutung nicht zum Stillstand. Er erstickt an seinem eigenen Blut", rief Raphael panisch um Hilfe, für seinen Freund.

Ich musste etwas tun. Etwas, dass ich gar nicht gern machte. Weil es mir nicht sehr gut bekam. Aber es half nichts, sonst starb Detlef.

"Rashida, ich lass dich einen Moment alleine. Mache hier endlich Ordnung. Halte die Stellung um jeden Preis. Ich beeile mich. Detlef stirbt", rief ich meine Freundin zu, in der internen Verbindung. Öffnete sofort noch eine Verbindung zu Raphi. "Wo bist du Raphi? Bleib ganz ruhig. Ich bin gleich bei dir", versuchte ich ihn zu beruhigen.

"Kahlyn, kurz vor der mittleren Geschützstellung", erklärte er mir. In welche Richtung ich gehen musste.

"In Ordnung. Baue mit sechs Leuten eine Schutzmauer aus Schilden auf. Hole einen Medi-Koffer. Die Anderen Lücken schließen. Sofort. Beeilung. Rashida hält nicht lange alleine durch", rief ich den Anderen Kommandos zu.

"Habt keine Angst. Ich komme zu euch. Sprecht mich nicht an. Vor allem sorge dafür, dass keiner schreit", gab ich konkrete Anweisungen. Ich musste eine teilweise Rückverwandlung machen. Die mich viel Kraft kostete. Aber hier war das Leben, eines Teammitglieds in Gefahr. Schon hatte ich die Gruppe erreicht. Die Schildmauer öffnete sich. Ich ging in den Kreis. Spürte die entsetzten Blicke der Jungs. Für Erklärungen war keine Zeit. Hockte mich in den Kreis. Begann eine schnelle Rückverwandlung. Nur eine halbe Minute brauchte ich. Einige lange Sekunden brauchte ich Zeit, um die Schmerzen in den Griff zu bekommen. Im Kampf, war das verdammt viel Zeit. Diese Rückverwandlung betraf nur den Oberkörper, von der Brust aufwärts. Bekam so meine Krallen eingezogen, mein Gesicht zurückverwandelt, damit ich zugreifen und etwas sehen konnte. Es war zwar schwierig, so zu operieren. Ich hatte das schon oft machen müssen. Schrecklich an dieser Prozedur, waren nur diese höllischen Schmerzen. Kaum, dass ich meine Augen wieder nutzen konnte, griff ich zum Medi-Koffer. Fahrig öffnete ich ihn. Atme mich kurz ins Taiji, um meine Hände ruhig zu bekommen. Begann den Lungenschuss von Detlef zu behandeln. Auch die Schnittverletzung, die er am Bauch hatte. Eine Arterie war verletzt. Die musste ich verschweißen. Versorgte ich ihn so notdürftig. Mehr konnte ich in meinem jetzigen Zustand, nicht für ihn tun. Kurz wandte ich das Krantonak an, um das Blut aus seiner Lunge zu bekommen. Detlef wieder freier atmen konnte.

"Er kommt durch. Ihr beschützt ihn. Bis der Kampf vorbei ist. Lasst ihn nicht alleine. Er ist wehrlos. Er soll sich nicht bewegen. Ich kümmere mich um ihn. Sobald wir hier fertig sind. Er ist außer Lebensgefahr", teilte ich den Kameraden in der Verbindung mit.

Fast acht Minuten hatte ich dazu gebraucht. Eine lange Zeit im Kampf. Verzweifelt, hörte ich die Rufe von Rashida. Die in Not war. Schon ging ich zurück in die Verwandlung. Verließ mit einem Sprung in die Höhe, noch in der Teilverwandlung den Kreis. Verwandelte mich im Sprung zurück. Verließ schreiend und böse fauchend die Kollegen. Kaum aus dem Kreis heraus, griff ich die immer weiter vorrückenden Feinde, mit ungewohnter Gewalt an.

Rashida war eingekreist. Konnte sich kaum mehr verteidigen, da sie von allen Seiten bedrängt wurde. Es war aussichtslos sich gegen die fast zweihundertfünfzig Leute zu verteidigen. Ich sprang mit einem gewaltigen Satz mitten in die Feinde. Als diese auf einmal zwei solcher furchteinflößenden Kreaturen gegen überstanden, ließ der Wiederstand schnell nach. Da die Kämpfer schneller fielen, als sie nachrücken konnten. Die Kämpfer gaben endlich auf. Langsam wurde es ruhiger. Nur einige wenige Fanatiker kämpften noch. Die meisten begriffen, dass sie keine Chance mehr hatten. Nach schwer durchkämpften fünfundvierzig Minuten, hatten alle ihre Waffen abgelegt. Nach weiteren fünfzehn Minuten, waren alle die noch am Leben waren mit Achtern fixiert, diesen provisorischen Handschellen und lagen am Boden. So lange umkreisten wir noch das Lager, um niemanden entwischen zu lassen. Conny, Simon und der Oberst erklärten den Einsatz als beendet.

Rashida und ich, entfernten uns etwas vom des Lagers, um aus der Verwandlung zu gehen. Unter dem Klageruf der Ginos, wurden wir wieder wir selbst. Es war 4 Uhr 12, als wir wieder klar denken konnten. Wir übernahmen, wieder in normaler Gestalt die Einsatzleitung. Liefen zurück zu dem Lager. Dort bekamen wir von den Scharfschützen, die Medi-Koffer ausgehändigt, um die Verletzten zu versorgen.

Wir haben nur einen Schwerstverletzten, die anderen hatten kleine unwesentliche Kratzer. Keine fünf Minuten später, kamen Raphi, Tino und die anderen mit Detlef zu uns. Rashida versorgte erst einmal die schweren Verletzungen und ging dann zu den leichten. Bekam von mir den Auftrag, wirklich alle auf Verletzungen hin zu kontrollieren. Ich musste mich erst einmal um Detlef kümmern.

Ich ließ mir von den Jungs, ein sauberes Brett bringen, dass wir auf zwei Fässer legten. Darauf kam die Trage mit Detlef. Der immer noch bewusstlos war. Jetzt konnte ich ihn in Ruhe und ordentlich versorgen. Vorsichtig öffnete ich die provisorisch geklebte Wunde, reparierte die defekte Arterie. Vor allem, verschloss ich die große Bauchwunde, in dem ich das Bauchfell wieder verklebe. Zusätzlich stabilisierte ich diese, mit einer Platte die ich aus Verurat fertigte und klebte sie unter das Bauchfell, umso für mehr Halt, in die verletzte Bauchwand zu sorgen. Dann verklebe ich die Wunde, nähte die Bauchverletzungen. Danach wandte ich mich der Lungenverletzung zu. Die ich vorhin ja auch nur provisorisch, versorgt hatte. Damit fertig, führte ich das Krantonak durch, umso für die schnelle Genesung von Detlef zu sorgen. Spritze ihn noch mühsam A97, ein Mittel welches die Sauerstoff Aufnahme im Blut erhöhte. Den F28, den Heiler, J12, ein Mittel zur Beschleunigung der Blutregeneration. Von allem spritze ich ihm fünf Einheiten. Aber auch zehn Einheiten vom B32. Auch, wenn ich das Krantonak angewendet hatte, würde er noch einige Stunden starke Schmerzen haben. Erleichtert stellte ich fest, dass er wieder zu sich kam. Ich war froh, dass ich ihn retten konnte. Es war verdammt knapp. Bittend sah ich Raphi an und griff nach seiner Hand. Ließ mich langsam nach unten rutschen. Raphi verstand, was ich von ihm wollte. Er nahm mich einfach in den Arm. Schon versank ich im Nichts. Fast eine halbe Stunde brauchte ich, ehe ich wieder zu mir kam. Zurück aus dem Nichts, sah ich als erstes in Raphis und Detlefs entsetztes Gesicht. Froh ihn wieder auf den Beinen zu sehen, sagte ich leise zu ihm.

"Detlef, bitte sei vorsichtig, du brauchst ein paar Tage, bis du wieder richtig fit bist. Es war verdammt knapp, bitte sei vorsichtig. Lege dich bitte wieder hin, keine schnellen Bewegungen. Ich kann dir, im Moment nicht noch einmal helfen, bitte", mühsam jedes Wort erkämpfend. Ich ließ mir von Raphi aufhelfen. "Raphi, sorge dafür, dass Gosch Detlef sofort in die Halle fliegt, er muss liegen, wenigstens sechs Stunden."

Raphi nickte.

Einen Moment musste ich mich an Raphi festhalten. Ich war immer noch wacklig auf den Beinen. "Tino, du sorgst dafür, dass alle schwer Verletzten zu mir umgeleitet werden. Sage, bitte Rashida Bescheid."

Tino nickte, sah mich allerdings entsetzt an. "Kahlyn, du kannst dich doch kaum auf den Beinen halten", traurig sah er mich an.

"Tino, bitte, je eher die Leute hier durch sind, um so eher kann ich schlafen. Keine Diskussionen, bitte", flüsterte ich mühsam.

Tino lief sofort los und ging zu Rashida. Um sich die Verletzten zuweisen zu lassen. Müde den Kopf auf das Brett gestützt, versuchte ich mich in den Griff zu bekommen. Ich hatte nur wenige Minuten. Keine drei Minuten vergingen, da kamen die ersten Verletzten, die ich versorgen musste. Dadurch hatte ich keine Zeit mehr, zum Nachdenken. Das tat mir nie gut. Lange noch brauchte ich, bis alle versorgt waren. 

Eine Stunde später, war der Aufräumtrupp da, der vom Oberst angefordert wurde. Alle Verletzten waren versorgt, unsere Verletzten vollständig, die des Lagers provisorisch. Meine Koffer waren völlig leer. Den Rest, übernahmen die Sanitäter, des Aufräumkommandos. Völlig fertig, setzte ich mich einfach mit den Rücken an das Fass gelehnt. Ich konnte nicht mehr. So wie ich saß, kam der Kampf in mir wieder hoch. Es war verdammt haarig, beinah wäre es böse ins Auge gegangen. Aber mir wurde jetzt auch klar, was passiert war. Einen Fehler, den ich in der Einsatzbesprechung gemacht hatte. Ich war wütend auf mich. Zum Glück, hatte es außer Detlef, niemanden bei uns schwer erwischt. Auch Detlef, konnte mit uns nach Hause fahren. Ich allerdings war völlig fertig und legte meinen Kopf auf die Knie, fing an zu weinen.

Rashida die jetzt auch fertig war, mit der Versorgung der Verletzten, kam auf mich zu. Setzte sich genau wie ich, einfach ins Blut, zu müde, um noch einen Schritt zu laufen. Zog mich an ihre Schulter und streichelte mir den Rücken. Langsam, konnte ich mich wieder etwas beruhigen. Leise sagte sie zu mir, da sie wusste, was mir durch den Kopf ging.

"Täubchen, es war nicht deine Schuld. Damit konntest du nicht rechnet. Beruhige dich erst einmal, wir reden später. Komm, lass uns duschen gehen."

Recht hatte sie, ich nickte. Rashida zog mich auf die Beine, kaum dass ich stand, nahm sie mich in den Arm. Wollte mit mir in Richtung LKW gehen.

Der Einsatzleiter des Aufräumkommandos, kam in dem Moment auf uns zu. Da er die Einsatzleiter suchte. "Junge Frau, können sie mir sagen, wo ich Leutnant Kahlyn und Leutnant Rashida finde?"

Ich sah ihn müde an. "Sir, ich bin Leutnant Kahlyn, Sir. Das neben mir ist Leutnant Rashida, Sir. Wir wären gleich zu ihnen gekommen, wir mussten uns nur erst, um die Verletzten kümmern. Ich übergebe ihnen hiermit sechshundertvierunddreißig Gefangene. Leider haben wir fünfhundertdreiundfünfzig Tode, Sir. Wenn sie wollen, kümmern Rashida und ich uns, um die Bergung, es ist kein schöner Anblick, Sir", erstattete ich mühsam Bericht.

Der Einsatzleiter, sah mich erschrocken an. "Leutnant, der Oberst hat mir das schon gesagt, aber das brauchen sie nicht. Machen sie Schluss hier. Sie haben genug gemacht heute. Also, ich übernehme jetzt die hiesige Einsatzleitung aus ihrer Verantwortung", mitleidig sah er mich an.

"Sir, danke, Sir. Hiermit übergebe ich ihnen den Einsatz, Sir. Es ist jetzt…" Ich griff gewohnheitsgemäß, nach dem Handgelenk des Einsatzleiters. "… 6 Uhr 43, Sir. Damit ist der Einsatz für uns beendet, Sir. Dann können wir duschen und schlafen, wir sind völlig fertig, Sir. Vielen Dank, Sir."

Erleichtert drehte ich mich um und ging zu den LKWs. Ich war froh nicht auch noch, wie so oft, aufräumen zu müssen. Erschöpft kletterte ich auf den Robur, der uns zurück in die Halle bringen sollte. Setzte mich in eine Ecke und schloss einfach die Augen. In der Hoffnung etwas Ruhe zu finden. Sobald ich saß, kam alles wieder hoch. Immer heftiger musste ich atmen, mein Atem ging rasselnd. Ich sehnte mich so nach Ruhe. Ich wollte einfach nur duschen und schlafen. Rashida kletterte jetzt eben falls auf den LKW und setzte sich neben mich. Sie zog mich einfach in den Arm. Am ganzen Körper zitternd, lehnte ich mich an sie.

"Komm Täubchen, beruhige dich. Höre auf meinen Atem."

Wie oft, hatte sie diesen Satz wohl schon zu mir gesagt? Nur Rashida schafft es, mich nach solchen Einsätzen schnell zu beruhigen. Mich zum Schlafen zu bringen. Fast zehn Minuten klang mein Atem wie eine Rassel. Entsetzt sahen die Jungs, zu Rashida und mir. Die sichtbare Mühe hatte, mich beruhigt zu bekommen. Nur allmählich verlangsamte sich meine Atmung. Endlich hatte es Rashida geschafft, mein innerer Kampf ließ etwas nach und ich konnte wieder tiefer und kräftiger Luft holen. Ich war in einem tiefen Schlaf gesunken. Bekam nicht mehr mit, wie die LKWs in Richtung Halle fuhren. Merkte nicht, wie mich die Männer vom LKW hoben und dass Rashida mich nach hinten, auf die Matte trug. Alle waren der Meinung, mich schlafen zu lassen. Sie erschraken heftig, als sie mich im Hellen sahen. Mein Gesicht war völlig dunkelblau, da es komplett blutunterlaufen war, genau wie mein gesamter Körper. Blut lief über meine Wangen, aus meiner Nase, den Augen, aber auch aus meinem Mund, selbst meine Haut blutete. Meine Hände waren ebenso blutig. Sämtliche Fingernägel waren verschwunden und meine Fingerspitzen rohes Fleisch. Obwohl ich tief schlief, sah man die Krämpfe die meinen Körper durchliefen. Da ich nur in Turnhose und Bustier war, sah man das Verkrampfen der Muskulatur unter meiner Haut genau. Hinten auf der Matte, legte sich Rashida neben mich, die genauso fertig war wie ich. Hielt das immer noch am ganzen Körper zitternde Bündel, was ich war, einfach im Arm. Kaum das sie lag, schlief auch sie, einen tiefen und erholsamen Schlaf. Etwas, was alle der Hundert, außer mir schon immer konnten.

Rudi, wie auch Simon, deckten uns zu. Man beschloss, uns so lange schlafen zu lassen, bis wir von alleine munter wurden. Der Oberst übernahm es, die völlig fertigen Männer in die Dusche zu jagen und dann auf ihre Matten zu schicken. Kein einziger widersprach. Allen war klar, es war verdammt knapp.

 

Es war kurz vor 12, als die ersten munter wurden. Es wurde unruhig in der Halle. Die meisten kamen erst einmal, bevor sie etwas anderes taten, nach hinten in unsere Ecke, um zu sehen, wie es uns ging. Rashida, wie auch ich, schliefen noch einen erschöpften Schlaf. Traurig sahen die meisten mich an. Erschraken, als sie merkten, wie sich die Krämpfe immer noch durch meinen immer dunkler werdenden Körpern bewegten.

Kurz nach halb Eins wurde es richtig laut in der Halle. Einige der Jungs bekamen sich in die Haare. Sie gaben sich gegenseitig die Schuld an der Beinah Katastrophe. Davon wurde ich munter.

Kaum, dass ich mich bewegte, wachte auch Rashida auf. Die sich wohl auf meine Bewegung programmiert hatte. Verschlafen, immer noch liegend, hörte ich den Jungs eine Weile zu. Stand auf und gab meiner Rashida einen Kuss.

"Komm, lass uns den Dreck abwaschen", flüsterte ich leise zu ihr und zog auch sie auf die Beine. Bevor ich in die Dusche ging, lief ich auf die acht Streithähne zu.

"Hier ist jetzt Ruhe, hört auf zu streiten. Lasst mich bitte Duschen gehen, dann klären wir das vernünftig. Keinen von euch trifft irgendeine Schuld. Es ist hier Ruhe. Was soll das? Ich dachte ihr seid ein Team, Kameraden die sich gegenseitig achten. Wem helfen diese Schuldzuweisungen?", ernst sah ich die acht Jungs an, die sich immer noch nicht beruhigt hatte. "Darf ich erst duschen gehen? Könnt ihr euch so lange wie vernünftige Kameraden verhalten?", fragend sah ich die Acht an.

Bekam von allen ein schuldbewusstes Nicken.

"Danke. Gebt mir eine Stunde Zeit und eine Tasse Kaffee, dann mache ich die Einsatzauswertung", bat ich sie mühsam und sehr leise.

Drehte mich in Richtung Dusche und folgte Rashida, um den angetrockneten Dreck vom Körper zu bekommen. Verlegen gingen die anderen, an den Tisch, um sich zu setzen. Rashida, stand schon in der Dusche mit den Händen an die Wand gestützt.

"Täubchen, geht es dir wieder etwas besser?"

Ich zog meine dreckigen Sachen aus und schmiss sie einfach in den Papierkorb. Stellte mich unter die heiße Dusche, die mir Rashida schon aufgedreht hatte. Was sollte ich ihr darauf antworten. Sie sah es an meinem Körper, wie es mir ging. Meine gesamte Muskulatur war vollkommen verkrampft, ich hatte starke Probleme beim atmen. Aber das würde sich mit der Zeit geben.

"Rashida, es ging mir schon schlechter. Lass gut sein mit der Fragerei. Du siehst doch selber wie es mir geht. Aber, wie geht es dir? Ich hab noch nicht einmal nachgesehen, ob du etwas abbekommen hast. Entschuldige bitte, ich konnte vorhin einfach nicht mehr."

Rashida langte zu mir herüber. "Schon gut Täubchen, das glaube ich dir gerne. Wie hoch ist der Wert des Enzyms bei dir?", wollte sie von mir wissen.

Kurz checkte ich mich durch und erschrak selber. Aber, was half es zu klagen. "Er ist sehr hoch, liegt bei 61,2 Prozent. Durch die Operation von Detlef. Aber ich hoffe, dass ich das bald hinbekomme. Ich halte diese verdammten Schmerzen bald nicht mehr aus. Wenn ich nur mal zur Ruhe kommen würde. Aber ständig ist irgendein schlimmer Einsatz oder andere Stress, der mich aus der Bahn wirft. Na ja, ich bekomme das schon irgendwie hin."

Genüsslich stand ich unter der Dusche und ließ das heiße Wasser, einfach über meiner Haut und meine Muskeln laufen. Langsam entspannte ich mich. Müde setzte ich mich auf den Boden und legte kurz den Kopf in den Nacken. Begann dann damit meine immer noch verkrampften Füße zu massieren. Rashida, die das erst jetzt sah, setzte sich auch auf den Boden und half mir durch Massagen, die Füße zu entkrampfen. Endlich hörten wenigstens diese Schmerzen auf. Rashida half mir auf, wieder stellte ich mich mit den Händen an die Wand und genoss noch entspannter, das heiße Wasser. Rashida begann damit meinen Nacken zu massieren. Ach wie ich das liebte, fast eine halbe Stunde stand ich unter dem Wasser und genoss es verwöhnt zu werden. Plötzlich begann ich wieder zu bluten, musste Blut husten und erbrechen. Erschrocken sah mich Rashida an.

"Schon gut Rashida, es hört gleich auf. Ich hab fünf Einheiten N47 intus, das muss sein. Lass mal das ist gut, dann lassen meinen Kopfschmerzen endlich nach, die sind nach der Spritze immer die Hölle."

In der Zeit, wo ich das Rashida erkläre, kontrollierte ich mich auf innere Blutungen, doch es war nur in der Lunge, der Magen und äußerlich. Also nicht so schlimm, wie sonst.

"Was machst du nach dem Einsatz hier, Rashida, hast du Bereitschaft?", fragte ich meine besorgt guckende Freundin.

"Täubchen, ich habe eine Woche Frei. Da ich, als wir aus der Schule gekommen sind, gleich Frei gehabt hätten. Ich aber für einen erkrankten Kollegen eingesprungen war. Ich freue mich auf Katrin und die Hunde. Vor allem, mal richtig ausschlafen zu können. Katrin geht es wieder richtig gut. Ich soll dir liebe Grüße bestellen. Der Max ist nicht mehr krank geworden, soll ich dir ausrichten", lachend stellte sie sich an die Wand.

"Wieder besser Täubchen?"

Ich nickte und finge an mich zu waschen. Nochmals stellte ich mich mit den Händen an die Wand. Konzentrierte mich, auf die Heilung meiner Hände und meines Gesichts. Ganz würde ich die Hämatome nicht wegbekommen, aber wenigstens etwas. Den Rest musste dann die Hämlo-Salbe richten. Damit fertig, wusch ich mich noch einmal.

"Geht es einigermaßen?", fragte ich Rashida, da hier kein Spiegel hing.

"Na ja, sage wir einmal so, du hast schon besser ausgesehen. Sieh selber, nebenan ist ein Spiegel", über das ganze Gesicht lachend, zog sie mich hinter sich her.

"Oh je, da hätte ich es lieber ganz blau lassen sollen. Jetzt sehe ich aus wie eine Kuh", kichernd sah ich mich im Spiegel an.

Konzentrierte mich noch einmal auf die Hämatome im Gesicht. Nach zehn Minuten sah ich wieder aus wie ein Mensch. Etwas blass um die Nase, aber wenigstens nicht mehr fleckig wie eine Kuh.

"Jetzt ist es besser, Täubchen", Rashida gab mir einen Kuss. "Komm gehen wir uns etwas Trockenes und Warmes anziehen. Sieh mal, was Conny gemacht hat." Wir liefen zurück in den anderen Duschraum, erst jetzt sah ich, dass über den beiden Heizkörpern unsere Sachen hingen.

"Wann hat er das denn gemacht?", fragte ich irritiert, weil ich gar nicht mitbekommen hatte, dass er in der Dusche war.

"Als du auf dem Boden gesessen hast. Sieh mal er hat sogar die Hämlo-Salbe mitgebracht. Komm Täubchen, ich reibe dich ein, dann werden die Schmerzen auch etwas weniger."

Es dauerte nur so lange, bis die Büche aufgemacht wurde, schon wurde ich am Rücken eingerieben und ich rieb mich selber vorn am Bauch ein. Die Hämlo-Salbe entwickelte Wärme und diese Wärme löste die Hämatome auf. Vor allem aber, lockerte sie meine verkrampfte Muskulatur etwas. Fertig damit zog wir uns sauber an und gingen nach vorn zu den Jungs.

Als erstes lief ich auf den Oberst zu. "Sir, es ist jetzt 13 Uhr 37, Einsatz erfolgreich beendet, Sir. Bitte ich würde dann um 14 Uhr, gern eine Einsatzauswertung, mit allen Teams noch machen. Es wird nicht lange dauern. Ich möchte allerdings noch die Streitigkeiten von Simon, Mario, René, Passy vom Delta Team SEK61, mit Carl, Andi, Speedy und Tom vom Kreuzer Team SEK23 Forst bereinigen. Es geht doch nicht, dass die sich gegen seitig beschuldigen, etwas falsch gemacht zu haben, Sir."

Der Oberst lächelte mich an. "Geht klar Kahlyn, wie geht es dir meine Kleine, du siehst nicht gut aus", besorgt blickte er mich an.

"Sir, mir geht es gut, Sir. Ich bin nur völlig fertig. Die Auswertung machen wir am Tisch, ich brauche nur das Memoboard. Aber etwas anderes, wie geht es Detlef? Ich sehe ihn nirgends, gab es Komplikationen, Sir?", wollte ich wissen weil ich mir Sorgen machte.

"Nein Kahlyn, der schläft. Sieh mal dahinten liegt er. Wir haben ständig nach ihm gesehen, es geht ihm gut. Sonst hätte ich dich geweckt."

Fleischer zeigte in eine mit Kisten abgeschirmte Ecke, in der man das Krankenlager für Detlef eingerichtet hatte. So dass er es etwas ruhiger hatte. Dankbar sah ich den Oberst an. Ging nach hinten, um nach Detlef zu sehen. Genau checkte ich seinen Körper durch, aber es war wieder alles in Ordnung. Er würde noch einige Tage Schmerzen mit den Rippen haben, das waren aber Sachen, die konnte man wegspritzen. Also war er voll einsatzfähig. Das beruhigte mich ungemein. Vorsichtig weckte ich ihn. Fast sofort wurde er munter.

"Hallo Floh, wie geht es dir?", war seine erste Frage, die besorgt klang.

"Gut und dir Detlef, wie stark sind die Schmerzen? Soll ich dir etwas spritzen?", gab ich ihm eine Antwort, mit zwei Gegenfragen.

Detlef schüttelte den Kopf. "Floh, mir geht es gut, die Schmerzen sind nicht schlimm. Eine richtige Nacht durchschlafen, dann bin ich wieder fit." Erklärte er mir lachend.

"Detlef, du musst dich schonen. Für dich, nur noch hinten in der letzten Reihe Einsätze, sonst schreibe ich dich Dienstunfähig."

Detlef lachte laut. Es gefiel ihm, dass ich so durchgriff. "Jawohl, Mam", neckte er mich weiter lachend.

"Dein Glück, Detlef. Nun komm, wenn es dir gut geht. Dann gehen wir nach vorn. Einen Kaffee trinken, dann die Auswertung des Einsatzes und dann heim", ich hielt ihm die Hand hin.

Zog ihn ziemlich schnell auf die Beine, um zu sehen, ob er mir die Wahrheit gesagt hatte. Wäre es nicht so, würde er schwanken. Detlef stand wie eine Eins. Er wackelte nicht. Also ging es ihm wirklich gut. Gemeinsam setzten wir uns an die Tische. Endlich fand ich auch meine Brille, ich wusste nicht mehr, wo ich die abgelegt hatte. So zog ich das Band von den Augen und setzte meine Brille wieder auf. Müde rieb ich mir mein Gesicht. Rudi der mich eben entdeckt hatte, kam auf mich zu und setzte sich neben mich.

"Na meine Kleene, geht es wieder etwas besser?"

Ich gab ihm einen Kuss. "Ja Rudi, aber ich möchte nach Hause zu meinem Struppi und den Runges und etwas schlafen in einem schönen weichen Bett", gestand ich Rudi verlegen.

"Da musst du aber noch ein bissel warten, um 15 Uhr 30 werden wir, wenn alles klappt abgeholt", berichtete er mir.

Ich sah auf die Uhr über der Eingangstür der Halle. Es war jetzt 13 Uhr 58. Also gab ich Rudi noch einen Kuss und stand auf und lief nach vorn zu dem Memoboard.

"Kann ich in zwei Minuten noch einmal eure Aufmerksamkeit haben, bitte. Ich möchte eine Team übergreifende Auswertung machen", erklärte ich laut in den Raum. "Nehmt euch alle noch einen Pot Kaffee und dann können wir anfangen", langsam kam Ruhe in die Truppe.

Punkt 14 Uhr saßen alle an ihren Plätzen. "Ich möchte euch als erstes dafür danken, dass ihr mich von Anfang an akzeptiert habt. Etwas, was mir seit zwei Monaten nicht mehr passiert ist. Zum anderen einem von ganzem Herzen kommenden Dank, für eure vorbildliche Mitarbeit. Danke für eure Disziplin, für euren Mut und für euren Einsatz. Gern wieder. Ich wünsche euch alles Gute. Aber ich muss mich auch, bei euch entschuldigen. Durch einen Fehler, den ich bei der Einsatzbesprechung mit euch gestern gemacht habe, wäre es fast zu einer Katastrophe gekommen. Das werden wir gleich noch besprechen. Als erstes möchte ich aber Simon, Mario, René und Passy vom Delta Teams des SEK 61 Gera und Carl, Andi, Speedy und Tom, vom SEK 23 Forst hier zu mir bitten."

Ernst sah ich auf die acht Männer, die sich vorhin regelrecht angebrüllt hatten. Sie hatten sich gegenseitig die Schuld an der Fast Katastrophe zu geschoben. Dabei konnte keiner etwas, für das was passiert war. Betrübt kamen die Acht nach vorn. Sie waren alle darauf gefasst, von mir eine Standpauke zu bekommen. Die Jungs kannten meine Vorgehensweise in solchen Fällen nicht. Sie wussten nicht, dass ich solche Probleme auf meine eigene Art löste.

"Könnt ihr jetzt wieder vernünftig miteinander reden oder schreit ihr euch gleich wieder an?", wollte ich von den Streithähnen wissen.

Alle schüttelten den Kopf.

"So, dann wollen wir einmal euer Problem klären. Simon, Mario, René und du Passy, ihr werft Carl, Andi, Speedy und Tom vor, dass sie die Formation verlassen haben. Habe ich das richtig mitbekommen?", wandte ich mich an die zwei Parteien.

"Ja Kahlyn, wären die Vier auf ihrer Position geblieben, hätten wir das ganze Problem nicht bekommen. Dann wäre die Front nicht aufgebrochen", erklärte mir Mario immer noch richtig wütend.

Carl, dem das an die Nieren ging, gab sofort gereizt Widerparte. "Wir wollten die Lücke schließen. Verdammt noch mal, das habe ich dir vorhin schon einmal erklärt", im gleichen Augenblick vergaßen die Acht, dass jetzt alle an dem Streit beteiligt waren und dass alle zuhörten.

"Geht das auch freundlicher?", wandte ich mich an Carl.

Der sah mich böse an. "Kahlyn, ich lasse mir nicht vorwerfen, dass ich meinen Posten verlassen habe. Es war eine riesen große Lücke entstanden. Was hätte ich denn machen sollen?"

Ich nickte. "Genau, das ist das Problem. Du fühlst dich von den Jungs, vom Delta Team verraten. Du wolltest helfen und wirst jetzt dafür auch noch angemacht."

Carl nickte wütend, antwortete nicht. Wahrscheinlich weil er sonst wieder gebrüllt hätte. Rashida sagte mir gerade in der Verbindung, das Carl eine Temperamentsschleuder war. Das er in solchen Situationen immer große Mühe hatte ruhig zu bleiben. Dann lieber gar nichts mehr sagte.

"Darf ich euch einmal etwas erklären? Ohne, dass ihr auf stur schalten und euch böse anfaucht. Vor allem ohne euch gegenseitig die Schuld zu zuweisen? Wenn jemand eine Schuld trifft, dann nur mich. Ich habe euch auf eine bestimmte Sache, nicht vorbereitet. Also eine Frage an das Delta Team aus Gera. Was macht ihr im Kampf, wenn Kameraden fallen und dadurch eine Lücke entsteht?"

Verwirrt sahen mich die Männer an. Sie hatten dieses Problem noch nicht gehabt.

"Ihr wisst es nicht, seht ihr, darin besteht das Problem. Die gleiche Frage an das Kreuzer Team aus Frost."

Carl holte tief Luft und versuchte leise zu sprechen. "Wir rücken auf, verbreitern die Abstände zu den anderen, um die großen Lücke, halt kleiner zu machen."

Diesmal schüttelte ich den Kopf. "Das wäre zwar eine Möglichkeit gewesen, aber keine sehr kluge Entscheidung. Etwas anderes, wäre viel sinnvoller gewesen. Wenn ihr die anderen Jungs einfach gebeten hättet, ein Stück vorwärts zugehen und damit den Kreis einfach verkleinert hättet. Seht bitte einmal her, es ist doch so…" Genau erklärte ich den kleinen Denkfehler in der Vorgehensweise der beiden Teams, die durch meine Unachtsamkeit entstanden war. "… Versteht ihr. Nicht die Größe des Kreises war wichtig, sondern einzig und allein der Kreis. Bitte Jungs, macht euch keine Vorwürfe, dass es schief gegangen ist. Es war einfach mein Fehler. Auch ich bin nicht fehlerfrei. Wisst ihr, ich arbeite seit sechszehn Jahren mit denselben Leuten. Viele der Dinge, sind uns in Fleisch und Blut übergegangen. Ich habe einfach an diese Situation nicht gedacht. Deshalb ist es wichtig, dass wir über solche Dinge reden. Falsch ist es aber, die Schuld anderen zu geben. Das Delta Team wollte seine Position halten. Das Kreuzer Team den Kreis sichern, beides war richtig. Nur, wenn wir solche Situationen, in der Zukunft verhindern wollen, müsst ihr lernen euch zu vertrauen. Im Kampf sind wir nur ein Team. Versteht ihr das? Wir müssen immer damit rechnen, wenn wir im Kampf sind, dass jemand verletzt wird und dadurch seine Position nicht mehr halten kann. Deshalb müssen wir lernen umzudenken. Nicht die Größe als solches ist wichtig, sondern das Ganze", fragend sah ich die beiden Gruppen an, die begriffen hatten, dass sie beide falsch lagen. "Wieder alles klar?"

Alle Acht nickten verlegen.

"Dann setzt euch. Ich möchte die Teamleiter bitten, das in der internen Einsatzauswertung, noch einmal genau durchzusprechen. Wenn ihr Fragen habt, dann helfe ich euch gern. Eine andere Sache noch. Ich möchte Raphi danken, für seine gut überlegte und klare Reaktion, auf einen Notfall. Ich denke, das sollte man hier auch einmal erwähnen. Hätte er anders reagiert, wäre Detlef jetzt tot. Dass zwei Gruppen auf einmal von der Seite kamen, damit konnte selbst ich nicht rechnen. Das Detlef und Raphi, genau in den Keil geraten sind, war großes Pech. Dank deiner super Reaktion, ist alles noch einmal glimpflich ausgegangen. Also Leute. Das war ein schwerer Einsatz, wenn ihr wie nach Himmelpfort, Probleme damit habt. Nutzt das schnelle Schlafen, die Sanitäter kommen dann noch einmal zu mir. Ihr habt alle schon von Rashida und mir fünf Einheiten mit N93 bekommen. Sollte das nicht reichen, spritzt euch in vier Tagen nach. Vor allem redet darüber, ohne Schuldzuweisungen, ohne Vorwürfe, so verarbeitet ihr das am schnellsten. Trotzdem denke ich, wird es dieses Mal, nicht zu so massiven Probleme führen wie nach dem letzten Einsatz. Ihr habt gelernt, damit umzugehen. Also Danke nochmals an euch alle. Denkt bitte daran, die Halle hier in einem sauberen ordentlichen Zustand zu verlassen. Wenn jeder seinen eigenen Mist wegräumt, ist das nicht viel Arbeit. Allen eine gute Heimflug. Bis vielleicht zum nächsten Mal. Genosse Oberst, sie haben wieder das Sagen", breit grinsend übergab ich an den Oberst.

"Mein Dank gehört Rashida und Kahlyn. Vor allem dafür, dass ihr uns durch diese Hölle, heil durchgebracht habt. Wenn ich ehrlich sein soll, war mir vor dem Einsatz schlecht. Aber wir haben es hinter uns gebracht und so hoffe ich, wird jetzt wieder einmal etwas Ruhe eintreten. Ich wünsche euch allen einen guten Heimflug. Kahlyn, Rashida, eure beiden Hubschrauber kommen gegen 15 Uhr 15. Conny deiner und meiner um 16 Uhr 30 wir müssen hier noch aufräumen."

Als ich etwas sagen wollte schüttelte der Oberst den Kopf.

"Kahlyn, du und Rashida, ihr habt genug gemacht. Ihr solltet nach Hause in eure Betten. Das bissel auskehren, schaffen wir schon oder Jungs?", wandte er sich an die beiden eigenen Teams, die lachend nickten.

Erleichtert setzte ich mich hin und nahm den mir von Tino gereichten Kaffee, genoss noch etwas die Nähe von Rashida. In zehn Minuten kamen die Helis, dann sahen wir uns wieder für lange Zeit nicht. Mit Schrecken fiel mir ein, dass ich meinen Koffer gestern gar nicht mitgenommen hatte. "Genosse Oberst, können sie das Aufräumkommando mal fragen, ob die meinen Medi-Koffer gefunden haben?"

Statt dem Oberst, meldete sich Raphael zu Wort. "Kahlyn, deine Koffer stehen bei mir, ich habe sie mitgenommen. Du konntest dich ja kaum noch auf den Beinen halten."

Dankend sah ich ihn an. "Danke Raphi, das war lieb von dir. Kannst du mir den bitte mal holen, ich muss den Sanitätern noch etwas zeigen."

Sofort stand Raphael auf und holte meinen Koffer, stellte ihn bei mir ab.

"Bitte die Sanis noch einmal kurz zu mir."

Alle acht Sanis, aber auch Rudi, kamen noch einmal zu mir und setzten sich um mich herum auf den Boden. So dass ich ihnen die Schablonen erklären konnte. Nach einer halben Stunde hatten alle verstanden, wie das mit dem Ampullenkoffer funktionierte. Zum Glück waren die Helis noch nicht da, so dass ich das alles noch ohne Zeitdruck klären konnte.

In dem Moment als ich fertig war, kamen schon die Piloten der Transporthubschrauber, die uns nach Hause fliegen sollten. Eilig lief ich nach hinten zu meinen Sachen. Mit wenigen Handgriffen hatte ich alles zusammen und zog meine Stiefeln an. Lief traurig auf meine Rashida zu. Rudi der mir entgegen kam, nahm mir alles ab und brachte es schon zum Heli. So dass ich mich in Ruhe, von meiner Freundin verabschieden konnte.

"Mach's gut Rashida. Danke, dass du mir geholfen hast. Alleine hätte ich das nie geschafft. Ich hoffe wir sehen uns mal wieder. Ich werde dich vermissen", stellte mich auf die Zehenspitzen, um ihr einen Kuss zu geben.

Rashida, hob mich einfach auf ihre Hüften. Trug mich nach draußen zum Heli, weil Rudi schon drängelte.

"Mach's gut Täubchen, sei brav und achte auf dich. Sehe zu, dass du mal zur Ruhe kommst. Bis bald", traurig setzte sie mich auf den Boden und gab mir noch einen Kuss. Schnell drehte sich um und lief ohne noch einmal zurück zu blicken zu ihrem Heli.

Ich öffnete eine Verbindung zu ihr. "Rashida, nicht weinen. Ich denke immer an dich, bitte", aber auch mir kamen jetzt die Tränen.

Rudi zog mich in den Arm. "Komm beruhige dich, meine Kleene. Wir gehen deine Rashida wieder besuchen", mühsam gegen meine Tränen kämpfend, nickte ich.

Drehte mich einfach so auf meinen Sitz, dass ich schlafen konnte, in dem ich mich zusammenrollte.

"Leg dich doch unten hin. Da ist es viel bequemer, Floh", schlug mir Detlef vor.

Rudi nickte mir aufmunternd zu. Deshalb legte ich mich im Gang auf den Boden. Rudi legte mir seine Jacke unter den Kopf und legte sich einfach hinter mich. Drei Atemzüge später schlief ich ein. Kurz vor 23 Uhr also nach fast sieben Stunden, weckte mich Rudi vorsichtig.

"Frido, Nikyta, wache auf, wir sind gleich da."

Ich sah zu ihm auf, nickte. Langsam und stöhnend stand ich auf, jeder einzelne Knochen tat mir weh. Rudi sah mich besorgt an.

"Rudi, es ist nichts. Mir tut nur alles weh", versuchte ich ihn zu beruhigen.

"Das glaube ich dir gerne, meine Kleene. Wenn wir zu Hause sind, schläfst du dich erst einmal aus. Damit du dich erholst."

Bevor ich antworten konnte, setzte der Heli zur Landung an. Wir griffen unsere Sachen, aber dann fiel mir ein, dass ich die Busse nicht gerufen hatte. Weder Rudi, noch Ronny, noch Detlef hatten daran gedacht. Also ging ich vor zu den Piloten und orderte die Busse erst einmal. Vereinbarte mit den Piloten, dass wir im Heli solange warten konnten, da es draußen stürmte und regnete. Auch, wenn es wesentlich wärmer als in Augustow war, das Thermometer zeigte plus 3°C. Aber es musste nicht sein, dass wir draußen im Regen standen. Es gab keine Halle zum Unterstellen auf dem kleinen Flugplatz. Nach fast dreißig Minuten kamen endlich unsere Busse, die ewig gebraucht hatten. Wir stiegen ein und fuhren zurück auf die Wache. Dort angekommen, ging ich ohne ein Wort zu sagen, einfach nach hinten in den Schlafsaal, ich konnte nicht mehr.

Rudi der mir verwirrt folgte, setzte sich auf meine Bett. "Kleene, wollen wir nicht nach Hause, fahren?", wollte er von mir wissen.

Ganz leise erklärte ich zum ihm. "Rudi, wenn du magst, fahre nach Hause. Ich komme nach. Ich bin so müde, ich will einfach nur schlafen. Bitte, bitte Rudi mir geht es nicht so gut."

Rudi streichelte mein Gesicht und zog mich in seinen Arm. Legte sich einfach neben mich, so wie es Rashida immer gemacht hatte. Seine Körperwärme tat mir so gut, die Krämpfe ließen etwas nach und ich fand Ruhe. Keine zehn Minuten später schlief ich tief und fest und konnte mich endlich etwas erholen. Rudi der mir eigentlich, nur in den Schlaf helfen wollte, schlief selber auch noch einmal ein, so fertig war er.

Kapitel 6

Kurz nach 4 Uhr wachte ich erholt aus einem tiefen Schlaf, verwundert stellte ich fest, dass Rudi noch in meinem Bett lag. Also hatte ihn der Einsatz, auch fertig gemacht. Leise und ganz vorsichtig, drehte ich mich aus seinem Armen und stand auf. Lief nach vorn in die Dusche, um mich darunter zu stellen. Lange genoss ich die Wärme des heißen Wassers, die damit verbundene Entspannung meiner Muskulatur.

Nach über einer halben Stunde, wusch ich mich, trocknete mich ab und zog mir meine zivilen Sachen an, um auf Rudi zu warten.

Da ich mich langweilte, räumte ich schon den Frühstückstisch an, bereitete Eier und Kaffee vor. Dann lief ich nach vorn in die Wachstube, um nicht so alleine zu sein. Ich wollte mit den Wachtmeistern vorn ein bisschen zu reden.

"Guten Morgen", grüßte ich laut in die Wachstube hinein und bekam eine freundlichen Gruß zurück.

"Guten Morgen Kahlyn", Oliver, Felix aber auch von Ines waren schon mitten in ihrer Arbeit.

"Na hast du schon ausgeschlafen?", wollte Oliver wissen.

"Ja, die anderen schlafen noch", verpetzte ich die andern. "Das sind Schlafmützen", konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen.

"Wann seid ihr denn wiedergekommen, wieso bist du nicht nach Hause gefahren?", verwundert sah mich Ines an.

Ich zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht genau, kurz vor Mitternacht denke ich. Ich war viel zu kaputt, um auf die Uhrzeit zu achten. Mein einziger Gedanke war nur, in einem weichen Bett zu schlafen, egal wo. Ich glaube, ich hätte es nicht mehr bis zu den Runges geschafft."

Ines streichelte mir das Gesicht. "War der Einsatz so schlimm?"

Traurig nickte ich. Zum Glück, wollten sie nicht mehr wissen. "Lasst die Jungs einfach erst einmal zu Ruhe kommen. Es war ein zweites Himmelpfort. Es war verdammt knapp. Detlef hat es ganz schön erwischt. Sag mal Olli, wisst ihr ob heute wieder Einsätze kommen. Die Jungs brauchen dringend, ein oder zwei Tage Ruhe. Wenn etwas kommt, sagt einfach es geht nicht mehr."

Oliver sah mich erstaunt an.

"Olli, guck nicht so, die Jungs laufen am Limit. Es war ein Horroreinsatz, nach einer Horrorwoche. Irgendwann, geht es nicht mehr. Der beste Beweis dafür ist, dass Detlef fast gestorben wäre. Wenn die Jungs nicht endlich, mal ein paar Tage Luft haben, brechen die alle zusammen. Dann haben wir hier Tode", ernst sah ich ihn an. "Die Jungs würden das nicht zugeben, aber ich kenne alle diese Symptome. Ich habe das bei meinen Leuten, nicht nur einmal erlebt. Irgendwann muss jemand sagen. ES IST SCHLUSS. Diesmal sage ich das, denn weder Ronny noch Detlef können mehr richtig denken. Also, das ist ein Befehl, für die Kollegen keine Einsätze mehr, in den nächsten beiden Tagen. Wenn es wirklich brennt, dann holt mich und Rudi. Ist das klar angekommen. Das ist ein Befehl. Mir ist es egal, ob ich hier etwas zu sagen haben. Aber von denen da hinten, ist keiner mehr in der Lage, für das Team richtige Entscheidungen zu treffen. Die funktionieren nur noch."

Oliver sah mich jetzt verblüfft aber breit grinsend an. "Hast ja recht Kahlyn. Ich sage es so, an die Frühschicht und die Spätschicht weiter." Ines grinst mich auch breit an.

"Danke Olli."

In dem Moment steckte Rudi, der munter geworden war, den Kopf in die Wachestube weil er mich suchte. "Guten Morgen allerseits. Na Kleene, bist du mir ausgerissen, ich suche dich überall. Was habt ihr denn hier, für eine heiße Diskussion?", wollte er von uns wissen.

"Rudi, ich habe Oliver gerade befohlen, dass er keine Einsätze mehr in den nächsten beiden Tagen annimmt. Macht er das, ist es eine Frage der Zeit, dass einer tödlich verletzt wird. Sei nicht böse. Aber weder Ronny noch Detlef, können mehr klar denken", teilte ich meinem Vorgesetzten mit, dass ich meine Kompetenzen überschritten hatte, das aber zum Wohl der Teams tat.

"Das hast du gut gemacht Kleene, diese Entscheidung hätte ich zwar erst noch mit Ronny und Detlef besprochen, aber so ist es besser. Du hast Recht, ab und an muss man einmal durchgreifen", an Oliver gewandt. "Also, du hast es gehört. Ich bestätige dir hiermit, das, was die Kleene dir gesagt hat. Die nächsten beiden Tage Ruhe für beide Teams, die sind wirklich am Limit", lächelnd sah er mich an.

"Rudi, ich habe Oliver gesagt, wenn es wirklich brennt, soll er uns holen. Ich hoffe das ist dir recht. Aber ich denke, das ist das Beste. Das Alphateam ist ausgeruht, ob wir nun drei oder vier Tage eher anfangen, tut nicht wirklich etwas zur Sache. Aber die anderen beiden Teams können nicht mehr. Das hat man an dem Verhalten von Simon, Mario, René und Passy gemerkt. Normalerweise, wären die das SEK23 nicht so angegangen, das ist nicht deren Art."

Rudi bestätigt durch nicken, die Richtigkeit von dem, was ich sagte. "Na komm, dann wollen wir frühstücken und dann, zu deinem Struppi fahren. Ach sagt mal, habt ihr Kahlyns Koffer schon auffüllen lassen?"

Felix schüttelte den Kopf. "Rudi, ich mache das gleich, wenn Jens da ist. Hab ihm oben einen Zettel dran gemacht, dass er sich sofort melden soll, wenn er in der Praxis ist", somit war auch das geklärt. "Es war niemand erreichbar."

Gemeinsam mit Ines, Oliver und Rudi ging ich nach hinten, in den Bereitschaftsraum, der langsam voll wurde. Detlef saß schon auf seinen Platz. Bevor ich etwas anderes machte, wollte ich ihn noch einmal untersuchen, seine Atmung gefiel mir gar nicht. Die war viel zu flach und verkrampft.

"Detlef, kannst du bitte mal mit in die Sanistube kommen, bitte", wandte ich mich deshalb an ihn. Detlef erhob sich und kam zu mir gelaufen. Man sah, dass es ihm nicht sonderlich gut ging.

An Rudi gewandt, bat ich leise. "Rudi, bitte hole Doko Karpo und zwar postwendend. Detlef geht es nicht sehr gut."

Sofort lief ich in den Saniraum. Vorsichtig half ich Detlef beim Ausziehen und sah mir seinen Körper nochmals an. Er hatte eine böse Entzündung in der Lunge. Vermutlich durch die erste Operation. Als ich ihn bat tief Luft zu holen, fing er böse an zu husten.

"Detlef, du bleibst hier sitzen. Ich hole meinen Medi-Koffer", im gleichen Augenblick, war ich aus der Sanistube verschwunden. Kaum vorn angekommen, lief schon Doko Karpo auf mich zu, der gerade gekommen war.

"Guten Morgen Kahlyn, wie geht es dir, was hast du für Probleme", wollte er von mir wissen.

"Doko, ich brauche einen gefüllten Medi-Koffer und deine Hilfe, Detlef geht es nicht gut. Ihn hatte es, gestern schlimm erwischt."

Doko Karpo stöhnte auf. "Kahlyn, deinen Koffer füllt Schwester Silvia gerade auf, Felix wartet so lange. Was ist denn los mit ihm?", besorgt sah er mich an.

"Doko, du weißt, dass man im Einsatz keine große Möglichkeit hat, auf sterile Operationsbereiche zu achten. Ich habe Detlef mitten im Schlamm und mit blutenden Händen operieren müssen. Sonst er wäre jetzt tot. Er hat eine schlimme Lungenentzündung, die vom Operationsherd aus geht. Ich werde leider den schon vorhandenen Operationsbereich, nochmals säubern müssen. Das kann ich nicht ohne deine Hilfe. Ich brauche jemanden, der mir zur Hand geht. Ich will den Entzündungsherd beseitigen und alles nochmals steril behandeln."

Doko Karpo sah mich erschrocken an. Stimmte aber zu, auch wenn ihm nicht wohl dabei war. Felix kam gerade mit meinem Koffer gelaufen.

"Danke Felix."

Ohne zu zögern ging ich zurück in die Sanistube und zog mir einen Kittel über meine guten Sachen.

"Detlef, es tut mir leid. Ich muss dich noch einmal operieren. Du hast in dem OP-Bereich eine schlimme Infektion. Das passiert selten, aber kommt schon mal vor, wenn ich als Gino operiere. Bitte lege dich einfach auf die Pritsche. Ich muss dich schlafen legen. Bei dir kann ich ohne Betäubung operieren. Vertraue mir einfach."

Detlef schaute mich ängstlich an, holte dann so gute es ging Luft und hauchte mehr als dass er sprach. "Geht klar, Kahlyn. Hauptsache die Schmerzen hören auf. Es tut bei jedem Atemzug weh", gab er müde zu.

"Das kann ich mir denken Detlef. Also lege dich hin, tut mir leid, ich denke es ist Blut, von meinen Händen, in die Wunde gekommen. Es ist meine Schuld."

Er tat mir so leid. Traurig streichelte ich ihm das Gesicht. Aber ich hatte gestern keine große Alternative, hätte ich erst meinen Hände gesäubert Handschuhe angezogen und steril abgedeckt. Hätte ich heute nicht nachoperieren brauchen, denn dann wäre Detlef in der Zwischenzeit an seinem Blut erstickt. Es ging um Sekunden wie immer, wenn ich mitten im Einsatzgebiet operiere.

Ich zog mir im den Beistelltisch heran, um meinen Koffer darauf zu stellen. Öffnete ihn, wandte mich dann an Doko Karpo.

"Doko, machst du bitte das Licht, bis auf die Notbeleuchtung aus. Sonst kann ich nicht operieren."

Im gleichen Moment streichelte ich Detlef vorsichtig das Gesicht, den Hals entlang und legte ihn schlafen. Zielgenau öffnete ich die Operationsnarbe, von gestern, noch einmal. Säuberte die entzündetet Wunde und spülte sie mit einer speziellen Desinfektionsflüssigkeit aus. Einen langen Augenblick hielt ich die Luft an und bat Doko Karpo darum, ein Antibiotisches Pulver in der Wunde zu verteilen. Auch drehte ich mich ein Stück zur Seite und übernahm seinen Part den Operationsbereich offen zu halten. Der Doko verteilte das Pulver so vorsichtig wie möglich, um nicht zu sehr dieses Pulver in der Luft zu verteilen. Aber es nutzte nichts, anders bekam ich die Entzündung nicht aus der Wunde. Wir mussten die Entzündung in der Operationswunde der Lunge richtig behandeln. Doko Karpo, der mir den OP-Bereich, mit Haken offen gehalten hatte, sah mir bis dahin interessiert zu. Während der Operation, erklärte ich ihm jeden Schritt den ich machte. So konnte ich ihn gleichzeitig mit in meine Operationstechnik einzuführen. Nach Beendigung der Säuberung und den Verteilen der Antibiotika, tauschten wir wieder die Positionen und ich verschloss diesen Bereich wieder. Verklebte das Rippenfell und die Rippen, die ich aushebeln musste, um an die Lunge zu kommen. Heilte diese gleich mit dem Krantonak aus. Wie auch den äußeren Bereich der Wunde. Kaum neun Minuten hatte die Operation gedauert. Nochmals kontrollierte ich die Lunge und deren Funktion, es sah wesentlich besser aus. Vorsichtshalber spritzte ich diesmal ein Antibiotikum, dreißig Einheiten vom K66. Dieses würde über einen Zeitraum von vierzehn Tagen wirken und musste sehr hoch dosiert gespritzt werden. Vor allem ein Schmerzmittel. Gegen die, durch die Entzündung der Lunge entstehenden Schmerzen, das B97 das drei Tage anhielt und die gleiche Menge von B32, damit er gleich keine Schmerzen mehr hatte. Kaum, dass ich damit fertig war, kam Detlef wieder zu sich. Doch ich rutschte an der Wand herunter und klappte ab. Fast zehn Minuten brauchte ich, ehe ich wieder zu mir kam. Detlef und Doko knieten neben mir und sahen mich wie immer erschrocken an. Als ich mich bewegte, atmeten beide erleichtert auf.

Detlef holte tief Luft. "Verdammt Kahlyn, jedes Mal erschrecke ich mich zu tote, wenn du so da liegst", sorgevoll sah er mich an. Dann lächelte er aber und gab mir einen Kuss auf die Stirn. "Danke Floh, das war nicht mehr zum Aushalten."

Doko und Detlef halfen mir auf die Beine. Ich dagegen sah den Teamleiter böse an.

"Detlef, seit wann hast du die Beschwerten?", wollte ich von ihm wissen.

"Es fing an, als wir in Gera gelandet sind. Aber richtig schlimm ist erst gewesen, seit dem ich munter geworden bin", entschuldigend sah er mich an.

"Warum, hast du da nicht gleich etwas gesagt? Ich hätte dir nur etwas spritzen brauchen, dann hättest du dir und mir die OP gespart. Jetzt musste ich nachoperieren. Verdammt noch mal, es hilft doch niemanden, wenn ihr die Helden spielt", wütend sah ich ihn an.

"Flöhchen, du konntest dich doch kaum noch auf den Beinen halten", versuchte er sein Verhalten zu entschuldigen.

"Ach ihr lernt es glaube ich nie. Detlef es hätte keine zwei Minuten gedauert. Nur zwei Minuten, verdammt noch mal. Dann wäre es dir aber nicht so beschissen gegangen, vor allem wärst du nicht ausgefallen. Denkst du nicht, dass ich das noch geschafft hätte. Bloß ich sehe doch auch nicht immer alles. Verdammt, habt doch endlich einmal Vertrauen zu mir", traurig sah ich ihn an.

Diese verdammte Wut kam schon wieder in mir hoch. Es regte mich so auf, dass die Kollegen mir nicht vertrauen.

"Floh, das hat doch nichts mit Vertrauen zu tun. Mensch überlege mal, dir ging es doch selber nicht gut. Ich wollte nur auf dich Rücksicht nehmen. Ich dachte doch nicht, dass es so schlimm wird. Wirklich nicht. Komm sei nicht mehr böse mit mir. Ich habe es wirklich nur gut gemeint. Ich vertraue dir doch", ernst sah er mich an.

Hielt mir seine Arme hin, weil er mich drücken wollte. Mühsam kämpfte ich meine Wut herunter und ging auf ihn zu, nahm ihn in den Arm.

"Aber, wenn es wieder schlimmer wird, meldest du dich sofort. Jetzt will ich keine Diskussion von dir hören. Du gehst zu deinem Spind, ziehst dich um und fährst sofort nach Hause. Du bist dienstuntauglich. Es tut mir leid. Gestern hätte ich das noch verhindern können, heute nicht mehr. So kannst du beim besten Willen nicht mehr arbeiten. Wenn du willst, übernehme ich den Platz in deinem Team so lange, bis du wieder fit bist", mitleidig sah ich Detlef an und schaute dann rüber zum Doko, um ihm einen Vorschlag zu machen. "Aber vierzehn Tage, Doko würde ich ihn krankschreiben. Die Lunge muss richtig ausheilen. Detlef kein Sport, keine anstrengenden Tätigkeiten, sonst lasse ich dich von Doko in die Klinik einweisen", verordnete ich ihm Bettruhe. "Hast du das verstanden? Es ist nur Bett und Sofa genehmigt. Ganz kleine und vor allem kurze Spaziergänge, sonst nur liegen. Deine Lunge muss sich erholen, sonst hast du für den Rest deines Lebens, Atembeschwerden. Dann wirst du für diesen Job nie wieder diensttauglich, ist dir das klar. Da kann ich auch nichts mit dem Krantonak machen, das muss in Ruhe ausheilen."

Detlef sah mich entsetzt an und wollte widersprechen.

Doko Karpo jedoch, der bei der Operation mitbekommen hatte, wie schlimm es war, griff jetzt ein. "Detlef, Kahlyn hat recht mit dem, was sie dir prophezeit. Bettruhe, sonst weise ich dich in die Klinik ein", ernst sah er Detlef an und schrieb einen Krankenschein aus.

Zu Detlefs Entsetzen bestätigte Doko das, was ich meinem Kollegen gerade gesagt hatte. Detlef sah bedrückt aus. Stand allerdings wortlos auf und verließ wie ein begossener Pudel die Sanistube. Doko Karpo war allerdings mit etwas ganz anderen beschäftig. Seine Augen glänzten und sein Gesicht strahlte förmlich vor Begeisterung. Etwas, dass ich nicht verstand.

"Kahlyn, das war eine einmalige Operation, die du gerade gemacht hast. Bitte, wir müssen uns bei Gelegenheit einmal darüber unterhalten. Vielleicht kannst du mir ein paar Tipps geben, wie ich meine Operationstechniken verbessern kann. Ich habe schon bei vielen Operationen von wirklich ausgezeichneten Professoren, die Genies auf ihrem Gebiet sind zugesehen. Aber so etwas, habe ich noch nie erlebt. Verdammt Kleine du bist gerade mal sechszehn Jahre alt. Wie kannst du so gut operieren können. Ich hätte für die gleiche Operation mindestens drei Stunden gebraucht, wenn nicht noch länger und ich bin verdammt nochmal, nicht schlecht als Chirurg. Selbst mein Professor, der einfach ein Genie als Operateur ist, hätte mindestens 2 und eine halbe Stunden gebraucht. Ich kann nicht verstehen wie du das in nur zehn Minuten, über die Bühne gezogen hast", staunend sah er mich an.

"Doko, das können wir gern machen. Du weißt doch wie das ist, in unserem Beruf, geht es oftmals um Sekunden. Ich zeige dir einige Operationsmethoden von mir. Es ist aber einfach eine Sache der Übung. Ich habe solche Verletzungen schon hunderte Male behandelt. Bei uns gab es kaum einen Einsatz, wo nicht jeder zweite schwer verletzt war, da wird man einfach immer schneller. Doko mir saß immer die Zeit im Nacken, ich konnte mir keine Ruhe gönnen bei solchen Sachen. Bei fast jeder Operation, wurde um mich herum gekämpft, da war jede Sekunde die ich länger brauchte eine gefährliche Sekunde, in denen ich meinen anderen Freunden nicht zur Seite stehen konnte. Deshalb musste ich doch immer schnell sein. Doko, es war immer so bei uns, wenn im Kampf etwas passierte, musste ich die anderen ohne Schutz lassen, wie bei dem Einsatz bei dem Detlef verletzt wurde. Da geriet Rashida auch in äußerste Bedrängnis. Danach blieb auch keine Zeit. Hinter demjenigen den ich gerade operierte, standen noch zehn andere, die kurz vorm Verbluten waren. Was hätte ich also machen sollen? Da beeilt man sich einfach. Aber lassen wir das. Ich hätte einmal eine andere Sache, die ich mit dir klären müsste, die viel wichtiger ist. Ich weiß von Doko Jacob, dass du ein Labor hast. Doko, kann ich das vielleicht einmal nutzen, bitte. Ich will eine Spritze umstellen. Vor allem, muss ich etwas finden, was mein Ginoenzym herunter drückt. Diese Schmerzen machen mich wahnsinnig. Es wäre total nett von dir."

Doko Karpo nickte mir zu. "Kahlyn, du kannst immer, wenn du Zeit und Lust hast, das Labor benutzen. Rufe einfach kurz durch, dass ich Schwester Silvia Bescheid geben kann. Die lässt dich dann hinein, falls ich nicht da bin. Aber eine andere Frage, könntest du mir eine Blutprobe geben? Dann kann ich die Tests mit dem Ginoenzym besser durchführen. Ich untersuchen zurzeit: was, wie, warum und wann, dies euren Stoffwechsel beeinflusst."

Genervt sah ich Doko Karpo an, weil ich wusste, dass es gleich wieder Stress gab. "Doko, ich würde das gern machen. Allerdings nur unter einer Bedingung. Ich binde dich an deine Schweigepflicht, als Arzt", ernst sah ich ihn an.

Doko Karpo war irritiert. "Was ist denn los, Kahlyn?"

Ich schüttelte den Kopf. Aber mir wurde auch im selben Augenblick eins klar, wenn ich wollte das Doko Karpo mir vertraut, muss ich ehrlich zu ihm sein.

"Doko bitte, ich habe keine Lust auf diese sinnlosen Diskussionen, über meinen Gesundheitszustand. Der ist mir besser bekannt, als sonst irgendjemand. Rudi, macht sich sowieso schon Sorgen ohne Ende. Ich will nicht, dass er sich noch mehr macht verstehst du. Dieses Ginoenzym ist in einem sehr kritischen Bereich. Wenn du das, dem Doko Jacob sagst oder Rudi, dann bekomme ich wieder Stress, davon habe ich im Moment genug. Durch diesen verdammten Stress, ist dieser Wert ja so hoch. Ich kann es mir nicht leisten, noch mehr Stress zu haben. Dann falle ich irgendwann tot um. Bitte Doko, ich hab dich noch nie um etwas gebeten. Sage niemanden wie hoch der Wert ist, das gibt eine Katastrophe. Es hat schon gereicht, dass Doko Jacob, den Oberst wieder verrückt gemacht hat. Bitte Doko, sonst gebe ich dir kein Blut von mir", erklärte ich ihm kategorisch, sah aber Doko Karpo, dabei flehend an.

"Kahlyn, wie hoch ist den der Wert?", wollte er von mir wissen.

"Doko, er liegt im kritischen Bereich irgendwo zwischen einundsechzig und zweiundsechzig Prozent, genau kann ich dir das nur sagen, wenn ich eine Blutprobe von mir untersuche. Aber ich denke, er ist eher an die zweiundsechzig Prozent. Doko, ich habe einfach zu viel Stress im Moment. Nie vertraut mir jemand, keiner nimmt mich für voll. Das macht mich kaputt. Ich kann einfach nicht mehr."

Doko Karpo sah mich erschrocken an. "Ich denke ab fünfundvierzig Prozent ist dieses Enzym tödlich?", wollte er jetzt von mir wissen.

Genervt rieb ich mir das Genick. Ich musste unbedingt mit Doko Jacob reden. Es konnte nicht sein, dass er allen solche halbwahren Informationen gab. Also musste ich es noch einmal alles erklären. Ich konnte dieses Thema einfach nicht mehr hören. Ziemlich genervt antwortete ich Doko Karpo, der mich erschrocken ansah.

"Es stimmt nur bedingt, was der Doko Jacob, dir da erzählt hat. Weißt du, manchmal regt mich das richtig auf, dass er nie daran denkt, dass bei mir vieles anders ist. Immer bekomme ich dadurch Probleme und Stress. Was der Doko dir erzählt hat, stimmt bei den Anderen, aber bei mir liegen die Werte, um vieles höher als bei den Anderen. Da ich diese Ginobusanfälle, wesentlich häufiger hatte. Verstehst du?"

Doko Karpo nickte. "Wie hoch ist er bei dir? Oder besser gefragt, wo wird er bei dir gefährlich?"

Tief holte ich Luft. "Doko bitte, ich weiß, dass er gefährlich hoch ist, aber was soll ich denn machen. Hätte ich Detlef sterben lassen sollen?", stellte ich ihm eine Gegenfrage, statt ihm zu antworten.

"Kahlyn, sage mir bitte den Wert. Ich schimpfe nicht mit dir, werde auch keinen Stress machen, es bleibt unter uns. Du kannst mir vertrauen, das weißt du doch", völlig verunsichert sah er mich an.

"Doko, er wird lebensgefährlich wenn er über fünfundsechzig geht. Deshalb muss ich ja jetzt so aufpassen. Ich kann mir nicht noch einen Anfall leisten. Bitte Doko, verrate es Rudi nicht", flehentlich sah ich den erschrockenen Doko an.

"Was können wir machen, dass er runter geht, Kahlyn?"

Ich zuckte mit den Schultern. "Er geht von alleine wieder herunter. Wenig Stress, keine Aufregung und vor allem Vertrauen. Es ist nicht das erste Mal, dass er so weit oben ist. Ein paar Mal war er schon bei siebenundsechzig Prozent. Aber, dann geht es mir richtig beschissen, noch schlimmer als jetzt. Bis jetzt habe ich das immer wieder hinbekommen, wirklich Doko. Mach dir keine unnötigen Sorgen", lieb sah ich den Doko an und war ihn dankbar, dass er mir nicht wie alle anderen einen Vortrag hielt, ich sollte mehr auf meine Gesundheit achten.

"Kahlyn, ich habe bei den Forschungen die ich zurzeit mache, wegen der Notrationen, etwas heraus gefunden. Das Ginoenzym wird von einem Ligand beeinflusst. Als Ligand wird in der Biochemie ein Stoff bezeichnet, das weißt du bestimmt auch, der sich an ein Zielprotein binden kann, beispielsweise einen Rezeptor. Vielleicht könnte ich einmal untersuchen, ob das auch zur Senkung des Ginoenzyms in deinem Körper verwendbar ist. Ich teste das dann gleich mal aus. Kannst du mir vielleicht doch einige Blutproben von dir geben?"

Ich nickte und war heilfroh, statt Vorwürfen, endlich einmal aktive Hilfe angeboten zu bekommen. Dass es mir nicht gut ging, wusste ich selber. Die Schmerzen, die dieses Enzym bei der hohen Konzentration hervorriefen, waren selbst für mich nicht aushaltbar. Ich wollte nur, dass es endlich aufhörte. Diese Schmerzen machten mich wahnsinnig und verstärkten die Wut in mir, um ein vielfaches. Es war ein Kreislauf, aus dem ich nicht ausbrechen konnte. Erleichtert nahm ich das Angebot Karpos an, in der Hoffnung eine schnelle Lösung für mein Problem zu finden. In meinem Kopf ratterten einige Gedanken durcheinander. An den Überlegungen Karpos war etwas dran, was mich nicht mehr los ließ. Ich musste darüber einmal in Ruhe nachdenken.

"Dann komm, nehm dir so viel Blut wie du brauchst. Danke Doko, dass du mir keinen Stress machst. Ich würde dir gern helfen, Doko, aber ich bin einfach nur fertig. Möchte irgendwo schlafen, wo es warm ist. Wärme ist das einzige, was die Schmerzen erträglicher macht", forderte ich vom Doko und sah ihn ganz lieb an. Hielt meinen Arm hin, so dass er Blut abnehmen konnte.

"Danke Kahlyn, ich teste das gleich einmal aus. Auch, wenn es vielleicht nicht viel bringt, aber dieser Wert muss unbedingt runter", er streichelte mir besorgt das Gesicht.

"Sag Bescheid, wenn du noch einmal Blut brauchst. Ich bleibe in der Wache, es muss jemand Detlef ersetzen. Hier hab ich wenigstens keinen Stress", erkläre ich ihm erleichtert. "Obwohl, es wohl erst mit Rudi, welchen geben wird", traurig sah ich Doko Karpo an.

"Na ja, zusammen bekommen wir das schon hin", sagte er jetzt lachend zu mir und steckte die Blutproben einfach in die Kitteltasche. "Kahlyn, ich schicke dir dann eine Heizdecke herunter. Die legst du in dein Bett, die Wärme kannst du regulieren. So, hast du wenigstens etwas gegen die Schmerzen. Warum spritzt du dir eigentlich nicht das B32? Dann komm, bringen wir es hinter uns Kahlyn", sprach er entschlossen und drückte er mir die Brille in die Hand.

"Das hilft nicht gegen diese Schmerzen. Was ist eine Heizdecke? Danke, Doko."

Doko Karpo ging zum Lichtschalter. "Das wirst du dann gleich sehen, Kahlyn."

Schnell räumte ich den Koffer zusammen und wischte das Blut auf. Räumte die Sanistube wieder auf und folgte Doko Karpo hinaus in den Bereitschaftsraum. In dem Detlef lachend mit den anderen am Tisch saß. Doko Karpo dagegen, stand bei Rudi und Ronny, diskutierte heftig mit den Beiden.

Ich jedoch, erst einmal nur an Detlefs Wohlergehen interessiert, lief auf den Teamleiter des Delta-Teams zu. "Detlef, habe ich dir vorhin nicht deutlich genug gesagt, was ich von dir erwarte. Soll ich Doko wirklich anweisen, dass er dich in die Klinik bringt. Detlef, es ist ernst, auch wenn es dir im Moment besser geht. Es ist nicht damit zu scherzen. Ich habe nicht die Schmerzen der Verwandlung auf mich genommen, damit du mir jetzt noch stirbst. Ab nach Hause oder in die Klinik", bitterböse sah ich ihn an.

Seine Verletzung war an dem hohen Wert des Enzyms schuld. In der Zwischenverwandlung schoss der Wert des Enzyms schlagartig um fünfzehn Prozent nach oben. Ich hatte meine Gesundheit nicht riskiert, damit Detlef jetzt mit der seinigen spielte.

Erschrocken sah mich Detlef an. "Kahlyn, ich wollte nur noch auf dich warten, um die Teamübergabe zu regeln. Schimpfe doch nicht gleich mit mir. Ich war ganz brav und hab nur auf dem Stuhl gesessen. Stimmt's Jungs?", hilfesuchend sah er zu seinen Jungs.

Die nickten alle.

"Na gut, dann sei dir verziehen", teilte ich etwas beruhigter mit, versuchte ein Lächeln, das ganz schön misslang. Mir war nun mal nicht nach Lachen zu Mute. Jetzt lachten auch die Jungs und Detlef. "Also setzt euch, ich muss euch etwas Unschönes mitteilen", wandte ich mich an die Männer die sich hier im Raum aufhielten.

Schnell hatten sich alle, auch Rudi, an den Tisch gesetzt.

"Also hört zu, wir haben ein echtes Problem. Detlef hat es nun doch schlimmer erwischt, als wir am Anfang gedacht haben. Er wird für mindestens vierzehn Tage ausfallen. Wenn ihr damit einverstanden seid, würde ich in der Zeit seinen Platz einnehmen. Er könnte zwar in der Wache bleiben, ich denke allerdings, dass er sich wesentlich schneller zu Hause erholt. Wenn er sich denn, an meine Anweisungen hält. Was haltet ihr von meinem Vorschlag, dass ich die Lücke im Team auffülle? Arno übernimmt die Teamleitung und ich nehme Arnos Platz ein, so seid ihr wieder vollständig", fragend sah ich die Jungs an.

Alle schüttelten den Kopf, ich verstand es nicht. Als ich etwas sagen wollte, wurde ich unterbrochen von Detlef und Ronny.

"War…?"

"Kahlyn…", begann Ronny und Detlef fuhr fort.

"… höre mir mal zu. Du wirst, das ist mit Arno und Ronny abgesprochen, in der Zeit meiner Abwesenheit, das Team führen. Arno, ist der gleichen Meinung, dass du mich besser ersetzen kannst. Die Jungs sind einverstanden", verwundert blickte ich die Männer an.

Passy meldete sich das zweitemal in so kurzer Zeit zu Wort. "Kahlyn, du verstehst es nicht?"

Ich schüttelte den Kopf. "Nein Passy ich verstehe es nicht. Denn normalerweise übernimmt der Stellvertretende Teamleiter, die Führung des Teams, wenn der Teamleiter ausfällt. Das ist doch nicht anders bei euch, als bei uns."

Passy blickte mich lachend an. "Stimmt, normalerweise ist das bei uns auch so. Wir denken aber anders. Nach allem, was du für uns getan hast, wäre es interessant einmal zu sehen, wie du dein Team führst. So, wie du die letzten Tage durchgegriffen hast, denke ich, tut es unserem Sauhaufen einmal gut, etwas Disziplin zu lernen", ernst doch mit den Augen lachend, sah er mich an.

"Ich denke nicht, dass es gut ist Passy. Ich kenne euch nicht, weiß nicht wie ihr reagiert. Wenn ich ehrlich bin, kann ich im Moment keinen Stress gebrauchen. Ich fülle gern die Lücke auf, aber enormen Stress, das schaffe ich nicht wirklich. Dazu bin ich viel zu angeschlagen", traurig sah ich die Jungs an.

Auf der einen Seite würde es mich schon mal reizen. Eine komplette Teamübernahme kostete viel Kraft. Dies war aber etwas, dass ich im Moment nicht wirklich hatte.

Doko Karpo der sofort begriff, auf was ich hinaus wollte, griff zu meinem Glück gekonnt ein. "Leute bitte. Kahlyn läuft im Moment selber am Limit. Ihr wisst doch wie anstrengend eine komplette Teamübernahme ist. Kahlyn, sag einmal, was hältst du von folgendem Vorschlag, alle anfallenden Einsätze zu planen. Arno leitet das Team und du machst den Stellvertreter, stehst ihm einfach helfend zur Seite. Das wäre ein Teil der Leitung, vor allem weniger Stress. Weil du dich in vielen Sachen, auf Arno verlassen musst und kannst. Das wäre doch eine Alternative."

Ich nickte, damit war ich einverstanden. Dankend sah ich Doko Karpo an.

Rudi war auch dieser Meinung. "Ich denke Leute, das ist besser für die Kleene. So kann sie euch erst einmal, in Ruhe kennenlernen und hat nicht die komplette Verantwortung alleine."

So konnten wir es machen, alle waren einverstanden.

Arno, wollte aber noch etwas wissen. "Kahlyn, wenn ich nicht klar komme, hilfst du mir aber. Du musst wissen, Detlef ist noch nie ausgefallen. Ich musste das noch nie, alleine machen."

Beruhigend sah ich ihn an. "Arno, wir schaffen das schon, in vier Tagen ist dann auch Rudi da. Ronny ist doch zur Not auch noch hier. Also mach dir keine Sorgen, wir bekommen das schon hin", aufmunternd sah ich ihn an.

"Also Detlef, du fährst jetzt entweder in die Klinik oder nach Hause. Suche es dir aus. Doko kümmerst du dich, um einen Toni bitte. Wenn ich ehrlich bin, gebe ich jetzt die ersten Befehle. Ich habe eine Einsatzsperre, für die nächsten zwei Tage verordnet. Ich würde eins vorschlagen Ronny, dein Team, ab unter die Dusche und dann nach Hause. Unser Team ab in die Betten. Ich möchte keinen vor 13 Uhr hier im Bereitschaftsraum sehen. Dann kochst du etwas Leckeres zu Essen, Simon. So dass die Jungs wieder mit frischem Elan an die Sache gingen. Heute Nachmittag machen wir etwas Lauftraining. Oder, falls das Wetter einigermaßen ist, im Park zehn Runden Fobnekotar. Heute nach dem Abendessen machen wir die Einsatzauswertung, dann geht ihr alle beizeiten schlafen. Einverstanden?"

Ohne es zu merken, hatte ich die Teamführung übernommen, keiner sagte etwas, nur grinsten mich alle an.

"Geht klar Kahlyn, so machen wir es", meinte Raphi lachend.

Kaum hatte Raphi ausgesprochen, standen die ersten auf, die immer noch zerschlagen aussahen und gingen nach hinten. Doko Karpo hatte für Detlef in der Zwischenzeit einen Toni bestellt, der auch Rudi nach Hause brachte. Bevor Rudi fuhr, kam er noch einmal kurz zu mir.

"Kleene, bitte übernehme dich nicht. Lege dich auch noch einmal hin. Ich informiere vorn die Jungs, dass du die Teamleitung hast. Damit die Bescheid wissen, dass sie auf dich hören müssen."

Dankbar sah ich Rudi an, stellte mich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss.

 "Rudi, kümmerst du dich um Struppi? Bitte."

Der kleine Kerl tat mir am meisten leid, jetzt musste er wieder so lange auf mich warten, aber es half nichts. Das hier war ein Notfall. Detlefs Gesundheit ging einfach vor.

"Das mache ich meine Kleene. Denke dran, wenn du irgendwo Hilfe brauchst, rufe mich Tag und Nacht an. Bis Sonntag also."

"Ja, bis Sonntag dann. Sag den Runges einen lieben Gruß von mir", bat ich einfach einer inneren Eingebung folgend.

Sich immer wieder umdrehend, verließ sich Rudi traurig die Wache.

Arno sah mich fragend an. "Was ist Arno?", fragte ich ihn, weil ich nicht wusste, was er auf dem Herzen hatte.

"Kahlyn, wie machen wir das mit dem Einsatzbericht und den Akten die auf dem Schreibtisch liegen? Wenn ich ehrlich bin, hasse ich diesen Schreibkram", verlegen sah er mich an.

"Den Einsatzbericht kann Detlef zu Hause machen. Keine Ahnung, wie man das macht oder Rudi oder Ronny. Um das andere Schreibzeug, kümmere ich mich. Also ab ins Bett, damit du wieder wie ein Mensch denken kannst. Es ist jetzt noch nicht einmal 8 Uhr, du kannst dich also fünf Stunden im schnellen Schlaf erholen. Ab mit dir."

Wir liefen gerade nach hinten, als mich Felix rief. "Kahlyn, warte bitte, ich muss mit hinter an dein Bett", irritiert sah ich ihn an.

Fragte mich, was er mit mir am Bett wollte. Ich bekam einen ganz schönen Schreck. Dann sah ich, dass er eine große Rolle unter dem Arm trug und konnte mir denken, dass das mit seiner Frage zusammenhing. Musste über meine eigenen Gedanken, die mir erschrocken kamen, lachen.

"Was ist das?", wollte ich aus purer Neugierte wissen.

"Eine Heizdecke. Jens sagte, ich soll dir erklären wie die funktioniert", berichtete er mir.

"Was ist das denn?"

Jetzt lachte mich Felix an. "Das zeige ich dir gleich. Nimm die Rolle bitte mal mit nach hinten. Ich muss schnell runter zu Toni, eine Verlängerung holen."

Felix drückte mir die Rolle in die Hand und verschwand nach unten, in Richtung Asservatenkammer. Ich lief nach hinten an mein Bett, kaum war ich angekommen, stand Felix schon wieder hinter mir. Von der gegenüberliegenden Seite des Raumes legte er ein Kabel an der Wand entlang, zu meinem Bett. Zog das Bettlaken ab und legte die Rolle darauf. Es war eine Art Decke, verwundert sah ich ihm zu, nicht daran denkend, dass ich ihm ja helfen könnte. Ich war viel zu fasziniert, von dem was er da machte. Dann legte er das Bettlaken darüber und baute das Bett, schob es richtig an die Wand, so dass eine Art Schalter, zwischen Wand und Bettgestell festgeklemmt war.

"So meine kleine Freundin, nun lege dich bitte mal hin", bat er mich. Als ich lag setzte er sich auf das Bett. "Sieh einmal, Kahlyn, hier ist ein Drehschalter dran, da stehen Zahlen, eins bis fünf. Damit kannst du die Temperatur, der Decke einstellen. Die Eins ist ein bisschen warm die Fünf ist kochend heiß. Jens sagte aber, du sollst es lieber nicht zu hoch machen, sonst heizt es den Körper zu sehr auf. Maximal auf Stufe 3. Komm ich stelle es dir mal ein. Wenn du es ausmachen willst dann drehst du auf die Null."

Ich nickte und legte mich hin, aber auf den Rücken, weil ich nicht wusste was jetzt geschah. Ganz langsam, wurde es warm an meinem Rücken. "Ach tut das gut, danke Felix, auch an den Doko. Da lassen die Schmerzen, wenigstens etwas nach. Vielleicht, kann ich dann etwas besser schlafen", sofort rollte ich mich zusammen und zog meine Decke über mich. Nur zwei tiefe Atemzüge später, schlief ich tief und fest.  

"Guten Nacht Kleines", wünschte mir Felix noch.

Der junge Wachtmeister konnte nicht fassen wie ein Mensch in wenigen Sekunden so fest schlafen konnte. Vorsichtig streichelte er mein Gesicht. Regelte die Decke, aber lieber auf die Zwei herunter. Leise stand er auf und lief wieder nach vorn in die Wachstube. Dort erzählte er den Anderen, wie schnell und vor allem, wie ruhig ich eingeschlafen war. Nach nicht einmal drei Stunden, es war erst kurz vor 11 Uhr, kam Felix aus der Wachstube wieder nach hinten in den Schlafsaal. Leise, um die anderen nicht zu wecken, hockte er sich vor mein Bett.

"Kahlyn, wache bitte auf", zärtlich streichelte er mir über die Wange.

"Was ist los Felix? Ich habe doch gesagt, keine Einsätze in den nächsten beiden Tagen."

Felix flüsterte leise zu mir. "Keine Angst Kahlyn, es ist kein Einsatz. Vorn ist ein Generalmajor Hunsinger am Funk, der will dich unbedingt sprechen. Tut mir leid, ich hab ihn gesagt, dass ihr erst von einem schlimmen Einsatz zurück seid. Er möchte dich trotzdem sprechen."

"Ist schon gut Felix. Ich komme", müde erhob ich mich vom Bett und wollte los.

Felix hielt mich mit den Worten zurück. "Kahlyn du musst immer, wenn du aufstehst, die Heizdecke ausmachen. Sonst kann es passieren, dass es anfängt zu brennen."

Erschrocken sah ich Felix an. Griff sofort nach dem Schalter und drehte ihn auf die Null. "Danke Felix, da hab ich jetzt nicht dran gedacht."

Zusammen liefen wir nach vorn in die Wachstube. "Wie geht es dir denn, Kleines? Hat die Heizdecke etwas geholfen?", wollte Felix von mir wissen.

"Es geht so, mir ging es schon besser. Aber die Wärme von dieser Decke tat gut. Da sind die Schmerzen nicht ganz so schlimm. Hoffentlich, muss ich nicht zu einem Einsatz, das schaffe ich nicht", gab ich ihm besorgt zur Antwort.

Felix lächelte mir zu. "Dann sag es diesem Hunsinger doch. Man muss nicht immer alles machen, was die von einen wollen. Bei den anderen sagst du doch auch: "Stopp bis hier her und nicht weiter." Sag das bei dir doch auch einmal."

"Na ja Felix, da hast du schon Recht. Mir tun dann immer die Geiseln leid. Meistens holen die mich erst, wenn sie nicht mehr weiter wissen, bei einer Geiselnahme. Also gehe ich dann doch wieder auf Jagd. Na mal sehen, was er will."

Tief Luft holend öffnete ich die Tür zur Wachstube und sah mich fragend um. Felix winkte mir zu mitzukommen und holte mich an den Funk.

"Felix, bitte stelle den Funk auf die leiseste Stufe."

Der Kollege sah mich völlig irritiert an.

"Felix, ich höre um vieles besser als ihr, mir tun diese Rückkopplungen in den Ohren weh. Bitte, mache es einfach."

Sofort drehte Felix an den Lautstärkeregler und regelte ihn auf die kleinste Lautstärke, die sich einstellen ließ.

"Danke, Felix."

"Sir", wandte dann meine Aufmerksamkeit dem Funk zu. "Leutnant Kahlyn am Funk, Genosse Generalmajor, was ist passiert, Sir?", erkundigte ich mich gleich, um was es ging.

"Leutnant Kahlyn, schön dass ich sie erreiche. Können wir uns in zwei Stunden, irgendwo in Gera treffen? Ich bin zurzeit in Erfurt und fliege in den nächsten Minuten hier los. Es wäre wichtig, ich möchte mit ihnen etwas besprechen", verwundert sah ich Felix an.

Es war ungewohnt, dass ein Vorgesetzter sich mir gegenüber auf diese Weise äußert.

"Sir, natürlich können wir das machen, Sir. Was ist denn los, ist etwas passiert, Sir. Kommen sie einfach in die Wache vom SEK 61, ich kann hier leider nicht weg, Sir. Ich bin im Dienst, habe die Teamleitung vom Deltateam übernommen, Sir. Da der Teamleiter beim letzten Einsatz schwer verletzt wurde, Sir. Bitte der Pilot, soll einfach zehn Minuten vor der Landung in Leumnitz Bescheid geben, Sir. Dann schicken wir ihnen einen Toni, Sir. Der sie auf den Flugplatz abholt, Sir. Wir können uns in der Wache unterhalten, Sir", machte ich ihm den Vorschlag hier herzukommen und das Gespräch hier zu führen.

"In Ordnung Leutnant Kahlyn. Wir reden dann, bis in circa zwei Stunden. Geben sie mir den Funker noch einmal bitte."

"Sir, ja das mache ich, kleinen Moment bitte, Sir. Der Funker muss erst die Lautstärke wieder neu einstellen, bis später, Sir."

Im gleichen Zug setzte ich den Kopfhörer ab und war froh das Teil los zu sein. Der Generalmajor hatte sehr in das Mikro geschrien. So wie viele es unbewusst machten. Da taten meinen Ohren dann immer weh, also rieb ich mir die Ohren, während ich zum Funker sagte.

"Felix, der Generalmajor will dich nochmal sprechen. Denke dran, du musst die Lautstärke wieder hoch drehen. Ich lege mich nochmal hin. Bis später."

Müde ging ich nach hinten und legte mich wieder hin. Mit meiner Ruhe allerdings war es vorbei. Immer wieder drehten sich meine Gedanken im Kreis, ich hatte keine Ahnung, was Hunsinger von mir wollte. Nach zehn Minuten stand ich wieder auf und lief nach vorn, um zu Duschen. Im Anschluss nahm ich mir im Büro eine Akte, die auf den Schreibtisch lag und einen Kaffee. Es war eine Statistik über die in den Einsatz verbrauchten Materialien. Wie oft, hatte ich solche Statistiken schon gemacht? Wie oft hatte ich mich über diesen Unsinn aufgeregt? Man konnte nie vorhersagen, was man im nächsten Einsatz brauchen würde. Ich empfand diese Arbeiten immer wieder, als heraus geschmissene Zeit. Die man mit anderen Sachen sinnvoller einsetzen konnte. Diese Bürokraten, wollten es immer genau wissen. Ich fragte mich immer öfter, was sie davon hatten. Nach nur dreißig Minuten war ich mit der Statistik fertig und stand auf legte sie auf das Regal mit dem Schildchen Post. Im Anschluss griff ich nach oben, über das Ablageregal und stellte fest, dass die Kaffeemaschine leer war, also bestückte ich sie und stellte sie an. Ein Duft von frisch gekochten Kaffee machte sich im Büro breit, ich nutzte die Zeit bis die Maschine durchgelaufen war und lief nach vorn in die Dusche, wusch mir kalt das Gesicht. Ich war hundemüde, eigentlich hätte ich mich liebend gern noch einmal hingelegt. Aber die Sache mit Hunsinger ließ mir keine Ruhe Es war vergebliche Mühe, mit schlafen brauchte ich es gar nicht zu versuchen, wenn ich so am Grübeln war. Zurück im Büro, nahm ich mir einen Kaffee und gleichzeitig die nächste Statistik vor.

Es war noch nicht einmal 12 Uhr, so konnte ich mir noch eine der liegen geblieben Sachen vornehmen. Eine etwas kompliziertere Angelegenheit, es ging um Verletzungsstatistiken. Dem, warum und weshalb, wie man sie hätte verhindern können. Ich musste mir die Unterlagen dazu, aus den einzelnen Akten heraus ziehen. Auch diese Sache war in einer Stunde erledigt und in der Post. Es wurde langsam unruhig, draußen auf den Gang.

Arno steckte seinen Kopf ins Büro und kam dann herein, er hatte mich gesucht. "Ach hier bist du, Kleines. Seit wann bist du denn schon auf, Kahlyn und wieso arbeitest du denn schon", wollte er von mir wissen.

"Arno, Generalmajor Hunsinger hat mich wecken lassen. Bitte sorge dafür, dass die Jungs vernünftig herumlaufen. Vor allem, dass alles pikobello in Ordnung ist. Ich will mir nur die eine Akte hier noch vornehmen, damit ich diesen Schreibkram weg bekomme", erklärte ich zu ihm verlegen.

Arno nickte und führte meine Bitte ohne Diskussion aus. Schon hörte ich wie er unsere Kollegen anwies, sich ordnungsgemäß zu kleiden und vor allem überall tadellose Ordnung zu schaffen. Sonst ging es hier auf der Wache eher locker zu, solange wir nicht vorn in den Publikumsbereich mussten. Es spielte keine Rolle, ob sie die Overalls nun zu hatten oder nicht. Rudi erklärte mir einmal, als ich ihn darauf ansprach, dass ihm nicht das wichtig wäre. Schließlich müssten die Kollegen hier drei Wochen am Stück ausharren und zu Hause, würde man ja auch nicht vierundzwanzig Stunden am Tag wie aus dem Ei gepellt herum laufen. Viel mehr läge ihm an Disziplin und dass man sich auf jeden Einzelnen verlassen konnte.

Man musste ehrlich zugeben, diszipliniert waren die Männer vom SEK 61 wirklich. Jeder kannte seine Grenzen und auch, wenn Raphi gern einmal darüber hinausschoss, überschritt er bestimmte Grenzen nie. Meistens passierte dies aus seinem Temperament heraus, hatte aber nichts mit Ungehorsam zu tun. Es war schon eine tolle Truppe, in die ich da geraden war, ging es mir durch den Kopf. Unwillkürlich musste ich grinsen. Sie waren anders als mein altes Team, aber wirklich spitze. Meine größte Angst war immer, dass sie sich nur verstellten und sie irgendwann ihr wahres Gesicht zeigen würden.

Ich holte meine Gedanken zurück ins Büro, es war sinnlos über Eventualitäten nachzudenken, ich wand mich wieder meiner Arbeit zu. Damit ich hier endlich einmal etwas Luft bekam, ich fand es furchtbar, so viele unerledigte Akten auf den Tisch zu haben. So etwas gab es bei mir nie, aber wir waren auch viele die sich um diese Dinge kümmerten. Es war nie alleine an mir hängen geblieben. Ich würde hier einiges umstellen, aber das müsste ich mit den Teamleitern besprechen, alleine konnte und wollte ich dies nicht entscheiden. So hätten auch die Teamleiter immer mal etwas Luft, um sich hier zu erholen. Etwas, dass die Teamführung hier nie hatte, Erholungsphase kannten nur die Teams selber.

Mir war klar, dass Arno froh war, dass ich diese Büroarbeit machte. Ich wusste wie sehr die meisten Leute das alles hassten. Auch, wenn ich das nur bedingt verstehen konnte. Klar, bei uns ging das wesentlich schneller, wir arbeiteten halt effektiver, dadurch, dass wir schneller lesen konnten. Aber egal, mit wem ich es bis jetzt zu tun bekam, alle hassten sie diese Arbeiten. Mir dagegen machte sie Spaß, es hat einmal nichts mit Kampf zu tun. Es war etwas, das Abwechslung in unseren Alltag brachte, der ja nur aus Kampf bestand. Vielleicht lag es daran, dass ich diese Schreibarbeiten so gerne mochte. Es war kurz nach dreiviertel Eins, als Arno wieder den Kopf in das Büro steckte.

"Kahlyn, das Essen ist fertig, kommst du bitte vor und Simon möchte wissen, wie viel Brei er dir machen soll."

Ich nickte, wollte aber noch diese Sache zu Ende machen. "Arno, ich brauch noch ungefähr fünf Minuten und komme gleich vor. Fangt schon mal an. Ich will das erst fertig machen."

Die Frage nach dem Brei hatte ich gar nicht registriert. Arno schüttelte mit dem Kopf und kam noch doch ganz in das Büro.

"Kahlyn, das hat doch Zeit. Sag mal wie machst du das nur? Der Berg ist schon viel kleiner geworden", erstaunt sah er, dass schon zwei Ordner in der Post lagen und ich den dritten Ordner auch gleich durchgearbeitet hatte.

"Arno bitte, ich will das schnell noch fertig machen, gebe mir einfach noch fünf Minuten, dann hab ich das Teil vom Tisch."

Arno nickte und verließ kopfschüttelnd den Raum, ging vor zu den anderen und drängte mich nicht mehr. Schnell schrieb ich die letzten Sätze der Auswertung, noch auf die Rückseite des letzten Blattes im Ordner und legte nach nur drei Minuten den Ordner in die Postablage. Folgte Arno nach vorn zu den anderen, die schon am Tisch saßen und mitten beim Essen waren. Kaum, dass ich mich auf den noch freien Stuhl von Detlef gesetzt hatte, um nicht abseits vom Team zu sitzen, sah mich Simon fragend an.

"Na Cheffe, was willst du essen?", fragte er mich lachend.

Verwundert blickte ich ihn an. "Wieso Cheffe? Ich bin nicht euer Cheffe, ich bin immer noch Kahlyn", stellte ich fest.

Simon war anderer Meinung. "Nein du sitzt auf Detlefs Stuhl, also bist du jetzt unser Cheffe. Aber Spaß beiseite, wie viel Brei soll ich dir machen?"

Wieder einmal schüttelte ich den Kopf. "Gar nichts Simon, aber ein Kaffee wäre schön", als ich die verwirrten Blicke des Teams sah, fügte ich noch hinzu. "Seht mich nicht so an. Ich habe die letzten Tage so viel gegessen, ich habe wirklich keinen Hunger. Außerdem ist das nicht besonders gut für mich im Moment, aber es war notwendig. Da dieses Ginoenzym bei mir so hoch ist, muss ich sehr aufpassen. Bitte ich möchte keine Diskussion haben. Akzeptiert das einfach wie es ist, bitte", ernst sah ich die Jungs an, die schon wieder besorgt guckten. "Es ist nichts, wirklich nicht, bitte. Erstens habe ich überhaupt keinen Hunger. Denn ich habe über eine Million Kalorien, in den letzten Tagen zu mir genommen. Zum Zweiten muss ich wirklich aufpassen, dass ich mit dem Enzym nicht noch höher komme. Es lässt sich doch nicht ändern. Bei uns ist das nun mal so, wie es ist. Glaubt mir sonst würde ich gern etwas essen. Immer zugucken macht nämlich, auch nicht wirklich glücklich. Also lasst es euch schmecken", erklärte ich lachend. Schon bekam ich einen großen Pot Kaffee, den ich genüsslich trank. Lehnte mich auf den Stuhl zurück und zog meine Füße auf den Sitz, so wie ich es oft machte. Beobachtete die Jungs beim Essen. Die ließen es sich schmecken. Viel erholter sahen sie aus, stellte ich zu meiner Erleichterung fest.

"Wie geht es euch denn eigentlich?", fragte ich in die Runde.

"Gut", kam es von allen Seiten. Ich glaubte es den Jungs auch, alle griffen richtig und vor allem mit Appetit zu. Das Essen in Augustow war halt alles nur provisorisch. Richtig kochen konnte man dort nicht, um einen Feldküche aufzubauen, war einfach die Zeit zu kurz und der Einsatz nicht lang genug gewesen. Also gab es die ganze Zeit nur Schnitten, eine warme Mahlzeit ist aber halt wichtig. Intensiv beobachtete ich, über den Rand meiner Tasse, die am Tisch sitzenden Männer. Sie schienen Augustow viel besser verkraftet zu haben, als Himmelpfort. Darüber war ich sehr froh. Keiner der am Tisch sitzenden machte den Eindruck, dass er psychisch instabil war, bedrückt oder durcheinander. Also würde ich das Thema erst einmal meiden.

In dem Moment als mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, öffnete sich die Tür zum Flur. Einer der Wachtmeister brachte Hunsinger zu uns in den Bereitschaftsraum.

 

"Guten Tag die Herren, guten Tag Kahlyn", grüßte Hunsinger freundlich.

Ich stand auf und lief auf ihn zu. Gewohnheitsgemäß salutierte ich vor dem hochrangigen Offizier. Etwas, das ich wohl so schnell nicht ablegen würde. "Guten Tag, Genosse Generalmajor. Herzlich Willkommen auf der Wache 61 in Gera, Sir. Nehmen sie Platz, Sir", begrüßte ich ihn offen.

An Simon gewandt. "Simon, hast du für unseren Gast, noch etwas zu Essen", lud Hunsinger sogleich zum Essen ein.

Hunsinger jedoch wünschte sofort mit mir reden. Ich wollte davon aber nichts wissen.

"Genosse Generalmajor, erst essen sie etwas, dann reden wir, Sir. Soviel Zeit muss sein, Sir", wies ich ihn, in einen keinen Widerspruch zulassenden Ton darauf hin, dass auch er etwas essen sollte.

Hunsinger setzte sich und nahm den angebotenen Teller entgegen. Er schien sehr hungrig zu sein und ließ es sich richtig schmecken.

"Ein Lob an den Koch, so gut habe ich lange nicht gegessen", wandte er sich zu Simon, der das Kompliment dankend entgegen nahm.

"Sir, man sagte mir, wir haben die besten Köche in unserer Einheit, Sir", gab ich zum Erstaunen der Jungs Kontra.

Die es nicht gewohnt waren, so etwas von mir zuhören. Ab und zu, kam es schon einmal vor, dass ich so einen lockeren Spruch von mir ließ. Hunsinger sah verwundert zu mir und lächelte mich allerdings an. Nach den Essen, wurde Kaffee verteilt. Hunsinger erhob sich und wollte jetzt mit mir sprechen

"Also jetzt erst einmal zu dem Hauptgrund meines Hierseins. Leutnant Kahlyn, ich habe mit ihnen etwas Wichtiges zu regeln. Kommen sie einmal zu mir. Ich habe heute eine angenehme Aufgabe zu erfüllen, die schon lange überfällig ist."

Ich stand verwundert auf und machte einige Schritte auf ihn zu. Wusste allerdings nicht so richtig, wie ich mich verhalten sollte.

"Leutnant Kahlyn, es ist nichts Schlimmes. Auch tut es überhaupt nicht weh. Die letzten vier Wochen, habe ich mich sehr intensiv, mit dem Dalinow Projekt auseinandergesetzt. Konkreter gesagt, seit dem Vorfall in Himmelpfort. Leider habe feststellen müssen, dass man sie und ihre Leute, mehr als nur einmal betrogen hat. Ich finde, dass alle aus dem Team 98, seit Jahren eine Beförderung verdient haben. Außerdem, habe ich eine interne Untersuchung durch die Dienstaufsicht angeordnet, in der geprüft werden wird, was aus euren Verdiensten geworden ist. Es gibt nirgends Konten, die auf eure Namen laufen. Um erst einmal ein wenige Gerechtigkeit zu schaffen, bin ich seit einigen Tagen unterwegs, um wenigstens die euch schon lange zustehenden Beförderungen durchzuführen. Nur bei ihnen und Rashida war ich noch nicht, die anderen konnte ich alle erreichen. Ich mache das selbst, da ich der Meinung bin, dass ihr euch das nach dem, was ich gelesen habe, schon sehr lange verdient hattet."

Die Kollegen nickten zu den Worten Hunsinger. In meinem Bauch machte sich allerding ein sehr unschönes Gefühl breit. Ein Gefühl, welches ich schon allzu oft hatte, wenn es um Beförderungen ging.

"Sie Leutnant Kahlyn, haben sich die Beförderung doppelt und dreifach verdient. Deshalb haben wir sehr lange in der obersten Leitungsebene darüber diskutiert. Wie man ihnen einmal zeigen kann, dass sie immer gute Arbeit geleistet haben. Wir sind alle überein gekommen, dass alle Mitglieder ihres alten Teams, eine Beförderung zum Oberleutnant verdient haben. Sie jedoch, die stets bei allen Einsätzen die volle Verantwortung trugen und stets die Einsatzleitung inne hatten und das seit über dreizehn Jahren, sollten mehr belobigt werden, als ihre Teamkameraden. Deshalb beschlossen wir einstimmig, sie zum Major zu befördern. Dass diese Beförderung nach sechszehn Dienstjahren und den vielen überragend durchgeführten Einsätzen, schon lange überfällig ist, habe ich erst durch das Studium der Unterlagen des "Projektes Dalinow" begriffen."

Der Generalmajor drehte sich kurz um und griff in seinen Aktenkoffer, den er neben seinen Stuhl abgestellt hatte und öffnete ihn. Entnahm diesen Koffer eine Mappe und eine Schachtel. Aus der Schachtel holte er die Schulterklappen hervor, die liebevoll zu Recht gemacht wurden. Ich stand sprachlos vor der Mannschaft und atmete tief durch. Wusste nicht so recht, was ich davon halten und vor allem, wie ich mich verhalten sollte.

Unsere letzte Beförderung war dreizehn Jahre her. Wir bekamen sie Jahre nach Abschluss, unseres Offiziersstudiums. Die Beförderung zum Major, übersprang zwei komplette Dienstgrade, dem des Oberleutnants und des Hauptmanns. Es war ungewöhnlich, dass das gemacht wurde. Alle, in mir vorhandenen Alarmglocken begannen in meinem Kopf zu läuten. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass da nicht noch etwas hinter herkam. Nur so aus lauter Freundlichkeit, beförderte man mich nicht so hoch.

Als Hunsinger mir die Schulterstücke anheften wollte, trat ich einen Schritt zurück. Bevor ich diese Beförderung annahm, wollte ich wissen, was los war. Sonst konnte er sich diese Beförderung hinstecken, wo die Sonne niemals schien. Meine Teamkameraden waren vielleicht so leichtgläubig, ich jedoch nicht. Nicht nach alle den Jahren, in denen man uns stets wie Dreck behandelt hatte.

Hunsinger war entsetzt über mein Verhalten noch niemals war ihm so etwas untergekommen. Jeder wirklich jeder hatte seine Beförderungen mit Freude entgegen genommen.

"Was ist Leutnant Kahlyn, wollen sie die Beförderung nicht annehmen?", erkundigte sich Hunsinger verwundert.

"Sir, entschuldigen sie mein ungebührliches Benehmen und auch meine Verwunderung, Sir. Ich bin jetzt seit dreizehn Jahren Leutnant. Ich verstehe nicht, wieso ich auf einmal nach all den vielen Kämpfen, befördert werden soll, Sir. Es werden zwei Beförderungsstufen übersprungen, das ist mehr als ungewöhnlich, Sir. Entschuldigen sie die Vermutung, dass da mehr dahinter steckt, Sir. Sagen sie mir einfach, was sie von mir wollen, Sir. Dann entscheide ich, ob ich die Beförderung annehme kann, Sir", warf ich ihn mein Misstrauen unverblümt an den Kopf und äußerte meine Vermutung, dass hinter dieser Beförderung mehr stecken könnte, als er mir weiß machen wollte.

Die Jungs, die sich für mich gefreut hatten, sahen mich verwundert an. Keiner von ihnen konnte meine Reaktion wirklich verstehen, wie denn auch. Sie wussten kaum etwas aus meinem bisherigen Leben. Sie wussten nicht, wie ich über Jahre dafür kämpfen musste, dass alle bei uns den Rang eines Leutnants bekamen. Obwohl er uns laute Prüfung schon lange zugestanden hatte. Ich war vorsichtig geworden, bei solchen Dingen. Uns wurde in unserem Leben noch nie irgendetwas geschenkt.

"Warum sind sie so misstrauisch, Leutnant Kahlyn?", wollte Hunsinger wissen.

"Sir, entschuldigen sie bitte, Sir. Aber um den Rang eines Leutnants, musste ich für meine Leute und mich zwei Jahre lang verdammt hart kämpfen und wurde nicht nur einmal deswegen bestraft, Sir. Obwohl wir seit dreizehn Jahren das Offizierspatent dafür in der Tasche haben, dürfen wir erst seit elf Jahren offiziell den Rang eines Leutnants tragen, Sir. Glauben sie etwa, dass ich mir jetzt vorstellen kann, Sir, nach so vielen Jahren des Kampfes, auf einmal den Rang eines Majors nur so ohne Gegenleistung geschenkt zu bekommen, Sir? Man hat uns in unserem Leben noch nie etwas geschenkt, Sir. Da läuten bei mir alle, wirklich alle Alarmglocken, Sir. Sagen sie einfach, was sie im Gegenzug dafür von mir verlangen, Sir. Dann sage ich ihnen, ob ich die Beförderung annehme werde, Sir", erklärte ich in einem ruhigen und sachlichen Ton.

Sah Hunsinger dabei offen, aber auch sehr ernst an. Der Generalmajor war schockiert über meine Offenheit, wusste im ersten Moment gar nicht, was er darauf sagen sollte. Er starrte mich daraufhin sprachlos einige Minuten lang an. Es war ruhig immer Raum geworden. So ruhig, dass man das Fallen eines Blattes als Donnerschlag vernommen hätte, wäre es auf den Boden aufgeschlagen.

"Leutnant Kahlyn, diese Beförderungen, haben sie sich mehr als nur einmal verdient. Auch, wenn ich ein Anliegen an sie habe, hat das nichts mit der Beförderung zu tun", verriet sich Hunsinger selbst.  

Mein Gefühl hatte mich also nicht getäuscht, es hing an der Beförderung eine sogenannte Bitte. Ich schüttelte wütend den Kopf. Die nichts mit der Wut der Ginos zu tun hatte, sondern mit der Behandlung, die wir all die Jahre bekamen. Wieder wollte man uns nur benutzen. Der Doko hatte doch Unrecht, mit seiner Behauptung, dass wir irgendwann als Menschen behandelt werden würden. Das würde niemals geschehen. Wir waren immer noch das Eigentum dieser Leute und würden niemals frei sein. Wenn ich diese Beförderung annahm, wäre das als verkaufte ich meine und die Seelen meiner Kameraden. Das wurde mir mit einem Schlag klar. Wenn ich erreichen wollte, dass wir freigelassen wurden und dass wir die gleichen Rechte bekamen wie andere Polizeibeamten, musste ich Hunsinger die Stirn bieten. Wenn wir wie Menschen behandelt werden wollten, dann musste ich diese Beförderung ausschlagen.

"Sir, egal, was sie mir jetzt sagen, Sir. Es wird an der Tatsache nichts ändern, dass das der Grund für die Beförderung ist, Sir, dass ich irgendetwas dafür tun muss, Sir. Wenn ich das dann nicht tue, wird man mir das wieder jahrelang vorwerfen, Sir. Ich habe nicht nur eine Beförderung aus eben diesen Gründen abgelehnt, das können sie in meinen internen Akten einsehen, Sir. Ich lasse mich nicht mit Beförderungen bestechen, Sir. Was denken sie, wieso ich nach all den Jahren der Teamleitung immer noch Leutnant bin, Sir. Sie wissen besser als alle anderen, dass ich schon sechs Beförderungen, gerade deshalb abgelehnt habe, Sir. Entweder man befördert mich, weil ich es verdient habe oder mit Verlaub, man steckt sich die Beförderung dorthin, wo keine Sonne scheint, Sir", mühsam zwang ich mich ruhig und freundlich mit dem Generalmajor zu sprechen.

Mit schiefgehaltenen Kopf, sah ich Hunsinger an. Der wusste ganz genau, von was ich sprach, das sah ich an seinen Augen. Die Jungs jedoch waren fassungslos darüber, wie ich mit meinen Vorgesetzten sprach. Dachten sie die ganze Zeit, dass ich nur im höchsten Respekt zu meinem Vorgesetzten aufschaute und stets machen würde, was man mir befahl. Die Jungs kannten mich noch lange nicht. Sie wussten nichts von den vielen und teilweise richtig heftigen Auseinandersetzungen, die ich mit meinen Vorgesetzen im Laufe der Jahre hatte. Wenn es darum ging, mein Team zu schützen, spielte es keine Rolle, wie hoch ein Offizier im Rang über mir stand. Es war mir dann egal, welche Strafe ich bekam. Genau das war im Moment der Fall. Ich vermutete, dass man meinem Team an die Wäsche wollte und darauf reagierte ich sehr heftig.

"Leutnant Kahlyn, egal ob sie zu meinem Anliegen ja oder nein sagen, diese Beförderung steht ihnen schon lange zu. Es ist eine Anerkennung, für ihre guten Leistungen, die sie über Jahre hinweg, mit ihrem Team 98 geleistet haben. Dass ich diese Beförderung jetzt durchführe und mit einem Anliegen zu ihnen komme, hat nichts miteinander zu tun. Das liegt nur daran, dass Gera, ja nun mal nicht gleich um die Ecke liegt. Ich mir so Zeit ersparen wollte. Verstehen sie das richtig."

Ich schüttelte wütend den Kopf. "Sir, mit Verlaub, Sir. Ich lehne die Beförderung jetzt ein siebentes Mal ab, Sir. Mir ist es egal, ob sie mir erzählen, Sir, es würde nicht mit ihren eigentlichen Wunsch zusammenhängen, Sir. Ich bin nicht so leichtgläubig wie die anderen Mitglieder meines Teams, Sir", offen sah ich ihn an. Nahm die Hände auf den Rücken, so wie ich es gelernt hatte. Ich war nicht gewillt, mich zu befördern zu lassen. "Wenn sie die Beförderung wirklich wollen, Sir. Dann können sie diese, auch in einigen Wochen noch durchführen, über den offiziellen Dienstweg, Sir. Wenn sie kein Anliegen an mich haben, Sir. Sollte ich aber herausbekommen, dass sie meine alten Teamkameraden, mit ebendieser Beförderung in irgendetwas hineinziehen, Sir. Dann lernen sie eine völlig neue und ihnen völlig unbekannte Kahlyn kennen, Sir. Ich werde nicht zulassen, dass sie die Gutgläubigkeit meiner alten Teamkameraden, auf diese Weise ausnutzen, Sir", mit jedem Wort, fiel es mir schwerer ruhig und höfflich zu sprechen.

