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Der Vorweihnachtsabend
Im Fitnessraum
Endlich allein
Es hat keinen Zweck
Vorbereitungen
Gedanken die sich Rudi macht
Genosse Weihnachtsmann
Das Geschenk
... Herr Bär lebt noch!

 

 

Kapitel 1

Charlotte sah sie ihren Chef entgeistert an. Was sollte diese Frage, ob sie am vierundzwanzigsten diesen Monat arbeiten wollte.

„Was soll das Rudi? Ich verstehe dich nicht. Natürlich arbeite ich am 24. Dezember. Ich habe Dienst“, erklärte sie ihm, völlig verwundert.

Rudi raufte sich die Haare. Schon wieder einmal kam er an die Grenze seines Einschätzungsvermögens, bei seiner noch jungen Kollegin. „Kleene, du weißt, was der 24. Dezember für ein Tag ist, oder?“ Rudi holte tief Luft und wollte die Antwort eigentlich gar nicht hören, ihm schwante nichts Gutes.

Irritiert von dieser ungewohnten Frage, sah Charlotte ihren Ziehvater und Vorgesetzen an, dann zuckte sie mit den Schultern und fing breit an zu grinsen. Sie war der Meinung, dass Rudi sie, wie er es so oft machte, wieder einmal auf den Arm nehmen wollte.

„Na klar weiß ich, was der 24. Dezember für ein Tag ist. Rudi, das ist ein Tag nach dem 23. und ein Tag vor dem 25. Dezember. Also Morgen. Was soll diese Frage?“

Rudi stützte seinen Kopf auf die Hände und schüttelte verzweifelt den Kopf. „Kleene, ich meine die Frage ernst.“

„Ich meine die Antwort auch ernst. Nur verstehe ich nicht, was diese Frage soll, Rudi. Wie du weißt“, Charlotte macht einen Schritt auf den an der Wand hängenden Dienstplan zu und zeigt mit dem Finger darauf. „haben wir vom 15. Dezember bis zum 4. Januar Dienst. Also bin ich logischer Weise - da der 24. Dezember bekanntlich dazwischen liegt - hier. Rudi, wo soll ich denn sonst sein?“ Völlig irritiert über diese Frage, sah die junge Untergebene, zu ihrem Vorgesetzten.

„In Ordnung, du bist hier. Ich habe es verstanden. Lassen wir es gut sein, Kleene. Das verstehst du wieder einmal nicht. Also, ab mit dir in den Trainingsraum, mache dich nützlich. Husch, husch.“

Mit einer Handbewegung scheuchte der Dienststellenleiter, seine völlig verwirrte und noch junge Kollegin aus dem Raum. Aus vielerlei Gründen, wollte er alleine sein. Er musste nachdenken und den morgigen Tag planen. Vor allem musste er das eben Erlebte, erst einmal verdauen. Diese junge Frau, die mit ihren erst sechszehn Jahren, die jüngste Kollegin auf der Wache war, ging ohne zu murren aus dem Büro und weiter in Richtung des Fitnessraumes. Um dort, wie ihr befohlen wurde, zu trainieren. Das Gespräch jedoch, blieb in ihrem Kopf. Manchmal, so ging es Charlotte durch den Kopf, waren die Männer hier schon eigenartig. Sie verstand oft nicht, was man von ihr wollte. 

   Aber auch die Kollegen waren oft, mit dieser jungen und äußerst ruhigen Kollegin, überfordert. Vor allem, weil sie in allem widersprüchlich war, was sie machte. Fachlich war sie ein Genie, selbst die älteren Kollegen, konnten zum Teil noch etwas von ihr lernen. Ging es aber um alltägliche Sachen, begriff sie einfach nicht, was man von ihr verlangte. Da stellte sie sich dümmer an, als ein Säugling. Selbst zum Einkaufen, war sie auf gut deutsch, zu blöd. Das regte die meisten der Kollegen, langsam aber sicher, tierisch auf.

Charlotte war nun schon über drei Monate auf der Wache und kam immer noch nicht, mit dem Leben hier und den neuen Kollegen klar. Jedes Mal, wenn sie dachte, jetzt verstand sie, was diese Männer von ihr wollten, kam es zu solchen Szenen, wie eben. Sie erntete stets Kopfschütteln oder was noch schlimmer war, man lachte sie regelrecht aus. Da wurde ihr wieder einmal begreiflich gemacht, dass sie absolut nichts verstand. Das regte sie langsam auf.

Eigentlich, so hatte Charlotte immer von sich gedacht, war sie kein dummer Mensch. Meistens war sie in der Schule eine der Ersten die begriff, was die Lehrer von ihnen wollten. Hier allerdings, war alles anders. Sie hatte stets das Gefühl, vollkommen bekloppt zu sein.

Was sollte sie dagegen unternehmen? Eigentlich konnte sie nichts machen. Sie musste es nehmen, wie es war. Man konnte nichts, wirklich nichts daran ändern. Charlotte hatte sich vorgenommen, es nicht mehr so ernst zu nehmen. Würde sie das nämlich machen, ginge sie an dieser Situation hier, langsam, aber sicher kaputt.

Traurig dachte Charlotte an ihre alten Kameraden, aus der Schule. Ob es den Anderen ähnlich wie ihr ging? Wie gern würde sie wieder einmal mit ihren Freunden reden und sich mit ihnen austauschen. Das war leider nicht möglich, sie wusste nicht, wie sie diese erreichen konnte. Charlotte traute sich aber auch nicht, ihren Vorgesetzten nach ihren Kameraden zu fragen. Deshalb wandte sie sich lieber den Handeln und den Gewichten zu. Das war etwas, was sie kannte und konnte. Vor allem kam sie hier nicht in die Verlegenheit, ausgelacht zu werden. Da zollten ihr die Kollegen, eher stillschweigend Anerkennung

Kapitel 2

Tom und Conny lächelten ihrer Kollegin zu, als diese den Fitnessraum betrat. Schon als die Kleine den Raum betrat, sahen man ihr an, dass diese mit den Gedanken wieder einmal, wo ganz anders war. Wie gern, hätten sie sich mal mit ihr unterhalten. Siggi hatte es vor einigen Tagen geschafft und hatte Charlotte einmal aus ihrer Verschwiegenheit gerissen. Keine Ahnung wie er das geschafft hatte. Seit diesem Gespräch allerdings, schwieg sie wieder, wie gewohnt. Es war zum Mäuse melken, mit diesem Mädchen. Man kam einfach nicht an sie heran. Trotzdem versuchten es die Kollegen, immer wieder.

„Hallo Kleene. Na, hat Rudi deinen Kopf auf den Schultern gelassen?“, foppte Tom seine Kollegin lachend. Statt einer einfachen Begrüßung, die  Charlotte verstanden hätte. Da die Kleine, wie so oft in den letzten Wochen, in Rudis Büro erscheinen musste. Gewohnheitsgemäß, zuckte Charlotte mit den Schultern. Sie wusste nie, was sie darauf antworten sollte. Dadurch, vergaß sie sogar das Grüßen.

„Oh, wir sind heute aber wieder einmal, richtig gehend gesprächig oder was meinst du Tom?“, mischte sich Conny jetzt in das Gespräch. Den es immer wieder aufregte, dass die junge Kollegin, kaum etwas sagte.

„Conny, es ist wie immer. Sie quasselt wie ein Wasserfall, so dass mir die Ohren weh tun und der Kopf qualmt und brummt“, fuhr Tom lachend mit seiner Fopperei fort.

Er konnte einfach nichts dagegen machen. Diese Kollegin brachte ihn langsam aber sich zur Weißglut. Aus diesem Grund, wandte sich Conny jetzt direkt an die junge Frau.

„Charlotte, könntest du bitte mal mit uns reden. Verdammt nochmal. Oder muss ich den Korkenzieher holen, um dir jedes einzelne Worte aus der Nase zu ziehen?“

Conny wurde mit jedem Wort lauter. Charlotte sah von einem, zum Anderen und schwieg. Statt zu antworten, zuckte sie wieder einmal nur mit den Schultern und schaute verlegen auf ihre Füße. Tom reichte es jetzt endgültig und er fuhr aus der Haut.

„Verdammt Charlotte, rede mit uns“, brüllte er sie jetzt an.

Erschrocken, schaute das junge Mädchen, auf den sonst netten und ausgeglichenen Kollegen. Antwortete, in der ihrer eigenen, ruhigen Art, die ihre Kollegen ständig auf die Palme brachte.

„Wenn sie mich etwas Sinnvolles fragen, werde ich auch antworten. Das tun sie aber nicht“, kam eine völlig unerwartete Antwort von ihr. Dabei sah sie die Kollegen, von denen sie gerade angebrüllt wurde, offen und freundlich an. Sie ging nicht darauf ein, dass man sie gerade ungerecht behandelt hatte, sondern reagierte ruhig und sachlich. Sah den beiden Schreihälsen, fragend ins Gesicht. So, als ob sie ergründen wollte, was die beiden Kollegen, eigentlich von ihr wollte. Es machte Charlotte zwar verrückt, dass sie nie verstand, was man von ihr erwartete. Was hätte es allerdings genutzt, zurück zu schreien? Außerdem, war sie das Anbrüllen gewohnt. Die letzten zehn Jahre ihres Lebens, wurde sie ständig angeschrien. Selten, wusste sie warum. Sie musste sehr schnell lernen, trotzdem ruhig und freundlich zu bleiben. Vor allem aber, ruhig und freundlich zu antworten. Auf diese Weise konnte sie immer erreichen, dass man sie in Ruhe ließ. Sie hatte während der Ausbildung, nur ein einziges Mal zurück geschrien. Die Strafe die sie dafür bekam, brauchte niemand. Sie tat verdammt weh. Dieses Risiko, war sie kein zweites Mal eingegangen.

Die beiden Kollegen im Fitnessraum, sahen sich einen Moment lang verdutzt an und fingen herzhaft an zu lachen. Mit allen hatten sie gerechnet, aber nicht mit dieser Antwort. Wie so oft verblüffte Charlotte, durch ihre absolute Ruhe. Als Tom und Conny sich wieder beruhigt hatten, sahen sie sich verzweifelt an. Die Kleine war eigentlich, eine nette Kollegin. Aber zum Reden oder um einfach einmal Spaß zu machen, war sie einfach nicht geeignet. Deshalb, winkten beide ab und verließen genervt den Fitnessraum. Gingen lieber vor in den Gemeinschaftsraum, zu den Kollegen, mit denen konnte man wenigstens Lachen.

