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Die Personen und Handlungen in dieser Geschichte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Teil 1 ... Die Hundert
Teil 2 ... Team 98
Teil 3 ... Die letzten der Hundert
Teil 4 ... Horror fürs Team
... Teil 5 ... Kahlyns Neubeginn ...
Impressum: 1. Auflage 2012
Mail: feenwinter@freenet.de
© Cover-Gestaltung: Katja Neumann
© Grafiken: Katja Neumann
Lektorat: Katja Neumann
Layout, Design: Katja Neumann
Letzte Überarbeitung: 11.Juni 2017
Nach dem Kahlyn die Selbstanzeige und eine Anzeige gegen Oberstleutnant Mayer, wegen Misshandlung Schutzbefohlener, mehrfachen Mordes und versuchten Mordes, gegenüber der Staatsanwaltschaft gemacht hatte, kehrte Kahlyn zurück zu den Runges. Das erste Mal seit vielen Jahren, schlief das Mädchen, ohne die Albträume, über die rumänischen Kinder und erwachte aus einem erholsamen Schlaf.
Viel war geschehen, in nur einem Monat. Kahlyn wurde von einem Extrem ins andere gestoßen. Sie lernte, ihre neuen Kameraden kennen und begriff, dass sie viele neue Freunde hatte. Auch, wenn sie ihre alten Kameraden verloren hatte. Allerdings war das Mädchen, noch nicht richtig zur Ruhe gekommen.
Von ihrem ehemaligen Vorgesetzten, wurde sie geschlagen und vergiftet. Von ihrer Vergangenheit, immer wieder verfolgt. Sie stellte sich ihrer Angst vor Puppen. Zeigte ihren neuen Kameraden, ein Teil ihres Könnens. Aber sie musste auch feststellen, dass diese neue Welt in der sie jetzt lebte, völlig anders war. Das alles das, was sie bis jetzt von Leben kannte auf den Kopf gestellt wurde. Sie, ein Mädchen das hoch intelligent war, begriff nicht mehr was um sie herum geschah.
Kahlyn musste begreifen lernen, dass sie von dieser Welt nichts kannte, dass ihr die einfachsten Sachen Angst einjagten. Dass sie ihre neuen Freunde, absolut nicht verstand Dass sie lernen musste Vertrauen zu haben, zu sich selber, aber auch zu anderen. Vor allem, dass ihr hier niemand etwas tun würde.
Sie beschloss ihrer neuen Familie eine Chance zu geben und gab ihnen Einblick, in ihre kleine verletzte Seele. Lernte das Gefühl der Liebe kennen. Lernte aber auch, Hilfe anzunehmen, Vertrauen zu fassen und sich zu öffnen. Jetzt musste sie nur noch lernen, diese ihr fremde Welt zu verstehen und in dieser Welt klar zu kommen. Dass es mehr im Leben gab, als nur den Kampf, Mord und Totschlag. Wie sie das lernt? Lest selber…
Es war der 30. September 1975, als wir kurz vor 22 Uhr dort ankamen. Rudi, Viola und auch Jenny saßen noch in der Küche. Ich freute mich Jenny zu sehen. Seit Tagen hatte ich sie schon nicht mehr zu Gesicht bekommen. Freudig lief ich hinein und gab allen einen Kuss. Dann setzte ich mich, einfach auf den Stuhl neben Rudi. Dieses Gefühl, hier nicht her zu gehören, war auf einmal weg. Jo setzte sich auf seinen Platz. Viola allerdings, gab Jo erst einmal einen Kaffee und mir einen Tee. Rudi streichelte mir über das Gesicht.
„Na meine Kleene, das war wohl anstrengend, siehst ziemlich blass um die Nase aus. Hast du es hinter dich gebracht?“
Ich nickte, sagte aber nichts. Ich hatte heute genug geredet. Trank und genoss einfach meinen Tee. Diese Ruhe und dieses schöne Gefühl der Geborgenheit nahm mich völlig gefangen.
„Hast wohl heute keine Lust mehr zum reden, meine Kleene. Das kann ich verstehen. Aber, eins verrätst du mir bitte noch. Geht es dir wenigstens ein bissel besser?“
Verlegen zuckte ich erst mit den Schultern, dann aber nickte ich. „Ich weiß nicht genau. Aber ich glaube es geht mir besser“, erklärte ich ganz leise. Aber ich schenkte Rudi mein schönstes Lächeln.
„Na dann, hat es sich doch wenigstens gelohnt.“
Rudi drehte sich zu mir um und nahm mich in den Arm, gab mir ein Kuss auf die Stirn.
Jenny allerdings blickte mich fragend an. „Kahlyn, hast du Lust mit mir ein bissel zu reden, oben bei dir im Zimmer. Dann kannst du dich hinlegen und bist nicht so alleine.“
Erfreut sah ich Jenny an. Nie hätte ich gedacht, dass sie mit mir reden wollte. „Oh ja, das wäre schön. Wir können aber auch, in dein Zimmer gehen. Dann kannst du mir mal, deine anderen Puppen zeigen und ich kann das Bienchen fragen, wie es ihr geht“, antworte ich einfach so, ohne lange darüber nachzudenken.
Jenny sah mich erfreut an. Viola sagte jedoch, sie bekam Angst, zu frisch ist noch die Erinnerung an das Erlebte.
„Kahlyn, nicht, dass es dir dann wieder schlecht geht.“
Tief holte ich Luft. „Viola, ich glaube nicht, dass es mir wieder schlecht geht. Ich weiß ja jetzt, dass es nur Puppen sind. Habe es doch jetzt verstanden.“
Erleichtert lächelten Jo, Rudi und Viola.
„Dann ab mit euch. Aber Jenny, um 23 Uhr ist Schluss, du hast morgen Schule.“
Jenny stand auf und nahm meine Hand. Sie zog mich einfach hinter sich her, zur Treppe. So stiegen wir nach oben und in Jennys Zimmer. Dort erzählte mir meine kleine Freundin, über jede ihrer Puppen eine kleine Geschichte. Ich fand sie alle total schön. Eine, hatte es mir besonders angetan, sie erinnerte mich an Rashida, dass sage ich Jenny auch.
„Weißt du, die Ute sieht irgendwie aus wie meine Freundin Rashida, als sie noch ganz klein war“, traurig sah ich die Puppe an.
Ich vermisse Rashida so. Sie war immer meine beste Freundin. Jenny kam zu mir und nahm mich in den Arm. „Sei doch nicht so traurig, Kahlyn. Du hast doch jetzt uns.“
Verlegen sah ich zu ihr hoch. „Du hast recht Jenny. Aber ich vermisse sie schon.“
Zögernd gab ich die Puppe Jenny zurück. Kurz vor 23 Uhr, sagte ich dann zu Jenny.
„Jenny, wir sollten jetzt duschen gehen, du musst in die Schule morgen. Wir sehen uns, ja morgen wieder. Guten Nacht.“
Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und verließ das Zimmer. Nebenan, zog ich meinen Schlafanzug an und legte mich ins Bett. Das Duschen ließ ich einfach ausfallen. Ich war viel zu müde dazu.
Das erste Mal seit Jahren, verfolgten mich die Bilder aus Rumänien nicht, wenn ich meine Augen schloss. Es war, als wenn die Kinder begriffen hätten, dass sie bald befreit und beerdigt würden. Fasst traumlos, schlief ich die ganze Nacht durch, erwachte am Morgen erholt und ausgeschlafen, wie lange nicht. War es vorbei? War es endlich vorbei? …
Leise und von ganz weit entfernt hörte ich es rufen. Im ersten Moment konnte ich die Stimme gar nicht einordnen, dann allerdings erkannte ich sie. Mühsam kämpfte ich mich aus dem Schlaf hinaus in die reale Welt. Es fühlte sich so wunderschön an traumlos zu schlafen und eigentlich wollte ich gar nicht erwachen. Wieder erklang die Stimme von ganz weit her und rief mich. Sie war weich und klang fast wie die meiner liebsten Freundin.
"Kahlyn, wache auf meine Kleene."
Völlig Verschlafen öffnete ich die Augen, sah ich auf den Menschen der vor mir saß und mich geweckt hatte. Rudi saß auf meinem Bett und streichelte mir das Gesicht.
"Was ist?", fragte ich verschlafen. "Ist Alarm?"
Rudi lächelte mich an und zog mich in seine Arme. "Nein meine Kleene, es ist kein Alarm. Aber es ist gleich Mittag und ich dachte du solltest langsam mal aufstehen. Vor allem, ist heute ein wunderschöner Tag. Ich wollte mit dir noch einmal in den Tierpark gehen. Hast du Lust dazu? Wir haben doch noch gar nicht alles gesehen. Viele so schöne Tage wie heute, wird es nicht mehr geben. Es ist doch schon Oktober und es wird langsam aber sicher kalt. Also, wie sieht es aus, hast du Lust?"
Mit einem Schlag wurde ich richtig munter. Rudi wollte mit mir noch einmal in den Tierpark gehen, freudig lächelte ich ihn an.
"Natürlich, habe ich Lust. Ich beeile mich. Ich gehe nur schnell duschen", ich zögerte einen Moment. "Sag mal, kannst du mir etwas zum Anziehen ins Bad bringen, sonst lacht Viola mich wieder aus."
Rudi fing schallend an zu lachen. Er konnte sich vorstellen, dass seine Kleene gar nicht wusste, was sie da anziehen sollte.
"Geht klar. Aber ich habe da auch keine Ahnung. Ich sage Viola einfach Bescheid, sie soll dich schmuck machen. Also ab mit dir."
Immer noch lachend gab er mir einen Kuss auf die Stirn und zog mir die Decke weg. Schnell sprang ich aus dem Bett und griff nach meiner Brille. Eilig lief ich nach unten ins Bad, um unter die Dusche zu gehen. Ach wie schön war es hier. Am liebsten würde ich singen. Das ließ ich lieber bleiben, schließlich wollte ich niemanden vertreiben. Kaum zehn Minuten später klopfte es an die Tür, ich setzte meine Brille auf und rief laut.
"Herein."
Viola kam mit meinen Anziehsachen herein. "Hallo Kahlyn, na hat dich Rudi endlich munter bekommen? Wir dachten schon du wolltest nie wieder munter werden."
Verwundert sah ich Viola an. "Wieso das denn? Habe ich schon wieder, so lange geschlafen?"
Viola kicherte und sah mich dabei allerdings freundlich an. Ich musterte sie irritiert.
"Kahlyn heute ist Freitag. Du hast den ganzen Mittwoch und Donnerstag, verschlafen."
"Oh nein", rutschte es mir heraus.
"Doch Kahlyn und jetzt ist es gleich 12 Uhr, deshalb hat dich ja Rudi versucht zu wecken", wieder ließ Viola, ihr schönes Lachen erklingen. "Du bist eine kleine Schlafmütze. Es tat dir aber gut. Du siehst viel besser aus mein Mädel. Heute ist so ein schöner Tag, komm sieh selber."
Sie gab sie mir einfach einen Kuss auf die Stirn und half sie mir beim Anziehen. Mit Erschrecken stellte ich fest, dass mein Haar viel zu lang geworden war. Auch Viola kam nicht umhin das festzustellen und neckte mich ein wenig.
"Hilfe Kahlyn, du siehst aus um die Haare, als hättest du in eine Steckdose gefasst. Du musst unbedingt zum Friseur. Deine Haare sehen schlimm aus. So kannst du auf keinen Fall mehr herumlaufen. Die stehen ja nach allen Seiten weg und müssen dringend geschnitten werden. Also los meine Schätzchen, beeilen wir uns. Ich rufe gleich einmal meinen Bruder an, der macht dir einen schönen Schnitt. Das könnt ihr machen, bevor ihr in den Tierpark geht. Das dauert ja nicht so lange", grinsend schob sie mich aus dem Bad und weiter in die Küche.
Ich schaute Viola an und begriff einfach nicht, was sie meinte. Wer griff denn schon freiwillig in eine Steckdose? Das war äußerst ungesund, vor allem tat das höllisch weh. Aber egal, ich musste ja nicht alles wissen. Ich jedenfalls hatte in keine Steckdose gegriffen, da war ich mir sicher. Meine Haare waren einfach nur viel zu lang.
"Rudi, bevor ihr irgendwo hingeht, fährst du mal bei Paule vorbei. Ich rufe gleich bei ihm an. Kahlyns Haare sehen aus wie die von Struwwelpeter oder als wenn sie gerade in eine Steckdose gefasst hätte. So kann sie nicht rumlaufen. Da muss einfach mal, ein ordentlicher Schnitt gemacht werden. Nee so geht das wirklich nicht", sprach sie und lief weiter nach hinten in Jos Büro, um zu telefonieren.
Rudi nickte, der Gedanke war ihm auch schon gekommen. "Kahlyn, was denkst du, wollen wir schnell dein Haar schneiden gehen?"
Klar wollte ich das. Ich sah ja selbst wie schlimm ich um die Haare aussah. Ich war es nicht gewohnt so lange Haar zu haben. "Gern Rudi, ich hab mich nur nicht getraut zu fragen", verlegen sah ich zu ihm.
"Na du erst noch, Kleene. Wann lernst du endlich, dass du mich alles fragen kannst. Also komm mal mit, wir wollen los", an Viola gewandt, die gerade aus Jos Büro kam. "Viola, wenn die Wache anrufen sollte, wir sind bei Paule, die sollen jemand rüber schicken, wenn etwas ist. Danach melde ich mich in der Wachstube und hinten bei Ronny, um die Details zu klären."
Viola lächelte, sie kannte diese Abmelde Prozedur in den Bereitschaftswochen. Es war immer schlimm, meistens wenn sich Rudi so abmeldete, kamen Einsätze dazwischen. Sie musste dann immer den Vermittler spielen. Das nervte schon manches Mal, aber auch daran gewöhnte mach sich, wenn man mit zwei Polizisten unter einem Dach wohnte. Breit grinste Viola vor sich hin und nickte schließlich in unsere Richtung.
"Rudi, Paule wartet auf Euch. Er will dann aber weg. Also macht hin", rief sie aus Richtung Büro, kam eilig auf mich zu gelaufen und gab mir einen Kuss. "Kahlyn, lass dich schick machen."
Verwundert sah ich sie an. "Wie schick machen?" Ich verstand nicht, was sie wollte.
Viola winkte ab. "Geh nur mein Mädel. Ich habe Paul schon genau instruiert. Der weiß jetzt genau, wie er dir das Haar schneiden soll. Ich hab ihn … Ach lassen wir das, sonst bringe ich dich wieder ganz durcheinander. Viel Spaß ihr zwei."
Rudi lief Richtung Haustür und sah dabei zufällig auf meine Füße. Wie in neunzig Prozent der Fälle war ich barfuß. Als er das sah fing er schallend an zu lachen. "Kahlyn, wo..." versuchte er zu sprechen und hielt sich dabei seinen nicht vorhandenen Bauch. "… wo… wo sind denn, schon wieder deine Schuhe hin meine Kleene."
Ich sah verlegen zu meinen Füßen, zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht Rudi. Die habe ich glaube ich irgendwo in Himmelpfort verloren. Aber ich weiß wirklich nicht wo", betrübt sah ich ihn an.
Viola fing nun auch an zu lachen und wischte sich die Tränen aus den Augen. "Ach Kahlynchen, Schuhe kaufen lohnt sich wirklich nicht für dich. Du verlierst sie schneller, als man sie nachkaufen kann."
"Ihr zwingt mich ja immer, welchen anzuziehen", verteidigte ich mich sofort. "Solange wie ich denken kann, laufe ich barfuß. Ich will ja gar keine anziehen. Bis vor einen Monat habe ich nur beim Oberst meine Schuhe verloren. Sonst habe ich nicht einmal welche besessen, außer den Paradestiefeln und die habe ich gehasst wie die Pest. Die tun immer so an den Füßen weh. Glaube mir Viola, ich ärger mich wirklich darüber", gestand ich trocken, mit einem breiten Grinsen, dass die beiden zum Glück nicht sehen konnten.
Rudi legte mir die Hand auf die Schultern. "Dann bekommst du in der Wache, eben einfach neue Schuhe. Das ist überhaupt nicht schlimm, Kleene. Der Oberst hat mich schon darauf hingewiesen, auf dein kleines Schuhproblem. Viola sei so gut und rufe bitte schon mal auf der Wache an. Tony soll mir welche ins Büro stellen, bevor er nach Hause fährt", mit diesem Satz war für Rudi die Sache erledigt.
Er hatte wichtigeres vor, als über solche Belanglosigkeiten zu reden. Rudi schob mich zur Tür. Wir verließen immer noch vor uns hin kichernd das Haus und gingen zum Auto. Etwas betrübt und mit mir selber hadernd, setzte ich mich neben Rudi.
"Tut mir leid wegen der Schuhe, wirklich Rudi. Ich kann wirklich nichts dazu. Weißt du ich musste so selten Schuhe tragen. Nur wenn ich zum Oberst geflogen bin und dort auch nur der Form halber. Das Schlimme an der Sache ist allerding, ich weiß nicht einmal genau, wann ich die ausgezogen habe. Als wir aus dem Lager los sind, hatte ich meine Schuhe noch an, das weiß ich hundert prozentig. Auf dem LKW glaube ich auch noch. Aber in der Halle, unten bei Friedrich, hatte ich die Schuhe definitiv nicht mehr an. Auch nicht auf den Brücken nicht. Sonst hätte ich gar nicht lautlos arbeiten können. Das geht nämlich mit Schuhen nicht", verlegen sah ich Rudi von der Seite an.
Mein Major schüttelte breit grinsend mit dem Kopf. "Das wäre dann jetzt schon das wievielte Paar?"
Ich überlegte eine Weile. "Ich bin mir nicht ganz sicher. Das fünfte Paar oder sogar schon das sechste Paar", genervt holte ich Luft.
Mich ärgerte das wirklich. Vor allem war es mir unangenehm, auch weil die Kollegen sich ständig deswegen wegschmissen vor Lachen. Ich war nur froh, dass mich mittlerweile wenigstens Conny verstand. Er hatte durch das Wandlaufen, auch schon einige Paare verloren. Weil auch er die Schuhe in solchen Momenten einfach abschmiss und dann nicht mehr wusste, wo er sie ausgezogen hatte. Man ist im Kampf auf andere Dinge konzentriert, als auf seine Schuhe. Verzweifelt rieb ich mir das Genick, weil ich krampfhaft überlegte, wo ich die Schuhe weggeschmissen hatte. Aber ich wusste es wirklich nicht. Mir ging es beim letzten Einsatz einfach zu schlecht, als dass ich mich da noch daran erinnern konnte.
"Ist nicht schlimm, ärgere dich nicht, Kleene. Der Oberst hat mich schon vorgewarnt. Er hat mir sogar zehn Paar für dich mitgegeben. Damit du erst mal welche hast, die du auch gerne anziehst", sprach Rudi lachend zu mir.
Na da war es ja nicht so schlimm. Der Oberst hatte auch nie deswegen Ärger gemacht und Oberstleutnant Mayer hatte nie etwas davon mitbekommen, weil mir der Oberst immer nach dem Einsatz neue Schuhe gab, damit ich in der Schule keinen Ärger bekam. Eine Weile überlegte ich noch wegen der Schuhe. Irgendwie spukte mir da so ein Gedanke durch meinen Kopf, der mich nicht losließ. Da war irgendetwas mit meinen Schuhen. Was war das nur? Ich ging die ganzen Tage noch einmal Schritt für Schritt durch. Plötzlich fiel es mir wieder ein, dass der Gedanke wahr war, der mir durch den Kopf spukte. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht.
"Was ist los Kleen?", erkundigte sich Rudi, der an meiner Haltung sah, dass ich mich wegschmiss vor Lachen.
"Rudi, ich habe meine Schuhe doch gar nicht verloren. Das waren nur die Schuhe, die ich vom Oberst bekommen hatte. Meine sind doch noch im Garten auf der Stange. Die waren doch nass, weil wir ins Wasserbecken gefallen waren. Erinnerst du dich? Kurz bevor John kam. Die hatte ich doch gar nicht angehabt. Deshalb hat mir doch der Oberst neue gegeben und ihr habt euch alle weggeschmissen vor Lachen."
Erleichtert atmete ich auf, dass wenigstens die Schuhe nicht weg waren und vor allem, dass ich endlich einmal wusste, wo meine Schuhe geblieben waren. Rudi lachte mit mir und wuschelte mir über die Haare.
"Da bist du aber jetzt froh, gelle", sprach er zwischen zwei Lachern und wischte sich die Tränen aus den Augen.
Kopfschüttelnd fuhr er weiter. Er hätte sich vor drei Wochen nie träumen lassen, dass er einmal so mit seiner Kleenen lachen konnte. Sie war so anders geworden in der letzten Woche, völlig locker. Rudi überlegte krampfhaft wie er es beschreiben könnte, aber ihm fiel aber kein passenderer Vergleich ein. Es war einfach schön, dass er seine Kleene so erlebte.
Ich wurde wieder ernst, weil mir in diesem Moment etwas viel Wichtigeres einfiel. "Du sag mal Rudi, die Büchse mit der Nahrung, die noch bei den Runges steht…"
Weiter kam ich gar nicht, denn Rudi unterbrach mich. "Kahlyn, keine Angst. Die hat Jo schon dem Staatsanwalt übergeben, genau wie die gesamten Dosen, die noch bei Fran im Lager standen. Du musst dir keine Sorgen mehr machen. Fran hat mir für dich, schon eine neue mitgegeben. Walter hat sie Fran beim Oberst gegeben und es ist eine Versiegelungsfolie drauf. Die sind also alle völlig in Ordnung. Fran hat auch mit dem Oberst eine Reglung gefunden, um zu gewährleisten, dass so etwas nie wieder passiert. Er bestellt deine Nahrung nur noch, über den Oberst. Denn weder Fran noch ich haben noch Vertrauen in diese Schule. Der Oberst hat er mir versichert, dass er die Nahrung stichprobenweise untersuchen lassen würde, damit nicht noch ein Mordanschlag auf dich oder deine Freunde vorgenommen werden kann, auf diese bösartige Art. Du kannst dir gar nicht vorstellen wie der Oberst an die Decke gegangen ist, als er das von deinem Doko erfahren hat. Der hat Hunsinger so die Hölle heiß gemacht dass der kleiner als einen Millimeter mit Hut war anschließend.
Glaube mir eins Kleene, diesmal kommt der Mayer nicht mit einem blauen Auge davon. Dazu deine Anzeige, der kommt nie wieder aus dem Knast heraus. Mit deinem Nahrung, das war der letzte große Fehler den er gemacht hat", wütend hatte mir das Rudi erklärt.
In seinen Augen, stand der pure Hass auf Mayer geschrieben. Ich konnte Rudi nur zu gut verstehen. Den gleichen Hass bekam ich manchmal auf Mayer. Trotzdem tat mir das Herz weh und ich wurde ganz traurig. Es gab auch andere und bessere Zeiten, die ich mit Mayer erlebt hatte. Aber trotzdem atmete ich erleichtert auf, auch wenn mir mein Herz an einer ganz kleinen Stelle blutete. Denn jetzt musste ich mir keine Sorgen mehr machen. Wenn ich ehrlich war, hatte ich richtige Angst wieder etwas zu essen. Vor allem hatte ich Angst davor, was sich Mayer als nächstes einfallen lassen würde, nur um mir eins auszuwischen.
"Weißt du Rudi, dass ich schon gar keine Lust mehr hatte, etwas zu essen. Jedes Mal, wenn ich etwas gegessen habe, ging es mir hinterher schlecht. Vor allem konnte ich mir viele der Symptome gar nicht erklären, die ich in den letzten Wochen hatte. Diese ständige Angst- und Panikattacken und die Wahnvorstellungen, die ich zum Teil hatte. Ich habe wirklich geglaubt, dass ich langsam aber sicher wahnsinnig werde. Viola und Jo die sahen immer ganz komisch aus. Vor allem hatte ich ständig das Gefühl, dass gleich irgendetwas ganz schreckliche passieren würde. Ständig war ich in Angst um die drei Kleinen von Runges und hatte Angst, dass ihnen etwas Schreckliches geschieht. Das hat mich völlig verunsichert und vor allem verrückt gemacht, weil ich so etwas von mir gar nicht kenne. Aber darauf, dass der Oberstleutnant meine Nahrung vergiftet hat, glaub mir Rudi, darauf wäre ich mit keiner Silbe gekommen. Nie hätte ich damit gerechnet, dass er in seinem Hass auf mich soweit gehen würde", traurig schaute ich auf meine Finger und zog meine Füße auf den Sitz. "Ich begreife nur nicht, warum er mich so hasst", redete ich einfach weiter. "Ich denke manchmal fast, dass er mich nur deshalb so hasst, weil ich die Kleinste bin und dennoch überlebt habe. Oder er hasst mich, weil er mich, trotz meiner geringen Größe, nie besiegen konnte. Dabei…", verlegend stotternd schaute ich Rudi von der Seite an. "… da ... dabei hab ich ihn, als ich noch ganz klein war, sogar genauso gemocht wie den Doko und die Dika. Aber ich kann dir nicht mal mehr sagen, warum. Dazu ist einfach, viel zu viel geschehen. Aber ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass ich den Oberstleutnant, wirklich bis ich ungefähr ein halbes Jahr alt war, ganz sehr gemocht habe."
Rudi schüttelte den Kopf und glaubte sich verhört zu haben. "Du hast den Mayer gemocht? Kleene, das kann ich mir nicht vorstellen."
Ich zuckte mit den Schultern. "Es ist aber so. Als ich so ein oder zwei Monate alt war. Das ist so das Alter, was Tim jetzt hat, vielleicht auch etwas jünger. Kam er regelmäßig nach unten in unseren Raum. Wirklich immer, nahm er sich Zeit für mich. Obwohl ich von der Dika wusste, dass Mayer eigentlich ständig in Zeitnot war. Trotzdem kam er immer, wenn er in unserem Raum kam, hinter zu meinem Bett. Dann hatte er mich immer auf den Schoss genommen und mit mir geredet. Damals war er ganz lieb zu mir. Mayer hat mir sogar Lieder vorgesungen und hat mir das Fingerspiel beigebracht. Er meinte immer, dieses Fingerspiel wäre gut, um die Muskulatur in den Händen zu stärken. Vor allem hat er mir viele nützliche Tipps gegeben für das Judo, was wir damals gerade lernten. Der Oberstleutnant zeigte mir viele Kniffe, wie ich aus bestimmten Festhaltegriffen wieder heraus kommen konnte. Von Mayer habe ich gelernt, dass es nicht darauf ankommt zu wissen, wie man jemand zu Boden bekommt. Sondern, dass es wesentlich wichtiger ist, zu wissen, wie man, wenn man am Boden liegt, wieder auf die Füße kommt. Glaube mir am Anfang lag ich immer am Boden. Rudi ich war mit Abstand die Kleinste und vor allem die Leichteste, ich hatte gegen die Großen überhaupt keine Chance. Doko Jacob war auch gut im Nahkampf, aber er war nur ein Nahkampfsportler, hatte keine Erfahrungen im direkten Kampf. Mayer dagegen hatte durch seine vielen Einsätze während des Krieges, verdammt viele Erfahrungen im tödlichen Nah- und Überlebenskampf und hat mir darüber viel beigebracht. Rudi, der Oberstleutnant war ein verdammt guter Lehrer, was das Überleben angeht. Nur durch Mayer bin ich so gut im Nahkampf geworden. Er hat sich bis wir vier oder fünf Monate alt waren, viel mit mir beschäftigt. Dann passierte das mit seiner Tochter. Im Anschluss war er lange in einer Klinik und kam völlig verändert zurück. Als er aus der Klinik zurück kam, war er ein völlig anderer Mensch. Vor allem mir gegenüber, zeigte er seinen Hass ungezügelt. Obwohl ich nichts mit dem Tod seiner Tochter zu tun hatte. Er gab mir aber die ganze Schuld an Ilkas Tod, obwohl es ein Unfall war. Ich verstehe bis heute nicht warum. Dabei hatte ich die Kleine nicht einmal berührt, als der Unfall geschah. Ich habe wirklich nichts gemacht, was ihn so verärgern konnte. Als ich dann ungefähr acht Monate alt war, das ist in etwas das Alter was Jenny jetzt hat, fing er an mich zu schlagen. Seit diesem Zeitpunkt, hat er mich nur noch verachtet und regelrecht gefoltert. Ich habe immer wieder überlegt, was ich gemacht haben könnte, dass er auf einmal so gemein zu mir geworden ist. Aber ich komme einfach nicht dahinter, wirklich nicht. Mir fällt einfach nichts ein. Besiegt habe ich ihn erst ein Jahr später, daran kann es also eigentlich nicht liegen. Ich verstehe es einfach nicht."
Rudi der rechts an den Straßenrand gefahren war, sah mich traurig an. "Kleene du hättest es gern gesehen, wenn er weiter nett zu dir gewesen wäre?"
Ich rieb mir verzweifelt das Genick, weil all die schlimmen Sachen in mir hochkommen wollten. Lange sah ich meinen Major an.
"Rudi, das ist nicht so einfach mit ja oder nein zu beantworten. Allerdings wäre vieles einfacher gewesen, verstehst du?"
Rudi streichelte mir übers Gesicht. Er konnte dazu erst einmal gar nichts sagen. Von dieser Seite hatte er Mayer nie betrachtet. Für ihn war Mayer einfach nur ein Verbrecher. Dass dieser Mensch auch positive Seiten haben könnte, darüber hatte er nie nachgedacht. Rudi schüttelte die Gedanken einfach ab, zum Autofahren waren solche Grübeleien einfach nicht geeignet. Entschlossen fuhr er weiter und nahm sich vor, später noch einmal darüber nachzudenken. Kurze Zeit später, erreichten wir den Hof der Wache und stellten das Auto dort ab. Gingen aus dem Hof und über die Ampelkreuzung, auf einen Laden zu, in dessen Fenster lauter Köpfe standen. Erschrocken blieb ich stehen. Rudi nahm mich an den Schultern.
"Kahlyn, das sind Puppenköpfe. Die zeigen den Menschen, was für Frisuren, man sich hier machen lassen könnte. Sie dienen den Lehrlingen, als Übungspuppen."
Verwirrt sah ich Rudi an.
"Kahlyn, so wie du das kämpfen lernst, müssen die Lehrlinge das Frisieren lernen."
"Warum? Das hab ich auch nie gelernt, aber ich kann das bei den anderen, sogar bei mir selber machen. Ich hab ja nur nicht so eine Maschine bei dir", erklärte ich verwirrt.
Rudi lächelte. "Ja klar, deinen acht Millimeter Schnitt, mit dem Apparat, bekomme sogar ich noch hin", sagte er schallend lachend.
"Aber, was muss man denn das lernen? Ach manne, das ist alles so kompliziert bei euch", stellte ich verbittert fest.
Rudi streichelte mir über den Kopf. "Das wirst du gleich sehen. Gebe dem Paule eine Chance. Das ist ein ganz Lieber, der tut dir nichts. Im Übrigen ist Paul der Bruder von Viola, das nett sein liegt bei den Markweins in der Familie. Komm einfach mal mit, du musst dich überhaupt nicht fürchten. Ich bleibe in deiner Nähe und pass auf, dass dir nichts geschieht."
Entschlossen schob Rudi mich weiter. Wir stiegen ein paar Stufen hinauf, zu einer Tür. Kaum, dass wir durch die Tür getreten waren, kam ein schlanker glatzköpfiger Mann auf uns zu.
"Hallo Rudi, altes Haus. Bei dir muss ich aber auch dringend wieder einmal die Sense ansetzen. Siehst du von mir, dass ich so rumlaufe", brachte er lachend hervor und tat dabei so, als würde er sich mit den Händen durch die Haare fahren.
Schritt auf Rudi zu und zog ihn in die Arme. Ich sah erschrocken zu Rudi. Warum wollte der Mann Rudi mit der Sense etwas antun. Rudi fing schallend an zu lachen und zwinkerte mir zu. In der Hoffnung, dass ich die kleinen Späße nicht gleich wieder falsch verstehen würde. Ihm schwante nichts Gutes, bei meinem Blick. Aber er war der Meinung, dass ich mich an solcherlei Geplänkel gewöhnen sollte. Da dies einfach in seinem Bekannten und Freundeskreis so üblich war. Mein Major war bekannt für seine lockeren Sprüche und wurde von seinen Freunden oft auf diese Weise begrüßt. Kahlyn, also ich, musste sich da irgendwie dran gewöhnen. Allerdings bereitete mir der Begrüßungssatz von Seiten dieses Pauls weniger Problem, als die Tatsache, wie Rudi auf dessen Begrüßung reagierte.
"Na Paule, komm mir mal nicht so schräg. Für dich habe ich schon etwas Nettes zu Weihnachten eingekauft. Eine Tube Glabowa und ein Poliertuch", gab Rudi seinem Fastschwager Parole.
Jetzt fing auch der Paule an schallend zu lachen. Rudi legte mir die Hand auf die Schulter.
Leise nur für ihn bestimmt, fragte ich. "Was ist das?"
Rudi lachte immer noch. "Was denn, meine Kleene?"
"Das, was du gerade gesagt hast. Dieses Blagroda", antwortete ich meinem Major. Wie immer sprach ich das neue Wort völlig verkehrt aus, was Rudi noch mehr zum Lachen brachte und diesen Paule ebenfalls.
Besser konnte ich mich nicht ausdrücken, weil mir das Wort nicht mehr wirklich einfallen wollte, das er gerade benutzt hatte. Da ich das Wort noch nie gehört hatte und gar nicht wusste, was es bedeutet. Verdammt, warum konnten sich die Leute hier nicht so unterhalten, dass ich sie auch verstand. Rudi überlegte einen Moment, was ich wohl meinen könnte. Er hatte den Satz einfach so dahin gesagt. Es war einfach eine Floskel, mit der er Paule gern etwas neckte. Paul nahm seine Glatze nicht sehr ernst und riss selber gern Witze darüber. Wie solche dummen Sprüche, "Sag mal du hast ja noch gar nichts zu meiner neuen Dauerwelle gesagt" oder "Wie findest du den Rotton meiner neuen Schüttelfrisur". Violas Bruder war ein Unikum, mit dem man viel Lachen konnte und vor allem, war Paule ein Mensch der niemals schlechte Laune hatte. Grübelnd sah mich Rudi an, dann fiel ihn ein, was ich meinen könnte und er schlug sich gegen den Kopf.
"Du meinst Glabowa?"
Ich sah fragend zu meinem Major.
Mühsam nach Luft ringend, versuchte Rudi zu antworten. Endlich hatte er sich beruhigt. "Ach meine Kleene, du hast es aber auch schwer mit mir. Immer vergesse ich, dass du viele solcher Dinge nicht kennst. Vor allem dadurch gar nicht verstehen kannst, über was wir sprechen und lachen. Das war ein Spaß. Schau bitte einmal Kahlyn. Der Paule ist Friseur, frisiert den ganzen lieben langen Tag, den Leuten die Haare. Selber hat er aber nicht ein einziges noch so kleines Härchen auf dem Kopf...", dabei rieb Rudi Paul die Glatze. "...deshalb necke ich ihn gern mal etwas. Glabowa heißt nichts anderes, wie Glatzenbohnerwachs. Es war eine Anspielung darauf, weil er keine Haare hat."
Die Reaktion die Rudi von mir bekam für diese Erklärung, war eine völlig andere, als er erwartet hatte. Verständnislos und böse sah ich Rudi an.
"Warum machst du sowas? Das ist aber nicht nett von dir. So etwas macht man nicht", schimpfte ich ihn mit ernstem Gesicht aus.
Da ich wusste, dass sich viele Männer ärgerten, wenn sie keine Haar mehr hatten. Das hatte mir einmal ein Arzt erklärt, bei dem wir zu einem Test waren. Der wurde immer ganz böse, wenn man ihn wegen seiner Glatze ärgerte.
Dieser Paule sah mich ganz erschrocken an. Rudi merkte, dass ich da etwas missverstanden hatte und versuchte zu erklären.
"Kahlyn, das war ein Spaß. Ich ärgere Paul nicht, glaube mir. Das würde ich niemals tun. Stimmt doch Paule oder?"
Paul sah mich von der Seite an. "Kahlyn, du musst dir keine Sorgen machen. Der Rudi ärgert mich nicht, das war wirklich nur ein Spaß. Komm sehen wir mal, was wir mit deinen Haaren machen können. Viola meinte, ich soll dich wie ein Mädchen aussehen lassen. Wollen wir das mal versuchen?"
Ich sah von Rudi und dann zu diesem Paul, dann wieder zurück. Da ich keine Ahnung hatte, was er meinte, zuckte ich mit den Schultern.
Rudi schob mich zu einem der Stühle. "Setze dich hier her, meine Kleene."
Immer noch sah ich ihn böse an. Ich fand nicht schön, dass er diesen Mann geärgert hatte. Vor allem konnte ich richtig böse werden, wenn man jemanden wegen seiner Andersartigkeit ärgerte. Ich wusste zu genau wie weh das tat. Oft genug hatten wir wegen unserer Augen Probleme und ich fand das schon bösartig, dass Rudi auf Kosten von Paule seinen Spaß hatte. Rudi merkte, dass ich mich immer noch nicht beruhigt hatte.
"Kahlyn, weißt du noch, als du den zweiten Tag auf der Wache warst. Da hatten Felix und John sich auch geneckt."
Ich zuckte mit dem Schultern.
"Das war doch auch nicht böse gemeint oder?"
Wiederum zuckte ich mit den Schultern.
"Genauso, wie du zu Conny gesagt hast, er trifft dich erst, wenn er schwarzes Haar hat. Das war doch auch nicht böse von dir gemeint oder?"
Irritiert sah ich zu Rudi. "Ich weiß nicht, wie das gemeint war. Gosch hat mir gesagt, ich soll das mal zu Conny sagen. Aber ich habe nicht begriffen, warum ihr so gelacht habt. John hat mir das auch nicht erklären können."
"Ach Kleene, du hast es aber auch wirklich schwer mit uns. Glaube mir, ich würde dem Paule nie etwas Böses tun. Das sind halt so Späße, die wir manchmal machen. Wir kennen uns so lange. Der Paul weiß, dass ich es nicht böse meine. Kannst du mir das, da nicht auch verzeihen."
Lange sah ich diesen Paul an, der lachte mich an. Dann sah ich zu Rudi. Eine Weile überlegte ich, hin und her. Konnte es sein, dass die beiden es wirklich nicht so gemeint hatten. Entscheide mich dann auf mein Herz zu hören, deshalb nickte ich.
Erleichtert atmete Rudi auf. "Da habe ich aber großes Glück, dass du mir das verzeihst. Ich dachte schon, du kannst mir den Spaß nicht mehr verzeihen. Kahlyn, ich würde nie jemanden etwas böses tun."
Na ja ganz sicher, war ich mir da eben nicht. "Ach es ist so schwer mit euch. Warum könnt ihr nicht einmal sagen, was ihr wirklich meint. Dann könnte ich euch auch verstehen. Immer redet ihr so komisch. Ich verstehe eure Worte, aber nicht was ihr sagt."
Rudi wuschelte mir die Haare. "Das wird schon noch. Irgendwann verstehst du, diese Art von Späßen auch. Hab etwas Geduld mit dir, meine Kleene."
Paul sah mich an. "Ich finde es total nett von dir, dass du dich für mich so einsetzt. Dabei kennst du mich doch gar nicht. Na komm, ich werde mal sehen, ob ich ein Mädchen aus dir machen kann."
Verwundert sah ich ihn an. Paul merkte, dass ich nicht wusste, was er von mir wollte.
"Was ist?"
"Sir, ich bin doch ein Mädchen. Sie brauchen keins aus mir machen, Sir."
Paul schüttelte irritiert den Kopf. Das war ihm auch noch nicht passiert. Aber Viola hatte ihn ja vorgewarnt, dass es mit mir nicht so einfach sein würde und dass es sein könnte das ich Schwierigkeiten machen könnte. Er solle etwas Geduld haben und sich einfach vorstellen, Kahlyn wäre ein kleines Mädchen, das noch nie bei einem Friseur war und vor allem nichts von dem kannte, was er gleich tun würde. Er hatte seine Schwester ausfragen wollen, die meinte lasse dich einfach überraschen von dem Mädel und stelle dich darauf ein.
"Ist schon gut Kahlyn. Wir bekommen das schon noch hin. Komm setz dich."
Paul ging einen Schritt zur Seite und gab mir so die Gelegenheit, auf den Stuhl Platz zu nehmen. Ich sah mich allerdings erst einmal um. An der Wand hingen lauter Spiegel, vor jedem Spiegel stand immer ein Stuhl und unter dem Spiegel, war ein Schränkchen mit einem Waschbecken darin, auf dem genug Platz war, dass man etwas ablegen konnte. Es sah ganz anders aus, als bei uns, da wurden wir mit Turnhose und Bustier auf einen Hocker gesetzt, dann kam in den meisten Fällen Reimund, einer unser Betreuer, mit einer Haarschneidemaschine und schor uns die Haare. In den letzten Jahren allerdings, gingen wir einfach mit dem Messer unter die Dusche und schoren uns einfach die Haare ab, das ging schneller und hielt länger.
Rudi schob mich zu dem Stuhl. "Setz dich Kleene, dir passiert hier nichts."
Also setzte ich mich hin. Plötzlich wackelte der ganze Stuhl. Erschrocken hielt ich mich fest. Gleichzeitig kam Paule mit einer großen Plane und wollte sie auf mich drauflegen. Reflexartig schlug ich sie ihm aus der Hand. Erschrocken sah mich der Friseur an.
Rudi kam zu mir. "Kleene, deine Sachen werden sonst ganz schmutzig. Lass dir den Umhang umhängen, das ist doch nicht schlimm", erklärte er mir.
Rudi hob den Umhang auf und gab sie seinem Freund zurück.
"Paul, am besten du erklärst Kahlyn immer genau, was du machst. Sie kennt das wahrscheinlich alles nicht. Hab etwas Geduld mit ihr. Das nächste Mal, wird es besser gehen. Ach und Paul, der Doktor der Kinder hat mir extra gesagt, bitte keine Chemikalien bei Kahlyn verwenden. Sie reagiert auf vieles allergisch. Erst neulich, hatte sie die ganze Haut am Rücken, den Beinen weg und das nur, weil sie ihren Kaffee mit Zucker getrunken hat. Also wirklich nur schneiden, keine Spray und sowas verwenden."
Paul hörte Rudi genau zu und war irgendwie völlig durcheinander. "Kahlyn, warst du noch nie beim Friseur?"
Natürlich war ich schon beim Friseur. "Sir, natürlich war ich schon beim Friseur. Aber wir haben nicht so eine Plane bekommen und nur normalen Hocker. Nicht solche Stühle wie hier, die dermaßen wackeln, dass man Angst hat herunter zufallen, Sir."
"Pass auf Kahlyn, wir machen das ganz anders. Ich erkläre dir ab jetzt alles, was ich mache. Du musst dich nicht erschrecken. Wenn dich etwas irritiert, sagst du es einfach. Wollen wir es so probieren?"
Ich zuckte erst mit den Schultern, nickte dann allerdings.
"Also den Umhang lege ich dir um, damit keine Haare auf deine schönen Sachen fallen, ja? Wäre doch schade, wenn die dreckig werden. Sonst müsstest du dich nackt ausziehen", diesmal etwas vorsichtiger, legte mir Paul den Umhang um. "Ich mache dir den hinten etwas fest, damit er nicht runterfällt. Sagst du mir bitte, wenn es dir zu fest ist. Außerdem mache ich dir noch einen Papierstreifen um den Hals, damit die Haare nicht dazwischen rutschen."
Vorsichtig legte er mir einen Papierstreifen um den Hals, darüber legte er den Umhang und machte ihn fest. Nach und nach, erklärte mir Paul alle Arbeitsschritte. Er nahm auch kein Haarschneider, sondern eine Schere. Überrascht und interessiert, sah ich ihm im Spiegel zu. Der Spiegel war etwas Wunderbares, ich konnte genau beobachten, was Paul mit mir machte. Verwundert sah ich ihm bei der Arbeit zu. Nur im Nacken rasierte er, mit Hilfe eines Kammes die Haare ab. Er nannte das Fasson schneiden. Als er fertig war, hielt er mir einen Spiegel hin und fragte mich, ob es mir gefiel. Ich zuckte mit den Schultern und konnte gar nichts sagen. So hatte ich noch nie ausgesehen. Verwundert sah ich zu Rudi.
"Na gefällt es dir?", wollte auch er von mir wissen.
"Ich weiß nicht Rudi. Ich kenne so etwas nicht. Wir haben immer nur unsere acht Millimeter Schur bekommen oder und die Haare ganz abrasiert. Es sieht ungewohnt aus."
Ich hielt den Kopf ein wenig schief und sah mich lange im Spiegel an. Meine Haare auf dem Kopf, waren alle noch fast genauso lang, wie vor dem Schneiden. Allerdings standen sie jetzt auf einmal nicht mehr nach allen Seiten ab. Nur die Ohren hat mir Paul freigeschnitten, wie er das nannte. Einen Pony hatte ich bekommen. Die Haare oben auf dem Kopf waren wesentlich kürzer als der Pony. Ich sah von Paul, zu Rudi.
"Ich glaube es gefällt mir. Es sieht komisch aus, aber es gefällt mir. Ich erkenne mich gar nicht mehr wieder."
Da fingen beide an zu lachen.
Paul erklärte mir. "Weißt du Kahlyn, das du richtig schönes Haar hast."
Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte ganz normales Haar, fand ich. Paul lächelte mich an und sagte grinsend.
"Viola, wird dich nicht wieder erkennen und Jo auch nicht. Jetzt siehst du zwar noch nicht, wie ein Mädchen aus, aber ganz anders."
"Sir, stimmt, Sir. Aber wie sieht ein Mädchen, denn aus, Sir?", entfuhr es mir.
"Na so wie du, meine Kleene." Rudi lachte mich an und gab mir einen Kuss. "Nun komm, gehen wir nach drüben in die Wache."
An Paul gewandt, erkundigte er sich. "Was bekommst du für's Schneiden, Paul?"
Der lachte und zwinkerte Rudi zu. "Einen Kuss. Der erste Schnitt, das weißt du doch, für Familienmitglieder ist immer kostenlos."
Paul guckte mich dabei grinsend an, danach grinst er noch mehr und sah zu Rudi.
"Nein, das kommt nicht in Frage, Paule", stieg Rudi auf den Spaß seines Freundes ein. "Den muss du dir aber von Kahlyn geben lassen. Ich küsse aus Prinzip keine Männer", meinte Rudi immer noch lachend.
Dann beugte er sich zu mir herunter und flüsterte mir zu. "Kleene du musst mich erlösen. Bitte hilf deinem armen Rudi. Ich kann doch keine Männer küssen. Kannst du nicht dem Paule, den Haarschnitt selber bezahlen. Gibst ihm einfach einen Kuss auf die Stirn, dann stimmt das und wir haben keine Schulden", dabei kicherte er ganz komisch. "Ach mach schon, dass tut bestimmt nicht weh."
Lachend nickte mir Rudi zu und der Schalk saß ihm im Nacken. Dass sah sogar ich. Also ging ich auf das Ganze ein, ich wollte Rudi auf keinen Fall enttäuschen. Auch wenn ich so etwas gar nicht gern machte. Ich dachte so bei mir, was soll's, hier war schon immer alles so komisch. Also ging ich hin und gab Paul einen Kuss auf die Stirn.
Der bedankte sich. "Danke Kahlyn, das ist der schönste Lohn."
Ich zuckte mit den Schultern. "Können wir gehen Rudi?", bat ich verlegen.
Mir war das alles aufs äußerste unangenehm, ich wollte hier nur noch weg. Mein Major grinste mich immer noch frech an und nickte mit dem Kopf zur Tür.
"Sir, danke, Sir", bedankte ich mich aber trotzdem noch einmal.
"Na komm, gehen wir mal fragen, ob etwas anliegt für heute und ob wir uns einen Tierparkbesuch erlauben können. Vor allem müssen wir dir Schuhe holen."
Wir verließen den Laden gemeinsam mit Paul. Vor dem Laden zog Paule meinen Major noch einmal in die Arme. Verabschiedete sich von ihm und reichte mir dann einfach die Hand. Nach dem ich mich geweigert hatte, umarmt zu werden. Rudi und ich gingen über die Straße und auf die Wache zu. Paul dagegen, lief mit dem Kopf schüttelnd in der anderen Richtung davon. Nach einem kurzen Abstecher in die Wachstube liefen wir nach hinten zur Truppe. Als wir den Bereitschaftsraum betraten, kam Ronny auf uns zu, um uns zu begrüßen.
"Hallo Rudi, wen hast du denn…", plötzlich erkannte mich der Teamchef des Beta-Teams. "... Kahlyn bist du das? Dreh dich mal", völlig verdutzt schaute Ronny mich an.
Der Kollege nahm mich bei den Schultern und drehte mich einmal um mich selbst. Fast hatte ich den Eindruck, dass er mich gar nicht erkannt hatte.
"Ja klar bin ich es. Was ist denn los Ronny?", erkundigte ich mich bei ihm verwundert.
"Ich hätte dich jetzt fast nicht erkannt", gestand mir Ronny lachend und schaute mich immer wieder komisch an.
"Warum das denn nicht? Ich sehe doch aus wie immer. Wie geht es euch denn?", stellte ich gleich zwei Fragen, die mich interessierten.
"Na du schaust ganz anders aus, viel hübscher. Dir scheint es ja gut zu gehen. Das freut mich aber. Uns geht es wieder gut. Rudi, was liegt denn an?", wandte er sich jetzt an seinen Vorgesetzten.
"Wieso wieder?", fragte ich nach.
Ronny winkte ab. Rieb sich dabei den Nacken. Er schien über dieses Thema nicht reden zu wollen. Ich sah mir die Jungs genauer an. Die sahen verdammt müde aus.
"Das wollte ich gerade dich fragen. Ronny, kann ich es mir leisten, mit Kahlyn den Tierparkbesuch fertig zu machen oder sind Einsätze geplant?"
Ronny schüttelte den Kopf. "Wenn jetzt nicht noch etwas Außergewöhnliches kommt, dann nicht. Nehmt aber vorsichtshalber ein Funkgerät mit, ich hab so ein dummes Gefühl. Ach Rudi, Tony hat für Kahlyn, Schuhe ins Büro gestellt, gleich zwei Paar, damit sie am Wochenende versorgt ist."
Ronny lachte über beide Ohren, als er meine nackten Füße sah. Rudi nickte, wenn Ronny so ein Gefühl hatte, passierte meistens noch etwas.
"Ronny, warum gibst du mir keine Antwort?", harkte ich nach.
"Was soll ich sagen, Kahlyn. Uns ging es nicht so gut, nach dem Einsatz."
Jetzt wurde mir klar, was los war. "Warum habt ihr mich da nicht geholt? Ich hätte euch etwas geben können, damit es nicht so schlimm wird."
Ronny sah mich traurig an. "Kahlyn, Jens hat uns N91 gespritzt, seit dem geht es wieder."
"So geht das nicht Ronny. Dieses N91 ist nicht gut, das ist wirklich nur für den Notfall. Wenn man Schocks behandelt. Es gibt bessere Mittel. Rudi, kannst du jemanden hoch schicken zu Doko Karpo, er soll mir einen Medi-Koffer oder einen Ampullen-Koffer, Spritzen und Kanülen geben, meiner steht doch bei den Runges."
Rudi nickte und lief vor in Richtung Wachstube.
"Ronny, ihr müsst doch nur etwas sagen. Ich habe euch, ja schon etwas spritzen lassen, damit es nicht so schlimm ist. Ohne das N99, wäre alles noch viel schlimmer geworden. Aber ich gebe euch dann allen noch eine Injektion mit N93, das ist ein Mittel gegen Nervliche Überreizungen, wie sie nach solchen Einsätzen oft bestehen. Mit einer Langzeitwirkung von sieben Tagen, die aber keine Nebenwirkungen haben. Wie zum Beispiel, Müdigkeit. Es unterdrückt nur die Symptome, die sowieso nach einigen Tagen, von alleine verschwinden", erklärte ich Ronny. "Vor allem, müsst ihr darüber reden, das hilft euch bei der Verarbeitung der ganzen Sache."
In dem Moment kam Rudi mit einem Medi-Koffer zurück. Gefolgt von Doko Karpo.
"Kahlyn, war es falsch das N91 zu spritzen?", erkundigte sich Doko erschrocken.
"Nein Doko, falsch war es nicht. Aber, was wäre gewesen, wenn ein Einsatz gekommen wäre. Dann hätten die Jungs nicht mehr arbeiten können. Ich kann mit dem N91 arbeiten, ihr aber nicht. Dass verkraftet Euer Körper nicht. Ihr müsst ob ihr wollt oder nicht, schlafen nach der Injektion. Ihr hättet sie gar nicht mehr munter bekommen. Deshalb Doko, wenn einmal wieder so etwas ist, lieber das N93 bei Euch spritzen. Wenn du willst ziehe ich dir ein paar Injektionen auf. Nur so für alle Fälle, die musst du aber kühl lagern. Davon kannst du, wenn es jemanden schlecht geht, bis zu fünf Einheiten spritzen, die Wirkungsdauern dieses Mittel ist sechs bis sieben Tage", erklärte ich ihm.
"Geht klar Kahlyn, jetzt habe ich aber einen Schreck bekommen."
"Das wollte ich nicht Doko. Ich wollte dich nicht erschrecken", hintereinander zog ich mir zwanzig volle Spritzen auf. Gab Ronny und den anderen Jungs des Beta-Teams eine Injektion, mit zwei Einheiten. Den Rest der Spritzen gab ich Karpo. Dann wartete ich einige Minuten ab, alle atmeten erleichtert auf.
"Jetzt geht es mir besser", seufzte Acar als erster erleichtert, der Funker des Teams. "Dieses Gefühl, gehetzt zu sein, ist auf einmal weg."
Die anderen nickten.
"Ihr müsst nur mit mir reden, verdammt nochmal. Dann kann ich euch auch helfen. Wenn es wieder schlimmer wird, sagt dem Doko Bescheid. Doko, dann gibst du einfach noch einmal eine Injektion mit zwei Einheiten. Dann müsste es gut sein", ich legte musternd den Kopf etwas schief und sah die Jungs an.
Ronny kam auf mich zu und grinste mich an. "Aber nicht umschmeißen. Ich will dir nur einen Kuss geben", grinste er mich an und griff er nach meinen Kopf und gab, einen Kuss rechts auf die Wange und einen links.
"Für was sind die denn?"
Ronny lacht. "Weil es mir wieder besser geht und weil es dich gibt, kleine Zauberfee. Danke Kahlyn. Nun ab mit euch, in den Tierpark und grüße mir die Affen", befahl er, mit einer Leichtigkeit in der Stimme, die vor wenigen Minuten noch nicht denkbar war.
"Warum soll ich die Affen grüßen, kennen die dich?"
Jetzt fingen alle an zu lachen.
Basti einer der Nahkämpfer meinte, mit tausend kleinen Teufeln in den Augen. "Na klar Kahlyn, das sind doch Ronnys Brüder und Schwestern. Deshalb sollst du sie doch grüßen", irritiert schaute ich zu Rudi, dann zu Ronny und weiter zu Basti.
"Basti, das geht doch gentechnisch schon gar nicht. Ronny ist ein Mensch, wie können die Affen dann seine Brüder und Schwestern sein? Das funktioniert doch überhaupt gar nicht."
Jetzt lachte die Truppe noch mehr.
"Ach man, ihr seid alle albern, immer lacht ihr mich aus", böse Blicke schickte ich zu den Jungs.
Rudi nahm mich immer noch lachend in den Arm. "Kleene, dich lacht hier niemand aus. Das war nur Spaß, genauso wie mit Paul."
Kopfschüttelnd sah ich alle an. "Trotzdem seid ihr alle albern. Rudi können wir gehen, ich begreife gar nichts mehr."
Rudi nahm mich in den Arm und gab mir einen Kuss. "Ist nicht so schlimm, wenn du das noch nicht verstehst. Lache einfach mit, meine Kleene. Lachen ist gesund. Also bis später, ihr lachende Bagage. Ich lass mein Auto hinten im Hof stehen. Bis dann also."
Zügig liefen wir weiter nach vorn in die Wachstube. Dort pfiffen die Wachtmeister sogar, als wir den Raum betraten. Wir bekamen ein Funkgerät, Akkus und den Hinweis, wir sollten schön artig bleiben. Was immer das bedeuten sollte? Gemütlich lieben wir in Richtung des Tierparkes. Wir sahen uns alles noch einmal an und auch, dass was wir das letzte Mal noch nicht gesehen hatte, wie die Bisons und die Zebras. Es war einfach wunderschön hier. Am liebsten würde ich immer wieder, hier her gehen. Verträumt schaute ich den Tieren zu. Am meisten hatten es mir aber, die Affen angetan, die waren einfach nur süß. Rudi lachte mich von der Seite an.
"Weißt du Kahlyn, vor drei Wochen hätte ich nicht geglaubt, dass du so verträumt sein kannst. Es ist richtig schön zu sehen, wie du diese Ruhe geniest. Wir werden nächste Woche, wenn wir frei haben, mal nach Leipzig in den Zoo fahren. Dort sind noch viel mehr Tiere. Hast du Lust?"
Ich sah meinen Major kurz an, wandte meinen Blick aber sofort wieder den Affen zu. "Was ist ein Zoo, Rudi?", hinterfragte ich.
Mir fiel ein, vor vielen Jahren hatte ich diese Wort schon einmal gehört, bei irgendeinem Entführungsfall. Ja klar in Berlin, bei dem Ortega Fall. Hatte dann aber irgendwie nie Zeit gefunden zu fragen, was das war. Als ich Gosch bat es mir zu erklären, konnte oder wollte er es aus irgendeinem Grund nicht erklären. Immer noch beobachtete ich die Affen. Ich konnte mich an diesen kleinen Wesen einfach nicht satt sehen, fand die einfach nur süß.
"Kahlyn, Zoo ist eigentlich die Abkürzung für den zoologischen Garten. Das ist etwas Ähnliches, wie ein Tierpark, aber mit noch viel mehr Tieren. Da sind Elefanten, Kamele, Krokodile Giraffen und noch viele andere. Wenn du willst, nehmen wir Tim, Tom, Jenny, auch Jo und Viola mit. Wir machen dann mal einen richtigen Familienausflug. Die fahren auch gern in den Zoo."
Ich hatte Rudis Antwort nur unbewusst registriert, nickte geistesabwesend. "Es ist einfach schön hier, Rudi. So viel Tiere und alle sind sie glücklich hier und das, obwohl sie eingesperrt sind. Ich verstehe das nicht. Wie kann man glücklich sein, wenn man eingesperrt ist?"
Darauf konnte mir Rudi, auch nicht gleich eine richtige Antwort geben. Aber es war ja auch egal. Die Hauptsache war ja, dass die Tiere sich wohl fühlten.
"Vielleicht liegt es daran, Kahlyn, dass alle lieb zu den Tieren sind. Komm meine Kleene, wir müssen zurück. Viola macht sich sonst Sorgen. Es ist schon nach 18 Uhr durch, wir sind jetzt über 7 Stunden hier. Außerdem, habe ich langsam einen richtigen Bärenhunger", Rudi knurrte mich an und grinste dabei breit.
Langsam liefen wir schwatzend zurück zur Wache, den langen Weg hinunter aus dem Tierpark, vorbei am Dahliengarten und diesmal aber die Karl-Marx-Allee entlang. Einer Straße mit wunderschönen alten Kastanien an deren Straßenränder. Rudi erklärte mir, dass dies lauter alte Villen wären. Es war so schön hier. Immer wieder kam mir der Gedanke, an meine Freunde. Auf einmal wurde ich ganz traurig, irgendwie zog es mir das Herz zusammen. Wenn doch meine Freunde das hier alles sehen könnten, ging es mir durch den Kopf, dies würde ihnen auch gefallen.
"Was ist denn, meine Kleene? Warum guckst du so traurig?" Rudi musterte mich ganz genau.
'Woher wusste er, dass ich traurig war?' Ging es mir durch den Kopf. "Ich hab gerade an meine Freunde gedacht. Dass die so etwas auch nicht kennen. Ob sie auch jemanden haben, der ihnen so etwas Schönes zeigt?", ängstlich schaute ich Rudi an. Plötzlich wurde mir ganz bange, dass es ihnen nicht so gut ging wie mir.
"Ach meine Kleene, das kann ich dir nicht sagen. Aber, wenn du willst, können wir sie ja mal anrufen und fragen", ernst sah er mich an.
"Das wäre schön. Aber, was machen wir, wenn sie das nicht kennen?", stellte ich ihm die nächste Frage, die mich sehr beschäftigt. Meine Freunde mochten Tiere, genauso sehr wie ich.
"Dann frage ich Fran, ob wir mal alle einen Ausflug mit dem Bus machen können. Wir treffen uns dann alle irgendwo und fahren mit unserem Einsatzbus einfach in einen Zoo. Dein Oberst hilft mir bestimmt, so etwas zu organisieren. So könnt ihr euch das alle zusammen angucken. Aber ich denke, auch in den anderen Dienststellen, werden sich Leute finden, die deine Kameraden betreuen. Ich weiß von deinem Oberst, dass er extra darauf geachtet hat, dass ihr alle in vernünftige Dienststellen kommt. Er macht sich schon schwere Vorwürfe, dass Raiko so ein Pech mit seiner Dienststelle hatte. Er konnte überhaupt nicht verstehen, wieso Raiko zu Hunsinger und Mayer gelangen konnte. Normalerweise sollte der Bub in eine Dienststelle nach Rostock kommen. Fleischer macht richtigen Ärger auf dessen Dienststelle, dass Raiko ohne sein Einverständnis, einfach umgeleitet und wo anders eingesetzt wurde. Raiko kommt jetzt erst einmal, zum Oberst und wird dann, wenn er wieder richtig gesund ist, von ihm weiter an eine Dienststelle vermittelt, wo er es gut hat. Vor allem, wo er seinen Fähigkeiten entsprechend eingesetzt wird. Außerdem kontrolliert der Oberst zurzeit noch einmal persönlich, dass es allen gut geht. Er hat sich als es dir nicht so gut ging, schon mit all deinen Leuten unterhalten. Soviel ich weiß, sind alle glücklich, wo sie sind."
Erleichtert atmete ich auf. Da musste ich mir wenigstens keine Sorgen mehr um Raiko und die Anderen machen. Der Oberst war sehr gründlich in allem, was er tat. Auch, wenn ich Raiko nicht sonderlich mochte, halt nicht so wie die Anderen, so eine Behandlung hatte sich niemand verdient. In der Wache angekommen, gaben wir das Funkgerät ab. Vorsichtshalber sah ich noch einmal nach den Jungs, denen ging es wieder besser. Sie lachten sogar wieder, da war ich froh. Denn es war nicht gut, wenn sie an solchen Einsätzen zugrunde gingen. Zufrieden stieg ich in das Auto ein und lehnte mich zurück. In meinen Gedanken, war ich noch im Tierpark, so dass ich die Fahrt nach Hause, gar nicht richtig wahrnahm. Nach kurzer Zeit, so kam es mir vor, hielten wir vor dem Haus der Runges und stiegen aus. Ich warte bis Rudi um das Auto kam und ging gemeinsam mit ihm ins Haus. Viola saß mit Tim in der Küche, der Kleine aß gerade sein Abendbrot.
Kaum, dass er mich sah, schrie er schon. "Meine Dalyn."
Ich steuerte auf ihn zu und gab ihm einen Kuss. Viola lächelte mich an.
"Was ist denn?", erkundigte ich mich verwundert.
"Schick siehst du aus Kahlyn, man erkennt dich gar nicht mehr wieder. Paul hat gute Arbeit geleistet", meinte Viola anerkennend.
Mir war das unangenehm, so viel Beachtung war ich nicht gewöhnt. "Na Tim, wie geht es dir?", fragte ich stattdessen den kleinen Jungen, der strahlend am Tisch saß.
"Dut und dir?"
"Mir geht es auch gut, Tim. Nun esse schön, dass du groß und stark wirst. Wo sind denn die anderen alle?", lieb streichelte ich ihm über seinen Kopf. Setzte mich dann zu Rudi.
"Jo, ist noch auf Arbeit. Jenny bei einer Freundin, für die Schule üben und Tom ist beim Training", erklärte mir Viola.
Verwundert sah ich sie an. Ach, es war ja egal. Warum soll ich wieder sagen, dass ich nicht verstand, was sie meint? Irgendwann würde ich das schon noch begreifen.
"Danke", weil Viola mir gerat eine Tasse mit Tee hinstellt hatte.
"Kahlyn, warum hast du nichts gesagt heute Mittag. Du bist los, ohne etwas getrunken zu haben. Mir ist das aber erst viel zu spät bewusst geworden, als ich deine volle Tasse auf dem Tisch entdeckt habe. Tut mir wirklich leid. Mädel, sage doch etwas, wenn du Durst oder Hunger hast. Du kannst doch nicht los gehen ohne irgendetwas im Magen zu haben."
Verwundert sah ich Viola an. So etwas hatte mir noch keiner gesagt. "Ist nicht schlimm", erklärte ich ihr. "So schnell verdurste ich nicht. Außerdem habe ich mich unter der Dusche satt getrunken", schwächte ich die Vorwürfe, die sich Viola machte, einfach ab.
Niemals hatte es jemanden, außer dem Doko und der Dika interessiert, ob ich etwas getrunken hatte. Wenn wir durstig waren, gingen wir an den Wasserhahn im Schlafsaal und hatten dort etwas getrunken. So hatte ich das heute früh, auch unter der Dusche gemacht. Das machte ich schon solange ich denken konnte, auf diese Weise. Dass ich mich in der Dusche satt trank. Keine Ahnung, warum Viola sich darüber so aufregte.
Viola schüttelte allerdings den Kopf. "Kahlyn, du musst doch nicht das Wasser aus der Dusche trinken. Wenn du Durst hast, mache ich dir Tee. Ich stelle dir hier eine Kanne hin. Da kannst du dir immer welchen nehmen. Wenn er alle ist, mache ich dir neuen. Es ist schon schlimm genug, dass du nichts essen kannst. Da musst du doch nicht noch Wasser trinken", ernst sah sie mich an.
"Viola, das musst du nicht machen. Ich bin es gewohnt Wasser zu trinken. Ich habe das mein ganzes Leben lang gemacht. Das Wasser hier schmeckt richtig gut."
Viola lächelt mich an. "Aber der Tee schmeckt bestimmt besser, Kahlyn oder?"
Ich nicke und genoss meinen Tee. Tim gähnte herzhaft und rieb sich müde die Augen. Gleich nach dem er aufgegessen hatte, wollte er hoch in sein Zimmer und ins Bett.
"Binds du mis ins Bett, Dalyn?", bat er mich.
Verlegen sah ich Viola an, weil ich nicht wusste, was er damit meinte.
"Tim, können wir das so machen, dass Kahlyn und die Mama dich zusammen ins Bett bringen?", schlug Viola vor.
Tim nickte und streckte mir seine Arme entgegen. So nahm ich den kleinen Buben auf meinen Arm und trug ihn nach oben in sein Zimmer. Vorsichtig legte ich ihn in sein Bettchen.
"Lied du mir, was vor, Dalyn?", bettelte mich Tim.
Ich zuckte mit den Schultern, suchte den Blickkontakt zu Viola, die mir einfach ein Buch hinhielt.
"Kahlyn, wenn du magst, kannst du Tim eine Gesichte vorlesen. Oder soll ich dir erst einmal zeigen, wie man das macht?", fragend blickte sie mich an.
Verlegen schaute ich immer wieder von Tim auf das Buch und dann zu Viola. Ich nickte, weil ich gar nicht wusste, was das sollte. Noch nie musste ich etwas vorlesen. Viola zog sich den Stuhl an das Bett und setzte sich darauf.
"Kahlyn, du kannst dich ruhig auch setzten."
Also setzte ich mich einfach im Schneidersitz, neben das Bett. Tim griff nach meiner Hand. Viola nahm das Buch auf und sah Tim lachend an.
"Es war einmal eine alte Schweinemutter", begann sie laut vorzulesen. "Die hatte drei kleine Schweinchen, die aßen und aßen, soviel sie nur konnten…", interessiert hörte ich zu.
Viola gab jeder Figur, genau wie es Jenny damals mit den Teddys gemacht hatte, eine andere Stimme. Ich fand die Geschichte schön. Allerdings begriff ich nicht, was sie da vorliest. Schweine bauten doch keine Häuser. Sie konnten schon gar nicht mit List handeln. Nach ungefähr zehn Minuten war Tim eingeschlafen.
Viola stand auf und zog mich auf die Beine. "Na komm, gehen wir nach unten."
Irritiert folgte ich Viola. Viele Fragen gingen mir durch den Kopf. Viola hatte glaube ich ein gutes Gespür dafür, wenn jemand ein Problem herumwälzte.
"Kahlyn, was spukt in deinem kleinen Kopf, hin und her?", erkundigte sie sich, nach dem wir uns wieder an den Küchentisch setzten.
Ich zuckte mit den Schultern, ich konnte das gar nicht erklären. "Ich weiß nicht so genau, Viola. Ich versteh den Sinn der Geschichte einfach nicht. Schweine bauen doch keine Häuser und handeln nicht mit List. Warum hat die Schweinemutter die Kinder weggeschickt? Warum ist der Wolf so böse? Warum liest du Tim so etwas vor? Der träumt doch schlecht", versuchte ich ihr meine verwirrten Gedanken zu erklären.
Viola, die gerade begonnen hatte das Abendessen für alle vorzubereiten, setzte sich hin und stützte verzweifelt den Kopf auf. "Ach Kahlyn, ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll. Hat dir nie jemand eine Geschichte oder ein Märchen vorgelesen?"
Ich schüttelte den Kopf.
Verwundert sah mich Viola an.
In dem Moment kam Rudi aus dem Büro. "Was ist denn los Veilchen?", fragt er seine Freundin, weil er mitbekam, wie verzweifelt diese zu mir sah.
"Rudi, Kahlyn hat noch nie eine Geschichte gehört. Ich weiß nicht, wie ich ihr das erklären soll. Ich habe gerade Tim seine Lieblingsgeschichte vorgelesen, die von den drei Schweinchen. Aber sie versteh die Geschichte nicht."
Rudi setzte sich zu mir und sah mich traurig an.
"Ach Rudi, ist doch nicht so schlimm. Irgendwann verstehe ich das schon. Aber es ist alles so komisch bei euch. Immer macht ihr Dinge, die ich nicht verstehe. Die Worte kann ich verstehen, aber deren Sinn nicht."
Damit widmete ich mich wieder meiner Tasse Tee. Der warme Tee tat meinem Magen gut. Langsam macht sich ein großes Loch darin bemerkbar. Allmählich bekam ich unerträglichen Hunger. Das letze Mal, dass ich etwas bei mir behalten hatte, war schon ewig her. In Himmelpfort das Essen, hatte ich nach dem Einsatz alles ausgebrochen. Aber es waren ja nur noch neun Tage, dann konnte ich bestimmt auch wieder etwas Essen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es viel eher sein würde. Ich hatte immer noch viel zu viele Antibiotika in meinem Körper. Erst, wenn nichts mehr davon vorhanden war, konnte ich etwas essen.
Tom und Jenny unterbrachen meine Gedanken. Denn die beiden kamen in die Küche gestürmt.
"Tag ihr alle", rief Tom.
"Hallo", kam auch von Jenny.
"Helft ihr mir beim Abendbrot machen?", bat Viola.
Beide nickten. Viola, Jenny, Tom räumten den Tisch an.
Als ich helfen wollte, meinte Viola. "Bleib nur sitzen mein Mädel, die beiden können mir helfen."
Traurig starrte ich in meine Tasse und sah dann hinaus in den Garten, beobachtete Tiger beim Toben. Rudi der mich von der Seite musterte, rutschte mit dem Stuhl heran.
"Was ist los, Kleene?", wollte er von mir wissen, weil ihm so ein Gedanke gekommen war.
Was sollte ich sagen, ich war halt traurig, dass Viola meine Hilfe nicht wollte. Aber wie sollte ich das sagen. Ich hätte ihr so gern geholfen.
"Komm rücke mit der Sprach heraus. Du grübelst doch über etwas."
Keine Ahnung, warum mich das traurig machte.
"Kleene, bist du traurig, weil du nicht helfen sollst?"
Ich nickte.
Viola sah erschrocken zu mir. "Ach Kahlyn, klar kannst du mir helfen. Das war nicht böse gemeint. Ich dachte nur, du bist müde, vom Tierparkbesuch. Komm helfe mit. Kannst du bitte Rührei für alle machen, das schmeckt allen ganz besonders gut", bat sie mich jetzt.
Verwundert sah ich von ihr zu Rudi. "Kleene, Viola hat das nicht böse gemeint. Weißt du, wir sind es nicht gewohnt, so weit zu laufen. Wenn Viola und die Kinder aus dem Tierpark kommen, sind sie immer alle geschafft und froh, wenn sie nichts mehr machen müssen."
Ich begriff das alles nicht. Der Besuch im Tierpark war doch nicht anstrengend. Warum, fragte ich mich wohl das tausenste Mal, war nur alles so kompliziert geworden.
"Ach egal", stellte ich für mich fest und stand auf, um Rührei für alle zu machen. Aber irgendwie, war ich immer noch durcheinander. Kurz vor 19 Uhr ging die Haustür und Jo, der von der Arbeit kam, betrat die Küche.
"Guten Abend allerseits. Na Jenny hast du dir Besuch mitgebracht. Wo ist denn unsere Kleene?", fragend blickte er sich um.
Jenny schaute ihren Vater verwundert an. "Ich hab doch keinen Besuch mitgebracht, Kahlyn ist doch hier."
Da erst erkannte mich Jo, der in seinen Gedanken versunken war. "Kleene komme mal her zu mir. Wie schaust du denn aus. Ich hab dich gar nicht erkannt", meinte er lachend.
Ich wandte mich Jo zu, der nahm mich und drehte mich sogar einmal um mich selbst.
"Du bist ja richtig hübsch. Das ist aber nicht die kleine blasse Kahlyn, die vor vier Wochen in die Wache gekommen ist. Oder?"
"Doch ich bin es", bestätigte ich meine Anwesenheit verwundert.
Wieder einmal wusste ich nicht, was man von mir wollte. Jo fing an zu lachen und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Reih um bekamen alle, außer Rudi, einen Kuss. Der sah seinen Freund an, dann mich und kritisierte diese Tatsache lachend.
"Ja, ja, so ist das immer Kahlyn. Alle bekommen sie einen Kuss, nur ich nicht", stellte er mit einem bekümmert dreinschauenden Gesicht fest.
Einfach so aus dem Gefühl heraus, lief ich auf ihn zu und gab ihm auch einen Kuss, damit er nicht mehr traurig war.
Rudi fing an zu lachen. "Danke, für was ist der denn?", wollte er wissen.
Verlegen sah ich auf meine Füße. "Weil es dich gibt", sagte ich ganz leise. "Weil du mit mir in den Tierpark warst und damit du nicht mehr traurig bist", setzte ich noch um einiges leiser nach.
Kopfschüttelnd nahm Rudi mich in den Arm und gab mir auch einen Kuss. "Kommt setzt euch. Das Rührei wird kalt, dann schmeckt es nicht mehr und das wäre schade", stellte er mit einer eigenartigen Stimme fest.
Verwundert schaute ich meinen Major an.
"Schon gut Kahlyn, es ist alles in Ordnung", meinte er noch lächelnd.
Aber, das klang jetzt nicht so, da auch seine Augen ganz nass waren. Wieder einmal verstand ich die Reaktion dieser Leute nicht, aber es war egal. Die Fünf ließen es sich schmecken, Viola hatte mir wieder eine große Tasse Tee gemacht. Es tat unwahrscheinlich gut, etwas Warmes in dem Bauch zu bekommen, dann tat der Hunger, nicht ganz so weh. Nachdem alle aufgegessen hatten, nahm mich Jo beiseite.
"Kahlyn, kannst du dir bitte bei Gelegenheit, die Protokolle durchlesen. Oder willst du lieber noch etwas warten. Hans meinte, du kannst dir alle Zeit, der Welt nehmen. Du musst das nicht gleich heute mache."
Ich wollte das allerdings schnellstmöglich hinter mich bringen, deshalb bat ich Jo. "Geb mir die Ordner lieber gleich. Ich lese es mir sofort durch. Wenn ich es vor mir her schiebe, wird es auch nicht besser. So habe ich es hinter mir."
Jo nickte. "Dann komm mal mit, die Akten liegen hinten in meinem Büro."
Ich folgte dem Polizeirat und nahm mir die beiden dicken Ordner vor. Setzte mich im Schneidersitz auf die Couch, die in seinem Büro stand und legte mir den ersten Ordner auf die Beine. Zügig, aber genau las ich mir, die beiden Akten durch.
"Jo, wenn etwas falsch ist oder nicht so richtig stimmt, was da in dem Ordner steht, soll ich das korrigiert an den Rand schreiben?", erkundigte ich mich nach einiger Zeit bei ihm. Weil mir einige gravierende Fehler aufgefallen waren.
"Ja macht das so. Bitte schreibe es mit einem Füller einfach an den Rand, streiche das, was nicht korrekt ist durch."
Er reichte mir einen Füller mit Dokumententinte und ein Lineal. Dokumententinte deshalb, weil man diese durch nichts unleserlich machen kann. Es sei denn man vernichtet das ganze Blatt. Ich bestätigte durch Nicken, dass ich verstanden hatte, was mir Jo sagte und las die Akte ein zweites Mal durch. Nahm diesmal jedoch, einige Korrekturen vor. Nach einer Stunde gab ich ihm die beiden Ordner zurück.
"Wie, bist du schon fertig?", entsetzt blickte Jo mich an.
"Ja Jo, ich habe das, was nicht richtig war durchgestrichen und auf der anderen Seite richtig hingeschrieben." Erklärte ich ihm und öffnete die Ordner und zeigte ihm, wie ich das meinte.
"Wie machst du das nur so schnell? Ich habe gestern, fast fünf Stunden an den beiden Ordnern gesessen", stellte Jo verwundert fest.
In diesem Moment fiel mir ein, dass nur Rudi und John wussten, dass ich viel schneller lesen konnte, als die anderen. Es war mir peinlich, aber ich musste es trotzdem erklären.
"Jo ich kann schneller lesen als ihr. Ein Vorteil meiner genetischen Veränderung. Aber kein schlechter", teilte ich in diese Tatsache lachend mit.
Jo streichelte mir über den Kopf. "Na das ist doch gut, da sparst du die viel Zeit. Das müsste ich auch können. Also komm, gehen wir noch ein wenig nach vorne."
"Jo?", wandte ich mich aber erst noch einmal an ihn.
"Was ist meine Kleene?"
"Sag mal, was wird jetzt aus dem Oberstleutnant?"
Jo sah mich verwundert und irritiert an. "Warum?"
Keine Ahnung, wie ich ihm das erklären sollte, was mir beim durchlesen der Ordner, nicht nur einmal durch den Kopf geschossen war. Ich machte mir halt Sorgen um den Oberstleutnant. Jo setzte sich auf die Couch und klopfte, so wie es der Doko oft gemacht hatte, neben sich.
"Komm, meine Kleene erzähle mir, was dir durch den Kopf geht."
Etwas verlegen setzte ich mich neben Jo und zog die Füße auf die Sitzfläche. "Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll, Jo."
"Versuche es doch einfach mal, Kahlyn. Egal, was dir durch den Kopf geht, rede einfach darüber. Nur so haben wir eine Möglichkeit, dich besser kennen zu lernen. Dann passiert es nicht mehr so oft, dass wir dich in die Ecke drängen, verstehst du."
Klar verstand ich das, aber wie erklärte man eine Sache, die man selber nicht richtig verstehen konnte.
"Es ist doch so Jo, der Oberstleutnant war all die Jahre mein Vorgesetzter. Weißt du es gab Zeiten, da hab ich ihn sogar gemocht. Auch, wenn er viele Jahre nicht gut zu mir war, ist und bleibt er doch irgendwie ein Teil von mir. Ach ich weiß nicht, wie ich das in deiner Sprache sagen soll, Jo", verzweifelt rieb ich mir den Nacken.
Jo nickte verstehend, er konnte sich vorstellen, dass es nicht einfach für mich war, über diese Dinge zu sprechen. Über Gefühle die man so viele Jahre immer unterdrücken musste und daher gar nicht beim Namen nennen konnte. Deren Begriffe ich vielleicht schon einmal gehört, aber noch nie angewandt hatte. Solche Worte wie Liebe, Vertrautheit, Geborgenheit, Zugehörigkeit oder Zuneigung. Deren Zusammenhänge und Zusammenspiel mir jetzt erst nach und nach bewusst wurden.
"Ich will nicht, das ihm etwas passiert, verstehst du. Ich könnte es nicht ertragen."
Jo sah mich entsetzt an. "Kahlyn, dieser Mensch hat versucht dich zu vergewaltigen, hat dich misshandelt, gedemütigt, hat dich mehr als nur einmal fast getötet. In der Akte steht das alles schwarz auf weiß und du machst die Sorgen, was aus ihm wird. Ich verstehe dich manchmal nicht, meine Kleene. Wenn das mit mir jemand gemacht hätte, dann wäre es mir scheiß egal, was aus ihm wird."
Ich sah Jo verwundert an, der bei seinen Worten richtigen Hass in seine Augen bekommen hat. Sein Herz schlug wild und an seinem Hals traten die Halsschlagadern hervor, so regte er sich auf.
"Jo, es ist doch wie folgt und das habe ich in den vielen Jahren des Kampfes gelernt. Rache ist kein gutes Motiv. Aber ist es nicht so, dass das, was ich jetzt mache nichts anderes als Rache ist? Klar will ich, dass es endlich aufhört. Aber ich will nicht, dass ihm etwas passiert. Verstehst du? Wenn ihm durch mich etwas passiert, dann bin ich doch nicht besser als er. Das einzige was ich wirklich will, ist, dass er endlich damit aufhören muss, meine Freunde und mich zu schlagen oder auf eine andere Art und Weise zu verletzen oder zu töten. Verstehst du, mehr will ich mit der Anzeige nicht erreichen", erklärte ich ihm ganz leise. Auch aus Angst, dass er mich nicht verstehen könnte.
Jo schüttelte den Kopf und rieb sich das Gesicht, sah mich danach lange schweigend an. "Weißt du was meine Kleene. Langsam aber sicher denke ich, seit dem ich dich kenne, dass mit meiner Einstellung zum Beruf, etwas tüchtig schief läuft. Oder aber, ich habe nicht so ein gutes und großes Herz wie du. Pass auf, ich sage das, was du mir eben gesagt hast, dem Staatsanwalt. Auch werde ihm bitten, dass er das in dem Urteilsspruch berücksichtigt. Aber du musst auch begreifen, dass die Gerechtigkeit auch für euch da ist. Das bedeutet, dass der Mayer für das, was er deinen Freunden und dir angetan hat, bestraft werden muss. Kleene, schau doch mal, selbst du hast jetzt begriffen, dass Mayer all die schlimmen Dinge mit euch nicht hätte machen dürfen. Fast hätte er Raiko getötet. Zähle nach, wie viele von euch er getötet hat, Rina ist durch die Folgen, seines Schlag getötet wurden. Krein, Duira, Sneimy, Riona, Feanu sind von ihm, im Stechliner See einfach ertränkt wurden. Dafür muss er eine Strafe bekommen. Überleg einmal, wie dein Rücken aussieht. Ich denke, er wird für den Rest seines Lebens hinter Gitter gehen. Dort gehört er nämlich hin." Jo nahm mich in seine Arme. "Keiner wird ihm ein Leid antun, wenn du das denkst. Aber er wird viel Gelegenheit bekommen, über seine Daten im Gefängnis nachzudenken."
Ich schluckte hart. "Aber dort wird er gefoltert", sagte ich leise und begann zu weinen. Weil mir der Oberstleutnant leid tat. Das hatte ich nicht gewollt. "Das hab ich nicht gewollte, wirklich nicht", brachte ich unter viel Mühe noch hervor.
Jo sah mich entsetzt an. "Nein Kahlyn, wie kommst du denn darauf. Bei uns wird niemand im Gefängnis gefoltert. Wer hat dir denn so etwas erzählt?"
Verzweifelt rieb ich mir das Gesicht. "Ach ist egal, ich möchte darüber nicht reden. Aber ich weiß, dass es dort so ist", sagte ich mit einem bitteren Unterton.
"Kleene, niemand wird bei uns im Gefängnis gefoltert. Wenn das bei euch in der Schule so war, dann war das falsch. Bei uns werden diese Leute eingesperrt. Sie werden ihrer Freiheit beraubt, damit sie niemanden mehr etwas tun können. Vor allem aber, dass sie Gelegenheit dazu bekommen, über ihre Taten nach zu denken. Dass sie begreifen, dass es falsch war, was sie getan haben. Das können sie aber nur, wenn man ihnen die Möglichkeit nimmt sich frei zu bewegen. Das heißt, sie müssen an ein und denselben Ort bleiben, in einer Zelle. Sie müssen Arbeiten und sich alle Extras außer Essen und Trinken verdienen. Das ist eine gerechte Sache. Denn oft fangen Menschen erst im Gefängnis an nachzudenken, über das, was sie getan haben. Ab und an gibt es sogar Verbrecher, die erkennen, dass es Unrecht war. Nicht alle aber einige schon. Glaube mir, wenn es anders wäre, dann wäre ich nicht Polizist. Ich würde niemals zu lassen, dass jemand gefoltert wird, auch dann nicht, wenn er ein Verbrecher ist. Da gebe ich dir Recht meine Kleene, das hat sich niemand verdient."
Erleichtert sah ich Jo an. "Dann ist es gut. Eine Strafe soll er schon bekommen. Vor allem soll er merken, dass man mit uns, das alles nicht machen darf, was er getan hat. Vielleicht gibt es ja auch für uns, eine Gerechtigkeit."
Entschlossen stand ich auf. Jetzt war ich etwas beruhigt, irgendwann würde ich noch einmal mit John darüber reden. Ob er mir das richtig erklären konnte. So ganz genau hatte ich nicht verstanden, was Jo mir sagen wollte. Mir war nicht klar, wie man jemanden bestrafen konnte, wenn man ihn nur einsperrt. Aber, das musste ich nicht heute machen. Wichtig war mir nur zu wissen, dass man Mayer keiner ein Leid antat. Folter war nichts schönes, das hatte ich nur zu oft erlebt. Ich reichte Jo meine Hand und zog ihn aus der tiefen Couch. Das erste Mal, seit dem ich bei den Runges war, stellte ich fest, dass er humpelte.
"Jo, was ist mit deinem Bein? Hast du Schmerzen?", fragte ich ihn und sah mir das Knie genau an. Die ganze Kniescheibe war zertrümmert, auch stand das Bein völlig verdreht.
"Ach, das ist nichts weiter. Das ist das Wetter, meine Kleene. Ich habe seit Jahren, immer wieder einmal Probleme mit einer alten Fraktur. Vor allem im Herbst, da kommen die Schmerzen. Das ist, seit meiner schweren Verletzung vor sieben Jahren so, da meckert das ab und zu mal. Mache dir keine Sorgen."
Ich schüttelte den Kopf. "Pass auf Jo, heute kann ich nichts an deinem Knie machen. Weißt du mir geht es, noch nicht so gut. Aber, wenn ich wieder richtig Essen kann, bringe ich das Knie wieder in Ordnung. Aber ich gehe gleich mal nach oben und hole dir eine Injektion, damit du nicht so viel Schmerzen hast. Das ist nicht gut. Du musst keine Angst haben, ich gebe dir etwas mit einer Langzeitwirkung und etwas damit gleich die Schmerzen aufhören. Es macht nicht abhängig, aber es hilft gut."
Beim letzten Wort lief ich, ohne eine Antwort abzuwarten, nach oben in meinem Zimmer und zog zwei Injektionen auf. Je zwei Einheiten vom B32, aber auch vom dem B23, was ich erhitzen musste. Dann nahm den Medi-Koffer, lief nach unten und gab sie Jo. Nach nicht ganz drei Minuten atmete Jo erleichtert auf. Denn die Schmerzen waren vollkommen verschwunden.
"Na ist es jetzt, besser, Jo?", lachte ich ihn an.
Dankend lächelte er zurück. "Viel besser, meine Kleene."
"Warum sagst du mir das nicht, dass du Schmerzen hast? Muss ich eigentlich, immer alles alleine heraus bekommen? Wenn ihr krank seid, macht doch einfach einmal den Mund auf. Bei vielen Sachen, kann ich ohne große Probleme, sofort helfen. Oder aber, nach einer Weile, wenn es mir mal nicht so gut geht. Habt ihr das denn immer noch nicht begriffen?", erklärte ich ihm jetzt richtig wütend. "Warum habt ihr nur nie Vertrauen zu mir?"
Jo stand auf, kam ohne zu humpeln zu mir und setzte sich auf den Stuhl neben mich. "Kahlyn, das hat nichts mit Vertrauen zu tun. Weißt du, es ist schwer für uns zu begreifen, dass du schon so vieles kannst. Schau bitte mal, vielleicht begreifst du es dann besser. Jenny ist genauso alt wie du und sie geht noch in die Schule. Jetzt sollen wir auf einmal in dir, eine komplett ausgebildete Ärztin sehen. Weißt du, oft denken wir da gar nicht daran. Es ist schon immer schwer, dich im Einsatz als vollwertiges Mitglied anzusehen. Du weißt doch selber besser als ich, wie es dabei immer zu geht. Obwohl wir wissen, was du kannst oder besser erahnen, ist das für uns immer noch schwer zu akzeptieren", lange sah mich Jo an.
'War es wirklich so schwer?' fragte ich mich immer wieder. Aber, dann sah ich Jenny an, sie war wirklich noch ein Kind. So wie wir vor fünfzehn Jahren waren. Verträumt, albern, einfach ein kleines Mädchen.
"Sag doch was, meinen Kleene", forderte mich jetzt Jo auf.
Tief in meinen Gedanken versunken, rieb ich mir den Nacken. Ich zog die Füße auf den Stuhl und legte den Kopf zurück. Irgendwie hatte Jo ja recht. Langsam drehte ich meinen Kopf zu Jenny, blickte sie lange an. Viele Sachen gingen mir dabei durch den Kopf, auch die Frag. "Wenn wir so groß geworden wären wie Jenny, Tom und Tim, wäre es dann für mich auch so schwer, mich hier einleben." Ich bin beantworte mir die Frage selber."Nein, dann wäre es für mich normal."
"Ist schon gut Jo. Aber weißt du, für mich ist das genau so schwer. Wenn ich überlege, dann war ich ungefähr ein Jahr alt, als ich so alt war wie Jenny jetzt ist. Ach das ist so kompliziert bei euch. Ich habe seit dreizehn Jahren, die Verantwortung für meine Leute. Damals waren wir noch weit über siebzig Kämpfer, die ich ärztlich versorgen musste. Jo, für die ich immer da sein musste, egal was war. Es ist für mich genauso schwer zu verstehen wie für dich, dass jetzt auf einmal alles anders ist. Wenn man so weiter rechnet, wäre ich jetzt eigentlich neunundzwanzig Jahre alt. Oder, wenn man davon ausgeht, dass ich mit einem Jahr in und mit drei Jahren aus der Schule gekommen bin, dann bin ich sogar noch älter", erklärte ich jetzt trocken. "Es ärgert mich halt, dass ihr mir nie etwas zutraut. In der Wache heute den Jungs, ging es auch nicht gut. Statt einfach einmal nach mir zu schicken und mich zu fragen, quälen sie sich Tage lang herum. Ich habe ihnen in zwei Minuten helfen können. Das ist doch ärgerlich oder? Ich bin wirklich gut als Ärztin, dein Bein bekomme ich auch wieder hin. Nur nicht im Moment. Auch deinen Rücken, kann ich soweit in Ordnung bringen, dass du wieder ohne Schmerzen zu haben laufen kannst. Vielleicht kannst du dann, sogar wieder etwas Sport machen. Nur musst du mir das auch mal sagen. Wie soll ich das denn sonst wissen? Es ist so viel, was auf mich einstürmt. Ich weiß gar nicht, wo ich zuerst hinsehen soll. Normalerweise, hätte ich das schon längst gesehen. Aber ich bin ständig abgelenkt. Es tut mir leid, dass du dich schon so lange herumquälen musstest. Also bitte, sagt mir einfach, wenn ihr Schmerzen habt oder irgendwie krank seid oder euch mal nicht wohl fühlt. Wenn ich euch nicht helfen kann, ist es doch nicht so schlimm, dann geht ihr zu Doko Karpo. Aber die meisten Sachen, kann ich in kurzer Zeit richten. Versprecht ihr mir das. Es ärgert mich nämlich, wenn ihr kein Vertrauen zu mir habt."
Jo zog mich zu sich heran und gab mir einen Kuss auf die Stirn. "Versprochen Kahlyn, ich sage dir, wenn ich wieder Schmerzen habe. Aber Auto fahren, kann ich trotz der Spritzen oder sollte ich das lieber nicht machen?", fragte er nach.
"Nein Jo, du bist voll einsatzfähig. Es sind keine abhängig machende oder benebelnde Inhaltsstoffe in diesen Injektionen, diese haben auch keine Nebenwirkungen. Das musste ich immer im Blick haben. Im Kampf muss man klar denken können, da darf nichts enthalten sein, was die Sinne betäubt. Deshalb habe ich dieses System entwickelt. Doko Jacob hat mir mal erklärt, dass die Schmerzmittel die er hat, fast alle abhängig machen oder aber andere Organe schädigen. Das ist bei unseren Mitteln nicht der Fall. Das ginge gar nicht. Denn bei Einsätzen sind wir oft hochdosiert heran gegangen. Dagegen ist Morphium, ein leichtes Betäubungsmittel. Bis zu tausendfünfhundert Einheiten kann ich dir von den B32 spritzen. Das sind dreihundert volle Spritzen, damit du schmerzfrei bist. Du würdest, nicht ein bisschen benebelt sein im Kopf. Am nächsten Morgen, würdest du keinerlei Nachwirkungen spüren, du merkst es nicht einmal. Höchstens dadurch, dass die Schmerzen wiederkommen. Also sag Bescheid, das eine Mittel, was ich dir gespritzt habe, wirkt fünf Tage. Das andere, je nachdem wie sehr du dich belastest, acht bis zehn Stunden. Viola ich ziehe dir mal noch eine Spritze auf. Die kannst du Jo morgen früh geben, bevor er zur Arbeit fährt, falls ich noch schlafe. Am besten, immer in die Halsschlagader, dann wirkt es einfach schneller. Ich erkläre dir mal in Ruhe, wie das mit dem Ampullen-Koffer funktioniert, dann kannst du das auch selber machen. Falls ich mal nicht da bin oder mal wieder schlafe", sofort machte ich die Spritze fertig und reichte sie Viola.
"Danke Kahlyn, das mache ich."
Tom schaute fragend seinen Vati an. "Paps, können wir ein bissel Karten spielen oder Mensch ärgere dich nicht. Das haben wir so lange nicht mehr gemacht", bat der Bub.