Eine unsagbare Wut kam in mir hoch. Die ganze alte Wut, auf den Oberstleutnant und seinen Stab, der uns immer benutzt hatte, um selber gut dazu stehen. Hunsinger konnte nicht fassen, was hier passierte. Bei seiner gesamten Planung dieser Rundreise, hätte er sich diesen Ausgang, nicht vorstellen können. Obwohl ihm der Teamleiter des SEK 1, Oberst Fleischer, eben davor gewarnt hatte. Fleischer wusste genau, dass ich so reagieren würde. Hunsinger sah hilfesuchend zu meinen Teamkollegen, in der Hoffnung dass jemand ihm beistand. Diese sahen ihn, genauso böse an wie ich. Alle dachten, dass diese Beförderung die mir jeder gönnte, ohne Hintergedanken durchgeführt wurde. Jetzt konnten sie meine Reaktion verstehen, sie würden ähnlich reagieren.

Hunsinger legte die Schulterstücken zurück in die Schachtel und stellte diese, auf die Mappe mit der offiziellen Beförderung. Hunsinger musste sich hinsetzten. Er stützte seinen Kopf auf die Hände und musste einige Minuten nachdenken. So kompliziert, hatte er sich das nicht vorgestellt. Ihm schwante nichts Gutes, dann würde meine Reaktion auf seine Bitte, wohl auch eine ganz andere sein, als die welche er sich ausgemalt hatte. Kurze Zeit später, hob er den Kopf und sah mich lange und offen an.

"In Ordnung, Leutnant Kahlyn. Oberst Fleischer von der Soko Tiranus, mit dem ich vor ein paar Tagen besprochen habe, hatte mich gerade vor dieser Reaktion, von ihnen gewarnt. Also kommen sie, wollen wir erst über mein Anliegen sprechen. Gibt es hier ein Büro, in dem wir in Ruhe reden können?", fragend sah er mich an.

Wieder schüttelte ich den Kopf. "Sir, sie sagten doch gerade, dass sie meine Akte gelesen haben, Sir. Wenn sie die Akte selber richtig gelesen haben und nicht nur überflogen haben oder einen ihrer Untergebenen zu lesen gegeben haben, Sir. Wenn sie mich aus den Akten, auch nur ein wenig kennen, Sir. Dann ist ihnen auch meine Art der Teamführung bekannt, Sir. Bei mir wird generell alles, im und vor dem Team besprochen, Sir. Bei mir gibt es keine Geheimniskrämerei, Sir. Egal ob es mittelbar oder unmittelbar das Team betrifft, Sir. Da ich seit zwei Monaten zum SEK 61 gehöre, bin ich Mitglied dieser Teams, Sir. Also betrifft alles, was mich betrifft, auch mittelbar alle im Team, Sir. Wenn ihnen das nicht gefällt, Sir. Können sie auch gern gehen, mir ihre Anfrage schriftlich zukommen lassen, Sir", ging ich jetzt massiv gegen Hunsinger vor.

Seine Art ging mir tüchtig auf die Nerven, das nicht erst seit heute. Ich mochte diese Geheimnistuerei, überhaupt nicht. Alles, was man bereden musste, konnte vor dem Team besprochen werden, war meine Meinung. Das war schon immer meine persönliche Art der Teamführung. Es gab nur ganz wenige Sachen, die ich nicht vor dem gesamten Team besprechen würde. Dazu gehörten, massive Disziplinverstöße einzelner Mitglieder meines Teams und Diskussionen über Todesfälle, an denen jemand aus meinem Team die Schuld trug. Nur diese beiden Ausnahmen ließ ich zu. So würde ich es auch hier im SEK 61 halten. Ich war zurzeit Teamleiter und hatte hier auf der Wache, auch ranghöheren Offizieren gegenüber, ein Mitspracherecht. So sagte ich es auch Hunsinger, der völlig durcheinander dasaß und nicht wusste, was er von dieser Situation halten sollte. So etwas, wurde noch nie von ihm verlangt. Er begriff einfach nicht, was ich von ihm wollte. Deshalb erklärte ich es ihm noch einmal.

"Genosse Generalmajor, ich handhabe es in meinen Teams, immer auf die gleiche Weise, Sir. Alles, was sie mir zu sagen haben, geht mein Team genauso an, Sir. Deshalb egal, was sie mit mir zu besprechen haben, Sir, werden wir hier vor versammelter Mannschaft klären, Sir. Sie wissen Genossen Generalmajor, dass ich im Moment hier das Sagen habe, Sir. Sie sind hier auf meiner Wache, auf der ich als Teamleiter die Befehlsgewalt habe, Sir. Hier spielen wir nach meinen Regeln, nicht nach den Irrigen, Sir", sagte ich in einem, für das Team, aber auch für Hunsinger ungewohnten Ton, der keinen Widerspruch zuließ.

"Ich denke Kahlyn, dass wir das erst einmal unter vier Augen besprechen sollten."

Ich holte tief Luft und zwang mich ruhig und freundlich zu sprechen. "Sir, egal, was sie mit mir zu bereden haben, es wird hier besprochen, Sir. Das ist mein letztes Wort, Sir. Das habe ich sogar beim Oberstleutnant durchgesetzt und dieser Mensch, war schwer von etwas zu überzeugen, Sir. Er hat mich dafür, mehr als nur einmal schwer bestraft, Sir. Von mir aus degradieren sie mich zum Unterwachtmeister, Sir. Nur wird sich nichts daran ändern, Sir. Alles, was mich betrifft, betrifft mittelbar auch mein Team und deshalb haben sie das gleiche Recht, alle Informationen zu bekommen wie ich, Sir. Sie haben das gleiche Mitspracherecht, Sir", widerspreche ich ihm ernst.

Da ergab sich Hunsinger und nickte, weil er mitbekam, dass ich von meiner Meinung nicht abzubringen war. "Da muss ich jetzt wohl durch. Also höre zu Kahlyn. Ich muss heute mit dir reden, weil ich den Auftrag habe, das Team 98 neu aufzubauen. Es war ein Fehler dieses Team aufzulösen. Das haben wir schon nach einem Monat gemerkt. Die Nachfrage nach diesem Team, ist so groß, dass wir es einfach wieder brauchen", kam Hunsinger sofort auf den Punkt.

Ich schüttelte den Kopf. "Sir, ich werde die Todesschwadron nicht wieder aufbauen, Sir", erklärte ich Hunsinger sofort.

"Kahlyn, du musst das Team wieder aufbauen, es geht nicht anders. Wir wissen nicht, wie wir diese Einsätze, ohne dieses Team erledigen sollen", ernst, aber auch verzweifelt, sah er mich an.

"Sir, wie soll ich das denn machen, Sir. Sie und der Oberstleutnant, haben das Team einfach auseinander gerissen, ohne uns ein Mitspracherecht einzuräumen, Sir. Jetzt, wollen sie es wieder, Sir?"

Hunsinger nickte.

"Sir, meine Leute sind seit zwei Monaten in anderen Teams, Sir. Sie haben sich gerade an die neue Situation und an ihr neues Leben gewöhnt, Sir. Ich soll sie jetzt alle wieder dort herausreißen, zurück in die Todesschwadron schicken, Sir? Das kann ich nicht und das werde ich nicht machen, Sir", bitterböse sah ich ihn an.

Er verlangte von mir, dass ich die Menschen, die ich immer am meisten beschützt hatte, wieder in Lebensgefahr brachte. Das konnte und wollte ich nicht. Wenn ich mir vorstellen würde, meine Rashida, die jetzt so glücklich war, wieder in das alte Leben zu stecken, das würde mir das Herz brechen. Ich weiß vom Oberst, mit dem ich mich kurz über meine Leute aus dem altem Team unterhalten hatte, das wirklich alle glücklich waren und sich wohl fühlten, wo sie sich jetzt aufhielten. Ich würde sie nicht, zurück in die Hölle schicken. Nur weil die Oben festgestellt hatten, dass sie mit der Auflösung des Teams 98, einen Fehler begingen.

"Kahlyn, du weißt, dass ihr das Beste gewesen seid, was wir je gehabt hatten. Du kannst dir so viele Leute dazu holen, wie du möchtest. Bitte wir brauchen das Team 98, ohne dieses Team haben wir keine Chance, gegen solche Truppen, wie in Himmelpfort oder Augustow vorzugehen. Wir bekommen international, so viele Anfragen auf euer Team, dass wir nicht mehr wissen, was wir machen sollen. Wir können die doch nicht alle nach Gera schicken."

Jetzt endlich wusste ich, dass ich mit meiner Vermutung richtig lag und wurde richtiggehend wütend. In einem sehr bösen Ton und für mein Team ungewohnten Ton, sagte ich Hunsinger jetzt meine Meinung.

"Sir, deshalb wird das SEK 61, also mit Einsätzen zugebombt, Sir. Ich wollte es nicht wahr haben. Ich habe wirklich gedacht, ich leide langsam an Verfolgungswahn, Sir. Ich wollte es wirklich nicht wahr haben, Sir", mir die Haare raufend, starrte ich Hunsinger an. "Jetzt werde ich ihnen einmal etwas sagen, Sir. Es kotzt mich mit Verlaub an, dass sie meine Leute ständig verheizen und ohne Rücksicht auf Verluste, in den Tod schicken, Sir. Ich verbitte es mir, dass sie uns ständig Einsätze der Todesschwadron zuweisen, Sir. Es ist doch wohl eine bodenlose Frechheit, dass sie die Jungs dieses SEKs, wegen mir bestrafen, Sir."

Richtig laut wurde ich bei den letzten Worten und brüllte den Generalmajor regelrecht an. Ich musste mich bewegen, um diese unsagbare Wut in mir zu bändigen. Erschrocken sah mich Hunsinger an, der so eine Reaktion von mir nicht erwartet hatte.

"Kahlyn, nun beruhige dich doch mal. Wieso redest du immer, von der Todesschwadron? Ich verstehe deine Reaktion nicht."

Hunsinger sah mich offen an. Er schien wirklich nicht zu wissen, wieso ich uns so nannte. Lange sah ich ihn an, lief dabei hin und her, um mich zu beruhigen, um wieder klar denken zu können. Dann ging ich auf den Tisch zu.

"Sir, ich denke sie haben meine Akte gelesen, Sir? Oder haben sie diese, wie sie es schon so oft getan haben, von anderen lesen lassen, weil sie angeblich keine Zeit dafür haben, Sir? Denn hätten sie diese selber gelesen, Sir, dann wüssten sie, warum mein altes Team, die Todesschwadron genannt wurde, Sir. Wissen sie, wie man uns auch nannte, Sir? Den fliegenden Tod, die Todesengel, die Todeskinder vom Deipsee, die Todesbrigade, die Blutengel, die rote Schwadron, die Klingen des Todes, Friedhofsbrigade, Sir. Was wollen sie noch hören, Sir? Ich werde ihnen einmal etwas sagen, Sir. Bei keinen der Einsätze, die wir zugewiesen bekamen, hatten wir eine Überlebenschance die größer als maximal fünf Prozent war, meistens lag sie unter zwei Prozent, Sir. Es wurde immer einkalkuliert, dass wir das nicht überleben würden, Sir. Das soll ich meinen alten und meinen neuen Kameraden hier wieder antun, Sir? Das wollen sie wirklich, Sir? Sie haben sie doch nicht mehr alle, Sir."

Schwer atmend stand ich Hunsinger gegenüber und stützte mich auf dem Tisch ab. Sah den Generalmajor mit einem Blick an der töten könnte. Ich versuchte mich krampfhaft zu beruhigen, weil ich merkte, dass ich mich in diese alte Wut hineinsteigerte.

"Sir, bauen sie sich von mir aus eine neue Todesschwadron auf, wenn sie das unbedingt wollen. Aber ohne meine Kameraden und mich, Sir. Sollte ich feststellen, dass noch mehr undurchführbare Einsätze, zu diesem oder eines der SEKs in denen meine Kameraden ihren Dienst tun, umgeleitet werden, lernen sie mich erst richtig kennen, Sir. Das ist keine Drohung gegen ihr Leben, sondern ein eidesstattliches Versprechen, Sir. Dass ich ihnen hier vor meinen neuen Freunden gebe, Sir. Ich finde sie in jedem Loch, in dem sie sich verkriechen, Sir. Dann nehme ich sie, zu einem dieser Einsätze mit, damit sie einmal wissen, was es bedeutet, zum Team 98 oder besser gesagt zur Todesschwadron zu gehören, Sir."

Hasserfüllt sah ich den Generalmajor an, schwer gegen diese unvorstellbare Wut ankämpfend, die in mir hoch kam. Die nur über Umwegen, mit Hunsinger direkt zu tun hatte. Eins hatte ich in den letzten Wochen allerdings begriffen, dass Hunsinger zwar nicht direkt schuld war an dem, was man mit uns gemacht hatte. Aber das er durch die Unterlassung seiner Aufsichtspflicht als Projektleiter, sehr viel dazu beigetragen hatte, dass man uns ständig wie den letzten Dreck behandelte. Zu gut konnte ich mich an seine Worte erinnern, damals nach der Sache mit dem Stechlinsee. Ich wusste, dass er durch seine Duldung der Missstände, eine Mitschuld trug, von der er sich nicht mehr freisprechen konnte. Hunsinger war seiner Verantwortung als Projektleiter all die Jahre nicht nachgekommen war. Schwer atmend ging ich ans Fenster und starrte hinaus, um mich wieder einigermaßen zu beruhigen.

Hunsinger, der das, so nicht vor der Mannschaft stehen lassen konnte. Sah, die erschrocken drein schauenden Männer, an. Die nicht verstanden, dass ich so an die Decke ging. Wie sollten sie das denn auch verstehen, sie wussten gar nicht, was diese Menschen uns angetan hatten.

"Kahlyn, nun mach es aber mal halblang. Setzte dich hin und beruhige dich. So schlimm, wie du das hier sagst, ist es gar nicht gewesen."

Das genau, waren die falschen Worte, um mich zu beruhigen, denn jetzt sprang ich gänzlich aus der Spur. Wütend drehte ich mich um, sah Hunsinger mit so viel Hass in den Augen an, dass die Kollegen erschrocken zu mir sahen.

Arno sprang entsetzt auf und kam langsam auf mich zu. "Rashida, nikyat, rashida! Beruhige dich meine Kleine, komm beruhige dich!"

Versuchte er beruhigend auf mich einzureden und übersetzte gleich für Hunsinger das Gesagte. Vorsichtig, zog er mich in seinen Arm und flüsterte mir leise ins Ohr. Schwer atmend, rasselnd hörte sich meine Atmung an. Ich ließ mich aber von ihm festhalten.

"Komm Kahlyn, es tut dir doch nicht gut, wenn du dich so aufregst. Bleibe ganz ruhig. Komm, meine Kleine. Ich finde diesen Hunsinger, auch nicht in Ordnung. Versuche dich zu beruhigen", lange hielt er mich im Arm und streichelte meinen Rücken.

Seine Wärme tat mir gut, seine Nähe beruhigte mich etwas. Fast zwanzig Minuten brauchte Arno, um mich einigermaßen zu beruhigen. Langsam, konnte ich wieder normal denken und vor allem atmen.

"Danke, Arno", flüsterte ich leise zu ihm und wandte mich aus seinem Arm.

Langsam ging ich ans Fenster und sah hinaus, in das rege Treiben. Das auf der Kreuzung, vor unserer Wache herrschte. Tief atmete ich mich in das Taiji und versuchte die innere Wut in den Griff zu bekommen.

Als Hunsinger etwas sagen will, sagt Raphael mit einem Ton, den ihn keiner zugetraut hätte. "Nicht, lassen sie Kahlyn in Ruhe, Genosse Generalmajor."

Kein Ton kam mehr von dem Offizier und das, obwohl Raphael ja nur Unterleutnant war. Alle ließen mir die Zeit, die ich brauchte, um wieder herunterzufahren. Langsam aber sicher, hatte ich diese unsagbare Wut wieder im Griff. Schmerzhaft rieb ich mir meine Brust, an der Stelle, wo das Herz saß. Ich musste mich beruhigen, sonst würde ich noch tot umfallen. Das Ginoenzym, stieg immer weiter. Wie ich schon zum Doko gesagt hatte, ich brauchte im Moment keinen Stress mehr, das Enzym war in einem sehr kritischen Bereich. Ich durfte nicht zulassen, dass es noch höher stieg. Der Stress würde mich umbringen, der Wert lag jetzt bei über vierundsechzig Prozent. Durch die Aufregung mit Hunsinger, war er noch weiter gestiegen. Verdammt, ich musste diese Wut in den Griff bekommen. Mühsam atmete ich im Taiji, um wieder ganz nach unten zu fahren, um in einen Bereich zu kommen, wo ich meine Wut kontrollieren konnte. Die Schmerzen waren so schlimm, dass ich nicht mehr klar denken konnte. Langsam wurde es besser, langsam beruhigte dich mein Herz. Fast eine halbe Stunde hatte ich dazu gebraucht. Ich durfte nicht wieder zulassen, dass mich meine Emotionen in den Griff bekamen, es würde mich töten. Ich stand einen Schritt vor dem Abgrund oder besser gesagt einen Zentimeter, das wurde mir eben klar. Nutzen konnte ich dem Team aber nichts, wenn ich dort hineinstürzte. Diese Erkenntnis brachte mich wieder zurück, zum klaren Denken. Müde fuhr ich mir durch das Haar und drehte mich langsam zu meinen Freunden und Hunsinger um.

Die erschraken, als sie mich sahen. Ich war schneeweiß im Gesicht. Alle Farbe war durch die starken Schmerzen, aus meinem Gesicht verschwunden. Immer noch, ging mein Atem viel zu schnell, auch sah man an meinen Händen, dass mich die Krämpfe voll im Griff hatten. Die waren vollkommen verkrampft, genauso wie meine Füße. Ich trug, wie immer in der Wache, keine Schuhe. Entsetzt sah mich Hunsinger an, das hatte er nicht gewollt. Erst jetzt wurde ihm vollständig bewusst, was er mir zugemutet hatte. Als er etwas sagen wollte, schüttelte ich den Kopf.

Leise sprach ich zu ihm. Sah Hunsinger dabei fest in die Augen. "Sir, es war nicht schlimm, Sir? Was wissen sie denn von den Einsätzen, zu denen uns der Oberstleutnant geschickt hat, Sir? Ich sage ihnen jetzt einmal etwas, Sir", krampfhaft bemüht Luft zu bekommen und leise weiterzusprechen. "Der Oberstleutnant, weiß nur das von den Einsätzen, was wir ihm erzählt haben und erzählen mussten, nur das steht in den sogenannten internen Akten, wenn überhaupt, Sir. Nichts von dem, was wir wirklich erlebt haben, weiß er, Sir", pfeifend holte ich Luft. "Er war bei keinen der Einsätzen, in den letzten elf Jahren unmittelbar dabei, Sir. Er saß immer in irgendeinem der Hotels und hat gesoffen, Sir. Vorn an der Front war es dem feinen Oberstleutnant einfach zu gefährlich, Sir", wieder übermannte mich diese unsagbare Wut auf den Oberstleutnant, sie kam mit voller Gewalt über mich. Mühsam gelang es mir sie zu bändigen. "Sir, ich werde ihnen jetzt einmal was erzählen, Sir. Damit sie wissen wie unsere Einsätze wirklich aussahen, Sir. Die Einsätze der Todesschwadron, damit sie kapieren, warum man uns… wieder haben will… Sir", mühsam holte ich Luft und versuchte mich zu beruhigen. "Sir, vor zwei Jahren bekamen wir einen Einsatz in Chile. Man wollte versuchen die Machtübernahme von Pinochet zu verhindern. Den Putsch, der dann am 11. September 73 trotzdem durchgeführt wurde. Den Putsch den wir, die Todesschwadron, hätten wir verhindern sollen. Mein Team von zweiunddreißig Kämpfern, wurde nach Chile geflogen, um eine ganze Armee aufzuhalten. Ein aussichtsloses Unterfangen, was von Anfang an, zum Scheitern verurteilt war. Aber auf mich hört ja nie jemand, schon gar nicht der Oberstleutnant. Wir wurden am 9. September, also zwei Tage vor dem Putsch, nach La Moneda geschickt, um den Präsidentenpalast zu bewachen. Wir sollten dafür zu sorgen, dass Allende nicht getötet wird. Wir konnten es aber nicht verhindern. Allende, war als wir ankamen, schon von Pinochets Leuten weggebracht wurden. Keine Ahnung, was mit ihm passiert ist, was man mit ihm gemacht hat. Nach einem Tag, gab ich den Befehl des Rückzuges. Wir hätten uns ohne Verluste, aus dieser Sache zurückziehen können. Der Oberstleutnant allerdings ließ uns dort, hat unseren Flieger, wie ich im Nachhinein erfahren habe, Minuten nach unserer Ankunft schon zurückbeordert. Der Oberstleutnant hatte auch nicht auf die Piloten gehört. Die darum baten bleiben zu können und die lieber vor Ort auf uns warten wollten. Da die Stimmung vor Ort nicht besonders gut aussähe. Damit wir im Notfall schnell das Land verlassen konnten. Nein er hat darauf bestanden, dass sie sofort zurück kämen, es gäbe ein Notfall. Als sie in der Schule ankam, hat er nur hämisch gegrinst", schwer atmend stützte ich mich auf den Tisch. "Er hat uns einfach nicht abgeholt, obwohl wir mehr als fünfzigmal versucht hatten, ihn zu erreichen. Also beschlossen wir, alleine nach Hause zu kommen. Was hätte ich denn ihrer Meinung tun sollen, was Genossen Generalmajor? Wir gehörten da nicht hin. Wir waren für alle sichtbar, als feindliche Soldaten erkennbar, bewaffnet bis unter den Haaransatz. Also versuchten wir, uns ungesehen zurück zur Heimat zu begeben. Eine Unternehmung, das keinerlei Aussicht auf Erfolg hatte. Bei eurer verfluchten Genmanipulation, habt ihr nämlich vergessen uns Flügel wachsen zu lassen. Wir können weder übers Meer laufen oder darüber fliegen. Schon gar nicht von Chile, nach Europa schwimmen. Nicht, wenn wir schon seit vier Wochen kein Nahrung bekommen haben. Egal, wo wir hingekommen wären, keiner der angrenzenden Staaten, hätte uns geholfen… Immer wieder funkten wir um Hilfe, da wir ohne Flugzeug, nicht in die Heimat konnten… Also suchten wir uns einen Flugplatz, um uns in den Besitzt eines geeigneten Flugzeugs zu bringen. Die Chance, dass wir es schaffen, lag bei unter einem Prozent. Der Rest war vorprogrammiert, wir gerieten in Gefangenschaft… Wir kamen in die Colonia Dignidad, welches die Operationsbasis des Pinochet-Geheimdienstes, Dirección Nacional de Inteligencia, war. Dort hat man uns ganz nett behandelt. Als erstes nahm man uns die Brillen weg… Dann hat man uns vier Wochen lang gefoltert…", immer schwerer atmete ich. "Auf eine bestialische Art, die sie sich nicht einmal in ihren schlimmsten Alpträumen, vorstellen können. Aila, Chim, Aki, Erja, Nairi, Ava, Adya, Gan, und Cyra hat man nicht einfach nur die Hände abgehackt, nein..."

Ich drehte mich zum Fenster, und sah hinaus, versuchte mich auf das Treiben auf der Straße zu konzentrieren, um diese schlimmen Bilder nicht mehr zu sehen, aber es gelang mir nicht. Also drehte ich mich wieder um und sah Hunsinger vorwurfsvoll an. Bei jedem Atemzug pfeifend nach Luft wringend, sprach ich weiter.

"... Nein, man hackte ihnen nicht die Hände ab. Man schnitt ihnen, durch mich, jeden Tag zwei Finger ab, von jeder Hand einen. Dann erst die  Hände, dann die Unterarme, dann die Oberarme. Das gleiche machte man an den Füßen, jeden Tag musste ich ihnen zwei Zehen, dann die Füße, die Unterschenkel, die Oberschenkel abtrennen. Weil das noch nicht reichte, musste ich ihnen die Augen ausgebrennen. Aber die machten das nicht selber, sondern zwangen mich dazu, meine eigenen Kameraden zu foltern. In dem man mir glühende Messer in die Hände drückte, um die Gliedmaßen abzutrennen, um damit die Augen meiner Freunde auszubrennen. Diese am ganzen Körper damit zu verbrennen… Die anderen hing man an die Wand, davor ein Erschießungskommando…"

Mühsam zwang ich mich zur Ruhe, rutschte schwer atmend an der Wand hinunter. Tränen liefen mir übers Gesicht. Ich fing an zu schaukeln, weil all die schlimmen Bilder, wieder nach oben kamen. Weil der Geruch von damals mich einholte, weil ich diese Geräusche wieder hörte und die Schreie meiner Kameraden.

"Wissen sie, wie lang vier Wochen sind? Man zwang mich Cyra und die anderen mit Milch zu bespucken. Immer und immer wieder, zwang man mich Milch in den Mund zu nehmen und damit Cyra und die anderen anzuspucken. Milch, ist ein Mittel, mit dem man uns richtig Foltern kann, es verbrennt uns völlig."

Ich stand schwankend auf und schleppte mich an den Kühlschrank in der Küche, holte eine Flasche Milch heraus und schleppte mich zurück an den Tisch. Mit zitternden Händen, öffnete ich die Falsche und schüttete sie zum Beweis, über meine Hand. Stellte den Rest einfach wieder auf den Tisch. Ohne auch nur zu zucken, obwohl meine Haut, Blasen schlugen. Ich merkte die Schmerzen der Verbrennung kaum, da die Schmerzwellen, die durch meinen Körper rasten, um vieles schlimmer waren. Entsetzt sahen die Jungs, was mit meiner Hand passierte. Wütend stützte ich mich auf den Tisch und sah Hunsinger voller Hass an.

"Was wissen sie schon von unseren Einsätzen. Ich hätte aufhören können und mich meinem Schicksal ergeben können, das wäre das Einfachste gewesen. Ich hatte aber die Verantwortung, für zweiunddreißig meiner Kameraden. Zehn davon hatte ICH schon umgebracht, nur um die anderen retten zu können. Ich wollte nicht die anderen, auch noch sterben lassen. Deshalb suchte ich nach Auswegen. Nach vier Wochen waren zehn meiner Freunde tot. Durch mich, auf die bestialischste Weise hingerichtet, die sie sich vorstellen können, nur, um die anderen zu retten. Was wissen sie schon davon, was man uns angetan hat…", schrie ich ihn an.

Tränen liefen über mein Gesicht, Tropfen auf den Tisch, ich konnte es nicht ändern.

"Wir bekamen die ganze Zeit keine Nahrung, wie sie wissen können wir die normalen Sachen nicht essen, nicht einmal Wasser bekamen wir. Danach wurden wir nach Chacabuco, eines der Konzentrationslager von Pinochets gebracht. Erst dann gelange es mir, mit der Hilfe eines Missionars eine Flucht zu organisieren. Wir haben uns mit dreiundzwanzig Leuten, den Weg durch über vierhundert Soldaten, mit bloßen Händen freigekämpft. Alle, wirklich alle, waren wir schwerstverletzt vom Kampf, den Misshandlungen und all den Foltermethoden, die sie sich nicht einmal im Traum vorstellen können… Nach dem wir frei waren, irrten wir noch ewig durch Atacamawüste, bis wir uns nach Peru durchgeschlagen haben… Im Lager hat mir  dieser Missionar gesagte, dass es dort jemand gäbe, der uns helfen würde… Dort fanden wir den besagten Missionar. Wir waren mehr tot als lebendig. Der dann nach einer Woche, den Oberst von der Soko ausfindig macht und  über uns informierte. Er sorgte dafür, dass man uns abholte. Oberst Fleischer rettete uns das Leben und nicht derjenige, der für uns verantwortlich war, nämlich der feine Oberstleutnant Mayer, der bestrafte mich im Anschluss das ich meine Leute gerettet hatte. Neun meiner Leute starben, in dem Lager des Missionars, in der Nähe von Tacna, an den Folgen der Misshandlungen. Nach dem wir aus der Soko zurück waren, kaum, dass wir uns auf unsere Pritsche gesetzt hatten, ging es zum nächsten Einsatz. Wir waren noch nicht wieder fit, aber wen interessierte das schon. Von dem Einsatz kamen wir zurück, mit dreizehn Leuten, Ava ging bei diesem Einsatz schlafen, sie wollte nicht mehr leben. Dieser Einsatz war genauso schlimm, wie alle anderen die wir hatten. Es war alles Todeskommando. Als wir in der Schule ankamen, wurden wir als Dank dafür, dass wir diesen Einsatz überlebten haben, für drei Tage an die Wand gehängt. Dann holte uns der Oberstleutnant von der Wand, die anderen konnten schlafen gehen, ich wurde zur Soko Tiranus geschickt, gerade, dass ich duschen gehen konnte, nicht einmal schlafen oder essen durfte ich… Als ich beim Oberst ankam, konnte der nicht glauben, in welchen Zustand der Oberstleutnant mich schon wieder in die Soko geschickt hatte. Er wollte von mir wissen, was los wäre. Ich bin damals völlig ausgetickt, habe meinen Oberst angegriffen? Weil ich nicht mehr unterscheiden konnte, wo ich war. Als ich mich beruhigt hatte, ihm von Chile erzählte und meinte er, dass wir, das alle nicht hätte überleben dürfen. Fragen sie den Oberst, wie ich nach dem Einsatz aussah. Es gab nicht einen Körperteil, an dem nicht irgendeine schlimme Verletzung zu finden war. Alleine in meiner Lunge hatte ich drei Kugeln stecken, mein Mund war nur noch rohes Fleisch. So sah das Leben der Todesschwadron aus, die ganzen dreizehn Jahre, Sir. Diese soll ich wieder aufbauen, sie haben sie doch nicht mehr alle Tassen im Schrank, Sir."

Stark schwankend und schwer atmend, ging ich vom Tisch weg, auf dem ich mich die ganze Zeit haltsuchend gestützt hatte. Ließ einfach, alle sitzen. Zog mich in Richtung Besprechungszimmer zurück, weil ich merkte, dass ich den Anfall nicht verhindern konnte.

"Keiner folgt mir, das ist ein Befehl. Ich bekommen eine Anfall, lasst mich in Ruhe", brachte ich noch mühsam heraus.

Im selben Augenblick war ich verschwunden. Kaum, dass ich die Tür verbarrikadiert hatte, ging ich in die Taijiatmung und schaffte es gerade noch so, den Anfall zum Teil unter Kontrolle zu bekommen. Aber das Schreien, konnte ich nicht mehr verhindern. Entsetzt hörten die Jungs meine letzten Worte, wurden von Arno jedoch zurück gehalten, da mir einige folgen wollten.

"Setzt euch, lasst Kahlyn in Ruhe. Schlimm genug, dass wir sie vor dem Ginobusanfall, nicht beschützt haben. Lasst sie wenigstens jetzt in Frieden."

Böse sah er nun auch noch auf Hunsinger, dem er die Schuld gab, dass ich in einen Anfall hineingerutscht war. Denn, dass es so war, hörte man an meinen Schreien, die den Jungs aus Augustow, nur noch zu gut in Erinnerung waren. Hunsinger konnte nicht glauben, was er gehört und gerade erlebt hatte. Erst recht nicht, was er jetzt erlebte. Zum Glück bekam ich den Anfall, schnell unter Kontrolle, da ich es noch ins Taiji geschafft hatte und auch, weil ich noch genug N47 im Blut hatte. So war er nach vierzig Minuten vorbei. Mir ging es überhaupt nicht gut, jeder Atemzug tat weh und jede Bewegung fiel mir schwer. Mühsam, schleppte ich mich unter die Dusche, um das Blut vom Körper zu bekommen. Fast eine halbe Stunde stand ich darunter und versuchte die Schmerzen, in den Griff zu bekommen. Arno kam vorsichtig herein, um nach mir zu sehen. Mit erschrecken sah er meine Füße, die ich gerade versuchte zu entkrampfen, ich schaffe es nicht.  

"Darf ich dir helfen, meine Kleine", bat er mich vorsichtig, bereit sich sofort aus der Dusche zurückzuziehen.

Als ich nickte, hockte er sich einfach hin, ohne darauf zu achten, dass er nass wurde. Arno nahm meinen Fuß und versuchte mit Massage die Krämpfe zu lösen. Erschöpft legte ich meinen Kopf in den Nacken, versuche mich etwas zu entspannen. Ich schaffte es einfach nicht. Ich fing leise an zu wimmern, die Schmerzen waren unerträglich. Mühsam versuchte ich, die schlimmen Schmerzen unter Kontrolle zu bekommen, es gelang mir nur mühsam.

"Lass gut sein, Arno. Es geht nicht. Ich lege mich hin, vielleicht wird es dann etwas besser, kannst du mir helfen. Ich schaffe es nicht alleine, bis ins Bett", traurig nickte und er half mir auf. Es ging nicht, ich konnte nicht laufen. Stöhnend sackte ich wieder zusammen.

"Warte", ordnet Arno kurz entschlossen an und ging an die Tür vom Duschraum, rief laut. "Passy, ich brauche dich hier", sofort kam er zurück. Als er merkte, dass ich mich schon wieder in meine Wut hinein steigerte, legte er beruhigend die Hand auf meine Schultern. "Kahlyn, beruhige dich, es ist alles in Ordnung. Passy trägt dich nach hinten. Komm rege dich nicht schon wieder auf. Weißt du wie du aussiehst, meine Kleine."

Ich ließ mich zurück an die Wand fallen und fing einfach an zu weinen.

Arno zog mich einfach in den Arm. "Ist schon gut meine Kleine. Ist schon gut, beruhige dich doch."

Passy sah mich entsetzt an und kam auf mich zu, hielt mir wortlos seine Arme hin. Ich legte meine verkrampften Hände, um seinen Nacken und ließ mich widerstandslos hochheben. Lehnte meinen Kopf an seine Schulter und weinte einfach weiter. Während mich Passy ins Bett trug.

"Passy, du bleibst bei ihr, bis sie ruhig schläft. Ich schmeiße den Hunsinger jetzt raus. Das hätte ich schon viel eher machen sollen", wütend auf sich, schloss er die Tür zum Schlafsaal und kehrte zu Hunsinger zurück, um diesen Menschen aus unserer Wache zu verweisen.

Passy, der mich vorsichtig auf mein Lager bettete, legte sich einfach neben mich und hielt mich so in den Armen, wie er es von Rashida gesehen hatte. Langsam beruhigten sich meine aufgepeitschten Nerven, mein Atem wurde ruhiger, tiefer und gleichmäßiger. Ich fiel in einen erholsamen, wenn auch kurzen Schlaf. Passy war froh, dass er mich beruhigen konnte. Er erhob sich nach zehn Minuten und stellte die Heizdecke an, so dass mir die Wärme ein wenig gegen die schlimmen Schmerzen half. Nach dem er überzeugt war, dass ich weiterhin fest schlief, ging er nach vorn zu den Anderen. Vorn angekommen, sah er Arno heftig mit Hunsinger diskutieren.

 

"Arno sie schläft jetzt ruhig, ich habe die Heizdecke angemacht", berichtete er seinem Teamchef.

Sein Teamchef sah ihn dankbar an.

Hunsinger wollte nichts von den Vorwürfen hören, die Arno ihm an den Kopf warf. "Sie können mir doch nicht die Schuld daran geben, dass Leutnant Kahlyn sich da hinein steigert, dass sie psychisch so instabil ist", brüllte Hunsinger jetzt wütend Arno an.

"Psychisch instabil, ist die Kleine. Entschuldigen sie mal. Ich glaube sie haben vorhin nicht zugehört. Vor allem nicht auf das, was ich ihnen gerade gesagt habe. Kahlyn, sagte zu uns Himmelpfort und Augustow, währen keine schlimmen Einsätze gewesen. Ich konnte es nicht glauben. Nach dem, was sie eben erzählt hat, glaube ich ihr das gern. Sie hat nicht mal gezuckt, als sie sich die Milch über die Haut geschüttet hat. Haben sie ihre Hand nicht gesehen? Haben sie eben nicht zugehört? Oder geht es ihnen am Arsch vorbei, was da vierzehnjährige Kinder so erlebt haben. Zu, was man die Kleine gezwungen hat. Wenn das so ist, dann sind sie um keinen Deut besser, als dieser Mayer. Verschwinden sie einfach aus unsere Wache und das sofort. Ich will sie hier nicht mehr sehen, sie Unmensch sie", wütend stand Arno auf und ging zur Tür, um diese zu öffnen. "RAUS", brüllte er Hunsinger jetzt an und holte tief Luft um etwas ruhiger weiter sprechen zu können. "und zwar sofort."

"Das hat ein Nachspiel", brüllte ihn der Generalmajor wütend an.

Hunsinger sammelte seine Sachen zusammen und verstaute alles in einer Gemütsruhe in seiner Aktentasche und verließ den Aufenthaltsraum, ohne einen Gruß und ohne noch ein Wort zu sagen.

Arno ging kopfschüttelnd zu seinen Leuten. "Das gibt es doch nicht. Haltet mich fest, sonst werde ich gleich zum Mörder", fassungslos und kopfschüttelnd, sah er die Jungs seines Teams an.

Karpo betrat in diesem Moment den Bereitschaftsraum. "Leute, was ist denn mit Kahlyn schon wieder los? Wieso höre ich sie, bis zu mir oben schreien?", wollte er entsetzt wissen, schlimmes ahnend.

"Jens, unsere Kleine hat dank diesem netten Kollegen, gerade einen schweren Ginobusanfall gehabt. Tut mir leid Jens, wir konnten es nicht verhindern. Ich hab es ja versucht. Aber, sie konnte es wohl nicht kontrollieren, wie sie mir unter der Dusche mühsam erklärte. Aber der Kleinen geht es gar nicht gut. Ich habe die Krämpfe aus den Händen und den Füßen nicht heraus bekommen."

Erschrocken ließ der Doko, Arno und seine Kollegen stehen und rannte wie ein Besessener nach hinten in den Schlafraum. Er maß meinen Puls. Kam keine Minute später wieder nach vorn. "Wo ist der Medi-Koffer von Kahlyn?", rief er schon von weitem.

Martin stand auf und holte den Medi-Koffer aus meinem Spind. Sofort rannte Karpo wieder nach hinten, an mein Bett. Holte sich eine Kanüle und einen Kolben, entnahm mir etwas Blut. Damit bewaffnet verließ er rennend den Schlafsaal, spurtete durch den Bereitschaftsraum und die Wache, um sofort nach oben in sein Labor zu laufen. Was er dort feststellte, war erschreckend. Der Wert des Ginoenzym in meinem Blut, lag bei 68,9 Prozent. Kurzentschlossen entschied er sich etwas zu probieren, wobei ihm nicht ganz wohl war. Es blieb ihm keine Wahl, er musste etwas tun. Mein Puls war sehr unregelmäßig, da mein Herz angefangen hatte, auszusetzen. Ich konnte mich auch nicht mehr ins Jawefan flüchten, daraus würde ich nie wieder aufwachen. Ich stand kurz vor einem völligen Zusammenbruch. Kurz überlegte Karpo und sah verzweifelt auf seine Laborausrüstung. Es dauerte keine dreißig Sekunden. Karpo blieb einfach keine Zeit, um lange zu überlegen. Er gab sich einen Ruck, er hatte keine großen Alternativen, er musste es tun. Es half alles nichts, er musste es einfach versuchen, bevor ich starb. Zielstrebig begann er zu arbeiten. Stellt auf synthetischer Basis dieses Ligand fertig, einen Stoff der in der Biochemie, der Rezeptor bekannt war. Dieses hing sich an bestimmte Proteine. In der Hoffnung, dass das Ligand auch im Körper an dem Ginoenzym wirkte. Er hatte bei Tests festgestellt, dass eben dieser Ligand sich in den Proben, mit dem Ginoenzym verband. Er hoffte sehr, dass ich das auch vertrug. Denn zum Austesten, blieb dem Arzt keine Zeit mehr. Karpo würde mir nur eine sehr geringe Dosis davon spritzen. In der Hoffnung, dass sich auf diese Weise, der Wert des Ginoenzyms etwas senken würde. Nach fünfzehn Minuten hatte er das, schon vorbereitete Ligand fertig und war froh, damit schon seit einigen Tagen herumexperimentiert zu haben. Er zog ein Spritze auf und lief im Laufschritt nach unten in die Wache, klingelte Sturm und rannte nach hinter in den Schlafsaal an mein Bett. Erschrocken sahen die Kollegen dem Arzt hinterher. Als Arno etwas fragen wollte winkte Karpo ab. Es ging um Minuten, er hatte viel zu lange gebraucht, um das Ligand herzustellen. Hoffentlich so ging es Karpo durch den Kopf, war mir nichts geschehen in der Zwischenzeit. Vorsichtig weckte mich mit den Worten.

"Kahlyn, werde munter bitte. Ich muss mit dir reden. Komm, ich will das nicht, ohne deine Zustimmung machen. Es ist nicht ganz ungefährlich."

Langsam kam ich zu mir.

"Kahlyn, hörst du mich, bitte ich brauche deine Zustimmung."

Ich nickte mühsam.

"Hör zu, meine Kleine! Ich würde dir gern etwas spritzen. Aber ich kann dir nicht sagen, ob es wirklich hilft. Dein Herz setzt laufend aus. Kleines der Wert des Ginoenzyms liegt bei achtundsechzig Komma neunundachtzig Prozent. Wir müssen etwas machen, sonst stirbst du."

Weinend und mich vor Schmerzen krümmend, bat ich ihn. "Ver… suchs… schlim… mer… nicht… wer… den… soll… auf… hören", flüsterte ich mühsam, mit vielen Pausen.

Doko Karpo streichelte liebevoll mein Gesicht. Ganz langsam, jede Reaktion meines Körpers beobachtend, spritzte er mir eine Einheit. Fast augenblicklich, atmete ich durch, die Schmerzen ließen fast sofort nach. Eine Einheit dieses Liganden, half besser als fünf Einheiten N47. Dankbar sah ich zu ihm hoch. Kontrollierte meinen Körper, es war geschafft. Der Wert ging schlagartig, um über fünfzehn Prozent zurück und schien weiter zu fallen. Erleichtert setzte ich mich auf. Selbst Doko Karpo, der ja noch nicht davon wusste, sah, dass die Spritze ihren Zweck erfüllt hatte. Die Verkrampfungen, meiner Hände und Füße lösten sich. Mühsam und noch völlig geschafft hob ich die Hand und zog Doko Karpo zu mir herunter. Gab ihm ein Kuss auf die Stirn.

"Danke Doko", flüsterte ich leise zu ihm. Froh, dass es vorbei war.

"Bleib noch ein paar Minuten liegen, Kahlyn. Keine Aufregung heute mehr, versprochen. Ich weiß nicht wie lange der Ligand dein Enzym beeinflusst, ob das dauerhaft ist oder nur vorrübergehend. Das konnte ich noch nicht austesten. Aber ich musste irgendetwas tun, sonst wärst du mir gestorben."

Mir war klar wie knapp es war, flüsternd erklärte ich Doko Karpo. "Ich weiß Doko, aber ich konnte nichts dafür, wirklich. Ich habe ja versucht, meine Wut zu kontrollieren. Aber es ging nicht, dieser Hunsinger macht mich einfach nur wütend. Weil er nicht kapiert, dass er die Leute ständig in den Tod schickt. Jetzt will er das auch noch, mit unseren Teams das Gleiche machen wie mit meinem alten Team, das geht doch nicht."

Karpo streichelte mir die Schulter. "Beruhige dich, ich rede mit ihm, bitte ihn darum zu gehen. Bitte bleibe noch ein paar Minuten liegen, schlafe wenn möglich noch zehn Minuten im schnellen Schlaf."

Ich nickte und legte mich zurück, atme dreimal tief, war sofort im schnellen Schlaf. Froh, dass ich noch einmal die Kurve bekommen hatte, es war wirklich verdammt knapp.

Zehn Minuten später wachte ich auf und checkte mich komplett durch. Dann ein zweites Mal. Ich konnte es nicht fassen, der Wert des Ginoenzyms in meinem Körper, lag bei etwa zweiunddreißig Prozent. So tief war er seit Jahren nicht mehr. Noch ein drittes Mal kontrollierte ich meinen Körper. Ich kam immer wieder auf das gleiche Ergebnis. Vorsichtig setze ich mich auf und nahm eine Kanüle und einen Kolben, zapfte mir Blut ab. Ich würde Felix bitten, diese Probe hoch zum Doko zu bringen. Vorsichtig stand ich auf, mir ging es so gut, wie ich mich fühlte. Langsam auf alle Reaktionen meines Körpers achtend, lief ich nochmals in die Dusche. Wusch mich, mit den Händen an die Fließen gestützt, stellte ich meine Fingernägel, aber auch die Haut auf meiner verbrannten Hand wieder her. Überlegte dabei, wie viele Male, ich das wohl in den letzten Wochen gemacht hatte. Auch versuchte ich die Hämatome aus meinem Gesicht zu entfernen. Vorsichtshalber kontrollierte ich mein Werk im Spiegel. Zufrieden damit, ging ich nach vorn, an den Spind holte mir trockene Sachen.

Nochmals lief ich zurück in den Schlafsaal und bat Raphi in der Verbindung, mir zu helfen. Im Schlafsaal angekommen, nahm ich die Hämlo-Salbe aus dem Koffer und rieb mich damit ein. Raphi, der eben im Schlafsaal angekommen war, bat ich meinen Rücken einzureiben. Da ich das nicht alleine konnte oder besser gesagt, schlecht. Schweigend sah er mich an, unfähig ein Wort zu sagen, zu schockiert von meinem Aussehen. Mein gesamter Oberkörper war fast schwarz, so blutunterlaufen war er. Sofort zog ich mich wieder an. Raphi baute mein Bett.

"Danke Raphi, du bist lieb", dankbar blickte ich ihn an. Nochmals kontrollierte ich den Wert des Enzyms in meinem Körper, er blieb bei ungefähr zweiunddreißig Prozent. Nun musste ich hoffen, dass er stabil in diesem Bereich blieb. Das wäre gut, damit konnte ich leben. Raphi sah mich von der Seite an.

"Was ist los?"

Er kam einfach auf mich zu und zog mich in seine Arme, flüsterte mir, mit einem sonderbaren Ton, ganz leise ins Ohr. "Ich hatte so eine Angst, dass du stirbst. Tu mir das nicht an, Hase, bitte", verlegen schielte er zu mir herunter.

Unsicher sah ich zu ihm hoch. "Ich versuch es, Raphi", gab ich genauso leise zur Antwort.

 

Gemeinsam gingen wir nach vorn zu den Anderen, die froh waren mich wieder auf den Beinen zu sehen. Verwundert sah ich mich um. Wo war Hunsinger hin? Fragte ich mich ernsthaft.

"Na Hase, da bin ich aber froh, dass du wieder auf den Beinen bist", meinte Raphael nun endlich, im normalen Ton sprechend.

"Ich auch, Raphi."

Doko Karpo, lenkte mich jedoch in dem Moment ab. Weil er von vorn in den Bereitschaftsraum kam. "Doko, du hast es geschafft, der Wert vom Ginoenzym ist runtergegangen, er liegt bei ungefähr zweiunddreißig Prozent. Ich hab dir hier eine Blutprobe gemacht", ich hielt ihm die Kolben hin.

Doko sah mich fassungslos an und reagierte gar nicht darauf. "So weit runter ist er gegangen? Soll ich dir noch eine Einheit spritzen?"

Ich schüttelte den Kopf. "Lieber nicht, warten wir erst einmal ab, wie das weiter geht. Es kann passieren, dass er wieder hoch geht. Ich denke so wie er ist, kann ich damit leben. Er lag seit zwölf Jahren, nicht mehr so weit unten. Meistens lag er bei fünfundvierzig bis fünfzig Prozent. Wenn er so bleibt, ist das in Ordnung für mich", berichtete ich ihm begeistert, von dem Erfolg, seiner nicht ganz risikolosen Entscheidung. "Vor allem, war es völlig schmerzlos. Danke Doko", lieb sah ich ihn an.

Doko Karpo kam auf mich zu und zog mich zu sich heran, nahm mich einfach in den Arm. "Da bin ich froh. Aber, du regst dich nicht mehr auf, verstanden. Jungs, ihr sorgt dafür, das Kahlyn zur Ruhe kommt, das ist ein ärztlicher Befehl", sprach er im strengen Ton, aber lachend zu den Jungs und nahm mir meine Kolben aus der Hand. "Ich muss hoch, ich habe oben Patienten sitzen. Ich komme heute am späten Abend, noch einmal nach dir gucken. Also brav sein", ernst sah er mich an, seine Augen lachten allerdings.

Man sah genau wie froh er war. Sofort war er wieder aus dem Bereitschaftsraum verschwunden. Arno kam auf mich zu.

"Kahlyn, darf ich dich kurz drücken."

Ich nickte verwundert.

Arno nahm mich jetzt auch in den Arm. Dann drückte er mich von sich weg. "Weißt du meine Kleine, dass ich gerade eine Heidenangst, um dich hatte. Mach sowas nicht wieder bitte. Entschuldige, dass wir dich vor Hunsinger nicht beschützt haben. Aber wir waren fassungslos, von dem, was du erzählt hast. Der ist nicht besser als der Mayer, am liebsten hätte ich ihn getötet", im gleichen Moment zog er mich noch einmal in seine Arme, um mich zu drücken.

Dann ließ er mich los und streichelte mir lieb das Gesicht.

Die Männer saßen alle da, wie die begossenen Pudel.

"Was ist los mit euch? Sorry, das ich euch das zugemutet habe. Aber es ist meine Art der Teamführung. Wie ihr seht, ist das nicht schlecht. So weiß jeder, warum es Krach gegeben hat und es gibt keine Gerüchte. Beenden wir, das leidliche Thema. Aber ihr versteht jetzt vielleicht, weshalb ich die Beförderung nicht angenommen habe. Dies ist nicht das erste Mal passiert. Wird nicht das letzte Mal sein. Also Schwamm drüber. Es gibt Schlimmeres, als nur Leutnant zu sein", stelle ich mit einer Art Sarkasmus fest, den mir keiner zugetraut hätte. Damit beendete ich einfach dieses unschöne Thema und ging zum normalen Tagesablauf über. "Eine andere Sache, wer hat von euch Lust noch eine Runde zu laufen. Dieser Hunsinger, hat unseren gesamten Zeitplan, durcheinander gebracht. Aber ich denke, ein bisschen frische Luft, wird uns nach diesem Gestank, den der verbreitet hat, gut tun, oder?", ernst sah ich die Jungs an, alle nickten. "Dann los in fünf Minuten, will ich euch in Trainingssachen sehen." 

Die Jungs standen auf, um zu den Spinden zu laufen, auch ich zog einen Trainingshose und ein T-Shirt an. Nach drei Minuten waren alle fertig und ich gab das Signal zum Aufbruch. Arno der neben mir lief, sah mich besorgt an.

"Was ist Arno?", fragte ich, während wir am Fluss entlangliefen.

"Kahlyn, übernehme dich nicht gleich wieder."

Ich schüttelte den Kopf. "Das mache ich nicht. Keine Angst, das Laufen mit euch, strengt mich nicht wirklich an. Auch nutze ich den Körpercheck ständig, um mich selber zu beobachten. Keine Angst, es ist alles in Ordnung. Wenn der Wert wieder steigt, höre ich sofort auf. Aber eine andere Sache, wer ist der schlechteste Läufer von euch?", wollte ich wissen, um das Tempo ein wenig anzuziehen.

Arno sah mich verlegen an. "Das bin ich, sorry ich hab's nicht so mit dem Laufen. Ich habe immer Probleme mit dem Atmen", ernst sah ich ihn an.

"Wieso hast du Probleme beim Atmen", von der Seite beobachtete ich Arno.

"Ich weiß nicht, ständig bekomme ich Seitenstechen."

Nach einer Weile, sah ich woran es lag. Er atmete völlig falsch, presste mehr, als das er Luft holte. Völlig verkrampft, war er in seiner Atemtechnik.

"Ist nicht schlimm, wir machen gleich einmal kurz Pause, dann erkläre ich, wie es besser geht. Halte einfach durch. Ich sehe, woran das liegt."

Langsam nahm ich das Tempo zurück und hielt an. Wir hatten die Lichtung erreicht, auf die ich wollte. Hier war ein schöner Platz, auf dem wir das Fobnekotar machen konnten.

"So Jungs, als erstes möchte ich einmal auf eine bestimmte Atemtechnik beim Laufen hinweisen. Oft stelle ich fest, dass ihr beim Laufen völlig falsch atmet. Den richtigen Atemrhythmus, findest ihr beim Laufen von selbst. Das heißt, eigentlich solltet ihr euch nicht zu fest, auf einen bestimmten Rhythmus konzentrieren", ernst sah ich in die Runde, einige der Kollegen lachten. "Hört auf zu lachen, gerade du Frank solltest nicht lachen. Du machst es auch falsch und bekommst deshalb immer Seitenstechen, stimmt's?", wollte ich von ihm wissen, verlegen nickte der Angesprochenen. "Die Lunge müsst ihr wissen, holt sich die Luft die sie benötigt, automatisch. Als Grundregel gilt, dass man gleich viele Schritte, zum Einatmen wie zum Ausatmen brauchen sollte. Aber, auch das ist nicht unbedingt zwingend. Vielleicht hat der eine oder andere, seinen idealen Rhythmus schon gefunden, mit er sich am Wohlsten fühlt. Aber andere haben das nicht, deshalb machen wir jetzt eine Runde Taiji. Merkt euch bitte diesen Atemrhythmus. Dieser ruhige Atemrhythmus hilft euch auch, beim Laufen. Wir versuchen es dann noch einmal. Also lasst uns beginnen. Stellt euch so, dass ihr in einem Abstand von einem halben Meter steht, wenn ihr die Arme gestreckt habt."

Schnell hatten die Jungs sich aufgestellt, sofort begann ich mit dem Taiji. Tief atmeten wir uns, in das Qi und begannen mit den Übungen. Nach neunzig Minuten, hatten wir das Taiji beendet.

"Wir machen noch eine Runde Fobnekotar. Halikon. – Beginnen wir.", ordnete ich kurz an und ging in den Handstand. Zwei volle Zyklen führten wir durch, kurz vor Beendigung des zweiten Zykluses, gab ich den Befehl. "Semro. –Schluss." Einige tiefe Atemzüge später, hatten wir unser Trainingsprogramm beendet.

"Wie geht es euch?", grinsend, sah ich die durchgeschwitzten Männer an. Für die das Fobnekotar, immer noch eine sehr kräftezehrende Angelegenheit war.

"Gut Kahlyn, das hat richtig Spaß gemacht."

Ich nickte lachend zurück. "Dann lasst uns heimlaufen, sonst erkältet ihr euch noch. Achtet auf die Taijiatmung, beim Laufen. Ruhige bedachte Atmung. Also los."

Sofort lief ich los. Es war tüchtig kalt geworden und alle waren nass geschwitzt. Wenn sich die Kollegen jetzt zu lange nicht bewegten, erkälteten sich sonst, damit war niemanden geholfen. Nur ganze neun Minuten, brauchten wir für den Rückweg. Arno der neben mir lief, hatte weniger Probleme. Nur zum Schluss hatte er seinen Rhythmus wieder verloren. Aber, das war eine Frage des Trainings, mit der Zeit würde er das lernen. Dadurch die Angst vor dem Laufen völlig verlieren und mit mehr Spaß an die Sache heran zu gehen. Kaum, dass wir die Wache betreten hatten, bekam ich einen Anpfiff. Doko Karpo, hatte mich schon seit zehn Minuten gesucht und konnte nicht fassen, dass ich mit den Jungs laufen gegangen war.

"Kahlyn, ich werde noch verrückt mit dir. Kaum geht es dir wieder gut, flitzt du schon wieder herum", schimpfte er mich aus.

"Doko, mir geht es doch gut. Ich habe mich ständig kontrolliert, der Enzymwert ist sogar noch etwas gesunken, er liegt jetzt bei ungefähr einunddreißig Prozent. Ich habe mich doch geschont. Sieh mal ich schwitze nicht mal. Wir sind nur ein kleines Stück gelaufen, nur zehn Minuten. Die Jungs brauchten das, genau wie ich. Schimpf mich nicht, ich passe wirklich auf, versprochen Doko", offen guckte ich ihn an.

Da lächelt mein Doko wieder. "Na, dann ist es ja gut, aber warum sind die Jungs dann so fertig?", wollte er von mir wissen.

"Was soll ich sagen? Die sind mein Training nicht gewohnt. Normalerweise mache ich mit meinen Leuten zehn Zyklen Fobnekotar, aber das schaffen die Jungs noch nicht. Also habe ich nur zwei gemacht. Weil die Kondition noch nicht da ist, schwitzen die Jungs halt. Aber, das wird bald besser glaube mir", lachend sah ich ihn an, mir ging es wieder richtig gut.

Meine Schmerzen waren fast ganz weg und in einem Level, den ich schon ewig nicht mehr hatte. Da konnte man ja nur lachen.

Doko Karpo wuschelte mir durch die Haare. "Jetzt bin ich beruhigt, dann ab unter die Dusche. Kahlyn, aber schone dich bitte und schlafe richtig."

Brav nickte ich und gab dem Doko einfach einen Kuss auf die Stirn. Drehte mich auf dem Absatz um und verschwand nach hinten in die Dusche. Stellte mich zu den Jungs unter das Wasser. Genoss es einfach, dass es mir wieder gut ging. Fertig mit dem Duschen, zog ich mir einen Overall über und ging wieder nach hinten ins Büro.

Setzte mich kurz entschlossen erneut an den Schreibtisch, um diesen Schreibkram fertig zu bekommen. Der sich darauf angesammelt hatte. Es waren noch neun Ordner, die ich durcharbeiten wollte. Damit die Teamleiter hier endlich einmal, auf dem Laufenden waren. Dann machte das auch wieder mehr Spaß, als wenn man vor so einen Ordnerstapel saß. Das hatte mir der Oberst einmal erklärt. Also nahm ich mir von ganz unten den dicksten Ordner vor und ging ihn Seite für Seite durch. Verhältnismäßig schnell kam ich dahinter, was man von mir wollte und arbeitete diesen Ordner auf. Fast eine Stunde brauchte ich dafür. Den ausgewerteten Ordner, stellte ich zu den Anderen dreien, in den Postausgang. Den holten die Wachtmeister morgens ab. Es war kurz vor halb eins, als ich mir den fünften Ordner dazu holte. Nach wenigen Minuten merkte ich, dass ich mich nicht mehr konzentrieren konnte. Deshalb schloss ich den Ordner und legte ihn wieder auf den Stapel. Morgen war auch noch ein Tag, schließlich hatte ich heute genug gemacht.

Ich stand auf und ging noch etwas nach vorn, zu den Jungs, die am Tisch saßen. Nahm mir, aber einige Blätter und einen Stift mit nach vorne, ich wollte die Bilder ersetzten, die ich in meiner maßlosen Wut auf Jo zerstört hatte, damals als ich weggelaufen war.

Ich hatte mir vorgenommen, alle Teammitglieder zu zeichnen und in die leeren Rahmen bringen, die immer noch an der Wand hingen. Kaum, dass ich am Tisch saß, fing ich an zu zeichnen. Schnell waren alle zehn Teammitglieder verewigt. Raphael, der mir über die Schulter schaute, bat ich mir den Rahmen zu holen. Zeichnete jetzt auch noch das Beta und das Alphateam. Zum Schluss kamen auch noch die Wachtmeister, aber auch Tony an die Reihe und als letztes der dicke Polizeirat, wie ihn Rudi so gern bezeichnete. Raphi, rahmte die Bilder ein und hängte die Bilderrahmen wieder an die Wand. Lachend sahen mich die Männer an.

"Was guckt ihr so? Ich hab die Bilder kaputt gemacht, so ist es wieder besser oder?", stichelte ich, ein wenig herum. Breit grinsend, sah ich die Jungs an. "Ist doch besser als ein Vogel, so wisst ihr wenigstens, dass ihr hier richtig seid. Falls ihr wieder mal das schnell Schlafen vergesst und vor Müdigkeit, nicht aus den Augen sehen könnt", versuchte ich ein wenige zu stänkern.

"Na pass auf Kahlyn, sonst zeichne ich dich und du bekommst einen Extraplatz, gleich vorne in der Wache. Als abschreckendes Beispiel, für kleine freche Mädchen", wollte mich Kurt jetzt ärgern.

Grinsende schob ich ihm die Zettel und den Stift hin und nickte ihn aufmunternd zu. Noch breiter grinsend, nahm er beides an sich und machte einen großen Kreis darauf. In diesen zeichnete er zwei kleine, dann ein Dreieck als Nase einen Halbkreis als Mund. Darunter einen Langenstrich dann vier Stiche, als Arme und Beine. Oben auf den Kreis kamen noch genau drei Haare. Lachend reichte er mir sein Gemälde, das durchaus auch von Raiko stammen könnte, der konnte das auch absolut nicht.

Lange beäugte ich das Bild, stützte mit den Händen meinen Kopf ab und grinste vor mich hin. Krampfhaft überlegte ich, ob ich mir das wagen konnte. Ach egal, dachte ich bei mir, die Jungs waren genauso lustig, wie die beim Oberst. Dort würde ich das auch ohne großes Nachdenken machen. Also nahm ich das Bild und sah es mir lange an. Strich mir nachdenklich übers Kinn und kratzte mir den Kopf. Im Anschluss hielt ich es neben mein Gesicht, damit die Jungs es vergleichen konnten.

"Kurt, ich weiß nicht irgendetwas fehlt. Schau mal du hast die Brille vergessen. Das geht doch wohl mal gar nicht. Das passt doch hinten und vorne nicht. Wie kannst du mich so verunstalten", dabei schüttelte ich grinsend den Kopf.

Nahm kurzentschlossen den Stift und machte aus dem Strichmännel, das Kurt gezeichnet hatte, ein Bild von mir. Nach zehn Minuten war ich fertig. "Siehst du, so stimmt es wieder, du hattest nur die Brille vergessen, die ist doch wichtig."

Ich hielt Kurt die fertige Zeichnung hin. Man sah genau noch, wo Kurt gezeichnet hatte, diese Striche habe ich in mein Bild eingearbeitet.

Kurt schüttelte fassungslos den Kopf. "Kahlyn, wie machst du das nur?", wollte er jetzt wissen.

Ich zuckte mit der Schulter. "Keine Ahnung, ich kann nicht wirklich zeichnen, das kann nur der Stift", erwiderte ich locker und sah erschrocken auf die Uhr, es war schon 0 Uhr 59.

"Leute, habt ihr mal auf die Uhr gesehen. Ab in die Betten, nutzt das schnelle Schlafen, damit ihr nicht morgen schon wieder durchhängt. Morgen nach dem Frühstück machen wir aber wirklich die Einsatzauswertung. Also ab mit euch in die Betten", griff ich jetzt durch.

Wortlos stand alle auf und verschwanden nach hinten. Ich machte das Licht aus und ging auch in mein Bett. Schlief sofort tief und fest ein. Kurz vor halb Sechs erwachte ich aus einem erholsamen Schlaf, noch im Halbschlaf, checkte ich meinen Körper durch. Es war alles in bester Ordnung, der Enzymwert, war auf einen Wert von ungefähr achtundzwanzig Prozent gesunken. Ich konnte es nicht fassen. Erfreut öffnete ich die Augen und sah mich um. Griff an den Schalter der Heizdecke, um diese auszuschalten, doch sie war gar nicht an. Schnell stand ich auf und baute mein Bett. Nahm mir aus dem Medi-Koffer, der immer noch auf dem Nachbarbett stand eine Kanüle, auch einen Kolben heraus und zapfte ein bisschen Blut. Sofort sprintete ich nach vorn, in die Wachstube.

"Guten Morgen Jungs", begrüßte ich unsere Wachtmeister.

"Guten Morgen Kahlyn. Was ist los?", wollte Oliver wissen.

"Olli, kannst du mir einen Gefallen tun. Sobald Doko Karpo da ist, ihm die Spritze einmal hochzubringen oder bringen zu lassen. Er möchte mir bitte mal sagen, wie hoch der Enzymwert in meinem Körper wirklich ist. Es interessiert mich wirklich sehr. Weil ich nicht glauben kann, dass er nur bei achtundzwanzig Prozent liegen soll", bittend sah ich ihn an. "Er soll sobald er es weiß, mal hier unten anrufen. Sag ihm, mir geht es einfach zu gut", grinsend zuckte ich mit den Schultern.

Oliver, der nicht fassen konnte wie locker ich drauf war, so hatte er mich noch nicht erlebt, nickte sprachlos.

"Was ist Olli, hat es dir die Sprache verschlagen?"

Wieder nickte er nur. Da lief ich zu ihm hin und drückte ihn den Kolben mit dem Blut in die Hand, gab ihm einen Kuss auf die Wange.

"Bis später."

Schon war ich verschwunden. Einen sich verwunderten und völlig durcheinander geraden Oberwachtmeister zurücklassend. Kaum hinten im Bereitschaftsraum angekommen, schnappte ich mir einen Overall und war in der Dusche verschwunden. Schon acht Minuten später, war ich geduscht am Frühstückstisch.

"Guten Morgen ihr alle", grüßte ich fröhlich in die Runde.

Simon sah mich an. "Guten Morgen, du eine. Kahlyn, dir geht es doch nicht etwa richtig gut. Darf ich dir etwas, zum Frühstück servieren?", grüßte er mich schelmisch guckend, genau wie Ines.

"Simon, liebend gern. Ich würde gern hundert Gramm Brei haben", gab ich ihm lachend zur Antwort.

Mich über den Blick von Simon und Ines wundernd. Simon nickte und verschwand in der Küche. Kam nach wenigen Minuten mit meinem Brei und einem Teller mit einer Boulette zurück.

"Mmmhhh, lecker eine Boulette. Ist die von deinem Vati?", wandte ich mich gleich an Ines.

Zum Erstaunen der Jungs, die noch nie gesehen hatten, dass ich etwas anderes außer meinem Brei aß.

"Klar Kahlyn, ich habe ihm gestern gesagt, dass du wieder in der Wache bist. Sofort ist er auf gestanden und hat mir eine, für dich gemacht", antwortet mir Ines lachend. 

Hungrig machte ich mich über meinen Brei her, dann schnitt ich die Boulette in kleine Stücke und futterte diese genüsslich auf, zur Verwunderung des Teams.

Kopfschüttelnd sah mich Simon an. "Kahlyn, ich dachte Ines will mich veräppeln. Seit wann, kannst du etwas anderes essen, außer deinen Brei?", verlegen sah ich ihn an.

"Ich weiß nicht, wir haben einiges probiert. Das meiste kann ich nicht essen, weil ich es nicht vertrage. Eis zum Beispiel, tut elende weh, weil da Milch drin ist. Aber bei der Dika, bekam ich ab und an mal Toffees, bei Viola habe ich Kartoffelsuppe gekostet, die schmeckt auch ganz lecker. Rudi sagt, sie macht die weltbeste Kartoffelsuppe, die es gibt. Bei Ines Vati, habe ich Bouletten mit Bratkartoffeln gekostet, das schmeckt auch lecker, wenn es nicht zu fettig ist. Auch, wenn ich mich erst ganz furchtbar, vor dem Hack gefürchtet habe", erklärte ich, den immer erstaunter guckenden Jungs, die freuten sich. Bratkartoffeln und Bouletten, aßen alle gern.

"Na dann wissen wir ja, was es jetzt öfter mal zu essen gibt", erklärte Simon lachend, freudig guckte er mich an. "Dann werde ich mir mal von Viola das Rezept besorgen."

Verlegen sehe ich zu Simon. "Simon, das ist lieb von dir gemeint, aber euer Essen tut mir leid, es macht mich nicht satt. Meinen Brei, muss ich trotzdem essen. Wenn ich hunderttausend Kalorien, mit Bouletten oder Kartoffelsuppe essen will, ist das bestimmt eine ganze Menge", verlegen sag ich den Koch des Deltateams an.

Der fing schallend an zu lachen. "Nee, das lass mal lieber. Aber eine Abwechslung zu deinen Brei ist es doch oder?"

Da nickte ich, ich hatte schon Angst, dass ich mich jetzt nur noch von Bouletten und Kartoffelsuppe ernähren musste.

"Na, dann können wir das ruhig machen", meinte Simon lachend.

Dankbar nahm ich mir die gereichte Tasse mit Kaffee und sah den Jungs beim Futtern zu. Lachend unterhielten sie sich, es war eine ausgelassene Stimmung, wie lange nicht mehr. Kurz nach 7 Uhr, ließ ich die Jungs am Tisch zurück. Rief ihnen von der Ecke aus zu, um dann im Büro zu verschwinden.

"Um 8 Uhr seid ihr bitte alle im Besprechungszimmer, zur Auswertung des letzten Einsatzes oder wie ihr es nennt, einer kleinen Taktikschulung. Bis dahin habt ihr Freizeit. Ich bin hinten im Büro, wenn mich jemand sucht."

Gleichzeit war ich ganz um die Ecke verschwunden und lief nach hinten ins Büro, um mir den Ordner von gestern vor zu nehmen. Es war nur eine einfach Auflistung für Materialbestellungen, wie Overalls, SCHUHE, Munition und so weiter. Als ich Schuhe las, muss ich automatisch grinsen. Na vielleicht ließ Rudi, mit der Zeit, mit sich reden, dass ich im Einsatz nur noch die Nahkampfschuhe tragen musste. Dann sank die Zahl, der zu ersetzenden Schuhe, rapide. Der Oberste meinte immer, ich verbrauche mehr Schuh als alle anderen im Team zusammen.

Kurz rief ich nach Arno, in der Verbindung und bat ihn um Hilfe. Ich brauchte einige Informationen, die nur er mir besorgen konnte. Da er wusste, wer dafür zuständig war. Legte den Ordner erst einmal beiseite.

Der nächste beinhaltete die Auswertungen der Schießübungen der vergangenen Monate. Diese interessiert mich sehr. Ich nahm mir zusätzlich ein Blatt Papier, um mir für mich selber Notizen zu machen. Mit Erschrecken stellte ich fest, dass Einige der Nahkämpfer in den Teams, ebenfalls so schlecht waren im Schießen wie John. Das konnte doch nicht wahr sein. Es war für die Teamkameraden lebenswichtig, dass alle gut schießen konnten. Nahm mir deshalb vor, mit Rudi, Ronny und Detlef einmal ernsthaft darüber zu reden. Nach nicht einmal zwanzig Minuten hatte ich für diese Auswertungen gebraucht, da ich darin sehr viel Übung hatte. Das hatte ich schon hunderte Mal, in meinem Team machen müssen. Der nächste Ordner beinhaltete das Gleiche für das Nahkampftraining, wieder nahm ich mir einen gesonderten Zettel, um mir Notizen zu machen. Zum meinem Entsetzen stellte ich fest, dass ich ein ähnliches Problem bei den Scharfschützen hatte, das auch bei den Nahkämpfern bestand. Viele der Scharfschützen, schafften gerade einmal so die Anforderungen, des Nahkampftrainings für ein SEK. Das hieß nicht, dass sie schlecht waren, aber bei weitem nicht so gut wie sie denn hätten sein sollen. Na auch das würden wir mit der Zeit hinbekommen. Durch das Taiji, das Eztakfu, sowie das Fobnekotar, würden bald alle auf einem Stand sein. Wir mussten nur dafür sorgen, dass so oft es ging trainiert wurde. In dieser Hinsicht hatten es die Nahkämpfer schwerer, die mussten das Schießen richtig lernen. Das konnte ich ihnen nicht über das Jawefan beibringen. Der Nahkampf war jetzt einfach nur eine Frage der Kraft und der Technik.

In dem Moment als ich den Ordner zuklappen wollte, kam Arno zur Tür herein. Brachte mir die Bestellungen, von Tony aus der Asservatenkammer, aber auch von Ines aus der Wachstube. Sofort füllte ich die Listen aus. Wandte mich als ich damit fertig war an ihn, wieder einmal musste ich ihn um Hilfe bitten, weil ich noch nicht genau wusste wie das hier lief.

"Arno, hast du noch eine Idee, was fehlen könnte. Meiner Meinung nach, habe ich an alles gedacht. Sonst rufen wir lieber Rudi noch einmal an, dass er sich das ansieht. Oder ich lasse es bis Sonntag liegen. Ich weiß, es gibt dann immer Probleme bei den Nachbestellungen."

Arno war mit meinen lauten Überlegungen einverstanden. "Kahlyn, das würde ich machen. Wenn ich ehrlich bin, ich hab mich darum, noch nie gekümmert und stets erfolgreich gedrückt", verlegen sah er mich an. "Das haben immer die Teamleiter gemacht."

Also legte ich den Ordner noch einmal auf die Seite. Das konnte sich Rudi, am Sonntag ansehen. Abgespannt ließ ich kurz meine Nackenwirbel knacken und streckte mich einmal richtig. Lieb fand ich es von Arno, dass er mir einen Kaffee aufsetzte und mich fragte ob ich sonst noch etwas bräuchte, was er für mich tun könnte. Dann verließ er das Büro, um sich vorn, um die Jungs zu kümmern. Erfreut stelle ich fest, dass ich schon die Hälfte der Ordner abgearbeitet hatte. Da würde Rudi am Sonntag aber staunen. Die Uhr vor dem Büro zeigte an, dass ich nur noch zehn Minuten Zeit hatte, bis die Einsatzauswertung, beziehungsweise Taktikschulung begann. Es lohnte sich für mich nicht mehr, mit etwas Neuem anzufangen. Kurz entschlossen stand ich auf, um im Besprechungszimmer für die Auswertung schon einige Skizzen an die Tafel zu zeichnen. Auf diese Weise sparte ich mir nachher eine Menge Zeit. Kaum, dass ich damit begonnen hatte, trudelten schon die Ersten ein. Zwei Minuten vor 8 Uhr, saßen alle Teammitglieder auf ihren Plätzen, Simon versorgte alle noch einmal mit Kaffee oder anderen Getränken. So konnte ich gleich beginnen.

"Also, als Erstes danke, dass ihr alle pünktlich seid. Jetzt mal eine kurze Information. Gerade habe ich mir die Ergebnisse der letzten drei Monate im Schießen und die Auswertungen im Nahkampf angesehen", ein Stöhnen ging durch die Reihe, also wussten die meisten, wo ihre Schwächen lagen. "Wie ich gerade sehe, wisst ihr, dass ihr euch da alle, nicht mit Ruhm bekleckert. Aber das bekommen wir schon hin. Wir gehen einfach nächste Woche, Schritt für Schritt alles noch einmal durch. Die Scharfschützen haben es da einfacher, als die Nahkämpfer", ich sah mich suchend nach Arno um. "Sag mal Arno, wie sieht es aus, könntest du für morgen, den oder einen Schießstand besorgen?"

Arno überlegte kurz. "Soll ich das gleich organisieren, Kahlyn?"

"Ich weiß nicht Arno, wie lange vorher, musst du das denn anmelden? Tut mir leid, wir hatten unseren eigenen Schießstand und unsere eigene Halle. Wir konnten, wenn wir Zeit hatten, immer trainieren und mussten da niemals erst jemand fragen", erkundigte ich mich danach, wie das hier lief.

"Das ist unterschiedlich, Kahlyn. Aber Samstag und sonntags, kommen wir eigentlich fast immer, ohne Wartezeit auf die Schießstände. Da die wenigsten dann dort trainieren wollen, in der Woche ist es etwas schwieriger. Wir bekommen da allerdings, immer den Vorzug, vor allen anderen, weil wir ja oft die Termine nicht halten können, durch die Einsätze."

Dankbar für diese Informationen die Arno mir sofort gab, lächelte ich ihm zu, das war gut zu wissen. "Dann mache es bitte noch vor dem Essen und nach der Besprechung hier", gab ich konkrete Anweisung.

Wieder bekam ich ein Stöhnen von einigen. Simon, Mario und René atmen genervt durch.

"Was ist los ihr drei, ist die Waffe so schwer?", grinste ich die drei an.

Die Drei nickten, das sagte genug.

"Ach kommt. Denkt ihr nicht, wenn ich John beigebracht habe, die Scheibe zu treffen. Dass ich das bei euch, dann nicht auch schaffe. Glaubt mir eins, wenn ihr wisst wie man das richtig macht, dann macht das Schießen auch Spaß. Wisst ihr, Raiko aus meinem alten Team, brauchte Jahre, bis er aus zweihundertfünfzig Metern, überhaupt einmal die Scheibe traf. Gegen ihn, seid ihr Scharfschützenexperten. Der ist wesentlich, schlechter als ihr."

Verwundert sahen mich die Jungs an.

"Kahlyn, ich dacht ihr seid in allem gleich stark. So haben wir das jedenfalls gedacht. Nach dem, was wir in Himmelpfort von euch gesehen habe, kann der Unterschied nicht all zu groß sein", stellte Mario sachlich fest.

Ich schüttelte den Kopf. "Nein, so ist das nicht, Mario. Von eurer Warte, mag das so aussehen. Da die schlechtesten von uns, immer noch besser sind als ihr. Raiko einmal ausgenommen", ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. "Der ist, wenn ich das mal so ehrlich sagen darf, nur zum Tragen der Medi-Koffer gut gewesen. Das hing, aber in meinen Augen nicht damit zusammen, dass er nicht konnte. Er wollte einfach nicht kämpfen. Denn bei Test, brachte er immer gute bis sehr gute Leistungen. Auch, wenn es hart auf hart kam, konnte man mit ihm rechnen. Er ist ein sehr guter Nahkämpfer, mag aber das Schießen genauso wenig wie John", versuchte ich zu erkläre und zog dabei ein Gesicht, das Bände sprach. "Aber, Raiko konnte einfach nicht auf Menschen schießen, es ging einfach nicht. Lieber geriet er selber in Gefahr oder stellte sich in die letzte Ecke und hat den Kopf eingezogen. Das Verhalten von ihm, hat ihn im Team zum absoluten Außenseiter gemacht. Alles, was Sprachen betraf, Mathematik, Codes die es zu knacken gab oder Musik, ist er ein absolutes Genie. Auf diesen Gebieten ist er einfach unschlagbar. Vor allem mit dem Wort umzugehen verstand er", ich musste lachen.

Die Männer sahen mich verwundert an.

"Guckt nicht so, er hat mir in der Verbindung immer vorgesagt, was ich dem Oberstleutnant sagen sollte, damit ich erreichen konnte, was wir wollten. So konnte ich wenigstens ab und an erreichen, dass meine Kameraden nicht bestraft wurden, sondern nur ich. Vor allem konnte er singen, da bleibt euch die Luft weg. Rechnet euch innerhalb weniger Sekunden, die schwierigsten Mathematischen Problem durch. Er ist in solchen Dingen einfach genial", ich kam richtig ins Schwärmen, über die Fähigkeiten die er hat. "Rina und Teja, die ebenfalls aus diesen Serien kamen und auch diese Veranlagung hatten, waren auch gut, in Sprache, Mathematik, Musik. Beide sind beziehungsweise waren, auch im Nahkampf super gut. Teja kann es mit Rashida und mir locker aufnehmen. So haben wir allerdings im Team trotzdem, riesige Unterschiede", lachend, sah ich die Jungs vom Deltateam an, die das nicht glauben konnten. "Rashida meine beste Freundin, zum Beispiel, ist einer der besten Nahkämpfer im Team genau wie alle aus den Teams 3, 4, und 8. Die Scharfschützen gehörten fast alle zu den Teams 2, 6, 7. Wogegen alle aus dem Team 9 sehr gute Taktiker sind, eigentlich alle durch die Reihe, sind das was ihr als Allrounder bezeichnet. Trotzdem bevorzugen viele, bestimmte Bereiche. Wie gesagt Rashida ist einer der besten Nahkämpfer meines Teams, Riona die auch aus dem Team 9 kam, war allerdings fast so gut wie Cankat, meinem allerbester Scharfschützen, der schießt dir auf dreihundert Meter, im schnellen Laufen eine Fliege von der Nasenspitze. Es war halt unterschiedlich. Genau, wie bei euch", grinsend sah ich in die verwunderten Gesichter. "Na nun guckt doch nicht so, als wenn ich euch Märchen erzähle. Es ist halt so. Auch wir sind nicht perfekt. Ich kann bei weiten nicht so gut schießen, wie Cankat. Auch wenn ich in euren Augen gut bin. Es ist nun einmal ein großer Unterschied, ob ich auf dreitausendfünfhundert Meter, noch die innere zehn treffe oder nur auf zweitausendfünfhundert Meter. Auf zweihundertfünfzig Meter, sind wir alle fast gleich stark. Aber lassen wir das, ihr glaubt mir ja doch nicht", tief holte ich Luft und kam zu dem, weswegen wir uns hier zusammen gesetzt hatten. "Lasst uns bitte zur Auswertung des Einsatzes kommen. Ich weiß, dass der nicht besonders schön war. Leider kann auch mir passieren, dass ich einmal nicht an alles denke. Zum Glück ist nicht allzu viel passiert. Also Leute, was ist eurer Meinung nach schief gegangen in Augustow? Dass der Kampf, so aus den Rudern gelaufen ist?", wollte ich von den Jungs wissen.

Ich ahnte, dass gleich wieder die Diskussion, wegen dem Verlassen des Postens aufkommen würde. René sah mich an und wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Scheinbar, machte ich die Auswertung ganz anders, als Detlef.

"Was ist mit euch los? Mache ich die Auswertung anders, als ihr das gewohnt seid? Dann sagt mir das", forderte ich die Jungs, zum Reden auf.

Ich hatte mich erst einmal, auf den Tisch vor der Tafel gesetzt und ließ meine Beine baumeln, sah die Männer im Raum mit schräg gehaltenem Kopf an.

"Na ja, du machst das anders als wir gewohnt sind, aber mache nur so weiter, das ist nicht schlimm. Sollen wir uns melden oder einfach sprechen?", erklärte mir Arno und stellte gleich anschließend eine Frage.

"Ich denke wir sind alt genug, dass sich hier keiner melden muss. Bitte lasst alle erst ausreden, bevor der nächste spricht."

René der ja schon mit sich gekämpft hatte, brachte nun zur Sprache, was ihn beschäftigte. "Kahlyn, ich bin immer noch der Meinung, dass das Verlassen der Position, durch das Kreuzer Team dazu führte, dass der Kampf so eskalierte. Dadurch ist der Kreis nämlich aufgebrochen."

Genau das, wollte ich eigentlich hören. Ich sah zu meiner Freude, dass einige mit dem Kopf schüttelten, unter anderen Raphael. "Raphi, du bist nicht dieser Meinung?"

Raphael sah wütend zu René. "Kahlyn, dass Kreuzer Team konnte nichts dafür. Ich denke die Linie ist in dem Moment gebrochen, als Detlef fiel. Wenn man jemanden, das Verlassen seiner Position, vorwerfen kann, dann nur mir. Statt weiterzukämpfen, habe ich mich um Detlef gekümmert. Ich muss ehrlich zugeben, ich war in dem Moment einfach überfordert. Weißt du ich hatte so eine Angst um Detlef und wollte ihn nur aus der Kampflinie ziehen. Aus Angst, dass er stirbt", die blanke Panik stand wieder in Raphis Gesicht geschrieben und drückte nur zu gut seine Gefühle aus, die er in jenen Moment empfand. "Es ging alles so schnell, Kahlyn. Ich konnte mich nur zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden. Entweder Detlef zertrampeln und sterben zu lassen oder aber weiter zu kämpfen und den Kreis zu halten. Mein Freund war mir aber wichtiger, ich musste versuchen ihn zu retten und aus der Kampflinie herauszuziehen. Kahlyn, Detlef ist mein bester Freund, aber das spielte in dem Moment gar keine Rolle, auch wenn es jemanden anderen erwischt hätte, jemanden vom Kreuzer Team. Ich hätte genauso gehandelt. Ich kann doch einen Kollegen, ob Freund oder nicht, einfach da liegen und sterben lassen. Ich hab mich für das letztere entschieden, weil ich der Meinung war, dass das genau das Richtige ist. Es war auch das Richtig für dem Moment. Aber ich weiß immer noch nicht, ob das wirklich richtig war. Ich grübele seit dem darüber nach, suche eine Variante, wie ich es hätte anders machen können. Aber ich finde keine. Ich denke es war richtig, wie ich es gemacht habe. Auch weil dadurch, Detlefs Leben gerettet wurde. Trotzdem ist es so, dass egal wie ich es drehe, es hunderten Menschen das Leben gekostet hat. Für deren Tod ich mich verantwortlich fühle. Es regt mich auch auf, dass René dem Kreuzer Team die Schuld gibt, denn er gibt mir damit ebenfalls die Schuld und Detlef auch. Das finde ich nicht fair", die letzten Worte klangen wütend und traurig zugleich und er starrte dabei auf seine Hände.

"Raphi, dich trifft keine Schuld. Zieh dir keine Schuhe an, die dir nicht passen. Wenn jemand schuld an deren Tod trägt, dann ich und Rashida. Also hört mal her. Der Einsatz, jetzt von den Todenzahlen abgesehen, ist super gelaufen. Ihr habt wirklich alle richtig reagiert. Das Einzige, was wir nicht einkalkulieren konnten, waren die zwei Kompanien die von der Seite kamen. Die haben scheinbar eine Nachtübung gemacht. Solche Sachen können immer wieder einmal passieren. Keine Ahnung, wie mir das entgehen konnte. Die können erst los gegangen sein, als Rashida und ich das Lager verlassen hatten. Bei meinen Leuten hätte ich eine Wache dagelassen, aber jetzt darüber nachzudenken, bringt niemanden mehr etwas. Es ist halt passiert. Wichtig ist nur, dass wir lernen solche Fehler das nächste Mal zu vermeiden. Deshalb ist es wichtig, darüber zu sprechen, was passiert ist. Nur so lernt man aus seinen Fehlern", dabei musterte ich die Kollegen die alle der gleichen Meinung waren, keiner widersprach.

Deshalb wandte ich mich noch einmal an die Streithähne von Augustow. "René eine Frage hätte ich an dich. Was denkst du, ist an Raphis Gedankengängen falsch?", bat ich denjenigen, der dem Kreuzerteam und damit Raphi so unrecht tat. "Stell dir bitte einmal vor, du wärst auf der Position von Raphi gewesen. Wie hättest du gehandelt?"

René sah verlegen zu Raphi, dann zu Passy, mit dem er zusammen Rücken an Rücken gekämpft hatte. Er war hin und her gerissen, zwischen der Meinung die er gerade vertreten hatte und der Vorstellung in Raphis Situation zu kommen. Er konnte sich schwer entscheiden. Als jemand etwas sagen wollte, sagte ich kurz und scharf.

"Ruhe."

Verwundert sahen mich die Jungs an, ich schüttelte noch einmal den Kopf. Fast acht Minuten brauchte René, um zu antworten. "Kahlyn, ich weiß es nicht", kam seine ehrliche, wenn auch sehr geknickte Antwort.

"Siehst du René, zu dieser Entscheidung hast du jetzt acht Minuten gebraucht. Raphi dagegen, hatte nur Sekunden, um diese Entscheidung zu fällen", ernst sah ich den Teamkameraden an, der andere beschuldigte den Posten verlassen zu haben. Ein vorschnelles Urteil, aber ich denke, er hatte es begriffen.

"So, jetzt können diejenigen sprechen, die gerade in Renés Findungsprozess, eingreifen wollten. Es war nicht böse gemeint, nur, wenn jemand diese eine Entscheidung treffen soll, braucht er Zeit zum Überlegen. Hier haben wir diese Zeit dazu, im Kampf haben wir sie nicht. Also?" Fragend sah ich in die Runde.

Simon, auch einer der Streithähne von Augustow, erklärte jetzt. "Kahlyn, ich habe mir das, was das Kreuzerteam versucht hat, noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen. Ich denke aus ihrer Sicht, hat das Team von Forst richtig gehandelt. Weißt du, ich stand zu weit weg, hinten an der letzten Position und konnte das alles gar nicht sehen. Ich hab eben erst begriffen, dass durch die Verletzung Detlefs, die Lücke erst entstand. Aus meiner Sicht, sah das ganz anders aus. Ich sah nur auf einmal, die Leute durchbrechen, zwischen unserem und dem Kreuzerteam. Das von uns Leute fehlten, muss ich ehrlich zugeben, war mir gar nicht aufgefallen. Erst jetzt, durch das, was Raphi gesagt hat, wurde mir das bewusst. Selbst in Augustow, war mir das nicht wirklich klar."

Ich nickte, genau darin lag nämlich das Hauptproblem, der ganzen Sache. "Simon, das genau ist der Punkt. Deshalb sollte man niemals jemanden, auf diese sehr ungerechte Weise angreifen. Also hört bitte einmal genau zu …"

Genau erklärte ich noch einmal Schritt für Schritt, was schief gelaufen war. Ging punktgenau die Taktik durch, die man in diesem Moment hätte anwenden können. Lobte vor allem, noch einmal Raphis korrektes Verhalten. Nichts von dem, was er getan hatte, war unlogisch oder gar falsch. Erleichterung sah ich auf seinem Gesicht. Nicht nur darüber, dass er richtig reagierte, sondern vor allem, dass ihm keine Schuld an den vielen Toden traf. Fast viereinhalb Stunden diskutierten wir über Augustow. Kamen zum Schluss, alle überein, dass wir gerettet hatten, was zu retten ging. Das es eigentlich, noch viel mehr Tode hätte geben müssen. Nur dadurch, dass wir uns an die abgesprochene Taktik gehalten hatten, wurde verhindert, dass es noch mehr Tode gab.

Also beendete ich das leidige Thema, zur Zufriedenheit aller. Simon, Mario, René und Passy, wollten sich telefonisch noch einmal mit dem Kreuzer-Team in Verbindung setzen und sich bei den Jungs dort entschuldigen. Was ich überflüssig fand, aber nicht verhindern würde. Es tat den Jungs nicht weh, schaffte dadurch aber Vertrauen. Sollten sie das ruhig machen, wenn es sie beruhigte.

"So, habe wir jetzt alle offene Fragen geklärt."

Ich bekam ein Nicken von allen Seiten.

"Das ist gut. Aber eine andere Frage, habe ich noch kurz an euch. Nach Himmelpfort, habt ihr mich alle böse angesehen als ich sagte, der nächste schlimme Einsatz, ist dann nicht mehr so schlimm. Habe ich recht behalten damit?"

Wieder kam von allen Seiten nur Zustimmung.

"Dann könnte ich davon ausgehen, dass ihr mir endlich einmal vertraut, ohne ständig alles zu hinterfragen und jede meiner Entscheidungen anzweifelt. Wenn ich ehrlich bin, das nervt mich total. Wisst ihr, mein altes Team, hat mir blind vertraut. Natürlich wurde ich ab und an, auch einmal auf Fehler hingewiesen, auch ich übersehe einmal etwas. Bitte, wenn euch etwas auffällt, dann sagt das auch und vor allem, wenn euch etwas unklar ist und wenn es noch so banal ist, fragt. Aber sonst wurden in einem Einsatz alle meine grundlegenden Entscheidungen, wie Waffenarten, Kampftechniken, immer bedingungslos akzeptiert. Weil die Jungs und Mädels in meinem Team, nach so vielen Kämpfen einfach Vertrauen in mich hatten. Vor allem, wenn ich zu jemanden sage. Bitte behalte die hintere Linie im Augen, hier fehlen Leute, nicht das wir von hinten Probleme bekommen, dann wurde das akzeptiert. Für mich gibt es nichts schlimmeres, als das nicht befolgen von Befehlen. Dann bricht genau wie in Augustow, der ganze Plan zusammen. Diesmal trifft weder euch, noch mich eine Schuld. Aber es ist wichtig, dass ihr lernt in bestimmten Situationen einfach zu machen, was man euch sagt. Ich habe einfach durch die vielen Kämpfe, eher die Möglichkeit schnell zu reagieren. Glaubt mir, ich würde nie zulassen, dass euch etwas geschieht oder ihr sinnlos Menschen töten müsst", ernst sah ich die Jungs an, die es verstanden hatten und verlegen nickten. Also wandte ich mich jetzt an den Koch. "Dann Simon, zaubere dir mal eine Taktik zu Recht, wie man schnell etwas zu beißen für die Jungs auf den Tisch bekommt. Diese Taktik beherrsche ich nämlich nicht", gab ich lachend den Koch dem Befehl zum Essen kochen.

Der sich sofort lachend erhobt. "Mam, jawohl, Mam", neckte er mich lachend.

"Los Jungs geht ihm zur Hand, umso schneller ist er fertig", sofort waren alle auf dem Weg nach vorn. Arno der ebenfalls den Raum verlassen wollte, wurde von mir am Arm festgehalten. "Arno, ich bin im Büro, wenn etwas sein sollte. Du weißt also, wo du mich finden kannst", informierte ich ihn. "War die Einsatzauswertung, so wie ihr das gewohnt seid?", wollte ich trotzdem noch kurz von ihm wissen.

Arno schüttelte den Kopf. "Nein Kahlyn, aber mehr als lehrreich. Ich habe heute mehr über Taktik gelernt und vor allem begriffen, du musst wissen ich tue mich da sehr schwer mit, als in den letzten acht Jahren. Das war in Ordnung, wie du das gemacht hast."

Da war ich aber froh. "Das ist gut. Auf diese Art, habe ich mit meinen Teams, wenn etwas schief gelaufen war, alles ausgewertet", erklärte ich ihm und ging zusammen mit Arno in Richtung Büro. "Dann bis später."

 

Ohne weiter auf Arno zu achten, verschwand ich wieder im Büro, um mir die nächste Akte vorzunehmen. Kurz vor halb Zwei holte mich Arno zum Essen. Ich hatte nur noch vier Ordner, die ich auswerten musste. Erstaunt sah Arno auf den Schreibtisch.

"Sag mal Kahlyn, wo sind die ganzen Ordner hin?", erkundigte er sich lachend.

Da ich gerade noch die letzten Sätze schrieb und den Faden nicht verlieren wollte. Zeigte ich nur auf das Regal, auf dem jetzt schon sieben Ordner lagen, der Achte würde auch gleich darauf landen. Gerade machte ich den letzten Punkt.

"So Arno, jetzt habe ich eine schwere Aufgabe für dich. Du musst auch etwas Schreibkram mache. Es geht schließlich nicht, dass ich hier allen Schreibkram alleine mache. Bitte sei so lieb, bringe die acht Ordner nach vorn in die Wachstube, dazu habe ich keine Lust mehr", grinste ich Arno frech an.

Der schüttelte frech den Kopf. "Nein Kahlyn, das ist für mich zu viel Schreibkram, da musst du mir schon etwas helfen. Wenigstens die Türen könntest du mir aufhalten oder muss ich alles alleine machen. Das schaffe ich wirklich nicht", grinste er mich breit an.

Also spielte ich Türöffner und Halter. Lachend trug der vollbepackte Arno, die acht Ordner nach vorn. Da die Wachstube die Post nicht abgeholt hatte. Es war ja keiner der offiziellen Teamleiter anwesend. Es hatte wohl keiner vermutet, dass Post angefallen war. Vorn in der Wachstube, sagte ich zu Ines.

"Ines tut mir leid, ich habe ein bissel Arbeit für dich mitgebracht. Da ich nicht weiß, wo ich das hinschicken muss, delegiere ich die Arbeit einfach zu dir um."

Vor Schreck, fielen Ines fast die Augen aus. "Wann hast du das denn gemacht? Kahlyn, du wirst unsere Teamleiter noch ganz unglücklich machen. Die wissen ja gar nicht, was sie machen sollen, wenn der Schreibtisch nicht voll liegt. Die können sich, gar nicht mehr verstecken."

Irritiert sah ich Ines an, weil ich das jetzt nicht verstanden hatte.

"Nicht so schlimm, Kahlynchen, wenn du das jetzt nicht verstehst. Das war ein Spaß. Ich schicke das dann gleich an die richtigen Stellen. Rudi wird sich freuen, wenn auf seinem Schreibtisch einmal Platz für die Kaffeetasse ist", mit diesen Worten nahm Ines, Arno die Hälfte der Ordner ab und legte sie auf ihren Schreibtisch, die andere Hälfte legte sie daneben.

Lachend erklärte sie mir jetzt. "Prima, dann kann ich mich heute mal verstecken, Kahlynchen", setzte sich hinter ihren Schreibtisch und legte den Kopf auf die Arme und war nicht mehr zu sehen. Eine Sekunde später war sie wieder da.

"Verstehst du nun, wie der Spaß gemeint ist."

Verstehend, aber auch lachend nickte ich. "Na los Leute, kommt hinter essen", bat ich die immer hungrigen Wachtmeister.

Kai blieb traurig sitzen, er war heute dran vorn zu bleiben.

Ich lief auf ihn zu und klopfte ihn auf die Schulter. "Keine Angst Kai, du bekommst eine extragroße Portion", da ich wusste das Kai immer noch um einiges hungriger war, als seine Kollegen.

Gemeinsam liefen wir hinter, zum Essen. Es gab komische lange Würmer mit rotem flockigem Blut, darüber wurden gelbe Flocken gestreut. Als ich das sah schüttelte ich mich angewidert.

Raphael dem das nicht entging lachte mich an. "Was ist denn los? Warum schüttelst du dich, Hase?"

Ich zeigte mich immer noch schüttelnd auf das Essen, das auf dem Tisch stand.

"Häschen, das schmeckt lecker. Das sind Spaghetti, mit Bolognese und Käse. Das musst du mal kosten."

Heftig schüttelte ich den Kopf. "Lasst es euch schmecken, ich bin im Büro."

Ich drehte mich um und floh regelrecht vom Tisch. Das sah so widerlich aus, was da stand. Manchmal verstand ich diese Leute nicht, wenn es um das Essen ging.

Simon, der das so nicht durchgehen lassen wollte, eilte mir hinter her. "Kahlyn, so geht das nicht. Bitte komme noch einmal mit. Ich zeige dir, was das ist."

Angeekelt schüttelte ich den Kopf.

"Doch Kleine, das gibt es immer mal, wenn wir wenig Zeit zum Kochen haben, so wie heute. Du kannst doch dann nicht immer weglaufen. Es geht schnell und die Jungs essen das gern", auffordernd hielt er mir die Hand hin.

Zusammen gingen wir in die Küche. Dort öffnete er den Schrank.

"Sieh mal Kahlyn, das hier sind die Spaghetti ungekocht. Wenn sie gekocht sind, dann werden sie weich, die werden aus Mehl, Eiern und Gewürzen hergestellt. Die rote Soße ist aus Tomatenmark, Gewürzen und Hack, das, was man auch nimmt zum Bouletten machen. Die Flocken, ist geriebener Käse. Kennst du Käse?"

Verlegen, schüttelte ich den Kopf.

"Käse wird aus Milch hergestellt, ich würde dir also raten. Finger weg davon, wenn du auf Milch allergisch reagiert. Warte einmal einen kleinen Moment hier. Schon nahm er einen kleinen Teller aus dem Schrank und ging aus der Küche. Einen Moment später kam er mit einigen Spaghetti und etwas Soße auf den Teller zurück.

"Weißt du ob du gegen Tomaten allergisch bist, Kahlyn?"

Kopfschüttelnd zuckte ich mit den Schultern, sah angewidert auf den Teller.

"Weißt du, koste einmal ein kleine Stück von den Nudeln, das müsstest du eigentlich vertrage", mir aufmunternd zunickend, hielt er mir einen Wurm hin und streichelte mir mein Gesicht. "Fasse es wenigstens einmal an, dann merkst du, dass es nicht lebt."

Nickend nahm ich ihm, das Stück aus der Hand. Es fasste sich komisch an, hart aber doch weich, irgendwie glitschig. Vorsichtig roch ich dran, es roch salzig, aber nicht schlecht. Simon nickte mir aufmunternd zu. Also steckte ich das Stück in den Mund, es schmeckt eigenartig, aber gut.

"Na siehst du. Ist doch gar nicht schlimm oder? Nehm mal den Finger, koste mal die Soße", forderte er mich auf, auch die Soße zu probieren.

So nahm ich all meinen Mut zusammen, stecke den Finger in die Soße, schlecke ihn ab. Das brannte in meinem Mund, schnell spukte ich die Soße aus, auch mein Finger brannte wie Feuer. Immer wieder spülte ich meinen Mund aus. Nach einer Weile ließ das Brennen nach. 

"Simon, kann ich bitte einen Kamillentee bekommen, das hat mir schon mal geholfen."

Simon nickte, macht mir sofort einen Tee. Damit fertig spülte ich meinen Mund aus, in den Rest stecke ich meinen Finger.

"Das Blut tut weh, das mag ich nicht, aber die Würmer die schmecken lecker", erklärte ich Simon, der immer noch erschrocken guckte. "Was sind Tomaten?"

Simon guckte mich verlegen an. "Tut mir leid Kahlyn, immer denke ich nicht dran, dass du das alles nicht kennst. Das sind Pflanzen, so rote Früchte, die an Stauden wachsen. Aber glaube mir, wir essen kein Blut, auch keine Würmer. Jetzt weiß ich wenigstens, warum du dich so geekelt hast. Also, du musst dich nicht ekeln, das ist nichts schlimmes, was wir essen", lieb zog er mich in seinen Arm. "Na kommst du mit an den Tisch, ich mach dir deinen Brei. Wie viel soll ich dir machen?"

Einen kleinen Moment überlegte ich. "Setze dich, wenn du mir den Herd anmachst, kann ich mir den Brei selber machen, sonst futtern dir die Jungs alles weg."

Simon wollte nichts davon hören. "Komm Kahlyn, die anderen bekommen auch das Essen gemacht. Also wie viel Brei willst du?"

Kurz entschlossen sagte ich. "Mach mir hundert Gramm."

Zügig drehte er sich an das Becken, holt das entsprechende Wasser. "Geh ruhig vor, ich bring ihn dir gleich."

Also ging ich an den Tisch und setzte mich wieder auf Detlefs Platz und sah den Jungs beim Essen zu. "Lasst den Simon etwas übrig", ermahnte ich die Anderen. Den schien es, richtig zu schmecken, die hauten richtig rein.

"Na Hase, geht es wieder?" Raphael sah mich interessiert an.

Ich lächelte verlegen. "Ja Raphi, aber ihr esst auch immer komische Sachen. Das da sieht aus wie Würmer und das andere …." Eine Weile überlegte ich, ob ich es so nennen konnte. "… na ja, wie flockiges Blut", wieder schüttelte ich mich. "Da bleibe ich lieber, bei meinem Brei", erklärte ich jetzt mit fester Stimme.

Die Jungs ließen sich das Essen nicht vermiesen. Wenn sie so recht darüber nachdachten, mussten sie mir sogar recht geben. Einige lachten darüber.

"Also sind wir in deinen Augen, jetzt alle Vampire, meine Kleine", wollte Arno jetzt lachend, von mir wissen.

"Was ist das?", verständnislos sah ich ihn an.

"Was ist was, Kahlyn?", Arno verstand meine Frage nicht.

"Ein Vantier, was ist das? Ich kenne fast alle Tiere die es gibt, das kenne ich nicht", gestand ich sofort, dass ich von so einem Tier noch nie gehört hatte.

Die Jungs verschluckten sich am Essen, so mussten sie lachen.

Simon brachte mir in dem Moment meinen Brei. "Lass es die schmecken, Kahlyn. Die Jungs sind albern, aber verpetze mich nicht", flüsterte er mir leise ins Ohr.

Lachend sah Simon mich an. Raphael, der sich als erstes wieder gefangen hatte. Versuchte mir zu erklären, dass ich etwas missverstanden hatte.

"Häschen, das heißt nicht Vantier, sondern Vampir. Vam … pir. Das sind Märchengestalten, die den Menschen das Blut aussaugen. Die haben ganz rote Augen und mögen das Licht nicht", versuchte er mir zu erklären, ohne auch nur mit einer Silbe dran zu denken, dass ich rote Augen hatte und das Licht nicht sonderlich mochte.

Ernst sah ich Raphael an. "So wie ich, aber ich saug niemanden das Blut aus", widersprach ich den Jungs ernst.

Wieder fingen alle an, zu lachen.

"Ach ihr seid albern", kopfschüttelnd winkte ich ab. Verstand nicht, warum die Jungs so lachten. Ich hatte rote Augen, kann schlecht im Licht leben.

Ines, die mich traurig ansah, kam zu mir und setzte sich auf die Armlehne meines Stuhls. "Kleene, die Jungs lachen nicht über dich. Es ist nur niedlich, wie du das auf dich beziehst. Aber glaube mir, du bist kein Vampir. Du kannst in der Sonne spazieren gehen und rumlaufen, ein Vampir würde zu Asche zerfallen. Deswegen müssen die Jungs so lache. Die sind nun einmal albern. Irgendwann nehme ich dich mal in einen Film mit, über Vampire. Oder wir sehen uns den, zusammen im Fernsehen an. Lass sie lachen, die sind ausgeschlafen, da sind die immer so albern."

Um mich zu trösten, gab sie mir einen Kuss und stand auf, ging wieder nach vorn, in die Wachstube.

"Geht klar Ines", rief ich ihr hinterher. "Na ja, dann geht euer Vampir, mal wieder nach hinten ins Büro, um weiter zu arbeiten. Aber wartet ab, wenn er dann wieder vor kommt, dann vergeht euch das Lachen", grinste ich die Jungs an. "Wir werden dann etwas laufen gehen, damit ihr nicht so übermütig werdet. Bis 15 Uhr könnt ihr machen, was ihr wollt. Am besten, ihr legt euch dann noch etwas hin. Also ich bin im Büro, für Ines Arbeit beschaffen."

Lachend stand ich auf und lief in Richtung des Büros. Fast war ich schon verschwunden, drehte ich mich noch einmal um. "Arno denkst daran den Schießstand zu organisieren?", wandte ich mich noch mal an Arno.

"Darum kümmere ich mich gleich", bekam ich zur Antwort.

Im selben Augenblick war ich um die Ecke und verschwand wieder im Büro. Langsam sah der Schreibtisch von Rudi richtig leer aus. Es lagen nur noch vier Ordner darauf. Das freute mich. Zügig vertiefte ich mich in den nächsten Ordner, eine verzwickte Angelegenheit. Ich konnte verstehen, wieso der schon seit August hier auf dem Tisch lag. Selbst ich brauchte fast eine Stunde, bevor ich durchblickte, was man von mir wollte. Die Jungs hatten gar nicht die Zeit dazu, solange und vor allem intensiv zu lesen. Ich vermutete, alleine das durcharbeiten des Ordners würde schon fast drei Wochen dauern. Wenn man durch war, wusste man nicht mehr, was am Anfang gestanden hatte. Zügig versuchte ich diese Sache abzuarbeiten, als Arno mir etwas sagen wollte, schüttelte ich den Kopf.

"Arno bitte, wenn's nicht lichterloh brennt, dann lasse mich das hier zu Ende führen, es ist kompliziert, sonst komme ich raus", sofort zog sich Arno zurück.

Sorgfältig ging ich alles noch einmal durch. Es war stimmig, die Vorschläge waren so durchführbar. Ich war der Meinung, es würde so auch im Interesse der Teams sein. Froh diese Sache fertig zu haben, legte ich es in die Post. Nahm mir die nächste Sache vor, eine einfache Statistik über die Reparaturen, Pflege und Wartung der Einsatzbusse. Kaum fünfzehn Minute, brauchte ich für diesen Bericht. Jetzt habe ich nur noch zwei Ordner. Den einen mit der Bestellung und einen den ich noch durcharbeiten muss. Froh, dass ich ran war, rieb ich mir müde das Gesicht.

 

Geschafft streckte ich mich und stand auf, ging nach vorn zu meinem Spind. Gerade wollte ich mir meine Trainingssachen anziehen, als Jo mit Rudi zusammen den Bereitschaftsraum betreten. Erfreut lief ich auf die beiden zu und gab ihnen einen Kuss.

"Hallo Rudi, hallo Jo, habt ihr mich vermisst?" Gut gelaunt sah ich die Beiden an.

"Na meine Kleene, du siehst geschafft aus, ärgern dich die Jungs", fing Rudi an zu stänkern und gab mir auch einen Kuss.

Jo nahm mich ebenfalls in den Arm. "Hallo Kleene, liebe Grüße von meiner Rasselbande soll ich dir sagen. Ein lustiges wuff, wuff von Struppi und Strolch, auch ein Wackelendes Schwänzchen", bestellte er mir lachend Grüße von allen.

Mit schräg gehaltenem Kopf sah ich ihn an. "Das musst du aber vormachen", stieg ich in den Spaß ein.

Jo stützte sich auf die Stuhllehne und wackelte mit dem Po. Lachend sahen die Jungs zu. Raphael, der noch nie seine Klappe halten konnte, gab gleich wieder seinen Kommentar ab.

"Ist das jetzt dein Mittagssport, Jo?", wollte er vom Polizeirat wissen.

Der nickte und zuckte mit den Schultern. "Was soll ich machen Raphi? Der Bauch ist so dick, der will keinen Sport mehr."

Lachend sahen die Jungs den Polizeirat an.

"Schade Jo, wir wollten gerade zum Laufen gehen. Aber, was anderes, wollt ihr etwas Bestimmtes?", fragte ich, weil es schon kurz nach 15 Uhr war und wir eigentlich schon laufen wollten. "Wir wollten heute etwas Kondition machen, denn gestern sind wir nicht dazu gekommen", erklärte ich den Beiden, warum wir los wollten.

Rudi sah mich auf einmal ganz anders an. "Kleene, können wir bitte nach hinten gehen ins Büro, wir wollen mit dir reden", verwundert sah ich Rudi an.

"Habe ich hier etwas falsch gemacht?", überrascht stellte ich Rudi diese Frage.

"Nein nicht direkt, meine Kleene. Wir wollen nur von dir wissen, was gestern hier los war. Der Hunsinger hat sich bei Jo beschwert, über dein Benehmen und darüber, dass er aus der Wache regelrecht rausgeschmissen wurde", erklärte mir Rudi in einen ruhigen, sachlichen Ton.

"Rudi, ich denke das sollten wir hier machen. Bitte warte ab, ich erkläre es dir", bat ich ihn um Geduld, als er mir ins Wort fallen wollte. "Rudi, du weißt durch den Oberst und auch durch Conny, dass ich meine eigene Art habe, Teams zu führen. Alles, was mich angeht, geht auch das Team an, bitte. Es hat mir schon gestern gereicht, was los war. Mir ging es danach beschissen."