Kapitel 3

Endlich war Charlotte alleine. Erleichter atmete das junge Mädchen auf. Tief in ihren Gedanken verloren, fing sie an zu trainieren. Sie liebte es sich auszupowern, gerade dann, wenn sie Probleme und diese schier unendliche Wut, im Bauch mit sich herum trug. Genau diese Wut spürte sie im Moment und konnte sie kaum beherrschen. Im Fitnessraum, konnte sie ihre Wut, in etwas Sinnvolles umsetzen. In Energie fürs Training. Dadurch konnte sie Gewichte stemmen und über lange Zeit den Sandsack bearbeiten, ohne durch ihre Wut, einen Kollegen zu verletzen.

Die Kollegen der Wache, hänselten sie dauernd, weil sie nicht verstand, was man von ihr wollte. Das ging der so schweigsamen Kollegin, einfach nur noch auf die Nerven. Wie oft hatte sie Mühe sich zu beherrschen. Am liebsten würde Charlotte zuschlagen. Es kostete sie jeden Tag mehr Mühe, mit den Kollegen in einem Raum zu bleiben. Charlotte spürte, sehr deutlich, dass man sich nicht mochte. Oft stellte sie fest, dass die Männer aufhörten miteinander zu reden, wenn sie in deren Nähe kam. Dadurch wurde die Wut in ihr, immer weiter angefacht. Es wurde täglich schwieriger diese zu kontrollieren. Charlotte konnte nicht einmal sagen, warum sie so wütend war. Ihrer Meinung nach lag es einfach an der gesamten Situation, in der sie sich im Moment befand.

Eine derartige Aggressivität, kannte sie gar nicht von sich. Nicht einmal in der Schule, war es so arg und ihre Lehrer, waren alles andere als umgängliche Menschen. Dagegen waren hier, alle richtig nett zu ihr. In der Schule allerdings, wusste sie wenigstens, was man von ihr wollte und wie sie, wann zu reagieren hatte. Hier war sie oft, völlig überfordert.

Wenn Charlotte mit den anderen Kollegen zusammen war, verstand sie oft nicht, was diese von ihr wollte. Damit konnte sie leben, das war nun mal so. Am meisten ärgerte sich das Mädchen darüber, dass sie ständig, wie gerade eben, ausgelacht wurde. Das verletzte ihren Stolz und führte auch dazu, dass ihre Wut ins Unermessliche stieg.

Das war der Grund, weshalb sie sich immer mehr zurückzog. Oft reagierte sie nur noch mit Nicken, Kopfschütteln oder Schulterzucken, auf, an sie gerichtete, Fragen. Was hätte sie sonst sagen sollen? Wenn sie einmal etwas sagte, endete es wie vorhin. Die Männer fingen an, schallend zu lachen.

Das war der Grund, für ihre Isolation. Charlotte, teilte sich ihre wenige freie Zeit immer so ein, dass sie die letzte beim Essen oder Duschen war. Nur, um das Zusammensein mit den Kollegen zu vermeiden. Dadurch war sie, ständig alleine. Diese Einsamkeit allerdings, fraß sie systematisch auf. Charlotte litt darunter mehr, als sie sich eingestand. Sie wünschte sie sich jemanden zum reden.

So, wie neulich mit Siggi, der sich auf ihr Bett setzte und fast eine Stunde mir ihr redete. Das war schön gewesen und tat ihr unendlich gut. Dieses ernst genommen werden, hatte ihr so gefehlt. Aber es war eine Ausnahme. Alle sahen ihn ihr nur ein kleines Mädchen. Dabei konnte sie alles, was die Kollegen auch konnten. Teilweise sogar noch mehr, weil sie eine völlig andere Ausbildung hatte. Mehr als einmal hatte sie das in den letzten Wochen bewiesen, aber sonst. Die so junge Kollegin wünschte sich so sehr, dass sie immer dazu gehören würde, nicht nur während der Einsätze. Dieser Wunschtraum, so hatte sie langsam begriffen, würde ein Traum bleiben. Sie war anderes, als diese Menschen hier.

Charlotte kämpfte gegen ihre Emotionen an. Am liebsten hätte sie sich in irgendeine Ecke verkrochen und hemmungslos geweint. Aber hier gab es nirgends eine Stelle, wo sie vollkommen alleine und unbeobachtet war. Jedenfalls, hatte sie noch keine gefunden. Das junge Mädchen traute sich auch nicht, auf die Suche nach einer solchen Stelle zu gehen. Da sie die letzten Wochen, fast täglich, im Büro des Teamleiters erscheinen musste, um sich zu Recht weisen zu lassen. Weil sie wieder einmal etwas getan haben sollte, das gar nicht der Wahrheit entsprachen. Sie hatte aber in der Schule gelernt, dass sie dagegen nicht ankämpfen durfte. Warf man ihr etwas vor, so hatte der Vorgesetzte immer recht. Also nahm sie die Vorwürfe und Zurechtweisungen, so hin. Ohne dagegen etwas zu sagen. All diese Dinge führten dazu, dass Charlotte sich hier nicht wohl fühlte und langsam an den vielen kleinen Probleme zerbrach. Fast jede Nacht weinte sie sich, lautlos und ohne Tränen, in den Schlaf. So wie sie es sich in der Schule angewöhnt hatte. Emotionen zu zeigen, hatte diese junge Kollegin nie gelernt oder besser ausgedrückt, es wurde ihr immer verboten. Woher sollte sie also wissen, dass sie das hier durfte.

Diese verdammte Einsamkeit tat Charlotte allerdings nicht gut. Außerdem war sie so damit beschäftigt, aufpassen, dass ihr nichts entging, nur um nicht wieder ausgelacht zu werden, dass sie gar keine Kontakte pflegen konnte. Dadurch geriet die Kleine immer tiefer in die Isolation, zog sie sich immer weiter in sich selbst zurück und ließ niemanden mehr an sich heran. Wenn sie nicht gerade mit den anderen Kollegen zum Training oder Einsatz musste, ging sie in den Schlafraum und legte sich hin. Sie starrte stundenlang Löcher in das Bett über sich und grübelte. Wenn jemand den Raum betrat, schloss Charlotte schnell die Augen und tat so, als ob sie schlief. Nur, um mit niemanden reden zu müssen.

Während der Einsätze allerdings, war alles anders. Da wusste sie, was sie tun sollte und kam mit den Kollegen klar. Die wussten, dass sie sich auf ihre noch so junge Kollegin, hundertprozentig verlassen konnten. Das zu mindestens, hatte sie in den letzten Wochen erreichen könnte. Dies war ihr allerdings nicht genug. Sie wollte mehr. Charlotte wollte so gern dazugehören, so wie damals, zu ihrer Klasse in der Schule. Mit ihren Freunden, konnte sie immer Lachen und Weinen. Vor allem war sie ein Teil von ihnen und fühlte sich dort geborgen. Immer wütender schlug sie gegen den Sandsack, powerte sich richtig aus. 

 Hier auf der Wache, war es allerdings noch besser, als in den Tagen in den sie Frei hatte. Diese Tage waren um vieles schlimmer für sie. Noch ganze zwölf Tage war sie hier, dann hieß es wieder, dass sie frei hatten. Ihr graute es schon davor. Das letzte Mal, war es die reinste Katastrophe gewesen. Rudi, der Teamleiter, war ja ein wirklich netter Kollege. Aber mit dessen Frau, kam Charlotte überhaupt nicht klar. Ständig meckerte Doris an allen herum, was sie tat. Nichts machte sie richtig.

„Charlott, du musst das so und so machen. Wie du das machst, ist das völlig falsch. Das Bügeleisen musst du anders anfassen und den Tisch muss man so decken.“

Verdammt nochmal, seit zehn Jahren bügelte sie ihre Overalls selber und immer waren diese ordentlich, kein Fältchen saß an der falschen Stelle. Jetzt maulte diese Frau ständig an ihr herum. Dabei konnte es Doris selber nicht besser. Rudis Overalls sahen zum Heulen aus. In der Schule hätte sie wegen eines so schlecht gebügelten Overalls, Stunden auf dem Hof gestanden oder wäre sogar verprügelt wurden. Aber sie machte es falsch, statt dass sie Doris einfach ihre Arbeit machen ließ, auf ihre Weise. Vielleicht machte sie es ja wirklich anders, dies konnte schon sein. Aber es war niemals schlechter. Das Ergebnis, war das, was zählte und nicht der Weg. Vor allem, war sie wesentlich schneller, als diese Doris. Es war ja nicht so, dass Doris ein schlechter Mensch war. Sie hatte auch ganz liebe Seiten und einige Male, war es richtig schön. Nur machte sie durch ihr ständiges Herumgenörgel an Charlotte, alles wieder kaputt. Zum Schluss war das Mädchen froh, als sie wieder auf ihre Wache konnte. Hier machte sie wenigstens, ab und an, einmal etwas richtig.

Charlotte sah keine andere Möglichkeit, als dies alles zu dulden. Was sollte sie an den freien Tagen sonst machen? In der Wache durfte sie nicht bleiben und wo anders, konnte sie nicht hin. Ihr Großvater war vor einem Monat gestorben und sonst wollte sie keiner. Sie musste also froh sein, dass Rudi sie bei sich aufgenommen hatte.

Wie oft kamen ihr in letzter Zeit die Gedanken, dass sie sich am liebsten wieder zurück in ihre Schule wünschte. Zurück zu ihren Freunden, mit denen sie immer lachen konnte. Das ging leider nicht. Ihre Schule gab es nicht mehr.

All das ging dem jungen Mädchen durch den Kopf, während sie die Gewichte stemmte und den Sandsack bearbeitete. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es gleich kurz vor 22 Uhr war. Ganze sechs Stunden, war sie jetzt am trainieren. Das Abendbrot, hatte sie wie so oft ausfallen lassen, nur um nicht in den Gemeinschaftsraum zu müssen. Lieber hungerte sie als sich zu den Kollegen zu setzen. Endlich war es soweit, sie konnte sich ins Bett zurückziehen. Sie legte die Gewichte ab, mit denen sie gerade trainierte und räumte den Fitnessraum wieder auf. Im Anschluss ging sie duschen. Dann ohne ein Wort  und ohne nochmals in den Bereitschaftsraum zu gehen, nach hinten, in den Schlafsaal. Charlotte war froh, dass wieder ein Tag herum war. Traurig rollte sie sich zusammen. Sie hoffte auf einen schnellen Schlaf. Ihr war allerdings bewusst, dass dieser wie so oft in der letzten Zeit nicht kommen würde. Wenn er kam, dann kamen mit ihm die Alpträume. Dabei wollte sie nur, endlich wieder einmal richtig schlafen und sich etwas erholen.