Tom war seit Wochen nicht mehr dazu gekommen, etwas mit seinen Eltern zu spielen. Da die Runge sehr oft mit ihren Kindern spielten, fehlte dass Tom natürlich sehr. Durch den Stress, den es seit Wochen hier gab, blieb dazu einfach keine Zeit. Auch wenn Tom viel Verständnis aufbrachte, dass Kahlyn halt im Moment einfach mehr Zeit benötigte, vermisste er die Spieleabende sehr. Heute war das erste Mal seit Wochen, so etwas wie Ruhe bei den Rungen eingezogen. Ein völlig ruhiger Abend, den alle genossen und Kahlyn war mitten drin. Lernte das erste Mal in ihrem Leben einen friedlichen Familienabend kennen. Auch Kahlyn genoss diese ungewohnte Ruhe, sog sie in sich auf, wie ein Schwamm die Feuchtigkeit. So etwas hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nie erlebt. Es war so wunderschön und tat so gut.
"Na klar, können wir das machen. Wer hat noch Lust dazu?", erkundigte sich Runge lachend bei den Anderen.
Jenny, Jo, Viola und Rudi setzten sich an den Tisch und wollten mitspielen. Kahlyn die überhaupt keine Ahnung hatte, um was es dabei ging und auch nicht wusste, was sie dazu sagen sollte, schaute sie aus dem Fenster und beobachte Tiger beim Toben auf der Wiese. Kahlyn war verliebt in diesen kleinen roten Kater. Er war ein ganz liebes Tier und völlig verschmust. Am liebsten würde sie ständig mit ihm spielen. Dabei so ging es ihr durch den Kopf, konnte sie alle Probleme, die sie im Moment hatte am besten vergessen.
"Kahlyn willst du auch mitspielen?", fragte mich Tom.
Verwundert sah sie Tom an. "Wie macht man das? Ich weiß nicht wie man spielt. Wieso soll ich dann mitspielen? Ich kann das doch gar nicht", erklärte sie ihrem kleinen Freund.
"Kahlyn das lernen wir dir, das ist voll einfach. Das lernst du ganz schnell. Mutti, kannst du das Kahlyn erklären? Du kannst das besser als ich", wandte er sich ohne eine Einwilligung von mir abzuwarten, an seine Mutti.
Viola lachte Kahlyn aufmunternd zu. "Komm mal zu mir, Kahlyn. Ich erkläre dir, wie das alles funktioniert."
Das Mädchen stellte sich zu Viola und sah ihr über die Schulter. Sie erklärte Kahlyn, wie das Spiel funktionierte. Es war gar nicht schwer. Schnell kam das Mädchen dahinter, wie es beim Kartenspielen ablief.
"Komm setz dich, neben mich Kleene, du bist mein Glücksbringer", meinte Rudi lachend.
Rudi hatte schon zweimal gewonnen. Also setzte Kahlyn sich neben ihren Major und spielte mit den Runges und Rudi, das erste Mal in ihrem Leben Mau-Mau. Kahlyn nahm ihre Karten auf und machte einfach das, was Viola ihr erklärt hatte. Das Spiel war lustig. Vor allem deshalb, weil Jo, wenn er verlor immer so ein komisches Gesicht machte. Dass man einfach nur lachen musste. So viel Spaß hatte Kahlyn noch nie in ihrem ganzen Leben gehabt und auch noch nie so viel gelacht.
Kurz nach 21 Uhr hörten wir auf mit dem Kartenspielen, die Runge Kinder musste ins Bett gehen, morgen in der Früh mussten Tom und Jenny in die Schule. Aber wir versprachen den beiden, wenn Zeit war, würden wir morgen Abend noch einmal spielen. Auch Jenny machte sich fürs Bett fertig. Jo, Viola, Rudi und ich saßen noch etwas am Tisch und erzählten, als um 21 Uhr 49 als das Telefon klingelte und die Wache anrief. Alarm für uns, Jo, fuhr Rudi und mich in die Wache, dort wurden wir schon von Ronny erwartet.
"Was gibt es Ronny? Du immer mit deinen doofen Vorahnungen", foppte Rudi seinen Kollegen.
Ronny zuckte mit den Schultern und grinste Rudi aber an. "Ich kann doch nichts dafür Rudi. Es gab in Greiz einen Banküberfall. Bei dem Überfall wurden zehn Geiseln festgesetzt, sechs Mitarbeiter der Sparkassenfiliale und vier Kunden. Die dortige Polizeistation, bitte uns um Hilfe. Die trauen sich nicht gegen die zwei Bankräuber vorzugehen, aus Angst, es könnte ihnen aus den Rudern laufen."
Rudi konnte sich denken, dass Mälzer, der Dienststellenleiter der dortigen Wache so entschied. Er kannte den Kollegen schon sehr lange und der ging immer auf Nummer sicher, holte sich lieber einmal mehr Hilfe dazu, als dass er ein Risiko anging. Deshalb stimmte Rudi seinem Teamleiter zu. Denn es war immer eine heikle Situation, wenn Geiseln genommen wurden.
"Was verlangen die?", fragte er Ronny.
"Freies Geleit und ein Fahrzeug."
Ich stand neben den Beiden und hörte genau zu. Nahm alle Informationen die Ronny an seinen Vorgesetzten gab, automatisch in mir auf. Entwickelte auf diese Weise, schon einen ersten Ansatzplan. So wie ich es immer nannte. Ich konnte da nicht mehr aus meiner Haut. Viel zu lange war ich, als dass ich das von heute auf morgen abstellen könnte. Durch diese oft für die eigentlichen Einsatzleiter uninteressanten und ungenauen Informationen, hatte ich oft schon einen ersten Ansatzpunkt und dachte mich sozusagen in die Täter hinein. Konnte, obwohl ich noch keine näheren Informationen besaß, später in kurzer Zeit einen Einsatzplan zu entwickeln. Dies war einer der Gründe, warum ich während eines Einsatzes kaum ansprechbar war. Ich nutzte die Zeit bis zum Eintreffen an dem Einsatzort um mich psychisch schon warm zu machen und war dann vor Ort, schon vollkommen auf den Einsatz fixiert und ließ nicht mehr zu, dass mich irgendetwas davon ablenkte. Konnte allerdings in solchen Situation auch sehr ungehalten reagieren, wenn man mich ansprach oder versuchte aus dem Einsatz herauszudrängen.
Als Ronny und Rudi begannen die Details zu wiederholen, drehte ich mich um, auch weil es immer enger wurde im Bereitschaftsraum und vor allem immer lauter, lief nach hinten zu den Spinden. Nach einander, trafen auch alle anderen des Alpha-Teams ein und standen beieinander und redeten. Ich zog derweilen meine Spezialschuhe an und einen Kampfanzug. Ich verzichtete aber auf die Schwerter, nahm nur die Nahkampfausrüstung und die Shuriken mit. In den meisten dieser Fälle, musste ich dann weite Strecke laufen. Dann setzte ich mich wieder zu Rudi und Ronny, die immer noch diskutierend am Tisch saßen. Lange sah ich Rudi an, bis dieser merkte, dass ich etwas sagen wollte.
"Was ist meine Kleene, hast du eine Idee, wie wir vorgehen können?"
Ich nickte zustimmend. "Ich denke schon. Aber ohne genauere Informationen, kann ich keine konkreten Entscheidungen treffen. Als erstes habe ich eine Frage an euch. Könnt ihr mir einen Plan von dem Gebäude besorgen, dann versuche ich von oben, den Seiten oder von hinten in das Gebäude zu kommen. Vielleicht schaffe ich es auf diese Weise, die Beiden, schon in der Sparkasse ausschalten. So dass wir uns lange Suchaktionen, nach denen Geiselnehmern erspart bleiben."
Ernst sah ich die Beiden an, denn ich bemerke ihre skeptischen Blicke. Wieder einmal wurde mir klar, dass mir die Kollegen, meine Erfahrungen in diesen Dingen einfach absprachen. Es war immer das Gleiche und ich dachte sie vertrauen mir. Ärgerlich holte ich Luft und fuhr mit einem ziemlich genervten Ton fort. In dem ich sehr leise und ruhig weitersprach. Meine Freunde würden da schon wieder anfangen zu lachen, weil sie wussten wie viel Mühe mich das kostete, so ruhig zu sprechen. Vor allem ärgerte ich mich über mich selber, weil ich immer wieder wegen solcher Sachen eine unsagbare Wut bekam. Obwohl ich wusste, dass ich es nicht ändern konnte. Es war nun mal so.
"Hört mir doch erst einmal zu, bevor ihr wieder sagt, dass ich dazu zu dumm bin. Ich habe schon einige solcher Einsätze gehabt. Ich weiß von was ich spreche. Wenn es da keine Möglichkeit gibt einzudringen, gehe ich von vorn in die Sparkasse und versuche ich zu verhandeln. Wenn das auch nicht hilft, lassen wir die Burschen einfach laufen, ich folge ihnen und greife sie mir unterwegs oder ich lasse mich als Geisel nehmen. Das kommt ganz auf die Ausgangslage an. Das hat auch schon einige Male gut funktioniert. Ihr solltet dann, das Fahrzeug allerdings etwas manipulieren. So dass es nach einigen Kilometern stehen bleibt, das kann jede gute Werkstatt machen, innerhalb weniger Minuten machen. Aber es sollte keiner dem Fahrzeug folgen. Einfach, um Panikreaktionen der Geiselnehmer zu verhindern. Ich will die erst aus der Stadt haben. Sind wir aus der Stadt, schnappe ich mir die innerhalb kürzester Zeit. Versteckt einen Peilsender im Fahrzeug, der die Position der Flüchtigen signalisiert. Aus der Stadt heraus, folgen wir denen dann mit einem Hubschrauber. Denn es ist mühselig in der Stadt die Verfolgung aufzunehmen. Vor allem, so meine Erfahrung, führt eine Flucht in der Stadt oft zu Unfällen, in die dann Unschuldige verstrickt werden. Wenn wir aus der Stadt sind, lässt der Heli mich raus. Dann folge ich denen zu Fuß, ohne Auto müssen die auch laufen. Selbst wenn die noch ein Stück fahren, kann ich ihnen auf den Fersen bleiben. Es wäre dann auch schön, wenn der Hubschrauber mir im Abstand von fünf Kilometern folgen würde. Schade mit Gosch wäre das einfacher, der kennt mich gut und denkt wie ich", erklärte ich lachend.
Mittlerweile hatte ich mich wieder beruhigt. Vor allem, fand ich die Gesichter die Ronny und Rudi machten, lustig. Sie saßen da mit halboffenem Mund und starrten mich an, wie eine Fremde. So oft hatte ich eben diesen Blick bei anderen Kollegen und selbst dem Oberst gesehen. Manchmal waren diese Menschen schon komisch. Warum konnten die nicht das Normalste der Welt sehen? Oder war ich wirklich so anders, wie meine Kollegen. War es wirklich die viele Erfahrung, die ich bei solchen Einsätzen hatte, die mich anders denken ließ? Die Einsätze liefen wirklich fast immer nach demselben Schema ab. Obwohl die Täter so unterschiedlich waren, handelten sie fast alle nach dem Schema F und man konnte im Voraus schon sagen, was sie als nächsten tun würden.
"Aber, so muss ich halt viel erklären, es wäre vielleicht gut, wenn John im Hubschrauber wäre. Der kann mich dann hören, wenn er die Verbindung aufmacht. So brauche ich kein Funkgerät, sondern nur ein Peilgerät mitzunehmen", erklärte ich den Jungs, wie genau ich vorgehen würde. "Allerdings wäre es schon ganz gut, wenn ihr von außen so tut, als ob die keine Chance haben, so etwas einschüchternd wirkt und halt nur etwas Präsenz zeigt. Ihr euch dann aber zurückzieht, wenn es keine andere Möglichkeit für einen schnellen Zugriff gibt", beendete ich meine lange Erklärung.
Rudi sah mich genauso erschrocken an, wie Ronny und die anderen.
"Rudi, guckt nicht so. Ich mache das doch nicht das erste Mal. Glaube mir, das ist eine bewährte Methode. Ich glaube neununddreißig Überfälle, habe ich auf diese Weise schon unblutig zu Ende gebracht. Ich will versuchen, dass die, wenn sie eine Geisel nehmen, mich als Geisel auswählen. Hier hat mein junges Aussehen einen Vorteil. Mir trauen die Bankräuber genauso wenig etwas zu wie ihr. Ich habe so schon einige solche Sachen, unkompliziert zu Ende gebracht. Vertraut mir einfach."
Rudi holte tief Luft und gab sich einen inneren Schubs, genau wie Ronny. Beide nickten zustimmend. Endlich hatte ich ihr Einverständnis so vorzugehen. Auch wenn man merkte, dass ihnen diese Geschichte nicht so gut gefiel. Aber nur zu gut waren ihnen, mein Kampf bei Friedrich noch in Erinnerung. Nie hätte Rudi gedacht, dass ich unbewaffnet, gegen zehn solcher bulligen Hünen, eine reelle Chance gehabt hätte. Da Rudi immer noch skeptisch guckte, setze ich nach.
"Rudi, beantworte mir bitte eine Frage ehrlich. Wer hat von euch unbewaffnet eine reelle Chance?"
Rudi schüttelte den Kopf. "Keiner meine Kleene. Ist schon gut, Kleene. Es ist aber auch immer schwer mit dir."
Diesmal nickte ich zustimmend, vor allem lachend. "Siehst du. Denkst du nicht, dass wenn ich gegen Friedrichs Leute eine Chance hatte, dass ich einen Kampf gegen zwei Bankräuber, selbst wenn die ausgebildete Elitekämpfer wären, überleben kann. Ich weiß doch, was ich tue, vertraut mir doch einfach einmal."
Rudi nickte und holte tief Luft. "Ach Kleene, es ist so schwer mit dir. Könntest du nicht aussehen wie ein fünfzigjähriger alter Mann, dann würde das alles viel leichter sein", bei diesen Worten musste Rudi sogar lachen.
Ich stimmte in das herzhafte Lachen ein. Kann ich mir doch vorstellen, wie schwer das für ihn sein musste. "Schon klar, aber du musst keine Angst um mich haben. Du kennst mich noch lange nicht. Hab lieber Angst um die Bankräuber", grinste ich ihn jetzt frech an. "Glaube mir, selbst Gosch, den Oberst und Conny, und sogar den Doko, kann ich immer noch überraschen. Vertraue mir einfach."
Jetzt nickte Rudi, auch Ronny war einverstanden.
"Na dann los, Leute fahren wir nach Greiz."
Ich wandte mich nochmals an Ronny. "Hast du ein Dossier bekommen?", erkundigte ich mich bei Ronny.
Der Teamleiter schüttelte den Kopf. "Nein Kahlyn, der Überfall war erst vor knapp fünf Stunden gewesen, kurz bevor die Filiale zu gemacht hat. Die dortigen Polizeibeamten, versuchten bis vor einer dreiviertel Stunde es durch Verhandlungen zu lösen. Leider kamen sie aber nicht weiter. Die nötigen Informationen, bekommst du dann in Greiz."
Ich verstand, was Ronny meinte. Ging dann noch einmal an meinen Spind, tauschte den Nahkampfhalfter, gegen den Pistolenhalfter. Vielleicht konnte ich eventuell von oben in die Sparkasse einsteigen. Aber meiner Erfahrung nach, gab es oft keinen weiteren Zugang zu den Filialen. Wenn dann wurden diese meistens durch die Tätern selber abgesichert. Wir würden sehen, was ich dort vorfinden würde.
Ohne Hektik gingen wir zu den beiden Bussen. Fran fuhr die reichlich dreißig Kilometer zügig und kamen knappe fünfundzwanzig Minuten später in Greiz, am Markt an. Im Einsatzzentrum, welches sich in einem Hinterzimmer eines Hotels befand, wurde ich von Rudi dem dortigen Einsatzleiter vorgestellt. Der mich, so wie es oft war, erst einmal von oben herab musterte.
"Kahlyn, das ist Major Mälzer, Peter darf ich dir Leutnant Kahlyn vorstellen. Sie übernimmt ab sofort die Einsatzleitung. Sie wird versuchen diese Sache schnell und unblutig zu beenden. Den Rest meiner Teams kennst du ja. Kahlyn ist erst seit dem 1. September bei uns. Aber sie ist das Beste, was wir im Moment haben. Vertraue ihr einfach. Hast du die angeforderten Pläne besorgt?"
Erkundigte sich Rudi gleich nach dem, was mich am meisten interessierte. Mälzer nickte und sah mich aber immer noch skeptisch an.
"Rudi, das ist jetzt nicht dein Ernst. Das ist doch noch ein Kind."
Ich holte tief Luft und drehte mich um, lief ein Stück von der Gruppe weg, um mich wieder zu beruhigen. Ich konnte da bald nicht mehr hören. Selbst Rudi verdrehte sie Augen bis Anschlag und musste sich sehr viel Mühe geben, ruhig zu bleiben. Langsam aber sicher nervte nicht nur mich, sondern auch ihn die Einstellung seiner Kollegen, mir gegenüber, sehr.
"Peter wenn ich dir sage, das Kahlyn das Beste ist, was meiner Einheit seit langem passiert ist, dann kannst du mir das glauben. Kleene beruhige dich und komme wieder her zu uns. Es nervt langsam nur noch, dass die Kleene sich immer erst durchsetzen muss. Die hat mehr Erfahrung im Kampf, als wir alle zusammen. Vertraue ihr, oder wir fahren sofort zurück. Was die Kleene in den letzten Wochen gezeigt hat, ist der blanke Wahnsinn. Da kannst du sogar noch etwas von ihr lernen. Glaube mir einfach."
Inzwischen hatte ich mich wieder etwas beruhigt und kam wieder zu der Gruppe Männer heran. Mit der Erklärung die mein Major abgab, war die Sache für Rudi vom Tisch. Ich wusste aber nur zu gut, dass es noch lange nicht ausgestanden war. Ach egal, ich glaube ich musste mich daran gewöhnen. Es würde wohl immer erst einen kleinen Machtkampf geben, zwischen mir und den Leuten, die mich noch nicht kannten. Was soll's, da musste ich wohl oder übel durch.
"Sir, bitte vertrauen sie mir, Sir. Die armen Menschen, die dort in der Sparkasse festsitzen, brauchen unsere Hilfe. Je länger wir warten und sinnlos über Sachen, wie mein Aussehen diskutieren, umso länger müssen die Leute dort leiden. Wollen sie das wirklich verantworten, Sir? Spielt es denn eine Rolle wie alt ich bin oder aussehe oder ist es nicht viel wichtiger, was ich kann, Sir?" Versuchte ich an sein Herz zu appellieren. "Sir, ich bräuchte bitte, als erstes die Baupläne von der Sparkasse. Damit ich weiß, ob ich die ganze Sache hier schon unblutig beenden kann. Ansonsten versuche ich, dass die Täter mich als Geisel nehmen. Damit diese armen Menschen frei kommen, Sir. Dann lassen sie die Täter laufen, mit mir als Geisel. So bekomme ich das schnell und unkompliziert und ohne großes Risiko für die Geisel, zu einen vernünftigen Ende. Es wäre auch gut, wenn sie mir eine Landkarte von der Gegend zeigen könnten. Denn ich kenne mich hier gar nicht aus. Da ich erst seit einem Monat in Gera stationiert bin, Sir", gab ich erst einmal konkrete Anweisungen, wie wir in diesem Fall vorgehen könnten. Dies hatte schon so manches Mal geholfen, den Unglauben mir gegenüber abzubauen.
Mälzer schaute Rudi an. "Rudi bitte, du kannst doch nicht dieses Kind dort reingehen lassen. Vor allem, Leutnant nehmen sie diese verdammte Sonnenbrille ab. Das regt mich langsam auf."
"Sir, ich muss die Brille tragen, Sir, aus gesundheitlichen Gründen, Sir. Ich habe andere Augen als sie, Sir."
Trotzdem nahm ich die Brille ab, um ihm meine Augen zu zeigen. Ich hatte einfach keine Lust mehr, auf diesem verdammten Brillenquatsch. Es war einfach nur vertane Zeit. Zeit die den Menschen in der Sparkasse fehlte, die zum Tod einer Geisel führen könnte oder es zu einem blutigen Ende kommen ließ. Deshalb hieß es jetzt schnellstmöglich zu handeln.
Mälzer machte einen Schritt zurück. "Was ist…"
Ich unterbrach ihn einfach, ich hatte weder die Zeit noch die Nerven, für solch eine sinnlose Diskussion und brüllte ihn deshalb mit einem bösen Ton an. Welchen er mir vermutlich nicht zu getraut hatte, aber manchmal war es einfach notwendig, dies zu tun. Damit die Kollegen in die Gänge kamen.
"Verdammt noch mal, Genossen Major. Wenn ich neununddreißig Jahre alt wäre, einen dicken Bauch hätte und graue Haare, oder wie Rudi aussehen würde, würden sie mir dann vertrauen. Ich kämpfe seit über dreizehn Jahren in solchen Einsätzen. Es nervt mich langsam aber sicher nur noch, dass mir niemand etwas zutraut. Hinterher sind immer alle ganz ruhig und sagen nichts mehr. Sie geben mir jetzt und zwar sofort, die Unterlagen die ich angefordert hatte, und zwar ein bisschen Dalli, wenn ich bitten darf. Dann gehen sie raus und reden sie mit den Leuten unserer Teams. In der Zeit können sie sich dann entscheiden, ob sie mir vertrauen wollen oder nicht. Aber ich kann in der Zwischenzeit, die Unterlangen durchsehen und mir die Lage hier vor Ort ansehen. Vor allem kann ich ihnen dann konkret sage, wie ich vorgehe. Den Leuten da drinnen, verdammt nochmal, läuft nämlich langsam aber sicher die Zeit weg. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die dort drinnen durchdrehen und eine der Geiseln zu Schaden kommt, wollen sie das wirklich verantworten, Sir?", fuhr ich ihn richtig zornig an.
Wütend wie ich war, putzte ich den Major vor seinen eigenen Kollegen herunter. Mir war scheiß egal, was er für eine Rang inne hatte. Ich war hier um den Geiseln zu helfen und nicht um einem Vorgesetzten Honig ums Maul zu schmieren. Ich war total wütend auf diesen Major. Rudi klopfte mir auf die Schulter, langsam verstand er, warum mich das so nervte. Ihn nervte es selber.
"Peter, du gibst ihr sofort, was sie haben wollte und angefordert hat. Dann rede mit meinen Leuten. Hinterher ist dir zwar schlecht, aber daran bist du selber schuld. Die Kleene hat Recht, den Leuten da drinnen, läuft die Zeit weg. Entscheiden, kannst du dich auch in zehn Minuten noch. Aber diese Zeit kann Kahlyn nutzen, um für sich und uns einen Einsatzplan aus dem Ärmel zu schüttel. Wir bräuchten dazu eine Stunde. Sie hat eine hundertprozentige Erfolgsquote, was willst du eigentlich mehr. Wenn ich ihr vertraue, du weißt das mache ich nicht gleich, dann vertraue ihr auch. Los mache jetzt mal, ein bissel hin. Bewege deinen müden Hintern, dass du in die Buschen kommst. Hopp, hopp...", forderte nun Rudi wütend. Das Zögern seines Kollegen regte ihn auf. "Ich denke wir sollen dir helfen, Peter. Dann musst du dir aber auch helfen lassen."
Mälzer fuhr sich mit den Händen durch sein Haar und schüttelte den Kopf. Tief Luft holend musterte er mich noch einmal und sah dann einen Moment lang prüfend zu Rudi. Er winkte ab und lief immer noch mit dem Kopf schüttelnd zu einem der Tische und holte ohne noch ein Wort zu sagen die geforderten Unterlagen. Ein Dossier, einige Karten, eine Rolle mit Bauplänen und überreichte mir alles wortlos und ohne weitere Diskussionen. Auch wenn er immer noch skeptisch guckte.
"Sir, danke, Sir. Rudi lass mich zehn Minuten alleine, ich muss mir das einmal in Ruhe und genau ansehen. Wenn ich Fragen habe hole ich euch dazu. Wenn ich genug Informationen hier habe, dann habe ich in dieser Zeit einen funktionierenden Einsatzplan oder wenigstens eine Idee fertig. Guck dir bitte mal das Terrain an, wie ihr Euch am besten positionieren könnt. Du schickst bitte die Scharfschützen auf einen Position, von wo aus sie die Filiale auf das Genauste beobachten können. Sie sollen über Funk, jede noch so kleine Veränderung an John weitersagen."
Rudi nickte und nahm Mälzer am Arm und zog ihn hinter sich her, aus dem Raum. Kurz bevor er aus dem Raum war, rief ich ihm noch hinterher.
"Rudi, sage John er soll die Verbindung zu mir aufmachen und zwar sofort, damit ich alles, was draußen passiert mitbekomme. Danke."
Ohne Verzögerung nahm ich mir das Dossier vor, in dem es sogar schon ein Täterprofil gab und Informationen zu den Geiseln. Aufs Genauste studierte ich den Bauplan der Sparkasse und auch die Umgebungskarte, prägte mir alle Details ein. Schrieb einige Anweisungen, wenn man so will einen kleinen Einsatzplan für Mälzer, einen richtigen Einsatzplan brauchte ich hier nicht. Denn die Kollegen brauchte ich eigentlich nur als Ablenkung. Solche Einsätze, machte ich lieber alleine. Je mehr Leute in so einem Nest herumstochernden, umso riskanter wurde es für die Geiseln. Nach knapp fünfzehn Minuten war ich mit der Planung fertig, soweit ich dies im Voraus tun konnte. Ich verließ ebenfalls den Raum und ging auf Mälzer, Rudi und John zu, um genaue Anweisungen zu geben, wer sich wohin zu begeben hatte.
"John, bitte mache die Verbindung auf. Warum hört eigentlich nie jemand auf mich? Auch wenn ich es dir schon durch Rudi habe sagen lassen. Warum muss ich eigentlich immer alle Befehle doppelt geben? Das nervt mich langsam", fuhr in John in der Verbindung an. Ich war durch eine Notfalltür zu ihm durgedrungen.
"Kahlyn, entschuldige, ich wollte dich in Ruhe arbeiten lassen. Wenn etwas passiert wäre, dann hätte ich sie schon aufgemacht."
"John, ich kann auch mit der Verbindung arbeiten. Ich bin das doch gewohnt", erklärte ich ihm um einiges friedlicher und schenkte ihm ein Lächeln.
Es tat mir leid den Freund so angeraunzt zu haben, da ich merkte, dass er ganz durcheinander war. Ich würde mit ihm noch einmal in Ruhe über die Funktionsweise der Verbindung reden müssen. Dazu hatte ich jetzt aber keine Zeit. Wir hatten ganz andere Probleme. In der Zeit in der ich mich in der Verbindung mit John unterhielt, gab ich an Rudi und Mälzer einige Befehle.
"Rudi, wenn John die Verbindung aufmacht, dann brauche ich kein Funkgerät mitnehmen, sondern nur das Peilgerät mitschleppen. Dann nimmst du bitte meine Waffen."
Rudi sah mich erschrocken an. Mälzer blickte mich dagegen an, wie eine Irre, die nicht mehr alle Sinne beieinander hatte. Genervt holte ich Luft.
"Verdammt noch mal. Guckt nicht so. Ich kann doch den Tätern, nicht auch noch Waffen in die Hand spielen. Rudi, ich sehe mir das alles einmal aus der Nähe an. Laut Bauplan, kann es gut sein, dass ich von hinten in die Sparkasse hineinkomme. Wenn uns das Glück nur ein wenig hold ist. Wenn nicht, muss ich sehen, ob ich eventuell eine andere Möglichkeit finde. Laut Bauplan gibt es eine Tür die in einen Hof geht. Da es heute sehr warm war, kann es gut und gerne sein, dass sie offen ist. Vielleicht haben wir ja Glück und die Geiselnehmer sichern diese nicht. Da sie ja nur zu zweit sind und müssen zehn Geiseln bewachen. Durch die laut Bauplan, über zehn Meter hohe und gesicherte Mauer an der Rückseite, ist es durch aus möglich, dass die Mitarbeiter so für Frischluft in der Filiale sorgten. Es ist der einzige Zugang, den es außer dem Eingang gibt. Aber oft ist es so, dass im Laufe der Jahre Umbauten vorgenommen wurden, die in diesen Plänen nicht eingezeichnet sind. Ich muss es also, spontan entscheiden."
Ich sah die beiden Kollegen an. Als Mälzer etwas sagen wollte, schüttelte ich den Kopf und fuhr fort mit meinen Erklärungen.
"Jetzt hört mir genau zu, das ist wichtig. Für den Fall, dass ich als Geisel genommen werde. Verhalten ihr euch wie folgt. Als erste greift ihr nur ein, wenn ich den ausdrücklichen Befehl dazu gebe. Alle Befehle kommen von John. Zum Zweiten, ihr folgt mir mit einem Hubschrauber, in den auch John sein sollte. Dieser soll mir im Abstand von circa fünf Kilometern folgen. John wird euch die genaue Position von mir durchgeben, er spürt das in der Verbindung. Wichtig ist Rudi, ihr greift erst ein, wenn ich euch das sage. Rudi, ich werde ähnlich vorgehen, wie bei dem Einsatz mit Friedrich. Ich bringe die Geiselnehmer dazu, ihre Wut auf mich konzentrieren, in dem ich diese provoziere. Dadurch werde ich die Beiden aus der Sparkasse lotsen. So dass diese Leute freikommen. Die sind schon viel zu lange dort eingesperrt, fast sieben Stunden. Haltet sie bitte, bis zu meiner Rückkehr alle hier fest. Ich vermute ganz stark, dass die Geiselnehmer Hilfe bei dem Überfall, von einem der Angestellten hatten. Ich bin der Meinung, dass die das nicht zum ersten Mal gemacht haben. Aber das erste Mal dabei erwischt wurden. Es ist einfach zu präzise ausgeführt. Also drückt mir die Daumen, dass es ein schnelles und unblutiges Ende hat."
An Mälzer gewandt, damit dieser das Gefühl des Eingebundenseins bekam und stellte ihm folgende die Forderungen.
"Sir, sie sollten die Teams vom SEK 61 und ihre Leute wie folgt koordinieren. Sie werden die Kollegen als Ablenkung, sichtbar vor der Sparkasse platzieren. Das ermöglicht mir, unbemerkt von hinten an die Sparkasse heranzukommen. Wenn ich John Bescheid gebe, ziehen sie die Leute einfach ab. Vertrauen sie mir einfach. Uns läuft die Zeit weg, ich habe ein ganz ungutes Gefühl bei der Sache und das ist kein gutes Zeichen, Sir."
Mälzer setzte zu einer Frage an. Ich würgte ihn ein weiteres Mal ab.
"Sir, einen Moment bitte, Sir. Rudi, pass auf, es ist folgendes. Wenn ich es nicht in der Sparkasse beenden kann, denke ich werden die Täter versuchen in Richtung Norden aufzubrechen. Frage mich nicht wieso, aber ich liege mit solchen Vermutungen meistens richtig. Das Fluchtfahrzeug, das ihr den Täter zur Verfügung stellt, solltet ihr manipulieren, das macht euch jede Werkstatt, so dass es nach circa fünfzehn Kilometern stehen bleibt. Das müsste reichen, um sie ein Stück von der Stadt wegzubekommen. Auf diese Weise zwingen wir die Täter, von der L2344 weg zu gehen und hinein in die Wälder. Dadurch stellen sie für die Bevölkerung keine Gefahr mehr dar. In welche Richtung ich dann laufe, sage ich John. Sir, so jetzt zu ihnen, was wollten sie fragen, Sir?", wandte ich mich jetzt an Mälzer.
Da ich erst einmal die wichtigen Dinge geklärt haben wollte. Deshalb konnte ich nicht sofort auf dessen Fragen eingehen. Ich ahnte, dass dies wieder einmal nur Fragen sind, die ich ihm nicht bereit war zu erklären. Da er sie jetzt sowieso nicht verstehen würden. Fragen die mich jetzt nur nervten und kostbare Zeit kosteten.
"Leutnant, wie wollen sie mit John sprechen, wenn sie kein Funkgerät dabei haben?"
Jetzt lächelten John und Rudi, ihren Kollegen an. Bevor ich antworten konnte, nahm mir Rudi die Antwort ab, erspart mir so lange Erklärungen
"Peter, das verstehst du nicht. Das verstehen wir ja noch nicht einmal. Akzeptiere es einfach wie es ist, es funktioniert."
Rudi drehte sich zu mir um und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
"Pass auf dich auf, meine Kleene."
Ich nickte und lief los, um mir die Sparkasse aus der Nähe anzusehen. Mälzer sah mir erschrocken nach. Da er nicht wusste, mit was für einer Geschwindigkeit ich laufen konnte. Selbst Rudi guckte erschrocken und sah mir grinsend hinterher. Ihm kam der Gedanke, "Oh mein Gott, da denke ich jedes Mal, ich kenne dich schon ein bisschen. Du aber schaffst es, mich immer wieder zu überraschst. Kannst du schnell laufen, irgendwann muss ich mal messen, wie schnell du wirklich läufst, meine Kleene."
Mälzer war völlig von der Rolle und sah Rudi irritiert an. "Rudi, was ist mit der Kleinen los? Was hat sie für Augen? Wieso läuft sie so schnell? Wieso braucht sie kein Funkgerät? Kein Mensch kann so schnell laufen. Ich verstehe gar nichts mehr."
Rudi jedoch klopfte Mälzer auf die Schulter. "Peter, das glaube ich dir gerne. Aber das machen wir dann. Lass uns erst einmal den Einsatz beenden. Komm uns nächste Woche einfach einmal besuchen. Dann erzähle ich dir einiges oder nach dem Einsatz. Das dauert jetzt einfach zu lange oder rufe Jo mal an, der kann dir auch einiges erklären."
An seine beiden Teams gewandt. "Leute, formiert euch gut sichtbar vor der Sparkasse. Wir müssen für die Kleene eine kleine Ablenkung schaffen. Die Scharfschützen gehen wieder auf eine Position, von der aus sie die Sparkasse gut in Augen behalten können. Max, du bleibst mit John in Verbindung, meldest ihm jede noch so kleine Veränderung die ihr beobachtet. Los Beeilung", trieb Rudi seine Männer an.
Die beiden Geraer Teams führten die Befehle Senders sofort aus. Mälzer war wie es schien, immer noch nicht in der Lage, zu reagieren.
In der Zwischenzeit war ich schon die Straße entlang gelaufen, und zwei Querstraßen vor der Sparkasse. Machte ich einen kleinen Stopp, um mich kurz zu orientieren. Fast sofort fand ich das Gebäude, welches ich suchte, laut Stadtplan ein Fachwerkhaus. Ein unter Denkmalschutz stehendes Haus, was ich dank des Bildes im Stadtplan, sofort erkannte. Dort musste ich vorbei, um in die Seitenstraße zu gelangen, die hinter der Sparkasse entlang führte. Kurze Zeit später, hatte ich die Rückseite der Sparkasse gefunden. Das war leicht, denn die Sparkasse war das einzige Gebäude weit und breit, das ein mit blauen Dachziegeln gedecktes Dach hatte. Dadurch konnte ich es sofort von den anderen Gebäuden unterschieden. Über die Verbindung, nahm ich Kontakt zu John und damit zu den Anderen auf. Diese mussten die Aufmerksamkeit der Täter, an die Vorderfront des Gebäudes binden, um mir einen eventuell Einstieg zu ermöglichen.
"John, ich bin jetzt hinter der Sparkasse. Versucht bitte vor der Sparkasse für etwas Ablenkung zu sorgen. Eine kleine Kampelei, von einem Polizisten, der auf die Sparkasse zugehen will. Oder ein Zivilist der unbedingt in die Sparkasse will und von euch jedoch zurück gehalten wird. Irgendetwas in der Art. Ich gehe, sobald du mir Bescheid gibst, über die Mauer", informierte ich ihn in Gedanken.
"Geht klar, wie lange brauchst du Ablenkung?", fragte er gleich nach.
"Ich melde mich, sobald ich drin bin", gab ich sofort zur Antwort.
Ein Sprung nach oben und ich hielt mich an der fast zwölf Meter hohen Mauerkante fest. Vorsichtig zog ich mich nach oben und sah über die Maue. Verdammt, die gesamte Mauerkannte war mit Glassplittern und Stacheldraht gegen Übersteigen gesichert. Ich musste also vorsichtig sein. Ich drückte mich nach oben und stellte mich auf die Schuhspitzen. Wieder einmal hasste ich es Schuhe tragen zu müssen. Barfuß war das um vieles einfacher und vor allem sicherer, da man wesentlich mehr Gefühl in den Füßen hatte. Aber Jammern half nun mal nichts, ich würde einfach mal mit Rudi und Jo über dieses Problem in Ruhe reden müssen. Ich hockte mich auf den Rand der Mauer und sah mich um. Der Hof war vollkommen frei. Manchmal verstand ich die Täter nicht, wieso gingen sie so ein Risiko ein. Mit einer Leiter wäre auch jeder Kollege hier über die Mauer gekommen. Aber für mich war es gut. Also stand ich auf und sprang mit einem Salto, über die mit Stacheldrahtschlaufen gesicherte Mauerkrone, in den Hof. Ich hatte großes Glück die Hintertür stand sperrangelweit offen. Auch war sie vollkommen unbewacht. So konnte ich mich unbeobachtet in die Sparkasse hinein schleichen.
"John, ich bin in der Sparkasse. Sorgt vorne, bitte noch etwas für Ablenkung, damit ich mich in Ruhe umsehen kann", bat ich John, das Ablenkungsmanöver weiter zu führen.
Vor allem um Rudi und Mälzer von meinem Vorhaben zu informieren. Langsam auf jedes Geräusch achtend, lief ich durch die Räume der Sparkassen, um alles zu kontrollieren. Es war sicherer diese Kontrollen durchzuführen, um nicht vielleicht später jemanden im Rücken zu haben. Kam an drei leeren Büroräumen vorbei und auch die Toilette schien leer zu sein. Ich horchte nur kurz in jeden Raum hinein. Da ich keinerlei Atemgeräusche oder sonstige Geräusche wahrnahm, ging ich zum nächten Raum. Ich hatten einfach nicht die Zeit, um jeden einzelnen Raum zu untersuche. Da ich aber ein sehr feines Gehör hatte, nahm ich im Gegensatz zu normalen Menschen, sogar den Herzschlag von anderen Menschen wahr, wenn ich mich auf mein Gehör konzentrierte. Dies ersparte mir oft sehr viel Zeit und war genauso gut wie ein Durchsuchen der Räume. Erleichtert, dass sich hier hinten niemand aufhielt, ging ich weiter. Wahrscheinlich hatte man alle Mitarbeiter, nach vorn, in den Kassenraum gezwungen. Jedenfalls hätte ich das so gehandhabt, wenn ich mit zwei Personen, so viele Leute bewachen müsste. Dass war gut, auf diese Weise hatte ich alle, die Täter und die Geiseln in einem Raum. Nach nur zwei Minuten, war ich an der Verbindungstür und ging in die Wand. Lief an der Wand nach oben, an die Decke und sah durch das Oberlicht, einem kleinen Fenster, über der Tür.
"John hier sind, wenn ich alle gesehen habe nur neun Geiseln und zwei Täter. Es fehlt jemand. Könnt ihr von draußen, mehr zählen? Vielleicht liegt einer der Geiseln am Boden? So dass ich sie, aus meinem Blickwinkel nicht sehen kann. Sage bitten den Scharfschützen Bescheid, die sollen durchs Zielfernrohr suchen und zählen", gab ich klare Befehle, die John weiter vermitteln musste.
Kurze Zeit später kam Johns Antwort. "Die können auch alle, nur elf Personen zählen."
"Verdammt, dann muss ich auf Suche gehen. Geht klar John."
Nochmals ging ich nach hinten und durchsuchte alle Büros. Ob sich vielleicht jemand in einen der Schränke oder unter einem Schreibtisch versteckt hatte. Ich wunderte mich, denn normaler Weise hätte ich das hören müssen. Ging zum Schluss auch noch einmal den Raum mit den Toiletten. Dort fand ich die fehlende Person in einer der Kabinen, in die ich vorhin nicht hinein gesehen hatte. Mit meinen Ohren war alles in Ordnung, ich hatte nichts überhört. Die Geisel lag tot die Wand gelehnt, wie weggeschmissen. Die Frau wurde regelrecht hingerichtet, getötet durch einen Messerstich mitten ins Herz.
"Verdammter Mist", entfuhr es mir.
Genau untersuchte ich die Tode, aber ich konnte nichts mehr für sie tun. Ein zurückholen war nicht mehr möglich, dazu war sie einfach schon zu lange tot.
John erschrak, das merkte ich. "Was ist los, Mäuschen?"
Ich musste also vorsichtig sein, mit diesen Leuten war nicht zu spaßen. "John, es handelt sich jetzt, um Raubmord. Wir haben hier eine Leiche, ca. vier Stunden tot. Warum haben die uns nicht schon eher geholt, verdammt nochmal. Ich kann leider nichts mehr, für die Frau tun. Die haben sie eiskalt hingerichtet. Ein Messerstich direkt ins Herzen. Die Geisel war auf der Stelle tot. Wir müssen vorsichtig sein, sonst gibt es noch mehr Tode. Die haben nichts mehr zu verlieren."
Eine Weile war Ruhe, da ich überlegen musste wie ich weiter vorgehen wollte. Das Risiko das den Geiseln jetzt noch etwas zustoßen könnte, war enorm hoch.
"John, ihr zieht euch sofort zurück. Gebt mir einen Moment, ich muss mich auf diese neue Situation einstellen und alles um planen. Ich melde mich gleich wieder. Es ist zu gefährlich die Leute zu provozieren. Eine Leiche, ist schon eine zu viel. Zieht euch sofort zurück", befahl ich ziemlich genervt.
Weil ich solche Situationen überhaupt nicht mochte. Eine Weile überlegte ich, wie ich diese Situation ohne zusätzliches Risiko für die Geiseln beenden konnte. Das Schlimme an solchen Situationen war, dass du in dem Moment in dem es schon einen Toten gab, nichts mehr vorausplanen konntest. Es lief dann meistens alles aus den Rudern. Die Täter hatten einfach nichts mehr zu verlieren. Auf diese Täter wartete immer die Höchststrafe. Es ging nichts über Lebenslänglich, egal wie viele Tote es gab. Dadurch spielte für die Täter keine Rolle mehr, wie viele Menschen sie umbrachten. Die Täter verloren in diesem Moment alle Hemmungen. Nichts lief dann mehr nach dem Schema F ab. Diese Leute waren im Falle eines Raubmordes nicht mehr kontrollierbar. Kurz ging ich alles noch einmal durch, was ich im Dossier über die Täter gelesen hatte. Entschied mich gegen meine erste Taktik, es war einfach zu riskant hier auf Risiko zu gehen. Noch dazu, weil ich nicht wusste, wer der Komplize der Beiden war und wie diese drei Täter bei einer Provokation reagieren würden. Kurz entschlossen machte ich mir einen neuen Plan zurecht, der für die Geiseln, dass geringste Risiko hatten. So informierte ich auch die Kollegen.
"John, ihr mischt euch hier nicht mehr ein. Das ist mir einfach zu riskant. Ich sehe zu, dass ich das hier auf meine Weise beende. Geh aber bitte mal zu Rudi, er soll die Scharfschützen zusammentrommeln und das ein bissel Dalli, wenn ich bitten darf. Sag mir Bescheid, wenn ihr die Jungs auf einen Haufen habt. Dann erkläre ich euch, wie wir vorgehen. Ohne zusätzliches Risiko für die Geiseln", es vergingen keine drei Minuten und ich bekam die Rückmeldung von John.
"Kahlyn, sie sind alle hier."
"John, wer von euren Scharfschützen ist der sicherste Schütze?"
Wieder dauerte es eine Minute bis dessen Antwort kam. Ich musste unbedingt mal einen Härtetest mit den Jungs machen, damit ich meine Leute selber besser einschätzen konnte. Darüber musste ich mit Rudi reden, dies alles dauerte mir einfach zu lange und kostete unnötige Zeit.
"Mäuschen, Acar ist der Beste. Dann Sep, Tom, Max, Fran, Sven, Basti, in der Reihenfolge. Obwohl sie alle sehr gut sind."
Einen Moment überlegte ich. "Pass auf, wir machen es wie folgt. Den Täter, der in der Nähe des Fensters steht, soll Acar ins Visier nehmen. Nur im äußersten Notfall schießen, wenn dieser für die Geiseln gefährlich wird. Sep, Tom, Max, Fran, Sven und Basti sollen nur beobachten. Die sollen dir jede noch so unbedeutende Veränderung im Verhalten der Täter und vor allem der Geiseln mitteilen. John, du musst mir nichts sagen, ich höre alles, was du hörst und sehe alles, was du siehst. Also gucke genau hin und höre genau zu. Sage allen, ab diesen Moment keine privaten Gespräche mehr. Dass könnt ihr dann machen, die Geiseln sind erst einmal wichtiger. Komplette Ruhe für alle Teams."
"Geht klar Kahlyn. Ich soll dich Fragen, was du vor hast."
Ich wusste es selber noch nicht genau. "Moment." Langsam ging ich nach vorn an die Zwischentür. Sprang in die Wand und lief nach oben zum Oberlicht. Nach dem ich die Lage sondiert hatte, ging ich ein Stück zurück und hockte mich auf den Boden in einem Büro. Ich musste in Ruhe nachdenken, denn bei einer falschen Entscheidung, lief mir alles aus dem Ruder. Plötzlich kam mir eine Idee. Ich überlegte mir, dass es so am besten ohne zusätzliches Risiko durchführbar war.
"Pass auf. Acar, soll den Täter am Fenster ausschalten, falls es zu einem Kampf kommt. Ich versuche einen kleinen Trick. Du weißt doch, dass ich mich an die Decke kleben kann. Das werde ich jetzt machen. Ich ziehe so die Aufmerksamkeit nach hinten, in dem ich die Tür öffne. Wenn da keiner rauskommt, werden die nachsehen wollen, was da los ist. Die wissen ja, dass hier hinten jemand liegt. Die denken dann bestimmt, dass die Frau vielleicht doch nicht tot war. Also kommt mindestens einer der Täter nach hinten, um nachzusehen. Ich hoffe dadurch, werden die auch ihren Komplizen verraten. Einer kann nicht auf neun Geiseln aufpassen. Sie werden sich eine Hilfe, dazu holen müssen. Die anderen sollen beobachten, was geschieht. Sag mir einfach, was sie sehen. Drück mir die Daumen, dass es klappt."
Langsam ging ich an die Tür, sprang hoch in die Wand und sah nochmals durchs Oberlicht. Der mir am nächsten stehende Täter stand auf einmal vollkommen frei, keine zwei Meter von mir entfernt.
"Warte John", Erleichterung macht sich in mir breit und ich atmete auf. "Ich glaube uns ist das Glück hold."
Zwischen den beiden, war eine Entfernung von nicht mal zehn Metern. Das war die Gelegenheit erklärte John kurz und bündig in der Hoffnung, dass er schnell handelte und die Informationen schnell an die anderen weiter gab. "John, informiere alle zeitgleich mit dem Zuhören. Also ganz kurz, ich schalte jetzt beide aus, keiner von euch schießt, sonst trefft ihr vielleicht eine der Geiseln."
Gleichzeitig ging ich aus der Wand und öffnete die Tür. Sprintete einfach in den Kundenraum herein. Ein kurzer Griff in die Schultermuskulatur des Täters und die andere Hand von hinten auf dessen Mund, schon ging dieser bewusstlos in die Knie. Eine weiterer kurzer Sprint, der keine zwei Sekunden dauerte, auf den zweiten Täter zu, der das Gewehr auf mich richtete, weil er eine Bewegung sah und ich schlug dieses, nach oben weg. Ein Griff in die Schulter und schon schlief auch dieser. Aus dem Augenwinkel heraus sah ich eine Bewegung in den Reihen der Geisel. Eine Frau sprang auf und wollte dem Geiselnehmer zu Hilfe eilen. Die Komplizin griff also in das Geschehen ein und wollte ihren Freund unterstützen. Ich blockte den Schlag mit der rechten Elle ab, rutschte mit der Hand an deren Arm zum Handgelenk. Ergriff dieses, fasste mit der linken Hand, über deren Arm und trat mit den linken Fuß gegen das rechte Knie der Frau, gleichzeitig umfasste ich ihr Gesicht und zog sie dadurch nach hinten weg und brachte sie zu Fall. Drehte sie aus der Bewegung heraus auf den Bauch und fixierte sie so mit Handschellen. Sofort, bekamen auch die anderen beiden Täter die Handschellen umgelegt, so dass sie fixiert waren.
"John, ihr könnt herkommen", teile ich meinem Freund erleichtert mit.
Ich war froh, dass alles so gut und glimpflich ausgegangen war. Rudi und Mälzer kamen mit den Kollegen zusammen im Laufschritt auf die Sparkasse zugelaufen, um sich der Geiseln anzunehmen. Ich schloss die Sparkasse auf und ließ die Kollegen ein. Nach dem Rudi und Mälzer auf mich zu gelaufen kamen, machte ich ordnungsgemäß Meldung. Ich griff gewohnheitsgemäß nach dem Handgelenk, des Haupteinsatzleiters, in dem Fall von Mälzer.
"Sir, es ist jetzt 0 Uhr 9, Einsatz erfolgreich beendet, Sir. Keine durch den Einsatz verursachte Verluste, Sir. Eine Tote, liegt hinten in der Toilette. Informieren sie bitte die Spurensicherung, dass ich die Leiche berührt habe. Ich wollte sehen, ob ich ihr noch helfen kann. Leider ist die Geisel, seit mindestens vier Stunden Tod, Sir."
An Rudi gewandt. "Rudi, kann mir bitte jemand den Medi-Koffer bringen? Ich möchte die Geiseln auf Verletzungen untersuchen und ihnen etwas geben, gegen die Aufregung."
Fran kam auf mich zugelaufen und brachte mir schon den Medi-Koffer. Verwundert sah ich ihn an, aber ich war dankbar, dass er mitgedacht hatte.
"Danke Fran", sofort lief ich zu einem der Pulte, stellte den Medi-Koffer darauf und öffnete ihn. "Bitte Leute, drei von Euch kümmern sich um die Täter, die anderen bringen mir bitte, einzeln die Geiseln zur Untersuchung."
Ohne Verzögerung begann ich die einzelnen Personen zu untersuchen. Als Mälzer etwas sagen wollte, schüttelte Rudi den Kopf. Deshalb ließ der Einsatzleiter seine Einwände stecken und machte sich lieber nützlich, in dem er sich um die Geiseln kümmerte. Ich war Rudi dankbar dafür. Nacheinander, brachte man mir alle Geiseln, fast alle hatten leichte Verletzungen erlitten. Die Täter waren hier sehr brutal vorgegangen, zum Glück war aber nur eine Geisel dabei, die sehr schwer verletzt. Dieser Mann hatte schlimme Verletzungen im Gesicht und eine Stichwunde im Bauchbereich, die ich erst einmal notdürftig versorgte.
"Sir, bitte setzen sie sich dort auf die Bank, warten sie einen kleinen Moment. Ich möchte erst noch die anderen versorgen. Dann kümmere ich mich ganz speziell um ihre Verletzungen, Sir."
Völlig desorientiert, nickte der Mann. Ich war mir nicht sicher, dass er überhaupt registriert hatte, was ich zu ihm gesagt hatte. Deshalb wandte ich mich an einen in meiner Nähe stehenden Kollegen. Da ich dafür sorgen musste, dass man sich intensiv, um den unter Schock stehenden Mann kümmerte.
"Wolle, sei so lieb und setze dich mit dem Mann auf eine der Bänke. Ich kümmere mich dann sofort um ihn, ich will erst die anderen versorgen. Bei ihm dauert die Versorgung länger. Er ist aber nicht in Lebensgefahr."
"Geht klar, Kahlyn", erwiderte Wolle und nahm den Mann an den Schultern.
Vorsichtig führte er den Mann zu einer Bank und redete beruhigend auf ihn ein. Nach zehn Minuten waren alle versorgt und hatten von mir auch alle eine Spritze, mit einer Einheit N93 bekommen, um den Nachwirkungen der Geiselnahme entgegen zu wirken. Auch die drei Täter hatte ich auf Verletzungen kontrolliert. Die hatte aber keine Verletzungen die ich sofort behandeln musste, das konnten die Haftärzte später machen. Eine der Mitarbeiterinnen der Sparkassenfiliale fragte ich.
"Mam, gibt es hier einen Raum der fast dunkel ist, Mam?"
Völlig durcheinander nickte diese stumm, nicht fähig auch nur ein Wort zu sagen.
"Mam, können sie mir bitte zeigen, wo dieser Raum ist? Ich möchte die Verletzungen des Mannes noch versorgen, dazu brauche ich Dunkelheit, Mam."
"Wieso?", kam die Frage, die mir so oft und wohl immer wieder gestellt werden würde.
"Mam, mir tut das Licht in den Augen weh. Ich muss aber die Brille abnehmen, um den Mann richtig versorgen zu können", erklärte ich ihr nur knapp. "Die können gern dabei bleiben. Wenn sie Angst um den Mann haben, Mam."
Die Sparkassen angestellte nickte. Damit wandte ich mich an meine Kollegen, deren Hilfe ich in Anspruch nehmen musste. Da das eine Arbeit war, die auch andere durchführen konnte. Ich brauchte einfach eine kleine Pause.
"Wolle kommt ihr bitte mit. Sep, du holst eine Decke, dann hilfst du Wolle. Der Mann kann kaum noch laufen. Danke", gab ich klare Anweisungen, an die Kollegen.
"Rudi, kannst du, bevor wir nach hinten gehen, Fotos machen, für die Staatsanwaltschaft. Damit ich den Mann versorgen kann."
Rudi nickte, auch wenn er nicht sofort verstand, was ich von ihm wollte und ging zu unseren Bus. Fran hatte diesen in der Zwischenzeit vor die Sparkasse gefahren. Rudi holte eine Kamera und machte Bilder von den Verletzungen, nach dem ich den Notverband kurz geöffnet hatte. Die Aufnahmen von der Stichverletzung, aber auch vom Gesicht des Mannes, dienten als Beweismittel vor Gericht. Danach führten wir die männliche Geisel, nach hinten in das Archiv der Sparkasse. Wir mussten ihn stützen, da er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, vor Schmerzen, Auf mein Bitten hin, legten Sep und Wolle, den Mann auf eine Decke am Boden. Sofort bereitete ich eine Injektion N91 vor, die ich ja erhitzen musste und wandte mich an den völlig zerschlagen Mann.
"Sir, könne sie mir sagen wie sie heißen, Sir", versuchte ich ihn etwas abzulenken, von seinem Trauma und vor allen von seinen Schmerzen.
"Volker Riedel", antwortete er mir kaum hörbar mit einem Zittern in der Stimme, in der pure Angst mitklang.
Das Gefühl der Angst konnte ich voll und ganz nachvollziehen und versuchte ihn deshalb zu beruhigen und ihm diese Angst zu nehmen. Damit er wusste, dass ihm nichts Schlimmes geschah und was das alles sollte.
"Sir, darf ich sie Volker nennen? Sie müssen sich nicht fürchten. Ich bin die Kahlyn. Ich bin Polizistin und ausgebildete Ärztin, Sir", versuchte ich Vertrauen aufzubauen, in dem ich mich vorstellte und ihm erklärte, dass ich ihm nur helfen wollte. "Volker, ich möchte ihre Wunden versorgen, bitte vertrauen sie mir. Dann geht es ihnen bald besser, Sir."
In Gedanken, rief ich John zu mir, denn so konnte ich nicht arbeiten. Volker Riedel war so voller Furcht und stand vor allem noch so unter Schock, dass ich mit Gegenwehr von ihm rechnen musste. Außerdem brauchte ich für mich, einen Schutz. Eine Person, der ich voll und ganz vertrauen konnte. Deshalb bat ich John um Hilfe. Ich würde bei der Geisel sehr weit gehen müssen, denn die Täter hatten ihm ganz schön zugesetzt. Ich wollte aber, dass er im Nachhinein, keine bleibenden Schäden zurück behielt. Er hatte genug durchgemacht und musste sich nicht tagtäglich daran erinnern.
"John, ich bräuchte dich bitte im Archiv, du musst mir dann helfen bitte."
"Geht klar Mäuschen, ich bin gleich da."
Volker Riedel nickte. Aber man sah ihm an, dass ihm nicht wohl bei der Sache war. Auch die Kollegin der Sparkasse, die uns ins Archiv gebracht hatte, sah mich ängstlich an.
"Volker, bitten haben sie keine Angst. Wir mache folgendes. Mein Kollege der jetzt jeden Moment kommt, wird sie halten, während dessen ich ihre Stichwunde versorge. Ich helfe ihnen, dass sie nicht so viel Schmerzen haben. Danach werden sie leider, ein paar Tage Kopfweh bekommen, dagegen spritze ich ihnen aber etwas. Dann wird mein Kollege ihren Kopf etwas festhalten. Ich möchte auch die Verletzungen, die ihnen diese Unmenschen im Gesicht zugefügt haben, beseitigen. Sonst bleibt ihr ganzes Gesicht verschoben, sie behalten außerdem schlimme Narben im Gesicht. Darf ich das für sie tun, Volker?"
Wieder nickte Volker ohne auch nur ein Wort zu sagen. Er stand wohl noch schlimmer unter Schock, als ich erst dachte. In diesem Moment kam John ins Archiv. Ich wandte mich ihm zu, denn die Geisel war nicht wirklich ansprechbar.
"John, das hier ist Volker Riedel. Die Täter haben ihm böse mitgespielt, würdest du bitte seinen Kopf halte?"
John sah erschrocken zu der Geisel, die schlimm zugerichtet war.
"John am besten kniest du dich hin und ziehst Volker auf deine Knie. John, ich werde Volker jetzt schlafen legen, um seine Stichverletzung zu versorgen und den Bruch des Jochbeines und des Unterkiefers zu korrigieren. Das kann ich bei ihm nicht vollem Bewusstsein machen. Das geht bei euch nicht, danach gebe ich ihm, eine Injektion gegen die Kopfschmerzen. Wenn ich damit fertig bin, fange ich das Krantonak an, um die Verletzungen im Gesicht zu beseitigen. Sep, du gehst bitte an den Lichtschalter. Alle bleiben auf ihren Plätzen. Ihr könnt nicht, wie ich im Dunkeln sehen. Wolle halte du bitte seine Arme fest, ich kann keine Abwehrreaktion gebrauche und ich habe keine Ahnung ob ich im Zeitfenster bleibe. Ich will Volker aber nicht zweimal schlafen legen. Ihr müsst also richtig festhalten."
An die Sparkassenmitarbeiterin gewandt. "Mam, darf ich sie auch nach ihren Namen fragen, Mam."
Die Frau sah mich ängstlich an, hatte bis jetzt aber geschwiegen. "Ich heiße Sabine, Sabine Müller."
"Sabine, würden sie Volker bitte die Beine festhalte. Ich kann bei dem, was ich tue, keine Abwehrreaktionen gebrauche."
"Ja, das kann ich machen. Aber, was machen sie mit Volker und tun sie ihm bitte nicht auch noch weh", flehte sie mich ängstlich an.
Ich zeigte ihr wie sei die Beine festhalten sollte, auch Wolle zeigte ich wie er Volker halten musste damit ich arbeiten konnte.
"Das erkläre ich euch alles gleich. Sep machst du bitte das Licht aus, bleibe am Schalter stehen."
Sofort wurde es dunkel.
"Erschrecken sie jetzt bitte nicht. Ich habe andere Augen als sie", sagte ich den beiden, mir völlig fremden Personen.
Daraufhin setzte ich die Brille ab. Die Beiden standen wirklich unter einem schweren Schock, denn sie reagierten überhaupt nicht auf meine Augen. Na ja ich würde ihnen dann etwas spritzen, dann würde es bald besser werden. Schnell erhitzte ich die aufgezogene Injektion und lege sie zum Abkühlen in den Ampullen-Koffer, ebenfalls das B23.
"Volker, was ich jetzt mit ihnen mache, tut nicht weh, es sieht nur komisch aus. Also erschrecken sie nicht, wenn sie wieder zu sich kommen. Ich weiß nicht, ob ich alles in dreizehn Minuten richten kann. John halte Volker richtig fest."
Vorsichtig streichelte ich Volker am Hals entlang und legte ihn mit einem Griff in den Nacken schlafen. Nachdem ich kontrolliert hatte, das keine Organe geschädigt wurden oder Arterien, er hatte verdammt großes Glück, verklebte ich die Stichverletzung und die tiefe stark blutende Wunde sorgfältig. Dann machte ich einen Schnitt im Gesicht, um den Jochbeinbruch zu richten. Sonst würde es nach dem Verwachsen des Bruches, zu einer Entstellung des Gesichtes kommen. Das Gleiche machte ich auch am Unterkiefer. Durch einen harten Schlag gegen den Unterkiefer war dieser kurz unterhalb des Gelenkkopfes gebrochen. Wenn das nicht richtig zusammenwuchs, würde Volker für den Rest seines Lebens Probleme beim Kauen und vor allem schlimme Schmerzen haben, das musste ich unbedingt verhindern. Auch diese Wunde klebe ich. Versorgte und säuberte ihm Anschluss noch die Platzwunden im Gesicht. Damit fertig spritzte ich dem noch Schlafenden das B23, ein Schmerzmittel mit Langzeitwirkung. Nahm sein Gesicht in meine Hände und begann zügig mit den Krantonak, um die schlimmen Schlagverletzungen, den Bruch des Jochbeines und Unterkiefers, den Schnitt und die Platzwunden auszuheilen. Er würde tüchtig blau im Gesicht werden, aber dagegen konnte er die Hämlo-Salbe bekommen. Wichtig war nur, dass die Brüche im Gesicht richtig auszuheilen, vor allem die schlimmen Platzwunden, die selbst nach dem Nähen noch schlimme Narben bilden würden. Schlimmer noch als die Narbe die Ronny in seinem Gesicht hatte. Nach fünfundfünfzig Minuten hatte ich die schlimmsten Verletzungen beseitig. Vorsichtig, drang ich in sein Bewusstsein ein, um die Auswirkungen der Tat auf seine Psyche abzuschwächen, soweit ich das machen konnte. Leider durfte ich diese Erinnerungen ja nicht blockieren. Volker Riedel würde bei der Verhandlung als Zeuge aussagen müssen. Durch das Krantonak, stärkte ich allerdings sein Selbstbewusstsein und die Fähigkeit zu schlafen. Mehr konnte ich leider nicht für ihn tun. Zusätzlich gab ich ihm noch die Injektion mit N91, was die Täter mit ihm abgezogen hatten, war ganz schön heftig gewesen.
"Ihr könnt das Licht wieder anmachen. John halte mich bitte zehn Minuten", konnte ich ihm gerade noch in der Verbindung sagen, schon kippe ich zur Seite weg.
Ganze fünfunddreißig Minuten dauerte es allerdings, bis ich endlich wieder zu mir kam, aber mir ging es überhaupt nicht gut. John hielt mich im Arm. Volker, Sabine, Wolle und Sep hockten entsetzt, neben mir. Langsam atmete ich durch.
"Mäuschen, warum machst du das? Dir geht es doch immer noch nicht gut. Irgendwann stirbst du mal dabei."
Mühsam schüttelte ich den Kopf. "Schon gut John, so schnell sterbe ich nicht. Helfe mir auf. Keine Diskussionen jetzt, dazu habe ich keine Kraft", antwortete ich in der Verbindung. Da ich einfach nicht sprechen konnte. John stand auf und zog mich auf die Beine. Schwankend stand ich da, mich mit den Händen an die Wand abstützend und atmete mich in das Taiji, endlich wurde mir besser.
"Volker, geht es ihnen wieder etwas besser?", intensiv mustere ich, die männliche Geisel.
"Danke, es geht mir wieder besser. Vor allem sind diese schlimmen Schmerzen weg. Aber was war mit ihnen junge Frau. Ich hatte eben eine Heidenangst, um sie gehabt", wandte er sich schockiert an mich.
"Ach, das ist nicht schlimm, Volker. Das passiert jedes Mal. Machen sie sich keine Sorgen. Mir geht es gut", schwächte ich seine Sorgen ab.
Entschlossen hockte ich mich neben den Medi-Koffer und zog für die beiden Geiseln, noch Injektionen mit dem N93 auf, das Mittel, das ich den Jungs in der Wache gegeben hatte.
"Sabine, Volker, ich gebe ihnen beiden, jetzt noch eine Spritze. Die ist dazu gedacht, dass ihnen dieser Alptraum nicht zu sehr zu schaffen macht. Damit es besser wirkt, spritze ich ihnen das in die Halsschlagader, dadurch wirkt es einfach schneller. Darf ich das noch für sie tun?"
Beide Geiseln nickten.
Sofort gab ich ihnen die Injektion. "Volker, ich gebe ihnen hier noch eine Salbe mit, die tragen sie dreimal am Tag auf die Blutergüsse in ihrem Gesicht auf, dagegen kann ich leider nichts tun. Bitte legen sie sich dann unbedingt hin, die eine Spritze die ich ihnen gegeben habe, macht müde. Sie müssen unbedingt schlafen und sich von der Operation erholen. Auch wenn es ihnen im Moment gut geht." Ich reichte ich ihm eine kleine Dose.
"Vielen Dank, für alles junge Frau", bedankte sich Volker.
Er klang viel besser als vor ein paar Minuten und wollte auf mich zukommen, um mich zu umarmen. John jedoch hielt ihn zurück und schüttelte leicht den Kopf. Mit einer letzten Bitte, wandte ich mich noch an unsere Jungs.
"John, kümmert ihr euch bitte, um die Geiseln? Beide sollten zur Überwachung in eine Klinik gebracht werden. Ich möchte in den Bus. Ich muss unbedingt etwas schlafen. Mir geht es gerade nicht so gut. Bitte, keine Diskussionen", unterband ich gleich alle Versuche, die John unternehmen wollte.
Der Hunger in Kombination mit dem Krantonak, tat mir nicht gut. Ich brauchte Ruhe und wollte nur in den Bus, um etwas zu schlafen. Spätestens nach einer Stunde, würde es mir wieder etwas besser gehen. Aber ich hatte keine Lust erst eine Stunde lang zu diskutieren. Ich wusste genau, wie es um meine Gesundheit bestellt war. Mein Bedarf an Diskussionen, war für die nächsten hundert Jahre gedeckt. John sah wohl an meiner gesamten Haltung, dass er lieber ruhig sein sollte und unterband auch bei den anderen diese Diskussion. John nickte und sah mich traurig an. In Gedanken fragt er mich.
"Mäuschen alles in Ordnung mit dir?"
Ich antwortete ihm auf die gleiche Weise. "Ja John, es ist alles in Ordnung. Nur das Krantonak war sehr anstrengend und ich habe keine Reserven mehr. Tut mir leid. Ich bin schon wieder weit, über meine Grenze gegangen. Ich muss zur Ruhe kommen bitte. Wecke mich, wenn wir in der Wache sind. Bringst du meine Medi-Koffer mit. Bitte, ich kann nicht mehr. Denke bitte daran, Sabine und Volker, sollte unbedingt in ein Krankenhaus zur Beobachtung, genau wie die anderen Geiseln, bitte kümmere dich darum."
"Geht klar Kahlyn."
Damit verließ ich das Archiv und überließ meinen Kollegen die Betreuung der Geiseln. Im Gang blieb ich einen Moment schwer atmend stehen, bis sich mein Herzschlag beruhigt hatte. Ging dann zielstrebig nach vorn, zu den anderen. Dort standen Mälzer und Rudi, in eine heiße Diskussion vertieft. Auf die beiden Einsatzleiter lief ich zu. Mälzer ignorierte ich einfach und wandte mich direkt an meinen Vorgesetzten, nämlich an Rudi.
"Rudi, wenn du mich nicht mehr brauchst, würde ich gern in den Bus gehen. Mir geht es nicht besonders gut."
Als Rudi sah wie weiß ich im Gesicht war und dass ich unsicher stand, willigte er sofort ein. "Leg dich hin Kleene, hast du dich schon wieder übernommen?"
Ich rieb mir müde das Gesicht, nickte dann aber. "Rudi, ich habe keine Reserven mehr, tut mir leid. Aber es ist nichts Schlimmes. Ich brauche einfach nur Ruhe. Weckt mich, wenn ihr in der Wache seid oder wenn ihr mich sonst noch braucht."
Mit diesen Worten verließ ich die Sparkasse und stieg in den Bus. Rollte mich kaum, dass ich auf meinem Platz saß, zusammen. Aber ich konnte nicht schlafen, da ich mich nicht sicher fühlte.
John kam nur fünf Minuten später, ebenfalls in den Bus. Griff sich oben aus der Ablage ein der Notfalldecken und deckte diese über mich. Eine Weile sah er mich an, setzte sich neben mich und sprach mich an.
"Rudi hat gesagt, ich soll dir beim Schlafen helfen."
Erleichtert atmete ich auf. "Danke John."
John zog mich einfach in seine Arme. Keine drei Atemzüge später schlief ich tief und fest. Nach einer Erholungsphase von fast einer Stunde, wachte ich erholt auf.
"Danke John, das habe ich jetzt gebraucht. Verdammt, ich bin sowas von fertig. So fertig war ich lange nicht mehr. Ich muss unbedingt etwas essen, damit ich wieder richtig zu Kräften komme", flüsterte ich meinem Freund zu.
John streichelte mir das Gesicht.
"Wie geht es dir eigentlich John?" Wollte ich von ihm wissen.
"Mir geht es gut. Seit dem Ramira ihre hysterischen Anfälle nicht mehr hat, kann ich mich zu Hause richtig erholen. Weißt du Mäuschen, die Kleine ist richtig aufgeblüht und Carmen ist überglücklich. Du kannst dir nicht vorstellen wie schön es wieder zu Hause ist. Wir lachen wieder und rennen herum. Keine Tränen mehr und keine Panik mehr. Es ist einfach schön."
Ich lächelte ihm wissend zu. Schließlich wusste ich nur zu genau, wie es sich anfühlte, nichts zu sehen. Das sagte ich in Gedanken auch, zu John.
"Weißt du John, vor über fünfzehn Jahren, wurden uns die Schutzhäute über den Augen entfernt. Die bei uns eine Art Filter darstellten. Seit dem müssen wir immer diese Brillen tragen. Allerdings hatten wir die ganz am Anfang nicht. Da hatten wir nur ganz einfache Tücher. Erst Doko Jacob entwickelte einige Zeit später unsere Bänder und lange Zeit später diese Brillen. Beides ist der einzige Schutz den wir vor dem Licht haben. Die Tücher sehen halt komisch aus, wenn wir die um haben. Deshalb bekamen wir von Mayer gestattet, diese Sonnenbrillen mit einem Rundumschutz, zu tragen. So dass die gesamte Brille direkt auf der Haut sitzt und auch von den Seiten kein Licht mehr in das Auge fallen kann. Wenn wir damals, also kurz nach der Operation, aus unserem Raum heraus mussten, sind wir immer durch die Hölle gegangen. Obwohl bei uns nur eine Notbeleuchtung brannte. Trotz der Tücher die wir hatten, gingen wir jedes Mal durch die Hölle. Die Schmerzen waren nicht das Schlimmste, sondern die Tatsache, dass wir vollkommen blind waren. Ich weiß also wie Ramira sich gefühlt haben muss." Traurig sah ich zu ihm hoch. "John, das hättest du schon viel eher haben können, wenn du mit mir geredet hättest. Ach lassen wir das. Von hätte, können oder sollen, wird es nicht besser. Ich hoffe du vertraust mir jetzt immer. Sag mal, wo sind die anderen eigentlich? Betreut ihr immer noch die Geiseln?", wollte ich jetzt wissen.
John schüttelte den Kopf. "Nein Mäuschen, die sind drinnen in der Wache und reden mit Mälzer und den Jungs. Komm doch auch ein bissel mit rein. Ich würde auch gern noch ein wenig mit den Jungs reden. Viele von uns haben selber auf der Wache hier gedient. Es ist die Wache, in der Jo und Rudi als Frischlinge angefangen haben. Genau wie ich."
Ich nickte, verlegen sah ich auf meine Füße. Verdammt, wo hatte ich schon wieder meine Schuhe gelassen. John der meinem Blick gefolgt war, fing schallend an zu lachen.
"Ach Mäuschen, sind deine Schuhe schon wieder weg?"
Ich nickte betrübt und zuckte dann mit den Schultern. "Komm, gehen wir rein. Damit du auch noch mit deinen Jungs reden kannst", sagte ich einfach, um von meinen Schuhe abzulenken.
Denn daran konnte ich ja nichts ändern, die waren halt wieder einmal weg. John stand auf und wir stiegen aus dem Bus. Ich folgte ihm in die Wache, in der er sich wirklich gut auskannte. Dort wurde ich gleich begrüßt. Rudi kam, kaum dass sich die Tür geöffnet hatte, auf mich zugestürmt.
"Na meine Kleene, geht es dir wieder besser?" Intensiv musterte er mich.
Ich guckte verlegen. "Ja Rudi, der Schlaf hat es gerichtet. Aber ich habe ein Problem", verlegen sah ich auf meine Füße.
Rudi folgte meinem Blick und begann schallend zu lachen. "Siehst du Peter, ich hab dir doch gesagt, die Schuhe in der Sparkasse gehören bestimmt Kahlyn. Recht hatte ich."
"Sag nur, du hast meine Schuhe gefunden?", erstaunt sah ich Rudi an, der lachend zum Tisch ging und unter seinen Stuhl griff.
"Guck mal sind das dein Schuhe?", schmunzelnd hielt er mir meine Schuhe hin.
Ich lachte mit und nickte erleichtert.
"Hier meine Kleene. Es ist aber auch schlimm mit dir."
Ich zuckte mit den Schultern. "Es ist immer das Gleiche mit mir. Rudi, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr mich das ärgert. Ich will ja keine Schuhe anziehen. Nur bekomme ich dann immer Ärger mit euch, wenn ich sie nicht trage. Da braucht ihr euch nicht wundern, wenn ich sie ständig verliere. Wo habt ihr die denn gefunden?", fragte ich mit ruhiger Stimme.
Mälzer der mich die ganze Zeit gemustert hatte, antwortete mir. "Hinten neben der Toilettentür, die Spurensicherung meinte, das wären Polizeischuhe. Ich habe den Jungs einen Vogel gezeigt. Es gibt doch keine Polizisten die ihre Schuhe ausziehen. Da meinte Rudi lachend zu mir. Doch, Kahlyn macht das regelmäßig, die wird sie schon wieder suchen. Ich konnte es nicht glauben. Aber jetzt glaube ich das schon", dabei zeigte auf meine nackten Füße, dann auf einen Stuhl. "Setz dich Kahlyn. Danke für die gute Arbeit. Das hätte ich dir nicht zugetraut. Du siehst so verdammt jung aus. Aber das war, gute professionelle Arbeit. Wir hätten euch schon viel eher holen sollen. Dann könnte die Frau auch noch leben. Aber leider kommt diese Einsicht zu spät."
Ich sah Rudi an, der lächelte mir zu. "Sir, machen sie sich keine Vorwürfe, damit konnte keiner rechnen. Außerdem war viel Glück im Spiel. Es hätte auch ganz anders enden können. Aber ich wollte sie noch loben, Sir. Das Dossier, welches sie gemacht haben, in der kurzen Zeit, war wirklich sehr gut. Es hatte gute Informationen enthalten, die mir sehr geholfen haben. Selten bekommt man dies, in so kurzer Zeit. Danke für die gute Zuarbeiten, Sir", spielte ich das ganze herunter und versuchte ihn zu beruhigen.
"Kahlyn, das ist doch unsere Aufgabe, Informationen zu sammeln", informierte mich Mälzer.
Rudi beugte sich zu mir rüber. "Kleene, die Jungs hier musst du nicht mit Sie anreden und auch nicht mit Sir. Ich hab selber über fünf Jahre in dieser Wache gedient. Wir kennen uns alle schon eine kleine Ewigkeit. Dein John hat auch hier angefangen", erklärte mir Rudi.
Ich sagte aber nichts dazu. Was hätte ich auch sagen können. Mälzer druckste herum. Scheinbar hatte er etwas auf dem Herzen. Verlegen sah er Rudi an, der nickte ihm aufmunternd zu.
"Sag mal Kahlyn, wie schnell kannst du eigentlich laufen. Als du vorhin los gelaufen bist, ist mir fast das Herz stehen geblieben."
Verwundert sah ich John an, dann Rudi. Ich verstand nicht, was er von mir wollte. "Sir, wie meinen sie das, Sir?"
Mälzer sah Rudi an. Aber auch mein Major zuckte mit den Schultern. "Weißt du wie schnell du laufen kannst. Wie viele Kilometer läufst du so in einer Stunde?"
Ach so das meinte er. "Sir, das kommt ganz auf die Umstände an. Wie lange ich laufen muss, was das für ein Gelände ist. Das ist unterschiedlich. Wenn es ein ebenes Gelände mit einem guten Untergrund ist, dann schaffe ich gut siebzig bis achtzig Kilometer und das über Stunden, teilweise auch mehr. Auf unebenen Gelände und lockeren oder sehr unebenen Untergrund wesentlich weniger. Aber wenn ich schnell laufe auch dreißig bis vierzig, das ist unterschiedlich. Auf kurze Strecken, so zwei oder drei Kilometer, halte ich mit jedem PKW mit und laufe da schon mal hundert bis Hundertzwanzig Kilometer pro Stunde. Auch kommt es darauf an, was ich für Gepäck habe und ob ich Schuhe tragen muss. Denn ohne laufe ich wesentlich schneller, Sir."
Mälzer, wie den anderen Jungs fiel der Unterkiefer nach unten. Was war da schon dabei? Ich verstand die Blicke der anderen einfach nicht. Es ist halt wie es ist. Lange erzählten die Jungs noch mit einander. Ich saß dabei und hörte zu.
Rudi meinte nach einiger Zeit besorgt zu mir. ""Kleene, du sagst ja gar nichts heute. Geht es dir immer noch nicht gut?"
Verwundert sah ich Rudi an. "Nein mir geht es gut. Nur was soll ich denn sagen. Ich kenne euch doch nicht. Ich kann nicht so reden wie ihr", antwortete ich verlegen.
Mälzer wandte sich dann einfach an mich. "Sag mal Kahlyn, du hast das doch nicht das erste Mal heute gemacht. Wie viele Einsätze in dieser Art, hast du schon gehabt?", interessierte es ihn nun doch.
"Sir, ich weiß es nicht genau, ich habe die ja nie gezählt. Ich kann das nur schätzen. Also hier im Land bestimmt schon fast vierzig, im Ausland bestimmt auch so viele. Genau kann ich ihnen das nicht sagen. Aber so einfach, wie diesmal war es lange nicht. Es war viel Glück dabei, Sir", sagte ich ihm die Wahrheit.
Eigentlich war es eine Verkettung glücklicher Umstände, die zu so einen schnellen, guten Ende geführt hatte. Es hätte auch ganz anders kommen können.
"Na ja, es war nicht nur Glück, Kahlyn. Sondern auch viel Geschick. Was du da gemacht hast, war schon gute Arbeit. Es tut mir leid, dass ich dir erst nicht getraut habe", meinte Mälzer entschuldigend.
"Sir, es ist nicht so schlimm. Ich bin es gewohnt, dass man mich auf meine Größe reduziert und nicht respektiert. Es ist immer das Gleiche, hinterher tut es allen leid. Aber es nervt mich im Moment nur noch. Wissen sie, früher da waren wir immer als Gruppe da. Bekamen schon immer den Respekt durch die Erscheinungen der anderen. Die sind, müssen sie wissen, alle um die zwei Meter groß. Nur weil ich die Kleinste war, hat man mir immer nichts zu getraut. Aber, wenn sie dann sahen, dass meine Freunde mich respektierten, dass die Großen von mir Zwerg Befehle annahmen ohne zu diskutieren, war es nicht mehr so schlimm, Sir", versuchte ich zu erklären, warum es jetzt immer alles so kompliziert war. "Aber jetzt bin ich alleine. Die anderen wirken durch ihre Größe schon älter und erfahrener. In mir sieht jeder nur ein kleines Mädchen. Das ich aber schon seit dreizehn Jahren der Teamleiter gewesen bin, haben sie immer erst nach dem Einsatz geglaubt, Sir", versuchte ich Mälzer verständlich zu machen, dass es nicht seine Schuld ist.
"Rudi, sag mal, ist es möglich, dass ich etwas Wasser bekomme, ich habe schlimmen Durst", bat ich einfach, um das, was ich haben wollte.
In dem ich mich an die Person wandte, die ich kannte. Immer noch nicht, konnte ich mich dazu durchringen, zu mir unbekannten Personen, sofort Vertrauen zu schließen. Rudi streichelte mir über den Kopf.
"Na klar meine Kleene. Du kannst auch Kamillentee oder Kaffee bekommen, was möchtest du?"
Verlegen sah ich auf meine Hände. "Ein Kaffee wäre schön", gab ich leise zur Antwort.
Rudi schüttelte lachend den Kopf. Sofort bekam ich von einem der Wachtmeister, der Greizer Wache einen Kaffee.
"Sir, Danke, Sir."
Durstig griff ich nach dem Kaffee, den ich gierig trank. Ich war nicht nur durstig und vor allem hungrig. Ich musste unbedingt aufhören das Krantonak zu machen. Denn das ging an meine Reserven und davon hatte ich keine mehr. Vorsichtig kontrollierte ich meinen Körper. Durch das Krantonak war der Spiegel der Antibiotika gesunken. Aber ich musste trotzdem noch einige Tage warten, bevor ich etwas essen konnte. Mälzer, sah auf die Uhr und wandte sich an seinen Mannschaftkoch.
"Siggi machst du für Rudis Truppe und uns ein paar Schnitten, dass die Jungs dann nach Hause können."
Der Koch ging nach hinten in die Küche. Fran und Tino folgten ihm. Keine fünf Minuten später, standen vier große Platten mit Schnitten auf den Tisch. Hungrig griffen die Jungs zu. Ich sah ihnen zu. Am liebsten könnte ich weinen. Aber es half nichts, da musste ich jetzt durch. Ob es mir gefiel oder nicht. Langsam aber sicher, tat der Hunger, den ich verspüre, richtig weh. John der bei mir saß, nahm mich in seinen Arm.
Laut so dass es alle hören konnten, fragte er mich. "Mäuschen, ist es wirklich so schlimm mit dem Hunger."
Ich kämpfte mühsam gegen die Tränen. Was sollte ich auch anderes sagen? Anlügen konnte ich John nicht, denn er bekam durch die Verbindungmit, wie mich der Hunger quälte. Jetzt erst, bemerkten die Jungs von der Wache in Greiz, dass ich nichts aß.
"Wieso isst du nichts, Kahlyn?", erkundigte sich Mälzer.
John antwortete an meiner Stelle, dafür war ich ihm dankbar. "Peter, das Mäuschen kann das, was wir essen nicht vertragen. Ihr letzter Vorgesetzter hat aus blanker Rachsucht, Kahlyns Spezialnahrung vergiftet. Jetzt muss sie hungern, bis das ganze Gift aus ihrem Körper ausgeschieden ist. Sie tut mir so leid. Dabei hatte sie von dem bisschen, dass sie essen konnten, sowieso schon kaum etwas bei sich behalten, weil sie krank war. Ich weiß jetzt durch die Verbindung, dass ihr der Hunger langsam richtig weh tut. Es ist schlimm", traurig streichelte John mir das Gesicht.
Ich drehte mich zu ihm um und gab dem Drang zu weinen einfach nach. Ich konnte einfach nicht mehr. Der Hunger machte mich nicht nur physisch, sondern auch psysisch fertig. Das rebellieren in meinem Magen, war eine Tortur. Dass, was der Mayer mir jetzt angetan hat, war schlimmer als alles andere. Denn seit über fünf Monaten hatte ich kaum Nahrung bekommen, alle Reserven die ich hatte, waren aufgebraucht. Der Hunger nagte in meinen Gedärmen, dass es richtig weh tat. Die wenige Nahrung, die ich mal bei mir behalten hatte, in den letzten vier Wochen, reichte nicht mehr aus, um den Verlust auszugleichen. John streichelte mir den Rücken und ließ mich einfach weinen. Während Rudi den Leuten von der Wache in Greiz, im Einzelnen erklärt, was los war. Langsam konnte ich mich wieder beruhigen und trank meinen Kaffee in kleinen Schlucken aus, bekam sofort eine neue. Die Wärme des Kaffees, beruhigte meinen Magen etwas, so dass die Schmerzen nachließen.
"Sir, Danke, Sir", sagte ich leise.
Mälzer und seine Männer konnten nicht glauben, was sie da von ihrem ehemaligen Kollegen erfuhren.
"Kahlyn, bei dem, was du da erlebt hast. Wie kannst du dann noch solche Leistungen bringen. Ich würde wimmernd am Boden liegen", meinte Mälzer und seine Männer nicken.
"Sir, davon wird es doch nicht besser. Entschuldigen sie das ich geweint haben. Es ist nur alles zu viel im Moment. Verzeihen sie mir bitte, Sir", versuchte ich mich zu rechtfertigen.
Mälzer stand auf und kam zu meinem Stuhl, hockte sich zu mir hin. "Kahlyn, du musst dich für nichts entschuldigen. Wenn jemand sich entschuldigen muss, dann bin ich das. Ich habe dich total unterschätzt, Mädel. Aber du bist spitze. Wenn ich mir vorstelle, mit nagenden Hunger arbeiten zu müssen. Das könnte ich nicht. Also Mädel, ich wünsche dir, dass du bald wieder etwas essen kannst. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder."
Freundlich lächelnd reichte mir Mälzer die Hand. Ich ignorierte sie einfach. Mälzer stand auf und wollte mir über den Kopf streicheln, doch ich zog ihn automatisch zur Seite. Verwundert sah mich Mälzer an.
John sagte nur. "Peter lass sie. Das Mäuschen kennt dich doch nicht."
Etwas geknickt setzte sich Mälzer wieder an den Tisch. Nach fast zwei Stunden, gab Rudi dann endlich das Signal zum Aufbruch, wir verabschiedeten uns von Mälzer und seiner Truppe. Ganz anders, begegneten mir diese Männer jetzt, viel freundlicher.
"Dann mach es gut Kahlyn, hoffentlich darfst du bald was essen. Pass auf dich auf", verabschiedete sich Mälzer.
Er hielt mir nochmal die Hand hin, ich ergriff sie. Es war eine warme Hand, die sich angenehm anfühlte.
"Sir, auf Wiedersehen, Sir", ich drehte mich um und lief zum Bus.
Kurz nach 3 Uhr fuhren wir zurück zu unserer Wache. Nach einer knappen halben Stunde Fahrtzeit, trafen wir in Gera ein. Müde ging ich an den Spind, allerdings fiel mir noch etwas Wichtiges ein, das ich mit meinem Major abklären wollte. Kurz entschlossen lief ich zu Rudi ins Büro.
"Rudi, kann ich schnell duschen gehen oder willst du gleich nach Hause fahren?", erkundigte ich mich bei ihm.
Rudi sah auf. "Kleene wir bleiben die restlichen Tage hier auf der Wache. Wir müssen noch ein bissel trainieren. Wir haben schon fast drei Wochen kein Training mehr gemacht, das geht absolut nicht. Bis Sonntag bleiben wir hier."
"Geht klar Rudi. Sag mal wie sieht es aus, kann ich mit euch hier irgendwo das Jawefan machen? Ich wollte euch doch das Fobnekotar, beibringen. Wollte versuchen, ob das über das Jawefan schneller geht. Wenn das nämlich funktionieren würde, muss ich das dann nur noch mit dem Deltateam machen. Dann könnt ihr das alle. Das ist ein gutes Training, dass wir auch mal hier in der Wache machen können oder drüben im Park. Aber ich brauche für das Jawefan viel Platz."
Rudi lächelte, weil er sich darüber freute, dass ich von mir aus diesen Vorschlag machte. "Das kannst du morgen Nachmittag in der Halle machen, wenn wir zum Nahkampftraining sind."
"Geht klar Rudi, also wenn du mich nicht brauchst, gehe ich schnell mal duschen", ich bekam ein strahlendes Lächeln von Rudi.
Gerade wollte ich nach vorn in die Umkleide gehen, als mich mein Major noch einmal zurück rief. "Kleene, du übernimmst dich aber nicht wieder. Heute nach dem Einsatz, sahst du wieder richtig beschissen aus. Das musst du nicht jedes Mal machen."
Ich schüttelte den Kopf. "Rudi, das Jawefan ist etwas ganz anderes, als das Krantonak. Das gibt mir eher Kraft, als dass es mir welche nimmt. Ich muss nur, vorsichtig wegen der Schmerzen sein. Aber das erkläre ich euch morgen, wenn ich das Jawefan mache", ernst sah ich ihn an.
"Wieso hast du Schmerzen?", irritiert und fassungslos sah mich Rudi an.
"Rudi, ich habe immer Schmerzen, ja." Ich zuckte mit den Schultern. "Nicht in meinem Sinn. Aber das, was für mich normal ist, empfindet ihr als unerträgliche Schmerz. Weißt du ich habe immer Schmerzen. Sieh dir meinen Rücken an. Es gibt in meinen Körper keinen Knochen der nicht mindestens schon fünfmal gebrochen war. Du weißt doch selber wie das ist, wenn man eine Verletzung hatte. Oft bleiben die Schmerzen noch Monate erhalten. Auch dann, wenn die Wunden ausgeheilt sind. Dadurch, dass meine Schmerzschwelle um vieles höher liegt, als bei meinen Kameraden und als bei euch, empfinde ich das nicht so arg. Aber, wenn ich ins Jawefan gehe, werdet ihr ein Teil von mir. Das kann ich leider nicht ändern. Dann spürt ihr den Schmerz in der Stärke, wie ich ihn habe. Es ist für euch ein sehr starker Schmerz. Doko Jacob hat mir einmal erklärt, dass wir diesen Schmerz ungefähr so einstufen, wie ihr eine leichte Prellung. Andersherum ist es für euch aber so, als ob ihr schwerstverletzt seid. Also richtig heftig. Darauf muss ich euch vorbereiten. Ich kann ihn zwar etwas zurückhalten, aber die Ersten werden schon noch tüchtig etwas abbekommen. Dann verteilt sich der Schmerz, gleichmäßig auf alle. Deshalb werde ich euch vorher hochdossiert Schmerzmittel geben, damit ihr die Schmerzen nicht so spürt. Frage John, der hat meine Schmerzen in Himmelpfort voll abbekommen. Der weiß, dass es heftig wird. Nur damals war ich nicht in der Lage, ihn darauf vorzubereiten und die anderen haben nicht so weit gedacht, ihm etwas zu spritzen. Auch weil gar keine Zeit mehr dafür war", erklärte ich entschuldigend.
Rudi sah mich entsetzt an. "Kahlyn, warum spritz du dir die Schmerzen denn nicht weg. Du sagst doch immer das B32 macht nicht abhängig", verwundert sah ich meinen Major an.
"Rudi, wenn du leichte Schmerzen hast, nimmst du dann immer gleich Medikamente?"
Antworte ich ihm stattdessen mit einer Gegenfrage, obwohl man das ja eigentlich nicht macht. Aber auf diese Weise konnte er sich diese Frage selber beantworten und zweifelte nicht wieder an meiner Antwort.
Rudi schüttelt den Kopf. "Nein, aber, wenn sie zu heftig werden dann schon."
Jetzt lachte ich ihn verlegen an. "Siehst du, für mich ist das ein leichter Schmerz. Seitdem ich hier bin, fühle ich ja nur noch meine eigenen Schmerzen und nicht auch noch die meiner Freunde. Es ist nicht schlimm Rudi. Aber für euch ist der der Schmerz schon heftig. Jedenfalls hat mir John gesagt, dass er fast das Bewusstsein verloren hätte, beim Jawefan. Wir schaffen das schon, ich bin ja heute besser drauf und kann die Schmerzen dadurch besser steuern. Das konnte ich beim Oberst nicht mehr. Ich war fast tot. Rudi, viel hätte nicht gefehlt, dann hätte der Oberstleutnant sein Ziel erreicht. Nur gut, das der Doko die Ursache heraus gefunden hat. Höchstens noch zwei oder drei Stunden, vielleicht aber nicht mal mehr so lange, dann wäre ich tot gewesen."
Rudi atmete erschrocken aus. "So knapp war es?"
"Ja Rudi, es war verdammt knapp. Ich hatte schon sechsundsiebzig Einheiten K99 intus und das Fieber stieg immer noch. Ich konnte es nicht mehr kontrollieren. Normalerweise, darf man von dem K99 nur zwanzig Einheiten spritzen. Ich war also schon völlig überdosiert. Nicht mehr lange und mein Herz, hätte das nicht mehr geschafft. John, hat mir wirklich das Leben gerettet, genauso wie meine Kameraden."
"Komm mal her, meine Kleene", brachte Rudi nur mit Mühe heraus und hielt mir seine Arme hin.
Ich lief auf ihn zu und er zog mich auf seinen Schoss. Dann drückte mich einfach. Verwundert sah ich ihn an und wusste gar nicht, was ich tun sollte. Rudi weinte bitterlich und konnte sich nicht mehr beruhigen.
"Warum weinst du Rudi?", entsetzt sah ich meinen Major an.
Rudi konnte gar nicht sprechen.
"Bitte beruhige dich doch, es ist doch nichts passiert", vorsichtig wischte ich ihm die Tränen weg. Streichelte seinen Kopf und sein Gesicht. "Bitte höre auf zu weinen, Rudi. Das wollte ich nicht."
In diesem Moment ging die Bürotür auf und John kam herein. "Rudi, was ist denn los?"
Ich zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht John. Ich habe wohl etwas Falsches gesagt. Er kann sich nicht mehr beruhigen. Bleibe bei ihm. Ich hole ihm etwas zur Beruhigung", bat ich John und wollte ich aufstehen, um vor zu meinem Medi-Koffer zu gehen.
Rudi hielt mich fest. "Es ist schon in Ordnung, meine Kleene. Ich war nur so erschrocken. Ich hatte ja keine Ahnung, dass es so knapp war. Kannst du mir eins versprechen?", sagte er immer noch gegen seine Tränen kämpfend
"Was denn Rudi.?"
"Das du nie wieder so lange wartest. Ich könnte es nicht ertragen, dass dir etwas passiert, wirklich. Es würde mir das Herz brechen, meine Kleene."
"Ich weiß Rudi, nur darauf konnte doch keiner kommen. Ich wusste nicht, warum ich ständig Fieber hatte. Es war schon die ganzen Wochen so. Seit dem ich in Gera bin, kämpfe ich ständig gegen dieses verdammte Fieber. Es gab vielleicht zwei oder drei Tage an denen ich Fieberfrei war. Ich dachte es wäre immer noch das Nervenfieber."
Rudi schluckte schwer.
"Geht es wieder, Rudi? Wenn ja, würde ich gern duschen gehen", fragend sah ich Rudi an.