"Beschissen…", rief Arno empört dazwischen, der sich zu uns gesellt hatte. "Kahlyn, viel hätte nicht gefehlt und du wärst heute Tod. Komm meine Kleine, Rudi hat es sich verdient die Wahrheit zu erfahren, wie dich dieser Hunsinger in die Ecke gedrängt hat", ernst sah mich Arno an.

"Bitte Arno, es ändert nichts an der Tatsache, dass ich das Gespräch hier führen werde. Rudi bitte, es nervt mich. Akzeptiere doch einfach einmal meinen Wunsch. Ohne ellenlange Diskussion."

Rudi kam auf mich zu und gab mir noch einen Kuss. "Recht hast du. Also los Jo, auch wenn es ungewohnt ist. Ich finde es gut wie Kahlyn das macht. Sie hat uns in Augustow, gezeigt wie das funktioniert. Wenn ich ehrlich bin, ich war platt wie eine Flunder, wie sie in aller Öffentlichkeit, ihren wirklich sehr heftigen Streit mit dem Oberst beigelegt hat. Ich fand das sensationell. Also komm lass es uns hier auch so machen. Kahlyn, eine Bitte, an dich", ernst sah er mich an. "Ich weiß von Jens, der mich gestern Abend schon informiert hat, dass es dir beschissen ging. Dass er Hunsinger der Wache verwiesen hat. Bitte rege dich nicht wieder so auf. Jo und ich wollen nur wissen, was hier los war. In Ordnung meine Kleene."

Ich nickte und setzte mich auf Detlefs Stuhl, zog die Beine auf die Sitzfläche. Ich glaube diese Angewohnheit würde ich nicht mehr wegbekommen.

"Also setzt euch Jungs. Wir gehen später laufen. Rudi und Jo wollen wissen, was gestern hier los war", teilte ich den Jungs mit.

Alle nahmen wieder am Tisch Platz.

"Also los, Jo, Rudi, was wollt ihr wissen?", fragte ich nun, die beiden Hauptakteure der Aussprache.

"So, das ist jetzt mal ungewohnt für mich. Ich weiß gar nicht wie ich anfangen soll", erklärte mir Jo verunsichert.

"Einfach so wie du es auch machen würdest, wenn wir alleine wären", gab ich ihm den Rat.

Jo raufte sich die Haare. "Kahlyn, gestern gegen 20 Uhr 30 rief mich die Wache an, dass Generalmajor Hunsinger, soeben wutentbrannt mit einem Toni die Wache verlassen hätte und auf dem Weg zu mir sei. Gerade legte ich auf, da rief mich Jens an. Das du gerade fast gestorben wärst, dein Herz hätte fast versagt, deshalb hätte er den Hunsinger gebeten zu gehen. Damit du dich nicht weiter aufregst. Was in Gottes Namen, war denn los? Wieso, drohst du dem Hunsinger und beleidigst ihn?"

Sprachlos sah ich Jo an, wusste absolut nicht, was ich darauf sagen sollte. Kam gar nicht dazu mich zu äußern, weil meine neun Kollegen durcheinander sprachen.

"Bitte einer nach den anderen. Als erstes möchte ich gern etwas dazu sagen", ernst guckte ich in die Runde, die Kollegen waren sofort ruhig.

Meine Kollegen verstanden nur zu gut wie ich mich fühlen musste.

"Mir wird das ja hier vorgeworfen. Also Jo, ich habe nett und freundlich mit dem Generalmajor gesprochen. Bis zu dem Punkt, als er die Katze aus dem Sack gelassen hatte. Frage Rudi, ich äußerte schon im Helikopter nach Augustow, die Vermutung, dass man wegen mir ständig diese Horroreinsätze hierher nach Gera schicken würde. Der Generalmajor, hat es selber zugegeben, dass das der Wahrheit entspricht. Erst in diesem Moment bin ich an die Decke gegangen", ich sah Jo in die Augen, auch wenn er meine Augen nicht sehen konnte, symbolisierte ich ihm damit, dass ich es ehrlich meinte.

Passy guckte mich an und ich nickte ihm aufmunternd zu. "Jo, du kennst mich schon so viele Jahre. Du weißt ich sage nicht gleich etwas. Aber das, was dieser Mensch hier abgezogen hat, war Unfassbar. Kahlyn hat uns vor ihm erklärt, warum sie das Team 98 nicht wieder aufbauen will. Wie man dieses Team nannte, dass sie nur Aufträge bekamen mit einer maximalen Überlebenschance von fünf Prozent. Da stellt er sich hin und sagte, das wäre nicht so. Alleine die wenigen Sachen die wir hier wissen, reichen vollkommen aus, um das zu bestätigen. Kahlyn, ist fast ausgeflippt. Arno hatte Mühe sie zu beruhigen, aber sie war die ganze Zeit höflich zu ihm. Dann erzählte sie von Chile, ich dachte mir bleibt mein Herz stehen. Irgendwann ging sie an den Kühlschrank, nahm eine Flasche Milch heraus. Nur um dem Hunsinger zu zeigen, was die Milch bei ihr bewirkt. Sieh dir ihre Hand an. Die ist zwar wieder abgeheilt, gestern sah sie aus, als wenn Salzsäure darüber gelaufen wäre. Dann sagte sie zu ihm, dass sie ihn überall findet, wenn er noch mehr Horroreinsätze hierher umleitet, oder er ihre alten Kollegen durch diese Beförderungen in das alte Team zurück berufen will. Ich kann den Zwerg voll verstehen. Aber, gedroht hat sie ihm nicht, schon gar nicht beleidigt. Sie hat ihm nur versprochen, dass sie ihn über all zu finden würde, um ihn zu einen der Einsätze des Team 98 oder wie sie es nannte der Todesschwadron mitzunehmen", ernst sah er Jo an und hatte sich richtig in Rage geredet.

"Kleene, stimmt das, was Passy hier sagt?"

Nickend stimmte ich zu. "Ja, im Groben schon, die Reihenfolge ist etwas durch einander geraden, aber es stimmt", gab ich zu. "Weißt du was, ich zeige es dir einfach. Dann weißt du alles, was wir auch wissen", bittend schaute ich ihn an.

Jo nickte und Rudi nickte ebenfalls. Ihn interessiert das genauso, war er doch gestern, bei dem Gespräch mit Hunsinger nicht dabei. "Dann kommt. Raphi, Mario, tauscht ihr kurz mal die Plätze mit Jo und Rudi. Dann kann ich das Jawefan hier am Tisch machen. Bitte greift nicht ein, wenn die beiden schreien. Ich kann nicht versprechen, dass ich die Schmerzen komplett zurück halten kann. Aber es dauert ja nicht sehr lange."

Die Vier hatten ihre Plätze getauscht und so saßen mir Jo und Rudi mir gegenüber. Schnell sprang ich auf den Tisch und setzte ich im Schneidersitz einfach drauf. Griff nach den Händen der Beiden und nahm sie in einen sicheren Griff, ging tief ins Taiji.

"Kommt in meinen Atemrhythmus und lasst euch bitte nicht los", bat ich sie, es dauerte nicht lange bis wir im Jawefan waren.

Bei drei Leuten ging es zügig. Schnell hatte sich der Kreis geschlossen. Ich zeigte ihn alle Bilder von gestern Nachmittag, versuchte die Schmerzen weites gehend zurückzuhalten, ganz gelang es mir leider nicht. Jede Minute des Aufenthaltes von Hunsinger, die ich selber Erlebt hatte. Nach nur acht Minuten begann ich aus dem Jawefan herauszugehen. Diesmal konnte ich das wesentlich schneller beenden. Nach zehn Minuten waren beide wieder voll da.

Rudi rieb sich das Genick, kaum dass er wieder ansprechbar war. "Kleene, sag mir bitte, dass dies nicht wahr ist. Was ich gerade gesehen habe."

Völlig falsch verstand ich das jetzt und reagierte deshalb richtig heftig. Weil ich der Meinung war, mir wurden Lügen unterstellt. "Rudi, diese Engramme kann man nicht beeinflussen, die sind eingebrannt. Ich lüge nicht, es ist gemein, wenn du mir das unterstellst", böse sah ich ihn an.

Erschrocken zuckte er zurück. "Kleene, nein, du hast da jetzt etwas missverstanden. Ich meinte das anders. Wie kann ein Offizier, so vorgehen? Ich hätte ähnlich, wie du reagiert. Wahrscheinlich hätte ich ihn, rausgeschmissen. Du hast zwar überreagiert, einiger der Brüller hättest du nicht machen brauchen. Aber ich kann es verstehen."

Jo sah mich kopfschüttelnd an, er wusste gar nicht, was er dazu sagen sollte. "Kahlyn, bitte ich möchte erst noch einmal mit Hunsinger sprechen, der ist vorn in der Wachstube. Ich möchte das ordentlich geklärt haben. Der will dich aus dem Dienst entlassen, wegen psysischer Instabilität. Auf gut deutsch, wegen Unzurechnungsfähigkeit. Ich glaube, ich spinne. Bitte bleibe hier, es wird nicht lange dauern. Du bleibst dann bitte, aber ruhig", ernst sah er mich an.

Schulterzuckend sah ich ihn an. "Jo, das kann ich dir nicht versprechen. Ich werde mich immer schützend, vor das Team stellen zu dem ich gehöre. Ich lasse nicht zu, dass die Jungs hier, wegen mir verheizt und bestraft werden", wies ich Jo darauf hin, dass ich mir nicht sicher war, dass ich ruhig bleiben konnte.

Jo nickte, das konnte er sich vorstellen. "Rudi, komm bitte mal mit. Wir müssen mit dem Hunsinger einmal, ein verdammt ernstes Wort reden."

"Jo, bitte. Ich finde, wir sollten das alle zusammen hier machen. Rudi, so wie ich es mit dem Oberst in Augustow gemacht habe, das finde ich besser."

Rudi sah Jo fragend an, der nickt. "Geht klar Kleene, wir machen es so. Ich fand das richtig gut so. Was denkst du Jo?"

Jo nickte noch einmal und stand auf, ging alleine nach vorn in die Wachstube. Keine zwei Minuten später, erschien er wieder mit Hunsinger im Schlepptau und im Bereitschaftsraum. Kaum, dass Hunsinger den Raum betreten hatte, ohne einen Gruß ging dieser auf mich los.

"Na, haben wir uns wieder beruhigt, Leutnant? Oder ist das Fräulein immer noch unpässlich?"

Rudi konnte es nicht fassen. "Genosse Generalmajor, erst einmal sagt man, wenn man in einen Raum kommt, guten Tag. Zum Zweiten greift man die Leute nicht gleich an. Jedenfalls nicht in meiner Wache", wies er den ranghöheren Offizier zurecht.

Entsetzt sah Hunsinger, Rudi an.

Jo war das auch in die Nase gefahren. "Franz, nun aber mal langsam. Wieso gehst du Kahlyn, eigentlich gleich an. Sie hat doch gar nichts gesagt."

Jetzt zeigte Hunsinger wahres Gesicht. "Nichts gemacht, dieses kleine Fräulein, das noch nicht mal trocken hinter den Ohren ist, Jo. Hat mir gestern gedroht mich fertig zu machen, da soll ich noch ruhig bleiben."

Kopfschüttelnd sah ich Hunsinger an und konnte nicht begreifen, was los war. Gestern erzählte er, dass er mich brauchen würde und heute? Keine Ahnung, was ich dazu sagen sollte. Deshalb hielt ich lieber meinen Mund. Jetzt regten sich auch noch die anderen Kollegen auf.

Raphael wollte gerade etwas sage, da wurde er sofort von Hunsinger angegriffen. "Genosse…" Weiter kam er nicht.

"Sag mal Jo, was ist das hier eigentlich für ein Sauhaufen? Hat eigentlich hier auf dieser Wache, auch jemand etwas zu sagen, der größer ist als ein Leutnant?"

Diese Bemerkung brachte Hunsinger Kopfschütteln auf der ganzen Ebene ein.

Passy stand auf. "Gestatten sie Genosse Generalmajor, dass ich etwas dazu sage. Ich bin schon Oberleutnant. Wenn auch nicht mehr lange, denn das, was ich ihnen zu sagen habe, wird ihnen nicht sehr gefallen. Ihr Benehmen, welches sie in unserer Wache an den Tag legen, ist unter aller Sau. Sie ist eines Offiziers nicht würdig. Sie greifen Kahlyn an, sie greifen Raphael an, warum eigentlich? Sind sie ein kleiner Junge, der sein Spielzeug nicht bekommen hat. So kommt mir das nämlich langsam vor", Passy sprach in einen freundlich leisen Ton. "Sie werfen Kahlyn psysische Instabilität vor. Das sind sie selber. Gestern, sind sie fast aus dem Anzug gesprungen, weil Kahlyn die Beförderung nicht annehmen wollte. Soll ich ihnen einmal etwas sagen, ich hätte sie auch abgelehnt", kopfschüttelnd setzte er sich wieder.

Jo glaubte nicht, was er da hörte.

Langsam hatte ich mich wieder gefangen. "Sir, darf ich auch einmal etwas dazu sagen, es geht ja wohl um mich, Sir. Ich habe sie in Himmelpfort als einen loyalen Kollegen kennen gelernt. Der zwar etwas zu Vertrauensseelig ist, aber sonst ganz in Ordnung, Sir. Das, was sie jetzt hier machen, finde ich mit Verlaub nicht in Ordnung, Sir. Was soll das eigentlich, Sir? Denken sie, das nach ihren Auftritt hier, eine Zusammenarbeit noch möglich ist, Sir? Ich denke eher nicht, Sir", ernst aber offen sah ich ihn an. "Sir, dass ich gestern laut geworden bin, war nicht richtig, Sir. Aber, sie müssen auch mich bitte verstehen, Sir. Meine Kameraden und ich, wir haben das erste Mal im Leben, ein schönes zu Hause, Sir. Reichlich zu essen und ein weiches Bett, Sir. Wir bekommen das erste Mal, in unserem Leben, so etwas wie Liebe, von unseren Kameraden, Sir. Von den Menschen, die uns adoptieren wollen, Sir. Können sie sich vielleicht vorstellen, dass ich es nicht über das Herz bringe, meine Kameraden aus diesem Leben wieder herauszureißen, Sir. Ich soll sie in ihr altes Leben zurück zu schicken, Sir?", ruhig und besonnen sprach ich mit ihm, ohne die Wut von gestern. "Sir, bitte das erste Mal in unserem Leben, besteht unser Bett nicht aus Schmerzen, unsere Mahlzeit besteht nicht aus Hunger, unsere Liebe heißt nicht Hass, Sir. Können sie denn nicht verstehen, dass wir nicht mehr zurück wollen, Sir. Können sie sich nicht vorstellen, dass ich meine Freund von damals und die von heute, nur beschützen will, Sir", offen sah ich Hunsinger an.

Als jemand etwas sagen wollte, griff ich ein und bat ich nur kurz. "Bitte, jetzt ist der Genosse Generalmajor erst einmal dran. Sir, ich weiß ich war gestern sehr heftig, für meinen Wutausbruch, möchte ich mich entschuldigen, Sir. Aber versuchen sie doch einmal ihren Vorschlag, aus meiner Sicht zu sehen, Sir. Vielleicht, können sie es dann verstehen, Sir."

Hunsinger war zu keiner Reaktion fähig, so etwas hatte er noch nie erlebt. Er verstand einfach nicht, wie dieses Mädchen dachte. Still ging er in sich, ließ den gestrigen Abend noch einmal Revue passieren. Die Kleine hatte recht, sie war erst böse und vor allem laut geworden, als er das mit dem Team 98 erwähnt hatte. Das brachte sie richtig in Wut.

"Leutnant Kahlyn, es gibt ihnen aber keiner der Recht, auch, wenn ich vielleicht einen Fehler begangen habe, mir zu drohen."

Kopfschüttelnd sah ich ihn an. "Sir, ich habe ihnen nicht gedroht, Sir und das wissen sie auch ganz genau so gut wie ich, Sir. Drohungen sehen bei mir anders aus, Sir. Ich gab ihnen lediglich ein Versprechen und das wiederhole ich heute auch noch einmal, auch vor meinem Dienststellenleiter und dem Genossen Polizeirat, Sir. Wenn sie sollten weiterhin zum SEK 61 oder zu den anderen SEKs meines alten Teams, ständig die Einsätze der ehemaligen Todesschwadron umleiten, Sir. Dann werde ich sie überall finden, egal, wo sie sich vor mir verstecken, Sir. Aber ich wiederhole auch das Gesagte von gestern Abend noch einmal und verdeutliche es ihnen, damit sie es begreifen, Sir. Denn dies scheinen sie nicht begriffen zu haben, Sir. Ich werde sie weder töten, noch bedrohen, Sir. Sondern ich werde sie einmal, zu einen dieser Einsätze mitschleppen und sie vorn an erster Front kämpfen lassen, Sir. Damit sie endlich begreifen, dass wir dort ständig in Lebensgefahr sind, Sir. Ich bin gerne bereit, innerhalb von Deutschland schlimme Einsätze mit diesem Team oder dem Team des Oberst durchzuführen, die sie anders nicht geregelt bekommen, Sir. Oder auch einmal mein altes Team zusammenzuholen, wenn es gar nicht anders geht, Sir. Aber es kann nicht sein, dass die Jungs hier, in meinem neuen Team, wegen mir bestrafen, Sir", ernst sah ich Hunsinger an, der einige Mal ansetzte, um mich zu unterbrechen, allerdings von Jo und Rudi davon abgehalten wurde.

"Leutnant Kahlyn, können sie mir sagen wie ich die ganzen Anfragen behandeln soll, die für das Team 98 kommen?", wollte er jetzt von mir wissen.

"Sir, warum nennen sie das Team 98, nicht endlich beim richtigen Namen, Sir. Die Todesschwadron, gibt es nicht mehr, Sir. Senden sie ein Rundschreiben an alle, dass die Todessschwadron aufgelöst wurde, Sir. Mit Verlaub, mir ist es so etwas von egal, wie die Russen, Polen, Rumänen oder Kubaner mit ihren unlösbaren Fällen um gehen, Sir. Wir haben für die viel zu lange die Drecksarbeit gemacht, Sir. Haben wir denn in unserem eigenen Land nicht genug Probleme, Sir?", wieder sah ich zu ihm, versuchte immer noch ruhig und sachlich zu sprechen, was mir Zunehmens schwerer fiel. "Sir, sie werfen mir psysische Instabilität vor, auf gut deutsch bin ich in ihren Augen unzurechnungsfähig, Sir. Wie soll ich da ein Team leiden, Sir? Warum verdammt nochmal nennen sie das Team 98 nicht endlich beim richtigen Namen, Sir?", wollte ich jetzt noch einmal von ihm wissen.

Hunsinger sah mich fassungslos an. Er hatte alles von mir erwartet, aber nicht diese Offenheit. Kopfschüttelnd, stützte er den Kopf auf die Hände und starrte auf die Tischplatte. Einige Minuten lag ein unerträgliches Schweigen im Raum. Selbst das aufschlagen einer Vogelfeder wäre zu einem unerträglichen Geräusch geworden, so still war es in dem Raum. Es hatte den Anschein, als hätten alle aufgehört zu atmen. Endlich entschloss sich Jo, seinem Freund Hunsinger etwas zu sagen.

"Franz, bitte verstehe doch auch mal, Kahlyn. Ich gebe dem Mädchen in allem Recht, was sie sagt. Vielleicht kann sie es nicht sehr diplomatisch rüber bringen, aber das, was sie sagt ist wahr. Warum sollen diese Kinder zurück gehen. Bitte beantworte mir und vor allem dir einmal eine Frage, ehrlich und offen. Warst du in der Schule und hast du dir den Kinderbereich einmal angesehen, vor allem den Baum?", fragend sah der Polizeirat, Hunsinger an.

"Ja Jo, ich war schockiert, konnte nicht glauben, was man den Kindern da angetan hat", offen sah er Jo ins Gesicht.

"Franz, kannst du da nicht verstehen, wieso Kahlyn sich so schützend, vor meine Jungs hier stellt. Die Kleene denkt doch, du willst sie wieder in dieses Leben schicken. Nicht nur in die aussichtslosen Kämpfe. Kannst du nicht verstehen, dass sie ihre alten und vor allem ihre neuen Kameraden, nur vor diesem endlosen Leid beschützen will."

Scheinbar wurde Hunsinger in diesem Moment langsam klar, was er von mir verlangt hatte. Jetzt durch Jos Worte begriff er erst, wieso ich so böse geworden war.

"Kahlyn, stimmt das, was Jo sagt. Denkst du wirklich, dass wir dich in dein altes Leben zurück schicken wollten?"

Natürlich hatte ich das gedacht, deshalb nickte ich auch. "Sir, jawohl, Sir. Wie wäre das anders möglich, Sir. Sie haben damals auch den Oberstleutnant, immer wieder zurück geschickt. Obwohl sie wussten, dass er säuft und dass er meine Leute ständig tötet, Sir. Denken sie nur an die Sache in China, in Prag, an den Stechlinsee, Sir. Sie wollen nur, dass wir wieder die Drecksarbeit für die Anderen machen, Sir. Anders geht es doch nicht, Sir. Wir haben die letzten vierzehn Jahre durchgekämpft, Sir. Als ich nach Gera kam, wusste ich nicht einmal, was es bedeutet Frei zu haben, Sir. Weil wir vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr gekämpft haben, Sir. John einer meiner Freunde hier in der Wache, Sir. Hat eine Familie, wie alle Jungs hier, Sir. Ich wusste nicht einmal, was das bedeutet, Sir. Es war schon schwer akzeptieren zu müssen, dass meine Kameraden gestorben sind, Sir. Bei vielen aussichtslosen Kämpfen, Sir. Können sie nicht vorstellen, dass ich ... wie heißt das?", hilfesuchend sah ich zu Rudi.

"Was, denn meine Kleene?"

"Na, wie nennt man Carmen?"

Rudi lächelt, weil er wusste, was ich meinte. "Johns Frau", erklärte er mir.

"Sir, können sie sich vorstellen, dass ich zulasse, dass Johns Frau und seine Tochter weinen, weil ihr Vati tot ist, Sir. Weil ich es nicht verhindern konnte, dass sie in einen dieser aussichtslosen Kämpfe sterben, Sir. Ich kann das nicht, ich mag Carmen und ich mag Ramira, vor allem, Sir. Ich habe in den letzen sechzehn Jahren, neunundsechzig meiner Kameraden sterben sehen, Sir. Ich kann nicht mehr, Sir. Egal ob sie mich aus der Wache schmeißen oder nicht, ich werde die Todesschwadron nicht wieder für sie aufbauen, Sir. Ich helfe ihnen gern, wenn sie wollen bei schwierigen Einsätzen, Sir. Aber nicht mehr bei undurchführbaren, Sir", versuchte ich dem Generalmajor meinen Standpunkt zu erklären.

Hunsinger sah mir offen ins Gesicht, der ganze Hass von vorhin und die unsagbare Wut, waren daraus verschwunden. "Kahlyn, warum hast du mir das gestern nicht so erklärt, dann hätten wir das wie normale Menschen klären können. Was sollen deine Jungs, jetzt von mir halten?"

"Sir, spielt es denn für sie eine Rolle, was die Jungs von mir halten oder von ihnen, Sir. Ich sage ihnen, was meine Kollegen von ihnen denken, Sir. Sie werden denken, zum Glück hat er noch einmal nachgedacht und vor allem zugehört, Sir. Die Jungs werden froh sein, dass sie sie nicht ständig nach Himmelpfort oder Augustow schicken, Sir. Daran würden die Jungs hier nämlich kaputt gehen, Sir. Genauso, wie meine alten Kameraden und ich daran kaputt gehen, Sir", sagte ich ehrlich meine Meinung.

Jo schüttelte den Kopf. "Hab ich etwas Falsches gesagt, Jo?", wollte ich deshalb von ihm wissen.

"Nein mein Kleene, ich bewundere nur gerade mal wieder, deine absolute Ehrlichkeit."

Hunsinger konnte immer noch nicht fassen, was er da hörte. "Na da bin ich ja froh, dass wir uns ausgesprochen haben. Aber, wie soll ich entscheiden, welchen Auftrag ich deinem Team schicken kann?", völlig aus seiner Spur geraden, konnte er nicht mehr richtig denken und wollte von mir mögliche Vorgehensweisen wissen.

"Sir, ich handhabe es mit dem Oberst von der Soko Tiranus immer wie folgt. Ich sehe mir das Dosier an, dann entscheide ich, ob es durchführbar ist oder nicht, Sir. Durchführbare übernehme ich, undurchführbare weißt der Oberst, an die Spezialeinheiten des Militär weiter, Sir. Damit sind wir richtig gut gefahren, Sir. Wir machen das seit elf Jahren so, Sir", erklärte ich ihm offen.

Hunsinger hatte ein Einsehen. "Hab ich Bedenkzeit, oder muss ich das heute, sofort entscheiden", fragte er mich jetzt lachend.

"Sir, nehmen sie sich so viel Zeit, wie sie benötigen, Sir. So etwas muss gründlich durchdacht werden, Sir. Vor allem informieren sie alle darüber, dass es kein Todesschwadron mehr gibt, Sir. Vor allem nennen sie das Team 98 endlich bei seinem richtigen Namen, Sir. Das wäre ein erster Schritt, Sir. Dann bekommen sie auch weniger Anfragen in dieser Richtung, Sir. Die Anfragen die sie haben, senden sie einfach zurück, mit diesem Hinweis, dass es keine Todesschwadron mehr gibt, Sir. In einem halben Jahr, hat sich das dann erledigt, Sir", wies ich ihm eine Richtung wie er es am besten machen konnte. Vor allem wie sich die Zukunft entwickeln würde.

"Geht klar Kahlyn, aber eine Frage habe ich noch an dich", fragend sah er mich an.

"Sir, welche denn, Sir", wollte ich von ihm wissen.

"Würdest du jetzt deine Beförderung annehmen, wenn ich dir verspreche, dass ich die Todesschwadron beerdigen werde?", bat er mich jetzt lachend.

Ich war mir da nicht sicher. "Sir, ich weiß nicht, Sir. Wie ich ihnen gestern schon gesagt habe, Sir. Wir bekamen nichts geschenkt, Sir. So etwas macht mich einfach vorsichtig, Sir."

Hunsinger stand auf, kam auf mich zu und zog mich einfach vom Stuhl.

"Kahlyn, ich verspreche dir hier vor den Jungs, ich werde die Todesschwadron abschaffen. Vor allem werde ich dafür sorgen, dass nicht mehr ständig Horroreinsätze, zu euch umgeleitet werden, auch nicht mehr zu deinen Freunden. In Zukunft werde ich vor schweren Einsätzen, immer erst eine Rücksprache mit dir halten. Du alleine entscheidest, ob er durchführbar ist oder nicht. Verstehe aber, ich brauche deine Führungs- und deine Taktik-Erfahrungen. Ich habe nach Himmelpfort mit einigen meiner Taktiker gesprochen. Habe ihnen deine Taktik erklärt, keiner begriff wie ihr dort lebend heraus gekommen seid. Deshalb wollte ich ja, dass du die Teamleitung dieses neuen Teams übernimmst. Weil wir deine Erfahrungen brauche."

Ich reichte ihm die Hand, ich fand es schön, dass er jetzt offen über das sprach, was er eigentlich bezwecken wollte. "Sir, so hätten sie mir das gestern sagen müssen, Sir. Dann wäre ich auch nicht ausgeflippt, Sir. Allerdings werde ich mich immer schützend, vor meine Kameraden stellen, Sir. Ich habe einfach zu viele sterben sehen, Sir. Verstehen sie das bitte, Sir."

Hunsinger ergriff meine Hand und klopfte mir mit der anderen auf die Schulter. "Ich komme gleich wieder."

Der Generalmajor ließ meine Hand los, drehte sich um und lief nach vorn in die Wachstube. Fast sofort, war er mit seinem Aktenkoffer wieder da, holte die Mappe und das Kästchen heraus.

"Kahlyn, kommst du bitte noch einmal zu mir."

Ich sah Rudi, Jo und die anderen an, alle nickten. Also machte ich die drei Schritte auf Hunsinger zu und stellte mich vor ihn.

"Kahlyn, ich hatte ja gestern schon erklärt, warum dir diese Beförderung zusteht, doch ich möchte jetzt noch hinzufügen. Diese Beförderung steht dir auch deshalb zu, weil du absolut ehrlich bist und vor allem aber, deinen Prinzipien gegenüber treu bleibst. Ich möchte mich hier, vor allen deinen Kollegen, bei dir entschuldigen. Wahrscheinlich habe ich immer noch nicht begriffen, dass ich nur Fehlinformationen aus dem Dalinow Projekt habe. Ich habe jetzt ein zweites Mal begreifen müssen wie sehr du dich, für andere verantwortlich fühlst. Das ist etwas, was einen Offizier auszeichnet. Vor allem hast du mich jetzt schon das zweite Mal, in dieser kurzen Zeit, vor einem großen Fehler bewahrt. Das alles zeigt mir noch einmal mehr, dass du dir die Beförderung schon lange verdient hast. Also nimmst du diese Beförderung jetzt bitte an? Wenn ich ehrlich bin, so etwas ist mir noch nie passiert."

Verlegen sah ich die Jungs an, auch weil ich nicht wusste, ob ich Hunsinger einfach so vertrauen sollte. Vertrauen in einen Vorgesetzten, war etwas, dass mir persönlich, schon immer sehr große Probleme bereitet hatte. Zu oft hatte Hunsinger einfach weggesehen und auf anderen gehört, nur um ein bequemes Leben zu haben. Ich konnte mich nicht durchringen, ihm mein Vertrauen zu schenken. Ich sah meine Freunde an und wusste nicht, was ich machen sollte. Alle nickten.

"Sir, ich weiß nicht, Sir. Ich habe immer noch das Gefühl, dass ich mich damit persönlich verkaufe, Sir. Aber ich habe auch eins hier in Gera gelernt, dass ich anfangen muss meinen Vorgesetzten zu vertrauen, Sir. Ich hoffe ich werde nicht wieder eines besseren belehrt. Wenn ich ehrlich bin, habe ich bei der ganzen Sache schlimme Bauchschmerzen, Sir", gestand ich einfach, was ich fühlte.

Hunsinger schüttelt den Kopf. "Kahlyn, ich hoffe ich enttäusche dich nicht. Diese Beförderung hast du dir mehr als einmal verdient. Schon deshalb, dass du mir zweimal so offen ins Gesicht gesagt hast, was du von mir hältst. Also nehme sie, als Zeichen des Dankes einfach an."

Was sollte ich auch anderes machen, also gab ich durch Nicken mein Einverständnis. So, holt Hunsinger ein zweites Mal die Schulterstücke heraus, entfernte die alten von meinem Overall. Heftete mir die neuen Schulterstücke an, die eines Majors. Strahlend sah mich Rudi an, der sichtbar stolz auf mich war. Wenn ich ehrlich war, mir war es egal, was ich für einen Rang hatte. Der Rang sagte nichts über einen Menschen aus. Fertig mit dem Anbringen der Schulterstücke, überreichte mir Hunsinger die Benennungsurkunde, zum Major.

"Herzlichen Glückwunsch Major Kahlyn", gratulierte Hunsinger mir, mit einem Lächeln im Gesicht.

Jetzt standen die Jungs alle auf, kamen zu mir, um mich zu drücken und zu gratulieren.

Raphael sagte wohl das, was die anderen alle dachten. "Hase, endlich wird einmal jemand befördert, der es auch verdient hat", erfreut nahm er mich in den Arm und drückte mich ganz lieb. "Du wirst sehen, jetzt hören alle auf dich. Vor einem Major, haben alle Respekt", flüsterte er mir lachend ins Ohr.

Simon verschwand in der Küche und kurze Zeit später roch es lecker, es war schon 17 Uhr 23. Also zauberte er, ein leckeres dem Anlass entsprechendes Abendessen. Mir zu Ehren, gab es Bratkartoffeln und Bouletten. Keine vierzig Minuten später, stand das Essen auf den Tisch, dazu bei jedem am Platz ein kleines Glas Sekt und bei mir ein Glas Wasser.

"Also, auf unseren kleinen Major, der sich immer durchsetzt", prostete Rudi mir zu und sah voller Stolz seine Mannschafft an.

Alle langten tüchtig zu und genossen das Abendessen. Ich aß erst einmal meinen Brei, bekam, kaum dass ich aufgegessen hatte, noch einen kleinen Teller Bratkartoffeln und eine Boulette. Lange saßen wir noch schwatzend am Tisch. Hunsinger war richtig aufgeblüht. Er setzte sich nach einer Weile neben mich und wollte von mir noch einige Tipps, wie er das Problem mit der Todesschwadron lösen konnte. Ich versuchte ihm so gut es ging zu helfen. Dankbar nahm er alles an.

Kurz nach 21 Uhr verabschiedeten sich Hunsinger, Jo und Rudi, und verließen einige Zeit später die Wache. Die Jungs waren einfach nur gut drauf. Mir allerdings, war das alles zu viel und ich zog mich zurück in das Büro, von Rudi. Arbeitete so den vorletzten Ordner ab, nahm alles, was im Postausgang lag und brachte es nach vorn in die Wachstube.

"Olli, könnte das Ines morgen für mich wegschicken, bitte", bat ich Oliver.

Der meinte lachend. "Zu Befehl Genosse Major."

Das brachte ihm ein Knuffer in die Rippen von mir ein. "Hör auf, sonst mache ich die alten Schulterklappen wieder dran", neckte ich ihn ebenfalls lachend.

"Meinen Glückwunsch, der kommt von Herzen. Du hast dir das wirklich verdient", lieb streichelte er mir das Gesicht. "Ach Kahlyn, Jens war heute nicht in der Praxis. Ich hab das nicht vergessen mit deinem komischen Wert da. Deshalb habe ich das Blut, hoch zu Schwester Silvia bringen lassen, die hat es ihm hingelegt. Also schlaf mal schön, du siehst fertig aus", wies er mich darauf hin, dass ich nicht gut aussah. "Ist alles in Ordnung mit dir oder wird es wieder schlimmer?"

Kurz checkte ich mich durch und schüttelte dann den Kopf. "Nein Olli, du brauchst dir keine Sorgen machen. Der Wert ist noch da, wo er heute früh war. Ich bin nur einfach fertig, gestern die Sache hat mich ziemlich fertig gemacht und heute ging es gleich weiter. Weißt du ich kann einfach nicht mehr. Ich will doch nur ein bissel Ruhe. Ich leg mich gleich hin, wenn etwas ist wecke mich. Guten Nacht."

Ich lächelte Oliver noch einmal zu und verließ sofort die Wachstube. Es war kurz nach halb Zwölf. Im Bereitschaftsraum, sah ich die Jungs an und wies sie ernst darauf hin, dass sie an ihren Schlaf denken sollte. Sie hatten eine schlimme Woche und einen noch schlimmeren Einsatz hinter sich. Sie brauchte genau wie ich etwas Erholung.

"Macht bitte nicht zu lange. Ihr braucht auch noch etwas Ruhe. Ich lege mich jetzt hin. Bis morgen früh. Morgen laufen wir aber wirklich", informierte ich sie noch und bekam von allen eine gute Nacht.

So wie ich war, schmiss ich mich in mein Bett und zog nicht einmal den Overall aus. So fertig war ich und schlief fast sofort ein. Mein letzter Gedanke war, gut dass ich alles mit Hunsinger klären konnte. Der Gedanke machte mich einfach verrückt, dass man meine Leute ständig verheizen wollte. Das konnte und wollte ich nicht länger zulassen. Schon war ich in einem erholsamen Schlaf versunken, in meiner Wache, wo ich mich zu Hause fühle.

Kapitel 7

Irgendetwas hatte mich aufgeweckt. Es war kurz nach 2 Uhr in der Früh. Sofort checkte ich meinen Körper durch. Der Wert Ginoenzyms, lag immer noch bei ungefähr achtundzwanzig Prozent. Also war alles in bester Ordnung. Wieso war ich munter geworden, das verstand ich nicht. Verwirrt überlegte ich, was mich sonst haben geweckt könnte. Vergeblich versuchte ich noch einmal einzuschlafen. Es wollte einfach nicht klappen, also stand ich auf. Was sollte ich mich im Bett herum wälzen, wenn ich munter war? Da konnte ich auch aufstehen. Leise, um niemanden zu wecken, verließ ich den Schlafsaal. Ging vorn und unter die Dusche, genoss diesen Luxus, wie jeden Tag.

Wieder einmal ginge es mir durch den Kopf, dass wir doch in unserem alten Leben, wirklich so manches Mal wie Schweine gelebt hatten. Oft kamen wir aus Einsätzen zurück, waren so fertig, dass wir nur noch auf unsere Pritschen fielen. Nicht einmal mehr die Kraft hatten uns zu duschen. Wenn ich an mein neues Leben dachte, war es auch hier schon einige Mal passiert, dass ich es nicht mehr geschafft hatte, mich unter die Dusche zu stellen. Allerdings wurde ich hier nie gehetzt, nie zur Eile angetrieben, ich konnte das Duschen stets genießen, es war einfach herrlich. Na ja, ging es mir so durch den Kopf, das würde ich auch noch schaffen, dass ich nach den Einsätzen immer duschen zu ging. Langsam lief ich, tief in Gedanken versunken, nach vorn zu den Spinden und zog mich an. Die Uhr zeigte mir, dass es noch nicht einmal 3 Uhr war. Kurz entschlossen ging ich ins Büro und nahm mir nun den letzten der Ordner vor. Schnell war ich mit der Auswertung der Todesfälle des letzten Jahres fertig.

Drei Leute hatte Rudi im Laufe des Jahres verloren, bei in meinen Augen gar nicht schlimmen Einsätzen. Nur dadurch, dass er falsche Taktiken gefolgt und diese angewandt hatte. Ich würde einmal mit ihm in Ruhe darüber reden müssen. Diese Auswertung fand ich immer schlimm, das half doch niemand. Durch Schuldzuweisungen wurden die Kollegen auch nicht wieder lebendig. Wichtig war es nur, dass man durch diese Auswertungen zu Erkenntnissen gelangte, die solche Fehler in Zukunft vermieden.

Oberst Fleischer, für den ich schon öfter solche Berichte in den letzten neun Jahren durcharbeiten musste, erklärte mir einmal. Dass es nicht gut war dies auf diese Weise, in die Auswertungen hinein zu schreiben. Dadurch würden die Führungskräfte in ein schlechtes Licht gestellt. Ich fand es immer schlimm, dass man die Schuld alleine bei den Einsatzleitern suchte. Auch wir waren nicht fehlerfrei und konnten so wie es in Augustow passiert war, einmal eine Situation falsch einschätzen. Oft war es die Verkettung, vieler unglücklicher Umstände, die zum Tod von Kollegen führten, keinen traf da die Schuld. Wenn man die Schuld bei jemanden suchen wollte, dann bei diesen theoretischen Taktikern, die selber noch nie einen wirklichen Kampf erlebt hatten. Die den Teams immer solche hirnrissigen Taktiken empfahlen, wie die Zangentaktik. Die schon bei jedem normal denkenden Menschen pures Kopfschütteln auslösten. Der einzige Fehler von den Teams, dass sie oft aus Unwissenheit, eben diese Taktiken verwendeten und damit sich und ihr Team ins Unglück stürzten.

Oben die in der Leitungsebene, hatten da oft gut reden, die standen nicht unter Beschuss und mussten innerhalb von Sekunden Entscheidungen treffen, die über Leben und Tod entschieden. Wenn ich drei oder vier Tage Zeit und ein ganzes Team von Mitarbeiten hätte, das mir behilflich waren eine entsprechende Taktik zu finden, war das alles einfach. Aber nicht, wenn man das in Sekunden tun musste. Oftmals waren diese Taktiken zu absolut nichts nütze, außer dass man sie sofort in einem Feuer brannte. Trotzdem viele Leute lange Zeit daran gearbeitet hatten.

Ich wertete diese Todesfälle deshalb nach den Vorgaben des Obersts aus, als nicht verhinderbar. Trotzdem, würde ich mit den drei Teamchefs noch einmal darüber reden müssen. In meinen Augen, wäre, das alles durch eine kleine Änderungen in der Taktik zu verhindern gewesen. Ich schätze es so ein, dass es einfach meine Erfahrungen zu verdanken war, dass ich in kniffligen Situationen schnell und richtig zu reagieren konnte. Diese Erfahrungen, das begriff ich jetzt langsam, hatten die Leute hier nicht. Das war etwas, dass mir der Oberst immer wieder erklären wollte. Ich hoffe nur, das Rashida, aber auch die Anderen, Simon und den Kollegen in ihren neuen Teams helfen können, klügere Taktiken zu verwenden. Es durfte nicht sein, dass die Leute starben und vor allem nicht bei solchen unkomplizierten Einsätzen.

Mit einem Schlag wurde mir bewusst wie wichtig es gewesen ist unser Team aufzulösen, damit acht Teams gute Taktiker bekamen. Alle, wirklich alle meines alten Teams, hätten diese Fehler nicht gemacht. Schnell riss ich mich aus meiner Grübelei. Ließ den Ordner mit der Auswertung, allerdings auf dem Tisch von Rudi liegen. Den konnte er sich übermorgen ansehen, ich wollte diese knifflige Sache nicht alleine entscheiden. Es wäre einfach nicht fair von mir. Es war halb Vier, also noch lange hin bis zum Frühstück. Ich stand auf und ging nach vorn in die Wachstube.

"Morgen Olli", grüßte ich laut.

Da steckte Felix den Kopf aus der Funkerecke. "Was denn, mir sagst du nicht guten Morgen, Kleines?", wollte er wissen.

"Guten Morgen Felix, na wenn du dich versteckst, sehe ich dich doch nicht", neckte ich ihn ein wenige.

"Willst du einen Kaffee? Gerade frisch durchgelaufen", fragte er mich sofort. Lachend nickte ich ihm zu.

"Immer gern doch."

Olli sah mich fragend an. "Wieso bist du schon auf, Kahlyn?"

Verlegen zuckte ich mit den Schultern. "Keine Ahnung, irgendetwas hat mich munter gemacht, ich weiß aber nicht was. Dann konnte ich nicht mehr einschlafen. Hab schon den letzten Ordner durchgearbeitet. Aber den muss sich Rudi ansehen, das will ich nicht alleine entscheiden. Am Sonntag sind dann, alle Sachen vom Tisch. Nur die Bestellung und die Sache mit den Todesfällen, sind noch nicht in der Post. Die Jungs sind wieder auf dem Laufenden. Sag mal kann ich euch bei irgendetwas helfen?", fragte ich Oliver jetzt einfach, weil ich mich langweilte.

"Nein Kahlyn, aber wir bekamen gerade vom Funk die Mitteilung, dass wir vom Flugplatz einen Einsatz von einem Luftkurier abholen müssen. Die Jungs sind schon unterwegs, müssten in zehn Minuten da sein. Ich hätte dich jetzt sowieso wecken müssen. Also warte die paar Minuten noch."

Ich sah ihn verwundert an. "Na dann ist es ja gut, wenn ich schon munter bin, Olli. Weißt du, um was es geht?"

Kopfschüttelnd antwortete mir Oliver. "Nein Kahlyn, tut mir leid. Der Pilot rief nur an und sagte du sollst dir die Sache ansehen. Wenn du durch bist mit dem Ordner, möchtest du dich bitte mit Hunsinger in Verbindung setzen. Die Sache wäre schlimm, er bräuchte eine schnelle Entscheidung von dir. Er hätte die gestern Nacht, kurz nach der Landung in Berlin, auf den Tisch bekommen. Er hofft, dass du nicht sauer bist."

Oje, wenn es so dringend war, würde es wohl wieder ein Horroreinsatz werden. Na ja, da werden sich die Jungs wohl daran gewöhnen müssen. "Na dann hoffen wir, dass es nicht wieder so schlimm wird."

 

Keiner zwei Minuten später klingelte es an der Wache. Oliver öffnete die Tür und ein Kollege aus dem Streifenwagen kam hereingestürmt.

"Hier Oliver, Tschuldigung hab mein Schlüssel im Auto vergessen. Hallo Kahlyn. Der Pilot sagte mir, du möchtest dich schnellstmöglich mit dem Generalmajor Hunsinger in Verbindung setzten."

"Danke mache ich, aber erst muss ich mir mal die Sache ansehen. Oliver, du versuchst mal die Nummer von dem Generalmajor herauszubekommen. Mit der Telefoniererei kenne ich mich nicht aus. Also bis dann."

Ich schnappte mir den Ordner und verschwand nach hinten ins Büro. Schon nach den ersten Seiten, wusste ich, dass wir Hilfe brauchen würden. Alleine mit unseren beiden Teams, bekämen wir das nicht hin. Ein zweites Mal arbeitete ich den Ordner durch, diesmal mit dem Gesichtspunkt, dass ich ganze neun Teams zur Verfügung hatte. Ja so würde es gehen. Die Kampferfahren Jungs von Conny, dem Oberst dazu, dann wäre es ein durchführbarer mittelschwerer Einsatz.

Ich ging nach vorn zu Oliver in die Wachstube, es war kurz vor dreiviertel Fünf.

"Oliver, Alarm für das Beta-Team, ich brauche die Jungs in einer halben Stunde. Dann eine Verbindung zur Soko Tiranus, um 5 Uhr löst du hier Alarm aus. Ich bin hinten im Büro. Stelle bitte als erstes, eine Verbindung zum Oberst Fleischer her. Bitte Olli, guckt nicht so, ich weiß da keine Nummer und habe auch keine Ahnung, wo ich die herbekomme", erklärte ich Oliver, weil der mich verdutzt ansah.

"Wie du weißt das nicht?"

"Oliver, wir haben nie groß telefonieren brauchen. Ich bekomme die Anrufe nur. Bitte mir läuft die Zeit weg."

Oliver war völlig irritiert. "Geht klar, gehe hinter, ich rufe dich an."

Als ich mich umdrehte, aus der Wachstube gehen wollte, rief er mir hinterher.

"Kahlyn komme bitte noch einmal zu mir, ich will dir etwas zeigen."

Also ging ich noch einmal zu Oliver.

"Schau bitte mal her Kahlyn, wenn du am Telefon die Sterntaste drückst, dann die 0012 hast du vorn die Wachstube, dann brauchst du nicht jedes Mal nach vorn kommen."

Verständnislos sah ich ihn an, dann fiel mir ein, dass ich mit den Leuten aus der Wachstube hier, das Jawefan noch gar nicht gemacht hatte. Das waren ja die Wachmeister von Simons Truppe.

"Geht klar Olli, wenn wir von dem Einsatz zurück sind, will ich einmal alle deine Leute auf einen Haufen haben, dann machen wir das einfacher. Also bis später."

Als er etwas sagen wollte, winkte ich ab.

"Olli, das machen wir später, bitte, ich habe gerade den Kopf voll."

Da nickt dieser mir zu und suchte die Telefonnummer von Oberst Fleischer heraus, legte den Anruf nach hinten auf den Apparat in Büro. Dann löste er Alarm für das Beta-Team aus, die nach dreißig Minuten alle in der Wache sein mussten.

Kaum, dass ich das Büro betreten hatte, klingelte schon das Telefon. "Leutnant Kahlyn vom SEK 61 Gera, am Apparat", meldete ich mich gewohnheitsmäßig, ohne dran zu denken, dass ich ja jetzt Major war. "Oberst Fleischer am Apparat, Kahlyn was ist los, wo brennt es denn? Es liegt doch etwas Schlimmes in der Luft, wenn du mich um diese Uhrzeit aus dem Bett holst", stellte er mit verschlafener Stimme fest.

"Guten Morgen Genosse Oberst, tut mir leid, dass ich sie hab wecken lassen, aber ich brauche ihre und Connys Hilfe bei einem Einsatz. Generalmajor Hunsinger schickte mir diesen gerade per Luftkurier nach Gera. Es ist eine schlimme Sache, die ich selbst, wenn ich alle drei Teams vom Gera zusammennehme, nicht alleine hinbekomme. Ich brauche für den Einsatz mindestens neunzig Einsatzkräfte, bitte sagen sie mir, dass sie und Conny kommen können. Das wird haarig, wir müssen in Rostock im Hafen operieren, wahrscheinlich auf einen Frachter. Sie wissen selber, wie knifflig diese Einsätze sind. Genaues kann ich erst sagen, wenn ich mir das vor Ort angesehen haben. Ich weiß nicht, ob das Rauschgift schon auf dem Frachter ist oder noch in den Hallen, Sir."

Vor meinem inneren Auge, sah ich den Oberst nicken. "Ja, du kannst zwei Teams von mir bekommen. Mit Conny muss ich erst reden. Sag mir bitte einmal konkret, was du alles brauchst. Soll ich die Organisation wieder übernehmen oder machst du das?"

Verlegen holte ich tief Luft. "Sir, wenn ich ehrlich bin, wäre es mir lieb, wenn sie das organisieren. Ich kenne mich hier noch nicht aus, Sir. Ich hab erst seit zwei Tagen die Leitung des Delta-Teams. Detlef wird nun doch für längere Zeit ausgefallen. Er hat eine Lungenentzündung. Ich kenne hier keine Ansprechpartner. Sie wissen doch in der Schule hatte ich alles, was ich brauchte in der Antonow oder habe es über den Oberstleutnant bestellt, Sir", gestand ich meinem Oberst, dass ich mich etwas überfordert fühlte.

"Das kann ich mir vorstellen, Kahlyn. Also, was brauchst du genau, ich organisiere dir das und gebe dir, wenn wir in Rostock sind, auch gleich mal einige Kontaktadressen, wo du Hilfe bekommen kannst."

Erleichtert atme ich auf. "Danke Sir. Also ich brauche folgendes: Als erstes, zwei ihrer Teams, zwei von Conny, dann muss der Transport nach Rostock organisiert werden. Das SEK 6 in Rostock soll Großalarm ausrufen, dort brauche ich alle drei Teams, anders geht das nicht. Die Helis brauche ich deshalb, weil wir mit den Bussen einfach zu lange nach Rostock brauchen. Eine Einsatzzentrale im Hafen, am besten in der Nähe von Krummendorf, mit Schlaf und Duschmöglichkeiten. Das ist etwas abseits, so dass wir unauffällig operieren können. Die Versorgung von neunzig Leuten für mindestens zwei bis drei Tage, eher drei Tage. An Technik, sowie Waffen brauche ich …" Genau erklärte ich ihm, was ich an Materialien benötigte und vor allem an Ausrüstung. Im Hintergrund hörte ich, wie der Oberst mitschrieb.

"Kahlyn, das ist nicht das Problem. Brauchst du Gosch, das wird eins, der ist im Urlaub. Ich kann den nicht schon wieder aus dem Urlaub holen."

"Sir, Gosch brauche ich nicht, er kann im Hafen sowieso nicht fliegen, Sir", erklärte ich ihm kurz entschlossen und hörte ein erleichtertes Aufatmen des Obersts.

"Soll ich Arndt mitbringen für den Notfall?"

"Sir, das brauchen sie nicht. Es wäre einfach nur Quatsch, wenn ich wirklich einmal über das Einsatzgebiet fliegen will, dann können wir die Küstenwache um Hilfe bitten. Das ist einfach unauffälliger. Danke für ihre Hilfe. Wie lange brauchen sie für die Organisation, Sir?", wollte ich noch von ihm wissen.

"Kahlyn, gebe mir eine Stunde, dann kann ich dir sagen, wann ihr abgeholt werdet. Es ist jetzt kurz nach 5 Uhr, um 6 Uhr kann ich dir mehr sagen. Ich rufe auf der Wache an."

"Danke Sir, dann sag ich dem Generalmajor, dass wir die Sache übernehmen, Sir."

Der Oberst legte auf, war in Gedanken schon beim organisieren, wie ich ihn kannte.

Ich wählte vorn die Nummer von Oliver. "Wach…"

"Olli, kannst du mir bitte eine Verbindung zu Generalmajor Hunsinger herstellen", unterbrach ich Oliver sofort, da mir langsam die Zeit wegschwamm.

"Klar mache ich sofort, Kahlyn."

"Danke Olli, ich bin hinten im Besprechungszimmer", gab ich ihm noch Bescheid, wo er mich erreichen konnte.

Nachdenklich nahm ich mir den Ordner, Zettel und Stift, setzte mich nach hinten in das Besprechungszimmer, um die erste Einsatzbesprechung mit dem Beta und Delta Team vorzubereiten. Lange und intensiv sah ich mir die Zeichnungen des Frachters an, den wir stürmen sollten. Mir wurde auch klar, wieso Hunsinger so einen Druck machte. Länger als vier Tagen konnten die Zollbeamten den Frachter nicht festhalten, ohne, dass die Leute dort Lunte rochen.

Genau sah ich mir die Lagerhallen und die Schotts des Frachters an. Wir würden an zwei Stellen kämpfen müssen. Es war eine verzwickte Angelegenheit. Die Teams die ich nicht kannte, würde ich den Teams zuordnen müssen, die mir bekannt waren. Auch musste ich mit den drei Teams vom SEK 6 aus Rostock, das Jawefan vorher machen. Damit ich auch zu den Leuten, die direkte Verbindung hatte. Anders war das nicht möglich. Aber erst musste ich mir vor Ort, die Gegebenheiten persönlich ansehen. Erst dann konnte ich entscheiden, ob mein Vorhaben, wie geplant funktionieren würde. Mitten in diese Gedanken platzte Arno herein, der durch den Alarm geweckt wurde, mich aber nicht finden konnte.

"Ach hier steckst du. Kahlyn, ich hab dich schon überall gesucht. Soll ich dir helfen? Komm erst einmal vor Frühstücken."

Ich schüttelte den Kopf. "Arno, lass mich den Einsatz in Ruhe planen, ein Kaffee wäre lieb. Essen mag ich nichts, ich muss den Wirrwarr an Informationen, erst einmal auseinander sortieren. Bitte ich habe keinen Hunger. Ich esse dann kurz vor dem Fahren etwas."

Schon steckte ich meine Nase, wieder in den Ordner. Arno drehte sich gerade um und wollte den Raum verlassen. "Ach Kahlyn, warum holst du das Alpha Team nicht dazu?", fiel ihm noch eine Frage ein, die er unbedingt los werden musste.

In dem Moment klingelte das Telefon. "Leutnant Kahlyn, SEK 61 am Apparat." Meldete ich mich gewohnheitsgemäß.

Arno schmunzelte und flüsterte mir zu. "Kahlyn, Major musst du sagen."

Verwirrt sah ich ihn an, muss aber auch lachen, winkte aber ab.

"Kahlyn, hier ist der Oberst. Pass auf meine Kleine, wir machen es wie folgt. Ihr werdet um 9 Uhr vom Flugplatz in Gera Leumnitz, von einem Mi-8P abgeholt, gegen 12 Uhr müsste der Transporthubschrauber in Rostock sein. Dort habe ich alles schon organisiert. Südlich von Krummersdorf, wird ein beheiztes Lager aufgeschlagen. Leider ohne Duschmöglichkeiten. Tut mir leid, das bekam ich nicht organisiert. Schulen, sind keine in unmittelbarer Nähe des Hafens. Ich versuche aber, noch etwas zu organisieren."

"Sir, das ist nicht schlimm, Sir. Vielen Dank Sir", erleichtert legte ich auf.

Wandte mich nochmals Arno zu, der wartend an der Tür stehen geblieben war. "Arno, wir müssen uns sowieso Hilfe holen. Ohne Verstärkung, schaffen wir das nicht. Dann können wir das Alpha Team, auch zu Hause lassen. Arno sorgst du bitte dafür, das um 8 Uhr alle hier hinter kommen, zu einer internen Einsatzbesprechung."

Arno nickte und war sofort einverstanden.

"Sag mal, hast du den Schießstand organisiert?", fiel mir ein.

"Ja, Kahlyn. Wir hätten heute Nachmittag drauf gekonnt, ich melde uns dann sofort ab."

"Danke Arno", gab ich gedankenversunken zur Antwort, mich wieder, um die Einsatzplanung kümmernd. Bekam gar nicht mehr mit, dass Arno den Raum verließ. Kurze Zeit später klopfte es wieder, genervt weil man mich nicht in Ruhe arbeiten ließ, kam ein "Herein." von mir. Es war nur Raphael, der mir einen großen Pot Kaffee brachte. "Danke, Raphi", ohne aufzuschauen zeichnete ich Skizzen von der Lagerhalle, in dem ich die Angriffspositionen einzeichnete. Wieder wurde ich gestört, der Generalmajor war am Telefon, das gerade klingelte.

"Leutnant Kahlyn, SEK 61 Gera", meldete ich mich, mit dem Gedanken bei der Einsatzplanung und das Telefon mit der Schulter festgeklemmt.

"Major Kahlyn. Hier ist Generalmajor Hunsinger", kam prompt die Korrektur von Hunsinger.

"Oh", sagte ich nur kurz.

"Du musst du dich wohl erst dran gewöhnen, Kahlyn? Hast du dir die Sache mal angesehen?"

"Sir, wir übernehmen die Sache, es wird haarig, aber es ist machbar, Sir."

Erleichtert atmete Hunsinger auf. "Da bin ich aber froh. Schon vier Mal, ist uns diese Bande entwischt. Die macht dem Rostocker Kollegen, seit fast drei Jahren das Leben zur Hölle. Danke, wenn du Hilfe brauchst sage Bescheid. Kahlyn, bitte ich wollte mich noch einmal wegen vorgestern bei dir entschuldigen, ich…"

Ich unterbrach Hunsinger einfach. "Genosse Generalmajor, wir haben es geklärt. Bitte ich habe den Kopf voll und muss einen komplizierten Einsatz vorbereiten. Wenn nichts Wichtiges ist, dann lassen sie uns ein anderes Mal telefonieren, Sir." 

"Geht klar, dann viel Erfolg", sagte er lachend.

Sofort legte ich den nutzlosen Hörer auf die Gabel und arbeitete konzentriert weiter. Mit keiner Silbe dachte ich daran, dass ich sehr unhöflich gewesen war. Viel zu sehr auf meine Aufgabe und den kommenden Einsatz konzentriert. Etwas, dass mir sehr oft passierte, wenn ich an der Planung von kniffligen Einsätzen saß. Es war mir dann egal, wie ich auf andere wirkte. Wichtig war nur, dass meine Leute gut gesund durch den Einsatz kamen. Es war gerade mal 7 Uhr 34 als ich mit der Planung fertig war.

Froh diesen Planungsmarathon hinter mir zu haben, ging ich nach vorn zu den Jungs, die schwatzend und lachend am Tisch saßen. Kaum, dass ich Platz genommen hatte, stand Simon auf.

"Kahlyn, soll ich dir etwas zu Essen machen", müde nickte ich.

"Ja, mach mir hundert Gramm. Simon denkst du daran, für mich Nahrung mitzunehmen, am besten eine volle Büchse ich werde viel brauchen, ich muss ins Wasser."

"Geht klar Kahlyn, stecke ich sofort ein."

Müde schob ich die Brille nach oben und rieb mir das Gesicht. "Na Engelchen, bist wohl geschafft? Herzlichen Glückwunsch zur Beförderung."

Verwirrt nickte ich zu Ronny, viel zu sehr mit den Gedanken beim bevorstehenden Einsatz, als das ich jetzt an die Beförderung gedacht habe.

"Ja, diese Einsatzplanungen, finde ich schlimmer als die Einsätze selber. Wenn diese vermaledeiten Taktiker doch nur einmal einen Einsatzplan liefern würden, den man auch verwenden kann. Aber diese Theoretiker haben von Tuten und Blasen eine Ahnung, aber nicht vom Kampf. Manne da bin ich in Technik mehr begabt als die im Schreiben einen Einsatzplanes. Es ist immer zum Haare ausreißen, was die einen anbieten. Wenn wir nach deren Plan vorgehen, sind wir morgen alle tot. Die Verbrechen freuen sich und machen munter und lustig pfeifend, genau da weiter, wo wir sie unterbrochen hatten", stellte ich verbittert fest.

Ronny nickte, grinsend machte er den Vorschlag. "Vielleicht sollten die nur ein einziges Mal, eine ihrer eigenen Taktiken anwenden, dann hätten wir Ruhe vor denen."

Jetzt musste ich auch grinsen, den Vorschlag fand ich einfach gut. "Das wäre mal eine gute Idee, dann hätten wir beizeiten ein gelöstes Problem."

Schallend fingen die Jungs an zu lachen. Konnten einfach nicht glauben, was sie da von mir hörten. Dachten sie doch immer, ich würde keinen Sarkasmus kennen. Den kannte ich ja auch in dem Sinne nicht, nur manchmal kamen mir halt solche Sprüche ein. Seit dem ich in Gera war, kam das häufiger vor, als vorher. Ich glaube die Jungs, hatten mich angesteckt.

Tony der gerade von unten hoch kam, um auch zu frühstücken. Legte mir eine Schachtel vor die Nase, in der es klapperte. Verwundert sah ich ihn an.

"Kahlyn, du musst deine Schulterstücke aufrüsten. Meinen Glückwunsch zur Beförderung", gratulierte er mir erfreut.

Ich winkte ab. Ich hatte wichtigeres zu tun, als die Schulterstücke an meiner Dienstkleidung zu ändern. "Lass gut sein Tony, das mache ich, wenn ich einmal Langeweile habe, stell sie einfach in meinen Spind. Mir ist das nicht so wichtig."

Kopfschüttelnd sahen mich die Jungs an.

"Kahlyn, freust du dich denn nicht, dass du jetzt Major bist?", wollte Sebastian, aus dem Beta Team wissen.

Ich zuckte mit den Schultern, was sollte ich dazu sagen. "Weißt du Basti, ich bin doch deshalb kein anderer Mensch. Ob da nur statt einem silbernen Schulterstück ein geflochtenes ist. Ob da statt zwei Sterne nur noch einer drauf ist, spielt das denn eine Rolle? Für mich war das nie wichtig. Ich kann mit meinem Leutnant leben, wichtig ist doch nur, dass ihr mir glaubt", versuchte ich meine Gedankengänge zu erklären.

Kopfschüttelnd hörten mir die Jungs zu. Raphael sagte wie immer das, was den anderen im Kopf herumschwirrte, denn das Delta-Team nickte zu seinen Worten.

"Tja, das ist halt unser Hase. Keiner von euch hätte sich so massiv, gegen eine Beförderung gewehrt. Zum Schluss hätte nur noch gefehlt, dass Hunsinger sich von Kahlyn hingekniet hätte, um sie anzuflehen. Bitte liebes Kahlynchen lasse dich doch endlich befördern", erklärte er lachend dem Beta Team, die gar nicht verstehen konnten, was Raphael meint.

"Raphi, hat dir schon mal jemand gesagt, das du eine verdammt böse Zunge hast. Du bringst mich in Verlegenheit, außerdem können die Jungs von Ronny, das gar nicht verstehen. Höre auf damit", lachend drohte ich ihm, mit der Faust.

Als die Jungs vom Beta-Team nachharken wollten, schüttelte ich den Kopf. "Los Leute nach hinten, ins Besprechungszimmer. Seht einfach einmal auf die Uhr, in einer halben Stunde müssen wir los. Also hinter mit euch", brach ich das Thema, was mir nicht zusagte, einfach ab. Es war nicht wichtig ist. Sofort standen alle auf und liefen nach hinten in den Raum. Ich machte schnell noch einen Abstecher ins Büro, um Olli anzurufen.

"Olli, bist du bitte so lieb und organisierst, dass uns in einer halben Stunde, zwei Wachtmeister auf den Flugplatz bringen?"

"Geht klar Kahlyn, sollen die Busse wieder zurück genommen werden oder auf den Flugplatz stehen bleiben?", wollte er wissen.

"Olli, wenn die Busse auf den Flugplatz stehen bleiben sollen, dann bräuchten wir doch keinen Fahrern. Nein, ich möchte, dass sie zurück in den Hof kommen. Ich mag es nicht, wenn die Busse so lange irgendwo herumstehen", erklärte ich meinem Oberwachtmeister.

"Tschuldigung Kahlyn. Ich glaube ich muss ins Bett, soweit hab ich im Moment jetzt wirklich nicht gedacht. Langsam bin ich platt wie 'ne Flunder, die Doppelschichten machen mich fertig."

"Ist nicht schlimm, Olli. Bis dann." 

Ich legte auf und betrat pünktlich wie ein Uhrmachermeister, genau um 8 Uhr das Besprechungszimmer, in dem alle versammelt waren.

"Also Guten Morgen, euch allen noch einmal. Ich mache es kurz und schmerzlos. Bitte zieht euch warm an. Es ist im Hafen von Rostock immer verdammt windig und kalt. Kurz zu dem, was uns bevor steht. Wir haben es mit einem Rauschgift und Kunstschmugglerring zu tun, dem wir das Handwerk legen sollen. Das Problem an diesem Einsatz wird sein, dass wir an zwei verschiedenen Stellen kämpfen müssen. Bitte Leute, ihr werdet mit fremden Kollegen, aus dem SEK 6 in Rostock zusammen arbeiten müssen. Nehmt euch dieser Kollegen an, weist sie in meine Arbeitsweise ein. Bitte, mir fehlen im Moment einfach die Nerven, um erst wieder gegen dreißig Leute anzukämpfen. Nur, um mir deren Respekt zu verdienen. Ihr kennt mich, wisst was ich kann. Bitte, erklärt es denen, damit die mich respektieren."

Bittend sah ich die Jungs an, die alle nickten. Alle konnten sich vorstellen, dass mich das total ankotzte.

"Desweiteren. Bitte Mike, Hagen, Simon, Kurt, ihr nehmt bitte die Taucherausrüstung mit. Arno, etwas ganz wichtiges, bitte setze dich mit dem Oberst und Conny in Verbindung und zwar so schnell wie möglich. Deren Kampftaucher, sollen bitte auch ihre Ausrüstung mitbringen. Das habe ich vergessen dem Oberst zu sagen. Ich weiß, dass die Leute lieber mit ihrer eigenen Ausrüstung tauchen. Dann werden alle Waffen mitgenommen, Nah wie Fernkampf. An die Scharfschützen, bitte alle nehmen genug Munition mit. Ronny, dir vertraue ich mein Gewehr an. Ich werde es vielleicht brauchen, hab aber so viel Gepäck, ich bekomme nicht alles weg. Raphi, du gehst bitte schnell hoch zu Doko Karpo und lässt meinen Koffer auffüllen. Bringe alle Koffer die er hat mit nach unten. Frage ihn bitte, ob er von dem Ligand noch etwas hat und ob er mir etwas mitgeben kann?"

Raphael nickte, stand sofort auf und verließ den Raum.

Ich machte die Verbindung zu den Beiden auf. "Raphi, Arno hört einfach zu", bat ich die Beiden, da sie ja nun nicht mehr im Raum waren.

"So Leute, bitte hört genau zu, was ich euch in Rostock bei der Einsatzbesprechung sage. Ich habe keine Lust, wieder jemanden zu verlieren. Ich werde nicht in der Lage sein wie in Augustow, innerhalb von Minuten zu helfen. Da ich wenigstens zehn Minute bis zu euch brauche. Es werden alle Mittel eingesetzt, die zum Schutz möglich sind. Euer Überleben ist wichtiger, als die Verhaftung der Leute dort. Keiner Heldentaten. Verstanden?"

Ernst sah ich in die Runde, alle nickten. Kurz umrissen erklärte ich, innerhalb von fünf Minuten, denn die Zeit drängte, das, was auf uns zukam.

"So, dann macht euch fertig. Bis gleich."

Auf den Befehl hin erhoben sich die Kollegen sofort und liefen nach vorn, um sich umzuziehen und auszurüsten. Es war schon 8 Uhr 21 also nicht mehr viel Zeit. Schnell packte ich die Unterlagen für Rostock in den dafür vorgesehen Ordner, damit bewaffnet verließ ich das Besprechungszimmer, mit einem sehr flauen Gefühl im Magen. Einem Gefühl, was mich immer beschlich, wenn ich irgendetwas Wichtiges übersehen hatte. Es half nichts, ich würde mich dann mit dem Oberst darüber unterhalten, meistens fiel diesem auf, wo der Denkfehler sich versteckt hatte. Am Spind, zog ich mich komplett aus und ging schnell unter die Dusche, da ich die Lediros-Creme noch auftragen muss, um meine Haut widerstandsfähiger zu machen. Schnell zog ich den Kampfanzug an, die Nahkampfschuhe und rüste mich aus. Nahm zusätzlich allerdings diesmal, Seile und Gewichte mit. Ein kleines Unterwasserschweißgerät packte ich in meinen Rucksack, sowie Brecheisen und spezielle Saugnäpfe, die ich mit Hilfe vom Doko in der Schule entwickelt hatte. Damit konnte man an glatten ebenen Flächen nach oben klettern, ähnlich derer die Frösche benutzten. Von denen hatte ich mir das Prinzip abgeguckt.

Fertig ausgerüstet, nahm ich noch die Taiji Schwerter, die ich allerdings in den Kisten beließ und den Tonfa. Legte das Pistolenhalfter um und zog meine dicke Jacke an. Die Pistolen beließ ich ebenfalls in den Kisten wie auch das Gewehr. Das war für die Waffen einfach besser, vor allem schonender. Steckte eine spezielle Hartkopfmunition ein, die wir mit Cankats Hilfe im Labor vom Doko entwickelt hatten. Mit deren Hilfe man Betonwände von einer Stärke von fünfundvierzig Zentimeter oder Stahlplatten von einer Stärke von fünfzehn Zentimeter, bequem durchdringen konnte. Selten verwendeten wir diese Munition, da sie sehr teuer war. Die Herstellung dieser speziellen Hülsen dauerte Tage. Auch würden wir immer nur, einzelne dieser Patronen verwenden. Es gab ein spezielles Magazin dafür, dass man schnell wechseln konnte, für die Pistole wie auch für das Scharfschützengewehr. Aber ich war der Meinung, dass ich diese Patronen bei dem Einsatz eventuell gebrauchen könnte. Vollbepackt mit einem riesigen Rucksack, ausgerüstet bis unter den Haaransatz, ging ich mit den Jungs zusammen zum Bus. Raphael musste lachend einen Kommentar geben, den ich gerne gelten ließ.

"Kahlyn, wenn die dich so sehen, ergeben die sich von alleine. Da brauchen wir gar nicht mehr mitkommen", erklärte er mir schallend lachend.

"Na das wäre doch einmal etwas Raphi, dann sind wir schneller wieder zu Hause. Vielleicht hätte ich ganz aufrüsten sollen. Ich hab ja noch nicht alles aus dem Zauberspind geholt", bekam er lachend von mir als Antwort.

Kopfschüttelnd sahen mich die Jungs an.

"So gefällst du mir Engelchen", Ronny klopfte mir lachen auf die Schulter.

Stieg sofort in seinen Bus und gab das Signal zur Abfahrt. Punkt 9 Uhr kamen wir auf den Flugplatz an, stiegen in den schon wartenden Heli, der uns nach Rostock bringen sollte. Die Jungs machten es sich bequem, wir hatten etwas Zeit, denn wir flogen gute drei Stunden. Wenn mit dem Auftanken in Berlin alles zügig klappte, dann waren wir kurz nach 12 Uhr in Rostock, an dem vereinbarten Treffpunkt. Entspannt lehnte ich mich zurück.

Ronny kam auf mich zu. "Engelchen, möchtest du ein bissel schlafen? Ich weiß von Rudi, dass du in Stresssituationen, immer etwas Hilfe brauchst."

Ich nickte verlegen.

"Na, dann komm in meine Arme."

Ronny setzte sich einfach an die Wand des Cockpits und hielt mir die Arme entgegen. Langsam ging ich auf ihn zu, ich hatte zu ihm nicht das Vertrauen, dass ich zu Rudi hatte. Aber es war niemand da, den ich mehr vertrauen würde. Also setzte ich mich neben ihn, legte mich einfach in seine Arme. Seien Ruhe tat mir gut, auch seine Körperwärme.

"Ronny", sagte ich leise in der Verbindung.

"Was ist Engelchen?", wollte er nun ebenfalls, in der Verbindung von mir wissen.

"Mir macht dieser Einsatz Angst. Ich habe Bauchschmerzen. Ich habe das Gefühl irgendetwas Wichtiges übersehen zu haben, etwas, das ausschlaggebend für den Erfolg ist. Ich weiß, dass ich irgendwo einen Denkfehler habe, aber ich weiß nicht wo. Können wir statt zu schlafen, lieber den Ordner zusammen durchgehen. Mir lässt das einfach keine Ruhe", traurig sah ich zu ihm hoch.

"Natürlich, hol den Ordner, so findest du sowieso keine Ruhe, mein Engel", gab er mir auf die gleiche Weise zur Antwort.

Froh, dass er so reagiert, stand ich nochmals auf und holte den Ordner. Gemeinsam gingen wir Schritt für Schritt, noch einmal alles durch.

Plötzlich wurde Ronny still, er grübelte über etwas nach. "Engel, mir kommt da einen Idee. Kann es sein, dass die eine Verbindung geschaffen haben. Die zu einer Luke geht die unter oder oberhalb der Wasserlinie liegen könnte?"

Genau sah ich mir noch einmal, alle Details der Konstruktionspläne des Frachters, aber auch der Halle an. Die Carlos Mutanté, wie der Frachter hieß, war das, was man als Tank-Schüttgutfrachter bezeichnete. Mit dem konnte man verschiedene Massengüter transportieren. Diese Frachtschiffstypen, nutzte man zum gleichzeitigen oder abwechselnden Transport von Rohöl und Erzen, sowie anderen Schütt- oder Stückgütern. Verdammt das war es.

"Ronny, du hast Recht, genau das ist es. Durch die unterschiedlichen Transportgüter, gibt es verschiedene bewegliche Schotts die geöffnet, verschoben werden können. Das heißt, diese sind sehr gut für Verstecke geeignet, aber auch für Hinterhalte", nochmals studierte ich genau die Zeichnungen, dann drehte ich mich zu Ronny um. "Danke, du hast unseren Leuten, gerade das Leben gerettet. Das mir das nicht aufgefallen ist."

Verständnislos sah mich Ronny an, er wusste nicht, was ich meinte.

"Du verstehst es nicht, Ronny?"

Verwirrt schüttelte er den Kopf. "Nein, Engelchen."

"Sieh mal Ronny, dieser Laderaum hier, ist super geeignet, um einen Hinterhalt aufzubauen. Vor allem, soll er laut den Frachtpapieren leer sein, man kann durch die Rutschen der Lagerhalle die wir stürmen müssen, ungesehen in den Frachter gelangen. Sich dort neu formieren, geschlossen gegen die im Frachter befindliche Einheit vorgehen. Genau das war es, was mir Bauchschmerzen gemacht hatte. Du hast deinen Kollegen gerade das Leben gerettet. Ich sehe mir das, dann als erstes einmal in Ruhe, vor allem alleine an. Jetzt geht es mir besser. Danke Ronny." Beruhigt schloss ich den Ordner und lehnte mich an Ronnys Schulter und schloss die Augen. Wir hatte noch fünfundzwanzig Minuten Zeit.

"Schlaf auch noch etwas im schnellen Schlaf, Ronny. Ich brauche euch dann fit."

Kaum hatte ich das letzte Wort gesprochen, schlief ich beruhigt ein. Auch Ronny machte es mir nach und schlief noch etwas. Dreiundzwanzig Minuten später weckte mich der Co-Pilot.

"Genossin Major, wir sind gleich da. Sie sollten ihre Leute wecken."

Verschlafen sah ich ihn an, nickte und stand auf. Reihum weckte ich die Jungs die alle schliefen, worüber ich mich sehr freute. Der Einsatz, würde wieder alles von ihnen verlangen. Kaum, dass alle munter waren, landete schon der Heli, unweit von Krummendorf. Wir stiegen aus und liefen auf den Oberst zu, der uns schon erwartet hatte.

"Genosse Oberst, das SEK 61 aus Gera, meldet sich mit zwei Teams zum Dienst. Leitender Teamleiter Leutnant Kahlyn."

Meldete ich unsere Jungs, gewohnheitsgemäß zum Einsatz an. "Na nun schwindelst du mich aber an, Kahlyn."

Verwundert sah ich ihn an, da zeigte Fleischer auf meine Schulter.

Lachend sah er mich an. "Na, da wirst du wohl eine Weile brauchen, bis du dich dran gewöhnt hast. Meinen Glückwunsch, das war schon lange fällig", gratulierte er mir und zog mich in seinen Arm, um mich zu drücken.

"Wie geht es dir? Wann geschlafen, wann gegessen?", lachend stellte er seine Standartfragen.

"Sir, danke mir geht es gut, Sir. Bis kurz nach 2 Uhr geschlafen, gegen 8 Uhr gegessen, Sir. Wie geht es ihnen, Sir?", eine Gegenfrage stellend, nahm ich mein Gepäck auf und schulterte den Rucksack.

"Gut geht es mir, vor allem weil ich sehe, dass du die Beförderung nicht wieder abgelehnt hast."

Raphael der zu uns aufgeschlossen hatte, grinst breit zum Oberst.

"Was lachst du Raphi?"

Der Oberst sah ihn lachend an, er ahnte glaube ich, was dieser zu erzählen hatte.

"Na ja Genosse Oberst, abgelehnt hat sie diese erst doch. Aber der Generalmajor hat sich diese Beförderung schwer verdient. Es hätte nicht viel gefehlt, dass er vor Kahlyn auf die Knie gefallen wäre und sie angefleht hätte die Beförderung anzunehmen", erklärte er dem immer mehr lachenden Oberst.

"Kahlyn, sag nur du hast dem Franz das Leben schwer gemacht."

Mit den Schultern zuckend, erklärte ich meinem Oberst. "Sir, sie wissen doch, wie das bei mir ist. Ich lasse mich nicht kaufen. Ich dachte aber, er wollte das machen. Das geht doch mal gar nicht, Sir."

"Er hat es geschafft dich vom Gegenteil zu überzeugen, Kahlyn? Das kann ich bald nicht glauben."

Nickend sah ich ihn an. "Sir, sie haben immer zu mir gesagt, ich sollte endlich Vertrauen zu meinen Vorgesetzen haben. Ich hoffe er wird mich nicht enttäuschen. Aber ich habe ihm versprochen das ich ihn überall finde, Sir", berichte ich ihm offen.

"Na, dann wird er sich wohl ab heute überlegen, ob er immer ehrlich und offen zu dir ist. Na kommt gehen wir zur Basis, es ist arg kalt heute. Ich habe sogar eine Halle bekommen mit Heizung und Duschen", forderte uns Fleischer auf, ihm zu folgen. Wir liefen los, denn es war wirklich tüchtig kalt. Die Jungs ebenfalls mit vielen Taschen beladen, folgten uns.

"Sir, da muss ich sie wohl schon wieder loben. Aber nicht das ihnen das zu Kopf steigt, wenn sie so viel Lob bekommen, Sir", bekam er statt einem Lob zur Antwort.

Lachend schlug er mir auf die Schulter. "Nee, keine Angst Kahlyn, ich bekomme keine Höhenflüge."

Lachend lief ich neben ihm her. Kaum zehn Minuten brauchten wir bis zu der Halle. Als wir diese betraten war schon voller Betrieb dort, denn das SEK 6 aus Rostock trainiert gerade Nahkampf, mit den Leuten aus dem SEK 1 von Oberst. Interessiert sah ich ihnen zu, anerkennend nickte ich.

"Sir, die sind ja mal nicht ganz schlecht, Sir", flüsterte ich leise zum Oberst, der nickte.

"Ja Kahlyn die Truppe ist super, der Leiter des SEKs ist über fünf Jahre durch deine Schule gegangen. Kannst du dich noch an Phillip Kürschner erinnern? Den hast du immer geärgert, weil du immer Pille zu ihm gesagt hast."

Genau sah ich mir die Leute an. Klar, da stand mein Pille, der hat aber zugelegt. Ich glaubte es nicht und drückte dem Oberst lachend mein Gebäck in die Hand. Zog die Schuhe und die Jacke aus. Die Jungs aus meinem Team, sahen mich fragend an.

Der Oberst lachte schallend und sah die Geraer Truppe an. "Lasst mal, den Spaß haben die Beiden jedes Mal gemacht."

Der Oberst konnte es sich nicht verkneifen mir leise und kaum hörbar hinterher zu rufen. "Kahlyn, lass den Pille ganz."

 

Ich nickte und sprintete los. Mit einem Salto, den ich in die Weite sprang, machte ich einen Satz über die vier Reihen Kämpfer und stand plötzlich vor Phillip Kürschner. Der einen Bruchteil einer Sekunde zögerte, schon hatte ich ihn Hane-Maki-Komi, einen Springdrehwurf auf der Matte. In dem ich ihn von vorn, am rechten Ärmelpackte in den Taillenbund seines Overalls griff, ihm mit meinem rechten Fuß seinen Fuß wegtrat und mit der rechte Hüfte aushebelte und mit dem Schwung einer Drehung, auf dem Boden legte. Pille versuchte sich im Fallen zu drehen und sich mit einer Rolle über mich zu bringen. Pilles Schwung ausnutzend, drehte ich mich aus dieser Rolle heraus und mit einem schnellen Griff an den Kehlkopf, justierte ich ihn am Boden.

"Tod, mausetot", stellte ich lachend fest.

Völlig perplex lag er da und starrte mich total entgeistert an. Fast sofort ließ ich ihn wieder los, da erst erkannte er mich.

"Ich glaube mich beißt ein Schwein, mein Lynchen", kam der freudige und völlig fassungslose Ausruf von ihm.

Lachend hielt ich ihm die Hand hin, um ihm beim Aufstehen zu helfen. "Hallo Pille, immer noch nicht auf Überraschungen gefasst. Aber schön zu sehen, dass deine Reflexe immer noch an sind."

Kopfschüttelnd sah er mich an, sprachlos und völlig von der Rolle. "Wo kommst du denn her, Kahlyn? Ich glaube es einfach nicht, träume ich?" Pille rieb er sich tatsächlich die Augen. "Sag nur, du bist unsere Verstärkung. Der Oberst hat zu mir gesagt, ich würde mich über den Einsatzleiter freuen."

Endlich erwachte er aus seiner Starre und zog mich in seinen Arm. Hob mich, so wie es Conny oft machte, einfach auf seine Hüften. Nicht nur seine Männer schauten verwundert auf das ungleiche Paar, dass wir abgaben. Denn Phillip war hundertdreiundneunzig Zentimeter groß und hundertundsieben Kilo schwer. Ein laufendes Muskelpaket, also Kraft pur. Wie gegen die meisten meiner Kampfgefährten, wirkte ich dagegen noch zierlicher, kleiner und vor allem jünger, als ich es so sowieso schon war.

Mit seinen siebenundvierzig Jahren war er einer der ältesten Teamleiter, die ich je erlebt hatte. Er war allerdings immer noch topfit, wenn er auch in den letzten Jahren sehr grau geworden war. Von seinem schönen schwarzen Haar, war nicht mehr viel übrig. Auch war es sehr dünn geworden.

"Dann machen wir erst einmal Pause, von dem Schrecken muss ich mich jetzt erst einmal erholen", gab er zu und gab damit seinen Jungs die Erlaubnis wegzutreten.

Die nun interessiert auf uns zu kamen.

"Na sag mal Pille, wer ist das denn. Das gibt es doch gar nicht, dass wir dich mal auf der Matte liegen sehen. Das hab ich noch nie erlebt. Wo kommen du denn her Mädel, bist du vom Himmel gefallen?", wandte sich ein untersetzter Kollege an mich.

Zum Glück sprang Phillip für mich ein, der mich nur zu gut kannte. Da ich den Kollegen nicht kannte, konnte ich nicht so antworten wie ich es bei meinen Freunden machen würde.

"Lass mal Rolf, ich stelle sie euch gleich vor. Erst muss ich mich von dem Schreck erholen. Lynchen, mir wäre jetzt fast das Herz stehen geblieben. Ach, mein kleines Mädchen, lange habe ich dich nicht mehr gesehen. Schmal bist du geworden."

Immer noch hielt er mich auf den Hüften, aber auch in den Armen. "Pille, wenn du so weiter machst, erdrückst du den Einsatzleiter. Das gehört sich überhaupt nicht", alberte ich mit ihm herum.

Jetzt erst wurde ihm bewusst, dass er mich immer noch knuddelte. Erschrocken stellte er mich auf die Füße.

"Danke Pille, du weißt doch, ich habe Höhenangst. Aber mal Spaß beiseite, jetzt geht es mir doch gleich besser. Da wird der Einsatz, gar nicht mehr so schlimm. Komm ich stelle dir mal meine Jungs vor." 

Ich schnappte mir einfach seine Hand und zog ihn hinter mir her, zu den immer noch fassungslos dastehenden Jungs, aus meinem SEK.

"Also Jungs, das hier ist Oberst Kürschner. Wir kennen uns aus dem SEK 1 vom Oberst. Ich hab ihn vor zehn Jahren angefangen auszubilden. Pille, das hier sind die Jungs von SEK 61 Gera, in dem ich seit zwei Monaten bin. Das hier ist Ronny der Teamleiter vom Beta Team, das hier ist Arno der Teamleiter vom Delta Team, das sind…", nach einander stellte ich alle Mitglieder vor. "… na ja ich gehöre eigentlich zum Alpha Team, bin aber für ein verletzten Kollegen eingesprungen. Ich freue mich so, dass du dabei bist. Dann habe ich gleich zwei Leute, die in der Wand laufen können. Das ist gut so."

Pille schüttelte den Kopf. "Nein Kahlyn, bei mir können das alle. Bei mir kommt man erst in ein Team, wenn man das kann. Du musst wissen ich habe ein Ausbildungsteam, dort müssen alle erst durch. Um in eins der SEK Teams zu kommen, muss man einige Bedingungen erfüllen. Wandlaufen, ist eine Grundforderung die ich an meine Leute stelle. Es sortiert die Leute aus. Na, dann kommt mal rein. Hallo wacht auf, bei Kahlyn müsst ihr euch an solche Sachen gewöhnen", versuchte Pille die Geraer Truppe aus ihrer Starre zu lösen, die immer noch perplex in Raum standen.

"Pille, ich hab sie erschreckt. Kommt Jungs suchen wir uns noch einen Platz. Sag mal Pille, ist Conny schon da?"

Pille schüttelte den Kopf. "Nein Lynchen, die hatten mit dem Heli Probleme, die kommen in ungefähr einer halben Stunde. Da hat etwas nicht gestimmt, der musste kurz noch einmal in die Werkstatt."

Also nahm ich meine Sachen und sah mich um.

"Lynchen, hinten rechts in der Ecke, die Matte wurde vom Oberst reserviert, ich glaube extra für dich."

Dankend nickte ich und lief nach hinten auf die Matte, legte meine Sachen dort ab. Nahm mir meinem Ordner und ging zum Oberst ins Büro. Kurz sprach ich mit ihm alles durch und bekam seinen Segen. "Na, verschwinde noch ein wenig nach draußen. Wann willst du die erste Besprechung durchführen, Kahlyn? Wie ist dein Zeitplan?" Interessiert sah er mich an.

"Sir, ich würde das gerne wie folgt machen, sobald Conny mit seinen Teams da ist, eine Teamleiterbesprechung. Danach werde mit den Jungs von Pille das Jawefan machen, so kann ich sie auch erreichen. Danach eine erste Einsatzbesprechung, so gegen 15 Uhr, kommt ja darauf an, wann Conny da ist. Dann Abendbrot, danach für euch Training, Sir. Bitte bringt den drei Teams alles bei. Ich sehe mir als erstes die Halle an, dann den Frachter. Wenn ich zurück bin, werde ich etwas schlafen, dann folgt eine zweite Einsatzbesprechung. Beginn denke ich, morgen um Mitternacht, der Zugriff erfolgt wie ich es immer Handhabe gegen 2 Uhr. Bitte sorgen sie dafür, dass die Jungs ausgeruht sind, Sir", erklärte ich ihm wie ich vorgehen wollte.

Der Oberst war einverstanden. "Also wie üblich. Du weißt aber, dass das eine verdammt haarige Sache wird."

Betrübt nickte ich. "Sir, das stimmt, mir machen da einige Sachen, arge Bauchschmerzen. Aber wir haben ja genug gute Männer dabei, das wird schon klappen, Sir", den Oberst zunickend stand ich auf und ging nach draußen. Die Jungs saßen oder standen schon in bunt gemischten Grüppchen zusammen.

Ich sah mich nach Pille um. "Pille, kann ich dich und deine Teamleiter, einmal kurz sprechen."

Pille rief nach den Kollegen "Egon, Bodo kommt ihr bitte mal."

Ich winkte den dreien zu, mir folgen. Lief nach hinten, in meine Ecke. "Sir, bitte setzen sie sich kurz her, Sir. Pille du kennst meine Art der Teamführung noch?", wandte ich mich an die beiden mir nicht bekannten Personen und ebenfalls an Pille, den ich über Jahre kannte.

"Klar Lynchen, ich weiß auch, dass du immer noch Probleme damit hast jemanden, sofort zu duzen. Lynchen, ich habe deine Art der Teamführung übernommen. Du weißt die hat mir schon immer gefallen. Also meine Jungs musst du nicht sitzen, vergesse das Sir ganz schnell. Das hier ist Edgard kurz Egon, das hier ist Bodo. Leute, das hier ist mein Lynchen, von der ich euch immer so vorschwärme. Jetzt hab ihr die kleine Zwecke selber einmal erlebt."

Kopfschüttelnd, sahen mich die beiden an. "Mein Gott, ich dachte immer du übertreibst Pille. Aber jetzt bin ich nahe dran, dir alles zu glauben, was du uns von ihr erzählt hast. Also hallo, darf ich Kahlyn sagen."

Damit hielt er mir die Hand hin, ich sah Pille an. Wie immer unsicher im Umgang mit Fremden, schlug ich diese mir dargebotene Hand erst einmal aus. Das brachte mir gleich wieder eine Rüge von Pille ein, der das nie verstanden hatte.

"Lynchen, immer noch so vorsichtig im Umgang mit Fremden, diese Unart legst du wohl nie mehr ab."

Verlegen zuckte ich mit den Schultern und fing an nervös mit den Fingern zu spielen. Pille griff über meine Hände und drückte mein Kinn nach oben.

"Lynchen, ist nicht schlimm, die Jungs verstehen das. Leute lasst Kahlyn einfach Zeit, sie vertraut nicht gleich jedem. Ich kann verstehen warum. Also, was ist los Lynchen, warum wolltest du uns sprechen?" Neugierig sah er mich an.

"Pille, ich möchte euch etwas geben, damit ihr besser klarkommt im Kampf, auch ohne Funker. Dazu brauche ich aber eure Zustimmung. Vor einem knappen Monat bekam ich das durch Zufall heraus. Ich möchte später mit euch das Jawefan machen, um euch das Fobnekotar, das Taiji, das Eztakfu, Körperkontrolle beizubringen. Aber vorher habe ich noch eine Bitte an euch. Pille, kannst du dafür sorgen, dass ich hier nicht wieder erst, den Kampf der Kämpfe machen muss. Dass man mich einfach so akzeptiert, wie ich bin. Weil, wenn ich ehrlich bin, ich kann das einfach nicht mehr hören. Sir, sie müssen wissen, ich habe andere Augen als sie, Sir. Muss deshalb diese Brille tragen, weil das Licht meinen Augen weh tut, Sir. Aber dieser Brillenquatsch, geht mir einfach auf den Nerven, Sir. Ich weiß ich sehe jung aus, das bin ich ja auch, im Vergleich zu euch, Sir. Denn ich bin erst sechzehn Jahre, Sir. Aber ich habe seit dreizehn Jahren, tagtäglich mit solchen Einsätzen zu tun, Sir. Bin seit über dreizehn Jahren Teamleiter der Todesschwadron gewesen, Sir. Bitte, ich habe einfach keine Lust mehr auf diesen Quatsch, Sir."

Mit diesen Worten, setzte ich meine Brille ab, einfach um diesen Findungsprozess abzukürzen. Sonst musste ich mich wieder, gegen drei neue Teams durchsetzen. Erschrocken wichen diese zurück.

"Lynchen, das kann ich mir vorstellen, ist es denn immer noch so schlimm, auch, wenn du jetzt Major bist?"

Lachend sah ich Pille an. "Pille ich bin erst seit wenigen Stunden Major, habe alle Beförderungen immer wieder abgelehnt. Aber diesmal konnte ich nicht anders und habe sie angenommen. Denke aber nicht, dass es dadurch besser wird. Ich glaube eher, dass dies mich eher noch unglaubwürdiger, dastehen lässt. Soll ich dir das Beweisen?", fragte ich ihn, einer inneren Eingebung folgend.

Pille grinste breit. "Bei meinen Jungs, hast du da keine Chance", behauptete Pille sofort.

Dennoch glaubte ich, dass er sich da irrte. Also stand ich auf und ging auf eine Gruppe mir unbekannter Leute zu. Stellte mich nur dazu und hörte etwas zu. Es dauert keine zwei Minuten, bis sich einer auf mich einschoss.

"Na sag mal, wem hast du denn die Schulterklappen geklaut, vor allem nehm mal die Sonnenbrille ab, so hell ist das Licht hier auch nicht."

Ich drehte mich um, sah Pille an, lachend erklärte ich in seine Richtung. "Siehst du Pille, habe ich es nicht gesagt."

Zu dem relativ jung aussehenden Kollegen jedoch sagte ich, nachdem ich ihn wieder angesehen hatte. "Genosse Leutnant, wer hat ihnen eigentlich erlaubt mich zu duzen, Sir?", mit schräggehaltenen Kopf sah ich ihn an.

"Niemand, aber Kindergartenkinder spreche ich immer mit du an", provozierte er mich weiter.

Wütend sah ich ihn an, verlor seit langem wieder einmal richtig die Beherrschung. Mich nervt diese arrogante Ader mancher Kollegen einfach nur noch. Das war schon das zweite Mal, in so kurzer Zeit, dass man mich als Kindergartenkind bezeichnete. Das fand ich schon, ganz schön hart. Vor allem weil ich durch Tim jetzt wusste, was dieses Wort bedeutete.

Kurz entschlossen griff ich ihn an. In dem ich einfach mit beiden Händen nach seinem rechten Handgelenk, sowie seinem rechten Ellenbogen griff. Blockte mit dem rechten Unterarm, seine aus dem Reflex nach mir schlagende Hand ab, in dem ich meine rechte Hand von dessen Handgelenk löste. Umfasste dabei sofort sein linkes Handgelenk, mit meiner rechten Hand. Ließ den Ellenbogen los. Griff mit meiner linken Hand, seitlich um sein Gesicht, stellte zeitgleich meinen linken Fuß so, dass ich ihn mit dem linken Knie justieren konnte. Zog mit der linken Hand seinen Körper mit viel Kraft nach hinten und brachte ihn so zu Fall. Drehte ihm im Fallen zu mir, in dem ich seinen linken Arm einfach zu mir zog. Drehte ihm, den Arm auf den Rücken, um ihn so zu justieren. Das Ganze hat keine drei Sekunden gedauert, völlig widerstandslos hatte er sich legen lassen. Da er auf einen Angriff von mir, nicht gefasst war.

"Sir, sie müssen wahnsinnig schlecht ausgebildet sein, Sir. Wenn sie sich von einem Kindergartenkind, wie mir, so einfach legen lassen, Sir", erklärte ich ihm wütend.

Egon, der das so nicht hinnehmen konnte, sprang auf und kam auf mich zu. In seinen Augen war das mehr als ernst, es ging um den Ruf seines Teams.

Pille der seine Leute sehr gut kannte, sagte in einer keinen Widerspruch zulassenden Stimme. "Egon, was soll das. Ferdi hat Kahlyn provoziert, sie hat ihm nur bewiesen, dass er unrecht hat."

An mich gewandt. "Kahlyn, lass Ferdi bitte los, wir brauchen ihn dann noch. Ich weiß jetzt, was du meinst. Komm beruhige dich wieder."

Ernst sah er mich an. Wütend ließ ich den, am Boden liegenden Kollegen los. War aber mehr über mich selber erschrocken, dass ich so die Kontrolle verloren hatte. Tief atmete ich durch, schüttelte dann über mich selber den Kopf. Hielt den am Boden liegenden Kämpfer einfach die Hand hin.

"Sir, entschuldigen sie bitte, Sir. Aber ich finde es nicht in Ordnung, als was sie mich bezeichnen, ich bin seit über dreizehn Jahren im Kampf, Sir", erwartungsvoll sah ich ihn an, der Angesprochene lag immer noch kopfschüttelnd auf den Boden.

"Ich glaube, ich muss mich entschuldigen. Tut mir echt leid, dass ich sie als Kindergartenkind bezeichnet habe. Ich glaube eher, ich kann von ihnen noch etwas lernen."

Entschuldigend drein blickend, ergriff er meine Hand und ließ sich nach oben ziehen. Kopfschüttelnd, sah er auf mich herunter. "Mein Gott Mädel, hast du Reflexe, das ist mir lange nicht mehr passiert, dass ich so schnell auf dem Boden lag. Können wir noch Freunde werden", entschuldigte er sich und hielt er mir die Hand hin.

Ich sah unsicher zu Pille, der nickte.

"Lynchen, nimm die Hand ruhig. Ferdi ist ein ganz Lieber, den kannst du jeder Zeit deinen Arsch anvertrauen, genau wie mir."

Offen sah ich ihn an. "Sir, ich muss die Brille tragen, ich habe andere Augen wie sie, das Licht tut meinen Augen weh, Sir."

Wie oft ging es mir durch den Kopf, hab ich diesen Satz schon gesagt. Also nahm ich wieder einmal die Brille ab, um meine Augen zu zeigen. Erschrocken, sahen mich die Jungs an.

"Tut mir leid, das wusste ich nicht."

Nickend musterte ich ihn, immer noch mit der Brille in der Hand. "Sir, vielleicht wäre es ratsam, das nächste Mal zu fragen, warum? Bevor man dumme Sprüche, von sich gibt, Sir", sagte ich und drehte mich ohne die Hand genommen zu haben um.

Ich konnte das einfach nicht so schnell wegstecken. Wieder einmal wurde mir klar, wie isoliert wir die ganzen Jahre waren. Stets mussten wir nur uns selber vertrauen. Zu anderen waren wir immer äußerst vorsichtig. Langsam ging ich auf mein Team zu, die von weitem beobachtet hatten, was schon wieder los war. Als Pille mir nach kommen wollte, schüttelte ich nur den Kopf. Ich musste mich erst einmal beruhigen. Deshalb wandte sich Pille an Ferdi. "Ferdi, nehme es nicht persönlich, Kahlyn ist so. Sie ist viel zu oft von uns enttäuscht wurden. Sie kann nicht so schnell vertrauen. Geb ihr Zeit, das wird schon", nickend klopfte er seinen Teammitglied auf die Schulter. Ließ sein Team erst einmal stehen, um mir hinterher zu laufen.

"Ich hab's halt versaut", stellte Ferdi leise zu sich selber fest.

In der Zwischenzeit hatte ich Ronny erreicht. "Was war denn los Engelchen?", wollte er von mir wissen.

"Ach nichts weiter. Ich ärgere mich nur gerade über mich selber. Ich habe gerade eben völlig die Beherrschung verloren. Etwas, das nicht oft passiert. Aber mich nervt das nur noch. Warum kann ich nicht so aussehen wie ihr, schon hätte ich weniger Probleme", gab ich ihm niedergeschlagen zur Antwort.

Pille der uns gerade erreicht hatte, legte den Arm um meine Schulter. "Lynchen, glaube mir Ferdi ist ein ganz Lieber. Der hat das nicht so gemeint."

Traurig sag ich zu ihm hoch. "Weißt du was Pille, mir geht das nur noch auf die Nerven. Es ist überall, wo ich hinkomme das Gleiche. Nach den Einsätzen, sind sie dann alle nett. Warum akzeptiert man mich nicht einmal von Anfang an. Neulich haben wir einen Einsatz mit einem Steiger gehabt, in einem Bergwerk. Der hat mich komischerweise gleich akzeptiert. Warum könnt ihr das nie", wutentbrannt sah ich ihn an.

Mir war schon klar, dass ein völlig Unschuldiger meine Wut abbekam, aber ich konnte es nicht ändern. Ich musste irgendwo Luft und vor allem Wut ablassen.

"Willst du mit mir jetzt auch einen Kampf machen?", wollte er lachend von mir wissen.

Ehe ich antworten konnte, kam Conny mit seinen beiden Teams in die Halle. Ich ließ die anderen einfach stehen und lief auf Conny zu. Der seine Arme aufhielt.

Ich sprang ihm in die Arme. "Endlich mal jemand, der mich so nimmt, wie ich bin", sagte ich als erstes zu ihm, als er mich, auf seinen Hüften sitzen hatte und sich mit mir zusammen drehte.

"Hallo Engelchen, na du bist ja schlecht drauf. Wer hat dich denn so geärgert?", lachend sah er mich an.

Ich zeigte während des Drehens, einfach auf alle.

"Was alle?"

Ich nickte, aber schon wieder lachend.

"Das geht ja wohl gar nicht", war Conny der Meinung und setzte mich auf den Boden.

"Wer besonders?", frech zeigte ich grinsend auf Pille.

Der in diesem Moment, auf uns zu kam. Im gleichen Augenblick lagen die beiden Freunde sich in den Armen.

"Verdammt Pille, wo kommst du denn her? Sag mal, du bist ja fast so dunkelhaarig wie ich", lachend foppte er den alten Freund und langjährigen Teamkameraden.

"Na ja, ganz noch nicht. Aber, wenn Lynchen so weiter macht, dann schon."

Da es jetzt schon kurz nach halb Zwei war, hängte ich mich in das Gespräch. "Könnt ihr eure Erinnerungen, bis nachher verschieben. Ich würde gern eine Teamleiterbesprechung durchführen. Ronny, Arno. Pille, du mit deinen Teamleitern. Conny, du mit deinen zusammen in das Büro vom Oberst", befahl ich, durch eine klare Ansage.

"Na, das ist doch mein Lynchen, wie ich sie kenne, klare genaue Ansagen. Bodo, Egon, ihr habt es gehört, mitkommen."

Pille wandte sich um und lief auf das Büro vom Oberst zu. Auch die anderen folgten ihm. Ich drehte mich kurz zum Koch meines Teams um und rief meinem Team zu. "Simon, bist du so lieb und bringst du uns kurz zehn Kaffee ins Büro, danke. Raphi, macht ihr bitte alles fertig zur Einsatzbesprechung. Lasst euch bitte von den Leuten vom Oberst, Conny und Pille helfen. Danke."

Im gleichen Moment war auch ich, zu einer ersten Einsatzbesprechung im Büro vom Oberst verschwunden.

"Guten Tag meine Herren", begrüße ich erst einmal alle. Verwundert stellte ich fest, dass es elf Leute waren die hier saßen.

"Kahlyn, ich bin auch mit, mein Team hat Frei zurzeit. Aber vielleicht kannst du mich ja gebrauchen", gestand mir Conny lachend.

Verstehend nickte ich ihm zu. "Das ist nicht schlimm oder besser gesagt, das ist sogar gut. Ich kann jeden gebrauchen, der es versteht in der Wand zu laufen. Na in Ordnung, kommen wir zu dem, weswegen wir hier sind."

Ernst sah ich alle an, angespannt rieb ich mir das Genick. Etwas, dass ich instinktiv machte, wenn ich nicht wusste wie ich anfangen sollte. Tief holte ich deshalb Luft.

"Ich möchte mich für diejenigen kurz vorstellen, die mich vom SEK 6 und von SEK17 noch nicht kennen. Zu mir ist nicht viel zu sagen, außer, dass ich bei meinen Einsätzen absoluten Gehorsam verlange. Dies ist deshalb zwingend notwendig, weil ohne diesen Gehorsam meine Einsatzpläne, komplett in sich zusammenstürzen. Der Oberst hat es genau, wie das SEK 61, beim letzten Einsatz erlebt. Also bitte, auch dann, wenn ihr als Teamleiter nicht alle der von mir gegebenen Befehle vollkommen versteht, bitte befolgt diese ohne zu hinterfragen. Pille, du weißt das ich sonst niemals vor der Einsatzbesprechung, mit den Teamleitern rede, diesmal ist dies aber zwingend notwendig. Also passt auf, folgendes riesiges Problem, haben wir bei diesem Einsatz. Wenn wir zum Angriff übergehen…" Genau schilderte ich den Teamleitern, worin das Hauptproblem dieses Einsatzes lag. Erst sahen mich die Männer verwirrt an. Als ich allerdings die Zusammenhänge genauer erklärte, wurde ihnen klar, dass ein Zusammenspiel nicht nur der Angriffsgruppen, sondern auch die Zeitnähe zwingend notwendig war. Verstehend nickten sie. "… Deshalb würde ich im Anschluss an diese Besprechung, mit deinen Leuten Pille das Jawefan machen. So dass auch deine Leute die Verbindung zu mir bekommen, so sind Absprachen zeitnah möglich. Wie das genau funktioniert, zeigt euch im Anschluss Conny und der Oberst. Seid ihr damit einverstanden?", verunsichert sahen mich die Männer an.

Conny sprach wohl aus, was die anderen dachten. "Engelchen, die Jungs wissen bestimmt nicht, was du mit der Verbindung meinst, wie sollen sie da ja oder nein sagen. Darf ich das für dich erklären."

Nickend stimmte ich ihm zu. "Vielleicht kannst du das besser erklären als ich Conny, ich hab da immer meine Schwierigkeiten."

Breit grinsend sah mich Conny an. "Das kann ich mir vorstellen. Ihr müsst euch das wie folgt vorstellen. Es ist wie eine interne Funkverbindung ohne einen Funker, vor allem ohne diese immer in den Ohren drückenden Kopfhörer. Du hörst deine Kampfgefährten, permanent während des Kampfes. Wir haben das jetzt seit einen knappen Monat. Es ist einfach wunderbar, ein viel besseres Arbeiten. Vertraut Kahlyn einfach. Auch, wenn ihr euch das nicht richtig vorstellen könnt. Macht es", beendete Conny seine sehr knappe Erklärung.

Ronny der sonst eher zurückhaltend war, meldete sich jetzt auch zu Wort. "Glaubt mir, wir wolle es nicht mehr missen. Ich würde es als eine Art Telepathie bezeichnen, aber interner Funk klingt nicht schlecht", ergänzte er das Gesagte.

Daraufhin stimmten die drei Teamleiter zu.

"Ich würde deshalb vorschlagen, Pille du sortierst bitte die Leute ich möchte nicht alle mit einmal machen, sondern in drei Gruppen. Sortiere bitte die Teams so, dass diejenigen die viel Schmerzen aushalten bei mir rechts und links sitzen. Die am wenigsten aushalten mir gegenüber. Bitte mache es einfach, ich möchte nicht alles nochmal erklären. Diejenigen die nicht am Jawefan teilnehmen, sind raus aus dem Einsatz, die bleiben hier", erklärte ich ernst in keinem Widerspruch zulassenden Ton, Pille, wie ich es haben wollte.

Pille kam aus dem Grinsen nicht mehr raus, so kannte er seine kleine Freundin. "Geht klar Lynchen, dann komm lass es uns hinter uns bringen."

Conny wandte sich jedoch noch einmal an mich. "Kahlyn, ich habe noch fünf Leute die diese Verbindung nicht haben, könntest du die mit in die Kreise nehmen?", bat er mich einfach.

"Ja bitte, baut sie in den Kreis mit ein. Genosse Oberst bei ihnen in der Truppe, können das alle?"

Der Oberst nickte.

Sofort stand ich auf und lief nach draußen in die Halle. Conny kam auf mich zu. "Engelchen, sage mir bitte mal, was hast du da für ein Plan ausgeheckt. Dir ist schon klar, dass dies eine haarige Angelegenheit wird", verwundert sah er mich an.

"Conny, anders funktioniert das aber nicht. Ich weiß, dass es Arschkalt für euch sein wird. Aber, was soll ich sonst machen, anders kommen wir an den Frachter nicht heran. Wir sind doch alle darin ausgebildet, im kalten Wasser zu schwimmen, es geht wirklich nicht anders. Wenn wir vom der Dockseite an den Frachter heran gehen, haben wir keine Chance. Ich habe alle Varianten durchgerechnet, so haben zwar hinterher alle Schnupfen, aber wir bekommen es hin."

Conny wackelte mit dem Kopf. "Engelchen, du weißt aber, dass du schon bei der Erkundung zigmal ins Wasser musst."

Lachend klopfte ich ihn auf die Schulter. "Conny, ich werde die Einzige sein, die keinen Schnupfen bekommt. Sorge einfach dafür, dass ich, wenn ich wieder komme, eine Warme Decke vorfinde und in Ruhe duschen kann. Dann taue ich schnell wieder auf. Dann passt das schon."

In diesem Moment waren wir auf der freien Stellen angekommen.

"Dann wollen wir loslegen. Die erste Gruppe bitte", gab ich das Kommando.

Der Oberst, Conny, aber auch Arno, sowie Ronny halfen mir die Leute zu sortieren. Schnell saßen die ersten Kollegen im Kreis, zu meinem Erstaunen waren wir sehr schnell im Jawefan und fast genauso schnell wieder heraus. Nur fünfzehn Minuten brauchte ich, um das Jawefan bei der ersten Gruppe zu beenden, nach einer Stunde hatte ich all denjenigen, die noch nicht in der Verbindung waren, alles Wichtige beigebracht. Verwundert stellte ich fest, dass es immer schneller ging. Lag es an mir, weil es mir zurzeit so gut ging. Ich war schon dieser Meinung, ich brauchte kaum Schmerzen zurückzuhalten. Es hatte richtig Spaß gemacht. Kurz vor 15 Uhr, war ich mit allen durch. Konnte dadurch bei diesem Einsatz auch die Verbindung nutzen und die Funktionsweise später bei der Einsatzbesprechung kurz erklären.

"So, setzt ihr euch bitte alle auf eure Plätze. Folgendermaßen, die Teamleiter außen Rechts. Die Kampftaucher auf die linken Seite ebenfalls die Nahkämpfer die Scharfschützen direkt neben die Teamleiter. Haben das alle verstanden?", bat ich vorn an der Memotafelnd stehend. Alle setzten sich auf die vorbereiteten Stühle.

"Meine Herren, vielen Dank, dass sie die Teams vom SEK61 und des SEK6 unterstützen. Alleine, hätten wir keine Chance, diesen Einsatz heil zu überstehen. Kurz zu mir, ich fasse mich sehr kurz, die meisten hier kennen mich schon, die mich noch nicht kennen, werden mich schon sehr bald kennenlernen."

Ein schallendes Gelächter, bekam ich von den Truppen und nicht nur von denen, die mich schon lange kannten. Verständnislos sah ich die Jungs an.

"Kahlyn, lache einfach mit", bat mich Raphael, sich die Lachtränen aus den Augen wischend.