Kaptiel 4

Im Bereitschaftsraum der Wache, war bei den Männern, am Vorabend des Weihnachtsfestes, wieder einmal eine heiße Diskussionsrunde um Charlotte ausgebrochen. Dies alles bekam Charlotte gar nicht mit. Wie so oft in der letzten Zeit, war dieses eigenartige und so widersprüchliche Mädchen, das Thema Nummer eins. Auch weil sie wieder einmal nicht zum Abendbrot erschienen war. Die Männer hatten aufgegeben sie holen zu wollen, auch wenn es falsch war. Wenn sie an den Tisch kam, stocherte sie nur lustlos im Essen herum. Nach fünf Minuten bat sie darum aufstehen zu dürfen und ging auf die Toilette, um alles wieder auszubrechen. Also zwang man sie nicht mehr zum Essen. Wenn Charlotte Hunger hatte, aß sie von alleine. Meist ging sie an den Kühlschrank und nahm sich den Kanten vom Brot, aß ihn trocken und trank dazu Wasser.

Die Männer wussten einfach nicht mehr weiter. Alles hatten sie versucht, um dieses junge Mädchen in das Team zu integrieren. Alle Versuche waren gescheitert. Dass sie daran selber einen Teil Schuld trugen, war ihnen bewusst. Keiner, von den am Tisch sitzenden Männern, hatte aber eine blasse Ahnung, wie man der Kollegin, das Einleben hier auf der Wache, erleichtern konnte.  

 Vor knapp einem vier Monaten, kam der für die Wache zuständige Polizeirat zu ihnen aufs Revier und bat sie um ein Gespräch. Er hätte ein riesiges Problem, erklärte er und bräuchte dringend ihre aktive Hilfe, er wäre am Verzweifeln und wüsste nicht mehr weiter. Ihm wäre eine ganz liebe, aber vom Charakter her oft schwierige Kollegin zugeteilt wurden. Nach dem Abwägen aller Möglichkeiten, hätte er sich für das Team ihres SEK entschieden. Er war der Meinung, dass dieses Team, dass das stabilste unter seinem Kommando war, der noch sehr jungen Kollegin, am besten helfen könnten. Damit diese sich schnell, an die Neue und für sie ungewohnte Lebenssituation gewöhnen konnte.

Es wurde ein sehr langer und ungewohnter Besuch, des Polizeirates. Nachdem wirklich alle Kollegen, sehr bedrückt waren. Er erzählte ihnen, grob umrissen, die Lebensgeschichte von Charlotte. Die Kollegen waren entsetzt und wollten, der so jungen Kollegin helfen. Dass dieses Einleben, nach dem Erlebten nicht einfach werden würde, war allen bewusst. Allerdings, ließ die junge Frau keine Hilfe zu und kanzelte sich immer mehr ab. Seit dem Tod ihres Großvaters, vor einem Monat, wurde es noch schlimmer. Sie kamen praktisch gar nicht mehr an die Kollegin heran.

Das Team stellte es sich damals allerdings nicht derart anstrengend vor. Die meisten der Kollegen hatten selber Kinder im Teenager Alter und wussten, dass Kinder in diesem Alter nicht einfach zu händeln waren. Aber, dass es sich derartig kompliziert gestalten würde, hätte sich keiner träumen lassen.

 Tom sah seinen Teamchef verzweifelt an. „Rudi, mit der Kleenen geht das so einfach nicht mehr weiter. Egal, was wir versuchen, sie lässt keine Nähe zu. Wenn sie sich weiterhin so quer stellt, kann sie mich bald mal am Hobel blasen. Ich habe darauf keinen Bock mehr, ihr ständig die Hand zu reichen und diese jedes Mal weggeschlagen zu bekommen.“

Rudi verstand seinen Kollegen sehr gut. Er wusste einiges mehr über die junge Frau, als die Kollegen hier. Durfte über viele Dinge einfach nicht sprechen. Er bekam vom Polizeirat, die interne Akte zu lesen, damit er sein "Problemkind" versteht. Was er da las, ließ ihm zum Teil an seinem Verstand zweifeln. Immer wieder fragte er sich, beim Lesen, warum nur bin ich eigentlich Polizist geworden, wenn ich so etwas nicht verhindern konnte. Diese Akte, war der reinste Horror. Er hatte das so junge Mädchen fest in sein Herz geschlossen. Deshalb kämpfte er so verzweifelt um sie. Dass er mit seinen Kollegen nicht offen reden durfte, komplizierte diese ganze Sache zusätzlich.

„Leute, wir hatten dieses Thema schon oft in den letzten Monaten. Für Charlotte ist das hier alles Neuland, sie kennt vieles nicht. Ich denke, sie weiß gar nicht, was wir von ihr wollen. Lasst ihr einfach etwas mehr Zeit, zum Einleben. Ich rede noch einmal mit ihr. Lassen wir erst einmal Weihnachten vorüber gehen und dann, sehen wir weiter“, bat er sein Team wieder einmal um Geduld.

Rudi wusste genau, warum seine Kollegen genervt waren. Er wusste aber nicht, wie er ihnen dies alles erklären sollte. Innerlich hoffte der Teamleiter sehr, dass die kleine Weihnachtsfeier dazu beitragen würde, dass bei Charly, wie er Charlotte immer bei sich nannte, ein Knoten platzte und sie endlich, auf die Kollegen etwas mehr zugehen würde. Vor allem, dass sie endlich begriff, dass ihr hier niemand etwas Böses wollte. Dass Charlotte endlich Vertrauen aufbauen würde.

„Warum das denn?“, wollte Conny jetzt wissen, der wie alle anderen des Alphateams, seit Tagen ziemlich genervt auf die Kollegin reagierte. Obwohl er die Kleine, eigentlich mochte und das gar nicht wollte.

Stepp schüttelte nur den Kopf und brachte genau wie alle anderen, seinen Unmut über das Verhalten der Kollegin zum Ausdruck. „Was bitte Rudi, ändert Weihnachten an der Tatsache, dass sie einfach nicht ins Team passt. Erkläre mir das bitte, Rudi. Sie passt auch nach Weihnachten nicht besser hier hinein“, böse sah er seinen Teamleiter an.

„Da hast du Recht Stepp. Charlotte wird auch nach Weihnachten, kein anderer Mensch sein. Die Hoffnung habe ich aufgegeben. Vor allem, dass wir sie schnell ändern werden. Soweit habe ich die Situation auch schon begriffen. Allerdings, glaube ich fest an euch. Ich weiß, dass ihr Charlotte, nach der Weihnachtsfeier mit anderen Augen betrachten werdet. Deshalb glaube ich fest daran, dass ihr eure Einstellung nach Weihnachten, etwas ändert. Dass ihr vielleicht etwas mehr von dem versteht, was ich euch schon seit Wochen, zu erklären versuche. Charlotte, kommt hier einfach noch nicht klar. Das, was wir zurzeit bei ihr erleben, ist kein wegschlagen der Hände, die wir ihr reichen. Sie hat einfach noch kein Vertrauen. Die Kleine wurde so oft enttäuscht und betrogen, dass sie nur noch ihren Freunden vertraut. Die sind aber nicht hier. Noch nicht. Oft, das weiß ich aus den vielen Gesprächen mit ihr, versteht sie Sachen vollkommen falsch und redet sich ständig ein, wir mögen sie nicht. Sie hat nie gelernt, Vertrauen zu fremden Menschen zu haben. Das hatte sie nur zu ihren Klassenkameraden und die sind weg. Man hat diese Kinder einfach getrennt. Hier in der Wache, ist alles fremd für sie. Ich habe euch oft genug erklärt, wie Charlotte bis vor vier Monaten gelebt hat. Versucht es nur ein einziges Mal, aus ihrer Sicht zu sehen. Gebt ihr einfach, im privaten Bereich, noch etwas Zeit. Vor allem, noch eine Chance. Oder hat sie euch, während eines einzigen Einsatzes, in den letzten Monaten, im Stich gelassen? Hat sie einmal, im Kampf versagt. Leute, ihr wisst genauso wie ich, was die Kleine drauf hat. Gebt ihr eine Chance, Vertrauen, auch auf der privaten Ebene aufzubauen.“

Alle zehn Kollegen schüttelten den Kopf, sie wollten auf Charlotte nicht verzichten. Sie vertrauten der Kleinen im Einsatz völlig. Zu oft hatte sie ihre Kollegen durch wahnwitzige Aktionen überrascht und Einsätze in einem Tempo beendet, dass sie nur so staunten. Deshalb mochten ja viele der Kollegen das Mädchen so. Sie war einfach gut. Charlotte dachte im Einsatz stets vorrausschauend und vor allem immer an die Sicherheit des Teams. Aber sonst, war sie eine totale Katastrophe.

„Trotzdem verstehe ich nicht, warum du dich für sie stark machst. Sie ändert sich nicht. Andere Rudi, mussten schon wegen weniger gehen. Ich denke da an Kalle, der musste nur gehen, weil er ständig übernervös war“, wütend sah er zu Rudi.

Kalle war Svens bester Freund und er hatte dessen Versetzung, immer noch nicht verkraftet. Nur ging es wirklich nicht mehr. Kalle war ein Sicherheitsrisiko und steckte alle mit seiner Nervosität an. Vor allem stellte er, für die anderen eine Gefahr dar. Da er oft auch in den Einsätzen, übernervös reagierte und dadurch die Einsätze gefährdete.

Rudi holte tief Luft. „Sven, glaube mir eins, diese Entscheidung ist mir bestimmt nicht leicht gefallen. Kalle, war auch mein Freund und nicht nur deiner. Für ihn, war es auf jeden Fall die bessere Entscheidung. Denn auf diese Weise lebt er noch. Sven, es war nur noch eine Frage der Zeit, bis ihm etwas zugestoßen wäre. Das weißt du selber besser als ich. Wie oft musstest du ihn zurück reisen und wie oft hattest du während der Einsätze, Angst um ihn. Außerdem, kann man diese Sachen, mit Charlotte nicht vergleichen. Im Einsatz bringt sie nicht nur ihre hundert Prozent, sondern oft viel mehr. Sonst würde ich bestimmt nicht so, um sie kämpfen. Jedenfalls nicht für die Wache. Sie kommt nur, noch nicht mit dem Rest klar“, bittend sah er seine Männer an.