Der nickte und wischte sich die Tränen weg. Schnell gab ich ihm und John noch einen Kuss, dann verschwand ich nach draußen, in Richtung Dusche. Ging nach dem Duschen sofort ins Bett. Der letzte Gedanke, der mir noch durch den Kopf ging war, dass ich Rudi einmal fragen musste, ob ich auch ein weiches Bett bekommen könnte. Endlich hatte ich fast alles, aus der Schule hinter mir gelassen. Beim Einschlafen, schickte ich noch einen letzten Gruß an John, dann kappte ich die Verbindung. Ruhig schlief ich in dieser Nacht, träumte von Tieren und von meinen Freunden. Das erste Mal seit vielen Jahren, dass ich nicht von irgendeinem Alp verfolgt wurde.
Langsam wurde es laut auf der Wache, meine innere Uhr verriet mir, dass es schon 5 Uhr 49 war, als ich aus einem erholsamen Schlaf erwachte. Ich war schon spät dran, die anderen Kollegen saßen alle schon am Frühstückstisch, schnell ging ich in die Dusche und dann nach vorn in den Bereitschaftsraum. Verlegen gab ich ein, leises "Guten Morgen." in die Runde. Weil alle schon am Tisch saßen und bereits aßen. Allerdings war das nicht weiter schlimm, dass ich so spät erschien, ich konnte ja sowieso nichts essen.
Bekam von Falko aus der Wachstube, ein "Guten Morgen, du Schlafmütze" und ein breites Grinsen, von den andern ein fröhliches "Guten Morgen" zurück. Ich setzte mich neben John und zog die Füße auf den Stuhl. Fran stellte mir Kamillentee hin und guckte ganz traurig.
"Kannst du immer noch nichts essen Kahlyn", fragte er mich ganz leise.
"Leider nicht Fran. Ist nicht schlimm, es gibt Schlimmeres. Es dauert ja nicht mehr lange, dann kann ich auch wieder etwas essen, sei nicht traurig", flüsterte ich ihm zu, um ihn zu trösten.
Auch, wenn es mir schwer fiel, lächelte ich ihm an. Missmutig drein schauend, setzte Fran sich wieder hin. Unseren Koch gefiel es gar nicht, dass ich nichts essen konnte. Fast hatte ich den Verdacht, dass Fran mit mir litt. Lustlos stocherte er auf seinem Teller herum und schielte immer wieder zu mir herüber. Irgendwie tat er mir leid. Falko, der mich gerade geneckt hatte, guckte entsetzt.
"Wieso kannst du nichts essen, Kahlyn. Hast du keinen Brei mehr?", fragte er verwundert.
"Klar habe ich noch genug Brei, Falko, aber erst muss das ganze Antibiotikum aus meinen Körper heraus. Nutz halt nichts, lasst es euch trotzdem schmecken", sagte ich so leicht es halt ging.
Als Falko nachharken wollte, schüttelten Rudi und John, leicht mit dem Kopf. Ich war ihm dankbar dafür. Wenn ich ehrlich sein sollte, hatte ich überhaupt keine große Lust, auch noch darüber zu reden. Rudi beendete für seine Verhältnisse schnell sein Frühstück. Sonst aß er bedeutend mehr und erzählte viel und ausführlich mit seinen Kollegen. Diesmal jedoch fasste er sich mit allem kurz. Er wollte so schnell wie möglich nach draußen und weg vom Essenstisch. Verwundert beobachtete ich meinen Major, was war nur wieder mit ihm los. Plötzlich begriff ich sein Verhalten und war ihm sehr dankbar dafür. Als er sich fragend und mit einem Lächeln im Gesicht an mich wandte.
"Kleene hast du Lust mit nach draußen in den Park zu kommen?"
Erfreut, den Frühstückstisch verlassen zu können, stimmte ich zu. "Gern Rudi."
Sofort stand ich auf und lief zu meinem Spind, zog meine Trainingssachen an, die Schuhe zog ich aus. Zurück an den Tisch, war Rudi auch schon umgezogen und wartete bereits abmarschbereit am Tisch.
"Um 8 Uhr in Trainingssachen. Bis dann. Wenn etwas ist, ihr wisst, wo wir zu finden sind", kamen Rudis Standartsätze, wie jeder Morgen, an die Kollegen.
Mit einem freundlichen Nicken wandte Rudi sich zur Tür, winkte mir zu und lief los. Wir verließen die Wache, nach dem Zwischenstopp bei Otto, gingen wir auf unseren Lieblingsplatz, auf der Wiese.
"Na Kleene, wie geht es dir denn?", erkundigte sich Rudi neugierig, als ich mich neben ihn auf die Wiese setzte.
"Mir geht es gut. Ich fühle mich irgendwie eigenartig, aber richtig gut", sagte ich ganz locker heraus. In einem Ton, den ich sonst nur beim Oberst verwendet hatte.
"Wieso fühlst du dich eigenartig, Kleene? Kannst du mir das erklären?", harkte Rudi nach.
"Ich weiß nicht Rudi. Es ist ein Gefühl, was ich so nicht kenne. Ich weiß nicht so genau, wie ich das erklären soll", sprach ich leise, in Gedanken versuchte ich die richtigen Worte dafür zu finden.
"Dann versuche es doch einfach", gab mir Rudi grinsend den Rat.
"Es ist aber so schwer über Gefühle zu reden. Kannst du das verstehen? Ich habe das nie gelernt", versuchte ich zu erklären, warum ich keine Worte dafür fand. "Mir fehlen oft die Worte, die ich dafür gebrauchen müsste. Ich kenne sie nicht."
Traurig setzte ich mich auf und schäme mich dafür, dass ich darüber nicht Bescheid wusste. Dass ich in dieser Hinsicht so unwissend war. Trotzdem versuchte ich es Rudi zu erklären.
"Rudi, ich habe dir doch von unserem Traum erzählt. Den wir in der Schule immer zusammen geträumt haben. So könnte ich vielleicht erklären, wie ich mich im Moment fühle. So wie wir uns vorgestellt haben, wie sich die Vögel fühlen mögen, wenn sie fliegen. Kann es sein, dass ich mich frei fühle?", flüsterte ich ganz leise. Irgendwie hatte ich Angst vor der Antwort, die ja auch negativ ausfallen konnte.
Rudi setzte sich auf und zog mich zu sich in den Arm. "Kleene, ich denke du hast das ganz richtig erkannt. Du fühlst dich frei. Frei von der Last der Verantwortung für deine Kameraden, für Doko und Dika. Du fühlst dich befreit, von der Last deines schlechten Gewissens, was du dir über Jahre unsinnigerweise eingeredet hast, der Kinder wegen. Vor allem frei von Angst, vor Schlägen, vor Bestrafung."
Lange sah ich Rudi von der Seite an. "Ich habe keine Angst, vor Bestrafung oder Schläge gehabt. Jedenfalls nicht vor denen, die mir gegolten haben. Aber vielleicht hast du Recht. Es ist so ein Gefühl, als wenn ich schweben würde. Aber…" Ich unterbrach mich selber, schwieg sehr lange, sodass Rudi nach harkte.
"Aber was, meine Kleene?"
Ich schluckte bitter an dem, was ich jetzt sage. "Ich habe Angst, dass ich aufwache und alles ist wieder so, wie es war. Dass das alles nur ein schöner Traum war. Kannst du das verstehen? Ich habe Angst, dass ich euch alle verliere könnte und auf einmal wieder in der Schule bin. Dass alles wieder von vorn beginnt. Ich weiß nicht, ob ich das noch einmal aushalte", erklärte ich Rudi ganz leise.
Plötzlich liefen Tränen aus meinen Augen, ich konnte nichts dagegen tun. Rudi nahm mich in den Arm und hielt mich einfach ganz fest. Einer inneren Eingebung folgend, kniff er mich in den Arm. Erschrocken zuckte ich zurück, weil ich damit gar nicht gerechnet hatte und gab ich ein kurzes "Auwa" von mir. Nicht weil es wirklich weh tat. Sondern nur, weil ich erschrocken war und ich damit überhaupt nicht gerechnet hatte. Da fing Rudi an zu lachen. Ich guckte ihn böse an.
"Warum hast du das gemacht?", wollte ich verärgert von ihm wissen.
"Kleene, meine Oma hat immer zu mir gesagt. Bub, wenn du mal nicht weißt, ob du träumst oder munter bist, dann kneife dich in den Arm. Wenn es weh tut, dann träumst du nicht", erklärte er mir lachend.
Ich sah ihn an und begriff allerdings nicht, was er mir damit sagen wollte. "Rudi, ich verstehe deine Worte, aber nicht deren Sinn", gestand ich ehrlich.
"Kahlyn, hat das gerade weh getan?"
Ich nickte, aber dann schüttelte ich den Kopf.
"Na, du erst noch. Aber ich weiß, was du meinst. Siehst du, wenn das ein Traum wäre, hättest du keinerlei Schmerz gespürt. Verstehst du?", lächelnd sah mich Rudi an.
"Dann … dann … dann ist das alles … wirklich … kein Traum?"
Rudi schüttelte den Kopf.
"Dann … dann gibt … es … euch wirklich?"
Jetzt nickte Rudi lachend.
"Dann … dann gibt es … wirklich … so ein Leben für mich?"
Musste ich einfach noch einmal nachfragen, weil ich es einfach nicht glauben konnte. Rudi nickte wieder. Ohne darüber nachzudenken, ließ ich meine Tränen einfach laufen. Ganz lange liefen sie aus meinen Augen. So als ob die ganzen Tränen, die ich nie weinen durfte, auf einmal alle heraus wollten. Ich kroch in mich zusammen, weinte wie noch nie in meinem Leben. Den Kopf hatte ich auf Rudis Schoss gelegt, zusammengerollt, wie ein kleines verletztes Tier. Rudi saß da und streichelte mir nur das Gesicht und ließ mich einfach weinen. Plötzlich kam Josef angelaufen und wollte Rudi schimpfen, weil wir auf dem Rasen saßen. Rudi schüttelte den Kopf und zeigte einfach auf mich. Josef kam näher und sah mich weinen. Langsam beruhigte ich mich, das Schluchzen ging in ein gleichmäßiges Atmen über. Ich war in einen tiefen Schlaf gefallen.
Rudi erklärte Josef in kurzen Sätzen, was los war. Der alte Mann kniete sich neben mich und streichelte mein Gesicht. Nicht einmal davon wurde ich munter. Dann sagte Josef einen Satz, der auch Rudi gerade durch den Kopf gegangen war.
"Sie hat gerade, ihre Seele sauber gewaschen. Sie ist jetzt befreit von aller Last. Ich weiß wie sie sich fühlen mag. Das habe ich 1945 auch erlebt. Das arme Mäuschen. Am besten lasse wir sie eine Weile schlafen", erklärte Josef Rudi, in seinem tiefen angenehmen Bass und seinem eigenartigen Akzent.
Eine ganze Weile später, weckte mich eine Stimme.
"Kleene, wir müssen wieder rein. Die Jungs machen sich bestimmt schon Sorgen, weil wir nicht kommen."
Erschrocken fuhr ich hoch. Wieso, war ich eingeschlafen? Fragte ich mich ernsthaft. "Entschuldige, Rudi. Wieso bin ich eingeschlafen. Ich verstehe das nicht?" Entsetzt sah ich in Josefs Gesicht und zuckte erschrocken zurück, da dieser unmittelbar vor mir kniete. Ich hatte ihn gar nicht kommen gehört. "Wieso bin ich so nass?"
Rudi lachte. "Kleene, du bist so fest eingeschlafen. Wir hatten Mühe dich munter zu bekommen. Ich versuche dich schon seit dreißig Minuten zu wecken. Nicht einmal Josef bekam dich nicht munter. Erst ein Becher Wasser, von Otto, hat dich zurück geholt", erklärte er mir lachend.
Entsetzt, sah ich die Beiden an. "Entschuldige bitte Rudi, ich verstehe das nicht. So etwas ist mir noch nie passiert."
Rudi streichelt mir lieb die Wange, wie ich diese Geste von ihm liebte. Am liebsten könnte er das den ganzen Tag lang machen. Josef sah mich mit einem Blick an, den ich noch nie gesehen hatte. Immer noch kniete er, mit seinem kaputten Bein auf der Wiese, dann streichelte er mein Gesicht. Erschrocken zuckte ich zurück. Allerdings sah Josef mich mit so einem lieben Blick an, dass ich mich für das weg zucken schämte.
Josef sagte wohl unbewusst in seiner Heimatsprache "Usted es libre de niña. - Du bist frei Kind."
Da lächelte ich ihn an, weil ich genau wusste, was er meinte. Antwortete ihm in seiner Sprache, die ich notgedrungen im Einsatz in Kuba und in Chile gelernt hatte.
"Tienes razón, José. - Du hast Recht, Josef."
Rudi sah von mir zu Josef und zurück. "Was sagt ihr beiden da?"
Jetzt lachte ich ihn an. "Rudi, das ist spanisch. Josef hat mir gesagt, du bist frei meine Kleine. Ich hab ihm geantwortet, du hast recht Josef."
Rudi guckte mich erstaunt an. "Du kannst Spanisch, Kahlyn?"
Ich schüttelte den Kopf. "Nein, nicht wirklich. Ich verstehe fast alles und kann ein paar Sätze sagen, ein wenig Umgangssprache. Ich bin nicht so gut in Sprachen. Das ist immer schon Raiko gewesen. Ich tue mich da sehr schwer mit. Aber, Rudi wir waren doch fast vier Monate in Kuba. Davor ewig in Chile. Da bleibt es nicht aus, dass man einiges lernt. Selbst ich."
Josef sah mich verwundert an. "Du warst in Kuba?", fragte er interessiert.
Bekümmert sah ich Josef an. "Ja, bei einem schlimmen Einsatz, Josef. In Granma. Wir waren dort auf der Jagd nach Rebellen, die Geiseln genommen hatten. Die wir von Gabriel Cisneros, über Aguila und Cienaguilla, bis tief in den Nationalpark Sierra Maestra verfolgt haben. Es war eine schlimme Zeit. Aber es ist ein wunderschönes Land und ganz liebe Menschen", schwärmte ich leise.
Erst leuchteten Josef Augen auf und dann sah er mich ganz traurig an. "Dann warst du fast in meiner Heimat. Ich komme aus Niquero."
Das Erstaunen lag jetzt auf meiner Seite. "Dann kommst du ja direkt vom Meer, Josef."
Josef nickte. "Hast du es gesehen, Kahlyn?"
Ich schüttelte den Kopf. "Nein, ich war noch nie an einem Meer, Josef. Aber ich habe die Karte der Region im Kopf. Ich weiß, dass es direkt am Meer liegt", erklärte ich dem Kubaner.
Damit wandte ich mich wieder Rudi zu. "Rudi wir sollten gehen. Die Jungs warten. Es ist gleich 8 Uhr 45."
Rudi nickte, hatte er jetzt ganz die Zeit aus den Augen verloren. Zusammen halfen wir Josef auf die Beine, der nicht mal mehr mit uns schimpfte, weil wir auf seinem Rasen gesessen hatten. Irgendwie war Josef, auf einmal ganz anders zu uns. Kurz entschlossen, nahm ich ihn in die Arme und drückte ihn. Die Kubaner, hatten das mit uns immer so gemacht, wenn sie sich verabschiedeten. Ich gab ihm rechts und links, einen Kuss auf die Wange. Da ging ein Strahlen in dem vernarbten Gesicht auf.
Leise kaum hörbar, sagte er zu uns. "Gracias."
Ich sah ihn an. "Adiós José, todo lo mejor." Für Rudi übersetzte ich es gleich. "Rudi, Gracias heißt Dank. Ich habe zu Josef gesagt, Auf Wiedersehen Josef, alles Gute."
Rudi lächelte Josef an. Flüsterte mir ins Ohr, "Sag mir bitte mal, was auf Wiedersehen Josef, mein alter Freund, auf Spanisch heißt."
Ich sagte es ihm ins Ohr.
Laut sagte er zu Josef "Adiós José, mi viejo amigo."
Da strahlte Josef wie noch nie. "Gracias a mis amigos", antwortete er und ging ohne ein weiteres Wort weg.
Rudi der mich fragend ansah, weil er nicht verstanden hatte, was Josef sagte, bekam von mir die Übersetzung.
"Rudi, er sagte, danke meine Freunde."
Rudi fuhr sich durch das Haar und sah kopfschüttelnd hinter Josef her. "Da kenne ich Josef schon so lange, aber ich wusste nicht einmal, dass er aus Kuba kommt", stellte er gedankenverloren fest, in dem er vor sich hin murmelte. Dann sah er mich an. "Ich glaube, du hast einen Stein bei ihm im Brett."
Verwundert sah ich Rudi an.
"Er mag dich meine Kleene. Dass du heute mit ihm spanisch gesprochen hast, hat ihn glücklich gemacht. So habe ich Josef in all den Jahren noch nie erlebt. Dabei kenne ich ihn schon solange, wie ich hier in der Wache bin. Das sind jetzt immerhin vierzehn Jahre. Tja, so viel wie heute, hat er noch nie mit mir gesprochen", kopfschüttelnd stand Rudi da und konnte immer noch nicht glauben, was er gerade erlebt hatte. Dann riss er sich zusammen.
"Ach egal, komm wir müssen rein."
Im gleichen Moment liefen wir los. Vorbei an dem Kiosk, zurück in die Wache.
Als wir den Bereitschaftsraum betreten hatten, wollten die Jungs, so wie sie es oft machten, gleich wieder ein paar dumme Sprüche ablassen. Heute unterband Rudi dieses Verhalten seiner Untergebenen, mit ungewohnter, aber bestimmter Stimme. Auch wenn er diesen Satz nicht ganz ernst meinte, verstanden die Kollegen sofort, dass im Park irgendetwas Ungewöhnliches passiert sein musste. Alle schwiegen.
"Wer jetzt von euch etwas sagt, bekommt einen Verweis. Das waren gerade die schönsten Momente, die ich jemals im Park hatte, also Ruhe. Lasst mir die schönen Erinnerungen und macht sie nicht kaputt."
Durch diese rigorose Ansage, von Seiten des Teamleiters, wagte sich niemand mehr ein Wort, wegen unserer Verspätung, zu sagen.
"Also los meine Herren, dann wollen wir mal den Lungen, etwas zum Arbeiten geben. Wir sind verdammt spät dran."
Das war der Befehl zum Aufbruch, wir liefen zum Stadion und powerten uns richtig aus. Konditions-, Reaktions- und Ausdauertraining. Als wir das gesamte Programm absolviert hatten, meinte Rudi auf einmal zu mir.
"Kleene, wie sieht es mit deiner Kraft aus? Könntest du uns eventuell mal zeigen, wie schnell du wirklich laufen kannst. Wenn ich ehrlich bin, war ich damals als du weggelaufen bist, entsetzt über das Tempo in dem du davongelaufen bist. Aber das war langsam gegen das, was du gestern in Greiz gezeigt hast. Aber nach dem, was du erzählt hast, kannst du noch um einiges schneller laufen. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, wie schnell das wirklich ist."
Verwundert sah ich meinen Major an. "Ist das wichtig?", wollte ich von Rudi wissen.
Sender schüttelte lachend Kopf. "Nööö, aber interessant wäre es schon, mal zu wissen wie schnell du wirklich läufst, meine Kleene", gab er immer noch spöttisch zur Antwort.
Ich zuckte mit den Schultern. "Hier im Stadion kann ich mich nicht auslaufen, das geht nicht durch die Kurven. Aber, wenn wir mal mit dem Bus auf einer langen geraden Strecke sind, kann ich euch das schon zeigen. Hier geht nicht das ganze Tempo. Aber ich zeige euch gern, wie schnell ich hier laufen kann."
Kurz entschlossen lief ich los. Lief mich langsam warm, steigerte das Tempo bis zum Maximum, das ich im Stadion laufen konnte. Dieses lag bei circa fünfundfünfzig Stundenkilometern. Dann lief ich mich aus, bis ich im normalen Tempo anhalten konnte.
"Das ist Wahnsinn, Kahlyn, weißt du das du in der kurzen Zeit dreiundzwanzig Runden gelaufen bist. Du schwitzt ja nicht einmal", meinte Max, immer noch den Kopf schüttelnd.
"Na Max, wenigstens einen kleinen Vorteil, muss ich ja von meiner genetischen Verbesserung haben", gab ich trocken zur Antwort.
Einfach um zu überspielen, wie es mir wirklich ging. Selbst das bisschen Laufen, war mir schon zu viel. Erst kam keine Reaktion von den Jungs, dann fing als Erster John an zu lachen und dann der Rest der Mannschaft.
"Na du erst noch. Jetzt glaube ich dir, dass es dir gut geht, Kleene", kam der Kommentar von Rudi.
Nur gut, dass er nicht ahnte, wie es mir wirklich ging. Dann hätte er nicht mehr gelacht. Kopfschüttelnd, nahm er mich in den Arm.
"Das ist der blanke Wahnsinn. Ich dachte immer ich bin ein guter Läufer. Aber gegen dich bin ich eine lahme Schnecke. Los Jungs, lasst uns nach Hause schnecken", befahl er lachend.
Verwundert sah ich Rudi an.
"Kleene, gegen das Tempo, das du gerade gelaufen bist, muss dir unsere Tempo doch vorkommen, wie das einer Schnecke", erklärte er mir scherzend.
"Nein, aber es ist schön gemütlich. Da muss ich mich, nicht wirklich anstrengen", konterte ich locker.
Die Jungs fingen alle an zu lachen.
"Also los", gab Rudi kopfschüttelnd den Startbefehl, für die Rückkehr in die Wache.
Wir liefen noch eine große Runde durch die Wälder und im Anschluss zurück an den Fluss. Kurz vor 12 Uhr 30 waren wir wieder in der Wache angekommen. Gleich nach unserer Ankunft, gingen wir duschen. Das mussten wir auch, die Jungs waren klitschnass geschwitzt. Die anderen gingen nach vorn zum Mittagessen. Ich jedoch suchte Rudi in seinem Büro auf, fragte ihn ob ich mich etwas hinlegen könnte. Erschrocken sah er mich an.
"Rudi es ist nichts, wirklich. Es ist nur so, dass es für mich immer unerträglich wird, euch beim Essen zu sehen. Weißt du, früher, haben wir alle nichts zu essen bekommen. Da war das irgendwie leichter. Aber euch mit dem Hunger im Magen, der langsam richtig weh tut, beim Essen zu zusehen, das ist blanke Folter. Bitte verstehe das."
Erschrocken sah er mich an. "Natürlich meine Kleene. Das kann ich voll und ganz verstehen. Entschuldige, soweit habe ich jetzt nicht gedacht. Ich wollte ja nur nicht, dass du alleine bist. Aber kannst du nicht wenigstens ein kleines bisschen etwas essen?", fragte er ganz geknickt.
Ich schüttelte den Kopf. "Nein Rudi, wenn ich will, dass es aufhört mit dem Fieber, muss ich das jetzt durchstehen. Auch wenn es schwer ist. Erst, wenn ich alle Antibiotika aus meinem Körper heraus habe, dann kann ich wieder etwas essen. Mach dir keinen Kopf, sagt mir einfach Bescheid, wenn ihr fertig seid. Dann komme ich wieder vor. Sag mal hast du vielleicht einen Ordner, den ich mir für dich durchsehen kann? Das lenkt mich etwas vom Hunger ab", bat ich ihm einfach um Arbeit, um das große Loch in meinem Bauch nicht mehr so zu spüren.
Rudi nickte und suchte einen Ordner auf seinen Schreibtisch heraus. Diesen reichte er mir, zusammen mit einem Lineal und einem Bleistift.
"Da meine Kleene. Aber mal etwas anderes. Du hast doch die Antibiotika während dieses Jawefan auf deine Freunde verteilt, dass du beim Oberst gemacht hast. Kannst du uns nicht auch etwas abgeben, wenn wir das heut Nachmittag machen? Hast du immer noch Fieber?"
Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Das wäre eine Möglichkeit, das Potential nochmals zu verringern.
"Ja, das ginge. Aber Rudi, dann müssen wir das mit den Jungs vorher abklären, ob die dazu bereit sind? Ohne deren Einverständnis, mache ich das nicht. Machbar wäre das", erklärte ich erfreut.
"Ich regle das vorn mit den Jungs, beim Essen. Ich denke es ist keiner dabei, der dir nicht helfen würde, meine Kleene. Die machen sich doch alle Sorgen, weil du nichts essen kannst. Denkst du vielleicht, wir merken nicht, dass es dir nicht gut geht. Auch wenn du ständig versuchst, das alles zu überspielen. Du hast meine Frage nach dem Fieber nicht beantwortet, Kleene", setzte er nach.
"Rudi ich habe immer noch Fieber, das ist aber normal. Solange ich noch Antibiotika in meinem Körper habe, wird das auch so bleiben. Für meinen Körper ist das pure Gift. Er wehrt sich dagegen."
"Wie hoch ist das Fieber, Kahlyn?", mit ernsten Gesicht sah mein Major mich an.
"Es ist noch ziemlich hoch, 58,5°C. Aber nicht mehr so hoch, dass es mir zu schaffen macht. Das Fieber liegt im Moment in einem Bereich, in dem ich es kontrollieren und damit einigermaßen leben kann", beruhigte ich ihn. "Macht dir keine Sorgen, Rudi, es ist wirklich nicht schlimm."
Ernst sah er mich an, dann nickte er und erhob sich. Rudi ging vor zum Essen und ich lief nach hinten ins Besprechungszimmer. Froh, dass ich den anderen, nicht schon wieder beim Essen zu sehen musste. Kurze Zeit später, klopfte es an der Tür.
"Herein", sagte ich verwundert.
Da kam mein lieber guter Fran herein. "Täubchen, wenn du schon nichts essen kannst, aber trinken kannst du doch oder?", schon stellte er mir lächelnd einen Kaffee hin.
Ich nickte, stand auf und gab ihm einfach einen Kuss auf die Stirn.
"Danke, lieber Fran", brachte ich gerührt hervor.
Schon ging er wieder nach vorn. Verwundert stellte ich bei mir fest, dass keiner meiner Kameraden in der Schule, das je für mich getan hätte. Es kam schon öfter einmal vor, dass nur ich nichts zu essen bekam. Einfach weil ich mich wieder einmal mit Mayer angelegt hatte. Das hatte die anderen nie gestört. Keiner hatte sich dann Gedanken darüber gemacht, wie er mir diese Zeit erleichtern konnte. Grübelnd setzte ich mich wieder an den Tisch und stützte den Kopf mit den Händen ab, starte einige Zeit auf die Tischplatte. Warum so fragte ich mich, war nie jemand meiner Kameraden auf die Idee gekommen, mir mal einen Becher Wasser zu bringen? War es wirklich so ein großer Unterschied, zwischen den Menschen hier und uns aus der Schule? Machte es uns wirklich zu solch anderen Menschen? Waren wir vielleicht doch gefühllose Monster, denen es egal war, wie es anderen ging? Oder lag es nur dran, dass wir nie etwas anderes kennen gelernt hatten. Konnten wir vielleicht gar nicht anderes sein, als wir jetzt sind. Dachten und vor allem fühlten wir so unterschiedlich, wie wir aussahen? Musste ich wirklich anfangen, anders zu denken? Ich schüttelte den Kopf. Diese Grübeleien würden mir nichts bringen, sie würden mich nur krank machen. Ich sollte mich einfach darüber freuen, dass die Leute hier halt anders waren. Das war doch eigentlich ein gutes Zeichen und baute Vertrauen auf. Vor allem zeigte es mir, dass es ihnen nicht egal war, dass ich hungern musste. Vor allem sollte ich mir solche Dinge merken, die mir gefielen. Einfach, um Verhaltensnormen zu lernen und für die Zukunft zu wissen, wie ich mich in bestimmten Situationen verhalten sollte.
Ich riss mich mühsam aus meiner Grübelei und war auf einmal froh, dass ich hier sein durfte. Ich konzentrierte mich wieder auf den Ordner, denn ich hatte eine Arbeit übernommen, die ich zu erledigen hatte. Jetzt allerdings ging ich gleich mit noch mehr Elan, an die Arbeit und merkte überhaupt nicht, wie die Zeit verrann. Nach knapp fünfundvierzig Minuten, hatte ich den Ordner durchgearbeitet, Diagramme und Auswertungen auf die Rückseiten geschrieben. Freute mich, dass ich so zügig damit fertig geworden war. Ich stand auf, ging nach vorn in Rudis Büro und legte ihm den fertigen Bericht auf seinen Platz. Im selben Moment, kam Rudi am Büro vorbei und entdeckte mich.
"Sag nur du bist schon fertig?", verwundert sah er mich an.
Als ich nickte, schüttelte mein Major den Kopf. "Sag mal meine Kleene, hat dich der wilde Stier geritten oder wieso, wirst du immer schneller?"
Da lachte ich ihn an. "Nein, der Fran hat mir Denkbenzin gegeben. Oder wie ihr es nennt, Kaffee. Damit ging es schneller oder war das vielleicht der Hunger der mich angetrieben hat. Ich weiß es nicht genau", gab ich ihm breit grinsend Kontra.
Rudi fing schallend an zu lachen. "Na du erst noch", nahm mich in den Arm. "Du gefällst mir immer besser."
Verwirrt sah ich ihn an. "Wieso das denn? Ich sehe doch immer noch genauso aus", teilte ich ihm mit, was ich bei seiner Bemerkung empfand.
Rudi schüttelte wieder einmal den Kopf. Wuschelte mir durch die Haare. "Ach Kleene, das verstehst du noch nicht. Ich wollte dir damit sagen, dass es schön ist, dass du jetzt so locker bist. Es ist einfach nur schön", lächelnd gab er mir noch einen Kuss auf die Stirn. "Komm gehen wir nach vorn."
Erleichtert legte Rudi den Arm um mich und schob mich in Richtung der Tür.
Gemeinsam gingen wir nach vorn. Alle saßen noch vorn am Tisch. Das war etwas Ungewohntes, um diese Zeit. Die Kollegen hatten alle auf mich gewartet.
"Na komm setzen wir uns. Erkläre uns bitte einmal ganz genau, was es mit diesem Jawefan auf sich hat und vor allem, was wir zu erwarten haben, meine Kleene. Ich konnte es den Jungs, nämlich nicht richtig erklären und John auch nicht."
Das war eine gute Frage, wie erkläre ich jemanden etwas, was er nicht kennt. Das war schon bei meinen Kameraden schwierig, als wir das Jawefan das erste Mal machten. Nur wussten sie von meiner Fähigkeit zu Heilen. Vor allem ging es mir damals fast so schlecht, wie in Himmelpfort und meine Freunde, wollten mir damals nur helfen. Sie hatten gar nicht hinterfragt, was geschehen würde. Meine Kollegen hier auf der Wache, kannten mich so gut wie gar nicht. Sie wussten nur sehr wenige Dinge von mir. Auf welche Weise, sollte ich das den Jungs hier erklären. Vor allem so, dass sie danach kein Monster in mir sahen. Davor hatte ich nämlich die größte Angst. Verzweifelt rieb ich mir den Nacken.
Mit mir kämpfend, setzte mich neben John und zog die Füße auf den Stuhl. Alles wollte ich noch nicht von mir preisgeben. So groß war mein Vertrauen zu den Männern hier noch nicht. Auch, weil ich einfach Angst davor hatte, die Menschen von mir zu stoßen, die ich in den wenigen Wochen liebgewonnen hatte. Durch ein falsches Wort und ein falsches Bild, dass sie sich von mir machen könnten. Zu gut war mir Max seine Reaktion in Erinnerung, nach dem Einsatz bei Conny. Ich hatte einfach zu viele Situationen in anderen Teams erlebt, in denen ich danach nur noch das Monster war. Was sollte ich jetzt tun? Diese Menschen hier waren mir wichtig geworden. Es war mir nicht egal, was sie von mir dachten. Tief holte ich Luft und sah meinen Major lange an.
"Rudi ich weiß nicht, wie ich euch etwas erklären soll, was ich selber nicht verstehe. Wie erkläre ich einem Blinden, die Farbe Blau? Wenn er die noch nie gesehen hat?", versuchte ich mein Dilemma zu erklären.
Die Jungs sahen mich verwirrt an.
"Aber ich werde es trotzdem versuchen. Aber ich muss euch einiges von dem Drumherum erklären, sonst versteht ihr das nicht. Es ist so, ich bin die Einzige die das Jawefan kann. Kein anderer von den Hundert kann das. Warum das so ist, weiß ich nicht. Ich bekam das nur durch Zufall heraus. Als es mir einmal schlecht ging, so ähnlich, wie beim Oberst vor ein paar Tagen. Ich war damals ungefähr sechs Monate alt. Die Betreuer und der Oberstleutnant hatten mich halb totgeschlagen, aber ich musste einem wichtigen Test teilnehmen. Trotz der Verletzungen und der Schmerzen. Hätte ich nicht dran teilgenommen wäre die ganz Gruppe bestraft wurden und mich hätten sie schlafen geschickt. Der Doko operierte mich und rettete mir mein Leben, brachte mich durch Unwissenheit, dabei fast dabei um. Denn er operierte so, wie er es in seiner Ausbildung gelernt hatte", ich rieb mir das Gesicht.
Ich erinnerte mich noch genau an das Entsetzen in Dokos Augen, als er feststellte, dass er mich durch Unwissenheit fast getötet hätte. Immer noch konnte ich mich an die Tränen in seinen Augen erinnern, auch daran wie er ständig mit den Händen durch seine Haar fuhr und an die Panik in seiner Stimme. Wie er versuchte mir zu erklären, wieso das passiert war und dass er ab sofort nie wieder ein ungetestetes Medikament bei uns einsetzen würde. Dass Professor Zolger alle handelsüblichen Medikamente die er benutzen würde, für uns durchtesten würde, auf Verträglichkeit. Damit dies nie wieder passieren konnte. Ich schüttelte die Erinnerungen ab und sprach einfach weiter.
"Ihr müsst wisse, der Doko hatte damals noch nicht gewusst, dass ich oder besser gesagt wir alle keine Antibiotika und die meisten Medikamente aus der Humanmedizin nicht vertrugen und benutzte bei dieser Operation, Antibiotisches Pulver, um eine Entzündung in meinem Körper zu verhindern. Ich bekam genauso hohes Fieber, zu meinen schweren Verletzungen, wie beim Oberst", verlegen sah ich zu meinen Händen.
Es war halt nicht schön über unsere Andersartigkeit zu sprechen, aber es nutzte nichts, die Jungs hier mussten es begreifen, um zu verstehen, auf was sie sich einließen. Vor allem, was sie im Jawefan erwartete.
"Da nahm mich Rashida in die Arme und Sneimy nahm meine beiden Händen, um mir Halt zu geben. Ich triftete immer zwischen Bewusstsein und Bewusstlosigkeit hin und her. Dann schloss sich auf einmal der Kreis, so nenne ich das immer. Es passierte ohne mein Zutun, ohne dass ich wusste wie ich es gemacht hatte. Damals machte ich unbewusst, das erste Mal das Jawefan, mit meinen beiden Freunden. Auf einmal ging ein Licht oder Feuerring von meiner Hand zu Sneimys Hand, auch Rashida wurde von dem Licht erfasst, wir glühten alle. Rashida und Sneimy schrien damals auf, weil sie nicht mit meinen verdammten Schmerzen gerechnet hatten, die ich ertragen musste. Ihr müsst wissen, ich hatte nie nur meine Schmerzen zu ertragen, sondern immer die der gesamten Gruppe. Allerdings wusste ich damals noch nicht, dass meine Freunde die Schmerzen nicht hatten. Ich dachte wir waren alle gleich. Aber so war es nicht. Es war nur so bei mir. Als der Kreis sich zu schließen begann, bekamen meine Kameraden mein gesamtes Schmerzpotential ab. Sie schrien sich sie Seele aus dem Leib. Erst als sich der Kreis ganz geschlossen hatte und gleichmäßig glühte, hörten die Schmerzen auf. Denn mir ging es auf einmal besser. Meinen Kameraden aber, ging es etwas schlechter, aber nicht so schlecht wie mir. So konnte ich an dem Aussonderungstest teilnehmen, ohne dass die anderen wegen mir bestraft wurden, weil ich die Leistungen nicht brachte. Vor allem ohne, dass ich schlafen geschickt wurde", erklärte ich den Jungs.
Wieder einmal sah ich verständnislos Blicken von allen. Sie verstanden nicht auf, was ich hinaus wollte. Ich hatte keine Ahnung wie ich mich ihnen erklären konnte. Versuchte es weiter zu erklären, obwohl es für mich schwer in Worte zu fassen war.
"Es ist so. Wenn ich das Jawefan mache, kann ich die Schmerzen nicht vollständig zurückhalten. Ihr werdet egal, was ich tue, ein Teil meiner Schmerzen abbekommen", versuchte ich noch einmal zu erklären.
Jetzt verstanden, sie was ich ihnen sagen wollte. Aber sie lächelten und winkten ab. Ich bekam Antworten zu hören, die mich erstaunten.
"Egal, wir werden es Überleben."
"Wir halten das schon aus."
"Das überleben wir schon."
"Mach dir keine Gedanken, es geht doch vorbei."
"Das ist eine Vergehe."
Auf diese Art erklärten mir alle ihr Einverständnis. Ich konnte es nicht glauben. Vor allem war ich mir sicher, dass sie mich nicht richtig verstanden hatten. Keiner nahm freiwillig Schmerzen in Kauf, wenn er es nicht musste.
"Durch diesen Vorfall, kamen wir auf den Dreh, das Jawefan immer dann einzusetzen, wenn es jemanden nicht gut ging. Jawefan heißt in unsere Sprache nichts anderes, als der erholsame tiefe Schlaf. Während die Anderen schlafen, verteilte ich erst Schmerzen, später dann viele andere Sachen, wie Fieber, auch Gifte gleichmäßig auf alle. Ich habe auf diesen Austausch keinen Einfluss. Je weniger wir wurden, umso mehr musste jeder aufnehmen. Dadurch gestaltete es sich immer schwieriger und wurde immer gefährlicher. Es ist aber so, je öfter wir das machten, umso mehr hielten wir aus. Verdammt wie erkläre ich euch das nur..."
Wieder rieb ich mir das Genick. Ich brauchte etwas Zeit zum Nachdenken. Einfach, um einen Vergleich zu finden, der das erklären konnte, was dabei passieren würde. Denn das war schwierig zu erklären. Ich wollte mir hundertprozentig sicher sein, dass die Jungs wirklich verstanden, auf was sie sich da einließen. Lieber wollte ich weiterhungern, als mir vielleicht im Nachhinein Vorwürfe machen zu müssen, dass ich jemanden auf eine egoistische Art zu etwas gezwungen hatte, was er nicht wirklich wollte. In diesem Moment fiel mir ein brauchbarer Vergleich ein, den die Jungs vielleicht verstehen würden.
"Sagt mal ihr wisst doch alle, was eine Reihensprengung ist?", erkundigte ich mich in die Runde.
Rudi, Ronny, Sep, Sven, Micha nicken, was verständlich war, sie waren die Bombenexperten, beziehungsweise die Allrounder in den Gruppen. Es waren aber nicht genug, um allen zu erklären, was ich meinte.
"Oder habt ihr schon einmal, etwas von einen Kaskadeneffekt gehört?" Kam mir eine andere Idee, da nickten allen. Erfreut stellte ich fest, dass alle wussten, wovon ich sprach. Das machte das Erklären um vieles einfacher.
"Super, dann kann ich euch das auf diese Weise eventuell erklären. Wartet ich hole nur mal Zettel und Stift aus der Wachstube", erfreut wollte ich aufstehen, nach vorn in die Wachstube laufen.
Lars, einer aus dem Beta-Team meinte. "Bleib hier, ich hab etwas zum Schreiben da." Er stand auf, ging in die Fernsehecke und holte einen Block und Stifte.
"Danke", erwiderte ich kurz.
Schnell zeichnete ich mit einigen Strichen eine Gruppe auf das Blatt. "So kann ich euch das vielleicht besser erklären. Schaut bitte einmal her. Das hier bin ich, genau an dieser Stelle beginnt das Jawefan. Wie bei einer Kaskade, einem Wasserspiel, wird von mir aus der Strom weitergeleitet. So nenne ich das immer. Wie das Fließen des Wassers, von Kaskade zu Kaskade. Also von Körper zu Körper, so müsst ihr euch das in etwa vorstellen. Wenn alle vom Strom erfasst sind, dann ist der Kreis geschlossen. Dann erst kann die Verteilung beginnen. Ich habe schon einiges, über das Jawefan weiter gegeben. Das schnelle Schlafen zum Beispiel, habe am Anfang nur ich beherrscht. Das lernte ich meinen Kameraden auch über das Jawefan." Ich sah meine Kameraden an, da fiel mir ein, dass die Jungs mich immer nicht verstanden. "Wenn ihr wollt, kann ich euch allen meine Sprache, auf diese Weise beibringen. Dann kann es nicht mehr passieren, dass ihr mich in die Ecke treibt."
Alle nickten und ein Lächeln huschte über ihre Gesichter. Es machte sich Erleichterung bei ihnen breit. Ich konnte mir schon gut vorstellen, dass es nicht so einfach war, wenn man jemanden nicht verstand. Vor allem wäre das für den Kampf halt besser, so konnten die Jungs ohne große Worte verstehen, was ich wollte. Denn wir brauchten nicht so lange sprechen, um uns verständlich zu machen. Oft genügt dann ein Wort. Wie Rashida, was ja nichts anderes heißt, als beruhige dich. Ich sah meine neuen Freunde ernst an.
"Allerdings weiß ich nicht, ob ich euch das Fobnekotar darüber beibringen kann. Das ist das erste Mal, dass ich das versuche. Ich würde es aber gern ausprobieren, wenn ihr einverstanden seid."
Wieder nickten alle und grinsten ganz eigenartig. Manchmal wollte ich einfach wissen, was in deren Köpfe vor sich ging. Ich verstand oft nicht, warum sie grinsten. Hatte ich schon wieder irgendetwas Falsches gesagt. Ach egal, sie würden es mir schon sagen, wenn es falsch wäre.
"Es gibt allerdings bei dem Jawefan, ein großes Problem." Erstaunt sahen mich die Jungs an. "Wie ihr wisst…" Versuchte ich ihnen zu erklären. "…ist meine Schmerzgrenze, wesentlich höher als eure. Das bedeutet, wenn ich leichte Schmerzen habe, vergleichbar mit einer leichten, aber unangenehmen Zerrung, die ihr euch beim Training zugezogen habt. Nicht so schlimm, dass ihr leidet, aber doch unangenehm, weil es halt lästig ist. Dann sind es für euch höllische Schmerzen."
Wieder sah ich meine Kollegen der Reihe nach alle an. Verwirrte bis ungläubige Blicke, bekam ich von ihnen.
"John, ich weiß nicht wie ich das erklären soll, vielleicht kannst du mir helfen, es zu erklären. Du hast es schon erlebt", wandte ich mich an John um Hilfe, der ja genau wusste, was ich meinte.
Er hatte die volle Wucht der Schmerzen abbekommen, beim Oberst. John strich mir über den Kopf und sah mich eigenartig an. Zu gut waren ihn diese Schmerzen noch in der Erinnerung. Es war die Hölle, durch die er damals gegangen war. Er hatte es nur durchgestanden, weil seine kleine Freundin sonst gestorben war. Aber, ohne Hilfe hätte er es wahrscheinlich nicht geschafft. Es war leichter, weil Rashida und Cankat verhindert hatten, dass er los ließ. Sie hatten ihre Hände in einem so eisernen Griff, um seine gelegt, selbst wenn er gewollt hätte, er hätte sich nicht lösen können.
Johns Handgelenke waren immer noch blau, obwohl er schon einige Tage mit Hämlo-Salbe behandelte. Bis vor wenigen Tagen war ihm nicht klar, dass man solch eine Kraft in den Händen haben konnte und diese Kraft so dosiert anwenden konnte. Vielleicht hatte er auch deren Griff nicht so empfunden, weil der Schmerz den er von Kahlyn abbekam, unvorstellbar war. Diese Schmerzen die er dabei empfunden hatte, waren einfach grauenvoll. Er dachte er muss sterben. John musste einfach schreien, sonst hätte er die Schmerzen nicht überlebt. Es war wie ein Zwang. Rashida und Cankat hatten versucht ihn abzulenken, in dem sie sich mit ihm unterhielten. Aber ihm war kaum möglich sich auf deren Gespräche zu konzentrieren. Auf einmal war es vorbei, er bekam das Gefühl unendlich glücklich zu sein. Er lernte ein Gefühl kennen, dass er noch nie in seinem Leben hatte. Eine absolute Ruhe, ein Zustand absoluten Seelenfriedens. Eine Ruhe, in dem keinerlei Gedanken flossen und ihn durchliefen Wellen von Wärme und Wohlbefinden. Obwohl das so nicht ganz stimmte. Es flossen Gedanken, aber diese waren im absoluten Einklang, obwohl sie von verschiedenen Personen kamen, sie bildeten ein Art Symphonie. Man konnte das nur sehr schwer beschreiben. Trotz des schweren Einsatzes, der nur einige Stunden zurück lag, fühlte er sich in diesem Moment, als wenn er aus dem Urlaub gekommen wäre. Als er dann aufwachte, aus dem Jawefan, kamen die ganzen Empfindungen zurück, mit einem Schlag und solcher Wucht, dass er dachte es erschlägt ihn. Nur Kahlyn hatte er es zu verdanken und deren Freunde, dass er danach nicht durchgedreht war. Aber er könnte diese Gefühle nie beschreiben. Er gab seiner kleinen Freundin da vollkommen recht. In allem, was sie über das Jawefan sagte. Es war schwierig zu beschreiben.
Die Kollegen sahen ihren Sanitäter verwundert an, der so lange schwieg. Obwohl er um Hilfe gebeten wurde. Tief atmete John durch und lächelte mir verlegen zu.
"Leute, was Kahlyn über das Jawefan sagt ist wahr. Es ist wirklich schwer zu beschreiben, aber es ist wunderschön. Was das Mäuschen über die Schmerzen sagt, kann ich nur bestätigen. Ich dachte in der Soko, als wir das Jawefan machten, ich muss sterben. Als ich ins Jawefan eingeschlossen wurde, kam eine solche Schmerzwelle über mich, ich wusste bis dahin nicht einmal, dass es so einen solchen Schmerz überhaupt gibt. Ich hatte wirklich Mühe bei Bewusstsein zu bleiben und ich glaube, ich habe wie am Spieß geschrien. Das ist vergleichbar mit dem Schmerz den man erlebt, wenn man am Boden liegt und von mehreren Leuten heftig zusammengeschlagen und getreten wird. Das hat jeder von euch schon einmal erlebt. Wenn ihr euch das fünfmal so schlimmer vorstellt, kommt das in etwa hin. Ich weiß nicht wie das Mäuschen mit solchen Schmerzen leben kann. Aber es ist so."
Ich nickte, so ähnlich hatte es Doko auch beschrieben, als wir ihn damals retteten, nachdem ihn der Oberstleutnant vergiftet hatte. "Ganz so schlimm wird es diesmal bestimmt nicht. Da ich es diesmal besser steuern kann. Ich kann ein Teil der Schmerzen zurückhalten und sie langsam kommen lassen. Aber es wird trotzdem heftig. Da ich leider, nicht alles zurückhalten kann. Aber ich werde euch vorher eine Injektion geben die verhindert, dass ihr die Schmerzen als allzu schlimm empfindet. Das schwächt es ein wenig ab. Nur es ist da noch eine Sache."
Jetzt sah ich Rudi hilfesuchend an, weil ich nicht wusste, wie ich das vorbringen sollte, was mir auf dem Herzen lag. Ich war noch nie gut darin andere um Hilfe zu bitten.
Rudi wollte mir nicht dabei helfen. "Du musst sie schon selber fragen, Kleene. Du musst langsam einmal lernen, selber um Hilfe zu fragen, wenn du sie brauchst. Ich kann dir das nicht immer abnehmen."
Verlegen sah ich auf meine Finger, die nervös begannen Fingerspiele zu machen.
Acar und Tino aus dem Beta-Team fingen gleichzeitig an. "Was…" dann sprach Acar weiter. "Was ist denn Kahlyn? Was liegt dir auf dem Herzen? Wenn wir dir irgendwie helfen können, dann sag es uns doch", bat er mich, um mir das Fragen einfacher zu machen.
Lange schaute ich meine neuen Freunde an, dann dachte ich bei mir. "Mehr als nein, können sie eigentlich nicht sagen." "Aber ihr seid nicht böse, wenn ich euch das frage?"
Ich sah alle an. Wirklich alle schüttelten den Kopf. Hilfesuchend sah ich zu Rudi, dann zu John, auch zu Ronny, alle nickten sie mir aufmunternd zu. Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und stellte die Frage, die mir am meisten Kopfzerbrechen bereitete.
"Wie ihr wisst, kann ich während des Jawefans, Gifte auf alle Körper die im Kreis sind verteilen, in unserem Fall zwanzig. Der Oberstleutnant, hat ja wie ihr mitbekommen habt, meine Nahrung mit Antibiotika vergiftet. Allerdings ist Antibiotika für euch völlig unschädlich, für mich allerdings ist es pures Gift. Ich kann erst wieder etwas Essbares zu mir nehmen, wenn wirklich alle Antibiotika aus meinen Körper heraus geschwemmt wurde. Sonst hört das mit dem verdammten Fieber gar nicht mehr auf. Wenn ich ehrlich bin, macht mich dieses Fieber langsam aber sicher kaputt. Es raubt mir das letzte bisschen Kraft. Durch das Jawefan, hätte ich die Möglichkeit den Antibiotikaspiegel schneller zu senken, als mit dem Hungern", verlegen sah ich meine Kollegen an.
Alle sahen mich grinsend an und nickten mir zu.
"Das bedeutet ich könnte eher wieder essen, wenn ich beim Jawefan die Antibiotika auf eure Körper mit verteilen könnte …", ich sah kurz auf. "… der Antibiotikaspiegel in meinem Körper, würde einfach schneller sinken. Langsam wird der Hunger unerträglich", setzte ich leise nach und sah auf meine zitternden Hände.
Ich traute mich nicht nach oben zu meinen Kollegen zu sehen. Weil ich Angst vor deren Reaktionen hatte und befürchtet, dass sie nein sagen würden. Es machte sich eine Hoffnung in mir breit, dass der Schmerz des Hungers bald vorbei sein würde. Dass ich endlich etwas Essen und mich erholen konnte. Wenn ich ehrlich zu mir selber war, befand ich mich momentan in einem Zustand, der eintrat, wenn man kurz vor dem Verhungern war. Ich befand mich an der Grenze meiner Leistungsfähigkeit, physisch wie auch psysisch. Das Hungern musste endlich aufhören, denn schon als ich am 1. September in Gera ankam, war ich an meinem Limit und hatte seit dem, kaum etwas bei mir behalten. Ich war nur einmal in meinem Leben in einem solch schlechten Zustand, das war damals in Chile. Noch zwei Wochen mit Hungern und ich würden in dem gleichen physischen, wie auch psysischen Zustand sein wie damals. Dort wäre ich fast verhungert.
Auf einmal lachten sie alle.
"Na war es so schwer zu fragen, Kahlyn?", erkundigte sich Rico, der Stellvertretende Teamleiter des Beta-Teams.
Ich schüttelte den Kopf.
"Klar helfen wir dir. Ich denke wir stehen alle tief in deiner Schuld, du hast bei uns nicht nur ein Jawefan gut, Kleine, sondern mindestens hundert", sagte Ronny mit einem strahlenden Lächeln. Verwundert sah ich von einem zum anderen. Alle nickten. "Warum?", wollte ich jetzt einfach wissen, weil ich es nicht verstehe.
"Was, warum?", hinterfragte jetzt Ronny, weil er mich nicht verstand.
"Warum steht ihr in meiner Schuld, das verstehe ich nicht", erklärte ich Ronny.
Der schüttelte den Kopf und die restlichen Mitglieder der Truppe auch. Sie verstanden nicht, warum ich das nicht wusste. Rudi und John jedoch ahnten, dass ich das wirklich nicht kapierte.
"Ruhe bitte mal. Leute vergesst doch bitte nicht immer, dass Kahlyn eine ganz andere Denkweise hat, wie wir. Was für uns etwas Außergewöhnliches ist, war für Kahlyn immer völlige Normalität", erklärte Rudi mein Verhalten.
Ich wusste allerding immer noch nicht, um was es ging und warum die Jungs kopfschüttelnd da saßen.
John der sich oft in mich hineindenken konnte, versuchte es mir zu erklären. "Mäuschen, bei dem Kampf dort unten in der Hölle. Ich nenne es mit Absicht nicht Höhle, sondern Hölle. Denn in meinen Augen war es die absolute Hölle, die wir dort gesehen haben. Dort unten hätte wir ohne dich und deine Freunde, keine noch so kleine Überlebenschance gehabt. Verstehst du das?"
Klar wusste ich das. "Deshalb habe ich mich ja mit Generalmajor Hunsinger so angelegt, weil ihr dort unten alle vor die Hunde gegangen wärt."
John grinste. "Deshalb stehen wir in deiner Schuld, du hast uns allen nicht nur einmal das Leben gerettet."
Da schüttelte ich meinen Kopf. "Ihr steht in keiner Schuld bei mir. Ich war Einsatzleiter, der ist dafür verantwortlich seine Leute heil aus allen herauszubringen, egal wie schlimm die Lage ist. Wenn jemand eine Schuld hat, dann ich. Weil ich zugelassen habe, dass ihr überhaupt dort mit runtergekommen seid. Ich mache mir schon seit Tagen deswegen Vorwürfe. Ich hatte meine Freunde da und hätte es nicht zulassen dürfen, euch in solch eine Gefahr zu bringen. Wir hätten das, ohne euch genauso geschafft."
Erklärte ich meinen Kollegen, dass sie Schuldenfrei waren. Die Reaktionen, die ich von deren Seite bekam, waren ganz andere als ich erwartet hätte. Fast alle stützten den Kopf auf die Hände und schüttelten den unentwegt. Sie konnten meine Reaktionen wieder einmal überhaupt nicht nachvollziehen, genau wie ich die Ihrigen.
"Verdammt noch mal Kleine", brauste jetzt Sep auf. "Verstehst du denn nie, was man dir sagt?"
Hilfe suchend sah ich John an. "Was hab ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht?", wollte ich von John verzweifelt wissen.
Weil ich nicht wusste, warum mich Sep so anfauchte. John raufte sich die Haare, dann zog er mich zu sich heran. Als noch jemand etwas sagen wollte, winkte er ab.
"Mäuschen, du hast nichts falsch gemacht. Nur hast du irgendetwas von dem, was ich dir gerade versucht habe zu erklären, falsch verstanden. Es ist aber auch schwer mit dir. Wir sprechen zwar eine Sprache, aber du verstehst uns nicht, wir verstehen dich nicht. Du musst dir keine Vorwürfe machen, es ist gut so wie es ist. Jetzt wissen wir wenigstens, dass wir auf dich hören können. Vor allem wissen wir, was du kannst. Egal, was jetzt auf uns zukommt, wir werden dir immer vertrauen. Aber, was für dich selbstverständlich ist, Mäuschen, das ist für uns nicht selbstverständlich. Deshalb stehen wir, bei dir in der Schuld. Weil wir durch dich noch am Leben sind, durch dich und durch deine Freunde. So schlimm es ist, dass man euch geschaffen hat, so dankbar bin ich für diese Tatsache. Wer hätte uns sonst gerettet, vor Friedrichs Leuten?", liebevoll streichelte er meine Wange und sah mich dabei ernst an.
"Ich weiß es nicht, aber es hätte andere gegeben. Denke ich", antwortete ich auf Johns Frage, weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte.
John schüttelte den Kopf. "Komm lassen wir das, vielleicht verstehst du das in einem Jahr besser, wenn du uns besser kennst. Komm lass uns los gehen, damit du endlich wieder etwas essen kannst. Wenn ich ehrlich bin, habe ich langsam ein schlechtes Gewissen, wenn ich etwas esse. Ich muss ständig daran denken, dass du hungern musst. Damit muss jetzt endlich Schluss sein", sagte er entschlossen zu mir, vor allem zu seinem Kollegen, die alle bestätigend nickten.
Es war jetzt beschlossene Sache, dass ich das Jawefan durchführen würde. Wir machten uns bereit, um zu den Hallen zu laufen, diesmal nahm ich den Medi-Koffer mit. In meinen Kopf drehte sich alles um das Jawefan, was ich in den nächsten Minuten machen wollte. Es kamen mir noch einige Ideen, die ich einfach ebenfalls versuchen würde. Alle meine Bewegungsabläufe, des Kun-Fus, des Taijis, des Judos, konnte ich auf diese Weise den Jungs beibringen. Ich wusste, dass dies funktionierte. Ich hatte es ja meinen Freunden auch so beigebracht. Dann würden sie schon die Bewegungsabläufe kennen und mussten nur noch lernen, diese mit genügend Kraft auszuführen. Nachdenklich lief ich neben Rudi her. Dieser beobachtete mich von der Seite.
"Ein Königreich für deinen Gedanken, meinen Kleene."
Verwundert sah ich ihn an. "Warum denn, Rudi?"
"Na du warst jetzt gerade ganz weit weg, meine Kleene."
Ich nickte, dann schüttelte ich den Kopf. "Nein Rudi, ich habe mir nur gerade etwas überlegt, wenn wir einmal dabei sind. Werde ich euch meinen Kampfstil des Kun-Fus gleich mit beibringen, vor allem aber, die exakten Bewegungsabläufe des Judos. Ich habe leider festgestellt, dass sich bei euch einige böse Fehler eingeschlichen haben. Auch das Taiji, werde ich euch beibringen. Damit ihr euch besser entspannen könnt. Wir müssen dann nur noch dafür sorgen, dass wir durch ständiges Üben, diese Bewegungsabläufe verinnerlichen. Das die Übungen dadurch, zügiger durchgeführt werden können. Die Reflexe, trainieren wir über das Eztakfu, das Katzen-Kun-Fu wie ich es immer nenne. Das ist eine Abart des Kun-Fus, welches ich einmal in China nach einem Einsatz, von einem Mönch gelernt habe. Dadurch, dass ich so klein bin, war dies für mich einfacher. Auch, weil ich damals noch nicht die Kraft hatte, wie heute. Ich praktiziere das seit über zwölf Jahren."
Rudi sah mich fragend, von der Seite an. "Was ist das?"
"Das ist der Kampfstil, den ich bei Friedrichs Leuten verwendet habe. Da er nirgends bekannt ist, kann er euch einmal das Leben retten", erklärte ich Rudi kurz angebunden, da wir gerade an der Halle angekommen waren.
Rudi nickte mir zu. "Mach das ruhig. Alles was uns besser macht, ist von Vorteil. Sag mal Kleene, wie lange dauert das Jawefan eigentlich?"
Ich zuckte mit den Schultern. "Das kann ich dir nicht so genau sagen. Zum einen kommt es darauf an, wie gut ihr mitmacht. Erst muss ich den Kreis schließen. Dann dauert es vielleicht zehn bis fünfzehn Minuten. Zum anderen habe ich keine wirkliche Ahnung, wie lange ich bei euch brauche, den Kreis zu schließen, vor allem bis ihr wieder aus dem Jawefan heraus seid. Das habe ich bis jetzt, nur mit meinen Freunden in der Schule gemacht. Bei euch, muss ich um vieles langsamer herausgehen, weil ihr es nicht gewohnt seid. Sonst bekommt ihr alle einen Kreislaufschock und das wäre nicht so gut", erklärte ich Rudi.
In der Halle zogen alle ihre Schuhe aus und setzten sich in einen Kreis, so wie ich es vorhin erklärt hatte. Ich öffnete den Koffer, injiziere jeden fünf Einheiten B32, so dass die Schmerzen nicht so heftig empfunden wurden. Dann bat ich noch Rudi und Ronny, die Plätze mit Sven und Acar zu tauschen. Damit ich die beiden Personen, die mir am verbundensten waren, neben mir hatten. John allerdings, setzte ich mir gegenüber, wegen der Schmerzen. Ich wollte, dass es ihm gut ging und nicht das er schon wieder wegen mir Schmerzen bekam. Allerdings wollte ich im Kreis Personen neben mir haben, denen ich voll und ganz vertrauen konnte. So war es für mich einfach besser und erleichterte mir vor allem, das Jawefan zu beginnen.
"Sven, Acar, es hat nichts damit zu tun, dass ich euch, nicht neben mir haben will", erklärte ich den Beiden. "Es ist nur so, ich kenne Rudi und Ronny einfach besser und weiß eher, wie die beiden reagieren. Euch beide kenne ich noch nicht so gut, deshalb kann ich nicht einschätzen, wie euer Körper reagiert. Versteht ihr. Ich weiß nicht, wie viel ich euch zumuten kann."
Da nickten die beiden und setzten sich auf die Plätzen von Rudi und Ronny. John setzte ich an den Verbindungspunkt, also am weitesten von mir weg, so dass er diesmal die wenigsten Schmerzen, abbekommt würde. Ich korrigierte den Kreis etwas und begann mit dem Jawefan.
"Bitte nehmt die Hand eures Nachbarn so, dass die Hände den Boden berühren. Ich glaube, wir müssen den Kreis noch etwas verkleinern. Es wird zu anstrengend, wenn ihr die ganze Zeit, die Arme halten müsst. Setzt euch so, dass ihr die gefassten Hände auf dem Boden habt", ich beobachtete alle. "Ja, so ist es richtig. Keiner von euch, lässt die Hand seines Nachbarn los. Das würde euch umbringen. Egal wie schlimm die Schmerzen werden, ihr müsst ihm Kreis bleiben. Oder soll ich euch lieber die Hände zusammen binden", wieder musterte ich meine Kollegen.
Alle schüttelten den Kopf.
Na hoffentlich ging das gut. Aber ich wollte ihnen vertrauen. "In Ordnung. Beginnen wir. Jetzt versucht bitte, in meinem Atemrhythmus zu kommen. Ein-Aus-Ein-Aus. Schließt die Augen, konzentriert euch ausschließlich auf die Atmung. Ein-Aus-Ein-Aus."
Langsam kamen wir in einen gleichmäßigen Rhythmus, die Verbindung öffnete sich. Jetzt brauchte ich nicht mehr zu sprechen, brauchte nur noch meine Gedanken fließen zu lassen.
"Mike, bitte atme ruhiger, passe dich den anderen an. Du störst sonst den Strom. Ja so ist es gut."
Langsam machte sich ein warmes Gefühl in mir breit, ein Zeichen dafür, dass der Kreis sich geschlossen hatte. Ich verteilte die Schmerzen gleichmäßig, die Antibiotika und auch das Fieber, das mich immer noch plagt. Nahm Energie von allen in mir auf, schon ging es mir wesentlich besser. Dann ließ ich die Jungs teilhaben an meinen Gedanken. Der Sprache, den Techniken des Fobnekotar, Taijis, des Judos, des Kun-Fus, brachte allen das schnelle Schlafen bei. Aber auch Schmerztherapien, die Fähigkeit, ihren Körper selber zu kontrollieren, die Blutungskontrolle und wie man Fieber senken konnte. Blocke allerdings die großen Sachen wie das Kun-Fu, Taiji, Judo, das Fobnekotar durch Auslöser. Sonst würde die Gedankenflut die auf die Jungs einstürmt, sie zu sehr verunsichern. So konnte ich durch bestimmte und gezielt eingesetzte Worte, diese Fähigkeiten nacheinander freischalten. Ließ die Jungs noch eine Weile schlafen, denn meine Kollegen, waren alle todmüde. Nach einer viertel Stunde wollte ich ganz langsam aus dem Jawefan heraus gehen, als ich merkte, dass die Verbindung sich nicht löste. Nochmals ging ich zurück ins Jawefan und brachte allen noch bei, wie man die Verbindung öffnen und schließen konnte. Auch, wie man eine Art Notfalltür öffnen konnte, falls einmal jemand in Gefahr geriet. Ein zweites Mal ging ich aus dem Jawefan, ganz vorsichtig die Jungs waren das ja nicht gewöhnt. Kurz bevor ich die Verbindung trennte, weckte ich die Jungs auf und beendete das Jawefan. Einige Minuten später, erwachten alle aus ihrer Starre. Verwundert sahen sie sich um. Fast fünfzig Minuten hatten ich dazu gebraucht, um das Jawefan zu vollenden.
John der mir gegenüber saß, sah mich verwundert an. "Mäuschen, wolltest du nicht das Jawefan machen?", sprach er aus, was die anderen wahrscheinlich auch dachten.
"Wieso, John?" War es jetzt an mir zu fragen, weil ich nicht wusste, was er mit seiner Frage bezwecken wollte. "Wir sind doch fertig", stellte ich fest.
John, Rudi und die anderen sahen mich ebenfalls verwundert an. "Ich denke, wir sollten Schmerzen spüren. Aber ich spüre keine. Sondern fühle mich erholt, als wenn ich vier Wochen geschlafen hätten."
Da musste ich lachen. Mir fiel ein, dass mir genau die gleichen Worte, damals meine Kameraden, nach dem ersten Jawefan gesagt hatten. "Na, da hatte ich die richtige Dosierung des Schmerzmittels erwischt. Es ist schön, wenn ihr keine Schmerzen gespürt habt. Das war meine größte Sorge. Außerdem habt ihr auch geschlafen. Einen tiefen Schlaf von fast fünfzig Minuten. Das ist ungefähr so, als wenn ihr zwei Wochen durchgeschlafen hättet."
Sagte ich in Gedanken, lachend zu den anderen. Jetzt sahen mich meine Kollegen ganz durcheinander an. Es war Zeit, dass ich mich bei ihnen entschuldigte, denn darauf hatte ich sie nicht vorbereitet. Da ich das nicht einmal ansatzweise geahnt hatte.
"Es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass ich durch das Jawefan, eine dauerhafte Verbindung zu euch herstelle. Es ist schon über sechszehn Jahre her, als ich das mit meinen Kameraden, zum ersten Mal gemacht habe. Ich wusste nicht, dass wir diese Verbindung, durch das Jawefan erhalten haben. Ich dachte es war Zufall, dass John in der Verbindung geblieben ist. Das er halt ein besonderes Medium ist. Wisst ihr für mich ist die Verbindung so selbstverständlich, dass ich gar nicht mehr weiß, seit wann wir diese hatten. Ich hoffe ihr seid mir jetzt nicht böse. Ich wusste das wirklich nicht."
Erklärte ich meinen Freunden in Gedanken. Auf einmal ging ein Lachen durch die Reihe der Männer, ich stimmte herzhaft ein.
Acar fing sich als erstes. "Das ist doch Extraspitzensuperklasse. Dann können wir uns in Einsätzen unterhalten, ohne dass uns jemand hört. Einfach fantastisch", Acar stand auf und kam auf mich zu, gab mir einen Kuss auf die Stirn. "Danke Kahlyn."
Auch ich musste lachen. Vor Freude hätte ich am liebsten einen doppelten Salto gemacht. Es war einfach ein wunderschönes Gefühl, wieder so viele Stimmen zu hören und so viele Gefühle zu fühlen. Schnell erklärte ich den Jungs noch einmal, wie sie die Verbindung trennen können. Damit sie vor meinen Träumen geschützt waren. Nur zu gut, konnte ich mich noch an das Weinen von John erinnern. Erklärte ihnen aber auch, wie sie trotz geschlossener Tür eine Verbindung zu uns herstellen können. Wenn sie mal in Not geraden sollten. Damit niemanden so etwas wie Conny passierte. Dann gingen wir zum Training über.
"So nun wollen wir mal etwas trainieren", bat ich alle darum sich zu erheben.
Konnte mir ein Lachen aber nicht verkneifen. Ich war so froh, die Stimmen alle wieder zu hören. Jetzt war ich wirklich zu Hause angekommen. Rudi jedoch kam zu mir und nahm mich in den Arm, verwundert sah ich ihn an.
"Danke meine Kleene. Ich glaube du hast uns gerade ein unbezahlbares Geschenkt gemacht."
Die anderen nickten, immer noch völlig sprachlos.
"Warum?", konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen.
Rudi wuschelte mir durch die Haare. "Ist egal, Kleene, lasst uns mit dem Training beginnen. John?", gab er seinem Stellvertreter, dem Trainer das Wort.
John jedoch sah mich an. "Kahlyn, wie sieht es aus, machst du das Training heute? Du hast es mir, vor der Sache mir Conny doch versprochen", beim letzten Wort knuffte John mich in die Seite.
Ich kicherte. "Klar kann ich das machen. Sogar gerne. Natürlich nur, wenn ihr das gerne wollt."
Alle nickten mir aufmunternd zu.
"Also los, hoch mit euch. Laufen wir erst einmal einige Runden, damit eure Muskeln, wieder warm werden."
Kaum dass ich ausgesprochen hatte, lief ich los, nach zehn Runden in der Halle blieb ich stehen und bat die Jungs zu mir. Ich wollte endlich wissen, wie gut die Jungs wirklich waren. Dazu musste ich einen kleinen Kampf machen. Ich wollte wissen, wie schnell ich die Jungs dazu brachte, besser zu werden. Dazu war dieser Reflextest, einfach gut geeignet. Ich wusste von den Mitgliedern der Soko Tiranus, dass die Kämpfer sich immer darauf gefreut hatten, wenn es hieß, alle gegen Kahlyn. Warum sollte ich dieses kleine Kampfsystem, hier nicht auch einführen. Also erklärte ich den beiden Teams, was ich vorhatte.
"Ich werde heute mit euch, als erstes, einen Reflextest machen. Ich möchte gern wissen, wie gut ihr wirklich seid. Wie das geht ist ganz einfach erklärt. Bitte versucht einfach mich anzufassen oder wenn ihr das schafft, mich auf den Boden zu bekommen. Durch diesen Test, kann ich gut feststellen, wie schnell ihr wirklich seid. Stellt euch einfach einmal in einen Kreis und greift mich an. Du Ronny und auch du Rudi, ihr beide wisst, wie ich das meine. Wir haben das schon einmal beim Oberst gemacht. Zeigt es bitte euren Leuten. Also alle auf mich. Wer mich berührt, geht bitte aus dem Kreis."
Sofort fingen Ronny, Rudi auch John an, mich anzugreifen. Dann gingen auch die anderen auf mich los. Nach zehn Minuten brach ich ab, in dem ich mit einem hohen und weit ausholenden Salto, aus dem Kreis sprang.
"Stopp", sagte ich kurz.
Verwundert sahen mich meine neuen Kameraden an.
"Guckt nicht so traurig. Selbst meine Freunde in der Schule, schaffen es nur sehr selten, mich zu berühren. Schon gar nicht, wenn ich richtig fit bin. Ihr müsst euch also nicht ärgern."
Die Jungs waren völlig irritiert, weil sie nicht begreifen konnten, dass sie mich nicht zu fassen bekamen. Vor allem, weil sie nicht verstanden, wie ich aus dem Kreis gekommen war.
"Es liegt noch ein schweres Stück Arbeit vor uns. Aber ihr werdet bald besser werden, glaubt mir das. In einem halben Jahr, schafft ihr es mich zu berühren. Da bin ich mir zu hundert Prozent sicher. Ihr habt sehr gute Anlagen", erklärte ich den Jungs.
Da diese immer noch mit dem Kopf schüttelnd da standen. Wie es auch oft bei dem Oberst der Fall war, verstanden sie nicht wie ich das gemacht habe. Aber das mussten sie auch nicht verstehen. Wichtig war nur, dass sie irgendwann in der Lage waren, mich zu berühren. Dann musste ich mir weniger Sorgen bei den Kämpfen machen. Ich schaltete durch das Sagen, der Codebrechers … "Sedoc Eztakfu sonde zurien, almech. - Der Tag das Katzen-Kun-Fu, freizulassen." … den Freischaltcode für den Katzen-Kun-Fu frei. Es war eine Wortverbindung, die man im normalen Sprachgebrauch nie verwenden würde. Was natürlich, auf ungläubige Blicke meiner Kameraden stieß. Weil sie zwar die Worte verstanden, aber nicht den Sinn dessen, was ich eben gesagt hatte.
"Guckt nicht so. Ich habe euch heute einfach viel zu viele Informationen, über das Jawefan gegeben. Deshalb musste ich diese mit Abrufcodes sichern, um euch zu schützen. Wenn ihr die alle mit einmal bekommt, da würde euch der Kopf platzen. Einmal freigeschaltet, stehen sie euch immer zur Verfügung. Auf diese Weise kann ich sie allerdings nach und nach aktivieren. Sie können auf diese Art, scheibchenweise abgerufen und angewendet werden. Das ist nur zu eurem Schutz. Bitte stellt euch in einen Block auf. Immer zwei Kämpfer, stellen sich gegenüber. Ich gehe herum und korrigiere die Bewegungsabläufe. Was ihr jetzt lernt, nenne ich Eztakfu. Das Katzen-Kun-Fu, wie meine Freunde immer meinen Stil des Kun-Fus, nannten. John du kämpfst gegen mich."
Schritt für Schritt, gingen wir die einzelnen Bewegungsabläufe durch. Nach einer reichlichen halben Stunde, konnten alle das gesamte Programm. Jede Bewegung hatte ihren speziellen Namen und nach einer weiteren Stunde, trugen wir schon einen kleinen Kampf aus. Die Jungs waren überrascht, dass sie das schon konnten. Viele wussten, wie schwer sie sich mit Judogriffen getan hatten. Ich hatte extra das Eztakfu, das Katzen-Kun-Fu, als erstes gewählt. Da diese Bewegungsabläufe wesentlich einfacher zu verinnerlichen waren. Die Abläufe erfolgten fließend und aus den Bewegungen heraus. Nach einer weiteren Stunde, kurz vor Beendigung des Trainings, forderte ich alle noch einmal zu einem Kampf, gegen mich heraus. Nochmals gab ich das Kommando.
"Alle gegen mich."
Erfreulicherweise und nicht nur zu meinem, sondern auch zum Erstaunen der Jungs, berührten mich einige. John, Andi, Mike, Micha, Wolle und Lars, schafften es meinen Arm zu streifen, auch wenn sie ihn nicht zu fassen bekamen. Es war ein extremer Fortschritt, in nur drei Stunden Training. Nach dem John, Wolle, Andi, Mike, und Lars den Kreis verlassen hatten, schafften es auch Rudi und Ronny mich zu berühren. Nach zehn Minuten hatten mich alle außer Hagen, Acar, Fran, Max und Sven berührt. Das diese Fünf es nicht geschafft hatten, war nicht schlimm. Sie waren keine Nahkämpfer und hatten also keine große Kampferfahrung. Als Scharfschützen, mussten sie dies auch gar nicht können. Na ja, sie sollte es schon können, aber sie würden nie so gut werden, wie die Allrounder oder Nahkämpfer. Das war bei meinen Freunden auch so. Die Scharfschützen hatten ganz andere Qualitäten, die wichtig fürs Team waren. Sie waren viel besser geworden, das war das, was zählt. Erstaunt sahen mich die Männer an.
"Guckt doch nicht, wie aufgeschreckte Hasen", brachte ich lachend hervor, in Gedanken zu ihnen. "Was ist denn? Könnt ihr nicht begreifen, dass ihr auf einmal so gut seid?", scherzte ich locker weiter.
Aber die Jungs sahen mich völlig durcheinander an, schüttelten immerzu den Kopf und rauften sich die Haare.
"Wie haben wir das nur gemacht?", stellte Wolle, wohl die Frage, die alle am Meisten interessierte.
"Es ist ganz einfach, durch das Eztakfu, werden die Reflexe trainiert. Vor allem aber werden eure Beweglichkeit und Schnelligkeit gefördert. Reflexe sind die Bewegungen die ihr durch das Unterbewusstsein macht. Die könnt ihr nicht bewusst steuern. Dadurch, dass eure bewussten Bewegungen im Ganzen schneller werden, werden eure Reflexe mit trainiert und werden dadurch wesentlich schneller. Deshalb, habe ich heute extra mit dem Eztakfu angefangen, damit ihr merkt, wie einfach ihr eure Reflexe trainieren könnt. Diese Übungen, könnt ihr überall machen, wo ihr euch gerade befindet. Vorher würde ich jeden empfehlen, ein paar Minuten das Taiji zu machen. Rudi, wenn wir morgen etwas Zeit haben, würde ich gern das Taiji mit euch noch durchnehmen. Dann könnt ihr als erstes diese Konzentrationsübung machen. Das hilft euch in euer Qi zu kommen, was notwendig ist, um die Energie zum fließen zu bekommen. Danach macht ihr das Eztakfu oder das Fobnekotar, um eure Reflexe oder Muskeln zu trainieren. Ihr werdet erstaunt sein, wie gut ihr in drei Wochen seid", erklärte ich lachend. Ich war froh, dass das alles so gut geklappt hat. "Wenn ihr das wirklich jeden Tag macht, habe ich keine Chance mehr gegen euch", neckte ich die Jungs weiter.
Lachen kamen sie auf mich zu.
"Kahlyn, das Training hat voll Spaß gemacht. Würdest du das nächste Training wieder machen, Mäuschen. Das wäre total schön", bat mich John.
Ich nickte, dann sah ich Rudi an. "Wenn Rudi nichts dagegen hat, gern. Mir macht es Spaß, mein Wissen weiterzugeben. Wenn ihr besser werdet, muss ich weniger Angst um euch haben", erklärte ich Rudi.
Mein Major sah mich ernst an. "Kleene, gern kannst du das machen. Mir hat das Nahkampftraining, schon immer Spaß gemacht. Aber noch nie so viel wie heute. Also gern", kopfschüttelnd sah er mich an.
Allerdings wurde ich plötzlich ernst, weil mir etwas Wichtiges bewusst wurde. "Rudi, da fällt mir ein, wie machen wir das mit dem Delta-Team. Denen muss ich das doch auch noch beibringen. Wir können damit nicht noch ewig warten."
Rudi grinste mich breit an. "Dann bleiben wir beide einfach Montag noch hier, wenn du das so kurz hintereinander, noch mal machen kannst. Ich würde das, mit dem Hallenwart hier regeln, dass die Truppe Montagvormittag, hier für fünf Stunden rein kann. Dann kannst du vielleicht schon bald etwas essen. Wie sieht es aus, wie viel Antibiotika hast du denn noch in deinen Körper?", stellte Rudi mir die Frage, die wohl alle interessierte.
Genau, checkte ich meinen Körper durch. "Ich denke Freitag, spätestens Samstag kann ich wieder etwas essen. Es ist viel weniger geworden. Danke, das hat mir drei Tage hungern erspart", erklärte ich den Jungs. "Ihr seid alles Engel, das muss ich euch mal so sagen", setzte ich noch nach. "Also ich denke für heute sollten wir zurück in die Wache gehen. Wenn ihr Lust habt, zeige ich euch heute eine Stunde nach dem Essen, noch das Taiji und das Fobnekotar, dann könnt ihr das zu Hause üben."
Alle nickten.
"Na, dann lasst uns nach Hause laufen", sagte ich einfach.
Die Jungs schauten mich Kopfschüttelnd an.
Fran sprach wohl aus, was alle dachten. "Täubchen, bist du glücklich?"
Ich nickte. Was hätte ich denn sonst sagen sollen? Was gab es schöneres, als wieder viele Stimmen zu hören. Das Gefühl zu haben, nicht mehr alleine zu sein. Fertig mit dem Training, zogen alle ihre Schuhe an, nur meine Schuhe waren wieder einmal nirgends zu sehen.
Rudi sah zu meinen Füßen. "Kahlyn, wo sind schon wieder deine Schuhe?", erkundigte er sich lachend und die ganze Bande lacht mit.
"Im Spind in der Wache. Äähh glaube ich jedenfalls", gab ich sachlich Auskunft darüber, dass ich mir da nicht ganz sicher war.
"Na dann los, sehen wir nach, ob du Recht hast, meine Kleene."
Sogleich liefen wir im lockeren Tempo los. Kaum in der Wache angekommen lief ich zu meinem Spind und hielt den Jungs meine Schuhe triumphierend entgegen. Diesmal waren sie nicht weg. Da hatte ich ja einmal Glück gehabt. Gemütlich gingen wir Duschen und danach gab es Abendbrot. Bevor ich etwas sagen konnte, kam Rudi mit einem Ordner, lachend auf mich zu.
"Kahlyn, sieh mal ich habe da etwas Abendbrot für dich, kannst du dir das eventuell mal ansehen?"
Rudi überreichte mir das Dossier und verschwand nach vorn zum Abendbrot. Ich dagegen lief nach hinten ins Besprechungszimmer, widmete mich nun heute schon das zweite Mal einer Statistik, die ausgewertet werden musste.
Diesmal brachte mir John einen Tee. "Na Mäuschen, wie geht es dir. So strahlend habe ich dich noch nie gesehen. Sag bloß dir geht es gut?", breit grinsend drückte mir John einen Tee in die Hand.
"Mir geht es gut, richtig gut, John. Ich bin nicht mehr alleine. Weißt du, was das für ein schönes Gefühl ist. Es ist, als wenn ich wieder zu Hause bin. Weiß du was? Vielleicht sollte ich das bei all meinen Freunden auch machen, damit die nicht mehr so alleine sind. Dann fühlen die sich auch wohler. Ich verstehe nur nicht, wieso ich so etwas Wichtiges vergessen konnte. Warum, war mir nicht bewusst, dass ich durch das Jawefan die Verbindung geschaffen habe?", frage ich John, weil mich dieser Gedanke, einfach nicht mehr los ließ.
John setzte sich auf den Tisch und zog mich hoch in seine Arme. "Vielleicht wart ihr einfach noch zu klein. Durch die vielen schlimmen Dinge die ihr erlebt habt, ist das einfach in Vergessenheit geraten. Ihr habt doch immer ums Überleben gekämpft. Da kann man so etwas schon mal vergessen", stellte er sachlich fest.
"Aber John, beim Doko ... Bei ihm haben wir das doch auch gemacht und er ist nie in unsere Verbindung gekommen."
John sah mich irritiert an. "Vielleicht saß er, an der falschen Stelle", meinte er grinsend.
Lange überlegte ich. Nach einer Weile sah ich John an. "Damit kannst du sogar Recht haben. Doko wurde damals von Riona gehalten. Weil der Doko viel zu schwach zum sitzen war, ähnlich wie bei mir in Himmelpfort. Aber er war der letzte im Kreis. Weil wir nicht wollten, dass er die Schmerzen von mir abbekam. Die ersten bekommen immer die meisten Schmerzen ab. Du musst wissen der Oberstleutnant, hatte uns Sina, Rafik, Rashida Feanu, Kren und Raiko behandelt. Wir hatten uns damals geweigert, einen Sonderauftrag auszuführen, der für uns den sicheren Tod gebracht hätte. Danach passierte die Sache mit dem Doko, dass er vom Oberstleutnant vergiftet wurde. Vielleicht müssen die diejenigen, die in die Verbindung sollen, direkten Kontakt mit mir haben. Na ist ja egal, Hauptsache ihr seid mir nicht böse."
John stand auf und gab mir einen Kuss auf die Stirn. "Nein, keiner ist deshalb böse mit dir. Im Gegenteil, sie freuen sich alle über diese Möglichkeit, die im Kampf von Vorteil ist. Vor allem, glaube sie mir jetzt endlich, dass du ganz viel lachst. Das ist doch das schönste, an der ganzen Verbindung", entschlossen stand John auf und gab mir abermals einen Kuss auf die Stirn. "Ich sag dir Bescheid, wenn wir fertig sind."
Lachend, ging er aus dem Zimmer. Ich war so froh, dass wir jetzt diese Möglichkeit hatten. Denn dadurch würde vieles im Kampf einfacher werden. Viele Befehle, wurden durch Weitergabe falsch übermittelt, so kamen sie stets, bei alle richtig an. Vor allem, brauchte ich dadurch nicht immer, den Funker heranzuholen. Fertig mit der Statistik, ging ich vor in Rudis Büro und legte sie auf seinen Platz. Dann, weiter nach vorn zu den Jungs, die immer noch beim Essen waren. Egal, ich hatte keine Lust hinten alleine zu hocken. Als Erstes lief ich aber an die Kaffeemaschine, um mir einen Kaffee zu holen.
"Will jemand von euch, auch einen Kaffee?", fragte ich einfach aus einer Eingebung heraus.
So übernahm ich Frans Part, verteilte an alle den Kaffee. Setzte mich im Anschluss wieder auf meinen Platz neben John. Lange sprachen wir noch über die Erfahrung des Jawefan. Die Männer waren geradezu am Schwärmen. Basti sah mich lange an. Dann sagte er, mit einer eigenartigen Stimme die ich absolut nicht einordnen konnte. Vor allem hatte seine Stimme ein Zittern, welches völlig ungewohnt war.
"Kahlyn, weißt du, dass du etwas ganz Besonderes bist."
Verlegen sah ich ihn an. "Wieso das denn?"
Alle musterten mich.
Ich glaube ich wurde ganz rot, verlegen starrte ich auf meine Füße. "Du machst mich ganz verlegen, Basti", erklärte ich leise.
Basti lächelte. "Kahlyn, du musst nicht verlegen werden. Aber solch ein außergewöhnliches Geschenk zu bekommen, ist doch etwas Besonderes. Weißt du eigentlich wie nützlich das im Kampf sein kann. Stell dir vor, du bist am anderen Ende einer Halle und siehst, wie deine Kameraden in eine Falle laufen. Wie willst du die warnen? Jetzt können wir das. Es ist wirklich lebensrettend, diese Fähigkeit zu haben. Danke dir, meine kleine Freundin."
Mit einem völlig verklärten Blick stand Basti auf, kam auf mich zu und gab mir einen Kuss. So wie es John und Rudi schon so oft gemacht hatte, einfach auf die Stirn. So viele Küsse habe ich noch nie an einem Tag bekommen. Ging es mir komischer Weise durch den Kopf. Basti aber ging weiter, nach hinten zu den Duschen. Verwundert sah ich die anderen an. Warum hatte er Tränen in den Augen? Auch die anderen sahen mich komisch an.
"Was ist denn los?"
Ronny der sich zuerst wieder fing, musterte mich lange an. Dann holte er tief Luft und begann er, mir die Reaktion von Basti zu erklären.
"Kahlyn, ich denke das Basti gerade eine schlimme Sache durch den Kopf gegangen ist. Du musst wissen, vor fünf Jahren lief ich mit meiner Gruppe, drei Mann meines Teams, in eben solch eine Falle. Basti der am anderen Ende stand, hatte keine Möglichkeit mein Team zu warnen. Er musste mit ansehen, wie wir dort hinein liefen. Konnte uns aber nicht helfen, da er durch eine starke Panzerglasscheibe, von uns getrennt war. Nach dem Kampf, waren alle, außer mir tot. Im Anschluss, lag ich über ein Jahr im Koma. Die Ärzte, haben bis heute keine Ahnung wie ich das überleben konnte. Die Narbe, die du vor einiger Zeit weggemacht hast, hat mich seitdem immer dran erinnert, vorsichtiger zu sein. Ich hatte bei meiner Planung etwas übersehen. Wie das so oft ist, man kann ja nicht, an alles denken. Basti hat sich immer Vorwürfe gemacht, dass er uns nicht daran hintern konnte, in diese Falle zu laufen. Obwohl ihn, keine Schuld getroffen hat. Ich glaube die Verbindung, hat das gerade wieder hochgebracht. Sein bester Freund, war unter den drei Toden. Was noch schlimmer war, er war der Mann seiner Schwester. Er hat dessen Tod nie verkraftet. Gibt sich heute noch, die Schuld daran."
Erschrocken, sah ich Ronny an und stand auf, um nach hinten zu Basti zu gehen. John der mich daran hintern wollte, wich ich aus. Als auch Rudi und die anderen verhindern wollten, dass ich nach hinten lief, brachte ich mit einem Kopfschütteln zum Schweigen. Als Ronny mir folgen wollte, um mich daran zu hintern, winkte ich ab.
"Bleibt wo ihr seid", befahl ich in einem strengen Ton, den keiner der Jungs wiedersprach.
Basti saß in der Umkleide auf der Bank, den Kopf auf die Hände gestützt. Langsam ging ich auf ihn zu und hockte mich vor ihn hin.
"Basti, kann ich dich mal kurz sprechen, bitte", sprach ich ihn an.
Der Kollege hob den Kopf. Was ich da sah, erschreckte mich. Tränen liefen aus seinen Augen. Mit dem Finger, fuhr ich über das tränennasse Gesicht. Ich ahnte, was in seinem Kopf gerade vor sich ging. Das Gleiche, machte ich jedes Mal durch, wenn einer meiner Kameraden fiel. Immer suchte ich bei mir die Schuld, weil ich deren Tod nicht verhindern konnte.
"Basti, egal, was im Kampf passiert, gebe dir nie die Schuld. Du gehst sonst daran zu Grunde."
Basti sah mich wütend an. "Was weißt du schon?", fauchte er böse.
Ich wusste, dass er es nicht böse meinte. Basti brauchte einfach jemanden, an dem er seine verdammte Wut abreagieren konnte.
"Basti, auch ich habe gute Freunde verloren. Habe zusehen müssen wie sie starben und konnte es nicht verhindern. Im Gegenteil zu dir, trug ich die Verantwortung. Ich war der Einsatzleiter, hatte die Fehler direkt zu verantworten. Du kannst, so gern du das machen möchtest, nie alle beschützen. Es geht einfach nicht."
Basti starrte auf seine Füße, Tränen tropften auf den Boden.
Ich hob, so wie Rudi es oft bei mir gemacht hatte, sein Kinn und zwang ihn auf diese Weise mich anzusehen. Schob meine Brille hoch, so dass er meine Augen sehen konnte.
"Basti, darf ich dir kurz helfen?", bat ich ihn. Er schaute mich, mit fragendem Blick an. "Zeig mir deine Erinnerungen, an damals, bitte. Dann kann ich dir sagen, ob du einen Fehler gemacht hast. Ob du dir wirklich Vorwürfe machen musst."
"Wie willst du das machen?"
"Durch das Krantonak. Darüber kann ich alle deine Erinnerungen sehen. Komm", ich zog Basti, ohne auf eine Antwort oder Reaktion von ihm zu warten, einfach auf die Füße. Schob ihn nach hinten in die Abstellkammer. Da es in diesem Raum wirklich richtig dunkel war.
"Setze dich einfach auf den Boden. Ich setze mich hinter dich, so dass ich deinen Kopf besser halten kann."
Basti setzte sich hin und ich zog seinen Kopf auf meine Beine. Ich begann das Krantonak. Drang auf diese Weise tief in seine Erinnerung ein und sah mir die Bilder von damals an. Nichts, rein gar nichts hätte er tun können. Er machte sich völlig zu Unrecht, Vorwürfe. Ganz vorsichtig, schwächte ich die Heftigkeit der Bilder ab und nahm den Bildern so die Kraft der Zerstörung. Dann ging ich aus der Erinnerung heraus. Kraftlos schob ich Basti nach oben, kippte an der Wand einfach zur Seite. Mühsam kämpfte ich dagegen an, das Bewusstsein zu verlieren. Allerdings schaffte ich es nicht im hier zu bleiben. Keine fünf Minuten hatte das Krantonak gedauert. Meine Reserven, reichten nicht einmal mehr für so ein kleines Krantonak. Es war einfach nichts mehr da, was ich dagegen setzen konnte. Basti nahm mich in den Arm und schob mir die Brille über meine Augen. Danach rief er nach Hilfe. Basti wusste nicht, was er machen sollte. Allerdings drang das alles nicht mehr zu mir durch. Rudi und John, kamen genau wie die anderen, nach hinten gerannt. Entsetzt, sah mich Rudi an.
"Verdammt, warum macht sie das nur immer."
John, nahm mich auf den Arm und trug mich nach vorn aufs Sofa. Nach über fünfzig Minuten, kam ich wieder zu mir. Das Erste, was ich sah, waren vorwurfsvolle Blicke.
"Was guckt ihr so?"
Rudi setzte sich auf das Sofa, streichelte mein Gesicht.
Ronny hockte sich daneben. "Kahlyn, wenn du noch einmal das Krantonak anwendest, bevor du etwas gegessen hast, bekommst du richtigen Ärger mit mir."
"Ronny, es ist doch nichts passiert. Wann, begreift ihr endlich einmal, dass ich mich nach dem Krantonak, nur eine Weile erholen muss. Basti ging es nicht gut. Da muss ich doch helfen. Verdammt noch mal, vertraut ihr mir nun oder nicht?"
Ronny sah mich lange an, dann schüttelte er mit dem Kopf. "Ach Kahlynchen, mit dir haben wir's aber auch schwer. Jedes Mal bekommen wir Panik, wenn du so da liegst. Ist schon gut, wir vertrauen dir doch. Aber du darfst das jetzt nicht mehr machen, erst wenn du wieder etwas gegessen hast. Wenn dir etwas zustößt mein Engel, mit den orangenen Augen, damit würde ich nicht klar kommen. Verstehe das doch endlich."
Ich lächelte gezwungenermaßen und setze mich hin, griff in sein Genick und zog ihn ganz nah zu mir heran. "Ist schon gut. Aber wenn ich helfen muss, dann muss ich helfen. Daran könnt ihr nichts ändern, findet euch damit ab. Selbst meine Freunde in der Schule, konnten dagegen nicht ankommen. Wie wollt ihr das denn da schaffen? Die kannten mich mein Leben lang. Ich kann verdammt stur sein, wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe. Aber ich weiß auch sehr genau, wo meine Grenzen sind. Vertraut mir einfach."
Verlegen gab ich ihm einen Kuss auf die Stirn. Das Thema war damit beendet. Ich wollte darüber, einfach nicht mehr reden. Auch weil ich wusste, dass er Recht hatte.
"Was ist nun, wollt ihr das Taiji und das Fobnekotar, nun noch lernen oder nicht?" Fragte ich stattdessen, auch weil ich von dem Thema ablenken wollte.
Es hatte überhaupt keinen Zweck über Dinge zu reden, die sie sowieso nicht ändern konnten. Wenn ich helfen musste, würde ich immer helfen. Dabei spielte es keine Rolle, wie schlecht es mir ging. Daran würde mich niemals jemand hindern. Selbst Rashida hatte nie verhindern können, dass ich meine Freunde versorgte. Oft war ich deshalb mit ihr, Dika und Doko zusammengeraten. Die sahen immer nicht ein, dass ich das alles viel besser einschätzen konnte als sie. Denn im Jawefan, erholte ich mich so rasend schnell, viel schneller als meine Kameraden. Seit sechszehn Jahren versuchten sie mir das auszutreiben und haben es nicht geschafft. Ich war in dieser Hinsicht einfach ein Sturkopf. Was allerdings viel wichtiger war, ist die Tatsache, dass ich genau wusste, was ich tat. Ich würde nie so weit gehen, dass ich durch mein Helfen mein eigenes Leben so sehr gefährden würde, dass ich starb. Wie sollte ich die anderen beschützen, wenn ich tot war. Aber das begriff wohl niemand, außer mir. Rudi war immer noch besorgt und wollte absolut nicht, dass ich jetzt auch noch das Taiji erklären würde.
Rudi drückte mich, als ich aufstehen wollte, wieder auf das Sofa. "Kleene, schaffst du das denn überhaupt noch. Du läufst doch schon wieder am Limit", bemerkte er besorgt.
"Rudi, ich schaffe das und es macht mir Spaß. Ich brauche nur, eine halbe Stunde Taiji, für mich alleine. Dann bin ich wieder voll da", erklärte ich ihm, so locker wie möglich, damit er aufhört, sich Sorgen zu machen.
Lange sahen Ronny und Rudi mich an. Dann nickte Rudi und stand auf, half mir auf die Beine. Ich zog meinen Trainingsanzug aus und brachte ihn hinter in den Spind. Lief im Anschluss nach vorn zu den anderen.