"Ach ihr seid albern, wirklich. Was hab ich denn schon wieder gesagt, dass ihr euch wegschmeißt, Raphi?", kopfschüttelnd winkte ich ab. "Ach egal, lacht nur. Es wird euch gleich vergehen. Also darf ich weiter machen", ernst sah ich die Jungs an, alle nickten, immer noch gegen das Lachen kämpfend.

"Mein Name ist Leut…" Schon merkte ich, dass ich falsch lag. "Nein, mein Name ist Major Kahlyn, ich bin sechszehn Jahre alt, seit dreizehn Jahren Teamleiter, genauso lange Einsatzleiter", als es unruhig werden wollte, wurde ich sehr laut, vor allem sehr genervt. "RUHE", ernst sah ich die Jungs, die rummaulten an. "Glaubt es einfach. Leute bitte es nervt mich total, ständig erst einen Kampf zu kämpfen, dass man mich anerkennt. Bitte, bei mir ist vieles anders als bei euch, seht meine Augen."

Ich nahm einfach die Brille ab. Setzte sie sofort wieder auf. Ich spannte kurz meine Muskeln an und sprang nach oben in die Balken. Zog mich hinauf und machte einen Salto nach unten. Stand sofort wieder an der Stelle, an der ich kurz zuvor noch stand. Mit erstaunten Gesichtern, sahen mich die Jungs an, die mich noch nicht kannten.

"Glaubt mir einfach, wenn nicht, seid ihr raus aus dem Einsatz. Ich brauche hier einfach Leute, die mir vertrauen. Nach dem Abendessen unterhaltet ihr euch, mit den Jungs die mich schon länger kennen, wenn ihr mir nicht glaubt. Aber bitte hört mir erst einmal zu. Kurz zu den von mir geleiteten Einsätzen. Ich duze alle, bei mir zählen keine Ränge, alle sind gleich. Ich habe euch vorhin die Verbindung gegeben, alle machen diese zu mir auf. Wie, erkläre ich euch dann noch. Jeder meiner Befehle wird befolgt. Alles Ungewöhnliche, teilt ihr mir mit. Haben das alle verstanden", fragend sah ich die Kollegen an. "Das ist gut. So, nun zu dem Einsatz. Folgende Teams werden zusammenkämpfen. Nutzt die Zeit, um euch noch kennenzulernen. Die Paar kämpfen immer zusammen, bei jedem Training, was hier durchgeführt wird. Das ist ein Befehl. Euer Überleben hängt davon ab, dass ihr aufeinander eingespielt seid. Das Team 1 besteht aus folgenden Kämpfern Paar 1 Mike, Pille, Paar 2 Simon, Rolf, Paar3 Passy, Kai, Paar 4 Hagen, Klaus, Paar 5 Kurt, Ben…" Nach einander rief ich alle Teams auf, ordnete diese den jeweiligen Partner zu. "… wie ihr gemerkt habt besteht das Team 1 aus den Kampftauchern. Das Team 2 sind die Scharfschützen, das Team 3 die Nahkämpfer. Jedes Paar, bildet sich aus zwei verschiedenen SEKs, das ist notwendig, da ihr vom SEK 6 Kämpfe in Frachtern und Lagerhallen besser kennt, als die anderen Teams. Die Leitung vom Team 1 hat Conny, von Team 2 Raphi, von Team 3 Ronny. Das hat nichts damit zu tun das ich das SEK 6 ausschließen will, es hängt nur damit zusammen, dass ich diese Leute kenne. Dass die meine Sprache sprechen. Ich neige im Kampf dazu, die Schulsprache zu benutzen, ihr kenn die erst seit zehn Minuten."

Raphael meldete sich. "Was ist Raphi?"

"Du meinst ich soll das Team führen, ich bin vom Rang der Kleinste."

"Raphi, hörst du eigentlich nie zu. Bei den von mir geleiteten Einsätzen, spielen Ränge keine Rolle. Alle sind im Rang auf einer Stufe. Es gibt nur eine einzige Ausnahme, das ist mein Oberst. Raphael, du schaffst das, irgendwann muss jeder einmal ein Team leiten. Du hast mir in Augustow bewiesen, dass du das kannst. Hast in einer sehr heiklen Situation den Kopf behalten. Richtige und vernünftige der Situation angepasste Entscheidungen getroffen, ich vertraue dir. Nur das zählt. Vertraue dir selber."

Weiter ging ich auf diese Diskussion nicht ein.

"Pille, bitte sei nicht böse, aber wir haben seit Jahren nicht mehr miteinander gekämpft. Ich weiß, dass du gut bist, aber ich kenne Conny aus hunderten von Einsätzen, ich weiß wie er reagiert."

Pille lachte mir zu, er kannte meine Vorgehensweise nur zu gut. "Wir werden, wenn ich nicht noch irgendwelche schwerwiegenden Sachen später feststelle, wie folgt vorgehen…" Schritt für Schritt erklärte ich den Einsatz. Sah Kopfschütteln bei denen die mich nicht kannten. Bestätigendes und wiederholtes Nicken bei den alten Kameraden. Schmunzeln bei denen, die mich schon in viele Einsätzen dieser Art kennen gelernt hatten. Klärte viele Fragen die gestellt wurden, vertröstete aber auch einige, die das, was ich vorgeschlagen hatte als undurchführbar einstufen.

"So, ich hoffe, ihr habe das jetzt alles verstanden. Bitte redet mit dem Team von Gera, Conny und den Oberst. Die kennen mich zum Teil ziemlich gut. Vertraut mir einfach. Oberst wie sieht es aus, hast du die Nahkampfschuhe organisieren können?", wollte ich jetzt noch wissen.

"Kahlyn, die kommen in den nächsten Stunden."

"Danke Oberst, wir gehen wie folgt vor. Ihr esst jetzt Abendbrot, mir macht der Koch bitte…" Kurz überlegte ich. "Pille weißt du, wie kalt ist das Wasser im Hafenbecken heute ist?"

Pille sieht mich verwundert an. "Das bekomme ich raus, gib mir zehn Minuten." Verstehend nicke ich. "…hundert Gramm Brei. Ich komme dann noch einmal kurz hier herein. Ich esse später noch etwas, so ist es besser. Oberst, ihr macht dann als erstes das Taiji. Ich will, dass die Jungs ruhiger werden. Danach das Eztakfu, hinterher mindestens sechs Zyklen Fobnekotar. Allerdings würden mir zehn besser gefallen. Bitte erklärt den Kollegen das schnelle Schlafen. Ich will euch morgen Abend fit sehen. Es wird in den Paaren trainiert, die ich eingeteilt habe. Nutzt jede Minute, um euch kennen zu lernen. Der Einsatz wird haarig werden. Das war es fürs Erste, dann ab mit euch. Ich möchte in einer halben Stunde los", gab ich jetzt die Anordnung, sich zu beeilen.

Ich ließ die Jungs die Tische wieder hinstellen, auch den Tisch an räumen, überließ ich den anderen, ging nach hinten in meine Ecke.

Conny folgte mir. "Na Engelchen, bist du fertig? Diese Einsatzbesprechungen, machen dich doch immer kaputt. Willst du zehn Minuten abschalten?"

Ich schüttelte den Kopf. "Conny, ich habe keine Zeit dafür, ich muss los."

Conny schüttelte den Kopf. "Engelchen komm, höre auf. Es ist doch egal, ob du ein paar Minuten später losgehst. Ich sehe doch wie müde du bist", er zog mich einfach nach unten auf die Matte. Recht hatte er, also hörte ich auf ihn und legte mich hin. Conny kuschelte sich hinter mich. Zwei Atemzüge später schlief ich für zehn lange erholsame Minuten.

 

Vorn bei den Tischen unterhielten sich die Kollegen der verschiedenen Teams. Zwei Mitglieder aus dem Rostocker Team standen abseits der Anderen und schienen in eine heftige Diskussion vertieft zu sein. Pille beobachtete die Beiden schon eine Weile zu. Es erinnerte ihn an seine Anfangsjahre und an die erste Begegnung mit Lynchen. Er konnte sich vorstellen, was dort los war. Das Verhalten der Beiden gefiel ihm gar nicht. Ihm würde wohl nicht erspart bleiben da einzugreifen. Hoffentlich drehte Gerd nicht wieder so am Rad, wie er es sonst machte, dann würde er ihn hierlassen müssen. Gerd hatte sich mit Kalle von den Anderen zurückgezogen, weil er sich Luft machen musste.

"Ich kann mir nicht helfen, diese Kahlyn macht auf mich den Eindruck, dass sie von nichts keine Ahnung hat. Was soll das eigentlich? Warum reißt sie einfach unsere Teams auseinander? Ich fühle mich einfach sicherer, wenn du in meiner Nähe bist. Mit diesen Acar kann ich nicht, du weißt doch wie ich bin. Ich kenne ihn nicht und vertraue ihm nicht sonderlich", Gerd sah seinen Freund wütend an. "Wieso setzt uns Pille so einen Jungspund vor die Nase? Das auch noch als befehlshabenden Offizier. Seit wann lässt sich Pille von so einem Greenhorn etwas sagen. Ich verstehe die Welt echt nicht mehr. Und dann noch der Typ, der unsere Gruppe leiten soll, der ist gerade mal Unterleutnant, was soll das alles, Kalle?"

Kalle klopfte seinem besten Freund auf die Schulter. Nur zu gut wusste er, wie sehr Gerd an Minderwertigkeitsgefühlen litt. Er war der Einzige der etwas über Gerds, wahres Leben wusste und wie sehr dieser Bestätigung brauchte. Dass man ihm jetzt jemanden vor die Nase setzte, der im Rang unter ihm stand, verkraftete der Freund absolut nicht. Beruhigend versuchte er zu erklären, wieso das so ist, um diesen zu besänftigen. Ihm selber war so etwas nicht wichtig. Vor allem, mochte er dieses junge Mädchen, sie hatte irgendwie sofort sein Herz erobert.

"Gerd, komm, nehm es einfach wie es ist. Du kannst es doch sowieso nicht ändern. Lass uns mal mit dem Team aus Gera reden und uns darüber informieren, was diese Kahlyn für eine ist. Ich weiß, sie sieht nicht mal aus wie sechszehn Jahre. Ich würde sie höchstens auf vierzehn schätzen. Aber immerhin ist sie schon Major, diesen Rang bekommst du nicht geschenkt."

Gerd wollte nichts davon wissen. Er hatte sich wie schon so oft, festgefahren in einer gebildeten Meinung. Das die Majorin nichts taugte und er besser wusste wie es ging. Pille der seine Männer kannte, ahnte, dass es Probleme geben würde. Gerd hatte schon vor diesem Einsatz gesagt, dass er endlich einmal eine Chance bekommen wollte. Als er ihm erklärte, dass er darauf keinen Einfluss hatte, da nicht er die Einsatzleitung hatte, sondern ein Teamleiter aus Gera, ging Gerd schon an die Decke. Ihm stank es an immer hinten zu stehen. Gerade, deshalb bat er Kahlyn darum, Gerd den Scharfschützen zu zuteilen. Da bei diesem Einsatz einfach keine Helden gebrauchte wurden. Die Diskussion der Beiden dauert Pille einfach zu lange, er kannte seine Leute und wusste, wann er eingreifen musste.

"Was habt ihr denn für Geheimnisse?", stellte er sich mit einer schnippischen Bemerkung zu seinen Teammitgliedern und sah er die Beiden an.

"Nichts, was dich etwas angeht, Pille", gab Gerd gereizt von sich.

Pille verdrehte innerlich die Augen, es war wie immer. "Oh, da irrst du dich aber gewaltig, mein lieber Gerd. Alles, was die Unzufriedenheit meines Teams betrifft, geht auch mich etwas an. Es bringt euch nämlich in Gefahr."

Gerd winkte ab und wollte weggehen.

"Gerd, du bleibst hier. Wir beide hatten in der letzten Zeit, schon einige böse Auseinandersetzungen. Wenn es dir in meiner Dienststelle nicht mehr gefällt, dann sage das. Ich kann dich gern versetzen lassen. Aber solange du in meiner Dienststelle arbeitest, befolgst du ohne zu Murren meine Befehle. Ansonsten, mein lieber Freund bist du schneller raus aus dem Team, als dir lieb ist. Habe ich das jetzt so ausgedrückt, dass du es verstanden hast", böse sah nicht nur Gerd seinen Chef an, der auch sein Freund war, sondern auch Pille seinen Untergebenen.

Der seit einigen Wochen wirklich schwierig war. Er kam einfach an Gerd nicht mehr richtig heran und hatte keine Ahnung an, was das lag. Er wollte ungern auf den jungen etwas hitzigen Kollegen verzichten, wenn dieser sich allerdings, weiter in diese falsche Richtung entwickelte, würde er sich von ihm trennen müssen. Auch, wenn er sein Freund war. Er hatte lieber lebende Freunde, als welche die der Sensenmann geholt hatte.

"Pille, dir folge ich auch ohne zu murren. Aber nicht diesen Baby dahinten. Sieh sie dir doch einmal genau an. Der soll ich vertrauen Pille? Du hast sie doch nicht mehr alle. Sieh genau hin, die braucht sogar jemanden der sie in den Arm hält, zum Heia machen", er zeigte wütend in Richtung von Kahlyns Schlafplatzes.

"Gerd, lasse dich nicht von solchen Sachen täuschen. Neunzig Prozent der Sachen, die du von mir gelernt hast, brachte mir dieses Baby bei, wie du Kahlyn gerade genannt hast. Die hat schon gekämpft, da warst du noch in der Schule und wusstest nicht einmal, dass du irgendwann einmal in einem SEK sein wirst. Ich weiß, für dich ist das alles schwer vorstellbar. Aber wenn ich dir einen Rat geben darf, beobachte sie, schaue genau hin, was sie macht. Dann wirst du es begreifen, wie verdammt gut sie ist. Lynchen zu unterschätzen ist ein riesengroßer Fehler Gerd. Vor allem ein Fehler der verdammt weh tut. Du hast mir bis jetzt immer vertraut. Warum nicht diesmal?", böse sah Pille, Gerd an.

Es machte ihm verrückt, dass sein Kollege nicht hören wollte. Gerd war einer seinen besten Scharfschütze und ein wirklich guter Nahkämpfer, zudem noch ein sehr netter Kollege. Er verstand einfach nicht, wieso dieser ab und an einfach dermaßen aus der Spur lief. Er konnte sich bei fast allen Sachen auf Gerd verlassen. Nur wenn es um Verantwortung ging, da versagte sein Kollege vollkommen. Das war der Grund, warum er nicht weiterkam. Gerd wollte einfach mehr, als er schon konnte und wollte nicht einsehen, dass er für bestimmte Dinge noch nicht reif war.

Kalle stimmte seinem Teamleiter zu. "Gerd, hast du gesehen, wie sie Pille gelegt hat. Verdammt noch einmal, wir trainieren jetzt schon fast fünf Jahre mit Pille, keiner von uns hat das je geschafft."

Gerd winkte ab. Wie immer, wenn er sich eine feste Meinung gebildet hatte, war er schwer vom Gegenteil zu überzeugen.

"Gerd, ich verlange ja nicht von dir, dass du Lynchen so liebst, wie ich es mache. Für mich ist sie wie eine kleine Schwester, genau wie für Conny. Dazu musst du sie einfach näher kennenlernen, erst dann kannst du sie verstehen. Lynchen hat verdammt schlimme Zeit erlebt. Dass ihr Conny beim Schlafen hier in der Halle hilft, hat seinen Grund. Es hängt nur damit zusammen, dass sie in fremden Umgebungen nicht schlafen kann. Der kleinen Maus, hat mir Arno und Raphi vorhin gerade erzählt, geht es im Moment nicht so sehr gut. Deshalb zwang sie Conny dazu, dass sie zehn Minuten schläft. Sie wäre vorgestern fast gestorben. Dass sie heute einen Einsatz macht, gefällt keiner der Kollegen aus Gera. Aber sie hat diesen angenommen und das obwohl sie schon seit fast zwei Monaten am Limit läuft. Sie ist bis jetzt noch nicht zur Ruhe gekommen. Bitte Gerd, gebe ihr nur eine Chance sich dir zu beweisen. Mehr verlange ich nicht von dir", er hielt seinem Untergebenen die Hand hin.

Gerd ergriff dessen Hand ohne zu zögern, er mochte Pille. Sein Teamchef war für ihn so etwas wie ein Vater geworden. Er hatte in Pillen einen Menschen gefunden, das erste Mal in seinem Leben, dem er hundertprozentig vertrauen konnte. Noch nie hat er ihn belogen, stets hatte er ihn beschützt. Obwohl sie einige schlimme Auseinandersetzungen gehabt haben.

"In Ordnung. Wenn ich aber merke, dass dieser Raphael es nicht schafft, dann greife ich ein."

Pille lächelte gequält, manchmal war Gerd eine Nervensäge, wen er auch nur Gutes wollte. "Mach das. Aber du wirst sehen, dass Raphi das schafft, steh ihm zur Not bei und vor allem helfend zur Seite. Lynchen hat ein gutes Gespür, für Leute die es lohnt zu fördern. Vertraue ihrem Instinkt, der ist bei ihr angeboren. Diese Kinder wurden gezüchtet, um zu Kämpfen. Na kommt, sondert euch nicht ab. Macht euch mit euren Partnern bekannt. Ihr müsst euch dann blind, auf einander verlassen können." Gerd und Kalle nickten und setzten sich mit Pille zusammen an den Tisch. Begannen sich jetzt auch mit den Kollegen zu unterhalten. Erleichtert holte Pille Luft und hoffte sehr, dass Gerd nun Ruhe gab.

 

Genau in dem Moment, als die drei Männer sich an den Tisch setzten, wurde ich munter. "Danke Conny, jetzt geht es mir wieder besser. Lass mir zwanzig Minuten ich will schnell noch duschen und mich eincremen. In Gera hatte ich nicht mehr genügend Zeit, das richtig zu machen."

Conny ging nach vorn an den Tisch und ließ mich in meiner Ecke allein. Zur Küche hin rief er. "Kahlyns Brei mache ich dann."

Sofort zog ich mich aus und verschwand nackt wie ich war, in der Dusche. Da diese hinter den Tischen lag, an denen alle zusammensaßen, musste ich an den Kollegen vorbei. Unterm Arm trug ich meine Sachen und in der Hand die Creme. Wie immer störte es mich nicht, nackt zwischen den Männern herumzulaufen. Wir waren nichts anderes gewohnt. Die Teams vom SEK 6 sahen mir erschrocken nach, da sie die ganzen Narben auf meinem Körper sahen, vor allem die auf den Rücken. Gerd, der sich gerade noch weigern wollte, Befehle von mir anzunehmen, sah den ihm gegenübersitzenden Raphael entsetzt an.

"Was ist denn mit der passiert?", wollte er wissen.

Raphael sah Gerd wütend an. "Tja das sind Erinnerungen, an die netten Erziehungsmethoden ihres ehemaligen Vorgesetzten. Genaues weiß ich auch nicht. Aber wir haben diesen Typen einmal erlebt. Dieser Arsch war bei uns in der Wache und hat Kahlyn dort behandelt. Die Jungs vom Alpha Team haben mir das erzählt. Rudi, unser Dienststellenleiter, bekam einen Schlag von ihm ab, weil er dazwischen gegangen ist. Er sagte zu mir. "Ich dachte ich muss sterben." Kahlyn dagegen, zuckte nicht mal mit der Wimper. Es muss ganz schön heftig gewesen sein, dort in ihrer Schule. Vor allem, ist der Hase richtig gut. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was die drauf hat."

Gerd sah den sein Gegenüber erstaunt an. Der Unterleutnant aus Gera sprach mit der höchsten Achtung von Kahlyn. Sollte er sich doch in ihr täuschen? Er würde, so nahm er sich vor, sich dann mit Raphael einmal ausführlich unterhalten. Pille der Gerd beobachtet hatte, da er mit dem Gedanken spielte ihn aus dem Team zu nehmen. Nickte, bat den rechts neben Gerd sitzenden Otto, mit ihm den Platz zu tauschen.

"Gerd, ich kann dir Sachen von Lynchen erzählen, die du dir nicht mal vorstellen kannst. Dieses Mädchen, rennt mit drei Kugeln in der Lunge noch schneller, als du. Bei einem Einsatz vor ungefähr sieben Jahren, die Kleine war damals neun Jahre, kam sie verletzt bei uns an. Keiner von uns bekam das mit. Damals war sie auf der Suche nach Conny. Mit achtundzwanzig Kugeln im Körper, hat sie sechs Tage lang, die Geiselnehmer gejagt. Nach drei Tagen fand sie Conny, befreite ihn nach zehn Tagen Geiselnahmen. Wirklich keiner hat mehr daran geglaubt. Statt sich damit zufrieden zu geben, jagte sie den entkommenen Geiselnehmer noch, bis sie auch den hatte. Erst dann stellten wir fest, dass sie schwerste Verletzungen hatte. Glaube mir, nach dem Einsatz, denkst du anders über die Kleine."

Gerd sah Pille ungläubig an. "Frag Conny, der erzählt dir die Geschichte bestimmt", forderte Pille und ließ Otto wieder auf seinen Platz und ging auf mich zu. Ich kam gerade dampfend aus der Dusch.

"Jungs, ich lasse meine Creme mal in der Dusche stehen. Bitte, die Finger weg von der Creme, die tut eurer Haut nicht gut. Fragt Conny, der wollte die mal probieren, hatte ewig Hautprobleme", erklärte ich lachend, setzte mich zu meinem Team. "Arno, du sorgst bitte dafür, dass die Jungs dann schlafen, ich brauche euch morgen fit. Nutzt das schnelle Schlafen."

Arno sah mich musternd an. "Kahlyn, ist alles mit dir in Ordnung? Du bist so blass."

Ich winkte nur ab. Conny brachte mir den Brei. "Conny, ich kann jetzt nicht so viel essen. Warum sage ich dir eigentlich die Mengen, wenn du dich nie daran hältst. Verdammt diese Nahrung ist teuer", schimpfte ich ihn aus.

Conny hatte es bestimmt gut gemeint und mir wenigstens dreihundert Gramm gemacht. Die konnte ich jetzt nicht essen, das wäre zu viel, denn mein Enzymwert ging wieder nach oben. Er lag bei 39 Prozent, ich musste also aufpassen, dass er nicht wieder nach oben schoss. Gerd der mir gegenüber saß, starrte angewidert auf meinen Teller. Ich ignorierte ihn einfach. Da ich mich suchend, nach Raphael umsah.

"Raphi, hat dir der Doko eine Spritze für mich mitgegeben? Ich hoffe es sehr, sonst bekomme ich dann Probleme", wollte ich von ihm wissen. Aß in der Zwischenzeit ein Drittel des Breies, den Rest schob ich weg.

"Kahlyn, die Spritze liegt im Ampullenkoffer hat ein rotes Kreuz. Du sollst aber höchstens eine Einheit spritzen", erklärte er mir.

"Danke Raphi. Conny, falls es mir wieder so beschissen geht, wie vorgestern und ich vielleicht nichts sagen kann, lass dir von Raphi die Spritze zeigen. Die gibst du mir wie gewohnt in die Halsschlagader, aber bitte ganz langsam, so wie das C99. Wenn du zu schnell spritzt, bringt mich das um."

Der Oberst sah mich erschrocken an. "Kahlyn…"

Weiter ließ ich ihn nicht reden. "Oberst, du weißt genau so gut wie ich, dass ich bei diesem Einsatz mit muss. Ihr kommt hier alleine nicht durch. Bitte Genosse Oberst, ich brauche wirklich keinen zusätzlichen Stress, Sir, das tut mir im Moment gar nicht gut. Der Wert des Ginoenzyms, steigt sowieso schon wieder, bitte erspare mir diese Diskussion. Das war nur eine Information für Conny und ist nichts anderes als eine Vorsichtsmaßnahme. Vertraue mir einfach, bitte Oberst."

Der Oberst sah mich traurig an. "Wie geht es dir Kahlyn? Arno hat mir gesagt, du wärst vorgestern fast gestorben. Stimmt das?"

Böse sah ich Arno an, der verlegen auf seinen Teller sah.

Der Oberst nahm Arno aber in Schutz. "Kahlyn, ich habe Arno genötigt mir das zu erzählen. Also schimpfe nicht mit ihm. Beantworte mir einfach meine Frage. Es ist für mich nur eine Information, damit ich mich auf Notfälle einstellen kann", ernst sah er mich an.

"Mir geht es nicht besonders, aber wann ging es mir in den letzten zwei Monaten schon einmal gut. Oberst bitte, du weißt ich schaffe den Einsatz. Aber macht mir bitte, keinen unnötigen Stress. Bitte", flehend sah ich ihn an.

"In Ordnung", gab er nach. 'Ich werde Jacob anrufen, dass er sich in die Startlöscher setzt und Tim Bescheid sagen dass er den Adler fertig macht und ihn auf Bereitschaft setzen. Kahlyn gefällt mir überhaupt nicht. So bin ich auf Eventualitäten vorbereitet', nahm sich Fleischer vor. Er ließ die Ansage von seinem kleinen Mädchen gelten, obwohl ihm nicht wohl dabei war, zu gut waren ihn die letzte Auseinandersetzung, in Augustow, noch bewusst.

"Oberst, ich mache los, bitte absolviert das Trainingsprogramm, so wie wir es besprochen haben. Oberst, Conny ihr bringt den Jungs alles bei, vor alle, die Verbindung und das schnelle Schlafen", bittend, sah ich die beiden nacheinander an.

"Bitte, ich habe dazu im Moment einfach nicht die Nerven und vor allem die Zeit. Mir wird Himmelangst und bange, wenn ich an den Einsatz denke und ich habe Bauchschmerzen ohne Ende", gestand ich den beiden in der internen Verbindung, um den Kollegen die mit uns am Tisch saßen keine unnötige Angst zu machen. "Irgendetwas passiert bei dem Einsatz. Conny, Oberst ihr wisst, dass ich immer Recht behalten mit solchen Gefühlen. Und bitte sorgt dafür, dass mir Pilles Leute vertrauen und mir vor allem gehorchen. Erzählt ihnen meinetwegen Horrorgeschichten von mir", setzte ich lachend nach.

Die beiden Offiziere die mich am besten kannten nickten und grinsten von einem Ohr zum Anderen, wurden aber sofort wieder ernst. Sie wussten leider zu gut, dass solche Prognosen von mir zu neunundneunzig Prozent wahr wurden. Ich wollte keine unnötige Zeit mehr verschwenden und erhob mich deshalb, um hinten an meiner Matte, meine Nahkampfausrüstung anzulegen. Der Oberst folgte mir.

"Kahlyn, bitte schimpfe nicht gleich wieder mit mir. Komm sieh mich mal an." Genervt drehte ich mich um und sah den Oberst an.

"Kahlyn, bitte versprich mir, wenn es nicht geht, dann sage mir einfach Bescheid. Dann muss ein Räumkommando kommen, dann müssen die den Einsatz, auf ihre Weise klären."

Ich holte tief Luft. "Sir, ich denke es wird gehen. Sir dann gibt es nicht nur Tode auf der Seite der anderen, sondern es sterben wieder viele Kollegen. Sie wissen, dass ich das nicht zulassen kann, Sir. Bitte Genosse Oberst, ich brauche im Moment wirklich keinen Stress, Sir. Akzeptieren sie es doch einfach mal wie es ist, Sir. Ich bekommen das schon hin, so wie ich immer alles hinbekommen, Sir. Wissen sie, ich sehne mich einfach nach etwas Ruhe und danach, dass man mich endlich einmal so akzeptiert wie ich halt bin, Sir, und mich nicht immer nur auf meine Größe reduziert, Sir."

Traurig zog er mich in seine Arme. "So schlimm Kahlyn."

Plötzlich fing ich an zu weinen. "Sir ich möchte nach Hause in mein altes Leben, Sir. Ich komme hier einfach nicht klar, Sir", verzweifelt schielte ich zu ihm hoch und lag schluchzend in seinem Armen.

"Ich weiß meine Kleine, ich weiß. Wenn ich euch nur dabei helfen könnte. Nie hätte ich mir vorstellen können, dass ihr solche argen Probleme mit der Umstellung bekommen würde. Du bist nicht die Einzige, die in unserem Leben nicht klar kommt. Ich ging damals davon aus, dass ihr alle froh sein werdet, endlich von diesem Unmenschen Mayer wegzukommen. Deinen Freunden geht es ähnlich wie dir, allerdings haben die weniger Probleme mit der Akzeptanz. Weißt du meine Kleine, vor zwei Jahren habe ich dir kein Wort von dem geglaubt, was du prophezeit hast: Dass euch die Umstellung von der Schule, zum normalen Leben so schwer fallen würde. Ich habe es wirklich nicht verstanden, aber langsam denke ich, dass du damals mit allem, was du mir erklärt hattest Recht behältst. Aber glaube mir Kahlyn, in einem Jahr, lacht ihr über all diese Schwierigkeiten, die ihr heute habt. Dann habt ihr euch an unser Leben gewöhnt", der Oberst versuchte mich zu trösten und streichelte mir meinen Rücken. "Weißt du, das Hauptproblem deiner Freunde ist, dass sie dich alle unendlich vermissen, vor allem dein Lachen. Raiko mit dem ich jetzt öfters zu tun hatte, fragt jedes Mal nach dir und ich soll dir ausrichten, er vermisst dich und er hätte über die letzten Jahre einmal nachgedacht. Er lässt dir ausrichten, dass es ihm leid täte und er endlich begriffen hat, dass er so manches Mal die Gruppe verriet. Vor allem sein Verhalten in Chile würde ihm leid tun. Was er damit meinte, weiß ich nicht, er wollte darüber nicht reden. Raiko erklärte mir aber, dass du genau wüsstest, was er meint. Vielleicht reden wir hinterher mal in Ruhe miteinander, mir ist da eine Idee gekommen, wie wir euch das Leben etwas erleichtern könnten. Vielleicht gefällt sie dir ja. Komm beruhige dich mein Mädchen, sonst bist du wieder nicht bei der Sache und wirst verletzt. Glaube mir es wird besser werden, mit der Zeit. Du musst es nur etwas langsamer angehen", liebevoll streichelte er mein Gesicht.

Mühsam versuchte ich mich wieder zu fangen. "Sir, entschuldigen sie bitte, Sir. Ich weiß nicht, was mit mir los ist, Sir. So etwas ist mir früher nie passiert, Sir."

Der Oberst lächelte mich an. "Kahlyn, vielleicht lernst du langsam, was es heißt ein Mensch zu sein. Bis jetzt denke ich, habt ihr alle nur funktioniert. Das beste Beispiel ist Raiko, den würdest du nicht mehr wiedererkennen. Ich sah ihn vor zwei Tagen, in Berlin bei einer Besprechung und habe mich sehr lange mit ihm unterhalten. Dein Freund ist regelrecht aufgeblüht. Ich hab ihn fast nicht erkannt. Er ist richtig glücklich in seiner neuen Einheit und vor allem, hat er sich wirklich gut von seinen Verletzungen erholt", versuchte er mich aufzumuntern.

Es tat gut zu hören, dass es wenigstens einigen von uns gut ging.

"Genossen Oberst, machen sie sich keine Sorgen, ich passe auf mich auf, Sir", versprach ich ihm. Fest sah ich ihm in die Augen. Endlich hatte ich mich wieder gefangen.

"Dann ist gut Kahlyn, soll ich dir Conny mitschicken?", ernst sah ich ihn an.

"Sir, ich weiß noch nicht, was auf mich zukommt. Sie wissen ich arbeite am liebsten alleine, wenn es ums Auskundschaften geht. Ich melde mich in der Verbindung, wenn etwas ist oder ich Hilfe brauche, versprochen Sir."

Energisch drehte ich mich aus seinen Arm und lief nach draußen. Zum Entsetzen derer, die mich nicht kannten, nur im Bustier und Turnhose. So wie ich es gewohnt war, allerdings bewaffnet bis unter die Zähne. Es war schon fast 19 Uhr, als ich die Halle verließ und mich in Richtung Norden zu dem Schüttgutkai begab, an dem die Carlos Mutante festgemacht hatte. Vorsichtig erkundete ich jeden Schatten ausnutzend, die Umgebung. Es würde verdammt schwer sein, hier ungesehen herzukommen.

"Oberst, wir haben ein großes Problem", meldete ich mich beim Oberst.

"Was ist Kahlyn?", stellte er mir einer Frage.

"Oberst, ich habe keine Ahnung wie ich die Jungs ungesehen, an die Halle bekommen soll. Hier ist alles hell erleuchtet, selbst ich hatte Mühe, alleine hier ungesehen herzukommen. Das Einzige, was mir spontan einfällt wäre, dass wir einen kleinen Trick benutzen, den ich in Kolobrzeg in Polen einmal genutzt habe. Wir haben einfach für eine bestimmte Zeit, den Strom ausgeschaltet. So konnten unsere Leute, ungesehen zu den Gebäuden, zu denen wir wollten. Vielleicht klären sie das, kurz mit den zuständigen Stellen im Hafen ab. Vor allem geben sie eine dementsprechende Information, an die betreffenden Hallen, so dass das Manöver nicht auffällt. Von Mitternacht bis 2 Uhr laufen in den Häfen die wenigsten Verladungen, dort kann man so etwas gut getarnt durchführen", machte ich den Oberst den Vorschlag. Der einzigen Idee, die mir zu dieser Sache kam.

"Ich überdenke es mal, danke für die Vorinformation."

In dem Moment fiel mir noch etwas anderes ein. "Oberst, können sie sich bitte einmal erkundigen oder mit Pille beraten, ob es die Möglichkeit gibt durch die Kanäle zu den Hallen zu kommen. Das wäre auch noch eine Variante, vor allem ob wir an die Kanalzugänge ohne Probleme heran kommen. Ich sehe mir das vor Ort mal an, aber alles kann ich nicht auskundschaften, das würde zu lange dauern. Besorgen sie mir bitte gleich die Baupläne", erleichtert atmete ich auf. Ich würde mir gleich einmal die Kanäle ansehen.

"Ich erkundige mich Kahlyn."

Langsam ging ich weiter und kam immer näher an den Frachter heran. Die Mutante lag sehr günstig, weit genug von den einsehbaren Bereichen, der anderen Frachter entfernt. So konnten wir uns von der Wasserseite her, zum Frachter vorarbeiten. Das gegenüberliegende Schiff musste der Oberst allerdings umlegen lassen, egal wie er das anstellen konnte.

"Genosse Oberst, am Kai gegenüber liegt der Frachter Liesbeth, ein portugiesischer Frachter. Lassen sie den auf schnellstem Wege wegbringen. Er informiert sonst die Mutante, Sir. Nehmen sie sich Pille zu Hilfe, Sir."

"Geht klar, mache ich sofort."

Ich konnte bei solchen Einsätzen keine Zuschauer gebrauchen. Es war oft so, dass die Frachtschiffkapitäne gegenseitig auf ihre Frachter achteten. Der eine würde dem anderen sofort melden, wenn wir uns daran zu schaffen machten. Erschöpft lehnte ich mich an die Wand der Halle, von der aus ich den Frachter beobachtete. Es war verdammt kalt, aber ich musste zu einer ersten Erkundung ins Wasser. Ich wollte nicht jetzt schon so viel Brei essen, das war nicht gut. Es musste auch ohne gehen. Also atmete ich mich tief in das Taiji, ging tief in mich und heizte, meinen Körper auf diese Art auf. So richtig wollte mir das nicht gelingen. Na egal, ich musste so oder so ins Wasser.

Vorsichtig äugte ich um die Ecke, da ich niemanden sah, mache ich einen kurzen Sprint und ging über die Kaimauer, ins Wasser. Einen Moment lang, nahm mir das Wasser den Atem, so kalt war es. Die Jungs würden nicht lange im Wasser bleiben können. Also musste ich etwas vor den Jungs ins Wasser, sonst konnten diese nicht mehr am Seil hoch klettern. Langsam bekam ich wieder besser Luft. Verdammt war das Wasser kalt. Ich sah mir den Frachter genau an, immer auf den gegenüber liegenden portugiesischen Frachter achtend und schwamm an der Carlos Mutante entlang. Da entdeckte ich den Einstieg den ich suchte. Mit den Saugnäpfen, kletterte ich an dem Frachter nach oben, bis zur Luke. Begann die Luke schon für den Zugriff vorzubereiten, in dem ich die Verriegelung aufschweißte. Nur fünf Minuten brauchte ich, bis ich den Riegel zu vier Fünftel durchtrennt hatte. Damit fertig, ließ ich mich zurück ins Wasser fallen. Tief im Wasser verborgen schwamm ich ans Ende des Kais, an dem ich das Wasser wieder verließ.

Es war bereits kurz nach 22 Uhr, als ich die Halle in der sich die Einsatzleitung und die Kollegen befanden, wieder erreichte. Durchgefroren ging ich erst einmal in die Dusche. Nach zwanzig Minuten kam ich immer noch frierend und mit den Zähnen klappernd heraus. Setzte mich an den Tisch. Simon brachte mir einen heißen Kaffee.

Conny eine angewärmte Decke. "Engelchen, komm in meine Arme, du zitterst ja immer noch."

Zähneklappernd hielt ich mich, an der heißen Tasse fest. Ließ es widerstandslos geschehen, dass mich Conny an seinen Körper zog und mir die Arme rieb, um die Blutzirkulation anzuregen.

"Ist das Wasser so kalt?"

Ich nickte, immer noch nicht fähig zu sprechen.

Pille der mich beobachtete, nickte auch. "Conny, das Wasser hat nur noch eine Temperatur von 1°C, es ist arschkalt. Lynchen, wie lange warst du im Wasser."

Mit den Zähnen klappernd erwiderte ich. "Ungefähr eine dreiviertel Stunde. An der Reling der Liesbeth, standen auf einmal Matrosen, die sich ewig mit, welchen auf der Mutante unterhalten haben. Pille, die kamen in dem Moment, als ich hochklettern wollte. So etwas, kann man nicht einplanen", informierte ich die anderen. "Deshalb muss die Liesbeth dort weg, sie gefährdet den ganzen Plan."

Pille kannte das Problem, von vielen der Hafeneinsätze. Auch hatte er dies schon in die Wege geleitet. "Lynchen, die Liesbeth legt in einer Stunde ab, die sind gerade bei der Vorbereitung zum Ablegen. Wahrscheinlich haben die sich nur verabschiedet. Du weißt doch, wie die Portugiesen sind."

Kopfschüttelnd, sah ich ihn an. Langsam wurde mir wärmer. Bittend hielt ich Simon meine Tasse noch einmal hin, um noch einen Kaffee zu bekommen. "Verdammt, ist das kalt draußen. Sagt mal könnt ihr unter die Neoprenanzüge etwas Wärmendes darunterziehen?", fragend sah ich die Jungs an, es würde schwierig werden, so durchgefroren an dem Seilen hochzuklettern.

Pille schüttelte den Kopf. "Lynchen, die Anzüge sind so eng, die bekommt man so schon kaum an."

Verzweifelt suchte ich nach einer Lösung des Problems. Ich konnte die Jungs zwar hochziehen, aber das würde mich wahnsinnig viel Zeit kosten und Kraft, die ich für andere Tätigkeiten in diesem Einsatz besser gebrauchen konnte. Plötzlich kam mir eine Idee. Vor Jahren operierten wir einmal bei einer Polarstation, damals herrschten über minus 70°C in der Gegend in der wir eingesetzt waren, wir mussten eine Gruppe Forscher aus einer Spalte retten, weil die Rettungskräfte nicht an die Wissenschaftler herankamen, die durch viel Glück den Sturz, allerdings schwer verletzt überlebt hatten. Es war so kalt dort, dass selbst wir nicht in der Lage waren, an Seilen herunterzuklettern. Damals nutzten wir diese Geräte, um die Seile besser halten und die Verletzten bergen zu können. Verdammt wie hießen diese Dinger nur.

Grübelnd saß ich an Conny gelehnt und trank meinen Kaffee. Langsam ging ich diesen Einsatz durch, um mich an die Gespräche von damals zu erinnern. Auf einmal wusste ich wieder wie Jaan dieses Hilfsmittel genannt hatte und wandte mich sofort an meinen Oberst.

"Oberst, schaffst du es bis morgen früh, vierundzwanzig Seilklemmen für die Jungs zu besorgen?"

Irritiert sah mich der Oberst an, weil er mit diesem Begriff im Moment nichts anzufangen wusste. "Was ist das, Kahlyn?"

Genervt sah ich ihn an. "Oberst, das sind diese Kletterhilfen. Wie nennen die sich richtig, Selbstblockierender Klemmmechanismen oder so ähnlich, die ermöglichen eine maximale Unterstützung beim Hochziehen an Seilen geben. Du kennst diese Dinger und hast die schon mal gesehen, damals bei dem Rettungseinsatz am Nordpol. Erinnerst du dich? Das musst du dir, wie eine Art Zange vorstellen, man schiebt die nach oben, in dem Moment, wo man die Kletterhilfen mit Gewicht beschwert, ziehen die sich am Seil zu und geben dir Halt. Wie eine Art künstliche Faust. Oberst, die Jungs können mit eiskalten Händen, nicht am Seil hochklettern, das schaffe ich, die Jungs aber nicht. Wie soll ich die sonst hochbringen? Ich kann die doch nicht alle hochziehen. Wie lange soll das denn dauern?"

Erstaunt sah er mich an. "Wo bekomme ich das her?"

"Überall dort, wo es Bergsteiger Ausrüstungen gibt. Eigentlich müssten das die Fallschirmjäger haben. Die brauche das, wenn sie im Gebirge unterwegs sind und sich irgendwo abseilen müssen."

Der Oberst nickte, wusste scheinbar immer noch nicht genau, was ich meinte. "Ich kümmere mich darum, ich denke ich bekomme das hin."

Dankbar sah ich den Oberst an. Auf diese Weise hatte ich wieder eine Sorge weniger. Langsam war ich aufgetaut. Entspannter lehnte ich mich an Conny.

"Na Engelchen, willst du ein bissel schlafen." Ich schüttelte den Kopf, beobachte die Jungs, die immer noch im Training sind. "Ihr solltet euch dann etwas hinlegen. Ihr nutzt mir nichts, wenn ihr morgen alle durchhängt und Muskelkater habt", sagte ich leise, zu Conny hochschielend.

"Keine Angst, wir machen dann Schluss. Willst du gleich noch was essen, so gehst du nicht wieder ins Wasser. Kahlyn, auch du wirst krank."

Lachend schüttele ich den Kopf. "Nein Conny, ich werde nicht krank. Ich brauch nur länger, zum Auftauen. Das ist aber wirklich kalt. Sagt mal bilde ich mir das nur ein oder beobachtet mich, der eine auf der rechten Seite, ständig? Der hat jetzt schon dreimal auf die Nase bekommen", wieder beobachtete ich den Kämpfer aus Pilles Team, der sich ständig von mir ablenken ließ.

"Du meinst Gerd? Kann schon sein, ich glaube der will herausfinden, ob er dir trauen kann. Der hat uns alle, nach dir ausgefragt. Von Pille weiß ich, dass er aus dem Team aussteigen wollte, weil er dir nicht traut. Er ist Pille und mir verdammt ähnlich. Ist genau so ein Hitzkopf, wie wir, als du uns kennen gelernt hast. Mach doch einfach mal, einen kleinen Kampf mit ihm", forderte er mich lachend auf.

"Vielleicht hast du recht."

Kurz entschlossen stellte ich meine Tasse auf den Tisch und warf meine Decke ab.

"Engelchen, lass ihn aber heile."

Ich nickte lachend zu Conny, der ebenfalls aufgestanden war. Langsam ging ich auf die Jungs zu, die immer noch trainierten.

"Sagt mal Jungs, mir ist so verdammt kalt, ich kann gar nicht richtig auftauen. Könnten wir kurz einen kleinen Kampf machen, damit mir wieder warm wird? Oberst, habt ihr das Eztakfu schon durch genommen, beherrschen das alle?", wollte ich von ihm, immer noch mit den Zähnen klappernd wissen.

"Ja es können alle."

Das war gut, also konnte ich einen Kampf riskieren. "Na dann, Teamweise. Als erstes Gera, dann Conny, dann Oberst, dann Pille. Aber lasst mich ganz. Denkt dran ihr braucht mich noch", lachend, sah ich die Teams an.

Lachend stellten sich die Jungs aus Gera auf und freuten sich auf den kleinen Kampf. Mit denen ich das schon einige Male, beim Training gemacht hatte, um herauszufinden wie gut sie mittlerweile kämpfen. Die Jungs waren richtig gut geworden, obwohl alle noch Reserven hatten. Es würde noch etwas dauern, bis sie ihr ganzes Können zeigen konnten. Ich wusste allerdings, dass mir nach vier Runden, wieder warm war. In der Zeit während mir diese Gedanken, durch den Kopf gingen, atmete ich mich ins Taiji. Bereitete mich so auf den Kampf vor.

Auf ein Nicken von mir, griffen mich die Jungs des Beta und Delta Teams an, denen diese Übung immer richtigen Spaß machte. Irgendwann so dachten sie wohl, würden sie mich auf dem falschen Bein erwischen. Diese Gedanken gingen meinen Kameraden, auch immer durch den Kopf. Es war aber fast unmöglich, da sie Reflexmäßig, nicht an mich heran kamen. Ich reagierte schneller, effizienter als die anderen. Dadurch, dass ich so klein war, hatte ich kürzere Wege, konnte dadurch viel schneller ausweichen. Nach zehn Minuten, sagte ich.

"Semro. – Schluss. Conny, dein Team."

Schon wechselten die Kämpfer, die Teams. Aus dem Geraer Team waren schweißgebadet. Weiter ging es für mich ohne Atempause, denn schon schlugen die Jungs auf mich ein. Ich blockte ab und teilte kleinere Schläge aus. Es waren allerdings nur zärtliche, zurückgehaltene Hiebe, die keinem wirklich weh taten. Nach fünfzehn Minuten, waren auch Connys Leute schweißnass.

"Semro. – Schluss. Oberst, dein Team."

Forderte ich die nächste Gruppe zum Kampf. Mit der Gruppe, hatte ich schon alle Hände voll zu tun, wir trainierten schon seit Jahren zusammen, die kannten vieler meiner Bewegungsabläufe. Konnten schon vorausberechnen, wie ich auf welchen Schlag reagieren würde. Fast fünfundzwanzig Minuten benötigte ich, bis auch diese Gruppe schweißtropfend, nach atemringend kämpfte. Ein drittes Mal, gab ich den Befehl des Wechsels.

"Semro. – Schluss. Pille, dein Team."

Jetzt war ich gespannt, wie gut die Leute von Pille kämpfen konnten. Erstaunt stellte ich fest, dass die spitze waren. Pilles Truppe, hat spitzenmäßige Reflexe, man merkte, dass Pille darauf wirklich sehr viel Wert legte. Nach zwanzig Minuten, waren auch diese nass geschwitzt.

Lachend sagte ich. "Semro. – Schluss."

Beende damit das Training. Endlich war mir etwas wärmer. Kopfschüttelnd, sahen mich die Jungs von Pille an. Ein untersetzter vielleicht siebenundzwanzig jähriger blonder Kämpfer trat auf mich zu.

"Kahlyn, darf ich mich bei dir entschuldigen", er hielt mir die Hand hin. Es war der Kämpfer der vorhin ständig Schläge abbekommen hatte, weil er unaufmerksam war.

"Warum das denn?", fragend und mit schiefgehaltenen Kopf, sah ich ihn an.

"Weil ich dir Unrecht tat. Ich dachte, du bist einer von diesen Möchtegern Majoren, die nur theoretisch alles besser wissen. Aber du scheinst gut zu sein. Pille hat recht, mit dem, was er vorhin zu mir sagte. Sehe ihr zu und lerne", ernst sah er mich an.

Pille kam auf uns zu und schlug dem Kämpfer auf die Schulter. "Lass mal gut sein Gerd. Kahlyn wird gar nicht wissen, was du von ihr willst. Aber es ist gut zu wissen, dass du nun dabei bist, ohne zu tückschen. Lynchen, gucke nicht so. Gerd wollte vorhin aussteigen, weil du ihn Raphi vor die Nase gesetzt hast. Er hat mit solchen Dingen, manchmal seine Probleme. Er möchte gern weiter kommen, fühlt sich oft unterfordert. Er ist so, wie ich vor zehn Jahren", verständnis heischend, guckte er mich an.

"Gerd, du willst gefordert werden? Stimmt das?"

 Gerd sah erst böse zu Pille, weil der ihn verpetzt hatte. Dann aber ernst zu mir. "Ja Kahlyn, ich würde gern mehr machen, aber Pille traut mir nie etwas zu."

Ernst sah ich ihn an. "Dann merke dir mal eins Gerd, mehr machst du immer dann, wenn du verhinderst, dass deine Kameraden sterben. Du musst immer einen Schritt weiter denken, als du gerade am Arbeiten bist", während ich diese Sätze sagte, schlug ich ihn sehr unsanft in den Magen, nach Luft schnappend ging Gerd in die Knie.

"Siehst du, wenn du schon so weit wärst. Dann hättest du diesen Schlag kommen sehen", erklärte ich, nach Conny schlagend, der diesem Schlag auswich.

"Gerd, es kommt nicht darauf an, ob man etwas zu sagen hat. Es kommt nicht darauf an, wie alt man ist. Es kommt nicht darauf an, welchen Rang man inne hat. Sondern einzig und alleine darauf, dass man den Job tut. Den Job, den man zugewiesen bekam, nicht nur mit hundert Prozent, sondern mit hundertfünfzig Prozent erfüllt. Man ständig voll dabei ist und vor allem ständig konzentriert auf sein Umfeld achtet. Man ist nirgends sicher, auch nicht zu Hause. Verstehst du das."

Gerd der langsam wieder Luft bekam, sah mich irritiert und böse an. "Was hat das damit zu tun? Ich hab nicht damit gerechnet, dass du mich angreifst. Warum denn auch? Ich dachte wir sind Freunde", gab er mir schwer gegen die Schmerzen ankämpfend, zur Antwort.

"Wir sind keine Freunde, Gerd. Meine Freunde sind der Verstand, die Konzentration und die Angst, die mich ständig begleiten. Nur auf diese kann ich vertrauen. Meine Feinde sind die Ablenkung, Vertrauen, Unachtsamkeit, die bringen mir den Tod. Niemand, sollte sich irgendwo sicher fühlen, denn dann ist man schneller Tod als man ui sagen kann."

Ohne darüber nachzudenken, dass mich der Kollege gar nicht verstehen konnte, ließ ich, den immer noch wütend drein schauenden Gerd stehen. Setzte mich auf meinem Platz und hängte mir, wieder die Decke um. Griff nach meiner Tasse mit Kaffee, der kalt geworden war. Setzte mich mit dem Rücken zu den Jungs, so dass ich sie nicht mehr sah.

Pille ging auf sein wütendes Teammitglied zu. Dessen Wut er gut nachvollziehen konnte. "Gerd, tut mir leid, aber das ist nun einmal Kahlyn. Was denkst du, wie oft ich mir so etwas, von ihr in den fünf Jahren der Ausbildung anhören musste. Glaube mir, du kannst sie nicht überraschen. Vielleicht beim Oberst oder in Gera, aber nicht hier. Deshalb, braucht sie ja Hilfe beim Schlafen, von jemand dem sie vertraut. Obwohl ich mir nicht sicher bin, dass sie hier wirklich fest schläft."

Immer noch wütend rieb sich Gerd den schmerzenden Bauch. "Ist schlimm, mit den Schmerzen, dann geb ich dir etwas", wollte Pille wissen.

Gerd schüttelte den Kopf. Ging wütend nach hinten in seine Ecke und schmiss sich innerlich kochend auf die Matte. Er verstand einfach nicht, warum ich ihn geschlagen hatte. Wollte er mir doch die Freundschaft anbieten. Vorn am Tisch saßen die Jungs, lachend zusammen.

Pille kam auf mich zu und setzte sich mir gegenüber. "Lynchen, musste das mit Gerd sein? Er fing gerade an, dir zu vertrauen. Du hast das bisschen Vertrauen wieder kaputt gemacht. Jetzt ist er nur noch wütend, auf dich", ernst sah er mich an.

"Pille, mir ist egal, ob er wütend auf mich ist. Solche Möchtegern Kämpfer, kann ich bei diesem Einsatz nicht gebrauchen. Helden, sind ziemlich schnell tot. Wenn er nicht begreift, dass er auf der Position, auf der ich ihn einsetze richtig ist, dann soll er nach Hause fahren. Helden brauche ich, bei diesem verfluchten Einsatz nicht. Sondern Scharfschützen, die nicht zögern die gegebenen Befehle auszuführen. Wenn er für einen anderen Einsatzort, geeigneter ist, Pille, dann ist genau hier der richtige Zeitpunkt, mir das zu sagen. Ansonsten soll er sich auf die Position legen, an der ich ihn eingesetzt habe. Seine Klappe halten und seine Arbeit tun", böse sah ich Pille an.

Ich wusste, dass er mir lange Zeit nachtrug, wie ich ihn, zum Teil böse in der Ausbildung rangenommen hatte. Aber ohne diese Art Ausbildung, wäre er heute nicht so gut.

"Lynchen, sehe mich bitte nicht so böse an. Ich weiß, dass du es richtig machst. Das beste Beispiel, bin ich. Auch gebe ich dir Recht, was Gerd betrifft. Viele deiner Ausbildungsmethoden, habe ich übernommen, Lynchen. Weil sie wirklich gut sind. Aber etwas mehr Einfühlungsvermögen, würde dir auch manchmal gut stehen."

Mit schief gehalten Kopf, sah ich Pille lange schweigend an. "Einfühlungsvermögen, bringt den Tod, Pille. Das müsstest du eigentlich nur zu gut wissen", gab ich ihn einen bösen Hieb und sah ihn traurig an. Sein bester Freund war deshalb gestorben. "Was nutzt es Gerd, wenn ich feinfühlig zu ihm bin und er morgen tot ist."

"Nichts, du hast wie immer Recht", Pille griff über den Tisch und streichelte mir die Wange. "Ist schon gut, Lynchen. Du hast ja so Recht."

Lange noch unterhielten wir uns, über die letzten beiden Monate und die vergangen Jahre. Fast eine Stunde war vergangen, langsam musste ich wieder los. Ich bedauerte sehr, dass Gerd sich nicht wieder zu uns gesellt hatte. Ich hätte mich gern mit ihm unterhalten. Der Kollege aus Rostock lag hinten auf seiner Matte, grübelnd und sich selber bemitleidend.

"Simon, machst du mir bitte fünfhundert Gramm Brei, in einer halben Stunde, dann bin ich wieder richtig aufgetaut", lachen sah ich unseren Koch an.

"Klar mache ich das", bekam ich sofort zur Antwort.

 

Immer noch mit dem Rücken zu Gerd sitzend, in ein Gespräch mit Pille vertieft. Bemerkte ich nicht, dass der Kämpfer aus Rostock plötzlich aufgestanden war und mich mit wütendem Gesicht ansah. Ohne zu zögern griff Gerd in seinen Rucksack und holte einen Tennisball heraus, mit dem er gern spielte und deshalb immer bei sich trug. Für Pille und seine Kollegen völlig unerwartet, warf Gerd den Ball wutendbrand gegen mich. Instinktiv ohne hinzusehen, fing ich ihn auf und drehte mich nach dem Werfer um. Ich war verdammt wütend und stand auf, um mich diesem hinterhältigen Bastard zu nähern.

Im Hintergrund hörte ich noch Pilles Worte: "Oh je, das hätte er lieber nicht machen sollen."

Langsam, aber zielstrebig lief ich auf Gerd zu. Schmiss ihm den Ball zurück, diesmal jedoch wich er dem Ball aus. Er merkte schnell, dass er den geschmetterten Ball nicht fangen konnte. Der Ball sprang gegen die Wand und prallte ab, kam so wieder auf mich zu. Mit einer für den Rostocker Kollegen nicht nachvollziehbaren Leichtigkeit, fing ich den Ball und schmettere ihn immer wieder auf den Kollegen ab. Auf diese Weise näherte ich mich an Gerd immer mehr. In einem immer höher werdenden Tempo, warf ich den Ball. Gerd hat sichtbar Mühe, den Schmetterbällen von mir auszuweichen. Plötzlich hörte ich auf, den Ball zu werfen. Blieb kurz vor ihm stehen.

"Weißt du, dass du eine hinterhältige Kreatur bist. Bist du auch so mutig, wenn du mir Auge in Auge gegenüberstehst. Oder entspricht es dein Charakter, deinen Kameraden in den Rücken zu fallen? Nur, weil du dich ungerecht behandelt fühlst", fragte ich Gerd in einem eisigkalten Ton und sah ihn dabei sehr böse an.

Das, was er gemacht hatte, wäre bei jedem anderen ins Auge gegangen. Hart hatte er den Ball auf mich geworfen. Ungeschützt, hätte der Ball mich schwer verletzten können. Niemals allerdings, war ich in fremder Umgebung so entspannt, dass ich Bewegungen die hinter mir stattfanden und die mich gefährden könnten, nicht mitbekommen würde. Wütend, fing ich an nach ihm zu schlagen.

"Findest du es in Ordnung, wehrlosen Menschen, in den Rücken zu fallen", jedes Wort ein Schlag, ein Tritt. Conny, der Oberst und Pille standen auf, um Gerd zu Hilfe zu eilen. Auch, wenn ich Wut hatte, bekam ich dies mit.

"Ihr bleibt wo ihr seid, wehe ihr mischt euch hier ein. Das ist eine Sache zwischen mir und ihm", wandte ich mich, nach hinten umsehende, an die Drei, in einem Ton der Bände sprach.

Die Drei wussten, dass es besser war sich da herauszuhalten. Wenn ich so wütend auf jemanden war, konnte das in einen richtigen Kampf ausarten. Gerd wollte den Moment ausnutzen, in dem er dachte, dass ich abgelenkt war, weil ich nach hinten sah. Er ging genau in diesen Moment auf mich los. Das machte mich um einiges mehr wütend und würde dem Kollegen nicht sehr gut bekommen. Dieses Verhalten von ihm, zeugte von seinem miesen Charakter. Einen Charakterzug, den ich für den Tod nicht leiden konnte. Jetzt bekam er meine Wut ganz ab. Heftiger als beabsichtig, ließ ich Schlag für Schlag, Tritt für Tritt auf ihn niederregnen. Bis er sich nur noch schützen konnte. Einer so schnellen Schlagfolge, waren nur meine Freunde aus der Schule gewachsen. Langsam fing er an zu wimmern, die Schläge, die Tritte die er abbekam, taten richtig weh.

"Es ist wohl nicht schön, wenn man Schmerzen hat?", fragte ich urplötzlich, mit dem Schlagen aufhörend. Zusammen gekauert hockte er vor mir. Ich hockte mich zu ihm und drückte seinen Kopf nach oben. Zwang ihn so dazu, dass er mir in die Augen sah.

"Glaubst du wirklich, dass ich dich jetzt noch zu dem Einsatz mitnehme?"

Gerd schüttelte den Kopf. Ihm war klar geworden, dass er etwas Falsches gemacht hatte.

"Glaubst du, dass ich dir jetzt noch mein Leben anvertrauen würde?"

"Nein", gestand er leise und mit dem Kopf schüttelnd.

"Dann erkläre mir, was du damit bezweckt hast. Dir ist schon klar, dass du mit diesem Wurf, einen deiner Kollegen hättest töten können?"

Betrübt nickte er. "Tut mir leid, ich war nur so wütend auf dich", gestand er kaum hörbar und auf seine Hände starrend.

"Weil ich dir mit dem Schlag in den Bauch, weh getan habe?"

"Nein Kahlyn, weil du mich vor meinen Kollegen, wie einen Troddel hast dastehen lassen", erwiderte er leise.

Erneut kam diese Wut in ihm hoch und er sah mich wütend an.

"Dann bist du noch dümmer und noch um einiges unreifer, als ich gedacht habe, Gerd. Dieser Schlag war ein Reaktionstest von mir, dem du nicht mal Ansatzweise ausgewichen bist. Wenn meine Faust mit einem Messer bewaffnet gewesen wäre, dann wärst du jetzt tot. Vielleicht solltest du mal darüber nachdenken", wütend sah ich ihn an.

"Stehe auf."

Gerd schüttelte mit dem Kopf.

"Stehe auf, sofort", befahl ich ihm, sehr laut, sehr eindringlich. Mühsam stand er auf und konnte sich kaum gerade hinstellen.

"Stehe gerade", befahl ich ihm, in einem keinen Widerspruch zulassenden Ton. Mühsam stellte er sich gerade hin und wurde verständlicher Weise immer wütender auf mich.

"Wenn du wütend bis, dann sage mir das ins Gesicht. Wenn du sauer auf mich bist, dann sage mir das ins Gesicht. Merke dir eins, greife mich niemals von hinten an. Das nächste Mal, Herr Kollege, werde ich dich töten. Das ist keine Drohung, sondern ein Versprechen. Hast du das jetzt verstanden? Ist das jetzt in deinem Gehirn angekommen?"

Gerd nickte, bemüht gerade zu stehen.

Ich drehte mich um, so dass Gerd meinen Rücken sah, ich wollte wissen, ob er mich wieder angriff. "Raphi, bringe mir bitte einen der Reserve Medi-Koffer", dankend nickte ich Raphi zu.

Ich war froh, dass Gerd mich noch einmal von hinten angegriffen hatte. Langsam drehte ich mich zu Gerd um. "Gerd, ab und zu muss man einsehen, dass man noch nicht so weit ist. Wenn du so weit sein wirst, dass du Verantwortung tragen kannst, um deine Freunde zu beschützen, dann Gerd, aber nur dann, werde ich dir auch diese Verantwortung übertragen. Du bist noch lange nicht so weit. Du willst mehr, als du tragen kannst. Du bist noch lange nicht reif dafür, für andere Verantwortung zu übernehmen. Lerne erst einmal, für dich selber Verantwortung zu tragen", ernst sah ich ihn an. "Du willst Raphis Platz. Bist aber noch nicht einmal in der Lage, mit Kritik umzugehen. Raphi mag nur Unterleutnant sein. Aber er hat zehnmal mehr Verstand als du. Du bist ein Nichts ohne dein Team und dein Team ist nichts ohne dich. Denke über diesen Satz, bitte in Ruhe nach. Zieh dich aus", forderte ich ihn auf, damit ich ihn medizinisch versorgen konnte.

Er hatte ganz schön etwas abbekommen. Auch, wenn der Kollege nur Prellungen abbekommen hatte. Zum Glück hatte die Kontrolle behalten und nicht allzu sehr zugeschlagen. Waren es eine ganze Menge Schmerzen, die das Teammitglied Pilles jetzt auszuhalten hatte. Gerd hatte einige schlimme Hämatome, am Körper und den Oberschenkeln. Da allerdings musste er jetzt durch. Oftmals halfen solche rabiaten Methoden mehr, als stundenlange Gespräche. Den Kopf bestimmter Leute, wieder zwischen die Schultern zu setzen. Gerd gehörte, zu dieser Sorte Menschen, die sich ständig selber überschätzen. Er war bestimmt ein lieber Kerl, genau wie es Pille und Conny immer waren. Gerd stand allerdings kurz davor, einen Weg einzuschlagen, der ihn zum Abgrund führte. Er musste lernen, dass er nicht besser war, als alle anderen.

Raphi kam gerade mit einen der Reserve Medi-Koffer. "Danke Raphi, du kannst gehen."

Ich hockte mich hin, immer noch auf einen Angriff von Gerd gefasst. Öffnete ihn und holte die Hämlo-Salbe aus dem Koffer. Fing an diese aufzutragen. Bandagierte seine Rippen. Im Anschluss holte ich den Ampullenkoffer hervor, zog fünf Einheiten des A13 auf, das gegen Schmerzen und Atemnot war. Aber auch fünf Einheiten des Schmerzmittels B32. Die Hämlo-Salbe würde in wenigen Stunden die Ursachen der Schmerzen beseitigten. Morgen Abend, sollte Gerd sich bis dahin beruhigt haben, war er wieder voll einsatzfähig. Fertig mit der Versorgung, zeigte ich auf die Matte.

"Setze dich, bitte", wies ich ihn an und folgte ihm auf seine Matte.

Lange sah ich ihn an und ließ ihn seinen inneren Kampf beenden. Nach fast fünfzehn Minuten, sah er mich endlich offen an. Es war keine Wut mehr in seinen Augen. Sein Herz war wieder offen und sein Verstand wieder klar.

"Es tut mir leid Kahlyn, wirklich", begann er leise.

"Kannst du mir jetzt vielleicht sagen, was das sollte?", forderte ich ihn auf.

Gerd schüttelte den Kopf. "Ich weiß es selber nicht. Ich war so wütend auf dich, weil du mich vor den anderen geschlagen hast. Ich hab ja versucht mich zu beruhigen, aber ich habe es nicht geschafft."

"Gerd, genau das ist dein Problem. Du hast deine Emotionen nicht unter Kontrolle. Stellst dadurch, für dich und dein Team eine Gefahr dar. Lerne dich zu kontrollieren. Ich habe euch das Taiji beigebracht. Das ist eine wirklich gute Methode, seine Wut zu kontrollieren. Ich weiß von was ich spreche, auch ich habe mit dieser Wut zu kämpfen. Es hilft dir wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Hast du Vertrauen zu mir?", wollte ich von ihm wissen.

Gerd zögerte einen Moment. Etwas, dass ich nach der Tracht Prügel, die er gerade bekommen hatte, durch aus verstehen konnte. Dann nickte er.

"Darf ich bitte in deinen Kopf? Um mir anzusehen, warum du dich beweisen willst. Ich weiß aus Erfahrung, dass viele Menschen nicht wissen, warum sie so wie du reagieren. Vielleicht kann ich dir helfen, deine Selbstkontrolle zu verbessern."

Gerd nickte, wenn auch zögerlich.

"Dann setzte dich in den Schneidersitz und gebe mir deine Hände."

Langsam führte ich ihn in das Jawefan und nahm ihm darüber die Schmerzen. Ich sah mir seine Kindheit an. Ich behielt wieder einmal recht mit der Vermutung. Dass er als Kind drangsaliert wurde. Ständig bekam er zu hören, dass er eine Flasche sei und zu nichts taugen würde. Ich schwächte diese Erinnerungen, die Gerd nicht gut taten ab, stärkte sein Selbstbewusstsein und seine innere Konzentration, sein Einfühlungsvermögen, seine Verantwortungsbewusstsein für andere. Langsam, ging ich wieder aus den Jawefan. Als Gerd, wieder voll da war, sah ich ihn lange an.

"Gerd, was dein Vater mit dir gemacht hat, war nicht richtig. Aber ich sage dir jetzt einmal ganz klar und deutlich, was du gerade machst. Du bist auf den besten Weg, so wie dein Vater zu werden. Nehme dir Pille als Vorbild, er ist ein besseres. Du bist ein guter Kerl, du musst nur deinen Weg finden. Leg dich hin und schlafe, dann geht es dir bald besser", mit diesen Worten stand ich auf, spürte den Blick, den Gerd mir nachwarf.

"Was ist Gerd?"

"Kahlyn, ich weiß ich hab's versaut, darf ich trotzdem an dem Einsatz teilnehmen, bitte", flehend sah er mich an.

"Gerd, du hast mir gerade vertraut. Ich will dir auch vertrauen. Aber, fällst du mir noch einmal in den Rücken, bist du tot. Vergesse dieses Versprechen nie", ernst sagte ich ihm das.

Der Rostocker Kollege nickte und legte sich ohne zu maulen hin, um zu schlafen. "Nutze das schnelle Schlaffen, dann geht es dir bald wieder besser."

Den Medi-Koffer mitnehmend, ging ich vor zu den Jungs. Die Jungs aus Pilles Team, sahen mich alle böse an. Ich hatte einen von ihnen und das noch vor ihren Augen zusammengeschlagen. Das interessierte mich nicht weiter. Mir war egal, ob die Leute mich mochten oder nicht. Wichtig war mir nur, dass ich einen Kämpfer, von einem gefährlichen Weg abgebracht hatte. Gerd war auf den besten Weg, auf den Abgrund zu zusteuern. Müde schob ich den Medi-Koffer unter die Bank und setzte mich an den Tisch. Schob mir Brille nach oben aufs Haar und rieb mir das Gesicht, setzte meine Brille wieder auf.

Lange sah ich Pille an. "Gerd, ist ein guter Junge, fördere ihn, aber langsam. Pille, Gerd, braucht viel Lob. Er bekam davon zu wenig, als Kind. Benutze daher Lob gezielt. Verantwortung übergebe ihm allerdings nur langsam. Er kann damit nicht umgehen. Auch, wenn er das gern möchte. Mit der Zeit wird er ein wichtiges Mitglied, deines Teams werden, auf das du nie wieder verzichten möchtest", gab ich ihm in der Verbindung zu bedenken. "Pille, sein Vater sagte ständig Flaschen, Versager zu ihm. Seit dem er bei der Polizei ist, sagt er nur noch Verbrecher zu ihm. Du musst bei ihm Aufbauarbeit leisten, von unten an. Ich habe die schlimmsten Sachen blockiert, aber alles kann ich ihm nicht nehmen. Gehe langsam, aber stetig nach oben." Pille nickte, zur Verwunderung der anderen. Die nicht, an die Verbindung dachten. Deshalb wandte ich mich laut an alle.

"Gerd, ist ein feiner Kerl, versteht es bitte nicht falsch. So etwas, kann und werde ich niemals durch gehen lassen. Niemand in meinen Teams, greift einen Kameraden von hinten an, wirklich niemand. Darauf reagiere ich verdammt heftig. Derjenige, der mich von hinten angreift, tötet mich auch, wenn es hart auf hart kommt. Fragt Pille, das ist ein einfaches Prinzip, so etwas werde ich nirgends dulden. Deshalb habe ich Gerd angegriffen, es ist meine Art der Bestrafung, ob ihr das als richtig oder falsch betrachtet, ist nur euer Problem und nicht meins", ernst sah ich Pilles Teams an.

"Simon, mache mir meinen Brei bitte, ich wollte schon seit einer Stunde unterwegs sein, bitte", wandte ich mich an unseren Koch.

 Pille sah mich an. "Lynchen, was du gemacht hast, war in meinen Augen richtig. Ich werte das mit meinem Team später aus. Auch denke ich, hast du in dem Recht, was du mir in der Verbindung erklärt hast. Mir ist das Problem von Gerd zum Teil bekannt gewesen. Aber ich bin das glaube ich falsch angegangen. Danke für deinen Rat. Was machen wir beim Einsatz mit Gerd, ist er raus?", wollte er jetzt wissen.

Müde schüttelte ich den Kopf. "Nein Pille, warum denn? Er hat falsch reagiert, aber er ist ein guter Kerl. Ich glaube nicht, dass er das noch einmal macht. Warten wir ab, wie es ihm morgen Abend geht. Er hat tüchtig Dresche von mir bezogen. Keiner weiß besser als du, wie weh das tut. Oft genug, hab ich das mit dir machen müssen, bis dein Kopf da saß, wo er sitzen sollte."

Lachend nickte Pille. Konnte er sich nur zu gut dran erinnern, wie oft er zusammengeschlagen in seinem Bett lag und sich in den Schlaf geweint hat. Damals, hatte er mich nicht nur einmal gehasst. Wollte oft nicht mehr mit mir zusammen trainieren. Der Oberst, stellte ihn immer wieder vor die Wahl, entweder trainiert er weiter mit mir oder er ist raus aus der Soko. Das ließ ihn durchhalten. Heute war er froh, dass er durchgehalten hat. Mit der Zeit begriff er, dass ich ihn nur von seinem hohen Ross herunter geholt hatte. Gedanken versunken, sah mich Pille an.

"Du hast ja so recht, Lynchen. Oh Gott, hab ich dich so manches Mal gehasst, genauso wie Conny. Wie oft, haben wir beide zusammen gesessen und unsere Wunden geleckt", lachend sah er Conny an, der nickte.

"Wie oft, hast du uns dann beide verprügelt? Weil wir uns im Selbstmitleid verloren hatten, Engelchen", ergänzte Conny.

Traurig sehe ich ihn an. "Wenn ihr wüsstet, was mich das für Kraft gekostet hat. Genau, wie das eben", mit dem Kopf, nickte ich in Gerds Richtung und rieb mir müde das Genick. "Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie schlimm solche Sachen für mich sind. Ich weiß, wie weh diese Schläge tun. Pille, ich war drei Monate alt, als ich so erzogen wurde. Oft genug, habe ich mich, genau wie ihr, wütend in den Schlaf geweint. Diese Schläger haben mich allerdings dazu gebracht, zu begreifen, dass ich nicht besser bin als ihr. Das ich genauso verletzbar bin, wie ihr. Das ich zwar mehr auf den Kasten habe, als ihr, aber sonst nicht einen Krummen besser bin. Diese Schmerzen bringen dich, wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Sie helfen dir zu begreifen, dass es immer noch Leute gibt, die besser sind als du."

Verwundert sah mich Pille an. "Es gibt niemanden, der besser ist als du", stellte er sarkastisch fest.

"Pille, da irrst du dich gewaltig. Für jeden Kämpfer kommt eines Tages der Tag, an dem er feststellt, dass jemand besser ist als er selber. Ich hatte nur bis jetzt das Pech, denjenigen noch nicht zu begegnen. Wenn ich ehrlich bin, lege ich auch keinen Wert darauf, ihn kennenzulernen. Aber, ich trainiere jeden Tag so, dass ich mich darauf vorbereite und will immer besser werden. Nur so, kann ich euch beschützen. Hast du das immer noch nicht begriffen? Muss ich dir auch einmal wieder, eine Tracht Prügel verpassen?", lachend sah ich ihn an.

Pille schüttelte den Kopf. "Bitte nicht Lynchen, ich bin ein ganz braver Pille und schon ein alter Mann, bitte haue mich nie wieder so wie früher. Ich verspreche dir hoch und heilig, ich höre immer auf dich", er griff über den Tisch und streichelte mein Gesicht.

"Dann ist es gut. Legt euch dann hin sofort hin. Das ist ein Befehl", breit grinsend schaute ich die Jungs an. "Es reicht, wenn ich mir die Nacht, um die Ohren schlage. Seht zu, dass ihr morgen ausgeschlafen seid."

Conny nickte und auch Pille. "Engelchen, esse erst einmal, wenn du dann weg bist, legen wir uns auch hin. Mach nicht so lange. Ich lege mich hinten auf deine Matte. Wecke mich, wenn du kommst. Ich helfe dir später beim Schlafen."  

Dankbar sah ich Conny an. Nahm meinen Löffel und fing an, schnellsten meinen Brei zu essen, nur so konnte ich meinen Stoffwechsel dazu bringen, Wärme zu erzeugen.

"Na, du hast ja einen Hunger. War das verprügeln von Gerd so anstrengend", bekam ich von einem dunkelhäutigen Burschen, aus einem der Teams von Pille zu hören.

"Wie heißt du?", mit schiefgehaltenen Kopf sah ich ihn an.

"Norbert, aber du kannst mich Nobi nennen, so nennen mich alle hier", grinsend sah er mich an.

"Nein Norbert, ich bin überhaupt mich hungrig. Aber anders kann ich nicht ins Wasser, ich muss noch einige Manipulationen, am Frachter vornehmen. Nicht, dass die auf die Idee kommen abzuhauen. Ich muss wieder über eine Stunde ins Wasser. Ich bin zwar nicht so kälteempfindlich, wie ihr. Aber auch ich erfriere, irgendwann", steckte den letzten Löffel in den Mund und schluckte den Brei herunter. Stand sofort auf, denn ich war fertig mit essen und ging auf Norbert zu. "Nehm bitte mal meine Hand", bat ich ihn breit grinsend und hielt ihm die Hand hin.

Verwundert nahm er sie und zuckte sofort zurück, da meine Hand kochend heiß war.

"Also schlaft dann etwas, bis in ein paar Stunden", sofort lief ich nach hinten zu meiner Matte, holte mir meinen Rucksack und war sofort aus der Halle verschwunden.

 

Ich lief im Laufschritt in Richtung Hafen und ging gleich von der Ost-West-Straße aus ans Wasser. Hockte mich hin und nahm mir meine Gewichte aus dem Rucksack, legte sie um die Hand- und Fußgelenke. Ebenfalls den Gürtel mit den Tauchergewichten, die es mir ermöglichen, tiefer im Wasser zu schwimme. Ging diesmal gleich am Anfang des Hafenbeckens ins Wasser und schwamm das Stück bis zum Frachter. Durch eine kleine Manipulation, am Ruderwerk des Frachters, verhinderte ich, dass der jetzt noch ablegen konnten. Fast eine Stunde, brauchte ich dazu. Befestigte meinen Rucksack unterhalb der Wasserlinie, da ich ihn im Moment nicht mehr brauchte, den würde ich auf den Rückweg mitnehmen. Kletterte mit den Saugern, an der Außenwand des Frachters nach oben. Vorsichtig sicherte ich mich an den Saugern, trocknete mich ab. Gut, dass ich nicht viel anhatte. Das Bustier und die Hose die ich heute trug, waren aus Neopren, einem Chloropren-Kautschuk der Wasser abperlen ließ. Die waren für solche Erkundungsgänge gutgeeignet, auch wenn sie nicht warm war. Ich trug die immer gern, um bei solchen Gelegenheiten keine Tropfspuren zu hinterlassen. Bei solchen Einsätzen in der Schule, arbeiteten wir stets nackt. Aber der Oberst sah das nie gern, also besorgte er uns diese Bekleidung, die speziell für uns angefertigt wurde. Trocken, ging ich über die Reling, um mich im Frachter umzusehen. Leise schlich ich mich zu den Schüttgutluken, öffne sie, um mich abzuseilen. In dem ersten Laderaum befand sich Kohle, im zweiten Düngemittel, im dritten Weizen. Im vierten war gar nichts, im letzten Laderaum, war Stückgut. Die manipulierte Luke befand sich also im leeren Frachtraum. Das war gut, so konnten wir uns frei bewegen, kurz untersuchte ich den Raum und stellte fest, dass er eine Zwischenwand hat, vorsichtig sah ich dahinter, hier war die Schmuggelware und auch das Rauschgift. Es war kurz vor 4 Uhr, also beschloss ich zurück zu kehren, in die Halle mit den Jungs. Ich war völlig fertig und brauchte fast eine Stunde zurück, um mir meinen Rucksack zu holen. Eilig lief zurück in die Halle, mir war hundekalt. Schnell ging ich unter die Dusche und zog mir etwas Warmes an. Nahm dankbar die Decke, die mir der Oberst gab. Wie so oft, war er nicht schlafen, aus Sorge um mich.

"Kahlyn gibt es etwas Wichtiges oder willst du erst einmal schlafen gehen?"

"Oberst, ich möchte, dass ihr im zwei Stunden Rhythmus, je drei Postenpaare und zwar hier, hier und hier. Auf den Gebäuden zur Beobachtung postiert, sie sollen alle Veränderungen, an dich melden. Bitte nehme Gerd mit dazu. Er soll beweisen, dass ich ihm vertrauen kann und dass er ein guter Scharfschütze ist. Es wird keine Munition mitgenommen, nur Beobachtungsposten. Sie sollen sich bedeckt halten", gab ich genaue Anweisungen.

"Geht klar Kahlyn", forschend, sah er mich schweigend an.

So lange bis ich frage was los wäre.

"Oberst was ist los? Warum siehst du mich so an?"

"Kahlyn, dir geht es doch nicht gut, was ist los mit dir?"

Ich winkte ab, der Oberst konnte glaube ich nicht aus seiner Haut. "Bitte Kahlyn, ich mache mir Sorgen um dich, du siehst nicht gut aus."

Wieder winkte ich ab, ich wusste wie ich aussah. Besser, als der Oberst sich das vorstellen konnte. Nur nutzte es niemanden darüber zu diskutieren, dass es mir nicht sehr gut ging, der Enzymwert war nach dem Essen hochgeschnellt auf zweiundsechzig Prozent. So fühlte ich mich auch, außerdem hatte ich hohes Fieber, was ich absolut nicht verstand.

"Genosse Oberst bitte, ich brauche keinen Stress, mir geht es schon schlecht genug, bitte, Sir. Egal was sie sagen und für Bedenken haben, es ändert nichts an der Tatsache, dass ich mit muss, Sir. Anders kommen die Jungs nicht in den Laderaum, Sir. Ersparen sie sich und mir diese Diskussion, Bitte Sir", ernst sah ich ihn an, bat ihn mit meiner ganzen Körperhaltung darum, mich nicht schon wieder in die Ecke zu drücken. Mir fehlte einfach die Kraft dazu, vor allem die Nerven, für diese sinnlosen Diskussionen.

"Kahlyn, ich möchte nur wissen, wie es dir wirklich geht, so beschissen wie du aussiehst?"

Leise kaum noch hörbar, bat ich ihn. "Sir, bitte lassen sie mich schlafen gehen, dann geht es mir bestimmt, wieder etwas besser, Sir", genervt rieb ich mir den Nacken.

Der Oberst begriff in diesem Moment, dass es mir noch schlechter ging, als ich aussah. "Dann lege dich hin", sagte er traurig.

"Sir, bitte sorgen sie dafür, dass die Paar alle trainieren. Es wird verdammt haarig. Dann sollen sie sich nochmals hinlegen. Um 16 Uhr ist eine zweite Einsatzbesprechung, um 22 Uhr beginnen wir mit den Einsatzvorbereitungen. Ich lege mich bis 9 Uhr etwas hin, vielleicht geht es mir dann wieder etwas besser, Sir", gab ich letzte Anweisungen.

 

Sofort stand ich auf und ging nach hinten in meine Ecke, legte mich einfach vor Conny. Ich wollte nur noch schlafen, ich war fix und fertig. Lange versuchte ich in den Schlaf zu kommen, aber ich fand keine Ruhe. Die Schmerzen machten mich verrückt. Mühsam konzentrierte ich mich, auf Connys ruhigen Atem und schlief kurz vor 7 Uhr ein, fand wenigstens etwas Ruhe. Unruhig schlief ich, von Alpträumen geplagt und merkte gar nicht, dass Conny mich beruhigend in den Arm nehmen wollte.

Ich reagierte nur auf eine fremde Berührung und fing an, um mich zu schlagen, sobald Conny mich berührte. Nach einem nicht sehr erholsamen Schlaf, von neunzig Minuten, also kurz vor halb Neun, wurde ich schreiend munter. Schweißgebadet, hochfiebrig und röchelnd, saß ich auf meiner Matte.

Conny kam langsam zu mir. "Engelchen, du hast nur geträumt. Komm beruhige dich wieder, ganz ruhig meine Kleine."

Schweratmend, völlig desorientiert sah ich Conny an und erkannte ihn gar nicht. Als er mich berühren wollte, fing ich an mich gegen ihn zu wehren. Ich zog mich zurück, immer weiter weg von ihm in eine Ecke. Als er mir nachkommen wollte fing ich an zu schreien und atmete immer heftiger. Conny zog sich ein Stückchen zurück.

Wütend sah ich ihn an und schrie. "Mako, pör kri. Piosdi kri, rafik. Lözi kahlyn."

"Rashida Nikyta, rashida. – Beruhige dich Engelchen, bleibe ruhig", flüsterte er leise, in einer sicheren Entfernung.

 Pille übersetzte für seine Teammitglieder, das Gesagte. "Es ist aussichtslos, diese Mörder werden alle töten. Wieder einmal bereite ich den Weg, für den Tod meiner Freunde vor. Ich kann sie nicht beschützen."

Verwundert, sahen Pilles Teammitglieder ihren Teamleiter an. "Sie scheint hohes Fieber zu haben. Irgendetwas, auf das sie allergisch reagiert, ist in dem Frachter. Ich ruf mal den Zoll an. Mario, übersetze bitte mal für meine Leute, damit die begreifen, was los ist", ohne eine Antwort abzuwarten, ging er ins Büro, vom Oberst.

Conny dagegen, versuchte mich zu beruhigen. "Nikyta, krös. Andus Krisin, frido. Zurien dikjen, rashida", versuchte er beruhigend auf mich einzureden.

Mario übersetzt für die Jungs von Pille. "Engelchen, keine Angst deine Augen haben dich erschreckt. Was so viel heißt, du hast geträumt. Wache auf, dann siehst du, dass du falsch denkst. Beruhige dich doch."

In der Zwischenzeit, war Conny an mich herangekommen und zog mich trotz meines Widerstandes in seine Arme. Versuchte mich durch schaukeln zu beruhigen. Fest hielt er mich und sprach leise auf mich ein. Langsam durch das Schaukeln und die Körperwärme meines Freundes, beruhigte ich mich.

"So ist es gut mein Engel, so ist es gut. Komm beruhige dich, Engelchen. Dir tut doch hier keiner etwas", sprach er immer noch leise auf mich ein.

Mario war in der Zwischenzeit auf Conny zugegangen, da er nicht mehr übersetzen brauchte.

Conny drehte seinen Kopf zu den Kollegen und bat ihn, leise und mich weiterschaukelnd. "Mario, hole bitte den Oberst. Kahlyn ist hochfiebrig, wir brauchen den Doko. Ich weiß nicht, was mit ihr los ist", bat er den Oberst zu holen.

Verwirrt sahen die Männer sich an, diesem schreienden Kind, sollten sie sich später anvertrauen. Das würden sie nicht tun, beschlossen die ersten für sich.

In diese Gedanken hinein, kam Pille zurück. Der sich denken konnte, was in diesem Augenblick in seinen Männern vor sich ging. Erst einmal, war allerdings Kahlyn wichtiger.

"Conny, ich habe vom Zoll erfahren, dass die Getreide in ihren Laderäumen haben. Wenn Kahlyn damit Kontakt hatte, haben wir ein schlimmes Problem. Das Getreide ist mit hochkonzentrierten Antibiotika versetzt, es handelt sich, um eine Lieferung nach Peru", erschrocken sah Conny, Pille an.

"Scheiße", rutschte ihm heraus.

Der Oberst, der gerade aus dem Büro kam. Ging auf Conny, Pille und mich zu. "Keine Angst, wir bekommen das hin, der Doko ist unterwegs. Ist in fünfzehn Minuten da. Nur gut dass ich ihn schon auf Abruf gesetzt habe. Versuche sie, so lange ruhig zu halten. Verdammt, damit kann doch keiner rechnen. Wieso gibt man hochkonzentrierte Antibiotika, in ein Futter? Ich verstehe so etwas einfach das nicht."

Besorgt hockte er sich zu mir. "Kahlyn, mein kleines Mädchen, komm beruhige dich. Der Doko ist gleich da, dem wird schon etwas einfallen."

Ich hatte mich etwas beruhigt, zitternd hielt ich mich an Conny fest. Das Erscheinen vom Oberst versetzte mich erneut in Panik. Gehetzt sah ich den Oberst an, erkannte ihn gar nicht. Mit Gewalt und in dem ich wild um mich schlug und trat, drehte ich mich aus Connys Armen und zog mich wieder zurück, in eine Ecke. Fing wieder an zu schreien, da mich das Fieber in eine Welt zwischen Bewusstlosigkeit und Bewusstsein getrieben hatte. Fast zehn Minuten kam keiner an mich heran, dann hörten die Schreie auf.

Kurz kam ich zu Bewusstsein. Was war nur los mit mir? Vorsichtig checkte ich meinen Körper durch, wieso hatte ich so hohes Fieber. Noch nie, hatte mir das kalte Wasser etwas ausgemacht. Der Enzymwert lag bei achtundfünfzig Prozent, wieso war er so schnell gesunken. Schwer atmend drückte ich mich an die Wand und machte mich ganz klein. Eine unvorstellbare Angst nahm von mir Besitz, Todesangst. Ich sah jemanden auf mich zukommen. Wusste nicht, wer das war. Rutschte immer weiter weg von der Person. Diese folgte mir, allerdings. Immer größer wurde die Panik in mir. Ich kam hier nicht mehr weg. Dann fing die Person ganz leise an mit mir zu reden. Ich kannte diese Stimme und versuchte mich zu erinnern. Woher?

Conny, näherte sich ganz langsam. "Engelchen, komm beruhige dich, keiner tut dir hier etwas. Erkennst du mich nicht. Ich bin es dein Conny", versuchte er mir die Angst zu nehmen.

Langsam drangen die Worte zu mir durch. Plötzlich fiel mir ein, wer er war. Müde und schon wieder wegtriftend, sah ich ihn an und kroch Hilfe und Haltsuchend auf ihn zu. Hauchte mehr als das ich sprach.

"Wieso… hab ich… Fieber… Conny?", wollte ich, immer schwerer atmend, von ihm wissen.

Ich versuchte krampfhaft bei Bewusstsein zu bleiben, ich hatte fürchterliche Angst, nicht wieder zurückzufinden. Es kam noch jemand, ich wollte weg, Conny hielt mich diesmal richtig fest. Ich konnte nicht weg, dadurch wurde die Panik in mir noch größer. Mein röchelnder Atem ging in ein Pfeifen über, den man anhörte wie mühsam es mir fiel Luft zu bekommen.

"Engelchen ganz ruhig. Rashida, Nikyta, beruhige dich doch, Rashida", versuchte er mich zu beruhigen.

In einem kurzen hellen Moment, erkannte ich meinen Oberst, er kam zu mir. Was war nur los mit mir? Ich konnte nicht mehr richtig denken. Auch der Oberst setzte sich auf meine Matte.

"Kahlyn, in dem Frachter gibt es Getreide. Hattest du damit Kontakt gehabt?"

Mit schweißnassem Gesicht, am ganzen Körper zitternd und schwer atmend, sah ich ihn an. Verwirrt flüsterte ich, ohne auf die Frage einzugehen.

"Ich hab so ein Durst."

Ich wollte ja hier bleiben, ich versuchte gegen die Schmerzen anzukämpfen, aber es ging nicht. Mühsam versuchte ich nicht wieder wegzutreten. Ich wollte wissen, was los war, aber es war so schwer bei Bewusstsein zu bleiben. Es fiel mir immer schwerer.

Conny, nahm mich einfach hoch auf seine Arme. "Kommt mit an den Tisch. Oberst bringe mir eine Decke, bitte."

Schon lief er mit mir auf den Arm nach vorn, an den Tisch.

"Simon, bitte mache Kahlyn einen Tee."

Der Oberst brachte ihm eine Decke und hing sie Conny und mir um. Er ahnte, was in den Köpfen der Männer vor sich ging, die mich absolut nicht kannten. Aber, die jetzt alles mitbekommen hatten. Deshalb war Conny der Meinung, es sollte alle zuhören.

"Kahlyn, hast du die Frage vom Oberst verstanden?"

Völlig desorientiert, am ganzen Körper zitternd, rotfleckig und schweißgebadet, hielt Conny mich in seinen Armen, versuchte mich immer noch durch hin und her schaukeln zu beruhigen. Ich hörte ihn reden, aber ich verstand seine Worte nicht, sie kamen einfach nicht bei mir an.

"Kahlyn, hast du meine Frage verstanden?"

Mühsam, versuchte ich mich zu konzentrieren. Jetzt sahen auch die Männer am Tisch meinen Kampf, denn immer wieder fiel mein Kopf kraftlos nach hinten und ich begann wieder zu schreien. Aber nur Sekunden, dann hatte ich den Kampf um das Bewusstsein wieder gewonnen. Immer, wenn ich wieder aufhörte zu schreien, wiederholte Conny seine Frage, in der Hoffnung, dass ich ihn vielleicht dieses Mal endlich verstand. Beim vierten Mal drangen die Worte zu mir durch, ich sah ihn fragend an und schüttelte den Kopf. Ich hatte verstanden, was er gesagt hatte.

"Engelchen, der Oberst muss von dir wissen, ob du mit dem Getreide in Kontakt gekommen bist."

Krampfhaft versuchte ich den Sinn dieser Worte zu verstehen. Fünfmal wieder holte Conny diesen Satz. Bis ich realisierte, was er von mir wollte. Ob ich Getreide berührt hatte. Ich versuchte da zu bleiben. Berührt hatte ich es nicht. Aber, ich nickte, versuchte mühsam mich konzentrierend zu antworten. Immer wieder kippte ich kurz weg.

"Durch… … lau … … … … fen."

Warum war das wichtig? Ich bekam kaum noch Luft, mein Atem ging röchelnd.

"Verdammt Kahlyn, der ganze Laderaum, höre zu…"

Der Oberst, nahm mein Gesicht in die Hand, drehte das mit dunkelroten Flecken bedeckte Gesicht zu seinen hin. Er merkte, dass ich schon wieder wegtriftete. Heftiger als gewollt versuchte er in mich einzudringen.

"… Kahlyn, konzentriere dich, verdammt noch mal. Der ganze Laderaum, ist voll mit Antibiotika versetztem Getreide. Hast du das verstanden Kahlyn."

Mühsam versuchte ich das Gehörte zu verstehen, aber es kam nicht mehr bei mir an. Ich bekam kaum noch Luft, in mir brannte es so. Die Schmerzen waren die Hölle. Ich versuchte es doch zu verstehen, aber es ging nicht.

"Kahlyn, komm bleibe hier meine Kleine. Du hattest Kontrakt, mit hochkonzentrierten Antibiotika. Verstehst du."

Diesmal war es angekommen. Ich konnte aber nicht klar genug zu denken. Schaffte es kaum, bei Bewusstsein zu bleiben. Versuchte mit den Fingern zu zeigen, was ich wollte, weil ich es nicht mehr schaffte zu sprechen, die Verbindung konnte ich nicht aufmachen, diese Schmerzen hätten Conny getötet. Mühsam versuchte ich eine Faust zu machen und öffnete dann alle fünf Finger, zeigte ihm so eine Fünf. Ich schloss wieder die Hand zu einer Faust, dann spreizte ich mühsam den Zeigefinger und den Mittelfinger weg und legte den Daumen in Richtung des Mittelfingers, zeigte ihm damit ein K. Immer wieder kippte ich weg und versuchte es noch einmal. Alles was ich machte, tat ich wie in Zeitlupe und es kostete mich alle Kraft die ich noch hatte. Dann zeigte ich ihm eine Faust für die Hundert. Dann noch einmal den Daumen zeigend, in der Hoffnung, dass Conny mich verstand. Er kannte wie ich die Gebärdensprache und wusste, dass diese Zeichen K 99 bedeutete. Immer wieder hatten wir das geübt, falls ich mal nicht mehr sprechen konnte. Krampfhaft versuchte ich es zu wiederholen, kam aber nur noch bis zum Zeichen des Buchstabens K.

"Kahlyn, soll ich dir etwas spritzen, gegen das Fieber", wollte der Oberst zwischen durch wissen doch ich reagierte auf ihn nicht mehr.

Conny schüttelte den Kopf, denn er versuchte zu verstehen, was ich ihn so unsauber in der Gebärdensprache versuchte zu sagen. Er zeigte dem Oberst er soll ruhig sein, in dem er den Finger auf den Mund legte. Der Oberst schwieg darauf hin.

Ich hätte ihn sowieso nicht verstanden, war viel zu sehr auf die Zeichen, die ich für Conny machte, konzentriert und hatte Mühe bei Besinnung zu bleiben. Auch hörte ich nicht mehr, was Conny sagte, die Schmerzen überrannten mich immer schlimmer. Ich war wieder so weit weg, dass ich nichts mehr wahrnahm und war wieder im Nirgendwo. Irgendwo zwischen Bewusstsein und Bewusstlosigkeit gefangen. Dort, wo ich mir die Schmerzen von der Seele schreien konnte. Schreiend, krümmte ich mich in Connys Armen. Der musste von der Bank herunter gehen, weil er mich sonst nicht mehr bändigen konnte. Aber er hatte verstanden, was ich von ihm wollte.

"Willy … Ampullenkoffer … K99 … fünf Einheiten. Mach hin ...  Sie stirbt … Schnell … Willy", brüllte Conny voller Panik.

Nicht in der Lage einen normalen Satz zu sprechen, da er Mühe hatte mich zu halten. Der Oberst rannte sofort los und holte den Ampullenkoffer, zog fünf Einheiten dieses Mittels auf. Das gegen hohes Fieber war. Conny bekam Hilfe von Pille, da er mich kaum noch halten konnte, ich krampfte vor Schmerzen in seinen Armen. Sie mussten mich aber ruhigstellen, damit mich der Oberst spritzen konnte. So mussten die beiden Männer mich am Boden fixieren, damit ich nicht um mich schlagen konnte. Etwas, dass gar nicht so einfach war, denn in den Krämpfen, entwickelte ich unwahrscheinliche Kräfte. Pille und Conny hatten Probleme mich zu fassen zu bekommen, endlich hatten sie es geschafft. In dem mich Conny an seinen Körper drückte. Mario kam den Männern zu Hilfe und fasste meine Bein, fixierte sie in dem er sich einfach auf mich drauf setzte. Pille zog meinen Kopf an Connys Schulter und hielt mich in einem eisernen Griff, aus dem ich mich nicht herauswinden konnte. Endlich nach dem dritten Versuch hatte es der Oberst geschafft, mir die Injektion zu verabreichen. Kaum dass er das Mittel gespritzt hatte, ließen mich die anderen Beiden los, so dass mich nur noch Conny im Arm hielt. Schreiend versuchte ich mich aus dem Griff von ihm herauszuwinden. Er hatte sichtbare Mühe mich zu halten.

Leise sprach Conny auf mich ein. Er war oftmals der Einzige der noch bis zu mir durchdringen konnte. Durch schaukeln und leises Sprechen versuchte er mich zu beruhigen. Zwei Minuten nach der Verabreichung der Injektion, wurde ich langsam ruhiger. Die Krämpfe ließen etwas nach und das Schreien hörte endlich auf. Nach weiteren fünf Minuten, ließ auch das Rasseln meines Atems nach und dieser wurde ruhiger und gleichmäßiger. Vorsichtig, nahm mich Conny wieder hoch auf die Bank und drückte mich an sich. Fing hemmungslos an zu weinen. Er hatte schon einige schlimme Sachen mit mir erlebt. Aber das hier ging über seine psychische Leistungsgrenze. Mich so leiden zu sehen, machte ihn einfach fertig. Der Oberst klopfte Conny beruhigend auf die Schulter und musste sich auch erst einmal setzen. Ihm war schlecht. Fassungslos sah er auf mich und war froh, dass sie die Kurve noch einmal bekommen hatte.

Simon reichte Conny, Mario und Pille ein Handtuch, denn alle waren schweißgebadet, von dem fast zehnminütigen Kampf. Conny nahm es dankend entgegen und trocknete erst mir das Gesicht ab und dann seins. Zeigte wortlos auf die Decke, die der Oberst wieder über mich legte, da ich klitschnass am ganzen Körper war. Dann stützte Willy Fleischer den Kopf auf seine Hände und starrte erst einmal auf den Boden unter sich. Durch das Verhalten des Obersts und die Tränen die Conny immer noch über das Gesicht liefen, wurde den Männern jetzt erst richtig klar, dass sich hier gerade ein Drama abgespielt hatte. So fertig hatte noch niemand den Oberst und Conny erlebt. Also musste es verdammt knapp gewesen sein. Mario stand immer noch völlig neben sich. Zitterte am ganzen Körper und starrte mich an. Hielt das Handtuch, das ihm Simon gegeben hatte, wie etwas Fremdes fest und registrierte gar nicht, dass er sich damit abtrocknen sollte. Raphi, ging zu dem Kollegen hin und drückte ihn auf einen Stuhl. Nahm ihn das Handtuch aus der Hand und rieb ihm die Haare und den Nacken trocken. Langsam kehrten die Sinne Marios wieder zurück und er dankte Raphi mit einen Nicken, übernahm es jetzt selbst, sich trocken zu reiben. Denn in der Halle war es nicht sonderlich warm.

Simon der die Lage etwas entspannen wollte, reichte den Oberst und dann auch Conny und Mario eine dampfende Tasse. "Hier ihr Drei, trinkt erst einmal einen Kaffee", bat er die Drei. "Kommt beruhigt euch. Es nützt Kahlyn nichts, wenn ihr durchdreht", ernst sah er die drei völlig fertigen Männer an.

Als, wenn diese Worte einen Schalter umgelegt hätten, atmeten alle drei tief durch und nickten Simon dankend zu.  

"Was ist denn eigentlich los mit ihr?", wollte unser Koch nun wissen.

Genau wie alle anderen am Tisch, die gar nicht richtig begreifen konnten, was hier vor sich ging. Conny war gar nicht in der Lage zu antworten. Er kämpfte viel zu sehr gegen seine Emotionen und bekam diese wie so oft, wenn es um sein Engelchen ging, nicht gleich in den Griff. Er war viel zu besorgt um mich, als dass er auf die Fragen der Leute eingehen konnte. Er hatte schon einige schlimme Verletzungen bei mir erlebt, aber so schlimm und vor allem so knapp, war es noch nie. Nicht einmal in Himmelpfort ging es mir so schlecht. Erleichtert beobachtete er mich und stellte fest, dass ich langsam wieder zu mir kam.

"Engelchen, hörst du mich?", wollte Conny immer wieder von mir wissen und hofft so sehr zu mir durchzudringen, um mich zurückzuholen. Im Moment waren ihm die Fragen der Anderen, völlig egal waren. Er wusste, dass es verdammt knapp war, einige Male hatte er gedacht, dass mein Herz aufhörte zu schlagen. Langsam allerdings, schlug es wieder in einem gleichmäßigen Takt. Nach langen zehn Minuten endlich reagierte ich auf ihn.

Benommen nickte ich.

"Engelchen, du hattest mit Antibiotika Kontakt. Wie hoch ist dein Fieber noch?", wollte er von mir wissen.

Einfach, um mich zu fordern und mich ganz zurück zu holen.

"Wieso?", brachte ich mühsam kaum hörbar hervor. "61,1 °C", gab ich zur Antwort und erschrak selber.

Wieso habe ich so hohes Fieber? Ich war so müde. Mühsam nur gelang es mir meine Augen offen zu halten.

Der Oberst, setzte sich neben Conny. "Kahlyn, in dem Frachtraum das Getreide, ist mit hochdosierter Antibiotika versetzt. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich habe dir gerade fünf Einheiten K99 gespritzt. Wieso ist das Fieber noch immer so hoch?"

Mühsam setzte ich mich auf und konnte mich kaum auf der Bank halten. Lehnte mich deshalb an Connys Schulter, der zog mich Halt gebend in seine Arme. Froh, dass ich wieder ansprechbar war.

Ich versuchte mich zu konzentrieren und hier zu bleiben. Aber es gelang mir nicht wirklich. Deshalb versuchte ich über die Körperkontrolle, das Fieber nach unten zu drücken und dauerhaft zu senken. Etwas, dass wir Hundert alle konnten. Schon frühzeitig lernte wir viele unserer Körperfunktionen zu kontrollieren. Aber viel half es nicht. Nicht nur weil ich mich nicht richtig konzentrieren konnte, sondern weil es immer weiter stieg. Ich war so müde, ich ließ mich einfach in Connys Schoss rutschen und gab dem Drang, zu schlafen einfach nach. Ich hatte keine Kraft mehr gegen diese verdammte Müdigkeit zu kämpfen. Rollte mich einfach auf der Bank zusammen, um zu schlafen. Oft war dass das Einzige, was wirklich half, wenn es mir so beschissen ging, vielleicht half es ja auch diesmal. Langsam wurde ich ruhiger. Atme gleichmäßiger und etwas tiefer. Ich fiel in einen flachen Schlaf.

Simon, der sich wie alle anderen, langsam richtige Sorgen um mich machte. Wiederholte fordernd seine Frage. "Was ist los mit ihr?", verzweifelt, sah er den Oberst an. "So schlecht, ging es ihr ewig nicht mehr."

"Simon, du weißt doch noch, was in Himmelpfort los war."

Simon nickte, zu der Frage des Obersts.

"Antibiotika ist tödlich für Kahlyn. In der hohen Konzentration, wie sie in dem Lagerraum des Frachters ist, grenzt es an ein Wunder, dass sie überhaupt noch lebt. Ich hoffe nur Fritz Jacob weiß, einen Rat. Der müsste jeden Moment hier sein", verzweifelt klangen seine Worte und er rieb sich dabei müde sein Gesicht.

Kaum hatte er den Satz beendet, erschien Doko Jacob in Begleitung von Werner, in der Halle. Der ihn vom Landeplatz des Helikopters, abgeholt hatte.

Der Oberst sprang sofort auf und lief Jacob entgegen. "Fritz, Gott sei Dank, dass du da bist. Bitte, du musst Kahlyn helfen. Ihr geht es beschissen. Wir dachten gerade, dass sie stirbt."

So verzweifelt hatte Doko den Chef der Soko Tiranus lange nicht gesehen. Fragte deshalb gleich nach dem Wichtigsten und sah den Oberst an.

"Was, wann und wie viel habt ihr gespritzt?"

"Fritz, wir haben ihr vor ungefähr zehn, ich weiß nicht genau, es können auch fünfzehn Minuten sein, fünf Einheiten K99 gespritzt, sie hat schlimm gekrampft. Ist nicht mal mehr ins Jawefan geflüchtet."

Doko versuchte mich zu untersuchen, so gut es in der zusammen gerollten Position, halt ging. Kopfschüttelnd stand er da. "Willy, die Kleine hat immer noch 65,3°C Fieber, ihr Herz schlägt ganz unregelmäßig. Das einzige, was mir spontan einfällt, wäre das Jawefan, das würde schnell helfen die Antibiotika aus ihrem Körper zu holen. Dazu müssten wir sie wecken."

"Fritz, lass sie wenigstens noch ein paar Minuten schlafen, sie ist gerade eingeschlafen", bat Conny, der mich immer noch festhielt und ständig meinen Puls kontrollierte.

"Du hast Recht, lassen wir sie eine Weile schlafen."

Doko setzte er sich mir gegenüber, an den Tisch, um mich genau beobachten zu können. Nahm dankend den Kaffee entgegen, den ihm Simon reichte.

"Doko was ist mit der Kleinen", wollte Simon, jetzt von dem Arzt wissen, weil er nicht verstand, was mit mir los war.

Egon, einer der Teamleiter aus Pilles Team, fragte jetzt. "Herr Doktor, warum schreit das Mädchen so?"

"Weil sie durch das hohe Fieber, wahnsinnige Schmerzen hat", erklärte Doko kurz angebunden. Dem ich gar nicht gefiel, er beobachtete jeden meiner Atemzüge.

"Aber Antibiotika ist doch nichts schlimmes."

"Junger Mann, für sie alle und mich nicht, für Kahlyn schon, für unsere Kleine ist das pures Gift. Das ist ungefähr das Gleiche, als wenn sie durch pures Arsen laufen würden. Den Staub, den sie dabei aufwirbeln und dadurch einatmen, vergiftet sie innerhalb wenigen Minuten. Genau das ist, mit Kahlyn geschehen. Ich werde wohl nie verstehen, weshalb Menschen, so etwas machen, bei uns ist das verboten Antibiotika unter das Getreide zu mischen. Für bestimmte Länder, wird das Versetzten des Getreides direkt vorgeschrieben. Da es für normale Menschen nicht schädlich ist, wird es nirgends angezeigt, sondern steht nur in den Frachtbriefen. Nur hat Kahlyn, jetzt so viel Gift eingeatmet, dass es sie zerstört."

Doko wurde immer unruhiger. Er wollte mich nicht wecken, doch würde ihm nichts anderes übrig bleiben. Erschrocken verstanden jetzt die Kollegen erst, was geschehen war und die Männer von Pilles Team, sahen den Arzt entsetzt an.

"Muss sie sterben?", wollte Gerd, zum Erstaunen der Anderen wissen.

Diese Frage hätte ihm, nach der Tracht Prügel, die er Gestern bezogen hat keiner zugetraut. Gerd hatte trotz der Auseinandersetzung, die er mit mir hatte oder gerade deshalb, sein Herz für mich entdeckt. Als er sich gestern auf die Matte legte, nach dem ich ihn verarztet hatte, begann er gründlich über meine Worte nachzudenken. Wenn er ehrlich zu sich selber gewesen wäre, hätte er sich selber aus diesem Einsatz heraus geschmissen. Er hätte es nicht verantwortet, sich selber noch einmal zu vertrauen. Umso erstaunter war er, als ihn der Oberst heute auf den Beobachtungsposten schickte. Als er Pille und den Oberst darauf aufmerksam machen wollte, dass dies ein Irrtum sein musste, meinten beide nein, das wäre eine Anordnung von Kahlyn. Deren Befehle wären bindend. Dass die Kleine ihn Vertraute, dass hatte ihr mehr Respekt eingebracht, als die Tracht Prügel.

"Ich hoffe nicht. Warten wir ab, Kahlyn erholt sich immer schnell."

Traurig trank er seinen Kaffee aus. Er stand auf und ging um den Tisch herum, um noch einmal Fieber zu messen und erschrak.

"Es nutzt nichts. Das Fieber steigt immer weiter, wir müssen sie munter machen. Ich will ihr nicht wieder so hoch K99 spritzen, das letzte Mal, hat es auch nicht geholfen", kurzentschlossen wandte er sich an die Jungs.

"Sagt mal, euch ist doch allen nicht egal ob Kahlyn stirbt. Würdet ihr Schmerzen auf euch nehmen, um ihr zu helfen?"

Von allen Seiten kam sofort ein "Ja."

Vorsichtig begann Doko mich zu wecken. "Frido Kahlyn, frido. - Wache auf Kahlyn, wach auf."

Müde sah ich hoch zu demjenigen, der mich geweckt hatte.

"Doko, hilf mir, es tut so weh", flüsterte ich leise.

"Ich weiß meine Kleine. Kahlyn, kannst du über das Jawefan, die Antibiotika und das Fieber auf die Jungs verteilen. Bitte, ich kann dir nicht helfen."

Ich versuchte hier zu bleiben und hauchte ein. "Ja."

 "Dann los, bevor du nicht mehr, dazu in der Lage bist." Doko wandte sich an den Oberst. "Willy, sorge dafür, dass immer zehn Mann im Kreis sitzen. Wir müssen zügig machen, Kahlyn hat schon wieder 63,8°C Fieber, lange hält sie nicht mehr durch."

Sofort kommandierte der Oberst seine Truppe, als erstes in den Kreis setzte sich neben mich, genau wie Conny.

"Engelchen kannst du alleine sitzen oder soll ich dich halten."

"Versuche", flüsterte ich und ergriff die dargebotene Hand, versuchte mich schwankend im Schneidersitz zu halten.

Doko stellte sich einfach hinter mich, um mich zu stützen. "Kommt in Kahlyns Atemrhythmus", gab Conny Anweisungen.

Ich versuchte so gleichmäßig wie möglich zu atmen. Aber es fiel mir so verdammt schwer. Noch schwerer fiel es mir den Kreis zu schließen. Nach wenigen Sekunden, fingen der Oberst und Conny an zu schreien. Einige der Kollegen aus den vier Teams wollten eingreifen, weil auch die anderen im Kreis nacheinander anfingen zu schreien. Raphi und der Doko brüllten beide gleichzeitig.