Versuchte ihnen immer wieder zu erklären, was er meinte. Tief holte Rudi Luft und sah in die Runde.

„Leute, ich habe vorhin in meinem Büro, die Kleene gefragt, ob sie am 24. arbeiten will oder ob sie lieber frei hätte. Die guckte mich an, wie ein Mondkalb. Als ich sie dann fragte, ob sie wüsste, was morgen für ein Tag wäre“, Rudi atmete tief durch, um seine Emotionen in den Griff zu bekommen. „Da meinte sie tatsächlich zu mir, ob ich denn nicht wüsste, der 24. käme nach dem 23. und vor dem 25. Dezember. Ich bin der festen Überzeugung, dass Charlotte nicht einmal weiß, dass es Weihnachten gibt. Kommt Leute, wir haben zusammen so viel geschafft. Gebt mir die Möglichkeit der Kleenen zu zeigen, dass es bei uns schön ist. In einen Jahr, lachen wir alle über die Probleme, die wir im Moment haben“, bittend sah Rudi seine Kollegen an.

Genervt holten die Männer Luft und wechselten dann einfach, das Thema, auf das alle keinen Bock mehr hatten. Weil die meisten das Gefühl nicht los wurden, sich ständig im Kreis zu drehen. Viele der Teammitglieder gaben einfach auf. Zu anstrengend waren die letzten Wochen, mit diesem jungen Mädchen gewesen. Die nicht alleine nur im Umgang Probleme machte. Sondern auch des Nachts, den wenigen aber mehr als notwendigen Schlaf störte. In dem sie schreiend oder stöhnend aus Träumen hochschreckte und oft Minuten lang kaum ansprechbar war.

Die gesamte Situation, erzeugten eine stetige Spannung und dazu der fehlende Schlaf, machte es den Männern nicht leicht, Rudis Bitte zu akzeptieren. Deshalb wandten sie sich erfreulicheren Dingen zu, um wenigstens über etwas Angenehmes zu sprechen, so kurz vor dem Weihnachtsfest. Die Stimmung war bei allen nicht die Beste, viele wünschten sich nach Hause zu ihren Familien. 

Kaptiel 5

Deshalb sprachen die Kollegen lieber darüber, wie sie dieses Jahr Weihnachten hier in der Wache feiern wollten. Morgen war es wieder einmal so weit und es war noch nicht einmal der Baum geschmückt. Es war für alle immer schlimm, diesen Tag, fernab der Familie zu feiern. Deshalb versuchten sie alle, es sich trotzdem so schön wie nur möglich zu machen. So dass man viel lachen und wenigstens ein bisschen diesen Tag genießen konnte. Wenn schon nicht in der Familie, dann wenigstens mit den Freunden, aus dem Team. Sie gaben nie die Hoffnung auf, dass der Heilige Abend, wirklich allen heilig war und sie zu keinem Einsatz mussten. Der nächste Tag, wurde soweit es ging, durchgeplant. Selbst einen Weihnachtsmann, hatte Rudi für dieses Jahr besorgt, darüber freuten sich alle. Das würde ein schöner Spaß werden. Kurz nach Mitternacht, waren die Planungen abgeschlossen und es verschwanden alle in die Betten und freuten sich, auf den morgigen späten Nachmittag. An dem sie den Tannenbaum schmücken wollten.

 Am 24. Dezember früh um 3 Uhr, also nach nicht einmal drei Stunde Schlaf. Gab es Alarm und alle wurden geweckt. Ein Einsatzbefehl holte die Kollegen der Wache, aus den Betten. Stöhnend zogen sich alle an. Die Einzige, die wie immer nicht stöhnte, war Charlotte. Die zwar noch nicht geschlafen hatte, denn zu viele Gedanken kreisten in ihrem Kopf und ließen sie keine Ruhe finden. Sie war aber froh, endlich wieder einmal etwas tun zu können, was sie gut konnte. Bei dem sie vor allen wusste, was sie zu tun und zu lassen hatte.

Zum Glück war es nur ein kurzer und einfach Einsatz, bei dem niemand verletzt wurde. Schnell war er zu Ende gebracht. So konnten kurz vor 16 Uhr, alle duschen gehen und sich für das Weihnachtsfest fertig machen.

Charlotte allerdings, bummelte wieder herum, putze ewig ihre Waffen und ging erst duschen, als die Männer sich in den Aufenthaltsraum, zurückzogen. Nicht, weil sie sich schämte mit den Männern zu duschen, das störte sie überhaupt nicht. Sondern, weil sie nicht mit ihnen zusammen sein wollte.

Am Bus gab es erneut eine Situation, in der Charlotte wieder einmal, aufs Übelste ausgelacht wurde. Das grämte die junge Frau sehr. Am meisten allerdings ärgerte sich Charlotte über sich selber. Warum nur, konnte sie ihren dummen Mund nicht halten? Sie nahm sich vor, nur noch zu nicken oder den Kopf zu schütteln. Dann ersparte sie sich wenigstens, dass man sie ständig ausgelachte. Mit den bösen Blicken konnte sie leben.

Rudi war es diesmal Recht, dass die Kleine sich wieder einmal absonderte. Er hatte dadurch Charlotte erst einmal aus der Schusslinie. Die Kollegen konnten sich wieder beruhigen. Vor dem Bus wäre es beinah zu einer Eskalation gekommen. Diesmal gab der Teamleiter die Schuld aber seinen Kollegen, diese hatten die Kleine aufs Übelste Provoziert. Charlotte dagegen stieg nicht auf diese Provokationen ein. Sie hatte nur ordentlich geantwortet. Auf ihre eigenen ungewohnte Art, ruhig und völlig ohne Aggressionen. Aber was die Kleine sagte, hatte Hand und Fuß. Trotzdem lachte man über deren Bemerkung und Sepp der sich regelrecht auf die Kollegin eingeschossen hatte, provozierte sie dermaßen, dass Charlotte fast die Beherrschung verlor. Sie stand ganz nah vor dem Kollegen und atmete schwer, ihre Fäuste waren vor Wut geballt und atmete Stepp heiß ins Gesicht. Zum Glück hatte Charlotte mehr Verstand, als sein auch noch sehr junger und sehr temperamentvoller Kollege. Sie gab ein kurzes Fauchen von sich, wie eine wütende Katze, dann drehte sich die so junge Kollegin um, stieg ein und ging schweigend auf ihren Platz. Ließ die verblüften Kollegen einfach stehen. Diese Szene war so urkomisch, dass alle, selbst Stepp schallend lachen mussten. Seit dem schwieg Charlotte, antwortete nur noch mit einem Nicken oder Schulterzucken. Als Rudi sie fragte ob sie nicht mehr mit ihm reden wollte nickte sie und ließ ihn stehen, holte sich das Putz-Set und begann ihre Waffen zu pflegen. Er bekam kein Wort mehr aus ihr heraus.

Aber das war jetzt alles nebensächlich. Viel wichtiger waren die Vorbereitungen zum Weihnachtsfest. Dadurch, dass sich seine Kollegin absonderte, konnte er die Überraschung für Charlotte besser vorbereiten.

Rudi freute sich jetzt schon auf Charlottes Gesicht. In den vergangen Wochen wurde in ihm ein Verdacht immer stärker und nahm immer traurigere Züge an. Rudi vermutete, dass Charlotte noch nie in ihrem Leben, einen Tannenbaum gesehen hatte, geschweige denn, einen Weihnachtsmann. Rudi war sich nicht einmal sicher, dass sein Zögling überhaupt wusste, was ein Geschenk war. Er hoffte nur, dass sie nicht, wie so oft in der vergangenen Zeit, überreagierte. Das Charlotte ihm und den Kollegen eine Chance gab, ihr zu zeigen zu können, wie man Weihnachten feierte.

Die Männer schmückten lachend und ohne Charlottes Hilfe, den Baum. Bereiteten alles, für das alljährliche Weihnachtsessen vor. Die Kartoffeln, hatte ein Kollege vorn aus der Wachstube schon geschält, die Bratwürste lagen auch schon in der Röhre und brutzelten vor sich hin, genau wie das Sauerkraut und die Zwiebelringe.

Langsam aber sicher kam Weihnachtsstimmung auf. Eine Kollegin, die sonst als Schreibhilfe im Büro des Dienststellenleiters tätig war, kam heute extra her, um auch noch Kekse zu packen. So duftete es herrlich nach Weihnachten. Die Stimmung wurde immer lockerer. Einige begannen Weihnachtslieder zu singen, genau so, sollte es sein.

Keine halbe Stunde später waren die Männer mit dem Schmücken des Baumes fertig und die Geschenke von den Angehörigen, waren darunter verteilen. Nur das Geschenk von Charlotte und die Beutel mit Süßigkeiten, für die diensthabenden Kollegen waren im Sack des Weihnachtsmannes. Es wurde ein Kassettenrekorder aufgestellt und eine Weihnachtskassette eingelegt und die Kerzen angezündet. Endlich war man fertig mit den Vorbereitungen. Jetzt musste nur noch der Weihnachtsmann kommen. Dann war alles perfekt. 

Kapitel 6

Rudi ging auf die Suche nach Charlotte, um das Mädchen in den Gemeinschaftsraum zu holen. Er musste nicht lange suchen. Denn wie immer, lag die junge Frau auf ihrem Bett und tat so, als ob sie schlief.

 Er erinnerte an die ersten Tage, des jungen Mädchens, hier in der Wache. Ständig saß sie auf der kalten Erde, neben ihrem Bett. Sprang, sobald jemand den Raum betrat auf und stand stramm. Wie oft, hatte Rudi die Kollegin, wohl schon von hier hinten, nach vorn in den Bereitschaftsraum geholt. Er hatte aufgehört, diese Male zu zählen. Als er Charlotte, beim vierten oder fünften Mal fragte: "Wieso sitz du immer hier hinten?" Sah Charlotte ihn völlig verwirrt an. Die Antwort die er damals bekam, machte ihm deutlich, dass er und seine Kollegen, in einer völlig anderen Welt aufgewachsen waren.