"Rudi, am besten ihr macht hier schon mal ein wenig Platz oder wollen wir nach draußen, in den Park gehen? Es ist ja noch schönes Wetter."
Rudi schüttelte den Kopf. "Nein, wir bleiben lieber hier. Ich denke das erste Mal, sollte uns keiner zusehen", gab er grinsend zur Antwort.
"Du hast wohl Angst Rudi, dass ihr euch blamiert?", lachend sah ich ihn an.
"Da hast du wohl wahr gesprochen."
"Ihr räumt schon einmal die Tische zur Seite. Es wird sonst zu eng hier. Vor allem, macht das Fenster auf, damit Luft herein kann. Ich mache einige Taijiübungen."
Sofort, ging ich auf die große freie Fläche vor den Spinden und begann mich in mein Qi zu atmen. Nach zwanzig Minuten ging es mir besser und ich atmete mich aus. Interessiert standen neunzehn Männer, um mich herum und sahen mir zu.
"Habt ihr mir die ganze Zeit zugesehen?", wandte ich mich verwundert an John, der in unmittelbarer Nähe von mir stand.
Dieser grinste mich frech an. "Mäuschen du bist ja vollkommen weg, wenn du das Taiji machst. Da kann man dich klauen und du bekommst das gar nicht mit", grinsend sah er mich an.
"Versuche es doch einmal. Ich glaube, das würde dir bestimmt nicht so gut bekommen. Der Oberstleutnant, wollte mich einmal beim Taiji angreifen. Danach lag er, eine Woche auf der Krankenstation. Das aber auch nur, weil ihn meine Kameraden, weggezogen hatten und ihn, vor mir in Sicherheit brachten. In dem sie mich von ihm wegtrieben. Sonst hätte ich ihn damals getötet. Ich habe keine Kontrolle über mich, wenn ich im Taiji bin. Da reagiere ich nur noch auf eine Berührung, mit tödlichen Schlägen. Versucht das deshalb lieber nicht. Es würde euch nicht sehr gut bekommen."
Erwiderte ich ernst und in einem strengen Ton, auf Johns lustig gemeinte Bemerkung. Erschrocken sahen mich alle an, denen das überhaupt nicht bewusst gewesen war.
"Die Reflexe die ich habe, sind antrainiert. Nicht, weil wir schneller werden wollten, sondern weil wir sonst so manches Mal, nicht überlebt hätten", ernst sah ich die Jungs an, die immer noch nicht begriffen hatten, das mit meinen Reflexen nicht zu Spaßen war. "Stellt euch bitte einmal folgende Situation vor. Ihr habt einen Einsatz von vier oder fünf Wochen hinter euch. Könnt euch vor Müdigkeit, kaum noch auf den Beinen halten. Da ihr schon seit langem über dem Limit seid. Ihr habt immer nur zehn Minuten am Stück geschlafen. Die, ich sage jetzt einfach einmal, siebende Angriffswelle habt ihr gerade so, zurück schlagen können. Eure Gegner formieren sich gerade wieder neu. Ihr habt vielleicht, zwanzig oder dreißig Minuten, um wieder einigermaßen zu Kräften zu kommen. Eure Gegner holen sich ausgeruhte Kämpfer, aber die habt ihr nicht. Ihr seid nur zu zehnt. Also macht ihr schnell ein paar Minuten Taiji. Allerdings habt ihr euch völlig in der Zeit verkalkuliert. Die Angriffswelle kommt viel eher als ihr gedacht habt und ihr seid noch mitten in euren Taijiübungen. Ihr werdet also im Taiji angegriffen. Dann hilft euch dieser Kampfreflex zu überleben. Ihr reagiert auf eine Berührung, in dem ihr tödliche Schläge austeilt, ohne zu denken. Versteht ihr, dieser Reflex half uns zu überleben. Denn so und nicht anders sah mein Leben bis jetzt aus."
Ich sah die Jungs lange an. Die soeben erst begriffen hatten, dass sie bis jetzt immenses Glück hatten, das nichts passiert war. Denn ich sah dass sie betrübt nickten.
"Könnt ihr euch vorstellen, dass man solche Reflexe jemals wieder ablegt? Die man uns seit über sechszehn Jahren antrainiert hat."
Jetzt schüttelten alle den Kopf.
"Deshalb merkt euch bitte für die Zukunft. Wenn ich geistesabwesend bin, hochfiebrig oder halt auf irgendeine Art nicht ansprechbar bin, berührt mich nicht. Bis jetzt hattet ihr immer Glück, das nichts passiert ist. Aber es kann auch einmal eine Situation kommen, wo das nicht so ist. Im Taiji, was ich bis jetzt nur im Kampf gemacht habe, um die wirklich aller letzten Reserven zu aktivieren, bin ich auf Töten programmiert. Ich kann das nicht steuern."
Erschrocken nickten alle.
"Sprecht mich also vor dem Berühren, immer vorher an und vor allem, kommt so auf mich zu, dass ich euch sehe. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich euch töte geringer. Von hinten ist es für mich ein tödlicher Angriff, dann töte ich aus dem Reflex heraus. Verletzungen kann ich immer heilen. Aber es gibt Griffe und Schläge, bei denen kann selbst ich euch nicht zurück holen. Selbst meine Freunde in der Schule mussten das lernen. Jaan hätte ich fast einmal aus solch einem Reflex heraus getötet und meine Freunde sind wesentlich schneller als ihr. Bitte denkt immer daran", wies ich sie noch einmal ernst darauf hin, dass ich in bestimmten Situationen gefährlich war.
"Wir werden uns das merken", sagte Max für alle.
"Das hoffe ich sehr. Ich würde mir nie verzeihen, wenn ich jemanden von euch verletzen würde. Ihr fandet das bis jetzt immer lustig, wenn ich einen von euch im Reflex gelegt habe. Allerdings bin ich jedes Mal zu Tode erschrocken, wenn mir das passiert ist", tief holte ich Luft um mich zu beruhigen. "Kommt ich zeige euch jetzt noch, wie das Taiji und das Fobnekotar funktioniert. Dann könnt ihr zu Hause üben", lenkte ich, von dem unerfreulichen Thema ab. "Stellt euch bitte so hin, dass ihr mit gestreckten Armen, einen Abstand von einen halben Meter von einander habt. Die größten nach Außen die Kleinsten in die Mitte. Ich bleibe vorn und gehe durch die Reihe, um korrigieren zu können", erklärte ich allen.
Mit dem Sprechen des Codes "Sedoc Fobnekotar sonde zurien, almech. Sedoc Taiji sonde zurien, almech - Der Tag das Fobnekotar, frei zu lassen. Der Tag das Taiji, frei zu lassen", gab ich das Fobnekotar, sowie das Taiji für alle frei.
Begann als erstes damit das Taiji, das ja einigen bekannt war, zu erklären. Nach einer halben Stunde konnten alle, diese Bewegungen fehlerfrei ausführen und beherrschten alle die Taijiatmung, was ich sehr wichtig fand, um das Qi zu finden. Also ging ich, zu dem schwierigeren Dingen über, zum Fobnekotar. Ich versuchte ihnen zu erklären, was dabei der Unterschied ist.
"Also es ist so, dass Taiji bringt die Energie des Körpers dazu gleichmäßig zu fließen. Es hilft euch, eure innere Mitte zu finden, sowie Ruhe, Frieden, Ausgeglichenheit, Konzentration zu erlangen. Aktiviert aber auch, die vorhandene Energie, verteilt sie gleichmäßig im ganzen Körper. Das Taiji vereinigt euch aber auch mit eurer Umgebung, da alle Energie auf der Welt eins ist. Habt ihr zu wenig Energie, wird diese durch eure Umwelt ergänzt. Ihr zieht sozusagen aus eurer Umgebung Energie ab. Für jemanden der sich mit diesen Dingen noch nie beschäftigt hat, ist das schwierig zu verstehen. Aber wenn ihr einmal völlig ausgepowert seid, werdet ihr das begreifen lernen, akzeptiert es bis dahin einfach, so wie ich es euch sage. Beim Fobnekotar dagegen, ist das etwas anders. Es bringt im Körper den Kraftfluss zu fließen, benötigt aber zur Vorbereitung das Taiji und den Energieausgleich. Vor allem ist das Fobnekotar gut, um die Muskulatur aufzubauen, aber auch gut, um angestaute Energie abzubauen. Wie es zum Beispiel bei euch auch oft ist, wenn ihr nach Einsatzreichen Wochen nach Hause kommt und auf einmal, nichts mehr zu tun habt", ich sah den Jungs an, dass es ihnen genauso ging wie mir. "Wenn ihr also einmal das Gefühl bekommt, ihr platzt gleich aus allen Nähten, dann macht ihr einfach einige Zyklen des Fobnekotar. Danach geht es euch besser. Mir hilft das sehr gut. Auch wenn ich Stress abbauen muss oder sehr nervös bin. Also fangen wir an." Langsam ging ich in den Handstand und zeigte den ersten Teil des Fobnekotar. "So, jetzt versucht ihr es bitte mal. Ich korrigiere, was falsch ist. Achtet bitte auf den zeitlichen Ablauf. Ich habe versucht, euch über das Jawefan, diesen Zeitablauf mit beizubringen. Weiß aber nicht, ob das auch wirklich geklappt hat."
Aufs Genauste beobachte ich die Männer bei dieser Übung. Es klappt fast auf Anhieb. Die Korrekturen die ich noch vornehmen musste, waren minimal. Man merkte halt, dass hier alle wirklich gut durchtrainiert waren. Kraft war nicht das, was fehlt, sondern nur die Technik. Erfreut stellte ich fest, dass den ersten Teil, den einfachsten, alle sofort beherrschen. So ging ich zum zweiten Teil über. Auch dieser klappte auf Anhieb. Das ließ mich hoffen, für den schwersten Teil des Fobnekotar. Auch dieser Teil klappt, ohne Probleme.
In Gedanken entschuldigte ich mich, bei der Truppe des Obersts, dass ich das nicht auch bei ihnen so gemacht hatte. Conny hatte das ganz schwer gelernt, durch das Jawefan war das um vieles einfacher. Ich nahm mir vor auch den Teams vom Oberst und von Conny, auf diese Weise das Fobnekotar, zu lernen. Die Jungs brauchten das genauso sehr, wie die Jungs in Gera. Nach einer Stunde, hatten wir den ersten Zyklus geschafft. Ich war einfach nur glücklich. Die Übungen würden den Jungs helfen, schnell besser zu werden und ich konnte so ruhiger dem nächsten schlimmen Einsätzen entgegen sehen.
"Na dann, wollen wir einmal einen Zyklus im Ganzen machen", sagte ich lachend. "Darf ich in die Mitte?" Damit rückten alle etwas auseinander. Mit den Worten
"Halikon, Fobnekotar", was nichts anderes hieß, als: "Beginnen wir mit den Fobnekotar", ging ich in den Handstand.
Nach achtundzwanzig Minuten, hatten wir den ersten Zyklus beendet. Drei ganze Zyklen, zog ich mit den Jungs durch, dann beendeten wir das Fobnekotar, mit dem Wort.
"Semro. - Es ist gleich zu Ende", auf diese Weise konnten sich alle darauf einstellen. Alle, auch ich, waren schweißgebadet. "Na wie war's?", fragte ich in die Runde, bekam von allen Seiten zu hören.
"Einfach schön."
Das freut mich. Gemeinsam machte das Fobnekotar einfach wahnsinnigen Spaß.
"Gehen wir duschen", gab ich die Anweisungen.
Glücklich lief ich nach hinten zu den Spinden. Schmiss meine nassgeschwitzten Sachen in den Schmutzwäschebehälter und ging in die Dusche. Es tat so gut sich auszupowern, einfach gut. Es war kurz vor Mitternacht, als ich die Dusche verließ und wieder nach vorn zu den anderen ging. Die schon wieder die Tische, an seinen ursprüngliche Platz gestellt hatten.
"Kahlyn, es ist der Wahnsinn. Weißt du, dass ich das ohne das Jawefan, nicht begriffen hätte. Ich habe aber das Gefühl, dass ich das schon ewig kann", meinte Sven zu mir, einer aus dem Beta-Team.
Lachend sah ich zu ihm und zuckte dann mit den Schultern. "Du kannst das jetzt schon genauso lange wie ich. Also fast dreizehn Jahre. Weißt ihr, es ist so, dass ich dir über das Jawefan, nur das weitergeben kann, was ich in diesem Augenblick kann. Also das Fobnekotar mit dreizehn Jahren Erfahrungen. Das ist der Vorteil, wir sind alle gleichstark. So ihr Lieben, wenn ihr mich nicht mehr braucht, würde ich mich gern hinlegen. Ich bin hundemüde."
Das konnten sich alle vorstellen.
"Dann Guten Nacht. Ach Rudi, hast du noch einen Moment für mich, ich wollte dich gern etwas fragen."
"Dann ab, in mein Büro."
Sofort ging er nach hinten und hielt mir die Bürotür auf und forderte mich auf Platz zu nehmen. Nach der üblichen Frage nach dem Kaffee, sah er mich fragend an.
"Rudi, du hast mir einmal gesagt, ich soll dir sagen, wenn ich etwas auf dem Herzen habe."
"Ja, raus mit der Sprache. Kleene, wo drückt denn der Schuh?"
Ich überlegte, wie ich das am dümmsten sage, verlegen sah ich zu meinen Füßen. "Ich hätte auch gern, so ein weiches Bett, wie ihr. Wäre das möglich, es schläft sich einfach schöner, verstehst du das?"
Rudi, fing schallend an zu lachen. "Na endlich. Ich dachte schon, du wolltest hier auf Arbeit, für immer auf deiner ollen Pritsche schlafen. Komm", sagte er in einem Ton, den man anmerkte, dass er sich riesig über mich freute.
Aber statt nach hinten zu gehen, ging Rudi wieder nach vorn. "John, sag mal, wo habt ihr denn die Matratze von Kahlyns Bett hin gestellt?", fragte er seinen Stellvertreter.
Tom war allerdings derjenige, der sich sofort an Johns Stelle meldete. "Die steht unten bei Tony. Soll ich sie holen?", an mich gewandt. "Du hast es wohl satt, auf so einer harten Pritsche zu schlafen."
Ich nickte verlegen.
"Ich hole sie gleich. Das Brett hat uns Tony gesagt, sollen wir einfach dort hinstellen, wo die Matratze jetzt steht. Wenn es Kahlyn nicht mehr braucht. Wenn mir jemand hilft, nehme ich das gleich mit nach unten."
Sep stand auf und ging mit Tom nach hinten. Keine zehn Minuten später, kamen beide wieder an den Tisch.
"Dann schöne Träume, wünsche ich dir", meinte Tom lachend.
Ich stand auf und lief nach hinten. Erstaunt sah ich, dass mein Bett schon gebaut war. Auch lag ein kleiner schneeweißer Bär in meinem Bett.
Tom sagte zu mir, in der Verbindung. "Der ist von mir. Der sitzt normalerweise in meinem Schrank. Aber Rudi hat mir gesagt, dass du Bären gern hast. Mein Sohn gibt mir bestimmt einen neuen. Schlaf schön Prinzessin", mit diesen lieben Worten klinkte er sich aus meinen Gedanken aus.
Ich saß staunend auf meinem Bett und nahm den kleinen Bären in den Arm.
"Dann guten Nacht Tom."
Auch ich kappte die Verbindung zu den anderen. Müde legte ich mich mit den Bären im Arm ins Bett und schlief sofort tief und fest ein.
Es war erst kurz nach 4 Uhr in der Früh als ich munter wurde. Immer noch hielt ich den weißen Bär von Tom in meinem Arm. Vergeblich versuchte ich nochmals einzuschlafen. Ich streckte mich einmal richtig und stand schließlich auf. Was sollte ich mich auch lange im Bett herumwälzen, wenn ich ausgeschlafen war. Leise baute mein Bett und lief nach vorn in die Dusche.
Lange stand ich unter dem Wasser, genoss die Wärme auf meiner Haut und die entspannende Wirkung des Wassers. Ich überlegte, was ich machen könnte, bis die anderen Kollegen aufstehen würden. Ich deckte den Tisch, so wie Fran es mir beigebracht hatte. Bereite Rührei vor und die Platten für das Frühstück und auch die Kaffeemaschine. Die Zeit allerdings verging nicht. Ich war viel zu schnell fertig. Als ich auf die Uhr über der Tür sah, war es trotzdem erst 4 Uhr 56. Es war also noch über eine halbe Stunde, bis die anderen aufstehen würden. Ich lief weiter nach vorn, in die Wachstube.
"Guten Morgen", begrüßte ich die Jungs laut. Erfreut stellte ich fest, dass auch Ines schon da war. "Hallo Ines, wie geht es dir? Wir haben uns, ja ewig nicht mehr gesehen. Was macht dein Arm?", erkundigte ich mich in einen lockeren Ton.
Die Kollegen aus der Wachstube sahen sich verwundert an. Sie waren einen solch lockeren Umgangston von mir gar nicht gewohnt. Aber mir ging es gut, ich hätte singen können.
"Mir geht es gut und dir? Meinen Arm ging es am gleichen Tag wieder gut. Sag nur Kahlyn, hast du schon ausgeschlafen? Es ist doch noch nicht einmal, um 5 Uhr", stellte Ines erstaunt fest und sah mich verwundert an.
"Ich konnte nicht mehr schlafen. Der Frühstückstisch ist auch schon gedeckt, das Rührei habe ich vorbereitet und auch die Kaffeemaschine. Ich weiß nicht mehr, was ich hinten noch machen soll. Kann ich euch bei irgendetwas helfen, Ines?"
Kai Nowotie und Bernd Schuster, die beiden Wachtmeister, von der Nachtschicht, schüttelten den Kopf. Ines jedoch sagte lachend zu mir.
"Kahlyn, hier kannst du nichts machen. Aber wenn du willst, kannst du mir tragen helfen. Dann kannst du mit mir zum Bäcker gehen und die Brötchen abholen. Die werden für uns am Sonntag immer extra gemacht, damit die Jungs hinten nicht verhungern müssen. Warst du schon mal bei einem Bäcker?"
Verlegen sah ich Ines an und schüttelte denn den Kopf. "Was ist das, Ines?", erkundige ich mich neugierig.
"Das wirst du gleich sehen", ohne eine Antwort von mir abzuwarten, stand Ines auf und ging in Richtung Tür.
Ich blieb allerdings stehen, dort wo ich gerade stand, zu gut war mir noch der Anpfiff von Rudi in Erinnerung, weil ich ohne seine Erlaubnis die Wache verlassen hatte.
"Was ist Kahlyn? Ich denke du willst mitkommen?", erkundigte sich Ines.
"Müssen wir da, die Wache verlassen?"
Ines lächelte mich an. Ich glaube sie ahnte, warum ich nicht mitgehen wollte. Die Wachtmeisterin kam zurück und nahm mich an den Schultern, wollte mich in Richtung der Tür schieben. Ich blieb allerdings stur stehen und schüttelte den Kopf.
"Dann kann ich nicht mitkommen, Ines. Ich bekomme wieder Ärger mit Rudi", wies ich sie darauf hin, dass ich die Wache ohne Rudis Erlaubnis, nicht verlassen konnte. Ich war entschlossen, nicht wieder gegen Rudis Vorgaben zu handeln.
"Lege ihm hinten einfach einen Zettel hin, "Bin mit Ines Brötchen holen" damit er Bescheid weiß. Wenn er mit dir meckern sollte, dann erkläre ich es ihm schon. Komm ruhig mit, Kleene. Rudi ist doch kein Unmensch, der will nur wissen, wo seine Leute sich rumtreiben. So weiß er Bescheid und wir sind ja auch nicht lange weg", erklärte mir Ines.
Ich sah verunsichert erst zu Kai und dann zu Bernd, beide Wachtmeister nickten mir aufmunternd zu. Ich wusste nicht so richtig, wie ich es richtig machen konnte und bat die beiden Kollegen, mit den Augen um Hilfe.
"Wir wissen doch auch Bescheid, Kahlyn. Glaube uns, das geht schon in Ordnung. Geh nur, ich lege ihm gleich einen Zettel hin, damit du keinen Ärger bekommst."
Tief holte ich Luft und entschloss mich dazu, meinen Kollegen zu vertrauen. Es war also eine beschlossen Sache, dass ich das erste Mal in meinem Leben zum Bäcker gehen würde. Was immer das war? Unsicher, aber neugierig, folgte ich Ines, obwohl mir nicht ganz wohl war.
"Kahlyn, Rudi schimpft bestimmt nicht mit dir. Du kommst doch gleich wieder zurück in die Wache. Wir sind spätestens in einer halben Stunde wieder im Bereitschaftsraum. Keine Angst du bekommst keinen Ärger. Aber du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet. Wie geht es dir?"
"Mir geht es gut." Antwortete ich einsilbig. Ich war viel zu sehr abgelenkt und sah mich erstaunt um. "Was ist das hier?", erkundigte ich mich interessiert bei Ines.
Wir liefen entlang einer Straße und kamen an vielen Häusern vorbei. Überall waren Fenster, mit Dingen die ich noch nie gesehen hatte. Ines zog mich immer weiter die Häuserfront entlang. So hatte ich gar keine Zeit mir das alles anzusehen. Am liebsten hätte ich mir das alles ganz genau angesehen.
"Was ist das?" fragte ich noch einmal. Als wir wieder an einem Fenster, mit lauter braunen Ringen und Stangen vorbei liefen.
"Kahlyn, das ist eine Fleischerei. Da gehen wir auch gleich noch rein. Ich soll für Tino noch Fleisch mitbringen", eilig zog mich Ines weiter die Straße entlang. "Kleene, wir gucken uns das alles einmal in Ruhe an, dann erkläre ich dir alles ganz genau. Heute müssen wir uns etwas beeilen, sonst verhungern deine Jungs uns noch und das wollen wir doch beide nicht. Komm schon wir müssen ein wenig zügiger laufen, ich bin spät dran", bat sie mich eindringlich.
Also beeilte ich mich ihr zu folgen und Ines musste mich nicht mehr hinter sich her zerren. Trotzdem sah ich mich aber interessiert um. Ich würde mich dann mit John mal unterhalten und ihn fragen, was das alles ist. Einige Minuten später erreichten wir das Haus in dem sich die Bäckerei befand, wie Ines das Gebäude bezeichnet hatte. Dort angekommen, klingelte sie. Ein Mann mit dem gleichen feuerroten Haar wie Ines hatte, öffnete die Tür. Lachend schloss er Ines in seine Arme und gab ihr einen Kuss. Dabei sah er Ines mit lauter kleinen Lachfalten, um die Augen an.
"Morgen Rübe, du kommst aber heute spät. Ich dachte schon du kommst nicht mehr und ich muss die ganzen Semmeln alleine Essen. Da werden ja die Semmeln altbacken, wenn du so spät kommst. Was sollen deine Jungs, denn von mir denken?", begrüßte er lachend Ines. Auf einmal stutzte er, da er mich entdeckt hatte. "Bringst du dir heute Verstärkung mit?"
"Guten Morgen, Christopher", Ines, gab den Bäckermeister einen Kuss. Leise zu mir sagte sie. "Du musst auch guten Morgen sagen, Kahlyn. Sonst bekommen die Jungs keine Brötchen."
Trotzdem ich den Mann nicht kannte, sage ich ganz leise. "Sir, guten Morgen, Sir."
Verwundert sieht mich der Bäcker an.
"Chris, die Kleene ist noch ganz fremd hier. Die war noch nie bei einem Bäcker. Lass ihr einfach noch etwas Zeit", Ines wandte sich um und erklärte mir. "Kahlyn, das hier ist mein Bruder Chris. Der tut dir nichts. Du musst dich nicht fürchten. Komm, Chris kann dir mal kurz erklären, wie eine Bäckerei funktioniert", an ihren Bruder gewandt. "Chris, ich erkläre dir das alles Mal, wenn ich mehr Zeit habe. Es ist ein wenig kompliziert bei Kahlyn. Das lässt sich nicht in zwei Minuten erklären. Zeig ihr einfach mal, einen Backofen und wie, so ein Laden von innen ausschaut. Bitte."
Ines sah ihren Bruder ganz lieb an. Christopher sah seine Schwester schmunzelnd an. Er kannte sein Schwesterlein, die ständig im Zeitdruck war. Sie machte einfach zu viele Aufgaben gleichzeitig und übernahm sich auch gern mal. Aber da er wusste, dass Ines ein gutes Herz hatte, nahm einfach, das, was sie sagte als gegeben. Irgendwann würde sie ihm schon alles einmal erzählen. Deshalb winkte mir Christopher zu.
"Dann komm mal mit, Kahlyn", sofort lief der Bäcker in seine Backstube. Kurz und nur mit wenigen Worten, erklärte er mir die Geräte. Er erklärte mir eine Rührmaschine, in dem Teig war, wie er es nannte. Dann zeigte er mir ganz viele Wagen voller Bleche, auf denen große Ovale Teige lagen. Er nannte das Brot. Dann ging er mit mir in einen Kühlraum, in denen noch mehr solcher Brote lagerten und erklärte mir, dass er die morgen im Backofen backen würde. Der Backofen war noch ganz heiß. Vorsichtig ging ich mit der Hand an den Ofen. Christopher zeigte mir, dass darin noch zwei Tortenböden wären, die er für seine Mutter noch backen wollte.
"Der ist ganz schön heiß", meinte ich zu Ines, die neben mir geblieben war.
"Pass auf Kahlyn. Ich hab mir daran schon einige Male böse die Finger verbrannt. Tut mir leid Kleene, länger können wir nicht bleiben. Ich muss noch zu Onkel Miguel, wegen Tinos Fleisch. Sonst müssen die Jungs heute Mittag verhungern. Aber wir können, wenn du Dienst hast, mal hierher gehen. Da komme ich mal früh um 2 Uhr, dann kann dir Chris, das alles ganz in Ruhe zeigen. Auch, wie man Brot backt, Brötchen oder Kuchen, dann kannst du mal zusehen. Vielleicht lässt dich Chris, auch mal etwas selber machen. Rudi erlaubt dir dass bestimmt. Er will ja, dass du lernst, wie das alles funktioniert."
Ich sah Ines neugierig an. Klar wollte ich wissen, wie sowas funktionierte. Aber ich verstand nichts von dem, was sie da sprach. Auch vorhin als Chris mir das alles gezeigt hatte, verstand ich nicht alles. Weil ich bestimmte Begriffe einfach gar nicht kannte und nicht wusste, was man damit macht oder sich darunter vorstellen sollte. Aber ich hatte mich nicht getraut zu fragen. Chris jedoch war gerade beim Ofen, so konnte ich leise zu Ines hin fragen.
"Was ist Brot und Kuchen? Das wäre schön, bestimmt ist das interessant. Zu was braucht man das alles?"
Ines streichelte mir traurig das Gesicht. "Komm", bat sie mich.
Trotzdem drehte ich mich noch einmal zu Christopher um. "Sir, danke, das ich mal hier hereinsehen durfte, Sir."
Kopfschüttelnd sah der Bäcker mich an. Dann lächelte er mir zu. "Kahlyn, du musst nicht Sir zu mir sagen. Ich bin doch nicht bei der Truppe. Möchtest du gleich eine Semmel essen? Die sind noch ganz warm. Wieso weißt du nicht, was Brot und Kuchen ist?"
Ines sprang für mich in die Presche. "Chris, die Kleene darf so etwas nicht essen. Wie gesagt, ich erkläre dir das alles ein anderes Mal. Wenn ich es schaffe, komme ich heute nach dem Dienst noch einmal kurz vorbei. Also mach's gut",
Ines schnappte sich den Beutel mit dem Brot und den Semmeln und drehte sie sich um, lief eilig zur Tür. Ich folgte ihr, drehte mich an der Tür noch einmal um.
"Sir, auf Wiedersehen, Sir", verabschiedete ich mich und lief sofort Ines hinterher.
"Na komm, Kleene. Sonst verhungern unsere Jungs auf der Wache wirklich noch", kicherte sie.
Ines nahm mich breit grinsend an der Hand und zog mich hinter sich her. Schon eilten wir zurück, zu dem Fenster mit den Rollen und Ringen. An dem großen Fenster angekommen, klopfte Ines kurz an, in einem bestimmten Rhythmus. Kaum das Ines fertig geklopft hatte, kam ein dicker breitschultriger Mann mit schneeweißen Haaren und einem riesigen Schnauzer, an die Tür und öffnete. Er machte einen bulligen, fast könnte man sagen, unheimlichen Eindruck auf mich. Man sah ihm sehr genau an, dass da nicht nur Fett unter seiner Haut war, sondern vor allem viele Muskeln. Der Fleischer, wie ihn Ines nannte, sah irgendwie imposant aus, wirkte auf mich irgendwie bedrohlich. Vor allem ging von ihm eine ungeheure Macht und Kraft aus, die einschüchternd wirkte. Etwas, dass mir nur sehr selten in meinem Leben passiert war, geschah.
Dieser Mann forderte sich nur durch sein Erscheinungsbild, Respekt von mir ein. Er erinnerte mich an einen Comandante aus Chile, der uns schwer zugesetzt hatte. In mir ging sofort alles auf Abwehr. Ich hatte so etwas noch nie zuvor in meinem Leben erlebt. Es gab nicht sehr viele Menschen, die mich alleine durch ihr Auftreten, dermaßen einschüchtern konnten. Aber bei diesem Mann war das genau der Fall. Der Mann jagte mir eine höllische Angst ein, die ich kaum steuern konnte. Ich hatte weniger Angst um mich, sondern um Ines. Weil ich nicht begriff, wie sich meine Kollegin so unaufgefordert in Gefahr begeben konnte.
"Guten Morgen Ines. Du bist aber spät dran heute, beeil dich mal ein bissel, sonst müssen deine Jungs verhungern. Ich habe euch ein bissel Gehacktes gemacht. Es kommt gerade ganz frisch aus dem Wolf. Das spendiere ich der Wache, weil heute Sonntag ist", donnerte er mit einer tiefen Bassstimme los. Grinste Ines dabei an und wuschelte ihr durchs Haar. In diesem Moment erblickte er mich. "Na sag mal Ines, habt ihr jetzt bei euch schon einen Kindergarten oder ist die, nur zum Schutz bei euch?", sammelte der Fleischer gleich noch mehr Minuspunkte bei mir.
"Nee Onkel Miguel, das hier ist Kahlyn, eine neue Kollegin von uns. Aber ich hab sie heute einfach mal mitgenommen, weil sie sich hier ja noch nicht so richtig auskennt. Ich dachte es ist schön, wenn sie mal etwas anderes als die Wache sieht."
Als Ines Onkel ungläubig ansah und den Kopfschüttelte. "Das ist jetzt nicht dein Ernst, Rübe", meinte er.
Ines erklärte in einen belustigenden Ton. "Kannste du mir schon glauben, Onkel Miguel. Ruf einfach mal Rudi an. Es stimmt, was ich dir da erzähle. Ich konnte es auch nicht glauben. Aber Kahlyn ist das Beste, was der Wache seit langem passiert ist, sagen Rudi und die Jungs. Ohne die Kleene, würden viele auf der Wache heute nicht mehr leben. Die Jungs haben mir Sachen erzählt, da wird dir selbst als Fleischer noch schlecht", Ines zupfte mich am Ärmel und zog mich einfach zu diesem grobschlächtigen Mann hin.
Miguel sah mich ganz komisch an und musterte mich von Kopf bis Fuß. "Na, dann kommt mal, ihr beide. Sehr gesprächig ist die Kleene aber nicht, Rübe, oder?"
Ines sah mich an und dann zu ihm. "Onkel Miguel, die Kleene kennt dich doch nicht. Lass ihr Zeit. Die wird schon lockerer, wenn sie warm ist. Komm Kahlyn", forderte mich Ines mit einem Lächeln auf.
Ich glaube sie merkte, dass ich mich hier nicht sonderlich wohl fühlte. Trotzdem folgte ich ihr, ohne ein Wort zu sagen, was blieb mir anderes übrig. Ob ich wollte oder nicht, musste ich Ines folgen, denn ich musste sie beschützen vor diesem Mann. Obwohl ich am liebsten weggelaufen wäre. Ich konnte nicht einmal genau sagen warum. Dieser Miguel hatte irgendetwas an sich, was mir nicht geheuer war. Die ganze Zeit überlegte ich, was es sein könnte. Vorsichtshalber behielt ich den Mann genau im Auge, er war mir suspekt. In mir machte sich ein Gefühl breit, dass ich nur in äußersten Gefahrensituationen bekam. Es würde mich deshalb nicht wundern, wenn der Fleischer Ines etwas antun würde. Das allerdings würde ich unter keinen Umständen zulassen. Ines bemerkte fast sofort, dass ich mich in der Gegenwart ihres Onkels völlig verkrampfte und eine Abwehrhaltung einnahm. Die gleiche Reaktion hatte sie von mir erlebt, als Mayer in der Wache aufgetaucht war. Bei Ines gingen deshalb auch alle Alarmglocken an, krampfhaft überlegte sie, wie sie die Situation für mich entspannen konnte. Deshalb erklärte sie mir ganz leise, so dass es dieser Mann nicht hören konnte. Sie wollte mir einfach Mut machen. Deshalb legte sie mir die Hand beruhigend auf die Schulter.
"Kahlyn, beruhige dich bitte. Dir droht hier keinerlei Gefahr. Kleines, meinen Onkel Miguel wirst du lieben. Das ist ein ganz lustiger Gesell. Der sieht zwar aus, wie ein wildgewordener Stier, aber er ist ein ganz Lieber. Vertraue mir einfach. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie der drauf ist. Wenn wir mal eine Feier haben, dann singt er die herrlichsten Lieder. Mit einer Stimme, die du ihm gar nicht zutrauen wirst. Vor allem kann Onkel Miguel tanzen und Akrobatik machen, dass du nur so staunen wirst. Es gibt niemanden, der meinen Onkel länger als fünf Minuten widerstehen kann. Wenn der loslegt, da kommt richtig Stimmung in die Bude. So dass die Wände nur so wackeln und ob du willst oder nicht, du machst da automatisch mit. Du musst dich vor ihm nicht fürchten. Er sieht gefährlicher aus, als er ist."
Die letzten Worte hatte Ines laut gesprochen, so dass sie Miguel hören konnte. Der Fleischer fing schallend an zu lachen. Ich konnte diesen Menschen einfach nicht einschätzen. Das war etwas völlig Ungewohntes für mich. Eigentlich war es bei mir immer so. Ich sah einen Menschen an und wusste mit hundertprozentiger Sicherheit, ob er zu meinen Freunden oder Feinden gehörte. Diesen Mann konnte ich allerdings überhaupt nicht einschätzen und das machte mich völlig konfus im Kopf.
Kaum, dass wir im Laden waren, ging Miguel weiter nach hinten, in einen weiteren Raum. Ich blieb kurz hinter Ines stehen, so dass ich sie im Augen behalten und im Notfall beschützen konnte. Ich verstand nur nicht, wieso ich so reagierte. Wieso rechnete ich hier mit einer Gefahr? Lag es vielleicht an dem Geruch, der hier in dem Raum hing.
Es roch nach Kampf, nach Tod und nach Blut. Wieso roch es hier so, wie sonst nur auf einem Schlachtfeld? Ich verstand das einfach nicht. Hier war alles sauber. Warum hatte der Fleischer die Spuren des Kampfes schon beseitigt? Wollte damit die Menschen die hier herein kamen täuschen und in Sicherheit wiegen? Da war er bei mir aber an die Falsche geraten. So schnell konnte man mich nicht täuschen und in die Irre führen. Alles in mir schaltete auf höchste Alarmstufe.
Vor allem verstand ich nicht, wieso meine Kollegin sich so locker verhielt und tat, als ob hier alles in Ordnung wäre. Nichts in dem Körper meiner Kollegin wies auf Stress hin, sie war völlig entspannt. Ich verstand das alles nicht. Ines war doch Polizistin wie ich, sah sie denn die Gefahr nicht. Alles in mir stellte sich automatisch auf einen bevorstehenden Kampf ein. Darauf hatte ich einfach keinen Einfluss. Ich verstand nur nicht, warum Ines sich hier so unbekümmert bewegte. Vor allem mit diesem Menschen sprach, als ob sie nichts von ihm zu befürchten hätte. Tausende Fragen schwirrten mir durch den Kopf, auf die ich im Moment keine Antwort wusste. Über die ich im Moment nicht nachdenken wollte, da sie mich nur von der bestehenden Gefahrensituation ablenken würden. Schätzte ich wie so oft in letzter Zeit eine Situation völlig falsch ein? Trotzdem ging ich tief in mich, um mich auf mein Qi zu konzentrieren, um im Moment eines Angriffs bereit zu sein. Irgendwie konnte ich nicht aus meiner Haut.
Keine Minute verging, bis Miguel wieder zurück in den Raum kam. Er übergab Ines einen riesigen Beutel. Der Fleischer erläuterte meiner Kollegin, dass in der Tüte Fleisch für einen Sonntagsbraten sei und er oben drauf eine Schüssel mit Hack gestellt hätte.
Dieses Hack war ganz komisch aussehendem Zeug, als ich es erblickte nahm es mir buchstäblich den Atem. Jetzt sah ich mich in meiner Einschätzung bestätigt, die ich von diesem Miguel gewonnen hatte. Der Fleischer nahm ein Stück Papier und deckte damit die Schüssel ab. Allerdings hatte sich das Bild schon tief in meinem Kopf eingebrannt. Vom Ekel erfasst, schüttelte es mich am ganzen Körper und ich wich vor Ines, Miguel und der Schüssel zurück.
Jetzt wusste ich auch, woran mich der Geruch erinnerte, den ich gerochen habe, als ich den Raum betrat. Das sah aus wie ... wieder schüttelte es ich mich und ich kämpfte gegen den Brechreiz … schnell schloss ich die Augen. Ich kämpfte krampfhaft gegen die Bilder an, die in mir hochkamen. Diese Bilder taten mir gar nicht gut, sie waren noch schlimmer als die Erinnerungen an Rumänien. Deshalb versuchte ich die Bilder mit aller Gewalt wieder in die "Vergiss es Ecke" oder "Denke nicht daran Ecke" zu drängen. Es war überhaupt nicht gut, wenn sie aus dieser Ecke an die Oberfläche meines Bewusstseins kamen. Das war überhaupt nicht gut.
Egal was ich versuchte, es gelang mir einfach nicht, sie wieder nach unten zu drücken. In die Ecke meines Kopfes, in der sie sonst immer gut verpackt geruht hatten. Ich wollte diese Bilder nie wieder sehen, das hatte ich mir vor vielen Jahren geschworen. Panik ergriff mich und nahm mir die Luft zum Atmen. Immer heftiger begann ich nach Atem ringen und gegen den Brechreiz zu kämpfen, der mich nun auch noch fest im Griff hielt. Ines die mich genau beobachtete, sah, dass ich einen Schritt zurückwisch. Sie folgte meinem Blick und sah mich verwundert an.
"Kahlyn, was ist denn los?", erkundigte sie sich erschrocken bei mir.
Ines bemerkte, dass ich immer blasser im Gesicht wurde und anfing zu zittern. Sie wollte versuchen mich zu beruhigen und zog mich in ihre Arme. Ich drehte mich von ihr weg und aus ihren Armen. Die Panik die mich erfasst hatte und die Bilder in meinen Kopf, hatten mich voll im Griff. Ich kämpfte krampfhaft gegen diese Erinnerungen an. Sagte mir immer wieder. "Das hat nichts mit dem zu tun, was du kennst. Du denkst falsch. Denke an die Puppen. Hier ist alles anders. Auch wenn du dem Mann hier alles zu traust, aber hier ist alles anders. Lass es dir später in Ruhe erklären", versuchte ich mich selbst zu beruhigen und vor allem gegen die immer größer werdende Panik in mir anzukämpfen.
Ich war mir voll und ganz bewusst, dass es Blödsinn war, was mir gerade in dem Kopf kam. Trotzdem schaffte ich es einfach nicht dagegen anzukämpfen. Die Bilder die in meinem Kopf aufstiegen, drängten mich immer tiefer in eine Panik hinein.
"Kleene, das ist nichts Schlimmes, das ist nur Gehacktes, die Jungs in der Wache essen das gern. Das ist nichts Schlimmes, glaube mir bitte."
Ungläubig, sah ich Ines an, weil ich nichts von dem begreifen konnte, was sie mir erklärte. Versuchte mich krampfhaft zu beruhigen und meinen rasselnden Atem wieder in den Griff zu bekommen. Ich ging in die Hocke und tief in die Taijiatmung. Hoffte auf diese Weise, mich wieder zu beruhigen. Vor allem diese verdammten Bilder und die damit verbundene Panik in den Griff zu bekommen.
"Wirklich, das ist nur durch gehacktes Schweinefleisch, gewürzt, mit ganz viel Zwiebeln und Knoblauch. Das schmeckt ganz lecker", versuchte sie mir beruhigend zu erklären.
Ines meinte es gut, aber in solchen Momenten sollte man mir lieber Ruhe lassen. Es nutzte nichts auf mich einzureden. Dadurch bekam ich die Panik nicht in den Griff. Ich musste mich unbedingt beruhigen. Immer heftiger atmete ich. Ines sah mich immer ängstlicher an, als sie bemerkte dass mir Blut aus der Nase lief und auch meine Augen anfingen zu bluten. Meine Kollegin merkte genau, dass sie das, was hier im Moment geschah nicht mehr beeinflussen konnte. Deshalb entschied Ines das einzig Richtige zu tun, was ihr gerade einfiel. Sie schickte mich weg, aus der Situation, die mir nicht gut tat. Da sie sich nicht sicher war, durch, was sie mich so erschreckt hatte, entfernte sie mich völlig aus dem Gefahrenbereich, der mir zu schaffen machte. Später so nahm sich Ines vor, würde sie mit mir in Ruhe reden, was der Auslöser gewesen war.
"Komm beruhige dich doch, Kahlyn. Weiß du was, geh lieber nach draußen. Komm beruhige dich doch, meine Kleene. Weißt du Kleene, am besten du gehst zurück in deine Wache. Wenn dir das hier alles zu viel ist. Laufe ganz schnell zurück, bitte Kleene. In der Wache ist der John, der hilft dir. Beruhig dich doch, bitte. Komm Lauf zu John. Ich komme gleich nach. Aber passe auf der Straße auf, hörst du Kahlyn."
Ich nickte und war Ines dankbar, dass ich gehen konnte. Ines ging zur Tür und öffnete die, hielt sie mir sogar auf, damit ich diesen Ort verlassen konnte.
Obwohl ich Angst um Ines hatte, verließ ich ohne zögern den Raum. In meinen jetzigen Zustand hätte ich meiner Kollegin sowieso nicht helfen können. Dazu ging es mir viel zu schlecht, ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten. Ich war so froh, dass ich hier weg konnte und dachte im Moment auch gar nicht darüber nach, dass ich meine Kollegin im Stich ließ.
Im Moment konnte ich mir auch nicht vorstellen, dass eine unmittelbare Gefahr für sie bestand. Dann nämlich, hätte ich völlig anders reagiert und alles um mich herum ausgeschaltet. So etwas würde ich nie zugelassen. Ines in einer Gefahrensituation alleine zulassen war für mich unvorstellbar. In solch einem Moment, hätte mein Unterbewusstsein, alle meine Befindlichkeiten völlig ausgeblendet und nur noch auf die Gefahren geachtet, die für meine Kollegin und damit auch für mich bestanden.
Ich stand deshalb einfach auf und lief so schnell ich konnte zur Wache zurück. Ließ Ines mit dem Fleischer einfach alleine und floh regelrecht in meine Wache. Es dauerte keine zwei Minuten bis ich die Wache erreichte und klingeln konnte. Nach dem mir Bernd geöffnet hatte, lief ich an ihm vorbei und nach hinten in den Bereitschaftsraum. Ignorierte beim Vorbeilaufen alle Zurufe meiner Kollegen und wollte nur alleine sein.
Ich musste die verdammten Bilder wieder dort hinschicken, wo sie hingehörten. Sie taten mir gar nicht gut und heizten eine Wut in mir an, die für alle hier mehr als gefährlich war. Ich musste diese verdammte Wut in den Griff bekommen, denn ich lebte mitten in der Stadt und meine Kollegen wussten nicht, wie sie sich in einer solchen Situation zu verhalten sollten. Ich musste unbedingt einmal mit John darüber reden, damit wenigstens einer hier in der Wache Bescheid wusste. Auch wenn mir himmelangst und bange vor diesem Gespräch war.
Panisch lief ich weiter nach hinten in den Schlafsaal und nahm meinen Bären in den Arm und rollte mich, am ganzen Körper zitternd, auf meinem Bett zusammen. Sobald ich allerdings lag, kamen die Erinnerungen mit voller Macht zurück. Ich konnte sie nicht aufhalten. John und Rudi, die mich hatten kommen sehen, zuckten erschrocken zusammen. Ich war wieder einmal grauweiß im Gesicht.
"John, gehst du bitte mal nach der Kleenen gucken. Du kommst, wenn sie so durch den Wind ist, besser an sie heran, wie ich", bat Rudi seinen Freund und den Sanitäter der Truppe.
John, lief mir sofort nach. Vorsichtig setzte er sich auf mein Bett.
"Kahlyn, was ist denn los? Was ist denn passiert Mäuschen? Das du so durcheinander bist?"
Zitternd und völlig in Panik, sah ich zu meinen großen Freund auf.
"Komm in meine Arme, Mäuschen. Was hat dich denn so erschreckt?"
Ich konnte John nicht antworten. Mir war einfach nur schlecht. Diese verdammten Bilder. So lange hatte ich sie nicht mehr gesehen. Alle Erinnerungen kamen wieder mit voller Wucht, zurück. Ich schüttelte mich ständig und konnte nichts dagegen tun. John der mich in seine Arm genommen hatte, fängt an mich zu schaukeln.
"Komm beruhige dich erst einmal. Ganz ruhig Mäuschen. Wir bekommen das schon hin."
John fing an das Lied zu summen, das mir schon einmal so geholfen hatte. Langsam wurde mir besser. Die Ruhe von John übertrug sich auf mich und gab mir endlich die Kraft mich zu beruhigen. Auf genau diese Weise hatte es Rashida immer geschafft mich zurückzuholen, aus der Grübelei oder mich zu beruhigen, wenn das Grauen mich erfasst hatte. Das Atmen, tat nicht mehr ganz so weh. Die Verkrampfung meiner Muskulatur, ließ langsam etwas nach. Ich fing einfach an zu weinen. Nach fast einer halben Stunde, wurde es langsam wieder besser.
"Warum… erschreckt … mich… immer … alles … so ... Ich weiß doch… dass es hier… anders ist… Aber trotzdem… erinnert … es mich… an damals… Es soll aufhören… John … kannst du nicht machen… dass es aufhört … bitte", brachte ich mühsam hervor. Versuchte schluchzend John zu erklären, was los war.
"Was ist denn passiert, Mäuschen? Was hat dich so in Panik versetzt?"
Ich schüttelte den Kopf. Ich konnte und wollte nicht darüber reden. Zitternd wie Espenlaub, lag ich in Johns Armen.
"Du willst nicht darüber reden Mäuschen. Ich kann das ja verstehen. Nur wenn wir nicht wissen, was dich so erschreckt hat, dann können wir dich davor auch nicht beschützen. Verstehst du das."
Zitternd nickte ich. Aber ich traute mich nicht darüber zu reden. Denn John wäre fast gestorben, als ich ihm das mit den Puppen erzählt hatte. Ich wollte nicht, dass es ihm wieder schlecht ging. Ich hatte keine Kraft mehr für das Krantonak. Vor allem ich wusste nicht, ob ich ihm helfen konnte, wenn es ihm wieder schlecht ging. Hin und her gerissen von meinen Gefühlen, fing ich wieder an zu weinen.
"Was ist denn los Mäuschen? So schlecht warst du doch lange nicht drauf", beruhigend streichelte er mir über den Kopf.
"Ich kann dir nicht helfen… wenn es dir wieder schlecht geht… John… ich kann doch nicht zulassen… dass dir etwas passiert", flüsterte ich mehr, als dass ich sprach.
John streichelte mein Gesicht. "So schlimm Mäuschen, wie die Sache von Rumänien?"
Ich schüttelte weinend den Kopf. "Schlimmer John, viel schlimmer. Aber anders schlimm", gestand ich John noch leiser.
"Soll ich dir N91 spritzen Mäuschen. Bevor du wieder einen Anfall bekommst."
Ich nickte.
John war das erste Mal richtig froh, dass er die Verbindung hatte. So konnte er um Hilfe rufen, ohne dass er mich alleine lassen musste. John öffnete jetzt die Verbindung und ging, weil Rudi die Verbindung noch nicht wieder geöffnet hatte, durch die Notfalltür.
"Rudi, ich brauche dich und den Medi-Koffer. Schnell, bevor es dem Mäuschen, wieder richtig schlecht geht. Beeile dich", forderte er seinen Freund in Gedanken, zur Eile auf. Rudi rannte los, holte den Medi-Koffer und kam sofort nach hinten in den Schlafsaal.
"Mäuschen, wie viele Einheiten soll ich dir geben?", fragte mich John, nachdem er eine der fertigen Spritzen aus dem Etui genommen hatte.
Mühsam zeigte ich ihm fünf Finger. Mir ging es immer schlechter. Ich musste mich und meine ganze Wut betäuben spritzte mich deshalb völlig down.
"Kannst du dich noch spritzen, Mäuschen?"
Ich wollte nach der Spritze greifen, allerdings zitterten meine Hände so sehr, dass ich sie nicht halten konnte. Sie fiel mir einfach aus der Hand.
"Lass gut sein Mäuschen. Ich geb sie dir", erklärte mir John.
Ich drehte meinen Kopf so, dass John gut an die Ader herankam. Unser Sani hob die aufs Bett gefallene Spritze wortlos auf und gab sie mir in die Halsschlagader. Trotz der hohen Dosis, brauchte ich noch ganze zwanzig Minuten, ehe ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte und endlich schlafen konnte. Rudi, der bei uns sitzen geblieben war, sah John fragend an. John jedoch zuckte mit den Schultern.
"Rudi, ich weiß nicht was los ist. Das Einzige, was sie gesagt hat ist. Dass sie nicht versteht, dass sie hier alles so erschreck. Obwohl sie weiß, das hier alles anders ist. Irgendetwas, muss sie an ein früheres, schlimmes Erlebnis, erinnert haben. Etwas, was noch schlimmer ist als Rumänien. Nur wäre es anders schlimm. Ich frage mich die ganze Zeit, was noch schlimmer sein kann, als die Puppensache. Vor allem, wie kann etwas anders schlimm sein. Ich verstehe es nicht. Aber so, wie das Mäuschen gezittert hat, muss es furchtbar gewesen sein. Sie wollte es mir nicht erzählen, weil sie Angst hatte, dass es mir wieder schlecht geht. Wie damals nach der Sache mit den Puppen."
Rudi nickte traurig. Er hatte doch auch gesehen, wie ich aussah. Langsam beruhigte sich mein Atem. John sah mich ängstlich an.
"Rudi, ich habe Angst sie los zu lassen. Nicht, dass sie wieder anfängt zu schreien."
Rudi sah mich lange an. "John ich glaube nicht, dass sie wieder schreit. Sie war nur erschrocken. Irgendetwas, hat sie mächtig erschrocken. Weißt du, wenn sie nicht von alleine anfängt, darüber zu reden, dann sollten wir es auf sich beruhen lassen. Wenigstens so lange, bis sie etwas gegessen hat. Dann, wenn es ihr wieder besser geht, sollten wir sie mal vorsichtig fragen."
John nickte, vorsichtig ließ er mich ins Bett rutschen. Erleichtert stellten die Beiden fest, dass keinerlei Reaktion von mir kam. Das war auch gar nicht mehr möglich. Ich hatte mich völlig abgeschossen, mit fünf Einheiten N91, war ich so hoch, wie es nur irgend möglich war, an die Dosierung herangegangen.
"Komm Rudi, gehen wir nach vorn. Mal sehen, ob Ines uns etwas sagen kann?" Nach einem letzten Blick auf mich, standen Beide auf und gingen leise aus dem Raum. John macht die Verbindung auf, damit er mich sofort hören konnte, wenn ich munter wurde. Auch auf die Gefahr hin, dass er Bilder von mir sah. Allerdings hatte ich die Verbindung zu allen, schon bei Miguel komplett geschlossen, weil diese Bilder einfach nicht gut für die Jungs hier waren.
Ich schlief einen betäubten Schlaf. Aus dem mich niemand wecken konnte. Denn mit fünf Einheiten N91, war ich mit die maximale Grenze der Dosierung gegangen, die ich vertragen konnte. Ich wollte den Männern, den ich schon so viele Nerven geraubt hatte, nicht schon wieder einen meiner Anfälle zumuten. Auch, wenn diese Dosierung gefährlich war, in meinem jetzigen Zustand, musste ich das tun. Denn diese Bilder, weckten ein schlimmeres Gen in mir.
Wenn ich darüber die Kontrolle verlor, war ich für alle eine Gefahr, nicht nur für die Kollegen der Wache, sondern auch für die Bevölkerung. Ich musste das alles hier, unbedingt unter Kontrolle bekommen. Durch den immer noch viel zu hohen Antibiotikaspiegel und das hochdosierte N91, konnte es zu inneren Blutungen führen. Diese konnte ich jedoch, auch im Schlaf kontrollieren und konnte im Notfall dagegen vorgehen.
John und Rudi gingen nach vorn in den Bereitschaftsraum, zu den anderen Kollegen. Sie konnten diesen erleichtert berichten, dass Kahlyn endlich ruhig schlief. Allerdings saßen die Mitglieder der anderen beiden Teams und der Wachstube ganz verstört an dem Tisch. Ines war noch verwirrter als die Anderen. Sie machte sich schlimme Vorwürfe, weil sie Kahlyn dazu überredet hatte mitzukommen. Den Kopf auf die Hände gestützt, grübelte sie krampfhaft darüber nach, was eigentlich schief gelaufen war. Was die kleine Maus, so erschreckt haben könnte? Als sie Rudi bemerkte, sprang sie auf und lief sofort auf ihn zu.
"Rudi, das wollte ich nicht. Ich weiß nicht, was mit Kahlyn ist. Wirklich nicht …", brachte Ines völlig durch den Wind hervor und sah Rudi, mit panischen, großen Augen an. "… ich war bei Onkel Miguel, um für Tino das Fleisch abzuholen. Als er mir den Beutel reichte, starrte Kahlyn auf einmal auf den Beutel. Sie wurde grauweiß im Gesicht und taumelte zurück. Sie bekam kaum noch Luft und ging in die Hocke. Danach hat sie kein Wort mehr gesagt. Sie hat mich nur noch panisch angesehen. Ich habe ihr noch versucht zu erklären, was das ist. Aber sie starrte total panisch auf die Schüssel mit dem Gewiegten. Ich hab ihr dann gesagt, sie soll in die Wache zurück laufen und auf der Straße aufpassen. Ich bin ihr noch hinterher gerannt. Aber sie ist so schnell gewesen, dass ich sie nicht einholen konnte. Es tut mir leid. Ich dachte, ich mache ihr eine Freude. Dass sie mal etwas Neues kennenlernt kann. In einen Bäcker oder hinten in einem Fleischer, kommt sie doch sonst nicht. Ich konnte mir doch denken, dass sie sowas noch nicht kennt. Sie darf doch sowas nicht essen. Aber ahnte nicht, dass ich sie erschrecke. Das wollte ich nicht. Wirklich nicht Rudi", jetzt kamen doch die Tränen bei Ines.
Völlig aufgelöst war die Wachtmeisterin. Sie machte sich solche schlimmen Vorwürfe. Rudi nahm seine Ines, seinen Engel der Wache, wie er sie immer nannte, tröstend in den Arm.
"Ines, damit müssen wir bei der Kleenen immer rechnen. Du musst dir keinen Vorwurf machen. Sie beruhigt sich schon wieder. Auf alle Fälle, schreit sie diesmal nicht. Also so schlimm, wie das letzte Mal, ist es schon mal nicht. Auch weiß die Kleene, dass es nichts Schlimmes ist. Das hat sie John gesagt. Nur hat sie das Gehackte, an irgendetwas aus ihrem früheren Leben erinnert", ernst sah er seine Leute an, die in alle schon wieder fragend ansahen. "Fragt mich jetzt bloß nicht an was. Wenn ich ehrlich bin, will ich es gar nicht wissen. Ich glaube, danach essen wir alle kein Hack mehr", sagte er mit einer gehörigen Portion Sarkasmus in die Runde.
Seine Männer bestätigten durch Nicken, dass sie genauso dachten. Zu gut war ihnen noch bewusst, was damals los war, als Rudi mit Kahlyn bei den Runges war. Langsam beruhigten sich die Männer. John ging nach zehn Minuten noch einmal nach hinten in den Schlafraum, um nachzusehen, ob Kahlyn ruhig schlief. Aber die junge Kollegin hatte sich noch nicht gerührt. Das sagte er auch seinen Kollegen. Also frühstückten die Männer erst einmal in Ruhe. Dieses eine Mal verzichtete der Teamleiter sogar, auf seinen Morgenspaziergang. Etwas, dass man nur ganz selten erlebt hatte. Aber Rudi fand irgendwie keine Ruhe. Die Männer versuchten so gut es ging, einfach zur Tagesordnung überzugehen. Da heute Lauftraining angesagt war, teilten sich die Männer auf. Kurz entschlossen einigten sich Rudi und John darauf, dass John in der Wache blieb, um in Kahlyns Nähe zu bleiben. Damit jemand da war, wenn Kahlyn munter wurde. Allerding schlief Kahlyn durch. Bekam nicht einmal mit, dass Doko Karpo zu ihr kam und sie untersuchte. Es war schon kurz vor 13 Uhr, als Rudi und der Rest der Truppe zurück in die Wache kamen. Rudis erste Frage war die nach Kahlyn. John schüttelte den Kopf und wackelte dann mit demselben.
"Rudi, das Mäuschen schläft ganz ruhig. Ich habe langsam das Gefühl, dass sich Kahlyn selber und mit voller Absicht abgeschossen hat"
Verwundert sah Rudi seinen Sanitäter an.
"Rudi, ich habe vorhin Jens angerufen. Ich hatte mir Sorgen gemacht, weil so gar keine Reaktion von dem Mäuschen kam. Karpo meinte zu mir, die maximale Dosierung, vom N91 wären drei Einheiten. Mir hat Kahlyn aber gesagt, dass ich fünf Einheiten spritzen soll. Jens hat drauf hin Jacob angerufen. Fritz sagte ihm, wenn sie so hoch an die Dosierung geht, trotz der Antibiotika die sie noch im Körper hat, dann muss es etwas ganz Schlimmes sein. Dann stand sie kurz, vor einem noch schlimmen Anfall, als das Nervenfieber. Aber er weiß auch nicht was das sein könnte. Alles hat Kahlyn ihm auch nicht erzählt. Jens war hier und hat sie durchgecheckt. Sie hat wieder hohes Fieber, aber sonst ist alles in Ordnung. Fritz meinte, das Fieber kann von dem Schock sein oder aber eine Reaktion auf die Überdosierung sein. Solange Kahlyn ruhig schläft, müssen wir uns keine Sorgen machen. Jedenfalls nicht, solange die anderen Vitalwerte in Ordnung sind. Die sind aber in Ordnung, Puls und Blutdruck sind normal."
Rudi nickte erleichtert und atmet auf. "Wie noch schlimmeren Anfall als dem des Nervenfiebers?", erkundigte er sich bei dem Sani.
"Rudi, das kann ich dir nicht sagen, mehr hat uns Jacob nicht erzählt. Als Jens nachgefragt hat, blockte Jacob ab und wir bekamen nichts mehr aus ihm heraus."
Rudi sah verwundert auf seinen Kollegen, der zuckte verlegen mit den Schultern.
"Na ja, da müssen wir Kahlyn einmal fragen, was Jacob meint. Dann lass uns Mittag essen. Danke John, du bist ein Engel."
Trotzdem ging Rudi nach hinten in den Schlafsaal, um nach seinem Sorgenkind zu gucken. Kahlyn lag zusammen gerollt im Bett und schlief. Vorsichtig streichelte er ihr Gesicht und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
"Etries, Nikita. - Schlaf meine Kleine", sagte er leise zu Kahlyn. Schlaf dich gesund, dachte er bei sich. Damit ging er nach vorn, zu den anderen.
Ich merkte, wie mir jemand das Gesicht streichelte und mir einen Kuss gab. Auch hörte ich von ganz weit, jemanden liebevoll gesprochenen Worte sagen, aber auch, wie er dann leise wegging. Langsam kam ich zu mir und sah mich verwirrt um. Ich war in der Wache. Aber warum tat mir mein Kopf so weh. Zögernd setzte ich mich auf. Musste mich aber gleich wieder hinlegen, mir war ganz schwindlig. Aufmerksam checkte ich mich durch. Mir ging es soweit ganz gut, nur das Fieber war wieder viel zu hoch. Krampfhaft versuchte ich mich daran zu erinnern, was gewesen war.
Auf einmal fiel mir ein, dass ich mit Ines unterwegs gewesen war. Ich war erst, wie hat sie es genannt, beim Bäcker mit ihr und dann bei diesem grobschlächtigen Mann. Tief atmete ich durch. Jetzt wusste ich wieder, was los war. Die Tasche, ich schüttelte mich und verdrängte die Bilder tief nach unten, in meinen Bewusstsein, dort wo sie hingehörten. Nochmals, etwas vorsichtiger setzte ich mich auf. Dieses Mal ging schon etwas besser. Langsam ging ich, wenn auch schwankend, nach vorn in die Dusche. Stellte mich unter das heiße Wasser, um wieder klarer denken zu können.
Verdammt noch mal, wann hörte das endlich auf, dass ich mich bei allem, was ich hier sah erschreckte. Langsam müsste ich wissen, dass hier alles anders war. 'Warum bekam ich das nur nicht auf die Reihe?' Fragte ich mich allen Ernstes, so konnte es doch nicht weiter gehen. Ich konnte doch nicht jedes Mal schlapp machen, wenn ich etwas sah, dass mich an Früher erinnerte. So ging das nicht weiter mit mir. Zögernd ließ ich mich an der Wand nach unten rutschen und setzte mich einfach auf den Boden.
Jetzt erst wurde mir bewusst, dass ich nicht einmal den Overall ausgezogen hatte. Sondern im Overall unter die Dusche gegangen war. Ich schüttelte über mich selber den Kopf, das konnte doch alles nicht wahr sein. "Verdammt nochmal, reiße dich zusammen", sagte ich zu mir selber. Lange saß ich unter dem Wasser. Krampfhaft versuchte ich für mich eine akzeptable Lösung zu finden. Eine die verhinderte, dass ich ständig in diese verdammten Anfälle hinein rutschte. Ich konnte nicht immer N91 spritzen, auch das N93 war keine Dauerlösung. Ich würde dann Rudi fragen, ob ich, wenn möglich, täglich eine Stunde Taiji machen konnte. Das hat mir immer geholfen, wenn es mir mal nicht so gut ging. Ja, genauso würde ich es machen. Das war glaube ich eine gute Möglichkeit, ausgeglichener zu werden. Denn so ging es auf keinen Fall weiter mit mir. Stellte ich für mich selber fest.
Entschlossen stand ich auf, kleidete mich aus und fing an mich zu waschen. Meine nassen Sachen schmiss ich in die Schmutzwäsche und nahm mir ein Badehandtuch. Fertig mit allen, lief ich nach vorn zu den Spinden und zog mich an. Ich sah nach, ob Ines noch am Tisch saß. Als ich die Kollegin nicht entdecken konnte, ging ich ohne auf die anderen zu hören, einfach nach vorn in die Wachstube. Dort stand Ines am Tresen und sprach mit einer Frau.
"Kleinen Moment Frau Riemenschneider, ich bin gleich wieder für sie da", bat sie die Frau, um einen Moment Geduld, als sie mich erblickte.
"Mein Gott Kahlyn, wie siehst du denn aus? Es tut mir so leid, ich wollte dich vorhin nicht erschrecken."
Ich schüttelte den Kopf und lief auf sie zu. Gab ihr einfach einen Kuss auf die Stirn. "Tut mir leid Ines, wirklich. Ich wollte dir keinen Ärger machen. Ich war nur so erschrocken. Tut mir wirklich leid. Ich kann das nicht steuern im Moment. Ich hoffe du bist mit nicht böse", traurig sah ich sie an.
Ines schüttelte den Kopf und wuschelte mir über den Kopf. "Warum soll ich dir denn böse sein, Kleene? Ich war nur erschrocken, weil ich nicht damit gerechnet habe. Weißt du, für uns ist das doch alles ganz normal. Immer vergesse ich, dass du das alles nicht kennst. Ich wollte dir eigentlich eine Freude machen", vorsichtig nahm sie mich in den Arm.
"Das hast du auch. Ines, das ist nun schon das zweite Mal, dass ich dich so erschreckt habe. Es tut mir wirklich leid, dass mir das immer wieder passiert. Aber ich kann das, wirklich im Moment nicht steuern. Ich gehe mal hinter, die werden bestimmt schon sauer auf mich sein", brach ich das Thema ab, über das ich nicht sprechen wollte.
Ines schüttelte den Kopf. "Da ist keiner sauer. Die machen sich nur alle sehr große Sorgen um dich. Du siehst schlecht aus, Kleene. Lege dich lieber noch mal hin."
Ich winkte ab. "Nein, ich mache dann das Taiji, wenn ich Zeit habe, danach geht es mir wieder besser. Also bis dann, tut mir wirklich leid, Ines, das wollte ich nicht. Hoffentlich bekommst du keinen Ärger, mit dem Mann. Der sah sowieso schon so Böse aus", stellte noch fest, drehte ich mich um und ging nach hinten.
Kaum dass ich die Tür geöffnet hatte, kam mir schon Rudi entgegen.
"Na meine Kleene, geht’s wieder?", fragte er mich und zog mich in den Arm. Es tat so gut. Ich nickte.
"Tut mir leid Rudi, immer mache ich Ärger. Aber ich habe auf die Reaktionen meines Körpers im Moment wirklich keinen Einfluss. Mich kotzt das so an. Bitte frage mich nicht, was los ist. Ich will und ich kann darüber nicht reden", ernst sah ich ihn an. "Jedenfalls nicht heute."
Rudi nickte und harkte auch nicht weiter nach, wofür ich ihm dankbar war. "Sag mal Rudi, was ist in der nächsten Stunde geplant?"
Rudi sah mich fragend an. "Warum, willst du das wissen, Kleene?"
"Ich würde für mich gern das Taiji machen, wenn ich Zeit dazu habe. Das dauert ungefähr neunzig Minuten. Danach geht es mir hoffentlich, wieder besser", bat ich ihn.
Rudi sah mich an und mustert mich intensiv. "Klar, mache das bitte. Ich sehe doch, dass es dir immer noch nicht gut geht. Wir wollten, dann zwar Taktikschulung machen, um 15 Uhr, aber wir können auch erst eine Stunde später anfangen oder du stößt, wenn du fertig bist einfach dazu", schlug er mir vor.
Intensiv beobachtete er jede meiner Reaktionen, man sah ihm an, dass ihn etwas schwer auf dem Magen schlug. Er rieb sich das Genick und rang sich dann doch durch, mich zu fragen.
"Sag mal Kleene, wie geht es dir jetzt wirklich? Wieso hast du dir so eine hohe Dosis gespritzt? Fritz meinte, das wäre nicht ganz ungefährlich im Moment. Aber es wäre notwendig gewesen, um einen noch schlimmeren Anfall zu verhindern, als den von dem Nervenfieber. Als wir wissen wollten was er meinte, schwieg er und wir bekamen nichts mehr aus ihm heraus", ernst blickte er mich an und sah richtig traurig aus.
"Rudi, ihr habt ja genug mit mir durchgemacht, in den letzen Wochen oder? Ich wollte einfach nicht wieder, in einen noch schlimmeren Anfall hineinrutschen. Dort stand ich aber kurz davor. Sag mir bitte, was ich hätte machen sollen? Mit fünf Einheiten bin ich auf der sicheren Seite. Es ist ja nichts passiert. Mir geht es nicht so besonders, aber das wird schon wieder. Mach dir keine Sorgen, nach dem Taiji geht es mir bestimmt wieder besser. Fangt derweilen schon einmal mit der Schulung an. Ich komme hinter, sobald ich fertig bin. Tut mir wirklich leid. Immer passiert mir sowas, es kotzt mich total an", sprach ich mit solcher Wut, dass Rudi zurück zuckte.
Ich war wütend auf mich, weil ich diese verdammten Anfälle einfach nicht unter Kontrolle bekam. Auf Rudi war ich nicht wütend, auch nicht auf Ines, nur auf mich selber. Traurig sah ich auf meine Füße. Rudi nahm mein Kinn und zwang mich auf diese Weise ihn anzusehen.
"Ist nicht schlimm Kleene, du bekommst das schon noch in den Griff. Mit jedem Mal, wird es ein Stück besser. Sieh mal, diesmal hast du nicht mal geschrien. Du wusstest sogar, dass es nichts Schlimmes ist. Du hast dich nur erschrocken. Das wird schon, gib dir einfach noch etwas Zeit. Wenn wir dir das nur abnehmen könnten. Wir würden es zu gerne machen."
Ich nickte und glaubte Rudi jedes Wort, das er sprach. Ich wusste auch, dass die Jungs mir das alles zu gern abnehmen würden. Mir war aber klar, dass das nicht ging. Es würde noch lange dauern, bis ich das alles so richtig in den Griff bekommen würde.
Mir war ja schon seit zwei Jahren klar, dass die Eingewöhnung für uns alle nicht so einfach sein würde. Das es viel Zeit brachte und viel Geduld, bis wir uns richtig in den neuen Teams eingelebt hatten. Dass es sich allerdings so schwer gestalten würde, hätte ich mir nicht ausgemalt. Ich stellte mir das Leben hier ganz anders vor. Halt so wie wir es in der Schule kannte und so wie es bei dem Oberst immer war. Hoffentlich hatten meine Kameraden nicht aus so schlimme Probleme, wie ich. Ich wünschte ihnen in Gedanken, dass sie alle Probleme zu mir schicken sollten. Nur damit es ihnen nicht so beschissen ging, wie mir. Im Moment war mir mehr nach Sterben, als nach Leben zumute. Traurig streichelte Rudi mein Gesicht und zog mich wieder in seinen Arm. Ich kuschelte mich einen kleinen Moment an ihn und blieb einfach so stehen, am liebsten würde ich weinen. Allerdings würde es mir davon, auch nicht besser gehen. Also drückte ich mich nach einer reichlichen Minute von Rudi weg und sah ihn mit dem Versuch eines Lächelns an, zuckte verlegen mit den Schultern.
"Rudi, die einzige Möglichkeit, mir das abzunehmen wäre, mich hier in der Wache einzusperren, dann passiert das nicht wieder", gab ich ihm trocken zu Antwort.
Das brachte mir einen Knuffer in die Rippen ein. Weil ich tief in Gedanken war, wich automatisch aus. Im Unterbewusstsein sah ich Rudi stürzen. Griff instinktiv nach ihm und fing ihn auf, so dass er nicht fiel. Kopfschüttelnd, jedoch lachend stand er neben mir.
"Ach Kleene, wann lerne ich endlich mal, dass du gute Reflexe hast."
Daraufhin musste sogar ich lachen, obwohl mir gar nicht danach war. "Das lernt ihr wohl erst, wenn ihr alle blaue Nasen habt", konterte ich unbewusst.
Die Jungs sahen mich an wie von einem anderen Stern, so locker war ich sonst nie. Aber bei Rudi konnte ich das auch und bei John. Es kam mir vor, als wenn ich schon ewig hier wäre und nicht erst ein paar Wochen. Bei meinen Freunden in der Schule hatte ich das ja auch immer getan und denen hatte das immer gefallen. Damit drehte ich mich um und ging zu der freien Stelle, die in der Nähe der Umkleide war und begann mich ins Qi einzuatmen. Langsam steigerte ich mich von den ersten, den einfachen Taiji Übungen, hin zu den komplizierteren Übungen. Nach anderthalb Stunden, beendete ich das Taiji mit einigen tiefen Atemzügen. Mit Erleichterung stellte ich fest, dass es mir wieder etwas besser ging. Auch wenn bei mir, noch lange nicht alles wieder in Lot war. So hatte ich aber durch das Taiji, meine innere Ruhe wieder gefunden. Dieses Gefühl gehetzt zu sein, dieses innere Vibrieren war endlich weniger geworden. Durch den stetigen Nahrungsmangel, war das auch nicht möglich, dass es mir richtig gut ging.
Fertig mit dem Taiji lief ich nach hinten in das Besprechungszimmer, um an der Taktikschulung teilzunehmen. An der Uhr vor Rudis Büro sah ich, dass es kurz vor 16 Uhr war. Die Jungs hatten also schon lange angefangen. Alle waren sie in eine lautstarke Diskussion, über eine taktische Vorgehensweise vertieft. Rudi schaute kurz von der Tafel weg und zeigte auf einen freien Platz neben John.
Interessiert sah ich mir die Tafel an, den Kopf schief haltend, setzte mich neben John. Es war ein sogenanntes Zangenmanöver. Ein Zweifrontenangriff, den sie hier diskutierten. In dieser speziellen Situation, völlig fehl am Platz. Denn er wäre mit viel zu großen Verlusten verbunden. In diesem Fall, wäre ein solches Manöver gar nicht durchführbar. Verständnislos sah ich zur Tafel und hörte der Diskussion der Gruppe zu. Eine unsagbare Wut stieg in mir hoch. Warum, so fragte ich mich wohl schon das tausenste Mal, verwendeten solchen Einheiten wie Rudi und der Oberst, nur immer wieder, solche den Tod bringende Taktiken? Das, was die Jungs hier ausarbeiteten, war ein reines Selbstmordkommando. Hinterher wären sie alle verletzt oder tot und die Verbrecher machten lustig da weiter, wo sie gestört aufgehört hatten. Die würden wieder einmal Freudensprünge machen und sich über die Dummheit der Polizei krank lachen. Unbewusst, wie ich das so oft mache, schüttelte ich den Kopf. Rudi der mich wohl beobachtet hatte, fragte mich völlig irritiert.
"Bist du nicht einverstanden, mit der Taktik", erkundigte sich Rudi gespannt.
Verlegen sah ich meinen Major an.
"Komm Kleene, spuck es aus. Sag es uns schon, was du denkst. Ich habe begriffen, dass du ein guter Taktiker bist. Raus mit der Sprache" ermutigte er mich dazu, meine Meinung zu sagen.
"Rudi, wenn ihr so vorgehen würdet. Dann ist das Ganze ein pures Selbstmordkommando. Ihr habt dann Verluste die von einem anderen Stern sind. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass die Leute die ihr bekämpfen wollt, nach vorn ausbrechen, bevor ihr die Fronten geschlossen habt. Einen zwei Fronten Kampf sollte man tunlichst vermeiden, der läuft meistens aus dem Ruder."
Rudi sah mich verwirrt an. Genau wie die anderen, aus den beiden Teams. "Erklärst du uns bitte einmal, eine bessere Vorgehensweise? Wie würdest du an dieser Stelle vorgehen?", bat mich Ronny darum, doch zu erklären wie es anders ginge. Er bemerkte meinen unsicheren Blick. "Kahlyn, bitte erkläre uns, was du machen würdest", forderte er mich auf.
Entschuldigend sah ich Rudi an. Der jedoch lachte genau wie Ronny. "Kahlyn, verrate uns einfach einmal die Vorgehensweise, die du in diesem Fall anwenden würdest. Kleene. Komm mal vor."
Unsicher erhob ich mich und stellte mich vor zu Rudi an die Tafel. Ich sah kurz zu ihm hoch, da er mir aufmunternd zunickte, nahm ich die Zangenformation weg. Allerdings musste ich noch einiges wissen um einen endgültigen Vorschlag machen zu können.
"Rudi wenn ich deine Zeichnung richtig verstanden habe, dann hast du hier eine Mauer, Wand, Felsen? Halt irgendetwas in der Art. Jedenfalls, ein für euch nicht so schnell zu überwindendes Hindernis. Oder?"
Rudi nickte, sah mich allerdings dabei an wie ein Hase den man sein Futter geklaut hat.
"Warum, drehst du die ganze Sache dann nicht um neunzig Grad, gegen die Wand?", mit einigen wenigen Strichen zeichnete ich eine V-Formation an die Tafel und zwar so, dass sie gegen die Wand lief. "Die Schenkel des Vs engen die die Gegner ein. Mit Schutzschilden bewaffnet, seit ihr sogar gegen Kugeln gesichert. Die Spitze des Vs dagegen, drücken die Gegner gegen die Wand. Verhindert durch den Vormarsch aber, dass der Gegner nach außen durchbricht und von hinten angreift. Verstehst du? Wenn die den Versuchen unternehmen, nach vorn durchzubrechen, bekommen sie von euch Widerstand. Denn, wenn man von zwei Seiten angegriffen wird, geht man nach der einzigen offenen Seite heraus. Nach hinten geht es nicht, da dort ja das Hindernis und keine Ausweichen in diese Richtung möglich ist. Also geht man nach vorn, wenn sie das aber tun, merken sie auf einmal, dass auch von vorn Widerstand kommt. Die Schenkel öffnen sich ein wenig, so dass die Gegner denken, dass die Seiten auseinander brechen. Dadurch treibt die Spitze des Vs, die Gegner gegen die Wand. So dass sie keinen Ausweg mehr sehen und sich entweder ergeben müssen, das wäre die beste Lösung oder aber es kommt zum letzten Kampf und zum Einsatz des letzten Mittels. Aber die Meisten geben auf. Wenn sie merken, es gibt keine Möglichkeit mehr zur Flucht", erklärte ich in kurzen Sätzen meine Vorgehensweise, bei dieser Art des Kampfes.
Max sah mich lange und komisch an.
"Was ist Max?", fragte ich ihn.
"Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass du hier zum letzten Mittel greifen musst?"
Lange sah ich Max an. Denn ich hatte die letzte Diskussion mit ihm noch nicht vergessen. "Trug er mir den Einsatz bei Conny immer noch nach. Kann es sein, dass er immer noch dachte, dass ich gern töte?" Das konnte ich mir eigentlich nicht vorstellen. Tief holte ich Luft und schüttelte das ungute Gefühl einfach von mir. Es brachte nichts, Sachen irgendwo hinein zu interpretierten, die so nicht stimmten.
"Max, bei Friedrichs Leuten, würde ich sagen achtzig Prozent, bei den Leuten im Drogenlabor, würde ich meinen vierzig Prozent, bei Geiselnehmer liegt diese Wahrscheinlichkeit, bei unter zehn Prozent. Da diese nicht so kampferfahren sind. Es kommt immer auf die jeweilige Situation an", wieder sah ich ihn an.
Dann blickte ich zu Rudi, der nickte mir zu, weil er merkte, dass mich etwas bedrückte. "Was ist Kleene? Wo drückt denn der Schuh?", stellte er gleich zwei Fragen an mich.
"Rudi ich weiß nicht, ob ich das so einfach sagen darf. Ohne, dass ich jemanden zu nahe zu treten", erklärte ich ihm, wo mich der Schuh drückte. Dann sah ich Max traurig an.
Max jedoch stand auf und kam auf mich zu. "Kahlyn, ich wollte mich schon seit der Auswertung vom letzten Einsatz bei dir entschuldigen, aber nie komme ich dazu. Ich weiß jetzt, dass ich dir total Unrecht getan habe. Vor allem habe ich eins begriffen, dass ich dich zu etwas gezwungen habe, was ich selber nicht könnte. Wenn ich mir vorstellen müsste, du würdest mich jetzt dazu zwingen, mich für meine Taten in Himmelpfort zu rechtfertigen. Ich glaube ich würde dich töten. Es tut mir wirklich leid, was ich dir damals abverlangt habe. Kannst du mir nur dieses eine Mal verzeihen", ernst und vor allem offen, sah mich Max an.
Kurz entschlossen ging ich auf ihn zu und nahm ihn in den Arm. "Klar, verzeih ich dir. Aber es war schon hart, dass du mir vorgeworfen hast, dass ich gerne töte. Aber ich glaube ihr habt jetzt alle begriffen, wie schlimm das wirklich war?", ernst sah ich von einem zum anderen, alle nickten.
Rudi nahm mich in den Arm. "Kleene, glaube uns eins, wir haben das nach Himmelpfort alle begriffen. Ich weiß, dass wirklich keiner mehr von dir denkt, dass du gerne tötest."
Ich atmete erleichtert aus. "Dann ist es ja gut. Das hat mich nämlich wirklich schwer getroffen. Ich hasse das Töten wie die Pest, es war, ist und wird bei mir immer das letzte Mittel bleiben. Das ich leider nicht immer umgehen kann. Oft muss ich das tun, um euch zu retten, sonst würdet ihr sterben. Lieber ein toter Verbrecher, als einer von euch.", erklärte ich mit jeden Wort leiser werdend. "Manchmal muss man einfach Töten, um seine Freunde zu schützen."
Plötzlich klingelte das Telefon.
Rudi ließ mich los und lief zum Telefon, meldete sich.
"SEK 61 Major Sender am Apparat", sofort wurde auf der anderen Seite gesprochen. "Ja geht klar Willy."
Mein Major hielt er mir den Hörer hin. "Kahlyn, der Oberst will dich sprechen."
Ich nahm ihm den Hörer ab und meldete mich. "Leutnant Kahlyn, was ist los, Sir?"
"Kahlyn, ich brauche dich dringend hier. Folgendes ist geschehen…" nach fünfzehn Minuten hatte er mir in groben Zügen erklärt, um was es ging.
"Sir, warum holen sie mich immer so spät, Sir. Wenn ich ehrlich bin, ich habe keine Ahnung, ob ich ihnen helfen kann, Sir. Wenn die Kinder jetzt schon fast vierzehn Tage verschwunden sind, wie soll ich die denn noch finden, Sir. Wenn es irgendwo Spuren gegeben hat, dann sind die längst alle zerstört, Sir. Ich komme trotzdem, Sir, vielleicht finde ich ja noch etwas, aber die Wahrscheinlichkeit ist minimal, Sir. Das Einzige, was wir versuchen könnten, wäre einen großangelegten Suchfächer auszulegen, Sir. Aber das kann ich erst vor Ort entscheiden, Sir."
Fleischer überlegt eine Weile. "Kahlyn, wie viele Leute bräuchtest du für diesen Fächer?"
"Sir, mindestens fünfzig bis hundert Leute, die zuverlässig sind, Sir. Das kommt auf das Terrain an, das sehe ich aber erst vor Ort, Sir."
Wieder herrschte eine Weile betretenes Schweigen.
"Dann geb mir noch mal Rudi."
Ich reichte Rudi den Hörer zurück und setzte mich zu John. Der sah mich traurig an.
"Sag mal Mäuschen, wie geht es dir?", fragte er mich vorsichtig, drauf gefasst, dass ich gleich an die Decke ging.
Ich konnte mir vorstellen, dass ich im Moment gerade nicht so ein nettes Gesicht machte. Aber dies hatte nichts mit meiner Gesundheit zu tun. Sondern damit, dass sich meine Gedanken schon mit diesem Fall beschäftigten. Ich war wütend, dass man mich immer erst so spät holte. Weiß der Teufel, was den Kindern geschehen war. Wenn die nun schon so lange nicht auffindbar waren. Ich machte mir große Sorgen.
"Es geht schon so. Mach dir keine Sorgen. Ich bekomme das schon hin."
Ich lehnte mich an seine Schulter, genoss einfach seine Nähe. John legte den Arm um mich, dass tat mir immer gut.
"Kahlyn, kannst du noch einmal kommen", rief mich Rudi. Nochmals lief ich nach vorn und griff nach dem Hörer.
"Kahlyn?", fragte der Oberst nach, er klang sehr besorgt. Das war kein gutes Zeichen, denn dann machte er sich noch schlimmere Sorgen, als er zugab.
"Sir, ja, Sir", antwortete ich.
"Ich habe dir den Gosch geschickt", fing der Oberst an mir zu erklären und machte damit meinen schlimmsten Alptraum war. Ich stöhnte auf, ein Aufsprung kostet mich immer viel Kraft. Etwas, dass ich im Moment einfach nicht mehr hatte. Aber da musste ich durch.
"Was ist Kahlyn? Warum stöhnst du?", wollte der Oberst sofort von mir wissen.
"Sir, es ist nichts, Sir", versuchte ich ihn zu beruhigen, denn ich wusste, dass er sich sowieso immer schon Sorgen um mich machte. Ich würde das schon irgendwie hinbekommen.
"Wirklich?", harkte der Oberst nach.
"Sir, es ist nichts, Sir."
"Also pass auf Kahlyn, der Gosch ist auf dem Weg zu dir. In circa fünfzehn Minuten ist er in etwas da. Was denkst du brauchst du an Ausrüstung?"
Eine Weile überlegte ich, ging in Gedanken ähnlich gelagerte Fälle durch, entschied mich dann aber auf Nummer sicher zu gehen. Lieber zu viel vorplanen, als dann auf Druck arbeiten, sagte ich mir immer.
"Nichts Sir. Ich bringe alles mit, das was ich brauche habe ich alles da. Gosch sollte dann später allerdings, Seile und Peilgeräte mitnehmen, Sir. Vor allem viel Wasser, auch Decken, wenn ich die Kinder finde, werde ich die erst Notversorgen müssen, Sir. Ich weiß nicht in welchem gesundheitlichen Zustand ich die Kinder finden werde. Auch genug Tscenns, damit ich davon genug da habe, Sir. Bei, wie sagten sie Sir, fünfundzwanzig Kindern, werde ich eine Menge brauchen, Sir. Bitte kann mich Gosch irgendwo aufnehmen, wo ich nicht aufspringen muss, Sir. Ich schaffe das im Moment einfach nicht, Sir. Ich habe nicht mehr genug Reserven, Sir", entschuldigte ich mich und bat nun doch um Hilfe. Denn die wenige Kraft die ich noch hatte, musste ich gut dosiert einsetzen. Die Suchaktion würde nicht ohne werden. Ich musste große Stecken laufen und da brauchte ich die paar Kraftreserven, die ich noch hatte wirklich nötiger.
"In Ordnung, den Rest kläre ich mit Rudi. Mache dich startklar. Ich habe mit dem Doko gesprochen, wegen der Antibiotika, er meinte, du sollst trotzdem etwas essen. So kannst du nicht mehr arbeiten. Aber du sollst nur kleinen Mengen essen, damit das Fieber nicht wieder, nach oben schießt. Maximal hundertfünfzig Gramm. Sonst fällst du uns irgendwann um. Wenn du etwas isst, schaffst du den Aufsprung dann? Bis später Kahlyn."
"Sir, geht klar, Sir. Dann schaffe ich das bestimmt, Sir. Bis dann, Sir."
Rudi nahm mir den Hörer ab und ich ging auf Fran zu.
"Fran kannst du mir bitte fünfzig Gramm Brei machen? In sagen wir zehn Minuten und schau bitte nach, ob die Dosen eine Versieglungsfolie hat."
Fran nickte und lächelte mir aufmunternd zu. Er stand sofort auf, um mein Essen vorzubereiten.
"Danke", ich lächelte Fran dankbar zu und wandte mich dann an meinen Teamleiter, damit er die weitere Vorgehensweise von mir wusste. "Rudi, ich gehe duschen und mache ich fertig. Bis die Tage dann, ich weiß nicht wie lange das dauert", unterbrach ich Rudis Gespräch kurz. Der nickte mir lächelnd zu und zeigte auf den Hörer, dass er dem Obersten zuhören musste und aber mitbekommen hatte, dass ich losgehen wollte. Ich ging nach vorn in die Umkleide, dann duschen und cremte mich ein. Zog meinen Nahkampfanzug an, dazu das Fangseil um die Taille, die Shuriken in den Gürtel. Allerdings nahm ich statt der Schwerter, einen Spaten und eine zusammenklappbare Hacke mit. Ich wusste ja nicht, was ich vorfinden würde. Schon einige Male hatte ich bei solchen Suchaktionen graben müssen und ich nahm lieber meine eigenen Werkzeuge, als die von anderen. Denn mit denen wusste ich umzugehen. Nervös rieb ich mir den Nacken und steckte beides ich in die Halterung am Rücken. Zusätzlich nahm ich diesmal jedoch, einen Rucksack aus meinem Spind, in den ich den Medi-Koffer steckte. Schnallte mir auch diesen auf den Rücken, über die Halterung mit der Hacke und den Spaten, was ziemlich unbequem war. Jedoch wichtig. Denn die Kinder konnten verletzt sein. Es konnte gut sein, dass ich sobald ich die Kinder fand sie erst einmal notversorgt musste. Fertig angezogen, ging ich vor zu den anderen, die saßen am Tisch und diskutierten, über das Gehörte.
"Rudi, ich mache jetzt los. Ich habe wirklich keine Ahnung wie lange das dauert. Mache dir keine Sorgen, das kann einen gute ganze Woche dauern, oder aber länger. Ich muss ja erst einmal eine Spur finden."
Rudi sah mich ganz komisch und dann verwirrt an. In dem Augenblick fiel ihm ein, dass ich ja den Raum eher verlassen hatte als die anderen und gar nichts wusste von dem, was er gerade bekannt gegeben hatte.
"Kleene, der Oberst hat gerade alle drei Teams von uns angefordert, wir treffen uns in ein paar Stunden beim Oberst."
Erfreut sah ich Rudi an und gab ihm und John einen Kuss auf die Stirn und wollte gerade los in die Wachstube, als mich Fran zurück pfiff. Ich war so in Gedanken auf den Aufsprung fixiert, dass ich an gar nichts anderes mehr dachte.
"Kahlyn, erst noch essen, Täubchen", rief er mir nach und sah mich streng an, so dass ich mir ein Lächeln nicht verkneifen konnte. Das hatte ich ganz vergesse. Ich konnte jetzt schon so lange nichts mehr essen, dass ich gar nicht mehr daran dachte. Hungrig machte ich mich über das Essen her.
"Danke Fran", sprach ich mit vollem Mund zwischen zwei Löffeln. Ein schönes Gefühl, machte sich in meinem Magen breit. Ich genoss jeden einzelnen Löffel. Kratzte den Teller richtig leer.
"Dann bis später", verabschiedete ich mich noch einmal, als ich aufgegessen hatte, bei den Jungs. Drehte mich um und ging nach vorn in die Anmeldung.
Kaum hatte ich die Wachstube betreten, sagte mir Ines schon. "Kleene, kannst du überhaupt einen Einsatz machen. Verdammt, dir geht es doch nicht gut."
Ich gab auch ihr einen Kuss auf die Stirn. " Es wird schon gehen, Ines. Mache dir keine Sorgen. Wenn jemand eine Chance hat, die Kinder zu finden, dann ich. Ich passe schon auf mich auf, das verspreche ich dir. Ich will doch wissen, wie das geht, was ein Bäcker macht", erklärte ich ihr lächelnd. "Sag mal Ines, wann kommt Gosch?"
Ines wandte sich an Oliver. Der hatte meine Frage schon an Felix weitergegeben.
"Kahlyn, es dauert noch fast zwanzig Minuten. Gosch hatte ein Gewitter unterwegs. Er musste ein Schlechtwettergebiet umfliegen und muss erst noch tanken, in Gera auf den Flugplatz."
Kurz überlegte ich. Dann fragte ich einfach, nach dem, was ich wissen wollte. "Oliver, kann mich nicht jemand auf den Flugplatz fahren. Dann muss ich nicht aufspringen. Wenn ich ehrlich bin, fehlt mir dafür im Moment einfach die Kraft. Es wäre total lieb. Wenn Gosch eh dort auftanken muss, könntet ihr mich dann nicht dorthin bringen. Dann spare ich mir die Kraft für die Suche."
Oliver druckste rum. Er hatte keine Fahrer frei, die waren gerade alle mitten in Einsätzen unterwegs. Irgendwo in Gera und Umgebung verstreut, so schnell würde er die nicht herbekommen. Ines lächelte ihren Dienstleiter an und sprang für mich ein. Sie wollte unbedingt helfen.
"Oliver, ich kann doch Kahlyn auf den Flugplatz fahren. Ich hab im Moment keine Bürger mehr da, um die ich mich kümmern muss. Wenn jetzt jemand kommt, muss er halt mal ein wenig warten: Schließlich ist Sonntag und keine Sprechzeit. Ich bin doch in einer dreiviertel Stunde zurück, wenn ich das Blaulicht an mache, sogar eher."
Oliver nickte lächelnd und musste aber Ines noch ein wenige foppen. "Dann ab mit euch beiden. Fahr aber vorsichtig Ines. Es ist viel Verkehr jetzt."
Ines lachte Oliver an. "Olli, ich fahre doch nicht das erste Mal einen Toni. Ihr erst noch, nur weil ich eine Frau bin, kann ich nicht Auto fahren, oder was?", lachend kam sie auf mich zu und legte den Arm um meine Schultern. "Männer", sagte sie breit grinsend. Auf meinen verwunderten Blick winkte sie ab. "Komm Kahlyn, ich fahre dich", wandte sich aber nochmals an den Funker, in dem sich beim Laufen kurz umdreht und nach hinten in die Ecke rief.
"Felix, sage Gosch Bescheid, dass ich Kahlyn bringe."
Erleichtert folgte ich Ines in den Hof und bestieg mit ihr, den einzigen noch vorhandenen Toniwagen, der hier stand. Ines fuhr los, machte Blaulicht und Sirene an, um schneller auf den Flugplatz zu sein. Trotzdem hatten wir gute fünfzehn Minuten Stadtfahrt vor uns.
"Darf ich dich etwas fragen, Ines?"
"Kleene, du kannst mich immer alles fragen, das weißt du doch."
Ich suchte nach Worten. "Ines, was ist ein Bruder? Ich weiß nicht, was das ist und ein Onkel?"
Verlegen sah ich zu ihr und dann auf meine Finger. Ich hatte das noch nie gehört. Na ja das stimmte nicht ganz, gehört schon, aber da hatte ich immer wieder vergessen zu fragen. Oder besser gesagt, ich hatte mir eigentlich nicht getraut zu fragen. Aber bei Ines war das irgendwie anders, mit ihr könnte ich fast so reden, wie mit meinen Freunden, wie mit Jaan oder Cankat.
"Kahlyn, das ist jetzt hier im Auto schlecht zu erklären. Aber ich werde es mal versuche. Onkel ist der…" Schon wurde ihr bewusst dass sie es so nicht erklären konnte und fing von der anderen Seite an. "Also wenn man ein Kind bekommt, dann ist man, wenn man eine Frau ist Mutti, wenn man ein Mann ist Vati. Beide zusammen sind die Eltern. Verstehst du das?"
"Ich glaube ja."
Ines grinst. "Es ist aber auch schwer. Also, wenn eine Mutti mehrere Kinder hat, sind das dann Geschwister. Wie bei den Runges, Viola ist die Mutti von Tim, Tom und Jenny. Die Kinder. Tim, Tom und Jenny sind Geschwister", wieder nickte ich, soweit hatte ich es verstanden. "Wenn es jetzt Jungs sind, dann sind das Brüder wie Tim und Tom. Sind es Mädchen, dann sind es Schwestern, wie Jenny. Die ist die Schwester von Tim und Tom, die beiden sind Jennys Brüder."