"NEIN!", und das Geraer Team hinderte die Kollegen aus Rostock daran die Männer von mir wegzuziehen. Doko der verstand, was in den Männern vorging, versuchte es zu erklären. "Es hört gleich auf, lasst ihr Zeit den Kreis zu schließen, dann nimmt sie euren Kollegen die Schmerzen."

Das Schreien der Männer war fast unerträglich. Endlich nach über zehn Minuten gelang es mir, den Kreis zu schließen. Ich verteilte die Antibiotika auf alle im Kreis, auch das Fieber und nahm mir etwas von ihrer Kraft. Ich konnte wieder klarer denken und nahm den Männern den Schmerz. Nach einer Ewigkeit, hörten die Männer auf zu schreien. Völlig geschafft waren sie alle, von den Schmerzen, so ließ ich sie einige Augenblicke im Jawefan schlafen. Nach wenigen Minuten ging es mir etwas besser und langsam ging ich aus dem Jawefan. Kaum, dass ich aus dem Jawefan heraus war, setzten sich die nächsten Zehn in den Kreis.

 Die Männer die als erstes im Jawefan-Kreis gewesen waren, schwankten mehr zum Tisch, als dass sie liefen. Ließen sich alle Mann fassungslos auf die Bänke fallen. Der Oberst, Pille, Mario wie auch Conny, die ja alle vier wussten, dass meine Schmerzgrenze wesentlich höher war, als bei normalen Menschen, sahen sich gegenseitig an. Sie waren diejenigen die sich als erstes von dem Schock der Schmerzen erholten. Trotzdem brauchten sie fast zehn Minuten, ehe sie wieder klar denken konnten und zu einer normalen Reaktion fähig waren. Simon der besorgt zu den Männern sah, versorgte als er merkte dass diese wieder ganz hier waren, alle mit Kaffee.

"Verdammt, wie kann die Kleine mit solchen Schmerzen leben. Ich dachte gerade ich muss sterben", war die erste Reaktion von Mario, als er wieder richtig da war. Das Nicken der übrigen, bestätigte den Anderen, dass sie ebenfalls so empfunden hatten.

Der neue Kreis schloss sich wesentlich schneller, auch schrie keiner der Männer mehr, da ich die Schmerzen weitestgehend zurückhalten konnten. Durch die erste Runde Jawefan, hatte ich mich wieder unter Kontrolle. Nach neun Runden Jawefan, ging es mir wieder etwas besser. Wenn auch noch nicht wieder gut, mit dem, was noch übrig war, konnte ich leben. Doko untersuchte mich noch einmal. 48,8 °C einen Blutdruck von 80/55 er war zufrieden.

Immer noch saßen die Männer der ersten Runde schweigend am Tisch, zu keinem Gespräch fähig. Völlig fertig setzte ich mich zu ihnen und nahm dankbar den Tee den mir Simon fürsorglich hinstellte. Trank diesen erst einmal aus, ich hatte schlimmen Durst. Wandte mich dann an die Kollegen die sich alle wieder an den Tisch gesetzt hatten.

"Danke euch allen. Ihr habt mir gerade das Leben gerettet. Nur verstehe ich nicht, warum. Was los war? Noch nie, hat mir die Kälte des Wassers zugesetzt. Davon bekomme ich doch kein Fieber. Ich war schon viel länger in wesentlich kälterem Wasser", verständnislos sah ich den Doko an.

Der begriff, dass ich vorhin überhaupt nichts mitbekommen hatte, mehr instinktiv das Jawefan begonnen hatte, als bewusst. Der Oberst begriff, dass es noch schlechter um mich gestanden hatte, als er eigentlich dachte. Denn, wenn ich gar nichts mehr mitbekam und nur noch instinktiv handelte, war es arg böse. Jetzt verstand er auch, wieso ich die Schmerzen nicht zurückgehalten hatte.

"Kahlyn, du hattest viel zu viel Antibiotika im Blut."

"Aber, ich denke, die vergifteten Dosen sind alle in der Staatsanwaltschaft?", völlig verwirrt sah ich den Oberst an.

"Kahlyn, das Getreide in dem Tanker ist mit Antibiotika versetzt."

"Wieso?", kam automatisch meine Frage.

Der Doko, wie auch der Oberst zuckte mit den Schultern.

"Keine Ahnung, Kahlyn. Es ist in manchen Ländern halt vorgeschrieben. Dadurch, dass es für uns nicht gefährlich ist, wird es auch nicht kenntlich gemacht. Es tut mir leid meine Kleine. Aber mich nach so etwas zu erkundigen, soweit habe ich nicht gedacht. Nur gut dass Pille so schnell reagiert hat. So bekamen wir sofort heraus, was los ist und konnten den Doko holen. Verdammt wie hältst du diese Schmerzen aus", erklärte mir der Oberst, was los war.

Ich ging gar nicht auf seine Frage ein. Der Einsatz war viel wichtiger. Nur wusste ich nicht weiter. Ich konnte immer noch nicht wieder klar denken. "Da haben wir ein Problem, wie soll ich in dem Frachter arbeiten?", verzweifelt sah ich Doko an.

"Kahlyn, musst du denn durch den Laderaum mit dem Getreide", Doko sah mich fragend an.

"Nicht zwingend, ich kann über die Außenluken gehen. Doko die Jungs können das aber nicht, die haben dann aber den Staub an sich", krampfhaft suchte ich nach einer Lösung. Oft konnte ich gegen dieses hohe Fieber nicht mehr ankämpfen. Ich musste aber bei dem Einsatz dabei sein, es ging nicht anders. An viele der Luken kamen die Jungs, ohne meine Hilfe nicht heran. Auch, wenn die Jungs von Pille in der Wand laufen können, heißt das nicht, dass sie an die oberen Schotts heran kamen. In der Ecke zu laufen war wesentlich schwerer, als in der Wand. Das schaffte Conny nach sieben Jahren, immer noch nicht. Ich war völlig fertig und konnte immer noch nicht wieder klar denken.

Mein Doko dachte wie so oft, einfach geradlinig. "Dann müssen die Jungs, nach dem Lager mit dem Weizen, ihre Sachen auszuziehen. Die brauchen die Taucheranzüge dann bestimmt nicht mehr. Schon ist es nur noch wenig Staub, mit dem du in Kontakt kommen kannst. Das kannst du über eine Atemmaske kompensieren, die Jungs müssen sich nur richtig abreiben", erleichtert atmete ich auf und freut mich über diese Idee die der Doko hatte.

"Ja, so könnte es funktionieren. Bin ich froh, dass es mir wieder besser geht. Es war schlimm, nicht mal in Himmelpfort ging es mir so beschissen", erklärte ich den, immer noch betrübt dreinschauenden Männern, um sie zu beruhigen. Versuchte sogar ein Lächeln.

"Kahlyn, sag mir bitte, wie hoch ist dein Enzymwert?", wollte der Doko von mir wissen. Sorgfältig checkte ich mich durch.

Kopfschüttelnd, kontrollierte ich den Wert noch einmal, aber er wurde nicht anders.

"Was ist Kahlyn?"

"Doko, ich verstehe es nicht. Erst lag er bei zweiundsechzig, dann sank er auf achtundfünfzig, jetzt ist er nur noch, bei ungefähr fünfundvierzig Prozent. Wieso sinkt er? Hat das Fieber Auswirkung, auf den Wert des Enzyms?", verständnislos sah ich ihn an.

"Kahlyn, kann ich mir etwas Blut von dir nehmen, ich untersuche das zu Hause und teile dir dann, die Ergebnisse mit."

Ich nickte geistesabwesend. In Gedanken ging ich die Eigenschaften, des Ginoenzyms durch. Ich hatte vor einigen Jahren, mit dem Doko herumexperimentiert, wegen der Notrationen, da ist mir das schon einmal aufgefallen.

"Doko das Enzym, erinnere dich mal an unsere Experimente, die wir vor zwölf Jahren gemacht haben. Da hatten wir das schon einmal festgestellt, dass das Enzym hitzeempfindlich ist. Das ist es, wir müssen nur ein künstliches Fieber schaffen, um den Enzymwert herunter zu bekommen, ohne dies wahnsinnigen Schmerzen", lachend sah ich meinen Doko an und wusste jetzt, wo ich mit meinen Forschungen ansetzen musste.

Über Dokos Gesicht huschte auch ein Lächeln er hatte begreift, was ich meinte.

"Dann kann ich das N47, endlich wegschmeißen", glücklich eine Lösung gefunden zu haben, um dieses abscheuliche Mittel abzulösen.

"Kahlyn, komm trinke bitte noch etwas, denn du hattest hohes Fieber", dankend nahm ich die Tasse, mit dem Tee von Simon und trank sie durstig aus.

Erleichtert nahm ich eine weitere Tasse Tee entgegen und rieb mir kurz das Gesicht, in dem ich meine Brille nach oben schob. Dann wandten sich meine Gedanken wieder dem Einsatz zu. Mir lief die Zeit weg.

"Oberst, was haben die Beobachtungsposten herausgefunden?", ging ich zur Tagesordnung über.

Zum großen Erstaunen der Teams, die mich noch nicht kannten und zur Erleichterung derer die mich kannten. Denn diese wussten nun, dass es mir wieder gut oder wenigstens besser ging. Kurz und genau, informierte mich der Oberst, über die gesammelten Daten.

"Geht klar, kann ich in deinem Büro arbeiten? Dort ist es nicht so laut", fragend sah ich den Oberst an. "Ab mit dir, oder willst du noch etwas schlafen?"

Ich schüttelte den Kopf. "Oberst, ich würde gern etwas schlafen. Aber sehe bitte einmal auf die Uhr. Es ist gleich Viertel Zwölf, ich muss hinmachen, damit ich einen funktionierenden Einsatzplan, fertig bekomme. Kannst du mir so eine Atemmaske besorgen? Um 16 Uhr, möchte ich alle zur Einsatzbesprechung da haben. Pünktlich um 12 Uhr gibt es Mittag, danach ist bis 15 Uhr 45 Training. Das mache ich. Gebt mir Bescheid, wenn ihr fertig seid mit Essen", gab ich klare Ansagen und ging in das Büro vom Oberst, um alles vorzubereiten.

Ohne eine Antwort, auf meine Frage abzuwarten und ließ die verwirrt dreinschauenden Männer aus Pilles Teams, mit vielen unbeantworteten Fragen einfach zurück. Viel zu sehr auf den Einsatz konzentriert, so wie es oft bei mir war. Widme mich, meiner eigentlichen Arbeit, so wie ich es gewohnt war. Begann im Büro vom Oberst die Skizzen zu aktualisieren und einen neuen besseren Einsatzplan, mit den aktuellen Daten zu entwickeln. Nur der Oberst, kam noch einmal ins Büro, um kurz zu telefonieren. Nach zwei Minuten, gab er mir Bescheid, dass ich in drei Stunden eine Atemmaske, zur Verfügung hatte. Fast zwei Stunden brauchte ich, bis alles stimmig war.

 

Pille sah seine Jungs an, die immer noch erstaunt, dem gerade schreienden, wimmernden Mädchen hinterher sahen. Nicht glauben konnten, dass diese Kahlyn jetzt so tat, als ob gar nichts gewesen wäre. Dass sie jetzt einfach dort weiterarbeitete, wo sie vorher aufgehört hatte.

"Was guckt ihr so? Das ist halt Lynchen, kaum geht es ihr wieder einigermaßen gut, geht sie wieder ihrem Job nach. Daran müsst ihr euch bei ihr gewöhnen."

Gerd der nicht fassen konnte, was er gerade erlebt hatte, harkte nach. Sprach wohl dass aus, was einige der anderen dachten. "Pille, dann kann es ihr doch nicht so schlecht gegangen sein. Dann war das alles nur Theater. Niemand kann, wenn er solche Schmerzen gehabt hat, sofort wieder voll Dasein."

Enttäuschung klang in seiner Stimme mit, das Vertrauen das er in Kahlyn setzen wollte, begann tüchtig zu schwanken. Gerd kam sich betrogen vor. Denn er hatte sich wirklich schlimmer Sorgen um das Mädchen gemacht. Pille der immer noch an den Nachwirkungen der Schmerzen litt, denn auch er war mit in dem ersten Kreis gewesen, wollte auf Gerd losgehen, da er nicht zulassen konnte, dass jemand seinem Lynchen Lügen unterstellte. Viel zu aufgekratzt und überreizt waren seine Nerven, von dem eben Erlebten. Der Oberst ging dazwischen und hielt sein ehemaliges Teammitglied davon ab, einen schweren Fehler zu machen.

"Pille, jetzt höre aber auf", schimpft er mit ihm. "Was soll das? Der Satz, könnte von dir stammen. Nicht nur einmal, hast du ähnliches von Kahlyn gedacht und auch gesagt. Halte dich mal bitte zurück", beschwichtigte er Pille, in einem nicht sehr freundlichen Ton.

Auch der Oberst hatte sich noch nicht vollständig vom Jawefan erholt. An die Jungs die Kahlyn noch gar nicht kannten, speziell an Gerd gewandt, erklärte er.

"Dieses Mädchen hält Schmerzen aus, die Ihr euch nicht einmal in eurem schlimmsten Alptraum vorstellen könnt. Glaubt ihr etwa, wir hätten vorhin aus Langweile so geschrien. Ich halte bestimmt einiges an Schmerzen aus, aber ich dachte gerade ich muss sterben. Glaubt mir eins Kahlyn hat bestimmt, jetzt noch Schmerzen, bei denen ihr euch schreiend auf dem Boden wälzen würdet. Urteile nie über einen Menschen, denn du nicht kennst Gerd", lange sah er den Kollegen an, der ihm nicht gerade sympathisch war.

Gerds Verhalten konnte er nicht verstehen und an Kahlyns Stelle wäre der Bursche sofort aus dem Team geflogen. Wie so manches Mal konnte er die Entscheidungen Kahlyns nicht nachvollziehen. Aber das machte sie zu etwas Besonderen. Kahlyn sah Dinge in Menschen, die er oft nicht sah. Um sich zu beruhigen, holt er tief Luft und wandte sich noch einmal an die Kollegen, um einige zu erklären.

"Ihr müsst wissen, dass Kahlyn, bis vor zwei Monaten nie wirklich Zeit hatte, sich von Verletzungen, Fieber oder Folter zu erholen. Sobald die Schmerzen einigermaßen erträglich waren und die Wunden versorgt waren, sie also wieder auf den eigenen Füßen stand, ging es in den nächsten Kampf. Zum Jammern oder für Selbstmitleid, hatte Kahlyn noch nie Zeit. Gerd den Vorwurf, dass sie Theater spielen würde, kann ich schon deshalb nicht so im Raum stehen lassen. Da ich der Meinung bin, sie weiß nicht einmal, was ein Theater ist. Glaube mir eins Gerd, Kahlyn war noch nie in einem Theater, in einem Kino, einem Zirkus oder in einer Disko. Alles das, was Spaß macht und Vergnügen ist, kennt sie gar nicht. Das einzige, was Kahlyn kennt ist der Kampf. Glaube mir, die Schreie die du gerade gehört hast, waren genau so echt wie die, die du von uns gehört hast, als wir im Kreis saßen. Dass sie geschrien hat, wird sie nicht mal wissen, sie schreit nur, wenn sie halb bewusstlos ist. Ist sie Bewusstlos, schreit sie nicht, ist sie bei Bewusstsein, schreit Kahlyn erst recht nicht. Nur in einem bestimmten Bereich, in dem sie gegen die Schmerzen ankämpft, schreit sie. Aber das ist halt Kahlyn, kaum ist die Ursache weg, die Schmerzen wieder einigermaßen unter Kontrolle, geht es weiter im Plan. Glaube mir, Kahlyn hat jetzt noch mehr Schmerzen, als du aushalten könntest. Also urteile nie über einen Menschen, verdammt nochmal, den du absolut nicht kennst. Gerade du solltest das nicht tun. Denn wenn ich ehrlich bin, hätte ich die Einsatzleitung, wärst du raus. Dein Verhalten gestern, war zu kotzen. Also halte dich mit solchen Bemerkungen zurück und greife dich an deine eigene Nase", jetzt war es Pille der den Oberst beruhigend auf die Schulter klopfte.

Gerd sah beschämt auf seine Finger. Er gab dem Oberst recht und ärgerte sich über sich selber, dass er seine Klappe wieder einmal nicht halten konnte. Raphi der neben ihm saß klopfte den bedrückt wirkenden Kollegen auf die Schulter und flüsterte ihm zu.

"Gerd, ärgere dich nicht. Der Oberst meint es nicht böse. Der ist nur überreizt und macht sich große Sorgen um Kahlyn. Du bist in Ordnung", beruhigend lächelte Raphael den Kollegen an.

Der wie er selber, scheinbar Probleme mit seinem Temperament hatte. Er konnte ihn nur zu gut verstehen. Auch er ließ sich oft von seiner Wut und seinem Temperament leiden. Erst seit dem Kahlyn mit ihm das Krantonak gemacht hatte, bekam er das in den Griff. Seitdem geht es ihm richtig gut, das erste Mal in seinem Leben, war er frei von dieser verdammten Wut auf seinen Vater. Alleine dafür würde er Kahlyn immer lieben und sich schützend vor sie stellen. Vor allem sah er seit Himmelpfort, und er wusste immer noch nicht genau ob es mit dem Kampf von damals oder mit dem Krantonak zusammen hing, die Welt mit völlig anderen Augen.

Das Leben war endlich Lebenswert für ihn geworden. Dies war auch ein Grund warum jetzt lächelte, weil er gesehen hatte, dass Kahlyn das Jawefan mit Gerd gemacht hatte, er war der festen Überzeugung, dass sie ihm auch geholfen hatte. Nur wusste das Gerd noch nicht. Es würde wie bei ihm einige Wochen dauern, ehe ihm das klar werden würde. Der Oberst hatte sich wieder in den Griff bekommen.

"Entschuldige Gerd. Aber weißt du es ist so, nicht einmal ich kenne Kahlyn richtig und würde mir erlauben, über sie zu urteilen. Immer noch schafft es Kahlyn, selbst Pille, Conny und mich, selbst ihren Doko zu überraschen. Fritz kennt diese Kinder schon länger, als diese am Leben sind", ernst sah er Gerd und seine Teamkollegen an, die so vorschnell über sein Mädchen geurteilt haben. Dann gab er sich einen Ruck, mit den Kollegen schimpfen, nutzte nichts. Selbst er, hatte Jahre gebraucht, um Kahlyn etwas einschätzen zu können. "Kommt lasst uns den Köchen ein wenig helfen, so dass das Essen schneller auf den Tisch kommt. Die Kleine braucht dringend eine fitte Mannschaft, wenn es ihr nicht gut geht, müssen wir ihr mehr als bisher, unter die Arme greifen. Kahlyn macht sowieso wieder, mehr als fünfzig Prozent der eigentlichen Arbeit. Bringt bitte jemand, Kahlyn einen Tee und einen Kaffee? Sie muss viel trinken."

Raphael stand sofort auf und brachte seiner kleinen Freundin, die Getränke ins Büro. Das Wort vom Oberst, war wie ein Befehl. Es halfen alle so gut es ging, den Köchen, beim Zubereiten einer provisorischen Mahlzeit. Kochen konnte man nicht, es gab also nur heiße Würste, dazu belegte Schnitten. Kaum waren die Platten angerichtet und alle saßen am Tisch, begannen Pilles Leute wieder mit dem Thema Kahlyn, das sie einfach nicht zur Ruhe kommen ließ. Egon, sah den Arzt an, konnte sich seine Frage nicht verkneifen.

"Herr Doktor, warum greifen sie nicht ein. Wenn das Mädchen so gefährdet ist, dann ist sie doch nicht einsatzfähig", Egon konnte nicht begreifen, dass niemand diese Kahlyn, von dem Einsatz abzog.

Doko fing schallend an zu lachen und Conny, Pille, der Oberst, aber auch das Team von Gera, fingen an zu grinsen. Doko holte tief Luft, um wieder normal sprechen zu können.

"Wissen sie, nicht einmal ich habe die Macht, Kahlyn von einem Einsatz der gefährlich ist zurückzuhalten. Ich habe das, fast vierzehn Jahre versucht, ohne Erfolg. Bevor ich Kahlyn wieder in die Ecke treibe, sie zusätzlich noch ärgere und ihr dadurch zusätzliche Schmerzen zufüge. Lasse ich sie lieber gewähren und gehe ihr lieber zur Hand, mit Tipps und Ratschlägen. Es gibt nichts, was dieses Mädchen davon abhalten würde, an dem Einsatz teilzunehmen. Selbst, wenn sie nach dem Einsatz sterben müsste, würde sie daran teilnehmen. Nur, um dafür zu sorgen, dass die Gefahr für euch, so gering wie möglich ist", ernst sah Doko Jacob, Egon an, der den Kopf schüttelte, die Einstellung dieses Arztes nicht verstand.

"Das ist doch nicht normal", wollte er widersprechen.

Der Oberst sah erst Doko Jacob, dann Pille lächelnd an, der zuckte mit den Schultern und wusste genauso wenig wie alle anderen, wie er das seinen Leuten erklären konnte.

"Leute, was ist bei Kahlyn schon normal. Wirklich nichts, gewöhnt euch schnell daran", gab er lachend den Rat.

Passy, der Ruhige aus dem Delta Team, nahm sich zum Erstaunen seiner Kollegen, des Fragenden an. "Stimmt Egon, gewöhne dich daran, sonst kommst du nicht zur Ruhe. Es ist nämlich so, dass wirklich niemand, in der Lage ist, den Job von Kahlyn zu übernehmen. So einfach ist das. Kahlyn kann Sachen, die du dir nicht einmal in deinen kühnsten Träumen, vorstellen kannst. Wir kennen dieses kleine Mädchen, erst seit zwei Monaten. Bei jedem Einsatz, fällt uns vor Staunen der Unterkiefer herunter. Seit Himmelpfort, zweifelt keiner unseren Jungs mehr an Kahlyn. Du musst dir vorstellen hundertachtundfünfzig Einsatzkräfte, gegen fast tausendachthundert Elitesoldaten. Als wir den Einsatzplan von ihr hörten, haben wir gedacht, das überleben wir nie…", ernst und trotzdem kurz gefasst, dennoch so genau wie möglich, erzählte er von diesem Horroreinsatz. "… wir flogen nach diesem Einsatz, zum Oberst in die Soko. Dort erst haben wir festgestellt, das Kahlyn schlimm krank war. Sich vor Fieber und Schmerzen, kaum noch auf den Beinen halten konnte. Fast so schlimm wie eben, sie hatte seit Wochen vergifteten Brei gegessen, ist von ihrem ehemaligen Vorgesetzten, systematisch vergiftet wurden…", genau erzählte er, was dann passierte, auch das Kahlyn, danach und zuvor, schon über Wochen kaum etwas essen konnte. Wie sie hungrig in Greiz die Geiselnahme beendete. Von dem schlimmen Einsatz in Augustow. "…könnt ihr euch vorstellen, dass keiner mehr in unseren Teams Zweifel hegt, an dem Zwerg", fragend sah er die Jungs von Pilles Team. Vor allem aber Gerd an, der sich so negativ über Kahlyn geäußert hatte. "Wartet einfach ab, was dieser kleine Zwerg bei diesem Einsatz wieder anstellt, dann denkt ihr in anderen Dimensionen. Aber merkt euch eins, legt euch nicht mit Kahlyn an. Legt ihr euch mit ihr an, dann legt ihr euch mit mir an", drohte Passy, den Jungs des anderen Teams, lachend.

Raphael grinst breit. "Auch mit mir, auf unseren Hasen, lasse ich nichts kommen. Weh ihr beschützt sie nicht ordentlich, dann gibt's blaue Bohnen von mir, um die Ohren", unterstützt er Passy, lachend.

"Na, dann müssen wir uns, wohl richtig Mühe geben", kontert Pille nun auch lachend.

Der Rostocker Teamleiter war verdammt froh, dass die beiden Jungs, ihm die Erklärung abgenommen haben. Vor allem war er froh, dass sein Lynchen in so einer guten Truppe gelandet war. Der Oberst dagegen war froh, wieder in lachende Gesichter zu sehen, dass die beiden Jungs es geschafft hatten, von dem eben Erlebten abzulenken.

 

Kurz vor halb Eins, war ich fertig mit meiner Arbeit und lief nach draußen zu den Jungs. Mit meinen leeren Tassen in der Hand, ging ich zu einer der Kaffeemaschinen, die immer etwas, von dem heißen schwarzen Gesöff hatten. Simon stand auf, kam auf mich zu und nahm mir die Tasse aus der Hand.

"Kahlyn, wie sieht es aus, willst du gleich etwas essen?", fragend sah Simon mich an. "Oder willst du mal eine Wurst probieren?" Lachend, hielt er mir ein Würstchen hin.

Ich schüttelte lieber den Kopf. Ich war so froh, dass es mir wieder etwas besser ging und würde ich jetzt keine Risiken mehr eingehen. "Lieber nicht Simon, vielleicht ein anderes Mal. Ich bin froh, dass es mir wieder einigermaßen gut geht“, lächelte unseren Koch aber lieb an, wandte mich den anderen Kämpfern zu. „Seid ihr fertig mit dem Essen?", wollte ich vom Oberst wissen.

"Ja Kahlyn, aber lass uns noch etwas verdauen, bitte."

Lachend, sah ich den Oberst an. "Ihr wollt also, dick und rund werden? So dick wie mein Doko hier“, mit schiefgehaltenen Kopf, sah ich in die Runde und zeigte auf Dokos dicken Bauch.

Innerlich schmiss ich mich weg vor Lachen. Der Doko grinste mich ebenfalls an. Der Oberst, der mich schon so viele Jahre kannte, lachte nun auch erleichtert. Nicht nur die beiden waren froh, dass es mir sichtbar besser ging. Simon grinste auch und hielt mir eine Tasse hin. Dankend nahm ich ihm den Kaffee ab und Simon setzte sich auch wieder an den Tisch.

"Na Kahlyn, dir geht es wohl wieder besser. Lachst du uns jetzt aus?", fragte Simon.

Den Kopf schüttelnd, gab ich ihm zur Antwort. "Das würde ich niemals machen, wirklich nicht. Na gut, eine halbe Stunde bekommt ihr. Dann kann ich mich auch noch etwas zu euch setzen. Aber dann, bringe ich euch zum Schwitzen. Simon, könntest du mir bitte eine Kanne mit Tee machen, bitte? Ich habe schlimmen Durst. So viel Kaffee, kann ich gar nicht trinken, das ist nicht gut."

Erleichtert atmete der Oberst auf. Wenn ich von mir aus darum bat, dann ging es mir wieder etwas besser. Ich dagegen sah Simon bittend an, der nickte.

"Mache ich dir sofort", antwortet Simon mit vollem Mund. „Willst du wirklich kein Würstchen kosten?“, neckte er mich nochmals.

Ich schüttelte den Kopf und stieg auf sein necken ein. „Nein lieber nicht Simon. Stell dir vor die schmecken mir, dann esse ich euch alle Würste weg und ihr müsst hungern oder meinen Brei essen. Das bekommt euch nicht und außerdem passt ihr dann durch keine Tür mehr“, gab ich ihm lachend Kontra.

Grinsend meinte der Oberst zu mir. "Na du erst noch. Da haben wir aber Glück, dass du deinen privaten Brei hast. Aber mal im Ernst jetzt. Kahlyn willst du wirklich jetzt keinen Brei essen Kahlyn?"

Verneinend schüttle ich den Kopf. "Oberst, ich muss doch dann schon wieder so viel essen, lieber nicht. Aber noch ein Kaffee wäre schön, mir ist immer noch kalt."

Doko sah mich erschrocken an. "Kahlyn, bekommst du schon wieder Fieber."

"Nein Doko, mir ist nur einfach kalt. Ich war über zwei Stunden in dem eisigen Wasser. Da zieht die Kälte, einfach in jeden Knochen, bist tief hinein ins Mark. Es ist alles in Ordnung, wirklich. Mach dir keine Sorgen. Ich bin nur hundemüde und habe Kopfschmerzen, aber das ist nach dem Fieberanfall völlig normal", offen sah ich ihn an.

Doko nickte er kannte mich gut genug, um zu wissen, dass ich die Wahrheit sprach. Conny holte mir eine Decke und hängte sie mir um. Setzte sich einfach hinter mich und zog mich in seine Arme. Eine angenehme Wärme, strahlte er aus.

"Das tut gut Conny. Du bist ab sofort, mein Auftauofen", erklärte ich lachend.

Einfach um die immer noch gedrückte Stimmung etwas anzuheben. Auf einmal kamen allerhand lustige Vorschläge, wie man mich aufgetaut bekäme. Also alberten wir alle eine ganze Weile herum. Die Jungs neckten mich und ich neckte die Jungs, ein Wort gab das andere. Es wurde wieder gelacht und die ganze Atmosphäre wurde lockerer. Ich war heilfroh. Solch eine gedrückte Stimmung vor einem Einsatz, konnte ich gar nicht leiden. Kurz vor 13 Uhr beendete ich das Herumalbern allerdings und bat alle.

"Nun lasst uns wieder etwas ernster werden, wir sind hier schließlich nicht, zum Herumalbern. Könnt ihr Platz machen, für das Training."

Wortlos standen die Männer auf und räumten die Tische, Bänke und Stühle zur Seite, um für das Training Platz zu schaffen. Erfreut sah ich, dass auch der Oberst sich umgezogen hatte, um am Training teilzunehmen. Viel zu selten machte er das während der Einsätze, es war aber wichtig, dass er fit blieb. Denn ab und an, musste auch er zu Einsätzen mit. Lachend sah ich ihn an.

"Was ist Kahlyn, lachst du mich jetzt an oder aus?", wollte Fleischer von mir wissen.

Die Jungs aus Pilles Team, wunderten sich. Die konnten ja keiner meiner Reaktionen verstehen oder besser sehen. Dazu musste man mich sehr genau kennen. Da her verstanden sie nicht, dass der Oberst wusste, dass ich lachte.

"Na Oberst, ich lache dich nicht aus, ich freue mich dass du das Training mitmachst, sonst rostest du noch ganz ein."

Das brachte mir einen Knuffer ein, den ich auswich, so dass der Oberst an mir vorbei strauchelte. "Du musst stehen bleiben Kahlyn, sonst macht es doch keinen Spaß, wenn ich dich nicht treffe", forderte er mich lachend auf.

"Tja Oberst, dann musst du wohl noch üben", schlug ich ihm vor, zog mit schiefgehaltenen Kopf die Schultern nach oben und grinste ihn spöttisch an.

"Also stellt euch auf. Die neuen sehen es sich bitte beim Oberst und den anderen ab, in welchen Abstand ihr euch aufstellen müsst. Die Kleinen nach innen die Großen an den Rand."

Langsam gingen wir in die Taijiatmung und machten als erstes neunzig Minuten Taiji, im Anschluss trainierten wir die Reflexe mit dem Eztakfu. Die Jungs waren richtig gut und das Training hatte mir geholfen etwas zu entspannen.

"Danke für das gute Training, wir machen jetzt erst einmal Schluss. Räumt bitte die Stühle, für die Einsatzbesprechung hin."

Schnell holte ich die gezeichneten Skizzen und die Einsatzpläne, für die einzelnen Teamleiter aus dem Büro. Schon saßen die Jungs auf ihren Plätzen.

"So, dann wollen wir mal die Änderungen im Plan durchgehen. Auch, wenn ich immer noch Bauchweh habe. Irgendetwas stört mich an der Sache. Also seid bitte auf alles vorbereitet, es passiert bestimmt noch etwas Unvorhergesehenes. Aber erst muss ich einige meiner Fragen los werden, an dich Oberst, hast du für mich so eine Maske bekommen?"

Der Oberst nickte.

"Danke Oberst, dann Doko, wie sieht es aus, kann ich mit der Maske durch den Laderaum, ohne gleich wieder, einen Fieberschock zu bekommen? Noch viele solcher Fieberschocks halte ich nämlich nicht mehr aus. Ich kann ja in der Wand laufen."

Der Doko wackelte unsicher mit dem Kopf. "Es könnte gehen, aber ich würde dir dann raten, im Anschluss alles auszuziehen, was du anhast, der Staub setzt sich überall hin, vor allem in die Haare", versuchte er mir zu erklären.

"Doko, wenn ich einen Neoprenanzug anziehe, die Haar abrasiere, dann müsste es doch gehen oder?"

Doko nickte. "Dann sind es bestimmt nur noch minimale Rückstände, die im Anschluss noch vorhanden sein könnten, die kannst du mit Luftanhalten, sagen wir zehn Minuten kompensieren. Genau kann ich dir das nicht voraussagen, Kahlyn", vermutete der Doko völlig unsicher.

"In Ordnung, danke Doko. Das nächste Problem, dass ich habe ist folgendes. Ich habe mich vorhin noch einmal, mit Pille besprochen. Da Klaus, tüchtig erkältet ist, möchte ich ihn nicht ins Wasser schicken. Nach einem und ich gebe das ehrlich zu, schweren Kampf mit mir, habe ich mich entschlossen dir eine Chance zu geben Gerd. Versaue es nicht. Klaus, du wechselst mit Gerd das Team. Es hat keinen Zweck, dich mit der Erkältung ins eiskalte Wasser zu jagen. Dann hast du morgen eine schwere Lungenentzündung, tut mir leid. Gerd, du nutzt die Zeit, dich mit dem Partner von Klaus bekannt zu machen, das war glaube ich Hagen. Ihr müsst dann, zusammen kämpfen. Deshalb hatte ich euch vorhin schon zusammen gestellt, aber ich denke es sieht gut aus. Beim Training hat es ganz gut geklappt. Klaus, du tust dich bitte, mit Frank abstimmen", fragend sah ich die Vier an, alle nickten. Klaus sah man an, dass er froh darüber war, nicht ins das eiskalte Wasser zu müssen, er hatte Fieber.

"Conny, du bist bitte so lieb und erklärst Klaus, dann noch einmal die Körperkontrolle. Wie er das Fieber in den Griff bekommt, während des Einsatzes. Doko, du siehst dir Klaus bitte sofort noch einmal an. Klaus, du machst die Verbindung auf und hörst über die Verbindung zu, damit du alles mitbekommst. Doko, also los, ich muss wissen, wie es um Klaus steht. Wenn er nicht Einsatzfähig ist, dann sage es gleich, dann muss ich das umstellen. Vor allem gebe ihm vor dem Einsatz einen Hustenblocker. Er kann nicht ständig husten. Vor allem nutzt mir niemand etwas, der durchhängt, spritze das Fieber von mir aus weg. Aber er muss voll da sein. Ich brauche die Scharfschützen fit und ich kann mir hier keine Ausfälle leisten."

Doko sah mich an, er wusste, wenn ich jemanden in einen Einsatz mitnahm, der nicht hundertprozentig fit war, dann war Holland in Nöten, denn normalerweise, würde ich Klaus in diesem Zustand gar nicht mitnehmen. Die Hundert konnten so arbeiten, die anderen Kollegen, das bekam ich schnell mit, waren dazu nicht in der Lage. Bei diesem Einsatz brauchte ich aber die Scharfschützen und da Klaus wie Gerd Allrounder waren, war das die einzige Möglichkeit eines Tausches.

"Das bekomme ich schon hin Kahlyn. Keine Angst, du weißt, dass das kein Problem ist."

Erleichtert atme ich auf. Das Problem hatte ich also auch im Griff.

"Danke Doko. So nun machen wir es wie folgt. Es bleibt erst einmal, nur das Team 3 hier. Wenn ich mit dem Team fertig bin, kommt das Team2, als letztes das Team1", fragende Gesichter sahen mich an.

Die Jungs waren es gewohnt, alle Informationen zu bekommen.

"Seht mich nicht so an. Dieser Einsatz läuft etwas anders, als ihr es gewohnt seid. Es ist wichtig, dass jeder weiß, auf was er speziell achten soll. Was die anderen tun, interessiert euch nicht. Es wären einfach zu viele widersprüchliche Informationen, die ich euch geben müsste, das würde euch nur verwirren. Also Tema 3 bitte."

Ohne weitere Diskussion standen die anderen Teams auf und gingen mit ihren Stühlen nach hinten, zu den Kaffeemaschinen. Erfreut stellte ich fest, dass Hagen und Gerd, aber auch Frank und Klaus, noch ein wenig miteinander trainierten. Das war gut, denn heute Nacht, mussten sie sich blind aufeinander, verlassen können und es blieb nicht mehr viel Zeit, sich näher kennen zu lernen, es zählte einfach jede Minute Training. Immer noch war ich mir nicht sicher, ob die Entscheidung Gerd ins Team 1 zu nehmen richtig war. Aber Pille kannte seine Leute sehr gut und vor allem besser als ich. Er betonte immer wieder, auf Gerd sei Verlass. Ich müsste mich sehr in Pille täuschen, wenn er Unrecht hätte, denn ich merkte schnell, dass er sein Team auf ähnliche Art führte, wie ich. Tief holte ich Luft und riss mich aus meinen Gedanken, wandte mich dem Team 3 zu.

"Also hört zu, die Halle hat insgesamt fünf Zugänge…" Anhand von den gezeichneten Skizzen, die aus den Informationen der vergangen Nacht entstanden waren. Erkläre ich den zweiundfünfzig Kollegen, genau auf welche Weise, sie vorgehen mussten.

Mario vom SEK1 der mit seiner Gruppe, den schwierigsten Zugang zur Halle hatte, er muss erst aufs Dach. Er schüttelte den Kopf. "Kahlyn das funktioniert nicht. Wir kommen nie, ungesehen auf das Dach der Halle."

"Mario, wie lange kennen wir uns?"

Verwundert sah mich der Kollege aus der Soko Tiranus an. "Kahlyn, fast fünf Jahre, warum?"

"Dann müsstest du eigentlich wissen, dass ich nichts von dir verlangen würde, was nicht machbar ist. Ich habe nicht umsonst gesagt, ihr sollt die Nachtsichtgeräte mitnehmen. Wir haben mit den Stadtwerken abgesprochen, das in der Zeit von 1 Uhr bis wir das Zeichen geben, der Strom abgestellt wird. So kommt ihr ungesehen, an die Halle und aufs Dach, vertraut mir einfach. Erst auf den Befehl des Obersts hin, werden die den Strom wieder anstellen. Das Notstromaggregat, habe ich gestern Nacht so manipuliert, dass es mindestens zwei Stunden braucht, um es wieder anzuschalten. Die müssen schließlich erst den Fehler finden. Auf die Idee, dass dieses Teil hier fehlt, kommen die zuletzt. Dass weiß ich von Teja meiner Technikerin aus meinen alten Team, die hat mir auch gelernt dieses Teil auszubauen. Das hat Jahre gedauert bis ich das konnte", lachend holte ich ein Teil aus meinem Overall und schmiss es Mario zu, der es instinktiv auffing, was mich sehr freute. Denn seit einigen Monaten, waren auch bei ihm die Reflexe an. Das kleine Teil war zwingend notwendig für den Betrieb der Notstromaggregate, aber es war sehr versteckt eingebaut, so dass man dessen Fehlen erst nach intensiver Suche bemerken würde. Kopfschüttelnd sahen mich die Jungs an.

Bodo vom SEK 6 konnte vor Lachen kaum sprechen. "Du denkst wohl an alles."

Mit den Schultern zuckend, gab ich ihm Kontra. "An alles vielleicht nicht, aber an vieles. Der Betriebsunterhaltung vom Hafen wurde untersagt, heute Nacht in unserem Einsatzgebiet etwas zu reparieren. Die sollen sagen, sie kommen gleich und sie einfach zappeln lassen. Also weiter im Thema. Der Zugriff bei Euch, erfolgt gleichzeitig mit unserem Zugriff. Egal was passiert, ihr haltet euch so lange bedeckt, bis ich euch das Signal zum Angriff gebe. Das Team 1 muss erst in Position sein. Wenn ihr denkt, dass ihr einen schweren Zugang habt, dann wollt ihr nicht mit dem Team 1 tauschen. Glaubt mir, die Jungs werden froh sein, wenn dieser verdammte Einsatz vorbei ist. Die haben nicht nur ein, schweres Hindernis zu überwinden."

Es wurden noch einige wichtige Fragen abgeklärt, dann entließ ich das Team 3 und nahm mir das nächste Team vor. Das Team 2 waren die Schafschützen. Jeweils ein Paar der Scharfschützen, postierte ich auf strategisch wichtigen Stellen im Gelände, um so eine 360° Rundumsicht zu haben. Schnell, vor allem ohne Diskussion, über die zum Teil schweren Zugänge, akzeptierte dieses Team ihre Aufgabe. Acar, aus Ronnys Team, erkundigte sich nur kurz danach wie viel Zeit er zur Verfügung hatte, um auf die zugewiesene Position zu kommen. Keine fünfzehn Minuten brauchte ich für diese Teameinweisung. Jetzt kam das schlimmste Team, das Team 3. Diese Gruppe machte mir richtig gehend Bauchweh. Wenn hier nur einer einen Fehler machte, kam es zu einer Katastrophe, deshalb wollte ich das Team als letztes haben. Hier mussten alle Unklarheiten beseitigt werden. Durch die Enge und Unübersichtlichkeit im Frachter, konnte es schnell zu einem Zweifronten Kampf kommen, den ich unbedingt vermeiden wollte. Schritt für Schritt erklärte ich, wie wir vorgehen würden.

"Ihr wartet egal was passiert, mit dem ins Wasser gehen, mein Signal ab. Es ist arschkalt im Wasser, selbst für mich. Geht langsam rein. Wir brauchen lieber zehn Minuten länger bis wir alle im Frachter sind, als dass ihr im Wasser warten müsst. Jede Minute die ihr länger im Wasser seid, ist für euch gefährlich. Habt ihr das alle begriffen."

Es folgte von allen dreiundzwanzig Teammitgliedern ein Nicken. Zufrieden sah ich die Jungs an, im Wasser lag meine größte Angst. Selbst mir fiel es immer schwer, in solch kaltes Wasser zu gehen. Es war einfach die Hölle. War man einmal im Wasser drin, ging das Schwimmen gut vonstatten. Aber wollte man danach irgendetwas machen, wie an einer Mauer hochklettern oder einem Seil, war dies fast nicht mehr möglich. Da die Hände völlig kalt und gefühllos waren. Schon nach zehn oder zwanzig Metern, war alles Gefühl aus den Händen verschwunden. Das Team 3 musste allerdings fast dreihundertfünfzig Meter schwimmen, bevor sie am Frachter waren. Im Anschluss mussten sie noch ein Seil hochklettern. Es würde eine haarige Angelegenheit werden. Ich hatte im Moment einfach nicht die Kraft dreiundzwanzig Kameraden, am Seil hoch in den Frachter zu ziehen.

"Hört zu, wir geben euch vor dem Einsatz etwas, dass eure Körpertemperatur erhöht. So dass ihr nicht so extrem auskühlt. Aber das Mittel wirkt nur ungefähr vierzig Minuten. Also müssen die letzen, innerhalb von dreißig Minuten im Wasser sein. Es darf keiner bummeln. Weiter, der nächste Gefahrenpunkt liegt in dem Laderaum mit dem Getreide. Leute, ich kann euch dort drinnen, nur unter Lebensgefahr helfen. Wenn ich in das Getreide muss, um euch rauszuholen, kippt der ganze Einsatz. Ihr habt vorhin erlebt, was diese Antibiotika auf mich für Wirkungen hat und da bin ich nur kurz durch gelaufen. Das heißt ich war vielleicht eine Minute in Kontakt damit. Also wirklich vorsichtig dort sein."

Gerd meldete sich.

"Was ist Gerd?"

"Kahlyn, wir hatten schon einige Mal mit solcher Fracht zu tun. Warum, nutzen wir nicht diese Laufbretter?"

Wie ich solche Fragen hasse, ich hatte es vor zehn Minuten erklärt. Also noch einmal von vorn. "Gerd, bitte höre doch einfach zu, das habe ich vorhin schon einmal erklärt."

"Ich weiß Kahlyn, ich verstehe es aber nicht. Wir sind immer über diese Laufflächen gegangen."

Genervt holte ich Luft. "Dann hattet ihr immer verdammtes Glück, nur geht das nicht immer gut. Es gibt oft faule Crews in den Frachtern, die nicht alle Bretter auslegen. Vor allem die Besatzungen aus Portugal und Spanien, machen das nur zu gerne. Die legen die Laufhölzer in einen über Jahre eingeschliffenen Rhythmus. Gehen blind über diese Lücken. Ihr wisst allerdings nicht, wo diese Lücken sind. Ein falscher Schritt, schon fallt ihr in den Sog. Dieser Sog hat eine unvorstellbare Kraft, keiner von euch kommt dort wieder heraus. Wenn nur ein einziges Brett fehlt, weil es vielleicht kaputt ist, die Crew es noch nicht ersetzt hat oder mehrere weil es bei dieser Crew halt so üblich ist. Dann trittst du ins Leere. Ins Leere treten, heißt aber auch, in den Sog zu geraten. Deine Kameraden bekommen dich dort nicht wieder raus. Das bedeutet, ich muss dich da raus holen. Weil ich die Einzige bin, die im Getreide bis zur Leiter laufen kann. Wenn ich dich dort raus habe, bist du tot. Bitte lauft nur dort entlang, wo ich es euch gerade erklärt habe. Nur auf der rechten Seite, befindet sich standartgemäß an der Wand ein Laufband. Dieses Band ist nicht abnehmbar oder veränderbar, weil es ein Trägerteil des Schiffrahmens ist. Es ist durchgehend und wird immer instand gehalten, weil sonst das Schiff nicht mehr sicher wäre. Dort ist nur am Ein- und Ausstieg ein gefährlicher Sog. Aber dieser entsteht nur, wenn die Umwälzpumpen anspringen. Die springen nur an, wenn das Getreide über eine bestimmte Temperatur ist, um einen Brand zu vermeiden. Das hört ihr aber, es ertönt normalerweise immer vorher ein Pfeifton. Falls, auch das kam schon vor, dieser Signalgeber defekt ist, hört ihr ein kräftiges langgezogenes lautes Zischen, kurz bevor die Pumpe anspringt. Deshalb hört genau hin und vor allem seid leise in dem Raum. Es ist euer und mein Leben, das ihr in Gefahr bringt. Also den Rücken an die Wand und seitwärts laufen, so kommt ihr sicher und heil durch den Raum", ernst und eindringlich hatte ich gesprochen und sah die Jungs dabei direkt an.

Jeden einzelnen sah ich in die Augen. Ich war mir sicher sie hatten begriffen, was von ihrem Verhalten in diesem Raum, für mich abhing. Alle nickten betrübt, ihnen wurde erst jetzt die Gefahr gänzlich bewusst. Meine Bauchschmerzen, wegen Gerd wurden immer größer. Pille hatte mir immer wieder versichert, dass Gerd einer seiner besten und zuverlässigsten Kämpfer wäre, dem er ohne nachzudenken vertrauen würde. Der Beste, den er aus dem Scharfschützenteam für Klaus tauschen und als Ersatz bereitstellen konnte. Na hoffentlich behielt er recht. Genau erklärte ich den Kollegen, wie sie weiter vorgehen mussten. Beantwortete Fragen, stellte selber Fragen, um zu sehen, dass jeder begriffen hatte, auf welche Position er musste.

Zufrieden sah ich alle an.

"…so ich hoffe sehr, dass ihr euch wirklich an alles haltet, was ich euch gesagt habe. Ich habe sowieso immer noch Bauchschmerzen wegen dem Einsatz. Ich habe das Gefühl, das noch irgendetwas den ganzen Plan, zum Platzen bringt. Deshalb halte euch wirklich genau an das, was ich euch gesagt habe. Sonst bricht der ganze Plan zusammen und es kommt wieder, zum großen Töten. Es ist jetzt kurz nach 18 Uhr, wir machen jetzt Abendbrot. Dann legen sich alle hin und schlaft bis 22 Uhr im schnellen Schlaf. Das ist keine Bitte, sondern ein Befehl. Ich sehe mir den Schlamassel noch einmal an, vielleicht habe ich irgendetwas übersehen. Es kann also sein, dass ich nochmals Änderungen vornehmen muss."

Mit diesen Worten beende ich die Einsatzbesprechung und stand auf, ging nach hinten, um mich auszuziehen. Noch einmal ging ich duschen, nahm allerdings ein Messer mit. Verwirrt sahen mir einige der Jungs nach. Kein Wunder, wer ging schon mit einem Messer duschen, außer wir aus der Schule. Pille, Conny, Doko und der Oberst lachten, sie wussten genau, was ich vorhatte. Da noch einige der Jungs im Duschraum waren, wartete ich noch einen Moment. Stellte mich aber schon unter die Dusche, genoss einfach die Wärme des Wassers. Nach einer Weile fing an mich einzuseifen, vor allem meine Haare. Lachend dachte ich an die entsetzten Blicke, die wohl Viola machen würde, wenn ich mit Glatze nach Hause kam. Überlegte gerade, ob mir Rudi jetzt auch Glabowa schenken würde. Setzte das Messer an und rasierte die Haare einfach ab. Ein erschrockener Aufschrei kam von den Jungs, die damit nicht gerechnet hatten.

"Kahlyn du kannst dir doch nicht deine Haare abschneiden", kam von Ben, der aus Pilles Team war, ein entsetzter Ruf.

Verwundert sah ich ihn an. "Warum denn nicht? Die wachsen doch wieder."

Kopfschüttelnd sah er mich an. "Du bist doch ein Mädchen, weißt du wie lange es dauert, bis die wieder so lang sind?"

Ich nickte, fuhr immer wieder mit dem Messer über meinen Kopf, bis der völlig kahl war.

"Klar weiß ich das, fünf bis sechs Wochen. Keine Angst meine Haare sind das gewohnt. Ich hatte noch nie in meinem Leben so lange Haare gehabt wie jetzt, eher so wie jetzt", erklärte ich lachend.

Nach fünf Minuten, hatte ich alle Haare auf dem Kopf und am Körper entfernt. Ging schnell zum Abfluss, um diesen zu säubern. Danach, stellte ich mich noch einmal unter die Dusche, einfach um noch eine Weile die Wärme des heißen Wassers zu genießen. Trocknete ich mich ab und cremte mich mit der Lediros-Creme ein, um meine Haut widerstandfähiger zu machen. Damit fertig, zog ich das Bustier und die kurze Hose aus Neopren an, ging nach vorn, um noch einen Tee zu trinken. Conny hängte mir eine Decke um, ich dampfte immer noch.

Raphael sah mich traurig an. "Kahlyn deine schönen Haare, endlich sahst du mal wie ein Mädchen aus."

"Ach Raphi die wachsen doch wieder, keine Angst in spätestens sechs Wochen sind die wieder so lang", lachend sah ich ihn an. "Dann weiß Rudi wenigstens, wem er noch Glabowa und ein Poliertuch schenken kann. Außer dem Paule."

Jetzt lachte die ganze Bande. "So Leute, ich sehe mich noch einmal um, ob sich etwas verändert hat. Ihr legt euch sofort hin und schlaft bis 22 Uhr. Ihr könnt also drei Stunden im schnellen Schlaf ausruhen. Ich brauche euch dann fit. Oberst, ich möchte spätestens um 22 Uhr alle in Trainingssachen sehen. Doko, bitte bereite für dreiundzwanzig Leute, je fünf Einheiten K35 zu."

Doko und der Oberst nicken.

"Kahlyn, für dich das K33 auch?" 

Verneinend schüttelte ich den Kopf. "Nein Doko, das Risiko ist mir einfach zu hoch. Ich habe immer noch Fieber und der Enzymwert ist noch bei über 43 Prozent. Wenn ich das K33 spritze ist die Gefahr von schweren inneren Blutungen viel zu hoch. Vor allem kann ich diese dann im Fieberschock, falls ich den bekommen sollte, nicht kontrollieren. Das riskiere ich lieber nicht."

Besorgt sah mich der Doko an. "Kahlyn, wie hoch ist dein Fieber noch."

Genervt sah ich ihn an. "Doko was nutzt es dir, wenn ich dir das sage? Ich habe mit Verlaub keine Lust auf eine Diskussion", gab ich ihm stattdessen zur Antwort.

"Kahlyn, ich diskutiere nicht mit dir, versprochen. Ich will nur wissen wie hoch dein Fieber ist, um dir nachher besser helfen zu können. Du weißt, dass du nach dem Einsatz wieder hohes Fieber haben wirst. Also bitte sage es mir, nur als Information."

Lange sah ich Doko an und holte dann tief Luft. "Es ist wieder gestiegen Doko. Es liegt bei 58,9°C, aber ich habe es noch unter Kontrolle, keine Angst ich schaffe das schon. Wenn das Team 1 sich an das hält, was ich ihnen gesagt habe, komme ich damit schon klar. Aber, wenn es dich beruhigt, dann bereite zehn Einheiten vom A99 vor, denke bitte daran, du musst es langsam erhitzen, oder soll ich es schnell machen?"

Doko sah mich bittend an. "Bitte Kahlyn, bereite eine Spritze vor, du weiß ich habe damit meine Schwierigkeiten. Ich hab doch hier kein Labor."

Das ahnte ich, deshalb nahm ich mir einen Ampullenkoffer und den Brenner und ging nach hinten in den Abstellraum. Mache allerdings vorsichtshalber zwei Spritzen, mit zehn Einheiten fertig. Fast zwanzig Minuten brauchte ich dafür. Diese Injektion, die ich immer sehr ungern verwendete, musste sehr langsam erhitzt werden. Sonst war sie giftig. Damit fertig, legte ich sie in den Ampullenkoffer. Ging nach vorn zu meinem Doko, der mich schon wieder ansah, als wenn er gleich mit mir diskutieren wollte. Ich sah seinen inneren Kampf und war froh, dass er schwieg.

"Bitte denke daran Doko, ganz langsam spritzen, noch langsamer als das C99", erinnerte ich ihn noch einmal daran, vorsichtig zu sein.

Dann wandte ich mich nochmals an ihn, aber auch an die Kollegen. Laut und für alle verständlich, erklärte ich doch noch etwas, um auf Nummer sicher zu gehen. "Hört noch einmal alle kurz her. Es ist verdammt wichtig. Sollte es mit dem Fieber bei mir nach dem Einsatz sehr schlimm sein. Doko, höre auch du genau zu, auch alle anderen. Dann gehe ich ins Jawefan. KEINER, wirklich keiner macht Herzdruckmassage und Mund zu Mundbeatmung. Lasst mich einfach da liegen, wo ich liege. Es kann sein, dass ich Stundenlang im Jawefan bleiben muss. Erst muss das Fieber wieder runter. Dann komme ich von alleine aus dem Jawefan zurück. Versprecht mir, mich nicht wieder zurück zu holen, wie damals bei Conny."

Ernst sah ich die Männer an. Wirklich alle die von dieser Sache wussten schüttelten den Kopf. Die Anderen nickten auch, trotzdem sie nicht genau verstanden hatten, um was es da ging. Dem Oberst, Conny, dem Doko und dem Team aus Gera war diese Geschichte nur noch zu gut in Erinnerung. Der Oberst oder Conny konnten das den anderen später erklären, denn ich wollte endlich los.

"Also bis später. Vergesst das Schlafen nicht", rief ihn ihnen zu und war schon verschwunden.

 

Dieses Mal ging ich ohne Werkzeug und Rucksack, nur mit den Messern bewaffnet und lief ich in Richtung der Lagerhallen. Vorsichtig sah ich mich noch einmal um, dort war alles wie es war. Zu unserem Glück ging ich auch noch einmal kurz in den Frachter. Ich dachte mich trifft der Schlag. Das Entsetzen packte mich, als ich in den leeren Laderaum sah. Das, was ich dort zu sehen bekam, erschreckte mich zu Tode. Der vor Stunden noch leere Laderaum, war plötzlich mit siebenundzwanzig eng aneinander sitzenden und am ganzen Körper vor Angst zitternden Kindern bestückt.

Wo in aller Welt, kamen die denn her? Eine Weile überlegte ich, was ich jetzt machen sollte. Aber ich musste das Risiko eingehen, ich musste wissen, was hier los war. Vorsichtig jeden Schatten ausnutzend, ging ich über das Schott in den Laderaum. Ich war froh, dass es schon so dunkel war. Von dort aus, lief ich in einer unbeleuchteten Ecke nach unten. Sah mich noch vorsichtiger um. Zum Glück gab es hier keiner Wachen. Leise ging ich auf die Kinder zu, die mich erschrocken ansahen.

"Wo kommt ihr denn her?", wollte ich flüsternd von ihnen wissen, sprach dabei eins der etwas größeren Kinder an, welches sich schützend vor die Kleinen schob. Es war ein Mädchen von etwa neun Jahren.

Sie sah mich wütend, aber auch ängstlich an. "Das wissen sie doch, sie haben uns doch hier her gebracht", gab sie mir trotzig zu Antwort.

"Ich habe euch nicht hier her gebracht. Ich bin die Kahlyn, wie heißt du? Komm lass uns zu den anderen gehen, bevor mich hier jemand entdeckt."

Sofort zog ich das Mädchen zu den anderen Kindern, die verängstigt und aneinander gedrängt, alle in einer Ecke saßen. Verdammt, warum hatte ich keinen Medi-Koffer hier. Die Kinder sahen nicht gut aus, sie waren ausgemergelt und zum Teil, blutig und wahrscheinlich auch halb verdurstet.

"Wer bist du Kahlyn?", wollte das Mädchen von mir wissen.

Die hier wahrscheinlich das Sagen hatte und versuchte die kleineren zu schützen. Ganz leise erklärte ich ihr, um sie zu beruhigen.

"Ich bin Polizistin. Ihr müsst keine Angst vor mir haben. Wie lange seid ihr schon hier? Wir werden euch heute Nacht hier herausholen. Könnt ihr mir sagen wie ihr heißt? Dann informieren wir eure Eltern, dass ihr hier seid", flüsterte ich dem Mädchen zu, machte die Verbindung zum Oberst auf.

"Wir sind noch nicht lange hier, Kahlyn. Vorher waren wir in einem Container. Ich heiße Veronika. Kannst du uns nicht gleich mitnehmen? Wir wollen weg von den bösen Männern, bitte Kahlyn", in diesem Moment kamen die Tränen und liefen über ihr Gesicht.

Zärtlich streichelte ich sie und zog sie auf meinen Schoß, nahm sie tröstend in die Arme. "Nein leider nicht, aber wir holen euch heute Nacht nach Hause. Das verspreche ich dir. Habt bitte ein kleines bisschen Geduld", ernst sah ich die Kinder an.

Veronika versteifte sich in meinen Armen, sie glaubte mir nicht. Was nur allzu verständlich war. Ich brauchte hier kein Jawefan, um zu sehen, dass diese Kinder durch die Hölle gegangen sind.

"Warum sollten wir dir das glauben?", wollte Veronika von mir wissen, die sich aus meinen Armen herausgedreht hatte und sich von mir entfernte.

"Weil ich immer halte, was ich verspreche, Veronika. Bitte Kinder, schaut euch meine Augen an, das sind Feenaugen. Feen dürfen nicht lügen, dass wisst ihr doch. Sonst zerfallen sie zu Staub und ich bin zu jung zum Sterben", erklärte ich ihr, mich an eine Geschichte erinnernd, die mir Dika einmal erzählt und erklärte hatte.

Aufmerksam, musterte mich Veronika, dann nickte sie, aber sie kam nicht mehr in meine Arme. Sie vertraute mir nicht. Hoffentlich ging das gut. Ich musste sie davon überzeugen, dass sie mir vertrauen konnten.

"Hat jemand von euch eine Uhr." Ein Junge sah mich lange an und nickte dann leicht. "Wie spät es darauf?"

"Sie ist stehengeblieben. Ich habe vergessen sie aufzuziehen", auf einmal begann auch er zu weinen.

Ich griff zu ihm hinüber und streichelte ihm das Gesicht. "Hör auf zu weinen. Ich verspreche euch wirklich, ich hole euch bald hier heraus. Nur versteht mich bitte auch, Kinder, alleine schaffe ich das nicht, gegen die vielen bösen Menschen. Da habe ich alleine überhaupt keine Chance. Ich muss meine Freunde dazu holen. Bitte, sei lieb, zieh deine Uhr auf und stelle sie auf 21 Uhr 23, so spät ist es jetzt nämlich. Ich weiß es ist noch lange hin, aber gegen 2 Uhr komme ich wieder. Ich bringe dann ganz viele Polizisten mit hierher. Dann dauert es noch drei Stunden, dann seid ihr alle auf den Weg nach Hause. Glaubt mir bitte, ich brauche Hilfe, alleine schaffe ich das nicht. Ich hole nur meine Freunde", ernst sah ich den Jungen und Veronika an.

Deren gesamte Haltung sich geändert hatte. Sie wirkte entspannter. Auch der Bub hatte wieder aufgehört zu weinen und stellte seine Uhr. Ich sah in ihren Gesichtern wieder etwas Hoffnung. Sie hatten also ein kleines bisschen Vertrauen gefasst.

 "Bitte Kinder, ihr dürft diesen Männern nicht erzählen, dass ich hier war und vor allem nicht, dass ich wieder komme. Sonst können wir euch nicht befreien. Vor allem dürft ihr, wenn wir kommen, nicht laut sein, sonst merken die bösen Männer, dass wir hier sind", ernst sah ich die Kinder an. Am liebsten würde ich den Zugriff sofort durchführen, aber das würde schiefgehen.

"Wir sind ganz leise, das Versprechen wir dir. Aber die kommen ständig gucken nach uns", berichtete mir Veronika. "Du musst jetzt gehen, Kahlyn. Ich glaube die kommen bestimmt gleich wieder."

Ich nickte und sah die Kinder alle an. "Vertraut mir bitte. Ich verspreche euch, ich komme gegen 2 Uhr und hole euch. Bitte, wenn ihr denen etwas sagt, sterben viele gute Polizisten und wir können euch dann nicht mehr hier herausholen", die größeren der Kinder nickten und die Kleinen kuschelten sich noch mehr an die großen und fingen wieder an zu weinen. Ein kleines Mädchen klammerte sich an mich, weinte herzzerreißend. Am liebsten würde ich die Kinder gleich mitnehmen, aber das würde in die Hose gehen, wie der Oberst zu einem misslungen Zugriff immer sagte.

"Legt euch hin und versucht etwas zu schlafen. Ich verspreche euch, morgen seid ihr alle wieder auf dem Weg nach Hause und bei euren Eltern."

Kurz winkte ich den Kindern zu. Jetzt fingen alle an zu weinen. Man sah an ihren Augen, wie groß die Angst von ihnen war, dass ich nicht wiederkommen würde.

"Bitte seid Leise, weint nicht mehr, ich komme wieder. Ich gebe euch mein großes Feenehrenwort, seit mutig bis dahin. Ich schwöre es bei meinen Leben, ich hole euch heute Nacht hier heraus", ich lächelte sie an und hörte Schritte.

Eilig lief ich in die dunkle Ecke, die von der Luke aus nicht einsehbar war und kletterte an der Wand nach oben. Klebte mich dort in die Ecke. Hoffte sehr, dass die Kinder mich nicht verraten würden. Im selben Moment ging oben die Luke auf, ein Kopf erschien und sah nach den Kindern.

"Die scheinen sich ja endlich beruhigt zu haben", sagte eine dunkle kaltherzig klingende Stimme. Fast sofort war die Luke wieder zu.

Ich hörte wie sich die Schritte wieder entfernten. Dann war Ruhe, eine Weile wartete ich noch, um sicher zu gehen. Lief an der Decke zur Luke, um das Schott zu öffne. Vorsichtig späte ich durch den Schlitz und schlüpfte hinaus. Ging mit einem Sprung über die Reling und hielt mich daran fest. Ich befestigte ein Seil, mit einem lösbaren Knoten und ließ mich nach unten rutschen. Glitt völlig lautlos ins Wasser und löste mit einem Ruck den Knoten des Seiles. Hing mir das in Schlinge gelegt wieder um und tauchte tief ins Wasser ein. In meinem Kopf brodelte es, der Einsatz würde noch haariger werden als angenommen. Im schnellen Tempo schwamm ich unter Wasser zum Ende des Hafenbeckens, um dort das Wasser zu verlassen. Ich legte einen Sprint ein, um in die Halle zu kommen. Ich musste den gesamten Einsatzplan vollkommen umstellen. Eine Wendung, die wirklich niemand Voraussehen konnte, trat jetzt ein und gefährdete den gesamten Einsatz.

 

Kaum, dass ich in der Halle angekommen war, pfiff ich laut. Etwas, dass ich wirklich selten machte. So bekam ich, sofort die Aufmerksamkeit aller. Der Oberst brachte mir sofort einen heißen Tee, ich winkte ab und schüttelte den Kopf.

"Leute, wir haben ein schwerwiegendes Problem. So etwas passiert selten, aber diesmal ist es einfach so. Wir haben es hier mit Kindesentführung zu tun. Ich war gerade noch einmal im Frachter. Unten in dem Laderaum, der komischer Weise leer war, sitzen siebenundzwanzig Kinder im Alter von zwei bis neun Jahren. Wir müssen uns also darauf einstellen, massiven Widerstand zu bekommen. Es handelt sich hier, um Menschenschmuggel. Die haben vieles mehr zu verlieren, als ein bisschen Geld. Also müsst ihr doppelt aufpassen. Solche Einsätze laufen schnell aus dem Ruder. Endlich weiß ich, warum ich die ganze Zeit, schon solches Bauchweh hatte. Also seid vorsichtig. Das Team 1 kommt bitte noch einmal zu mir."

Beorderte ich das Team, zur Umstellung des Einsatzplanes zu mir. "So hört zu, wir gehen wie geplant vor. Ich kann jetzt nicht den gesamten Einsatzplan umschreiben, das bringt nichts. Wir müssen halt mit wesentlich weniger Leuten auskommen. Franz, Otto, Kalle, Ferdi, Holger, Nobi, ihr bleibt, egal was geschieht, bei den Kindern. Sobald wir in dem Laderaum sind, werdet ihr die Kinder beschützen. Bitte rechnet damit, dass die den Laderaum fluten, die haben nichts mehr zu verlieren. Wir werden Druck machen, dass wir so schnell wie möglich, alle festgesetzt bekommen. Aber es wird wenigstens, eine Stunde dauern. Ihr müsst unbedingt versuche die Kinder zu beruhigen. Vor allem stellt sicher, dass diejenigen die nicht schwimmen können, Hilfe bekommen", ernst sah ich die Jungs an.

Alle nickten. Konnten sie sich vorstellen, um wie viel schwieriger der Einsatz jetzt würde.

Laut rief ich den Oberst zu mir, der sofort angerannt kam. "OBERST!... Mir ist egal wie du das machst, ich brauche siebenundzwanzig Decken, vor allem aber siebenundzwanzig Schwimmwesten. Die muss ich sofort mit in den Lagerraum nehmen. Bitte organisiere das sofort. Wie du das machst, ist mir scheißegal, ich brauche sie vorgestern. Wir bringen die Kinder dann hierher. Von hier aus kannst du die dann, nach Hause bringen lassen. Das kannst du nach dem Einsatz organisieren." Der Oberst rannte sofort in sein Büro, die Zeit war verdammt knapp, um noch irgendetwas organisiert zu bekommen.

In dieser Hinsicht vertraue ihm da ganz. Der Oberst macht wirklich oft, das Unmögliche möglich. Vor allem, wenn es um Kinder ging. An die Sechs, die sich um die Kinder kümmern mussten, wandte ich mich nochmals und ging zu den Skizzen. "Hört zu, ich kenne solche Einsätze, leider zu gut. Die werden versuchen, die Kinder zu töten. Die haben nichts mehr zu verlieren. Die beste Ecke, in der ihr Schutz findet, ist an der Seite von der Luke zum Getreidelager. An der Seite der Kaimauer. Ihr nehmt eure Waffen mit. Steckt sie in Plastebeutel. Die können dort nur hin schießen, wenn sie sich abseilen. Nehmt die Kinder hinter euch. Schützt sie mit euren Körpern, am besten nehmt ihr Schilde mit und bildet damit einen Wall. PILLE! ...", sofort kam Pille angerannt. "... du besorgst mir, egal wie sechs Schilde, wir müssen die Kinder schützen...", mein Herz schlug bis hoch in den Hals. Ich durfte jetzt nichts Wichtiges vergessen. "Ihr sechs schützt mit den Schilden die Kinder. Ihr schnallt euch die auf den Rücken und unter die Flaschen, so habt ihr die Hände frei. Ich zeige euch wie man das macht. Stellt die Schilde vor euch auf wie ein Wall. Tut mir leid, ich hab nicht mehr Leute zum Schutz der Kinder. Tut mir wirklich leid. Ihr seid die gesamte Zeit, auf euch alleine gestellt und ich kann euch auch nicht helfen. Wir können auch die Kinder nicht mitnehmen, ihr müsst dort ausharren, egal wie. Ich kann nicht jedes Mal zurücklaufe durch den Getreidespeicher, das schaffe ich nicht...", verzweifelt sah ich die sechs Kämpfer an, die mit massiven Widerstand zu rechnen hatten. "... mehr Leute kann ich zum Schutz der Kinder wirklich nicht abstellen", Panik kam in mir hoch, dass sahen sogar die Jungs.

Eigentlich bräuchte ich zum Schutz der Kinder, noch ein komplettes Team. Mehr Leute hatten wir nicht zur Verfügung und noch ein Team anzufordern, dazu war einfach keine Zeit.

"Kahlyn, keine Angst. Wir passen gut auf die Kleinen auf. Mache dir da keine Sorgen. Wir kennen solche Situationen auch. Wir haben doch alle selber Kinder. Mach dir keine Sorgen, wir beschützen die Kleinen mit unserem Leben. Kümmer dich darum, dass ihr es zügig beendet. Wir kümmern uns um die Kinder", beruhigte mich Otto und klopfte mir auf die Schulter.

"Danke, das hilft mir. Mir ist schlecht..."

Ich begann immer schlimmer zu würgen und versuchte durch tiefes Atmen meinen Körper zu beruhigen, ich schaffe es nicht. Im Laufschritt rannte ich in die Dusche. Das war in meiner jetzigen angespannten Situation einfach eine Abwehrreaktion meines Körpers. Es war einfach zu viel. Immer, wenn Kinder im Spiel waren, hatte ich diese Probleme. Das ging mir einfach an die Nieren. Immer mussten sich irgendwelche grausame Menschen, an Kindern vergreifen. So etwas machte mich einfach fertig. Nach zehn Minuten, unter dem heißen Wasser, ging es mir wieder etwas besser. Kaum war ich aus der Dusche, kam der Doko zu mir.

"Kahlyn wie geht es dir", erkundigte er sich besorgt bei mir.

"Doko lass mich in Ruhe, ich habe den Kopf voller Probleme", plötzlich wurde mir bewusst, dass ich meinen Doko richtig böse angegangen war. "Tut mir leid Doko, bitte ich habe keine Zeit. Mir geht es einigermaßen. Mache dir keine Sorgen", ich ließ ihn einfach stehen.

Ich hatte einfach keine Zeit für seine Sorgen, die er sich um mich machte. Vor allem hatte ich ganz andere Probleme, als meine Gesundheit. Dort unten saßen siebenundzwanzig kleine Kerlchen die vor Angst bald vergingen. Eilig lief zurück zu den Jungs, schloss kurz die Augen, um die Panik in mir zu unterdrücken, die mich erfasst hatte. Kämpfte böse gegen meinen eigenen Körper der völlig verrücktspielte. Der Stress tat mir gar nicht gut, ich musste mich beruhigen, so nutzte ich den Kindern nichts. Tief holte ich noch einmal Luft und hielt mich einen Augenblick an Otto fest.

"Los Leute, stellt euch auf, wir machen jetzt das Taiji, im Anschluss das Fobnekotar. Dann rüstet ihr euch aus, damit wir den Einsatz hinter uns bringen", forderte ich alle zum Training.

Bei diesem Einsatz war es wichtig, dass alle voll da waren. Nicht einmal drei Minuten brauchten die Jungs, um Platz zu schaffen. Tief ging ich in mein Qi um mich zu beruhigen und begannen sofort mit dem Taiji. Im Anschluss drei Zyklen Fobnekotar. Es war kurz vor 1 Uhr als wir damit fertig waren. Durch das Taiji hatten sich die aufgeputschten Nerven aller beruhigt, auch meine.

"Zieht euch sofort um, keiner vom Team 1 geht ohne seine Spritze. Also alle bevor wir los gehen, erst vor zum Doko, dem Oberst und mir."

Doko Jacob wollte mit mir reden. Ich schüttelte den Kopf und unterband das einfach, mit einer kurzen klaren Ansage.

"Doko jetzt nicht! Ich habe den Kopf voll bitte."

Ich lief nach hinten zu meinem Platz, um mir einen Neoprenanzug anzuziehen, einen mit Kapuze. Ich musste mich, vor dem Getreidelagerraum schützen. Jetzt noch mehr, als ich erst dachte. Ich musste dafür Sorge tragen, dass der Kampf im Frachter, nicht aus den Rudern lief. Fertig angezogen, ging ich zum Oberst, der schon meinen Brei gemacht hat.

"Hast du die Westen?", wollte ich wissen und fing sofort an zu essen. In nur zwei Minuten brauchte ich, um die große Menge von fünfhundert Gramm Brei hinunterzuschlingen.

"Ja Kahlyn", kam die Antwort und er zeigte auf den Tisch, auf dem lauter kleine Pakete lagen.

"Spritz die Leute, ich helfe euch gleich und danke. DOKO! ... ich brauche einen Medi-Koffer sofort", befahl ich.

Erst einmal half ich den sechs, die die Kinder bewachen sollten, die Schilder unter die Flaschen zu schnallen. Kopfschüttelnd sahen die Kollegen mir zu. Im Anschluss packte ich meinen Rucksack um und steckte die Schwimmwesten auch noch hinein. Der war nun noch schwerer. Aber es nutzte nichts. Schnell füllte meine Gürteltasche auf, und nahm eine Schachtel Screens in die Hand. Doko, der Oberst, aber auch Pille und Conny, hatten in der Zwischenzeit schon den Leuten ihre Injektion verabreicht, die ihnen helfen sollte im eisigen Wasser warm zu bleiben. Gerade war ich fertig mit einpacken, schmissen Pille und Conny die letzte Spritze auf den Tisch. Es konnte los gehen. Kurz sah ich mich um.

"NOBERT ... ", rief ich dem mir am nächsten stehenden zu.

Der gerufenen kam sofort zu mir. Ich drückte ihm die Schachtel in die Hand. "... gib jedem der Kinder zwei davon in dem Mund. Dann geht es ihnen schon etwas besser. Stecke die Schachtel einfach zu deiner Waffe", mit dieser Anordnung ließ ich ihn stehen und blickte mich um, ob alle fertig waren. "Oberst gebe den Stromversorgern Bescheid, die sollen den das Licht abstellen JETZT."

"Kahlyn, das habe ich schon, das Licht ist schon seit zehn Minuten aus."

Danken nickte ich meinem Oberst zu. Sofort gab ich das Signal zum Aufbruch. Es war schon zehn Minuten nach um Eins. Ich lege meine Brille auf den Tisch und zog ein Schutzband über meine Augen. Steckte die Atemmaske noch in eine Seitentasche meines Rucksackes.

"Wünscht uns alles Glück. Auf eure Positionen und zwar hurtig", gab ich das Startsignal des Einsatzes.

Im Laufschritt liefen die Männer los, um auf ihre Positionen zu kommen. Das Team 3 in Richtung Lagerhalle. Das Team 2 an die sieben ihnen zugewiesenen Positionen. Das Team 1 lief hinter mir her und wartet auf meinen Startbefehl am Rand des Hafenbeckens, in der Nähe der Ost-West-Straße. Beladen mit einem vollen Rucksack, kletterte ich am Frachter hoch, um die verschlossene Ladeluke, jetzt gänzlich zu öffnen. Gab allerdings gleichzeitig das Startsignal, für die ersten beiden der Gruppe los zu schwimmen. Ganze fünfzehn Minuten hatte ich für den Einstieg, in den Laderaum veranschlagt. Ich trieb die Kollegen an. Nur knapp neun Minuten brauchten wir und alle Kollegen standen im Laderaum. Das war einfach notwendig, um dafür zu sorgen, dass die Kinder nicht unbedachter Weise Alarm auslösten. Vor allem, weil ich den jetzigen Rhythmus der Wachen nicht kannte, der sich bestimmt geändert hatte. Ich hoffte aber, dass die in der Nacht kaum nach den Kindern sehen würden, da die Kinder dann schliefen. Wir halfen den Kleinen, beim Anlegen der Schwimmwesten.

"Dann wünscht uns Glück. Otto ihr bleibt hier in dieser Ecke, Schilder hoch", ich zeigte auf die Stelle, an der wir gerade alle standen. "Hier seid ihr am sichersten. Haltet die Kinder ruhig. Norbert denke an die Screens."

Otto nickte, kümmert sich mit seinen Kameraden, liebevoll, um die völlig verängstigten Kinder.

"Wir gehen weiter", gab ich das Kommando. Zügig, allerdings ohne Hast, gingen wir weiter in den Raum, der für mich so gefährlich war.

Vorher öffnete ich eine Verbindung nur zu Hagen. "Hagen, tu mir einen Gefallen, acht auf alles, was dieser Gerd tut. Ich traue diesem Burschen nicht."

Hagen konnte sich vorstellen, dass ich kein sonderliches Vertrauen zu Gerd hatte. Er beruhigte mich allerdings etwas in der Verbindung. "Kahlyn, ich habe Gerd in den letzten beiden Tagen, als wirklich netten Kollegen kennen gelernt. Du kannst ihm trauen, wirklich."

Dankbar sah ich ihn an. "Dann ist es gut", im gleichen Augenblick schloss ich die interne Verbindung zu ihm wieder. Holte die Atemmaske aus dem Rucksack und setzte sie auf. Mit den Saugnäpfen ging ich in die Wand. Lief soweit es ging nach oben, um so weit weg wie nur möglich von dem aufgewühlten Staub zu sein. Der viel Antibiotika enthielt. Hielt zusätzlich trotz der Atemmaske noch die Luft an. Mehr konnte ich nicht tun. Ich würde trotzdem noch genug Antibiotika abbekommen, mehr als ich vertragen konnte. Leider konnte ich das nicht verhindern, dass der Staub des mit Antibiotika versetzten Getreides, sich auf meine Haut ablagern würde. Langsam tasteten sich die ersten, auf der sehr schmalen Lauffläche, in Richtung des nächsten Schotts. Ich öffnete es und schlüpfte hindurch. Schnell zog ich den Neoprenanzug aus, um gleich weiter zu können, da die Zeit drängte. Ein Fehler, den ich hätte besser nicht machen sollen. Aber als ich diesen, als Fehler erkannte, war es schon zu spät. Alle Paar waren heil herüber gekommen. Die letzten beiden Paare Passy und Kai, sowie Hagen und Gerd waren kurz vor dem Schott, als ich ein kaum hörbares Zischen vernahm. Ganz kurz und ganz leise. Fast am Durchgang angekommen, bekamen die Vier akute Schwierigkeiten. Gerd half noch Kai, Passy und Hagen beim Durchsteigen des Schotts. Hielt sich mühsam mit einer Hand, am Schott fest. In dem Moment als Gerd durch das Schott steigen wollte, sprang die Pumpe an. Das alles geschah innerhalb von nur wenigen Sekundenbruchteilen. Gerd der im selben Augenblick den Griff am Schott los ließ, um umzufassen und schon ein Bein in der Luft hob, um über das Schott zu steigen, bekam er die volle Kraft des Soges ab. Er verlor dadurch das Gleichgewicht und wurde vom Sog erfasst. Sofort zog ihn der Sog er nach unten und er war verschwunden.

Ehe einer der Männer reagieren konnte, vor allem ohne über die Konsequenzen nachzudenken, sprintete ich an den Männern vorbei. Sprang mit einem gewaltigen Satz, durch das Schott. Hier ging es um Sekunden. Ein Teammitglied war in Gefahr gerade und brauchte meine Hilfe. Ich erwischte Gerd noch, bevor er den Grund erreicht hatte. Hielt ihn fest und mit viel Mühe zog ich ihn in Richtung der Leiter, die zu den Schotts führte. Kletterte mit ihm, gegen den Sog ankämpfend, die Leiter nach oben. Ich musste ihn aus dem Getreide bringen. Es dauerte schon viel zu lange. Schon spürte ich viele Hände, die nach uns im Getreide suchten. Die nach Gerd, aber auch nach mir greifen wollten. Die uns zu fassen bekamen, nach oben in den angrenzenden Lagerraum zogen und das Schott sofort schlossen. Das alles dauerte nur dreieinhalb Minuten. Es war zu lange. Gerd atmete nicht mehr. Ohne auf die anderen zu achten, die entsetzt auf Gerd und mich sahen. Versuchte ich ihn zu reanimieren. Ich hatte keinen Medi-Koffer hier. War nur froh, dass ich einer inneren Eingebung folgend meine Gürteltasche aufgerüstet hatte. Konnte also nur, auf die brutalste Art, eine Reanimation durchführen. Etwas, dass den Jungs hier, nicht gefallen würde. Kurz entschlossen ging ich zu meinem Neoprenanzug, schnitt einen Streifen vom Ärmel, steckte diesen als Schreibremse, in Gerds Mund. Nickte Conny, aber auch Pille zu. Beide kamen zu mir, die beiden hatten schon einige solcher Rettungsversuche, von mir erlebt.

"Festhalten", gab ich ein kurzes Kommando, in der Verbindung. Nahm mein Messer und schnitt einfach an den Rippen entlang. Zum Entsetzen, der um uns herum stehenden Jungs. Machte einen zweiten Schnitt. Verschaffte mir so ein Zugang zum Herzen von Gerd. Griff mit der Hand in Gerds Körper und setzte so, das stehen gebliebene Herz, wieder in Gang.

"Mike beatme ihn", gab ich in der Verbindung, einen Befehl. Schon zog Mike die Schreibremse aus Gerds Mund und fing mit der Beatmung an. Nach langen drei Minuten, setzte die Atmung von Gerd wieder ein. Provisorisch versorgte ich die große offene Wunde. War nach fünf Minuten soweit, dass ich weiter gehen konnte. Wenn auch mit Angst um Gerd, in meinem Herzen. In der Verbindung sagte ich zu Hagen.

"Du bewegst Gerd, dann keinen Millimeter mehr. Ich werde das nachoperieren müssen. Aber jetzt, kann er weiter leben."

Vorsichtig legten wir Gerd in eine Ecke. Von der er aus nicht gleich gesehen wurde. In der Verbindung zu allen, wies ich ihn an.

"Hagen, du bleibst bei ihm. Verteidigst ihn mit deinem Leben. Er ist wehrlos. Die anderen gleich weiter."

Zuerst allerdings, zog ich mich vollständig aus. Zur Verwunderung, der um mich stehenden Männer. Begann ich mir die Haut, die Augen die Ohren zu reiben. Auf einmal begriff Pille, was ich damit bezweckte. Alle standen nur in Turnhosen und T-Shirts da. Da sie wegen mir ja die Taucheranzüge ausgezogen hatten, an denen Antibiotika haftete.

Pille zog sein T-Shirt aus und rieb damit meinen Körper ab. "Zieht eure T-Shirts aus, wir müssen die Antibiotika, von Lynchen runter bekommen", befahl er leise den Männern zu, nicht an die Verbindung denkend.

"Nutze die Verbindung", kam der Befehl von Conny.

Pille zuckte kurz mit den Schultern und guckte verlegen. Sofort gab einer nach dem anderen sein T-Shirt Pille. Nur Kai hielt seins zurück, er war der kleinste von allen. Fertig mit dem abreiben, gab er mir sein T-Shirt. "Du kannst doch nicht nackt herumlaufen, Kahlyn", meint er verlegen.

Also zog ich es über. Ich schnitt einen Streifen vom Ärmel ab. Stach in den unteren Saum ein Loch. Band mit dem Streifen das T-Shirt so zu einem Overall zusammen. Die Jungs sahen mich grinsend an.

"So kann man neue Mode machen", meinte Pille, dieses Mal in der Verbindung.

Ich ging nicht darauf ein. Wir mussten weiter.

In der Verbindung gab ich den Befehl. "Los jetzt, wir müssen weiter."

Da ich immer noch die Luft anhielt. Wir verließen den Laderaum mit dem Dünger. Vorsichtig liefen wir weiter. Durch den Lagerraum mit Kohle und dann nach oben. Endlich konnte ich wiederatmen. Rieb mir vorsichtshalber noch einmal das Gesicht die Nase und den Mund ab. Ich hoffte nur, dass es etwas half, dass ich die ganze Zeit die Luft angehalten hatte.

"Lözi, kri. - Zugriff", gab ich nun endlich den Befehl.

Zeitgleich begann der Zugriff von Team 3, in der Lagerhalle. Wir folgten dem Gang durch den Maschinenraum, der vollständig leer war. Liefen ohne lange zu warten in Richtung der Quartiere. Wie besprochen, gingen immer zwei Mann zeitgleich in jedes der Quartiere, knebelten und fesselten die Insassen. Wer davon schuldig war und wer nicht, war nicht unsere Angelegenheit. Das musste die zuständige Dienststelle herausfinden. Wichtig war nur, dass niemand Alarm schlug, nur so konnten wir unnötige Kämpfe verhindern. Da der Frachter in einem Hafen lag, waren um diese Uhrzeit, fast alle Matrosen im Bett und schliefen. Nur neun Wachen trafen wir, die wir ohne großen Widerstand dingfest machen konnten. So setzten wir innerhalb von nur zwanzig Minuten, alle fest. Ich hatte wahnsinnigen Druckt gemacht. Gerd musste ärztlich versorgt werden. Ich brauchte meinen Medi-Koffer. Alle gingen hart gegen diese Unmenschen vor, die Kinder verschleppten, um reich zu werden. Es wussten alle, dass vom schnellen Ende des Einsatzes abhing, ob Gerd und die Kinder überleben konnten.

Kaum hatten wir den Frachter und zeitgleich die Lagerhalle unter Kontrolle, bekam ich schon einen Medi-Koffer in die Hand gedrückt. Lief so schnell ich konnte, zurück zu Gerd. Zum Glück war er stabil und immer noch bewusstlos. Schnell war die Wunde versorgt. Durch das Krantonak, verschloss ich die schlimmsten Verletzungen. Korrigierte auch den Herzschlag, der unregelmäßig ging und kippte zur Seite. Fast fünf Minuten brauchte ich, um wieder zu mir zukommen. Zwang mich aus dem Jawefan zurück zu kommen. Ich hatte keine Zeit, mich um mich zu kümmern. Ich musste Gerd spritzen, gab ihm das C99, zur Stabilisierung des Kreislaufes, sowie das B32 gegen die Schmerzen. Langsam kam er wieder zu sich.

Das erste was Gerd sagte. "Tut mir leid Kahlyn, ich hab es nicht mehr geschafft. Da war auf einmal, ein unvorstellbarer Sog."

Lieb streichelte ich seine Wange. Nur seinem Einsatz hatten wir es zu verdanken, dass nicht die letzten vier Leute in den Sog gerutscht waren.

"Es ist nicht deine Schuld. Du hast deinen Freunden das Leben gerettet. Schlaf etwas, dann geht es dir bald besser."

Die besorgt um uns herumstehenden Jungs bat ich. "Geht nach oben, im ersten Gang auf der rechten Seite, steht eine Trage. Holt diese und tragt ihn vorsichtig in die Halle. Er muss schlafen. Gerd braucht unbedingt Ruhe. Sobald ich in der Halle bin, sehe ich noch einmal nach ihm. Er braucht nicht ins Krankenhaus."

Sofort lief ich weiter und war schon auf dem Weg, zu den Kindern. Ohne auf die Kollegen zu achten, die mich besorgt ansahen. Mir lief die Zeit weg. Ich musste nach den Kindern sehen, um die machte ich mir noch mehr Sorgen, als um Gerd. Mir war es jetzt egal, dass ich wieder mit der Antibiotika in Berührung kam. Ich hatte schon viel davon abbekommen, da kam es auf die paar Gramm auch nicht mehr an. Zügig so wenig wie möglich Staub aufwirbelnd, lief ich durch den Raum mit dem Getreide und bis zum nächsten Schott. Dazu brauchte ich nicht mal eine Minute. Kaum war ich hindurch, schloss ich das Schott um nicht noch mehr mit Antibiotika versetzten Staub abzubekommen. Erleichtert sah ich, dass mit den Kindern alles in Ordnung war. Befreit atmete ich auf. Den Kindern ging es den Umständen entsprechend gut. Sie waren aufgeregt, aber nicht zusätzlich noch verletzt, vor allem wurde der Raum nicht geflutet, das war meine größte Angst.

"Genosse Oberst, ich brauche hier, sofort eine Hebebühne, um die Kinder hier heraus zu bekommen. SOFORT! Bitte schnell, mir geht es nicht so besonders", bat ich in der Verbindung, um schnelle Hilfe.

Der Oberst hatte das schon organisiert. Kaum hatte ich die Gedanken in der Verbindung zu Ende gedacht, öffnete sich schon die Ladeluke. Am oberen Teil des Laderaums, senkte sich eine Transportplattform nach unten. Auf der schon, einundzwanzig Leute standen, für jedes der Kinder ein Betreuer.

Gebildet aus dem Team 3, das die Lagerhalle gestürmt hatte. Sie wurden dazu abkommandiert, die Kinder hier herauszuholen und diese in die Halle zu begleiten. Kaum war die Transportplattform unten angekommen, bekam jedes der Kinder eine Decke umgehängt und eine Flasche Wasser. Jeder der Betreuer, nahm sein Kind auf den Arm. Zusammen betraten wir diese Plattform und wurden nach oben gezogen und über die Reling, nach unten auf die Kaimauer transportiert. Dort stand schon ein Lkw, auf den die Betreuer, mit den Kindern klettern konnten. Ich sah mich suchend um. Entdeckte denjenigen, den ich so dringend suchte, damit ich den Einsatz aus der Verantwortung bekam.

Der Leiter der Bereitschaftspolizei, der für den Abtransport, der Verhafteten zuständig war. "Sir, darf ich kurz stören, Sir", unterbrach ich das Gespräch des Majors, mit einem seiner Untergebenen.

"Was ist?", kam es ziemlich unhöflich von seiner Seite, da er sich gestört fühlte. Irritiert, musterte er die vor ihm stehende Person. Bekleidet in einem zerschnittenen T-Shirt, ohne Haare. Fragte sich bestimmt, 'Was ist das denn für eine?'

"Sir, Einsatz um…", wie immer griff ich nach dem Handgelenk meines Gegenübers, des Majors, der die Einsatzleitung übernehmen musste. "… 4 Uhr 31 beendet, Sir. Ich übergebe ihnen zweiundneunzig Gefangen, siebenundzwanzig Kinder wurden an Oberst Fleischer, von der Soko Tiranus übergeben. Der für den Abtransport sorgen wird, Sir. Ein schwerstverletzter und zwei leicht Verletze auf unserer Seite, auf Seiten der Festgenommenen keine Verletzten, von den ich Kenntnis habe, Sir. Hiermit Übergebe ich ihnen den Einsatz, in ihre Verantwortung, Sir."

Verwirrt sah mich der Einsatzleiter an. "Wer bist du eigentlich, Kleine? Du gehörst doch schon lange ins Bett."

Jetzt war es an mir, ihn fassungslos anzusehen. "Sir, entschuldigen sie bitte, Sir. Ich dachte man hat sie schon informiert, Sir. Leu… äh Major Kahlyn, vom SEK 61 Gera. Ich bin der hiesige Einsatzleiter, Sir."

Schallend fing er an zu lachen. "Ja klar und ich bin der Nicolaus. Komm höre auf hier herumzulungern, treibe deine Scherze wo anders."

Wütend sah ich den zuständigen Einsatzleiter, der Bereitschaftspolizei an. Sah mich nach meinen Leuten um. Nicht weit von mir stand zu meinem Glück Pille. "Pille, kommst du bitte mal. Ich habe hier Probleme, bitte mir geht es nicht sehr gut", schrie verzweifelt ich um Hilfe in der Verbindung, sofort kam er an gespurtet.

"Was gibt es Lynchen? Hallo Kalle, was hast du mit Kahlyn für ein Problem?", fragend sah er mich an.

Pille erschrak.

Ich sah schlimm aus, war klitschnass geschwitzt und hatte langsam Mühe, mich auf den Beinen zu halten. Schwankend und schwer atmend, hielt ich mich an Pilles Arm fest.

"Dein Kollege … hier … übernimmt den Einsatz … nicht von mir … Pille … ich muss in die Halle … sonst schaffe ich … es… nicht mehr… Bitte", flehte ich ihn an.

"Kalle, das hier ist Major Kahlyn, die Einsatzleiterin, bitte übernehme. Der Kleinen geht es nicht sehr gut", gab er jetzt Anweisungen.

Ungläubig, sah der Einsatzleiter Pille an. "Pille, du willst mich wohl verarschen?"

Der schüttelte den Kopf. "Kalle, übernehme den Einsatz sofort sonst bekommst du Ärger mit mir."

Endlich nickte der Einsatzleiter der Bereitschaftspolizei. "Ich übernehme ab hier, gehen sie ruhig, der Einsatz ist aus ihrer Verantwortung Major Kahlyn", Kopfschüttelnd sah er mich an.

"Sir, danke, Sir."

Sofort lief ich los. Ich wolle nur noch in die Halle und mich hinlegen. Bevor ich irgendwo abklappen würde, wo mir keiner helfen konnte. Das ich damit den Einsatzleiter, völlig von der Rolle zurück ließ, war mir egal. Der konnte nicht glauben, mit welcher Geschwindigkeit ich loslief. Selbst Pille war erstaunt, so hatte er mich noch nicht laufen gesehen. 

"Kalle guck nicht so. Komme, wenn du hier fertig bist, nach hinten in unsere Halle, wir sind noch eine Weile dort. Kahlyn muss in die Halle und unter die Dusche. Ihr geht es durch die Antibiotika, nicht sonderlich gut."

"Was ist das denn für eine?", wollte er von Pille wissen.

Pille verdrehte die Augen. "Kalle, wie oft habe ich euch von der Soko erzählt und von Connys Engelchen?"

Da lachte der Angesprochene. "Na mindestens gefühlte eine Million mal", immer noch lachend, sah er Pille an. Weil es ein Thema war, über das Pille oft ins Schwärmen kam.

"Kalle, das eben war Connys Engelchen. Glaubst du mir nun einiges von dem, was ich euch erzählt habe."

Völlig perplex, sah Kalle seinen langjährigen Freund an. "Das glaube ich jetzt nicht!? Dieses Mädchen ist doch höchstens vierzehn oder fünfzehn Jahre alt. Was du erzählt hast ist zehn Jahre her. Ich sag ja, du willst mich verarschen."

Pille schüttelte den Kopf. "Nein Kalle, die Kleine ist jetzt sechzehn, damals war sie sechs als ich mit ihr zusammen die ersten Einsätze gemacht habe. Sie hat mich fast fünf Jahre ausgebildet. Du ich muss los. Bis später dann."

Pille drehte sich um, lief mir hinterher. Etwa zu dem Zeitpunkt, als Pille im Hafen los lief, kam ich an der Halle an. Betrat diese und blickte mich suchend nach dem Oberst um. Schwankend ging ich auf ihn zu. Er, der Doko, Conny kamen auf mich zugelaufen. "Sir, Einsatz erfolgreich… beendet, Sir. Ein Schwerverletzter… zwei leicht Verletzte, Sir", machte ich so gut es ging Meldung.

"Sir, wo… ist Gerd, Sir?", wollte ich wissen, da ich noch einmal nach ihm sehen musste, um Ruhe zu finden.

"Kahlyn, Gerd geht es gut, er schläft. Komm lege dich hin."

Ich schüttelte den Kopf. Der Oberst, der nach den vielen Einsätzen wusste, dass ich keine Ruhe geben würde. Wenn ich nicht noch einmal nach ihm sehen konnte.

Er winkte mir zu, ihm zu folgen. "Komm mit."

Sofort lief er nach hinten in eine Ecke, zu einem abgeteilten Bereich, in dem man für mehr Ruhe gesorgt hatte. Dort lag Gerd fest schlafend. Genau sah ich mir seine Wunde an. Aber es war alle in Ordnung, da konnte ich duschen gehen.

"Sir, danke, Sir", bedankte ich mich leise beim Oberst.

"Wie geht es dir?", erkundigte er sich bei mir.

Ich schüttelte nur den Kopf, wollte nur unter die Dusche und mich hinlegen. Ließ ihn einfach stehen und lief nach hinten in die Dusche. Stellte mich darunter. Wusch mich gründlich, um die Antibiotika so von der Haut zu bekommen, spülte mir Nase, den Mund und die Augen und selbst die Ohren aus. Wickelte mich in ein Badehandtuch und schleppte mich nach hinten zu meiner Matte. Besorgt sah mir der Oberst hinterher. Wenn ich mich nicht mehr anzog, war das kein gutes Zeichen.

"Fritz, siehst du gleich mal nach ihr", bat er meine Doko deshalb.

Der nahm die Spritze. "Conny, hilfst du mir bitte. Es kann sein ich brauche deine Hilfe."

Lange lief zusammen mit Doko nach hinten, zu meiner Matte, auf der ich zusammen gerollt lag.

"Kahlyn, wie geht es dir? Soll ich dir etwas spritzen."

Müde nicke ich.

"Wie viel Einheiten? Fünf oder mehr?"

"Alles", hauchte ich leise.

Das Entsetzen auf Dokos Gesicht sagte alles. Er hatte Angst, nur selten hatte ich zehn Einheiten von diesem Mittel gespritzt.

Conny setzte sich hin und zog mich in seine Arme. Er wusste, dass diese Spritze sehr langsam gespritzt werden musste. Dokos Hände zitterten so, dass er nicht spritzen konnte.

"Geb sie mir Fritz, ich spritze sie. Keine Angst, ich habe das schon einige Male gemacht."

Er nahm Doko die Spritze einfach aus der Hand. Nur zu gut wusste Conny, wie ungern Doko diese Spritze gab. Er hatte vor einigen Jahren, diese Injektion einmal etwas zu schnell gegeben und Cankat wäre fast gestorben. Seit diesem Zeitpunkt hatte unser Doko eine Heidenangst davor, diese Spritze zu geben. Es war für ihn eine Horrorspritze noch schlimmer als das N47. Conny stach die Kanüle in meine Halsschlagader, spritzte langsam den Inhalt der beiden Kolben in meine Ader. Fast zehn Minuten benötigte er dazu. Damit fertig, reichte er Fritz Jacob die Spritze. Legte er mich auf die Matte und legte sich einfach dahinter. Conny zog mich einfach in seine Arme. "Schlaf Engelchen, ich passe auf dich auf."

Das waren die Worte die ich brauchte, um abzutauchen und um Ruhe zu finden. Ich ließ mich vollkommen fallen. Schlief so einen tiefen, vor allem erholsamen Schlaf, der fast acht Stunden dauerte. Nichts von meiner Umwelt, nahm ich mehr wahr. Auch nicht, dass Conny nach zehn Minuten wieder aufstand, vor zu den anderen ging.

 

"Willy, unser Engelchen schläft. Wir sollten sie schlafen lassen, bis sie von alleine munter wird."

Fritz Jacob, wie auch der Oberst nickte.

"Wieso ist sie so hochfiebrig?", wollten der Oberst, aber auch Fritz Jacob wissen.

"Gerd, wäre ohne das Eingreifen von Kahlyn, jetzt tot. Kahlyn, hatte sich zu zeitig ausgezogen, weil fast alle durch waren, nur die letzten vier mussten noch durch die Luke klettern. Da sprang diese bescheuerte Umwälzpumpe an, aber ohne Warnton. Gerd half Passy, Kai und Hagen durch den Schott und konnte sich auf einmal, nicht mehr halten. Rutschte ab und stürzte in den Sog. Ihr kennt doch Kahlyn, die denkt in dem Moment nicht an sich. Sie war nur noch in Bustier und Turnhose, hatte nicht einmal mehr die Atemmaske auf. Sie sprang in das Getreide, um ihn herauszuholen. Sie hat die volle Dosis abbekommen, ich staune nur, dass sie so lange durchgehalten hat. Hoffentlich reicht das A99, was ich ihr gespritzt habe. Fritz, sie ist kochend heiß", besorgt sah er die beiden Männer an.

Jacob und Fleischer waren fassungslos, über das was sie gerade gehört hatten. Aber es war keine Zeit über das Geschehen nachzudenken. Es gab wichtigeres zu tun. Erst einmal mussten sich Doko und die Teams, um die völlig verstörten Kinder kümmern.

Oberst wandte sich an den Fritz Jacob. "Fritz, du kümmerst dich bitte als erstes um Kahlyn, wenn du etwas brauchst, sage mir sofort Bescheid. Dann um die Kinder, untersuche bitte alle und dokumentiere alle Verletzungen, physische wie auch psysischer Natur."

Fritz Jacob nickte und ging hinter zu Kahlyn. Setzte sich auf die Matte, um in Ruhe die Temperatur, die Vitalwerte von seinem Mädchen, herauszubekommen. Sie waren allerdings nicht Besorgnis erregend, nichts was Kahlyn nicht schon hunderte Mal überlebt hatte. Die Temperatur 62,9°C Blutdruck und Puls 195/ 135 alles viel zu hoch, aber noch im Rahmen des Ertragbaren.

Pille, der gerade in der Halle angekommen war, ging als erstes nach hinten zu Kahlyns Matte. "Doko, wie geht es Lynchen?"

"Nicht sehr gut, aber nicht so schlimm, wie ich gedacht habe. Sag mal Pille, konnte keiner von euch Kahlyn davon abhalten?"

Pille sah Fritz Jacob traurig an. "Versuche du mal jemanden aufzuhalten, der schneller reagiert, als du denken kannst. Fritz, ehe wir begriffen hatten, was mit Gerd geschah, war Lynchen schon in dem Getreide. Aber ich weiß sie hat die Luft angehalten, bis wir weit genug von Gerd weg waren. Immer wieder hat sie sich abgeputzt. Als ich begriffen hatte, was sie damit erreichen wollte, nahm ich mein T-Shirt rieb sie damit ab. Auch die Ohren die Nase. Wir haben alle mit unseren T-Shirts so lange gerieben, bis wir sicher waren, dass nichts mehr an ihr dran war. Erst später im Gang, holte sie wieder Luft. Meinte dann, na hoffentlich hat das gereicht. Dann ging sie weiter, wie gewohnt vor."

Erleichter holte Fritz Jacob Luft. "Na dann, hat sie nicht allzu viel abbekommen, daher sind ihre Werte noch einigermaßen erträglich. Da bin ich aber erleichtert."

Lobend klopfte er Pille auf dem Arm. Doko war fürs erste beruhigt und kümmerte er sich erst einmal, um die völlig verstörten Kinder. Weinend lagen diese, in den Armen der Polizisten. Nach einander untersuchte Fritz Jacob alle. Zum Glück hatte keins der Kinder schwere Verletzungen, die nicht wieder heilen würden, von den seelischen abgesehen. Eins der Mädchen, wollte immer wieder wissen, als sie sich beruhigt hatte, wo die Kahlyn wäre. Sie wurde von Ronny betreut. Fragend sah dieser Fritz Jacob an.

"Doko, kann ich mit Veronika, einmal hinter zu Kahlyn gehen, sie möchte sie gern sehen."

Fritz Jacob lächelte das tapfere Mädchen an, die sich die erste Zeit nur um die anderen Kinder gekümmert hatte. Erst als sie sicher war, dass es allen gut ging, fing sie an zu weinen.

"Ja, das könnt ihr machen. Fasst sie aber nicht an, sie ist hochfiebrig."

Daraufhin ging Ronny mit Veronika, nach hinten zu Kahlyns Lagerstatt.

"Warum hat sie Fieber Ronny?", wollte das kleine Mädchen wissen.

"Tja, das ist schwer zu erklären", antwortete Ronny traurig.

Erschrocken sah Veronika den Rücken von Kahlyn, diese hatte sich im Fieber herumgewälzt, dadurch war das Badhandtuch aufgegangen und die Decke heruntergerutscht. Jetzt lag sie nackt und aufgedeckt auf ihrer Matte. Sie war schweißgebadet.

"Wer hat Kahlyn, so böse weh getan?", weinend sah Veronika ihren neuen Freund an, der sie aus der Hölle geholt hatte.

"Das waren böse Menschen. Weißt du Veronika, Kahlyn hatte es nie sonderlich gut in ihren Leben. Deshalb ist sie auch jetzt krank. Weil böse Menschen, dafür gesorgt haben, das Antibiotika ihr schadet. Uns heilt das. Kahlyn jedoch macht es schlimm krank. Deshalb hat sie jetzt hohes Fieber."

Veronika wollte Kahlyn streicheln. Ronny zog sie zurück. "Mach das lieber nicht Veronika. Kahlyn ist so etwas nicht gewöhnt. Es kann sein, sie schlägt nach dir. Sie weiß doch nicht, dass du lieb bist. Außerdem hat sie hohes Fieber und kann nicht mehr klar denken."

"Können wir sie nicht wenigstens zudecken, sonst friert sie doch", fragend sah das Mädchen, zu Ronny hoch.

"Ich werde es versuchen, gehe aber lieber ein Schritt zurück", vorsichtig griff Ronny nach der Decke, auf Abwehrreaktionen von Kahlyn gefasst. Diese schlief weiter, bekam nichts mit. Behutsam streichelte er das Gesicht seiner kleinen Kollegin, diese rührte sich nicht. Sie war erschreckend heiß. Veronika die Ronny beobachtet hatte, hockte sich zu ihm und schielte zu ihrem großen Beschützer hoch. Als dieser nickte, streichelte sie zärtlich das Gesicht des kranken Mädchens.

"Komm, lass uns dem Doko Bescheid sagen, dass Kahlyn so heiß ist", streichelte das kleine Mädchen, stand auf und nahm es auf den Arm. Ging mit Veronika zu Fritz Jacob.

"Doko, kannst du bitte mal nach Kahlyn sehen, sie ist kochend heißt", erklärte er dem Arzt.

Veronika nickte. "Außerdem, ist sie ganz nass geschwitzt", ergänzte sie das Gesagte.

Fritz Jacob sah beide dankend an. "Ich sehe sofort nach ihr."

Er stand auf und lief nach hinten zu Kahlyn. Kam aber wenige Minuten später wieder zurück. "Ihr müsst euch keine Sorgen machen, es ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Sie hat immer noch sehr hohes Fieber. Zum Glück wird es langsam weniger, es ist schon um 2 °C gesunken. Auch der Blutdruck und der Puls sind besser. Wir lassen sie am besten Schlafen. Dann geht es ihr bald wieder gut."

Langsam kam Betrieb in die Halle, es kamen immer mehr Menschen herein. Streifenwagen brachten überglückliche Eltern, zu den vermissten Kindern. Einige dieser Kinder, wurden schon seit vielen Wochen gesucht. Keiner hatte mehr damit gerechnet, dass man die Kinder noch lebend finden würde. Nacheinander, wurden viele der Kinder abgeholt. Nach über sieben Stunden waren nur noch Veronika und zwei weitere Kinder übrig, deren Eltern gerade von Arndt und Tim abgeholt wurden.

Veronika allerdings, würde später mit der Truppe von Gera nach Hause fliegen. Sie kam aus Greiz. Ihre Eltern mussten sich gedulden. Sie warteten in der Wache des SEK61 auf ihr Mädchen. Veronika war nicht dazu zu überreden, nach Hause zu fahren. Sie wollte ihre Kahlyn noch kennenlernen. Die Jungs sahen dem Mädchen lachend zu, wie sie immer wieder nach hinten zu Kahlyn lief und diese vorsichtig zudeckte. Immer wieder bat die Kleine Fritz Jacob, nach ihrer unbekannten Freundin und ihrer Glücksfee zu sehen. Gern kam der Arzt der Bitte, des besorgten Mädchens nach.

Kahlyn ging es immer besser, das Luftanhalten schien geholfen zu haben. Kahlyn hatte nur noch 43,8°C Fieber, auch die Vitalwerte waren wesentlich besser geworden und lagen bei 95/65, also in einem fast normalen Bereich. Langsam schlief sie auch wieder ruhiger. Es war schon fast halb Eins, als Kahlyn sich rührte. Der Oberst der ständig besorgt nach hinten zu seinem kleinen Mädchen gesehen hatte, stand sofort auf und lief nach hinten.

Als Veronika ihm nach eilen wollte, hielt Ronny sie fest. "Veronika, lass Kahlyn erst einmal munter werden, sie reagiert oft heftig auf Fremde", er zog das Mädchen lieber wieder auf seinen Schoss. Das Mädchen lehnte sich an seine Schulter.

"Das kann ich verstehen. Ich mag auch keine Fremden mehr", gestand sie traurig.

Ronny streichelte ihr über das Gesicht. "Veronika, ich bin doch auch fremd. Nicht alle fremden Menschen sind böse. Nur solltest du nicht mehr mit allen mitgehen. Sei da einfach vorsichtiger."

Veronika schüttelte den Kopf. "Ich bin doch nicht mitgegangen. Ich war alleine auf den Spielplatz, als der Mann kam. Er hat mich einfach weggezerrt. Ich hab so geschrien, aber keiner hat mir geholfen. Die Leute haben alle geguckt. Aber keiner hat mir geholfen. Ich hab gedacht, ich muss sterben. Der hat immer gesagt, er bringt mich um, wenn ich nochmal schreie", erklärte Veronika, weinend ihrem neuen Freund.

Entsetzt sah Ronny das Mädchen an. "Würdest du die Leute wieder erkennen?" Ronny sah das kleine Mädchen an, das jetzt weinend in seinem Arm lag.

Veronika nickte schluchzend.

"Wir werden mit diesen Leuten reden. Werden ihnen erzählen, was du wegen ihnen für Leid erdulden musstest. Auch musst du uns helfen diesen Mann zu finden. Damit nie wieder Kinder so etwas wie du erleben müssen."

Veronika nickte weinend, drehte sich aber ständig, nach dem kranken Mädchen um.

 

Langsam kam ich zu mir, noch halb schlafend, kontrollierte ich meinen Körper. Aber es war alles in Ordnung. Das Luft anhalten hatte geholfen. Dadurch bekam ich nicht so viele Antibiotika ab. Langsam setzte ich mich auf und rieb mir mein brennendes Gesicht.

Blickte in das besorgte Gesicht des Obersts. "Wie geht es dir Kahlyn? Ich hab mich so um dich gesorgt", gestand er mir sofort und zog mich in seine Arme. "Du raubst mir noch den letzten Nerv, Kahlyn. Wegen dir werde ich noch so weißhaarig wie dein Conny und bekomme eine Glatze, weil ich mir alle Haare vor Kummer ausgerissen habe", versuchte er mir ernst mit mir zu schimpfen. Aber er meinte es nicht ernst, denn seine Augen lachen.