Charlotte nahm Haltung an. So, wie sie es am Anfang ständig machte, wenn er mit ihr sprach. Die Hände auf den Rücken, die Beine leicht gespreizt und den Kopf leicht gesenkt. Den Blick zu seinen Füßen gerichtet, hoffte sie darauf, dass sie sprechen durfte. Als Rudi kurz nickte, denn er wusste mittlerweilen, dass sie nur mit Erlaubnis sprach, begann sie sich zu erklären. Dabei hob sie leicht den Kopf und sah ihrem Vorgesetzten, fest in die Augen. Mit einem so klaren und offenen Blick, den er noch nie zuvor gesehen hatte.

„Genosse Oberstleutnant, sie hatten uns gerade befohlen, abzutreten. Hier ist mein Platz, mein Bett. Der Ort, an dem ich mich aufzuhalten habe, wenn sie keine Befehle für mich haben.“

Sie sprach in einem leisen und deutlichen Tonfall. In ihrem, oft so lustig klingenden Akzent. Charlotte war sich damals keiner Schuld bewusst, etwas falsch gemacht zu haben. Trotz ihrer klaren Antwort und des offenen Blickes, spürte er die Verwirrung des Mädchens. Wie viele solche Situationen, hatte er in den letzten Monaten erlebt. Dinge die für alle normal waren, brachen die Kleine völlig durcheinander.

Selbst während der letzten freien Tage, die Charlotte in seinem Haus verbrachte, gab es ständig Situationen die zu Missverständnissen führten. Da dieses Mädchen nur schwarz und weiß kannte. Späße oder Flachsereien, waren ihr völlig unbekannt. Seine Frau Doris, hatte große Probleme, mit dem jungen Mädchen klar zu kommen. Da Doris oft dazu neigte, ein bisschen zu sticheln oder einfach Bemerkungen machte, die spaßig gemeint waren. Sie war halt eine richtige Gersche Fettbemme, lustig und ständig guter Laune. Doris hatte es in den drei Wochen immer wieder versucht, hatte aber einfach keinen Zugang zu Charlotte gefunden. Dabei liebte sie dieses Mädchen über alles. Seine Frau und er, waren am Überlegen, ob sie Charlotte nicht adoptieren sollten oder wenigstens als Pflegekind für immer zu sich zu holen. Einfach, damit die Kleine einen Ruhepol in ihrem Leben hatte.

Eben diesen Ort der Ruhe brauchte Charlotte unbedingt wieder, sonst würde sie früher oder später, ihren Freunden folgen. Das wollte Rudi auf alle Fälle verhindern. Dazu musste er aber endlich, dieses Schutzschild von Charlotte durchbrechen. Die einzigen Ruhepole, die Charlotte in ihrem Leben je hatte, waren ihr Großvater und ihre Großmutter. Der Großvater verstarb Mitte Oktober und seine Frau folgte ihm nur wenige Tage später. Jetzt war die Kleine völlig alleine und auf sich gestellt. Sie hatte keinen Menschen mehr in ihrer Nähe, dem sie völlig vertraute. Dies konnte auf Dauer nicht gut gehen.

Die ersten Folgen sah man schon. Charlotte zog sich immer mehr zurück und schlief kaum noch. Das durfte so nicht weiter gehen. Rudi brach es das Herz, dieses Mädchen so leiden zu sehen. Er wollte, dass sie glücklich ist. Er wollte Charlotte nur einmal lachen oder wenn es sein musste, auch weinen sehen.

Als er ihr den Tod ihres Großvaters mitteilte, kam keine Reaktion. Sie akzeptierte dies, wie als wenn man ihr gesagt hätte, das Brot ist alle. Auf der Beerdigung, nahm sie schweigend Abschied von ihren Großeltern. Äußerlich, genauso emotionslos, wie alles, was sie tat.

Er spürte aber, dass dies nur, eine nach außen getragene, Maske war. Innerlich, kam Charlotte mit dem Tod, vor allem des Großvaters nicht klar. Seit dessen Tod, nahmen die Alpträume, unter dem Charlotte so schlimm litt, akut zu. Wenn sie vor Müdigkeit einmal einschlief, erwachte sie nach ein oder zwei Stunden schreiend oder schweißgebadet auf. Saß dann oft stundenlang, schwer atmend in ihrem Bett.

Rudi musste unbedingt, eine Möglichkeit finden Charlotte zu ermöglichen, ihre Emotionen herauszulassen, sonst würde sie daran kaputt gehen. Dafür würde er alles tun, denn diese emotionale Kälte, die von ihr ausging, war nicht normal. Es war nichts anderes, als eine Art Schutzschild, dass sie vor sich hertrug, um niemanden eine Angriffsfläche zu bieten.

 Traurig stand Rudi, während ihm all diese Gedanken durch den Kopf gingen, vor Charlottes Bett und fasste sich ein Herz, so ging es nicht mehr weiter. Die Kleine musste endlich hier ankommen, sonst würde sie an dieser Situation kaputt gehen.

Er hatte schon einige Male darüber nachgedacht, ob es an ihm und seinen Leuten lag, dass die Kleine hier nicht Fuß fassen konnte. Rudi erfuhr von seinem Freund, dem Polizeirat, dass dies nicht der Fall war. In den acht anderen Dienststellen, gab es genau die gleichen Probleme, wie mit Charlotte. Die anderen Schüler dieser Militärakademie, kamen genauso wenig klar mit ihrem neuen Leben, wie Charlotte. Drei dieser Kinder hatten sich schon selbst getötet und einer lag noch auf der Intensivstation. Man konnte noch nicht sagen, ob er überleben würde. Vor allem wusste niemand, wie man das Charlotte beibringen sollte. Da das Mädchen nicht nach ihren Kameraden fragte, ließ man es im Moment auf sich beruhen. Bevor man, den sowieso schon enormen Stress, den die neue Kollegin hatten, noch mehr verschlimmerte.

Rudi wollte mit allen Mitteln versuche, den Freitod bei Charlotte zu verhindern. Denn auch die anderen Kinder versuchten diesen Weg zu gehen. Er musste einen Weg finden, ihr das Gefühl zu geben, dass man sie liebte. 

Kapitel 7

Tief in seinen Gedanken versunken, stand Rudi da und beobachtete seine junge Kollegin.

Deshalb sagte er mürrischer, als er eigentlich wollte, zu ihr. „Kleene, los raus aus dem Bett. Ich weiß, dass du nicht schläfst. Das höre ich an deiner Atmung. Also hoch mit dir und zwar etwas dalli“, forderte er von ihr.

Charlotte blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Zehn lange Jahre wurde ihr Gehorsam eingetrimmt. Also sprang sie sofort aus dem Bett und stand stramm, vor ihrem Vorgesetzten.

„Wieso stehst du stramm? Bitte Kleene, ich habe dazu keine Nerven heute. Was soll das denn nun schon wieder? Hatten wir uns nicht darauf geeinigt, dass du bei mir nicht stramm stehen musst?“, fuhr er sie ungewollt heftig an.

Charlotte schwieg und sah ihn offen an.

„Rede mit mir Kleene, verdammt noch mal“, donnerte der stellvertretende Dienststellenleiter sie an.

Die Kleine senkte aber nur den Kopf und starrte auf Rudis Füße. Charlotte war innerlich völlig durcheinander. Sie wusste wieder einmal nicht, was man von ihr wollte. Vor allem, warum sie Rudi so anpolterte. Rudi verdrehte die Augen und stand seinen Kopf schüttelnd, vor der Kollegin.

„Charlotte, redest du nicht mehr mit mir?“

Erst zuckte sie mit den Schultern, dann erinnerte sie sich daran, dass Rudi ihr Vorgesetzter war und sie antworten musste.

„Doch“, kam leise die Antwort von ihr. „Ich weiß nicht, was du von mir willst“, fügte sie noch leiser dazu.

Rudi fasste ihr unter das Kinn und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. „Kleene, du weißt, was heute für ein Tag ist?“

Oh, nicht schon wieder, ging es Charlotte durch den Kopf und sie atmete tief durch. Schließlich gab sie genauso leise und korrekt zur Antwort.

„Rudi, heute ist Mittwoch der 24. Dezember. Ich verstehe den Sinn deiner Frage nicht“, erklärte sie ihm, völlig verunsichert.

„Heute ist Weihnachten“, erklärte Rudi seinem Schützling.

„Ja und? Was muss ich da tun? Was ist das?“, kam jetzt genau die Fragen, vor der sich Rudi so gefürchtet hatte.

„Komm mit Charlotte. Die Jungs und ich, zeigen dir jetzt, was Weihnachten ist.“

Er nahm Charlotte an den Schultern und schob, die sich sträubende Kollegin, einfach aus dem Schlafsaal, in Richtung Aufenthaltsraum. Schließlich gab Charlotte nach, sie musste ja gehorchen, ob sie das nun wollte oder nicht. Rudi hatte beschlossen seine Kleine einfach ins tiefe Wasser zu schmeißen. Wie sollte er ihr auch etwas erklären, was sie gar nicht kannte. Wie oft, kam ihm in den Sinn, was man diesen Kindern noch alles verwehrt hatte. Die interne Akte die er von Charlotte bekam, war grauenvoll. Dass diese Menschen sich nicht geschämt hatten, mit Kindern auf diese Art umzugehen. Immer wieder verzweifelte er an einfachen Situationen, die für jeden anderen selbstverständlich waren. Seinen kleinen Zögling allerdings, völlig aus der Bahn warfen.

 Zügig gingen sie nach vorn in Richtung des Aufenthaltsraumes. In dem schon die Weihnachtsmusik spielte. Als Rudi die Tür öffnete, blieb Charlotte wie angewurzelt stehen. Starrte erst auf den Baum, dann auf ihre Kollegen. Die alle rote Mützen auf hatten und dann nach hinten zu Rudi, der breit grinsend da stand.

„Geh weiter, es beißt dich hier keiner“, forderte er Charlotte auf.

Diese schüttelte unbewusst den Kopf und war nicht in der Lage, auch nur einen Schritt zu machen. Sie zweifelte stark an den Verstand ihrer Kollegen. Völlig verwirrt starrte sie zu ihrem Team, dann zu dem Baum und dann wieder zu Rudi. Der war neben Charlotte getreten und schob die sich sträubende Kollegin, gänzlich in den Raum.

„Gefällt dir der Baum?“, wollte Rudi von Charlotte wissen.