"Ach so, dann hast du und der Bäcker, den gleichen Vati und die gleiche Mutti."
Jetzt freute sich Ines. "Genau, meine Kleene. Aber auch meine Eltern haben Geschwister. Weil sie ja auch Eltern haben, die nenne ich Großeltern oder Oma oder Opa. Wie Carmens Eltern, die Oma und der Opa von Ramira sind. Verstehst du das."
Eine Weile überlegte ich. "Ja ich glaube."
"So und der Bruder von meiner Mutti, das wäre dann mein Onkel."
Ich raufte mir die Haare. "Das ist ja kompliziert, wer hat sich sowas denn ausgedacht", fragte ich völlig verwirrt.
"Lass mal Kleene, ich habe auch Jahre gebraucht, um das zu kapieren. Ich male dir das mal alles auf, wenn ich mal Zeit habe. Damit du das verstehst. Also Onkel Miguel, ist der Bruder von meinem Vati. Chris dagegen ist mein Bruder. So einfach ist das."
Ich nickte, na wenigstens das, hatte ich einigermaßen verstanden. "Ja jetzt weiß ich ungefähr wie das gemeint ist, danke Ines. Es ist aber auch schwer bei euch. Wir haben nur Freunde und Vorgesetzte und Dika und Doko gehabt, da war das ganz einfach", erklärte ich ihr, sah traurig aus dem Fenster. In diesem Moment wurde mir wieder einmal bewusst wie sehr mir die anderen fehlten.
Ines lacht und griff zu mir herüber. "Ach Kahlynchen, sei doch nicht traurig. Du schaffst das schon noch, glaube mir. Weißt du, was wir machen werden. Wenn du zurück bist von dem Einsatz, frage ich Rudi einfach einmal, ob ihr uns mal besuchen kommt. Wir sind eine lustige Truppe. Mein Vati und meine Mutti sind Zigeuner, musst du wissen. Ihre ganze Familie hat früher als Schausteller gearbeitet. Sie nannten sich "Die singenden Akrobaten". Wir tanzen und singen alle wahnsinnig gerne. Da kannst du mal sehen wie so eine Familie, wie unsere, funktioniert. Dann erkläre ich dir das einfach einmal mit meiner gesamten buckligen Verwandtschaft. Halt an meiner Familie. Dann vergisst du das nie wieder. Onkel Miguel, sieht zwar aus wie ein Bulle, aber glaube mir, er ist ein lustiger Bursche und zahm wie ein kleines Kätzchen, was schnurrt. Wenn der in Stimmung ist, dann lachst du dich weg."
In diesem Moment fuhr Ines auf den Flugplatz. Ich sah Gosch schon mit dem Drachen stehen. "Schau mal, wir sind schon da Kleene. Dein Gosch hat sogar auf dich gewartet", neckte mich Ines ein wenig, bevor sie anhielt.
Lächelnd sah ich sie an. "Danke Ines. Du hast mir gerade viel Kraft gespart. Ich wusste ehrlich nicht, wie ich den Aufsprung hätte schaffen sollen. Es hat mir sehr geholfen und schlauer bin ich nun auch noch", gestand ich ihr.
Ines bremste gerade den Toniwagen ab und drehte sich zu mir um. "Pass auf dich auf, meine Kleene."
Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange und lächelte sie an. "Das mache ich Ines. Drück den Kindern die Daumen und sag den Jungs, einen Gruß von mir. Bis die Tage."
Sofort stieg ich aus und lief auf meinem Drachenflieger zu. Ich fiel ihm einfach um den Hals, weil ich mich so freute ihn zu sehen. Der schob mich ein Stückchen von sich und schaut mich erschrocken an.
"Täubchen, um Himmels Willen, wie schaust du denn aus. Du gefällst mir gar nicht. Du hast dich noch nie, zu mir fahren lassen. Bist du überhaupt in der Lage, den Einsatz zu machen?", war seine erste Frage an mich.
"Gosch, mache dir keine Sorgen, mir geht es soweit gut. Ich bin nur nicht mehr in der Lage aufzuspringen. Mir fehlt im Moment, einfach die Kraft dazu. Du weißt doch, dass ich seit Wochen kaum etwas gegessen und bei mir behalten habe. Irgendwann ist auch mal meine Kraft alle", skeptisch blickte mich Gosch an.
Aber er wusste nur zu gut, dass ich diesen Einsatz niemals abgelehnt hätte, egal wie beschissen es mir ging. Allerdings wusste Gosch auch, dass es mit dem Oberst erst einmal Ärger geben würde. Fleischer würde genau wie Gosch erst einmal erschrecken, wenn er mich sah. Erschrocken musterte mein Drachenflieger mich. Gesund sah ich heute bestimmt nicht aus. Mein Gesicht war schmal geworden und blass war ich auch. Ich hoffte nur, dass er nicht auch noch meine Augenringe sah, die ich schon wieder hatte. Aber was nutzte es, die Kinder brauchten mich. Sorgenfalten gruben sich in sein Gesicht, aber er versuchte diese zu unterdrücken. Es half nichts, ich hatte den Einsatz angenommen und nun würde ich ihn auch bis zum bitteren Ende durchführen. Anderes kannte er mich nicht. Gosch gab mir einen Kuss und ging zum Heli. Hielt mir breit grinsend die Tür auf der Seite des Copiloten auf und ließ mich einsteigen.
"Na komm mein Täubchen, fliegen wir zum Oberst. Hoffentlich findest du die Kinder. Ich mache mir wahnsinnige Sorgen."
Gosch bestieg ebenfalls den Drachen und schnallte sich an. Beim Einsteigen sah ich, dass Ines noch da stand und winkte ihr lächelnd zu. Sofort holte sich Gosch, die Starterlaubnis und wir flogen los.
"Sag mal Gosch, warum holt ihr mich immer so spät? Vor zehn Tagen, wäre die Chance, dass ich die Kinder schnell finde, um vieles höher gewesen."
Gosch der immer noch mit der Flugsicherung sprach, konnte mir nicht gleich antworten. Aber er lächelte mich an, griff zu mir hinüber und streichelte mein Gesicht. Ich nahm den Medi-Koffer und den Halfter ab, legte alles nach hinten und lehnte mich bequem im Sitz des Copiloten zurück.
"Täubchen, die Kinder sind, soviel ich weiß zehn Tage lang auf einer Wanderschaft gewesen. Vermisst, werden die erst seit vier Tagen. Die hätten am 1. Oktober wieder kommen müssen. Sind sie aber nicht. Hinten liegt das Dossier. Der Oberst hat es mir extra mitgegeben. Sieh selber einmal rein. Die Bereitschaftspolizei von Schwerin, hat die Vermisstenanzeige, erst vor drei Tagen bekommen. Die haben mit Connys Hilfe, selber zwei Tage im Zielgebiet gesucht. Allerdings haben die keinerlei Spuren gefunden. Deshalb übergaben sie den Fall lieber gleich an die Soko. Sie haben gemerkt, dass sie keine Chance hatten, die Kinder schnell zu finden. Der Oberst hatte erst Conny gebeten, weiter nach den Kindern zu suchen. Weil er ja weiß, dass du am Limit läufst. Dann hat er aus lauter Verzweiflung, deinen Doko angerufen, ob er dir den Auftrag zumuten kann. Deshalb, hat er dich jetzt doch angerufen."
Ich nickte, beugte mich nach hinten und holte mir das Dossier. Legte es aber erst einmal in den Fußraum.
"Sag mal Gosch, wie geht es dir eigentlich?"
Der sah mich lachend an. "Mir geht es ganz schlecht."
Erschrocken sah ich ihn an. "Warum das denn?"
"Na du hast mir noch keinen Kuss gegeben, Täubchen. Da kann es mir doch gar nicht gut gehen", erklärte er mir lachend.
Also beugte ich mich zu ihm herüber und gab ihn gleich zwei Küsse.
"Das war aber einer zu viel, Täubchen", meinte er grinsend.
"Nein Gosch, der Begrüßungskuss, plus die dazu gehörigen Zinsen. Sonst beschwerst du dich doch wieder", erwiderte ich lachend.
Gosch streichelte mir mein Gesicht.
Dann griff ich in den Fußraum und nach dem Dosier. "Da werde ich mir mal ansehen, was da passiert sein könnte", informierte ich Gosch trocken. "Du willst mir ja nicht sagen, wie es dir geht", entschlossen griff ich nach dem Dossier.
"Täubchen mir geht es gut und wie geht es dir. Gut bestimmt nicht. Du siehst, wenn ich ehrlich zu dir bin, verdammt schlecht aus."
"Ach Gosch, mir geht es eigentlich gut. Nur habe ich langsam unerträglichen Hunger, ich laufe wirklich am Limit. Fast so wie damals in Chile. So einen Hunger hatte ich schon ewig nicht mehr. Aber mir geht es gut. Nur hab ich mich heute, tüchtig erschrocken und ziemlich hochdosiert gespritzt. Das hätte ich, glaube ich nicht machen sollen. Aber es geht schon. Ich bin voll Einsatzfähig. Beim Oberst esse ich dann einfach etwas, dann wird das schon gehen. Mach dir mal keine Sorgen. Es ist wirklich nur der verdammte Hunger, der mich ärgert."
Gosch nickte, wusste er doch, dass ich ihm die Wahrheit sagen würde.
"Lass mich erst mal das Dossier lesen, Gosch. Dann können wir noch reden."
Ohne zu zögern vertiefte ich mich in das Dossier und erschrak über das, was ich da lesen musste. Es würde eine schlimme Suchaktion werden. Wenn ich ehrlich war, wusste ich nicht, wo ich anfangen sollte. Die Kinder konnten überall sein. Wenn die irgendwo falsch gelaufen waren, dann konnte ich mich nicht nach der festgelegten Route orientieren. Sie sollten nach Süden laufen, in Richtung Buchholz. Ich würde sehen.
"Gosch, wir fliegen doch fast über Buchholz, wenn ich die Schweriner Karte, richtig im Kopf habe, oder? Es ist nur ein kleiner Umweg."
Gosch überlegte einen Moment. "Ja mein Täubchen, du hast Recht, es ist nur ein kleiner Schwenker, dort drüber zu fliegen, ich spreche das gleich mal mit der Flugsicherung ab. Hast du schon eine Spur?"
Verneinend schüttelte ich den Kopf. "Aber ich würde gern sehen, ob die Kinder wirklich nach Süden gelaufen sind. Wenn dann müsste ich irgendetwas, in der Nähe von Buchholz sehen, haben dann schon eine erste Spur."
Gosch sprach sich gerade mit der Flugsicherung ab, um für den Suchbereich eine Freigabe zu bekamen. Das liebte ich an der Zusammenarbeit mit meinem Drachenflieger. Gosch wusste ohne große Worte, was er den Leuten von der Flugsicherung mitteilen musste, damit ich dort meine Arbeit machen konnte. Einen anderen Piloten hätte ich genau erklären müssen, welchen Bereich er für uns freischalten lassen musste. Gosch wusste das alles ohne große Erklärungen. Er gab die letzten Koordinaten durch, dann nickte er. "Wir können über Buchholz fliegen, wie soll ich fliegen Täubchen?" Erwartungsvoll sah er mich an.
"Fliege Kreisel, Gosch. In zwanzig Metern Höhe und zehn Kilometer um Buchholz herum, immer enger werdend. So finde ich, wenn es etwas zu finden gibt, am schnellsten Spuren."
Ich kletterte nach draußen, auf die Kufen des Drachens und klammerte mich mit den Beinen fest. Gosch begann einen Kreis um Buchholz zu ziehen, der sich immer um zweihundert Meter verkleinerte wie eine Spirale. Doch nach zehn Minuten schüttelte ich den Kopf, kletterte wieder in den Drachen.
"Gosch, wir fliegen in die Soko, die Kinder waren nicht hier, das kann ich mir nicht vorstellen. Da unten ist seit Wochen, keine größere Gruppe entlang gegangen, schon gar nicht eine ganze Schulklasse. Das würde ich sehen, die hinterlassen in der Natur, eine gute Spur, hier ist aber nichts."
Gosch flog weiter in Richtung Soko, grübelnd saß ich, die Beine angezogen auf den Sitz und starrte aus dem Fenster. In mir hatte sich eine Idee festgesetzt, keine Ahnung, wie ich darauf kam. Aber so war es oft, mit mir. Ich konnte oft nicht einmal genau erklären, warum das mit mir geschah. Oft hatte ich das Gefühl das mein Unterbewusstsein, irgendwelche Schwingungen wahrnahm, die mich auf eine Spur führten oder eine Art Instinkt. Wie gesagt, ich konnte das nicht so genau erklären.
"Täubchen, worüber denkst du nach. Wenn du so still bist, hast du doch eine Idee."
Ich nickte und schüttelte den Kopf, um dann wieder zu nicken. Ich konnte sie einfach noch nicht in Worte fassen und schon gar nicht richtig erklären. Da war etwas, wie eine Art Rattenschwanz oder Seilende. Ich musste nur danach greifen und mich dann zum Anfang vorzuarbeiten. Dazu brauchte ich etwas Zeit zum Nachdenken und all meine Sinne, um diese Idee zu erfassen.
"Ich habe so ein dummes Gefühl, dass die nicht hier in der Nähe sind. Wir die, wo ganz anders suchen müssen", murmelte ich vor mich hin, gerade so laut das es Gosch noch hören konnte.
"Du liegst komischer Weise mit solchen Gefühlen fast immer richtig Täubchen. Rede einfach einmal mit dem Oberst darüber. Der macht sich richtig Sorgen. Zu den Kindern, gehört nämlich auch sein Neffe. Da kannst du dir vorstellen, wie schlimm das für ihn ist."
Ich sah Gosch erschrocken an. "Gosch, der Oberst hat mir nicht gesagt, dass er eines der Kinder kennt. Was ist das nun wieder ein Neffe?"
Gosch zuckte mit den Schultern. "Täubchen, der weiß doch genau, wie sehr du es hasst, nach Leuten zu suchen, die man persönlich kennt. Neffe oh mein Gott, wie erkläre ich dir das denn, nun wieder?", murmelt Gosch vor sich hin.
"Gosch, die Ines hat mir vorhin erklärt, was ein Bruder und Onkel ist, das weiß ich nun schon so ungefähr."
Da nickte Gosch. "Na ja ein Neffe ist der Sohn, also das Kind vom Onkel, Täubchen. Das mit der Verwandtschaft ist schon schwer. Ich habe ewig gebraucht, eh ich das verstanden hatte. Mache dir da nichts draus, wenn du das nicht gleich verstehst. Ich kenne Leute, die haben das mit Fünfzig noch immer nicht verstanden", lachend sah er mich an.
"Dann ist das ja nicht schlimm, wenn ich das nicht kapiere. Aber Ines will mir das mal aufzeichnen, wenn sie Zeit hat oder es mir bei einer Feier, an ihrer Familie erklären. Die ist eine lustige Bande, was immer das bedeutet", erklärte ich Gosch.
"Dann musst du mir das, dann einmal erklären Täubchen. Vielleicht begreife ich das dann endlich einmal richtig", damit war für Gosch das Thema vom Tisch. In dem Moment musste er sich konzentrieren, wir landeten gerade vor der Soko.
"Also Gosch, lege dich hin, ich brauche dich dann fit."
Sofort stieg ich aus, holte meine Sachen aus dem Drachen, nahm das Dossier und lief in Richtung Gebäude. Der Oberst kam mir sogar schon entgegen.
"Kahlyn, schön das du da bist, hast du etwas gefunden?", er sah mich völlig von der Rolle an.
"Sir, Leutnant Kahlyn meldet sich zum Dienst, Sir. Nein leider nicht. Wenn mich meine Instinkte nicht völlig verlassen, dann werden wir die hier auch nirgends finden. Können wir uns nicht drinnen unterhalten, Sir? Mir ist kalt, Sir", bat ich ihn einfach. Der Oberst sah mich verwundert an.
"Komm, gehen wir rein."
Fleischer nahm mich an den Schultern und ging mit mir zusammen in den Bereitschaftsraum der Soko. Ich schnallte meinen Rucksack ab, den Nahkampfhalfter legte ich auch ab und setzte mich einfach an den Tisch. Grübelnd stützte ich den Kopf auf die Hände und dachte nach. Lange saß ich so da und ließ meinen Gedanken einfach freien Lauf, so wie ich es oft machte, wenn ich in ausweglosen Situationen war. Und wenn ich einfach nicht mehr weiter wusste.
Nach fünfzehn Minuten, in dem mich der Oberst grübeln ließ, hob ich den Kopf. Fleischer wusste nun schon, dass ich nur so eine Lösung finden konnte. Ich spielte in Gedanken alle Szenarien durch, ob möglich oder unmöglich, war in diesen Moment egal. Irgendwann schrie mein Bauch dann immer, stopp das ist es, so könnte es gewesen sein. Oft fand ich auf diesem Weg eine Lösung, die niemand anders gefunden hätte. Nervös rieb ich mir den Nacken und sah hoch zum Oberst, der mir gegenüber saß.
"Sir, ich kann ihnen nicht erklären wie ich auf diese Idee komme. Aber ich müsste mich total irren und mein Bauch müsste mich vollends verlassen haben, wenn ich nicht richtig liege mit meinen Gedanken. Vor allem aber in der Annahme, dass die Klasse, wo ganz anders hin ist, als es der Direktor gesagt hat, Sir."
Als mich der Oberst komisch ansah, zuckte ich mit den Schultern.
"Sir, können wir nicht den Direktor einmal anrufen. Wir können ihn doch einfach einmal fragen. Vielleicht ist es so, dass die Kinder erst irgendwo anders hinwollten, dazu aber nicht die Genehmigung bekamen. Ein Versuch ist es doch wert. Die sind hier nicht. Ich wüsste absolut nicht, wo ich hier suchen sollte, Sir. Mein Bauch sagt mir, dass die Kinder nicht hier sind, aber er sagt mir auch nicht, dass sie in der Nähe sind, wo ich sie finden könnte."
Der Oberst nickte. "Komm Kahlyn."
Entschlossen stand Fleischer auf und ging in sein Büro. Suchte die private Telefonnummer des Direktors heraus, den er zum Sonntag und um diese Zeit, bestimmt nicht mehr in der Schule erreichen konnte. Nach drei weiteren Anrufen hatte er die Person am Apparat, die er haben wollte. Der Direktor befand sich in einem Krisenbüro der Schule, zusammen mit den Eltern der Kinder und versuchte diese zu beruhigen. Etwas dass dem Lehrern mit jeder Stunde die ins Ungewisse verstrich schwerer fiel.
"Guten Abend Herr Zuchold, hier ist noch einmal Oberst Fleischer von der Soko Tiranus. Wir haben jetzt für die Suche eine Kollegin aus einem externen Kommando herangezogen, die sich auf die Suche von vermissten Personen spezialisiert hat. Wenn sie die Kinder nicht finden kann, dann findet sie keiner ... Nein, die Kollegin hätte nicht vor drei Tagen schon dazu geholt werden können. Sonst hätte ich das längst gemacht ... Verdammt nochmal, hören sie mir jetzt zu oder wollen sie mit mir eine Diskussion darüber beginnen, was ich kann oder nicht. Verdammt nochmal sie hören mir und meiner Kollegin einmal ganz genau zu ... Ja, ich gebe ihnen einmal meine Kollegin, Leutnant Kahlyn. Vor allem fangen sie mit ihr keine unnötigen Diskussionen an", kurz hörte er die Antwort des Direktors und reichte mir den Hörer, mit den Worten. "So Kahlyn, jetzt ist der Direktor brav und hört dir zu. Hoffe ich zu mindestens", erklärte er mir, in dem er das Mikrofone mit der Hand abdeckte und verdrehte die Augen bis Anschlag.
Na das konnte ja heiter werden. Wenn der Oberst schon die Augen verdrehte und das, obwohl er vor Sorge um die Kinder umkam, war mit dem Direktor nicht gut zu reden.
"Sir, guten Abend, Leutnant Kahlyn am Apparat, Sir", meldete ich mich vorschriftsmäßig. "Sir, könnten sie eine Auskunft darüber geben, ob bevor das geplante Ziel genehmigt wurde, von einem anderen Ziel die Rede war, Sir?"
Der Direktor, atmet schwer und erschrocken aus. "Leutnant Kahlyn, sie haben Recht. Der Praktikant wollte mit den Kindern eigentlich nach Büchenberg und sich mit den Kindern ein altes still gelegtes Bergwerk ansehen. Aber, was hat das damit zu tun?", erkundigte er sich.
"Sir, bitte einen kleinen Moment, Sir."
Ich sah den Oberst an. "Genosse Oberst, können sie mir sagen, wo Büchenberg liegt, Sir? Der Ortsname sagt mir gar nichts, da kann es sich nur um ein Gebiet handeln, in dem ich noch nicht operiert habe, Sir. Das ist auf alle Fälle nicht hier in der Gegend, Sir. Jedenfalls nicht soweit ich die Karte vom Umkreis im Kopf haben, Sir. Können sie mir eine Gebietskarte von der Gegend bringen, Sir."
Mein Oberst nickte und verließ sofort das Büro.
Ich wandte mich wieder dem Direktor der Schulklasse zu. "Sir, ich habe die Vermutung, das trotzdem sie diesen Ausflug nicht genehmigt haben, die Klasse dort hingefahren ist. Dort, wo sie angeblich sein sollen, dort sind sie niemals lang gelaufen, Sir", erklärte ich dem Schulleiter in einem überzeugenden Ton.
In diesem Moment kam der Oberst zurück und legte mir die Karte hin. Er zeigte mir auf der Karte, wo dieses Büchenberg lag. Genau sah ich mir die Karte an, dann fiel mir mein Gesprächspartner ein, den ich warten lassen musste. Erst musste ich mir dies auf der Karte einmal genauer ansehen.
"Sir, einen kleinen Moment. Könnten sie bitte dran bleiben, Sir. Danke, Sir."
Ich legte den Hörer auf den Schreibtisch und sah mir das Umfeld auf der Karte genau an.
"Genosse Oberst, ich denke die Kinder wollten in die Mine einfahren. Irgendetwas ist auf den Weg dahin oder in der Mine passiert, Sir. Das kann ich ihnen aber erst sagen, Sir. Wenn ich mich dort umgesehen haben, Sir. Bitte lassen sie die Truppe von Rudi gleich dorthin bringen, Sir. Es wäre Quatsch, die erst hier herzubringen, Sir. Vor allem, sollten sie bei der Bahn nachfragen, Sir, ob eine Klasse Fahrkarten nach Halberstadt oder Umgebung gekauft hat. Dann wissen wir am schnellsten, ob ich richtig oder falsch liege, Sir", verlangte ich schnelle Hilfe vom Oberst. Da der entsprechende Ansprechpartner hatte, zu denen ich keinen Zugang fand.
Der Oberst starrte mich ungläubig an. "Kahlyn, wenn mir das jemand anders sagen würde, dem würde ich einen Vogel zeigen. Aber du hast meistens mit solchen Vermutungen recht. Ich organisiere das gleich."
Ich reichte Oberst Fleischer den Hörer.
"Herr Direktor, ich werde mich in den nächsten Stunden nochmal bei ihnen melden. Erst einmal muss ich Kahlyns Idee überprüfen. Geben sie mir etwas Zeit. Vor allem behalten sie ihre Hoffnung und geben sie die Hoffnung auch an die Eltern weiter. Mit Kahlyn haben wir sehr gute Karten und das Glück, dass die Kollegin liegt mit solchen Annahmen meistens richtig liegt. Also drücken sie den Kindern die Daumen... Ja Herr Zuchold, ich rufe sie an sobald ich etwas Neues weiß... Ich weiß genau wie die Eltern sich fühlen. Mein Neffe ist auch bei den Kindern, haben sie das vergessen. Lassen sie mich meine Arbeit machen. Also bis später", erklärte er, dem langsam nervös werdenden Mann, um diesen zu beruhigen und legte auf.
Er ging zur Tür und rief nach vorn, zu seinem Funker. "Mario, rufe bitte schnell in Gera an, die sollen noch warten, mit dem losfahren. Wahrscheinlich brauche ich sie nicht hier, sondern in Halberstadt. Ich muss da erst einiges abklären und melde mich, sobald ich Näheres weiß."
Sofort kam Oberst Fleischer zurück ins Büro und wählte die Nummer von der Bahnpolizei in Schwerin.
"Guten Abend Genosse Oberwachtmeister, hier ist Oberst Fleischer von der Soko Tiranus, könnten sie mir bitte mal einen Gefallen tun?"
"Natürlich Genosse Oberst, für sie doch immer."
"Bitte fragen sie vorn am Fahrkartenschalter einmal nach, ob vor vierzehn Tagen eine Schulklasse, Fahrkarten nach Halberstadt gekauft hat. Es müssten fünfundzwanzig Kindern und ein Erwachsener gewesen sein. Am 22. September ... Ja ich warte."
Nervös mit den Fingern auf den Schreibtisch klopfend, wartete der Oberst auf die Rückkehr des Gesprächspartners. Nach reichlichen fünf Minuten meldete sich der Oberwachtmeister. "Genosse Oberst sind sie noch am Apparat?", hörte man ihn sagen.
"Ja, ich bin noch dran", meldet sich der Oberst.
"Also, laut den Belegbüchern an der Kasse, wurden am frühen Morgen des 22. Septembers, 26 Tickets nach Halberstadt gekauft, von einem Herrn Zwiebler", gab dieser Auskunft.
"Danke Genosse Oberwachtmeister. Das gibt es doch nicht. Vielen Dank. Da können wir hier, ja lange suchen. Auf Wiedersehen."
Ohne eine Antwort abzuwarten legte er wütend auf. "Kahlyn, du hast Recht, die Kinder sind nach Halberstadt gefahren. Ich glaube, dass einfach nicht. Wie verdammt nochmal sollten wir denn darauf kommen?", völlig verwirrt schüttelte er den Kopf.
"Sir, dann sollten wir die gesamte Einsatzleitung, nach Halberstadt verlagern. Wir werden erst dort Spuren finden. Wie lange brauchen sie, um das zu organisieren, Sir?"
"Kahlyn, das dauert einen Moment, also vor drei Stunden können wir nicht los. Ich muss erst Unterkünfte organisieren, dann Auftankmöglichkeiten für den Drachen, das geht nicht in zehn Minuten. Also lege dich noch etwas hin."
"Sir, jawohl, Sir."
Ich verließ sofort das Büro. Ich wusste nur zu genau, dass der Oberst Ruhe brauchte, wenn er solche Einsätze organisierte. Kaum hatte ich den Bereitschaftsraum betreten, kamen mir die Jungs schon entgegen.
"Hallo Kahlyn, wie geht es dir denn?", erkundigte sich Mario als Erstes.
"Gut und euch? Habt ihr Himmelpfort verkraftet?", wollte ich sofort wissen, denn die Jungs sahen müde aus. "Oder hattet ihr einen schlimmen Einsatz, dass ihr so müde ausschaut? Ihr solltet euch etwas hinlegen. Der Einsatz wird länger dauern. Ihr nutzt mir nichts, wenn ihr alle Mann durchhängt", kündigte ich einfach das Unvermeidliche an.
"Na ja, verdaut haben wir Himmelpfort noch nicht. Aber es wird langsam besser. Der Einsatz war ja auch die Härte, ich kann immer noch nicht glauben, dass wir noch am Leben sind. Aber du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet, Kahlyn", rügte mich Mario ernst.
"Mario, was soll ich sagen. Mir ging es schon besser. Langsam macht mir der Hunger richtig schwer zu schaffen. Es wird langsam unerträglich. Auch weil ich ständig beim Essen zu sehen muss", gab ich nun doch Auskunft. "Soll ich euch etwas spritzen, damit es euch wieder besser geht?", fragte ich nach.
"Brauchst du nicht, Kahlyn. Wir haben uns schon das N93 nachgespritzt. Doko Jacob hat uns das empfohlen. Seit dem geht es uns langsam besser."
Erfreut sah ich ihn an. "Das ist gut. Ach manne, ich hab vergessen den Oberst etwas zu fragen", fiel mir in diesem Moment ein, dass ich dem Oberst den Vorteil des Jawefan klarmachen wollte.
"Dann frage ihn doch", schlug mir Mario vor. "Der beißt dich schon nicht."
"Sag mal Mario, hat der Gosch nicht gesagt, dass Conny hier ist? Oder habe ich da etwas missverstanden?"
Mario lachte schallend und die Jungs die um uns herum standen stimmten in das Lachen ein. "Hast wohl Sehnsucht nach deinem Conny. Der ist noch da, hat sich aber hingelegt. Er war todmüde. Er hat über drei Tagen ohne Unterbrechung nach den Kindern gesucht. Conny war von Anfang an bei der Suche dabei."
Ich nickte verstehen. Mario alberte wie immer mit mir herum, kurze Zeit später stieß der Oberst zu uns.
"Kahlyn, ich bekomm in circa zwei Stunde zwei Heli. Die Jungs aus Gera kommen direkt nach Halberstadt. Die fahren gleich los, so sind wir alle in ungefähr zwei bis zweieinhalb Stunden vor Ort. Also kannst du dich dann auch noch etwas ausruhen. Das war jetzt ein Spaß, kann ich dir sage. Aber irgendwie bekomme ich das immer hin. Nun lobt mich doch auch einmal Jungs. Verdammt nie lobt mich einer", beschwerte sich der Oberst lachend.
Ich folgte einer inneren Eingebung und meinte grinsend. "Sir, lobe, lobe, Sir", lobte ich den Oberst brav.
Dika Anna sagte das einmal zu mir, als ich mich beschwerte, dass mich nie einer lobte, wenn ich etwas gut gemacht hatte. Seit dem habe ich das immer einmal zum Doko gesagt und der fand das stets lustig. Ich verstanden nie warum, aber das war mir auch völlig egal. Die Jungs hier sahen so geknickt aus, die mussten einfach wieder einmal lachen. Ich mochte es nicht, wenn sich meine Leute so hängen ließen. Meine Freunde habe ich dann auch immer zum Lachen gebracht. Erst stutzten alle und dann fing die ganze Bande an zu lachen.
"Na du erst noch, Kahlyn. Aber du hörst wenigstens auf mich", antwortete mir der Oberst lachend und wischte sich die Tränen aus den Augen. "Komm setz dich und erzähle mir wie es dir geht. Wann hast du geschlafen, wann gegessen?", kamen nun doch seine Standartfragen.
"Geschlafen bis 13 Uhr 30, Sir. Gegessen gegen 17 Uhr, Sir. Wenn ich ehrlich bin, Genosse Oberst, mir geht’s im Moment nicht so besonders. Aber das hat nichts mit schlecht gehen zu tun. Ich habe einfach nur mörderischen Hunger. Ich habe einfach keine Reserven mehr, Sir."
Fleischer nickte, konnte er sich doch vorstellen, dass es langsam lästig wurde mit dem Hunger.
"Sir, darf ich sie etwas fragen, Sir?"
Der Oberst verdrehte die Augen. "Kahlyn, du kannst mich immer alles fragen, das weißt du doch."
Ich lachte ihn an. "Sir, ich weiß das ja, aber ich wollte fragen, ob ich allen das Fobnekotar beibringen darf? Das kann ich doch nicht ohne ihre Erlaubnis machen und vor allem, das schnelle Schlafen, was ja bis jetzt nur Gosch und Conny können, Sir. Ich glaube das wäre gut für die Jungs. Die sehen verdammt müde aus, Sir."
Der Oberst sah mich verwirrt an.
"Sir, ich habe jetzt in Gera etwas ausprobiert und das hat super funktioniert. Den Jungs habe ich über das Jawefan, meine Sprache, das Taiji, das Fobnekotar und das schnelle Schlafen beigebracht. Ich dachte es wäre gut, wenn ihre Jungs das auch alle könnten. Vor allem habe ich ihnen das Etzakfu, das Katzen-Kun-Fu und alle meine Judogriffe beigebracht. Da sind sie einfach besser, Sir."
Jetzt verstand der Oberst, was ich meinte. "Klar, kannst du das machen, Kahlyn. Vor allem kannst du auf diese Weise, die Antibiotika auf alle anderen verteilen. Dann kannst du bald wieder richtig essen. Meine Kleine, du gefällst mir gar nicht, du siehst erschreckend dünn aus. Bist total schmal im Gesicht geworden."
Verlegen sah ich auf meine Füße und sagte ganz leise. "Das wäre ein schöner Nebeneffekt. Wenn ich ehrlich sein soll, ich habe schlimmen Hunger, so schlimm wie lange nicht mehr. Er ist fast so schlimm, wie in Chile. Aber Sir, es gibt, leider einen Nebeneffekt, den die Jungs in Gera aber gut finden, Sir", versuchte ich zu erklären, was passieren würde, dass das Jawefan nicht ohne Folgen für alle bleiben würde.
"Der dann wäre?"
"Sir, das Jawefan baut die Verbindung auf. Ich wusste das nicht mehr, dass ich die Verbindung zu meinen Freunden durch das Jawefan hergestellt hatte. Es ist für uns so selbstverständlich geworden, dass wir gar nicht mehr wussten, wie lange wir das schon hatten, Sir."
Der Oberst sah mich verwirrt an. "Wie meinst du das, dass die Verbindung durch das Jawefan aufgebaut?", erkundigte er sich jetzt, weil er nicht wusste, wie ich das meinte.
"Sir, ich konnte mich doch mit meinen Freunden so unterhalten, ohne Worte. Deshalb ging es mir doch so schlecht, als ich aus der Schule gekommen bin und nach Gera musste. Ganz am Anfang, konnten die anderen immer nur über mich die Verbindung halten. War ich nicht im Raum oder in der Nähe, hatten sie die Verbindung nicht. Dann als ich etwa sechs Monate alt war, hatten mich erst die Betreuer und dann der Oberstleutnant ganz nett behandelt. Mir ging es danach überhaupt nicht so gut. Damals bekam ich heraus, dass ich durch das Jawefan eine dauerhafte Verbindung aufbauen kann. In dieser Verbindung, kann jeder selber bestimmen mit wem er spricht. Das ist mir aber jetzt, erst wieder eingefallen. Eben diese Verbindung, wird durch das Jawefan aufgebaut. Aber die Jungs in Gera finden das fantastisch, Sir."
Auf einmal verstand der Oberst, was ich meine. "Na das ist doch gut, so kann man jeden warnen und über alles informieren, auch wenn mal kein Funker in der Nähe ist. Hast du schon getestet wie weit die Verbindung reicht?"
"Sir, nein, Sir. Dazu bin ich noch nicht gekommen. Mir ging es heute früh nicht so sehr gut. Ich habe mich ganz schlimm erschreckt. Als ich mit Ines beim, wie nannte sie es gleich, ich glaube Fleischer war, Sir", erklärte ich ihm, dass ich noch keine Gelegenheit hatte das auszutesten. "Sir, aber ich werde es demnächst einmal austesten, damit ich es weiß, Sir", fügte ich schnell noch hinterher. Plötzlich fiel mir noch etwas viel Wichtiges ein, was ich fragen wollte. "Sir, wie geht es Raiko eigentlich? Ich habe ihn hier gar nicht gesehen. Ich dachte er ist bei ihnen. Hat mir Rudi gestern gesagt, Sir."
Oberst Fleischer schüttelte den Kopf. "Nein Kahlyn, ich habe Raiko vor zwei Tagen nach Berlin geschickt. Er arbeitet jetzt dort, als Dolmetscher. Wir haben uns hier lange und sehr intensiv unterhalten, musst du wissen. Er hat mir gesagt, er hasst den Kampf wie die Pest. Er möchte nicht mehr töten müssen, vor allem mag er kein Blut mehr sehen. Da man händeringend einen guten Dolmetscher in Berlin suchte, habe ich ihn dort hin vermittelt. Ich denke, dort ist er super aufgehoben. Jedenfalls klang er am Telefon richtig erlöst. Er ist ganz anders geworden. Auch der Pate, den ich ihn zugeteilt habe, meint er wäre viel lockerer geworden. Vor allem würde Raiko jetzt auf einmal viel lachen. Er blüht richtig auf", erleichtert sah ich meinen Freund, den Oberst an.
"Sir, das glaube ich ihnen gerne. Raiko mochte das Kämpfen noch nie. Er hat sich immer davor gedrückt. Es ist schön zu wissen, dass es ihm gut geht. Auch, wenn ich ihn nie sonderlich mochte, Sir. Aber jeder sollte glücklich sein, Sir."
Genau musterte mich der Oberst. "Warum ging es dir heute nicht gut, Kahlyn? Vor was hast du dich denn so erschrocken?"
Verlegen sah ich auf meine Finger, die nervös anfingen zu spielen. Der Oberst fasste mit der einen Hand nach meinen Fingern und hielt sie fest, mit der andern drückte er mein Kinn nach oben und zwang mich so ihn anzusehen.
"Sir, bitte ich möchte nicht darüber reden. Ich bin froh, dass ich es soweit unter Kontrolle habe, dass es mir wieder etwas besser geht. Ich möchte daran einfach nicht denken, Sir", bat ich leise, mit zitternder Stimme.
"So schlimm Kahlyn?"
Ich nickte.
"Dann rede nicht drüber, du weißt aber schon, dass dir diese Sachen immer wieder anhängt, wenn du sie nicht abschließt."
Wissend nickte ich. "Sir, aber im Moment schaffe ich das einfach nicht. Ich weiß, dass das, was ich gesehen habe, nichts mit dem zu tun hat, was ich erlebt habe. Aber ich kann nichts dagegen machen, dass immer wieder diese verdammten Erinnerungen hochkommen. Ich weiß einfach nicht, wie ich das verhindern soll. Wirklich nicht. Aber ich mag nicht darüber sprechen, es macht mich kaputt, Sir."
"Das glaube ich dir Kahlyn, das sieht man dir an. Trotzallem denke ich, du solltest zu einer dir vertrauten Person, irgendwann einmal darüber reden. Damit die wissen, was los war. Wann, wie und wo, willst du das Jawefan machen, Kahlyn."
Änderte der Oberst einfach das Thema, das mir nicht gut tat. Da er merkte, wie ich um meine Gefasstheit kämpfte und immer blasser wurde. Ich sah mich um.
"Sir, es sind dreißig Leute hier, das wird zu viel. Ich werde das Jawefan auf dreimal machen, da geht es wesentlich schneller. Ich würde sagen Teamweise. In eins der Teams, sollten alle Piloten rein und in eins auch sie. Denn so habt ihr untereinander die Verbindung. Ich denke fünfzig Kilometer wird die Verbindung mindestens halten. So bleiben sie in Einsätzen mit allen verbunden. Vor allem können solche Sachen, wie mit Conny nie wieder passieren. Hätte er die Verbindung damals schon gehabt, hätte er um Hilfe rufen können, Sir."
Der Oberst lachte und wuschelte mir übers Haar. "Dann fange an", gab er mir den Befehl.
"Sir, rufen sie die Leute auf, die zum ersten Kreis kommen sollen? Oder soll ich es erst allen Kollegen im Ganzen erklären, Sir?"
"Nein Kahlyn, ich erkläre es allen, du weckst bitte Conny und die Piloten derweilen. Wenn ich das meinen Leuten erkläre, geht das einfach schneller."
Dankbar sah ich den Oberst an und war froh, dass er mir das Erklären abnahm. Zügig lief nach hinten, um die Piloten und Conny zu wecken. Sofort nach dem ich die Piloten geweckt hatte lief ich zu Conny. Der als er munter wurde und mich sah, mich gleich freudig begrüßte und vor allem anstrahlte.
"Mein Engelchen, wenn das nicht der schönste Anblick ist, den es beim Erwachen gibt, dann weiß ich nicht, was noch schöner sein soll", begrüßte er mich und zog mich zu sich herunter. Conny gab mir einen Kuss auf die Stirn.
"Du siehst wieder besser aus Conny, wie geht es dir denn so?"
Conny setzte sich auf und zog mich einfach auf sein Bett. Er rutschte etwas zur Seite und zog mich in seine Arme. "Mir geht es gut, Engelchen. Aber dir scheint es nicht so gut zu gehen. Schmal bist du geworden", stellte er traurig fest und streichelte er mir das Gesicht.
"Ach Conny mir geh es gut, nur hab ich langsam unerträglichen Hunger. Aber bald kann ich wieder richtig essen. Heute habe ich einmal fünfzig Gramm gegessen. Aber einen Aufsprung hätte ich nicht mehr geschafft. Dazu habe ich einfach keine Kraft mehr. Kommst du bitte mal mit nach vorn? Ich will mit euch das Jawefan machen. Weißt du, ich habe mit den Jungs in Gera, das Jawefan gemacht und die sind alle in der Verbindung geblieben. Das will ich euch auch geben. Damit habt ihr mehr Chance im Kampf, euch zu warnen. Vor allem, damit nicht wieder so etwas passiert, wie mit dir und Kurt."
Conny staunte. "Das ist ja super, dann komm gehen wir nach vorn. Sag mal, kannst du das mit meinen Jungs auch machen, die kommen in circa einer Stunde."
Ich boxte ihn leicht in die Seite. "Klar mache ich das mit deinen Leuten auch noch, deswegen wecke ich dich doch."
Gemeinsam standen wir auf und liefen nach vorn. Der Oberst hatte schon allen erklärt, um was es ging. Die Tische waren schon zur Seite geräumt und die Gruppen eingeteilt.
"So Leute, wir machen das jetzt hintereinander. Kahlyn, du teilst die Leute in dem Kreis ein."
Ich begann alle so hinzusetzen, dass die Leute die ich kannte zu meiner rechten und linken Seite saßen. Kurz erklärte ich noch einmal, was die Jungs machen sollte und begann mit dem Jawefan. Verhältnismäßig schnell bekam ich den Kreis geschlossen und brachte allen das schnelle Schlafen, sämtliche Techniken des Katzen-Kun-Fu, des Fobnekotar, das Taiji, des Judos, meine Sprache, vor allem aber die Schmerztherapie, auch die Fähigkeit ihren Körper selber zu kontrollieren auf Verletzungen und das Fieber zu senken. Ich verteilte aber auch die Antibiotika, das Fieber auf die im Kreis sitzenden, holte mir etwas von ihrer Kraft. Erfreut stellte ich fest, dass ich fast alle Antibiotika los war und ich endlich wieder Essen konnte. Wenn ich Connys Leuten auch alles beigebracht hatte, war nur noch eine minimale Spur der Antibiotika in meinem Körper. Nach der sechsten Runde, war ich fast Fieberfrei und fühlte mich wohl, wie lange nicht mehr. Ich hoffte so sehr, dass es diesmal nicht wieder nur von kurzer Dauer sein würde. Sondern dass dieser Zustand sehr lange anhalten würde. So könnte ich gern immer leben. Zum Schluss nahm ich mir noch den Oberst und Conny zur Seite und erklärte ihnen das Freischalten der Techniken. Gab den beiden noch über das Jawefan, Tipps und Tricks, worauf sie beim Training achten mussten. Die Chefs der beiden Sokos, waren hell auf begeistert über die Möglichkeiten, die sie jetzt für das Training bekamen.
Lächelnd sah ich die beiden an. "Ich ärgere mich so, dass ich nicht früher schon auf die Idee gekommen bin. Ihr könntet das schon seit Jahren nutzen. Aber ich hab einfach nicht dran gedacht", erklärte ich den beiden betrübt.
"Kahlyn, das ist nicht schlimm. Lieber spät als nie", sagte der Oberst und Conny nickte lachend.
"Jetzt weiß ich wenigstens, was ich beim Fobnekotar immer falsch gemacht habe", Conny wuschelte er mir durch die Haare.
Lange diskutierten wir noch über bestimmte Trainingsmethoden und vor allem über die Häufigkeit, des Trainings. Ich erklärte den beiden Teamchefs, dass sie es langsam anfangen sollten mit zwei bis drei Zyklen Fobnekotar und steigern auf fünfzehn bis zwanzig Zyklen. Dann bräuchten sie kein Krafttraining mehr, sondern nur noch die Techniken immer wieder aufs Genauste wiederholen. Wichtig war das die Techniken immer zusammen trainiert wurden. In der Kombination von Eztakfu, dem Katzen-Kun-Fu und dem Taiji, um schneller zu werden und dem Fobnekotar und Taiji um die Kraft zu trainieren. Wir waren gerade mal zehn Minuten fertig mit unserer Diskussion und machten eine kleine Pause, da kamen schon die Hubschrauber, die uns nach Halberstadt bringen sollten.
Glücklich packte ich meine Sachen zusammen und war so froh, dass ich die Möglichkeit vom Oberst bekommen hatte, das Jawefan zu machen. Denn wenn ich ehrlich sein sollte, hatte ich mir echt Sorgen gemacht, wie ich die vielen Kilometer die ich bei solch einer Suche laufen musste, ohne Nahrung schaffen sollte. Jetzt konnte ich gestärkt und vor allem satt auf die Suche nach den Kindern gehen. Der Oberst der mich die gesamte Zeit beobachtet hatte, sah mich lächelnd an.
"Na meine Kleine, geht es dir wieder etwas besser? Das Jawefan, hat dir wohl geholfen, wieder etwas zu Kräften zu kommen? Kannst du bald wieder etwas essen, Kahlyn?", stellte er mir gleich drei Fragen, die ich alle mit Ja beantworten konnte.
"Sir, ja das kann ich. Mir geht es wieder viel besser. Jetzt müssen wir nur noch die Kinder heil finden. Dann bin ich ganz glücklich, Sir", sagte ich in einen leichten Ton, denn ich nur nutzen konnte, wenn es mir wirklich gut ging.
"Da bin ich aber froh, Kahlyn. Dann lass uns los fliegen."
Wir bestiegen die Hubschrauber nach Halberstadt, um in einer der dortigen Grundschule, Stellung zu beziehen. Nach einer Stunde Flugzeit, kamen wir südöstlich von Halberstadt, auf einen der Felder, in der Nähe der B79 zwischen Halberstadt und Harsleben an. Wurden dort mit Einsatzfahrzeugen der hiesigen Polizei, zur Grundschule in Halberstadt gefahren. Erfreut stellte ich fest, dass Rudis Teams auch schon angekommen waren. So konnte ich mit dem Delta-Team auch noch das Jawefan machen. Der Oberst hatte über die Funker, Rudi schon darüber verständigt, dass ich auch noch mit diesem Team, vor dem Einsatz, das Jawefan machen wollte. So dass ich ohne unnötiges Risiko, vor dem Einsatz wirklich ausreichend Nahrung zu mir nehmen konnte. Dadurch konnte ich wesentlich besser arbeiten. Kurz vor der Einsatzbesprechung, sorgte der Oberst dafür, dass ich etwas zu essen bekam. Ich setzte mich einfach auf den Boden, mit dem Rücken zur Wand und genoss meine erste Mahlzeit. Seit Wochen, war dass das erste Mal, dass ich ohne die Angst, dass es mir nach dem Essen wieder schlecht ging, etwas zu mir nahm. Es waren zwar nur hundert Gramm, aber es war reichlich. Ich hatte zu tun, dass ich den Brei komplett auf essen konnte. Nach so langer Zeit des Hungerns, war das mehr als genug. Aber ein wunderschönes Gefühl streichelte meinen Magen. Es breitete sich eine wunderschöne Wärme überall in meinem Körper aus. Glücklich, strahlte ich alle an. Rudi kam auf mich zu und setzte sich einfach neben mich auf den Boden und zog mich in seine Arme. Es war ein wunderbares Gefühl, fast so, wie ich es immer bei Rashida hatte.
"Na meine Kleene, jetzt geht es dir wieder gut."
Ich nickte glücklich und zufrieden. "Jetzt noch eine Stunde schlafen, dann komme ich mir vor, wie im Himmel", erkläre ich Rudi, lachend.
"Na eine Stunde ist etwas lange, aber was hältst du von zehn Minuten?"
Ich sagte nichts, kuschelte mich nur an Rudi und nickte.
"Komm in meinen Arm, Kleene."
Ich rollte mich einfach in seinen Armen zusammen. Zwei Atemzüge später, schlief ich für zehn lange Minuten tief und fest, und erwachte mit neuen Kräften aus einem erholsamen Schlaf. Den man mir auch ansah, ich hatte wieder Farbe im Gesicht. Kaum war ich munter, erhob ich mich.
"Danke Rudi, das habe ich jetzt gebraucht. Komm wir wollen die Kinder suchen", mit dem letzten Wort zog ich Rudi auf die Beine und wir gingen gemeinsam auf den Oberst zu. "Sir, können wir jetzt eine erste Einsatzbesprechung machen. Damit wir diese Kinder endlich finden, Sir."
Oberst Fleischer rief die Teamleiter zu sich und trommelt alle zusammen. So dass sie sich setzen, wir sogleich mit der ersten Einsatzbesprechung anfangen können. "Kahlyn du hast die Einsatzleitung", sagte er laut zu mir, so dass es jeder hört und grinste mich an.
"Sir, jawohl, Sir", kam reflexartig die Antworte von mir. Ich lief nach vorn vor die Truppen, um zu beginnen, wartete bis alle ruhig waren.
"Guten Abend meine Herren, wir kennen uns glaube ich alle, für die wenigen Neuen unter euch. Ich bin Leutnant Kahlyn, kurz und bündig, nur Kahlyn, ich bin sechzehn Jahre, seit dreizehn Jahren beim SEK. Bitte vertraut mir, wenn ihr mich für unfähig haltet, redet einfach mit euren Kollegen. Dann ändert sich eure Meinung schnell. Wichtig ist für euch nur Folgendes. Merkt euch einfach, in den von mir geleiteten Einsätzen gelten keine Rangabzeichen oder Titel. Bei mir haben alle den gleichen Rang, jeder hört auf das, was ich sage. Es werden von mir alle, mit du angesprochen. Ich mag es absolut nicht, wenn über Befehle diskutiert wird. Da werde ich richtig böse. Habt ihr das verstanden?", ich sah alle an und wartete auf eine Bestätigung von ihnen. Als ich sicher war, dass mir alle zuhörten und mit meiner Vorgehensweise einverstanden waren, fuhr ich fort. "So, nun zu unserem Einsatz hier. Nicht nur die Besprechung wird heute etwas anders laufen, als es viele von euch gewohnt sind, sondern der gesamte Ablauf wird ein anderer sein. Das ist notwendig, da es einfach zu viele unbekannte Faktoren gibt. Wir müssen diesmal improvisieren. Viele von euch fragen sich bestimmt, wieso ich eine Schulklasse die in Schwerin vermisst wird, hier in Halberstadt suche. Ich kann es euch nicht genau erklären. Es war ein Gefühl, das sich bestätigt hat, denn es wurden am 22. September sechsundzwanzig Fahrkarten hierher gekauft. Deshalb denke ich, dass meine Vermutungen richtig sind. Die Bereitschaftpolizei hat mit Connys Hilfe, schon seit drei Tagen vergeblich in Schwerin und Umland nach der Klasse gesucht. Ich vermute daher, dass die Kinder die zuerst geplante Exkursion gemacht haben. Warum kann ich euch nicht sagen. Ich vermute, dass einfach der Forschungsdrang, der Kinder gesiegt hat. Der Praktikant, der ja auch noch sehr unerfahren ist, wurde wohl dazu überredet oder einfach von der Mehrheit überstimmt. Also werden wir systematisch diese geplante Route absuchen, die der Praktikant dem Direktor vorgeschlagen hatte. Allerdings vermute ich die Klasse, im stillgelegten Büchenberg Bergewerk. Bevor ich dort einfahre und das gesamte Bergwerk durchsuche, werden wir alle anderen Möglichkeiten ausschließen. Seid ihr soweit mit der Vorgehensweise einverstanden? Jetzt ist der richtige Zeitpunkt um eure Meinungen zu sagen", ich zögerte einen Moment, in den ich die Männer musterte.
Keiner war anderer Meinung. Deshalb unterbreitete ich ihnen meinen ersten Plan, der nichts anderes war, als der Versuch Ordnung in das Chaos zu bringen. Ohne genaue Kenntnisse der Details war eine Planung praktisch nicht möglich.
"Ich werde mir jetzt erst einmal einen Überblick verschaffen. Wild das Terrain zu durchsuchen, würde nur die wenigen Spuren die wir vielleicht haben zerstören, wenn wir mit neunzig Leuten losziehen. Wir werden deshalb wie folgt vorgehen. Wenn Gosch, mein Pilot, angekommen ist, fliege ich mit ihm eine bestimmt Route ab. Die genaue Route erkläre ich ihm, wie ich es immer handhabe im Heli, das ist für euch auch uninteressant. Ihr werdet euch bis 6 Uhr hinlegen und schlafen. Denn ihr nutzt mir nichts, wenn ihr heute den ganzen Tag durchhängt, weil ihr übermüdet seid. Ihr könnt bis Sonnenaufgang, sowieso nichts machen, mit Strahlern auf Suche gehen bringt nicht viel. Ich kann im Dunkeln mehr sehen als ihr. Also schlaft. Nutzt den schnellen Schlaf, damit ihr euch richtig erholen könnt. Um 8 Uhr werdet ihr in zweier Gruppen in die Stadt Halberstadt gehen, um mit den Bewohnern zu sprechen, ob jemand die Kinder gesehen hat. Ihr fragt bitte, nach wann und wo genau. Bitte, ihr lasst die gesamte Zeit die Verbindung zu mir auf. Die Verbindungen zu den anderen Kollegen könnt und solltet ihr unbedingt schließen. Hört genau zu, noch einmal ihr schließt die Verbindung zu allen anderen, nur die Verbindung zu mir lasst ihr offen. Dass ist verdammt wichtig. Ihr seid an diese Verbindung nicht gewöhnt und sie würde euch nur von eurer Arbeit ablenken. Ich möchte alle eure Gespräche, die ihr in Halberstadt führt, mithören. Ihr müsst wissen, ich bekomme oft Dinge mit, die anderen entgehen. Keine Angst, ich bin es gewöhnt, mit über achtzig Leuten gleichzeitig zu kommunizieren und mich trotzdem auf meine Arbeit zu konzentrieren. Ich registriere nur wichtige Details der Gespräche. Sobald ich eine Spur habe oder ein Detail feststelle, das interessant sein könnte, melde ich mich bei euch. Sollte ich eine brauchbare Spur finden, werde ich euch zu mir rufen. Treffpunkt ist immer dieses Gebäude hier, in dem wir uns zurzeit aufhalten. Ihr habt eine halbe Stunde Zeit, wieder hierher zu kommen. Also merkt euch den Weg, den ihr zu gehen habt. Habt ihr das alle verstanden", fordernd sah ich alle neun Teams an, alle nickten.
Ich wandte mich jetzt denen zu, an die ich schon genaue Anweisungen geben konnte. Denn einige Dinge konnte ich von vornherein einplanen, dich ich gebrauchen konnte.
"Oberst, du organisierst für die Männer hier Essen. Gegen 12 Uhr sollten die Jungs etwas zu essen bekommen und bitte reichlich. Ich weiß nicht, wann wir das nächste Mal, Zeit und Muße haben etwas zu essen. Vor allem Oberst, horche dich schon einmal um und strecke die Fühler aus, wegen Plänen, die das Bergwerk betreffen. Nicht dass wir dann ewig warten müssen."
An die Teams gewandt, gab ich doch noch einige genaue Anweisungen. "Das ist ein Befehl, es werden alle Waffen hier gelassen. Der Einsatz heute ist eine Rettungsaktion und kein Kampfeinsatz. Waffen, so meine Erfahrungen, bei ähnlich gelagerten Einsätzen, schüchtern die Zeugen nur ein. Also ab mit euch in die Betten. Nochmals kurz, zum schnellen Schlafen. Ihr legt euch einfach hin, atmet ruhig und gleichmäßig sagt euch. "Ich möchte 5 Stunden schlafen." Dann wacht ihr nach fünf Stunden erholt auf."
Genau sah ich mir die Männer an, ob sie meine Aussagen auch verstanden hatten. Das schien der Fall zu sein. Keiner von ihnen sah verwundert aus oder schaute verunsichert zu mir.
"Ich weiß, dass ich heute eine ungewohnte Einsatzbesprechung gemacht habe. Wir werden im Laufe des Einsatzes, noch einige kurze Besprechungen machen müssen. Nur kann ich euch zurzeit nichts mehr sagen. Wir arbeiten diesmal ins Blaue. Da ich erst einmal Informationen suchen muss, die ich euch geben kann. Das ist zwar nicht schön, geht aber bei diesem Einsatz nicht anders. Ich kann euch nur die Informationen geben, die ich selber habe. Nutzt bitte die Zeit zum Schlafen, es kommen anstrengende Tage auf uns zu. Ihr werden ab morgen früh in ständiger Bereitschaft bleiben müssen. Da ich nicht genau weiß, wann ich euch brauche. Die Suche ist auch mit viel Glück, nicht in zwei Stunden zu schaffen. Also legt euch sofort hin. Gibt es noch Fragen von eurer Seite."
Die Teams schüttelten die Köpfe.
"Dann beende ich die Besprechung."
Alle erhoben sich und verteilten die Matten auf dem Boden, um sich lang zu machen. Ich ging auf den Oberst zu, um mit ihm noch einiges zu besprechen.
"Sir, wenn Gosch kommt, schicke ihn sofort zu mir. Ich will dann gleich los. Auch, wenn ich schlafen sollte. Wir müssen dann sofort zum Heli. Er soll ihn also gleich auftanken. Ich will mir die Gegend hier einmal genau ansehen. Vielleicht finde ich schon einiges an Spuren."
"Geht klar, Kahlyn", Fleischer rief Mario zu. "Mario, gebe Gosch Bescheid er soll gleich auftanken und sich beeilen."
Marion nickte und verschwand in der provisorisch abgeteilten Funkstation, die schon aufgebaut war. Das war immer die erste Arbeit, die Marion hinter sich brachte. Das war auch notwendig, damit die Truppe erreichbar blieb und der Oberst sofort Verbindung zur Zentrale bekam. Das konnte Lebens rettend sein.
"Oberst hat Gosch, Wasser, Decken und Tscenns im Heli?"
Oberst Fleischer lachte mich an und wuselte mir über den Kopf. "Klar sechsundzwanzig Decken und Tscenns für eine ganze Kompanie, auch Wasser und Seile meine Kleine. Ich habe alles organisiert."
"Danke Oberst. Ich lege mich bis Gosch kommt, noch eine Weile hin. Ich werde kaum noch zum Schlafen kommen. Also wecke mich bitte sofort, wenn Gosch angekommen ist. Oberst wenn ich sofort sage, dann meine ich auch sofort. Die Zeit arbeitet gegen die Kinder", ernst sah ich Fleischer an.
Ich sah mich suchend um. John winkte mir zu. Zielstrebig ging ich auf ihn zu und zeigte auf eine Ecke, die etwas abseits der anderen war. Dorthin zogen wir eine Matte. John legte sich hin und nahm mich in den Arm. Sobald ich lag, schlief ich auch schon. Eine knappe Stunde später, kam Gosch mich vorsichtig wecken. Trotzdem wurde John munter.
"Hallo Gosch. Danke John, schlafe weiter. Komm Gosch wir müssen los. Wo ist der Heli?", flüsterte ich kurz angebunden. Zu viele Gedanken schossen mir sofort durch den Kopf.
"Täubchen, draußen steht ein Toni, der bringt uns hin. Ich habe ihm gesagt, er soll warten. Der Kollege ist beim Heli geblieben. Arndt ist mit dem Tiger auch gleich da, wir machen das wie folgt, du fliegst abwechselnd mit uns. Arndt kenn dich fast so gut, wie ich."
Ich nickte Gosch lächelnd zu, während wir in den Toniwagen einsteigen. Der Fahrer musterte mich grinsend und wollte zu einer dummen Bemerkung ansetzen. Gosch würgte ihn kurzerhand ab.
"Ich würde mir an deiner Stelle überlegen, ob ich das sage, was du gerade sagen willst. Es könnte gut und gerne sein, dass du im Anschluss dunkelblaue Äuglein hast. Wobei deine eigentliche Augenfarbe keine Rolle spielt, Kollesche. Lass mir die Kleine in Ruhe. Nach dem Einsatz kannst du dumm Sprüche klopfen, wenn du das dann immer noch willst", foppte er den Fahrer mit einer derben Ansage. Dankbar sah ich Gosch an. Ich ignorierte den Fahrer einfach. Im Moment hatte ich wichtigere Dinge im Kopf, als eine Diskussion über mein Alter oder meine Brille.
"Gosch, hast du die Decken, das Wasser, Seile und die Tscenns mitgebracht."
Gosch streichelte mir das Gesicht. "Klar Täubchen, du weißt doch, ich höre aufs Wort. Bin halt ein braver Gosch", versuchte er etwas Lustiges zu sagen, da er sehr wohl bemerkte wie angespannt ich war.
"Lass mal Gosch. Du kannst mich im Moment nicht aufheitern. Ich mache mir wirklich große Sorgen, um die Kinder. Ich gehe davon aus, dass sie in Not geraten sind und zwar nicht erst seit drei Tagen. Frag mich nicht warum, es ist einfach so ein verdammt ungute Gefühl, was ich im Bauch habe. Aber ich weiß nicht, wo ich die Kinder suchen soll, ich hab einfach keine Anfangspunkt. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die so verrückt gewesen sind und ganz alleine in ein Bergwerk eingefahren sein sollen. So verrückt kann doch auch kein Praktikant sein. Sonst würde ich dort gleich suchen. Aber so dumm kann man doch nicht sein, vor allem nicht so verantwortungslos. Ich will erst einmal die Gegend absuchen. Aber ich hab Angst, dass das ein Fehler ist. Was ist wenn ich an der verkehrten Stelle anfange zu suchen. Verdammt", verzweifelt rieb ich mir den Nacken.
Ich war hin und hergerissen zwischen meinen Gefühlen im Bauch und der Tatsache, dass niemand so verrückt sein könnte in ein Bergwerk einzufahren, ohne einen Steiger mitzunehmen oder wenigsten einen Verantwortlichen darüber zu informieren, dass er die Absicht dazu hatte. Gosch ahnte, was in mir vorging. Er wusste nur zu genau, dass es oft den Tatsachen entsprach, wenn ich so ein ungutes Gefühl habe. Er hatte es leider zu oft erlebt, dass sich solche Gefühle bewahrheitet hatten.
"Gosch, pass auf, wir machen es wie folgt. Wir werden Suchschleifen fliegen und zwar, beginnend im Südosten von Harsleben aus, zehn Kilometer nach Westen und immer weiter nach Süden ziehend, bis nach Elbingerode. Ich denke, dann finde ich am schnellsten eine erste Spur. Sechsundzwanzig Personen, fliegen nicht über die Landschaft hinweg. Kinder haben die Unart, sie hinterlassen immer eine Spur der Verwüstung, auf den Wegen, die sie gehen."
Der Fahrer blickte in den Rückspiegel. "Darf ich sie etwas fragen, Kollegin?", fragte er belustigt.
"Sir, ja, Sir, wenn es denn unbedingt sein muss und sie nichts Besseres vorhaben, Genosse Wachtmeister", erwiderte ich ziemlich genervt.
Da meine Erfahrungen mit solchen Fragen, alles andere als gut waren. Meistens kamen von mir unbekannten Kollegen, vor allem mit diesem Gesichtsausdruck, keine sinnvollen Fragen.
"Wie wollen sie, bei der Dunkelheit, vor allem von dem Heli aus etwas sehen."
Genau das war die Frage, die kommen musste und die ich vor allem erwartet hatte. Logisch war ja diese Frage, das musste man den Kollegen lassen. Welcher normale Mensch konnte in einer stockdunklen Nacht aus einem Hubschrauber aus etwas sehen. Außer mit starken Suchscheinwerfern war das in den Augen der Kollegen ja gar nicht möglich. Trotzdem kotzte es mich zurzeit nur noch an. Bei jedem Einsatz war es so, nie traute mir einer der Kollegen etwas zu. Ständig waren sie der Meinung, mir Unfähigkeit vorzuwerfen zu müssen. Obwohl sie mich gar nicht kannten. Daher antwortete ich ziemlich genervt und in einen nicht besonders freundlichen Ton. Es wäre einfach sinnlos, ihm das zu erklären.
"Genosse Wachtmeister, ich darf doch offen sprechen. Das ist ja wohl für sie nicht relevant, oder? Es kann ihnen doch eigentlich völlig egal sein. Wissen sie was, machen sie einfach ihren Job. Ich mache den meinen, Sir. Wir würden sie sich fühlen, wenn ich ihnen sage oder vorschreibe, wie sie den Toni fahren sollen. Das würde ich mir auch nicht anmaßen. Denn ich kann keinen Toni fahren, Sir. Glauben sie mir, ich sehe besser als sie denken. Fahren sie uns einfach zum Heli, den Kindern läuft nämlich die Zeit weg. Ihre Fragen ändern nichts daran, Sir."
Gosch war kurz vor dem Ausflippen und sah mich nicht gerade freundlich an. Auch wenn er meine Reaktion verstehen konnte. Der Drachenflieger hieß es aber nicht gut, wenn ich die Kollegen anmotzte. Er hatte ja irgendwo Recht, aber es nervte mich nur noch. Von Gosch der ja Oberst war, nahm man einen solchen Spruch als Scherz an und er konnte sich so etwas leisten. Auf Grund meiner Jugend und meines Dienstgrades, gestand man mir nicht das gleiche Recht zu. Da die meisten Kollegen auf solch eine Bemerkung einfach nur sauer reagierten. Sich von jüngeren Kollegen belehren zu lassen, fiel niemanden leicht. Also stellte er sich schützend vor den Fahrer des Tonis. Auch, wenn er mir damit Unrecht tat. Schließlich waren wir auf das Wohlwollen der Kollegen hier angewiesen. Man wusste nie, ob man vielleicht doch noch die Hilfe des hiesigen Reviers in Anspruch nehmen musste. Deshalb haute er mir moralisch auf den Hinterkopf.
"Täubchen, bist du aber heute schlecht drauf. Der Fahrer kennt dich doch nicht und kann nichts für deine miese Laune, oder? Etwas freundlicher könntest du ruhig zu ihm sein."
Ich zuckte genervt mit den Schultern. Gosch hatte ja recht. "Ach Gosch, mich nervt das einfach nur noch. Ich kann diesen Brillenquatsch, einfach nicht mehr hören. Weißt du eigentlich, wie oft ich das in den letzten sechs Wochen gehört habe. Es kotzt mich einfach nur noch an. Warum akzeptiert man mich nicht einfach, so wie ich bin?"
Aber Gosch hatte ja recht, der Fahrer konnte nichts dafür.
"Sir, tut mir leid, wirklich. Ich hätte sie nicht anmotzen dürfen, Sir. Aber es nervt mich einfach nur noch. Diese ständigen dummen Sprüche, wegen meiner Brille und wegen meines Alters zu hören. Ich habe, wenn ich es mal so offen sagen darf, einfach die Schnauze voll davon, Sir", entschuldigte ich mich bei dem Fahrer, für mein unhöfliches Verhalten.
Einen Augenblick später kamen wir beim Drachen an. Deshalb stieg ich nicht nur aus, sondern ging auf die Seite des Fahrers. Dieser hatte seine Tür geöffnet und so ging ich dort in die Hocke.
"Sir, sie müssen wissen, ich habe andere Augen als ihr, normalen Menschen. Deshalb muss ich die Brille leider tragen. Da das Licht meinen Augen wehtut. Aber meine Augen haben den Vorteil, dass ich im Dunkeln so sehe, wie sie im Hellen sehen, Sir. Obwohl das nicht ganz stimmt, Sir. Ich sehe nachts ohne Brille mehr als am Tag mit Brille und um vieles besser als sie mit einem Nachtsichtgerät sehen könnten, Sir. Außerdem sehe ich selbst mit Brille, auf fünfhundert Meter eine Stecknadel am Boden liegen, Sir. Da wir meistens, in fünf oder maximal zwanzig Meter Höhe, über den Boden fliegen, wenn wir solche Suchflüge unternehmen, sehe ich dort wirklich alle noch so kleinen Details und kann sogar Fußspuren verfolgen. Wenn sie mir eine Stecknadel in den Boden stecken, kann ich ihnen die Farbe und die Form genau benennen und springe punktgenau, aus dem fliegenden Heli, genau auf diesen Stecknadelkopf. Ich bin halt anders als sie. Vertrauen sie mir einfach, Sir. Ich weiß, was ich tue, Sir."
Ich nahm meine Brille ab und zeigte dem Wachtmeister meine Augen. Der Fahrer zuckte erschrocken zurück.
Ein leises. "Tut mir leid, Mädel", war die einzige Reaktion, die ich von ihm bekam.
Ich stand auf und folgte Gosch zum Heli. Sofort steckte ich meine Brille, in die Schutztasche am Gürtel und nahm die Karte der Umgebung aus meinem Overall. Gosch kam zu mir und beugte sich ebenfalls über die Karte, so konnte ich ihm, mit einem Stift, das Gebiet eingrenzen und zeigte ihm wie er fliegen sollte. Das Licht des Toniwagens reichte, dass Gosch etwas erkennen konnte. Da ich mit dem Rücken zum Toni stand störte mich das Licht nicht weiter.
"Gosch, ich setze mich draußen auf die Kufen. Fliege in circa fünf bis maximal zehn Meter Höhe, je nach Untergrund. So sehe ich am meisten, vielleicht werden die Kinder auch auf uns aufmerksam. Fliege bitte Suchschleifen von zehn Kilometern in der Breite und zwei Kilometern Abstand. Stelle die Kopfhörer leise und geb sie mir nach draußen, dann kann ich mich mit dir un... ach quatsch, die brauchen wir ja gar nicht mehr. Ach hab ich ein Glück, dass wir jetzt die Verbindung haben. Endlich keine Kopfhörer mehr", grinste ich Gosch an.
Der Drachenflieger nickte mir lachend zu. Wir starteten und begannen von Halberstadt aus, nach Harsleben hin, unsere Suchschleifen zu fliegen. Nach einer viertel Stunde fand ich in der Nähe von Wilhelmshöhe, eine erste Spur.
"Gosch merke dir bitte diese Stelle, dort fange ich an zu suchen."
Noch eine ganze Stunde flogen wir Schleifen, aber fanden nur zwei oder drei Stellen, wo es sich würde lohnen näher hinzusehen. Kurz vor Mitternacht, brach ich die Suche mit dem Heli ab, da ich merkte, dass Gosch vor Müdigkeit nicht mehr konnte. Er hatte ja nicht wie ich schlafen können. Also würde ich ihn zurückschicken und zu Fuß weiter suchen. Ich brauchte Gosch dann fit.
"Gosch, bitte fliege zu der ersten Stelle zurück, dort lässt du mich raus. Ich gehe von dort aus zu Fuß weiter. Du legst dich dann sofort hin. Dann kommst mich kurz vor 6 Uhr abholen. Wo genau, sage ich dir in der Verbindung. Dann können wir gleich mal austesten, wie weit die Verbindung wirklich besteht. Bei meinen Freunden hielt die Verbindung bei allen fast neunzig Kilometer. Bei Rashida und mir sogar hundertfünfzig Kilometer. Mal sehen, wie weit es bei Euch hält. Ich nehme ein Peilgerät mit. Laufe von Wilhelmshöhe, nach Süden über Langenstein, Osterholz, Pfeifenkrug. Viel weiter werde ich nicht kommen. Gosch schlafe bitte. Ich brauche dich dann fit."
Gosch sah mich lächelnd an. "Täubchen, du weißt doch, ich höre immer auf dich. Sei bitte vorsichtig und pass auf dich auf."
Gosch gab mir ein letztes Lächeln und ließ mich gehen. Ich sprang aus fünf Metern aus dem Heli, so dass ich kurz vor der Spur aufkam.
"Gosch, bitte weise mich noch ein. Dann muss ich nicht erst ewig suchen." Es dauerte nicht mal eine Minuten bis ich die Spur gefunden hatte und konnte los. "Gosch schlafe, du musst mir Arndt nicht schicken. Ich sehe mich nur um."
Langsam zog ich Suchschleifen von Beginn der Spur und folgte der gefundenen Spur. Verwundert musste ich feststellen, dass die gegen Norden führten, zurück nach Halberstadt und weg von dem Bergwerk. Kurz vor Velthensmühle, verlief die Spur wieder in Richtung Westen, südlich an Mahndorf vorbei. Dann verlor sich die Spur, auf einmal. Wieder begann ich Suchschleifen von drei Kilometer Breite nach Richtung Süden zu ziehen, kurz vor 5 Uhr fand ich die Spur wieder. Sie befand sich in der Nähe von Böhnshausen. Verwundert lief ich weiter, der im Zickzack verlaufenden Spur folgend, in Richtung Osterholz. Immer wieder fragte ich mich, wieso die Spur so chaotisch verlief. Es war einfach kein System in dieser Spur zu erkennen. Ich verstand das alles einfach nicht. Langsam bekam ich das Gefühl, dass die Kinder, nur sinnlos durch die Gegend irrten. Oder der Zwiebler, hatte sie einfach selber den Weg suchen lassen. Innerlich vermutete ich, dass ich mit der Annahme richtig lag. Dass der Praktikant, die Kinder an Hand von Karte und Kompass, den Weg zu dem Bergwerk selber suchen ließ. Das irritierte mich völlig. Keiner der nicht die Absicht hatte, Kinder militärisch auszubilden, würde so etwas heut zutage noch machen. Kurz vor 6 Uhr, rief mich Gosch.
"Was ist Gosch?", fragte ich ihn, verwundert. Da es schon hell wurde, setzte ich meine Brille wieder auf.
"Täubchen, du solltest eine kleine Pause machen. Du suchst jetzt schon seit über sechs Stunden. Sag mir einfach, wo ich dich abholen soll."
‚Ach manne, mein guter Gosch‘, ging es mir durch den Kopf, ‚immer war er besorgt um mich.‘ "Gosch, du musst mich nicht abholen. Ich bin in der Nähe der Klussiedlung. Also keine vier Kilometer von der Schule weg. Ich laufe das Stück zurück. Kannst du dafür sorgen, dass ich in zehn Minuten etwas zu essen habe. Vor allem etwas Warmes zu trinken. Dann schlafe ich eine Weile. Auch will ich mit dem Oberst sprechen, wenn das möglich ist. Also bis gleich."
Im gleichen Atemzug lief ich los und zurück zur der Schule, in der wir die Einsatzzentrale hatten. Nur knappe vier Minuten später, kam ich dort an. Ich war müde und halb erfroren. Man merkte, dass ich keinerlei Reserven mehr hatte. Normalerweise würde ich bei diesen Temperaturen nicht frieren. Aber ich war nur im Nahkampfanzug losgegangen und heute Nacht war es tüchtig kalt, nur 3 oder 4°C über Null und es wehte ein eisiger Wind. Hoffentlich hatten die Jungs aus Gera, an meine Jacke gedacht. Kaum war ich in der Turnhalle der Schule angekommen, kam mir schon der Oberst entgegen und hing mir eine angewärmte Decke um.
"Kahlyn, warum hast du mir nicht gesagt, dass du keine Jacke dabei hast. Verdammt, du musst doch halb erfroren sein. Du holst dir doch den Tod", schimpfte er mich gleich aus.
Sofort, reichte mir Walter einen heißen Kaffee, auch mein Brei stand schon auf den Tisch. Ich machte mich hungrig darüber her. Langsam wurde mir wärmer.
"Sag mal Kahlyn, redest du nicht mehr mit mir?", der Oberst sah mich irritiert an.
"Sir, doch, Sir. Aber ich musste erst einmal auftauen, Sir", antwortete ich immer noch mit den Zähnen klappernd. "Verdammt ist das kalt geworden. Die armen Kinder, die sind doch nicht auf diese Kälte eingestellt. Wenn mir die Temperatur, schon so zu schaffen macht, müssen die armen Kinder doch halb erfrieren", gab ich endlich zur Antwort. "Oberst, hat jemand daran gedacht, meine Jacke mitzubringen. Das ist verdammt kalt heute. Die Jungs sollen sich warm anziehen", immer noch frierend, zog ich die Decke, um meine Schultern.
"Nein Kahlyn, keiner hat an deine Jacke gedacht. Aber du nimmst dann meine Jacke mit. Ich bleibe ja hier in der Schule. Nur gut, dass du nicht krank wirst. Ein anderer, hätte sich jetzt schon eine Lungenentzündung geholt."
Ich rieb mir die Arme und nickte stumm. Nur zu gut wusste ich, nach den vielen Einsätzen mit anderen Teams, dass die sich schnell schlimme Erkältungen holten, dann richtig krank wurden. Das hatte ich schnell lernen müssen. Wir hatten solche Probleme ja nie gehabt. Aber ich begriff sehr schnell, dass ein kleiner Schnupfen ausreichte, um einen der anderen Kämpfer völlig aus der Bahn zu werfen.
"Das konnte doch keiner ahnen, dass es so kalt wird. Normalerweise ist es Anfang Oktober noch nicht so kalt."
Gemütlich trank ich die zweite Tasse Kaffee. Mir wurde langsam etwas wärmer, trotzdem schüttelte es mich immer noch durch. "Oberst, ich verstehe nicht, was da draußen vor sich geht. Ich verstehe es einfach nicht. Die laufen wirklich zickzack, ohne ersichtlichen Grund. Ich komme hinter kein System, was dieser Zwiebler da macht. Ich habe langsam das Gefühl, die laufen ziellos durch die Gegend und wissen gar nicht, wo sie hin wollen. Ich verstehe es einfach nicht."
Der Oberst lachte. "Kahlyn, ich habe mich mit Direktor Zuchold und den Lehrern der Schule noch einmal intensiv auseinandergesetzt. Auch weil sie mir diesen wichtigen Hinweis mit Halberstadt nicht gegeben haben. Zuchold ist der Meinung, dass dieser Zwiebler einfach eine falsche Sichtweise der Dinge hat. Er hatte den Direktor erklärt, er wolle mit den Kindern üben, ein bestimmtes Ziel zu finden. So, wie es Pfadfinder auch machen. Halt das Üben nach Karte und Kompass zu laufen und sich an der Natur zu orientieren. Deshalb hat der Direktor ja diese Route nicht abgesegnet. Weil es sinnlos ist, den Kindern so etwas beizubringen. Wenn diese nicht später einmal, irgendetwas in dieser Richtung machen wollen."
Ich schüttelte den Kopf und sah den Oberst entsetzt an. "Na ganz so sehe ich das nicht, Genosse Oberst. Es ist schon gut, wenn man Karten lesen und sich an Hand der Natur orientieren kann. Viele können das wirklich nicht und verlaufen sich dann in unbekannten Gebieten. Aber, man sollte das schon richtig erklären. Allerdings habe ich das Gefühl, dass der das selber nicht kann. Die Kinder laufen ständig im Kreis. Zweimal schon, sind sie das Karree Mahndorf, Velthensmühle, Langestein, Böhnshausen, gelaufen. Was soll das? Na egal. Ich werde ihn fragen, wenn ich ihn finde. Genosse Oberst ich lege mich etwas hin. Ich bin total fertig. Da merkt man, dass ich noch nicht wieder richtig fit bin. Weckt ihr mich bitte um 8 Uhr."
Der Oberst nickte mir zu.
Ich stand auf und ging nach hinten zu meinem Schlafplatz. Hundemüde rollte ich mich neben John zusammen, der mich gleich in seine Arme zog. John funktionierte wie ein Heizkörper und so wurde mir schnell warm. Ohne lange zu zögern, konzentrierte mich auf seine ruhige Atmung und war keine drei Atemzüge später, fest eingeschlafen.
Punkt 8 Uhr, kam mich der Oberst wecken.
"Kahlyn es ist 8 Uhr. Stehe auf, du willst weiter. Die Jungs brechen jetzt in die Stadt auf. Ich habe die Suchtrupps schon eingeteilt. Hoffentlich finden die eine Spur. Langsam mache ich mir auch Sorgen, um die Kinder. Es ist immer noch verdammt kalt draußen, nur 9°C."
Ich stand auf und wollte sofort wieder los. Der Oberst pfiff mich zurück. "Kahlyn, erst isst du etwas. Dann nimmst du von Gosch die Jacke. Die ist kleiner als meine. Gosch bekommt meine." Ich nickte und ging vor an den Tisch. Zügig aß ich meinen Brei und trank noch eine Tasse Kaffee. Der Oberst reichte mir noch einen Overall.
"Zieh den über den Anzug, dann ist es ein wenig wärmer. Du musst nicht unnötig frieren", ich nickte und zog den Overall einfach über den Nahkampfanzug. Lachend kam der Oberst mit einer Schere und schnitt die viel zu langen Ärmel und Hosenbeine ab. "Den Rest hält der Gürtel", meinte er lachend. Jetzt fiel mir selbst das Grinsen aus dem Gesicht. Ich sah in dem Overall wie rein geborgt aus.
"Genosse Oberst, ob mir jetzt noch jemand glaubt, dass ich bei der Polizei bin?", alberte ich herum.
Oberst Fleischer wuselte mir über das Haar. "Kahlyn, ehrlich mal. Das glaubt dir doch sowieso keiner Mensch, egal wie sehr du das beteuerst, da nutzt dir nicht mal der Dienstausweis was", neckte er mich weiter.
Wie Recht er damit hatte. So oft schon musste ich mir sogar vorwerfen lassen, dass der Dienstausweis eine Fälschung wäre. Na ja, ich hatte ja meine Piloten dabei, der würde mir schon helfen. Ich winkte lachend ab und wandte mich an meinen Piloten.
"Gosch, können wir noch einmal einige Schleifen fliegen? Ich will mal etwas mehr nach Osten und Westen ausschlagen. Irgendwie, kommt mir das total komisch vor."
Gosch nickte mir aufmunternd zu. "Kahlyn, der Drachen ist voll, wir können also gut vier Stunden fliegen."
Erleichtert stand ich auf. "Dann komm, wollen wir laufen oder willst du einen Toni bestellen, der uns zum Heli bringt."
Gosch lachte schallend. "Nein Kahlyn, es ist nur fünf Minuten zu Fuß, bis zum Heli. Dazu brauchen wir keinen Toni."
"Dann lass uns los gehen, die Kindern frieren sich zu tote. Die sind bestimmt noch sommerlich angezogen."
Gosch gab mir seine Jacke. Die mir viel zu groß war und zog selber, die vom Oberst an.
"Oberst, ich lasse den Medi-Koffer erst mal hier. Auch die Hacke und Spaten, ich glaube nicht, dass ich heute etwas finde. Auch mit viel Glück nicht. Ich habe so ganz ein ungutes Gefühl bei der Sache. Ich kann mir nicht helfen. Das gefällt mir überhaupt nicht."
Der Oberst klopfte mir beruhigend, auf die Schulter. "Kahlyn, sei um Himmels Willen nicht so pessimistisch. Du immer mit deinen Voraussagen. Mach mir nicht noch mehr Bauchschmerzen. Ich habe schon genug. Das wird und muss, ein gutes Ende haben."
"Sir, hoffentlich irre ich mich. Ich hoffe es sehr für die Kinder, Sir", gab ich kleinlaut von mir.
Dieses komische Gefühl, das ich immer bekam, wenn irgendetwas Schlimmes passierte, wurde immer stärker. Sofort lief ich in Richtung Tür. Winkte Gosch zu, mir zu folgen. Machte alle Verbindungen zu den Jungs auf, schloss aber meine Türen der Verbindung, wie ich es immer nannte. Ich wollte alles hören, was die Jungs hörten, aber wollte diese nicht durch meine Gedanken ablenken. Schließlich waren die Jungs die Verbindung nicht gewöhnt. Ich würde sie völlig durcheinander bringen, wenn ich sie an meinen Gedanken teilhaben ließe. Nicht einmal fünf Minuten waren wir gelaufen, schon hatten wir den Drachen erreicht. Arndt der die beiden Helis bewachte, saß im Tiger und las ein Buch. Er winkte uns zu und kam kurz aus dem Heli heraus, um mit Gosch zu sprechen. Kurz schüttelte Gosch den Kopf und Arndt stieg wieder in seinen Tiger, las einfach weiter.
Gosch stieg ein, setzte die Kopfhörer auf und holte sich die Startfreigabe, so dass wir sofort starten konnten. Wir begannen sofort damit Suchschleifen, um Halberstadt zu ziehen. Zweimal sprang ich ab, um Spuren zu untersuchen. Die Spuren waren aber alle älteren Datums, als die Spuren, die ich heute Morgen gefunden hatte. Also beschloss ich nach vier Stunden vergeblicher Suche, wieder zurückzugehen an die alte Spur in den Wäldern, um Osterholz.
"Gosch, fliege zurück. Das hat keinen Sinn mehr von oben zu suchen. Esse etwas und lege dich hin. Die Teams in der Stadt, sollen auch essen gehen und sich etwas aufwärmen, vor allem aber ausruhen. Ich sehe mich erst einmal, in dem Wald, von Osterholz um. Wenn etwas ist oder ich etwas finde, rufe ich euch. Bleibt einfach alle in der Halle. Es hat keinen Zweck, noch länger die Leute in der Stadt auszufragen, die wissen auch nichts."
Ich sprang ein letztes Mal ab. Lief in den westlichen Teil des Waldes von Osterholz, um dort meine Suchschleifen zu ziehen. Wirklich nirgends in diesem Wald gab es Spuren. Ich verstand das wirklich nicht. Wenn der Zwiebler den Kindern wirklich das Lesen von Karten und das Laufen, nach Kompass und die Orientierung an der Natur beibringen wollte, wäre genau hier eine gute Möglichkeit gewesen. Also zog ich weiter nach Süden, in Richtung Helsungen. Blankenburg allerdings umging ich. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er sich hier mit der Klasse aufhalten würde. Trotzdem nahm ich mir vor, den Oberst später zu bitten, dort Nachforschungen anzustellen, falls ich nichts fand. Deshalb begann ich eine Suchschleife von Cattenstedt nach Hüttenrode in Richtung Nordwesten zu ziehen.
Endlich fand ich Spuren. Ein Ausgebrandes Lagerfeuer, Abdrücke von Schlafsäcken, Müllbeutel, die schlecht vergraben wurden. Sofort informierte ich den Oberst, ordnete an, dass alle hier her komme sollten.
"Gibt es eine Möglichkeit, mir einen heißen Kaffee mitzubringen? Es ist verdammt kalt heute. Zieht euch warm an", bat ich, um etwas Heißes zu trinken.
Es war ein total kalter Wind, langsam wurde es selbst mir unerträglich kalt. Man merkte halt, dass ich über Wochen kaum etwas gegessen hatte und keine Energiereserven mehr besaß. Sonst würde ich nämlich nicht so schnell frieren. Kurz nach 15 Uhr 30, waren alle neun Suchteams vor Ort eingetroffen, nachdem mir Fran einen Becher heißen Kaffee zu trinken gegeben hatte, fingen wir mit einer Fächersuche an. In Zehnerreihen durchkämmen wir das Gebiet, von Hüttenrode bis Oesig. Einige Stellen fanden wir, an denen die Kinder, über Nacht geblieben waren. Aber nirgends, gab es irgendwelche Hinweise auf Probleme. Am Abend, kurz vor 21 Uhr, brach ich die Suche mit den Teams ab. Die Männer sahen kaum noch etwas. Durchgefroren wie die Kollegen waren, schickte ich sie zurück in die Schule. Blieb selber, aber an einer heißen Spur, um diese weiter zu verfolgen.
Reichlich zwei Stunden später, einige Kilometer nördlich der Siedlung Eggeröder Brunnen, passierte etwas, was ich nicht für möglich gehalten hatte. Jedenfalls nicht hier, in diesen Wäldern und in dieser Region. Aufmerksam verfolgte ich eine neue Spur, die ich einige Minuten zuvor, am Boden entdeckt hatte. Plötzlich trat ich in eine Falle. Die so gut getarnt war, dass ich sie nicht wahrgenommen hatten, obwohl ich am Boden Spuren suchte. Ich stürzte mit den Fuß in einer Wolfsfalle hängend, in eine fast fünfzehn Meter tiefe Grube. Hing mit meinem ganzen Gewicht an der Falle. Konnte mich nicht mehr bewegen, ohne in Gefahr zu geraten, kopfüber in die Tiefe zu stürzen. Verzweifelt versuchte ich Halt über das Fangseil zu finden. Je mehr ich mich bewegte, umso instabiler wurde mein Halt. Ich musste also, ob ich nun wollte oder nicht, um Hilfe rufen. Die Jungs schliefen allerdings alle. Verzweifelt öffnete ich alle Notfalltüren der Verbindung, in der Hoffnung, dass mich einer der Kollegen hörte. So dass er dann die Personen wecken konnte, die ich wirklich brauchte. Tom wurde als erster munter.
"Tom sei so lieb, wecke Conny, John, Gosch und Rudi. Die Jungs müssen mir schnellstmöglich helfen. Ich bin in eine Falle getreten und kann mich aus eigener Kraft, nicht alleine befreien. Es wird hier langsam kritisch. Ich hänge mit dem Kopf nach unten, nur an einem Bein. Ich habe höllische Schmerzen. Tom, die Jungs müssen sich beeilen."
Tom stöhnte. "Keine Angst Prinzessin, ich wecke die Jungs", erwidert Tom sofort.
Verzweifelt versuchte ich mein Bein zu entlasten. Je mehr ich mich bewegte, umso schlimmer wurden die Schmerzen.
"Täubchen, wo bist du?", meldete sich nur wenige Augenblicke später, mein Pilot.
"Gosch endlich, bitte macht hin. Ich bin ca. einen Kilometer nördlich von Eggeröder Brunnen. Bitte beeilt euch. Ich hänge so blöd. Es tut furchtbar weh. Vor allem kann ich mich nicht sichern. Ich kann das Bein, auch nicht entlasten. Hänge mit dem gesamten Gewicht, an meinem Fußgelenk. Seid vor allem vorsichtig, Gosch. Ich habe die Falle nicht gesehen, obwohl ich am Boden nach Spuren gesucht habe. Ich weiß nicht, ob noch mehr dieser Fallen hier vorhanden sind. Lauft bitte vorsichtig und sichert euch. Bringt vor allem Seile mit", erleichtert atmete ich auf.
Bald würde ich aus meiner misslichen Lage befreit werden.
Schon meldete sich John. "Mäuschen, wie geht es dir?", wollte er erschrocken wissen.
"John, es ist nicht schlimm, mach dir keine Sorgen. Es tut halt tüchtig weh. Kommt mich einfach holen. Ich habe keine Ahnung, wie lange die Falle mein Gewicht noch hält. Unter mir sind spitze Pfeiler. Wenn ich in die Tiefe stürze, falle ich genau dort drauf. Keine Ahnung, ob ich mich wegdrehen kann", erklärte ich ihm meine Lage.
"Wir kommen schon."
"John, bringt bitte den Medi-Koffer mit. Ich muss mein Bein notversorgen. Das sieht verdammt schlimm aus. Ich blute wie ein Schwein. Ich weiß nicht, wie lange ich die Blutung noch kontrollieren kann."
Jetzt schaltete sich auch noch Rudi ein. Der sich Sorgen machte. "Kleene, ist es so schlimm?", erkundigte er sich, völlig aus dem Häuschen.
"Bitte Rudi, quatscht nicht so lange. Sondern kommt mich endlich holen. Je länger ihr wartet, umso gefährlicher wird die Lage, bei mir."
"Gosch, westlich von Eggeröder Brunnen ist ein Feld, dort kannst du landen. Ihr müsst der Straße nach Norden folgen, nach circa sechzig Metern geht rechts ein Waldweg ab. Den Weg folgt ihr, ungefähr zweihundert Meter, in Richtung Nordosten. Dann lauft ihr nach Norden, dann sind es noch etwa dreihundert Meter, bis ihr mich findet. Bitte Jungs beeilt euch. Passt vor allem auf, wo ihr hintretet. Nicht dass ihr auch noch in einer Grube endet. Es ist total ungemütlich, kann ich euch sagen. Ich wollte ja bald eine Pause machen und etwas schlafen, aber nicht in dieser Stellung. Nicht, wie eine Fledermaus", versuchte ich zu scherzen, was mir nicht ganz gelang.
Einfach um den Männern ihre Sorge, um mich zu nehmen. Wer noch scherzen kann, dem geht es nicht wirklich schlecht. Es wirkte sogar, bei Rudi.
"Kleene, wir sind schon auf den Weg zu dir. Keine Angst wir beeilen uns", meinte Rudi zwar ernst, aber man merkte ihm sein Grinsen an. Wahrscheinlich hatte er sich gerade vorgestellt wie ich als Fledermaus aussah. "Weißt du, langsam frage ich mich immer öfters, meine Kleene, ob du nicht doch unnormal bist", ging er auf meinen Scherz, ein.
"Engelchen, du musst dir aber auch immer die unbequemsten Stellungen zum Schlafen aussuchen", setzte nun auch noch Conny nach.
"Ihr seid alle so gemein zu mir. Wirklich, das ist jetzt nicht euer Ernst oder? Habt ihr schon mal versucht, mit dem Kopf nach unten hängend, zu lachen. Das geht nicht. Ach manne. Ihr seid so böse und so gemein", antwortete ich lachend.
In so einer Situation, half nur Lachen oder wie Gosch immer sagte, Galgenhumor. Was würde es nützen wenn ich heulte und schrie, davon würden die Jungs auch nicht schneller da sein. Vor allem wäre es dann noch unerträglicher. Ich stellte mir gerade das Bild vor, wie ich so kopfüber in der Gruppe baumelte. Das war bestimmt ein komischer Anblick, über den die Jungs in einigen Jahren noch lachen würden.
"Tja Täubchen, wer den Schaden hat, muss für den Spott nicht sorgen. Den bekommst du von ganz allein und dazu noch völlig gratis", stichelte Gosch lachend herum.
Mein Drachenflieger wusste nur zu gut, dass wenn ich so um Hilfe schrie, die Lage wirklich sehr ernst war. Trotzdem, brauchten die Jungs noch fast vierzig Minuten, um mich zu finden. Langsam, wurde es hier richtig unangenehm. Nur gut, dass mein Bein nicht zu sehr blutete, da ich ja kopfüber hing. Wenigstens einen Vorteil hatte meine missliche Lage. Einige Minuten vor Mitternacht, sah ich einen weißen Wuschelkopf, der über mir erschien und mir zulächelte. Ich konnte nicht mehr zurück lachen, weil mein Kopf kurz vor dem Platzen war. Conny legte sich an den Rand der Grube, um die Lage zu sondieren. Mein Freund schätzte die Sachlage genau richtig ein. Er hatte keine Chance mich so hochzuholen.
"Rudi, gebe mir mal ein Seil und mache es an einem Baum fest. Engelchen, ich komme runter zu dir. Ich traue mir nicht, dir nur ein Seil zu zuwerfen. Ich denke, dann fällst du. Du hängst schon viel zu lange kopfüber. Ich werde dich vorsichtshalber erst einmal sichern", erklärte er mir.
Ohne lange zu Zögern begann sich Conny einen Meter neben mir abzuseilen.
"Rudi, werfe bitte ein zweites Seil nach unten. Damit ich das Engelchen sichern kann. Nicht das sie jetzt noch, als Spießbraten endet."
Sofort ließ Rudi ein zweites Seil nach unten. Conny band es mir, um die Taille. Endlich, konnte ich mich nach oben ziehen. Verdammt, mir wurde schwarz vor den Augen. Conny, der mich genau beobachtet hatte, griff im rechten Augenblick zu, um mich aufzufangen.