"Sir, warum, Sir?", fragend sah ich zu ihm hoch.

"Warum willst du wissen. Verdammt noch mal, wir springen doch auch nicht in Salzsäure, um dich daraus zu retten", schimpfte er lachend mit mir.

"Sir, ich bin doch nicht in Salzsäure gesprungen, Sir. Das hätte ich doch nicht überlebt", erklärte ich ihm, dass ich nicht verstehe, wie er das meinte.

"Ach Kahlyn, Antibiotika ist für dich tödlich und du springst dort einfach rein. Was wäre, wenn das mit dem Luftanhalten nicht funktioniert hätte?"

Achselzuckend sah ich ihn an. "Sir, dann wäre ich jetzt tot, Sir", teile ich ihm die logische Schlussfolgerung mit.

"Ja, das wäre es dann gewesen. Wie soll ich denn ohne dich klar kommen? Rudi haut mir die Ohren vom Stamm, wenn dir etwas passiert. Wie sehe ich denn, ohne Ohren aus?", lachend sah er mich an.

"Sir, komisch, Sir", erklärte ich ihm ernst, hielt dabei den Kopf schief und stellte mir mein Oberst, ohne Ohren vor. Dabei musste ich anfangen zu lachen.

"Ja klar, lache mich nur aus. Aber mal Spaß bei Seite. Musste das wirklich sein. Hättest du nicht den Anzug noch überstreifen können?", wollte er von mir wissen.

"Genosse Oberst, können sie sich diese Frage nicht selber beantworten. Gerd war praktisch tot, nach dem ich ihn aus dem Getreide hatte. Ich habe es gerade noch geschafft, ihn zurück zu holen. Wenn ich den Anzug erst angezogen hätte, dann wäre alles zu spät gewesen. Dann hätten wir bei diesem Einsatz einen Toden, Sir."

"Aber…", wollte mir der Oberst widersprechen.

Ich unterbrach ihn einfach. "Sir, nichts aber. Gerd lebt, ich lebe, alles ist gut, Sir", strahlend sah ich ihn an.

"Wie lange musst du nun wieder hungern, Kahlyn?"

Kurz checkte ich, wie viel Antibiotika ich im Körper hatte. "Sir, das ist nicht lange, zwei oder drei Tage, das bekomme ich hin. Habe doch gestern viel gegessen, Sir."

Lächelnd streichelte er mir über das Gesicht. "Da bin ich ja froh, dass alles so gut ausgegangen ist. Im Übrigen, hast du eine eigene kleine Krankenschwester gehabt. Seit acht Stunden flitzt die Kleine ständig zu dir und deckte dich immer wieder zu. Sie hat deinem Doko, ganz schön auf Trab gehalten und gab ständig Anweisung nach dir zu sehen. Die Kleine war ständig in Sorge um dich. Vor allem weigerte sie sich, dass wir sie nach Hause bringen. Hat ihren Eltern am Telefon klipp und klar gesagt. "Mama, Papa mir geht es gut, aber Kahlyn, meine Fee, ist wegen mir krank. Erst muss ich wissen, dass es ihr gut geht, dann kann ich erst nach Hause kommen." Ihr nehmt die Kleine dann im Heli mit nach Gera, sie kommt aus Greiz. Übergebt sie in der Wache in Gera, an ihre Eltern."

Verwundert sah ich den Oberst an. "Sir, warum, Sir?"

"Weil sie, wie sie mir erklärt hat, nicht damit leben zu können, wenn sie nicht genau wüsste, dass es dir gut geht."

Verstehend nickte ich. Sah mich nach einem kleinen Mädchen um. Entdeckte sie auf Ronnys Schoss, an dessen Brust sie sich gelehnt hatte. Ständig schaute sie an seiner Schulter vorbei, in meine Richtung.

"Sir, geben sie mir noch ein paar Minuten. Ich möchte noch einmal duschen gehen, damit mir wieder warm wird, Sir. Dann kümmere ich mich um Gerd, dann um die Kleine, Sir." Mein Oberst kannte mich nur zu gut.

"Ich lege dir trockene Sachen auf die Heizung. Dusche, so lange wie du möchtest. Kahlyn, möchtest du Kaffee oder Tee trinken?"

"Sir, danke, Sir. Tee wäre schön. Ich habe schlimmen Durst, durch das hohe Fieber, Sir", gab ich ihm erleichtert zur Antwort.

Stand sofort auf und verschwand in der Dusche. Fast eine halbe Stunde stand ich unter dem heißen Wasser. Als ich aus der Dusche kam, musste ich lachen. Der Oberst hatte mir nicht nur trockene Unterwäsche, sondern einen Trainingsanzug, einen dicken Pullover von sich, aber auch dicke Stricksocken auf die Heizung gelegt. Freudig zog ich die warmen Sachen an und lief nach draußen. Um in die Ecke zu gehen, in die man Gerd zum Schlafen gelegt hatte. In dem Moment sah ihn am Tisch sitzen und lachend mit seinen Kollegen herumalbern. Froh, dass es ihm gut ging, lief ich auf ihn zu.

"Hallo Gerd, wie geht es dir?"

"Dank dir, wieder gut. Danke, du bist wirklich ein Engel. Conny hat Recht. Wenn du nicht gewesen wärst, wäre ich jetzt tot. Darf ich dich einmal drücken?"

Verwirrt sah ich ihn an. "Das ist Quatsch, wenn ich dich nicht geholt hätte, dann jemand anders. Darf ich dich mal untersuchen, zieh bitte nochmal dein T-Shirt aus und die Jacke", lenkte ich von dem mir unangenehmen Thema ab.

Gerd hörte aufs Wort und zog sich aus. Genau sah ich ihn mir an. Ließ mir vom Doko ein Stethoskop geben, um ihn abzuhören. Es war wirklich alles in Ordnung.

"Gerd, bitte sei so lieb. Eine Woche bleibst du zu Hause und schonst dich. Es war verdammt ernst. Tut mir leid, die Narben kann ich dir nicht weg machen, das schaffe ich im Moment einfach nicht. Ich bin einfach zu müde dazu. Aber anders, hätte ich dich nicht zurück holen können", entschuldigte ich mich, für die ziemlich großen und nicht sehr schöne Narben, die er behalten hatte. "Aber, wenn wir uns einmal wiedersehen, dann mache ich sie dir weg, versprochen."

Gerd zog mich erst einmal in seine Arme. Dann schob er mich von sich weg. "Kahlyn, ich möchte mich bei dir entschuldigen. Die Jungs haben zwar gesagt, ich soll das nicht machen, aber ich will es trotzdem tun. Ich war ein ganz schönes Arschloch, aber ich hab dich total unterschätzt. Tut mir wirklich leid", noch einmal hielt er mir seine die Hand hin. Ich nahm sie diesmal, er hatte es sich verdient.

"Gerd, du warst nicht nur ein ganz schönes Arschloch, du warst das größte, was ich seit langer Zeit kennen gelernt habe. Aber, du bist im Grunde ein guter Kerl, niemand bringt sich für seine Kameraden in Gefahr, wenn er kein gutes Herz hat. Also merke dir den Augenblick, wo du deine Kollegen gerettet hast, so solltest du immer sein. Diesen Deppen, von der Matte da hinten, der seinen Kollegen in den Rücken fällt, hast du so hoffe, ich im Sog ersticken gelassen", mit diesen Worten zog ich ihn zu mir und drückte ihn auch einmal. Er hatte im Frachter bewiesen, dass er ein vertrauenswürdiger Kollege war, dem man sich ohne Bedenken anvertrauen konnte. "Aber schone dich noch. Du brauchst eine Woche Ruhe. Pille, hast du das registriert. Er ist eine Woche dienstuntauglich. Doko, du schreibst ihn krank."

Doko, wie auch Pille nickten. Breit grinsend schob ich Gerd, wieder zurück auf seinen Platz. Widmete mich erst einmal, meiner kleinen unbekannten Krankenschwester. In dem ich um den Tisch herum ging und mich einfach zwischen Ronny und Conny setzte.

"Hallo Veronika, na hab ich mein Versprechen gehalten?", wollte ich von dem Mädchen wissen, das mir im Lagerraum, erst nicht richtig vertrauen wollte.

"Ja, das hast du, Kahlyn. Ich bin so froh, dass du nicht mehr so krank bist. Bist du wieder gesund?", stellte sie mir die Frage, die sie wohl am meisten interessierte.

"Es geht, Veronika. Es ist nicht schlimm", versuchte ich sie zu beruhigen. 

Sie schüttelte den Kopf. "Du hast wegen mir schlimmes Fieber gehabt", gab sie sich die Schuld daran.

"Nein Veronika, nicht wegen dir. Nur wegen dem Getreide in dem Frachter. Mach dir keine Sorge, das wird wieder."

Lieb streichelte ich nochmals Veronikas Gesicht, sie konnte schon ein kleines bisschen Lächeln. Ich lehnte mich immer noch müde zurück und mit den Rücken an Conny und zog die Beine auf die Bank. "Na Engelchen, bist du wieder warm oder soll ich wieder Auftauofen spielen?", erkundigte er sich lachend.

"Das wäre schön, mir sitzt die Kälte noch in jedem Knochen, nicht mal die dicken Socken helfen, dass mir warm wird."

Doko sah mich ernst an. "Kahlyn, wie hoch ist deine Temperatur. Steigt sie schon wieder?"

Ich schüttelte den Kopf und checkte mich durch. "Ich weiß ja nicht wie sie vorhin war, jetzt habe ich 48,2°C, es geht einigermaßen. Mach dir keine Sorgen Doko, ich habe das Fieber im Griff."

Beruhigt sahen mich die Jungs an. Froh, dass es noch einmal, glimpfig ausgegangen war. Es dauert keine zehn Minuten, als in Ronnys Armen ein gleichmäßiges Atmen hörte. Veronika war eingeschlafen.

"Ronny, leg sie hinten in die Ecke in der Gerd geschlafen hat. Dort ist es ruhiger." Ronny stand vorsichtig mit dem schlafenden Mädchen im Arm auf und lief nach hinten in den Krankenbereich. Vorsichtig, um Veronika nicht zu wecken, legte er das Mädchen in das Feldbett und deckte sie zu. Er kam gleich wieder nach vorn.

"Genosse Oberst, wann holt uns der Heli ab, Sir?", wollte ich wissen.

"Kahlyn, ich habe ihn noch nicht bestellt, weil ich nicht wusste, ob du dich noch einmal hinlegen willst."

"Sir, ich denke die Einsatzauswertungen können die Teamleiter getrennt machen, Sir. Ich würde gern nach Hause fliegen. Sie wissen doch, Sir. Da kann ich am besten schlafen, Sir."

Der Oberst stand nickend auf und ging nach hinten, um den Heli zu bestellen. Nach dem er wieder an dem Tisch gekommen war, stand ich kurz auf. Lief die Decke frierend um die Schultern gezogen, an das Kopfende des Tisches.

"Kann ich bitte noch einmal kurz eure Aufmerksamkeit bekommen", wandte ich mich an die neun Teams.

Alle nickten.

"Als erstes, meinen Dank an euch alle, dass ihr diesen komplizierten Einsatz, so erfolgreich durchgeführt habt. Ohne eure Disziplin und eure gute Mitarbeit, wäre das alles aus dem Ruder gelaufen. Ich bin froh, dass wir die Kinder wieder alle nach Hause schicken konnten. Keiner von uns, hätte bei Einsatzbeginn, mit so einer Wendung rechnen können. Ich freue mich für die Eltern und die Kinder. Also meinen Dank an euch alle. Mein besonderer Dank, gilt aber Gerd. Der mit seinem besonnen Einsatz, das Leben dreier seiner Kollegen gerettet hat. Sich dabei selber in Lebensgefahr brachte. Ich denke, ich sollte mich bei ihm entschuldigen. Ich habe ihm nicht vertraut. Man irrt sich halt immer wieder einmal, in einem Menschen. Also Gerd, ich hab dir das vorhin schon einmal gesagt. Du bist ein guter Kerl. Hoffentlich hast du dieses Arschloch, in den Sog geschickt. Das bist du nicht wirklich. Ich würde mich freuen, wieder einmal an deiner Seite kämpfen zu dürfen. Ich wünsche dir eine gute Besserung. Schone dich mindestens noch eine Woche, dann bist du wieder richtig fit. Ich wünsche euch allen eine gute Heimfahrt, gern wieder. Hiermit ist der Einsatz beendet. Bitte verlasst die Halle sauber", beim letzten Wort, setzte ich mich wieder zu den Jungs an den Tisch.

"Kahlyn, der Heli kommt in einer Stunde. Du fliegst, mit der Geraer Truppe sofort ab. Ich kümmere mich mit Pille, um die Halle."

Als ich etwas sagen wollte, schüttelte der Oberst den Kopf. "Kahlyn, ohne Diskussion, du hast genug gemacht. Veronika und auch du, ihr beide solltet unbedingt nach Hause. Oder was meint ihr Jungs?"

Alle nickten zu den Worten des Obersts, damit blieb meinen Teams, das Säubern der Halle wieder einmal erspart.

Conny sah mich fragend an. "Willst du noch etwas schlafen, Engelchen?"

Ich schüttelte den Kopf. Ich fand sowieso erst zu Hause richtige Ruhe.

"Hat eigentlich jemand von euch herausbekommen, ob die Entführer der Kinder alle Verhaftet sind?", wollte ich vom Oberst wissen. "Sonst haben wir in kurzer Zeit, wieder Kinder die verschleppt werden. Wisst ihr, was ich nicht verstehe, wieso hat man mich nicht informiert, dass Veronika verschwunden ist?", verständnislos sah ich den Oberst an.

Der zuckte mit den Schultern. "Kahlyn, das kann ich dir nicht sagen. Alle anderen Kinder, kommen hier aus der Gegend. Es gibt eine eigene Soko, habe ich vor zwei Stunden heraus bekommen, die seit drei Monaten wegen der vermissten Kinder ermittelt, wieso diese Sache noch nicht an mich weiter gegeben wurde, ist mir nicht klar. Aber glaube mir, das kläre ich noch ab. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit. Veronika wird seit neun Wochen vermisst. Die kleine Ines, gerade einmal drei Jahre, sogar schon seit elf Wochen. Man hätte uns schon lange, einschalten müssen."

Kopfschüttelnd sah der Oberst mich an. Ich konnte seine Wut verstehen. Ich hätte das schon längst aufklären können, wenn so viele Kinder in so kurzer Zeit verschwanden, fand man schnell Zusammenhänge.

"Sir, bitte kümmern sie sich um den Fall, Sir. Ich würde diese Unmenschen, gerne persönlich dingfest machen, Sir. Holen sie mich sobald sie Unterlagen dazu haben, ich nehme diese Sache persönlich, Sir, und ziehen sie die Soko zur Verantwortung, die das solange verschlampt hat. Kinder sind doch keine Autos, dass es egal ist, wie lange sie verschwunden sind. Ich könnte an die Decke gehen", erklärte ich dem Oberst, dass ich verdammt wütend, darüber war.

"Das mache ich Kahlyn, aber vielleicht haben wir die Hauptschuldigen, schon fest genommen.“

Zweifelnd wackelte ich mit dem Kopf. "Sir, ich werde Veronika dann bitten, dass ich mir ihre Erinnerungen ansehen darf, Sir. Dann zeichne ich ihnen Bilder, von den Leuten die Veronika gesehen hat, Sir", brachte ich eine Idee vor, die mir gerade durch den Kopf ging. Stand aber sofort auf und lief hinter an das Bett, in dem Veronika lag. Kurze entschlossen setzte ich mich auf ihr Bett und weckte das Mädchen. "Veronika, wache bitte auf, es ist wichtig. Du kannst dann gleich weiterschlafen."

Verschlafen sah mich die Kleine an. "Was ist denn?" Müde rieb sie sich die Augen.

"Veronika, ich möchte mir gern deine Erinnerung ansehen. An die Zeit mit den Leuten, die dich von deinen Eltern weggeholt haben. Würdest du mir das erlauben?"

"Kannst du das Kahlyn?"

 Ich streichelte ihr lieb über den Kopf. "Klar doch, ich bin doch eine Fee, die können so etwas. Du darfst aber nicht erschrecken, aus meinen Augen kommen dann rote Strahlen. Auch müssen wir dazu in einen Raum gehen, wo es ganz dunkel ist. Mir tut das Licht, ganz schlimm in den Augen weh."

Nickend sah mich Veronika an. "Dann komm."

Ich stand auf und zog das Mädchen auf die Beine. Lief mit ihr, nach vorn zu den Jungs.

"Conny, kommst du bitte mit", bat ich um Hilfe. Conny folgte uns nach hinten in den Abstellraum. Ängstlich sah mich Veronika an. "Veronika, vertraust du mir?"

Das Mädchen nickte, aber schielte zu Conny. Der lächelte ihr aufmunternd zu. "Hab keine Angst Veronika. Kahlyn, würde nie etwas machen, was böse ist."

Ängstlich nickte das kleine Mädchen, fing aber an zu zittern. "Ich hab Angst im Dunkeln", gestand sie mir jetzt weinend.

"Warum denn? Ich bin bei dir und ich beschütze dich", erklärte ich ihr offen.

"Wir waren ganz lange in einen ganz dunklen Raum eingesperrt, Kahlyn. Ich fürchte mich so."

Erschrocken sah ich die Kleine an. "Conny, hole bitte den Ampullenkoffer." Schon lief Conny los, um das Gewünschte zu holen.

"Veronika, du musst keine Angst habe. Pass auf, wir beiden machen es anders. Ich lege dich im hellen Schlafen, dann hast du zwar ein paar Tage Kopfweh, aber dagegen kann ich dir etwas geben. Wenn du dann wieder munter wirst, hast du keine Angst mehr vor der Dunkelheit. Das verspreche ich dir", zärtlich streichelte ich das Gesicht von Veronika.

Die Kleine sah mich mit großen ängstlichen Augen an, entschloss sich dann allerdings mir zu vertrauen. "Tut das weh?", wollte sie von mir wissen.

"Nein, ich würde dir nie weh tun", erklärte ich ihr.

Conny kam mit dem Koffer gerade zurück. Ich nahm ihm diesen aus der Hand und setzte mich einfach auf den Boden. Schnell zog ich eine Injektion mit drei Einheiten B23 auf, lege diese zurück in den Koffer.

"Conny, falls ich es nicht mehr schaffen sollte, gib ihr die Injektion, alle drei Einheiten und lass mich im Jawefan, schlafen."

Als er erschrocken zu mir herunter sah, erklärte ich ihm warum.

"Conny, bitte mir geht es nicht so besonders. Ich habe kaum Kraft für das Krantonak, ich muss danach schlafen. Bitte. Ich will aber, dass man diese Verbrechen dingfest macht. Je eher die Zeichnungen von den Leuten haben, umso besser."

Conny nickte mir verstehend zu. "Wie lange, mein Engelchen?"

Mit den Schultern zuckend erklärte ich ihm. "Ich weiß nicht, eine halbe Stunde, vielleicht auch länger."

Verstehend bat er mich. "In Ordnung, dann fange an, dass wir es hinter uns haben", wies er mich mit seinen Worten aber darauf hin, dass ihm dabei nicht wohl war. Sein Gesicht sprach Bände.

Ich ging in die Abstellkammer und setzte mich auf den Boden. "Dann komm zu mir Veronika, setze dich mit den Rücken zu mir."

Vorsichtig streichelte ich ihr Gesicht, dann den Hals und legte sie mit einem kurzen Griff in den Nacken schlafen. Nahm sie in einen sicheren Griff, denn ich wusste ja nicht wie lange ich brauchen würde.

"Lösche das Licht, Conny."

Gab ich den Befehl ließ das Mädchen noch einmal los, um meine Brille nach oben auf den Kopf zu schieben. Nahm Veronika wieder in den sicheren Griff und begann das Krantonak.

Es war schlimm, was man mit den Kindern gemacht hatte. Genau sah ich mir an, was geschehen war, um dann einen Bericht schreiben zu können. Merkte mir vor allem, alle Gesichter. Fast vierzig Minuten brauchte ich, um mir alle Erinnerungen von Veronika anzusehen. Dreimal noch musste Conny die kleine Veronika schlafen legen, da sie sich aus meinen Händen, in Panik herauswinden wollte. Dann erst begann ich ihr zu helfen. Als erstes schwächte ich die Erinnerungen ab. Nahm ihr dann die Angst und die Panik, die ich komplett aus ihrem Gedächtnis löschte. Verstärkte die Fähigkeit des Schlafens, zeigte ihr aber auch das Taiji, damit sie ihre Ruhe finden konnte. Ich versuchte alles, um den Schaden an der kindlichen Seele zu beschränken, nahm ihr vor allem die Angst vor Enge und Dunkelheit. Fast eine Stunde hatte ich für das Krantonak gebraucht. Nach Beendigung des Krantonak, gab ich der am ganzen Körper zitternden Veronika, die Injektion mit dem B23, damit sie keine Schmerzen mehr hatte.

"Conny, Licht an", murmelte ich. Ich ließ Veronika los. "Bring… sie… zu… Ronny", flüsterte ich mehr, als das ich sprechen konnte.

Conny nahm die am ganzen Körper zitternde Veronika auf den Arm, ließ mich alleine in dem Raum zurück.

Kaum hatte er diesen verlassen, rollte ich mich zusammen und ging ins Jawefan. Ich konnte einfach nicht mehr. Bekam nicht einmal mehr mit, dass Conny zurück kam, um mich auf meine Matte zu tragen. Angstvoll sah er auf mich nieder. Hielt mich einfach in seinem Arm. Ewig brauchte ich, um mich zu erholen. Mehr als einmal musste Conny, den Doko zurückhalten, der mich aufwecken wollte. In der Zwischenzeit kam der Heli, der uns nach Gera zurückfliegen sollte. Der Oberst verbot, mich zu transportieren. Er wollte warten, bis ich wieder zu mir kam. Fast anderthalb Stunden benötigte ich, um aus dem Jawefan zurück zu kommen. Die kleine Veronika, die erst weinte wegen der Erinnerungen. Weint jetzt, weil sie dachte ich wäre Tod.

"Veronika, du musst keine Angst haben. Kahlyn ist nicht tot, sie schläft nur ganz fest." Das Mädchen glaubte Ronny nicht, schluchzend lag sie in seinen Armen. Nach fünfundneunzig Minuten erwachte ich aus dem Jawefan mit einem tiefen Atemzug. Schlief aber noch einen tiefen kurzen Schlaf, so dass ich nach weiteren zwanzig Minuten erholt aufwachte. Erleichtert atmeten alle auf.

"Verdammt ich bring sie um, wenn sie das noch einmal macht."

Der Oberst drehte sich bei diesen Worten um und schlug wütend gegen die Wand. Brachte damit zum Ausdruck, was wohl viele der Anwesenden dachten. Die Einzige, die anderer Meinung war, sagt das auch ganz laut und wütend.

"Das machst du nicht! Du darfst meiner Kahlyn, nicht weh tun", schrie sie den Oberst weinend und am ganzen Körper zitternd an.

Fleischer ging auf das kleine Mädchen zu und zog sie auch, wenn sie sich sträubte in seine Arme. "Keine Angst Veronika, das mache ich nicht. Das ist nur so ein dummer Satz gewesen, den Erwachsene manchmal sagen. Verzeihe deinem Oberst bitte. Ich verspreche dir, ich tue Kahlyn nie etwas Böses. Ich hatte nur eben so eine große Angst um sie. Kannst du das verstehen", versuchte er das kleine Mädchen zu beruhigen.

"Du darfst meiner Kahlyn nicht weh tun", erklärte Veronika ihm noch einmal.

Der Oberst nickt verlegen. "Großes Offiziers Ehrenwort", hielt ihr seine Hand hin.

Veronika nahm diese und sah den Oberst skeptisch an.

Ronny beugte sich zu seiner kleinen Freundin. "Dem Oberst kannst du glauben. Der hat noch nie gelogen. Kahlyn vertraut ihm auch", sofort nickte die Kleine erleichterte, wenn Kahlyn ihm vertraute, konnte sie das ruhig auch tun.

Endlich kam ich wieder zu mir, stand sofort auf, um ins Büro vom Oberst zu gehen. Zügig, aber so genau, wie möglich brachte ich das Gesehene zu Papier. Zeichnete alle Personen die ich gesehen hatte, die mit der Entführung der Kinder zu tun hatten. Ich stellte allerdings auch fest, dass ein Kind fehlte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass ein dunkelhäutiger Junge, unter den befreiten Kindern war. In Gedanken zählte ich alle Kinder die ich in Veronikas Erinnerungen gesehen hatte noch einmal durch und kam auf achtundzwanzig Kinder. Also fehlte der Bub wirklich. Wo war er geblieben? Nach fünfzig Minuten hatte ich alles aufgeschrieben und jeder Person gezeichnet, die mit dem Verschwinden der Kinder zu tun hatten. Aber auch die Menschen, die nicht eingegriffen hatten, um die Verschleppung von Veronika zu verhindern. Die einfach weggesehen hatten. Auch den fehlenden Jungen, hatte ich gezeichnet. Damit fertig, heftete ich alles in einen der leeren Ordner auf dem Schreibtisch des Obersts. Ging nach vorn, um diesen zu übergeben.

Als erstes bekam ich einen Anpfiff. "Kahlyn, ich bringe dich irgendwann um", konnte sich der Doko nicht verkneifen zu sagen, zog mich einfach in seine Arme.

Verständnislos sah ich ihn an. "Doko, warum denn? Was hab ich denn nun wieder falsch gemacht?", wollte ich von ihm wissen.

"Verdammt Kleine, weißt du eigentlich wie lang neunzig Minuten sind?", brüllte er mich an.

Nickend antwortete ich ihm "Doko, das sind anderthalb Stunden", verständnislos sah ich ihn an, weil ich nicht begriff, was er von mir wollte.

"Kahlyn, du warst neunzig Minuten wie tot. Was denkst du eigentlich, wie oft das meine Nerven noch überstehen? Und vor allem mein Herz."

Ach das meint er. "Ich habe es doch erklärt, Doko, warum schimpfst du immer wieder mit mir. Was ich tun muss, muss ich tun. Es war wichtig. Bitte, ich hab dich doch lieb. Aber manchmal, muss man einfach Sachen tun, die nicht so einfach zu verstehen sind."

Ich gab ihm einen Kuss und ließ ihn einfach stehen. Ich hatte Wichtigeres zu tun, als mich darüber zu streiten, ob das Jawefan gut oder schlecht war.

"Genosse Oberst, ich habe ihnen hier alles aufgeschrieben, was ich gesehen habe, dazu habe ich Skizzen von allen Personen gemacht, die mit der Entführung der Kinder zu tun habe", erklärte ich ihm.

Übergab Oberst Fleischer den Ordner, behielt aber einige Zeichnungen in der Hand. "Diese hier, werde ich mit nach Gera nehmen und mich persönlich, um diese Menschen kümmern. Die zugelassen haben, dass Veronika und ihre Eltern, durch dieses ganze Leid gehen mussten. Die haben trotzdem Veronika, ständig um Hilfe geschrien hat, nicht eingegriffen. So etwas kann doch nicht wahr sein", ernst sah ich meinen Oberst an.

"Mach das, Kahlyn, ich habe da volles Vertrauen in dich. Ich denke Rudi wird dir dabei helfen."

Jetzt ging ich auf Veronika zu, die sich aus den Armen von Ronny drehte.

"Ich habe gedacht du bist tot, Kahlyn", kam sie weinend, auf mich zu gerannt.

"Nein, ich bin nicht tot. Ich habe nur geschlafen. Hat dir das keiner gesagt", böse sah ich die Männer an. Die dieses kleine Mädchen durch die Hölle hatten gehen lassen.

"Doch, aber ich habe es ihnen nicht geglaubt", weinend fiel sie mir, um den Hals.

"Ist schon gut, so schnell sterbe ich nicht Veronika. Ich bin doch eine Fee, das weißt du doch, die sterben nur, wenn sie lügen. Bitte, ich brauche deine Hilfe. Höre auf zu weinen, es ist ganz wichtig, bitte Veronika."

Mühsam versuchte die Kleine sich zu beruhigen, langsam bekam sie sich wieder ein.

"Veronika, sieh dir bitte mal dieses Bild an. Kannst du mir sagen, wer und vor allem, wo dieser Junge hin ist? Ich konnte das nicht sehen in deinen Erinnerungen oder habe es vergessen."

Veronika schüttelte den Kopf. "Kahlyn, das weiß ich nicht, den Tobi haben sie vor einigen Tagen geholt, aber er ist nicht wieder gekommen. Der war schon nicht mehr bei uns, als wir in den Container gekommen sind", weinend sah sie mich an.

"Genosse Oberst, sie müssen eine Großfahndung nach den Jungen rausgeben. Vor allem bei den Adoptionsbehörden, Standesämtern, Kinderärzten. Ich denke er wurde schon weiter gegeben. Er ist ja noch sehr klein, schätzungsweise neun oder zehn Monate alt. Solche ein kleines Kind lässt sich schnell und unkompliziert vermitteln. So hoffe ich jedenfalls. Deshalb müssen die Ermittlungsbehörden hier, besonders gezielt nach ihm fragen, Sir."

Der Oberst nahm das Bild entgegen. Allerdings musste er nun zum Aufbruch drängen, denn die Helis standen schon seit über zwei Stunden, wartend am Abflugpunkt.

"Kahlyn, ihr müsst los. Ich bekomme sonst richtigen Ärger, wegen der Helis. Wir bringen den gesamten Flugverkehr durcheinander."

Ich kannte das Problem nur zu gut. "Sir, tut mir wirklich leid. Die Ermittlungsdaten, denke ich, waren aber wichtiger, Sir."

Der Oberst sah mich lächelnd an. "Ja sehr wichtig, mach dir keine Sorgen. Aber macht jetzt hin, die Jungs haben schon alles zusammen geräumt. Also guten Heimflug", zum Abschied zog er mich in seinen Arm.

"Sir, danke, Sir. Euch allen auch."

Sofort lief ich nach hinten, zog meine eigenen Sachen an, legte die warmen Sachen vom Oberst zusammen. Schulterte meinen Rucksack. Ronny half mir beim Tragen der Ausrüstung. Gemeinsam unterstützt von Veronika, die auch etwas trug, liefen wir das kleine Stück nach unten, in Richtung Krummendorf. Dort wartete seit Stunden, unser Heli auf einem Feld, der unsere beiden Teams, aber auch die kleine Veronika, wieder nach Gera bringen sollte. Kaum waren wir eingestiegen und hatten uns gesetzt, startet der Heli auch schon. Veronika saß zwischen Ronny und mir.

"Ronny, kümmere dich bitte um Veronika. Ich will das mit den Bussen gleich noch klären. Bevor wir dann wieder ewig warten müssen, in Gera", ich stand auf, streichelte der aufgeregten Veronika über die Wangen und ging vor ins Cockpit. "Sir, Guten Abend, Sir", begrüßte ich den Piloten und den Copiloten.

"Guten Abend Genossin Major, sie wissen schon, dass nur der Einsatzleiter hier vor darf", machte mich der Copilot darauf aufmerksam, dass nicht jeder das Cockpit betreten durfte.

"Sir, ich weiß, ich bin Major Kahlyn Sir. Die Einsatzleiterin, entschuldigen sie, dass ich kurz störe, Sir. Informieren sie bitte in Gera unsere Wache davon, dass wir unterwegs sind. Die müssen uns die Busse rechtzeitig auf den Flugplatz schicken. Sonst müssen sie in Gera noch einmal ewig warten. Auch soll die Wache bei der Familie Hampel anrufen, dass die ihre Tochter dort abholen können. Wann das ist, müssen sie den Kollegen in Gera, bitte selber mitteilen. Ich habe keine Ahnung wie lange wir fliegen. Wichtig ist nur das keine unnötigen Wartezeiten mehr entstehen. Die Kleine da hinten, sollte endlich ins Bett, Sir", erklärte ich den skeptisch dreinschauenden Piloten.

Der Copilot machte einen langen Hals, kurz entschlossen holte ich meinen Dienstausweis hervor und zeigte ihn dem Copiloten.

"Geht klar, Major. Können wir sonst noch behilflich sein?"

Kurz überlegte ich ob ich fragen konnte. Aber meiner Meinung nach würden die Piloten Verständnis, für meine Bitte haben.

"Sir, ich hätte noch eine kleine Bitte, an sie. Ich habe hinten ein ganz tapferes kleines Mädchen sitzen. Sie ist erst neun Jahre alt, hat aber eine verdammt schlimme Zeit hinter sich gebracht. Sie wurde vor neun Wochen entführt. Ich glaube es wäre ein schönes Erlebnis für sie, einmal ein Cockpit von innen zu sehen, Sir."

Entsetzt, sahen mich die beiden Piloten an. "Was neun Woche? Das arme kleine Mädchen. Klar, bringen sie die Kleine einfach mal hier vor. Wir lassen sie mal fliegen. Also erschreckt hinten nicht, wenn es etwas holprig wird", erwiderte der Pilot lachend.

"Sir, danke, Sir. Das wird ihr bestimmt gefallen. Vor allem etwas von dem Erlebten ablenken, Sir."

Sofort drehte ich mich um und verließ das Cockpit, um nach hinten zu Veronika zu gehen. "Veronika, ich habe gerade mit den Piloten gesprochen. Du kannst dir, wenn du ganz brav bist, einmal das Cockpit ansehen. Würde dir das gefallen?"

Aufgeregt nickte die Kleine.

Also hielt ich ihr die Hand hin. "Verspreche mir nichts anzufassen, sonst stürzen wir alle ab", lange sah ich sie an.

Da endlich lächelte Veronika, das erste Mal seit der Befreiung wieder. "Das verspreche ich dir."

"Na dann komm." Gemeinsam liefen wir nach vorn. Lachend sah ich die Jungs an. "Schnallt euch lieber an, gleich fliegt Veronika", da lachten die Jungs, einige fingen an aus Angst zu zittern.

"Aber bitte, bitte, lass den Heli ganz, Kleines", bat Raphael. 

Ernst nickt Veronika. "Das mache ich, sonst fallen wir doch vom Himmel", erklärte sie mit ernstem Gesicht. Wir hatten das Cockpit erreicht und klopften an.

"Herein", kam der Ruf von innen, so traten wir ein.

"Sir, das hier ist Veronika, Sir. Veronika, das hier sind die beiden Piloten, die uns nach Hause fliegen. Bitte fasse nichts an, was man dir nicht erlaubt."

Ernst blickend hob ich Veronika hoch und setzte sie auf den Schoss des Copiloten, der mir ein Zeichen gegeben hat. Ganz brav setzte sich die Kleine hin.

"Soll ich hier bleiben Veronika oder vertraust du den beiden Piloten?", wollte ich wissen.

Oft war es so, dass Kinder die solche schlimme Sachen erlebt hatten, ängstlich reagierten, wenn man sie mit Fremden alleine ließ. Ganz leise, bat sie ängstlich in meine Richtung sehend.

"Kannst du hier bleiben, Kahlyn."

Ich lächelte sie an. "Natürlich bleibe ich hier, wenn du dich fürchtest. Ich kann dich gut verstehen."

Also setzte ich mich einfach, auf den Notsitz. Beobachtete die Piloten, wie diese mit viel Liebe, dem Mädchen alles erklärten. Nach einer Weile forderte der Copilot bei ausgeschalteter Steuerung, was ich an den Armaturen sah, Veronika auf, auch einmal den Heli zu fliegen. Das Risiko sie selber fliegen zu lassen, war viel zu hoch. Das konnte man bei einem Flugzeug einmal machen. Bei einem Heli der ins Trudeln kam, konnte das schlimme Folgen haben. So imitierte der Pilot die Bewegungen von Veronika und gab ihr so das Gefühl, selber zu fliegen. Aufgeregt wie die Kleine war, bekam sie gar nicht mit, dass sie nicht selber flog. Nach über einer Stunde, gähnte Veronika herzhaft.

"Na du bist wohl müde?", erkundigte sich der Copilot. Veronika nickte schon wieder gähnend.

"Na dann komm, gehen wir wieder nach hinten. Da kannst du ein bisschen schlafen. Sir, wie lange fliegen wir noch, Sir?", wollte ich vom Piloten wissen.

"Wir landen gleich in Berlin, zum Auftanken, dann noch knapp eine Stunde. Also ich denke fast zwei Stunden, kann die Kleine noch schlafen, Major", erklärte er mir.

"Sir, danke, dass wir das einmal ansehen durften, Sir."

Veronika sah mich fragend an. "Kahlyn, kannst du auch einen Hubschrauber fliegen?"

Ich nickte. "Ja, ich kann alles fliegen, Veronika. Ich kann vom Jumbojet bis zur MIK, aber auch jede Art von Hubschrauber fliegen. Aber ich finde Hubschrauber ist am Schwersten von allen", erklärte ich ihr offen.

Die Piloten drehten sich neugierig zu mir um.

"Du kannst fliegen Major, das glaube ich jetzt nicht."

Kurz entschlossen zog ich meinen Dienstausweis, ein weiteres Mal heraus, um ihn den Piloten zu zeigen, denn auf dessen Rückseite standen die Vermerke meiner Sonderqualifikationen. Verwundert sah er mich an. "Entschuldigen sie Major, aber sie sehen verdammt jung aus."

Lachend sah ich ihn an. "Sir, ich weiß, aber bei mir ist halt einiges anders, Sir", ließ es auf sich beruhen und griff nach meinem Ausweis, steckte ihn wieder ein. "Na komm Veronika, wollen wir wieder zu den Jungs gehen, die fürchten sich ohne uns Frauen", forderte ich meine kleine Freundin zum Mitkommen auf.

Die griff nach meiner Hand und einen Augenblick später hatten wir dabei das Cockpit verlasse. Ich drehte mich noch einmal kurz um, bevor ich die Tür schloss.

"Sir, vergessen sie bitte nicht die Wache 61 anzufunken, damit die Kleine dann ins Bett kommt, danke Sir."

Die Piloten nickten. Wir schlossen die Tür vom Cockpit und gingen auf Ronny zu. Veronika lief strahlend zu ihrem neuen Freund, musste ihm alles erzählen, was sie gerade erlebt hatte.

"Ronny ich lege mich etwas hin, mir geht es nicht so besonders", erklärte ich in der Verbindung, dem Teamchef des Beta-Teams. Besorgt sah mich Ronny an.  

"Es ist nichts weiter! Ich bin einfach nur fertig."

Da nickte er erleichtert. Also zog ich mich zurück an die Wand des Cockpits und lehnte mich daran, versuchte etwas Ruhe zu finden. Das alleine schlafen war etwas, was mir schon immer Schwierigkeiten bereitet hatte, ich fand einfach keine Ruhe. Alleine der Gedanke an den kleinen Tobi machte mir zu schaffen. Alle meine Rädchen drehten sich um den Buben, aber ich fand keinen Anhaltspunkt in Veronikas Erinnerungen, wo man ihn hin gebracht haben könnte. Raphael der mich beobachtet hatte, kam auf mich zu.

"Kahlyn, soll ich dir beim Schlafen helfen?"

Dankbar sah ich ihn an. "Das wäre total lieb, Raphi. Ich bin todmüde."

Da setzt er sich neben mich und zog mich einfach in seinen Arm. So beschützt, schlief ich fast sofort ein. Bekam, genau wie Veronika, vom Rest des Fluges nichts mehr mit. Erst als der Copilot kam, Raphael und mich aufweckte, wurde ich munter.

"Major, in zehn Minuten landen wir. Sie können sich fertig machen, die Busse müssten schon da sein."

"Sir, danke, Sir", bedankte ich mich sofort.

Stand auf, um alle zu wecken. Ronny wies ich an, Veronika schlafen zu lassen, falls sie nicht von alleine munter wurde. Wir würden diese erst kurz vor der Wache aufwecken, die Kleine hatte genug Unruhe gehabt. Schnell waren die Jungs alle geweckt und die Sachen zusammengeräumt. Wenige Augenblicke später landeten wir in Gera-Leumnitz auf den Flugplatz.

Wir stiegen um, in die Buse, die uns in die Wache zurück brachten. Ich freute mich auf meine Wache und hatte nur noch ein Bedürfnis, ins Bett und erholsam schlafen. Auch, wenn es noch eine Weile dauern würde. Erst mussten wir Veronika, an die Eltern und das zuständige, Revier übergeben. Vom Copiloten wusste ich, dass Peter Mälzer auf der Wache, zusammen mit den Eltern von Veronika, auf uns wartete. Also machte ich mich, auf ein langes Gespräch gefasst. Die Jungs nahmen Ronny, der das schlafende Mädchen in seine Jacke eingewickelt hatte, sein Gepäck ab. Raphael half mir, bei meinem vielen Gepäck. Schon saßen wir bunt gemischt in den Busen und fuhren zurück in unserer Wache. Auch, wenn die Jungs vom Beta-Team heute nach Hause fahren konnten, würde ich diese erst einmal in die Betten scheuchen. Alle waren viel zu fertig. Nicht einmal ganz achtundzwanzig Minuten, brauchten die Buse, um die Wache zu erreichen. Vorsichtig machten wir das Mädchen munter, die uns verschlafen ansah.

"Veronika, gleich sind wir in der Wache. Da warten deine Eltern auf dich", freudig sah mich die Kleine an.

Im gleichen Augenblick fuhren wir in den Hof hinein, dort standen schon die Eltern.

Veronika schrie, weinend. "Meine Mama, mein Papa."

Sie konnte es kaum erwarten, dass der Bus hielt. Ronny nahm sie auf den Arm, um ihr aus dem Bus zu helfen. Schon rannte sie weinend zu ihren Eltern, die kaum fassen konnten, dass sie nach dieser langen Zeit, ihr kleines Mädchen noch lebend wiedersahen. Weinend lagen sich die Drei in den Armen.

"Ronny, kümmerst du dich bitte um die Drei. Bitte, ich kann einfach nicht mehr. Außerdem, hast du zu der Kleinen die größte Bindung aufgebaut. Ich will einfach nur ins Bett. Sorge dafür dass die Jungs auch gleich schlafen gehen. Ihr könnt morgen nach Hause fahren."

Ronny lächelte verstehend. "Verschwinde", befahl er kurz und knapp.

Ohne ein weiteres Wort, schnappte ich meine Sachen und lief die Treppe hoch. Hoffte so schnell wie möglich in mein Bett zu kommen. Ging von den anderen verdeckt, an den drei glücklichen Menschen vorbei. Nach oben an meinen Spind, in dem ich erst einmal meine Waffen verstaute. Ich lief in den Bereitschaftsraum, in dem Rudi, Peter Mälzer, aber auch Jo auf mich wartete.

"Sir, Einsatz erfolgreich beendet, Sir", machte ich wie immer, erst einmal Meldung.

Ging auf Rudi und Jo zu, gab beiden einen Kuss. Beide starrten mich wie einen Alien an, erst da fielen mir meine Haare ein. Rudi streichelte mir über meinen glatten Kopf, auf dem sich aber schon wieder kleine Stoppeln zu regen begannen.

"Kahlyn, wo sind deine Haare hin?", wollte er jetzt lachend wissen.

"Rudi, können wir das nicht morgen klären. Bitte, ich will einfach nur ins Bett. Bitte", flehend sah ich ihn an.

Da erst bemerkte er, die dunklen Augenringe, die ich hatte. "Geht es dir gut, Kleene?", wollte er von mir wissen.

Ich schüttelte den Kopf, denn das Fieber stieg schon wieder, ich wollte einfach nur schlafen und mich von dem Einsatz erholen. Der mir alles, aber nicht gut getan hatte.

"Bitte, kann Ronny nicht alles mit euch klären oder wir machen das morgen. Rudi, mir geht es nicht besonders gut, ich habe Fieber, will nur etwas schlafen."

Da endlich begriff es Rudi. "Ab mit dir ins Bett", gab er eine kurze, aber bestimmte Anweisung.

"Danke, wenn etwas ist, weckt mich", ich drehte mich auf dem Absatz um und verließ den Bereitschaftsraum.

Ließ mich in mein Bett fallen. Schaffte es nicht einmal mehr mich zu zudecken, schon schlief ich. Merkte nicht, dass die Familie Hampel noch nach mir sah und auch nicht, dass mir jemand die Schuhe auszog und mich zudeckte. Ich war einfach nur froh zu Hause zu sein und schlief mich gesund, in einer Umgebung die ich kannte und die mir gut tat.

 

Kapitel 8

Erholt, zu meiner Freude auch fast Fieberfrei, wachte ich am nächsten Morgen auf. Erschrocken stellte ich fest, dass es gleich 10 Uhr war. Ich nahm mir vor, einmal richtig mit den Jungs zu schimpfen, es konnte nicht sein, dass sie mich nie weckten. Schnell stand ich auf, um mich zu duschen und anzukleiden. Kurz vor viertel Elf kam ich in den Bereitschaftsraum. Dort lag ein Zettel.

"Sind hinten im Besprechungszimmer."

Eilig lief ich nach hinten und klopfte an, auf das gerufene. "Herein." Betrat ich den Raum, in dem schon alle Drei Teams versammelt waren.

 "Warum hat mich niemand geweckt?", stellte ich statt eines Grußes, erst einmal eine Frage.

"Guten Morgen, Kahlyn", bekam ich erst einmal von allen Seiten zugerufen.

"Na, damit es dir wieder besser geht. Was, wenn ich dich so ansehe, ja auch der Fall ist", erklärte mir Rudi breit grinsend und zog mich erst einmal in seine Arme. "Ich hoffe dir geht es so gut, wie du aussiehst, meine Kleene."

"Es ist wieder fast in Ordnung, der Schlaf hat es gerichtet. Wie immer. Guten Morgen erst einmal", bestätigte ich damit die Richtigkeit der getroffenen Entscheidung, mich schlafen zu lassen und begrüßte alle.

"Na siehst du", konnte sich Raphael nicht verkneifen. Lachend wollte ich nach hinten gehen, um mich zu setzen. "Wo willst du denn hin, Kahlyn, hier geblieben. Hier wird nicht ausgerissen, mache erst einmal deine Arbeit", foppte mich Rudi.

Verwundert sah ich zu ihm hoch.

"Die Einsatzauswertung, Kleene. Das Beta-Team will nach Hause", lachend sah er mich an.

"Ach so", ich sah die Kollegen frech grinsend an. "Was soll ich zu dem Einsatz sagen", ich kratzte mich am Kopf und überlegte ob ich das hier auch machen konnte. Warum eigentlich nicht? Die Kollegen hier waren in Ordnung. "Na gut, wie du willst Rudi. Danke an euch, für eure sehr gute Mitarbeit. Es ist alles gut gelaufen. Ich habe nichts zu meckern. Ihr hättet es nicht besser machen können. Deshalb ein großes Lob. Fertig, ab mit euch nach Hause", grinsend mit schief gehaltenem Kopf, sah ich Rudi an. "War das genug?", wollte ich wissen, immer noch lachend.

Rudi schüttelte den Kopf. "Na, das war ja mal, kurz und bündig. Du kannst dich setzen. Keine Mängel, nichts zu meckern. Ich kann es nicht fassen."

"Rudi, die Jungs waren brav. Haben auf mich gehört, alles so gemacht, wie sie es machen sollten, was soll ich da noch sagen."

Ich ging nach hinten zu John, den ich eine kleine Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte. "Hallo John", begrüßte ich ihn, froh ihn endlich wieder zu sehen und setzte mich neben ihn.

"Na Mäuschen, wie geht es dir?", begrüßte er mich mit einer Frage.

"Heute wieder gut und dir?", stellte ich die Gegenfrage und sah zu ihm hoch.

Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, dass ich das letzte Mal neben John gesessen hatte. Lächelnd lehnte ich mich an seine Schulter und genoss seine Nähe. Rudi forderte jetzt unsere Aufmerksamkeit, so konnte John nicht antworten.

"Na ja, wenn Kahlyn nichts mehr zu sagen hat, dann halt ich. Als erstes, noch einmal hier vor versammelter Mannschaft, komm bitte noch einmal vor zum mir, Kleene", bat er mich zu sich, also ging ich noch einmal zu Rudi, nach vorn. "Herzlichen Glückwunsch, zu der meiner Meinung nach lange überfälligen Beförderung, zum Major. Da werde ich mich wohl mit dem Oberstleutnant langsam einmal anstrengen müssen. Sonst wächst du mir noch über den Kopf, meine Kleene", Rudi schüttelte mir die Hand.

Raphael, konnte sich wie immer einen Kommentar nicht verkneifen. "Rudi, wenn Kahlyn jede Beförderung so kompliziert gestaltet, brauchst du keine Angst haben", grinste mich breit an.

"Na Raphi, jetzt bist du erst einmal dran", foppte ich ihn auch etwas, um mich ein wenig zu rächen.

"Nun müsst ihr, ob ihr wollt oder nicht, auf meine Kleene hören. Ich hoffe nur, dass es jetzt für dich etwas leichter wird", äußerte Rudi seine Hoffnung, zu den Jungs und zu mir.

Ich schüttelte den Kopf. "Das wird eher noch schwieriger, den Leutnant hat mir schon keiner abgekauft. Was denkst du Rudi, was ich für eine Chance habe, dass man mir den Major abkauft? Nicht einmal den Einsatz, wollte mir der Einsatzleiter der Bereitschaftspolizei in Rostock abnehmen. Der dachte ich verkohl ihn. Also wer, kauft mir dann den Major ab?"

"Keiner", kam trocken die einstimmige Antwort, von den Jungs.

Breit grinsend sah ich sie alle an, zuckte mit den Schultern und nickte zustimmend. "Na egal, ich werde mich wohl daran gewöhnen müssen."

Rudi gab mir Recht. "Das glaube ich auch. So, jetzt einmal für alle, eine kurze Ansage. Um unserer Kleenen, das Leben etwas zu erleichtern. Habe ich mich mit Jo, Detlef und Ronny abgestimmt, dass Kahlyn eine Ausnahmereglung bekommt. Ab dem heutigen Tag braucht Kahlyn, wenn sie das nicht möchte, in den Einsätzen keine Schutzkleidung und Schuhe mehr tragen. Diese Reglung gilt bis auf Widerruf. Das ist vom Polizeirat genehmigt. Dadurch will ich erreichen, dass die Kleene endlich einmal etwas zur Ruhe kommt. Egal, was andere Einsatzleiter sagen, diese Genehmigung gilt für die gesamte Republik und alle durch uns durchgeführten Einsätze, auch international. Haben das alle verstanden."

Alle nickten breit grinsend. Kannten sie, von den gemeinsamen Einsätzen alle mein Problem, mit den Schuhen und der Schutzkleidung. Erleichtert atmete ich auf und sah Rudi erst einmal ungläubig an.

"Wirklich?", fragte ich nach, weil ich es nicht fassen konnte.

Rudi nickte und holte vom Tisch einen neuen Ausweis. "Sieh mal Kleene. Auf deinen neuen Ausweis, steht nicht nur dein Geburtsdatum drauf. Sondern auch dein neuer Rang, hinten stehen nicht nur deine Qualifikationen, sondern hier steht für alle schwarz auf weiß, diese Sonderregelung."

Erstaunt sah ich, dass dies wirklich so war. "Danke", mehr bekam ich nicht heraus, dafür bekam er vor versammelter Mannschaft, sogar einen dicken Kuss.

Alle lachten, sie wussten nur zu genau, wie schlimm der Kampf für mich jedes Mal war. Erleichter wenigstens darum nicht mehr kämpfen zu müssen, gab ich Rudi meinen alten Ausweis zurück, nahm den neuen an mich und steckte ihn ein.

"So, jetzt setze dich einfach mal", bat mich Rudi darum Platz zu nehmen.

Erleichtert setzte ich mich hin.

"Leider habe ich heute eine sehr traurige Aufgabe. Auch, wenn sie zugegebener Maßen, nicht ganz überraschend kommt. Also Max, komm du jetzt mal her."

Max stand auf und ging vor zu Rudi. Erstaunt sah ich lauter traurige Gesichter, entdeckte aber auch ein neues. Verwundert sah ich John an.

"Ja Kahlyn, guck nicht so. Die anderen wissen es schon, nur du Schlafmütze nicht. Max hört auf, geht zurück nach Greiz, auf unsere alte Wache. Wird dort das Amt von Peter Mälzer übernehmen, der nach Berlin versetzt wird", erklärte mir John, traurig sah ich den Freund an.

Ich konnte nicht anders, drehte mich zu John um und fing einfach an zu weinen. Tröstend nahm mich John in seine Arme, mit allem hatte er gerechnet, aber nicht damit. Max kam auf mich zu, hockte sich vor mich hin.

"Wein doch nicht, meine Kleine. Ich bin doch nur auf einer anderen Wache. Weißt du, mir wird das einfach alles zu viel, Himmelpfort hat mir wieder einmal bewusst gemacht, dass ich einfach zu alt für diesen Job bin. Sieh mal ich bin jetzt vierundvierzig Jahre alt. Seit vierzehn Jahren beim SEK, ich kann einfach nicht mehr", traurig sah er zu mir hoch und zog mich einfach in seine Arme.

Unter Tränen fragte ich ihn. "Hab ich dir denn nicht genug geholfen, damit du wieder klar kommst?", immer noch kullerten Tränen über mein Gesicht.

"Kahlyn, du hast mir so geholfen. Es liegt nicht an dir, auch nicht an dem Einsatz in Himmelpfort. Ich bin einfach müde und ich habe keine Kraft mehr für solche Einsätze. Sieh mal selbst Rudi ist fünf Jahr jünger als ich", traurig sah er mich an.

"Ich kann dich verstehen Max, ich bin auch manchmal so müde. Ich weiß, was du meinst. Kann es gut verstehen, aber du wirst mir fehlen", erklärte ich ihm immer noch weinend.

"Hör auf zu weinen, Kleines. Dann fällt es mir noch schwerer zu gehen."

Tapfer schluckte ich die Tränen herunter und wischte mein Gesicht mit dem Ärmel trocken. Max wischte mir mit den Daumen, die letzten Tränen weg, streichelte mir über die Wange.

"Aber, du kommst mich mal besuchen?", bat ich in einer so kindlichen Art, dass alle Jungs verwundert zu mir sahen. Vielen ging auf einmal durch den Kopf, jetzt merkt man, dass du erst sechzehn bist.

Max zog mich in seine Arme. "Klar und du kommst mich, wenn du Frei hast auf der Wache besuchen, dann kannst du auch gleich Veronika besuchen, die wohnt nur ein Haus neben mir", ernst sah er mich an.

Traurig nickte ich und setzte mich wieder auf meinen Stuhl.

Automatisch zog ich die Füße auf den Stuhl und legte meinen Kopf auf die Knie, ich musste mich erst einmal beruhigen. Vor allem musste ich das jetzt erst einmal für mich verarbeiten. Noch nie, hatte mich ein Kamerad verlassen, immer sind sie alle gestorben, wieder fing ich an zu weinen. Auch, wenn ich wusste, dass Max nicht tot war, aber es tat so weh, wenn er nicht mehr da war. Dass wir am Anfang keinen guten Start hatten, tat hier nichts zur Sache. Er war mein Kamerad, ich wollte ihn nicht verlieren. Keine Ahnung, warum das so war. Mein Herz blutete genauso, wie es geblutet hatte, als wir aus der Schule weg mussten. John wollte mich in seine Arme ziehen, ich wollte das nicht und machte mich ganz steif. Ich musste erst einmal alleine damit klar kommen und vor allem, zu mir finden und mich beruhigen.

Rudi der mich beobachtet hatte, kam auf mich zu. "Was ist denn los mit dir, Kleene?"

Ich zuckte mit den Schultern und stand auf lief nach drüben in den Schlafraum. Schmiss mich weinend auf mein Bett. Der ganze Katzjammer, der letzten zwei Monate kam in mir hoch, ich konnte einfach nicht mehr. John kam mir hinterher. Setzte sich schweigend, auf mein Bett. Ihm zog es das Herz zusammen, als er mich auf dem Bett liegen sah. ‚Verdammt nochmal‘, ging es John durch den Kopf, ‚wann lernen wir endlich, dass du vieles nicht kennst und hören auf dich jedes Mal in die Hölle zu schicken.‘ Ihm schwante nämlich, was mit mir los war. Er konnte sich vorstellen, was durch meinen Kopf für Gedanken gingen. Seit dem er diese Schule und den Baum gesehen hatte, wurden ihm viele der Reaktionen klarer, die er in den zwei Monaten von mir bekam. Er konnte mich einfach besser verstehen. Vorsichtig würde er versuchen herauszubekommen, ob er richtig lag mit seinen Vermutungen. Er ließ mich erst einmal weinen, das würde mir gut tun und den ersten Druck von mir nehmen. Er war froh, dass ich endlich das Weinen gelernt hatte.

Nach einer ganzen Weile, erkundigte er sich leise. "Mäuschen, kannst du mir sagen, was los ist?"

Wieder zuckte ich mit den Schultern, weil ich es ja selber nicht wusste oder besser, ich nicht wusste wie ich es erklären sollte.

"Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll, John", schniefend sah ich zu ihm auf.

"Komm mal her, mein Mäuschen. Versuche es einfach. Auch, wenn es durcheinander ist", beim Sprechen zog er mich in seine Arme.

Weinend versuchte ich zu erklären, was in mir vor ging. "Weißt du John, bis jetzt sind alle die mein Team verlassen haben, gestorben. Sie kamen nie wieder, es war immer ein Abschied für die Ewigkeit. Wenn Max jetzt geht, habe ich das Gefühl er ist auch tot, verstehst du das?", schluchzend lag ich in seinem Arm.

"Ach Mäuschen, jetzt begreife ich, was los ist. Komm beruhige dich. Ich kann dich ja verstehen. Aber du musst auch lernen, dass es hier immer mal passieren kann, dass jemand geht. Ist es denn nicht viel schöner, wenn Max nur in eine andere Wache geht. Er lebt und er ist gesund. Vor allem, kannst du ihn jederzeit besuchen. Er bleibt dir als Freund erhalten, genau wie Jo", ernst sah er mich an und streichelte mir das Gesicht.

Er hatte ja irgendwie Recht. Langsam konnte ich mich beruhigen. "Geb mir ein paar Minuten, bitte. Ich komme gleich wieder rüber", erklärte ich leise meinem großen Freund, der immer für mich da war, wenn ich ihn brauchte.

John konnte sich vorstellen, was in mir vorging. "Alles wieder in Ordnung?"

Ich nickte, immer noch schniefend. Da stand John auf und ließ mich mit meinem Kummer allein. John ging wieder nach drüben in das Besprechungszimmer. Rudi sah John fragend an, genau wie die Jungs.

"Leute macht euch nicht schon wieder Sorgen. Mit dem Mäuschen ist alles in Ordnung. Sie hat es aber auch manchmal schwer. Seht mal, die kleine Maus, hat bis jetzt immer nur eine Art des Abschieds, von ihren Kameraden aus dem Team kennengelernt. Das hat sie mir gerade versucht, zu erklären. Alle ihre Freunde sind gestorben. Ich denke, das kam gerade in ihr hoch. Das Max ja noch lebt, hat sie glaube ich gar nicht registriert. Wenn Max geht, ist er tot. So denkt das Mäuschen, versteht ihr?"

Jetzt begriffen die Jungs, vor allem Max, was los war mit mir. "Um Gottes willen", mehr bekam, Rudi, erst einmal nicht heraus. "Wir hätten es ihr vorher erklären sollen."

John nickte betrübt, soweit hatte er auch nicht gedacht.

"Verdammt nochmal", schimpfte Rudi mit sich selber. "Da denken wir, dass wir alle Schocks von der Kleenen fern halten sollten. Aber das ein Abschied, für die Kleene ein Schock ist, soweit haben wir alle nicht gedacht."

In der Zeit in der die Männer über mich sprachen, hatte ich mich wieder einigermaßen beruhigt. Schnell ging ich noch einmal nach vorn in den Duschraum, um mir das Gesicht zu waschen. Versuchte meine aufgepeitschten Nerven zu beruhigen. Ich schämte mich aber auch, für meine Reaktion. Langsam kam ich wieder zu mir und ging nach hinten zu den Anderen.

Kaum, dass ich den Raum betreten habe, entschuldigte ich mich. "Rudi, es tut mir leid, wirklich. Das hätte nicht passieren dürfen", verschämt sah ich auf meine Hände, die nervös spielten.

"Ach Kahlynchen, ist doch nicht schlimm", beruhigte mich Max. "Wir hätten dich ja vorsichtig darauf vorbereiten können. Aber so weit hat wirklich keiner von uns gedacht. Eigentlich müssten wir uns bei dir entschuldigen. Kleine hör mal zu, ich bin nicht tot. Ich gehe nur auf eine andere Wache arbeiten. Dort muss ich nicht mehr zu solchen schlimmen Einsätzen und kann einfach etwas ruhiger leben. Vor allem muss dann auch meine Tina, nicht ständig in Angst um mich leben. Das macht sie langsam kaputt. Weißt du, mir tun ständig meine Knochen weh, ich werde wirklich zu alt für diese Einsätze", ernst sah er mich an.

"Ich hab es ja begriffen Max. Aber weißt du, bis jetzt sind immer alle gestorben, wenn sie mein Team verlassen haben. Sie kamen nie wieder, verstehst du", wieder kullerten Tränen aus meinen Augen. Diesmal zwang ich mich ruhig weiter zu sprechen. "Ich weiß nicht, irgendwie war gerade alles durcheinander, in meinem Kopf", versuchte ich zu erklären, was los war.

"Kahlynchen, das kann ich verstehen. Aber ich bin nicht tot, guck mal", Max nahm meine Hand und führte sie zu seinem Gesicht. "Siehst du, es ist ganz warm", bewies er mir, dass er noch lebt. "Tina würde mir die Ohren lang ziehen, wenn ich einfach so sterben würde", versuchte er zu scherzen und zog mich in seine Arme.

"Aber, da sind wir doch jetzt zu wenige", flüsterte ich ihm ins Ohr.

"Nein, Kahlynchen, ihr bekommt einen Ersatz für mich", beruhigte er mich genauso leise.

"Dich kann keiner ersetzen", behauptete ich bestimmt, in einem keinen Widerspruch zulassenden Ton.

"Ich weiß. Geht's wieder, meine kleines Mädchen?", fragend sah er mich an.

Ich nickte.

"Dann setze dich wieder, zu deinem John."

Also ging ich hinter auf meinen Platz und setze ich mich wieder neben meinen John. Zog die Beine auf den Sitz. John legte mir seinen Arm um die Schulter und streichelte mir lieb das Gesicht. "Geht's wieder?"

Ich versuchte zu lächeln, etwas, das kläglich misslang.

Aber John war beruhigt. 

"Uff", machte Rudi erst einmal. "So schwer, ist mir noch nie eine Verabschiedung gefallen. Also noch einmal Max, komm her du alte Rübe", noch einmal winkte Rudi seinen Freund zu sich heran. "Max, wir möchten dir für deinen neuen Lebensabschnitt alles Gute wünschen. Vor allem, dass du mit den Sturköppen in Greiz klar kommst. Das ist ein Sauhaufen kann ich dir nur sagen. Du hast das ja gestern Abend schon von Peter gehört, der hat dich ja schon eingewiesen. Aber, ich kann deine Entscheidung gut verstehen, du redest ja schon seit zwei Jahren davon. Auch, wenn dir die Kleene, jetzt den Abschied noch schwerer gemacht hat. Es ist die richtige Entscheidung. Also, alles Gute und vergiss uns nicht ganz."

Rudi griff hinter sich und nach einem riesigen Präsentkorb. Er bückte sich und holte einen fast genauso großen Blumenstrauß unterm Tisch hervor.

"Das ist von der ganzen Wache und auch von unserer der Kleenen. Die muss nur noch die Karte unterschreiben, dazu war leider noch keine Zeit."

"Danke", sagte Max mit einer eigenartig belegten Stimme. Mehr bekam er im Moment nicht heraus. Stellte alles wieder auf den Tisch und drückte seinen Freund.

"So, nun für die beiden Teams die gestern Abend erst wieder gekommen sind. Conrad, kommst du bitte mal nach vorn", forderte er den Ersatz von Max auf, zu ihm zu kommen.

Ein junger Mann stand auf, etwa hundertfünfundachtzig Zentimeter groß und zweiundachtzig Kilo schwer, kurze blauschwarze Haare einen dunklen Teint, der eher an einen Spanier, als einen Europäer erinnerte. Der krasse Gegensatz dazu waren seine wunderschönen großen hellblauen Augen. Welche die Farbe des wolkenlosen Himmels im Winter hatten. Um die Iris war ein schwarzer Rand, der die Augen umso mehr betonten. Diese Augen hatte ich schon einmal gesehen, aber ich konnte mich nicht erinnern, wo?

"Das hier ist Conrad Ortega, unser neuer Techniker, ein Allrounder und der neue Funker. Auch, wenn wir den nicht mehr unbedingt brauchen", lachend sah er zu mir hinter.

Ich konnte noch nicht wieder lachen. Wieder musste ich mich an jemand neues gewöhnen. Allerdings horchte ich auf, als ich den Namen Ortega hörte. Da kamen schlimme Erinnerungen in mir hoch. Genau musterte ich Conrad Ortega. So einen Zufall konnte es doch gar nicht geben. Diese Augen und der Name, verbanden sich zu unschönen Erinnerungen. Ich schob diese Gedanken erst einmal beiseite, denn ich wurde von John und Rudi abgelenkt.

John ahnte, was in mir vorging. Flüsterte er mir zu. "Kahlyn, der neue Kollege ist ganz nett, geb ihm eine kleine Chance."

Ich nicke, was blieb mir auch anderes übrig. Ich musste es ja nehmen, wie es kam.

"Conrad, vielleicht kannst du dich den Kollegen hier, einmal kurz vorstellen. Dann seid ihr alle dran", kam Rudi auf den Punkt.

Mit einer angenehmen warmen Stimme begann Conrad Ortega zu sprechen. "Na ja, über mich gibt es nicht viel zu berichten. Wie nicht zu übersehen ist, bin ich ein Mischling. Mein Vater ist nach dem Krieg hier geblieben. Er hatte sich unsterblich in meine Mama verliebt, er ist Mexikaner. Daher bin ich mehrsprachig aufgewachsen und spreche fließend Spanisch, aber auch Mayathan. Da mein Vater von Geburt her ein Maya ist. Er kommt von der Halbinsel Yukatan, diese Sprache wird dort gesprochen. Aber, ich spreche auch englisch und französisch. Ich bin halt Multikulti. Ich bin ledig, sechsundzwanzig Jahre jung, habe vor einem Monat meine Ausbildung fürs SEK abgeschlossen, bin Unterleutnant. War bis jetzt in Berlin stationiert. Ich komme ja aus Berlin. Auch, wenn man mir das nicht anhört. Ein Dank an meine Eltern, die immer gesagt haben…" Ortega räusperte sich etwas, imitierte wie es schien seinen Vater, er sprach in einem eigenartigen Akzent. "…spreche hochdeutsch Conrad. Dann bringst du es zu etwas", dieser kleine Spaß brachte ihm einig Pluspunkte bei den Kollegen, die gern und viel lachten. Breit grinsend sah er seine neuen Kollegen an. "Na ja, ich bin das, was man einen Allrounder nennt. Bevorzuge aber das Schießen, da bin ich, ein bisschen besser. Meine Freunde nennen mich kurz und bündig Conny. Wenn ich ehrlich bin mag ich den Namen Conrad nicht sonderlich. Ich habe noch zehn Geschwister, acht Schwestern und zwei Brüder, bin der Älteste der Ortegabande. Die kleinsten, die Zwillinge, sind erst neun Jahre und die Anderen immer im Abstand von ungefähr zwei Jahren. Ich würde mich freuen, wenn ich ein einigermaßen guter Ersatz für dich werde, Max. Ersetzen, kann ich dich sowieso nicht. Das hab ich gerade begriffen. Wenn eine junge Kollegin, so um dich weint. Rudi, ich weiß nicht, was ich noch sagen soll", gestand er verlegen.

"Ich denke das reicht fürs Erste. So jetzt stellt ihr euch mal vor. Kurz und bündig, das Beta-Team will nach Hause oder esst ihr erst noch mit Mittag?"

"Wer kocht?", kam die Frage von Sven.

"Fran natürlich."

"Dann bleibe ich bis nach dem Essen", kommentierte er das Gesagte und alle schlossen sich an. Nach und nach stellten sich alle vor. Nur ich nicht, weil ich nicht wusste, was ich sagen soll.

Rudi, wie auch John ahnten wohl, warum ich so ruhig war.

John flüsterte mir zu. "Keine Angst, ich stell dich dann vor", erleichtert atmete ich auf. Ich hasste solche Vorstellungsrunden. Das erinnerte das mich immer an die Untersuchungen im Institut. Dort wurden auch immer unsere Daten herunter gespult.  

Als alle durch waren, sah mich Rudi an, aber ich schüttelte den Kopf. "Ach komm Kleene, das schaffst du schon", ermutigte mich Rudi. Als John etwas sagen wollte, griff er kategorisch durch. "Nein John, unsere Kleene muss das lernen. Bei den Einsätzen, kann sie das auch", um mir Sicherheit zu geben, kam er auf mich zu und hockte sich vor mich hin. Drückte, weil ich auf meine nervös spielenden Finger sah, mein Kinn nach oben. So dass ich ihn ansehen musste. "Kahlyn, du kannst dich nicht immer zurück ziehen, wenn es um dich geht. Bitte, wir sind doch hier unter uns. Versuche es einfach, wenn etwas Wichtiges fehlt, ergänze ich das dann schon. Stell dir einfach vor, das wäre hier ein Einsatz, dort machst du das auch immer", machte er mir Mut es selber zu versuchen.

"Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Rudi. Ich hab sowas nicht wie ihr. Du weißt, ich mag nicht über mich reden", versuchte ich mich zu erklären. Verwundert sah mich dieser Conrad an.

"Kleene, du hast doch gehört, was die anderen gesagt haben. Das, was du weißt sagst du einfach, den Rest lässt du weg."

Ich ergab mich meinem Schicksal und sah auf meine nervös spielenden Finger. Ganz leise erklärte ich. "Ich bin die Kahlyn, so einen zweiten Namen wie ihr, hab ich nicht. Ich bin jetzt sechszehneinhalb Jahre, seit vierzehn Jahren im SEK. Bis vor zwei Monaten, gehörte ich zur Todesschwadron und war dort der Teamleiter. Jetzt gehöre ich seit dem 1. September hier ins Alpha-Team. Ich bin das, was man einen Allrounder nennt, bevorzuge aber den Nahkampf. Bin Pilotin, Bombenexpertin, Kampfschwimmer und -Taucher, Ärztin und Psychologin. Sowas, wie ihr habe ich nicht, Frau, Kinder oder Geschwister. Ich hab nur meine Freunde und die sind aber alle weg. Da ich ein bisschen Erfahrung in der Teamführung habe, helfe ich im Moment Arno das Delta-Team zu leiten. Da Detlef ja ausgefallen ist, durch eine schlimme Verletzung. Bin seit dreizehn Jahren Leutnant, seit vier Tagen Major", verlegen, sah ich zu Rudi hoch, der aufgestanden war.

Rudi streichelte mir lieb übers Gesicht und grinste mich an. "Na, war das so schlimm?"

Ich nickte, es war mir einfach unangenehm, über mich selber zu sprechen.

"Conny, jetzt von mir ein paar ergänzende Sätze. Die Kleene hier, ist etwas schüchtern, Fremden gegenüber. Warum, wirst du bestimmt bald herausbekommen. Aber, wenn du dir einen Gefallen tun willst, sehe ihr auf die Finger. Du kannst von ihr sehr viel lernen. Das sie vorhin so extrem reagiert hat, war eigentlich unsere Schuld. Du musst wissen, die für uns normalsten Dinge, kann sich die Kleene einfach nicht vorstellen. Dass ihre Freunde weg sind, ist einfach zu erklären. Sie wurden vor zwei Monaten einfach getrennt und in verschiedene Dienststellen gesteckt. Fast alle, waren danach krank, da diese Kinder bis zu dem Tag, fast jede Minute ihres Lebens, als Team zusammengelebt und gearbeitet haben. Wir versuchen ihr ein bisschen Familie zu sein. Aber ihre Freunde, können wir ihr nicht ersetzen, noch nicht. Vieles von diesem Leben hier versteht Kahlyn nicht. Oft ist sie mit den einfachsten Sachen überfordert. Aber im Kampf, sind wir alles Anfänger gegen die Kleine, da überfordert sie uns oft. Wir dagegen, denken oft einfach nicht daran, dass wir von ihr Dinge verlangen, die sie gar nicht kennt und gar nicht verstehen kann. Wie vorhin halt die Sache mit Max. Bis jetzt haben ihre Kameraden nur ihr Team verlassen, wenn sie gestorben sind. Verstehst du?"

Conny nickte. "Ist nicht schlimm, Kahlyn. Wenn du etwas nicht verstehst, dann fragst du mich einfach. Ich habe noch zehn kleinere Geschwister und bin ein verdammt guter Erklärbär", machte er einen Scherz, über den alle außer mir lachten.

"Was ist das?", fragend sah ich John an, weil ich das Wort nicht kannte.

"Da hast du den Beweis, Conny. Nun erkläre mal, du Erklärbär."

Conny fing breit an zu grinsen, der Schalk guckt aus seinen Augen. "Moment, den muss ich erst rausholen, den Erklärbär. Der ist nicht immer da."

Kurzentschlossen drehte er sich um, wurschtelte sich die Haare ins Gesicht und drückte seine Nase nach oben. Sah mich jetzt wieder an. Ganz komisch sah er aus und verstellte seine Stimme, dass diese ganz tief klang.

"Wer kennt hier den Erklärbär nicht? Ich bin der Erklärbär, dass ihr das wisst. Ich erkläre alle Unklarheiten auf Deutsch, englisch, spanisch, aber auch auf Mayathan. Also ein Erklärbär ist ein Mensch, der viel weiß, aber nichts Genaues sagen kann, verstehst du das Kahlyn."

Ich schüttelte lachend den Kopf.

"Oh je, du bist ein schwieriger Fall von keine Ahnung. Also ein Erklärbär, versucht zu erklären, was andere nicht verstehen. Offene Fragen zu beantworten. Verstehst du das?"

Jetzt nickte ich, musste dabei lachen, weil das einfach lustig war, was er machte. Vor allem, wie er ausschaut, er schielte ganz schlimm. Gleich war er mir nicht mehr so unheimlich.

"Na siehst du."

Conrad drehte sich wieder weg und fuhr sich durch die Haare. "Weg ist er, der Erklärbär", kam trocken von ihm.

Schallend lachten die Kollegen und auch ich musste lachen.

Etwas, dass Rudi gern sah. "Da schmeißt du dich weg vor Lachen, Kleene?"

Ich nickte immer noch lachend.

Conny der mich ja nicht lachen sah, verstand es nicht. "Sie lacht doch gar nicht", stellte er verwundert fest.

"Conny, Kahlyn schmeißt sich gerade weg vor Lachen. Warte eine Weile, bis du unsere Kleene besser kennst. Dann siehst du ganz genau, wenn sie lacht oder wenn sie traurig ist. Selten erlebst du es bei ihr, dass sie so offen weint, wie vorhin", erklärte Rudi dem neuen Kollegen.

Conrad musterte mich sehr intensiv und sah mich ganz eigenartig an.

Rudi sah mich aufmunternd an und lächelte mir zu. "Na siehst du, der Conny ist gar nicht so schlecht. Er ist kein Max, aber nicht schlecht, geb ihm einfach eine Chance."

Ich nickte gezwungen.

"Da hab ich wohl Glück, was Kahlyn?", erkundigte sich Conny.

Wieder nickte ich, ohne etwas zu sagen.

Fran kam nach hintern. "Kommt ihr essen bitte."

Sofort stand die ganze Bande auf und lief geschlossen nach vorn. "Kahlyn, na wie geht es dir, wieder besser?", wollte Fran von mir wissen.

"Ja Fran, ich hab mich nur vorhin erschrocken."

Fran streichelte mir das Gesicht. "Wie viel willst du essen?"

Traurig sah ich ihn an. "Fran, ich kann nichts essen. Ich hab von dem Einsatz gestern, zu viele Antibiotika im Körper. Das muss erst raus, sonst werde ich dieses verdammte Fieber nicht los. Es steigt schon wieder? Der Schreck hat mir nicht gut getan", erklärte ich meinen Freund.

"Wie hoch ist das Fieber? Soll ich Jens anrufen? Dann trinkst du halt einen Tee oder lieber einen Kaffee?", fragte er ohne Diskussion.

Wenn ich ehrlich war, graute es mir schon wieder vor der Diskussion mit Rudi.

"Einen Tee bitte."

Die Frage nach Jens und den Fieber, ignorierte ich einfach. Fran verschwand in der Küche und kam nur einen Augenblick später, mit einer großen Tasse Tee für mich wieder. Stellt diese vor mir.

"Dann lass es dir schmecken, du arme Maus. Rudi, keine Diskussion, Kahlyn darf nichts essen", ging er hart gegen Rudi vor, um eine Diskussion zu verhindern.

Dankbar sah ich Fan an.

Ronny nahm mir die Erklärung ab. "Rudi, Kahlyn hatte vorgestern Kontakt, mit Antibiotika versetzen Getreide gehabt, muss ich mehr dazu sagen? Wir dachten, sie muss sterben."

Erschrocken sah mich Rudi an. "Hast du das nicht gewusst Kleene?"

Ich schüttelte den Kopf.

Ronny erklärte weiter. "Rudi, der Teamleiter vom SEK 6 bekam das raus, wir wussten erst gar nicht, was mit ihr los war. Er kannte Kahlyn zum Glück aus der Soko. Vermutete sofort, dass sie auf etwas allergisch reagiert."

Verstehend nickte Rudi.

"Es ist nicht vorgeschrieben, diese Versetzung an den Ladeluken kenntlich zu mache. Da es ja normalerweise nicht schädlich ist, es stand nur in den Frachtpapieren. Für uns jedenfalls nicht, nur für unsere Kahlyn."

Rudi sah mich an. "Kahlyn, kannst du nicht mit uns allen dann, das Jawefan machen? Da kannst du doch eher etwas Essen."

Ich schüttelte den Kopf. "Rudi, es sind nur zwei Tage. Es hätte sowieso keinen Zweck, die Jungs haben alle mehr Antibiotika im Körper, als ich. Sie gehörten mit zu den Ersten, mit denen ich das Jawefan gemacht habe."

Verständnislos sah mich Rudi an.

"Rudi, Kahlyn musste gestern, um einen Kollegen zu retten, noch einmal in das Getreide. Hätte sie das nicht gemacht, wäre Gerd heute tot. Aber wir hatten vorgestern ja schon einmal das Problem gehabt."

Rudi verstand das Problem jetzt erst richtig, da er alle Informationen hatte. "Wir waren allerdings nicht mit dort, wir haben also keine Antibiotika im Blut, Conny und die Wachtmeister vorn auch nicht, Kleene."

Erst jetzt verstand ich, was Rudi meinte. Daran hatte ich gar nicht gedacht. "Das würde gehen. Mit den Wachtmeistern wollte ich das ja sowieso noch machen. Conny könnte dann auch gleich mit in den Kreis. So kann ich morgen vielleicht schon wieder etwas essen", erklärte ich froh.

Die Männer ließen es sich schmecken. Sie waren froh, dass ich bald wieder etwas essen konnte. Nach dem Abschiedsschmaus für Max, es gab Max Lieblingsessen, Bratkartoffeln, Rosenkohl und Schnitzel, räumten die Jungs sofort die Tische zur Seite. Rudi ging vor in die Wachstube, schickte Ronny, Raphael und John nach vorn, um den Betrieb dort aufrecht zu erhalten. Oliver beorderte alle Tonis zurück zur Wache. Innerhalb von nur fünfzehn Minuten hatte ich zwanzig Wachtmeister von den Toniwagen bei mir sitzen, die ich als erstes in das Jawefan führte. Schnell schloss sich der Kreis, ich gab ihnen all das Wissen, das die anderen auch hatten. Vor allem, die Verbindung. Verteile das Fieber und die Antibiotika auf die Kollegen. Erklärte ihnen noch im Jawefan, wie diese Kenntnisse nutzen konnten. Nach etwas mehr als einer halbe Stunde kehrte ich aus dem Jawefan zurück. Sofort schickte Oliver die Toniwagen wieder los. Es setzten sich die vier Wachtmeister, Ines aber auch Conny in den Kreis, schon brachte ich allen das Wissen bei, dass die Kollegen auch besaßen. Jetzt war nur noch die Spät und die Nachtschicht offen, das würde ich machen, wenn die zum Dienst erschienen. Oliver versprach mir, dafür zu sorgen, dass die Nachtschicht etwas früher kam. Die dritte Runde bestand aus dem Alpha-Team, mit denen es noch schneller ging, da ich ja nur die Antibiotika verteilte und das Fieber. Nur knapp eine Stunde brauchte ich und schon ging es mir wesentlich besser.

"Na Kleene wie sieht es aus mit der Antibiotika?"

Ich strahlte, das sagte mehr als meine Worte. "Morgen kann ich bestimmt wieder etwas essen, es ist nicht mehr viel. Vor allem ist dieses verdammte Fieber fast weg. Das macht mich langsam fertig. Danke euch allen", bedankte ich bei allen.

"Das ist gut, meine Kleene. Wie hoch war denn das Fieber schon wieder?"

Verlegen sah ich auf meine Hände.

Rudi kam zu mir und hob mein Kinn nach oben. "Komm beantworte meine Frage."

Leise nur für ihn bestimmt, informierte ich ihn. "62,4°C."

Böse sah er mich an. "Warum sagst du das nicht, Kleene? Hatten wir uns nicht ausgemacht, dass du mir sagst, wenn es dir nicht gut geht."

Immer noch auf meine Hände sehend, nickte ich.

"Ach Kleene, wann lernst du es endlich Vertrauen zu haben?"

Jetzt sah ich zu Rudi hoch. "Ich hab ja Vertrauen zu dir. Aber ich wollte nicht, dass du dir schon wieder Sorgen machst", erklärte ich ihm offen.

Rudi sah mich verständnisvoll an. "Ist schon gut meine Kleene. Aber mit dem Hungern muss langsam mal Schluss sein. Das nervt mich nämlich", stellte er wütend fest und zog mich in seinen Arm. Er wollte mir durch die Haar wuscheln und erschrak. "Oh Manne, jetzt muss ich dir auch noch Glabowa und ein Poliertuch kaufen. Warum hast du dir deine Haare abrasiert?", bekümmert sah er auf meinen kahlen Kopf.

"Wegen der Antibiotika, Rudi. Die setzt sich doch überall fest", begründe ich ihm die Rasur meines Kopfes. "Ist doch nicht schlimm Rudi, die wachsen wieder, sei nicht traurig. Dann ist Paule wenigstens nicht alleine", versuchte ich ihn zu trösten.

Mit dem Kopf schüttelnd, fing er schallend an zu lachen. "Na du erst noch", stellte er immer noch lachend fest.

Schließlich wurden die Stühle wieder ordentlich auf geräumt und die Tische, die Jungs vom Beta Team verabschiedeten sich, um nach Hause zu fahren. Rudi aber kam noch einmal zu mir.

"Kahlyn wie hoch ist das Fieber, vor allem der Enzymwert?", interessierte ihn noch.

"Es geht, der Enzymwert liegt bei, ungefähr 32 also in einem guten Bereich, das Fieber bei 49,3°C, aber das hat nicht unbedingt mit dem Antibiotika zu tun, sondern mit dem Essen."

Verwirrt sah mich Rudi an.

"Rudi, ich musste in das eiskalte Wasser, ich habe in den letzten zwei Tagen über ein Kilo Brei gegessen. Das heizt meinen Körper auf. Ich denke ohne dem, lege die Temperatur bei 45°C ungefähr."

Erleichtert atmete Rudi auf. "Willst du dich noch etwas hinlegen, wir machen heute einen ruhigen. Darum hat mich Arno gebeten. Er meinte der Einsatz, wäre die Härte gewesen, nicht wegen dem Kampf, sondern wegen der Kälte."

Arno hatte Recht. "Rudi, das stimmt. Aber eine andere Sache hätte ich noch, ob Ronny noch einen Moment Zeit hätte, ich würde gern mit euch einiges besprechen. Auf meine Weise", bat ich den Teamleiter um eine Aussprache. Ernst sah ich ihn an.

 

Rudi nickte und ging nach hinten, wo Ronny schon fertig umgezogen stand. "Ronny, kannst du noch ein paar Minuten opfern?"

Der Teamleiter des Beta-Teams grinste, es war wie immer. Er kam hier einfach nicht weg. Ronny kam allerdings ohne zu Murren mit nach vorn.

"Arno, kommst du auch bitte zu mir, ihr Jungs setzt euch bitte noch einmal kurz an den Tisch. Ich muss mit euch noch über einiges sprechen. Was mir in den letzten Tagen aufgefallen ist", als das Beta Team sich auch setzen, sah ich verlegen zu Rudi. Die Jungs wollten doch nach Hause. Rudi nickte mir aufmunternd zu.

Rico sah mich an, lächelte mir zu. "Die paar Minuten haben wir schon noch oder Jungs?", stellte er locker fest und sah seine Teamkollegen an, alle nickten.

"Also nur kurz für euch alle zum Nachdenken. Ich habe in den letzten Tagen, einmal die Ordner aus euren Büro aufgearbeitet,…", wandte ich mich an die beiden anderen Teamleiter. "…dabei ist mir etwas aufgefallen, was so beim besten Willen nicht angehen kann. Die Scharfschützen sind schlecht im Nahkampf und die Nahkämpfer schlecht im Schießen. Ich würde gern in der nächsten Zeit intensiver mit euch arbeiten, damit ihr annähernd ein Niveau erreicht. Bitte und das ist mein Rat für euch, denkt einmal darüber nach. Dass die Nahkämpfer durch einen gut gesetzten Schuss, ihre Teamkameraden retten könnten, die eine ausweglose Situation geraten. Genauso wichtig ist es, dass ein Scharfschütze, seinem Nahkämpfer zur Not beistehen muss. Es geht nicht, dass ihr die andere Sache vernachlässigt. Denkt bitte einfach einmal in Ruhe darüber nach. Übt zu Hause das Eztakfu und das Fobnekotar, dann werdet ihr schnell besser im Nahkampf. Die Nahkämpfer die beim Schießen Probleme haben, sagen mir bitte Bescheid, ich kann euch wirklich helfen. Ich hab mir schon einige ausgeguckt, denen ich unbedingt helfen muss. Wenn noch jemand anders Hilfe braucht oder will, dann meldet euch einfach bei mir. Wenn ich Raiko das Schießen beigebracht habe, schaffe ich das bei euch auch. Der war ein schwerer Fall, von keinem Interesse", stellte ich grinsend fest. Ernst sah ich die Jungs an, war froh, dass alle zustimmend nickten.

"Ronny, Arno, Rudi, mit euch möchte ich noch kurz, über die Todesfälle reden. Die vor meiner Zeit hier geschehen sind. Da denke ich wäre es besser, wenn wir hinten im Büro, erst einmal reden. Obwohl ich der Meinung bin, dass wir auch in den Teams, darüber noch einmal reden sollten, um so etwas in Zukunft zu vermeiden", fragend sah ich Rudi an.

Der sofort böse darauf reagierte. Wütend erklärte er mir, in einem nicht gerade freundlichen Ton. "Kleene, können wir die Toten nicht ruhen lassen. Es ist nicht gut, in solchen Wunden herum zu stochern."

Ich war da anderer Meinung und schüttelte den Kopf. "Rudi, wenn du nicht noch mehr solche Wunden haben willst, sollten wir darüber ernsthaft reden. Auch, wenn es dir nicht gefällt", gab ich ihm Widerbarde, in einem festen und bestimmenden Ton.

Den ich auch immer bei Oberst Fleischer von der Soko Tiranus benutzt hatten, wenn dieser über wichtige Themen, einfach schweigen wollte. Nach langen neun Jahren, hatte der Oberst eingesehen, dass das der richtigere Weg gewesen war. Es war einfach nicht gut dieses Thema totzuschweigen.

 

Verstimmt zeigte Rudi nach hinten ins Büro.

"Nehmt euch Stühle mit", gab ich eine kurze Anweisung.

Sofort lief ich hinter ins Büro und wusste, dass es gleich unangenehm werden würde. Schuldzuweisungen am Tod eines Kameraden, verkraftete nie jemand ohne Gegenwehr. Aber es nutzte nichts, wenn wir das nicht auswerten würden. Dann passierten genau diese Fehler immer wieder und es würde noch mehr Tode geben. Ich war nicht immer da, um dies zu verhindern.

Rudi ging ziemlich sauer auf seinen Platz, stand allerdings er noch einmal auf und sah fragend auf die Kaffeemaschine und dann auf uns.

Ich schüttelte den Kopf. "Ich möchte nichts, Rudi. Ich will das erst klären."

Die anderen nahmen sich einen Kaffee und setzten sich auf die mitgebrachten Stühle. Rudi sah mich ziemlich, angesäuert an. Das nervte mich. Ich wusste, dass er sich die Schuld gab, an den Tod dieser Leute. Nur half es den Lebenden nicht, dieses Thema totzuschweigen.

Leise sagte ich deshalb. "Rudi, ich weiß, dass du jetzt sauer auf mich bist. Aber der Tod dieser Leute wäre mit einer anderen Taktik, verhinderbar gewesen."

Rudi ging sofort an die Decke, griff mich sofort an. "Hast du sie noch alle? Was soll das Kleene?", brüllte er mich an.

Auch Ronny pulverte los. "Was sollen diese Schuldzuweisungen?"

Von Arno kam. "Das ist gemein, was du hier von dir gibst."

Alle Drei brüllten mich sofort an. Das musste ich unterbinden und ging mit sehr harten Worten, gegen die drei Brüllenden vor. Ich erklärte, mich zum ruhig und vor allem leise sprechen zwingend.

"Auch, wenn ihr das nicht wahr haben wollt. Rudi, deine Leute könnten alle noch leben. Wenn ihr nicht so stur, den Taktikvorschlägen, dieser verdammten Theoretiker gehorcht hättet. Verdammt Rudi, denkst du ich weiß nicht, wie ihr euch fühlt", ganz leise hatte ich das gesagt und sah ihn verständnisvoll an.

Als Rudi, aber auch Ronny und Arno, die mir ins Wort fallen wollten. Bat ich sehr direkt.

"Ruhe! Bitte, hört mir doch erst einmal zu, bevor ihr mich zerrupft", wenn auch leisen und freundlichen Ton. "Versteht ihr denn nicht, dass ich nur verhindern will, dass ihr solche Fehler noch einmal macht. Jeder Tote, ist einer zu viel. Wenn das jemand begriffen hat, dann verdammt nochmal ich."

"Du hast sie doch nicht mehr alle", kam die wütende Reaktion von Ronny.

"Merkst du noch was", brüllte mich Arno an.

Rudi dagegen saß fassungslos auf seinen Stuhl und saß mich mit einem Blick an, der töten könnte. "Ich glaube nicht, was du mir hier vorwirfst, Kleene", schnauzte er mich auch noch an.

Jetzt wurde auch ich wütend, weil mich die Drei dermaßen angingen. Böse sah ich die Kollegen an, die ich für meine Freunde hielt. Ich musste aufstehen, um meine Wut in den Griff zu bekommen. Atmete tief durch und stützte mich an auf die Rücklehne eines Stuhles, um mich irgendwo festzuhalten.

"Ich habe so viele meiner eigenen Leute in den Tod geschickt. Könnt ihr das nicht verstehen. Weil ich in den Anfangsjahren, ständig diesen bescheuerten und oftmals unbrauchbaren Taktikvorschlägen dieser Theoretiker gefolgt bin. Ich will mit diesem Gespräch verhindern, dass noch mehr von denen da draußen sterben", versuchte ich im leisen Ton, die aufgebrachten Kollegen zu beruhigen. Sah dabei wütend auf die drei Teamleiter.

John kam ins Büro, wurde von mir mit einem Wort "Raus", einfach des Raumes verwiesen. Als er nicht gehen wollte, griff ich blitzschnell nach seinem Arm und drehte diesen so schnell, dass er gar nicht reagieren konnte, auf seinen Rücken und in eine sehr schmerzhafte Position. "Ich habe gesagt, Raus und dann meine ich das auch, John."

John konnte gar nicht so schnell reagieren, so perplex war er, schon stand er draußen vor dem Büro. Ich schloss die Tür wieder und griff hinter mich nach meinem Stuhl, verkeilte ihn unter der Klinke.

Die Drei sahen mich fassungslos an. "Warum…?"

Weiter ließ ich Rudi nicht reden. Ich war viel zu wütend auf die Drei, die nicht wahrhaben wollten, dass es stimmte, was ich ihnen vorwarf. Vor allem machte es mich wütend, weil sie mich gleich so angebrüllt hatten. Ich erklärte ihnen trotzdem, immer noch leise und freundlich sprechend, den Grund.

"Warum, ich den Stuhl unter die Klinke stelle. Damit wir erst einmal in Ruhe und alleine reden können. Damit ihr mir erst einmal zuhört. Ich wollte das mit euch in Ruhe bereden. Aber das ist ja nicht möglich. Ihr steigert euch in eure dumme Wut und in eure sinnlosen Schuldgefühle hinein. Ihr hört mir gar nicht erst zu und schreit mich sofort an. Bevor ich überhaupt das sagen kann, was ich euch wirklich sagen will. Das finde ich nicht fair von euch. Ich dachte ihr seid meine Freunde. Unter Freunden, kann man allerdings auch unangenehme Dinge bereden und zwar in einen vernünftigen Ton. Man hört erst zu - denkt dann nach - spricht dann, in einem freundlich Ton. Nicht so wie ihr das macht, sofort rumbrüllen ohne nachzudenken. Glaubt ihr etwa, ich mache euch Vorwürfe?"

Fassungslos sahen mich die Drei an, dann nickten sie.

"Ihr habt sie doch nicht mehr alle."

Wütend lief ich in dem engen Büro herum und konnte nicht fassen, was meine Freunde von mir dachten. Kopfschüttelnd sah ich sie an, versuche leise und ruhig zu sprechen. Etwas, dass mir spürbar schwer fiel.

"Niemand nützen Vorwürfe. Davon werden eure Kameraden auch nicht wieder lebendig. Dazu ist zu spät, verdammt nochmal. Aber noch ist es nicht zu spät, um diese Fehler in Zukunft zu verhindern. Deshalb wollte ich mit euch in Ruhe darüber reden. Könnt ihr das denn nicht begreifen", bekümmert, aber auch wütend sah ich die Männer an.

"Aber du machst uns doch Vorwürfe, wenn du sagst, dass unsere Kollegen alle noch leben könnten."

Ich schüttelte den Kopf. "Wenn ich euch Vorwürfe machen würde, dann ginge ich anders vor. Dann würde von euch keiner dieses Büro verlassen, ohne blaue Flecken", erklärte ich leise.

Langsam wurde ich richtig böse, auf die Drei. Am liebsten würde ich den Raum verlassen, das half denen allerdings nicht zu begreifen, dass sie ständig Strategien verwenden, die ihren Leuten das Leben kosteten. Nur weil sie nach den Plänen von Taktikern vorgingen, die von Tuten und Blasen keine Ahnung hatten. Da es alles nur Theoretiker waren, die vom Kampf keine Ahnung hatten. Weil sie sich ständig in Zweifrontenkämpfe einließen, die immer Tödlich endeten. Weil eben diese Art von Kampf, wirklich immer aus dem Ruder laufen. Es sei denn man war in der Übermacht, nur wann waren wir das einmal? Wie oft, hatte ich den Männern das in den letzten Wochen schon erklärt? Warum begriffen die das nicht endlich? Jetzt wurde auch ich ungehalten.

"Habt ihr noch nicht begriffen, dass ich immer sage, was ich denke. Ich habe nie gelernt zu lügen. Ich kann das nicht. Wenn ich euch Honig ums Maul schmiere, dann sterben hier noch mehr Kollegen. Wollt ihr das? Es ändert vor allem nichts daran, dass ihr immer wieder den gleichen Fehler macht. Auch wird es nicht besser, wenn ich zärtlich mit euch umgehen würde, verdammt nochmal. Eure Jungs wären trotzdem tot und es würden ihnen noch mehr Freunde von euch folgen. Aber indem ihr begreift, dass ihr bestimmte Strategien vermeiden solltet, verhindert ihr, dass noch mehr von euren Leuten sterben. Geht das denn nicht in euren sturen Kopf hinein. Ihr seid alles erfahrene Kämpfer, schaltet euren Kopf endlich an und hört mir zu. Verdammt nochmal, müssen erst noch mehr Marken, von euren Freunden auf dem Bäumen hängen? Soll ich für euch erst einen Wald pflanzen, damit die vielen Marken alle Platz haben?", führte ich ihnen wütend vor die Augen, was sie machten.

Ich sprach immer noch in einem leisen und sachlichen Ton mit ihnen, obwohl mir das sehr schwer fiel. Brüllen würde hier nicht nutzen. Durch das leise Sprechen zwang ich sie dazu, genau hinzuhören.

"Wenn ihr das nicht zu begreifen bereit seid, dann kann ich mir die Mühe und die Spucke, ja sparen. Dann müsst ihr weiter eure Leute in den Tod schicken. Sagt mir einfach Bescheid, wenn ihr mit mir darüber reden wollt und zwar ohne zu brüllen. So hat das alles überhaupt keinen Zweck."

Traurig ging ich zur Tür und zog den Stuhl wütend, unter der Klinke hervor, verließ das Büro. Ich ließ die Sturköpfe alleine. Die wollten die Wahrheit einfach nicht hören, Rudi, Ronny und auch Arno hatten vollkommen dicht gemacht, dass sah ich an ihren Augen. Auf diese Weise, hatte die ganze Diskussion keinen Zweck. Sie sahen in mir nur jemanden, der ihnen Vorwürfe machen wollte. Sahen nicht, dass ich ihnen Wege aufzeigen wollte, wie sie in Zukunft eben solche Dramen vermeiden konnten. Mich machte so etwas wütend. Denn keiner dieser Kollegen hätte sterben brauchen, wenn man nur eine Minute gründlich hätte nachgedacht und diese Kämpfe anders aufgezogen hätte. Wieder einmal wurde mir klar, wie wichtig es war die Todesschwadron aufzulösen und uns auf verschiedene Teams zu verteilen. Nicht einmal Raiko, der eine absolute Katastrophe als Taktiker war, hätte diesen Fehler gemacht. Ich lief zu meinem Spind, um mich auszuziehen, bis ich nur noch Turnhose und Bustier anhatte und band mir ein Band über die Augen. Lief weiter nach vorn, in den Bereitschaftsraum.

John kam auf mich zu. "Mäuschen, was sollte das denn eben werden."

Ich schüttelte den Kopf und war viel zu wütend auf die Drei da hinten, um normal mit John reden zu können. "Lass mich in Ruhe, wenn ihr mich sucht oder braucht, ich bin im Park. Ich muss mich abreagieren, bevor ich jemanden erschlage."

Ich ließ John einfach stehen und lief nach vorn in Richtung Wache, ging nach draußen in den Park. Erst lief ich einige Runden und sah mich dann nach Josef um. Zum Glück war er weit und breit nicht zu entdecken, so konnte ich auf die Wiese gehen. Also stieg ich über das Beet, ging auf die Wiese und begann mit dem Fobnekotar. Ich musste mich unbedingt beruhigen. Was hatte ich nur falsch gemacht, dass die Jungs so reagierten. Eigentlich wollte ich nur in Ruhe, mit ihnen über diese Todesfälle reden. So war das nicht möglich, sie waren nicht offen für meine Worte. Traurig über den Ausgang des Gespräches, atmete ich mich ins Taiji und begann mit dem ersten Zyklus. Es tat mir gut mich auszupowern, so bekam ich am schnellsten meine unerträgliche Wut, in den Griff. Volle sieben Stunden benötigte ich um fünfzehn Zyklen Fobnekotar zu machen. Zwar hatte ich meine angestaute Wut, wieder unter Kontrolle, aber ich war immer noch stinksauer auf die Teamleiter. Warum war es nur so schwer, mit den Leuten hier vernünftig zu reden? In meinem alten Team, hatten wir uns einfach gesagt, was wir dachten. Aber hier ging das einfach nicht. Traurig, jedoch klitschnass geschwitzt, ging ich zurück in die Wache. Die Wachtmeister ließen mich auf meine Klingeln, sofort herein. Fragten mich gleich, wegen dem Jawefan.

"Gebt mir bitte fünf Minuten, ich will nur schnell duschen, dann hole ich euch", gab ich den Jungs Bescheid.

"Lass dir Zeit mit dem Duschen, Kleines. Wir wissen, dass du das genießt", erklärte mir Felix.

Dankbar sah ich ihn an. Trotzdem beeilte ich mich, die Spätschicht wollte ja nach Hause. So war ich nach zehn Minuten fertig und ging nach vorn in die Wachstube.

"Wir können, organisiert ihr das bitte hier, mit dem Besetzen der Wachstube? Ich habe keinen Bock, mich mit den Sturköpfen da hinten, schon wieder zu zanken", bat ich Felix, der mich verständnislos ansah.

Ich winkte ab und ging nach hinten. Keine fünfzehn Minuten später, hatte ich die Letzten aus der Wachstube zum Jawefan, verwundert sah ich Felix an. Denn es waren nur sechs Wachleute. "Wo sind die Fahrer der Toniwagen?", erkundigte ich mich.

Verwundert sah mich Felix an. "Kahlyn, wir haben hier immer nur eine Schicht. Diese Woche haben die alle Frühdienst. Die Spät und die Nachtschicht, haben die Wachen 60 und 62 abgedeckt, die fahren jetzt die Tonis."

Ach so, das wusste ich noch nicht. "Dann, brauchen wir wenigstens nichts wegräumen. Setzt euch einfach, dann haben wir es hinter uns."

Irritiert sah mich Felix an. "Du bist aber heute mies drauf."

Ich wollte nicht mehr über dieses traurige Thema reden. Kopfschüttelnd sahen mich die Männer an. Das war mir heute ehrlich gesagt egal. Ich war immer noch so sauer, dass ich irgendetwas zerschlagen könnte. Schnell kam ich mit den sechs Wachtmeistern ins Jawefan, brachte ihnen alles bei, was die anderen auch konnten. Schaltete aber diesmal alles frei. Erklärte ihnen im Jawefan, was sie wie nutzen konnten und wie sie es anwenden mussten. Nach einer knappen halben Stunde war ich fertig damit. Verteilte allerdings diesmal bewusst keine Antibiotika auf die anderen. Ich wollte keine Hilfe mehr. Traurig sah ich die wach werdenden Kollegen an und bat sie leise.

"Dann nutzt diese Sachen auch, die ich euch beigebracht habe", im Aufstehen, verabschiedete ich mich noch. "Dann ruhigen Dienst."

Ließ die völlig verdutzten Wachtmeister einfach stehen. Lief nach hinten in den Schlafsaal und legte mich in mein Bett. Ich war nicht bereit mit jemand aus dem Team zu reden. Versuchte mich in den Schlaf zu atmen, es wollte mir nicht mehr gelingen. Schnell verfiel ich ins Grübeln. Etwas, dass mir nie sehr gut getan hatte. Mühsam zwang ich mich damit aufzuhören. Nahm mir mein Tom in die Hand und versuchte mit dem Bären so zu reden, wie es Jenny mal mit Ruvijo und Inti gemacht hatte. Aber es gelang mir nicht, mit abzulenken. Immer wieder kehrten meine Gedanken in das Büro zurück. Ich fragte mich ernsthaft, ob ich etwas falsch gemacht hatte. Der einzige Fehler, der mir einfiel war der, den mir mein Oberst schon einige Male gesagt hatte, dass ich einfach zu direkt gewesen war. Aber verdammt noch einmal, was ist denn daran verkehrt. Ich war nun einmal kein guter Redner. Meine Stärke, lag schon immer im Kampf. Während mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, kam John in den Schlafsaal und steuerte zielgenau auf mich zu.

"Mäuschen, kann ich mit dir reden?"

Ich schüttelte den Kopf. Da ich mittlerweile so sauer war, dass ich mit niemanden reden wollte. Ich kannte mich zu genau und wusste, dass ich Sachen sagen würde, die mir dann hinterher wieder leidtaten. Deshalb schwieg ich lieber.

"Warum denn nicht? Was habe ich dir getan, dass du nicht mehr mit mir reden willst?", traurig sah mich John an.

"Nichts", gestand ich ihm leise.

"Dann versuche mit mir zu reden, es tut dir nicht gut, hier hinten zu liegen und zu grübeln. Denke daran, deinem Doko tut das gar nicht gut", versuchte er mich, an das letzte Mal zu erinnern.

"Ich falle in keine Blockade, John. Ich will nur nicht reden. Ich würde dann Sachen sagen, die mir hinterher leidtun. Ich bin verdammt wütend", versuchte ich meinem Freund klar zu machen, dass er mich in Ruhe lassen soll.

"Komm mal zu mir, Mäuschen." Er hielt mir die Arme hin.

Ich wollte keine körperlich Nähe, ich war so verdammt wütend auf die Drei, die mir schlechte Absichten unterstellt hatten.

"Komm schon, Mäuschen", bat er mich noch einmal und sah mich ganz lieb mit dem Blick an, den Raphael schon einmal als Dackelblick bezeichnet hatte. Also ging ich zu ihm hin. John zog mich in seine Arme.

"Was ist denn los?", erkundigte sich John noch einmal. Rutschte mit mir im Arm nach hinten an die Wand, um sich auch anlehnen zu können.

"Ich bin wütend auf Ronny, Arno und vor allem auf Rudi", erklärte ich John.

"Warum denn, die Drei können gar nicht verstehen, dass du so böse auf sie bist", versuchte er mir zu erklären.

"Weil sie mir böse Absichten unterstellen. So etwas mache ich nicht, ich finde das gemein und unfair."

John verstand es nicht. "Aber Mäuschen, du bist die Jungs als erstes angegangen und dann greifst du mich ohne Grund an. Was soll das denn?"

Ich winkte ab, es war wie beim Oberst, sie verstanden mich nicht. Warum sollte ich da noch was dazu sagen, dann konnte ich auch gleich schweigen. So wie es schon die ganzen zwei Monate war, wir sprachen verschiedene Sprachen und konnten uns nicht verstehen.

"Mäuschen, es nutzt niemanden etwas, wenn du abwinkst. Damit ist das Problem, was ihr habt doch nicht geklärt."

Wütend sah ich zu John hoch. "Ich habe gesagt du sollst raus gehen, wenn du nicht rausgehst, dann schmeiße ich dich raus. Es war eine Sache, die ich erst mal nur Rudi, Ronny, Arno alleine klären wollte. Die nur die Drei und mich etwas anging. Aber mir werden ja böse Absichten unterstellt. Dann kann ich mir, meine Spuke auch sparen. Aber wundert euch dann nicht, wenn es noch mehr Tode gibt. Es ist dann eure und nicht meine Schuld. Ich wollte euch ja erklären, was falsch gelaufen ist. Soll ich vielleicht mit ansehen, dass noch mehr meiner Freunde sterben. In allen drei Fällen, habt ihr den gleichen dämlichen Fehler gemacht. Aber statt zu zuhören und zu lernen, unterstellt ihr mir böse Absichten und brüllt mich an. Dann wundert ihr euch, wenn ich sauer reagiere. Ihr habt sie doch nicht mehr alle", brach die ganze angestaute Wut aus mir heraus.

Ich drehte mich aus Johns Armen und rollte mich auf meinem Bett zusammen. Als mich John anfassen wollte, drehte ich mich wütend weg. Weinte still in mein Kissen.

"Mäuschen, komm. Ich hab schon mit Rudi, Ronny und Arno geschimpft, weil sie dich so angebrüllt haben. Aber du bist auch nicht gerade nett zu ihnen gewesen."

"Lasst mich doch alle in Ruhe. Wenn ihr der Meinung seid, dass es wichtiger ist jemanden nett zu sagen, dass er einen Fehler gemacht hat. Dann sucht euch jemanden anderen. Ich bin nicht bereit Wälder zu pflanzen, um die Ketten von euren Toden aufzuhängen, nur weil ihr nett behandelt werden wollt", fauchte ich ihn an.

Danach schwieg ich. Nun auch noch auf John böse. Er stand kopfschüttelnd auf und verließ den Schlafsaal. Weinend drehte ich mich auf den Rücken und starrt auf das obere Bett. Warum war nur alles so kompliziert geworden? Ging mir wohl das tausende Mal durch den Kopf. In meinem alten Team, war das alles einfach, da konnte ich sagen, das und jenes waren falsche Entscheidungen. Alle haben es so genommen wie es war. Genauso war es, wenn ich einen Fehler gemacht hatte. Meine Freunde sagten dann, Kahlyn so geht das nicht oder das kannst du so nicht machen und gut war es. Ich war nicht Raiko, ich konnte beim Reden nicht überlegen, wie ich es am besten vorbringen konnte, um niemanden auf den Schlips zu treten. Ich sagte es so wie es war, ohne Rücksicht auf Verluste.

Lange drehten sich meine Gedanken im Kreis. Ich spielte alle mir verbleibenden Möglichkeiten durch. Überlegte mir genau, was ich machen konnte und rechnete die Chancen durch. Es lief immer auf das gleich heraus. Die einzige Möglichkeit die mir blieb, war zu gehen. Ich würde meine Wache verlassen. Ich konnte mit Menschen, die mir nicht vertrauten, nicht zusammenarbeiten. Vor allem aber, war ich nicht bereit mit anzusehen und dabei zu stehen, wenn einer nach dem anderen starb, nur weil ich keine Kraft mehr hatte, ständig gegen die sturen Einstellungen der Teamleiter anzukämpfen. Traurig, stellte ich das für mich fest, es bedeutete die Trennung von vielen Menschen die ich liebgewonnen hatte. Mir blieben allerdings keine Alternativen. Ich musste für mich eine Entscheidung treffen, egal wie ich es drehte, es lief alles auf das Gleiche hinaus.

Ich würde auf Hunsingers Angebot eingehen und mit denen aus meinem alten Team, die es freiwillig wollten, eine neue Todesschwadron aufbauen. Diejenigen die mit meiner Art nicht klar kamen, hatten immer die Option zu gehen. Würde das Hunsinger nicht mehr wollen, blieb mir immer noch der Baum. Ich bräuchte nur nicht mehr gegen dieses verdammte Fieber und das Enzym zu kämpfen, dann hätte ich das Ziel schnell erreicht und fände endlich meinen Frieden. Endlich hatte ich einen Entschluss, für mich gefasst und würde diesen bis zum bitteren Ende durchführen. Fest entschlossen stand ich auf und ging nach vorn an meinen Spind, um meinen Ausweis zu holen. Lief dann weiter nach vorn in den Bereitschaftsraum, in dem auch Rudi saß. Entschlossen ging ich auf ihn zu.