Sprachlos nickte Charlotte und sah mit schiefgehaltenen Kopf, auf den wunderschön geschmückten Baum. So etwas hatte sie in ihrem ganzen Leben, noch nie gesehen. Eine große Blautanne war geschmückt, mit lauter goldenen und roten Kugeln, die mit weißem glitzerndem Staub bestäubt waren. Rudi war extra deswegen vor einigen Wochen in die VR Polen gefahren, um diese schönen Baumschmuck und eine Lichterkette zu kaufen. Statt Lametta hatten die Kollegen kleine glitzernde Wattebäusche auf den Baum verteilt, so dass es aussah als ob Schnee darauf gefallen wäre. Ringe aus Schokoladenplätzchen hingen neben Lebkuchenherzen und Marzipanbretzeln. Die Krönung allerdings waren, die elektrischen Kerzen die bunt leuchteten. Nicht jeder hatte eine solche Lichterkette am Baum, denn die meisten nutzten noch Wachskerzen. Durch diese Lichterkette konnte man den Baum aber den ganzen Tag leuchten lassen und es bestand keine Brandgefahr. Die Spitze des Baumes war ein goldener Engel, mit einem weißen Kleid und goldenen Flügeln.

Charlotte brachte kein Wort heraus, sie war völlig erstarrt. Also bugsierte Rudi das völlig verwirrte Mädchen weiter an den Tisch, auf dem schon das Essen stand. Setzte Charlotte auch eine Weihnachtsmütze auf. Diese riss die Mütze sofort wieder vom Kopf. Erneut setzte Rudi ihr die Mütze auf und schüttelte leicht den Kopf.

„Lass sie auf, bitte. Komm setze dich hin Kleene“, bat sie Rudi und drückte sie auf ihren Stuhl.

Kahlyn war allerdings nicht bereit diese Mütze zu tragen. Sie nahmen diese komische Mütze sofort wieder ab und legte sie auf den Tisch. Bevor Rudi ihr noch mehr Stress machte, beließ er es dabei. Er sah sie traurig an und streichelte dem Mädchen liebvoll den Arm. Charlotte war allerdings völlig fasziniert von dem Baum, immer wieder blickte sie dort hin.

„Charlotte setze dich einfach, das Essen wird sonst kalt und lang ordentlich zu", bat Rudi seine Kleine.

"Langsam habe ich richtigen Hunger. Das Weihnachtsessen, ist immer etwas Besonderes“, ergänzte Tom und schob ihr einen Teller, gefüllt mit einer großen Portion, Kartoffelbrei, einer Bratwurst hin. Charlotte bekam eine große Portion gebratenes Sauerkraut, weil sie dies so gern mochte, dafür aber keine Zwiebel, auf ihren Teller und vor die Nase gesetzt. Die anderen saßen alle schon am Tisch und langten kräftig zu. Rudi setzte sich jetzt ebenfalls und sah die Kleine bittend an. Charlotte allerdings war vollkommen durcheinander, sie konnte sich gar nicht essen. Sondern musste immer wieder zu dem Baum blicken. So etwas Schönes, hatte sie noch nie erblickt, am liebsten würde sie ihn anfassen, aber dies traute sie sich nicht. Lustlos stocherte sie mehr im Essen herum, als dass sie aß.

„Schmeckt es dir nicht, Charlotte“, fragte jetzt Tino der Koch.

„Do … doch schon, natürlich“, stotterte Charlotte erschrocken und fing an zu essen.

Sie zwang sich jeden Bissen hinein. Man merkte ihr an, dass sie nicht wirklich beim Essen war, mit ihren Gedanken. Tino sah traurig zu seiner Kollegin. Wenn man ihr nur helfen könnte, ging es ihm durch den Kopf. Seine Tochter Inka, war genauso alt, wie dieses Mädchen. Weihnachten war Inka immer völlig aufgedreht und hippelig. Charlotte dagegen, sah den Weihnachtsbaum an, wie etwas völlig Fremdes. Er war fassungslos. Tino hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit so einer Reaktion, der neuen Kollegin. Behielt Rudi am Ende mit allem Recht, was er immer behauptete. Der Koch, konnte das alles nicht glauben. Irrte er sich, in der Annahme, dass diese junge Frau nur süchtig nach Aufmerksamkeit war? Tat er ihr vielleicht Unrecht? Genau beobachtete er seine Kollegin und stellte fest, dass diese vollkommen verunsichert war. Vor allem erschreckte ihn, dass ihre Hände das Besteck kaum halten konnten, da sie dermaßen zitterten. Etwas, dass Tino bei ihr noch nie beobachtet hatte. Einige verdammt brenzlige Situationen, hatte man in den letzten Wochen gemeinsam gemeistert, aber gezittert hatte Charlotte noch nie. Tino ging tief in sich und nahm sich vor, mehr auf diese junge Frau zu zugehen. Vor allem mehr mit ihr zu Reden und sie nicht ständig zu foppen. Vielleicht verstand sie wirklich nicht, was sie von ihr wollten. Ihm kam in den Sinn, was Siggi von seinem Gespräch mit Charlotte preisgegeben hatte.

Conny alberte etwas herum. Zog alberne Fratzen, einfach, um die Stimmung etwas zu heben. „Ich hoffe doch dass es dir schmeckt, Charlotte. Du musst wissen, wer nicht aufisst, bekommt dann später auch nichts vom Weihnachtsmann“, erklärte er lachend.

Connys Kollegen lachten herzhaft. Charlotte jedoch, aß ohne eine Miene zu verziehen weiter. Allen Anderen ging es ähnlich, wie Tino. Sie begriffen jetzt erst, dass ihre Kollegin, wirklich noch nie einen Weihnachtsbaum gesehen hatte und das Weihnachtsfest wahrscheinlich, gar nicht kannte. Der Blick als sie den Raum betrat ging allen durch Mark und Bein. Ein Stich traf sie mitten ins Herz. Ihnen tat Charlotte auf einmal leid. Es wurde ihnen bewusst, dass sie der Kollegin, wahrscheinlich viel zu oft etwas abverlangten, dass sie ihnen gar nicht geben konnte. Da sie viele Dinge einfach nicht kannte oder wusste.

In Ruhe wurde gegessen, auch wurde wieder gelacht. Man hatte sich schnell, von dem ersten Schreck erholt. Alle außer Charlotte aßen ihre Teller ab. Egal was sie versuchten, sie wollte nichts mehr essen. Oft fragten sich die Männer wie Charlotte mit der wenigen Nahrung die sie zu sich nahm, leben konnte. Aber man wollte nicht schon wieder Druck auf die Kleine ausüben. Man war ja froh, wenn Charlotte überhaupt etwas aß. Deshalb wurde der Teller ebenfalls weggebracht und kurze Zeit später war der Tisch abgeräumt. Die Küche strahlte wieder im gewohnten Glanz, da alle mit anfassten.

Pünktlich zum Läutern der Kirchturmuhr, genau um 18 Uhr waren alle fertig und saßen wieder zusammen am Tisch. Es wurde gelacht und erzählt. Dabei trank man eine Tasse Punsch oder Kaffee. Die Einzige, die wie stets einsam in der Mitte der Kollegen saß und schwieg, war Charlotte. Sie war auch die einzige die keinerlei Reaktionen zeigte und nur zuhörte. Es dauerte nicht sehr lange, als es plötzlich laut und sehr heftig, an die Tür wummerte.

 Charlotte sprang auf und wollte sofort die Tür öffnen. Sie wurde allerdings von Rudi zurück auf ihren Stuhl gedrückt. Kurz entschlossen zog er Charlotte in seine Arme, um ihr so etwas Schutz und Sicherheit zu geben. Wie immer versteifte sich das Mädchen, am ganzen Körper. Rudi hatte immer noch nicht heraus bekommen, warum diese Abwehrreaktion von ihr kam. Auf all seine dies bezüglichen Fragen, bekam er keine Antworten. Körperliche Nähe, ließ sie nur in ganz seltenen Fällen zu. Rudi beugte sich zu Charlotte herunter und versuchte sie zu beruhigen. Er wusste, was jetzt kam und hatte verdammt viel Angst davor, dass dies alles aus den Rudern laufen würde. Deshalb versuchte er sie zu beruhigen.

„Charlotte, bleibe ganz ruhig. Ich lasse nicht zu, dass dir jemand etwas tut. Ich passe auf dich auf. Bleib einfach sitzen.“

Ein älterer Kollege aus der Wachstube, der sonst immer hinten am Funk saß und den Charlotte kaum kannte, hatte es übernommen den Weihnachtsmann zu spielen. Da ihm Rudi von seiner Vermutung erzählte, dass ihre junge Kollegin, wahrscheinlich noch nie Weihnachten gefeiert hatte. Wieder wummerte es gegen die Tür und als niemand die Anstalt machte zu öffnen, flog diese mit einem Schlag auf. Daraufhin betrat der Kollege, als Weihnachtsmann verkleidet, den Raum. Er gab auf Grund seiner Körperfülle und Größe einen stattlichen Weihnachtsmann ab. Sein Bauch war echt und die Fältchen um die Augen auch. Der rote Mantel, die Stiefel in Schwarz und die Nickelbrille, sowie der lange wallende weiße Bart, vervollständigten den Traum von einem echten Weihnachtsmann. Karl, so hieß der Kollege aus der Wachstube, hatte dazu eine von Grund auf tiefe Stimme die richtig Grollen konnte. Deshalb bat Rudi den Kollegen, um diesen Gefallen. Besser konnte ein Weihnachtsmann einfach nicht dargestellt werden.

Charlotte sah fassungslos zu dem Mann im roten Anzug und den weißen Pelzen. Sie wusste nicht, ob sie den Kopf schütteln, lauthals loslachen oder einfach nur, davon rennen sollte. Sie konnte das, was hier geschah, einfach nicht einschätzen. Das wiederrum machte der jungen Frau eine Heidenangst. Sie atmete völlig verkrampft. Immer wieder sah sie zu Rudi, der ihr aufmunternd zulächelte und sie weiterhin in seinen Armen hielt. Also machte Charlotte, gute Miene, zu dem ihr unbekannten Spiel, dass sie nicht verstand. Trotzdem ging ihr ganzer Körper auf Abwehrreaktion. Rudi hatte Mühe die kleine Kollegin auf dem Platz zu halten. Jeder Muskel war gespannt und ihr Gesicht war eine eiskalte Maske der Konzentration. Keine Sekunde ließ Charlotte den ihr fremden Mann aus den Augen. Auch ging ihr Atmung völlig flach, etwas, dass Rudi zeigte, dass Charlotte auf Bereitschaft gegangen war.  Er kannte diese Art von Atmung von ihr nun schon, dies hieß für ihn sie war bereit für den Kampf. Hoffentlich machte der Kollege jetzt keinen Fehler und beobachtete die Kleine genau. Sonst würde hier alles aus dem Ruder laufen.