"Na na, wer wird denn hier schwächeln, mein Engel", scherzte er mit mir.
Allerdings war mir im Moment, nicht nach scherzen zu Mute. Durch die Entlastung, kam der volle Schmerz. Durch das nach oben ziehen, fing die kaputte Arterie, noch mehr an zu bluten. Ich hatte zu tun, dass ich die Blutung kontrollieren konnte. Conny, Rudi, John halfen mir nach oben und zogen mich über den Rand der Grube. Dort blieb ich erst einmal, ein paar Minuten, benommen liegen. Rudi und John versuchten die Falle aufzubekommen. Conny drückte mir die Beinarterie ab. Die Falle ließ sich nicht öffnen. Drei Minuten nachdem mich die Jungs aus der Grube befreit hatten, kam Gosch angerannt. Als er sah das Rudi, John und Conny, die Falle nicht öffnen konnten, meinte er.
"Lasst mal einen Techniker an die Falle. Ihr tut meinem Täubchen mehr weh, als das ihr helft."
Gosch schob Rudi und John rigoros zur Seite. Zwei Handgriffe später, gelang es unserem Piloten die Falle zu öffnen.
"Gewusst wie. Mein Großvater, hatte solche Fallen noch benutzt, deshalb weiß ich, wie die aufgehen."
Erleichtert lehnte ich mich erst einmal, an einen Baum. Das Bein konnte ich hier nicht versorgen. Die Wunde war völlig verdreckt, ich musste die Verletzung erst richtig auswaschen. Notdürftig verband ich es, mit einem Druckverband. "Helft ihr mir bitte zum Heli. Ich kann das Bein jetzt nicht belasten. Vor allem sperrt hier ab. Der Förster soll sich die Schweinerei einmal ansehen. Soviel ich weiß, sind solche Art von Fallen bei uns doch verboten?", sprach ich wütend zu den Jungs.
Normalerweise, war laut dem Forstgesetz das Auslegen von Fallen und erst recht, das Graben von Fallengruben verboten. Es war eine riesen Schweinerei. Rudi, John, Gosch und Conny sperrten die Stelle mit Seilen ab. Dann hoben sie mich einfach hoch und trugen mich zum Heli. Ich war froh, dass ich nicht laufen musste. Ich hatte das Gefühl, mein Bein würde gleich abfallen. In der Turnhalle der Schule angekommen, half mir Conny in die Dusche, dort duschte ich erst einmal richtig heiß, mir war richtig gehend kalt. Dann wusch ich die Wunde am Bein aus. Diese war richtig heftig und band notdürftig wieder einen Verband darum, damit ich nicht alles vollblutete. Zog die von Conny, auf der Heizung angewärmten Sachen, bis auf die Hose und die Socken, an. Er half mir auch wieder, nach vorn in die Halle. Dort angekommen, setzte ich mich einfach auf den Tisch.
Nahm den Medi-Koffer und begann mein Bein zu versorgen. Als erstes reparierte ich die gerissene Arterie und anschließend die heftigen Fleischwunden. Zum Glück war die Muskulatur nicht in Mitleidenschaft gezogen wurden. Nur das Gelenk, hatte es tüchtig gezerrt. Mit den Tyronplatten, fertigte ich mir eine Art Gipsverband, der allerdings beweglich war. Er sollte nur eine stützende Wirkung haben. Ich musste weiter laufen können. Nur fehlte mir für einige Tage, der Halt im Fuß, so dass ich diesen richtig abstützen musste. Fast zwei Stunden brauchte ich, um mein Bein wieder in Ordnung zu bringen. Der Oberst guckte böse, er war richtig gehend wütend.
"Sag mal Kahlyn, du hast die Falle wirklich nicht gesehen?"
Ich schüttelte mit dem Kopf. "Sir, nein, Sir. Die war so gut versteckt, dass ich die erst bemerkt haben, als ich in die Tiefe stürzte. Obwohl ich am Boden Spuren der Kinder verfolgt habe. Die Fallen hat ein Profi gemacht. Wenn ich mir vorstelle, dass da ein Waldspaziergänger rein getreten wäre, der wäre jetzt tot gewesen. Ich weiß, wie ich mich in solch einen Fall zu verhalten haben, wenn mir so etwas passiert. Jeder andere, hätte versucht frei zu kommen. Dann wäre er in die Tiefe gestürzt und von den Pfeilern aufgespießt wurden. Nur gut, dass ich die Verbindung hatte, dadurch konnte ich um Hilfe rufen. Sie müssen sich unbedingt den Förster einmal zur Brust nehmen, so etwas darf nicht sein. Sir", erklärte ich ihm.
Der Oberst nickte und drehte sich um. Eilte nach hinten ins das provisorische Büro, um den Förster aus dem Bett zu holen. Kurze Zeit später, kam er wieder nach vorn. "Kahlyn, hast du noch ein paar Minuten? Der hiesige Förster, will mit dir gern reden."
Ich nickte zustimmend. Klar dann konnte ich ihm erklären, wo das genau war.
"Oberst, kann ich etwas zu essen bekommen, auch ein Kaffee wäre schön. Ich will mein Fuß nicht gleich wieder belasten. Der tut höllisch weh." Conny ging zum Kocher, bereitete mir einen Brei zu. Dankbar sah ich ihn an und schenkte ihm mein schönstes Lächeln.
"Kahlyn, wirst du dann noch arbeiten können? Ohne dich haben wir kaum eine Chance, die Kinder noch zu finden", fragte mich der Oberst besorgt.
"Sir, natürlich. Ich werde dann einen Weile schlafen, danach geht es wieder besser. Du weißt doch Oberst, der Schlaf richtet vieles bei mir. Es ist nur im Moment so schlimm, da die Wunde ziemlich heftig ist. Aber du weißt auch, so schnell falle ich nicht aus. Ich spritze die Schmerzen dann einfach weg. Es gibt Schlimmeres, mir sitzt nur noch der Schreck in allen Knochen. Ich darf gar nicht darüber nachdenken, wenn die Falle sich nicht verklemmt hätte. Dann wäre ich jetzt wahrscheinlich tot. Ich kann nur nicht begreifen, dass ich die Falle nicht bemerkt habe, Sir. Sonst fällt mir das immer auf, ich verstehe das einfach nicht", kopfschüttelnd saß ich da, das Bein hochgelegt und sah zu Oberst Fleischer. "Vor allem Oberst die Kinder sind dort lang gelaufen, hoffentlich sind die nicht in eine der Fallen getreten. Ihr müsst unbedingt die Umgebung durchsuchen, solche Fallen stehen meistens nicht alleine. Hoffentlich ist den Kindern nichts passiert. Verdammt nochmal, mit allen hätte ich hier gerechnet, aber doch nicht mit einer Fallgrube. In Kuba ja, aber nicht hier bei uns", setzte ich noch nach.
Conny stellte mir eine große Portion Brei hin, grinste mich dabei an. "Engelchen, esse nur. Du kann es gebrauchen", tausend kleine Teufel sahen aus seinen Augen. Belustigt sah er mir zu, wie ich mich über den Brei her machte. Das tat gut, gleich ließ der Schmerz in meinem Bein nach, weil sich ein wohlig warmes Gefühl, in meinem Magen breit macht.
"Lecker, ach wie habe ich das vermisst. Ich bin ja Hunger gewöhnt. Aber, die letzte Zeit, war es einfach nur noch die Hölle."
Rudi nahm mich in den Arm. "Das glaube ich dir gerne, meine Kleene", liebevoll streichelte er mir übers Gesicht.
Plötzlich, stand ein fremder Mann in der Halle, der Oberst erhob sich und lief auf ihn zu.
"Oberst Fleischer, von der Soko Tiranus. Ich nehme an, sie sind Herr Schönbach, der hiesige Förster", stellte sich Fleischer vor und begrüßte den Förster freundlich.
"Genosse Oberst, ich kann nicht glauben, was sie mir da erzählen. In meinem Revier gibt es keine Fallgruben und Fallen. Das wäre mir völlig neu. Ihre Mitarbeiter müssen sich irren", erwiderte der schlanke drahtige Mittvierziger.
"Herr Schönbach, dann fragen sie am besten einmal meine beste Mitarbeiterin Die ist gerade noch mit dem Leben davon gekommen", wütend schob Fleischer den Förster, in meine Richtung. "Herr Schönbach, das hier ist Leutnant Kahlyn, mein bester Spurensucher. Diejenige, die gerade in ebendiese Falle getreten ist. Sie können sich ihr Bein ansehen, wenn sie ihr nicht glauben."
Schönbach mustert mich, mit einem ungläubigen Grinsen im Gesicht.
"Sir, der Oberst hat recht. Es ist eine Falle die von einem Profi gemacht wurde. Ich habe nur Glück gehabt, dass ich weiß, wie ich mich in solchen Fällen zu verhalten hat. Ein Waldspaziergänger wäre jetzt tot, Sir", erklärte ich dem Förster.
Der mich hämisch grinsend mustert. "Vielleicht hätten sie ihre…"
Weiter kam Schönbach nicht, da Gosch gerade aus dem Anzug sprang. Dem Drachenflieger steckte noch der Schreck in allen Knochen.
"Lassen sie Kahlyn, wegen ihrer Brille in Ruhe, sonst…", brüllte Gosch den Förster an und holte tief Luft, um sich zu beruhigen. "…sie sollten sich diese Falle erst einmal ansehen. Bevor sie einen dummen Spruch über Kahlyns Brille von sich geben. Wir haben schon viel gesehen, aber das war heftig. Hätte sich die Kette der Falle, nicht in einer Wurzel festgehangen, dann wäre Kahlyn jetzt tot", wütend sah Gosch den Förster an.
Am liebsten würde er diesem hämisch grinsenden Mann, an die Kehle gehen. Der Oberst legte beruhigend, die Hand auf seine Schulter.
"Gosch beruhige dich. Mich regt es auch langsam auf, dass jeder Kahlyn, wegen ihrer Brille anmacht. Aber ich glaube, daran müssen wir uns langsam gewöhnen."
Mehrmals klopfte der Oberst beruhigend, auf Goschs Schulter. Der Förster schreckte erschrocken zurück, weil Gosch ihn so anpolterte. "Entschuldigen sie mal junger Mann, aber bei den Lichtverhältnissen, sieht man vielleicht mehr, wenn man keine Sonnenbrille aufhat."
Kopfschüttelnd sahen sich die Männer an und konnten die Sturheit des Försters nicht glauben.
"Sir, ich muss die Brille nur bei den Lichtverhältnissen hier in der Halle tragen. Draußen im Wald, brauche ich die Brille nicht, dort ist es dunkel. Glauben sie mir, mich kotzt das auch an, ständig werde ich angemacht, wegen dieser verdammten Brille. Aber Licht tut meinen Augen weh, Sir", um die Diskussion zu beenden, nahm ich kurz entschlossen, die Brille ab. "Sir, draußen in der Dunkelheit brauche ich die Brille nicht, da sehe ich besser, als sie im Hellen, Sir", sofort setzte ich die Brille wieder auf, da mir das Licht in den Augen weh tat. "Sir, wir haben die Falle notdürftig abgesichert. Aber sie sollte wirklich kontrollieren, ob es noch mehr solcher Fallen in ihrem Wald gibt. Ich hatte wirklich, verdammt viel Glück, Sir", beendete ich diese leidliche Diskussion.
Der Förster gab nicht auf, wollte einfach nicht glauben, was ich ihm da erzählte. "Genosse Oberst, glauben sie alles, was das Kind da erzählt?", wollte er mich jetzt, als unfähig hinstellen.
Rudi hatte Mühe, Gosch zurück zuhalten, der stinksauer auf den Förster war. Der das, was ich ihm sagte, nicht für bare Münze nehmen wollte. Jetzt reichte es auch mir, wütend knallte ich meine Tasse auf den Tisch und sah Schönbach böse an. Als der Oberst etwas sagen wollte, sagte ich nur kurz.
"Nein Oberst" und sah nun auch noch den Oberst böse an.
Zeitgleich wickelte ich den Verband ab und nahm die Tyronplatte vom Gelenk. Wickelte jetzt auch noch die Binde ab, welche die Verletzungen abdecken, um dem Förster die Verletzungen zu zeigen. Das konnte doch nicht wahr sein. Ich glaubte wirklich ich bin hier in ein Irrenhaus gelandet.
"Sir, sehen sie sich mein Bein an. Glauben sie mir jetzt, dass ich nicht lüge. Vielleicht behaupten sie jetzt noch, ich habe mir diese Verletzungen aus purer Laune heraus, selber zugefügt, um mich in den Mittelpunkt zu bringen? Sie haben wohl nicht mehr alle in ihren Oberstübchen. Sind sie so doof oder tun sie nur so, Sir?", wandte ich mich jetzt wütend an den Förster und sah ihn dabei wutentbrannt an.
Erschrocken zuckte der Förster zurück. Das, was er zu sehen bekam, ließ ihn verdammt blass, um die Nase werden.
"Sir, glauben sie mir. Auch, wenn ich jung aussehe, kann ich ganz gut eine Falle, die ein Laie gemacht hat, von der, eines Profis unterscheiden. Ich habe seit dreizehn Jahren mit solchen Dingen zu tun. Die letzte Falle dieser Art, habe ich in Kuba im Urwald gesehen und zwar wurden die von dem dortigen Indianer des Taino Arawak Clans angelegt. Die haben solche professionellen Fallen gebaut und ihren Clan damit ernährt. Aber hier hätte ich das nicht vermutet. Obwohl ich am Boden nach Spuren, der vermissten Kinder gesucht habe, bemerkte ich die Falle erst als ich stürzte, Sir", erklärte ich ihm, wobei ich mein Bein, in der Zwischenzeit wieder verband.
Der Förster starrte mich an, wie einen Hirsch mit sechs Beinen und einem Ringelschwänzen.
"Sir, fragen sie einfach den Oberst, ob einer der Jungs ihnen die Stelle zeigen kann. Sehen sie sich erst einmal selber diese Schweinerei an, dann beurteilen sie mich anders. Jungs ihr passt aber auf, wo ihr hintretet, oft sind das keine einzelnen Fallen. Nicht, dass ihr euch noch etwas macht, zweimal haben wir an einen Tag nicht solch ein Glück. Vor allem hofft, dass nicht die Kinder in solch einer Falle gelandet sind. Genosse Oberst, eigentlich müsste ich los. Trotzdem ich lege ich etwas hin, so kann ich nicht arbeiten, Sir. Ich muss etwas schlafen, hoffentlich geht es mir dann besser. Dann suche ich weiter, Sir."
Oberst Fleischer nickte, er war viel zu geschockt von meinem wütenden Ausbruch und wandte sich an den Förster. Fleischer begann mit Schönbach ein Gespräch, auf das ich nicht achtete. Ich stand auf und lief stark humpelnd nach hinten, zu meiner Matte.
John kam mir hinterher. "Mäuschen, soll ich dich halten, dann schläfst du schneller."
"Das wäre ganz lieb von dir, John, dann komme ich eher zur Ruhe. Dieser Förster regt mich richtig gehend auf. Am liebsten, wäre ich ihn an die Kehle gegangen. Sag mal, Carmens Vati ist doch auch Förster? Würde der auch so reagieren? Ich könnte den am liebsten umbringen, so wütend bin ich. Stellt der mich hin, als hätte ich mir das alles ausgedacht. Hat der etwas an seinem Kopf oder was soll ich davon halten? Ich bin jetzt lieber weggegangen, sonst hätte ich noch etwas gesagt, was mir im Nachhinein leid getan hätte", erklärte ich John, warum ich so plötzlich weggegangen war.
"Kahlyn, das kann ich verstehen. Manche Leute verstehe ich auch nicht", erklärte mir der Oberst in Gedanken.
"Mäuschen, mein Schwiegervater würde an die Decke gehen, wenn in seinem Wald so etwas wäre. Aber ich glaube, er würde wahrscheinlich, genauso ungläubig reagieren und da stehen, wie der hiesige Förster. Der würde auch denken er ist im falschen Film oder einem üblem Scherz aufgelegen. Glaube mir, der hat das bestimmt nicht böse gemeint", versuchte John, den Kollegen seines Schwiegervaters, zu schützen.
"Na ja, ist ja egal. Aber heftig war das schon. Weißt du, ich kann mit allem leben. Aber es kotzt mich total an, wenn man mir Lügen unterstellt. Ich lüge nicht", stellte ich trotzig fest.
Versuchte eine Stellung zu finden, in der mein Bein nicht ganz so sehr hämmerte. John der mich in den Armen hielt, atmete gleichmäßig. Das half mir schneller in den Schlaf zu finden.
Fast zehn Stunden schlief ich. Erschrocken stellte ich fest, dass es schon weit nach Mittag war, als ich aus einem erholsamen Schlaf erwachte. Verdammt, warum hat mich keiner geweckt. Sofort stand ich auf und lief ohne zu humpeln, nach vorn zu den anderen, die schwatzend am Tisch saßen.
"Na meine Kleene, hast du ausgeschlafen?", begrüßte mich Rudi lachend.
"Na ihr seid ja lustig drauf. Habt ihr nichts Besseres zu tun, als hier zu sitzen und mir beim Schlafen zu zusehen? Ich dachte ich schlafe mich einmal richtig aus und ihr rettet die Kinder, in der Zwischenzeit", konterte ich auf Rudis Anspielung, dass ich so lange geschlafen habe.
"Die finden wir doch ohne dich nicht, mein Engelchen. Wir sind gerade erst rein. Wir mussten dem Förster und der Spurensicherung helfen, bei der Suche nach den anderen Fallen und deren Absperrung. Der Förster war eben noch einmal hier und die Spurensicherung. Die lassen dir einiges ausrichten. Der Förster lässt dich grüßen und wir sollen dir sagen, dass er sich entschuldigen möchte. Du hättest Recht, dies wäre die Arbeit von Profis gewesen. Es gibt noch fünf solcher Fallen, in der Nähe. Die Kinder sind in keiner der Fallen gelandet, zum Glück. Alle Fallen wurden entdeckt und gesichert. Die Spurensicherung lässt dir auch liebe Grüße ausrichten. Wir sollen dich fragen, ob du weißt, wie alt diese Fallen sind, Kahlyn?", fragte mich Conny und seine Ohren bekamen Besuch, so grinste er mich an.
Ich zuckte mit den Schultern. "Woher soll ich das denn wissen? Wenn ich ehrlich sein soll, Conny, war mir vorhin nicht danach, die Falle darauf zu untersuchen, wie lange die schon dort waren. Ich hatte irgendwie Sichtprobleme. Es stand alles so komisch auf dem Kopf, keine Ahnung warum?", erwiderte ich ihn lachend.
"Engelchen, die Fallen wurden vor ungefähr fünfzig Jahren von Jägern angelegt. Erklärte uns gerade die Spurensicherung, die der Oberst dort hingeschickt hat, weil er eine Anzeige, gegen die Täter machen wollte", grinsend sah mich Conny an.
Jetzt war es an mir, dumm aus der Wäsche zu gucken. Ich wollte nicht glauben, was Conny mir das erzählte. "Wie bitte? Seit über fünfzig Jahren sind die Fallen dort und keiner hat die entdeckt und ausgerechnet, ich muss da hineintreten. Das ist wieder einmal typisch für mich. Ich sichere alle Terrains ab, gegen jede nur erdenkliche Gefahr und trete in eine fünfzig Jahre alte Falle. Das kann doch wohl nicht wahr sein."
Stellte ich mit einer gehörigen Portion Sarkasmus fest. Den die Jungs aus Gera mir nie zugetraut hätten. Den ich aber in bestimmten Situationen, unbewusst anwendete. Die Jungs schmissen sich vor Lachen weg.
"Genau das haben wir auch gerade gedacht, mein Mäuschen", meinte John lachend.
"Na ja, jedenfalls, müssen die ganz schön stabil gewesen sein. Vielleicht hat man die für den vorletzten Krieg gebaut. Auf alle Fälle, sind sie jetzt nicht mehr gefährlich, wenigstens das habe ich erreicht", sagte ich trocken zum Oberst, der wuschelte mir über den Kopf.
"Was macht dein Bein Kahlyn? Wird es denn gehen?", erkundigte er sich, nun doch mit besorgter Stimme.
Ich lachte ihn an und stand auf, machte zwei Saltos. "Ich denke schon Genosse Oberst. Der Schlaf hat es wie immer gerichtet. Sie wissen doch, wie es bei mir ist", breit grinsend machte ich mich über den Brei her, den mir Fran gerade hingestellt hatte. Trank noch eine Tasse Kaffee.
"Gosch, fliegst du mich bitte nach Eggeröder Brunnen, dann kann ich dort wieder anfangen zu suchen, falls ich jetzt dort noch Spuren finde. Nach dem ihr alle dort rumgetrampelt seid", stänkerte ich ein wenige mit den Kollegen.
Gosch sah mich an, lachend foppte er mich. "Täubchen aber nur, wenn du nicht wieder wie eine Fledermaus schlafen gehst. Oder, wenn du das unbedingt machen willst, hänge dich kopfüber an einen Baum", lachend sahen mich die Jungs an.
"Nein, Gosch diesmal nicht", stellte ich trocken fest. "Glaube mir einmal hat mir gereicht, für das nächste Jahr."
Entschlossen stand ich auf und griff nach Goschs Hand. "Komm Gosch, lass uns die Kinder finden. Die Jungs sind hier nur nicht ausgelastet und wollen mich ärgern. Kein Wunder, die müssen ja nicht raus, in die Kälte raus. Noch nicht. Aber das werde ich jetzt schleunigst ändern. Das geht doch überhaupt nicht, die sitzen im warmen und wir dürfen frieren. Das müssen wir ändern, also komm. Lass uns die Kinder endlich finden", forderte ich grinsend, von meinem Pilot. "Komm fliege mich zu der letzten Position. Ich werde jetzt die Kinder holen gehen. Die erfrieren dort draußen, wenn sie noch eine Nacht, in der Kälte verbringen müssen."
Eilig liefen wir aus der Halle und hinter der Grundschule einen Trampelpfad in die Richtung in der sich der Drachen befand. Ein Toniwagen stand bei den Hubschraubern der Soko und bewachte diese. Ich kam alleine am Drachen an, da Gosch noch einmal zurück zur Turnhalle gehen musste. Er hatte seine Papiere für den Heli vergessen und musste noch mal für kleine Jungs. In dem Moment als ich auf den Heli zu gehen wollte, wurde ich schon wütend angeschnauzt. Ich konnte mich nicht einmal ausweisen.
"Verschwinde hier, aber ein bissel dalli, Mädchen. Du hast hier nichts zu suchen", pfiff mich der Wachtmeister an.
"Genosse Wachtmeister, es geht schon klar, der Pilot kommt gleich, Sir" wies ich ihn in einem freundlichen Ton, darauf hin, dass Gosch gleich erscheinen würde.
Der Wachtmeister war allerdings anderer Meinung. Wollte, dass ich sofort von hier verschwand. Genervt kam der Kollege auf mich zu und wollte mich vom Hubschrauber wegdrängen.
"Verschwinde Mädchen, du hast hier nichts zu suchen. Ich sage dir das nur noch einmal. Sonst nehme ich dich fest", pulverte er mich an.
"Genosse Wachtmeister, es reicht jetzt, Sir. Ich gehöre zur Soko Tiranus, bitte lassen sie mich an den Hubschrauber, Sir."
Versuchte ich es noch einmal freundlich. Der jedoch griff mich an, wollte mich mit Gewalt von dem Hubschrauber wegdrängen. Ich wich ihm aus und dadurch schoss er an mir vorbei. Ich öffnete die Verbindung zu allen Jungs, damit die mitbekommen, was los war. Ich war mir nicht sicher, dass ich das hier alleine hinbekommen würde. Jedenfalls nicht ohne Handgreiflichkeiten. Der Wachtmeister schien sehr genervt.
"Genosse Wachtmeister, bitte, ich will sie nicht verletzen. Bitte, ich kann mich ausweisen, Sir", erklärte ich immer noch im ruhigen Ton und öffnete Goschs Jacke, um in meinen Nahkampfanzug zu greifen. Ich musste aus meiner Innentasche den Dienstausweis herauszuholen. Der Wachtmeister dachte wohl, ich wollte nach einer Waffe greifen und zog seine Dienstwaffen, entsicherte diese sogar.
"Nimm die Hände hoch Mädchen. Das ist hier kein Spiel und erst Recht keine Mutprobe mehr. Verschwinde oder ich nehme dich fest."
Jetzt reichte es mir. Schon einiges ist mir in meinem Leben untergekommen, aber noch nie, war ich von einem Kollegen mit einer entsicherten Waffe bedroht wurden.
"Genosse Wachtmeister, was soll das? Ich bin von der Soko Tiranus. Mein Name ist Leutnant Kahlyn. Nehmen sie sofort ihre Waffe herunter. Ich möchte sie nicht verletzen, Sir", sprach ich jetzt wütend, zu dem Kollegen.
Der weit über sein Auftragsziel die Helikopter zu bewachen, hinaus schoss. Der jedoch war nicht von seiner Meinung abzubringen, die Hubschrauber vor mir schützen zu müssen.
"Ja klar, die Soko Tiranus beschäftigt jetzt schon Sonnenbrillen tragende Kindergartenkinder und gibt denen auch noch viel zu große Jacken und Overalls. Für wie blöd hältst du mich eigentlich. Wenn du zur Soko gehörst, bin ich der König von England. Mein Name ist Hase und ich weiß von nichts", meinte der Wachtmeister im ironischen Ton.
Na gut er hatte ja irgendwie Recht. Ich sah in meinen Sachen wirklich hinein geborgt aus. Aber konnte man das nicht, wie unter normalen Kollegen und vernünftig klären.
"Genosse Wachtmeister, hören sie auf mit diesem Scheiß, Sir. Ich kann mich ausweisen, Sir. Wenn sie mich in die Innentasche meines Anzuges greifen lassen, Sir, zeige ich ihnen meinen Ausweis, Sir. Mir reicht es jetzt ...", versuchte ich es noch einmal im Guten und versuchte meine Wut zu unterdrücken.
Verdammt nochmal, hörte das denn nie auf. Langsam hatte ich es richtig satt, mich ständig beleidigen zu lassen. Der Wachtmeister, stand keine anderthalb Meter vor mir entfernt und mit entsicherter Pistole. Zielte nicht etwas auf meine Beine, sondern auf mein Herz. Wenn er schießen würde, bei einem normalen Menschen, würde er den töten. Ich konnte einfach nicht fassen, was hier geschah.
"Genosse Wachtmeister, nehmen sie sofort die Waffe runter, aber ein bisschen dalli. Ich kann ihnen meinen Dienstausweis zeigen. Oder greifen sie selber in mein Oberteil, um ihn herauszuholen. Die Brille muss ich wegen meiner Augen tragen. Sie nehmen jetzt sofort die Waffe runter, augenblicklich. Ich möchte sie nicht verletzen, Sir", bat ich ihm noch einmal, im ruhigem Ton und ging langsam auf ihn zu, die Hände von mir gestreckt.
"Mädel, bleibe stehen. Wenn du nicht stehen bleibst, schieße ich! Wo hast du eigentlich die Jacke geklaut?"
In diesem Moment senkte der Wachtmeister seine Waffe und setzte mir ohne Vorwarnung einen Warnschuss, in etwa einen halben Meter Entfernung, vor meine Füße in das Feld. Jetzt reichte es mir endgültig. Das Maß war mehr als nur voll, der Wachtmeister schoss einfach viel zu weit über sein Ziel hinaus.
Ich sprintete mit drei schnellen Schritten nach vorn, schnell war ich bei dem Kollegen. Ein Griff nach seinem rechten Handgelenkt. Die Waffe nach oben gerissen. Den linke Arm des Wachtmeisters in Richtung seiner Brust gedrückt. Griff ich über dessen linke Schulter, um seinen Hals. In dessen Genick, drückte mit meinem linken Knie, in seine rechte Kniekehle und brachte ihn so mit Hilfe, des linken Armes zum Fallen. Den Schwung ausnutzend, drehte ich ihn auf den Bauch und zog seinen rechten Arm nach hinten. Drückte ihm das Knie in den Rücken, so dass er justiert auf den Boden lag.
"Wenn sie sich beruhigt haben, Genosse Wachtmeister, dann lasse ich sie wieder los. Sonst bleiben sie bis der Pilot kommt, auf den Boden liegen. Sie bedrohen mich kein zweites Mal mit der Waffe. Schon gar nicht schießen sie ohne Grund auf unbewaffnete Kollegen. Das war ein großer Fehler, Sir."
Auf diese Weise hatte ich den Wachtmeister ruhig gestellt. Der völlig irritiert am Boden lang und nicht begriff, dass er von mir Kindergartenkind überwältigt wurden war. Dessen im Toniwagen sitzende Kollege, der durch den Warnschuss auf unsere Auseinandersetzung aufmerksam wurde, war nun ebenfalls der Meinung, dass ich hier nichts zu suchen hatten. Er wollte mich jetzt ebenfalls ruhigstellen. Da der Kollege nur gesehen hatte, dass ich seinen Kollegen tätlich angriff. Nichts aber, von dem mitbekam, was sich vorher abgespielte. Der zweite Kollege, der hier postierten Streife, kam jetzt ebenfalls, mit gezogener Waffe auf mich zu.
"Lasse sofort meinen Kollegen los, Kleine. Was fällt dir denn ein? Wie kannst du es wagen, meinen Kollegen tätlich anzugreifen?", wies er mich darauf hin, dass ich im Unrecht war.
"Genosse Wachtmeister, ich habe ihren Kollegen nicht angegriffen, sondern er mich, Sir", versuchte ich die Sachlage richtig zu stellen.
In Gedanken rief ich jetzt um Hilfe. Die Sache wurde langsam kritisch. Ich wollte den am Boden liegenden Kollegen nicht schlafen legen. Allerdings musste ich das tun, wenn ich ihn nicht ernsthaft verletzen wollte.
"Gosch, bitte beeile dich. Mir läuft die ganze Sache hier aus dem Ruder. Ich habe ernsthafte Probleme hier am Heli. Bitte lege einen Sprint ein", bat ich meinen Drachenflieger.
"Was ist denn los?", erkundigte sich jetzt der Oberst.
"Genosse Oberst, wie ihr gerade mitbekommen habt, werde ich von zwei durch geknallten Kollegen mit der Waffe bedroht. Die mich vom Heli vertreiben wollen. Einen Kollegen habe ich am Boden, der Zweite richtet jetzt auch seine Waffe auf mich. Ich will die Kollegen, nicht ernsthaft verletzen, Sir. Aber das muss ich tun, wenn die sich hier nicht beruhigen. Verdammt noch mal, was denken die sich denn eigentlich, Sir", erklärte ich dem Oberst wütend.
"Kahlyn, bleibe ruhig. Gosch ist noch einmal auf die Toilette gegangen. Aber Rudi ist schon auf den Weg zu dir und auch Conny."
Erleichtert atme ich auf. "Danke Genosse Oberst."
In dem Moment kamen Conny und Rudi schon angerannt. "Waffe runter und zwar sofort. Sind sie noch bei Troste, Genosse Wachtmeister?", schrie Rudi schon von weitem.
Der Wachtmeister, sah Rudi verwundert an und senkte die Waffe.
"Kleene, lasse bitte los. Komm beruhige dich", bat er mich.
"Sir, wenn ich sie jetzt loslasse, dann greifen sie mich nicht noch einmal an, Sir?", erkundigte ich mich bei dem am Boden liegenden Wachtmeister, der nickte.
Langsam ließ ich ihn los, allerdings darauf gefasst, dass der Kollege mich wieder angreift. Langsam ging ich einen Schritt zurück.
"Kleene, was ist denn los? Wieso greifst du die Kollegen an? Die sollen doch nur den Heli bewachen", wollte Rudi von mir wissen.
Jetzt ging ich an die Decke. "Wieso ich, Rudi? Ich habe ihm versucht zu erklären, dass ich von der Soko bin. Da zieht der die Waffe und bedroht mich damit. Schießt mir sogar vor die Füße. Der hat sie doch nicht mehr alle. So etwas ist mir noch nie untergekommen und ich bin bestimmt einiges gewohnt. Als ich ihn meinen Dienstausweis zeigen wollte, hat er seine Waffe entsichert, sogar geschossen. Sieh selber, die liegt vor deinen Füßen. Wieso bin ich jetzt eigentlich daran schuld? Ihr habt sie doch nicht mehr alle", brüllte ich ihn jetzt wütend an. "Ihr braucht mich nicht, zum Einsatzort fliegen. Verdammt noch mal, ich kann auch laufen", wütend wollte ich loslaufen.
Da kam ein eindeutiger Befehl vom Oberst. "Kahlyn, du bleibst, wo du bist! Ich komme sofort. Das klären wir sofort vor Ort. Du hast alles richtig gemacht, Kahlyn."
Wütend setzte ich mich auf den Boden. Rudi der auf mich zu kam und mir die Hand beruhigend auf die Schulter legen wollte, ließ ich ins Leere laufen, in dem ich eine Rolle machte. Er hatte Mühe sich abzufangen. Ich war so wütend.
"Lass mich einfach in Ruhe, verdammt noch mal. Du hast sie doch nicht alle. Der schießt einfach auf mich und ich darf mich nicht mal verteidigen. Wieso bin ich eigentlich immer an allem schuld, wenn mich jemand anmachen?", pulverte ich Rudi jetzt an, weil ich mich von ihm, ungerecht beschuldigt fühlte.
"Komm beruhige dich Kleene, so habe ich es nicht so gemeint", versuchte er mich zu beschwichtigen.
Ich wollte mich nicht beruhigen. Jedes Mal war es das gleiche Theater. Conny kam auf mich zu.
"Kahlyn, komm beruhigen dich. Fahr runter, Engelchen. Rudi hat es doch nicht so gemeint. Ich kann ja verstehen, dass du sauer bist. Aber du musst doch nicht auf Rudi sauer sein. Der hatte die Verbindung nicht offen. Der wusste doch gar nicht, was los war. Ich habe ihm nur zugerufen, er soll mit kommen. Komm beruhige dich."
Conny zog mich auf die Füße und in seinen Arm. Immer noch sah ich Rudi böse an. Der kam auf mich zu.
"Kleene entschuldige, wenn ich dir Unrecht getan habe. Aber als ich hier ankam, sah es so aus, als ob du den Kollegen angegriffen hast. Ich dachte aus einem Reflex heraus, bitte sei mir nicht böse", er hielt mir die Hand hin. "Conny hat mir gerad erzählt, was los war. Der Oberst auch, der ist gleich da und klärt hier alles. Dich trifft wirklich keine Schuld, meine Kleene."
Da nahm ich seine Hand. "Entschuldige Rudi, aber was soll ich denn machen, wenn er mich bedroht. Ich habe mehr als einmal gesagt, dass ich zur Soko gehöre. Nie nimmt man mich ernst", erklärte ich wütend.
In dem Moment kam der Oberst angelaufen und auf mich zu. "Kahlyn alles in Ordnung mit dir?", fragte er mich ernst.
Ich nickte immer noch wütend.
"Genosse Wachtmeister, wie kommen sie dazu auf meine Leute zu schießen. Die Kollegin hatte ihnen zweimal gesagt, dass sie sich ausweisen kann. Ist es denn in ihrer Dienststelle üblich auf, wie nannten sie Kahlyn, Kindergartenkinder zu schießen?", stellte Fleischer den Wachtmeister zur Rede.
"Genosse Oberst, das Mädchen kam auf den Hubschrauber zu, wollte sich an ihm zu schaffen machen. Vom Ausweisen hat sie nichts gesagt, Genosse Oberst", log der Wachtmeister den Oberst frech ins Gesicht.
Jetzt sprang der Oberst aus der Spur. Lügen war etwas, dass er für den Tod nicht leiden konnte. Da ging Fleischer schneller an die Decke, als eine Rakete startete kann. Keinem war es bis jetzt bekommen ihn anzulügen. Mit Fehlern konnte der Oberst umgehen und die verzieh er immer. Lügen konnte und wollte er nie verzeihen.
"Ich möchte sofort ihren Dienstausweis und ihre Waffe, Genosse Wachtmeister. Es ist eine Ungeheuerlichkeit, was sie sich erlauben. Sie unterstellen Leutnant Kahlyn, zu lügen?"
Der Wachtmeister sah dem Oberst, allerdings nicht ins Gesicht. "Ja Genosse Oberst sie hat nichts von einem Dienstausweis gesagt."
Jetzt wurde ich richtig wütend und wollte auf den Wachtmeister los gehe. Conny hielt mich zurück, er hatte schon damit gerechnet, dass ich gleich ausflippen würde.
"Sir, wie bitte, was habe ich nicht gesagt, Sir?", schrie ich ihn jetzt an.
Der Oberst gebot mir durch eine Geste und seinen Worten ruhig zu sein. "Kahlyn beruhige dich. Ich weiß, was du gesagt hast. Vor allem weiß ich nur zu genau, wie akkurat du bist", beruhigte er mich.
Rudi nahm mich in den Arm und sagte in der Verbindung zu mir. "Beruhige dich Kleene. Der Oberst hat alles mitgehört. Fleischer hat mir gerade erzählt, was los war. Entschuldige bitte, ich habe am Tisch geschlafen, als mich Conny weckte. Hatte die Verbindung noch nicht aufgemacht."
Der Oberst sah den Wachtmeister böse an. "Kollege, das ist jetzt nicht ihr Ernst oder? Sie machen einen Fehler, schießen auf unbewaffnete Personen. Statt dazu zu stehen, schieben sie Lügen vor. Was sind sie eigentlich für ein Polizist?"
Ernst und Vorwurfsvoll sah er dem Kollegen in die Augen, der sich seinen Arm rieb, der ihm tüchtig Schmerzen bereitete.
"Genosse Oberst, darf ich bitte gehen. Den Kindern läuft die Zeit weg. Ich habe keine Zeit, für so einen Quatsch", bat ich wütend den Oberst. Mir war egal, was er mit dem Wachtmeister machte. Ich wollte endlich weiter.
"Kahlyn, das wird hier erst geklärt, bevor du irgendwo hingehst. Ich habe keine Lust, dass dir wieder etwas passiert. Nur weil du nicht bei der Sache bist. Höre auf bitte."
Ernst sah er mich an. Gosch, war nun mittlerweilen ebenfalls eingetroffen.
"Täubchen, beruhige dich bitte. Wir gehen gleich los. Walter hat schon den Chef des Wachtmeisters angerufen. Der ist in knapp zwei Minuten hier", informierte er mich in der Verbindung.
Der Wachtmeister, sah irritiert vom Oberst zu mir, dann zu den anderen. Er begriff, dass ihm keiner glaubte. "Genosse Oberst, das Mädchen lügt sie an. Es stimmt nicht, was sie sagt."
Der Oberst schloss die Augen und holte genervt Luft. "Genosse Wachtmeister, diese Mädchen ist zu ihrer Information Leutnant. Sie ist die beste Fährtensucherin, die ich je hatte und arbeitet schon seit über zehn Jahren für mich. Leutnant Kahlyn ist seit über dreizehn Jahren beim SEK. Wegen ihnen, müssen die Kinder die wir suchen, länger warten. Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten, die sie wahrnehmen können. Entweder sagen sie sofort, was hier wirklich los gewesen ist und zwar die absolute Wahrheit oder ich lasse sie festnehmen und inhaftieren, wegen Missbrauch von Amtsgewalt. Habe ich mich jetzt für sie deutlich genug ausgedrückt?"
Ganz leise sprach Oberst Fleischer mit dem Wachtmeister, vor allem ganz ruhig, was bei dem Oberst ein verdammt schlechtes Zeichen war. Es bedeutete, dass er kurz vor dem Ausflippen war.
"Genosse Wachtmeister, was ist nun?", fragte Fleischer nochmals nach.
Der Wachtmeister sah mich an. "Ich bin wohl übers Ziel hinaus geschossen. Entschuldigen sie Genossin Leutnant. Aber es war so irritierend, die viel zu große Jacke und der Overall, die Sonnenbrille. Sie sehen nicht aus, wie 38 Jahre. Es tut mir wirklich leid. Genosse Oberst, ihre Kollegin hat Recht mit allen, was sie gesagt hat", gab er nun doch die Wahrheit zu. "Sie hat mich mehrmals darauf hingewiesen, dass sie von der Polizei ist und wollte mir auch mehrmals ihren Ausweis zeigen. Das war so unglaubwürdig, es tut wirklich mir leid. Ich habe gelogen. Wirklich es tut mir leid", sagte er jetzt auf einmal und sah dem Oberst dabei in die Augen. "Keine Ahnung, warum ich das gemacht habe. Ich war ganz durcheinander. Bitte machen sie eine Anzeige bei der Dienstaufsicht. Ich verstehe selber nicht, was gerade mit mir los war. Aber heute, waren schon einige Gruppen von Jugendlichen hier. Die sich als alles Mögliche ausgegeben haben. Die haben alle Mutproben gemacht. Ich habe es ihr einfach nicht geglaubt. Ich war nur genervt, von der ganzen Sache", versuchte er sein Verhalten zu erklären.
Der Oberst nickte. "Na wenigstens, haben sie noch so viel Ehre und stehen zu dem, was sie verbockt haben."
Beschämt sah der Wachtmeister auf seine Füße. Irgendwie tat er mir auf einmal leid. Vielleicht war er wirklich nur, über sein Ziel hinaus geschossen, weil er genervt war.
"Genosse Oberst, können wir das nicht vergessen. Es ist doch nichts passiert. Ich möchte wirklich nur los gehen, den Kindern läuft die Zeit davon."
Oberst Fleischer sah mich an, dann lächelte er. "Tut mir leid Kahlyn. So etwas lasse ich nicht durchgehen und du doch auch nicht. Der Kollege, wird sich verantworten müssen. Solche Missachtung von Dienstvorschriften lasse ich nicht durchgehen. Schon gar nicht solche Lügereien und das widerrechtliche Benutzen einer Schusswaffe im Dienst. Aber du kannst gehen. Gosch, Kahlyn, ihr beide macht los. Den Rest kläre ich mit den Vorgesetzten des Wachtmeisters. Kahlyn, hast du dich wieder beruhigt."
Ich holte tief Luft und nickte. Beruhigt hatte ich mich zwar noch nicht, aber ich wollte endlich losfliegen. Rudi kam auf mich zu.
"Bist du immer noch wütend auf mich, meine Kleene?", fragend sah er mir an.
Ich nickte und folgte einfach so einem Gefühl, was ich gerade hatte. "Ja bin ich. Deshalb, bekommst du jetzt einen Kuss und ich fliege weg, komme nie mehr wieder, so", gab ich ihm lachend zur Antwort, drehte mich um und gab ihm einen Kuss.
Endlich konnte ich auf den Drachen zugehen. "Gosch kommst du nun oder muss ich den Drachen jetzt doch selber fliegen. Diese ganze Aufregung nur, weil du noch einmal kacken musstest. Nur Ärger habe ich mit dir", neckte ich Gosch.
Der Drachenflieger stand immer noch unschlüssig herum und sah erst einmal zu seinem Vorgesetzten. Als Fleischer nickte, lief er auch zum Drachen.
"Nee, keine Angst ich komme. Wenn die Herren die Gnädigkeit besäßen, ein kleines Stück zurückzutreten, könnte ich sogar den Drachen starten. Wenn nicht, seid ihr selber schuld, wenn ihr einen Kopf kürzer seid. Meine Wenigkeit hat die Rotorblätter, gestern extra frisch geschärft, damit sie besser die Köpfe abhacken können. Husch, weg mit euch...", alberte er etwas herum, um die Spannung die auf dem Landeplatz herrschte etwas zu lockern.
Sofort stieg Gosch in den Drachen ein und klärte den Start mit der Flugsicherung ab. Der Oberst trieb alle zurück und endlich konnten wir losfliegen. Kaum, dass ich im Drachen saß, startete Gosch schon.
"Sag mal, war ich gerade im falschen Film oder was war das gerade, Täubchen? Irgendwie habe ich die Hälfte verpasst", lachte mich Gosch fassungslos an.
Ich zuckte mit den Schultern, weil ich nicht richtig wusste, was Gosch von mir wollte. Außerdem, versuchte ich mich gerade, krampfhaft zu beruhigen. Damit ich mich wieder auf meine Arbeit, konzentrieren konnte. Die Aufregung eben, tat mir gar nicht gut. Langsam atmete ich mich ins Taiji und fuhr herunter. Langsam dachte ich mich wieder in meine eigentliche Aufgabe hinein. Nach einer Weile hatte ich mich beruhigt und konnte wieder normal denken.
"Keine Ahnung Gosch. Erst dieser Förster und dann diese Wachtmeister. Was der da mit mir abgezogen hat, das war schon hart. Mir ist ja schon einiges passiert, aber so etwas noch nicht. Vor allem, dass er mir einfach vor die Füße schießt, ohne irgendeinen Grund. Das fand ich schon etwas übertrieben. Der hat sie doch nicht mehr alle", gab ich ihm zur Antwort.
Ich schüttelte den Kopf, als Gosch noch etwas dazu sagen wollte. Ich wollte darüber einfach nicht mehr reden, weil mich diese Sache fürchterlich wütend machte.
"Aber etwas anderes Gosch, ich will die Suche abkürzen. Die Falle und der Quatsch eben, hat mich viel zu viel Zeit gekostet. Wir müssen die Sache beenden. Ich glaube nicht, dass wir die Kinder hier draußen noch irgendwo finden werden. Fliege einfach mal einige Schleifen, über dem Zielgebiet, der stillgelegten Mine. Vielleicht, sehe ich von oben etwas Interessantes. Wenn nicht gehe ich jetzt gleich in der Mine suche. Es ist so verdammt kalt heut. Ich muss die Kinder endlich finden. Damit die nicht noch richtig krank werden. Oder, was denkst du? Sag doch auch mal was", hilfesuchend sah ich zu Gosch.
Der nickt und bestätigte meine Gedankengänge. "Ich würde auch sagen, dass du erst einmal dort guckst. Soll ich Spiralen, um das Bergwerk fliegen oder Schleifen?", fragend sah er mich an.
"Gosch, fliege einen Kreisel, um das Bergwerk. Sagen wir zwei Kilometer in enger werdenden Kreisen. Flieg bis Elbingerode in circa fünf Meter Höhe. Ich will mich nur mal umsehen, ob ich etwas finde. Fliege bitte nicht zu schnell", wie befohlen flog Gosch nach Elbingerode. Wir begannen von dort und zogen enger werdende Kreise, um die Büchenberg Mine. Die Kinder waren hier entlang gegangen und hatten in der Nähe des Kunstberges gelagert, auch etwas nordwestlich des Bergwerkes, sah ich auf einer Lichtung, Spuren. Nach anderthalb Stunden, brach ich die Sucherei ab.
"Gosch, fliege bitte zu der Lichtung in der Nähe des Bergwerkes, die ich dir vorhin genannt habe. Dort springe ich ab. Bitte sorge dafür, dass die Teamleiter, du und der Oberst die Verbindung offen lassen. Ich nehme kein Peilgerät mit. Gosch bitte tanke den Drachen sofort wieder voll. Ich weiß nicht, ob ich dich und Arndt dann sofort wieder brauche. Ich denke, wir sollten die Kinder, wenn ich sie finde zur Turnhalle fliegen. Der Oberst, soll sich dann bei mir melden, wenn er mit den Kollegen fertig ist. Damit ich einige Sachen abklären kann. Ich habe irgendwie ein ganz dummes Gefühl. Es wird irgendwie nicht besser. Erst dachte ich, es lag an den Fallen. Dieses verdammte Gefühl will einfach nicht gehen", gestand ich Gosch, als wir über der Lichtung angekommen waren.
"Bis dann", verabschiedete ich mich. "Ich steige jetzt aus Gosch. Geh sofort auf zwei Meter runter. Ich will einiges rauswerfen oder willst du kurz landen", entschlossen kletterte ich nach hinten.
"Ich lande, dann kannst du das Zeug ordentlich ausladen. Die Lichtung ist groß genug. Soll ich dir die Sachen, mit zum Eingang des Bergwerkes tragen?", wollte er von mir wissen.
Ich nicke bestätigend. "Das wäre lieb, dann habe ich erst einmal alles in der Nähe. Vor allem das Wasser und die Decken."
Gosch brachte den Drachen auf den Boden und half mir beim Ausladen. Den Medi-Koffer schnallte ich mir um, genauso wie das Nahkampfhalfter mit Hacke und Spaten. Ich legte mir etliche Seile um und griff mir einen Stapel Decken, einer Kiste mit Wasser. Die Tscenns hatte ich in den Rucksack gesteckt. Zusammen machten wir uns auf den Weg zum Bergwerk. Keine dreihundert Meter Weg war es bis zum Eingang des Förderturmes. Der mit Förderkörben in die Tiefe des Bergwerkes führte. Dort legten wir erst einmal die Decken in einen Art Geräteschuppen.
"Täubchen, geh nur runter, ich lade den Drachen aus. Da kannst du schon mit der Suche beginnen. Sieh mal auf die Uhr, es ist schon kurz nach 16 Uhr, es wird bald dunkel. Ich werde auch den Oberst bitten, hier einige Schweinwerfer zu positionieren, sonst wird es schwierig ständig zu landen."
Ich bestätigte die Gedankengänge meines Piloten. "Ja mach das Mal, Gosch. Ich will die Kinder, heute hier heraus haben. Wir haben schon viel zu lange, an den falschen Stellen gesucht", entschied ich und ging auf den Förderturm zu. Betätigte den Schalter für den Förderkorb, der auf "Ein" geschaltet war. Dies war ein Zeichen dafür, dass jemand vor nicht allzu langer Zeit in den Berg gefahren ist.
"Bis später, denkt an die Verbindung. Ach Gosch, nehm deine Jacke wieder mit, die brauche ich unter Tage nicht", wandte ich mich ein letztes Mal an Gosch, bevor ich einfuhr.
Mit einem bangen Gefühl bestieg ich den Förderkorb. Das war etwas, dass ich gar nicht gerne machte. In Bergwerke gehen ohne mit dem zuständigen Steiger gesprochen zu haben. Zum Glück schien der Schacht in einem sehr guten gepflegten Zustand zu sein, diese Anlage wurde immer noch gewartet. Was einer meiner schlimmsten Ängste etwas abschwächte, dass wir Probleme beim Herausholen der Kinder bekämen, weil die Förderkörbe streikten. Kaum war ich auf der ersten Sohle angekommen, setzte ich meine Brille ab. Gott sei Dank, war es hier nicht so kalt wie oben. Über Tage waren es bereits nur noch 3 °C, also kurz über dem Gefrierpunkt. Ich hoffe sehr, die Kinder bald zu finden, denn mein Bauch machte bösen Ärger. Systematisch, suchte ich die erste Sohle ab. Kopfschüttelnd stellte ich fest, dass die Kinder hier nicht gewesen waren. Also suchte ich nach und nach, eine Sohle nach der anderen ab. Kam schließlich auf die Sohle 5. War jetzt ungefähr neunhundertzehn Meter unter der Erde. Verdammt nochmal, was machte dieser Praktikant hier nur? War der denn völlig verrückt geworden? Wie konnte der mit den Kindern, so weit unter die Erde zu fahren. Der musste lebensmüde sein. Vor allem ohne den zuständigen Steiger dazu zu holen. Dieses ungute Gefühl, das ich schon seit vielen Stunden hatte, wurde immer stärker. Langsam arbeitete ich mich durch das Stollennetz. Hier gab es einige Einbrüche, die schon älteren Datums waren. Wieder hatte ich nichts gefunden. Konnte es sein, dass der Zwiebler mit den Kindern noch tiefer eingefahren war. Verdammt war der denn wahnsinnig. Kein normaler Mensch, fährt, ohne jemanden vom Berg, so tief ein. Ich bekam eine unsagbare Wut. Also ging ich auf die nächste Sohle, auf Sohle 6. Deren Tiefe bei circa tausendachtzig Meter lag. Kaum war ich aus dem Förderkorb gestiegen, sah ich erste Anzeichen. Erfreut folgte ich den Spuren, immer tiefer brachte mich der Stollen nach unten. Plötzlich sah ich einen Einbruch auf der linken Seite, der keine sieben Tage alt war. Der könnte von den Kindern kommen, ich legte meine Ohren an die Felswand. Konzentrierte meine ganzen Sinne auf das Gehör. So konnte ich auch sehr leise Stimmen hören. Aber es war alles ruhig. Verdammt, hoffentlich lebten die Kinder noch. Hier in dem Stollen war kaum noch Luft zum Atmen. Dadurch konnte es zu Schlagwettern kommen. Durch das, unter Tage austretende Grubengas, das sich mit der Luft vermischte, konnte es zu Explosionen führen. Auch bestand die Möglichkeit, das weitere Pingen abgingen. Das waren Einbrüche, die durch das Aushöhlen des Berges entstanden und zu massiven Einstürzen führen konnten. Deshalb sollte man niemals, ohne einen sachkundigen Begleiter, in solch ein stillgelegtes Bergwerk einfahren. Solche Gefahren, waren von Sohle zu Sohle unterschiedlich. Nur der Steiger, kannte sein Bergwerk so gut, dass er die Gefahren so gering wie möglich halten konnte. Je tiefer man in ein Bergwerk einfuhr, umso größer wurden die Gefahren.
Mich machte die gesamte Situation immer wütender. Wie konnte dieser Lehrer so leichtsinnig sein und die Kinder in einer solchen Lebensgefahr aussetzen. Was er mit diesen Kindern hier machte, war lebensgefährlich, um es nicht einen Mordversuch zu nennen. Auch, wenn man nur ein unerfahrener Praktikant war, sollte man ein wenig gesunden Menschenverstand besitzen und vor allem aber genügend Verantwortungsbewusstsein haben, um so etwas nicht auszuprobieren.
Kopfschüttelnd suchte ich nach weiteren Hinweisen. Leider war auch auf dieser Sohle nichts weiter. Ich ging zurück zu der Einsturzstelle, konzentrierte mich nochmals auf mein Gehör. Aber es war hier nichts, kein Laut konnte ich vernehmen. Ich hatte auch keine Ahnung, wie dick die Wände bis zur nächsten Höhle waren. Ob es bei dem Einsturz um einen der längeren Gänge handelte oder um einen kurzen. Ich kannte den Berg nicht und musste warten bis ich mit dem Steiger gesprochen hatte. Deshalb entschloss ich mich noch eine weitere Sohle nach unten zu fahren. Bereits, als ich aus dem Förderkorb stieg, spürte ich, dass hier nichts war. Also fuhr ich gleich wieder eine Sohle nach oben. Setzte mich nochmals an den alten Stolleneingang des eingestürzten Stollens, um zu überlegen, was ich weiter machen sollte.
"Genosse Oberst, ich glaube wir haben ein großes Problem", wandte ich mich an meinen Freund den Oberst, in der Verbindung.
"Was ist denn Kahlyn?", erkundigte er sich besorgt.
"Es hilft alles nichts, wir müssen graben. Kannst du mir bitte schnellstmöglich, alle Unterlagen von den Sohlen Nummer 5, Nummer 6 und Nummer 7 besorgen? Dann brauche ich jemanden, der sich hier unten genau auskennt. Am besten einen der ehemaligen Steiger. Ich glaube, ich habe die Kinder gefunden. Aber ich komme nicht an sie heran. Ich fahre noch einmal nach unten auf die Sohlen 7 und hoch auf die Sohle 5. Sehe dort einmal nach, ob ich von unten oder von oben an die Kinder heran komme. Ich glaube aber eher nicht, ich denke wir müssen sprengen oder graben. Aber, das muss ich mit dem Ortskundigen absprechen. Sprengen würde schneller gehen, ich weiß allerdings nicht wie lange den Kindern noch die Luft reicht. Die Luft hier im Stollen, vor der Pinge ist verdammt schlecht. Bitte fordere, Materialien zum Bau von Türstöcken bei der Grubenwacht an. Die bekommst du nicht so einfach. Egal, ob wir uns durch den Berg sprengen oder graben, das Türstockmaterial brauche ich auf alle Fälle", erklärte ich dem Oberst.
"Kahlyn was ist das?", harkte der Oberst nach, der mit dem Begriff nichts anfangen konnte.
"Entschuldigung, Genosse Oberst, das sind Abstützmaterialien die wir brauchen, um den Gang abzustützen. Nicht, dass der Berg auf uns drauf fällt. Reden sie am besten mit dem zuständigen Steiger. Es muss hier einen geben, die Mine ist in einen guten gepflegten Zustand. Sie wird zum Glück gewartet. Das lässt mich auch hoffen, dass wir die Kinder schnell heraus bekommen, ohne fremde Hilfe. Das schaffe ich, in ein paar Stunden alleine. Ich will nicht zu viele Leute, hier herunter holen. Hier gibt es Schlagwetter, wir müssen nicht mehr Leute in Gefahr bringen, als notwendig. Holen sie mir einfach den Zuständigen. Oberst, ich muss wissen, ob es hier Gebirgsschläge gibt. Das sind Spannungsumlagerungen im Gebirge, die bei stillgelegten Bergwerken häufiger einmal vorkommen. Da diese nach der Förderung zur Ruhe kommen", erklärte ich den Oberst.
"Geht klar Kahlyn, kommst du gleich zurück?", fragte er mich noch.
Genervt verdrehte ich die Augen, nur gut, dass er das nicht sah. "Nein Genosse Oberst. Ich habe dir doch gerade gesagt, ich gehe erst noch einmal auf die Sohlen 5 und 7. Ich will nachsehen, ob ich dort etwas finde oder von unten oder oben, sofort an die Kinder heran kommen. Drücken sie mir die Daumen. Besorgen sie mir einfach die Materialien für die Türstöcke und den Steiger, um den Rest kümmere ich mich dann schon. Ohne den Steiger, kann ich hier sowieso nichts machen. Ich kenne den Berg nicht. Ohne Ortskenntnisse, bringe ich die Kinder zusätzlich in Gefahr."
Genervt, weil mir der Oberst nicht richtig zugehört hatte, fuhr ich runter auf die Sohle 7 und ging in Richtung des Stollens, der auf Sohle 6 eingestürzt war. Genau darunter, gab es etwa um fünfundzwanzig Meter versetzt, noch einen Stollen. Genau dort ging ich hinein. Wieder legte ich mein Ohr an die Felswand um zu lauschen, diesmal hörte ich ein Mädchen weinen.
"Genosse Oberst, zu mindestens eins der Mädchen lebt noch. Ich höre es weinen. Also denke ich, werden auch die anderen Kinder auch noch am Leben sein. Hoffe ich jedenfalls", erklärte ich vorsichtig.
Langsam ging ich zum Förderkorb zurück, um zwei Stollen nach oben zu fahren. Aber auch von der Sohle 5 kam ich nicht sofort an die Kinder heran. Es gab keinen Zugang, durch den ich im Augenblick an die Kinder heran kommen konnte. Ich musste, ob ich wollte oder nicht, warten.
Also würde ich erst einmal wieder ausfahren. Es war pure Zeitverschwendung und ich verbrauchte mehr Sauerstoff als gut war. Egal, was ich versuchen würde, ich konnte nichts ohne den zuständigen Steiger machen. Ohne die sowieso schon gefährliche Situation in der sich die Kinder befanden, noch zu verschlimmern. Ich hoffte nur, dass die noch solange durchhalten konnten. Es war Gefahr in Verzug, das wurde mir mit jeder Minute klare. Aber Hast führte hier zu reinweg gar nichts. Ich musste mit Bedacht vorgehen. Der Einsturz der Binge, war so weit ich das ohne Proben zu untersuchen, einschätzen konnte, schon mindestens fünf Tage alt, vielleicht sogar schon älter. Hoffentlich war in der Höhle oder dem Gang, in dem sich die Kinder aufhielten, die Luft etwas besser, als in dem Stollen davor. Sonst würde ich wieder einmal sehr viele Tode bergen müssen. Mir graut vor dem, was ich in der Höhle finden würde.
Hoffte sehr, dass der Steiger beizeiten kam und nicht irgendwo steckte wo ihn keiner fand. Mir rann die Zeit zwischen den Finger weg, wie Sand. Mit jeder Minute konnte es dort unten in den Berg schlimmer werden. Hoffentlich hielten die Kinder noch eine Weile durch. Das war der einzige Gedanke der mich im Moment wirklich beschäftigte. Ewig brauchte der Förderkorb, um mich nach oben an die frische Luft zu bringen
"Ich fahre erst einmal aus, Genosse Oberst. Gosch soll mich abholen. Ich komme erst einmal zurück in die Halle. Oberst, bitte sorgen sie dafür, dass ich etwas zu essen bekomme und einen Kaffee, mir ist verdammt kalt. Auch werde ich etwas schlafen. Ich möchte spätestens, um 20 Uhr mit dem Graben anfangen, dazu brauche ich verdammt viel Kraft. Schaffen sie es zu organisieren, dass bis dahin die Materialien für die Türstöcke da sind, Sir. Ich denke auch, dass ich eventuell Sprengstoffe brauche. Aber das muss ich mit dem Steiger abklären. Das ist vom Wetter im Bergewerk abhängig. Also bis gleich, Oberst. Ich bin gleich draußen."
"Ich denke, das kann ich schaffen, Kahlyn. Komme erst einmal zurück."
Obwohl es nur noch zwei Sohlen waren, kam es mir wie eine Ewigkeit vor, die ich nach oben ankam. Endlich war ich aus der dem Förderkorb. Ich war mehr als froh, aus dem Berg heraus zukommen und wieder frische Luft zu atmen. Oben stand auch schon Gosch mit seiner Jacke. Es war noch kälter geworden, es waren nur noch Null Grad.
"Verdammt ist das kalt. Wir haben noch nicht einmal Ende Oktober. Das wird ein schlimmer Winter werden", sagte ich zu Gosch.
Sofort flog er zurück, zur Einsatzzentrale. "Da hast du bestimmt recht. Na Täubchen, du siehst müde aus", meinte er nach einem Seitenblick auf mich.
"Nein Gosch, das täuscht. Aber dort unten ist eine verdammt schlechte Luft. Ich hoffe sehr, dass die Kinder noch genug Sauerstoff haben. Am liebsten hätte ich mich gleich durchgegraben. Aber ich kann nichts machen, bevor ich nicht mit dem zuständigen Steiger gesprochen habe. Wenn ich mich irre und an der verkehrten Stelle grabe, mache ich alles nur noch schlimmer. Dann fällt den Kindern und mir, der Berg auf den Kopf. Ich glaube nicht, dass ich da unten sprengen kann. Werde mich, ob mir das passt oder nicht, also durchgraben müssen. Verdammt mir bleibt, nichts erspart", müde ließ ich mich in den Sitz zurück fallen.
Zehn Minuten später, landeten wir in der Nähe der Schule. Zügig liefen wir zurück, zur Turnhalle. Dort wurde ich schon vom Oberst und den anderen erwartet.
"Kahlyn, wie schätzt du die Chancen für die Kinder ein?", erkundigte sich der Oberst besorgt, noch bevor ich mich gesetzt hatte.
"Ich kann nichts Genaueres sagen. Ich habe zwar einige verschiedene Stimme gehört, aber ich kann nicht sagen, wie viele. Es war einfach zu leise. Aber es leben noch welche. Oberst wir müssen warten, bis ich durch bin. Ich will dir keine, falschen Hoffnungen machen. Wenn ich ehrlich bin, habe ich nicht mehr viel Hoffnung, dass wir alle lebend finden. Der Einbruch ist schon einige Tage alt, ich schätze so fünf bis sieben Tage mindestens. Ich hoffe nur, dass an der Stelle, wo sich die Kinder aufhalten, die Luft besser ist als vor dem Einbruch. Dort ist verdammt schlechte Luft. Ist der Steiger da?"
Der Oberst schüttelte den Kopf. "Kahlyn, der ist im Urlaub. Tut mir leid. Ich lasse ihn gerade von Arndt holen. Aber es dauert noch einen gute dreiviertel Stunde, bis er hier sein kann. Diese Stützen habe ich bekommen."
Dankend sah ich den Oberst an. "Na wenigstens etwas. Die Karten vom Stollen 6 hast du auch Oberst?", bat ich ihn, mir diese zu geben.
"Tut mir leid, die bringt dann der Steiger mit. Also leg dich solange hin. Sobald der Steiger hier ist, wecke ich dich."
Genüsslich trank ich den heißen Kaffee. Als mir Fran einen Brei machen wollte, schüttelte ich den Kopf.
"Fran, mache mir den, bevor ich losmache, das ist besser."
Fran nickte und setzte sich wieder an den Tisch.
"Kleene der Wachtmeister, lässt dir sagen, es tut ihm echt leid. Er wollte dich nicht beleidigen", meinte Rudi auf einmal zu mir.
Ich winkte ab, das interessierte mich jetzt gar nicht. In Gedanken war ich schon dabei, meine weitere Vorgehensweise zu durchdenken. Ich spielte für mich, alle mir nur möglichen Varianten durch, um die beste herauszufiltern. Das Graben allerdings, fand ich, war immer noch die Variante die am sinnvollsten erschien. So verhinderte ich, dass durch eventuelles Lösen von neuen Einbrüchen, die Kinder noch mehr zu Schaden kamen.
"In Ordnung, Oberst. Ich lege mich ein paar Minuten hin. Ich bin noch nicht wieder ganz fit. Also weckt mich sofort, sobald der Steiger da ist. Ich muss einiges mit ihm klären. Wenn du vorhin auf mich gehört hättest, dann wäre der Steiger schon hier. Verdammt nochmal. Warum hört ihr eigentlich immer noch nicht auf mich. Oberst und wenn ich sage, sofort meine ich auch sofort", ernst sah ich den Leiter der Soko böse an.
Fleischer nickte bedrückt, weil er wusste, wenn ich dies so betonte hatte. Stand es nicht nur schlecht um die Kinder, sondern es war richtig Gefahr im Verzug. Wütend stand ich auf und ging nach hinten zu meiner Matte. John folgte mir. Ich sah ihn dankbar an. Es war so lieb von ihm, dass er mir schon wieder beim Schlafen half.
"Danke John, du bist echt ein ganz Lieber. Du kennst mich schon genau", sagte ich dankbar zu ihm, als ich mich auf der Matte niederließ.
"Mäuschen, ich weiß mittlerweile, dass du schneller schläfst, wenn du dich sicher fühlst. Also schlafe, ich passe auf dich auf."
Genau diese Worte von John hatte ich gebraucht, kaum dass John das letzte Wort ausgesprochen hatte, schloss ich die Verbindung und legte meinen Kopf auf seine Beine. Rollte mich zusammen und schlief sofort ein. Ich bemerkte nicht einmal mehr, dass John noch eine Decke über mich legte, so sicher fühlte ich mich.
Nach vierzig Minuten, weckte mich John. "Kahlyn, frido. Riepler zurien halikon", mit den Worten, dass der Steiger da wäre und wir den Einsatz jetzt endlich beenden konnten. Sofort stand ich auf. Fröstelnd lief ich nach vorn, zum Oberst. Neben Fleischer stand ein ältere dicklicher Mann, um die sechzig Jahre, mit einer Halbglatze.
"Sir, guten Abend, Sir", begrüßte ich den Steiger.
Oberst Fleischer stellte mich dem Herren vor. "Herr Richter, das ist die Kollegin die ihre Hilfe braucht. Bitte, tun sie mir einen Gefallen, denn wir haben dazu wirklich keine Zeit. Hacken sie nicht wie alle anderen hier in Halbstadt, auf Leutnant Kahlyn herum. Weil sie so jung aussieht, die Brille muss sie tragen, wegen ihrer Augen. Kahlyn, das hier ist Sigmund Richter, der zuständige Steiger vom Revier. Bitte bespreche alles Notwendigkeiten, mit ihm ab. Was du an Material brauchst, sagst du mir einfach sofort, ich lasse die Verbindung zu dir auf und höre vom Büro aus zu. Dann kann ich das gleich telefonisch ordern."
Ich nickte Fleischer leicht zu und wandte mich ohne Umschweife an den Steiger. "Sir, bitte können wir es kurz und bündig machen, den Kindern auf der Sohle 6 läuft die Zeit weg. Dort unten, ist das Wetter nicht sonderlich gut. Ich habe keine Ahnung, wie viel Luft den Kindern dort unten zum Atmen noch bleibt. Bitte, ich brauche Karten von den Sohlen 5, 6, 7, die so genau, wie nur irgendmöglich sind. Durch den eingestürzten Stollen, werde ich nicht können, ich denke es werden dort ständig Pingen nachrutschen. Das ist viel zu gefährlich, wenn ich dort durchgehe. So stark kann ich den Stollen nicht verziehen, dass wir einen sicheren und geschützten Rettungsstollen bekommen. Ich will versuchen von der Seite, von unten oder von oben einen Stollen zu graben. Den ich mit Türstöcken absichern kann, Sir. Ich denke allerdings, von der Sohle 6 aus, von der Seite her, ist es am Sichersten. Vor allem geht es am schnellsten. Auch werde ich graben müssen. Auf der Sohle ist ein schlimmes Wetter, da werde ich nicht sprengen können, Sir. Also sollten wir hin machen, Sir", versuchte ich ihm, von meinem Vorhaben zu überzeugen.
Der Steiger sah mich entgeistert an. "Du scheinst ja wirklich etwas davon zu verstehen, Spatz. Also komm mal her, hier ist die Karte der Stollen von Sohle 6. Du hast recht die Gefahr von Pingen, auf dieser Sohle ist sehr hoch. Es gab dort schon einige schlimme Abgänge. Ich würde dir auch abraten, von unten oder oben zu graben, das ist zu gefährlich. Von der Seite hast du Recht ist es am Sichersten."
Gründlich schaute ich mir die Karten, von der Sohle an. "Sir, wie sieht es aus…"
Sigmund Richter unterbrach mich einfach. "Spatz, sag einfach Sigi zu mir. Dieses Sir verunsichert mich total", lachend schaute er mich an.
"Sigi wie sieht es aus, wenn ich von Stollen 34c einen Rettngsstollen grabe. Wie dick denkst du, ist der Stein dort? Ich glaube dort sind wir vor Pingen, am sichersten? Es könnten so fünfzehn bis zwanzig Meter sein, wenn die Karte genau ist", erklärte ich ihm, zum Du übergehend.
Etwas, was mir bei fremden Leuten, bisher sehr schwer fiel. Dieser Steiger war soetwas von zuvorkommend und akzeptierte mich von Anfang an. Auch fand ich es niedlich, dass er mich Spatz nannte. Es macht ihn mir irgendwie symphatisch.
"Spatz, wenn du dort durch den Fels willst, hast du gute zwanzig Meter Gestein, was du weg graben musst. Es ist, da hast du Recht die sicherste Stelle, des Stollens. Eine bessere Stelle, wirst du kaum finden. Aber, da brauchst du mindestens eine Woche, Spatzel. Sprengen würde ich dir auf Sohle 6 nicht raten, die Gefahr einer Explosion ist auf der Sohle viel zu hoch. Auf Sohle 6 musst du schon beim Graben auf passen, sonst fliegt dir der Berg um die Ohren. Ein Funke genügt und dort unten kommt es zu einer Katastrophe. Pass ja beim Graben auf."
Ich nickte missmutig und könnte heulen vor Wut. "Das habe ich geahnt. Verdammter Mist, mir bleibt auch gar nichts, erspart. Wie sieht es aus, Sigi, kannst du für etwas Frischluft, unten im Berg sorgen? Ohne, dass es zur Explosion kommt?", ich sah ihn hoffnungsvoll an. "Wenn ich ehrlich sein soll, weiß ich nicht, wie ich dort unten arbeiten soll, wenn ich nicht einmal genug Sauerstoff habe."
Jetzt sah mich Sigi erstaunt an. "Spatz, wie lange willst du dort unten graben, wenn du das alleine machst? Dann bist du, in einem Monat noch nicht durch. Für Frischluft, kann ich nur bedingt sorgen. Aber ich werde sehen, was ich machen kann."
Ich winkte ab, es würde zu weit führen, wenn ich ihm das erkläre. "Sigi, das ist doch schon mal etwas. Wegen der Graberei, vertraue mir einfach. Es ist jetzt schon gefährlich genug da unten. Selbst dann, wenn ich dort alleine grabe. Wenn ich noch einen ganze Kompanie dort unten habe, wird das Wetter noch gefährlicher."
Sigi stimmte mir zu. "Da hast du Recht Spatz. Aber wie lange willst du denn da unten alleine graben?"
Jetzt lächelte ich Sigi an. "Vertraue mir einfach, Sigi. Wenn du mir das Material für den Verzug gibst, denke ich bin ich in vier maximal sechs Stunden durch. Es kommt drauf an, wie sehr sich der Berg gegen mich sträubt. Aber ich möchte, dass du sobald dir die Jungs Bescheid sagen, die Kinder hoch holst. Gosch und Arndt, fliegen die Kinder dann hier her. Also vertraue mir einfach."
Sigi schüttelte zweifelnd den Kopf.
Dann sah er, dass der Oberst nickte. "Vertrau ihr einfach. Sie weiß, was sie kann", ermunterte der Oberst dem skeptisch guckenden Steiger.
"In Ordnung. Wir machen es erst einmal nach deiner Methode. Bist du morgen früh um 8 Uhr noch nicht durch, hole ich meine Jungs nach unten, dann helfe ich dir."
Ich lächelte zustimmend. Da ich genau wusste, wenn nicht alle Stränge reißen würden und mir der Berg auf den Kopf fiel, dann würde ich morgen früh schon auf den Rückweg nach Gera sein und schlafen.
"Sigi, wie lange denkst du, wirst du ungefähr brauchen, um mir die Materialien auf die Sohle und zum Stollen zu bringen? Wenn dir ein oder zwei, der Jungs helfen. Wir müssen sie allerdings, in das Verhalten unter Tage einweisen. Ich glaube kaum, dass hier einer Ahnung vom Bergbau hat."
Sigi rieb sich das Genick und brummelte etwas in seinen Bart, was ich aber nicht verstand, wahrscheinlich dachte er halb laut.
"Das Material für die ersten beiden Türstöcke, nehme ich gleich mit, sodass ich sofort anfangen kann. Nur alles werde ich nicht wegbekommen", wies ich ihn darauf hin, dass er das Material, aus seine Kalkulation herausnehmen konnte.
Sigi war völlig abwesend, doch auf einmal sah er mich an. "Einer deiner Jungs würde reichen. Ich denke eine halbe Stunde, länger werde ich nicht brauchen."
Nun schwieg ich einen Moment und kalkulierte für mich alles durch. "Genosse Oberst, wir machen es wie folgt. Conny hilft Sigi beim Materialtransport. Conny, passe bitte auf, dass dir nichts aus der Hand fällt. Lieber gehe einmal mehr. Ein Funke dort unten kann genügen, um alles in die Luft zu sprengen. Dann geht ihr, also du Sigi und auch du Conny wieder nach oben, an die frische Luft. So dass ihr nicht noch mehr Sauerstoff verbraucht. Dort unten ist eh kaum noch Luft."
Kurz überlegte ich. "Oberst, du organisierst den Abtransport der Kinder. Vor allem sorge für die Notversorgung am Abflugort. Ich habe keine Ahnung in welchen gesundheitlichen Zustand ich die Kinder dort unten finde. Kläre mit dem umliegenden Krankenhäusern ab, dass wir eventuell viele kleine Patienten für sie haben. Es wäre vor allem ganz gut, wenn du auf der Lichtung, ein Zelt aufstellst. Es ist jetzt schon verdammt kalt und das wird bestimmt nicht wärmer heute Nacht. Wenn die Kinder etwas warten müssen, sollten sie in einem warmen Zelt sitzen. Richte dort eine Intensivstation ein, die Sanis aller Teams, sollen sich für die Notversorgung der Kinder bereit halten. Die werden angeschlagen, genug sein."
Nochmals grübelte ich, wie ich weiter machen konnte. "Sigi, du nimmst die Kindern, die laufen können mit Conny zusammen, in zweier Gruppen in Empfang. So dass wir die Kinder in kürzester Zeit aus der Höhle heraus haben. Ich gehe von denen die selber laufen können, zu denen die wir tragen müssen. Sollten es viele sein, die wir tragen müssen, möchte ich, das Mario, Sven, John vom Sender Team, Pet, Cris, Sam von der Soko, Ole, Mario, Felix vom Lange Team einfahren. Zwei Sanis, ein Kind. Sigi, wieviele Leute können im Korb fahren, 6 würde das passen?", fragte ich jetzt nach.
Sigi nickte kurz.
"Also immer die Sanis eines Teams kommen nach unten. Wenn die raus sind, die nächsten drei. Aber, das sage ich noch einmal, wenn es so weit ist. Also los Gosch, flieg mich zur Mine. Damit wir die Kinder, endlich dort heraus und in Sicherheit bekommen", sofort stand ich auf und wollte los.
Fran ließ das nicht zu. "Täubchen, wie viel Brei soll ich dir machen, es dauert fünf Minuten, soviel Zeit muss sein."
Ich lächelte ihn an. "Mach mir fünfhundertfünfzig Gramm", bat ich und setzte mich noch einmal hin. Nahm die Tasse Kaffee dankend entgegen, die mir Conny reichte und Fran gab mir den Brei.
Sigi der mich beobachtet hatte, rümpfte die Nase. "Spatz, was isst du denn da, unappetitliches?", erkundigte er sich erschrocken, schüttelte sich und rümpfte die Nase. "Ich muss dich mal einladen, damit du etwas ordentliches zu essen bekommst", setzte er noch nach.
Gott sei Dank sprang der Oberst, für mich in die Presche. "Sigi, ich darf dich doch auch so nennen", blickte fragend zum Steiger.
Der Steiger nickt lachend zum Leiter der Soko. "Natürlich."
"Kahlyn, kann die normalen Sachen nicht essen. Was sie da isst, ist eine für Kahlyn speziell angefertigte Nahrung. Es wird wohl nichts werden, mit einer schönen Essen. Höchsten einer Einladung, zum essen mit ihrem Brei", erklärt er dem netten Bergmann.
"Wieso das denn?", harkt dieser nach.
"Tja Sigi, das ist eine lange Geschichte, das müssen wir hinterher klären. Lass uns erst einmal, die Kinder aus deinem Berg heraus holen."
Fürs erste schob Fleischer das Thema vom Tisch, auch wenn er wusste, dass der Steiger später noch einmal darauf zurückkommt. Gosch hatte in der Zwischenzeit das Materialien für die Türstöcke, mit Arndt zusammen zum Bergwerk geflogen. Kam gerade vom dem letzten Flug zurück.
"Täubchen, wenn du dann aufgegessen hast, können wir los. Das Material liegt schon alles ordentlich gestapelt vor dem Förderturm."
Sofort nach dem Essen, stand ich auf. "Gosch, Sigi, Conny, kommt ihr, wir müssen los. Oberst organisiere das alles schnellstmöglich und dieses Mal bitte sofort. Du hast maximal drei bis vier Stunden Zeit, dann muss das Notversorgungslager stehen. Vor allem vergesse nicht abzuklären, wie wir die Kinder in die Klinik bekommen, falls es Schwerverletzte gibt. Informiere auch die Spurensicherung, dass die in den nächsten Tagen dort ermitteln müssen, sobald Sigi den Stollen entschärft hat", wandte ich mich ernst, an meinen Freund, den Oberst.
Als Sigi etwas sagen wollte, schüttelte der Oberst den Kopf. "Lass mal Sigi. Kahlyn schafft das schon, vertrau ihr einfach. Kahlyn, das bekomme ich alles hin, in spätestens drei Stunden ist alles aufgebaut. Aber, wenn dir noch etwas einfällt, was du brauchst, sage beizeiten Bescheid. Ansonsten mach dir da mal, keinen Kopf. Wir sind ja genug Leute, auf die Verlass ist. Auch den Transport mit den Helis hierher und in die Klinik, organisiere ich. Konzentriere dich nur auf unten, ich kümmere mich hier um alles oben", meinte der Oberst und dabei streichelte er mir das Gesicht, hoffnungsvoll sah er mich an.
"Das weiß ich doch Oberst. Denkst du bitte dran, dass ich eventuell einen zweiten Medi-Koffer brauche, ich weiß nicht, wie schlimm es dort unten aussieht. Es wird schon gut gehen. Also drückt mir die Daumen, dass das Gebirge die Kinder und mich mag."
Ich lief los und die anderen folgten mir. Zwanzig Minuten später, es war kurz vor 20 Uhr, fuhr ich mit Sigi, Conny und den ersten Material in den Schacht ein und begann sofort mit dem Graben. Ganze vier Stunden brauchte ich, um zu den Kindern durch zukommen. Es war die absolute Hölle. Nicht nur einmal war ich kurz davor aufzugeben. Nicht nur dass die Luft im Stollen von Minute zu Minute schlechter wurde, vor allem hatte ich bei jedem Schlag Angst, dass uns der Berg um die Ohren fliegen würde. Zum Glück hielt wenigstens der Berg zu uns und das schlechte Wetter im Stollen, entzündete sich nicht. Langsam war ich am Ende meiner Kraft angelangt. Auch wenn ich nur einen Rettungsstollen gegraben hatte, war es ein gutes Stück Arbeit. Ich glaubte am Anfang, dass ich mir das schlimmste Stückchen des Berges ausgesucht, dass es weit und breit gab. Nach einigen Metern klappte es dann allerdings besser, als ich erst gehofft hatte. Es wunderte mich nicht mehr, dass der Stollen hier so viele Pingen hatte, dass Gestein war hier stellenweise wie Butter. Dadurch allerdings kam ich gut durch den Berg. Vor allem musste ich nicht mit grober Gewalt arbeiten. Ein einziger Funke hätte genügt, um die Grubengase zu entzünden, dann wäre es zur großen Katastrophe gekommen. Zum Glück mochte der Berg die Kinder und ich hatte mich, nach vier Stunden, bis zu ihnen durchgegraben.
Der Berg spielte mehr als gut mit, wenigstens hierbei hatte ich etwas Glück. Endlich, es war schon kurz vor Mitternacht, stieß ich durch die Wand. Sigi und Conny, hatten mir Wasser vor den Tunneleingang gestellt. Ich hatte im Rettungsstollen eine antistatische Matte ausgerollt, um die Rutsche besser ziehen zu können und vor allem um zu verhindern, dass Funken dabei entstanden. Die Rutsche und das Seil, welches ich zum Abtransport des Abraumes benutzt hatte, zog ich vorsichtig über Flaschenzüge ein letztes Mal heraus.
Ganz vorsichtig, damit nicht doch noch das Gestein die Kinder traf, versuchte ich allen Abraum des Durchbruches nach innen in den Tunnel zu holen, so dass ich sicher sein konnte, keins der Kinder zu verletzen. Bat daraufhin Conny und Sigi, die Rutsche zu beladen. Die beiden hatte ich notgedrungen schon vor einer ganzen Weile nach unten gerufen hatte, damit sie mir halfen, weil ich am Ende meiner Kräfte war. Ich machte den Durchbruch ganz vorsichtig auf, um endlich zu den Kindern zu können. Mein Herz schlug bis in den Hals, ich hatte eine Höllenangst vor dem was ich gleich in der Höhle vorfinden würde.
Conny und Sigi beluden die Rutsche, mit den beiden Medi-Koffern und den Wasserflaschen und zogen sie vorsichtig durch den Stollen zu mir. In der Zeit kroch ich aus dem Rettungsstollen, den ich in der richtigen Höhe gegraben hatte. Ich kam also gut an die Rutsche heran, um die Kinder darauf zu legen. Erfreut stellte ich fest, dass die Kinder alle erschöpft schliefen. Das erleichterte einiges.
Vorsichtig ging ich von Kind zu Kind sah mir alle genau an. Es war soweit alles in Ordnung. Das Wichtigste jedoch war, dass alle Kinder am Leben und stabil waren. So leise wie möglich, ging ich auf das dem Tunnel am nächsten liegende Kind zu. Ein kleines Mädchen und weckte dieses vorsichtig. Immer wieder streichelte ich ihr Gesicht und sprach leise zu ihr.
Erschrocken und vor Angst aufschreiend, wich die Kleine vor mir zurück.
"Keine Angst meine Kleine, ich tue dir nichts. Ich bin gekommen, um euch hier herauszuholen. Ich bin die Kahlyn. Ich bin eine Polizistin und Ärztin. Wir haben euch endlich gefunden. Ich bin mit meinen Freunden gekommen, um euch endlich nach Hause zu holen. Komm Kleines, trinke erst einmal etwas."
Das Mädchen starrte mich entsetzt an, hörte aber auf zu schreien. Dafür fing die Kleine jetzt an zu zittern. Wahrscheinlich hatte sie schon lange keine Hoffnung mehr aus der Höhle herauszukommen. Bei meinem Rundgang hatte ich gesehen, dass die Kinder versucht hatten sich den Tunnen mit den bloßen Händen freizugraben. Auf der Erde sah ich weggeschmissene Taschenlampen, kaputte Becher und Büchsen. Die Hände aller Kinder waren völlig verdreckt und zerschunden. Wir konnten von Glück reden, dass den Kindern der Berg nicht auf den Kopf gefallen war, denn sie gruben genau in der Pinge und wie es schien, war der Berg immer wieder nachgerutscht. Erleichtert sah ich mir die Kleine an.
"Du musst keine Angst vor mir haben. Sagst du mir wie du heißt?", fragte ich sie, um etwas Vertrauen aufzubauen.
"Sandra. Was ist mit deinen Augen passiert? Wieso kannst du mich hier sehen. Es ist so dunkel hier", gab sie mir zu Antwort, mit eine Stimme die völlig in Panik war.
"Hab keine Angst Sandra. Komm trinke erst einmal etwas. Ich habe ganz viel Wasser mitgebracht. Dann holt dich mein Kollege hier heraus. Dann kannst du endlich wieder nach Hause. Darf ich dich kurz untersuchen? Seit, wann seit ihr hier gefangen, Sandra?", ich musste das unbedingt wissen.
"Ja, das kannst du machen. Aber mir fehlt nichts. Nur meine Hände tun weh, vom Graben. Ich hab nur großen Hunger und ganz schlimmen Durst. Wir haben schon ganz lange nichts mehr zu trinken. Ich weiß nicht, wie lange wir hier sind Kahlyn. Wir sind am Dienstagabend, hier rein gegangen. Ich weiß nicht, wie lange das her ist", plötzlich fing Sandra an zu weinen.
Ich zog die Kleine erst einmal in meine Arme, um sie zu trösten. Sie legte ihr Köpfchen auf meine Schulter und flüsterte mir zu. "Ich dachte, wir müssen hier sterben. Es war so dunkel hier. Ich habe Angst Kahlyn", schluchzte sie.
Ich streichelte ihr lieb ihr Gesicht und hielt sie einfach in den Armen. Das Gesicht von Sandra war ganz eingefallen und ihr Lippen waren blutig und rissig. Dunkle fast schwarze Augenringe zeugten davon, dass die Kinder hier durch die Hölle gegangen sind. Bestimmt saßen sie hier schon tagelang ohne Licht und Nahrung. Die Kinder taten mir so leid. Vor allem war es ein Wunder, dass sie überhaupt noch am Leben waren.
"Nein Sandra, ihr müsst hier nicht sterben. Ich lasse nicht zu, dass euch jetzt noch etwas passiert. Wir haben euch ja endlich gefunden. Nimmst du bitte einmal, drei von den Tscenns. Ich stecke sie dir in den Mund, du siehst ja nichts. Das sind kleine Pillen, die gegen den schlimmen Hunger sind. Dann geht es dir gleich besser. Lass sie sich einfach im Mund auflösen. Die schmecken süß. Wenn wir dich hier heraus haben, bekommst du etwas richtiges zu essen. Vertraust du mir?"
"Ja. Danke", kam ganz leise von Sandra.
Sandra nahm ohne Widerworte, die Tscenns zu sich. Bis auf einige kleine Schürfwunden und blutigen Fingernägeln, war Sandra in Ordnung. Sie war ausgehungert und vor allem mangelte es ihr an Flüssigkeit. Das waren aber alles medizinische Diagnosen, die schnell wieder in Ordnung kommen würden. Es waren keine Verletzungen, die man nicht in kurzer Zeit beseitigen konnte. Ich war sehr erleichtert, dass es scheinbar nicht so schlimm war, wie ich erst vermutete hatte.
"Sandra, hör mir bitte mal ganz genau zu. Wenn wir dich jetzt nach oben holen, werden dir deine Augen ganz schlimm weh tun. Ihr wart sieben Tage in absoluter Dunkelheit. Damit du keine Schmerzen hast, werde ich dir eine Binde, über die Augen machen. Weißt du wir hatten keine Zeit mehr für euch alle Sonnenbrillen, zu besorgen. Die bekommst du, wenn du in Schwerin im Krankenhaus liegst. Du musst also keine Angst haben, wenn du nichts siehst. Draußen, vor dem Bergwerk stehen fast hundert Polizisten, die euch gesucht haben. Zwei von denen, bringen dich nach oben und bleiben bei dir", erklärte ich dem kleinen Mädchen, dass jetzt am ganzen Körper zu zittern begann.
Jetzt kam der Schock. Deshalb war es wichtig sich die Zeit zu nehmen, um ihr so gut es ging zu erklären, was auf sie zukam. Wir hatten keinen Druck, das Schlimmste hatten wir hinter uns. Jetzt galt es den Schaden an den Kinderseelen so gering wie möglich zu halten. In Gedanken, wandte ich mich an den Einsatzleiter.
"Oberst, dem Himmel sei Dank, die Kinder leben alle. Aber sie sind in einen erbärmlichen Zustand. Wir müssen das mit den Kindern anders machen. Die waren seit fast acht Tagen in der Höhle eingesperrt. Die sind nicht mehr an das Licht gewöhnt. Ich brauche dringend Binden. Besorge die sofort. Die ich in meinen Koffern habe, reichen niemals zu Versorgung aller Kinder. Kannst du schnellstmöglich Sonnenbrillen besorgen, damit die Kinder wieder etwas sehen können. Die haben lange genug im Dunkeln gesessen. Bitte sofort Oberst. Es müssen immer zwei Leute, am besten die Sanis, nach unten kommen und wir brauchen auch Tragen. Die zwei Sanis müssen immer ein Kind holen. Ich muss den Kinder allen, die Augen verbinden, die sind praktisch blind. Wenn sie aus dem Bergwerk heraus sind, werden sie an Betreuer, aus unseren Teams übergeben. Also pro Kind zwei Betreuer. Ihr lasst keins der Kinder auch nur eine Sekunde alleine. Die Betreuer stellen sich den Kindern vor und bleiben bei ihnen, bis sie alle im Krankenhaus sind. Die Kinder werden rund um die Uhr, durch diese beiden Betreuer versorgt: Anders geht es nicht. Ich denke alle sind psychisch, sehr angeschlagen. Oberst die Kinder haben versucht sich mit bloßen Händen freizugraben. Wir können von Glück reden, dass den Kindern der Berg nicht auf den Kopf gefallen ist. Beruhig dich Oberst, keins der Kinder, so wie ich das bis jetzt gesehen habe, ist schwer verletzt. Aber alle sind sie am Ende ihrer Kräfte."
Während ich mich mit dem Oberst unterhielt, wandte ich mich wieder Sandra zu.
"Komm Sandra, vertraue mir. Dass du hier endlich heraus kommst. Ich gebe dir jetzt eine Spritze, damit du aufhörst zu zittern. Damit die schneller wirkt, gebe ich sie dir in den Hals, dann geht es dir gleich wieder gut. Keine Angst, das tut nicht weh." Vorsichtig spritzte ich das Mädchen und verband ihr die Augen.
"Komm ich helfe dir. Lege dich bitte, auf die Rusche. Die ist zwar hart, aber es ist nur ein kleines Stückchen. Du musst überhaupt keine Angst mehr haben. Du bist gleich in Sicherheit. Wir ziehen dich nur, durch den Rettungsstollen, den wir gegraben haben."
Ich half Sandra sich hinzulegen, die ja gar nichts sah und sprach die ganze Zeit beruhigend auf sie ein. "Sandra, ich binde dir vorsichtshalber die Hände fest. Erschrecke bitte nicht. Dass muss ich machen, damit du dir deine Hände nicht ausversehen einklemmst. Du siehst ja nichts", erklärte ich dem, immer noch am ganzen Körper zitternden Mädchen. Kurz entschlossen, spritzte ich das Mädchen nach, denn drei Einheiten vom N93, würden nicht reichen. Die Kleine stand völlig unter Schock und begriff wahrscheinlich gerade in diesem Augenblick, was sie für Glück hatten, gerettet zu werden. Das Zittern des kleinem Mädchen wurde immer heftiger. Ich durfte gar nicht darüber nachdenken. Acht Tage, waren diese Kinder jetzt in völliger Dunkelheit gefangen, denn die Taschenlampen werden nicht lange gehalten haben. Meine Wut auf diesen Lehrer wurde immer größer. Ich musste meine Wut aber erst einmal zur Seite schieben. Die Kinder mussten hier endlich heraus. Zum Glück war die Luft in der Höhle etwas besser, als die vor der Pinge und im Hauptstollen. Tief holte ich Luft, um mich wieder zu beruhigen und streichelte immer wieder beruhigend Sandras Gesicht.
"Conny, bitte sage Sigi, er soll die ersten Leute herunter holen. Sigi soll sich nur, um den Förderkorb kümmern und die Leute einweisen, damit hier nicht noch ein Unglück geschieht. Rudi du kommst mit den ersten Sanis nach und und hilfst Conny. Du bleibst hier unten bis wie alle Kinder raus haben. Bitte seid vorsichtig, verursacht jetzt bloß keine Explosion. Ein Funke genügt, um hier alles in die Luft fliegen zu lassen", warnte ich alle noch einmal innerhalb der Verbindung.
Ich war heilfroh das wir die Verbindung zur Verfügung hatten. Es wäre für mich unvorstellbar gewesen, den Kindern durch das Gespräch am Funk, jetzt auch noch Angst zu machen. Vor allem wäre der Funk hier unten ein enormes Risiko gewesen. Durch die Verbindung bekamen sie nichts von unserem Gesprächen mit und ahnten nicht einmal in welcher Lebensgefahr sie zurzeit schwebten. Ich wandte mich gleich wieder dem Mädchen zu.
"Sandra, bitte erschrecke nicht. Es wird jetzt gleich furchtbar ruckeln und knirschen. Das geht aber nicht anders. Meine Kollegen ziehen dich jetzt, durch den Rettungsstollen nach draußen, in den großen Stollen. Bitte bleibe ganz ruhig liegen. Du musst keine Angst mehr haben. Du hast es gleich geschafft und dann wird die Luft auch besser. Die Polizisten bringen dich nach oben. Vertraue uns einfach", vorsichtig gab ich ihr einen Kuss auf die Stirn und streichelte ihr noch einmal das Gesicht. "Ganz ruhig meine Kleine. Gleich hast du es geschafft."
"Conny, ziehe langsam an...", gab ich gedanklich, das Kommando, dass man die Kleine herausziehen musste. "... bitte vorsichtig, lieber zu langsam, als zu schnell. Ein Funke genügt und uns fliegt alles um die Ohren. Seid bloß vorsichtig mit allem was ihr macht."
Zwei Minuten später, bekam ich die Meldung, die Kleine war draußen angekommen und von der Rutsche herunter.
"Kann ich die Rutsche, wieder herholen?", fragte ich nach.
"Ja Engelchen."