"Rudi, da ihr nicht gewillt seid, meinen Rat anzunehmen. Sehe ich mich gezwungen, einen für mich sehr schweren Schritt zu gehen. Aber ich bin nicht bereit mit anzusehen, wie ihr eure Leute in den Tod schickt. Da ihr das vor habt, müsst ihr das ohne mich tun. Ich kündige", wütend schmiss ich ihm den Ausweis auf den Tisch, drehte mich um und ging nach hinten zu meinem Spind. Rudi konnte es nicht fassen. Er saß da und war unfähig zur reagieren, war völlig sprachlos und starrte auf den Ausweis, den er mir erst vor wenigen Stunden freudestrahlend überreicht hatte.

John jedoch sprang auf und lief mir hinterher. "Kahlyn, das ist jetzt nicht dein Ernst?"

Ganz ruhig, so wie ich immer war, wenn ich einen Entschluss gefasst hatte, korrigierte ich John. "Es ist mein Ernst, mit so etwas scherzt man nicht. Ich werde jetzt zu den Runges gehen und fragen, ob ich noch ein paar Tage bei ihnen wohnen kann. Wenn nicht, gehe ich zum Oberst. Dort werde ich mich mit Hunsinger in Verbindung setzten und die Todesschwadron wieder neu aufbauen. Hier ist mein Rat nicht erwünscht. Statt dass man mir zuhört, brüllt man mich an. Wenn das eure Art von Kameradschaft ist, dann bin ich hier falsch. Meine Kameraden und ich, wir haben uns immer die ehrliche Meinung gesagt. Die Wahrheit John, ist nicht immer schön. Aber ich konnte ihnen, immer vertrauen. Das kann ich aber nicht, wenn man mich zwingt mit anzusehen, wie Kameraden immer wieder in den gleichen Tod geschickt werde. Nur, weil man die Wahrheit nicht sehen will", erklärte ich ihm sehr leise, jedoch mit jener eiskalten Stimme, die ich so oft beim Oberstleutnant benutzt hatte, wenn ich richtig wütend auf ihn gewesen war.

John schüttelte den Kopf und konnte es nicht glauben. Er begriff einfach nicht, was ich ihm hier erzählte. "Bitte Kahlyn, rede noch einmal mit Rudi. Ich dacht er ist dein Freund, ich dacht du vertraust ihn."

Lange sah ich John an. Er brachte eine Sache zur Sprache, die mir mehr zu schaffen machte, als die Tatsache von dem Teamleitern angebrüllt zu werden. Es war genau die Sache, die mich dazu zwang, die nicht leichte Entscheidung zu treffen.

"Dass ich euch vertraut habe, war mein größter Fehler. Das habe ich vorhin begriffen. Für eine wie mich gibt es keine Freunde unter den Menschen. Es gibt nur Freunde dort, wo meinesgleichen ist."

"Kahlyn, bitte rede noch einmal mit Rudi. Es ist ein Missverständnis, wie so oft zwischen euch beiden. Es muss doch einen Weg geben, das zu klären."

Ich zuckte mit den Schultern. "Von mir aus. Ich mache es dir zu liebe, weil du immer ehrlich zu mir warst. John es wird aber nichts an meinem Entschluss ändern. Ich vertraue euch nicht mehr. Ich kann aber mit niemand kämpfen, den ich nicht vertraue", informierte ich ihn darüber, dass diese sinnlosen Diskussionen nichts an meinem Entschluss ändern würden, in meine altes Leben zurück zu kehren. Dadurch würde es auch nicht einfacher werden.

"Dann komm", bat mich John und schob mich in Richtung Büro. Ich schüttelte den Kopf. Die Drei haben mich angebrüllt, alle hatten mitbekommen, was los war. Es war nun nicht mehr nur eine Sache zwischen den Teamleitern und mir, sondern ging das ganze Team etwas an.

"Was ist Mäuschen?"

"Vorn vor dem Team. Alle haben den Streit mitbekommen, alle haben das Recht zu wissen, was los ist. Wenn wir noch einmal reden, dann auf meine Weise. Sonst gar nicht und ich gehe gleich", erklärte ich John mit eiskalter Stimme.

Kopfschüttelnd lief John nach vorn zu den anderen. Wohl war ihm bei der ganzen Sache nicht mehr, er hatte bemerkt, dass ich mich in meiner Meinung festgefahren hatte. Es würde schwer werden, mich davon wieder weg zu bekommen.

Kaum kamen wir um die Ecke, stand Rudi auf und lief auf mich zu. "Kleene das ist jetzt nicht dein Ernst oder?", völlig durcheinander, sah er mich an.

Verwundert schaute ich ihn an. "Rudi, du kennst mich nun schon eine Weile. Du weißt, dass ich meine, was ich sage. Ich bin nur John zu liebe, noch einmal hier vor gekommen. Mein Entschluss steht fest, ich habe es mir bestimmt nicht einfach gemacht."

Verzweifelt sah mich Rudi an. "Kahlyn, du beschuldigst uns an den Tod unserer Leute schuld zu sein. Was erwartest du denn von uns. Das wir uns hinstellen und nicken", wütend sah mich Rudi an.

"Was ich von euch erwartet hätte, wäre folgendes. Das ihr euch wie erfahrene Kämpfer verhaltet. Eine Kritik nicht als persönliche Beleidigung auffasst. Sondern bereit seid, aus Fehlern zu lernen. Vor allem, dass ihr mich erst einmal ausreden lasst. Damit ihr erst einmal wisst, was ich euch überhaupt sagen will. Dass ihr mich nicht anbrüllt. Das tut man nämlich unter Kameraden nicht", erklärte ich Rudi, mit leiser, aber eiskalter emotionsloser Stimme.

Rudi sah mich fassungslos an. "Du bist uns doch angegangen Kahlyn", brüllte mich Rudi, nun schon wieder an.

Traurig schüttelte ich den Kopf und drehte mich um. Wollte wieder nach hinten zu meinem Spind gehen, um meine Sachen zu packen. John hatte diese Reaktion, von mir vorausgesehen.

"Kahlyn, du bleibst. Rudi, du hörst gefälligst damit auf, Kahlyn anzubrüllen. Sag mal wer von euch, ist hier eigentlich der ältere, du oder Kahlyn. Verdammt nochmal, reiße dich zusammen", forderte John jetzt leise, aber bestimmt. Wütend sah ich John an und blieb demonstrativ mit dem Rücken zur Truppe stehen. Verschränkte absichtlich meine Arme vor der Brust und stellte mich breitbeinig hin. Etwas, dass ich beim Oberstleutnant oft genug gemacht hatte, um zu zeigen, dass ich nicht mehr reden würde. Dies hatte mir oft genug, zärtliche Behandlungen vom Oberstleutnant eingebracht. Oft genug auch die Lichtbox. Die kannten mich hier, noch lange nicht.

Arno meldete sich jetzt zu Wort. "Rudi, es stimmt haargenau, was Kahlyn sagt. Sie hat mit uns die ganze Zeit ruhig gesprochen. Wir drei Erwachsenen, haben dieses junge Mädchen angebrüllt. Obwohl sie, eigentlich nichts Schlimmes gesagt hat. Rudi sie hat doch nur gesagt, dass der Tod verhinderbar gewesen wäre. Zu mehr ist sie gar nicht gekommen. Sie hat keine Schuldzuweisungen von sich gegeben, denk bitte einmal zurück. Wer gebrüllt hat, waren wir. Kahlyn, hat die gesamte Zeit versucht ruhig zu sprechen. Ich hätte nicht so lange, ruhig bleiben können", gestand Arno mit zitternder Stimme, weil ihm bewusst wurde, dass er ja genau so gebrüllt hatte wie Rudi und Ronny. "Kahlyn, es war falsch, dass ich dich angebrüllt habe. Bitte lass uns noch einmal in Ruhe darüber reden. Bitte. Auch wir sind nicht fehlerfrei", wandte sich Arno sich jetzt direkt an mich.

Ich blieb stehen, wo ich war. So schnell, konnte ich ihnen nicht verzeihen.

Rudi fühlte sich nun auch noch, von Arno angegriffen. "Arno du bist also jetzt auch der Meinung, dass ich Schuld am Tod von Charly bin. Er war nicht nur dein Freund, sondern auch meiner, verdammt nochmal", brüllte Rudi seinen Kollegen an.

Jetzt schüttelten auch die anderen den Kopf. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. So etwas würde ich niemals behaupten. Deshalb drehte ich mich zu Rudi um und sah ihm ins Gesicht. "Niemand Rudi, hat behauptet, dass du Schuld an dem Tod der Leute trägst. Niemand hätte deren Tod verhindern können, auch ich nicht. Diese wäre nur verhinderbar gewesen, wenn ihr mit einer anderen Taktik vorgegangen wärt. Das wollte ich euch eigentlich erklären", teilte ich Rudi in dem gleichen, eiskalten ruhigen Ton mit. Sah ihn ernst an. "Warum eigentlich, unterstellst du mir böse Absichten. Ich verstehe es nicht. Weißt du was. Ich erkenne einen großen Fehler, den ich in den letzen neun Wochen gemacht habe. Ich begann euch zu vertrauen. Ich dachte wirklich, ich habe hier Freunde gefunden. Ich habe mich geirrt, diesen Fehler werde ich nie wieder machen", trocken schluckte ich, an der bitteren Wahrheit. "Ich bin stets gut gefahren, niemand zu vertrauen. Keine Ahnung, weshalb ich bei euch so schnell eine Ausnahme gemacht habe. Aber ich werde diesen Fehler, nie wiederholen. Ich mache jeden Fehler nur einmal. Es war ein schöner Traum Rudi, ein verdammt schöner. Aber er ist vorbei, die Realität hat mich wieder. Ich habe eins begriffen, so etwas wie Freiheit, Liebe oder Glück stehen solch einer abartigen Kreatur wie mir nicht zu. Ich werde in mein altes Leben zurückkehren. Werde dahin zurückkehren, wo ich hingehöre. Werde das Angebot von Generalmajor Hunsinger annehmen, eine neue Todesschwadron aufbauen. Das Einzige, was mir wirklich zusteht in diesem Leben, ist der Kampf, der Hass und der Schmerz. Drei Dinge die mir mehr als nur vertraut sind, mit denen ich wunderbar klar komme. Die kann ich immer wieder haben und der Generalmajor wird es mir mit Kusshand geben", mit diesen Worten drehte ich mich wieder um.

Als John mich festhalten wollte, wich ich ihm aus. Lief jedoch hinter in den Schlafsaal, denn es war schon kurz vor Mitternacht. Ich konnte nicht mehr zu den Runges gehen. Das war mir in dem Moment klar geworden, als ich einen Blick auf die Uhr warf, da meine innere Uhr noch nicht wieder richtig ging. Ich musste bis morgen früh warten. Ich würde diese Nacht, also noch hier in der Wache verbringen. Es sei denn, man warf mich hinaus. Weinend schmiss ich mich heute schon das zweite Mal in meinem Bett. Diesmal weinte ich still in mich hinein, so wie ich es immer gemacht hatte, all die Jahre. Keiner der mich nicht sehr genau kannte, würde sehen, dass ich weinte. Den Bären von Tom, hatte ich auf dessen Bett gelegt, dort gehörte er hin. Ich hatte kein Recht ihn zu behalten. Nach einander kamen die Jungs nach hinten, alle schauten nach mir und dachten sie ich schlafe. Ich konnte nicht schlafen, dazu war ich viel zu aufwühlt, traurig starrte ich die Wand an. Enttäuscht von meinen Freunden, plante ich meine nächsten Schritte. Ich verwarf den Gedanken, zu den Runges zurückzukehren. Sondern nahm mir vor, morgen früh als erstes beim Oberst anrufen und ihn um Hilfe bitte. Es hatte keinen Zweck, in ein Leben zurückzukehren, von dem mir der Abschied, noch schwerer fallen würde. Dort war auch Struppi, wenn ich zurückkehrte, würde ich bei dem Welpen nur wieder Wunden aufreißen. Jetzt war ich schon über eine Woche nicht mehr dort gewesen, also war er über das schlimmste Leid gerade hinweg. Langsam, während ich Schritt für Schritt, mein neues Leben in die Hand nahm, kehrte Ruhe in die Wache ein. Es war kurz nach 3 Uhr, als alle schliefen. Ich stand auf und ging nach vorn in den Bereitschaftsraum. Mit geübten Handgriffen räumte ich meinen Spind aus und stellte alles auf meinen Platz. Frühesten um 5 Uhr, konnte ich beim Oberst anrufen. Also musste ich noch fast anderthalb Stunden warten.

Da ich nur die notwendigsten Sachen mitnehmen würde, das meiste gehörte der Wache, hatte ich nur einen Rucksack und meine Waffenkisten. Traurig setzte ich mich auf das Sofa und zog die Füße auf die Sitzfläche. Legte meinen Kopf auf die Knie und fing an zu weinen. Ich ließ viele lieb gewonnene Menschen zurück. Ging es mir durch den Kopf. Wieder überlegte ich ob mein Entschluss richtig oder falsch war. Aber ich konnte es drehen wie ich es wollte, auch wenn ich viele Teammitglieder liebgewonnen hatte, es war kein Vertrauen mehr da. Ohne Vertrauen auf den Rückenmann, war allerdings kein Kampf möglich. Es war also besser zu gehen. Plötzlich betrat jemand den Raum. Conny, der neue Kollege, war aufgewacht.

"Wieso schläfst du nicht mehr, Kahlyn?", fragte er mich.

Ich stand auf, ignorierte seine Frage einfach. Ich wollte nicht mit ihm reden und ging ans Fenster, um hinauszusehen.

"Kahlyn, ich kann deine Wut auf Rudi verstehen. Ich fand auch nicht in Ordnung, was er gemacht hat. Aber deshalb, deine Kameraden im Stich zu lassen, finde ich von dir auch nicht fair", erklärte er mir, leise und in einem freundlichen Ton.

Wütend drehte ich mich zu ihm um. "Kameraden Conny, hören zu. Kameraden Conny, vertrauen einen. Kameraden Conny, ertragen die Wahrheit. Wenn diese hilft sie zu beschützen. Kameraden Conny, akzeptieren die Hilfe. Die man ihnen anbietet. Ich habe hier, keine Kameraden mehr. Lasse mich bitte in Ruhe. Ich möchte mit dir, darüber nicht mehr reden. Es ist vorbei. Niemand wird meine Meinung ändern. Ich mache mir solche Entscheidungen, nicht leicht. Lass mich bitte, in Ruhe", ich drehte mich wieder dem Fenster zu und schwieg.

Conny, der mich ja noch gar nicht kannte, wollte das nicht gelten lassen. Er wollte mit mir reden, um mich umzustimmen. Wusste allerdings noch nicht, dass es besser war mich in Ruhe zu lassen, wenn ich nicht reden wollte. Es war kurz nach 4 Uhr, als sich Conny zu mir ans Fenster gesellte. Mein Kopf schmerzte wie Hölle, ich hatte wieder hohes Fieber. Die Aufregung, war nicht besonders gut für mich. Es war schon wieder weit über die 59°C. Ich wollte einfach nur in Ruhe warten, bis es 5 Uhr wurde. Warum konnte man das nicht akzeptieren?

"Kahlyn, du bist doch ein schlaues Mädchen, hast du nicht auch schon einmal falsch reagiert?", wollte er von mir wissen.

Ich ließ ihn am Fenster stehen. Ging einfach an den Tisch, um ihm zu zeigen, dass ich nicht bereit war zu reden.

Conny, der mich für das Team retten wollte, kam mir nach und setzte sich mir gegenüber. "Kahlyn, ich habe dir doch nichts getan. Warum redest du nicht mit mir?", drang er in mich ein.

Wieder stand ich auf und ging zum Fenster. Wieder kam er mir hinterher. Also ging ich aufs Sofa, legte mich darauf. Rollte mich einfach zusammen. Demonstrierte ihm so, dass ich nicht reden wollte. Tat so, als wenn ich schlafen würde. Conny begriff es nicht. Wie sollte er das auch begreifen, er kannte mich ja erst wenige Stunden.

"Kahlyn, bitte rede doch mit mir", versuchte er es immer wieder.

Ich ignorierte ihn.

"Kahlyn, verdammt nochmal. Du verhältst dich wie ein bockiges kleines Mädchen, aber nicht wie ein Mitglied eines SEK Teams", fuhr er mich an.

Mir wurde das einfach zu viel. Seit über einer halben Stunde sprach er ohne Unterbrechung auf mich ein. Böse guckend stand ich auf.

"Lass …  mich … endlich … in … Ruhe. Mir ist egal, was du von mir denkst. Lass … mich … in … Ruhe", forderte ich sehr deutlich, aber sehr leise von ihm. Ich stand, nur eine Nasenlänge vor ihm entfernt. Atmete ihm heftig ins Gesicht.

Immer noch, begreift er es nicht. "Kahlyn, ich möchte doch nur, dass du deine Entscheidung noch einmal überdenkst. Du bist wü…"

Ich ließ ihn nicht ausreden. Ganz leise sagte ich zu ihm. "Ich dachte, du bist der deutschen Sprache mächtig. Was ist so schwer daran zu verstehen… Laaass… miiich… iiin… Ruuuhe", mit dem letzten Wort ergriff seinem Kehlkopf. Schwer atmend, schob ich ihn vor mir her. Bis er an der Wand stand. Dort angekommen, ließ ich ihn los. Ließ ihn dort stehen. Ging zurück zum Sofa. Legte mich wieder darauf.

Conny begriff es nicht. Wieder kam er auf mich zu. Sprach auf mich ein. "Kahlyn, rede do…"

Wieder stand ich auf, griff an seinen Hals und schob ihn an die Wand. Noch ganze fünf Mal, machte ich dieses Spiel mit ihm. Ohne, dass er darauf einging. Ohne, dass er es begriff. Als Conny das sechste Mal kam, war er so wütend, dass er mich anschrie. Noch nie, war es ihm passiert, dass er nicht mit viel Geduld an die Mädchen herankam. Zu Hause hatte er immer den Part, des Schlichters übernommen. Das Mädchen machte ihn wütend. Er wollte nur in Ruhe, mit ihr reden.

"Verdammt noch mal, Ka…"

Mir reicht es. Diesmal fing ich an ihn zu schlagen. Er hatte mich so verdammt wütende gemacht, dass ich die Beherrschung verlor. Er wollte es einfach nicht im Guten begreifen. Mit bösen Hieben, ohne ein Wort zu sagen, schlug ich in schneller Folge auf ihn ein. Bernd, einer der Wachtmeister, kam in diesem Moment in den Bereitschaftsraum. Da er für sich und die anderen, etwas zu essen machen wollte. Erschrocken zog sich Bernd zurück, alle wussten, dass es nicht gut war einzugreifen.

"Conny, komme raus hier", rief er dem neuen Kollegen zu.

Der mit mir unerfahren Conny, konnte nicht folgen. Durch die schnellen Schläge, die er abblocken musste, hatte er keinen Einfluss auf die Richtung in die er getrieben wurde. Bernd löste Alarm aus, nur so konnte er die anderen wecken. Schnell kamen die Anderen nach vorn. Hörten, jetzt meine wütenden Worte.

"Etries, Conny. Sadfim, granima. Kon, andus, kri, piosdi. Halikon, granima. – Lass mir meine Ruhe, Conny. Ich habe hohes Fieber, lass es. Du hörst, du siehst, du tötest nicht wie ich. Gebe mir meine Freiheit", immer wieder, sagte ich ihm diese Worte. Jeder Schlag ein Wort.

John der sofort erkannte, dass hier nur ein Rückzug half. Rief Rudi zu. "Los wir müssen Conny, aus der Schusslinie bringen. Du von hinten, ich von der Seite, gleichzeitig. Ihr zieht Conny hinter ins Büro. Ist er raus, ziehen wir uns zurück."

Rudi nickte, gleichzeitig gingen sie auf mich los. Fingen an, mich zu schlagen. Jetzt ging ich auf die Beiden los. Kaum war Conny aus der Schusslinie, zogen die Beiden sich zurück. Ich ließ sie gehen, wütend setzte ich mich aufs Sofa und atmete schwer. Warum mussten sie mich, immer in die Ecke drängen. Ich rollte mich auf dem Sofa zusammen und krümmte mich vor Schmerzen, die durch das hohe Fieber kamen. Langsam beruhigten sich meine aufgepeitschten Nerven wieder. Ich fiel in einen flachen erschöpften Schlaf.

 

Die Männer kümmerten sich derweilen um Conny, der ziemlich zerbeult aussah und sich die schmerzenden Rippen rieb. "Was hab ich Kahlyn getan? Ich wollte nur mit ihr in Ruhe reden. Sie sah so traurig aus. Was hat sie zu mir gesagt, die Worte ergaben keinen Sinn für mich."

John sah Conny traurig an. "Sie sagte zu dir: Lass mich in Ruhe Conny. Ich habe hohes Fieber, lass mich einfach in Ruhe. Du hörst, du siehst, du tötest nicht auf meine Weise. Was meiner Meinung nach bedeutet, du verstehst mich nicht. Dann sagte sie noch. Lass mir meinen Frieden. Conny, du hast die Maus völlig in die Ecke getrieben, auf irgendeine Weise. Reden hilft bei Kahlyn nicht."

Kopfschüttelnd, rieb sich Conny die schmerzenden Rippen. "Ich wollte nur mit ihr reden. Ich will nicht, dass sie geht. Wenn ich ehrlich bin, verstehe ich Kahlyn nämlich. Rudi, was du mit ihr gemacht hast, war total fies. Ich kann verstehe, warum Kahlyn so sauer ist", wütend sah er Rudi an.

"Du findest also auch, dass ich schuld bin, an dem Tod der Kollegen, na danke", wieder kam diese verdammte Wut, in Rudi hoch.

Conny, sah Rudi kopfschüttelnd an. "Verdammt nochmal, schalte mal dein Gehirn zu. Wer hat denn gesagt, dass du schuld bist, am Tod deiner Leute. Kahlyn hat dir das zigmal gesagt, dass du deren Tod nicht hättest verhindern können. Sie wollte dir nur erklären, dass mit einer anderen Taktik, das vielleicht verhinderbar gewesen wäre."

Rudi stupst Conny an den Kopf, mitten auf der Stirn. "Du bist doch bescheuert. Wo ist da der Unterschied? Kannst du mir das mal erklären?"

"Rudi, ganz einfach. Schuld ist man nur, wenn man mit mutwilligem und besserem Wissen, jemanden in den Tod schickt. Wenn man aber, aus den gegebenen Tatsachen heraus versucht das Beste zu machen und dann trotzdem jemand getötet wird, ist man nicht schuldig. Dann nennt man das Pech. Kahlyn kann das wahrscheinlich nicht so formulieren, aber gemeint hat sie das Zweite. Ihr habt Pech gehabt. Nur so, wie ich das verstanden habe, was die Kleine euch zu erklären versuchte. Stellte sie wohl bei dem Durcharbeiten der Sachen fest, dass ihr bei jedem Toten, immer das gleiche Pech hattet. Euch das aber immer noch nicht klar geworden ist. Vielleicht solltest du dir mal in Ruhe anhören, was sie euch zu erklären hat. Dann erst auf sie los gehen. Aber du bist wie ein rasender Stier. Der auf Kritik reagiert, wie eben dieser auf ein rotes Tuch. Sorry ich bin erst neu hier. Wenn ich so alt wäre wie Max, würde ich jetzt zu dir sagen, schalte mal dein Gehirn dazu", wütend sah Conny seinen neuen Chef an. Der diesem kleinen Mädchen, so unrecht getan hatte.

"Du bist also der Meinung, ich habe mein Gehirn nicht zu geschaltet."

Conny nickte bestätigend. "Ja, aber vielleicht findest du den Schalter noch. Du hast bei diesem Mädchen, das dir total ans Herz gewachsen ist, das gesamte Vertrauen zerstört. Weißt du, was sie vorhin, zu mir gesagt hat? Kameraden Conny, hören zu, Kameraden Conny, vertrauen einen. Kameraden Conny, finden sich mit der Wahrheit ab. Kameraden Conny, nehmen Hilfe an. Ich habe hier keine Kameraden mehr. Vielleicht helfen die diese Worte, von dem kleinen Mädchen da draußen, dein Gehirn wieder zu finden. Ich kann sie langsam verstehen", schwer atmend, sah Conny seinen neuen Teamleiter an.

John griff jetzt ein. "Conny, zieh dich aus, ich will sehen, ob und wie schwer dich Kahlyn verletzt hat. Keine Angst, ich bin hier der Sanitäter."

Conny ließ sich von John aus dem T-Shirt helfen, dann untersuchen. Er war diesem dankbar für die Hilfe, er hatte ganz schön was abbekommen. "Na ja, da hast du wohl noch einmal Glück gehabt, dass Kahlyn nicht vollständig die Beherrschung verloren hat. Dass sie dir nur zeigen wollte, lass mich endlich in Ruhe."

Damit ging er nach vorn zum Tisch und holte sich den Medi-Koffer. Lief zurück ins Büro. Rudi und Conny schwiegen sich an. John kannte seinen Freund und Vorgesetzten sehr gut und wusste, dass der am Grübeln war. Ob, ein Funken Wahrheit an dem war, was sein neuer Kollege ihm da an den Kopf geschmissen hatte.

Conny dagegen, kämpfte gegen die Schmerzen an und dachte über das Gesagte von John nach. Als dieser wieder ins Büro eintrat, fragte er als Erstes.

"Glück, John? Wie schlägt die Kleine denn zu, wenn ich keine Glück habe?", fassungslos sah er den Sanitäter an.

"Dann wärst du jetzt tot. Glaube mir, du hast wahnsinniges Glück gehabt", erklärte der Sanitäter, dem neuem Kollegen trocken.

Holte bei seinen letzten Worten die Hämlo-Creme aus dem Koffer und rieb Conny damit ein. Bandagierte ihm die geprellten Rippen fest.

"Tja, mit den Spritzen kenne ich mich nicht aus, tut mir leid Conny. Da musst du warte, bis Kahlyn wieder ansprechbar ist. Jens ist ein paar Tage auf eine Weiterbildung."

In dem Moment, kam Rudi wieder zu sich. "Ich zieh dir eine Spritze auf. Kahlyn, hat mir das schon oft erklärt",

Rudi stand er auf und holte sich den Ampullenkoffer. Öffnete diesen und nahm die Schablone für das Schmerzmittel, einen Kolben und zog eine Spritze mit B32 auf.

"Spritzen musst du aber, John."

Skeptisch sah John, Rudi an.

"Glaube mir, die Spritze ist in Ordnung. Das Prinzip dieser Schablonen, ist Idiotensicher. So sicher, dass es sogar ein Idiot wie ich es begreifen kann. Vertraue mir bitte."

John nahm die Spritze, gab sie nach der Zustimmung von Conny, in die Halsschlagader. "Darf ich Conny."

Der nickte, keine zwei Minuten später, atmete Conny erleichtert auf. "Gott sei Dank, diese verdammten Schmerzen lassen nach. Danke Rudi."

Der kam auf sein neues Teammitglied zu und sah ihn lange an. "Stimmt das, was du gesagt hast. Meinst du das wirklich. Ist das deine ehrliche Meinung von mir, Conny?"

Tief holte Conny Luft. "Ich weiß, dass dies meine kürzeste Dienstzeit, in einer Einheit sein wird. Aber ja Rudi, es ist meine ehrliche Meinung, was du mit Kahlyn gemacht hast, ist mehr als nur gemein gewesen", offen sah er seinen Vorgesetzten an.

"Warum denkst du, dass dies deine kürzeste Dienstzeit gewesen ist."

Verlegen sah Conny zu Rudi. "Weil ich dir so offen gesagt habe, was ich denke", gestand er Rudi.

"Nein, das ist ein Charakterzug der mir gefällt", korrigierte Rudi, seinen neuen Kollegen.

"Wenn ich dich dann noch etwas fragen darf, Rudi? Warum, darf das Kahlyn dann nicht, weil sie ein kleines Mädchen ist?", ernst sah er Rudi in die Augen.

Dieser fuhr sich durch die Haare. "Verdammt noch mal, du hast recht. Danke Conny."

Rudi stand auf und ging auf Conny zu, hielt ihm die Hand hin. Der ergriff die Hand, seines neuen Vorgesetzten. Er war verdammt froh, dass er so offen reden konnte. Nicht in allen seiner Dienststellen, war seine Ehrlichkeit gern gesehen gewesen.

John wollte wissen. "Rudi, hast du auch etwas abbekommen."

Rudi winkte ab, außer seinem Stolz war nicht verletzt. Sein kleines Mädchen war jetzt erst einmal wichtiger. "Nein John. Aber ich weiß nicht, was ich mit Kahlyn jetzt machen soll. Das ist das zweite Mal, dass durch mich ihr Vertrauen zerstört ist", machte er sich zum Vorwurf und sah den Freund nachdenklich an. John wollte gerade antworten, als ein fürchterlicher Schrei, die Männer erschreckte. John rannte sofort nach vorn, zu seiner kleinen Freundin, die wälzte sich schreiend auf den Boden.

"Rudi, hol den Medi-Koffer. Verdammt Jens ist nicht da. Rufe Fritz an, frage, was ich ihr spritzen soll. Sie ist kochend heiß."

Rudi holte den Koffer. Conny stand da, wie zur Salzsäule erstarrt, konnte sich nicht mehr bewegen. Sah völlig von der Rolle auf seine junge Kollegin, die sich vor Schmerzen schreiend, auf den Boden wälzte.

"Rudi, geb mir das Etui, ich geb ihr das N91, hoffen wir, dass es hilft. Conny hilf mir, jemand muss die Kleine justieren", als dieser sich nicht rührte, brüllte ihn John an. "Conny bewege deinen Arsch ich brauche deine Hilfe."

Conny schreckte aus seiner Starre und lief zu John. Im gleichen Augenblick gingen die Männer, mit grober Gewalt, gegen Kahlyn vor. Nach zwanzig Minuten, hörte Kahlyn endlich auf zu schreien und schlief tief und ruhig. Vorsichtig hoben die Männer, das Mädchen auf das Sofa.

"Holt bitte jemand kaltes Wasser und Tücher, bringt alles nach hinten in den Schlafsaal", bat John die anderen und nahm seine kleine Freundin auf den Arm. Trug sie nach hinten in ihr Bett. Begann nach dem die Kollegen ihm Wasser und Tücher gebracht hatten, Umschläge zu machen. Rudi jedoch, zog sich mit den anderen, die genau wie er nicht mehr schlafen konnten, in den Bereitschaftsraum zurück. Wieder einmal hatte es Kahlyn geschafft, die Männer fertig zu machen. Vor allem aber Conny, der ja nichts über die Schmerzen Kahlyns wusste.

 "Rudi, was ist los mit der Kleinen. Ich habe noch nie einen Menschen, so schreien hören."

Traurig sah Rudi den neuen Kollegen an. "Conny, es ist unsere Schuld. Wir haben die Kleene völlig in die Ecke getrieben. Erst ich durch mein unmögliches Verhalten, dann du, weil du sie nicht in Ruhe gelassen hast. Die Kleene ist eh nicht auf den Posten. Was du gerade erlebt hast, war ein Anfall von Nervenfieber. Darunter leidet Kahlyn seit zwei Monaten. Seit der Trennung von ihren Freunden. Ich hatte so gehofft, dass sie es überwunden hat. Aber wir haben sie heute alle wieder, genau dort hinein getrieben. Weißt du, die Kleene, hat wahnsinnige Schmerzen durch das hohe Fieber, was sie immer bekommt. Mit dem Fieber, kommen aber auch die Alpträume…" Nicht ins Detail gehend, aber grob umrissen erzählte er Conny, was die letzten Wochen hier los war. Was sie mit Kahlyn, alles erlebt haben. Fast drei Stunden braucht er dazu. "… Das, was ich dir jetzt erzählt habe, ist nur ein Teil dessen, was die Kleene hier bekannt gegeben hat. Sie hat noch viel schlimmer Dinge erlebt. Sie hat mir ihr ganzes Leben gezeigt. Sachen, die du dir nicht mal vorstellen kannst. Verdammt noch mal", wütend auf sich, stand Rudi auf und lief zum Fenster, sah hinaus. "Ich hab alles kaputt gemacht. Habe alles zerstört, was wir in den letzten Wochen aufgebaut haben", gestand er traurig und sah Conny an.

 

Ich wurde munter von einem kühlen Lappen, der mir auf die Stirn gelegt wurde. Schaute in das liebe Gesicht von John. Ganz leise, fragte ich ihn. "Warum machst du das? Es kann dir doch egal sein, ob ich sterbe."

John sah mich an und zog mich in seine Arme. "Kahlyn, uns ist nicht egal ob du stirbst. Warum unterstellst du uns sowas?", er sah so traurig aus, als er das sagte.

"Du bist doch auch der Meinung, dass ich euch angegangen bin. Ich wollte euch helfen, aber ihr?", flüsterte ich und wandte mich aus seinen Armen. Wieder kam diese unsagbare Wut in mir hoch, wieder fingen diese schlimmen Kopfschmerzen an.

"Kahlyn, komm beruhige dich. Ich brauche deine Hilfe, Mäuschen, komm bleib hier. Ich wusste vorhin nicht, was ich machen soll. Jens ist nicht da. Deshalb habe ich dir das N91 gespritzt, weil du so geschrien hast. Ich hoffe nur, dass es richtig war. Ich wusste mir nicht anders zu helfen. Ich habe dir aber nur eine Einheit gespritzt."

Verwundert sah ich ihn an, flüsternd wollte ich wissen. "Wie ich habe geschrien?"

John zog mich zurück, in seine Arme. "Du hast vor drei Stunden, wie am Spieß angefangen zu schreien und warst kochend heiß", erklärte mir John.

Deshalb hatte ich solche Kopfschmerzen. Es war wieder ein Anfall gewesen. Hingen diese schlimmen Anfälle, also doch irgendwie mit der Antibiotika zusammen. Ich musste also wieder das N91 spritzen, damit das nicht wieder so schlimm wurde, ging es mir durch den Kopf.

"Kahlyn, hast du verstanden, was ich dir gesagt habe?"

Desorientiert sah ich zu ihm hoch, dann nickte ich. "Nein, nicht genau, aber ich denke es war richtig. Du solltest mir noch einige Einheit spritzen, mein Kopf tut immer noch weh. Ich habe immer noch hohes Fieber."

John griff nach drüben auf das andere Bett, auf den die Jungs den Medi-Koffer gestellt hatten. "Wie viele Einheiten, Kahlyn?", erkundigte er sich bei mir.

"Zwei Einheiten", flüsterte ich leise. John spritzte mir das Medikament, nach zehn Minuten ging es mir besser.

"Danke John", traurig sah ich zu ihm hoch, ich würde ihn bald nicht mehr sehen.

"Kahlyn, können wir noch einmal über alles reden. Rudi aber auch du…", krampfhaft versuchte er nach den richtigen Worten, um mich nicht gleich wieder aufzuregen.

"Was ist mit mir und Rudi?", flüstere ich, immer noch etwas benommen.

"Kahlyn, ihr seid beides Sturköpfe, die nicht gleich einsehen, wenn sie dem anderen Unrecht getan haben."

Ich wollte ihm widersprechen, traurig sah er mich an.

"Bitte, höre mir erst einmal zu. Kahlyn, du hast Recht mit dem, was du gesagt hast. Aber, weißt du, deine Geradlinigkeit sind die Jungs hier nicht gewohnt. Da kommt es schon mal vor, dass sie überreagieren. Weißt du, dass die Jungs vorn sitzen, aus Angst um dich und auch vor Sorge fast vergehen. Conny, der noch ganz neu ist, hat deinem Rudi die Meinung gesagt. Hat sich nicht einmal davon abhalten lassen, Rudi den Kopf zu waschen, obwohl er damit seine Stelle riskiert. Das obwohl du ihn, nach Strich und Faden vermöbelt hast."

"Ich hab ihn doch nu…"

Aber John ließ mich nicht ausreden. "Das weiß ich Mäuschen, er hat dich in die Ecke getrieben. Trotzdem hat er sich für dich stark gemacht, obwohl er dich nicht kennt. Haben die Jungs sich nicht noch eine Chance verdient", ernst sah er mich an, vor allem traurig. "Du kannst doch nicht einfach gehen. Nur weil drei Leute, einmal falsch reagiert haben. Das macht ein Zehntel der gesamten Truppe aus. Ohne die Wachtmeister. Willst du all die Leute dafür bestrafen, nur weil drei einmal etwas in den falschen Hals bekommen haben. Mäuschen, das kann doch nicht dein Ernst sein", bittend sah er mich an.

"Ihr wollte mich doch nicht mehr", stellte ich traurig fest. "Ich kann nicht mit ansehen, wie Rudi, Ronny und Arno, euch in den Tod schicken. Auch, ich werde nicht alle beschützen können. Auch ich kann mal falsche taktische Entscheidungen fällen. Aber ich lasse nicht zu, dass jemand aus Leichtsinn stirbt. Kannst du das nicht verstehen", müde schielte ich zu dem Mann hoch, den ich immer für meinen Freund gehalten hatte.

"Kahlyn, lass uns noch einmal in Ruhe über alles reden. Es muss ja nicht gleich sein. Aber überstürze nichts. Gehen, kannst du auch in einem Monat noch", flehentlich sah er mich an.

"Dann gleich", forderte ich.

Kopfschüttelnd sah mich John an, er kannte mich gut genug und wusste, dass ich einen einmal gefassten Entschluss, nicht mehr zurücknahm.

"Na dann komm."

Er half mir auf. Schwankend, hielt ich mich an John fest. Ich riss mich zusammen und lief mit Johns Hilfe nach vorn, in den Bereitschaftsraum. Kam in dem Moment an, als Rudi zu Conny sagte.

"Ich hab alles kaputt gemacht. Habe alles zerstört, was wir in den letzten Wochen auf gebaut haben."

Leise kaum hörbar bestätigte ich das Gesagte. "Ja, das hast du. Ich hab dir vertraut. Aber du unterstellst mir böse Absichten. Das ist gemein. Nie würde ich etwas tun, was euch schadet. Aber ihr müsst auch lernen, die Wahrheit zu ertragen. Was nutzt es Euch, wenn ich euch so weitermachen lasse. Dann sterben noch mehr Leute, auf die gleiche sinnlose Weise wie Jacob, Ferdinand und Charly. Wem würde das helfen?"

Schwankend hielt ich mich an John fest. Bei dem letzten Wort knickten mir die Beine weg. John, fing mich auf und zog mich auf den Stuhl, damit ich mich setzen konnte. Schwer atmend saß ich auf dem Stuhl. Kämpfe gegen meine Wut, gegen meine Kopfschmerzen und gegen die Schmerzen in meinem Körper. Auch, gegen das schon wieder steigende Fieber. Rudi, der mich entsetzt ansah und wusste wie beschissen es mir ging, bat den neben mir sitzenden Sep, ihn setzen zu lassen. Kaum hatte er sich gesetzt, drehte er mein fiebrig fleckiges Gesicht zu sich um.

"Kahlyn, sehe mich bitte mal an. Kleene, ich bin doch nicht perfekt. Auch ich mache Fehler. Conny, hat mich ziemlich zusammengestaucht und das mit Recht, auch Arno, auch die Jungs hier. Bitte Kahlyn, lass uns das bitte in Ruhe klären, wenn es dir wieder besser geht."

Ich schüttelte den Kopf. "Wir regeln das gleich", gab ich mühsam und schwer atmend zur Antwort.

"Kleene, du kannst dich doch kaum, auf den Beinen halten."

Lieb streichelte er mir das Gesicht. Hatte ich mich doch getäuscht? Hatte er nur überreagiert?

"Wir machen das gleich. Ich will wissen, ob sich es lohnt, gegen das Fieber zu kämpfen", gab ich ihm eine ehrliche Antwort.

Erschrocken sah mich Rudi an.

"Sehe mich nicht so an, Rudi. So macht das Leben keinen Spaß mehr. Ich habe immer für Gerechtigkeit gekämpft und mich immer stark für die gemacht, die sich nicht selber helfen können", versuchte ich ihm mühsam jedes Wort erkämpfend zu erklären. Krampfhaft kämpfte ich darum Luft zu bekommen. "Jetzt verlangst du von mir, dass ich zulasse, dass du meine Freunde in den Tod schickst. Nur, weil du die Wahrheit nicht ertragen kannst. Damit komme ich nicht klar, damit kann ich nicht leben", plötzlich fing ich an zu husten und spuckte Blut.

John sah mich erschrocken an. Sehnsüchtig sah ich auf das Sofa. Es strengte mich zu sehr an, das Sitzen.

"Mäuschen willst du dich hinlegen", mühsam gegen den Husten ankämpfend, nickte ich.

John hob mich hoch und trug mich zum Sofa. Legte mich vorsichtig hin. "Mäuschen, wieso spuckst du Blut. Verdammt, was soll ich machen?"

Ich konnte nicht mehr antworten, huste und spucke Blut, fing auch noch an zu brechen. Erschrocken sahen mich die Männer an. Auch aus meinen Augen, der Nase und den Ohren lief Blut. Krampfhaft versuchte ich mich zu beruhigen, es wollte mir nicht gelingen. Als mich John berührte, drehte ich mich weg, versuchte aufzustehen, ich schaffte es nicht.

"Weg … … Alleine", brachte ich zwischen dem Husten und Würgen heraus. Ich schaffte es nicht mehr, in eine geschützte Umgebung. Ich hoffte nur, dass sich die Jungs an das erinnerten, was ich ihnen in Augustow gesagt hatte.

Schnell ging ich ins Taiji, atmete mich in meinen Rhythmus, um den Anfall zu kontrollieren. John, der wie immer als erstes begriff, was mit mir los war. Scheuchte die Jungs von mir weg.

"Weg hier, Andi du läufst vor in die Wache. Keiner kommt hinter, bevor wir das erlauben. Ihr anderen hinter ins Besprechungszimmer, das Mäuschen bekommt einen Anfall."

Rudi starrte John an und rührte sich genauso wenig, wie Conny.

Der panisch auf mich starrte. Fran und die anderen zogen die Beiden mit sich mit. Ich begann mich schon zu verwandeln. Konnte es aber zum Glück, noch kontrollieren. Kontrolliert ließ ich die Wut abklingen. Froh, dass die Männer sich zurück gezogen und mich nicht weiter bedrängt hatten. Zwar standen sie im Gang und beobachteten mich, aber aus einem sicheren Abstand. Endlich war es vorbei, die Schmerzen ließen nach, ich verwandelte mich zurück. Rollt mich neben dem Sofa zusammen. Ich war froh nichts zerstört zu haben und froh wieder ich selbst zu sein. John kam auf mich zu und hob mich aufs Sofa. Legte eine Decke, über meinen zerschundenen Körper und wickelte Handtücher die ihn Fran reichte über meine Hände.

Müde sah ich zu ihm hoch. "Passt du auf mich auf."

John hockte sich vor das Sofa. "Soll ich dich halten Mäuschen?"

Kaum merklich nickte ich. John setzte sich auf das Sofa und zog mich in seine Arme. Fast sofort schlief ich tief und fest. Als er merkte, dass ich ruhig schlief, ließ er mich auf das Sofa gleiten und stand auf und ging ans Fenster, um sich zu beruhigen. Öffnete das Fenster, um frische kalte Luft abzubekommen. Auch die Jungs atmeten alle erleichtert auf. Nach einigen Minuten, wurde ich munter.

Rudi kam auf mich zu und hockte sich vor mich hin. "Kleene, komm lass Ruhe in die Sache kommen. Es tut mir leid, wirklich. Ich war ungerecht zu dir. Wir reden noch einmal, wenn es dir besser geht", traurig streichelte er mir mein Gesicht.

Wie ich das vermissen würde. Mein Entschluss stand fest. Mühsam erhob ich mich und lief nach hinten in die Dusche. Ich musste unbedingt das Blut abhusten, sonst würde es nicht besser werden, mit der Luft. Ich zog mich aus und schmiss die zerrissenen Sachen in den Papierkorb. Stellte mich unter das heiße Wasser. Mir tat die Wärme gut und meinen verkrampften Muskeln. Wieder fing ich an zu husten und spuckte das Blut einfach aus. Verdammt noch mal, warum war es nur wieder so schlimm. Genau checkte ich meinen Körper durch, der Enzymwert lag bei über sechsundsechzig Prozent und die Temperatur bei 58,1°C. Ich hatte allerdings kaum noch Antibiotika im Körper. Eigentlich, dürfte es gar nicht so schlimm sein. Ich verstand das nicht. So schlimm war der Stress doch nicht, klar es gab Ärger, aber so schlimm war der doch nicht. Vielleicht lag es an dem Ligand, dessen Wirkung nachließ. Daran könnte es liegen, dass die Symptome alle wieder kamen. Verdammt ich hatte Glück gehabt, dass ich niemanden verletzt hatte. Nur gut, das John mitdachte und die Jungs sich zurück zogen. Es hätte böse enden können. Fast eine halbe Stunde stand ich unter der Dusche, bis es mir etwas besser ging. Wieder einmal wandte ich die innere Heilung an, um mich von den Hämatomen zu befreien, die Fingernägel nachwachsen zu lassen. Traurig ging ich zu meinem Spind und holte mir neue Sachen zum Anziehen. Lief nach vorn, um mir die Hämlo-Salbe zu holen. Wortlos ging ich wieder nach hinten in den Schlafraum. Ich musste endlich zur Ruhe kommen. Das alles hier macht mich systematisch kaputt. John folgte mir, um mir den Rücken einzureiben.

"Komm ich helfe dir", bot er mir leise an.

Ich wollte keine Hilfe, nur Ruhe brauchte ich. "Ich reibe dir wirklich nur den Rücken ein und sage kein Wort", schlug er vor.

Also ließ ich mir helfen. "Danke", hauchte ich mehr, als das ich sprechen konnte. Kaum damit fertig, verließ John den Raum. Ich legte mich hin und musste endlich etwas Ruhe finden. Noch beim Einschlafen dachte ich daran, dass ich eigentlich den Oberst anrufen wollte. Erst musste ich schlafen. Ich durfte nicht zulassen, dass ich hier jemanden gefährdete. Schon tauchte ich in einen erholsamen Schlaf. Merkte nicht, dass John noch einmal in den Raum kam, um nach mir zu sehen. Auch nicht, dass er mich zudeckte. Vorsichtig an meiner Stirn fühlte und meinen Puls maß. Besorgt schaute er auf mich herunter. Verließ gleich wieder den Schlafsaal, aus Angst mich munter zu machen.

 

Vorn im Bereitschaftsraum beruhigten sich die Gemüter langsam wieder. Der erste schlimme Schock war überwunden. Langsam atmeten die Jungs durch.

Der einzige, der überhaupt nicht mit dem Erlebten klar kam, war Conny. Der saß schneeweiß im Gesicht und am ganzen Körper zitternd auf dem Sofa. Rudi versuchte sein jüngstes Teammitglied zu beruhigen. Es gelang ihm allerdings nicht richtig. John, der gerade wieder von Schlafsaal zurück kam, setzte sich zu dem beiden auf das Sofa.

"Rudi, das Mäuschen schläft jetzt tief und fest. Aber sie hat verdammt hohes Fieber. Ich denke es ist noch nicht vorbei. Ob es vielleicht gut wäre Fritz anzurufen und ihn zu bitten hierher zu kommen. Jens ist doch nicht da. Ich bin total überfordert mit der kleinen Maus. Ich habe keiner Ahnung wie ich ihr helfen könnte", völlig geschafft rieb sich John das Gesicht und sah Conny an.

"Conny, was ist los mit dir?", wollte er von dem neuen Kollegen wissen.

John dachte mit keiner Silbe daran, dass der neue Kollege die Ginos noch gar nicht kannte und gar nicht wusste, was es damit auf sich hatte. Völlig verstört, drehte Conny sein Gesicht John zu und sah diesen, mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen an.

"Was war das für ein Ding?", flüsterte Conny panisch, die Frage, die ihm am meisten beschäftigte.

"Conny, das war kein Ding. Das war Kahlyn in der Verwandlung. Ich habe dir das, vorhin schon versucht zu erklären. Die haben rumexperimentiert, mit den Genen. Die Kleine, hat das auszubaden. In dieser Gestalt, hat Kahlyn in Augustow gekämpft. Das haben dir die Jungs doch erzählt. Du musst schon zuhören", erklärte John, ziemlich gereizt, weil es ihn ankotzte, alles doppelt zu erklären.

Entsetzt sah Conny den Sanitäter an. "Wie kann man das Kindern antun?", urplötzlich fing Conny an zu weinen.

John zog seinen völlig durcheinander geratenen Kollegen, in seine Arme. Ihm tat es leid, dass er ihn gerade so angeknurrt hatte.

"Komm beruhige dich, Conny. Kahlyn, kann doch nichts dafür. Wir treiben sie ständig in die Ecke. Der kleinen Maus geht es physisch, wie psysisch überhaupt nicht gut. Sie gerät von einem Schock in den nächsten und kann sich nie richtig erholen. Sie kann keinen Stress mehr vertragen. Was heute hier gelaufen ist, war einfach zu viel für die Kleine. Aber sie ist eine ganz liebe Maus. Glaube mir, selbst als Gino, würde die dir nie etwas tun, solange du dich nicht wehrst", ernst sah John den immer noch am ganzem Körper zitternden Conny an.

"So hab ich das nicht gemeint. Weißt du John, ich hatte eigentlich einmal neun Schwestern zu Hause. Keynia, sah unsere Kahlyn so verdammt ähnlich."

Mit bebenden Händen griff er nach seinen Portemonnaies und versucht mit den zittrigen Händen ein Bild herauszuziehen. Weil es nicht gelang, wollte ihm John helfen.

"Sieh mal, das war Keynia, sie war damals dreizehn Jahre alt."

Erstaunt, sah John seinen neuen Kollegen an. Wenn die Augen anders wären und er es nicht besser wüsste, würde er sofort behaupten es wäre Kahlyn. Auch, wenn sie etwas dunklere Haut hatte.

"Du hast Recht, deine Schwester sieht aus wie Kahlyn", bestätigte er das Gesehene.

"John, sie sah aus wie Kahlyn. Ich hab mir gerade vorgestellt, dass das mit meiner Schwester passieren würde. Auch, wenn sie schon fast zehn Jahre tot ist, so etwas darf man doch niemanden antun", wieder rollten Tränen über sein Gesicht.

John begriff, wie schlimm das für Conny sein musste. Wenn er sich vorstellen würde, dass Ramira sich in einen Gino verwandelte. Instinktiv schüttelte er den Kopf, genau wie Rudi, der Conny auch Recht geben musste. Langsam beruhigte sich der junge Kollege und atmete wieder richtig durch.

"Tut mir leid, ich war nur so schockiert. Kahlyn tut mir so leid. Wir dürfen sie nicht weg lassen, sie gehört hierher. Zu uns, bitte lasst nicht zu, dass sie einfach geht", flehte er die beiden, ihm noch so fremden Menschen an. "Versteht ihr, weil sie Keynia so ähnlich sieht, habe ich sie sofort ins Herz geschlossen. Es ist wie eine Bestimmung. Keynia konnte ich damals nicht beschützen, aber ich will Kahlyn wenigstens beschützen, versteht ihr?", erneut kamen Tränen aus seinen Augen und die Erinnerungen, an diese schlimmer Zeit damals.

Die anderen sahen ihren neuen Kollegen verwundert an. Conny war bei den letzten Worten, richtig laut geworden. Jetzt lag er schluchzend, in Johns Arm und versuchte sich zu beruhigen. Der sich in den neuen Kollegen sehr wohl hineinversetzen kann.

"Conny, es ist noch nicht das letzte Wort gesprochen darüber. Kahlyn, ist schon mal weggelaufen, weil sie dachte wir wollen sie nicht mehr. Glaube mir, sie beruhigt sich wieder."

Müde rieb sich Conny die Augen und das Gesicht. Sep kam heran, um sich zu erkundigen, was eigentlich los war? Die anderen bekamen ja nicht mit, warum Conny so laut wurde.

John sah Conny an. "Conny, darf ich es den Jungs erklären?"

Als dieser nickte, nahm er ihm, das Bild aus der Hand. Dass der Kollege immer noch umklammerte, wie ein Ertrinkender ein Rettungsseil. John stand auf, um an den Tisch zu gehen.

"Seht mal, Conny hat uns eben erklärt, warum er so fertig ist. Das war Connys Schwester, die wäre jetzt 23 Jahre alt. Ist aber vor zehn Jahren gestorben. Könnt ihr euch vorstellen, wie fertig ihm die Vorstellung macht, seine Schwester würde sich in einen Gino verwandeln?"

Erschrocken sahen die Jungs, auf ein Foto von Kahlyn, oder besser gesagt, auf das Bild von Connys Schwester. Dachte man sich eine Brille darauf, war das ein Abbild von Kahlyn. Kopfschüttelnd, sahen sich die Männer an und konnten es kaum glauben. Für sie war es schon schrecklich mit anzusehen, wenn Kahlyn sich verwandelt. Sie können sich vorstellen, dass das für Conny noch schlimmer sein musste. Vor allem, weil seine Schwester tot war und er sie in Kahlyn wiederentdeckt hatte. Fassungslos, sahen alle John an.

"Wie können wir Conny helfen, John? Vor allem, wie bringen wir Kahlyn dazu zu bleiben. Ich will nicht, dass sie geht. Kannst du nicht noch einmal mit ihr reden? Auf dich hört sie doch immer, bitte John." Wolle sah John bittend an.

"Wolle, Kahlyn hört auf niemanden. Ich habe keine Ahnung, wie wir es schaffen sollen, sie zum Bleiben zu überreden. Sie hat einen Entschluss gefasst. Von dem, kann sie keiner abbringen. Ihr kennt die Kleine genau solange wie ich. Denkt mal daran, was sie damals gemacht hatte, als es ihr nach der Puppensache so schlecht ging. Sie von Tim erfahren hat. Glaubt ihr wirklich, dass sie auf mich hört?"

Conny, der mir Rudi an den Tisch gekommen war, sah John fragend an. "Was für Puppensachen? Wer ist Tim?", interessierte es ihn, weil er die Zusammenhänge nicht begriff.

Kurz gefasst erzählte John, dem neuen Kollegen, was Sache war. Immer entsetzter, sah dieser John an.

"Das ist jetzt nicht dein Ernst", war der einzige Satz, den Conny heraus bekam. Kopfschüttelnd hörte er zu.

Auch, als Rudi ihm vom Kaufhaus erzählte, wie Kahlyn sich ihrer Angst vor Puppen, mutig stellte. Konnte er nicht glauben, was er zu hören bekam.

"Bitte, umso mehr müssen wir doch Kahlyn beschützen. Wir dürfen sie nicht gehen lassen, jetzt erst recht nicht. Bitte. Ich weiß ich bin noch neu bei euch und habe kein Recht euch um etwas zu bitten. Lasst nicht zu, dass sie geht", beschwörend, sah er seine neuen Kollegen an. "Wisst ihr, warum ich Polizist geworden bin?", forschend sah Conny seine neuen Kollegen an, die natürlich den Kopf schüttelten.

Er setzte sich an den Tisch, stützte seinen Kopf auf die Arme und brauchte einige Minuten eher er seine Emotionen wieder in den Griff hatte. Er sprach nie über diese Zeit, weil es ihm nicht gut tat. Jetzt musste er darüber reden, damit seine Kollegen verstanden, weshalb Kahlyn für ihn so wichtig war. Conny holte tief Luft, um sich zu beruhigen und begann, leise zu erzählen.

"Vor reichlich zehn Jahren, ich war gerade in der 10.Klasse, ging ich mit meiner Schwester Keynia über den Alexander Platz. Wir wollten uns einen schönen Tag machen, etwas bummeln gehen. Da kamen fünf Typen auf uns zu. Keynia war noch dunkler in der Hautfarbe, als ich. Hatte lockiges langes schwarzes Haar, schwarze Knopfaugen, sie ging total nach unserem Papa. Diese Typen schlugen ohne Grund auf uns ein und nahmen uns einfach mit. Sie wollten mit uns spielen, ihren Spaß machen", die Erinnerungen an diese schlimme Zeit überrollten den neuen Kollegen einfach und er konnte gegen die Tränen nichts machen. Er war Minutenlang nicht in der Lage weitersprechen.

John nahm ihn in den Arm und versuchte ihn zu beruhigen. Nach einigen Minuten hatte er sich wieder beruhigt und er war so weit, dass er weitersprechen konnte.

"Dann vergewaltigten sie meine Schwester. Zum Schluss haben sie ihr das Gesicht zerschnitte. Zwei Kerle hielten mich fest und zwangen mich dabei zu zusehen. Ich konnte sie nicht beschützen, ich konnte sie wirklich nicht beschützen. Ich habe es ja versucht…", brachte er unter Tränen hervor, mühsam zwang er sich zum weitersprechen. "…dann hat ihr dieser eine Typ, eiskalt die Kehle durchgeschnitten und sie unter einen Busch geschmissen. Trat solange mit den Füßen nach ihr, bis man sie darunter nicht mehr sah." Conny schloss die Augen, um diese unsagbare Wut in den Griff zu bekommen, um sich wieder zu beruhigen. "An ihrem Grab, habe ich Rache geschworen. Später brachte mich jemand dazu, dass ich zur Polizei ging. Da ich so dafür sorgen konnte, dass diese Verbrecher hinter Gitter zu bekommen. Versteht ihr. Ich konnte sie damals nicht beschützen. Aber bei Kahlyn, werde ich diesen Fehler, nicht wiederholen. Auf diese Kleine, werde ich aufpassen. Selbst, wenn es bedeutet, dass ich ihr in diese Todesschwadron folgen muss. Was immer sie damit meint?"

Conny hatte sich wieder beruhigt. Die letzten Sätze, sprach er mit fester Stimme und sah seinen neuen Kollegen fest in die Augen.

John, aber auch Rudi, klopften den jungen Kollegen auf die Schulter. "Das kann ich verstehen", verstand Rudi, was dieser meinte.

"Conny, noch ist Kahlyn nicht weg", fügte John hinzu.

"Ich werde sie nicht so einfach gehen lassen, ich lasse das nicht zu", erklärte Conny noch einmal, mit fester Stimme. "Selbst, wenn dies bedeutet, dass sie mich noch einmal verprügelt."

 

Ich erwachte nach fast zwei Stunden, aus einem nicht sehr erholsamen Schlaf. Ich konnte nicht mehr schlafen und wollte es endlich hinter mich bringen. Es wurde nicht einfacher, wenn ich noch ewig hier blieb. Also stand ich auf und nahm die Creme und ging nach vorn, um sie in den Koffer zu stellen. Kam an den Tisch als Conny sagte, dass er mich nicht gehen lassen wollte.

"Wie willst du mich daran hintern, Conny? Ich habe gesagt, ich gehe, damit bringt mich niemand mehr davon ab", korrigierte ich den Irrtum des neuen Kollegen, der meinte, dass ich meine Meinung ändern würde, wie eine Wetterfahne ihre Richtung im Wind.

Ich drehte mich um und lief nach vorn in die Wachstube, um mir Hilfe beim Telefonieren zu holen. Da ich keine Telefonnummer vom Oberst kannte und gar nicht wusste, wie ich diesen erreichen konnte. Es war kurz vor Mittag und vorn am Tresen standen noch Bürger, die ein Anliegen hatten. Blass, mit Fieberflecken im Gesicht und auf dem kahlrasierten Kopf, kam ich dort an.

Wartete an der Tür, bis mich Ines entdeckte. Die Wachtmeisterin entschuldigte sich kurz, bei einer Bürgerin. "Frau Müller kleinen Moment bitte, ich bin sofort wieder für sie da."

Die schon etwas ältere Frau nörgelte herum, weil sie einen Moment warten musste. "Wissen sie eigentlich, junge Frau, wie lange ich schon warte?"

"Frau Müller, das weiß ich. Einen kleinen Moment, die Kollegin hier braucht meine Hilfe. Haben sie bitte Geduld oder kommen sie ein anderes Mal wieder", versuchte Ines ziemlich genervt, diese Frau zu beruhigen, die ständig wegen Lappalien auf die Wache kam. Etwas, dass Ines langsam nervte.

"Ines, mach ruhig die Frau erst fertig, ich warte so lange", erklärte ich müde Ines, die nickte mir dankbar zu.

"Dann bitte Frau Müller, aber etwas beeilen müssen wir uns aber."

Keine zwei Minuten dauerte das Gespräch, mit der sehr unfreundlichen Dame. Kaum war Ines fertig, kam sie auf mich zu.

 "Was ist Kahlyn? Du siehst nicht sehr gut aus, hast du wieder Fieber?", wandte sie sich an mich.

Obwohl diese Frau fertig war, blieb sie am Tresen stehen, um zu lauschen. Traurig musterte mich Ines an.

Ich gab Ines keine Antwort, sondern sah zu der Frau, die ich nicht mochte. "Mam, können wir ihnen noch helfen, Mam? Ich dachte sie sind fertig, Mam?", erkundigte ich mich bei der Frau direkt, nach ihren Anliegen. Erschrocken, dass ich sie so direkt ansprach, drehte sie sich um und verließ die Wachstube.

"Danke Kahlyn. Diese Frau Müller ist unmöglich, die kommt bestimmt dreimal die Woche, wegen irgendetwas anderen angerannt. Was wolltest du denn, Kleene?", interessierte sie jetzt mein Anliegen.

"Ines, kannst du mich mit dem Oberst verbinden. Gibt es eine Möglichkeit, dass ich bei euch irgendwo ungestört telefonieren kann?", stellte ich gleich zwei Fragen.

Ines half mir sofort. "Du kannst in Ollis Büro gehen, der ist unterwegs. Ich lege dir das Gespräch nach hinten. Kahlyn, willst du wirklich gehen? Bitte bleibe doch", musste Ines mir unbedingt sagen. "Kleene, ohne dich ist es hier nicht mehr schön bitte, verlasse uns nicht", bedrückt klangen ihre Worte und sie sah mich eigenartig an.

 "Bitte Ines, mir geht es nicht so gut, lass es wie es ist. Ich habe einen Entschluss gefasst, den setze ich auch um. Machst du mir nun eine Verbindung zum Oberst, sonst gehe ich einfach so zu ihm. Ich kann im Moment, keinen zusätzlichen Stress mehr gebrauchen, bitte Ines."

Da nickte Ines betrübt und zeigte mir, wo ich hingehen musste. Eilte zu ihrem Schreibtisch, um eine Verbindung zum Oberst herzustellen. Langsam lief ich nach hinten in Olivers Büro und setze mich auf seinen Stuhl. Einige Minuten später, klingelte der Anschluss, ich nahm ab und meldete mich fast vorschriftsmäßig. "Leut… nein Major Kahlyn, SEK 61 Gera, Wachstube."

Am anderen Ende der Leitung war der Oberst. "Kahlyn, schön dich zu hören, wo drückt denn der Schuh?", erkundigte sich der Oberst erfreut darüber, dass ich ihn einmal von mir aus anrief. "Wie geht es dir Kahlyn?"

Tief holte ich Luft und versuchte ruhig zu bleiben. "Sir, mir geht es nicht so gut, Sir. Bitte ich brauche ihre Hilfe. Kann ich erst einmal zu ihnen kommen. Ich kann nicht mehr in Gera bleiben. Ich habe es ja versucht, aber es geht nicht. Es ist nicht für lange, nur bis ich mit dem Generalmajor Hunsinger gesprochen habe. Dann sind sie mich los, Sir", bat ich den Oberst um Hilfe.

Erschrockenes Stöhnen, hörte ich am Ende der Leitung. "Was ist denn passiert, Kahlyn?"

"Sir, bitte, Sir. Ich möchte hier nur weg. Kann ich ihnen, das nicht in der Soko erklären. Mir geht es wirklich nicht besonders gut, Sir", versuchte ich ihm zu erklären, warum ich jetzt nicht reden konnte.

"Kahlyn, bitte höre jetzt einmal genau zu. Ich bin in einer Konferenz in Jena, die dauert bis gegen 16 Uhr. Ich bin mit dem Auto hier, kannst du nicht so lange noch, in Gera warten. So gegen 18 Uhr wäre ich dann bei dir, plus minus eine halbe Stunde. Auf die Minute kann ich dir das nicht sagen. Ich nehme dich mit, wenn es denn sein muss, versprochen."

Erleichtert atmete ich auf und war froh, dass der Oberst mir nicht einen langen Vortrag hielt, sondern mich holen kam. "Sir, danke, Sir. Ich warte so lange auf sie, Sir."

Der Oberst holte tief Luft. "Kahlyn, du läufst bitte nicht weg, ich hole dich, das verspreche ich dir. Du weißt ich halte immer meine Versprechen."

Instinktiv nickte ich und schluckte schwer. "Sir, ich weiß, ich laufe nicht weg, Sir. Ich halte meine Versprechen, auch immer, Sir", erklärte ich mit tränenerstickter Stimme.

"Kahlyn weinst du?"

Tief holte ich Luft und versuchte mich zu beruhigen. Die Pause war viel zu lange. "Sir, nein, Sir", log ich ihn an.

Es spielte keine Rolle, der Oberst kannte mich viel zu lange und hatte längst gemerkt, dass hier etwas mächtig schief lief.

"Kahlyn, willst du mir gleich erzählen, was los ist?"

"Sir, nein, Sir. Bitte, ich schaffe das jetzt wirklich nicht. Mir geht es nicht besonders gut, Sir", versuchte ich ihm zu erklären, warum ich jetzt nicht reden wollte.

"In Ordnung Kahlyn, ich beeile mich. Sei ein braves Mädchen und mache keine Dummheiten, verspreche mir das bitte", seine Stimme, klang sehr besorgt.

"Sir, nein, ich bin brav, Sir", bestätige ich ihm, mit leisen, aber in einem festen Ton.

"Dann bis später meine Kleine", er legte auf.

Erleichtert tat ich es ihm gleich und verließ Olivers Büro. Ging noch einmal auf Ines zu. "Danke Ines."

Schon verschwand ich nach hinten. Lief in den Bereitschaftsraum zurück und sah mich nach einem freien Platz um, wo ich warten konnte. Überall saßen die Jungs in Grüppchen verstreut zusammen, also ging ich nach hinten ins Büro von Rudi und holte mir einige Zettel und einen Stift. Lief hinter ins Besprechungszimmer, in der Hoffnung, dass man mich in Ruhe ließ. Es war jetzt kurz vor halb Eins, die Jungs würden gleich Essen. Ich hatte keinen Hunger, mochte einfach nichts mehr zu mir nehmen. Ich würde es sowieso nur ausbrechen. Eine halbe Stunde später klopfte es an. Da ich nicht auf das Klopfen reagierte, öffnete sich die Tür.

Fran steckte seinen Kopf in den Raum. "Siehst du, ich wusste doch, dass du hier bist. Kommst du vor essen?", bat er mich vorsichtig, ich schüttelte den Kopf. "Ach komm doch Täubchen, du kannst dich doch nicht hier hinten einschließen, für den Rest deines Lebens. Nur weil Rudi, Ronny und Arno, einmal etwas falsch gemacht haben."

"Fran bitte, lass mich in Ruhe. Mir geht es nicht besonders. Ich mag nichts essen. Das würde ich eh nur wieder ausbrechen. Außerdem bin ich nur noch bis 18 Uhr da. Dann braucht ich mich nicht mehr hier einschließen."

Erschrocken sieht mich Fran an. "Wieso das denn?"

Ich schüttelte den Kopf, ignorierte Fran einfach. Widmete mich stattdessen wieder meinen Zetteln. Fran verließ völlig geknickt Raum. Mir war es mittlerweilen egal, ich konnte einfach nicht mehr. Weiter zeichnete ich an dem Blatt, das ich noch für Max fertig stellen wollte. Eine Zeichnung von allen Teams, damit er seine Kollegen, immer in Erinnerung behielt. Nach einigen Minuten war ich damit fertig. Sofort nahm mir das nächste Blatt vor und schrieb darauf einige Vorschläge, wie die Teams, ihre gravierenden Leistungsunterschiede im Nahkampf und Schießen verbessern konnte, um annähernd gleichstark zu werden. Gab Ronny, Rudi, Detlef und Arno noch Tipps zu den Trainingsprogrammen. Schrieb, dann all das auf, was ich den drei Teamleitern eigentlich in Ruhe erklären wollte. Damit fertig stand ich auf und ging in Rudis Büro, sortierte die Unterlagen in einen leeren Ordner und legte die Zeichnung für Max auf den Tisch. Daneben einen Zettel mit der Bitte, ihm das Bild zu geben. Im Anschluss ging ich wieder ins Besprechungszimmer und stellte mich ans Fenster. Blickte nach draußen in den Park, in dem ich so oft mit Rudi gewesen war.

Schön war der Traum von einer Familie, zu schön für ein Mädchen wie mich. Dachte ich mir so. Nannte man das jetzt Selbstmitleid in das ich verfallen war. Ich hatte doch diesen Weg gewählt. Grübelnd, legte ich meinen heißen Kopf, an die kalte Scheibe des Fensters. Dann ging ich in die der Tür gegenüberliegende Ecke und setzte mich dort einfach auf den Boden. Ich musste unbedingt zu Ruhe kommen. Vor allem, musste ich das Fieber in einem ertragbaren Bereich halten, sonst bekam ich bald wieder einen Anfall. Mir war schon wieder schlecht und meine Kopfschmerzen brachten mich noch um meinen Verstand.

Ruhig versuchte ich zu atmen, fand allerdings keine Ruhe. Vergeblich versuchte ich, in den schnellen Schlaf zu kommen. Ich fühlte mich hier nicht mehr behütet, vor allem nicht mehr sicher.

Nach einer Stunde klopfte es wieder an der Tür, diesmal steckte John den Kopf in den Raum. "Kahlyn, wir wollen auf den Schießstand fahren. Kommst du mit?", bat er mich vorsichtig fragend.

"Wie lange dauert das?", stellte ich leise eine Gegenfrage.

John kam herein und hockte sich vor mich hin. "Ich denke, wir sind gegen 18 Uhr wieder hier", ohne ein Wort zu sagen, stand ich auf und ging zur Tür. "Heißt das, du kommst mit?", erkundigte sich John hoffnungsvoll.

Ich nickte, sagte aber kein Wort. Lief nach vorn in die Wachstube, diesmal unterbrach ich Ines einfach, die gerade einen Bürger bediente.

"Ines, wenn der Oberst kommen sollte, ich bin gegen 18 Uhr wieder hier. Ich fahre mit den Jungs auf den Schießstand."

Ines nickte.

Sofort drehte ich mich um und lief zurück zu den Jungs, die sich für das Schießen fertig machten. Ich sah alle an, da keiner eine Waffe einsteckte, ging ich auch meine nicht holen. Wartete an der Tür zum Hof, auf die Anderen. Als die los liefen, folgte ich ihnen zum Bus und setzte mich auf meinen Platz.

John setzte sich neben mich. "Kann ich mit dir reden, Mäuschen."

 

Demonstrativ, drehte ich mich von John weg und rollte mich auf meinen Platz zusammen. Ich tat so, als wenn ich schlafen würde. Ich konnte einfach nicht mehr mit John reden. Ich war völlig durcheinander, konnte einfach nicht klar denken. Nein, das stimmte so nicht wirklich. Ich konnte klar denken. Das erste Mal seit zwei Monate, dass ich klar denken konnte. Ich konnte nur nicht mit John reden. Es überforderte mich einfach. In meinem momentanen Zustand, war ich dazu nicht in der Lage, sachlich mit jemanden zu reden. Meine aufgewühlten Emotionen ließen das nicht zu. Dass ich mit zum Schießen mitfuhr, hatte nur den Grund, dass dadurch die Zeit schneller verging. Vielleicht konnte ich den einen oder anderen schlechten Schützen, noch ein paar Tipps geben oder sogar noch etwas beibringen.

Traurig sah ich aus dem Fenster und sah von weitem, das Kaufhaus in dem Inge arbeitet und Tina, die Mutter und die Frau, von Max. Den ich so vermissen würde. Den ich allerdings sehr gut verstand. Seine Entscheidung im SEK aufzuhören, war die Richtige. Seine Reflexe wurden langsamer. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er bei einem Einsatz schwer verletzt werden würde oder sogar starb. Es war gut so wie es war. Ich hoffte nur sehr, dass er dort, wo er jetzt hinging auch glücklich werden würde. Dass er nicht die gleichen Probleme bekam wie ich. Es war nicht einfach eine Dienststelle nach so vielen Jahren zu verlassen und völlig neu anzufangen. Es würde genau wie bei mir sein. Es waren alles neue Kollegen die auf ihn zukamen und in die er sich hinein denken musste. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, Max in Greiz zu besuchen und mit ihm und den dortigen Kollegen, das Jawefan zu machen. Damit er zu seinen Kollegen, ebenfalls die Verbindung bekam. Vielleicht konnte ich das von Hunsinger aus, noch machen. Das allerdings würde die Zeit ergeben.

Warum eigentlich, ging es mir durch den Kopf, tat es so verdammt weh zu gehen? Ich war mir aber sicher, den richtigen Entschluss gefasst zu haben. Seit dem Anruf beim Oberst, ging ich immer wieder, Schritt für Schritt diesen Entschluss durch. Überprüfte jeden einzelnen Punkt und jede Variante die ich hatte. Ich fand keinen Denkfehler. Allerdings verstand ich nicht, warum mir dann der Abschied, so schwer fiel. Es war fast so schlimm wie damals in der Schule, beim Abschied von meinen Freunden. Machte ich einen Fehler, wenn ich ging? Immer wieder, stellte ich mir diese Frage. Es zwang mich doch niemand zu gehen. Ein Wort zu Rudi und eine Aussprache mit den Kollegen und schon konnte ich auf meiner Wache bleiben. Warum also wollte ich weg? Immer wieder sagte ich mir, ich kann ihnen nicht mehr vertrauen. Stimmt das wirklich? War es nur eine Ausrede, um mir diese Entscheidung leichter zu machen? Konnte ich den Jungs hier wirklich nicht mehr vertrauen? Ich ging sie alle durch.

Fran, unser Koch, der immer um mein Wohl besorgt war und der mir jeden Wunsch von den Lippen ablas. Niemals mit mir diskutierte und nicht nur einmal die anderen in die Schranken wies. John, mein lieber guter John, wie oft hatte er sich wegen mir um den Schlaf gebracht. Immer hatte er eine Antwort, auf all meine Fragen. Immer nahm er sich die Zeit, mir alles ganz genau zu erklären. John hatte so viel Geduld mit mir und war immer für mich da. Ines, die liebe gute Ines, die mir immer Tipps geben wollte, wie ich ein schickes Mädchen werden würde. Die mich mitnehmen wollte ins Kino. Die extra eine Feier für mich organisierte und die ich so oft erschreckt hatte. Die mir erklärte wie eine Familie funktionierte. Tom, so oft brachte er mich zum Lachen und erklärte mir immer wieder, das Lachen gesund sei und die allerwichtigste Medizin. Als ich ihn fragte. "Warum?", erklärte er mir, weil Menschen die lachen einfach glücklicher sind und weniger Sorgen haben. Andi, der so oft zu mir kam und mir unbedingt das Tanzen beibringen wollte. Weil er eine Partnerin brauchte für den Turniertanz. Er war der Meinung, dass ich genau die Richtige dafür wäre. Nur mit mir würde es ihm Spaß machen, wieder mit dem Tanzen anzufangen. Ali, der mich immer wieder bat, ob ich ihm nicht das Zeichnen beibringen könnte. Da er nicht einmal imstande wäre, ein Strichmännchen zu zeichnen und dies unbedingt lernen wollte. Der oft stundenlang an einer einfachen Figur saß und unerbittlich übte. Mit einer unvorstellbaren Ausdauer übte und sich zwang, das Zeichnen zu erlernen. Oder Wolle, der mir das Stricken beibringen wollte, weil er der Meinung war, dass jeder stricken können musste. Da gestrickte Sachen einfach wärmer wären und viel besser aussehen würden, als gekaufte Pullover. Raphi, der schon oft mit mir gelaufen war und jede noch so kleine Chance nutzte, um sich alle erdenklichen Tricks, von mir abzusehen. Der immer wieder zu mir kam und sich bedankte. Dass ich ihm so geholfen hatte, in Himmelpfort. Dass er jetzt erst begann wirklich zu leben und der mir vor einigen Tagen im Vertrauen erzählte, dass er sich unsterblich in Ines verliebt hätte. Der mir aber auch gestand, dass er es nie für möglich gehalten hatte, dass er einmal eine Frau lieben könnte. Dass Ines ihn schon lange mochte und sie nie die Hoffnung aufgab, dass sie und ihr Raphi irgendwann ein Paar werden würden. Dass Ines nur wegen ihm, immer noch alleine wäre. Sie nie einen anderen Mann, als ihn angesehen würde, da sie sich in dem Moment in ihn verliebt hätte, als er ihre Wache betrat. Der mir beim Rückflug von Rostock in der Verbindung erzählte, dass Ines und er sich bald verloben wollten. Simon, der Koch des Delta-Teams, der immer versuchte mich im Nahkampf zu besiegen. Der mit einer Sturheit und Verbissenheit versuchte eine Schwachstelle bei mir zu finden. Der sich immer wieder fluchend aufrappelte, wenn er am Boden lag, um wieder gegen mich anzutreten. Egal wie viele blaue Flecke er bekam. Kurt, der immer wieder von seiner Frau und seiner Tochter sprach. Mir erklärte, wie begeistert die beiden von mir waren. Dass seine neun Jahre alte Tochter, in der Schule einen schlimmen Streit mit ihrer Lehrerin hatte. Als sie einen Vortrag im Heimatkundeunterricht halten musste, über Vorbilder mich nannte. Dass sie ihre Lehrerin anschrie, als die ihre Meinung kund tat. "Solche Menschen, wären Fantasie. Es gäbe keine solchen Menschen. Alle Menschen wären mehr oder weniger Egoisten. Alle würden nur an sich denken. Das läge in der menschlichen Natur. Außerdem würde Kahlyn lügen. Es gäbe keine sechzehnjährigen Polizisten." Dass dessen Tochter sich am nächsten Tag weigerte in die Schule zu gehen, weil sie die Lehrerin hasste, die so schlecht über ihr Vorbild sprach. René und Detlef, die mir beibrachten Volleyball zu spielen und versuchten mich an den Handeln, im Fitnessraum zu schlagen. Arno, der immer wieder zu mir kam, um Tipps von mir zu bekommen, welche Taktik man, wann einsetzen könnte und warum man gerade diese verwendete und keine andere. Acar, der Scharfschütze aus Ronnys Team, der von mir alles über Medizin wissen wollte. Er hatte den Wunsch geäußert Sanitäter zu werden, um mir bei den Einsätzen zur Hand gehen zu können. Oder Passy, der mir Schachspielen beibrachte. Ein Spiel, bei dem ich so wunderbar abschalten konnte. Ronny, der mir von seiner Zeit nach dem Koma berichtete und so viel von der Panik verstand, die ich hier fühlte. Der mir immer wieder sagte, es würde mit der Zeit besser werden. Rudi, der mich so enttäuscht hatte. Der mich so verletzte. Der mir so weh tat. Der das Fass, zum überlaufen brachte. Der aber mehr als einmal sein Leben riskierte, um mir zu beweisen, dass er mich innig liebte. Nicht als Frau, sondern als Tochter. Der mich adoptieren wollte. Der sich gegen seinen besten Freund stellen würde, um mich zu verteidigen. Über jeden in den Teams konnte ich nur positives sagen. Sogar dieser eigenartige Conny, dem Ersatz von Max, dem lustigen Erklärbär. Der mit allen Mitteln versucht hatte, mich zum hierbleiben zu bewegen. Ich war mir nicht mehr ganz sicher, ob ich einen objektive Entscheidung traf oder mich von der Wut hatte leiden lassen. Das erste Mal in meinem Leben zweifelte ich an der Richtigkeit meiner Entscheidung.

Eins war mir in den letzten Tagen allerdings bewusst geworden. Dass ich so nicht weiter leben konnte. Ich ging hier auf der Wache kaputt. Ich konnte nicht mehr allen, alles recht machen. Es zerstörte mich. Es brachte mich an die Grenze des Ertragbaren. In der Schule, handelte ich genauso, immer nach Vorschrift. Das war wahr, aber ich war immer ich selbst. Nie hatte ich mich in den letzten sechszehn Jahren verstellen müssen. Ich war stets gehorsam, aber ich blieb mir selber treu. Es war gar nicht möglich mich zu verstellen. Meine Kameraden waren ein Teil von mir. Sie fühlten, hörten und sahen alles was ich tat. Es wäre mir nicht möglich gewesen mich zu verstellen.

Seit dem 1. September war alles anders. Ich handelte genau wie in der Schule, nach Vorschrift. So wie man es all die Jahre von uns verlangt hatte. Sonst allerdings, meinen Kollegen und Freunden gegenüber, durfte ich nicht, ich selber sein. Keine Ahnung, wie ich in diesen Zwang hinein geraden war. Ich wusste es nicht. Ich hatte auch keine Erfahrungen in dieser Art Zusammenlebens. Aber man zwang mich ständig, ein kleines Mädchen zu sein. Ein kleines Mädchen, das von den Kollegen beschützen werden konnten. Dass war ich aber nicht. Ich konnte mich selber beschützen. Dies hatte ich sechzehn Jahre lang getan.

Man hatte mich systematisch entmündigt. Ständig sagte man mir, was für mich gut und was für mich nicht gut wäre. Dabei wussten die Kollegen überhaupt nicht, was gut für mich war. Mir war bewusst, dass sie dies nur taten, um mir Gutes zu tun, um mich zu beschützen. Es tat mir aber nicht gut. Es ging so nicht weiter. Es zerstörte mich. Es drückte mich immer mehr in die Ecke und immer mehr aus der Bahn, wenn ich nicht, ich selber sein durfte. Wenn ich nicht das sein durfte, was ich wirklich war. Eine Kämpferin, die genau wusste, was sie wollte und was sie nicht wollte. Die zwar diese Welt nicht verstand. Die allerdings mit der Zeit lernen würde, diese für sie neue Welt zu verstehen. Die um nicht kaputt zu gehen, sie selbst sein musste und sich selber verwirklichen musste.

Gestern bei der Aussprache, hatte ich einmal versucht ich selber zu sein. Weil Pille mich in Rostock fragte, was mit mir los wäre. Wieso ich so völlig anders geworden war, als die Kahlyn, die er immer kannte. Er forderte mich dazu auf, wieder zu mir selbst zu finden und sagte mir mehr als einmal. "Kahlyn, höre mit diesem Mist auf. Sei so wie du bist, sonst machst du dich kaputt." Einmal war ich so, wie ich wirklich war und schon lief alles aus dem Ruder.

Wenn ich wieder so sein wolle, wie ich wirklich war, musste ich irgendwo neu anfangen. Zu dieser Meinung war ich gekommen und egal, wie ich es drehte. Egal, welche Möglichkeiten ich durchspielte. Ich kam immer wieder zu diesem einen Punkt. Ich musste wieder zu mir selber finden. Ich musste wieder ich selber sein, um weiterleben zu können. Hier konnte ich das nicht mehr tun. Die Kollegen würden niemals, die wirkliche Kahlyn akzeptieren. Es spielte dabei keine Rolle, wie lieb und nett sie zu mir waren. Ich weiß auch genau, dass ihr Verhalten nicht böse von ihnen gemeint war. Sie wollten ihr kleines Mädchen, ihr Häschen, ihr Mäuschen oder ihre Prinzessin oder den Floh beschützen. Die kleine niedliche Kahlyn, die zu allem schwieg. Diese Kahlyn war ich aber nicht. Sie würden die Verwandlung nicht akzeptieren. Ich hatte nie geschwiegen in meinen Leben, hatte immer meine ehrliche und direkte Meinung gesagt. Hatte mich von keiner Strafe des Oberstleutnants einschüchtern lassen. Man verlangte von mir, als ich hierher versetzt wurde, mich vorschriftsgemäß zu verhalten. Das tat ich auch, aus Angst davor, dass der Oberstleutnant meine neuen Kollegen bestrafen würde. Schnell hatte ich verstanden, dass meine neuen Kollegen die Strafen von Mayer nicht überlebt hätten. Aber ich kam nicht mehr aus der Rolle heraus, welche mir dadurch aufgezwungen wurde. Das drängte mich immer mehr in die Ecke und zerstörte mich systematisch. Das begann ich in Augustow schon zu verstehen. Die Worte von Pille in Rostock bestätigten es mir noch einmal.

Es war also egal, wie weh es tat. Es war die richtige Entscheidung. Die einzige Alternative die ich hatte war, für immer schlafen gehen, nur dann konnte ich hier bleiben. Ich gab mir unter diesen Umständen, keinen Monat mehr. Dann läge ich unter meinem Baum und fände endlich die Ruhe, nach der ich mich so sehnte.

Traurig legte ich meinen fiebrigen Kopf, gegen das kalte Fenster des Busses. Versuchte mich etwas zu beruhigen. Die Traurigkeit die John ausstrahlte, tat mir körperlich weh. Auch die Anderen im Bus, waren ruhig. Es war Ruhe im Bus, die richtig schmerzhaft war. Keiner lachte. Sonst war es immer richtig laut hier drinnen. So dass Fran und Rudi nicht nur einmal für Ruhe sorgen musste. Heute war es nur ruhig, man hätte hören können, wenn eine Stecknadel fiel.

Endlich kamen wir am Schießstand an. Erleichtert verließen alle den Bus. Rudi meldete uns beim Schießstandwart an. Teilte diesem sofort mit, dass ich meine Brille aufbehalten musste. Schon gingen wir hinein. Bekamen unsere Munition und die Waffen ausgehändigt. Sofort ging ich an meinen Schießstand und erledigte dort meine Pflicht.

Wandte mich im Anschluss nach nebenan, zum Schießstand von John. Der beachtete allerdings alles, was ich ihm beigebracht hatte. Er schoss im richtigen Rhythmus und noch dazu richtig gut.

Also lief ich weiter zu Wolle, der auch unzureichende Schießleistungen hatte. "Wolle, darf ich dir zeigen, was du falsch machst?", bat ich ihn vorsichtig.

"Gern Kahlyn", bestätigte dieser sofort. Ich korrigierte die Haltung der Waffe, in dem ich ihn bat die Hände zu tauschen. Wolle war Linkshänder, hielt seine Waffe wie ein Rechtshänder. Das konnte nicht funktionieren.

Es war oft schwer, einem Linkshänder das Schießen beizubringen. Die meisten Menschen schossen ja Rechts. Ein Linkshänder dagegen, wurde von der anderen Gehirnhälfte gesteuert, so dass er alles Spiegelverkehrt machen musste. Da ich aber rechts, wie links genauso gut schoss, konnte ich das verhältnismäßig gut erklären. Ich war weder ein ausgesprochener Rechtshänder, noch ein Linkshänder. Konnte mit beiden Händen alles gleich gut machen oder gleich schlecht. Wolle nahm die Waffe jetzt mit Links stützet mit rechts. Ich brauchte nur winzige Korrekturen vornehmen, schon stand er um viel besser.

"Atme gleichmäßig Wolle, wie beim Taiji. Immer, wenn du eingeatmet hast, machst du eine kleine Pause, in dieser Pause schießt du. Dann atmest du aus, machst eine kleine Pause, in der du schießt, dann atmest du wieder ein."

Wolle versuchte dies zu machen, fünfmal klappt es, das sechste Mal kam er aus dem Rhythmus. Aber er hatte begriffen, wie ich das meinte. Selbständig übte er es noch einige Male. Ich gehe weiter zu Ali, der auch Probleme beim Schießen hatte. Nicht so schlimm, wie die anderen. Auch bei ihm nahm ich einige Korrekturen in der Haltung vor, nachdem ich ihn gefragt hatte, ob ich ihm helfen dürfte. Ging weiter zu Conny, der ja noch neu im Team war. Dieser schoss exzellent. Er war noch besser noch als Fran und Sepp. Beiden gab ich einige kleine Tipps, die sie dankbar annahmen. Dann ging unser Team weiter, an den Scharfschützenstand.

"Rudi, ich würde gern hier bleiben. Im Delta-Team, sind die Probleme noch schlimmer beim Schießen. Sobald ich hier fertig bin, komme ich nach", informierte ich ihn im ruhigen, leisen Ton.

Rudi musterte mich. "Ist in Ordnung, Kleene. Mach, was du für richtig hältst." Rudi drehte er sich um und lief den anderen hinterher.

Arno kam mit dem Delta Team, in den Schießstand. "Arno, wenn es dir Recht ist, gebe ich deinen Jungs noch ein paar Tipps, wie sie besser werden im Schießen."

Arno sah mich traurig an. "Kahlyn, das kannst du machen. Bitte, wenn du dann einen kleinen Moment hast, ich würde gern noch einmal mit dir reden. Bitte."

Ich schüttelte den Kopf. "Bitte Arno, mir geht es nicht besonders, lass es so, wie es ist."

Arno verstand nur zu gut, dass ich die Wahrheit sagte. Ging an seinen Schießstand. Als erstes fragte ich Mario, ob ich ihn etwas zeigen dürfte. Er war der schlechteste Schütze, den ich je erlebt hatte. Schnell sah ich sein Problem. Er war wie Wolle Linkshänder und hielt die Waffe völlig falsch und stand total verkehrt. Nachdem ich ihn erklärt hatte, was er falsch machte. Bestätigte mir das, was mir schon viele Linkshänder erklärten.

"Es hat mir keine gesagt, dass ich es falsch mache", zuckte mit den Schultern.

Also zeigte ich ihm von Grund auf neu, wie er die Waffe richtig halten und wie er sich stellen musste. Es dauert keine zehn Minuten, da hatte er den Bogen raus. Erkläre ihm noch den richtigen Rhythmus beim Schießen. Die erste Scheibe war für ihn ein Erfolgserlebnis. Von acht Schuss trifft er sechsmal die 10 und zweimal die 9. Ein Jubelschrei, ließ alle vom Deltateam inne halten.

"Kahlyn, das gibt es doch nicht", schrie er laut in die Halle, so dass die Anderen zusammen zuckten.

"Wenn man weiß wie, ist alles leicht. Merke es dir einfach. Wenn du wieder einmal Probleme hast dir etwas zeigen zu lassen, von Rechtshändern. Dann nehme einen Spiegel. Sehe dir nicht den Menschen sondern das Spiegelbild an. Dann machst du es richtig", verstehend nickte Mario.

"Danke", wollte mich zu sich heranziehen. Ich wich ihm aus und drehte mich weg. Verwundert sah er mich an.

"Lass gut sein Mario. Es ist der falsche Zeitpunkt, für so etwas."

Damit wandte ich mich, an das nächste Sorgenkind des Delta-Teams. Simon, den Koch. Der genau so ein schlechter Schütze war, wie Marion und John. Schnell hatte ich ihn so weit, dass er die Scheibe wenigstens traf. Wenn zweimal die innere 10, fünfmal die äußere 10 und eine 9 als mies ansehen würde. War er ein schlechter Schütze.

Kopfschüttelnd sah er mich an. "Wieso treffe ich auf einmal die Scheibe."

"Simon, du bist sehr groß, da muss man einfach anders stehen. Als die Zwerge da hinten. Ist ja auch egal. Hauptsache du merkst es dir", erklärte ich ihm müde. Ging auf Arno zu. "Arno, ich gehe in den Bus, mir geht es nicht so gut. Sagst du Rudi, bitte wo ich bin", traurig sah mich Arno an, nickte aber.

Ich drehte mich um und verließ den Schießstand. Ich hatte vor mich in den Bus zu setzen. Erst ging ich hinter den Bus, erbrach mich minutenlang. Dieses verdammte Fieber, es machte mich völlig kaputt. Tief holte ich Luft und genoss die Kälte. Ich wollte in den Bus einsteigen, der war allerdings abgeschlossen. Deshalb setzte ich mich einfach, mit den Rücken an das Vorderrad gelehnt, auf den Boden. Zog die Beine an den Körper und legte meinen schmerzenden Kopf, auf die Knie. Umschlang meinen Beine mit den Armen. Versuchte diese verdammten Kopfschmerzen, in den Griff zu bekommen. Vor allem aber das Fieber. Es war gut, dass es heute kalt war. Der kalte Wind kühlte meine brennende Haut. Langsam wurde mir etwas besser. Ich nahm die Arme auf die Knie und legte mein Kinn darauf. Vertiefte mich ganz in die Beobachtung zwei Spatzen. Die sich unweite von mir, um ein Stück Brot stritten. Innerlich lachend, sah ich den beiden Streithähnen zu. Immer wieder, nahmen sie sich das Brot gegenseitig weg. Eine Weile hörte ich ihnen zu. Dann fing ich an zu zwitschern, so zu schimpfen, wie die Spatzen das oft machten. Einen Augenblick hörten die beiden auf und sahen mich an. Ließen das Brot liegen. Ich stand auf und lief auf das Brot zu, um es in zwei Teile zu brechen. Setzte mich wieder an das Rad. Ich war so auf die Vögel konzentriert, dass ich nicht mitbekam, dass mich jemand beobachtete.

Kopfschüttelnd stand Conny, den Rudi nach mir geschickt hatte, an der Tür zum Schießstand und sah mir zu. Er ließ mich allerdings lieber in Ruhe. Zu sehr erinnerte ihn, seine Schmerzen daran und was ich mit ihm heute früh abgezogen hatte.

Kaum, dass ich wieder saß, zwitscherte ich. Die Spatzen lugten vorsichtig unter dem Busch hervor, in dem sie sich versteckt hatten. Dann kamen sie hervor, jeder nahm sich eine Hälfte, schon waren sie verschwunden. Na geht doch, dachte ich so bei mir. Sah hinauf in den Himmel. Versuchte die beiden Streithähne zu entdecken, aber sie waren weg. Ein Vogel müsste man sein, ging es mir durch den Kopf. Wie oft hatte ich diesen Gedanken schon gedacht? Ich lehnte mich zurück und legte meinen Kopf in den Nacken. Müde begann Ich damit unseren Traum zu träumen. So merkte ich nicht, wie die Zeit verging. Über eine Stunde, saß ich am Bus und wartete auf die anderen.

Ich wurde erst zurück geholt, als mich John, ansprach. "Kahlyn, wir wollen zurückfahren."

 

Müde und wortlos stand ich auf und stieg in den Bus. Setzte mich auf meinen Platz, zog meine Füße auf den Sitz und träumte einfach weiter meinen Traum. Dieses wunderschöne Gefühl der Freiheit überkam mich. Diese Leichtigkeit die ein Vogel spürte und die Strahlen der Sonne wärmten mich. Ich hatte völlig abgeschaltet, es half mir herunterzufahren. Selten gelang mir das. So konnte ich für eine kurze Weile den Stress zu vergessen. Ein wenig ließen meine Kopfschmerzen nach. Die Fahrt, war für meinen Geschmack viel zu schnell zu Ende. Wir waren schon an der Wache. Ohne auf die Anderen zu warten, stieg ich aus und lief hoch zu meinen Sachen. Der Oberst saß schon am Tisch. Sofort ging ich auf ihm zu.

"Sir, guten Abend, Sir. Entschuldigen sie, dass sie warten mussten. Wir können fahren, Sir."

"Guten Abend, Kahlyn. Ich dachte schon, du bist mir ausgerissen." 

"Sir, ich habe doch extra, in der Wachstu…"

Der Oberst unterbrach mich. "Kahlyn, keine Angst, die haben mir gesagt, dass du beim Schießen bist. Ich bin erst seit drei Minuten hier."

Erleichtert atmete ich auf. Ich wusste wie eng der Zeitplan, vom Oberst oft war. "Sir, ich bin hier fertig. Ich hatte alles schon gepackt. Wir können fahren, Sir", erklärte ich offen meinem Oberst, dass ich hier nur noch weg wollte.

Der Oberst war noch nicht bereit, zu fahren. "Können wir uns erst irgendwo unterhalten, Kahlyn?"

Genervt zeigte ich nach hinten, in Richtung Besprechungszimmer. "Sir, aber ich möchte mich darüber nicht mehr unterhalten. Ich habe einen Entschluss gefasst, Sir."

Der Oberst schüttelte den Kopf. "Komm", bat er in einem keinen Widerspruch zulassenden Ton.

Genervt folgte ich ihn.

"Wohin Kahlyn? Geh bitte mal vor." 

Ich lief ins Besprechungszimmer.

Dort angekommen, zeigte der Oberst auf einen Stuhl. "Setze dich und erzähl."

Bitter schluckte ich daran. Warum hatte ich ihm vertraut? Ich dachte er akzeptiert meine Entscheidung, einfach einmal so. Traurig setzte ich mich auf den Stuhl, nicht bereit zu reden. Der Oberst setzte sich mir gegenüber und wartete darauf, dass ich begann. Ich schwieg fast eine dreiviertel Stunde den Oberst an.

Enttäuscht sah er mich an. "Kahlyn, warum hast du mich angerufen, wenn du nicht mit mir reden willst? Kannst du mir das bitte einmal erklären. Du hast zwei Möglichkeiten, entweder redest du jetzt mit mir oder ich fahre wieder. Ich verstehe, wenn ich ehrlich bin, nicht, was das soll."

Müde sah ich ihn an. "Sir, ich rede in der Soko mit ihnen. Aber nicht hier, weil ich nicht mehr hier bleiben werde. Lieber gehe ich schlafen. So kann ich nicht mehr weiterleben, Sir", versuchte ich ihm mit einem Satz zu erklären, was los ist und wie die Alternativen dazu aussahen.

Der Oberst beugte sich zu mir herüber und hob mein Kinn nach oben. "Komm mal zu mir, bitte, mein Mädchen. Komm mal auf meinen Schoss, bitte."

Ich stand auf und setzte mich auf seine Beine.

"Kahlyn, höre mir bitte einmal zu. Ich verspreche dir, dass ich dich mit in die Soko nehme, wenn ich mir sicher bin, dass du das wirklich willst. Aber bitte verstehe mich auch. Im Moment, bin ich mir einfach nicht sicher, dass du das wirklich willst. Schau mal mein kleines Mädchen. Ich möchte, dass es dir gut geht. Ich weiß, dass du John und Rudi liebst. Seit dem du hier bist, bist du richtig aufgeblüht. Aber alles, was hier ist, das weiß ich meine Kleine, ist dir völlig fremd. Deshalb verstehe ich auch, wieso du solche für dich völlig untypischen Entscheidungen triffst. Wie das Ausreisen in die Schule, vor ein paar Wochen. Wie dieser Fluchtversuch, den du jetzt schon wieder unternehmen willst."

Traurig sah er mich an. Er konnte sich vorstellen, wie schlimm meine Welt durcheinander gerüttelt wurde. Er wusste allerdings auch, dass es mir nicht half, wenn er mich einfach mitnahm.

"Sir, was soll ich denn machen, Sir? Ich komme hier einfach nicht klar. Sie haben mir gesagt, dass ich jeder Zeit zu ihnen kommen kann. Ich habe es versucht, wirklich, Sir", weinend sah ich ihn an.

"Kahlyn, ich weiß doch, dass es nicht einfach für dich ist im Moment. Weglaufen hilft dir doch nicht. Was ist, wenn du bei Franz bist, ein neues Team aufbauen willst. Denkst du vielleicht, dass es da nicht auch Schwierigkeiten geben wird, willst du dann wieder weg laufen?"

Ich schüttelte den Kopf. "Sir, ich laufe doch nicht weg, Sir", widersprach ich müde.

"Doch meine Mädchen. Genau, das machst du gerade. Kahlyn, ich bin doch immer ehrlich zu dir gewesen oder?", wollte er von mir wissen.

"Sir, ja, Sir", bestätigte ich, gegen die Krämpfe in meinem Körper ankämpfend, ich stand auf und drehte mich aus den Armen des Obersts, der mich festhalten wollte.

"Nicht", bat ich nur. Ich musste mich bewegen, um gegen die Krämpfe ankämpfen zu können.

"So schlimm Kahlyn", verständnislos sah er mich an. "Kahlyn, du bist doch so ein starkes Mädchen. Was ist geschehen, was haben dir diese Männer hier getan, dass du sie einfach im Stich lässt. Kahlyn, die Jungs hier brauchen dich. Ich habe diese Team, nicht für umsonst für dich ausgesucht. Die Jungs sind spitze. Sie brauchen allerdings einen erfahrenen Taktiker. Da haben sie keinen, einen besseren wie dich, können sie aber nicht bekommen", ernst sah mich der Oberst an.

"Aber sie hören mir nicht zu, wenn ich ihnen erklären will, was sie falsch machen, dann gehen sie mich an. Sie unterstellen mir böse Absichten, ohne mir Zeit zu geben, mich erst einmal zu erklären", voller Wut fauchte ich ihm die Worte regelrecht entgegen.

Alle Anstandsregeln fallen lassend, brachen die Worte aus mir heraus, dass der Oberst vor mir zurück zuckte. So wütend, hatte er mich lange nicht erlebt.

"Ich kann doch nicht mit angucken, Oberst, wie Rudi, Ronny und Arno ihr Leute weiterhin in denselben Tod schicken. Immer wieder auf die gleiche bekloppte Art und Weise. In diesem Jahr, sind schon drei Leute, durch den gleichen Fehler gestorben. Oberst, das kann ich nicht verantworten. Ich habe aber keine Kraft mehr, gegen die Drei zu kämpfen. Bei jedem Einsatz muss ich darum kämpfen, dass man mir vertraut. Ich kann einfach nicht mehr. Oberst ich habe schlimme Schmerzen. Darf ich mich bitte hinlegen. Nur ein paar Minuten. Mir geht es nicht gut", mit jedem Wort wurde ich leiser. Ich lief ans Fenster und drückte meine heiße Stirn, an die kalte Scheibe, um wenigstens etwas Linderung zu haben. Der Oberst stand auf und kam auf mich zu. Erschrocken sah er in mein fleckiges Gesicht. Etwas, das nur bei sehr hohen Fieber passierte.

"Kahlyn, wie hoch ist dein Fieber, soll ich dir was spritzen?"

"Oberst, es hilft nichts, gegen diese Art Fieber. Keiner kann mir helfen, außer ich mir selbst. Bitte, ich möchte nur ein paar Minuten schlafen. Mir geht es wirklich nicht gut", flehte ich ihn an.

Der Oberst gab nach. Er wusste, wenn ich laut aussprach, dass ich etwas Ruhe brauchte, dann ging es mir noch beschissener, als man es mir ansah.

"Leg dich hin. Kahlyn, lass dir Zeit. Wir können auch morgen fahren. Die Jungs in der Soko wissen, wo sie mich erreichen können. Schlaf ein oder zwei, von mir auch zehn Stunden. So nutzt du niemanden etwas."

"Sir, Danke, Sir", sofort lief ich aus dem Raum, um in den Schlafsaal zu kommen.

Ich schob das Bett von der Wand weg und legte mich auf dem Boden in der entstanden Ecke. So fühlte ich mich etwas sicherer und vor allem geschützter. Ich lag da, wie die erste Nacht hier in der Wache, halb vom Bett verdeckt, halb sitzend in die Ecke gerollt. Nur so konnte ich im Moment, etwas Ruhe finden. Versuchte meinen Traum wieder zu finden, um herunterfahren zu können. Ich schaffte es nicht. Fiel stattdessen in einen wenig erholsamen Schlaf. Kam etwas zur Ruhe, wenn auch nicht viel.

 

Der Oberst ging nach vorn zu den Männern des SEK 61, kopfschüttelnd setzte er sich an den Tisch.

"Kann ich bitte einen Kaffee bekommen?", war das erste, was er nach zehn Minuten von sich gab. Dankend nahm er die Tasse, die ihn Fran reicht.

"Wo ist mein Täubchen?", wollte Fran vom Oberst wissen.

"Die hat sich hingelegt, ihr geht es nicht so gut", gab er Fran sehr einsilbig zur Antwort.

Fleischer war in Gedanken zu sehr mit dem beschäftigt, was Kahlyn in gerade erzählt hatte. Er wusste nur zu gut aus eigener Erfahrung, wie heftig er selber auf Kahlyns Vorwürfe reagiert hatte. Wie soll er den Männern hier erklären, dass Kahlyn es nicht böse meinte. Er selber hatte fast drei Jahre gebraucht, bis er das verstand hatte. Bis er begriff, dass Kahlyn ihm niemals Vorwürfe machen würde. Sondern einfach nur verhindern wollte, dass man den gleichen Fehler, immer wieder machte. Auch er hatte einige seiner Männer, unbewusst in den Tod geschickt. Das war ihm heute klar. Damals war er bitter böse, auf das kleine Mädchen. Lange sah Rudi den Oberst an.

"Willy, was ist nur los mit meiner Kleenen? Ich dachte ich kenne sie ein wenige, aber ich verstehe nicht, was los ist? Wo ist sie überhaupt?", wollte er wissen, als ihn das Schweigen von Willy Fleischer, einfach zu lange dauerte.

"Rudi, deine Kleene hat sich hingelegt, sie ist hochfiebrig. Ihr geht es beschissen. Kannst du mir mal erzählen, was hier los war. Warum ist Kahlyn so durch den Wind? Ich dachte wirklich, sie ist bei euch angekommen", traurig sah er Rudi an.

Rudi raufte sich die Haare und wandte sich aber erst einmal an John. "John sei so lieb, sehe mal nach unserer Kleenen. Spritz ihr von mir aus irgendwas, damit es ihr besser geht. Bitte", eindringlich sah er John an.

Der Sani stand auf und lief nach hinten in den Schlafsaal. Rudi versuchte sich in der Zwischenzeit etwas zu beruhigen und seine Gedanken zu sortieren. John war nach einer Minute wieder da.

"Was ist John?", erbat Auskunft von seinem Sanitäter.

"Rudi, sie hat dicht gemacht. Ich kann sie nicht einmal berühren. Sie schlägt sofort nach mir. Sie schläft auf dem Boden. Genauso, wie am ersten Tag hier in der Wache. Ich denke wir sollten sie in Ruhe lassen. Es ist schon genug kaputt. Akzeptieren wir einfach das, was ist. Versuchen zu retten, was noch zu retten ist", traurig setzte er sich auf seinen Platz und stützte den Kopf auf die Hände.

"Wie sie schläft auf den Boden?", wollte der Oberst wissen.

"Gehen sie selber gucken, Genosse Oberst", erklärte John der Tischplatte.

Der Oberst stand auf und lief nach hinten in den Schlafsaal. Kam ebenfalls sofort wieder nach vorne. "Ach du Scheiße. Entschuldigt bitte. Es ist noch schlimmer, als ich gedacht habe. Rudi, da habt ihr wohl richtig böse Porzellan zerschlagen. Bis eben war mir nicht klar, dass ihr Kahlyn so in die Ecke gedrängt habt. So schlimm, war sie seit Jahren nicht mehr drauf. Keine Ahnung, ob ich sie für euch retten kann. Rudi, ich bin fast der Meinung, ich sollte sie mitnehmen, um ihr auf diese Weise, ein oder zwei Monate Zeit zugeben, damit sie mal zur Ruhe kommt. So hat das alles, keinen Zweck mehr. Es ist einfach zu verfahren", ernst sah er den Dienststellenleiter an.

Er wusste, dass Rudi nicht wirklich etwas falsch gemacht hat. Es war einfach die Gesamtsituation, die Kahlyn völlig überforderte. Traurig sah Rudi zum Oberst, der ihm in den letzten Wochen so oft geholfen hatte und ihm mit Rat unterstützte. Er vertraute diesem Offizier, der sich seine Menschlichkeit bewahrt hatte.

"Wenn es hilft, dann nehme sie mit. Mir ist nur wichtig, dass die Kleene endlich mal zur Ruhe kommt. Seit zwei Monaten, fällt die Kleene von einem Extrem ins Nächste. Es ist doch kein Wunder, dass sie daran kaputt geht. Ich habe alles versucht, Willy. Aber ich weiß nicht, was ich falsch gemacht habe. Ja, ich habe überreagiert. Willy, ich bin doch auch nur ein Mensch. Daran kann es doch nicht liegen. Es ist ein Missverständnis, das muss doch zu klären sein."

Willy sah offen Rudi an. "Erzähl du mir mal, was los ist. Von Kahlyn bekam ich nichts heraus. Jedenfalls keine Details. Nur, dass sie stinksauer auf euch drei ist", fragend sah er zu Rudi.

Arno räusperte sich. "Genosse Oberst, ich würde sagen, Kahlyn ist mit Recht sauer. Auch auf mich. Wir haben das, was sie gesagt hat, einfach falsch verstanden. Wir dachten im ersten Moment sie greift uns an. Conny, der hier neu bei uns ist, hat uns das schon gesagt. Wir haben es ja begriffen, aber wir kommen einfach nicht mehr an Kahlyn heran. Ich will nicht, dass sie geht. Sie ist eine Bereicherung für die Wache. Auch wenn sie oft kompliziert ist, haben wir in den wenigen Wochen mehr von ihr gelernt, als in den letzten Jahren. Vor allem, ist sie ein guter Kamerad. Aber sie ist so verletzlich. Ich weiß nicht, ob wir das, was wir kaputt gemacht haben, jemals wieder reparieren können", entschuldigend sah er den Oberst an.

"Nun erzählt mir einmal der Reihe nach, was los war. Damit ich erst mal weiß, warum Kahlyn so heftig reagiert", bat der Oberst, um mehr Informationen, über das Vorgefallene.

"Willy, folgendes ist passiert…"

So genau wie irgend möglich berichtet Rudi von der Verabschiedung der Reaktion von Kahlyn. Von ihrer Einschätzung, über die Leistungen der drei Teams, bis hin zu dem, was im Büro vorgefallen war, ohne sich selber zu schonen. Auch, wie sie versucht hatten mit Kahlyn zu reden, wie sie blockte, dass sie Conny vermöbelt hatte. Aber auch, dass sie noch mit zum Schießstand gefahren war und sich ziemlich schnell wieder zurückzog. Schon vor dem Bus und bei der Rückfahrt, auf niemanden mehr reagierte. 

"Willy, ich weiß, dass es falsch war, was wir im Büro gemacht haben. Aber ich weiß nicht, wie wir es richten sollen. Ich will die Kleene nicht verlieren. Willy, du weißt, ich will sie adoptieren. Daran wird sich nichts ändern, das werde ich auch tun, wenn sie zu Hunsinger geht. Aber ich möchte, dass sie hier bleibt."

Willy nickt, es war so, wie er sich das schon gedacht hatte. Die Männer hatten genauso reagiert, wie er damals. Hier hatte er einen Ansatz.