„Guten Abend“, donnerte der Weihnachtsmann los und sah alle Kollegen der Reihe nach an.

Die Kollegen lachten und scherzten. Rudi jedoch beobachtet sein Ziehkindel genau, das verwirrt war und sich von Minute zu Minute sichtbar unwohler fühlte. Der Weihnachtsmann bat sich Ruhe aus, weil die Anderen, einen furchtbaren Radau machten, dass man sein eigenes Wort nicht verstand.

„Was ist das hier für eine undisziplinierte Truppe? Was macht ihr für einen Lärm? Ruhe jetzt hier“, polterte er in die Runde.

Schlagartig wurde es ruhiger im Raum.

„So, ist es besser. Ich habe gehört, dass es hier jemanden gibt, der keine Ahnung hat, was der 24. Dezember für ein Tag ist, stimmt das?“, warf er in die Runde und sah dabei Charlotte an. 

Diese sah zu Rudi und dann zu Siggi, den sie auch gern mochte. Rudi beugte sich zu ihr vor und erklärte ihr. 

„Kleene, du musst zum Weihnachtsmann sagen, dass heute Weihnachten ist“, flüsterte er ihr ins Ohr, um ihr zu helfen. 

Charlotte starrte den Mann in Rot, einfach nur an. Unfähig, auch nur ein Wort zu sagen. Ihre Augen folgten dem Unbekannten, bei jeder seiner Bewegungen.

„Na, dann muss ich dein Geschenk wohl wieder mitnehmen“, stellte der Weihnachtsmann nun fest, weil er keine Antwort bekam.

Worauf die junge Frau mit den Schultern zuckte. Da sie immer noch nicht begriff, was das alles sollte. Charlotte war auf dem Sprung, das merkte Rudi immer heftiger. Er hatte Mühe die Kollegin zu halten. Bis heute hatte er nicht einmal geahnt, dass die Kleine solch eine Kraft hatte.

Rudi erklärte deshalb. „Charlotte entspanne dich, hier tut dir niemand etwas. Komm Kleine fahre runter." An den Kollegen aus der Wachstube gewandt, bat er. "Weihnachtsmann, ich denke du kannst ihr ruhig das Geschenk geben“, gab er dem Kollegen den Wink, diese Situation einfach zu überspielen.

„War sie denn artig?“, erkundigte er sich jetzt, bei Rudi und seinen Kollegen.

Sah Charlotte dabei musternd an. Diese sah verwundert, zu Rudi. Man merkte genau, dass sie nicht wusste, wie sie reagieren oder was sie darauf sagen sollte. Deshalb schwieg sie lieber. Jetzt reichte es dem Weihnachtsmann, deshalb befahl er im ziemlich scharfen Ton. 

„Wirst du mir wohl antworten Mädchen?“, polterte er los.

Charlotte sprang auf, so dass der Stuhl nach hinten kippte und Rudi fast von seinem Stuhl gefallen wäre. Er hatte keine Chance das Mädchen zu halten. Erschrocken hob er den Stuhl auf. Seine Kleine dagegen knallte die Hacken zusammen. Im gewohnten ruhigen Ton, antwortete Charlotte dem, ihr gegenüberstehenden Mann. 

„Jawohl, Genosse Weihnachtsmann“, blieb völlig verunsichert stehen.

Für diese Antwort, bekam sie wieder einmal, ein schallendes Gelächter, von ihren Kollegen. Was Charlotte noch mehr verunsicherte, weil sie nun gar nicht mehr wusste, was überhaupt los war. Vor allem, warum die Kollegen, sie wieder einmal auslachten. Rudi schüttelte böse den Kopf zu seinem Team und zog das Mädchen auf ihren Platz zurück. Derart kompliziert, hatte er sich das Ganze, nun auch wieder nicht vorgestellt. Aber da mussten sie nun durch. Vielleicht hätte er, Charlotte das alles, vorher erklären sollen. Jetzt war es aber dazu leider zu spät. Er stand kurz auf und ging auf den Weihnachtsmann zu. Leise flüsterte Rudi ihm etwas ins Ohr. Darauf nahm der Weihnachtsmann, sich erst einmal die anderen Kollegen vor. Rudi setzte sich auf seinen Platz und zog Charlotte wieder zu sich heran. Dann beugte er sich zu seinem Schützling und erklärte ihr flüsternd. 

„Schau einfach zu, was die anderen machen und mache es dann auch so.“ 

Der Weihnachtsmann gab seinen Kollegen, die brav ein Gedicht oder Liedlein vortrugen, ihren Beutel mit Süßigkeiten. Rudi war der Letzte, der vor Charlotte, an die Reihe kam. Der Kollege aus der Wachstube, übergab auch ihm, nach dem er ein kleines Gedicht aufgesagt hat, seinen Beutel.

Charlotte hatte die ganze Zeit beobachtet, was die Anderen getan hatten. Stellte schnell sie für sich fest, dass sie so etwas nicht konnte. Nun war sie wieder an der Reihe.

„Was hast du mir zu sagen Kind? Warst du nun lieb oder nicht?“ 

Charlotte zuckte mit den Schultern und antwortete, aber trotzdem. Es war ihr mittlerweile egal, ob die Kollegen sie auslachten. Sie wollte hier nur noch weg und ihr Bett.

„Genosse, ich glaube eher nicht. Die Kollegen mögen mich nicht und ich sie nicht. Sie verstehen mich nicht und ich sie nicht. Ich gehöre hier nicht her, Genossen Weihnachtsmann, darf ich jetzt abtreten?“

Es war, als hätte jemand schlagartig den Ton abgestellt. In dem eine Minute zuvor, noch sehr lauten Raum, wurde es mit einem Schlag so ruhig, dass man eine Stecknadel, hätte fallen hören. Diese Sekunden der absoluten Stille, zogen sich eine gefühlte Ewigkeit hin. Obwohl es höchstens dreißig Sekunden dauerte. Dann hatte sich der Weihnachtsmann wieder gefangen und sprach zu Charlotte, mit zittriger Stimme. Denn auch ihm wurde bewusst, was dieses Mädchen, da gerade sagte.

„Du bist also der Meinung, Charlotte, die Kollegen mögen dich nicht?“ 

Charlotte nickte. 

„Warum?“, erkundigte sich der Weihnachtsmann.

Dieses Mädchen zuckte mit den Schultern und schwieg, da donnerte der Weihnachtsmann sie an. 

„Wirst du mir wohl antworten“, forderte sich Karl eine Antwort ein.

Ohne eine Regung oder auch nur mit der Wimper zu zucken, gab sie ihm, eine völlig überraschende Antwort. Im Sitzen, da Rudi sie am aufspringen hinderte.  

„Genosse Weihnachtsmann, es ist so. Ständig veralbern sie mich. Fragen mich Sachen, die ich nicht weiß und lachen mich dann aus. Wenn ich ihnen ordentlich antworte. Das mag ich nicht. “, sprach sie ganz leise, aber mit festen Ton. Der Blick, den der Weihnachtsmann erntete, war voller Trotz. „Was willst du dagegen machen?“

„Ich kann nichts dagegen machen, Genosse. Der Hass beruht auf Gegenseitigkeit. Mir bleiben kaum Optionen. Ich habe keine Ahnung, was ich dagegen machen soll. Darauf hat man uns nicht vorbereitet, Genosse. Töten kann ich diese Leute hier nicht. Es sind meine Kameraden. Kameraden muss man beschützen. Mich töten, darf ich auch nicht. Das habe ich meinem Großvater versprechen müssen. Das wäre die Einzige Optionen, die ich hätte. Also versuche ich, allen aus dem Weg zu gehen. Soweit, das hier überhaupt möglich ist. Dann habe ich wenigstens meine Ruhe. Es ist die einzige Möglichkeit die ich habe, nicht ständig gedemütigt und ausgelacht zu werden, Genosse Weihnachtsmann. In die Schule kann ich nicht mehr zurück. Wo meine Freunde sind, weiß ich nicht. Fortlaufen, kann ich also auch nicht. Ich wüsste gar nicht, wohin. Also, muss ich hier bleiben. Es spielt keine Rolle, was ich will. Was ich will, hatte noch nie in meinem Leben eine Rolle gespielt. Es hat nie jemand interessiert, was ich möchte. Warum sollte das hier anderes sein. Ich muss immer nur tun, was andere von mir erwarten. Also fangen sie schon an mich zu bestrafen. Für meine freche Antworten. Wo soll ich hingehen, Genosse Weihnachtsmann?“

Erschüttert sahen sich die Kollegen an. Mit allem hatten sie gerechnet, aber nicht mit dieser offenen Antwort. Die viel mehr, über das Gefühlsleben dieses Mädchen aussagte, viel mehr von ihr preis gab, als es ihr bewusst war. Diese offene und ehrliche Antwort, machte den Anwesenden bewusst, wie geradlinig das Mädchen dachte. Fühlte sich die Kleine wirklich ausgelacht und gedemütigt? Das lag nicht in der Absicht der Kollegen. Hatten sie dieses junge Mädchen, wirklich so, vor den Kopf gestoßen? Das blanke Entsetzen, stand in den Gesichtern der Männer, die sich im Raum aufhielten, in dem es unangenehm ruhig geworden war. Alle brauchten einige tiefe Atemzüge, um zu realisieren, was sie gerade gehört hatten. Der Kollege der den Weihnachtsmann spielte, fasste sich als erstes. Mitten in diese Totenstille, wandte er sich an Charlotte, seine Stimme, klang belegt und man spürte bei seinen Worten, die Emotionen, die er mühsam zu unterdrücken versuchte.