Sofort zog ich vorsichtig die Rutsche zurück. Langsam ging ich zum nächsten Kind, einem Jungen, der tief und fest schlief. Ich untersuchte ihn, auch mit ihm war alles in Ordnung, nur bekam ich den Buben nicht muntern. Egal was ich versuchte, der Kleine wollte nicht aufwachen. Irgend etwas stimmte mit dem Jungen nicht. Aber ich konnte jetzt nicht in die Tiefe gehen. Ich wollte erst alle Kinder aus der Höhle heraus haben. Deshalb nahm ich es, wie es war. Der Bub war stabil, sollte er ruhig schlafen. Ich konnte jetzt nicht auf Ursachenforschung gehen, dazu fehlte mir einfach die Zeit. Es waren noch dreiundzwanzig andere Kinder die ich noch notversorgen musste und die wir hier herausbringen mussten. Also verband ich ihm die Augen und spritzte ihm fünf Einheit N93. Da der Junge genau wie Sandra, völlig ausgehungert war, gab ich ihm auch Tscenns in die Wangentaschen, die würden sich von alleine auflösen. Vorsichtig flösste ich ihm etwas Wasser ein, was er unbewusst trank. Versorgte so, den Buben mit den nötigen Nährstoffen. Vorsichtig legte ich ihn auf die Rutsche. Justierte ihn, denn der Rettungsstollen war sehr eng. Falls er in dem Rettungsstollen zu sich kam, würde er Panik bekommen.
"Conny, ich schicke dir den nächsten, der Bub ist nicht munter zu bekommen. Oberst, sehe zu, dass man den Buben sofort ins Krankenhaus fliegt. Einer der hiesigen Kinderärzte soll ihn untersucht. Er kommt ohne Diskussion sofort ins Krankenhaus. Gosch soll ihn hin fliegen, mit einem Sanitäter. Ich habe bei der Sache kein gute Gefühl. Keine Ahnung, ob etwas mit ihm ist. Ich will die Kinder hier heraus haben. Ich kann es mir jetzt nicht leisten, auf Ursachenforschung zu gehen."
"Geht klar, Kahlyn", kam vom Oberst, wie auch von Conny.
Schon holte ich, die Rutsche zurück. Nacheinander brachten wir die restlichen dreiundzwanzig Kinder, nach draußen. Alle hatten einige Schürfwunden, kaputte Hände und standen völlig unter Schock, waren aber sonst wohl auf. Nur Zwiebler, hatte ich nirgends finden können. Das verstand ich nicht.
"Genosse Oberst, ich muss tiefer nach unten in den Stollen gehen, ich finde den Praktikanten nicht. Die Kinder habe wir jetzt alle heraus geholt. Kannst du bitte mal Sandra fragen, wo der hin ist? Hoffentlich liegt er nicht unter der Pinge", mutmaßte ich. "Dann besteht führ ihn keine Chance mehr", ich folgte den Stollen der mich weiter in den Berg führte, aber den Praktikanten konnte ich nirgends finden.
"Oberst es kann sein, dass der im eingestürzten Gang verschüttet ist?",fragte ich den Oberst.
Da Fleischer noch nicht an die Verbindung gewöhnt war, bekam er nicht mit, dass ich sein Gespräch mit Sandra mithören konnte. Er gab mir nicht gleich eine Antwort. Da er nicht wie ich gleichzeitig mehrere Gespräche führen konnte. Das, was ich zu hören bekam, als sich der Oberst mit Sandra unterhielt, konnte ich nicht zu fassen. Zwiebler hatte die Kinder, hier im Bergwerk einfach alleine gelassen und war abgehauen. Wütend machte ich Meldung, beim Oberst, der erschrak als er meine Wut mitbekam.
"Sir, es ist jetzt, wenn es mich nicht täuscht 1 Uhr 20, Sir. Der Einsatz ist, mit dem Ausfahren der Kinder aus dem Bergwerk beendet, Sir. Ich nehme jetzt die Verfolgung des Täters auf, Sir", erstattete ich ordnungsgemäße Meldung. Als der Oberst etwas sagen wollte, unterbrach ich ihn. "Bitte Oberst, lasse mich erst aus dem Berg, bitte. Hier ist kaum noch Luft zum Atmen", da er mitbekam, wie ich krampfhaft Luft holte, gab er Ruhe.
Meine Helfer vor dem Rettungsstollen, bat ich mich nochmals um Unterstützung.
"Conny, ich komme jetzt heraus, ziehe bitte die Rutsche vorsichtig nach draußen, ich habe sie mit den Rucksäcken der Kinder, den restlichen Flaschen und den Koffern beladen, sie ist ziemlich schwer beladen. Bitte Conny zieht vorsichtig, nicht das es jetzt noch zu einem Funkenflug kommt"
Conny zog vorsichtig die Rutsch an, ich schob von hinten. Ich wollte hier nur noch heraus, bevor es sich der Berg anders überlegte und doch noch etwas passierte. Die Luft hier war kaum noch zum Atmen und sie wurde mit jeder Minuten schlechter. Der ganze Stollen stand kurz vor der Explosion. Wir mussten unbedingt hier heraus. Endlich war ich aus dem Rettungsstollen heraus. Rudi zog mich sofort in seine Arme.
"Kleene, ich hab gerade Blut und Wasser geschwitzt. Schön, dass du hier heraus bist."
Erleichter mich aus der Höhle zu haben, fasste er die Rutsche an und hob sie mit Conny zusammen hoch, um zum Förderkorb gehen. Ich nahm meinen Spaten und die Hacke, ebenfalls die Seile und drängelte.
"Lasst uns hier raus gehen. Ich brauche dringend frische Luft", gestand ich den Beiden.
Rudi und Conny liefen los, in Richtung Förderkorb. Ich folgte den beiden völlig geschafft. Die Versorgung und die Beruhigung der Kinder hatte mich viel Kraft gekostet. Mehr noch als das Graben des Tunnels. Einige der Kinder wurden richtig panisch und fingen an zu schreien als ich sie geweckt hatte. Die Letzten siebzehn Kinder hatte ich dann schlafen lassen. Weil es einfach zu lange dauerte, die Kinder zu wecken und zu beruhigen.
Am Förderturm erwartete uns Sigi. "Spatz, sag bloß ihr habt alle?", erkundigte der Steiger sich fassungslos.
"Ja, alle die hier unten waren. Der Praktikant habe ich, vom Oberst gerade erfahren, ist schon an dem Tag verschwunden, an dem er die Kinder in der Höhle eingeschlossen hat. Den gehe ich gleich suche. Aber erst einmal, brauche ich einen Kaffee, vor allem frische Luft. Dort unten in der Höhle, war kaum noch Sauerstoff. Sigi ich glaube, du musst hier eine Notsprengung machen, die ganze Sohle, steht kurz vor dem Expoltieren. Oder soll ich das schnell noch machen?"
Sigi klopfte mir auf die Schulter. "Spatz, lass mal. Du hast genug getan. Das werde ich dann gleich organisieren. Ich sage gleich, meinen Jungs Bescheid, dass die jemanden runterschicken. Bevor das alles unkontrolliert explodiert. Aber sag mal, wie hast du das nur gemacht, in so kurzer Zeit. Das geht doch gar nicht."
Ich sah ihn lieb an. "Sigi, wir können das schon. Gott sei Dank, war der Berg uns hold. Den Kindern ist nichts weiter passiert. Es sind es alles Sachen, die den Kindern nicht auf ewig anhängen werden. Die paar Schrammen überleben sie, mache dir keine Sorgen, Sigi", beruhigte ich lächelnd den alten Bergmann.
"Oberst, was ist mit dem Buben, den ich nicht munter bekommen habe? Ist der im Krankenhaus schon untersucht wurden?", fiel mir gerade ein, dass ich mich noch nach dessen Befinden erkundigen wollte.
"Kahlyn, der Bub kommt wieder in Ordnung, er ist im Zuckerschock. Er ist durch ein Wunder, wie der Arzt meinte, gerettet wurden. Deshalb hast du ihn nicht munter bekommen. Er ist in Elbingerode im Krankenhaus. Ist aber in einem stabilen Zustand. Vor allem auch schon wieder ansprechbar."
Erleichtert atmete ich auf. "Ich denke das Wunder, werden die Tscenns vollbracht haben. Die haben den Zucker normalisiert. Da ich bin aber froh darüber. Ich hätte es mir nie verziehen, wenn einem der Kinder etwas passiert wäre. Nur weil ich zu lange, an den verkehrten Stellen gesucht habe. Ich hätte gleich in das Bergwerk gehen sollen. Aber ich wollte, erst alles andere ausschließen. Dabei war mir klar, das ich die im Bergwerk finde, ich mache mir solche Vorwürfe. Wir hätten die Kinder schon vor zwei Tagen, dort heraus haben können. Aber ich dachte wirklich nicht dass ein Lehrer so dumm ist und ohne Steiger in ein Bergwerk einfährt. Wie doof muss man eigentlich sein, um so etwas zu machen", wütend holte ich Luft. "Oberst ich gehe, dann gleich los den Praktikanten suchen."
Der Oberst wollte nichts davon wissen. "Kahlyn, du kommst zurück. Es reicht, du hast genug gemacht. Den bekommt die Polizei über die Fahndung. Mach Schluss meinen Kleine, das ist viel zu kalt."
Ich war da völlig anderer Meinung, das wusste der Oberst eigentlich. Ein Einsatz, war bei mir erst beendet, wenn ich alle Täter hatte. Hier lief allerdings, der Täter noch frei herum und das konnte nicht sein.
"Genosse Oberst, du kennst mich schon so lange. Ich will diesen Unmenschen bekommen. Er muss bestraft werden, für das, was er den Kindern getan hat. Ich habe es den Kindern versprochen. Sonst komme ich nicht zur Ruhe, das weißt du doch."
Mit diesen Worten beendete ich die Diskussion. Im gleichen Augenblick hielt der Förderkorb an und wir konnten aussteigen. Im Versorgungszelt war Fran gerade dabei uns einen Kaffee zu kochen. Auch bereitete er einen Brei vor. "Fran, du mästest mich aber", sagte ich scherzend zu ihm.
Fran nickte und lachte mir zu. Stellte mir einen Kaffee hin, nach dem ich mich gesetzt hatte. Aber ich war froh darüber, dass Fran mich so umsorgte, auf diese Weise bekam ich endlich wieder einige Reserven. Es war draußen bitter kalt. Das Thermometer vom Drachen, zeigte jetzt schon vier Grad unter Null an, sagte mir Gosch gerade und setzte sich zu mir.
"Na Täubchen, hast du sie alle heil heraus bekommen? Wenn ich ehrlich sein soll. Ich hätte das nicht mehr für möglich gehalten. Du bist wirklich eine Engel. Ohne dich, hätten wir die Kinder nie gefunden. Willst du den Typen wirklich noch jagen?"
Ich nickte, denn ich hatte gerade den Mund voll. "Ja Gosch. Ich bringe den Typen zur Strecke und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Sprengt den Stollen und überlässt die Kinder, ihrem Schicksal. Das kann es doch nicht geben. Wenn ich die nicht gefunden hätte, dann wären sie da drinnen, verdurstet und verhungert. Überlege mal, die waren acht Tage dort drinnen eingeschlossen, die Armen, in völliger Finsternis. Nur gut das die so schlau waren, dass sie sich ihr Trinken eingeteilt haben. Sonst wären sie schon alle tot. Wenn ich ehrlich bin, keinen Tag später, die Kinder wären alle verdurstet. Ich hab das letzte Mädchen gründlichst untersucht, die haben schon zwei ganze Tage nichts mehr getrunken. Ich darf gar nicht darüber nachdenken. Ich habe eine solche Wut auf diesen Menschen. Da soll ich den laufen lassen? Gosch, das kann ich doch nicht zulassen", ernst sah ich ihn an. "Sag mal Gosch, kannst du mir deinen Pullover geben? Mit Jacke läuft es sich so schlecht, die ist mir viel zu groß."
Gosch nickte und wollte gerade seinen Pullover ausziehen.
Sigi hielt ihn allerdings fest. "Gosch, warte. Ich gebe dem Spatzen meinen Pullover, der ist viel wärmer. Vor allem bin ich um einiges kleiner, als du. Da passt er besser. Vor allem hat der einen Rollkragen", erklärte Sigi und zog er seinen hangestrickten Pullover aus und reichte ihn mir.
"Sigi, das kann ich nicht annehmen. Du muss wissen, ich mache die meisten Sachen, regelmäßig kaputt", erklärte ich ihm verlegen.
Sigi ließ nicht mit sich diskutieren. "Spatz du ziehst den an. Es wird heute Nacht bitter kalt. Wenn er kaputt geht, ist das auch nicht schlimm, dann macht mir meine Frau, einen neuen. Die strickt gerne", aufmunternd sah er mich an.
Ich sah zu Fran, dann zu Gosch und zum Schluss zu Rudi, weil ich nicht wusste, wie ich mich verhalten sollte.
"Nehm ihn ruhig, meine Kleene", ermutigte mich Rudi.
Erleichtert nicht mehr frieren zu müssen, nahm ich Sigis Pullover und zog ihn aber, unter den viel zu großen Overall, den ich vom Oberst bekommen hatte. Den hatte ich noch über den Nahkampfanzug gezogen, so war der Pullover geschützter. Augenblicklich wurde mir wärmer.
"Oh, der ist aber wirklich schön warm, danke Sigi. Da muss ich dann nicht frieren, ich versuche ihn heile zu lassen", versprach ich lachend.
Gab ihm Goschs Jacke. Jetzt stand Sigi, nur in einem Tshirt da. Sofort stand ich auf und ging nach draußen. In der Hoffnung, dass die Männer nicht alle Spuren zertrampelt hatten, begann ich Suchschleifen zu ziehen. Nach fast einer Stunde, entdeckte ich eine Spur, die Richtung Westen führte. "Gosch sei bitte so lieb, tanke den Heli auf, bleibe in meiner Nähe, so lange du kannst. Ich laufe in Richtung Westen, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, in Richtung Zillerbachtalsperre."
Ich beschleunigte etwas das Tempo, denn die Spuren waren schon fünf Tage alt. Lief ein gemütliches Tempo, um die Spur nicht wieder zu verlieren. Eine Spur die mich stätig in Richtung Westen führte, über die L100 südlich von Drei Annen vorbei, weiter in Richtung Westen. Wo wollte der denn, nur hin? Fragte ich mich ernsthaft, ich verstand es nicht. Auf einmal, war die Spur verschwunden, wieder begann ich Suchschleifen zu ziehen. Nach zehn Minuten hatte ich die Spur wieder gefunden, folgte ihr im erhöhtem Tempo. Nochmals beschleunigte ich das Tempo, er hatte immer noch drei Tage Vorsprung.
Auf einmal, kam mir eine Idee, Zwiebler war urplötzlich nach Nordwesten abdreht. Mir wurde schlagartig klar, was der Kerl vor hatte. Er wollte über die Grenze nach Niedersachsen. Der Praktikant hatte den Ausflug der Kinder dazu genutzt, um Republikflucht zu begehen. Ich war fassungslos, wie konnte er fünfundzwanzig Kinder in den Tod schicken, nur um über die Grenze nach dem Westen abzuhauen. Mittlerweile hatten ich den Abstand zu dem Parktikanten schon sehr verringert, war kurz hinter Zwiebler.
"Genosse Oberst, ich weiß jetzt, was der machen will. Ich glaube der will über den Eckerstausee in die BRD abhauen. Das ist die einzige logische Erklärung, für sein Verhalten. Ich habe ziemlich aufgeholt, habe vielleicht noch zwei Stunden bis ich ihn fassen kann. Wenn ich etwas Glück habe, macht er bevor er ins Wasser geht, noch ein kleines Schläfchen. In der Hoffnung, dass es morgen nicht wieder so kalt ist", erklärte ich dem Oberst mein weiteres Vorgehen.
Endlich, nach fast zwei Stunden, hatte ich zu ihm aufgeschlossen. Er lagerte mit seinem Zelt, vielleicht hundert Meter vor der Talsperre auf einer kleinen Lichtung. Langsam und vor allem sehr leise, ging ich auf das Zelt zu. Zwiebler fühlte sich sehr sicher. Leise öffnete ich das Zelt und griff nach seinem Rucksack, durchsuchte ihn. Im Portemonnaie sah ich einen Ausweis. Ja es handelte sich bei dem Schläfer wirklich um Bernd Zwiebler, den Praktikanten. Ich sah es auf seiner Fahrerlaubnis. Damit legte ich ihm Handschellen um. Dann weckte ich ihn.
"Herr Zwiebler, bitte wachen sie auf", ewig brauchte er, ehe er munter wurde.
"Was ist los?", fragte er mich verschlafen und starrte mich verwundert an. "Wieso kann ich mich nicht bewegen?", kam als nächste Frage.
"Herr Zwiebler, ich nehme sie hier mit fest, wegen Entführung, wegen Misshandlung Schutzbefohlener und versuchten Mordes in fünfundzwanzig Fällen. Bitte stehen sie auf", ich zog ihn auf die Beine.
An Gosch gewandt. "Gosch, kannst du hier irgendwo landen, damit wir endlich ins Warme kommen."
Gosch meldete sich fast sofort. "Ja Täubchen, etwas in dreihundert Meter Entfernung, von dir aus in Richtung Osten, ist eine große Freifläche, dort kann ich landen. Soll ich dir entgegen kommen?", wollte er von mir wissen.
"Nein Gosch, bleibe wo du bist. Ich muss nur die Sachen von diesem Typen zusammensuchen. Dann komme ich."
Mit wenigen Handgriffen, war das Zelt abgebaut. Ich schmiss alles, was ich fand in die Zeltplane und band das Zelt zusammen. In dem ich das mit den Zeltleinen zu einen Paket schnürte und schnallte es mir auf den Rücken. Kaum dass ich das Paket auf den Rücken hatte, zog ich Zwiebler hinter mir her. Der sträubte sich mit aller Gewalt. Er wollte nicht einsehen, dass er so kurz vor seinem Ziel noch gefasst wurde.
"Sir, sie haben jetzt zwei Möglichkeiten, entweder sie laufen oder aber, ich zerre sie hinter mir her, Sir", erklärte ich ihm seine Lage, in einem ziemlich genervten und wütenden Ton.
Da er nicht hören wollte. Griff ich nach den Achtern und zog ihn einfach hinter mir her. Er stolperte. Jetzt hatte ich ihn liegend, im Schlepptau. Aber wenn ich ehrlich sein sollte, war mir das völlig egal. Ich hatte für Menschen die Kinder quälten, keinerlei Mitleid.
Das, was der Praktikant den fünfundzwanzig Kindern an getan hatte, war die Hölle. Sollte er ruhig auch etwas leiden. Was waren zehn Minuten Qual gegen acht Tage in einer stockdunklen Höhle ohne essen und kaum etwas zu trinken. Und mit dem Gedanken, darin zu sterben, weil man sich aus eigener Kraft nicht befreien konnte. Circa dreihundertfünfzig Meter hinter Zwieblers Schlafplatz, kamen wir auf die Freifläche die Gosch gemeint hatte. Kaum sah uns Gosch, kam er mir schon entgegen.
"Stehen sie auf junger Mann. Es ziemt sich nicht, sich von einer jungen Dame im Dreck zu wälzen", spottete er den Festgenommen aus und zog ihn auf seine Beine. Zwang ihn vorwärts zu laufen.
"Gosch, er wollte nicht mitkommen, tut mir leid", sagte ich entschuldigend, aber grinsend. Schon saß Zwiebler festgeschnallt, die Hände mit richtigen Handschellen, auf dem Rücken fixiert im Drachen.
"Dann komm mal Täubchen, fliegen wir ins Warme. Du hast schon eine ganz blaue Nase", meinte er grinsend zu mir.
"Das ist aber auch kalt heute Nacht. Genosse Oberst, es ist jetzt 3 Uhr 49, Sir. Mit Aufnahme des Gefangenen, ist der Einsatz erfolgreich beendet, Sir", beendete ich den Einsatz mit einer ordentlichen Meldung.
"Danke Kahlyn, gute Arbeit. Kommt erst mal in die Schule, dann ab mit dir unter die heiße Dusche, zum Aufwärmen."
"Sir, gern, Sir", gab ich kurz angebunden zur Antwort und versuchte meine eiskalten Hände, wieder warm zu bekommen. Mit erschrecken sah ich, dass es schon neun Grad Minus, auf der Temperaturanzeige des Drachens waren. Es war also kein Wunder, dass mir so kalt war.
"Lass uns heimfliegen Gosch, mir ist kalt."
Gosch startete den Drachen und flog die fünfzig Kilometer zurück zur Schule. Dort wartete schon ein Toniwagen, der den Gefangenen ins Revier bringen sollte. Ich übergab die Sachen den Wachmeistern und ging dann in Richtung Schule. Gosch musste erst den Drachen wieder auftanken, er würde später nachkommen. Auf dem halben Weg, kam mir schon Conny entgegen, mit einer Decke, die er mir umlegte.
"Na Engelchen, jetzt bist du aber zufrieden oder?", fragte er mich lachend.
"Ja Conny, wenn ich dem nicht nach gegangen wäre, hätte der sich einfach abgesetzt."
Conny nahm mich in den Arm, er strahlte so eine Wärme aus, dass mir gleich nicht mehr, so kalt war. Dann sah er auf meine Füße und begann schallend zu lachen.
"Sag mal Kahlyn, wo hast du deine Schuhe ausgezogen?"
Ich überlegte. "Conny ich habe keine Ahnung, hatte ich überhaupt welche an?" Antwortete ich mit einer Gegenfrage.
Conny schmiss sich weg vor lachen. "Ach Engelchen, du und Schuhe, das passt wirklich nicht."
In der Halle angekommen, schickte mich der Oberst erst einmal unter die Dusche. Fast eine Stunde, stand ich unter dem heißen Wasser, bis mir wieder richtig warm war. Dann zog ich meine Sachen an, die Conny über die Heizung gehangen hatte. Auch ein paar Schuhe lagen auf der Heizung. Fertig angezogen ging ich nach vorn, auf den Oberst zu.
"Sir, Einsatz, erfolgreich beendet, Sir", erstattete ich Meldung. Erstaunt sah ich mich um. "Sir, wo sind die Kinder, Sir?"
Der Oberst erklärte mir, dass die Kinder mit Bussen und Betreuern schon zu ihren Eltern, gefahren wurden. "Kahlyn, wir wollten die Eltern nicht noch länger, in Angst um ihre Kinder lassen. Auch Jürgen, ist wieder auf den Weg nach Schwerin. Er wird mit einem Sanka, nach Hause gefahren. Ihm geht es wieder gut."
Ich nickte, dann war es ja gut. Ich war so froh, dass es allen gut ging. Da ging es mir auch gleich besser.
"Spatz, na bist du wieder aufgetaut", fragte mich Sigi jetzt.
"Ja Sigi, gerade mal so. Verdammt ist das kalt heute. Ich gebe dir gleich deinen Pullover wieder", sofort wollte ich aufstehen, doch Sigi hielt mich fest.
"Behalte ihn ruhig, es ist ein kleines Dankeschön an dich. Dass du meinen Berg nicht hast zu einem Grab werden lassen. Da fahre ich in zehn Jahren einmal in den Urlaub und schon passieren solche schlimmen Dinge. Lass mal, mit dem Pullover das geht schon klar. Ich habe noch mindestens zehn von der Sorte zu Hause. Meine Frau wird sich freuen, dass du dadurch nicht erfroren bist", lächelnd streichelte mir Sigi das Gesicht und schüttelte immer noch den Kopf. "Spatz, ich verstehe nur nicht, wie du dich da so schnell durchs Stein hast graben können. Wir sind das gewohnt, aber selbst wir, hätten mindestens acht bis neun Stunden gebraucht, danach wären wir fix und fertig gewesen", erklärte Sigi mir, weshalb er das nicht verstand.
"Sigi, ich bin halt anders als ihr. Ich bin schneller und habe mehr Kraft. Aber, wenn ich ehrlich sein soll, ich bin völlig fertig. Aber sei mal ehrlich, wenigstens einen Vorteil, muss ich auch haben." Müde sah ich den Oberst und dann Rudi an. "Wann wollt ihr los Rudi?"
"Warum meinen Kleene?", konterte Rudi, mit einer Gegenfrage.
"Ich bin wirklich total fertig, würde gern wenigstens eine Stunde schlafen. Aber ich kann auch im Bus schlafen. Hauptsache ich kann überhaupt schlafen", sagte ich, müde gähnend.
Rudi konnte sich denken, dass ich fertig war. Selbst er konnte vor Müdigkeit kaum noch aus den Augen gucken. "Leg dich ruhig noch ein paar Stunden hin. Detlef kann ohne uns losfahren, wir anderen könnten ein paar Stunden Schlaf, auch gut gebrauchen." Er sah die Jungs an, alle nickten. "Ich glaube dir gern, dass du müde bist, meine Kleene."
Also stand ich auf, gab Sigi einen Kuss auf die Stirn. "Danke Sigi, dass du mir vertraut hast und mich so akzeptiert hast, wie ich bin. Alles Gute."
Sigi stand auf und nahm mich zum Abschied in den Arm, flüsterte mir nur noch ein Wort ins Ohr. "Danke."
Gähnend ging ich nach hinten, griff mir eine Decke und wickelte mich darin ein. Mir war es immer noch kalt. Kaum, dass ich mich zusammengerollt hatte, legte sich John neben mich, mit zwei dicken und vor allem angewärmten Decken, eine für sich und noch eine für mich. Er deckte mich zu und zog mich in seinen Arm. Ich legte ihm, so wie ich es früher immer bei Rashida gemacht habe, einfach meine Arme um die Hüfte und kuschelte mich fest an ihn. Schon schlief ich tief und erholsam, in Johns Armen. Der keine zwei Minuten nach mir, ebenfalls tief und fest schlief.
Ruhig und erholsam, schlief ich über drei Stunden. Als mich eine Stimme weckte.
"Kahlyn, wir wollen los. Komm, du kannst im Bus weiterschlafen."
Verschlafen sah ich hoch. Rudi stand neben mir und hielt mir die Hand hin. Ganz vorsichtig zog er mich auf die Beine. Ich stand auf und legte meine Decken zusammen. Endlich, war mir nicht mehr so kalt. Ich nahm die Matte und zog sie nach vorn zu den Anderen. Die Jungs legten sie auf den Stapel oben drauf.
"Na dann, wollen wir mal nach Hause fahren. Endlich haben wir Frei", sagte John und auch die andern guckten erleichtert. Gemeinsam gingen wir zu unserem Bus. Verwundert stellte ich fest, dass der Obest und Conny nicht mehr da waren.
"Wo ist denn der Oberst?", erkundigte ich mich verschlafen bei John, als wir in den Bus eingestiegen waren.
"Mäuschen, die sind vor einer halben Stunde losgeflogen. Ich soll dir aber nochmals liebe Grüße, von allen bestellen. Auch von Sigi. Ach im übrigen, die Verbindung hält achtzig Kilometer. Haben wir beim Wegfliegen mit dem Oberst herausbekommen."
Die letzten Sätze registrierte ich schon nicht mehr. Ich rollte mich wieder auf meinen Sitz zusammen und schlief einfach weiter. John sah mich kopfschüttelnd an, genau wie Rudi. Der reichte John eine Decke, die er einfach über meinen zusammengerollten Körper legte. Das bekam ich allerdings gar nicht mehr mit. Die letzten Gedanken, die mir durch den Kopf schossen waren. ‚Jetzt habe ich frei, was immer das auch ist. Aber ich will erst einmal ausschlafen.‘
Nach knapp zwei Stunden Fahrt, die auch die anderen noch zum Schlafen genutzt hatten, kamen wir in Gera auf der Wache an.
John weckte mich. "Mäuschen, wir sind da, werd munter", bei diesen Worten streichelte John mein Gesicht.
Ich war direkt wach und stand auf. Streckte mich erst einmal richtig und lief über den Hof, in die Wache hinein. Ging zu meinem Spind und zog ich mich sofort um. Ich nahm an, dass wir gleich nach Hause fahren würden. Erstaunt sah ich Rudi an, als er mir erklärte, wir müssten erst noch einmal dringend in die Stadt fahren. Außerdem würde uns etwas frische Luft gut tun. Deshalb wollte er, bevor wir nach Hause fuhren, erst mit mir noch zu Inge fahren. Ich bräuchte dringend, eine dicke vor allem warme Jacke, Mütze, Schal und Handschuhe. Verwundert sah ich ihn an, bis jetzt hatte ich so etwas auch nicht gehabt.
"Wieso brauche ich, eine dicke Jacke? Ich habe doch die hier", ich zeigte auf die Jacke, die ich anhatte. Manchmal verstand ich diese Welt hier nicht, bis jetzt hatten wir immer nur die Overalls. Nicht einmal so einen Jacke, wie ich jetzt trug, hatte ich bis jetzt besessen. Wenn es draußen sehr kalt war, zogen wir einfach ein oder zwei Pullover unter die Overalls, das ging auch. Verwundert sah ich Rudi an, der mich mitleidig ansah.
"Kleene, in der Jacke frierst du doch. Vertraue mir einfach. Wenn das im Oktober schon so kalt ist, dann wird es nicht mehr wärmer. Du brauchst dringend einen dicken Anorac. Ich denke wir wollen, einmal in den Zoo fahren. Darum fahren wir zu Inge, ins Kaufhaus. Die wollte dir eine Winterjacke zur Seite legen, dann musst du nicht mehr frieren."
Ich nickte, weil ich nicht wusste, was ich dazu sagen sollte. Andererseits, freute mich darauf Inge wiederzusehen. "In Ordnung, aber der Bus steht doch im Hof. Warum gehst du vorne raus, aus der Wache?", wollte ich von Rudi wissen, weil ich seine Handlungsweise einfach nicht verstand.
Rudi lächelte mich an. "Kleene, wir fahren mit, der Bahn, den öffentlichen Verkehrsmitteln in die Stadt. Schau mal, dort kommt schon die Straßenbahn. Komm, wenn wir rennen, vielleicht bekommen wir die noch. Sonst müssen wir ewig warten."
Rudi lief einfach los und legte einen kurzen Sprint ein. Mir blieb also nichts anderes übrig, ich eilte ihm hinterher. Zeitgleich mit der Straßenbahn, kamen wir an einem runden grüngelben Schild an, auf dem ein großem grünes H stand.
"Komm meine Kleene, steig ein."
Rudi schob mich in die Straßenbahn. Verwundert sah ich mich um. Viele Leute waren hier drinnen, alle starrten sie mich an. Die meisten hatten dicke Jacken an, so wie Rudi. Ich dagegen trug nur eine hauchdünne Jacke. Aber ich denke die Sonnenbrille, die ich trug, die irritierte wohl die meisten.
"Kleene, willst du bezahlen?"
Rudi lachte mich an, der schon ahnte, dass ich wieder einmal nicht wusste, was er von mir wollte. Ich zuckte mit den Schultern, da ich keine Ahnung hatte, was ich machen sollte.
"Na wir müssen die Fahrt mit der Straßenbahn bezahlen, sonst bekommen wir Ärger mit dem Schaffner und dann wird es richtig teuer", erklärte er mir und drückte mir runde silbrig glänzende Scheiben in die Hand.
"Was ist das? Was ist ein Schaffner?"
Irritiert sah ich ihn an. Rudi stöhnte, weil ihm bewusst wurde, dass ich wieder einmal total überfordert war.
"Das in deiner Hand, ist Geld meine Kleene. Ich erkläre dir zu Hause wie das funktioniert. Stecke es hier oben in den Schlitz, dann ziehst du an dem Hebel."
Genau wie es mir Rudi erklärt hatte, steckte ich das Geld in den Schlitz und zog an dem Hebe. Das sah lustig aus. Das Geld verschwand und statt dessen, kam aus dem Apperat ein schmaler Papierstreifen heraus.
Verwirrt sah ich Rudi an. "Was ist das?", erkundigte ich mich.
Rudi bewegte die Hand, ich sollte noch einmal ziehen. Also zog ich noch einmal an dem Hebel und schaute ihn dann verwirrt an.
"Du musst die Fahrkarte jetzt abreisen, meine Kleene", bat mich Rudi, also riss ich die Fahrkarten, wie Rudi den Papierstreifen nannte, ab.
"Pass gut darauf auf, sonst müssen wir Strafe bezahlen. Der Schaffner kontrolliert die Fahrkarten und passt auf, dass wirklich alle bezahlen", machte mich Rudi darauf aufmerksam, dass diese Streifen wichtig waren.
Genau sah ich mir diesen Streifen an. Na ja eigentlich waren es zwei kurze Rechtecke die mit einer gelöscherten Linie voneinander getrennt wurden. Genau an dieser Linie hatte ich die Fahrkarten abgerissen. "Stadtwerke der Stadt Gera - Linie 2" stand auf den Fahrscheinen und eine Nummer "06443" auf den zweiten "06444". Also waren diese Rechtecke vorlaufend Nummeriert. Rudi schob mich, auf eine freie Bank zu, weil ich mitten im Gang stand und mir den rosafarbenen Papierstreifen genau ansah. "Setze dich hin Kleene. Na, das ist doch mal etwas anderes, als ein Toniwagen oder?", neckte er mich.
Ich hielt die Fahrkarte fest in der Hand und sah mich neugierig um, beobachtete die Leute. "Wo wollen die alle hin? Auch zu Inge? Was sind öffentliche Verkehrsmittel? Was heißt das? Zu was braucht man eine Fahrkarte?"
Sprudelten, die Fragen nur so aus mir heraus. Ich konnte es nicht verhindern. Immer wollte ich alles genau verstehen und begreifen, was um mich herum passierte. Aber es war alles so anders hier, als ich es kannte. Nicht nur, dass es anders aussah, nein es funktionierte auch alles anders. Alleine die Leute hier in der Bahn, hatten alle unterschiedliche Sachen an. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Bei uns trugen wirklich alle Overalls und die anderen im Projekt oder bei Einsätzen, hatten auch Overalls getragen. Nicht nur von den Farben her, das kannte ich ja. Das Hausmeisterteam trug bei uns orange und die Wachleute grün. Aber alle hatten verschieden Jacken an, die sich nicht nur in den Farben unterschieden, sondern auch im Schnitt und Muster. Niemand ähnelte dem anderen. Verwirrt schaute ich mich um. Rudi wuschelte mir durchs Haar.
"Ich weiß nicht, wo die alle hinwollen. Wahrscheinlich wird ein Teil der Leute auch dort hin wollen, wo wir hingehen. Vielleicht gehen sie auch ein Eis essen, wer weiß? Sag mal Kleene, hast du schon mal Eis gegessen?", wollte Rudi von mir wissen. Im selben Moment fällt ihm ein dass er meine anderen meine Fragen noch nicht beantwortet hatte. "Öffentliche Verkehrsmittel, sind Fahrzeuge die alle benutzen können. Nicht so, wie die Toniwagen, die nur wir benutzen dürfen. Die Fahrkarte, berechtigt dich dazu, die Bahn zu nutzen."
Ich nickte mit dem Kopf. "Achso, jetzt verstehe ich das. Ja, ich hab schon Eis gegessen, in Chile. Aber warum isst hier jemand Eis? Das macht man doch nur, wenn man kein Wasser zum trinken hat und Wasser gibt es hier doch genug", versuchte ich zu erklären.
Stöhnend, sah Rudi mich an. Dachte bei sich: ‚Ach meine Kleene, wie viel musst du hier, bei uns noch lernen‘. Mit traurigen Augen sah er mich an. Es war so kompliziert mit der Kleinen. Immer setzte man Dinge voraus, von denen sie noch nie etwas gehört hatte. Er riss sich aus seiner Grübelei und lächelte mich an.
"Wir gehen dann mal ein Eis essen. Du probierst einfach mal, ob du so etwas verträgst? Wenn nicht, ist es nicht so schlimm, dann esse ich dein Eis auf. Ich liebe Eis."
Die Straßenbahn hielt an und sofort wollte ich aufstehen. Rudi schüttelte den Kopf und drückte mich zurück auf den Sitz.
"Kleene, wir müssen noch einige Stationen fahren, bleibe nur sitzen. Ich sage dir Bescheid, wenn wir aussteigen müssen", erklärte Rudi mir.
"Warum halten wir dann hier, wenn wir nicht aussteigen wollen?"
Rudi zeigte auf die Leute, die an der Straße standen. "Schau mal Kahlyn, die Leute wollen auch alle mitfahren. Deshalb muss die Bahn hier halten. Die ist doch für alle da."
Ach so ist das, dachte ich bei mir. "Aber warum fahren die Leute, nicht alle mit einem Auto, wie du oder Jo?", fragte ich Rudi verwundert. Es wurde langsam richtig voll, in der Straßenbahn, wie Rudi dieses Fahrzeug nennt.
"Na Kleene, in der Stadt sind nicht genug Parkplätze, deshalb ist es besser mit der Bahn zu fahren. Deshalb, fahren wir doch auch mit der Straßenbahn und nicht mit meinem Auto."
"Ach so", sagte ich, obwohl ich nicht ganz verstand, was er mir erklären wollte.
Aber ich hatte dem Doko ja versprochen, es nicht mehr so verbissen zu sehen, wenn ich etwas nicht gleich verstand. Irgendwann würde ich schon begreifen, was Rudi mit Parkpätze meinte. Ich verstand einfach nicht, was ein Park und ein Platz, mit einem Auto zu tun haben sollte. Einfach komisch, waren diese Leute manchmal. Interessiert sah ich aus dem Fenster, der Straßenbahn.
"Rudi, was heißt das Schild da, das kenne ich nicht", zeigte auf das große runde gelbgrüne Schild mit dem H darauf.
"Das markiert die Stellen, an denen die Straßenbahn halten kann. Die Nummern unter dem Schild zeigen an, welche Linien hier anhalten. Weil nicht jede Straßenbahn oder O-Bus, an jeder Haltestelle hält. Aber das verstehst du heute nicht alles Kleene. Lass dir ein bissel mehr Zeit. Wichtig ist nur, an diesen Schildern warten die Leute, auf die Bahn. Busse und Bahnen, dürfen nur an bestimmten Orten halten. Verstehst du?"
Ach so, jetzt nickte ich, mir wird das langsam klar. "Danke", sagte ich leise und irritiert.
Weil eine Frau hinter uns, laut lachend vor sich hin prabbelte. "Was ist das denn für eine?"
Rudi drehte sich böse zu der Frau um. "Ein Mädchen, was es nicht so gut hatte und das alles nicht kennt. Wenn sie die Fragen stören, setzen sie sich doch, wo anders hin."
Die Worte hatten richtig böse geklungen. Rudi drehte sich wieder zu mir um. Auf einmal, fuhren wir an einem Park vorbei, mit lauter alten Kastanien. Interessiert sah ich mir, diese Bäume an. Diesmal sagte ich Rudi in der Verbindung, damit die Frau meine Fragen nicht mehr hörte.
"Rudi, hier ist es aber schön. Sind dort auch Parkplätze?", erkundigte ich mich einfach bei ihm. Da mir die Idee dazu gekommen war, dass das ja ein Park war und dass es dort auch viel Platz gab. Rudi schüttelte lachend den Kopf. Er antwortet mir aber laut.
"Nein meine Kleene, das ist kein Parkplatz. Rede nur laut, wenn es der Dame nicht passt, kann sie wo anders hin gehen oder aussteigen, die Bahn ist auch für dich da. Es gibt hier kein Sprechverbot, für Kinder, die das alles nicht kennen", lachend wuschelte er mir den Kopf. "Aber es ist auch manchmal, schwer mit dir. Das ist ein ganz normaler Park. Parkplätze, meine Kleene nennt man einen Platz, wo man lauter Autos abstellen oder wie man es richtig nennt, parken können. Dort können hunderte von Autos stehen."
Ach jetzt begriff ich, was er meinte. "So, wie vor der Schule, wo die ganzen Taxis gestanden haben, als man uns in die neuen Dienststellen gefahren hat."
Rudi nickte. "Ja, genau so."
Jetzt muss ich auch lachen. "Ach, bin ich bescheuert. Da habe ich dich, ganz falsch verstanden. Es ist so schwer mit euch, ihr kennt Wörter die habe ich noch nie gehört. Aber der Park ist schön, so viele alte Bäume", schwärmte ich noch mal von dem Park und sah noch einmal zurück, um einen letzten Blick darauf zu werfen. Denn wir waren schon lange an dem Park vorbei gefahren.
Noch ganze fünf Mal hielt die Straßenbahn, bis Rudi mir sagte, dass wir zum Eingang gehen müssten. Also stand ich auf und verließ mit Rudi die Bahn. Immer noch hielt ich die Fahrkarte in der Hand.
"Schau mal Kleene, da ist ein Papierkorb. Dort kannst du die Fahrkarte reinschmeißen."
Verwundert sah ich ihn an. "Warum das denn? Die brauchen wir doch, wenn wir wieder zur Wache fahren wollen."
Rudi grinste. "Nein meine Kleene, da müssen wir wieder, neue Fahrscheine kaufen."
"Ach so, man kann nur einmal damit fahren."
Ich schmiss die Fahrscheine in den Papierkorb. Interessiert sah ich mich um. Rudi erklärte mir, dass wir jetzt auf der Sorge wären. Dass diese Straße so hieß und die Haupteinkaufsstraße von Gera wäre. Hier gäbe es die meisten Geschäfte und Cafes. Was immer das bedeutet? Überall waren Fenster, in denen eigenartige Sachen ausgestellt waren. Fenster reihte sich an Fenster und über all gingen Menschen neben den Fenstern in offenstehende Türen. Rudi erklärte mir, dass man das Schaufenster nannte. Dass dort die Waren ausgestellt wurden, die man in den Geschäften kaufen konnte. So musste man nicht immer gleich den Laden betreten, sondern konnte sich die Sachen schon von draußen ansehen. Genau, wie in dem Haus, indem Inge arbeitete. Es standen überall Schilder mit Zahlen dran. An einem Geschäft, blieb ich stehen. Dort gibt es viele Schuhe, ganz andere, als die ich an hatte.
"Rudi, warum haben die Schuhe Stäbe? Mit sowas kann man doch nicht laufen", verwirrt sah ich meinen Major an.
Der nickte lachend. "Tja Kleene, schön das mal von einer Frau zu hören. Das frage ich mich auch manchmal, aber es gibt wirklich Frauen, die darauf laufen können. Viola hat solche Schuhe, kann damit sogar laufen. Ich würde mir damit allerdings, die Ohren brechen". erklärt er mir.
"Ich auch", gestand ich ihm lachend, weil ich mir gerade vorstellte, auf solchen Schuhe laufen zu müssen.
"Komm, gehen wir weiter. Wir wollen doch ein Eis essen gehen. Dann wollen wir noch zu Inge", Rudi guckte der Schalk aus dem Nacken.
Wir liefen weiter die Sorge hoch, wirklich hoch, denn hier ging es ganz schön bergauf. Gegenüber von Inges Haus, das Rudi das Centrum Warenhaus nannte, gab es eine Eisdiele. So nannte man das, erklärte mir Rudi. Wir gingen hinein, ich sah mich staunend um. Es war wunderschön in dieser Eisdiele, so etwas hatte ich noch nie gesehen. Verwundert blieb ich stehen. Die Wände waren Hellblau und zart Gelb gestrichen, überall waren Kreise in verschiedenen Farben an die Wand gemalt, die sich überschnitten. An der Decke hing ein großer Ventilator, der sich aber nicht dreht. Aber auch gelbe und blaue Kugel, die sich als Lampen herausstellten. Es war ein einziger nicht allzu großer Raum, in dem lauter kleine runde Tische standen. Darum gruppierten sich immer zwei oder vier Stühle. Staunend sah ich mich um, so etwas hatte ich noch nicht gesehen. Rudi schob mich zu einem freien Tisch mit zwei Stühlen, in der Nähe der Tür, an einem großen Fenster. Man konnte hier alles gut beobachten.
"Setz dich Kahlyn, ich hole uns ein Eis. Sag mal Kleene, darfst du Schokolade essen oder weißt du auch nicht, was das ist?", erkundigte sich Rudi.
"Ich weiß nicht, was das ist", gab ich kleinlaut zu.
Rudi winkte ab und lief vor zu einer Frau, die hinter einem Tresen stand. Sagte etwas zu ihr, was ich allerdings nicht verstehen konnte. Um mich herum saßen viele Leute, die sich laut unterhielten. Kurze Zeit später, kam Rudi mit einem großen und einen kleinen Eisbecher zurück, wie er diese Schalen aus Glas nannte.
"So meine Kleene, dann koste mal. Aber wenn es dir nicht bekommt, lässt du ihn stehen. Versprichst du mir das?"
Ich sah skeptisch auf diese Schale. Rudi fing an, genüsslich seinen Eisbecher zu essen. Aber ich konnte mich nicht so richtig dazu entschließen, zu gut war mir die Sache mit dem offenen Rücken noch in Erinnerung. Ganz ungewohnt sah das aus.
"Koste ruhig, das schmeckt lecker", meinte Rudi sich einen Löffel mit Eis in den Mund schiebend. Verlegen sah ich auf die Schüssel, die vor mir stand.
"Was ist das?", fragte ich nach.
"Das ist Vanillieeis. Kahlyn, du musst das nicht essen, wenn du dich davor fürchtest. Aber sag mal, wenn du nur mit der Zunge daran gehst, wirst du doch nicht gleich krank oder?", brachte mich Rudi auf den Gedanken, nur ganz wenige zu kosten.
Ich schüttelte den Kopf. Er hatte Recht, wenn ich nur ganz wenig kostete, konnte mir eigentlich nichts passieren. Vorsichtig machte ich eine ganz kleine Menge auf den Löffel, steckte ihn in den Mund. Sofort spuckte ich alles wieder aus. Es brannte wie Feuer in meinem Mund. Tränen schossen in meinen Augen und liefen über mein Gesicht. Rudi sprang erschrocken auf und lief zu der Frau, holte mir ein Glas Wasser.
"Komm spüle den Mund aus, Kleene. Schnell."
Ich nahm das Wasser in den Mund, doch wusste ich nicht, wo ich es hinspucken sollte. Die Leute sahen mich erschrocken an. Rudi riss mich auf die Füße und zog mich hinaus auf die Straße, die nur wenige Schritte von unserem Platz entfernt war. Immer wieder, nahm ich das Wasser in den Mund, spuckte es wieder aus. Langsam ließ das Brennen nach.
"Ach Kleene, das habe ich nicht geahnt. Ich wollte dich nicht verletzen", traurig nahm er ein Taschentuch, wischte mir den Mund ab. Dann nahm er mich in den Arm.
"Ist nicht schlimm, Rudi. Darf ich einen Kaffee bekommen, das schmeckt wiederlich. Es brennt immer noch in meinem Mund. Was ist da drinnen?", erklärte ich ihm bitter.
Wir gingen wieder hinein. Die Frau stand ungläubig am Tresen, verstand überhaupt nicht, was vorgefallen war. Allerdings sah sie, dass etwas mit dem Eis nicht stimmen konnte, denn mein Mund war feuerrot, immer noch liefen Tränen über meine Wangen. Nicht weil ich weinte, sondern weil der Schmerz sie mir in die Augen trieb.
Rudi ging zu der Frau.
"Können sie mir für die Kleene, einen Kaffee geben?", bestellte er meinen Kaffee.
Die Frau war unfähig sich zu bewegen. Nicht nur die Frau, auch alle anderen starrten mich an. "Was ist mit dem Mädchen los? Stimmt etwas mit dem Eis nicht?", erkundigte sie sich bei Rudi.
"Nein junge Frau, mit dem Eis, ist bestimmt alles in Ordnung. Leider hat die Kleene eine Nahrungsmittelallergie. Wir dachten, wir probieren es mal mit Eis. Aber sie verträgt das leider nicht, schade eigentlich. Ich esse nämlich für mein Leben gern Eis", erklärte er mit einem wehmütigen Lächeln.
Erleichtert atmete die Frau auf. "Ich bringe ihr gleich einen Kaffee, setzen sie sich ruhig", erklärte sie Rudi nun, wieder mit einem Lächeln. Sie verließ den Raum und verschwand nach hinten in die Küche, holte eine Tasse Kaffee. Kam dann damit nach vorn zu mir und stellte mir den Kaffee auf den Tisch. Vorsichtig säuberte sie meine Jacke, mit einem Tuch. Wollte mir dann auch die Tränen weg wischen. Ich zog automatisch den Kopf weg.
Rudi lächelte mich an. "Kahlyn, die Frau tut dir doch nichts, sie will dir nur helfen." Rudi nahm der Frau das Tuch aus der Hand und wischte mir das Gesicht trocken.
"Der Kaffee geht aufs Haus, den müssen sie nicht bezahlen. Willst du dir hinten das Gesicht waschen?", bot sie mir noch mehr Hilfe an, ich nicke. "Dann komm bitte mit", sie stand auf.
Ich zögerte. Ich kannte die Frau doch gar nicht.
"Geh nur mit. Die Frau tut dir nichts, Kleene. Wenn etwas ist rufe, dann komme ich hinter."
Ich nickte und folgte der Frau nach hinten in die Küche. Lange wusche ich meinen Mund aus, das brennen ließ langsam etwas nach. Dann reinigte ich mir das Gesicht und auch die Hände. Dort, wo ich Spritzer des Eises darauf bekommen hatte, bildeten sich lauter Blasen. Ach verdammt nochmal, dachte ich so bei mir, warum war das nur alles so schwer hier. Na ja in ein zwei Tagen war das wieder abgeheilt. Aber es war schon schade, dass ich nichts anderes probieren kann. Die Frau brachte mir zwei Binden, damit ich meine Hände verbinden konnte. Sie hatte die Blasen gesehen.
"Mam, vielen Dank, Mam", bedankte ich mich bei ihr, verwundert.
Verband mir aber die Hände. Nur gut das mein Gesicht nicht so aussah, der Mund war zwar rot, aber es waren nur innen drin Blasen. Die sah man zum Glück nicht.
"Mam, ich gehe dann mal wieder vor, Mam", erklärte ich, als ich fertig war.
Diese war immer noch völlig durcheinander und sah mich ganz komisch an. "Es tut mir so leid, dass ich dir weh getan habe", ihre Stimme klang ganz depriermiert.
"Mam, sie haben mir gar nicht weh getan, Mam. Das habe ich höchstens selber gemacht. Da können sie nichts dafür. Ich bin selber schuld, warum probiere ich so etwas auch aus. Ich müsste langsam wissen, dass ich das alles nicht essen kann. Aber ich bin halt neugierig, wie das schmeckt. Deshalb probiere ich das, immer wieder aus. Sie trift wirklich keine Schuld. Es tut mir leid, dass ich ihnen Ärger gemacht habe. Bitte verzeihen sie mir. Können sie mir sagen, was da drinnen ist, Mam?"
"Ja natürlich, da ist Zucker, Milch, Sahne, Eigelb und Vanilliearmoma enthalten."
Erschrocken hörte ich ihr zu, schüttelte den den Kopf. Nahm mir vor, ab heute immer erst zu fragen, was in einer Nahrung drinnen war. "Mam, dann brauche ich mich nicht zu wundern, ich bin gegen Milch hochgradig allergisch. Ist das in jedem Eis, Mam?"
"Ja, mein Mädchen, das ist in fast allen Eissorten. Bei uns hier in der Eisdiele in allen Sorten", traurig sah sie mich an, streichelte mir über die Wange.
Erschrocken zuckte ich zurück. Warum war sie traurig, fragte ich mich? Wieso streichelte sie mich? Das machten eigentlich nur Menschen, die sich mochten. Sie kannte mich doch gar nicht. Grübelnd ging ich wieder auf Rudi zu. Vorn setzte ich mich zu Rudi an den Tisch, der mich traurig ansah.
"Kleene, langsam denke ich, wir sollten diese Experimente lassen. Jedesmal geht das nach hinten los."
Verwirrt sah ich Rudi an. "Rudi ich verstehe nicht, was du mir sagen willst", erwiderte ich nur.
"Na ja, ich dachte es wäre schön, wenn du Eis essen könntest. Das Eis hier schmeckt wirklich lecker. Das ist das beste Eis in ganz Gera. Aber statt, dass du etwas leckeres hast, bekommst du durch mich wieder nur Schmerzen", dabei sah er auf meine Hände.
"Ach, das ist nicht schlimm, in ein oder zwei Tagen ist das wieder in Ordnung. Zu Hause mache ich Brandsalbe drauf, dann ist das es wieder, so gut wie neu", spielte ich die ganze Sache herunter. Rudi sah mich ernst an. Dann streichelte er mein Gesicht.
"Tut mir leid, Kleene. Das wollte ich nicht."
Ich schenkte ihm mein schönstes Lächeln, damit er sich beruhigte. "Ist doch nichts passiert Rudi, wir waren ja ganz vorsichtig. Aber Eis darf ich nicht essen. Ich habe die Frau gefragt, was da drin ist. Das wird aus Milch gemacht. Milch ist etwas, was ich überhaupt nicht essen darf. Wenn ich mit Milch in Berührung komme, dann verbrennt meine Haut. Daher auch die Blasen."
Rudi guckte mich erschrocken an. "Kleene, so etwas musst du uns unbedingt sagen. Zu Hause steht immer Milch herum, dann müssen wir damit besonders aufpassen. Kahlyn, gegen was bist du noch hochgradig allergisch."
Ich zuckte mit den Schultern.
"Kleene, wogegen bist du noch allergisch, wenn du damit in Kontakt kommst?"
Ich überlegte, dann schüttelte ich mich. "Bitte müssen wir da jetzt darüber sprechen", fragte ich beklommen.
Rudi erschrak, da er sah, wie weiß ich im Gesicht wurde. "Nein meine Kleene, aber du musst mir das irgendwann einmal sagen. Stell dir mal vor, Tim würde sich beim Kakao trinken verschlucken. Du sitzt ihm gegenüber und bekommst das alles ab. Er kann das doch noch nicht so steuern, weil er noch klein ist. Weißt du, was dir dann passiert?"
Ich verstand nicht, deshalb schüttelte ich den Kopf. "Was ist Kakao?", erkundigte ich mich bei ihn. Weil ich den Zusammenhang nicht verstand.
Rudi raufte sich die Haar. "Ach Kleene, immer vergesse ich, dass du das alles nicht kennst. Kakao ist Milch mit Kakao oder Schokoladenpulver."
Jetzt verstand ich, was er damit meinte. "In Ordnung, wenn wir zu Hause sind, schreibe ich dir mal einen Zettel, über die Sachen von denen ich weiß, dass ich eine Kontaktallergie habe."
Rudi sah mich beruhigt an. "Das ist gut. Ich hatte keine Ahnung, dass es so schlimm sein kann." Er griff über den Tisch, streichelte mir das Gesicht.
"Darf ich dich mal etwas fragen?"
Rudi nickte.
"Warum guckt die Frau so traurig? Das verstehe ich nicht. Sie kennt mich doch gar nicht. Ihr kann es egal sein, ob ich Blasen auf den Händen haben", versuchte ich meinen Gedankengang zu erklären.
"Kleene, auch wenn die Frau dich nicht kennt, tut es ihr leid, dass du durch das Eis verletzt bist. Auch, wenn sie nicht verstehen kann, warum. Das nennt man Mitleid. Das ist das Gefühl, was du empfindest, wenn du verletzte Geiseln versorgst, die kennst du doch auch nicht."
Ich nickte, wusste ungefähr, was er damit meinte. "Das ist aber lieb von ihr." Stellte ich fest. Nahm einen Schluck Kaffee. "Der schmeckt, aber gut", sagte ich. "Schmeckt viel besser, als das Eis. Dann gehen wir immer hier her Eis essen, du isst Eis und ich trinke Kaffee", setzte ich lachend nach.
Rudi wuschelte mir den Kopf. Nachdenklich, sah ich aus dem Fenster, wälzte ein Problem in meinen Kopf hin und her.
"Rudi, kannst du mir mal etwas erklären?"
"Was denn, meine Kleene?"
"Weißt du, was mich seit Halberstadt nicht mehr los lässt. Ich habe ja schon einige, wie soll ich sagen, irre oder kranke Menschen erlebt. Aber, wie kann man Kinder in einer Höhle einsprengen. Sie damit zum Tode verurteilen, nur weil man Republikflucht begehen will. Ich verstehe das nicht. Was können die armen Kinder dafür?"
Rudi sah mich traurig an. "Kleene, so gern ich dir das erklären möchte, ich kann es nicht. Der Oberst war im Revier, dort hat er sich den Praktikanten vorgenommen. Du musst wissen, Jürgen, weißt du der Bub, den du nicht munter bekommen hast, ist der Neffe vom Oberst, er ist Diabetiker. Er wollte von Zwiebler wissen, warum er die Kinder, in der eingeschlossenen Höhle in Stich gelassen hat. Weißt du, was der dem Oberst geantwortet hat."
Fragend sah ich Rudi an. "Nein, keine Ahnung."
Rudi schüttelte heftig den Kopf, weil er immer noch nicht glauben konnte, was ihm der Oberst erzählt hatte. "Er meinte, er wäre im Gang eine Zigarette rauchen gewesen."
"Wie bitte?", ich starre Rudi an, wie jemanden der vom Mars kam. "Eine Zigarette, hat der in einem Bergwerk geraucht, wie dumm ist der denn?", unterbrach ich Rudi, weil ich nicht begreifen konnte, wie man auf die verrückte Idee kam in einem Bergwerk zu rauchen. Das wusste doch jeder, dass man das nicht darf.
"Doch Kleene, er hat wirklich in dem Stollen eine Zigarette rauchen wollen, weil er die Kinder nicht alleine lassen wollte. Da explotierte etwas und er wurde nach draußen geschleudert, da er am Ende des Stollens stand. Er bekam Panik und ist abgehauen, wollte sich vor der Verantwortung drücken. Weil er dachte, er hat alle Kinder getötet. Dann fiel ihm ein, dass er in der Nähe der Grenze ist. Deshalb wollte er abhauen, aus Angst vor der Strafe."
Ich schüttele ungläubig den Kopf. "Das hat er nicht wirklich gesagt. Wie dumm, ist dieser Mensch eigentlich? Selbst, wenn ein Teil der Höhle eingestürtzt wäre, hätte trotzdem ein Teil der Kinder sich in die anderen Stollen retten können, ich begreife den Kerl nicht", fassungslos sah ich Rudi an.
"Doch es ist so. Er hat den Entschluß die Republik zu verlassen erst gefasst, als er schon auf der Flucht war. Hat sich erst drei Tage, um das Bergwerk herum gedrückt, in der Hoffnung, dass jemand kommt. Als niemand gekommen ist, hat er beschlossen abzuhauen."
Kopfschüttelnd sah ich Rudi an. "Das gibt es doch nicht", grübelnd starrte ich, in meine Tasse Kaffee, ich konnte das einfach nicht begreifen. "Weißt du eigentlich, was dieser Jürgen für ein Glück hatte. Wären wir nur drei Stunden später gekommen, wäre der Bub tot gewesen. Ich mache mir totale Vorwürfe, warum ich nicht gleich ins Bergwerk bin. Aber für so verrückt habe ich den Praktikanten nicht gehalten, dass der ohne Hilfe und Erlaubnis in ein Bergwerk einfährt. Ich wollte erst, alles andere ausschließen", grübelnd stützte ich meinen Kopf in die Hände.
"Kleene du hast alles getan, was du tun musstest. Ich hätte wahrscheinlich noch länger draußen gesucht als du. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass der mit den Kindern und noch dazu, ohne Steiger in eine Grube einfährt. Vor allem, hätte ich nicht so tief unten im Schacht, nach den Kindern gesucht. Das ist blanker Wahnsinn."
Ich nickte. "Das stimmt Rudi, die Kinder haben verdammt viel Glück gehabt. In der Höhle, war die Luft besser als draußen im Stollen. Dort hatte ich zum Schluß, kaum noch atmen können. Soviele Methangas waren dort drinnen, dass ich bei den letzten Metern richtig Angst hatte, weiterzugraben. Ein kleiner Funken und der Berg, wäre auf mich drauf gefallen. Wir hatten verdammtes Glück, dass der Berg uns, vor alle, den Kindern gegenüber gnädig war", beende ich meine Erklärung.
Rudi sah mich entsetzt an. "So gefährlich war es dort."
Ich nickte. "Rudi, rufe Sigi an, der kann dir das bestätigen. Was denkst du, warum der so froh war, das wir alle ausfahren konnten. Der wird ein gezielte Sprengung, dort unten machen müssen, um die Sohle zu entschärfen. Sonst muss er bald das ganze Bergwerk schließen. Das Methangas, zieht langsam durch das ganz Bergwerk und dann gibt es eine Katastrophe."
Entsetzen stand auf Rudis Gesicht. Dann atmete er tief durch. "Kleene, darüber denken wir am besten nicht mehr nach, sonst bekommen wir noch so schwarze Haar, wie Conny. Es ist ja gut gegangen, das ist das, was zählt", gezwungen nickte er mir zu.
Langsam trank ich meinen Kaffee aus. Der scheußliche Geschmack in meinem Mund, ließ langsam nach und auch das Brennen im Mund. Nachdem Rudi sein Eis und meins, aufgegessen hatte, stand er auf. "Na, dann wollen wir mal, zu Inge rüber gehen", meinte er. "Oder willst du lieber nicht dort hin, meine Kleene?"
"Doch gerne, ich würde schon gern einmal, Inge besuchen gehen. Ich muss mich doch noch für Inti bedanken, das habe ich noch gar nicht gemacht", erklärte ich leise und stand ebenfalls auf.
"Mam, auf Wiedersehen, Mam", verabschiedete ich mich beim Rausgehen.
Rudi überquerte mit mir die Straße und betrat das Kaufhaus. Wir fuhren mit der Rolltreppe in den erste Stock. Irgendwie, machte mir das Kaufhaus heute keine Angst mehr. Trotz der vielen Leute und des Lärms der hier herrschte. Kaum waren wir im ersten Stock angekommen, kam uns schon Tina entgegen.
"Hallo Rudi, hallo Kahlyn", erfreut sah sie uns an. "Das ist ja eine Überraschung. Wo kommt ihr denn her? Ich dachte ihr seid bei einem Einsatz. Hat mir Max gesagt", erleichtert begrüßte sie Rudi und mich.
"Das waren wir auch bis vor zwei Stunden. Wir sind gerade zurück gekommen. Wir waren gerade drüben ein Eis essen, vielmehr haben es versucht. Das Ergebnis siehst du an Kahlyns Händen und Mund, das war wohl nicht so eine gute Idee. Aber eigentlich kommen wir, wegen eines Anoraks für Kahlyn. Sie hat ja nur die eine Jacke und die wird langsam zu dünn. Sie braucht dringend eine warme Jacke", erklärte er unser Kommen. "Außerdem freut sich Kahlyn darauf Inge und dich, wiederzusehen."
Tina sah mich ernst an. "Dann kommt mal mit ins Büro, rufen wir mal bei Inge an. Schön, dass ihr wieder da seid, ich hab mir schon Sorgen gemacht", Tina sah erleichtert aus.
"Klar kommen wir mit", entschlossen schob mich Rudi ins Büro.
Tina griff zum Telefon und wählte die Nummer von Inge. "Hallo Inge, hier ist Tina. Könntest du bitte mal in mein Büro kommen, du hast Besuch hier…" Tina schwieg einen Moment. "… nein das sage ich dir nicht, komm selber her und schau, wer dich besucht. Wenn ich dir das verrate, ist es doch keine Überraschung mehr", sagte sie lachend und legte den Hörer auf.
Rudi fiel in dem Moment ein, dass er noch einmal die Wache anrufen musste. "Tina, kann ich von deinem Apparat mal in der Wache anrufen, bitte?"
Tina nickte und kam zu mir. "Na Kahlyn wie geht es dir?", interessierte es sie.
"Mir geht es wieder gut. Wie geht es dir? Hat Max den letzen Einsatz einigermaßen überstanden?", erkundigte ich mich bei ihr.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich war es nicht gewohnt, solche Gespräche zu führen.
"Ich glaube nicht so richtig. Aber langsam wird es besser. Ich hoffe nur, der Einsatz war nicht wieder so schlimm", erklärte Tina traurig.
Erschrocken sah ich Tina an. "War es so schlimm Tina?"
Tina nickt traurig. "Seit dem letzten Einsatz, hat Max nicht einen Nacht mehr richtig geschlafen. Jede Nacht, wacht er schweißgebadet auf. Wenn ich ihn frage, was los ist, dreht er sich um und schweigt. Das hat er noch nie gemacht, sonst hat er immer gesagt, was ihn so bedrückt. Diesmal jedoch, will er nicht darüber reden", traurig sah Tina mich an.
"So schlimm? Verdammt noch mal, warum kommt ihr dann nicht einfach einmal zu mir. Ich kann den Jungs doch helfen. Es tut mir leid, Tina. Ich wusste das nicht. Aber die Jungs sind auch selber schuld. Die müssen doch nur einmal kurz den Mund aufmachen. Ich kann doch nicht wissen, dass es ihnen nicht gut geht", wütend sah ich Tina an, in dem Moment kam Rudi auf uns zu.
"Kleene, was schimpfst du mit Tina so?", erschrocken sah er mich an, weil er nicht mitbekommen hatte, um was es ging.
"Ich schimpfe doch nicht mit Tina. Die ist doch lieb. Wenigstens sie hat Vertrauen zu mir. Aber die Jungs, haben das immer noch nicht. Immer muss ich alles alleine heraus bekomme. Tina hat mir gerade erzählt, dass es Max, seit Himmelpfort schlecht geht. Statt einmal mit mir zu reden, quält er sich rum. Rudi, ich weiß nicht mehr, was ich noch mit den Jungs machen soll. Am liebsten, würde ich heute, noch einmal alle abfahren und ihnen noch eine Spritze geben. So geht das doch nicht. Die gehen doch kaputt an der ganzen Sache. Verdammt nochmal."
Wütend ging ich ans Fenster und schaute hinaus. Völlig verzweifelt stützte ich meinen Kopf mit den Hände, auf das schulterhohe Fensterbrett. Ich war so verdammt wütend, dass ich, als mir Rudi die Hand auf die Schulter legen wollte, mich einfach wegdreht.
"Kleene, wir fahren die Jungs dann ab, gebe allen eine Spritze. Vor allem bekommen sie alle einen richtigen Anpfiff und das nicht nur von dir. Du hast ja Recht."
Immer noch wütend, drehte ich mich zu Rudi um, weil ich das Gefühl hatte, er wollte mich nur verspotten. Aber er sah mich ernst an.
"Du gibst mir Recht?", ich war völlig irritiert.
"Ja Kleene, ich gebe dir Recht. Du hast ja auch Recht. Sie brauchen doch nur mal kurz anzurufen und vorbei zukommen, wenn ihnen die Sache zu schaffen macht. Dann geht es ihnen auch besser und sie können sich richtig erholen."
Erleichtert atmete ich auf, weil ich erkannte, dass Rudi es auch so sah. Es war ein Zeichen, dass er mir endlich richtig vertraute.
"Danke Rudi." Ich ging auf Tina zu und nahm sie einfach in den Arm. "Bitte Tina, komme heute Abend mit Max zu mir. Dann gebe ich ihm eine Spritze. Dann hört das auf oder ich mache mit ihm das Krantonak. Blockiere auf die Art einfach alles, dann hat er Ruhe. Sag ihm, ich rede nie wieder ein Wort mit ihm, wenn er nicht zu mir kommt, wenn es ihm schlecht geht."
Tina drückte mich ganz sehr. "Du bist eine Maus. Wirklich. Ich sag ihm das, versprochen."
Erleichtert atmete ich auf. Ich war froh, dass wenigstens Tina und Rudi zu mir Vertrauen hatte. Im gleichen Augenblick klopfte es, an die Tür. Inge kam ins Büro von Tina. Ich drehte mich um, lief ihr schnell entgegen. Am liebsten wäre ich ihr um den Hals gefallen. Dann traue ich mich nicht, sie zu umarmen. Ich hielt ihr nur die Hand hin. Inge zog mich einfach in den Arm, so umarme ich sie auch.
"Na das ist ja eine Überraschung, Kahlyn. Mit allem habe ich gerechnet, aber nicht mit dir. Wie geht es dir denn?", freudig, streichelte sie mir über das Gesicht.
"Gut und wie geht es dir? Danke an euch Beide, wollte ich noch sagen, für Inti."
Inge musterte mich irritiert. "Wer ist denn Inti?"
"Der rote Bär, ich hab mich so erschrocken, am nächsten Tag und dann habe ich mich so gefreut, dass ich weinen musste", platzte es aus mir heraus.
Lächelnd stand Rudi da und freute sich über meine Offenheit. Etwas, was ich Menschen gegenüber, die ich noch nicht so lange kannte, selten an den Tag legte.
"Wie erschrocken?", harkte Inge nach.
"Ich weiß nicht so genau, wie ich dir das erklären soll…", verunsichert sah ich Rudi an.
Inge schob mich an den Tisch. "Setzen wir uns. Erzähle es mir einfach."
Nach Worten suchend, starrte ich auf meine Finger. Dann zu Rudi, der nickte mir zu. "Es ist so gewesen, als ich früh munter geworden bin, war ich erschrocken. Auf einmal hatte ich zwei Bären in den Arm. Aber ich wusste nicht, wie sie zu mir gekommen sind. Sie gehörten mir doch nicht. Ich habe noch nie einen Bären besessen. Ich weiß nicht genau, was ich gedacht habe. Jedenfalls hatte ich den Gedanken, etwas Unrechtes getan zu haben. Ich wusste zwar nicht, wie ich das gemacht hatte. Aber ich wusste, dass ich sie genommen habe musste. Ich hatte sie ja, ohne dass sie mir gehören. Ich ging runter zu Rudi und den Anderen, aber die lachten nur. Mir war aber nicht nach lachen, weil mir ganz schlecht war. Was einen nicht gehört, das darf man auch nicht behalten. Das hab ich dann zu Rudi und Jo gesagt. Zum Glück hat Rudi begriffen, warum ich so durcheinander war. Er hat mir dann erklärt, dass ich nichts Falsches gemacht habe. Das du und Tina, Jo, Viola und Rudi, mir die Bären geschenkt habt. Aber ich wusste nicht, was das bedeutet, wenn ich etwas geschenkt bekomme. Das hat mir dann Rudi und Viola erklärt. Dann habe ich die Bären genommen, mich in die Ecke gesetzt und geweint. Weil das meine ersten Bären waren. Jetzt habe ich drei. Inti, das ist der rote Bär von dir und Tina, dann Ruvijo ist der Bär von Rudi, Viola und Jo, dann hab ich noch einen Tom, der ist von Tom aus unserem Team", sprudelte alles aus mir heraus.
Inge strahlte mich an, weil ich so offen mit ihr sprach. "Das ist doch schön, mein Mäuschen, ich freue mich, dass es dir gut geht. Du bist ganz anders als das letzte Mal, viel lockerer. Es scheint dir gut zu gehen. Aber sag mal, was hast du mit deinen Händen gemacht?"
Jetzt war ich doch verlegen und wusste nicht, wie ich es erklären sollte. Zum Glück half mir Rudi, beim Erklären.
"Inge wir waren Eis essen. Ich habe blödsinniger weise, die Kleene überredet einmal vom Eis zu kosten. Das Ergebnis, siehst du an ihrem Mund und an ihren Händen. Ich hoffe nur, dass sie im Mund, nicht aus solche schlimmen Blasen bekommen hat."
Inge sah mich erschrocken an. "Wieso, bekommst du vom Eis essen, Blasen an den Händen?", konnte Inge nicht verstehen.
"Ich hab das Eis ausgespuckt, weil es so gebrannt hat, da sind Spritzer auf die Hände gekommen", erklärte ich verschämt.
Inge sah mich ernst an. "Mach mal den Mund auf, Kahlyn", forderte sie mich auf.
Verwundert sah ich sie an, öffnete aber den Mund, weil ich nicht wusste, was sie von mir wollte. "Um Gottes Willen, Mädel dein ganzer Mund ist ja blutig. Tina, hast du Kamillentee da?", forderte sie von ihrer Schwiegertochter sofort.
Tina nickte. Sie ging zu einem Schrank und holte ein Paket mit Teebeuteln heraus. Die reichte sie ihrer Schwiegermutter.
"Kannst du Kamillentee trinken, Kahlyn?", fragte mich Inge.
Ich nickte. "Ja, den trinke ich gern", antwortete ich, verstand aber immer noch nicht, was sie von mir wollte.
Sofort lief Inge hinter in die kleine Küche und setzte Wasser auf. Nach einigen Minuten, fing sie an, den durchgezogenen Tee, von einer Tasse in eine andere Tasse zu Grießen.
Verwundert sah ich ihr zu. "Warum machst du das?", bat ich Inge, mir zu erklären, was sie da machte.
"Ich schütte den Tee von der einen Tasse in die andere damit er schneller kalt wird." Kurze Zeit später hatte er Körpertemperatur. "So meine Maus. Du nimmst jetzt den Tee in den Mund und spülst deinen Mund damit aus. Das machst du, bis der Tee alle ist. Die ersten Male wird es tüchtig brennen, aber dann wird es besser werden, du wirst sehen. Aber dem Tee ausspucken, nicht schlucken", ordnete sie an.
Ich befolgte ihren Rat, nach dreimal spülen, stellte ich fest, dass die Schmerzen weniger wurden. Erleichtert sah ich Inge an. Die nickte und streichelte mir die Wange.
"Rudi, Viola soll der Kleinen, aller zwei Stunden eine Tasse starken Kamillentee, zum Spülen geben, dann heilt der Mund in ein oder zwei Tagen ab. Das sind doch unvorstellbare Schmerzen, die das Mäuschen hat. Der ganze Mund ist blutig."
"Aber, wieso hast du davon, Blasen auf den Händen. Kannst du mir die bitte mal zeigen."
Ich nickte wickelte die Binden ab. So wie ich die Binde abgewickelt hatte, holte ich die Haut von den Händen. Rudi, Tina und Inge erschraken.
"Um Himmels Willen, Kleene, das sieht ja schlimm aus", stöhnte Rudi auf.
"Ach, das ist nicht schlimm Rudi. Ich mach dann Brandsalbe drauf, in zwei Tagen sieht man da nichts mehr. Ich hab das schnell mal."
Rudi jedoch, war total durch den Wind, raufte sich die Haare, man sah, dass er sich schlimme Vorwürfe machte.
"Rudi, du musst dich nicht ärgern. Ich bin doch selber schuld. Warum probiere ich auch immer wieder eure Nahrung. Ich weiß doch, dass ich das nicht essen darf. Wirklich, das ist in zwei Tagen geheilt", ich ging auf ihn zu und nahm ihn einfach in den Arm. "Wirklich, das sieht schlimmer aus, als es ist. Es brennt zwar etwas, aber es tut nicht mal richtig weh. Wirklich", versuchte ich meinen Freund, zu beruhigen.
Ernst sah er mich an, ich nickte.
Inge war derweilen, noch einmal Kamillentee kochen gegangen. "Komm noch mal meine Maus", bat sie mich.
Ich stutzte, als ich zu ihr kam, hatte sie auf einem kleinen Tisch, eine Schüssel mit gelbem Wasser stehen.
"Leg deine Hände da mal rein, keine Angst, das ist nur Kamillentee. Das hilft auch, bei deinen Händen."
Wie mir geheißen legte ich die Hände ins Wasser, fast sofort ließ das Brenne nach. Ich konzentrierte mich auf die Heilung. Bei meinen Händen konnte ich das machen, bei den Schleimhäuten, ging das leider nicht. Nach zehn Minuten in dem Kamillentee, sollte ich die Hände wieder heraus ziehen. Als ich das mache, war Inge erstaunt. Meine Hände waren zwar immer noch feuerrot, aber nicht mehr offen.
"Wie hast du das denn gemacht, Mäuschen?" fragte sie mich verwundert.
"Gezaubert. Ich kann bei bestimmten Körperteilen, Händen, Füßen, Arme und Beine. Die Haut in kurzer Zeit erneuern, wenn die Ursache des Schadens beseitigt ist. Das habe ich jetzt gemacht. Bei anderen muss ich das Krantonak einsetzen, bei mir geht das durch Konzentration auf die betreffenden Körperstellen. Allerdings geht es nicht überall. Warum das so ist, weiß ich nicht", lachend ging ich zu Rudi und zeigte ihm meine Hände. "Ich hab dir doch gesagt, es ist nicht schlimm. Nur muss ich ein wenige vorsichtig sein, die Haut ist noch ganz dünn. Sonst geht sie kaputt und es blutet wieder", erklärte ich den Dreien.
Tina ging zu einem weißen Schrank mit einem roten Kreuz drauf. Sie nannte das Verbandskasten, öffnete ihn und holte zwei Binden heraus. "Wickle lieber wieder eine Binde drum, bis es ganz gut ist", bat sie besorgt und schrieb in einer Liste ein, dass sie zwei Binden entnommen hatte.
"Na, dann ist ja alles in Ordnung meinen Kleene. Da bin ich aber froh, dass Inge, solche alten Hausmittel kennt. Die wir sogar bei dir anwenden können", sagte Rudi erleichtert und wandte sich an Inge. "Inge, du wolltest mir für die Kleene, einen Anorak zur Seite tun, hast du daran gedacht? Die Jacke ist schon ein wenig dünn, die Kleene hat schon die ganzen Tage gefroren. Musste bei dem Einsatz, die ganze Zeit nur im Overall rumlaufen. Nur weil wir Deppen nicht daran gedacht haben, eine dicke Jacke für sie mitzunehmen. Da muss sie, jetzt nicht auch noch frieren", erklärte er der Schwiegermutter seines Funkers.
Inge nickte. "Dann kommt mal mit ihr beiden. Tina, wir kommen dann noch einmal zu dir. Bis gleich dann. Oder soll ich die Sachen herholen, damit du dich nicht ängstigst, Mäuschen?", wandte sie sich fragend an mich.
"Nein Inge, das macht mir keine Angst mehr. Ich fürchte mich da draußen gar nicht mehr. Du hast mir doch alles erklärt", sagte ich lächelnd zu Inge.
"Na dann komm." Inge hielt mir die Hand hin, ich ergriff sie sofort.
Rudi allerdings meinte. "Inge, muss ich mitkommen? Kann ich nicht hier bei Tina, auf dich warten? Ich mag Einkaufen nicht sonderlich."
Irritiert sah ich Rudi an.
"Kleene, du bist bei Inge in guten Händen. Ich würde da nur stören", machte er mir Mut.
Rudi wollte mit der Aktion erreichen, dass ich selbstständiger wurde, wie er mir hinterher erklärte. Also ging ich alleine mit Inge mit, bei der ich mich auch vollkommen sicher fühle. Es war ein eigenartiges Gefühl, das ich zu Inge hatte. Ich hätte schwören können, dass ich Inge schon mein ganzes Leben lang kannte, solch ein Gefühl war das. Aber ich hätte nie erklären können warum. Nur einmal hatte ich ein solches Gefühl bisher erlebt, das war bei Conny Lange. Ihn hatte ich auch nur einmal gesehen und er hatte sich tief in meine Seele gebrannt.
"Alles in Ordnung Kahlyn", erkundigte sich Inge. "Du bist so schweigsam."
Ich nickte, wie hätte ich ihr auch meine Gefühle erklären sollen. Ich war mir doch darüber selber nicht im Klaren. Also schwieg ich lieber, auch wenn mich Inge eigenartig musterte. Wir fuhren mit dieser beweglichen Treppe, eine Etage weiter nach oben, in die Sportabteilung, wie es Inge nannte.
"Warum fahren wir hier hoch Inge, dort unten sind doch auch Jacken?", wollte ich einfach wissen.
"Ja schon, aber wir wollen dir doch einen warmen Anorak holen, den du auch im Winter anziehen kannst, die sind hier oben. Keine Angst, ich mache euch einen guten Preis", lächelte mich dabei an.
Verwundert sah ich auf Inge, weil ich nicht wusste, von was sie sprach. "Was heißt das, Inge?"
"Wie meinst du das?"
"Na einen guten Preis machen?", fragend sah ich Inge an.
"Ach so, na ja ich kann doch als Angestellte den Anorak kaufen, dann ist er billiger und du hast was Gutes."
Immer noch sah ich verwirrt aus. Als Inge mir das erklären wollte, winkte ich einfach ab. "Ist schon gut, irgendwann verstehe ich das schon."
Da lachte Inge, wuschelte mir durchs Haar, erst jetzt fiel ihr auf, dass ich beim Friseur war. "Du hast ja einen schönen Schnitt, warst du bei Paule Haar schneiden?"
Ich nickte.
"Da muss ich ihn das nächste Mal loben, richtig schick hat er dich gemacht, Mäuschen."
In dem Moment waren wir bei den Jacken angekommen, Inge ging zu einem Ständer holte eine Jacke und bat mich diese anzuziehen. Sie passte genau.
"Komm, sieh mal in den Spiegel, ob die dir gefällt?" Inge lief zu einem anderen Ständer und holte noch zwei andere Jacken dazu.
Zusammen gingen wir zum Spiegel. Ich hatte einem grünen Anorak mit weißen Streifen auf den Ärmeln an, der ganz lang war. Er reichte mir fast bis zu den Knien. Verwundert sah ich mich im Spiegel an, es sah eigenartig aus. Inge jedoch meinte, ich solle den Roten noch anprobieren, er war kurz über dem Hosenbund. Der gefiel mir um einiges besser, auch hatte er ganz viele Taschen. Einen schwarzen probierte ich noch, der hatte eine Kapuze mit ganz viel Fell, den fand ich total schön. Er war etwas länger als der rote, hat auch so viele Taschen, aber nicht so lang, wie der grüne.
"Na Kahlyn, welcher gefällt dir am besten?", wollte Inge wissen, verlegen sah ich sie an.
Sie gefielen mir alle. Lange sah ich mir die Anoraks an. "Ich glaube der schwarze gefällt mir am Besten, der ist so schön mit dem Fell. Aber der Rote gefällt mir auch gut, ich kann mich nicht entscheiden. Was sagst du Inge?", hoffte ich auf Hilfe, von meiner neuen Freundin.
Inge grinste breit. "Warte einen Moment hier", mit den Worten, verschwand Inge kurz, eine Minute später, kam sie mit noch einem Anorak. "Zieh den mal an", meinte sie. Es war ein roter Anorak mit Fell. Strahlend blickte ich Inge an. "Das ist er wohl mein Mäuschen. Ich sehe es an deinem Gesicht, du strahlst richtig."
Ich nickte, es war der schwarze Anorak nur in rot. Er sah wunderschön aus.
"Nun komm mal mit, ich will mal etwas gucken."
Ohne eine Antwort abzuwarten, zog sie mich hinter sich her. Einige Ständer weiter hingen Mützen, Schals und Handschuhe. Passend zu dem Anorak suchte sie mir etwas aus. Eine rote Pudelmütze, einen rot-weiß gestreiften Schal und rote Handschuhe. Mit weißem Fell. Damit fertig, gingen wir nach unten zu Tina ins Büro.
"Rudi, komm mal mit, ich muss sehen, wie wir das mit dem Preis machen können."
Rudi kam auf mich zu. "Na, du siehst aber schick aus. Ich glaube, da wird Viola staunen. Hoffentlich kann ich das bezahlen", scherzte er und lief hinter Inge her.
Tina sah mich lachend an. "Da habt ihr aber etwas Schönes ausgesucht. Der ist bestimmt ganz warm."
Ich nickte, mir war kochend heiß.
"Dann ziehe ihn doch aus. Hier drinnen ist es doch viel zu warm."
Erleichtert machte ich den Anorak auf, auch legte ich die Mütze, Schal und Handschuhe auf den Stuhl.
"Tina, kannst du mir bitte etwas erklären? Kannst du mir sagen, was ein Preis ist? Ich habe nicht verstanden, was Inge mir erzählt hat", bat ich einfach Max Frau.
"Kahlyn, das ist ganz einfach. Jede Ware die hergestellt wird, hat einen Preis, das heißt es ist der Betrag, den der Käufer zahlen muss, wenn er die Ware mit nach Hause nehmen will."
Verwirrt sah ich Tina an und schaute dann verlegen auf die Füße.
"Kahlyn, du hast nicht verstanden, was ich gesagt habe, stimmt’s?"
Ich nickte verlegen.
"Weißt du was Geld ist?"
Ich wurde ganz rot und schüttelte wieder den Kopf. "Ich hab sowas noch nicht gebraucht, auch noch nie gehabt oder gesehen. Was ist das?"
Überlegend sah Tina auf mich. "Komm mal mit", lächelnd stand sie auf. "Zieh die Jacke aus, im Kassenraum ist es warm."
Schnell zog ich den Anorak aus und legte ihn auf den Stuhl. Lief eilig hinter Tina her. Wir gingen links aus dem Büro und stiegen die Treppe nach oben. Dann genau über Tinas Büro, betraten wir einen Raum. Hinter einem Tresen saß ein Mann.
"Hallo Otto, ich brauche mal kurz eine Kassenschale, eine volle. Ich will Kahlyn schnell etwas erklären."
Otto stand auf und griff in einen großen stählernen Tresorschrank, holte eine schwarze Schale mit vielen Fächern heraus. "Bitte schön Tina, was willst du den der Kleinen erklären?", erkundigte er sich neugierig.
"Otto, die Kleine weiß nicht, was Geld ist."
Verwundert sah er mich an. "Das weiß doch jedes Kind", widersprach er barsch.
"Wie du siehst, Otto. Weiß nicht jedes Kind, was Geld ist. Kahlyn und ihre Freunde wissen das nicht. Aber, das ist eine lange Geschichte. Also Kahlyn, komm bitte einmal zu mir. Pass auf, siehst du diese Geldstücke hier, nennt man Pfennige, das sind…" nach einander erklärte mir Tina jedes einzelne Geldstück. Aber auch die Geldscheine. Es war interessant, was sie mir darüber alles erzählen konnte. Als sie mir das ganze Geld erklärt hatte, kam mir allerdings eine wichtige Frage ein.
"Tina, aber wo bekomme ich das Geld her? Ich hab so etwas nicht. Schade da kann ich den Anorak nicht mitnehmen."
Traurig sah ich sie an, denn der Anorak gefiel mir richtig gut und er war so schön warm. So eine warme Jacke hatte ich noch nie in meinem Leben besessen. Missmutig sah ich zu meinen Füßen. Ich würde ihn also hierlassen müssen.
"Kahlyn, du verdienst doch auf der Wache Geld. Ich denke Rudi wird dir den Anorak erst einmal kaufen. Wenn du noch kein eigenes Geld hast. Du gibst es ihm einfach wieder, wenn du dein erstes Geld bekommst."
Jetzt guckte ich noch dümmer aus der Wäsche. "Ich bekomme Geld auf der Wache? Zu was das denn? Ich kämpfe schon so lange, ich hab dafür noch nie Geld bekommen."
Otto stand da und schüttelte mit dem Kopf, aber Tina lachte.
"Ich denke schon, dass du Geld bekommst, du arbeitest ja schließlich auch. Wer arbeitet verdient Geld, das ist nun mal so. Wer nicht arbeitet, bekommt kein Geld. So einfach ist das."
Jetzt raufte ich mir die Haare. "Oh man, ist das kompliziert bei euch. Wir haben so was nicht gehabt. Wir bekamen immer alles, was wir brauchten von der Schule, da mussten wir nie Geld dafür bezahlen. Der Doko und die Dika, haben auch nie Geld haben wollen und wir haben auch nie, welches bekommen", verwundert, grübelte ich vor mich hin.
"Na komm Kahlyn, das ist nicht schlimm. Wenn du das noch nicht alles verstehst. Mit der Zeit wird es besser, glaube mir. Du gewöhnst dich schon daran. Wenn du noch eine Weile hier wohnst. Glaube mir, das ist nicht so kompliziert, wie du jetzt gerade denkst."
Ich nickte, beim Verlassen des Raumes sagte ich zu Otto. "Sir, danke Sir, das mit Tina das erklären durfte, Sir."
Tina verließ grüßend den Kassenraum und ging mit mir wieder nach unten in ihr Büro, in dem Rudi und Inge auf uns warten.
"Na wo wart ihr denn, Kleene, ich dachte schon, euch haben sie entführt", scherzte Rudi.
"Wer soll uns denn entführen und warum?", erschrocken sah ich Rudi an.
"Niemand, ihr wart nur auf einmal weg", erklärte mir Inge.
"Tina hat mir erklärt, was Geld ist Rudi. Wir können den Anorak nicht mitnehmen. Ich habe kein Geld. Ich kann den nicht bezahlen", jetzt lachte Inge und auch Rudi.
"Kahlyn, der Anorak ist bezahlt. Außerdem hast du Geld, das kommt zwar erst am 15. Oktober, aber das brauchst du nicht. Den Anorak bezahle ich erst einmal, den möchte ich dir gern schenken."
Da lief ich auf Rudi zu und nahm ihn in den Arm, drückte ihn ganz lieb. "Danke Rudi. Du bist so lieb", sprach ich, mit einer eigenartigen Stimme, aber ich konnte das nicht steuern. Plötzlich fiel mir ein, dass wir hier ja schon einmal Sachen, gekauft hatten. "Rudi, wer hat die ganzen anderen Sachen bezahlt, die wir hier gekauft haben. Ich wusste das doch nicht, dass wir das alles bezahlen müssen. Das war bestimmt viel Geld, was ihr da bezahlen musstet."
Rudi wuschelte mir den Kopf. "Keine Angst meine Kleene, du hast Bekleidungsgeld bekommen, für die erste Einkleidung hier. Das haben wir dafür genommen, der Scheck war in deiner Personalakte. Da ist auch noch einiges übrig. Das heben wir aber auf, für deine Wohnung. Irgendwann, möchtest du bestimmt eine eigene Wohnung haben."
Traurig sah ich Rudi an.
"Was ist meine Kleene, warum guckst du so traurig?"
Als ich nicht antwortete, fragte er nach.
"Komm Kleene, was spuckt dir durch den Kopf? Das ist doch nichts Gutes."
"Ihr wollt mich wohl nicht mehr?", erwiderte ich leise und ließ mich auf einen Stuhl fallen.
Erschrocken, sah mich Rudi an und kam auf mich zu, hockte sich vor meinen Stuhl. "Ach meine Kleene, klar wollen wir dich noch. Du erst noch. Du musst doch nicht morgen schon ausziehen. Vielleicht in zehn oder zwanzig Jahren. Wann immer du willst. Dafür werden wir das Geld anlegen. Verstehst du."
Ich sah Rudi an und er lachte. "Ich darf also noch, bei euch wohnen bleiben?"
Rudi zog mich zu sich und nahm mich in den Arm. "Klar meine Kleene, wenn du willst, für den Rest deines Lebens."
Erleichtert atmete ich auf. Ich dachte, ich muss schon wieder weg. Das hätte mich total traurig gemacht. Ich mochte die Runges nämlich sehr.
"Na komm, wir wollen nach Hause fahren", bat mich Rudi.
Er stand auf und zog auch mich auf die Füße. Ich ging zu meinem Stuhl und wollte die dünne Jacke wieder anziehen. Rudi schüttelte den Kopf. "Kahlyn, bitte ziehe die warme Jacke an. Die Mütze, den Schal und die Handschuhe, auch die dünne Jacke, nehmen wir einfach in einen Beutel."
Freudig zog ich die warme Jacke an, es waren draußen nur Null Grad, in der dünnen Jacke war mir ganz schön kalt. Ich war froh eine wärmere Jacke zu haben.
"Danke Inge, danke Tina. Es war wieder schön bei euch. Tina denkst du daran, dass Max unbedingt noch heute, zu mir kommen soll. Damit es ihm besser geht. Bis dann also", verabschiede ich mich und gab den Beiden einen Kuss auf die Stirn.
Auch Rudi verabschiedete sich. Breit grinsend und vor allem glücklich, verließen wir das Kaufhaus.
"So meine Kleene, was machen wir jetzt? Wollen wir mit der Straßenbahn zur Wache fahren oder wollen wir in die Wache laufen."
Meinen Kopf schief haltend, sagte ich einfach, was ich dachte. "Wenn es dir nicht zu weit ist, würde ich gern laufen, Rudi. Ich bräuchte, ein wenig Bewegung."
Durch meine klare Antwort, war es beschlossene Sache, dass wir in die Wache liefen. Es waren nur reichlich drei Kilometer, also ein schöner Spaziergang.
"Rudi, kommen wir da an dem schönen Park vorbei?", erkundigte ich mich bei Rudi, weil ich mir den gern noch einmal ansehen wollte.
"Natürlich, deswegen wollte ich ja laufen. Jetzt hast du auch eine warme Jacke. Da müssen wir nicht mehr mit der Straßenbahn fahren. So kannst du dir die Bäume mal von nahen ansehen. Aber nicht hochklettern, meine Kleene", sprach er lachend zu mir.
Viel gab es unterwegs zu sehen. An einem Fenster mit lauter Büchern blieb ich stehen. So viele Bücher, hatte ich noch nie gesehen.
"Willst du mal rein gehen?", erkundigte sich Rudi bei mir.
"Nein." Sage ich bestimmt. "Ich wundere mich nur, dass es so viele Bücher gibt. Das wusste ich gar nicht", gab ich kleinlaut zu.
"Na, dann komm, gehen wir weiter."
Gemütlich liefen wir weiter, kamen an den kleinen Park mit den vielen alten Bäumen. Wir spazierten gemütlich hindurch. Es war wunderschön hier. Wir beobachteten einige Eichhörnchen. Über die wir uns halb tot lachten. Dann kehrten wir zurück zur Wache. Nur eine halbe Stunde, waren wir gelaufen. Mit der Straßenbahn kam mir der Weg viel länger vor, hatte ich das Gefühl.
Kurz bevor wir die Wache betraten, streichelte mir Rudi noch einmal über das Gesicht. "Komm, gehen wir zu den Jungs. Aber erst, sagen wir Ines noch Bescheid, die soll uns einen Toniwagen bestellen. Ines hat für uns die Jungs angerufen, die warten alle zu Hause auf uns. Wir machen jetzt eine Rundfahrt. So dass du mit allen, noch einmal sprechen kannst. Wenn nötig, spritz du alle nach. Einverstanden."
Ich war so froh, dass mir Rudi jetzt vertraute. Natürlich war ich einverstanden. "Danke Rudi."
Rudi begriff nicht, für was ich mich bedankte. "Für was bedankst du dich, Kleene."
Jetzt lächelte ich ihn an. "Weil du mir endlich vertraust."
Das brachte mir ein Knuffen, in die Rippen ein. Schon betraten wir die Wache und in die Wachstube. Dort wurde ich, mit einem lauten Pfiff begrüßt.
"Hallo Kleene, siehst du aber schick aus, so einen wunderschönen Anorak, möchte ich auch haben", neckte mich Ines lachend. "Schenkst du mir den?"
Ich sah Rudi an, der schüttelte den Kopf. Allerdings hatte ich Ines jetzt schon so oft geärgert, dass ich ihr auch einmal etwas Gutes tun wollte. Lange sah ich sie an und kämpfte einen schweren Kampf mit mir. Dann zog ich den Anorak kurzentschlossen aus und hielt ihn Ines hin. Wieder einmal kam von Ines eine ganz andere Reaktion, als ich erwartet hatte. Statt den Anorak zu nehmen, schüttelte sie den Kopf und gab mir einen Kuss.