"Rudi, ich kann dir nichts versprechen, aber wir werden es versuchen. Lassen wir Kahlyn, etwas zur Ruhe kommen. Nachher, wenn sie wieder hier ist, bitte lasst mich mit ihr reden. Egal, was ich sage, mischt euch nicht ein. Auch ich kann nicht jede Reaktion, dieses Mädchens voraussehen. Oft ist sie unberechenbar. Kahlyn ist in einer anderen Welt großgeworden, als wir. Sie denkt anders, sie fühlt anders, damit müssen wir klar kommen. Das ist nicht so einfach, ich habe dafür Jahre gebraucht und schaffe das bis heute noch nicht wirklich. Das habt ihr in Augustow gesehen. Auch ich kann mich nicht immer in sie hineindenken. Rudi, wir klären das hier vor versammelter Mannschaft. Ich weiß du bist das nicht gewohnt. Ich habe das von Kahlyn übernommen, es ist eine sehr gute und vor allem effektive Methode, die Vertrauen in der Einheit schafft. Keine Ahnung, ob ich sie für euch retten kann. Aber ich werde es versuchen."

Ernst sah er die Männer an. Alle nickten, es war kurz vor dreiviertel Neun. Draußen wurde es dunkel, der Graupel schlug gegen die Fenster. Rudi sah Fran an.

"Fran, machst du ein paar Schnitten, wir haben noch kein Abendbrot gegessen, ich denke Willy auch noch nicht."

Fran nickte und stand auf lief in die Küche, Simon folgte ihm. Schnell war der Tisch an geräumt, aber keiner hatte so richtig Hunger. Nach einer viertel Stunde, räumten alle den Tisch wieder ab. Nur Wenige hatten etwas gegessen. Fran reichte die Kaffeekanne herum und Simon kochte gleich noch einmal neuen. Die Jungs erzählten vom letzten Einsatz, aber auch von ihren Erlebten, in den Freiwochen. Langsam entspannt sich die Lage etwas.

 

Es ist kurz nach 21 Uhr als ich munter wurde. Mir ging es wieder etwas besser, das Fieber war ein wenig gesunken, auch konnte ich wieder besser atmen. Auch, wenn ich nicht sehr tief schlief, hatte ich mich etwas erholte. Müde stand ich auf und schob das Bett wieder auf den alten Platz. Lief nach vorn auf die Toilette, um mich etwas zu waschen. Lange ließ ich das kalte Wasser über meine Handgelenke laufen, das tat gut. Ich wusch mir das Gesicht, steckte meinen glühenden Kopf unter das kalte Wasser und ließ es darüber laufen. So bekam ich die Kopfschmerzen, etwas in den Griff. Mir war klar, dass ich gleich wieder Stress bekam. Der Oberst, das war mir klar geworden, würde mich nicht ohne Klärung mitnehmen. Lange stand ich am Becken und sah mich selber im Spiegel an.

"Du siehst absolut scheiße aus", erklärte meinem Ich.

Das Gesicht, das mich aus dem Spiegel ansah, war blass und hatte dunkelrote Fieberflecken und Augenringe die großflächig waren. Ein eingefallenes Gesicht, das man nicht mehr als hübsch bezeichnen konnte. Entschlossen setzte die Brille wieder auf und ging zur Tür, um mich nach vorn zu den Männern zu begeben, die mich nicht verstehen konnten und wollten. Langsam ging ich auf meinen Oberst zu, der mit dem Rücken zu mir saß und bat ihn um das, was ich mir am sehnlichsten wünschte. Von dem ich allerdings genau wusste, dass ich es nicht bekommen würde.

"Sir, können wir jetzt bitte fahren, Sir", äußerte ich meinen Wunsch laut und für alle hörbar.

Ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben und wollte vor allem, den Versuch unternehmen, einmal in meinem Leben, meinen Wunsch durchzusetzen. Aber es war wie immer. Stellte ich resignierend fest.

"Kahlyn, ich habe dir vorhin schon gesagt, dass ich dich erst mitnehme, wenn ich mir sicher bin, dass du das auch wirklich willst. Noch bin ich dazu nicht bereit. Ich möchte, dass du dich hier und zwar vor allem mit Rudi, Arno aussprichst. Bitte, so hat es keinen Zweck. Wenn du nach der Aussprache immer noch mit willst, dann nehme ich dich mit", ernst sah mich der Oberst an.

Schulterzuckend, ging ich ans Fenster und sah hinaus, ohne etwas zu sehen, ohne etwas wahr zu nehmen. Aber so musste ich mich nicht setzen. Ich war nicht bereit mich zu den Männern an den Tisch zu setzen. Signalisierte dem Oberst auf diese Weise, dass ich meinen Entschluss so leicht nicht aufgeben würde. Willy Fleischer war bei dem, was er gehört hat, klar geworden, wie enttäuscht ich sein musste und er verstand sehr gut, was in meinem Kopf los war. Es würde schwer werden, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Das hatte mein Oberst begriffen, nur zu konnte er sich an ähnliche Situationen erinnern. Tief holte er Luft und hoffte inständig die richtigen Worte zu finden.

"Kahlyn, darf ich dich einmal etwas fragen?"

Ich nickte.

"Komm sieh mich an, meine Kleine. Ich mag mich nicht mit deinem Rücken unterhalten. Kannst du dich an unsere Anfangszeiten erinnern. Als du mir das erste Mal ziemlich deutlich gesagt hast, dass ich meine Leute ständig in den Tod schicke, weißt du noch, wie ich damals reagiert habe?"

Ich nickte und sah immer noch zum Fenster hinaus, drehte mich jetzt zum Oberst um. "Sir, ja, Sir. Sie waren stinksauer auf mich und haben mich beschimpft. Sie haben mir sehr deutlich gesagt, ich soll mich zum Teufel scheren. Haben mich als kleine, unerfahrene Göre bezeichnet. Sie sagten, ich solle sehen, dass ich nach Hause komme und wenigstens etwas Anstand lerne, Sir."

Schallend fing mein Oberst, an zu lachen. "Das weißt du noch so genau, Kahlyn. Das ist jetzt zehn Jahre her, auf den Monat genau. Mein Gott Mädchen, du schaffst es immer wieder, mich zu überraschen. Weißt du auch noch, wie du reagiert hast?"

Wieder nickte ich und drehte mich zum Fenster um. Ich war nicht stolz darauf, was ich dann tat. "Sir, ja, Sir. Ich bin mit einem Messer auf sie losgegangen. Ich habe versucht sie zu töten. Versucht ist irgendwie nicht der richtige Ausdruck dafür, aber ich weiß nicht, wie ich es anders nennen soll, Sir", erklärte ich dem Spiegelbild in der Fensterscheibe.

Wieder begann der Oberst, schallend zu lachen und schüttelte dabei fassungslos den Kopf. "Das stimmt Kahlyn, um es besser auszudrücken. Du hast mir gezeigt, dass ich gegen dich keine Chance habe. Du sagtest mir: "Sir, warum fragen sie mich nach meiner Meinung, wenn sie diese nicht hören wollen? Wenn sie Honig ums Maul haben wollen, dann suchen sie sich einen Imker, Sir." Dabei gingst mit einem gezogenem Messer auf mich zu. Hattest mich innerhalb von nicht mal drei Sekunden am Boden. Dann hieltest mir das Messer an die Kehle. Böse hast du mich angesehen und meintest zu mir. "Sir, ich bin eine so unerfahrene Göre, dass ich sie alten Mann auf den Boden lege, sie innerhalb von Sekunden töten könnte, wenn ich das wollte, Sir. Sie haben sie doch nicht mehr alle, Sir." Dann bist du aufgestanden, bist einfach zu deinen Sachen gelaufen und hast den Rucksack umgeschnallt, bist losgelaufen, um in deine Schule zu gehen", lachend sah mich der Oberst an.

"Sir, sowas mache ich nicht mehr. Ich bin älter geworden und habe dazu gelernt. Auch wenn ich es ab und zu gern tun würde, mache ich so etwas nicht mehr. Ich mache jeden Fehler nur einmal, Sir", erklärte ich ihm über die Schulter sprechend, indem ich mich leicht zu ihm umdrehte.

Lächelnd sah mich der Oberst an und nickte zu meinen Worten. "Ich weiß mein Mädchen. Aber ich habe diese Geschichte nie vergessen, wollte sie auch gar nicht vergessen. Aber schau mal, Kahlyn. Heute kennen wir uns seit elf Jahren, heute genau auf den Tag, vor elf Jahren haben wir uns das erste Mal gesehen. Wir kennen uns jetzt ziemlich gut. Ich weiß, dass du vieles nicht so gut ausdrücken kannst und sehe über viele deiner Unarten einfach hinweg. Weil ich eins weiß, dass du ein von Grund auf ehrliches Mädchen bist. Rudi, Ronny, Arno und all die Jungs hier an diesem Tisch sitzen, kennen dich aber noch nicht so lange. An den Tisch an den du dich nicht mehr setzen willst, weil du der Meinung bist, dass sie dich haben verraten. Diese Jungs kennen dich gerade einmal zwei Monate, haben sie sich nicht etwas Zeit verdient. Denkst du nicht, dass sie auch eine Weile brauchen, ehe sie dich richtig kennen gelernt haben. Dass sie Zeit brauchen, um zu begreifen, dass du ihnen nie schaden würdest. Dass du egal, was du ihnen auf deine sehr direkte Art sagst, es nie böse mit ihnen meinst. Haben die Jungs sich nicht auch, etwas Zeit verdient", fragend sah mich der Oberst an und war sich sicher, dass ich begriff, was er damit meinte.  

Klar begriff ich was er mir sagte, ich war ja nicht dumm. Ich starrte zum Fenster hinaus und dachte über das nach, was er mir gerade erklärt hatte. Er hat aber nur zum Teil Recht, denn er sah die Sache zu einseitig, so wie es immer war. Wieder einmal ging mir durch den Kopf, dass wir keinerlei Rechte hatten. Das bewiesen mir die Worte des Obersts nur zu genau. Obwohl er uns eigentlich wohl gesonnen war, klammerte er uns aus seinen Gedankengängen völlig aus. Warum, musste wir immer nur den Anderen die Zeit zum kennen lernen geben? Hatten wir uns nicht auch etwas von dieser Zeit verdient.

Langsam legte ich den Kopf gegen die kalte Scheibe und schloss meine Augen. Wenn nur mein Kopf nicht so schmerzen würde und ich ein wenig klarer denken könnte, dann wäre alles einfacher. Lange schwieg ich und dachte, über das Gehörte nach. Nach einer Weile drehte ich mich langsam um und ließ mich gleichzeitig an der kalten Außenwand herunter rutschen. Ich setze mich einfach auf den Boden, mit dem Rücken an die kalte Außenwand. Die Kälte tat mir gut und kühlte meine brennende Haut. Müde legte ich den Kopf in den Nacken und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Lange musterte ich die Männer, die sich zu mir herum gedreht hatten. Ich ließ alle Anstandsregeln fallen, da ich viel zu müde war und es mir langsam egal war, was hinterher mit mir geschah. Etwas, dass ich nur sehr selten machte und eigentlich nur dann tat, wenn es mir richtig miserabel ging. Ich begann meinem Oberst leise und sehr direkt die Meinung zu sagen. Das hätte ich schon vor Jahren machen sollen, aber ich hatte nie den nötigen Mut dazu, zu sehr war ich in den eingedrillten Verhaltensnormen gefangen und zu groß war die Angst, dass man meine Kameraden wegen mir bestrafen würde.

 "Weißt du eigentlich Oberst, wie egoistisch du bist. Du denkst genauso wie alle anderen immer nur daran, was gut für euch ist. Hast du schon einmal darüber nachgedacht, was damals passiert ist, als du in die Schule gekommen bist: Nach unserem Streit mit dem Messer. Du kamst in die Schule, um dich mit mir, nach dieser unschönen Angelegenheit auszusprechen. Dir wurde von mir kein Leid zugefügt, außer dass dein Ego ein paar Kratzer abbekommen hatte. Dir ist nichts passiert, denn ich habe dir kein Haar gekrümmt. Du aber musst unbedingt in die Schule kommen und dem Oberstleutnant haargenau erzählen, wie ich dich gelegt habe. Ich ein kleiner unbedeutender Leutnant, lege einen Oberst auf die Matte und bedrohe ihn auch noch mit dem Messer. Dass dir dabei nichts geschehen ist, spielt dabei keine Rolle. Dass du derjenige warst, der mich völlig in die Ecke gedrängt hatte und mich provozierte, spielte dabei keine Rolle. Dass ich meine Aufgabe zu hundert Prozent erfüllt hatte, spielte dabei keine Rolle. Das einzige was damals für den Oberstleutnant interessant und bedeutsam war, war die Tatsache, dass ich dich angegriffen und bedroht habe. Du hältst mir vor, ich würde nicht über die Konsequenzen meines Handelns bewusst nachdenken. Ich glaube ich spinne. Du hast in den letzten elf Jahren nie über die Konsequenzen deines Handelns mir gegenüber nachgedacht. Ich kann dir hunderte von Beispielen benennen. Ich glaube nämlich nicht, dass du auch nur annähernd ahnst, was dein Verhalten für Konsequenzen für mich hatte. Weder du, noch der Doko, noch die Piloten haben eine Ahnung davon, wie wir wegen ihnen litten. Weißt du eigentlich Oberst, dass mich der Oberstleutnant, als Konsequenz für mein Benehmen bei dir, das du provoziert hast, für eine Woche in die Lichtzelle gesperrt hat. Die schlimmste Strafe, die er sich je für uns ausgedacht hatte. Aber in die Lichtbox kam ich erst, nachdem er mich gründlich ausgepeitscht und im Anschluss ordentlich mit einer hochdosierten Salzwasserlösung gewaschen hatte. Soweit und so gut, zu der deiner Meinung nach, mir eigenen Unart ehrlich zu sein und über die Konsequenzen meines Handelns nicht nachzudenken. Ich habe mit Verlaub die Schnauze voll, mir ständig von dir und von anderen, Unzurechnungsfähigkeit vorwerfen zu lassen. Natürlich denke ich darüber nach, bevor ich etwas tue, nicht tue oder sage, weil alles was ich in meinem Leben getan habe, für mich negative Konsequenzen hatte. Ich will dir einmal etwas sagen Oberst. Stets wird von mir verlangt, dass ich den Anderen Zeit gebe soll, sich an bestimmte Situationen zu gewöhnen. Aber hast du, schon einmal darüber nach gedacht, dass man uns niemals diese Zeit zugestanden hat", müde rieb ich mir das schmerzende Genick, als jemand etwas sagen wollte, wurde ich böse. "RUHE! ... Jetzt bin ich erst einmal dran, verdammt nochmal. Jetzt werdet ihr endlich einmal eure Klappe halten und mir genau Zuhören. Ihr werden mir jetzt endlich einmal die nötige Zeit geben, die ihr von mir auch immer haben wollt", wies ich die Männer in die Schranken und ziemlich ungehalten darauf hin, dass sie mir jetzt endlich einmal zuhören sollten. "Oberst, beantworte mir bitte einmal eine Frage. Wann durfte ich in den letzten sechszehneinhalb Jahren, eigentlich einmal machen, was ich möchte? Wann wurde mir in den letzten sechszehneinhalb Jahren einmal eine Bitte erfüllt? Nicht einmal heute, Oberst, kommst du meinen Wunsch nach mich mitzunehmen, obwohl du genau siehst, dass es mir mehr als hundeelend und beschissen geht. Wann das frage ich dich jetzt, durfte ich, außerhalb meines alten Teams, einmal ich selber sein? NIE. Ich durfte nie ich selber sein. Nur wenn ich mit meinem Team zusammen war, durfte ich das. Wie oft war ich in deiner Einheit, Oberst? Mehr als fünfhundert Mal? Und durfte ich nur ein einziges Mal tun was ich wollte. Sei ehrlich zu dir selber und höre auf dich selbst zu belügen. Immer hast du von mir voller Einsatz verlangt. Immer hast du von mir verlangt, ich soll Rücksicht auf die Andere nehmen. Immer hast du von mir verlangt, ich soll den Anderen vertrauen. Aber niemals durfte ich selber sein, wie ich bin oder durfte ich tun, was ich wollte. Bei jedem gottverfluchten Einsatz in deinem Team, musste ich mir alles erkämpfen. Ob es das Kämpfen ohne Ausrüstung ist oder wenn ich nichts essen wollte. Hast du schon einmal etwas gegessen, wenn dir kotzübel ist, weil du kurz zuvor hunderte Menschen getötet hast. Aber du weißt ja um so vieles besser was gut und was schlecht für mich ist. Ich musste ständig bei dir Rechenschaft ablegen über Dinge, die du überhaupt nicht verstehen konntest, wie zum Beispiel die Sache mit den Ginos. Weißt du Oberst, Pille sagte mir in Rostock vor ein paar Tagen, ich soll mir endlich wieder selber treu bleiben, sonst würde ich kaputt gehen an der ganzen Situation in Gera. Pille hat verdammt nochmal Recht damit. Ich bin kein kleines Mädchen, ich bin weder Jenny, noch Ramira, ich bin weder Tom noch Tim oder Veronika. Ich bin die Kahlyn, ein Mädchen, das seit über sechszehn Jahren dazu zwingt zu kämpfen und die gelernt hat Verantwortung zu übernehmen und immer für ihr Team eingestanden ist. Ich weiß sehr genau, was ich kann und was ich will und brauche niemanden der mich wie ein Kindergartenkind beschützt. Wenn ich Hilfe brauche, Oberst, habe ich einen Mund und kann es sagen, denn ich habe sprechen gelernt. Um zum Thema zurück zu kommen: Ich bin jetzt genau einmal ich selber gewesen, habe mit erwachsenen und reifen Männern so gesprochen, wie ich es mit meinen Kameraden, die erst sechszehneinhalb Jahre sind, auch getan habe. Habe offen und ehrlich zu ihnen gesagt, dass sie einen Fehler immer wieder machen. Dass immer wieder auf die selber blödsinnige Art ihre Leute sterben. Ich für meinen Teil, habe höflich und freundlich und vor allem leise gesprochen und wurde sofort angeschrien. Ich bin nur ein einziges Mal, ich selber gewesen und habe nicht so funktioniert, wie es sich meine Gegenüber vorstellen. Ich bin mir genau einmal treu geblieben, als ich mit den drei Teamleitern gesprochen habe. Was ich davon habe, siehst du gerade. Stets muss ich mich so verhalten, wie andere es von mir erwarten. Könntest du das, Oberst? Ich kann es auf Dauer nicht, es macht mich kaputt. Wer, beantworte mir die Frage, bitte sei ehrlich zu dir selber, hat mir jemals von Anfang an vertraut? Wer, hat einmal auf mich Rücksicht genommen? Wer, hat auch nur einmal nach meinen Bedürfnissen gefragt? Ich sage dir einmal etwas. Nie hat es jemanden geschert, wie es mir geht. Außer vielleicht hier auf dieser Wache. Auch, wenn du mich immer gefragt hast, wie es mir geht, ob ich gegessen habe und ob ich geschlafen habe. Weißt du eigentlich, wie oft ich dich angelogen habe, nur damit ich meine Ruhe hatte und vor allem meine Arbeit machen kann. Es interessiert doch niemand, was ich fühle", krampfhaft versuchte ich Luft zubekommen und mich wieder zu beruhigen.

In der kurzen Pause wollte der Oberst etwas sagen.

Ich bremste ihn sofort aus und schüttelte den Kopf. "SEI RUHIG OBERST, jetzt bin ich einmal dran und jetzt hörst du mir verdammt nochmal zu. Es hat nie jemanden wirklich interessiert, wie wir uns fühlten. Weil ihr der Meinung seid, wir sind gefühllose Monster. Wenn es jemanden interessieren würde, wie es meinen Kameraden und mir wirklich geht, dann hättet ihr vor zwei Monaten verhindert, dass man uns trennt. Niemals, hättet ihr uns Geschwistern einfach so trennen dürfen. Hättet uns nicht wie gefühllose Figuren auf einem Schachbrett hin und her geschoben, um uns in eine Position zu bekommen, die EUCH gefällt. Ihr hättet uns wenigstens ein einziges Mal ein Mitspracherecht eingeräumt. Ihr hättet uns ein einziges Mal nach unserer Meinung fragt können. Was wollt ihr eigentlich von mir? Euch war nur immer wichtig, dass ihr die richtigen Teams für EUCH auswählt, um DIESE TEAMS zu unterstützen. Ob uns das gefällt war nebensächlich und uninteressant. Was wir dabei für eine Rolle spielen, wie wir uns dabei fühlen, war euch doch scheißegal. Es war euch immer nur wichtig, dass wir wieder die Dreckarbeit für euch erledigen. Wie all die anderen Jahre auch schon. Es war euch nur wichtig, dass wir euch beschützen und verhindern, dass euch etwas geschieht. Was mit uns ist, spielt immer nur einen Nebenrolle. Wir sind nichts anderes als Schachfiguren in eurem Spiel, Marionetten mit denen ihr spielen könnt und es interessiert euch nicht, dass wir eine Seele haben. Eine Seele die sich vor Schmerzen krümmt, weil ihr sie ständig und ohne über die Konsequenzen nachzudenken, verletzt! Ihr habt uns trennt, weil wir für andere Teams nützlich sind. Ihr habt uns herumgestoßen, wie man einen Container herumstößt, damit er in eine Lücke passt, die er ausfüllen soll. Es hat euch nie interessiert, ob unsere Seele daran zerbricht. Ihr habt ständig unsere Seelen mit Messern zerschnitten, damit sie so ist wie ihr es haben wolltet. Ihr habt unsere Gefühle, ja wir haben so etwas auch, mit Füßen treten! Vor zwei Jahren haben wir euch gesagt, dass wir nicht getrennt werden wollen. Wir haben euch gesagt, dass wir lieber schlafen gehen, als jeder für sich alleine zu sein. Habt ihr auf uns gehört? NEIN, denn auf uns hört nie jemand. Es ist so wie es immer ist. UNS HÖRT KEINER ZU. Aber, wenn ich euch auf Fehler hinweisen will, dann unterstellt ihr mir böse Absichten. Ihr schreit mich an. Ihr beschimpft mich. Nur weil ich so jung bin?", schwer atmend, sah ich alle an. Ich war so verdammt wütend. "Weißt du eigentlich, wie viele Einsätze ich hinter mir habe. Es sind mittlerweilen über zweitauendfünfhundert, in der Schule fast zweitausend und bei dir mindestens fünfhundert", als der Oberst etwas sagen wollte, fuhr ich ihn böse an. "SEI RUHIG OBERST, WENN DU NICHT WILLST DASS ICH DICH JETZT VERPRÜGLE, WIE NOCH NIE IN MEINEM LEBEN", brüllte ich ihn jetzt richtig laut an. Mühsam versuchte ich mich zu beruhigen, um wieder leiser zu sprechen und wiederholte meine Bitte in einem leisen, wenn auch eisigen Ton. "Sei ruhig, jetzt hörst du mir endlich einmal zu, Oberst, und du unterbrichst mich nicht laufend. Ich habe mit Verlaub die Schnauzte bis obenhin voll. Ich habe mehr Erfahrungen im Kampf, als ihr alle zusammen. Ich habe mehr Leute in den Tod geschickt, als euch überhaupt klar ist. Von den sechsundachtzig Leichen, die unter unserem Baum liegen, habe ich vierzig in den Tod geschickt, durch falsche Taktiken. Ohne die neunzehn die in Chile sterben musste", heftig atmete ich und sah böse den Oberst an. "Die Leute starben, weil ich falsche taktische Entscheidungen gefällt hatte. Ich habe nicht für umsonst gesagt, Taktik lernten wir im Kampf. Uns hat keiner gesagt wie es geht, wir haben uns diese Erfahrung schwer erarbeitet. Meine Leute starben oder wurden schwer verletzt, weil ich bestimmte Situationen falsch angefasst hatte. Diese Leute sind all meinetwegen, oft auf die brutalste Weise verreckt, die du dir überhaupt vorstellen kannst. Das ist aber neun Jahre her, ich war damals gerade einmal sieben Jahre alt und verdammt nochmal, ich habe aus meinen Fehler gelernt. Ich habe jeden Fehler in einer taktischen Entscheidung nur ein einziges Mal gemacht. Weil es meine Kameraden waren die dabei jämmerlich verreckt sind. Denkst du, das lässt mich kalt. Glaubst du wirklich, ich lasse zu, nach so vielen Kämpfen und mit so vielen Erfahrungen, die ich in den zum Teil aussichtslosen Kämpfen, gesammelt habe, dass die Leute einfach so in den Tod geschickt werden. Bei Einsätzen, bei denen es nicht einmal Verletzte hätte geben dürfte. Für wie bescheuert, hältst du mich eigentlich, Oberst? Sei ruhig, wenn du nicht willst, dass ich hier gleich richtig ausflippe. Jetzt hörst du mir endlich einmal ganz genau zu", schnauzte ich ihn an, als er etwas sagen wollte. "Du hörst mir jetzt bis zum Ende zu Oberst. Ich habe dir vertraut, aber du vertraust mir immer noch nicht. Ich habe dir Gehör geschenkt, aber du hörst mir immer noch nicht zu. Ich habe dich kennen gelernt und du hattest die gleiche Zeit, mich kennenzulernen. Aber, du kennst mich immer noch nicht. Ich sage, was ich denke. Mir ist es scheißegal, wenn mir jemand hinterher böse ist. Aber eins weißt du, nach den vielen Jahren. Ich lasse mir keine Lügen und keine bösen Absichten unterstellen. Tut man das, ist bei mir Schluss. Ich wollte den Leuten hier vertrauen, doch sie vertrauen mir nicht. Ich habe den Leuten hier, mehr von meiner Seele gezeigt, als jedem anderen in meinem Leben. Nicht einmal Dika und Doko, habe ich so nah an mich heran gelassen. Weil ich dachte, es sind meine Freunde, weil ich dachte ich kann ihnen vertrauen", mühsam rang ich nach Luft.

Wieder begann mein Körper zu krampfen, aus meinen Augen, Ohren, der Nase, selbst aus meiner Haut rann Blut. Ich achtete nicht darauf. Ich war viel zu wütend, auf die Leute hier. Ignorierte aus Wut, einfach alle Anzeichen, des nahenden Anfalls.

"Statt mir nur ein einziges Mal entgegenzukommen. Statt mir auch nur ein einziges Mal zu Vertrauen. Statt mir auch nur ein einziges Mal zuzuhören, geht man böse gegen mich vor. Stattdessen, unterstellt man mir böse Absichten. Stattdessen, schreit man mich an. Stattdessen, verurteilt man mich. Ohne mich ausreden zu la…"

Ich konnte nicht mehr weiter sprechen. Ich rollte mich im Krampf zusammen und begann zu schreien.

 

Der Anfall hatte Kahlyn voll erwischt, sie konnte es nicht mehr ändern, alles ignorieren der schlimmen Schmerzen, half nichts mehr. Schreiend und zusammen gekrümmt vor Schmerzen lag sie auf dem Boden, zu Füßen der entsetzt drein schauenden Männer.

John der zu Kahlyn gelaufen kam, konnte das Mädchen nicht berühren, da sie um sich schlug. Er lief zum Medi-Koffer und holte eine Spritze mit N91 hervor, um ihr diese zu geben.

"Ich brauche Hilfe, alleine schaffe ich das nicht, ihr müsst sie am Boden fixieren. Schnell!", brüllte er seine Kollegen an.

Der Oberst sprang auf und lief auf zu seinem Mädchen. Rudi, Raphi, auch Conny versuchten Kahlyn festzuhalten. Kurz entschlossen, legte sich der Oberst mit seinem ganzen Gewicht auf das sich windende Mädchen, um sie festzuhalten. Rudi und Conny hielten je einen Arm. Raphael dagegen drückte mit all seiner Kraft, ihren Kopf auf den Boden, damit ihr John drei Einheiten vom N91 spritzen konnte. Nach fünf Minuten Kampf waren alle schweißgebadet. John hatte es irgendwie geschafft und hoffte inständig, dass er die Dosierung nicht zu hoch gewählt hatte.

"Lasst sie los", bat er leise.

Sobald Kahlyn merkte, dass sie frei war, kroch sie weg von den Männern. In die vom Tisch am entfernteste Ecke und rollte sich dort zusammen. Schreiend und sich vor Schmerzen krümmend.

"Rudi kann ich Fritz anrufen, so geh das nicht." John blickte entsetzt zu Rudi. "Verdammt, wo ist nur Jens, wenn man ihn braucht", lief ohne eine Antwort von Rudi abzuwarten nach hinten ins Büro. Versuchte als erstes beim Truppenarzt anzurufen, doch der kam erst morgen zurück. Ließ sich sofort mit Doktor Jacob verbinden.

"Doktor Jacob, am Apparat", meldete sich dieser.

Sofort kam John zur Sache. "Doko, hier ist John. Der kleinen Maus geht es schlecht. Bitte, helfen sie mir. Jens ist nicht erreichbar. Ich weiß nicht, ob ich es richtig gemacht habe. Heute früh habe ich ihr, drei Einheiten N91 gespritzt. Jetzt eben noch einmal. Ich hoffe es war nicht zu viel. Aber sie schreit sich vor Schmerzen, die Seele aus dem Leib. Bitte helfe mir Doko."

Fritz Jacob, der im Hintergrund das Schreien seines kleinen Mädchens hörte. Konnte sich vorstellen, wie verzweifelt der Sanitäter war. "Bleib ganz ruhig, John. Sag mal kannst du einen anderen Arzt dazu holen? Dem ich einiges erklären kann. Ich denke du wirst überfordert sein, mit dem, was du machen sollst."

"Doko, ich sage Rudi, der soll seinen Hausarzt holen, bleibst du bitte dran?", wollte panisch wissen.

"Ja John, bleibe ganz ruhig. Wir schaffen das schon."

Sofort lief er nach vorn zu Rudi und rief schon von weitem. "Rudi, bitte hole deinen Hausarzt. Schnell", flehte er seinen Freund an.

Der Teamleiter sprang sofort auf. Rannte nach vorn in die Wachstube. Nach nicht einmal vier Minuten, kam er mit seinem Hausarzt zurück in den Gemeinschaftsraum. Der nur eine Straße weiter, seine private Wohnung hatte.

"John das …".weiter ließ ihn John nicht reden.

"Doktor, bitte kommen sie erst einmal mit. Der Doko will sie erst sprechen."

Verwundert über das Benehmen des jungen Mannes, wollte der Arzt etwas sagen. Die Schreie des Mädchens, die Gesichter der Männer und der Blick von John, sprachen Bände. In Johns Gesicht stand die pure Verzweiflung geschrieben und seine Stimme zitterte wie Espenlaub. "Bitte Herr Doktor, wir müssen Kahlyn helfen. Das geht aber nur, wenn sie wissen auf, was sie achten müssen. Ich bin der Sanitäter hier, bitte Herr Doktor."

Der Arzt ergab sich seinem Schicksal und folgte dem Sanitäter erst einmal in das Büro. John drückte ihm sofort den Hörer in die Hand. Nachdem er Fritz Jacob informierte.

"Doko, der Arzt ist hier."

Ruhig, wie es seine Art war, meldete sich Jacob. "Guten Abend Herr Kollege, wir brauchen ihre Hilfe, der Sanitäter ist völlig überfordert. Entschuldigen sie, dass wir ihre Kompetenzen in Frage stellen. Sie müssen wissen Kahlyn, wurde genetisch verändert. Bitte, kontrollieren sie …" Genau gab er Anweisungen, auf was der Arzt achten sollte, der nahm sich Zettel und Stift und machte sich einige Notizen. Eilte dann mit John nach vorn, zu dem immer noch wie am Spieß schreienden Mädchen, das sich nicht einmal mehr anfassen ließ. Kurz entschlossen nahm John, Kahlyn in den Arm und hielt die Kleine, mit grober Gewalt fest. Das Mädchen wandte sich schreiend, in Johns Armen. John versuchte sie zu beruhigen, immer wieder sagte er.

"Rashida, nikyta. - Beruhige dich Mäuschen." Die Werte, die der Doktor feststellte waren erschreckend, die Temperatur lag bei 69,2°C der Blutdruck bei 315/205. Ständig lief Blut aus ihrer Haut, Augen, Nase und den Ohren. Durch den Kampf fing sie auch noch an Blut zu husten und erbrach Blut. Rudis Hausarzt sah entsetzt auf das Mädchen und begriff endlich, dass hier höchste Lebensgefahr bestand. Deshalb beeilte er sich mit der Untersuchung, damit man das Mädchen wieder in Frieden lassen konnte.

"Lass sie los", wies der Arzt zu John an.

Stand auf, um zu seinem Kollegen ans Telefon zu gehen. John folgte ihm, nach dem er Kahlyn hatte vorsichtig auf dem Boden sinken lassen.

"Sind sie John?", erkundigte sich der Arzt, nachdem John das Büro betreten hatte.

"Ja", bestätigte der Sanitäter völlig geschafft und schweißgebadet.

"Doktor Jacob, möchte sie kurz sprechen."

John nahm dem Hörer und lehnte sich zitternd an den Schreibtisch. "John, wie viel hast du Kahlyn und vor allem, wann gespritzt?"

"Doko, heute früh irgendwann gegen 5 Uhr hab ich ihr erst eine Einheit gespritzt, dann zehn Minuten später, auf ihren Wunsch noch einmal zwei Einheiten. Vor fünfzehn Minuten drei Einheiten. Doko, sie blutet aus dem Mund hat gerade Blut gebrochen. Wenn sie hustet, kommt Blut mit. Ich habe so eine Angst um sie. Können wir ihr das Ligand spritzen, hilft das vielleicht?"

"John, wir bekommen das schon hin. Geb mir den Doktor", sofort hielt John, dem Arzt den Hörer hin.

"Herr Kollege, John soll ihnen das Ligand zeigen. Spritzen sie ihr alle fünf Einheiten. Sie müssen dieses Mittel, sehr langsam spritzen. Für diese fünf Einheiten brauchen sie mindestens acht Minuten. Sonst führt es zu inneren Blutungen. Das hat ihr schon einmal geholfen, kontrollieren sie, aber die Vitalwerte, die dürfen nicht zu niedrig werden. Tut mir leid, dass ich ihnen so etwas zumuten muss. Ich brauche sieben Stunden, bis ich in Gera bin. So lange hält Kahlyns Herz nicht durch", entschuldigte sich Jacob, bei dem Kollegen.

Jacob zwang den unbekannten Arzt ein nicht zugelassenes Medikament zu verwenden. Es half alles nichts. Über eine Stunde schrie Kahlyn jetzt schon, lange hielt das ihr Herz nicht mehr aus.

"Schon gut Herr Kollege, ich kann ja verstehen, dass es eine Ausnahme Situation ist. Lassen sie mich, erst einmal um das Mädchen kümmern. Wir reden dann gleich noch einmal", er legte den Hörer auf den Schreibtisch und klopfte John auf die Schulter.

"Sie müssen die Kleine noch einmal halten, sonst kann ich sie nicht spritzen. Kommen sie, damit es ihr besser geht. Wo ist dieses Ligand?"

John rannte nach vorn, zu dem Medi-Koffer und holte die besagte Spritze. Drückte sie dem Arzt einfach in die Hand.

"Willy, helfe mir alleine bekomme ich sie nicht gebändigt. Du justierst ihren Kopf, egal ob du mir dabei weh tust."

Sofort nahm John Kahlyn, in einer Art Zangengriff. In dem er das viel kleiner Mädchen, auf seinen Körper zog. Ihre Beine mit seinen Beinen umschlang und ihre Arme mit seinen Armen festhielt. So dass der Oberst nur noch ihren Kopf justieren musste. Der drehte Kahlyns Kopf zur Seite und drückte ihn fest an Johns Schulter, so dass der fremde Arzt den Ligand spritzen konnte. Sehr, sehr langsam spritzte der Arzt dieses Mittel. Bereits nach zwei Einheiten, wurde der Widerstand von Kahlyn weniger. Nach vier Einheiten, hörte sie auf zu schreien. Nach neun Minuten hatte der Arzt die fünf Einheiten gespritzt. Kahlyn lag ruhig, wenn auch mit rasselnden Atem auf John. Erleichtert ließ dieser seine kleine Freundin los. Stand auf, hob Kahlyn hoch und trug sie, das zweite Mal am heutigen Tag zum Sofa. Vorsichtig legte er sie darauf. Der Arzt untersuchte Kahlyn, das Fieber begann zu sinken. Es lag nur noch bei 59,9°C, der Blutdruck und der Puls bei 285/190. Die Injektion schien zu wirken. Erleichtert, sah er die anderen an.

"Wir haben es glaube ich geschafft. Jetzt müssen wir warten. Wir lassen sie erst einmal hier liegen", noch einmal maß er die Vitalwerte. Man sah auch so, dass es Kahlyn besser ging. Die Verkrampfungen der Hände und Füße ließen nach. Der Atem ging leichter. Erfreut stellte der Arzt nach zehn Minuten fest, die Temperatur, lag bei 56,4°C der Blutdruck und der Puls bei 195/100.

"Hoffen wir jetzt nur, dass es nicht zu weit nach unten geht. Sonst haben wir ein Problem."

Er drehte sich um und lief nach hinten, um mit Doktor Jacob zu sprechen. Dieser war zufrieden. Die Werte lagen im Zeitrahmen. Aber auch in dem Bereich, in dem sie liegen sollten. "Herr Kollege, ich danke ihnen. John ist ein guter Sanitäter, aber das hätte er alleine nicht hinbekommen. Er ist viel zu sehr auf die Kleine fixiert. Ich denke sie hat es geschafft."

"Ist kein Problem Doktor Jacob. Ich konnte helfen, das ist das Einzige, was zählt. Wir telefonieren morgen noch einmal. Ich muss dringend ins Bett, ich habe seit vier Tagen, so gut wie nicht geschlafen. Bei uns in der Klinik war der Teufel los. Wenn etwas mit der Kleinen ist, soll mich Rudi, einfach noch einmal holen. Die Vitalwerte kann auch John messen. Guten Nacht Herr Kollege", mit diesen Worten legte er auf.

Der Arzt ging nach vorn, zu den immer noch verstört wirkenden Männern. Noch ein letztes Mal, maß er die Vitalwerte Kahlyns, die jetzt friedlich ruhig atmend schlief. Die Temperatur lag bei 52,1°C, die anderen Werte bei 160/90 also in einem einigermaßen guten Bereich. Wenn sie so bleiben, hatte sie es geschafft.

"Sorgen sie dafür, dass die Kleine zur Ruhe kommt. Bringen sie das Mädchen irgendwo hin, wo sie in Ruhe schlafen kann", bat der Arzt John.

"Messen sie bitte einmal in der Stunde Temperatur, Puls, Blutdruck. Bleiben die Werte in dem Bereich, ist alles in Ordnung. Sinken sie oder steigen sie extrem, holte ihr mich einfach noch einmal. Guten Nacht."

"Danke Herr Doktor, tut mir leid, dass ich vorhin so unwirsch war."

Der Arzt klopfte John, verstehend auf die Schultern. "John, sie haben alles richtig gemacht. Rudi, wenn etwas ist, holt mich einfach. Ich muss ins Bett, ich habe seit Tagen kaum geschlafen."

Rudi sah den Doktor dankbar an. "Danke Johanes, tut mir leid, aber das war wirklich ein Notfall, sonst hätte ich dich nicht geholt."

"Weiß ich doch, also guten Nacht", Johannes verließ den Bereitschaftsraum.

John setzte sich auf das Sofa und streichelte Kahlyns Gesicht. Er fing an zu weinen. Rudi, der genauso schockiert über das gerade erlebte war, zog seinen Freund auf die Beine und in seine Arme. "Komm John, es ist vorbei. Sie hat es geschafft."

John sah Rudi wütend an. "Was denkst du, wie oft die kleine Maus, solche Anfälle noch überlebt? Hatten wir uns nicht vorgenommen, sie davor zu schützen, verdammt nochmal. Das alles nur, weil du mit der Wahrheit nicht umgehen kannst. Du bist der ältere und du solltest der Verständigere sein", John war wütend auf seinen Freund und er könnte schreien vor Wut, weil er Kahlyn nicht besser beschützt hat.

Jetzt ging der Oberst dazwischen. "Kommt, es nutzt Kahlyn doch nichts, wenn ihr nach Schuldigen sucht. Wir müssen eine Lösung finden, die Kahlyn hilft zur Ruhe und vor allem ihr hilft hier zu Recht zu kommen. Sie hat verdammt nochmal Recht, mit dem, was sie mir an den Kopf geschmissen hat. Keine Ahnung, ob wir da noch herauskommen. Lassen wir sie erst einmal schlafen. Das ist schon immer das, was ihr am besten geholfen hat", traurig sah er die Männer an.

Alle nickten.

John ging nach hinten in den Schlafsaal und holte von dort eine Decke und ein Kissen. Vorsichtig schob er das Kissen unter Kahlyns Kopf und deckte sie zu. Noch einmal maß er Temperatur, Blutdruck und den Puls und war zufrieden, 43,5° war ihre Temperatur und 85/55, der Blutdruck. Alles war in einen Bereich gesunken, der vertretbar war. John blieb eine Weile sitzen und mehrmals noch die Vitalwerte. Nach einer Stunde atmete der Sani erleichtert auf. Die Werte blieben in dem Guten Bereich und schienen stabil zu bleiben. Kurz nach Eins, gab John Entwarnung. Kahlyn war über den Berg. Alle Werte waren stabil geblieben und hatten sich seit einer Stunde nicht mehr verändert. Erleichtert atmeten alle auf.

 

Ich wurde von Gemurmel munter, irritiert sah ich mich um. Wieso lag ich auf dem Sofa? Ich saß doch gerade noch an der Wand. Erfreut stellte ich fest, dass die Schmerzen in meinen Muskeln und auch diese schlimmen Kopfschmerzen weg waren. Erleichtert setzte ich mich auf. Besorgte Blicke trafen mich, der Oberst kam auf mich zu.

"Wie geht es dir, Kahlyn?"

"Was guckt ihr so?"

Der Oberst, konnte sich denken, was los war. Er hatte ähnlich Situationen, schon einige Male mit mir erlebt. "Kahlyn, du hattest gerade einen schlimmen Anfall. Bitte, wie geht es dir?", wollte er von mir wissen.

Ich setzte mich auf und zog die Füße auf die Sitzfläche, kuschelte mich in die Ecke des Sofas. "Sir, es geht mir gut, Sir. Können wir jetzt bitte fahren, Sir?", bat ich ihn darum, dass wir endlich los fahren sollten, auch wenn mir bewusst war, dass er das nicht machen würde. Er machte ja nie um was ich ihn bat.

"Kahlyn, bitte ich will nicht, dass du dich schon wieder aufregst. Aber ich denke, du solltest dir anhören, was die Jungs dir hier zusagen haben. Komm mal auf meinen Schoss bitte, wenn du hinterher immer noch weg willst, nehme ich dich mit. Du musst nur zuhören, musst keinen Ton sagen, bitte meine Mädchen."

Was blieb mir anders übrig? Ich kannte den Oberst, er würde nicht nachgeben, je schnell wir es begannen umso schneller kam ich hier weg. Meine Meinung würde sich nicht mehr ändern. Ich lief zu ihm. Der Oberst drehte seinen Stuhl seitlich zum Tisch, so dass ich mich auf seinen Schoss setzen konnte. Rechts und links am Stuhl hingen meine Beine herunter. Er nahm mich einfach in den Arm. Ach, wie ich das liebte, so oft hatte er mich so in den Armen gehalten, wenn ich nicht schlafen konnte oder weil es mir nicht gut ging. Eine unsagbare Ruhe, strömte immer von ihm aus.

"Hör einfach zu, mein Mädchen, ohne Wut und ohne Vorurteile", flüsterte er mir leise ins Ohr. Ich legte meinen Kopf auf seine Schulter, genoss einfach seine Nähe.

Arno der ja schon mehr als einmal gesagt hatte, dass es ihm leid tat, was passiert war, fing auch diesmal wieder an. "Kahlyn ich weiß, dass wir gestern falsch reagiert haben. Alles, was du vorhin gesagt hast ist richtig. Aber, du musst auch eins wissen, wir brauchen dich hier. Bitte ich möchte nicht, dass du weggehst. Ich habe in den letzen Wochen, von dir mehr gelernt, als in den letzten zehn Jahren. Und wenn es auch nur Anstand ist. Weißt du eigentlich, dass du es immer wieder schaffst, uns zu verblüffen. Ich habe mich immer für einen anständigen Menschen gehalten. Seit dem ich dich kenne, habe ich einiges an mir überdenken müssen. Ich bin froh, dass es dich gibt, bitte gehe nicht weg. Weißt du, auch wir sind nicht perfekt. Ich habe erst gedacht, du gibst mir die Schuld an dem Tod von Jacob, Ferdinand und Charly."

Ich schüttelte den Kopf. "Das habe ich nie gesagt."

"Kahlynchen, das weiß ich doch. Aber weißt du, im ersten Moment habe ich es so verstanden. Verstehst du, da war ich halt sauer auf dich, ich bin doch auch nur ein Mensch", traurig sah er mich an.

"Arno, man hat nur die Schuld am Tod eines Kameraden, das habe ich gelernt in den letzten sechzehn Jahren, wenn man dessen Tod bewusst hervorruft. Es aus Habgier, aus Bequemlichkeit in Kauf nimmt. Aber nicht, weil man es nicht verhindern konnte. Weil man keinen besseren Weg kannte. Deshalb, wollte ich es euch ja erklären, weil Jacob, Ferdinand und Charly, wegen ein und demselben dummen Fehlers sterben mussten", sagte ich leise nur zu Arno.

Rudi sah mich an. "Kleene, weißt du, wir haben uns schon so oft missverstanden. Manchmal denke ich, wir sprechen verschieden Sprachen. Es tut mir wirklich leid, dass ich dich angebrüllt habe. Du weißt doch, ich bin ein Temperamentsbündel. Oft reagiere ich erst, dann denke ich. Meistens bekomme ich das gebacken und habe mein Temperament fast immer im Griff. Aber als du mir das von den Dreien an Kopf geworfen hast, dann kam diese verdammte Wut auf mich wieder hoch, weil ich den Tod der Drei nicht verhindern konnte", flehend sah Rudi mich an.

Hatte er wirklich nur überreagiert?

"Kahlyn, ich denke du weißt ganz genau, wie ich mich fühle. Ich hatte die Verantwortung für die Drei, verstehst du. Ich habe das Gefühl, ich habe sie selber getötet. Als du sagtest, deren Tod wäre zu verhindern gewesen. Ach ich weiß nicht, wie ich das erklären soll", traurig stützte er seinen Kopf, auf die Hände und starrte wütend auf sich, auf die Tischplatte.

"Dann dachtest du, ich würde dir damit die Schuld zu weisen?"

Rudi nickte.

"Du hast sie ja nicht mehr alle. Keiner weder du noch ich, hätten deren Tod verhindern können. Nicht mit dieser bescheuerten Taktik, die ihr immer anwendet. Frage den Oberst, den habe ich so oft angeschrien, weil er diese bekloppte, Zangentaktik verwendet hat. Das ist die tödlichste Taktik, die es gibt. Sie gerät immer außer Kontrolle. Es sei denn, man ist zahlenmäßig zehn zu eins überlegen. Doch meistens, sind wir doch in der Unterzahl, wie bitte, soll das funktionieren? Aber Rudi, man darf so einen Fehler nicht immer wieder machen. Nur hat euch noch nie jemand gesagt, wie es anders geht. Aber ihr hört mir nie zu, wenn ich euch etwas erkläre, nie hört ihr mir zu."

Der Oberst streichelte meinen Rücken. "Kahlyn, komm rege dich nicht schon wieder auf. Noch einen Anfall verkraftest du nicht."

"Aber es ist doch wahr", konnte ich mir einen letzten Satz nicht verkneifen.

"Du hast ja Recht, meine Kleene, ich verspreche dir mich zu besser. Aber Kleene bleibe hier, bitte ich hab dich doch lieb. Ich will dich immer noch adoptieren, egal ob ich in zwei Monaten schneeweiß bin, weil du mir meine letzten Nerven raubst. Ich hab dich lieb Kleene, bitte." Er sah mich so lieb an, da konnte ich nicht anders.

"Ich doch auch, aber ich kann nicht mehr Rudi. Immer muss ich mich verhalten, wie ihr es von mir erwartet, nie darf ich, ich selber sein. Das macht mich kaputt. Weißt du, wenn ihr mir wenigstens vertrauen würdet, dann hätte ich einen Ruhepol. Aber mir vertraut niemand, immer muss ich kämpfen. Könnt ihr euch denn nicht vorstellen, dass ich keine Kraft mehr dazu habe. Max hat gestern gesagt, er ist müde er will aufhören, weil ihm jeder Knochen weh tut. Weil er einfach nicht mehr kann. Rudi, ich bin genauso lange im Kampf wie er. Aber ich habe bestimmt die vierfache Zahl der Kämpfe hinter mich gebracht. Ich habe es einfach satt, jedes Mal erst um das Vertrauen zu kämpfen. Ich habe es so verdamm satt. Seit zwei Monaten, muss ich nicht nur gegen die anderen Teams kämpfen, sondern auch noch um euch. Meine Leute, haben mir bedingungslos, blind oder wie ihr es nennen wollt, vertraut. Seit zwei Monaten, bekomme ich nur Probleme. Meine Leute sagten nach einem Kampf, danke, dass du uns da heil durch gebracht hast. Nahmen mich einfach einmal in den Arm, damit ich schlafen konnte. Aber hier ist alles anders, ich muss den ganzen Scheiß, noch einmal durchleben. Bei dieser bekloppten Auswertung, muss mich noch einmal erklären. Ich kann das nicht mehr, dazu fehlt mir einfach die Kraft. Ich bin müde Rudi. Weißt du, was ich mir wünsche, wenn ich schlafen gehe."

Rudi sah mich entsetzt an, er konnte es sich denken, was jetzt kam.

"Du weißt es, stimmt's."

Rudi nickte.

"Ich wünsche mir, nicht mehr aufzuwachen. Weil ich dieses Leben so satt habe. Aber ich wache immer wieder auf. Auf der einen Seite, freue ich mich darüber. Aber auf der anderen Seite, hasse ich es. Es bedeutet einen neuen Kampf, neue Schmerzen und neues Leid", traurig schmiegte ich mich, an den Oberst und schloss die Augen, ich war so verdammt müde.

Conny, der die ganze Zeit entsetzt zu mir gesehen hatte, musste jetzt auch etwas los werden. "Kahlyn, es tut mir so leid, dass du so denkst, darf ich dir bitte einmal etwas zeigen. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass dir das hilft, weil ich nichts über dein bisheriges Leben weiß. Aber es macht mich wütend, wenn ich ein so junges Mädchen, so etwas sagen höre. Sieh mal…", wieder holte er sein Portemonnaies hervor und zog das Bild seiner toten Schwester heraus. "… das ist meine kleine Schwester. Sie ist seit zehn Jahren tot. Sie hätte sich bestimmt gewünscht heute noch zu leben", mit Tränen in den Augen legte er mir das Bild vor die Nase.

"Das ist Filisha Citlalli Shania Keynia Ortega, ich kenne das Mädchen", ich drückte mich weg, vom Körper des Obersts, sah mir Conny noch einmal genau an. "Jetzt weiß ich endlich, woher ich dich kenne. Du bist Tlacaelel Xolotl Diandro Conrad Ortega?"

Irritiert sah mich Conny an. "Woher kennst du meinen und ihren vollen Namen. Den kennen nur unsere Eltern und Pille."

Bei dem Namen Pille, sahen sich die Männer vom Delta-Team verwundert an. Dem Oberst aber wurde mit einem Schlag klar, wen er hier vor sich sitzen hat.

"Du bist einer der beiden Ortega Kinder, aus dem Entführungsfall von Alexanderplatz, von vor zehn Jahren. Das gibt es doch nicht. Kahlyn, wie kannst du nach so vielen Jahren, noch wissen, wie die Kleine der Ortegas ausgesehen hat. Vor allem dich noch an den vollen Namen von beiden Ortega Kindern erinnern? Den weiß ich nicht einmal mehr", mit dem Kopf schüttelnd sah er mich an.

"Sir, ich weiß noch die Namen von jeder Geisel, die ich tot oder lebendig gefunden habe. Ich vergesse nie, die verlorenen Kinder."

Völlig fassungslos, sah mich Conny an. "Woher weißt du das? Nicht einmal in der Todesanzeige stand ihr vollständiger Name."

Traurig sah ich Conny an. "Das ist eine lange Geschichte, die nicht so ganz einfach zu erklären ist."

Bittend sah mich Conny an. Jetzt liefen ihm, ohne dass er etwas dagegen machen konnte, die Tränen über das Gesicht.

Fragend sah ich zum Oberst hoch.

"Kahlyn, ich denke du kannst Conny, die Geschichte heute ruhig erzählen. Es gibt keinen Grund mehr, die alte Geschichte aufrecht zu halten. Eigentlich erntete der Falsche, auf dein Bitten hin, die Lorbeeren und die ganze Anerkennung."

Verständnislos sah Conny vom Oberst zu mir. Auch die anderen, starrten mich verständnislos an.

"Soll ich die richtige Geschichte erzählen oder die die alle kennen?"

 

Der Oberst streichelte mir über das Gesicht. "Die wirkliche Geschichte. Conny hat sie sich verdient"

Ich lehnte mich an meinen Oberst. "Na ja, ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Im August 65, das Datum weiß ich nicht mehr, bekam der Oberstleutnant einen Anruf von der Soko Tiranus, mit der Bitte der Soko den besten Spurenleser zu schicken, den er hätte. Es würden zwei Kinder vermisst. Die auf dem belebten Alexanderplatz verschwunden waren. Ich hatte zuvor schon mit meinem Team einige Einsätze, die ziemlich haarig waren, für diese Soko gemacht. Deshalb schickte mich der Oberstleutnant, das erste Mal alleine in die Soko. Das war kurz nach dem Einsatz in Rumänien, am Eisernen Tor. Wir hatten schon fast sechs Wochen krank im Bett gelegen und kein Geld eingespielt. Damals verstand ich nicht, was das hieß. Ich hatte immer noch sehr hohes Fieber, als der Doko zu mir kam und mich fragte ob ich den Einsatz übernehmen könnte. Es würden zwei Kinder vermisst. Sie wären schon vierzehn Tage verschwunden. Du weißt ja Rudi, bei Kindern kann ich nicht nein sagen. Also fuhr ich mit dem Doko zusammen in die Soko, um mir das erst einmal anzusehen. Na ja, es war verdammt haarig das Ganze. Wenn ich ehrlich bin, dachte ich nicht, dass ich die Kinder nach so langer Zeit, überhaupt noch finden könnte. Ich habe mit dem Oberst ganz schön geschimpft, weshalb man mich nicht eher geholt hatte."

Der Oberst lachte. "Geschimpft ist gut gesagt. Du hast mich angeschrien und bist mit Fäusten auf mich los gegangen. Du hast mich windelweich geklopft. Die Worte die du mir an den Kopf geschmissen hast, werde ich lieber nicht wiederholen. Du hast mich nach Strich und Faden verprügelt. So stinksauer warst du."

Ich nickte betrübt, genauso war es. "Aber ich habe den Auftrag übernommen, habe aber den Eltern am Telefon gesagt, dass ich keine Hoffnung mehr habe, die Kinder lebend zu finden. Ich den Auftrag nur übernehme, damit die Kinder ein anständiges Begräbnis bekommen können und nach Hause zurückkehren, damit sich die Familie von ihnen verabschieden kann. Nur das war mir wichtig. Hätte man mich nur einen Tag eher geholt, dann könnte Filisha Citlalli Shania Keynia Ortega heute noch leben. Ich begann nachts die Spurensuche am Alexanderplatz. Könnt ihr euch vorstellen, auf diesem belebten Platz nach vierzehn Tagen noch Spuren zu finden. Es war aussichtslos. Ich begann Suchschleifen zu ziehen und geriet in eine Gruppe Rechtsradikaler. Denen ich aber mühelos entwischen konnte. Das war eine Spur, ich hatte kein Foto von den beiden, dazu war die Zeit viel zu kurz. Ich wusste, dass sie beide dunkelhäutiger waren, als ich. Also ein gefundenes Fressen, für solche Typen. Ich blieb an der Gruppe dran. Schnell erkannte ich den Anführer, ein blondhaariger Hüne von siebzehn oder achtzehn Jahren. Ein Großkotz wie er im Buche steht. Ich heftete mich an seine Fersen. Nach drei Tagen, führte er mich in eine verlassene Halle eines ausgebombten Werkes. Dort ging er in die Kanalisation, zu dem geheimen Treffpunkt der Gruppe. Ich belauschte die Jugendliche. Dieser Jan sprach ständig großspurig, von seiner heißen Geliebten, wie er diesem dunkelhäutigen Flittchen, das Leben zur Hölle machen würde. Eines Tages, würde er sie und ihren durch Inzucht verunstalten Bruder, töten. Dieses schwarze Dreckspack, gehöre nicht nach Deutschland", müde rieb ich mir das Genick.

"Kann ich einen Tee haben Fran, bitte?"

Fran stand auf, ging in die Küche und holte mir einen Tee. "Täubchen, der ist aber kalt."

"Ist nicht schlimm, ich habe großen Durst", gierig trank ich die Tasse aus und stellte sie wieder auf den Tisch. Erzählte weiter. "Am davor liegenden Morgen, als er in Richtung Wald und zu dem Bunker ging, sah ich etwas, dass mir überhaupt nicht gefiel. Die Soko Alexanderplatz, hat unabhängig von der Soko Tiranus weiter ermittelt. Zwei Sokos an einer Sache, das ging nicht gut. Die waren vor mir dort angekommen. Ich konnte deren Zugriff nicht mehr verhindern. Da mich die Soko Alexanderplatz aus dem Fall schmiss. Also gingen dieser Jan und mit seinen Kumpels Arnold und Heiner auf die Flucht. Sie wurden regelrecht von der anderen Soko vertrieben. Schnell verloren die Leute von der Soko Alexanderplatz, deren Spur und zertrampelten alles, was an Spuren zu finden war. Als ich beim Oberst ankam, stellte ich ihn vor die Wahl, entweder ich oder die Soko, beides würde nicht funktionieren. Daraufhin zog man mich gänzlich von dem Fall ab. Ich kehrte zurück in die Schule, aber mir ließen die Kinder keine Ruhe. Hatte ich nicht kurz zuvor, die Kinder in Rumänien ihrem Schicksal überlassen. Ich ging also zum Oberstleutnant und bat ihm mir zu helfen. Da die anderen immer noch hochfiebrig im Bett lagen, ersuchte ich ihn mir den Fall zuweisen zu lassen. Eins muss ich den Oberstleutnant lassen, er hatte gute Verbindungen, wenn es darum ging Einsätze zu bekommen. Jedenfalls erreichte er innerhalb weniger Stunden, dass man der Soko Alexanderplatz den Fall entzog und ihn mir zurück gab. Also bin ich zum letzten Punkt zurück gekehrt und fing an Suchschleifen zu ziehen. In der Zwischenzeit, bekam ich dann auch ein Bild von Filisha Citlalli Shania Keynia Ortega. Erschrocken stellte ich fest, dass mir das Mädchen unwahrscheinlich ähnlich sah. Nach achtzehn Stunden brach ich die Suche ab, weil ich einfach nicht mehr konnte. Gosch holte mich ab, brachte mich zum Stützpunkt. Der in einer Schule unweit des Suchgebietes war. Dort schlief ich ein wenig, damit ich das Fieber in dem Griff bekam. Ging dann zum Oberst und machte ihm einen ungewöhnlichen Vorschlag. Er war dann auch damit einverstanden. Ich hatte bei meiner Suche überall Blutspritzer gefunden, das ließ mich Schlimmes ahnen. Nach nicht mal ganz drei Stunden, flog mich Gosch zurück zu dem Punkt, an dem ich mit meiner Suche aufgehört hatte. Zügig folgte ich der Spur. Ich fand nach gut sieben Stunden Filisha Citlalli Shania Keynia Ortega, sie lag unter einen Busch, nicht einmal beerdigt hatte man die Kleine. Sie war erst wenige Minuten tot. Ich versuchte sie zu reanimieren. Zweimal gelang es mir fast. Aber es war zu spät, der Schaden am Gehirn, durch den Sauerstoffmangel, war einfach zu groß. Ich habe es dann nicht weiter probiert, es hatte einfach keinen Zweck. Der Schaden am Kehlkopf wäre nicht reparabel gewesen. Conny es tut mir leid, ich habe wirklich alles versucht, wirklich alles, sogar das Krantonak. Es war wirklich viel zu spät."

Conny sah mich fassungslos an. In seiner unsagbaren Wut, griff er mich jetzt so an, wie man es so oft mit mir machte. "Woher, willst du das denn wissen. Du warst gerade mal sechs damals, wie willst du einschätzen können, ob nicht ein …"

Hier ging der Oberst dazwischen. "Conny, beruhige dich und zwar sofort. Dass, was du hier gerade machst ist bösartig. Du willst Kahlyn doch jetzt nicht die Schuld am Tod deiner Schwester geben?"

Erschrocken sah Conny, den Oberst an.

"Ist schon gut Oberst, ich bin es gewohnt an allem schuld zu sein", erklärte ich trocken.

Conny sah mich entsetzt an. "Entschuldige Kahlyn", mehr konnte er nicht sagen, ich winkte ab.

"Siehst du Oberst, das ist genau das, was ich meinte. Nie nimmt mich jemand ernst. Das macht mich einfach fertig. Aber es ist egal, ich werde mich wohl daran gewöhnen müssen", dankbar nahm ich die gefüllte Tasse, die mir Fran gerade reichte und trank einen Schluck. "Ich bestellte Gosch an ein Feld nur fünfhundert Meter westlich von der Fundstelle und nahm Filisha Citlalli Shania Keynia Ortega auf meine Arme und brachte sie, nach dem ich für die Spurensicherung einen Peilsender hinterlassen hatte, zu Gosch. Damit er das kleine tote Mädchen zur Soko fliegen konnte. Dann ging wieder auf Jagd nach deren Bruder Tlacaelel Xolotl Diandro Conrad Ortega, also nach dir Conrad. Schnell fand ich die Spuren wieder und verfolge sie weiter. Gosch, der mir folgte, stellte mir eine Verbindung zum Oberst her. Ich bat diesen, Gosch zurückzurufen, um Pille aufzunehmen. Erklärte auch den Grund, der Oberst verstand es gut. Ich schlug ihm vor, wie wir die Übergabe der Kinder über Pille regeln konnten, ohne dass ich selber ins Spiel kam. Ich wollte den Eltern nicht antun, mir gegenüber zu treten. Ich folgte also den Geiselnehmern, fand sie nur drei Stunden später schlafend auf einer Lichtung. Legte alle Drei schlafen, die Geisel schlief so fest, dass ich mir um sie keine Sorgen machen musste. Ich band alle Drei, an einen Baum, untersuchte in Ruhe die Geisel auf Verletzungen, versorgte sie so gut es halt im Wald ging. In der Zwischenzeit, kam Gosch und Pille an, wir verbanden dem sechzehnjährigen Jungen die Augen und trugen ihn aus dem Wald. Dort spritzte ich ihn Schlafmittel, damit er mich nicht sah. Versorgte seine Wunden, auch das schlimm zerschnittene Gesicht und reparierte auch das Auge. Zusammen flogen wir dann zum Stützpunkt. Dort verabschiedete ich mich von allem und flog nach Hause. Conny es tut mir wirklich leid, dass ich deine Schwester nicht retten konnte, wirklich. Ich bin gut als Ärztin, aber ich kann leider nicht zaubern, wirklich nicht", mitfühlend sah ich ihn an.

Conny schüttelte den Kopf. Man sah ihm an, dass er völlig fertig war. "Verdammt und ich hab die ganzen Jahre gedacht ich spinne."

"Wieso das denn?", wollte Rudi wissen.

"Es ist so, ich weiß ja, was die mit mir und meiner Schwester gemacht haben. Als ich am nächsten Morgen munter geworden war, konnte ich nicht glauben, dass mein Auge nicht mehr weh tat und dass mein Gesicht nicht zerschnitten war. Das an meinem Körper..." Er zog einfach seinen Overall herunter und das T-Shirt hoch. "… das an meinem Körper nirgends Narben waren. Der Psychologe, dem ich davon erzählte, meinte immer ich hätte das, was man mit meiner Schwester getan hat, auf mich übertragen."

Ich schüttelte den Kopf. "Nein Conny, es tut mir leid wirklich. Es war mein erster Entführungsfall, den ich mit der Soko gemacht hatte. Danach habe ich den Fehler, nie wieder gemacht. Der Oberst hat mir danach irgendwann einmal erklärt, dass immer erst Fotos gemacht werden müssen, als Beweis. Erst dann darf ich die Entstellungen wegmachen. Nur bei dir wusste ich das noch nicht. Du bist nicht verrückt. Du warst schlimmer entstellt, als deine Schwester. Deshalb habe ich das ja weggemacht. Du wärst den Rest deines Lebens, behindert gewesen und entstellt. Auch die Entstellungen im Gesicht deiner Schwester, habe ich weggemacht. Damit ihr sie so in Erinnerung behalten könnt wie sie einmal aussah. Nur die Verletzungen am Körper, habe ich gelassen", fassungslos sah mich Conny an.

"Wie du hast das weggemacht?", müde sah ich den Oberst an. "Oberst kannst du das erklären? Mir tut mein Kopf so weh und ich bin so müde."

Der Oberst nickt. "Dann lege dich hin, Kahlyn. Bekommst du schon wieder Fieber?"

Ich schüttelte den Kopf. "Nein, ich bin nur fertig."

"Das glaube ich dir meine Kleene. Komm", bat mich Rudi und stand auf, hielt mir beide Arme hin.

Fragend sah ich zum Oberst hoch, der nickte. Also stand ich auf. Rudi nahm mich einfach auf die Hüfte und drückte mich fest an sich.

"Ich bring dich ins Bett, damit du endlich zur Ruhe kommst, meine Kleene", bei diesen Worten ging er nach hinten in den Schlafsaal. "Diesmal schläfst du aber im Bett", er setzte mich auf mein Bett. "Komm ich helfe dir in den Schlaf", Rudi legte sich einfach neben mich und ich kuschelte mich an ihn.

"Heißt das ihr wollt mich doch hier noch haben?", fragte ich schon halb schlafend.

"Na klar, wir lassen dich nicht einfach so gehen."

Die Antwort bekam ich schon gar nicht mehr mit, weil ich erschöpft eingeschlafen war. Diesmal allerdings, in einen festen erholsamen behüteten Schlaf. Nach drei Minuten stand Rudi wieder auf und deckte mich zu.

 

Er verließ den Schlafsaal, um nach vorn zu den anderen zu gehen, die auf Rudi gewartet hatten. "Ich glaube Kahlyn will nun doch bleiben. Vielleicht haben wir es noch einmal geschafft", stellte er erleichtert fest.

Der Oberst wackelte mit dem Kopf. "Das Gefühl habe ich auch", offen sah er Rudi an. "Aber versaut es nicht wieder."

Alle schüttelten den Kopf.

Conny wollte jetzt den Rest auch noch hören. "Genosse Oberst…"

Der Oberst grinste Conny an. "Conny, du hast vor zehn Jahren schon Willy zu mir gesagt und du. Warum jetzt so förmlich, oder kennst du mich nicht mehr?"

Conny schüttelt den Kopf. "Wenn ich ehrlich bin, weiß ich von damals nicht mehr sehr viel. Ich war fast ein Jahr in der Psychiatrie, in Behandlung. Weil ich mit mir nicht mehr klar gekommen bin. Dort traf ich einen ehemaligen Polizisten, der nach irgendeinem schlimmen Fall, einen Nervenzusammenbruch hatte. Der brachte mich dann auf die Idee zur Polizei zu gehen, um zu verhindern, dass solche Menschen, ungestraft davonkommen. Er machte mir Mut, mein Leben wieder in die eigenen Hände zu nehmen."

Der Oberst sah Conny erst an. "Das kann ich mir vorstellen. Aber, um auf die Sache von damals zurück zukommen. Als Kahlyn dich fand, warst du mehr tot als lebendig. Von Pille weiß ich, dass du schwerste innere Verletzungen hattest. Dein Bauch, dein Rücken, dein Gesicht waren aufs Schlimmste zerschnitten. Man kann fast sagen, du warst schlimmer entstellt wie deine Schwester. Dein, jetzt weiß ich nicht mehr genau, ich glaube rechtes Auge war fast völlig zerstört. Pille trug dich mit Kahlyn und Gosch zusammen zum Heli, dort verarztete dich Kahlyn. Gosch und Pille erzählten mir dann fassungslos, in welchen Tempo, Kahlyn deine Wunden versorgte. Dann sahen beide zum ersten Mal das Krantonak, eine Heilmethode, die nur Kahlyn beherrscht. Über zwei Stunden brauchte Kahlyn, um durch das Krantonak dein Auge zu heilen, all deine Narben verschwinden zu lassen. Sie spritzte dir dann irgendwas oder vorher. Ist ja egal ich weiß es nicht mehr so genau, damit du mindestens zwölf Stunden schläfst und kippte bewusstlos zur Seite. Plötzlich hörte Kahlyn auf zu atmen, beide versuchten Kahlyn zurückzuholen. Irgendwann gaben sie auf. Gosch und Pille luden dich in den Heli, legten die angeblich tote Kahlyn dazu. Flogen zurück zur Basis. Kaum, dass sie dort gelandet waren, wollten sie Kahlyn hinein tragen. Aber dieses unglaubliche Mädchen stand einfach wieder auf ihren Beinen. Sie stieg schweigend aus dem Heli aus. Kam auf mich zu, mehr geschwankt als gelaufen, machte Meldung, so wie sie es danach bei jedem ihrer Einsätze handelte: "Sir, Einsatz erfolgreich beendet, Sir. Im Wald Position x,y, sitzen drei Gefangen mit Peilsender versehen und kuscheln mit den Bäumen, Sir. Sie haben es sehr unbequem, lassen sie sich ruhig etwas Zeit mit dem Abholen, Sir. Dürfte ich eine Stunde Schlafen, Sir?", beim letzten Wort brach sie wieder zusammen. Pille trug sie, immer noch völlig von der Rolle, in die Halle, legte sich mit ihr zusammen hin. Wir konnten sie damals nicht alleine schlafen lassen. Sie schlief genau eine Stunde. Kam aus irgendeinen uns nicht verständlichen Grund, wütend nach vorn in die Halle und auf mich zu. "Sir, können sie mich bitten nach Hause bringen, Sir? Meine Freunde brauchen mich, sie sind krank, Sir", daraufhin wies ich Gosch an, sie nach Hause zu fliegen." Der Oberst, schüttelte immer noch darüber den Kopf. "Das ist jetzt schon so lange her. Aber ich werde das nie vergessen. Gosch kam dann völlig verstört, aus der Schule zurück. Erzählte mir, dass der Oberstleutnant, dieses erst sechs Jahre alte Mädchen, vor seinen Augen mit wahnsinniger Wucht zusammenschlagen wollte. Das Kahlyn nicht einmal gezuckt hätte, nur weil sie deine Schwester nicht gerettet hatte. Warf Mayer, ihr Vorgesetzter, ihr vor, sie selber getötet zu haben. Dann jagte er Gosch aus der Schule, wütend flog dieser ab. Zwei Monate später, kam sie wieder zu einem Einsatz. Diesmal wieder in der Begleitung ihres Dokos. Der bei dem Ortega-Einsatz nur ganz am Anfang dabei war, da in der Schule über siebzig schwer kranke Kinder lagen. Sonst kam dieser immer als ihr Betreuer mit. Doko erzählte mir dann, das Kahlyn im Anschluss, an die Prügel, für drei Tage an die Mauer gehängt wurde, weil sie dein Schwester nicht retten konnte. Ohne Brille, das ist die schlimmste Strafe, die man Kahlyn antun kann. Denn die Sonne tut ihr wahnsinnige Schmerzen zufügen. Da ihre Augen sehr lichtempfindlich sind. Aber auch, dass sie nach diesen drei Tagen, noch über 59°C Fieber hatte. Dass sie bei ihm oben in der Praxis, schlimme Krämpfe hatte, sich kaum auf den Füßen halten konnte. Fast die gesamte Zeit, Conny, in der sie euch suchte, hatte sie noch höheres Fieber. Ging euch mit ausgerenkten Wirbeln suchen, die einer meiner Sanitäter, erst Tage später eingerenkt hat. Deshalb ärgert es mich wahnsinnig, wenn man diesem ehrlichen Mädchen, schlecht Absichten unterstellt", traurig sah er in die Runde. "Ich weiß, wie schwierig dieses Mädchen oft ist. Aber eins kann ich euch versprechen. Sie würde niemals zulassen, dass jemand von euch stirbt oder dass ihr in Gefahr geratet. Ihr oberstes Gebot ist es, andere zu beschützen. Kahlyn hat ihren Namen nicht zu unrecht. Sie ist eine Beschützerin. Wenn sie euch wegen irgendetwas kritisiert, hört ihr zu. Dann will sie euch nur beschützen."

Raphael sah den neuen Kollegen an, dann den Oberst. "Das wissen wir jetzt auch Willy. In Augustow, haben wir das hautnah erlebt. Bei dem Einsatz wurde unser Teamleiter eigentlich, so würde ich heute sagen, tödlich verletzt. Dass Detlef nicht gestorben ist, hat er nur Kahlyn zu verdanken. Sie hat ihn unter Lebensgefahr, mitten auf dem Schlachtfeld, Conny wirklich Schlachtfeld, operiert halb als Gino, halb als Mensch. Obwohl es ihr nicht gut ging. Ich kann den Hasen so verstehen. Rudi ich wäre dir, wenn du das mit mir gemacht hättest, an die Kehle gegangen. So etwas dürft ihr mit unserem Häschen, nicht mehr machen, bitte. Ihr wisst doch, wie sensibel die Kleine manchmal ist. Warum drängt ihr sie in die Ecke, das muss doch wohl nicht sein", kam Raphael, zum ursprünglichen Thema zurück.

Der Oberst nickte. "Raphi du hast vollkommen Recht. Leute, die Kleine hat schon so viel durchgemacht. Sie hat so viel Stress hier, macht ihr nicht noch mehr Stress. Kahlyn läuft seit dem sie bei euch ist am Limit. Ihre gesamte Welt ist aus den Fugen geraten. Alles ist in ihren Augen verkehrt, könnt ihr mal versuchen, das zu begreifen. Ich weiß die Kleine ist oft schwierig. Aber ihr seid alles erwachsene Menschen, das ist ein kleines Mädchen. Könnt ihr nicht einmal, über euren eigenen Schatten springen und ihr einfach vertrauen. Sie sagte vorhin hinten zu mir, "Ständig muss ich vertrauen, doch niemand vertraut mir, sie hören mir nie zu, unterstellen mir böse Absichten, dabei wollte ich ihnen nur erklären das drei Leute wegen desselben Fehlers gestorben sind. Ich kann einfach nicht mehr", traurig sah er die Jungs an. "Leute, Kahlyn ist ein grundehrliches Wesen, wenn man ihr Lügen oder böse Absichten unterstellt, dann springt in ihren Kopf irgendwo eine Sicherung raus. Glaubt mir, ich habe zehn Jahre gebraucht, um damit einigermaßen klar zu kommen. Ich hatte den Vorteil, die Kleine war immer nur kurze Zeit bei mir. Bitte vertraut ihr einfach, stellt ihr Entscheidungen nicht ständig in Frage. Vor allem hört endlich auf, in ihr ein kleines Mädchen zu sehen. Das ist sie nicht. Wenn es um den Kampf geht, ist Kahlyn ist die Kleine erfahrener als wir alle zusammen. Sie sagte vorhin einige Zahlen, in der Schule die Zahl mit zweitausend Einsätzen stimmt, aber die Zahl der Einsätze bei mir nicht. Es waren neunhundertsiebenundachtzig. Kahlyn hat also fast dreitausend Einsätze in den letzten vierzehn Jahren gemacht. Wenn ihr euch das mal rechnerisch betrachtet hatte dieses Mädchen die letzten vierzehn Jahre, aller anderthalb Tage ein Himmelpfort. Denkt ihr nicht, dass sie etwas Erfahrung im Kampf hat. Das war sogar für mich erschreckend, keiner der Schuleinsätze, war leichter als Himmelpfort oder Augustow. Viele der Einsätze bei mir, waren ähnlich heftig gewesen. Kahlyn würde diese beiden Einsätze, die euch fast aus der Bahn geworfen hätten, als Urlaub bezeichnen. Glaubt mir eins, im Kampf könnt ihr euch hundertprozentig, auf eure kleine Majorin verlassen. Helft ihr Ruhe zu finden, das ist das, was Kahlyn am dringendsten braucht. Denn auch damit hat das kleine Mädchen recht. Als man die Schule auflöste, den Stiefel ziehe auch ich mir an, hat keiner an die Bedürfnisse der Kinder gedacht. Wir haben uns nur Gedanken gemacht, wie wir die Kinder am besten einsetzen. Keiner auch ich nicht, ist auf die Idee gekommen, auch nur einmal zu fragen, was wollt ihr eigentlich. Es ist traurig aber wahr. Wenn ich über das nachdenke. Was mir Kahlyn vorhin in ihrer unsagbaren und doch verständlichen Wut an den Kopf geschmissen hat. Muss ich ihr Recht geben. Ich habe sie immer gefragt, ob sie geschlafen und gegessen hat. Aber ich habe sie nie gefragt, was willst du, was sind deine Bedürfnisse", traurig sah der Oberst auf seine Hände. "Im Gegenteil, für mich war sie immer, eine egoistische Bereicherung. Ich nenne das jetzt mal so, weil mir das vorhin erst klar geworden ist. Die Zeit, die sie in der Soko verbrachte, konnten die anderen zur Erholung nutzen. Durch die Soko und die Einsätze die sie bei mir hatte, kam Kahlyn überhaupt nicht mehr zum atmen. Das wurde mir aber heute erst bewusst. Oft kam sie noch blutverschmiert und ungeduscht vom Einsatz, in die Soko, so dass ich sie erst einmal für ein oder zwei Stunden ins Bett schickte. Kein Wunder, dass sie so wütend auf mich war. Es ist kein Wunder", erschrocken sah der Oberst auf die Uhr. "Rudi, kann ich bei euch schlafen, wenn ich mir erst noch ein Hotel suchen muss…"

Rudi unterbrach den Freund einfach. "Na klar, kannst du bei uns schlafen, wir haben genug Betten."

"Dann ab mit euch in die Betten, nutzt das Schnell schlafen. Es sind nur noch zwei Stunden. John zeigst du Conny, wie das geht?", fragt der Oberst den Sanitäter.

"Komm Conny, ich erkläre es dir hinten", sofort verschwand John mit Conny im Schlepptau im Schlafsaal.

Alle waren viel zu fertig, um noch duschen zu gehen. Es war schon kurz nach halb Vier, in der Früh. Man hatte nur noch zwei Stunden zum Schlafen, das wollen alle nutzen. Der Oberst ging noch einmal zu Rudi.

"Rudi, wir lassen Kahlyn morgen schlafen. Sie braucht Ruhe, egal was ist. Sollte ein Einsatz kommen übernehme ich Kahlyns Platz."

Rudi nickte, denn er war der gleichen Meinung. "Wir kommen auch mal mit einem Mann weniger hin, zur Not kann ich immer noch Ronnys Gruppe dazu holen. Ich bin deiner Meinung, Kahlyn braucht unbedingt Ruhe. Ich hätte sie gar nicht die Teamleitung, übernehmen lassen sollen."

Der Oberst war anderer Meinung. "Rudi, das war nicht verkehrt, ich finde gut, dass du ihr den Vertrauensbeweis gegeben hast. Das war sehr wichtig für Kahlyn. Deswegen ist sie nicht zusammengeklappt, das sind Sachen die ist das Mädchen gewöhnt. Ihr müsst nur wirklich aufpassen, bei den für euch völlig normalen Sachen, wie die Verabschiedung von Max, der Neuzugang von Conny. So etwas schmeißt Kahlyn aus der Spur. Aber ich denke, sie hat heute wieder einen Schritt in die richtige Richtung gemacht, warten wir ab, was sie morgen für eine Entscheidung trifft. Wundere dich nicht, wenn sie trotzdem nicht bleibt. Bei Kahlyn rechne immer mit den Schlimmsten, hoffe das Beste."

Lachend klopfte er Rudi auf die Schulter. "Na dann guten Nacht", wünschte Willy müde und legte seine Uniform auf das obere Bett. Legte sich selber unten hinein, zwei Minuten später schläft er tief und fest. Rudi ging nach hinten an Kahlyns Bett, um nach ihr zu sehen. Sie wälzte sich unruhig hin und her. Also legte er sich neben sie und zog das Mädchen einfach in seinen Arm.

"Ist schon gut meine Kleene, schlaf mal schön, ich pass auf dich auf."

Als wenn sie diese Worte gehört hätte, kuschelte sich Kahlyn an Rudi und schlief ruhig weiter.

 

Keine zwei Stunden später, standen alle wieder auf. Alle außer mir. Ich wurde selbst von dem Krach, den die zwanzig Leute im Schlafsaal und im Gang machten nicht munter. Ruhig und gleichmäßig ging mein Atem, er klang kräftig. Alle gingen duschen nach vorn an den Tisch, wo Fran schon das Frühstück vorbereitet hatte. Traurig sah er auf den wieder leeren Platz von mir. Rudi der das mitbekam, versuchte ihn zu trösten.

"Fran, lass sie schlafen. Für Kahlyn ist der Schlaf heute wichtiger, als das Essen. Wenn sie munter wird, machst du ihr den Brei."

Fran, sah Rudi traurig an und begann ohne viel Appetit zu Essen. Etwas, dass bei Fran selten vorkam. Ines die am anderen Ende des Tisches saß, sah Rudi fragend an.

"Geht es der Kleenen wieder so schlecht Rudi?"

Rudi schüttelte den Kopf. "Ich weiß es nicht genau, Ines. Schlecht würde ich nicht sagen, aber auch nicht gut. Lass sie schlafen. Du kennst unsere Kleene doch, der Schlaf richtet vieles."

Langsam fingen die Jungs an wieder zu schwatzen, fragten Conny über seine bisherige Laufbahn aus. Was er für Erfahrungen hatte und für Hobbys, außer dem Erklärbären. Natürlich musste er Ines den Erklärbären zeigen, die schmiss sich weg vor Lachen, genau wie Kahlyn. Es wurde gelacht und herum gealbert, als John auf einmal aufhorchte.

"Was ist John?". Rudi sah erschrocken auf seinen Sanitäter.

Der schüttelt den Kopf. "Ach ich dachte ich habe Kahlyn weinen gehört, aber es ist alles ruhig", entschuldigte er sich.

"Hast wohl dein Sorgengehör angemacht?", neckte ihn Rudi.

John sah verlegen aus. "Ich kann halt nicht aus meiner Haut", sah Rudi und den Oberst an.

"Das ist halt mein Sani, immer in Sorge, wenn es jemanden nicht gut geht. Jetzt hab ich nicht nur einen Erklärbären sondern, so hoffe ich eine brillante Ärztin und auch noch einen Sanitöter, der sich Sorgen um die Truppe macht. Was brauche ich mehr?"

Die ganze Truppe fing schallend an zu lachen.

"Sanitöter das ist gut", bemerkte John lachend. "Na warte nur ab, wenn du den mal brauchst", frotzelte er mit Rudi herum.

Während die Jungs vorn einen gewaltigen Radau machten, wurde ich hinten im Schlafsaal munter. Schön das die Jungs wieder lachen konnten, dachte ich mir beim Munter werden. Da ging es mir doch gleich noch besser. Warum nur weckte mich eigentlich nie jemand? Ging es mir wieder einmal durch den Kopf. Ich stand auf, lief nach vorn in die Dusche, schnell war ich gewaschen. Ich beeilte mich und zog mir neue Sachen an, meine Sachen rochen schon wieder blutig und verschwitzt. Kurz nach halb Sieben erschien auch ich am Frühstückstisch, eine halbe Stunde zu spät.

"Guten Morgen", grüßte ich leise und setzte mich auf meinen Platz. Fran sah mich fragend an. Ich schüttelte den Kopf, ich hatte überhaupt keinen Hunger und auch keinen Appetit. Traurig stellte er mir eine Tasse Tee hin. Setzte sich wieder auf seinen Platz.

Der Oberst sah mich fragend an. "Na Kahlyn, wollen wir noch mal kurz reden?"

Ich nickte, mein Oberst kannte mich halt sehr gut. Der wusste genau, warum ich keinen Hunger hatte. Die Sache lag mir immer noch auf den Magen.

"Na dann komm. Wir reden erst einmal unter vier Augen", er stand auf und wandte sich aber an Fran. "Meinen Teller nicht wegräumen, ich habe noch Hunger", der Oberst griff nach meiner Schulter. "Komm", zusammen, den Arm um meine Schulter gelegt, liefen nach hinten in das Besprechungszimmer. "Dann erzähl mal, was du jetzt machen willst", bat er mich um eine klare Ansage, in dem er sich auf den Stuhl setzte.

"Sir, ich möchte das sie mich mit nehmen, Sir", sagte ich kurz und schmerzlos meine Meinung.

So wie es oft bei mir war, war ich von einer einmal gefällten Entscheidung nur schwer wieder abzubringen.

"Kahlyn ich verstehe es nicht. Hast du denn gestern nicht zugehört?", traurig sah er mich an.

Willy Fleischer konnte wieder einmal meine Reaktion nicht verstehen. Hatte er gestern gedacht, dass ich mir das zu Herzen genommen hatte, was die Jungs mir zu erklären versuchten.

"Sir, ich habe zugehört, sehr genau sogar, Sir. Ich habe auch begriffen, dass Rudi, Arno und höchstwahrscheinlich auch Ronny, überreagiert haben. Aber, ich kann meine Meinung nicht ständig ändern. Ich habe mich entschieden, zu meinem alten Leben zurück zukehren. Ich kann nicht heut so und morgen so sagen. Das geht nicht, Sir."

Verzweifelt sah mich der Oberst an. "Kahlyn, habe ich dir schon einmal gesagt, das du mich wahnsinnig machst?"

Ich sah ihn offen an. "Sir, ja, Sir. Schon mindestens hundertmal, Sir", es stimmte, das sagte mir mein Oberst schon sehr oft zu mir. Ich hatte nur nie begriffen warum.

"Kahlyn, was sollen denn die Jungs noch machen, um dich zum bleiben zu überreden. Mädchen, die Jungs haben einen Fehler gemacht. Ja, da hast du vollkommen recht. Sie hätten anders reagieren können, verdammt nochmal, JA. Sind es denn nicht auch Menschen, die Fehler machen können. Dieser Fehler ist nicht so gravierend gewesen, dass man ihn nicht verzeihen kann", stellte kopfschüttelnd fest und sah mich verzweifelt an. Er konnte egal wie viel Mühe er sich gab, meine Reaktion wieder einmal nicht versteht.

"Sir, ich habe den Jungs doch verziehen, Sir", erkläre ich ihm.

Haare raufend stand der Oberst auf und sah mich verzweifelt an. "Dann verstehe deine Reaktion noch weniger. Kahlyn, erkläre mir bitte in allem Herrgott Namen, warum du nicht hier bleiben willst. Du magst doch die Jungs oder?"

Nickend sah ich ihn an. "Sir, natürlich mag ich die Jungs, Sir." 

Sich wieder auf den Stuhl setzend, starrte er mich an. "Dann erkläre mir, bitte, warum willst du deine Wache verlassen. Ich kapiere es wirklich nicht, Kahlyn. Du sagst du hast den Jungs verziehen. Du sagst du magst die Jungs. Warum also, willst du eine Wache verlassen, wo du dich wohlfühlst? Bitte Kahlyn erkläre es mir, damit ich es verstehen kann", hilfesuchend sah mich der Oberst an.

"Sir, ich kann doch nicht einen Tag so sagen, den nächsten Tag so. Das geht doch nicht. Es war ein Fehler, diese Entscheidung so vorschnell zu fällen. Das stimmt, Sir. Aber ich kann doch nicht ständig meine Meinung ändern. Dann bin ich wie eine Wetterfahne im Wind. Das geht doch nicht, Sir."

Verzweifelt, sogar ein wenig genervt, sah mich mein Oberst an. "Kahlyn, außer den Jungs und mir weißt doch keiner was du vorhattest. Oder hast du Hunsinger schon gesagt, dass du die Todesschwadron wieder aufbauen willst?"

Ich schüttelte den Kopf. "Sir, das konnte ich nicht machen, Sir. Ich weiß gar nicht, wie ich Generalmajor Hunsinger erreiche. Deshalb wollte ich ihre Hilfe, weil ich weiß, dass sie den kennen, Sir", verwirrt sah ich den Oberst an, weil ich nicht verstand, was er von mir wollte.

"Kahlyn, mein kleines Mädchen, warum willst du dann gehen."

Genervt sah ich ihn an, weil ich es ihm gerade erklärt habe. "Sir, ich kann doch nicht jeden Tag, meine Meinung ändern, Sir. Ich habe sie gestern darum gebeten mich abzuholen, weil ich nicht mehr hierbleiben kann. Dass sich die Lage geändert hat, ändert aber nichts an der Tatsache, dass ich jetzt hier weg muss. Ich verstehe nicht, warum sie mich nicht verstehen, Sir."

Dem Oberst wurde auf einmal klar, wo mein Problem lag. Wieder einmal begriff er, dass ich ganz anders dachte als er. Kurz entschlossen stand er auf.

"Komm mit Kahlyn. Bitte, komme mit. Wir bereden das vorn mit den Jungs. Vielleicht haben die eine Idee, wie sie dir deinen Gedankenfehler ausreden können. Bitte tue mir einen Gefallen. Rege dich nicht gleich wieder auf. Du hast genug Anfälle für die nächsten hundert Jahre gehabt, in der letzten Zeit", er gab mir ein Zeichen mitzukommen.

Stöhnend lief er zu den Jungs und ließ sich auf den Stuhl fallen.

"Setze dich Kahlyn", befahl er mir in einem strengen Befehlston.

Haar raufend, lehnte er sich auf den Stuhl zurück und sah meine Kollegen verzweifelt an. "Verdammt Jungs ihr müsst mir helfen. Ich komme gerade nicht mehr klar. Kahlyn, hat sich in einer Meinung festgefahren, die meines Erachtens zwar richtig ist. Aber, sie wendet sie an der völlig falschen Stelle an. Ich habe keine Ahnung, wie ich sie davon überzeugen soll, dass sie einen schweren Fehler begeht. Deshalb meine liebe Kahlyn, erkläre den Jungs bitte, warum ich dich mitnehmen soll. Weil ich kann es deinen Jungs, wirklich nicht erklären", verzweifelt sah er mich an.

"Sir, ich weiß nicht, was ich sagen soll, Sir. Ich habe es ihnen doch gerade erklärt, Sir."

"Dann erkläre es den Jungs noch einmal", forderte er mich auf.

Genervt holte ich Luft. "Sir ich habe es ihnen gerade erklärt. Ich kann nicht einen Tag so sagen, den anderen Tag so. So etwas macht man nicht, Sir. Man muss eine Entscheidung die man fällt genau bedenken, bevor man sie äußert. Hat man sie geäußert, muss man zu seinen Entscheidungen stehen. Auch, wenn sie sich später einmal als falsch erweisen sollte, wie es gerade der Fall ist. Ich bin nicht, wie eine Wetterfahne im Wind. Dass ich mal so rum, mal so rum drehe, je nach dem von welcher Seite der Wind gerade kommt, Sir. Ich habe ja begriffen, dass die Drei überreagiert haben. Ich habe sie gestern mehr als einmal darum gebeten mich mitzunehmen. Sie sind extra meinetwegen hier hergekommen, um mich abzuholen. Ich habe mir die Entscheidung nicht einfach gemacht, in mein altes Leben zurück zukehren, Sir", verzweifelt sprach ich die letzten Worte und rieb mir das Genick.

Ich verstand nicht, warum mein Oberst mich nicht verstehen konnte und wollte.

"Komm Kleene, rege dich nicht schon wieder auf", versuchte mich Rudi zu beruhigen.

Conny sah Rudi an. "Was ist Conny?", forderte er seinem neuen Teammitglied zum Reden auf.

"Darf ich es mal versuchen, Rudi? Ich glaube, ich muss den Erklärbär, herausholen."

Rudi nickte verzweifelt und setzte all seine Hoffnungen auf Conny, der vielleicht durch seine Erfahrungen mit seinen jüngeren Geschwistern eine Lösung fand. Alle verstanden zwar, warum ich diese Entscheidung gefällt hatte. Keine hatte allerdings eine richtige Ahnung, wie man mir den Fehler erklären konnte.

"Muneca- Puppi, hör mir bitte mal zu. Im Leben kann man nur richtige Entscheidungen treffen, wenn man alle Informationen hat. Gibst du mir da Recht?"

Ich nickte zustimmend. "Ja, wenn ich nicht alle Informationen habe, dann treffe ich falsche Entscheidungen."

Jetzt war es an Conny zu nicken. "Muneca, was machst du im Kampf, wenn du feststellst, dass deine Entscheidung falsch war?"

"Conny, ich ändere meine Vorgehensweise, korrigiere den Fehler und treffe neue Entscheidungen, um den erfolgreichen Abschluss des Einsatzes, sicherzustellen."

Conny lächelte mich an. "Genau Muneca, jetzt beantworte mir bitte die Frage. Bist du da eine Wetterfahne im Wind?"

Ich schüttelte den Kopf.

"Siehst du Muneca, wenn du feststellst, dass du bei einer wichtigen Sache eine falsche Entscheidung getroffen hast, weil du falsche oder unzureichende Informationen hattest, dann darfst du oder besser, musst du sogar deine Meinung ändern. Du musst deine Entscheidungen den neuen Informationen anpassen. Habe ich das jetzt richtig verstanden."

Ich nickte wieder.

"Muneca, bitte mi Munequita – mein Püppchen. Die Entscheidung die Wache zu verlassen, hast du mit unzureichenden und falschen Informationen getroffen. Sie war deshalb falsch. Deshalb musst du sie den neuen Informationen anpassen. Warum erkläre es mir, kannst du sie dann nicht ändern?"

Verwirrt sah ich auf meine Finger, die nervös anfingen zu spielen.

Als jemand etwas sagen wollte, schüttelte Conny den Kopf. Ich musste, das, was er mir gerade gesagt hatte, in Ruhe überdenken können. Das brauchte, so war er der Meinung, einen Moment.

"Crees que podría quedarse?", flehend, sah ich Conny an.

"Por supuesto, mi muñequita", antwortete mir Conny ohne zu zögern.

"Entonces no me cuesta creerlo?", wollte ich von ihm wissen, ohne zu merken dass ich mich auf Spanisch mit meinem neuen Kollegen unterhielt.

Conny nickte mit dem Kopf. "No, no es creíble, puede quedarse", versuchte er mir klar zu machen.

Ich zog die Füße auf den Stuhl und umschlang meine Beine. Ohne dass es meine Kollegen verstehen konnten, fing ich plötzlich an hemmungslos zu weinen und schluchzte laut. Rudi, der Oberst wie auch die anderen am Tisch sitzenden Kollegen, wollen jetzt von Conny wissen, was los war.

"Verdammt du Erklärbär. Kannst du nicht deutsch reden. Was ist das für eine Sprache? Warum weint mein Mäuschen jetzt", fuhr John den neuen Kollegen an und legte mir schützend die Hand um die Schultern. John zog mich einfach tröstend in seine Arme und streichelte mir den Rücken.

"Das war Spanisch, entschuldigt. Ich neige manchmal dazu Spanische Ausdrücke zu verwenden. Muneca, ist ein Kosenamen und heißt Puppi. Mi Munequita heißt mein Püppchen. Kahlyn hat mich gefragt: Du denkst ich kann bleiben? Ich habe ihr geantwortet: Natürlich mein Püppchen. Daraufhin wollte Kahlyn wissen: Ich bin dann nicht unglaubwürdig? Entschuldigt, dadurch das Kahlyn mich auf Spanisch gefragt hat, hab ich unbewusst auf Spanisch geantwortet: Nein, du bist nicht unglaubwürdig, du kannst bleiben, habe ich ihr noch einmal bestätigt."

Der Oberst sah Conny, dankend an. "Danke, du Erklärbär."

Wandte sich dann noch einmal an mich. "Kahlyn, komm beruhig dich wieder", es dauert eine halbe Ewigkeit, bis ich aufhören konnte zu weinen. Mit tränennassem Gesicht sah ich zu ihm hoch.

Lächelnd sah er mich an. "Wie sieht es nun aus, darf ich ohne dich in die Soko fahren. Bleibst du nun hier auf deiner Wache."

Immer noch weinend, nickte ich. "Sir, ich bleibe hier. Wenn die Jungs mich noch wollen, Sir."

Von allen Seiten bekam ich ein. "Na klar."

Erleichtert atmeten alle auf und sahen ihren Erklärbären dankbar an.

"Na, da haben wir aber noch einmal Glück gehabt. Vor allem, dass du Conny gestern nicht erschlagen hast."

Verwirrt sah ich Conny an. "Wieso erschlagen?", wollte ich immer noch schniefend wissen und wischte mir das Gesicht mit dem Ärmel des Overalls ab. Ich hatte ihn gar nicht sehr gehauen.

"Na Kleene, du hast den Erklärbär, gestern ganz schön vermöbelt."

"Mein lieber Charly, das hat schon beim Hingucken weg getan", bestätigte mir John lachend, Rudis Worte.

"Ich hab gar nicht sehr gehauen", verwundert sah ich Conny an. "Hab ich dir weh getan? Entschuldige, Conny. Das wollte ich nicht. Komm, ich sehe mir das gleich einmal an."

 Sofort sprang ich auf und lief zu Conny hin. Der sich ohne große Diskussion, wenn auch mühsam auszog. Was ich da zu sehen bekam erschrak mich selber. So toll hatte ich nicht zuschlagen wollen.

"Oh je, das wollte ich nicht. Conny, das war mir gar nicht bewusst. Warum hast du nichts gesagt?", wollte ich von ihm wissen.

Connys gesamte Oberkörper war fast schwarz verfärbt, so blutunterlaufen war er. Schnell lief ich zum Sofa, wo immer noch mein Medi-Koffer stand und hole den Ampullenkoffer hervor. Außerdem die Hämlo-Salbe, einige Binden und einige Kolben heraus. Lief auf Conny zu, um ihn ordentlich zu versorgen.

Rudi sah Conny bedauernd an. "Und ich dachte, mich hat Kahlyn verkloppt. Das tat bestimmt weh."

Conny jedoch lachte. "Ach es geht schon. So empfindlich bin ich nicht. Ich bin einiges gewohnt", erklärte er mir lachenden Gesicht.

Dass ich hierbleiben wollte, in seiner Nähe, half ihm über die schlimmen Schmerzen hinweg. Er war froh, dass alles geklärt war. Dafür nahm er die Schmerzen gern in Kauf. Ich rieb ihn mit der Hämlo-Salbe ein und bandagiere die Rippen die tüchtige Prellungen abbekommen hatten. Dann zog ich zwei Schmerzmittel auf, einmal das B97, aber auch das B32, um erst einmal eine sofortige Linderung zu haben. Aber auch über mehrere Tage wirkte.

"Tut mir leid Conny, wirklich. Aber du hast mich so in die Ecke getrieben. Ich wollte nur meine Ruhe, verstehst du? Ich habe es dir so oft zu verstehen gegeben. Aber du hast nicht aufgehört."

Conny war sich jetzt sehr wohl darüber im Klaren, dass er an seinen Schmerzen zum größten Teil selber die Schuld trug. Das war ihn in den letzten Stunden klar geworden. Lieb, streichelte er mir über den Kopf.

"Ich weiß Kahlyn, aber ich wollte dich nicht noch einmal verlieren. Mi Munequita", sagt er mit so viel Zärtlichkeit in der Stimme, dass ich ihn einfach drücken muss…

Kapitel 9

Rashida kam lächelnd in die hauseigene Bibliothek, beugte sich über die am Fenster sitzende und über einem Buch eingeschlafene Kahlyn. Ein Blick auf die leuchtende Anzeige der Uhr zeigte ihr; dass es schon kurz vor dem Morgengrauen war. Lange hatten sie heute zusammengesessen und hatten, wie seit einigen Jahren, gemeinsam in ihren, schon sechsunddreißigsten, Geburtstag hinein gefeiert. Die Letzen der Hundert hatten sich wieder zusammengefunden, lebten und arbeiteten seit fünf Jahren wieder gemeinsam. Alle waren sie noch am Leben und erfreuten sich der besten Gesundheit.

Vorsichtig nahm Rashida ihrer kleinen Freundin das Buch aus der Hand und legte es, auf das neben den Sessel stehende Tischchen. Kopfschüttelnd sah sie zu ihrer kleinen Freundin herunter und nahm sie einfach auf den Arm, trug sie vorsichtig nach neben an und legte sie ins Bett. Wie oft hatte sie das in der letzten Zeit gemacht. Lächelnd deckte sie ihre Freundin zu und setzte sich einen Moment aufs deren Bett und sah Kahlyn beim Schlafen zu. Wie so oft flüchtete ihr Täubchen von den Feiern und verkroch sich in der Bibliothek. Der Trubel und die vielen Menschen, das war noch nie etwas für Kahlyn gewesen. Immer noch zog sie die Einsamkeit oder Zweisamkeit der Gesellschaft vor. Rashida hatte es auf gegeben sie ändern zu wollen. Wenigstens schlafen hatte sie in all den Jahren gelernt.

So viele Jahre waren ins Land gegangen, zwanzig lange Jahre war es her, seitdem sie die Schule verlassen hatten. Niemals hätten sich die beiden Freundinnen träumen lassen, dass sie einmal so alt werden würden. ‚Es ist schön, mein Täubchen so ruhig schlafen zu sehen, so voller Friede.‘ dachte Rashida bei sich. ‚Lange hat es gedauert, bis du das geschafft hast.‘

Rashida beugte sich nochmals über ihre Freundin und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Schlaf schön Täubchen.“

Leise ging sie aus dem Raum und kehrte noch einmal in die Bibliothek des Hauses zurück. Neugierig nahm sie das Buch, in dem Kahlyn gerade gelesen hatte, in die Hand und lachte, als sie den Titel sah. Es war das „Projekt Dalinow … Die Hundert“ von Fritz Jacob. Der Beginn ihres Lebens, lange hatte ihr Doko an diesem Buch geschrieben und Kahlyn hatte ihm dabei geholfen. Endlich war es erschienen und jeder konnte die Geschichte der "Hundert" lesen, die auch ihre Geschichte war.

 

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So ähnlich könnte, wie im Kapitel 9 geschrieben, könnte es im Teil 7 vom „Projekt Dalinow“ weiter gehen oder vielleicht ist auch beim Kapitel 8 das Buch beendet. Sind wir doch einmal ganz ehrlich zu uns selber und stellen uns folgende Frage:

Wollen wir uns das wirklich antun?

Ich weiß es nicht und will diese Frage im Moment nicht beantworte. Ich kann mir ehrlich nicht vorstellen, ob es wirklich das bessere Ende der Geschichte wäre, mit Gewalt und Zwang noch einen Teil zu schreiben. Wäre es dann nicht so, weil einige von euch Kahlyn so lieben, dass dann noch ein Teil 8 her müsste?

Ihr fragt euch, ob es vielleicht eines Tages, noch einen weiterer Teil geben könnte? Ich kann und will diese Frage im Moment einfach nicht beantworten. Zu jetzigem Zeitpunkt möchte ich auch keinerlei falsche Versprechen abgeben. Ich kann es jetzt und hier einfach nicht sagen.

Mir spuken so einige Sachen durch den Kopf, die für einen siebenten Teil geeignet wären. Auch schwirrt mir eine Idee im Kopf herum, wie ich eine neuen Roman, der unabhängig und trotzdem mit den "Hundert und Kahlyn" entstehen könnte. Aber ob ich ihn schreibe, weiß ich im Moment noch nicht.

Ich weiß es gibt noch so viele offene Fragen, die ihr gern geklärt haben möchte.

In einem alten Sprichwort heißt es: Wenn es am Schönsten ist, sollte man aufhören.

Vielleicht sollte ich es genau so handhaben. Kahlyn ist genau in diesem Moment am Glücklichsten. Sie ist bei ihren Freunden in der Wache und weiß, dass sie bleiben darf und von allen dass sie von ihren neuen Freunden sehr gemocht wird.

Sie weiß sie kann zu jeder Zeit, zu ihrem Struppi und den Runges zurück. Was wollen wir noch mehr? Natürlich gibt es über Kahlyn und ihre Freunde noch viele Dinge zu besprechen.

Wird Rudi Kahlyn adoptieren?

Werden Raphi und Ines wirklich ein Paar?

Was ist mit dem Mann von Frau Wolf passiert?

Wo ist Tobi?

Wer hat Veronika Entführung nicht verhindert und werden diese Leute bestraft?

Kommt Kahlyn nun endlich einmal zur Ruhe und lebt sich bei der Truppe um Major Senders ein?

Was wird mit Kahlyns Struppi?

Finden Kahlyn bei den Runges endlich etwas Ruhe?

Kommt es zur Verhandlung mit Mayer?

Nehmen die Kinder an der Beerdigung in Rumänien teil?

Schafft es Kahlyn Freundschaften aufzubauen?

Verliebt sich Kahlyn in einen Mann?

Gründet Kahlyn vielleicht eine Familie?

Sieht Kahlyn ihre Freunde aus der Schule jemals wieder?

Was wird mit den Jacobs?

Leben sie sich in Klein Schwanensee ein?

Wie wird die Zukunft der Jacobs verlaufen, wenn die Dörfler erfahren, dass die Jacobs Kontakt mit den Werwolfkindern vom Deipsee hatten?

Für wie viel Jahre wandern Reimund und Mayer ins Gefängnis?

Undundund … Es gibt noch hunderte von Fragen die man klären könnte und glaubt mir, ich habe noch viele Ideen in der Datei "Ideen für Kahlyn.doc" abgespeichert. Allerdings habe ich Angst, dass ich mich immer wiederhole. Viele Dinge wurden schon geklärt. Die einzige Frage die wirklich noch offen bleibt, ist ja die …

Wird es Kahlyn gelingen, endlich zur Ruhe zu kommen?

Denn es ist wichtige, dass sie das kommt, sonst zerstört sie dieses Leben. Eins hat sie auf alle Fälle begriffen, keiner will ihr hier etwas Böses.

Darüber zu schreiben lohnt sich schon, nur denke ich, nehme ich euch dann die Fantasie und die Möglichkeit, euch selber Gedanken zu machen.

 

Meinen ursprünglichen Plan Kahlyn in dem Fieberanfall sterben zu lassen, habe ich aufgegeben. Ich habe es einfach nicht übers Herz bekommen, meine kleine Freundin zu töten.

So offen wie das Buch im Moment endet, denke ich, ist es allerdings besser. Auf diese Weise bleibt mir die Möglichkeit nach einer „Kahlyn-Pause“, vielleicht sogar weiter zu schreiben. Diese Pause, die ich wirklich dringend brauche, denn ich schreibe jetzt seit über zwei Jahren an dieser Roman Reihe. Vor allem, bleibt euch auf diese Weise die Möglichkeit erhalten, euch die Geschichte um Kahlyn selber weiter träumen zu können.

Gebt mir die Zeit die ich brauche um noch einige anderer Geschichten fertig zu schreiben, die angefangen in meiner "Schreibtischschublade" liegen habe und die ich seit Monaten vor mir herschiebe. Auch diese Helden wollen aus der Schublade heraus und ihre Geschichten wollen gelesen werden. So kann sich Kahlyn etwas ausruhen und vielleicht erholt sie sich soweit, dass sie neue und ganz andere Abenteuer erzählen kann. Die vielleicht in eine völlig andere Richtung geht, als ihr es euch vorstellen könnt. Wie gesagt ich habe einige Ideen im Hinterkopf, die schon mehr oder weniger Gestalt angenommen haben und die zu Papier gebracht werden, sobald ich Zeit und Muße dafür habe, Kahlyn wieder zum Leben zu erwecken.

Wir werden es sehen, ob noch ein Teil folgt oder nicht. Das jetzt und hier zu entscheiden, ist nicht der richtige Ort. Schaut einfach immer einmal auf mein Profil oder in mein Kahlyn Sammelbuch auf Bookrix. Dort werde ich euch sofort darüber informieren, wenn es weitergehen sollte. Vielleicht, eventuell, möglicherweise, gegebenenfalls, unter Umständen geht es irgendwann weiter, mit einem nächsten Band … man sollte nie … nie sagen.

Aber eins ist gewiss und das verspreche ich euch von ganzem Herzen: Ich habe noch sehr viele Ideen für andere Geschichten im Kopf. Ich möchte für euch andere Figuren zum Leben erwecken und Geschichten erfinden, in denen ihr euch in die Helden verlieben werdet. Ob es nun Simlyn und Pepina die Zwerge auf Naru sind oder Charlotte ist, die sich ihren Seelenschmerz von der Seele schreibt oder vielleicht Emmea Albatus die zwischen den Welten wandert, es gibt viele Figuren in den verschiedensten Welten, die zum Leben erwachen wollen. Die Alle sehr hoffen, dass ihr ihnen begegnet und sie euch mit auf die Reise nehmen können.

Von daher, lesen wir uns bestimmt wieder. Es wird mit einem anderen Thema auf alle Fälle weitergehen. Die fantastische Geschichte, um die mit Geheimnissen umwobene Insel Naru oder die Geschichte vom Break House oder Engel, die nicht weinen dürfen oder die Geschichte von Charlotte in Seelenschmerz, werden euch viel Lesestoff geben. Wir werden sehen, welche Geschichte ich als nächstes aus meiner Schublade hole und für euch fertig schreibe. Aufhören mit Schreiben, das verspreche ich euch, werde ich nicht. Denn das Schreiben gehört zu meinem Leben wie das Essen, das Trinken und das Atmen, ich kann ohne das Geschichten schreiben nicht mehr leben. Dazu macht mir das Schreiben viel zu viel Spaß und es hilft mir zu entspannen und meinen inneren Seelenfrieden zu finden.

Vielleicht schreibe ich auch schon am Teil 7 „Kahlyn und ihre Familie“, wer weiß das schon. Lasst euch einfach überraschen.

 

Auf Wiedersehen oder besser auf Wiederlesen…

 

Ich wünsche Euch allen noch viel Spaß, vor allem aber Gesundheit,

 

Eure Katja Neumann und Kahlyn und der Rest der "Hundert"

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Impressum

Tag der Veröffentlichung: 19.11.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch widme ich meiner Kahlyn, die mir im Laufe der Geschichte immer mehr ans Herz gewachsen ist. Sie war und ist ein Teil von mir Sie fühlt wie ich fühle, Sie denkt wie ich denke, und Sie handelt wie ich handeln würde, hätte ich ihre Fähigkeiten.

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