„Als Erstes. Charlotte, bei uns wird keiner bestraft. Nicht dafür, dass er seine Meinung sagt. Allerdings, ist es schade, dass du so von uns denkst, Charlotte. Ich bin der Meinung, dass du dich sehr in deinen Kollegen täuschst und du ihnen Unrecht tust. Ich weiß, dass deine Kollegen, extra für dich ein Geschenk, bei mir bestellt haben. Da wirst du dieses, wohl gar nicht wollen? Du willst also, gar nicht mehr hierher gehören?“

Wieder einmal wusste Charlotte nicht wirklich, was man von ihr wollte. Wie bei so vielen Dingen, des normalen Lebens.  Aber mittlerweile, spielte es, in ihren Augen keine Rolle mehr. Sie war sich darüber im Klaren, dass sie sich gerade, um Kopf und Kragen redete. Aber sie musste dies alles beenden. So, konnte sie nicht weiterleben. Sie würde daran zerbrechen. Dies wurde ihr mit jedem Tag klarer. Sollten der Genosse Weihnachtsmann sie bestrafen, dann war es wenigstens vorbei. Deshalb beschloss sie, jetzt und hier offen zu sein. Ihr war nicht klar, was dieser Mann in Rot, hier wirklich zu melden hatte. Aber sie hatte schnell gemerkt, dass alle Respekt vor ihm besaßen. Vielleicht half es ja, dass sie ihm sagte, was sie dachte. Wenn nicht, spielte es sowieso keine Rolle mehr. Die Bestrafung, würde sie nach solch einer Frechheit, nicht überleben. Tief holte Charlotte Luft, sprach mit gewohnter fester Stimme, so, als wenn sie einen Bericht abliefern würde. Ob wohl ihr vor Angst das Herz bis zum Hals hoch pochte. Rudi allerdings spürte ihren Herzschlag und wusste dadurch, dass Charlotte völlig verängstigt und verstört war. Er begriff nicht, wie dieses Mädchen in solch einem Zustand so ruhig sprechen konnte. Jedem anderen Kollegen hätte man den seelischen Zustand angemerkt, Charlotte nicht. Gänzlich ohne irgendwelche äußere Emotionen zu zeigen, erklärte sie sich dem Mann in Rot.

„Genossen Weihnachtsmann, ich weiß nicht, was ein Geschenk ist. Wir haben so etwas noch nie gesehen. Von daher, ist mir das nicht wichtig. Ob ich hier her gehören möchte? Ich weiß es nicht. Ich war immer gern bei meinen Freunden. Für diese, wäre ich gestorben. Als ich hierher kam, wollte ich dies auch, für diese Menschen machen. Mittlerweile, bin ich mir da nicht mehr so sicher. Es tut weh, wenn man ständig gedemütigt und ausgelacht wird. Auch, wenn man das, mein ganzes Leben lang schon mit mir gemacht hat. Aber damals machten es nur, die Lehrer und Betreuer. Nicht aber meine eigenen Kameraden. Aber es gibt schlimmer Dinge, die man mir antun kann und angetan hat. Am Schlimmsten allerdings, ist es alleine zu sein und mit niemanden reden zu können. Das Gefühl zu haben, nicht ernst genommen zu werden. Genosse Weihnachtsmann, ich bin zwar noch jung, aber ich kann alles, was diese Männer hier können. Zum Teil kann ich sogar mehr, da ich eine andere Ausbildung habe. Deshalb ärgert es mich, wenn man mich, wie ein kleines Baby behandelt. Ich bin genauso ein Mitglied in dem Team hier, wie alle anderen. Deshalb möchte ich genauso behandelt werden. Ich würde, auf der einen Seite, schon gern hierher gehören. Leider passe ich allerdings nicht hierher. Genosse Weihnachtsmann, ich denke anders, ich fühle anders und ich handle anders. Ich spreche nicht die gleiche Sprache, wie diese Menschen. Deshalb, werde ich hier nie her gehören. Denn diese Leute hier akzeptieren mich nicht, so wie ich bin. Ich gehöre zu meinen Freunden. Die haben mich nie ausgelacht und gedemütigt. Sie haben mich so akzeptiert, wie ich bin, mit allen meinen Fehlern. Sie sagte mir, wenn ich etwas falsch gemacht habe. Genauso, wie ich es ihnen sagte. Niemand hat mich dafür ausgelacht oder beschimpft oder gar gedemütigt.“ Traurig sah Charlotte, auf ihre nervös spielenden Finger.

Der Kollege, der Weihnachtsmann spielte, ging auf Charlotte zu und hob ihr Kinn nach oben und sah das Mädchen lange an. Nicht nur der Weihnachtsmann, sondern auch die Kollegen, die um den Tisch versammelt waren, sahen die Tränen Charlottes Augen, die das Mädchen nicht ganz zurückhalten konnte. Eine Träne, rann über ihr sonst emotionsloses Gesicht. Der Weihnachtsmann, wischte die Träne mit dem Daumen weg, die sich einen Weg, aus deren Augen gesucht hatte. Charlotte hatte diese nicht zurückhalten können. Wortlos griff der Mann, in dem roten Anzug und dem weißen Bart, in seinen Jutesack, in dem immer noch ein Geschenk und ein Beutel mit Süßkram lagen. Er drückte es, Charlotte einfach in den Arm. Ohne ein Wort zu sagen. Dazu war er gar nicht in der Lage.

Kapitel 8

Fassungslos, am ganzen Körper zitternd, sah Charlotte ihr Geschenk an, dass sie in den Händen hielt. Sie hob den Kopf und sah zum Weihnachtsmann, dann auf ihr Geschenk. Wenn man dachte, es könnte in diesem Raum nicht noch ruhiger werden, hatte man sich getäuscht. Es war als wenn alle die Luft anhalten würden und niemand mehr atmete. Es war totenstill im Raum geworden. Kein Mucks kam über die Lippen des Mädchens.

In ihren bebenden beiden Händen, hielt sie einen selbstgenähten Bären. Der, wie sie selber zitterte. Diesen starrte sie lange an. Nach einigen unendlichen Minuten, sah sie ein zweites Mal, hoch zum Mann in Rot und fragte kaum hörbar, diesmal mit zitternder Stimme.

„Der ist für mich?“

Der Weihnachtsmann nickte, nicht fähig zu sprechen. Er zog Charlotte von ihrem Stuhl in seine Arme. Da fing sie an zu weinen. Das erste Mal seit vielen Jahren weinte Charlotte. Das erste Mal seit dem sie auf ihrer Wache war, zeigte die junge Frau Emotionen. Charlotte schluchzte herzzerreisend.

Ihr größter Wunsch war in Erfüllung gegangen.

 Vor einigen Tagen, unterhielt sich Charlotte mit Siggi. Sie kamen über ein strategisches Problem ins Fachsimpeln und kamen über Umwegen auf Wünsche zu sprechen. Siggi fragte Charlotte, was sie sich am meisten wünschen würde, wenn sie einen Wunsch frei hätte. Der Kollege war erschrocken als er deren Antwort hörte.

Nach langem Schweigen erklärte ihm Charlotte, leise mit bebender Stimme. „Am liebsten wünschte ich mir meine Freunde zurück. Das geht aber nicht. Vielleicht einen blauen Bären, so, wie früher mein Herr Bär war.“

Das war das erste Mal, dass seine Kollegin mehr als einen privaten Satz sprach. Vor allem, dass sie Gefühle und Emotionen zeigte und etwas von sich preis gab. Sie erzählte ihm, von Herr Bär. Ihrem ersten Bären. Dass sie ihn von einer Schwester, in der Wochenkrippe geschenkt bekommen hatte und ihn bis zu dem Tag, an dem sie in die Schule kam, immer bei sich hatte. Dass ihre Mutter, ihren geliebten Herr Bär, einfach achtlos ins Auto schmiss. Als sie das erste Mal wegbrachte wurde und sie in eine Schule abgeschoben wurde, in die sie nie wollte. Dass sie ihren Herr Bär, nie wieder gesehen hatte. Ihrem ersten Freund, dem sie alles erzählen konnte und den sie so sehr vermisste. Herr Bär, wäre immer für sie da gewesen. Er hatte viel mit ihr erlebt und sie oft getröstet. Wenn sie krank oder traurig war und einsam war. Herr Bär gab ihr das Gefühl, nicht alleine sein. Wenn sich die Einsamkeit, wieder einmal in ihr Herz schlich.

„Wie sah der denn aus?“, erkundigte sich Siggi, mit belegter Stimme.

Ganz genau konnte Charlotte ihren Herrn Bär noch beschreiben. Der Kollege war völlig fassungslos, dass die sonst ruhige Kollegin, auf einmal so viel sprach. Vor allem, von den Gefühlen, die er von ihr zu sehen bekam. Sonst war Charlotte stets ernst, unterdrückte jegliche Art von Emotionen. Oft wusste man nicht, woran man mit dem Mädchen war.

Siggi ging nach diesem Gespräch zu Rudi, war völlig aus dem inneren Geleichgewicht. Er bat Rudi, noch am gleichen Tag seine Frau anrufen zu dürfen. Diese bat er darum, ihm für seine Kollegin einen Bären, nach deren Beschreibung zu nähen. Da er zu Hause, in den letzten Monaten viel von Charlotte erzählte, machte Siggis Frau das gern. Ihr tat diese junge Kollegin leid.

Diesen blauen Bären mit roten Pfötchen, Ohren, Nase und einem roten Bauch, hielt Charlotte jetzt in ihren Armen. Das schönste Geschenk, was man ihr machen konnte.

Herr Bär, war mehr wert, als alles Gold der Welt.

 Der sehnlichste Wunsch eines jungen Mädchens, ging in Erfüllung. Herr Bär brach das Eis und die Ketten, die um ihr Herz gelegt waren. Das sich in diesem Moment öffnete und nun auch, die neuen Kollegen hineinließ.

Das eben Erlebte machte den Männern im Raum auch bewusst, dass es ein kleines Mädchen war, das viel gelitten hatte und dem sie Zeit lassen mussten, diese neue ihr unbekannte Welt kenne und lieben zu lernen. Der man Zeit geben musste, Vertrauen zu fassen.

Es war noch ein langer Weg den Charlotte vor sich hatte, bis sie diese Welt begriff und Vertrauen in die Kollegen fasste. Aber Gemeinsam haben sie es geschafft. 

Epilog

Siebenunddreißig Jahre, ist dies nun her und Herr Bär, sitzt immer noch in ihrem Bett. Er wurde behütet, wie ein Schatz, dass ihm nichts geschieht. Er trocknet damals, wie heute noch ihre Tränen und wärmte ihr Herz. Herr Bär hilft ihr auch heute, gegen die Einsamkeit und gegen die Trauer.

 

Er war und ist ihr bester Freund.

 

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Impressum

Tag der Veröffentlichung: 11.11.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meinem wichtigsten Freund und Gefährten meinem Herrn Bär

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