"Ach Kleene, das ist deiner. Du freust dich darüber mehr als jeder andere. Dass du eine so schöne Jacke hast, ist wunderschön. Behalte sie ruhig. Ich habe auch eine schöne Jacke. Das war doch nur ein Spaß", lachend nahm sie mich in den Arm.
"Ines, ich verstehe deine Worte, aber ich weiß nicht, was du mit damit sagen willst. Ach man, es ist aber auch schwer mit euch. Du wolltest den Anorak gerade haben, ich hab doch noch die andere Jacke. Warum willst du sie jetzt nicht? Könnt ihr nicht einmal sagen, was ihr wirklich wollt. Damit ich euch verstehen kann", verzweifelt rieb ich mir das Genick.
Rudi kam zu mir und nahm mich in den Arm und gab mir einen Kuss. "Ach meine Kleene, du hast es wirklich schwer mit uns. Aber ich finde es total lieb von dir, dass du Ines deine Jacke geben wolltest. Behalte sie ruhig. Was Ines sagen wollte ist, dass du eine schöne Jacke hast, dass sie neidisch darauf ist. Sie hätte auch gern so eine", versuchte er mir zu erklären, was Ines mit ihren Worten zum Ausdruck bringen wollte.
"Rudi, was ist nur los mit mir? Warum verstehe ich nicht, was ihr sagt? Bin ich wirklich so dumm?", verlegen sah ich auf meine Hände, die immer noch den Anorak hielten.
"Nein Kleene du bist nicht dumm. Nur kennst du leider keine Ironie, keinen Spaß, keinen Sarkasmus. Das sind alles Dinge, die du noch lernen musst. Nur, musst du dir auch Zeit dazu geben. Das lernt man nicht von heute auf morgen, das dauert seine Zeit", versuchte Ines mir zu erklären. Liebevoll nahm sie mich in den Arm und zog meinen Anorak aus meinen Händen. Legte ihn auf den Tresen. "Das wird mit der Zeit. Glaube mir. Ach Rudi, sag mal habt ihr am Wochenende etwas vor?", erkundigte sich Ines kurzentschlossen bei Rudi.
"Warum denn Ines, habt ihr wieder einmal, eine Familienfeier?"
Ines nickte. "Aber die muss ich erst organisieren. Ich will doch der Kleenen, an Hand meiner Familie erklären, wie eine Familie aufgebaut ist. Ich habe heute schon rum telefoniert. Wir würden alle zu Carlos fahren, ins Klubhaus. Dort könnten wir das, Kahlyn in Ruhe erklären. Jo, Viola und die Kinder auch John, Carmen und Ramira habe ich schon eingeladen. Nur ihr beide fehlt noch und die Zusagen von drei aus meiner Sippe, die kommen aber noch die Zusagen. Du weißt ja Rudi, wenn es ums Feiern geht, ist meine Bande immer da. Aber der Saal ist nur am Freitagabend, ab 20 Uhr frei."
Rudi klopfte Ines auf die Schulter, dann sah er mich an. "Na Kleene, was denkst du? Wollen wir mal zu Ines fahren, am Wochenende? Das wird ein Spaß. Also ich freue mich drauf. Ich würde gern kommen. Aber ich komme nur, wenn die Kleene auch kommt", jetzt sah er breit grinsend zu Ines.
"Ich kommen mit, aber…", druckste ich herum.
"Was aber?", fragten Ines und Rudi gleichzeitig.
"... was ist, wenn es mir zu viel wird? Du weißt doch, ich bin sowas nicht gewohnt Rudi. Ich denke da nur, an die Geiselnahme, weißt du mit diesem Mädchen und…" druckste ich kurz rum. "… ich mag diesen Onkel Miguel nicht."
"Ach Kleene, da warst du doch total durch den Wind, krank, total übermüdet und total ausgehungert. Jetzt geht es dir doch besser. Miguel wirst du lieben, es gibt keinen, der den nicht nach einer halben Stunde liebt. Weißt du, wenn es dir zu viel wird, dann fahren wir nach Hause. Geb den Leuten einfach eine Chance."
Ich holte tief Luft. Damit hatten wir eine Einladung, zu einer Familienfeier am Freitag. Leider war ich mir gar nicht sicher, ob ich mich darauf freuen sollte. Ines die mich genau beobachtet hatte, fiel das sofort auf.
"Kleene, du muss vor Onkel Miguel keine Angst habe. Du wirst ihn nach der Feier lieben. Glaube mir, der ist total lieb, vor allem lustig."
Ich nickte unsicher, nahm mir aber vor Ines zu vertrauen. Genauso wie mir Rudi vertraute. Denn ich konnte nicht von anderen Menschen Dinge verlangen, zu denen ich selber nicht bereit war.
"In Ordnung Ines, ich glaube dir. Du hast mich noch nie angelogen", erkläre ich ihr ernst.
Ines streichelt mir übers Gesicht.
"Aber etwas anders Rudi, wann soll ich dir den Toniwagen rufen?", erkundigte sich Ines jetzt bei Rudi, der sah allerdings mich fragend an.
"Ines frage Kahlyn bitte. Ich weiß nicht wie lange sie hier braucht."
"Rudi, ich muss erst mit den Jungs reden. Aber weißt du, was gut wäre, wenn mir Doko Karpo seinen Medi-Koffer gibt, dann kann ich meinen voll lassen. Die Jungs aus dem Toniwagen, können den dann wieder hoch zu Doko Karpo bringe. Ich sage rechtzeitig Bescheid, wenn ich den Wagen brauche."
Rudi schmunzelte. "Ines, du rufst Doko Karpo an, wegen des Koffers und schicke jemanden aus der Wachstube hoch. Wir beide Kahlyn, gehen nach hinten. Also komm", verabschiedeten wir uns und wollten gehen.
Ines rief mir hinterher. "Kahlyn, dein Anorak."
Ich drehte mich um und holte meine Jacke. Lief nach hinten in den Bereitschaftsraum. Rudi war allerdings schon verschwunden. Ich hing meine Jacke über einen der Stühle. Rudi kam gerade von hinten, aus dem Besprechungszimmer, dort saßen die Jungs alle bei der Auswertung des Einsatzes. Rudi nahm mich mit nach hinten und schob mich einfach ins Zimmer.
"Guten Tag", grüßte ich alle.
Ein freundliches "Hallo Kahlyn", bekam ich von allen, zurück.
Kaum dass ich mich setzen wollte, winkten mich Ronny und Detlef zu sich nach vorn. Beide standen an den Tisch gelehnt. "Komm mal zu uns Kahlyn, wir wollen mit dir reden", bat mich Ronny einfach, klopfte mit der Hand auf den Tisch neben sich.
"Was ist?", erkundigte ich mich verwirrt.
"Na guck doch nicht gleich wieder, wie ein Eichhörnel, dem man die Nüsse geklaut hat", neckte Ronny mich lachend, als er mein verwirrtes Gesicht sah.
Zwinkernd zeigte er auf den Platz zwischen sich und Detlef. Ich ging verwirrt nach vorn und setzte mich einfach auf den Tisch, zwischen die beiden Teamchefs. Rudi ging nach hinten, setzte sich neben Passy, der vom Delta-Team war.
"Was ist?", fragte ich jetzt noch einmal, diesmal drehte ich meinen Kopf zu Ronny, der mir ja vorwarf, wie ein Eichhörnel zu gucken.
Der lachte mich an. "Also mein Engel mit den wunderschönen orangenen Augen, wir möchten, dass du uns hilfst. Damit wir endlich, mit Himmelpfort klar kommen. Bei meinem Team geht es mittlerweilen einigermaßen. Aber die Jungs vom Delta-Team, haben noch akute Problem."
Ich sah die Jungs an. "Warum, sagt ihr denn da nichts? Ich habe heute schon mit Tina gesprochen, der Frau von Max. Es muss doch nicht sein, dass ihr euch wochenlang quält. Das ist auch der Grund, warum Rudi und ich noch einmal hierher, in die Wache gekommen sind. Ich kann euch doch helfen. Woran, habt ihr am meisten zu kämpfen?", stellte ich die Frage, die mich selber am meisten beschäftigte.
Die Jungs drucksten herum und wollten nicht so richtig mit der Sprache herausrücken. Wieder einmal zeigte sich, dass sie genauso wenig über ihre Gefühle reden konnten, wie ich selber. Ich ahnte, was ihn ihnen vorging.
"Was habt ihr denn? Habt ihr immer noch kein Vertrauen zu mir? Denkt ihr vielleicht, ich lache euch aus, weil ihr mir sagt, dass ihr nicht schlafen könnt", wieder sah ich in die Runde und bekam, das eine oder andere nicken. "Glaubt ihr vielleicht, ich lege mich nach so einem Kampf ins Bett und schlafe traumlos, erwache am nächsten Morgen erholt. So als wenn, nichts gewesen wäre."
Einige nickten. Wütend sah ich die Jungs an, die genickt hatten, obwohl es eigentlich ungerecht war. Das wusste ich selber, doch machte es mich wütend, wenn jemand so schlecht von mir dachte.
"Da irrt ihr euch aber gewaltig. Ich habe oft wochenlang Alpträume, sehe die Bilder von den Toden. Ich sehe das Entsetzen in ihren Augen, rieche sogar das Blut und schmecke es. Auch nach den vielen Kämpfen dieser Art, die ich hinter mir habe, kann ich das nicht in zwei Stunden vergessen. Wenn ihr mir nicht glaubt, fragt John. Der weiß es genau. Er hat weil ich die Verbindung nicht getrennt habe, meine Alpträume gesehen. Auch, wenn der Kampf von Himmelpfort, kein schlimmer Kampf war. Verfolgen mich diese Bilder jede Nacht."
Verwundert sahen mich die Jungs an, manche sogar richtig wütend.
Raphi, der ja noch nie seine Wut über etwas, zurück halten konnte, platzte heraus. "Kahlyn, der Kampf war nicht schlimm. Er war die Hölle. Ich dachte ich komme, da nie wieder raus. Ich dachte, ich muss dort unten sterben. Ich habe heute noch das Gefühl dreckig zu sein."
Viele der Jungs bestätigten mir, dass es ihnen ähnlich ging.
Auch ich nickte "Ich weiß Raphi, das geht mir auch so. Was glaubt ihr, weshalb ich das Duschen hier so genieße. Weshalb, ich so oft dusche?"
Raphi starrte mich an. "Kahlyn, was kann schlimmer sein als Himmelpfort?"
Ich schluckte hart und rieb mir das Genick, fuhr mir mit den Fingern durch die Haare. Mir fiel da so verdammt vieles ein.
"Mir fallen da einige Sachen ein, die wesentlich schlimmer waren, als Himmelpfort. Der Kampf von Cyrla, als wir mit zweiundachtzig Leuten, über sechstausend Kämpfer gegenüberstanden und ich acht meiner eigenen Leute töten musste, weil sie außer Kontrolle gerieten. Oder Cienaguilla in Kuba vor fünf Monaten, wo wir mit zehn Kämpfern, gegen eine ganze Rebellenarmee kämpfen mussten, nur mit Pfeil und Bogen bewaffnet. Weil uns der Oberstleutnant auf dieser Mission, nur Nahkampfwaffen erlaubt hatte. Wir kämpften dort gegen Maschinenpistolen, Handgranaten, Mörser mit Messern, selbst gebaute Sperren, Fallen, mit Pfeil und Bogen, die wir uns im Nationalpark Sierra Maestra gebaut haben. Glaubt mir, das, was ihr in Himmelpfort erlebt habt, war schlimm. Aber es gibt schlimmere Sachen, die euch mehr anhängen", wieder, rieb ich mir das Genick. Dann sah ich auf meine nervös spielenden Finger. Ganz leise, als wenn ich nur zu den beiden Teamleitern sprechen würde, begann ich zu erklären. "Wisst ihr, als wir damals von dem Einsatz mit Conny kamen, als wir das Drogenlabor zerstört hatten. Gab es einige von eurer Seite, die mir vorwarfen, dass ich gern töte würde. Damals habt ihr mich nicht verstanden. Heute jedoch versteht ihr mich. Vielleicht könnt ihr, jetzt auch das besser verstehen, was ich euch sage will, obwohl ich mir da, nicht ganz sicher bin. Ihr müsst…" Jetzt schaute ich die Jungs offen an. "… ihr müsst einfach darüber reden. Ich weiß es ist schwer vorstellbar für euch. Das Reden helfen soll. Ihr denkt, was nutzt es über diesen Wahnsinn zu reden. Meinen Freunden und mir, hat es immer geholfen, über all das zu reden, was uns am meisten zu schaffen machte."
Ich rutschte etwas nach hinten auf den Tisch und zog die Beine auf den Tisch, einfach um Zeit zu gewinnen. Setzte mich so auf meine Fersen, um mich besser in mein Qi zu atmen. Das, was ich jetzt erzählte, brachte viele schlimme Erinnerungen an die Oberfläche. Ich durfte nicht zulassen, dass diese Erinnerungen mich in ihre Fänge bekamen, dann konnte ich den Jungs nicht helfen. Ganz leise fuhr ich fort, in dem ich den Kopf hob und die Jungs offen ansah.
"Glaubt mir bitte eins, mir machen die gleichen Dinge zu schaffen wie euch. Das Entsetzen, das man in den Augen des getöteten Gegners gesehen hat. Der Schrei des Entsetzens, den der Gegenüber von sich gegeben hatte, als er merkte, er würde sterben. Seinen ungläubigen Blick, weil er begreift, dass er verloren hat. Aber auch das Zischen des letzten Atemzuges des Getöteten. Das Entsetzen, das man verspürt, wenn man den Geschmack fremden Blutes im Mund schmeckt. Der Geruch des Todes, der sich nach wenigen Minuten, im Kampfgebiet breit macht, den man nicht mal benennen kann. Dieses widerliche Gefühl, was man hat, wenn man ein Genick brechen hört. Oder, wenn man, mit dem nackten Füßen, im warmen Blut zu stehen. Das man trotz der Wärme des Blutes, in dem man steht und das man spürt, am ganzen Körper friert,als wenn es eisig kalt wäre. Wie man am liebsten aufhören möchte, zu atmen. Weil jeder Muskel im Körper verkrampft ist, man das Gefühl hat, all die Toten stehen auf deiner Brust und wollen alle verhindern, dass du weiteratmest. Das Gefühl, was man hat, weil man ständig, gegen den aufkommenden Brechreiz kämpft, weil du dich vor dir selber ekelst", ich sah den Jungs an, dass es genau die Sachen waren, die ihnen so schlimm zu schaffen machten. "Das was ihr da spürt, ist genau das, was ich auch jedes Mal durchlebe. Das Schlimme ist, dass man sich die Schuld gibt, für den Tod dieser Menschen. Die Schuld, nicht bei dem Getöteten sucht. Demjenigen, der uns ja dazu gezwungen hat, ihn zu töten, uns keine andere Wahl ließ. Sondern, dass man die Schuld nur bei sich selber sucht. Man nach dem Kampf überlegt, ob es nicht eine andere Möglichkeit gegeben hätte, eben diesen Kampf zu verhindern. Ich weiß nach so vielen Jahren, dass es sinnlos ist darüber nachzudenken. Aber trotzdem, tue ich es immer wieder. Das ist der Grund, weshalb ich nach solchen Einsätzen, nicht ansprechbar bin. Weil ich Angst davor habe, dass meine Wut auf mich, von mir Besitz ergreift. Dass ich in meinen Wahn oder nennt es Alptraum, anfange gegen die verkehrten Leute kämpfe. Weil ich nach dem Erwachen aus dem Kampf, oft nicht genau weiß, bin ich noch im Kampf oder ist es schon vorbei. Bin ich schon zu Hause oder ist es nur eine kleine Kampfpause. Weil ich nicht weiß, ob mich der Blutrausch noch im Griff hat oder ob es schon der Wahnsinn ist, dem ich erliege. Weil sich alles vermischt, weil alles durcheinander geraten ist, was ich an Gefühlen habe. Ich weiß verdammt gut, wie ihr euch fühlt. Ich habe das schon tausendmal erlebt", müde rieb ich mir das Gesicht. Holte tief Luft. "Aber, ich komme damit immer noch nicht klar. Die Bilder sind immer noch da, sie tun immer noch weh. Vermischen sich mit Bildern, aus früheren Kämpfen, bekommen noch mehr, von ihrer zerstörerischen Kraft. Ihr habt nur einen so schlimmen Kampf erlebt. Ich schon Hunderte. Deshalb weiß ich eins, ihr müsst, so oft es geht, darüber reden. Wie ihr euch fühlt, was euch Probleme macht. Der eine verkraftet es besser, der andere schlechter. Die starken, müssen die schwächeren auffangen, ihnen Halt geben. Wenn es ihnen schlecht geht, sie in den Arm nehmen und halten. Nur so, verliert das Böse seine zerstörerische Kraft, weil man sich beschützt fühlt. Deshalb suche ich nach solchen Kämpfen, wenn ich wieder da bin, die Nähe von Menschen die ich liebe. Wie Rashida, John, Rudi, nur deshalb, weil nur ihre Anwesenheit, ihre Körperwärme, ihre Liebe, mir die Kraft verleiht, gegen den Wahnsinn der in mir tobt anzukämpfen. Weil nur diese Nähe verhindert, dass ich wahnsinnig werde oder völlig vergesse, wo ich bin. Es hat nichts mit Schwäche zu tun, im Gegenteil. Es zeigt eure Stärke, zeigt, dass ihr Verantwortung übernehmt, dass ihr begriffen habt, dass nur ihr selber entscheiden könnt, ob ihr die Hilfe auch annehmt oder nicht. Nur so könnt ihr, für euch entscheiden, ob euch dieser Einsatz zerstört. Nur so wachst ihr als Team zusammen. Nur dadurch wandelt ihr die destruktive Kraft des Bösen, des Zerstörerischen, in etwas Positives um. Je öfter ihr darüber sprecht, umso weniger machen euch die Bilder aus. Auch, wenn es euch nicht glaubwürdig erscheint, ist es so. Je öfter ihr diese Bilder seht, je öfter ihr deswegen weint, um so mehr verlieren sie an der Schärfe, an ihrer zerstörerischen Kraft. Jedenfalls dann, wenn ihr mit denen darüber sprecht, die das Gleiche wie ihr erlebt haben. Es nimmt diesen schlimmen Erinnerungen, gleich welcher Art, die Kraft des Wahnsinns", müde sah ich die Jungs an, die mich ungläubig an sahen.
Raphi war wieder derjenige der aussprach, was viele dachten. "Warum sprichst du dann nie über das, was dich bedrückt Kahlyn?"
Traurig sah ich Raphael an. "Weil das, was mir zu schaffen macht, euch umbringen würde. Weil ihr die Kämpfe nicht aus meiner Perspektive sehen könnt. Fragt John, er sah meine Sichtweise nach Himmelpfort, weil ich die Verbindung nicht geschlossen hatte. Fragt John, sein Herz wäre fast stehen geblieben, als ich ihm erzählt habe, was in Rumänien wirklich passiert ist. Das allerdings war weit weniger schlimm, als das, was ihr in Himmelpfort erlebt habt. Nur haben wir damals, einen unverzeihlichen Fehler gemacht. Einen Fehler, der uns bis heute noch zu schaffen machte, uns nicht zur Ruhe kommen ließ. Aber jetzt hat dieser Alp, ein Ende gefunden, ich habe es bereinigt. Habe eine Selbstanzeige gemacht und dafür gesorgt, dass diese Kinder, endlich ihre Ruhe finden. Dass sie endlich beerdigt werden können. Aber darum geht es nicht. Ihr müsst lernen, mit dem was ihr erlebt habt, zu leben. Es ist jetzt ein Teil von euch. Es macht euch entweder, zu einem besseren oder aber, zu einem schlechteren Menschen."
"Wieso?" Kurt, vom Delta-Team, er verstand es nicht. Er begriff einfach nicht, was ich meine.
"Du fragst, wieso? Ganz einfach Kurt. Wenn du zulässt, dass diese Erlebnisse, dich und deine Familie kaputt machen. Wenn du dich, deiner Familie gegen über sperrst, dich abschottest, dich wegdrehst. Dann zerstörst du das Vertrauen, das deine Familie zu dir hat. Du lässt dann irgendwann, deine Aggressionen an deiner Familie aus. Zerschlägst etwas oder was noch schlimmer ist, du schlägst dann, irgendwann deine Frau oder deine Kinder, nur weil du mit dir selber, nicht mehr klar kommst. Dann Kurt, wirst du ein schlechterer Mensch. Wenn du aber lernst, mit dem Erlebten klar zu kommen, es als ein Teil von dir annimmst, in dem du zu deiner Frau sagst. ‚Mir ist etwas Schreckliche passiert, etwas, dass ich so schnell nicht verarbeiten kann. Über das ich mit dir nicht reden kann, weil es dich zerstören würde. Nehme mich bitte in den Arm und halte mich einfach ganz fest, ich habe Angst zu schlafen. In meinen Träumen, sehe ich diese schrecklichen Dinge, immer wieder.‘ Dann weiß deine Familie, was mit dir los ist. Kann sich auf dich einstellen. Sie weiß, warum du auf einmal so anders bist. Du auf einmal zusammenzuckst, wenn sie dich berührt. Vielleicht kannst du ihnen auch einiges erzählen, nicht alles. Das würde deine Familie zerstören, aber die weniger schlimmen Dinge. Kurt, dann wissen sie, dass es schlimm war und können Rücksicht nehmen. Deine Familie kann dir die Zeit geben, es zu verarbeiten", wieder sah ich die Jungs traurig an und merkte, dass genau das passiert war, was ich ihnen erzählte. "Dann darfst du allerdings, nicht auch noch den Fehler begehen, den viele schlechte Menschen oft machen, dass du dich selber bemitleidest. Das hat Conny gemacht, als ich ihn kennen lernte. Erst als er begriffen hatte, dass es nichts gab, was an ihm zu bemitleiden war, erst dann wurde er zu dem Conny, den ihr alle kennt. Ein super Kamerad, ein guter Freund, auf den immer Verlass ist. Wenn du dich allerdings bemitleidest, dann ziehst du andere in dein Leid. Zerstörst mit deinem Selbstmitleid, das Leben der Andern. Nur dann Kurt, wenn du aufstehst nach so einem Kampf, unter die Dusche gehst, dir den ganzen Dreck von der Seele wäschst. Erst dann wenn du den blutigen Geschmack des Todes, von deiner Zunge wäschst, dann wirst du frei sein. Erst wenn du akzeptierst, dass es nur so und nicht anders machbar war, dass es nun einmal so ist, wie es ist, dann lernst du damit umzugehen."
Ernst ah ich Kurt und die Jungs an. Starrte beklommen auf meine Hände. Dann jedoch nahm ich die Schultern zurück und sah mit einem Lächeln zu den Jungs.
"Der nächste Einsatz lenkt dich von den schlimmen Dingen ab, so wie der heutige. An solchen Einsätzen, musst du dich klammern, wie an ein Rettungsseil. Das sagte mir einmal ein Oberst der Tschechischen Polizei, als mich ein Einsatz zerstören wollte. Ein Einsatz der noch schlimmer war als Himmelpfort. Er behielt recht, mit dem was er mir damals erklärte. Diese Einsätze sind es, die unseren Beruf schön machen. An die strahlenden Kinderaugen, die dich dankbar ansehen. Dir lachend um den Hals fallen oder weinend in deinen Armen liegen, weil sie nicht mehr dran geglaubt haben, gerettet zu werden. Den Gedanken, wie glücklich wohl die Eltern dieser Kinder sind, dass alle noch leben und nun doch noch eine Zukunft haben. Die Gedanken an deine Kinder oder an die Kinder deiner Freunde, wenn du keine eigenen hast. So wie Tim, Tom, Jenny, an die musst du denken. Diese Bilder geben dir Kraft. An solche Bilder musst du denken, wenn es dir schlecht geht. Wenn die schrecklichen Bilder wieder kommen und dich wieder einmal zerstören wollen."
Fassungslos sahen mich die Jungs an, konnten wahrscheinlich gar nicht begreifen, was ich ihnen da alles erzähle. Ich wusste, dass sie eine Weile brauchten, damit ihnen bewusst wurde, was ich ihnen alles erzählte. Allerdings ich war noch nicht fertig.
"Aber, mache nicht den Fehler den viele machen, nach solch einem Einsatz zum Alkohol zu greifen, um die Bilder zu betäuben, davon kommst du nicht mehr los. Denke an all deine Freunde, die du retten konntest. Die, weil du töten musstest, heute noch am Leben sind. Das hilft dir. Euch hier sitzen zu sehen, hilft mir, beim Verarbeiten all dessen, was in Himmelpfort geschehen ist. Ich weiß, hätten meine Freunde mir nicht geholfen, wären Vier/Fünftel von Euch, nicht mehr am Leben. Das ist es, was mir hilft weiter zu leben, nach all den schlimmen Dingen. Nach Chile, wo ich über die Hälfte meiner Leute verlor und als nach unsere Flucht, an den Folgen, noch einmal so viele starben. Das half mir darüber hinweg, wenn ich meine Freunde töten musste, um schlimmeres zu verhindern. Ich konnte mich nicht an den Toten orientieren. Eigentlich hätten wir, bei jedem Einsatz alle tot sein müssen. Wir waren nach Chile, von dreiunddreißig Kämpfern noch vierzehn. Glaubt mir eins, das war tausendmal schlimmer als Himmelpfort. Dort seid ihr alle unbeschadet, davon gekommen. Also, nehmt die Köpfe hoch, die Schultern zurück und denkt an die Kinder, die wir heute aus dem Bergwerk gerettet haben, etwas Schöneres gibt es nicht. Ich weiß nicht, ob das, was ich euch jetzt gerade gesagt habe, euch helfen kann. Aber ich weiß, dass ich euch so Wege aufzeichnen kann, die ihr gehen könnt. Ob und welchen Weg ihr geht, das ist alleine eure Entscheidung. Jeder einzelne von euch, muss seinen eigenen Weg finden, die Starken können die Schwachen nur stützen. Gehen jedoch müssen auch die Schwachen ihren eigenen Weg. Nur so, gibt es eine Lösung für jeden. Wenn jemand von euch, gar nicht klar kommt, dann macht den Mund auf. Kommt zu mir, bevor euch diese Sache ganz zerstört. Ich kann euch die Erinnerungen nehmen. Aber ihr müsst zu mir kommen, anders geht es nicht. Ich gebe euch allen noch einmal das N93, das schwächt die schlimmen Symptome etwas ab. Aber das Reden, über diese ganze Sache, dass bleibt euch nicht erspart."
Kurz entschlossen beendete ich, meinen viel zu langen Vortrag, den ich aber halten musste, damit die Jungs verstanden, um was es ging. Innerlich hoffte ich, dass die Jungs sich viel heraus genommen hatten. Ich konnte ihnen nur Richtungen zeigen, die Wege mussten sie selber finden. Der gangbare Weg war bei jedem Kämpfer unterschiedlich. Martin, aus dem Delta-Team, sah mich fragend an.
"Was ist Martin?"
"Kahlyn, was geschieht mit den Erinnerungen, die du uns nimmst?"
"Was soll damit geschehen, die nehme ich in mir auf, dann belasten sie euch nicht so, mir machen diese Erinnerungen nichts aus. Ich habe viel schlimmer Sachen erlebt. Es sind ein paar Erinnerungen mehr, die ich nicht mag. Es gibt Schlimmeres", sagte ich das, was ich dachte.
Jetzt stand Rudi auf. "Kleene, du kannst doch nicht unbegrenzt, schlechte Erinnerungen aufnehmen, wie lange willst du das denn noch durchhalten?", machte er mich drauf aufmerksam, dass auch ich nicht alles schlucken konnte.
Jetzt lachte ich. "Rudi, du musst dich nicht sorgen. Ich habe in den vielen Jahren eins gelernt, schlechte Dinge schnell zu vergessen. Nur die ganz schlimmen Dinge, lassen mich nicht los. Die bleiben leider für immer im Gedächtnis, als wenn sie eingebrannt wären. Aber die Sachen, die ihr in Himmelpfort erlebt habt, gehören nicht dazu. Die machen mir ein paar Wochen zu schaffen, dann kommt wieder ein schlimmer Einsatz, auf einmal sind sie weg", sprach ich lachend zu Rudi.
Mein Major schüttelte den Kopf.
Arno der Stellvertretende Teamleiter vom Beta-Team stand auf und kam auf mich zu. "Kahlyn, darf ich dich mal in den Arm nehmen?"
Ich nickte völlig irritiert. Arno nahm mich einfach in den Arm und hielt mich ganz fest. Es tat so verdammt gut. Es strömte eine Wärme von ihm aus, ein Gefühl der Geborgenheit, dass ich so nicht kannte. Als er mich wieder los ließ, sah ich ihn mit schiefgehaltenen Kopf an.
"Du weißt nicht, warum ich dich jetzt gedrückt habe?", wollte er lächelnd von mir wissen.
Ich nickte ihm zu.
"Kahlyn, schau bitte mal. Du bist sechszehn Jahre alt, wir sind hier fast alles Familienväter, die selber schon Kinder in deinem Alter haben. Statt, dass wir dir helfen, mit so einer Sache klar zu kommen, bekommen wir von dir Ratschläge. Vor allem solche, die uns wirklich helfen. Aber sag mal, woher weißt du das alles? Viele Dinge, von denen du gerade gesprochen hast, kannst du doch gar nicht wissen. Du hast doch keine Familie."
Traurig sah ich ihn an. "Das stimmt nur bedingt, Arno. Meine Freunde waren meine Familie. Ich habe sie genauso, wie ihr eure Frauen, zurück gestoßen. Manche haben versucht sich mit Alkohol zu betäuben, haben sogar Drogen genommen, um damit klar zu kommen. Aber irgendwann habe ich begriffen, dass das alles nicht hilft. Dass es mich und die anderen nur zerstört. Ich habe für meine Freunde und mich einen Weg gefunden, diese schlimmen Dinge zu akzeptieren. Auch, wenn es immer noch schwer ist. Du musst wissen, ich habe schon immer mehr Emotionen gehabt, als meine Freunde. Denen hatten diese schlimmen Kämpfe nie so viel ausgemacht, wie mir. Aber weißt du, was mir am meisten geholfen hat. Das meine Familie, meine Freunde aus der Schule mich gebraucht haben. Das es niemanden hilft, sich selber zu bemitleiden. Das ich immer wusste, wenn ich aufgeben würde, dann könnte ich sie beim nächsten Kampf nicht mehr beschützen. Deshalb bin ich immer wieder aufgestanden. Habe den Alkohol, weggeschüttet, die Drogen verbrannt. Habe, so meine Freunde davor bewahrt, sich selber zu zerstören. Fand auf einmal, dass es besser ist, es zu akzeptieren, als dagegen anzukämpfen. Auf einmal war es dann so, dass ich einige Stunden nach dem Kampf wieder lachen konnte. Plötzlich war alles nicht mehr so schwer. Selbst, wenn die Bilder mich in der Nacht verfolgen, lasse ich nicht zu, dass sie mir meine Tage versauen. Deshalb ist es wichtig, dass ihr das lernt. Doko hat einmal zu mir gesagt. ‚Kahlyn, weißt du, wenn man lacht, ist alles nicht so schwer, die Schmerzen, die Trauer und die Last der Verantwortung.‘ Ich war damals erst ein Jahr alt. Aber ich begriff, was er mir sagte, deshalb lache ich so gern. Weil das Leben, dann um so vieles schöner ist."
Lange sah ich Arno an. Er streichelte mir übers Gesicht. "Du hast so Recht, Kahlyn. Danke du hast mir sehr geholfen, mit deiner ehrlichen Antwort."
Ich nickte, atmete tief durch. "Also kommt, ich gebe euch allen noch einmal fünf Einheiten N93 und wenn es in fünf Tagen immer noch nicht besser ist, ruft ihr bei Rudi an. Dann gebe ich euch noch einmal eine Spritze. Ich denke dann habt ihr das Schlimmste geschafft. Glaubt mir eins, beim nächsten schlimmen Einsatz, ist es danach nicht mehr so schlimm. Man gewöhnt sich zwar nicht dran, aber man lernt schneller damit umzugehen. Ich habe euch allen, den schnellen Schlaf beigebracht, nutzt den in den nächsten Tagen, dann werden euch die Träume, nicht so schlimm verfolgen."
Mit diesen letzten Worten stand ich auf und ging nach vorn in den Bereitschaftsraum, dort stand schon der Medi-Koffer. Sofort, nach dem ich wieder im Besprechungszimmer war, gab ich allen Jungs noch eine Spritze. Kurt und Martin aus dem Delta-Team, nahm ich mit in die Abstellkammer, in dem ich schon einmal geschlafen hatte. Die Beiden, hatten richtig schlimm mit den Erinnerungen zu kämpfen. Über das Krantonak schwächte ich die Wucht der Bilder etwas ab, aber ich nahm sie den Beiden nicht. Das was Beide erlebt hatten, war schon sehr extrem. Deshalb hatten die beiden Kollegen auch schlimmer mit den Auswirkungen zu kämpfen, wie die Anderen. Aber mit den abgeschwächten Bildern konnten sie leben, lernten auf diese Weise für sich einen Weg zu finden, um in Zukunft mit solchen Dingen klar zu kommen. Gemeinsam gingen wir vor zu den anderen. Trotzdem bat ich Ronny, Detlef und Rudi, um eine kurze Unterredung im Büro. Kaum hinten im Büro angekommen, brachte ich gleich das vor, was ich auf dem Herzen hatte.
"Rudi, ich weiß ja, dass die Teams, die Dienst haben, die Wache nicht verlassen dürfen. Aber ich bitte dich, Ronny und Detlef darum, bei Martin und Kurt eine kleine Ausnahme zu machen. Bitte darum, ihnen einen Toniwagen zu geben, damit die beiden noch einmal nach Hause fahren können. Meiner Meinung nach, sind beide im Moment nicht einsatzfähig. Ich habe bei beiden das Krantonak gemacht, die Erinnerungen, die den Beiden zu schaffen machen, sind wirklich heftig gewesen. Habe die Erinnerungen von ihnen, jetzt etwas abgeschwächt. Aber ich habe auch gesehen, dass sie seit Himmelpfort, zu Hause arge Probleme hatten, weil sie sich von ihren Frauen abgewendet und niemanden mehr an sich heran gelassen haben. Ich denke die beiden sollten diese Probleme, mit ihrer Familie klären, bevor sie wieder zum Dienst kommen dürfen. So, können sie nicht arbeiten."
Detlef sah mich entsetzt an. "Martin liebt seine Frau abgöttisch und die ihn auch, die haben noch nie Probleme gehabt", meinte er entsetzt.
Ich nickte. "Das mag sein Detlef. Aber ich habe die Bilder gesehen. Martin ist zu Hause richtig ausgeflippt, hat die Wohnung kurz und klein geschlagen. Am liebsten, würde ich der Frau erklären, was mit ihm los war. Aber ich denke auch, dass Martin das alleine hinbekommen muss, wenn er aber Hilfe braucht, werde ich mit dessen Frau reden. Ich glaube nicht, dass so etwas noch einmal vorkommt. Er hat für sich einen Weg gefunden, muss ihn nur noch gehen. Ich habe ihn etwas unterstützt, aber um das alles regeln zu können, muss er sich mit seiner Frau aussöhnen. Genau wie Kurt, bei dem es auch zu heftigen Streitereien kam, aber nicht so schlimm, wie bei Martin. Ich würde solange die Beiden weg sind, ihren Platz einnehmen. Ich denke, ich könnte beide ersetzen, wenn ein Einsatz kommt", erklärte ich ihm.
Rudi stimmte zu. "Ich bleibe auch hier. Schicke sie nach Hause, wenn wir von unserem Rundgang beim Alpha-Team zurück sind."
Detlef klopfte Rudi auf die Schulter. "Geht klar Rudi, ich werde ja sehen, ob etwas anliegt. Sie sind ja nicht Tagelang weg, oder?"
Ich schüttelte den Kopf. "Ich habe den Beiden, über das Krantonak verschieden Möglichkeiten aufgezeigt, wie sie die Konflikte zu Hause lösen können. Ich denke länger als fünf oder sechs Stunden, werden Beide nicht brauchen. Aber sie sollten es klären, es ist wichtig für ihre Familie und für sie selber. Das hat keine drei Wochen Zeit." Ernst sah ich die Drei an.
Alle waren einverstanden, mit meinem Vorschlag. "Geht klar, fahrt ihr das Alpha-Team ab. Ich schicke die Beiden gleich nach Hause, in den nächsten Stunden ist nichts geplant. Sollte etwas kommen, informiere ich euch Beiden, über die Tonis. Einverstanden Rudi?"
Rudi nickte, genauso wie ich. "Ich finde es auch wichtig, dass die Beiden das klären können. Denn sonst passiert noch eine Unglück, das will ich nicht."
Ich hatte erreicht was ich wollte. Es wurde beschlossenen, dass Kurt und Martin, noch einmal nach Hause durften. Wir gingen nach vorn.
Detlef sah mich an. "Kahlyn, bitte du machst das."
Ich sah von Rudi, zu Ronny und dann noch einmal zu Detlef und übernahm das Kommando. "Martin, Kurt, ihr Beide, geht mit Rudi jetzt nach vorn in die Wache. Rudi, du bestellst für uns einen Toni und für Martin und Kurt. Ihr klärt zu Hause mit eurer Familie, was zu klären ist. Wenn ihr damit fertig seid, kommt ihr sofort wieder in die Wache. Vorher, möchte ich euch nicht mehr hier sehen. Ihr seid Beide im Moment nicht Diensttauglich. Eure Familien haben nichts davon, wenn ihr beim nächsten Einsatz verletzt werdet oder gar strebt, nur weil ihr in Gedanken nicht bei der Sache seid. Also ab, Rudi wir fahren jetzt das Alpha-Team ab", gab ich konkrete Anweisungen.
Rudi strahlte mich an und freute sich riesig darüber, dass ich so durchgriff. Etwas, was vor vier Wochen noch undenkbar gewesen wäre. Rudi ging mit Martin und Kurt nach vorn, ich unterhielt mich derweilen noch mit den Jungs.
Nach zehn Minuten kam Rudi zu uns. "So Kleene, Kurt und Martin sind auf den Weg, in fünf Minuten, kommt uns auch ein Toniwagen abholen. Hast du eine bestimmte Reihenfolge, die du abfahren willst oder soll das der Fahrer selber entscheiden?"
Ich verneinte durch Kopfschütteln. "Rudi, die Reihenfolge ist mir egal. Ich will nur alle noch einmal kurz sprechen, das hätte ich schon viel eher machen sollen. Dann hätten die Jungs nicht solche schlimmen Probleme gehabt. Nur das konnte ich doch nicht ahnen. Es ist bei Euch alles anders."
Rudi streichelte mir mein Gesicht. "Ach Kleene, nun mache dir doch nicht schon wieder Vorwürfen, es ist gut, so wie es ist. Dann haben die Jungs etwas, was sie lernen können. Wie du siehst, hat jede schlechte Seite, auch etwas Gutes. Na dann komm, wollen wir unsere Jungs auch mal zur Recht rücken."
Zusammen gingen wir nach vorn und verließen die Wache. Fuhren alle Jungs ab, bis auf Max. Der wollte mit Tina heute Abend, zu uns kommen. Fast alle, hatten zu Hause Probleme. Viele der Probleme konnten wir, durch ein gemeinsames Gespräch mit den Frauen, klären. So dass die Jungs sich richtig entspannen konnten. Erleichtert fuhr ich mit Rudi nach Hause. Ich war total geschafft.
Bei den Runges angekommen, fiel mir Viola erst einmal um den Hals. Verwundert sah ich sie an.
"Was ist denn?", wollte ich von der völlig durcheinander geratenen Viola wissen.
Diese stand mit tränennassem Gesicht vor mir und konnte sich gar nicht beruhigen. Ich konnte mir gar nicht erklären, warum sie mir weinend um den Hals fiel.
"Kahlyn, danke dass du die Kinder gerettet hast. Jo, hat mir gerade am Telefon erzählt. Was du gemacht hast."
Irritiert sah ich zu Rudi, dann zu Viola.
"Kleene, ich weiß, dass du das nicht verstehen kannst. Aber hier bei uns gibt es Menschen, die auch mit fremden Eltern leiden. Ich denke, das ist Viola gerade passiert. Als sie hörte, dass einen ganze Schulklasse verschwunden ist, bekam sie bestimmt einen riesen Schrecken. Jetzt freut sie sich, dass alle noch leben. Verstehst du das?"
Ich nickte und schüttelte aber gleich wieder den Kopf. "Ich muss ja nicht alles verstehen", antwortete ich müde.
Völlig geschafft, setzte ich mich auf den Platz neben Rudi.
Jenny und Tom kamen gerade nach unten.
"Mutti, sollen wir dir beim Abendbrot machen helfen?", erkundigte sich der ewig hungrige Tom.
Viola nickte. "Kahlyn, möchtest du auch helfen oder möchtest du lieber etwas Warmes trinken? Du siehst müde aus."
Verträumt sah ich nach draußen und beobachtete Tiger, wie er auf der Wiese mit einer Maus spielte. Viola stellte mir eine Tasse warmen Tee vor die Nase, nicht einmal das registrierte ich. Als Viola mich anfassen wollte, schüttelte Rudi den Kopf.
"Viola, mach das lieber nicht. Wenn Kahlyn so weit weg ist, dann solltest du sie lieber erst ansprechen. Du kennst doch ihre Reflexe", leise um mich nicht zu erschrecken, wandte er sich an mich. "Kleene, bist du noch da?"
Fünfmal sprach Rudi mich auf diese Weise an. Bis ich endlich reagierte.
"Kahlyn, huhu, lande mal bitte. Ich will mit dir reden."
Verlegen sah ich ihn an. Ich kam ganz langsam, aus meinen Gedanken zurück. "Was ist?", fragte ich ihn müde.
"Schläfst du mit offenen Augen, meine Kleene?", wollte Rudi lachend von mir wissen.
Auch Jenny, Tom und Viola, grinsten mich belustigt an.
"Nein ich habe nicht geschlafen, entschuldige bitte. Soll ich etwas helfen?", erkundigte ich mich verlegen.
Viola lächelte mich an. "Ja trinke deinen Tee, bevor er ganz kalt wird."
Ich nickte und nahm meine Tasse in die Hand, wärmte meine Hände dran. Ich war in Gedanken bei meinen Freunden. Wieder einmal wurde mir bewusst, wie sehr sie mir fehlten. Tief atmete ich ein und aus. Rudi der mich von der Seite beobachtete, nahm mir die Tasse aus der Hand. Langsam streichelte er mir über den Rücken und zog mich in seine Arme. Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter und fing plötzlich an zu weinen. Je mehr ich mich versuchte zu beruhigen, umso schlimmer schluchzte ich. Rudi streichelte meine Schultern und hielt mich einfach fest, das tat mir so gut. Als Viola und die Kinder, etwas sagen wollten, schüttelte er einfach den Kopf. Nach einer Weile, konnte ich mich wieder beruhigen. Rudi gab mir meine Tasse, nachdem ich mich wieder aufrecht hingesetzt hatte. Langsam trank ich Schluck für Schluck meinen Tee.
"Geht’s wieder meine Kleene."
Ich wollte aber nicht reden, deshalb nickte ich nur. Immer noch versuche ich mich zu beruhigen. Die Gespräche, mit den Männern aus unserem Team hatten mich fertig gemacht. Es machte mir bewusst, wie einsam ich jetzt war. Nach dem ich meine Tasse ausgetrunken hatte. Wandte ich mich an Rudi.
"Rudi, ich lege mich oben eine Stunde hin. Wenn Max angekommen ist, weckt mich einfach."
Rudi sah mich besorgt an. "Alles in Ordnung Kleene? Du musst noch etwas essen."
"Rudi, bitte nicht jetzt. Ich habe absolut keinen Hunger. Ich will nur eine Stunde schlafen. Bitte."
Flehentlich sah ich ihn an. Rudi nickte, zog mich aber zu sich und gab mir einen Kuss. Ich stand auf und lief nach oben, legte mich auf mein Bett. Kaum, dass ich lag schlief ich schon tief und fest.
Viola erkundigte sich besorgt, sobald Kahlyn außer Hörweite war. "Rudi, was ist mit Kahlyn los."
"Ich weiß nicht Viola, ich denke einfach sie ist fertig. Du kannst dir nicht vorstellen, was die Kleene heute für einen Psycho Marathon hinter sich gebracht hat", Rudi fuhr sich durch die Haare und schaute Viola offen an. "Weißt du, manchmal denke ich, die Welt ist seit dem 1. September auf den Kopf gestellt. Nicht wir Erwachsenen bringen den Kindern etwas bei, sondern ein Kind uns Erwachsenen", Rudi stützte den Kopf auf die Hände und starrte auf die Tischplatte. "Viola, die Kleene hat heute den Jungs gezeigt, wie sie mit Himmelpfort klar kommen können. Verdammt die Kleene ist grade mal so alt wie Jenny. Wir müssten ihr helfe, damit klar zu kommen und nicht anders herum", Rudi hob den Kopf und sah Viola an. "Wir haben heute so viel von der Kleenen bekommen, mehr kann man gar nicht bekommen. Nicht nur Hilfe, sondern einen tiefen Einblick in ihre kleine verletzte Seele. Sie zeigte uns nicht nur, wie wir mit Himmelpfort klar kommen können, sondern auch wie man ein Team führt. Einfühlungsvermögen in einer Art, wie ich es noch nie erlebt habe. Ein Mädchen von sechszehn Jahren, ist psychologisch besser ausgebildet als ich. Verdammt ich bin der Dienststellenleiter, ich müsste das besser können, als sie."
Rudi schüttelte den Kopf und raufte sich die Haare und rieb sich immer wieder müde das Gesicht.
"Viola die Kleene hat heute, eine psychologische Betreuung, von den Familienangehörigen an den Tag gelegt, die du dir nicht einmal in deinen kühnsten Träumen vorstellen kannst. Teilweise waren die Probleme, welche die Jungs zu Hause hatten, richtig massiv. Mir graut schon vor dem, was dann mit Max nachher los geht. Ich hoffe es wird nicht so schlimm, wie bei den anderen Jungs. Das, was ihr mit mir und John, am Tag nach dem Einsatz erlebt habt, war dagegen eine Lappalie. Drei von den Jungs haben zu Hause, die ganze Wohnung zerlegt. Ich ahnte nicht mal, dass es so massive Probleme gegeben hat. Woher wusste das Kahlyn? Bin ich so schlecht als Teamleiter, dass ich nicht bemerkt habe, dass es Probleme gibt. Oder was ist los mit mir. Kahlyn hat mit den Familien gesprochen, hat den Frauen wie auch den Kindern genau erklärt, weshalb ihre Männer, ihre Väter so durch den Wind waren. Ohne, dass sie ein Wort von Himmelpfort erzählt hat, ohne dass sie von den vielen Toden erzählt hat. Sie sagte nur, dass es ein verdammt schlimmer Einsatz war. Sie machte den Familien klar, dass sie nicht fragen sollen. Dass, wenn die Männer es erzählen wollen, sie es von alleine erzählen müssen. Aber, dass es schlimmer ist, als sie sich vorstellen. Dass die Wut die sie haben, keine Wut ist, die sie gegen ihre Familien haben, sondern gegen das, was sie dort erleben mussten. Ich kann dir nicht mal die Worte sagen, die sie wählte, es waren herzliche und warme Worte. Die Kahlyn gebraucht hat und die das Herz berührten. Nach einer reichlichen halben Stunden, haben sich die Familien weinend in den Arm gelegen. Haben die Frauen ihren Männern, die Kinder ihren Vätern alles verziehen. Kahlyn gab den Jungs eine Spritze, machte teileweise, noch einmal das Krantonak, um die Erinnerungen abzuschwächen, nahm zum Teil die Erinnerungen in sich auf. Als wir gingen, waren die Familien wieder vereint."
Rudi legte den Kopf auf die Arme, braucht einige Minuten, ehe er sich richtig beruhigt hatte. Dann sah er Viola traurig an.
"Du fragst mich, was mit der Kleenen los ist. Ich denke einfach, dass das, was sie gesehen hat, sie daran erinnert hat wie einsam sie ist. Dass sie keine Familie mehr hat, jedenfalls keine richtige eigenen. Die Familie die sie hatte, das habe ich heute verstanden, hat man getrennt. Man hat den Kindern kein Mitspracherecht eingeräumt, hat sie einfach getrennt wie Möbelstücke. Dass wir ihre Familie sind, ist ihr wohl noch nicht so richtig bewusst geworden. Ihr fehlen ihre Freunde, wohl mehr als es ihr erst bewusst war."
Versuchte Rudi Kahlyns Verhalten zu erklären. In dem Moment ging die Haustür und Rudi drehte den Kopf in Richtung des Geräusches. Jo, der von der Arbeit kam, sah sich um. Erfreut stellte er fest, dass Rudi da war und sah sich suchend nach Kahlyn um.
"Schön dass ihr wieder da seid. Wie geht es Euch, wo ist denn unsere Kleene?", erkundigte sich Jo sofort, er sah, wie müde Rudi aussah.
Lief auf Tom, Tim, Jenny und Viola zu und gab allen ein Kuss. Rudi musterte Jo, antwortete mit einem gezwungenen Lächeln.
"Jo, ich denke uns geht es gut, die Kleene hat sich hingelegt. Ich bräuchte in einer Sache eure Hilfe. Dann kommen Max und Tina mal kurz vorbei", erklärte Rudi kurz und bündig, was in den nächsten Stunden auf seinen Freund zukam.
Jo sah Rudi fragend an. "Gleich oder nach dem Abendbrot?", fragte er grinsend.
Rudi antwortete ihm, mit einen Schalk in den Augen, der alle zum Lachen brachte. "Wenn ihr nicht heute noch eine Hungerleiche im Haus haben wollt, nach dem Abendbrot. Außer einem Eis und sehr viel Kaffee, habe ich heute noch nichts, zu mir genommen. Mir ist schlecht vor Hunger", erklärte Rudi, weshalb alles Zeit hatte, bis nach dem Essen. So setzten sich alle an den Tisch. Viola guckte traurig auf Kahlyns Platz.
"Viola, guckt nicht so traurig, die Kleene bekommt dann etwas, wenn sie runter kommt. Sie muss ja nicht alleine essen, wir sitzen doch mit am Tisch."
Mit dieser Aussage Rudis war Viola zufrieden gestellt. Nach dem Essen gingen Tom und Jenny, hoch in ihre Zimmer und Tim ins Bett. Die Männer tranken noch einen Tasse Kaffee. Jo wollte mit Rudi nach hinten ins Büro gehen.
Rudi schüttelte den Kopf. "Jo, ich denke, Viola sollte sich das mit anhören, es ist wichtig."
In dem Moment kam Viola zurück und hantierte mit dem Abwasch.
"Viola, soll ich dir helfen?"
Viola schüttelte den Kopf. "Ich bin gleich fertig." Zwei Minuten später, trocknete sich Viola die Hände ab und setzte sich zu den Männern an den Tisch.
"So Rudi, was ist los?", Jo sah seinen Freund, erwartungsvoll an.
"Ich wollte euch etwas Wichtiges fragen und wollte vor allem eure Zustimmung. Es geht euch genauso an wie mich. Denke ich jedenfalls. Ihr seid ja meine Familie. Ich habe heute, als wir die Jungs vom Alpha-Team abgefahren sind, etwas mitbekommen. Es ist so, dass Kahlyn, je mehr Familien sie gesehen und kennen gelernt hat, umso trauriger wurde. Nach jeder Familie wurde sie ruhiger, hat sich immer mehr in sich selber zurück gezogen. Viola, du hast vorhin selber erlebt, was dann hier passiert ist. Das darf nicht mehr passieren, die Kleene gibt uns so viel, jetzt sind wir glaube ich einmal dran, ihr etwas zu geben", versuchte Rudi seine Gedankengänge zu erklären.
Viola nickte verstehend, sie hatte schon einiges gehört.
Jo sah Rudi irritiert an, weil er nicht wusste um was es ging.
"Das, was ich heute erlebt habe, bestärkt mich in meinem Vorhaben. Welches sich, seit dem die Kleene hier bei uns ist, immer mehr in meinem Kopf festgesetzt hat. Die Kleene hat keine Eltern und ich habe keine Kinder. Ich möchte Kahlyn adoptieren. Damit sie wenigstens einen Vater hat und einen festen Bezug in dieser Welt. Dazu möchte ich eure Meinung hören, wenn es geht auch Ratschläge, wie man das machen könnte. So jetzt ist es raus, jetzt könnt ihr mich für verrückt erklären", Rudi atmete erleichtert auf.
Jo lachte und schlug seinem Freund auf die Schulter. "Rudi, das habe ich mir schon lange gedacht. Du hast die Kleene so in dein Herz geschlossen, dass diese Entscheidung nur eine Frage der Zeit war. Hättest du nicht bald gehandelt, wäre ich wieder schneller gewesen, wie damals bei Veilchen. Dann hätte ich dir die zweite Frau in deinem Leben, vor der Nase weggeschnappt. Ich habe mich schon erkundigt, es ist überhaupt kein Problem. Da Kahlyn mit sechzehn Jahren, ja selbst bestimmen kann, ob sie das möchte oder nicht. Auch sind keine Personen da, die etwas dagegen einwenden könnten, da es keine Mutter und keinen Vater gibt und auch so keine näheren Angehörige vorhanden sind. Jedenfalls nicht im herkömmlichen, gesetzlichem Sinne. Wir könnten das schnell, vor allem, zeitnah regeln. Wir müssen nur, die zuständigen Stellen kontaktieren, können also die Adoption problemlos in Angriff nehmen. Aber du weißt auch, dass du dir da eine große Verantwortung aufbürdest", versuchte Jo, Rudi den vollen Umfang dieser Entscheidung, bewusst zu machen.
Rudi nickte. "Jo, ich habe schon seit Wochen diesen Gedanken. Habe mir das nicht spontan in den Kopf gesetzt, sondern grübele jetzt schon seit Anfang September darüber nach. Jeden Tag, wurde diese Entscheidung, in allem bestärkt. Es ist nicht nur gut für die Kleene, sondern auch für mich. Durch die Kleene, hat mein Leben auf einmal, einen ganz anderen Sinn bekommen. Die Frage ist nur, ob ihr damit einverstanden seid. Das Kahlyn hier wohnt, war ja nur als Übergangslösung gedacht. So würde es zu einer Dauerlösung werden. Ich würde gern hier wohnen bleiben. Viola, was sagst du dazu?"
Viola stand auf, mit Tränen in den Augen und ging sie auf Rudi zu, gab ihm einen Kuss auf die Stirn. "Na diesmal, warst du schneller als Jo. Wir wollten dich fragen, ob du damit einverstanden wärst, dass wir Kahlyn adoptieren, damit sie eine richtige Familie hat. Sie wäre so oder so hier geblieben. Aber so, finde ich es noch schöner. Da bist du nicht mehr so alleine und hast auch deine Familie. Mein ja, hast du auf alle Fälle und Jos?", fragend sah Viola ihren Mann an.
Jo lachte. "Meins auch, ich finde es noch eine besser Lösung, als wenn wir Kahlyn adoptieren."
Erleichtert atmete Rudi auf, froh dass er endlich gefragt hatte, ganz leicht, wurde es ihm ums Herz. Jo sah seinen Freund an. Lachend erklärte Runge Rudi und aus seinen Augen guckte der Schalk:
"Allerdings lieber Freund, ist dir doch klar, dass wir hier im Haus einiges umgestalten müssten, so dass Kahlyn unten bei dir, in der Einliegerwohnung, ein Zimmer bekommt. Das heißt mein lieber Freund, wir müssen wieder einmal die Ärmel hochkrempeln und etwas umräumen", wissend sah Jo Viola an und lachte.
Seine Frau lachte ihm wissend zu. Da kam eine Menge Arbeit auf ihre beiden Männer zu.
"Ich hab auch schon eine Idee. Das Gästezimmer, werde ich als Wirtschafts- und Wäscheraum nutzen, es ist genauso groß. Wenn ihr mir die Wasserleitung nach oben legt, etwas Farbe auf die Wände bringt, ist das in drei Tagen erledigt. Vor allem, könnten wir unten in dem Raum, das Fenster vollkommen abdunkeln, so dass Kahlyn einen Raum hat, in dem sie nicht ständig ihre Brille tragen muss. In dem wir einfach das Gitter, was über dem Fenster ist, mit einer Luftdurchlässigen, aber Lichtundurchlässigen Plane abdecken. Aber das können wir mit Kahlyn selber absprechen, vielleicht hat die Kleine auch Ideen dazu", vor Freude strahlend, sah sie die Männer an. "Ich bin so froh, Rudi, dass du das machen möchtest. Kahlyn ist mir sehr ans Herz gewachsen. Vor allem, hast du dann auch eine Familie, das hast du dir doch immer so gewünscht."
Jo und Viola, strahlen über das ganze Gesicht. Rudi aber, strahlt noch mehr. Er wusste, dass es die richtige Entscheidung war, auch wenn ihm klar wurde, dass er bei Entscheidung mit noch vielen Problemen konfrontiert werden würde. Freudig diskutierten die Drei, über einiges, was noch zu regeln war.
Dann erklärte Rudi zu den Beiden. "Ich geh mal hoch zur Kleenen, ich will ihr das unbedingt sagen. Sonst platze ich."
Rudi grinste seine Freunde breit an und die nickten ihm aufmunternd zu. Sofort stand er auf und ging nach oben in Kahlyns Zimmer, wo diese zusammen gerollt auf dem Bett lag.
Von Weiten hörte ich Rudis Stimme. "Kleene, wach auf, ich muss unbedingt mit dir reden."
Ich drehte ihm meinen Kopf zu.
"Na meine Kleene, geht es wieder?", fragte er mich, lachend setzte ich mich auf.
"Ja, tut mir leid, ich war vorhin irgendwie, total durcheinander."
Rudi sah mich musternd an. "Das haben wir gemerkt, meine Kleene. Aber es ist verständlich. Kleene, ich möchte mit dir etwas bereden. Aber ich weiß nicht wie ich anfangen soll. Es ist etwas kompliziert", gestand mir Rudi, dass er sich in einem Dilemma befand.
"Was ist denn Rudi? Du kannst mit mir über alles reden. Hast du auch noch Probleme, mit Himmelpfort?", versuchte ich heraus zu finden, was los war.
Rudi schüttelte den Kopf. "Komm lass mich mal mit auf dein Bett, das ist groß genug für uns beide."
Ich rutschte zur Seite, so dass Rudi sich bequem darauf setzen konnte. "Komm mal zu mir", sagte er mit einer eigenartigen Stimme, die ich so noch nie von ihm gehört hatte.
Ich krabbelte zu ihm heran und setzte mich auf meine Fersen, damit ich ihn richtig ansehen konnte.
"Kleene, als wir die Jungs heute abgefahren sind, stellte ich wieder einmal fest, wie sehr du dir auch eine Familie wünschst. Bin ich richtig in der Annahme?", prüfend sah er mich an.
Ich zuckte mit den Schultern. "Ich kann sowas doch nicht haben. Aber ich finde es schön, dass die anderen Kinder eine Mutti und einen Vati haben, das ist bestimmt ein schönes Gefühl. Jetzt weiß ich wenigstens, was eine Familie ist. Schade für meine Freunde und mich, ist so etwas leider nicht möglich. Wir wurden von Maschinen geboren. Das ist nun mal so", erklärte ich mit trauriger Stimme.
"Ja, da hast du zwar recht. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten. Ich kann dir keine Mutti geben, aber wenigstens einen Vati. Würde dir das gefallen?", auf jede Reaktion von mir achtend sah Rudi mich an. Mit jedem Wort, das er sprach klang seine Stimme zitternder und er wurde immer leiser.
Verwirrt sah ich Rudi an. "Wie soll das denn gehen?", wollte ich wissen, weil ich nicht verstehen konnte, wie so etwas möglich war.
"Kleene, ich kann zwar nicht dein biologischer Vater sein, es weiß ja keiner, wer das ist. Aber ich könnte dich adoptieren. Weißt du, was das ist?"
Ich schüttelte den Kopf
"Kahlyn, eine Adoption, ist die von einem Gericht bestätigte Verbindung, zwischen einem Kind und einem Erwachsenen, ohne Rücksicht auf die biologische Abstammung. So heißt es in der gesetzlichen Rechtsprechung. Das bedeutet nichts anderes, als dass ein Mann und eine Frau, ein Kind bei sich aufnehmen können und zwar mit den gleichen Rechten und Pflichten, die richtigen Eltern haben. Das bedeutet nichts anderes meine Kleene, dass du von dem Tag, an dem ich dich adoptiere, meinen Nachnamen bekommst und wenn du willst, könntest du dann Vati zu mir sagen. So hast du wenigstens eine kleine Familie und weißt immer, wo du hingehörst."
Ungläubig sah ich Rudi an. Unfähig auch nur ein Wort zu sagen, starrte ich den Menschen an, der mir so sehr ans Herz gewachsen war. Obwohl ich ihn noch gar nicht lange kannte. Ich begriff nicht, dass meine Gedanken, die ich vorhin hatte, auf einmal wahr werden konnten. Die Gedanken, die mich dazu brachten, so zu weinen, dass ich nicht mehr in der Lage war mich zu beruhigen. Auf einmal sollten diese Gedanken wahr sein? Lange viel zu lange schwieg ich.
Rudi wurde ganz unsicher. "Sag doch was, meine Kleene."
Aber ich konnte nichts sagen, meine Stimme weigerte sich zu sprechen. Stattdessen, kroch ich in seine Arme und lehnte mich an seine Schultern und weinte. Ich ließ die Tränen einfach laufen. Rudi versuchte mich zu trösten und streichelte meinen Rücken und mein Gesicht.
"Ist schon gut meine Kleene. Wir müssen das ja nicht machen."
Ich schüttelte den Kopf. Mühsam versuchte ich mich zu beruhigen, aber es dauert lange, bis ich wieder sprechen konnte. "Ich… ich würde mich freuen, dann habe ich auch eine Familie, zu der ich gehöre, die mich haben will", bracht ich mühsam hervor. "Dann… dann weiß ich endlich, wo ich hingehöre", stammelte ich mehr, zu mir selbst, als zu Rudi.
"Du möchtest das, Kahlyn?" Rudi strahlte mich an.
Ich nickte immer noch gegen meine Emotionen kämpfend. Rudi nahm mich in die Arme und fing bitterlich an zu weinen.
Erschrocken sah ich zu ihm hoch. "Rudi, warum weinst du so, beruhige dich doch." Versuchte ich ihn zu trösten.
Nach einer ganzen Weile, bekam sich Rudi wieder ein. "Das ist der schönste Tag, in meinem Leben. Endlich habe ich auch eine Familie", flüsterte mir Rudi ins Ohr.
"Ja wir haben dann beide eine Familie. Du hast mich und ich habe dich. Wir sind nicht mehr alleine", glücklich strahlte ich ihn an.
"Komm, lass es uns Jo und Viola sagen", gab mir Rudi einen Kuss auf die Stirn und wollte sich erheben.
Ich hielt ihn aber fest. Denn mit Entsetzen fiel mir etwas ein. "Rudi, wie ist das dann, wenn du mein Vati bist. Darf ich dann noch im Team arbeiten? Ich möchte in kein anderes Team, ich mag die Jungs", stellte ich eine Frage, die mir gerade in den Kopf schoss.
Rudi sah mich verwirrt an. "Das weiß ich nicht, aber das können wir gleich Jo fragen. Es ist gut, dass du daran denkst."
Sofort stand ich auf. Ich wollte das genau wissen. "Was wird, wenn ich das nicht mehr darf? Ich will nicht mehr weg, aus der Wache", stellte ich ängstlich die Frage, die mir als nächstes einfiel.
Rudi drückte mich an sich. "Ach meine Kleene, das bekommen wir auch hin." Versuchte er mich zu beruhigen. Schon liefen wir nach unten in die Küche.
"Jo, Viola, darf ich euch mein Töchterchen vorstellen", Rudi sah sich lachend um und ging ein Schritt zur Seite. "Das hier ist Kahlyn Sender", er blickte triumphierend in die Runde.
Ich lehnte mich einfach an ihn. Ich glaube selbst Viola konnte sehen, dass ich überglücklich war. Laufend sah ich nach oben, zu Rudi, weil ich immer dachte, dass ich noch träumte. Aber, wie hatte Rudi gesagt, wenn man denkt man träumt, sollte man sich in den Arm kneifen.
"Rudi, kannst du mich mal kneifen?", bat ich, aus einem Gefühl heraus.
Rudi kniff mich in den Arm.
"Auwa", gab ich lachend von mir. "Ich träume nicht, es hat weh getan."
Rudi nahm mich nun ebenfalls schallend lachend, in den Arm. "Komm setze dich. Jo sag mal, wie ist das mit dem Arbeiten dann, wenn ich Kahlyn adoptiere, können wir dann noch in einem Team arbeiten? Die Frage stellte mir Kahlyn als erstes. Ich glaube das ist wichtig. Die Kleene will nicht schon wieder, aus der Wache weg."
Jo überlegte kurz. Dann nickte er. "Ich glaube nicht, dass es da Probleme gibt. Ihr wart ja schon in einem Team, vor der Adoption. Auf anderen Dienststellen, arbeiten auch Familienangehörige zusammen, also macht dir da mal keine Gedanken. Aber ich erkundige mich einfach noch einmal. Aber ich denke, bei Kahlyn ist es möglich. Wenn nötig, können wir da auch eine Sonderregelung zu bekommen. Bei ihr ja einiges anders ist. Mach dir da mal keinen Kopf", erklärte uns Jo breit grinsend.
Pünktlich um 20 Uhr klingelte es. Jo öffnete die Tür, Max und Tina waren wie verabredet erschienen.
Jo bat, die Beiden herein. "Guten Abend", grüßten die Beiden und kamen auf uns zu gelaufen.
Jo, bot den beiden Platz an. "Setzt euch, möchtet ihr einen Kaffee?"
Unser Kollege ging gar nicht auf die netten Worte Jos ein, sondern sofort gegen seinen Teamleiter und mich los. "Rudi, warum ordnest du an, dass wir hierher kommen sollen? Wir haben frei und haben freie Entscheidungsfreiheit, was wir tun und lassen wollen. Aus welchem Grund bestellt uns Kahlyn einfach hierher? Was soll das Ganze? Die Jungs haben mich schon alle angerufen, dass ihr heute eine Rundfahrt gemacht habe. Was soll das? Ich habe keine Probleme und wenn, dann gehen die nur mich und Tina, etwas an", stellte Max mehr als nur genervt fest und weigerte sich Platz zu nehmen.
Vor allem sprach Max in einen für ihn mehr als gereizten, unfreundlichen Ton. Der mehr über seinen momentanen Seelenzustand aussagte, als irgendein Gespräch. Ich sah von Rudi zu Jo und wieder zurück.
"Jo, könnte ich bitte, mit Tina und Max in dein Büro gehen. Ich würde mit den Beiden, gern unter vier Augen reden. Weil ich denke, es sind sehr private Dinge, die wir zu besprechen haben", bat ich leise.
Jo nickte. "Geh nur hinter, meine Kleene."
"Rudi, wie sieht es aus, willst du wieder dabei sein oder soll ich das alleine machen? Nach den vielen Gesprächen, weißt du ja, wie das läuft."
Rudi schüttelte nur den Kopf. "Ab mit euch, bringt es hinter euch."
Entschlossen dieses letzte Gespräch hinter mich zu bringen stand ich auf, denn mir graute es vor dieser Aussprache. "Kommt ihr Beide, bitte?", wandte ich mich im freundlichen Ton, an Max und seine Frau.
Tina sah ziemlich genervt aus und hatte völlig verweinte Augen.
Max dagegen ging sofort an die Decke. "Was soll das, Rudi? Hat Kahlyn jetzt die Teamleitung oder was ist hier los?"
Tina sah ihren Max böse an und wollte ihn an die Hand nehmen, um ihn mitzuziehen. Allerdings zog Max sofort seine Hand weg und zeigte ihr so deutlich, dass er keine Berührung von ihr dulden wollte.
"Max beruhige dich! Komme einfach mit nach hinten, ich erkläre dir alles in Jos Büro. Ich möchte nur kurz mit dir sprechen, dann kannst du sofort gehen", sprach ich in einem leisen beruhigenden Ton.
Unser Kollege war allerdings so voller Wut, dass er einen Blitzableiter brauchte, um sie irgendwo ablassen zu können. Er war auf Streit aus, etwas das für den sonst stets ausgeglichenen Kollegen untypisch war. Rudi stand auf und ging auf Max zu.
"Mein Freund, was ist los mit dir? So kenne ich dich gar nicht. Kahlyn hat Recht, du brauchst dringend Hilfe. Also, du gehst jetzt mit Kahlyn nach hinten, das ist ein Befehl."
Max atmete genervt durch, hörte aber auf Rudi. "Zu Befehl, Genosse Major", antwortete er in einem Ton, dem man den Unmut anhörte.
Hasserfüllt sah mich Max an und machte eine Bewegung, die mir anzeigen sollte, gehe vor. Ich winkte den Beiden zu und ging nach hinten in Jos Büro. Max und Tina folgten mir. Nach dem sie eingetreten waren, schloss ich die Tür, die normalerweise immer offen stand.
"Setzt euch doch bitte.", ich ahnte, was jetzt gleich kommen würde und zeigte traurig auf die Couch. Uns stand ein hartes Gespräch bevor.
"Was soll das Kahlyn? Warum ordnest du an, dass wir heute hierher zu kommen haben? Du bist ein Teammitglied wie alle anderen, du hast mir überhaupt nichts zu sagen", polterte Max los.
Ich sah meinen Kollegen lange an. Dann auch Tina, der ich ansah, dass dieser Ton schon eine ganze Weile von Max Seite kam. Sehr lange schwieg ich, weil ich wusste, dass ich Max damit provozierte. Etwas, was ich machen musste, um zu sehen wie er reagiert, wenn er in eine Stresssituation kam.
"Was ist los? Ich denke du willst mit mir reden. Es ist meine freie Zeit, die du mir raubst. Wieso ziehst du meine Frau da mit rein, verdammt noch mal, rede mit mir", brüllte er mich an.
Als Tina etwas sagen wollte, ging ich auf sie zu. Ich setzte mich auf die Lehne der Couch, beugte mich zu ihrem Ohr, sagte ganz leise zu ihr.
"Tina, bitte schweige. Höre einfach zu. Max muss so reagieren. Lass ihn gewähren, er meint es nicht so. Wenn ich dir aber sage, du sollst gehen, dann gehst du sofort, ohne zu diskutieren. Dann, läuft hier einiges aus dem Ruder. Wir bekommen Max schon wieder hin, vertraue mir einfach. Ich hab schon schlimmer Blockaden durchbrochen."
Tina nickte und eine Träne lief über ihr Gesicht, ich wischte sie mit dem Daumen weg.
"Was flüstert ihr Weiber da? Kannst du nicht laut reden? Ihr Weiber steckt doch alle, unter einer Decke", wurde er immer lauter und aggressiver, brüllt er zum Schluss sogar herum.
"Ich rede laut mit dir, wenn du aufhörst hier herum zu schreien, Max", informierte ich ihn ganz leise davon, dass er mich nicht anzuschreien hat.
Ich wusste, dass ich ihn damit immer weiter provozierte. Dass ich ihn durch meine Ruhe, noch mehr in Rage brachte. Ich ahnte durch das Gespräch mit Wolle, der mit Max zusammen gekämpft hatte, was Max so fertig machte.
Bei dem Kampf in Himmelpfort, kam es zu einer Situation, die ich immer Pinyin nenne. Das ist chinesischer Begriff und bedeutet nichts anderes als eine Umzingelung im Kampf. In diesen Moment, wurde man von allen Seiten gleichzeitig angegriffen. In dieser Pinyin, musste Max mehr als nur um sein eigenes Leben kämpfen. Er stand sieben dieser brutalen Kämpfer allein gegenüber, denn Wolle war durch einen Schlag, besinnungslos zu Boden gegangen. Max, der bis zu dem Punkt immer nur versucht, hatte die Leute außer Gefecht zu setzten, war deshalb gezwungen, das erste Mal in seinem Leben bewusst zu töten. Anders hätte er seinen Freund Wolle nicht beschützen können. Allerdings musste Max dadurch eine Art des Tötens nutzen, die wir Hundert auch nur dann anwandten, wenn wir in ausweglose Situationen gerieten. Wir unsere Kameraden anders nicht mehr beschützen konnten. Es kamen weiter zehn dieser Elitesoldaten, um Wolle und ihn abzuschlachten. Max geriet in diesem Moment, wie ich heute von Wolle erfahren hatte, in eine Situation, die wir Hundert immer als Blutrausch bezeichneten. Nach weniger als drei Minuten lagen, um den zu sich kommenden Wolle und den immer noch schwer kämpfenden Max, neunzehn tote Kämpfer der Friedrich Truppe. Als Wolle wieder richtig bei Besinnung war, lagen noch weiter elf dieser kampfwütigen Männer am Boden. Max stand mit einem irren Blick, mitten in deren Blut und versuchte wieder zurück zu kommen. Damit kam der sonst sehr ruhige und ausgeglichene Max nicht klar. Danach musste er noch mehr Männer töten. Auch, wenn ihm Wolle, dann wieder zur Seite stand. Er konnte sich das nicht verzeihen. Max hatte bei diesem Einsatz in Himmelpfort, über fünfzig Kämpfern das Leben genommen und über hundert zum Teil schwer verletzt. Das konnte er nicht verarbeiten. Ich vermute auch, ihm ist in den letzten Tagen klar geworden, was er mir damals nach dem Einsatz mit Conny vorwarf. Er begriff, dass er in Himmelpfort, genau in derselben Situation war, als Wolle zu Boden ging, wie ich damals. Er musste kämpfen und töten, um seinen Freund zu retten. All diese Sachen, realisierte er in den letzten Tagen und Wochen. Vor allem machte ihn diese Erkenntnis systematisch kaputt. Auch wenn ich nicht mehr genau wusste, wo Wolle und Max während des Kampfes standen, nahm ich unbewusst wahr, dass er und Wolle bei diesem Kampf, am meisten angegriffen wurden. Keiner von den anderen Männern hatte mit solche argen Probleme und schlimmen Kampfsituationen zu kämpfen. Mir taten die beiden Kämpfer leid. Weil ich nur zu genau wusste, was für einen schweren Kampf sie innerlich, jetzt auskämpfen mussten. Ich wusste allerdings auch, dass ich Max so nicht helfen konnte. Er musste die dargeboten Hilfe annehmen wollen. Dazu war er aber im Moment nicht bereit. Meine ruhige und leise Stimme, reizte Max bis zur Weißglut. Wütend stand er auf und kam auf mich zu. Stellte sich provozierend, vor mir auf. Tina wollte eingreifen.
Ich wandte mich kurz zu ihr um und befahl. "Nein, Tina!" Sie durfte sich hier nicht einmischen.
Sofort wandte ich mich wieder an Max. "Was willst du machen Max? Willst du mich schlagen? Dann versuche es, schlag zu. Du weißt aber, dass du keine Chance gegen mich hast. Also, was soll das!? Setzte dich hin! Sofort! Rede mit mir und vor allem mit Tina", versuchte ich es noch einmal, in einem noch leiseren ruhigeren Ton.
Max flippte völlig aus und verlor sämtliche Selbstbeherrschung. Er holte aus und wollte mir in seiner unendlichen Wut, einen Schlag versetzen. Blitzschnell griff ich zu und drehte ihm den Arm auf den Rücken. Ich griff von hinten in sein Genick, oberhalb des siebenten Halswirbels oder wie er auch genannt wurde, des Vertebra prominens. Durch diesen Griff wurde die gesamte Motorik von Maxs Körper lahmgelegt. Er sackte kraftlos zu Boden. Ich fing ihn auf und zog ihn zur Couch. Setzte ihn vorsichtig auf die Liegefläche.
Tina allerdings war zu Tode erschrocken. "Was hast du mit meinem Max gemacht? Wieso kann er nicht mehr laufen?", entsetzt sah sie mich an.
Ich konnte sie ja verstehen, doch musste ich auch für ihre Sicherheit sorgen. Gegen mich hatte Max keine Chance. Ich konnte mich verteidigen. Tina hatte ihm nichts entgegensetzen. Max war nicht mehr Herr seiner Sinne, er wusste gar nicht mehr, was er tat. Sonst hätte er nicht versucht, mich zu schlagen.
"Tina, bitte beruhige dich. Ich tue deinen Max nichts. Glaube mir bitte. Das gibt sich bald wieder. Ich hebe diese Blockade auf, sobald sich Max beruhigt hat. Ich will nur verhindern, dass Max etwas tut, was er im Anschluss bereut. Tina ich kann mich gegen Max wehren. Du allerdings kannst das nicht. So ist er gezwungen zu zuhören, kann aber nicht tätlich werden. Weil er sich nicht bewegen kann. Vertraue mir einfach."
Ängstlich sah mich Tina an, dann nickte sie und versuchte gezwungen zu lächeln.
An Max gewandt, der mich ungläubig ansah, da er sich überhaupt nicht mehr bewegen konnte. "Max, es tut mir leid, dass du mich dazu zwingst, dich ruhig zu stellen. Aber ich muss verhindern, dass du vielleicht deine Tina verletzt oder dich selber. Wenn du dich wieder beruhigt hast, werde ich die Blockade sofort wieder aufheben. Aber keinen Moment eher. Du bist im Moment eine Gefahr für dich und alle, die um dich herum leben. Also, bist du jetzt bereit, mit mir und vor allem mit Tina reden? Oder willst du erst einmal, mit mir alleine reden?", stellte ich ihn verschiedenen Möglichkeiten vor.
Wütend sah er mich an. "Ich rede kein Wort mit dir, bevor du diese Blockade nicht gelöst hast", erwiderte Max bockig.
"Dann lieber Max, hast du wirklich ein schwerwiegendes Problem. Dann wirst du den Rest deines Lebens, im Rollstuhl sitzen müssen. Andere müssen dich füttern und säubern, willst du das wirklich? Du wirst dich erst wieder bewegen können, wenn du mit mir gesprochen hast. Du brauchst Hilfe, Max. Alleine, kommst du aus dieser Situation nicht mehr heraus. Du bist, wie du gerade gesehen hast für andere eine Gefahr. Deine Tina hätte dem Schlag von dir nicht ausweichen können. Du hättest sie schwer verletzt, ist dir das eigentlich klar. Ich möchte dir gern helfen. Dies kann ich aber nur tun, wenn du die Hilfe auch annimmst", erklärte ich ihm leise, den Kopf schiefhaltend. Max schnaubte und kämpfte einen innerlichen Kampf mit sich selbst. Er ahnte, dass ich das, was ich sagte, auch ernst meinte.
"Dann reden wir halt", erwiderte er bockig.
"Das ist gut. Dann erzähle mir bitte, was mit dir los ist. So hast du dich in den ganzen sieben Wochen, die wir uns kennen, noch nie benommen. Was ist mit dir in Himmelpfort passiert? Wo ist der Max, den ich kenne, geblieben?"
Max sah mich mit einem wütenden bösen Blick an. Der, wenn er Kraft hätte, mich töten würde. "Du hast mich kaputt gemacht. Dir macht solch ein Einsatz nichts aus, aber mir schon. Wie kann man danach, einfach normal weiter leben?", brüllte er mich schon wieder an. "Nur du bist schuld daran, dass wir ständig zu solchen Einsätzen müssen", tobte er weiter. "Erst seit dem du in der Einheit bist haben wir solche schlimmen Einsätze. Alles ist deine Schuld, du verdammter Bastard. Ich hasse dich."
Ich sah ihn traurig an. Er hatte ja vielleicht irgendwo recht. Es war allerdings so, dass nicht ich diese Einsätze annahm, sondern die Einsatzleiter. Vielleicht war es wirklich meine Schuld, ging es mir kurz durch den Sinn. Denn eins hatte ich heute begriffen, während der vielen Gespräche mit meinen Kollegen und deren Familien, diese Art Kämpfe kannte sie alle nicht. Diese Einheit hier hatte bis zu meinem Eintreffen vor sieben Wochen, nie solche schlimme Kämpfe zu bestehen. Max war nicht der erste, der mir das heute in seiner Wut an den Kopf warf. Nur konnte ich jetzt nicht darüber nachdenken, das musste ich auf später verschieben. Ich riss mich aus meinen Gedanken zurück und sah traurig auf Max.
"Max, es kann sein, dass es meine Schuld ist, dass ihr alle jetzt öfter zu solchen schlimmen Einsätzen gerufen werdet. Vielleicht hast du damit sogar recht. Aber diese Einsätze sind nicht schlimm gewesen. Diese Einsätze machen dich nur kaputt, wenn du nicht darüber redest und alles in dich hineinfrisst. Nur dann gehst du daran kaputt", versuchte ich ihm immer noch leise zu erklären. Ich setzte mich einfach vor ihm auf den Boden, direkt zu seinen Füßen und sah ihn von unten an.
"Du hast sie doch nicht mehr alle. Was weißt du, junges Ding schon übers Leben? Du bist ja noch nicht mal trocken hinter den Ohren. Was weißt du denn schon, wie ich mich fühle. Du hast doch nicht einmal Gefühle. Du bist ein Monster, was gezüchtet wurde zum Töten. Ein gefühlskalter und egoistischer Bastard bist du. Mehr kannst du doch gar nicht sein. Du weißt nicht mal was eine Familie ist und weißt nicht was Liebe ist. Dir macht es Spaß zu töten. Ich hasse dich und deine verdammten Bastarde, die uns zum Töten gezwungen haben", macht er seiner Wut Luft und schrie mich immer heftiger an.
Max wollte nicht schuld sein an den Tod dieser vielen Menschen. Er wollte diese Last nicht tragen. Deshalb musste er mich mit seinen Worten verletzten und seine Wut an mir abreagieren. Vor allem war er gar nicht mehr in der Lage klar zu denken. Wenn Max klar denken könnte und wüsste wie weh er mir mit seinen Worten tat. Dann hätte er diese Worte bestimmt nicht ausgesprochen. Das war für mich ein Beweis mehr, dass er dringend Hilfe brauchte. Mein Kollege suchte Jemanden, den er die Schuld für die vielen Toden geben konnte, um selber schuldfrei zu werden und wieder normal leben zu können. Auch wenn er unbewusst ahnte, dass dies nicht helfen würde. Wer war da besser dazu geeignet, als ich? Ein Mädchen, das so anders als normale Menschen war und so völlig ohne äußere Emotionen, ein Monster halt. Ich wusste nur zu genau, was ihn ihm vor sich ging. Im Prinzip hatte er ja auch Recht, mit dem was er mir vorwarf. Ich war schuld und ich hätte dies alles verhindern können. Aber es tat mir verdammt weh, denn es zeigte mir, wie er wirklich tief im Inneren über mich dachte. Ich wusste nur zu gut, dass viele Menschen solche Gedanken über die "Hundert" hatten. Zu oft hatte ich mich mit Doko Jacob, der Dika, Chris und anderen aus dem Projekt unterhallten. Auch wenn es sich um uns gut gesinnten Menschen handelte und sie wussten, dass sie mit solchen Gedanken völlig falsch lagen, gingen ihnen immer wieder ohne, dass sie es steuern konnten, solche Gedanken durch den Kopf. Wer konnte es ihnen verdenken? Ich nicht. Trotzdem verletzte mich das was Max sagte, mehr als er sich vorstellen konnte. Denn seine Worte, waren leider wahr. Ich machte mir seit Himmelpfort immer öfter schwere Vorwürfe, die Männer nicht zurückgeschickt zu haben, als meine Freunde da waren. Dann wären den Familien und vor allem meinen Kollegen, diese inneren Kämpfe erspart geblieben. Vor allem hätte ich vielen Kinder, viel Leid ersparen können. Aber woher sollte ich wissen, dass es für die Jungs hier so schlimm war. Traurig sah ich Max an und ließ in weiter brüllen. Tina wollte etwas dazu sagen. Ich schüttelte leicht den Kopf und gab ihr mit dieser Bewegung zu verstehen, dass sie schweigen sollte. Ich wollte nicht, dass Max seine Wut auf Tina fokuszierte. Sollte er sie ruhig an mir ablassen. Ich war es gewohnt, mit den Füßen getreten zu werden. Vor allem prallten im Großen und Ganzen solche Beschuldigungen und Beleidigungen an mir ab.
Meine Freunde in der Schule hatten das auch oft mit mir gemacht. Ich war immer diejenige die Schuld war, wenn einer unserer Freunde gefallen waren. Ich wusste mittlerweilen, dass diese Wut nicht gegen mich persönlich gerichtet war. Man brauchte einfach nur ein Ventil, um seine unendliche Wut in den Griff zu bekommen. Ich war gut dazu geeignet, um sich abzureagieren. Ich lächelte etwas, über diese Gedanken die mir durch den Kopf gingen. Ich musste zugeben, oft machte ich es genauso. Mein Ventil, für solche Zerwürfnisse, war fast immer Rashida und war sie nicht da, meistens Conny oder der Oberst. Wie oft hatte ich, genauso wie jetzt Max , vor ihnen gesessen und meine Wut an ihnen abreagiert. Es half meistens, wieder klar denken zu können. Hoffentlich half es auch bei Max. Deshalb gab ich ihm Recht.
"Ja ich bin ein Monster Max. Du hast vollkommen Recht mit dem was du mir vorwirfst. Sieh mich genau an", ich nahm die Brille von den Augen. "Ich bin ein Monster, das geschaffen wurde, um zu töten. Aber Max, dass was in Himmelpfort geschehen ist, war nichts Schlimmes. Es gibt weitaus schlimmere Sachen, die man erleben kann. Ja Max, ich bin ein Monster, weil ich mit all diesen Sachen klar kommen musste, die ich erlebt habe. Ja Max, ich bin ein Monster, weil ich trotz allem nicht, wie du, im absoluten Selbstmitleid ertrinke. Mir ständig sagen: ‚Ach was bin ich doch für ein armes Wesen. Ach, wie muss ich doch leiden.‘", ganz leise und gezielt, schlug ich immer wieder in die gleiche Kerbe. "Max, ich bin ein Monster, jawohl. Weil ich mich nämlich zusammenreiße und mir sage, es kann keiner etwas dafür, dass ich diese ganzen schlimmen Sachen erleben musste. Ja Max, ich bin ein Monster, das geschaffen wurde, schneller, kraftvoller und effektiver zu töten. Max, ich kann um vieles schneller, kraftvoller und effektiver töten, als du dir das in deinen schlimmsten Träumen vorstellen kannst. Das, was du in Himmelpfort, von mir gesehen hast, war nichts im Vergleich zu dem, was ich wirklich kann"
Traurig sah ich in Maxs Augen, die schreckensweit aufgerissen waren und der mich ansah wie eine Verrückte. Auch sah ich, die panischen Augen die Tina machte und wie sie sich, bei meinen Worten die Hand vor den Mund schlug, um nicht zu schreien. Darauf konnte ich in diesem Moment keine Rücksicht nehmen. Ich musste den Freund davor bewahren durchzudrehen. Max, stand an einem Scheideweg. An mir lag es jetzt, zu verhindern, dass er den verkehrten Weg wählte. Ich wollte, dass er zurück findet, zu seiner Tina und zu mir. Ich musste ihn schocken, denn oftmals war dies der einzige Weg, jemand zurückzuholen.
"Aber Max, ich bin auch ein Mensch. Das habt ihr mir in den letzten sieben Wochen, die wir uns kennen, immer wieder gesagt. Oder bist du jetzt etwa auch der Meinung, dass ich nur ein Tier bin? Ein verwahrlostes Tier, ohne jeglichen Verstand und Gefühl. Ein Tier, das stets dreckig, ungeduscht, halb tot und stinkend ins Bett fällt, um zu schlafen", provozierte ich ihn weiter, damit er seine ganze Wut, an mir abließ. Max starrte mich an, die Worte die ich ihm sagte, erreichten nur bedingt den Ort, den sie erreichen sollten. Mir blieb heute wirklich nichts erspart.
"Du weißt überhaupt nicht, was Gefühle sind, du asoziales Stück Dreck", seine Stimme überschlug sich regelrecht und wurde immer lauter, immer wütender.
"Nein Max, das weiß ich nicht. Woher auch, ich habe keine Familie, so wie du. Woher also sollte ich wissen was Gefühle sind Max", traurig sah ich ihn an. "Meine Mutter war eine Maschine. Mein Vater war eine Peitsche. Meine Liebe war eine stählerne Pritsche, meine Geborgenheit, war der Hunger und der Durst, mit dem Schmerz habe ich mich zudeckt. Nein Max, ich habe keine Gefühle und ja, ich bin ein asoziales Stück Dreck", gab ich ihm in allen recht.
Nach außen hin, strahlte ich das fast immer aus. Dass es in mir anders aussah, wussten bis jetzt nicht viele Menschen. Aber das war jetzt nicht wichtig. Wichtig war nur der Freund der hier vor mir saß und einen falschen Weg ging. Max steckte in einer totalen Blockade und war für kein gutes Wort mehr aufnahmefähig. Also musste ich, ob ich wollte oder nicht, noch tiefer in seine Seele eindringen.
"Du weißt doch überhaupt nicht, wie man sich fühlt, wenn man ein Mensch ist", griff er mich immer böser an.
Traurig sah ich zu ihm hoch und sah ihn lange an. Tränen traten mir in die Augen und liefen stumm meine Wangen herunter. Ich versuchte mich zu beruhigen. Irgendwo hatte er ja mit seinen Vorwürfen recht. Tief holte ich Luft und wischte mir die Tränen vom Gesicht und stand auf. Max zwang mich zu etwas, was nicht gut für mich war. Aber, wenn ich nicht wollte, dass er kaputt ging an dem, was er in Himmelpfort getan und erlebt hatte, blieb mir keine andere Wahl.
Ich sah traurig zu Tina und bat sie leise. "Tina, bitte gehe. Ich hole dich, wenn ich mit Max so weit bin, dass er wieder normal denken kann. Das kann er im Moment nicht."
Ich ging zur Tür. "Rudi, kommst du bitte mal."
Rudi kam sofort angelaufen. "Was ist Kleene?", wollte er besorgt wissen.
Das Geschrei und Gebrüll von Max, war im gesamten Haus von den Runges zu hören, trotz der Schallisolierung des Raumes und der Türpolsterung. Das war aber nichts, gegen das, was jetzt gleich passieren würde. Das war alles nur eine Art Vorspiel, jetzt würde es gleich heftig werden. So leid es mir die Runges taten und vor allem für Tina, ich musste es für Max tun.
"Bitte Rudi, kümmert euch vorn um Tina. Ich muss erst mir Max alleine arbeiten. Rudi, so wie ich es bei Wolle machen musste. Es hilft nichts, entweder ich mache es oder Max wird verrückt. Er ist so tief im Abgrund, so tief in einer Blockade, dass er nicht mehr klar denken kann. Aus der er ohne meine Hilfe, nicht wieder heraus kommt. Das muss Tina nicht miterleben, vor allem mit ansehen. Es reicht schon, was sie bis jetzt mitbekommen hat. Das muss sie nicht auch noch sehen. Ich denke, dass das, was ihr in ein paar Minuten hören müsst, wird schlimm genug sein. Vielleicht solltet ihr mit den Kindern irgendwo hingehen. Bitte, bleibt draußen, versucht nicht in den Raum zu kommen. Es wird gleich hier hinten böse laut werden. Ich hole euch, wenn alles vorbei ist. Dann kannst du das Gespräch, mit Tina und Max weiter führen. Falls ich nicht mehr dazu in der Lage bin. Ich weiß nicht, wie heftig es wird. Vor allem nicht, wie weit ich gehen muss. Bitte Rudi, lass mich danach einfach in Ruhe. Lasst mir Zeit herunterzufahren."
Rudi sah mich entsetzt an, denn er hatte es heute bei Wolle schon einmal erleben müssen und wusste wie heftig es werden würde.
"Bitte Rudi, ich habe keine Zeit für Diskussionen. Mir fallen diese Dinge schon schwer genug, ohne dass ich dir lange Erklärungen geben muss. Akzeptiere einfach, was ich sage. Bitte, habe nur dieses einmal Vertrauen zu mir. Ich weiß, was ich tue. Ich hab das schon oft getan. Tina, gehe bitte vor."
Tina war hin und her gerissen. Sie wollte ihren Max, nicht alleine lassen. "Ich will..."
Ich unterbrach sie einfach. "Tina, willst du, dass es Max besser geht?"
Tina nickte.
"Dann gehe mit Rudi nach vorn. Helfe Viola und Jo, die Kinder zu beruhigen. Macht es mir nicht noch schwerer. Es fällt mir sowieso schon schwer genug, dass mit Max zu machen, was ich gleich tun muss", bat ich die beiden.
Tina stand auf und folgte Rudi wortlos nach vorne in die Küche.
Ich rief den Beiden noch hinterher. "Rudi keiner, wirklich keiner, kommt in Jos Büro. Egal wie laut es gleich in diesem Raum wird. Informiere Jo und Viola darüber, dass sie die Kinder wegschicken sollen. Ich gebe euch zehn Minuten um Tim, Tom und Jenny wegzuschicken, damit sie das nicht alles miterleben müssen. Bitte Rudi, verhindere, dass die Kinder Schaden nehmen. Vor allem lasst mich hinterher in Ruhe und treibt mich mit euren Fragen nicht wieder in die Ecke, bitte Rudi."
Rudi nickte und sah mich so traurig an, dass es mir das Herz zusammen zog.
Ich drehte mich um und schloss die Tür hinter den Beiden. Vorsorglich verkeilte die Klinke mit einem Stuhl, verbarrikadierte uns so im Raum. So dass keiner ohne mein oder Maxs Zutun hier in den Raum gelangen konnte.
Ich musste für die Sicherheit aller Bewohner hier im Haus sorgen. Nicht nur einmal hatten sich die Bewegungsblockaden bei meinen Freunden, bei solchen Rückholaktionen gelöst und es kam zu richtigen Kämpfen zwischen mir und den Betroffenen. Möbel und kaputt geschlagenen Gegenstände ließen sich immer ersetzen, ein Menschenleben allerdings nicht. Ich hatte nämlich keinerlei Vorstellungen, wie weit ich in meiner Schocktherapie bei Max gehen musste.
Bei Rudis und meinem Besuch bei Wolles Familie, musste ich schon einmal verdammt weit gehen und ich ahnte bereits, dass es bei Max noch um einiges schlimmer werden würde. Nach der Behandlung von Wolle, stand dessen Familie im Anschluss völlig unter Schock. Ich brauchte fast eine Stunde, um dessen Frau und die Kinder wieder zu beruhigen. Die drei Kinder waren allerdings alle wesentlich reife und älter als die Runges Kinder. Deshalb wollte ich, dass die Kinder das Haus verließen. Gabi, die Frau von Wolle, musste ich nach der Behandlung sogar ruhig spritzen, da sie völlig zusammengebrochen war. Sie saß genau wie die Kinder am ganzen Körper zitternd in der Wohnstube, als ich mit Wolle zurückkam und mit der Familie sprechen wollte. Fast anderthalb Stunden hatte Wolle geschrien wie am Spieß, erst dann hatte ich ihm aus seiner Blockade heraus bekommen und wieder mit ihm normal reden können.
Wie so oft in meinem Leben, hatte ich keine Ahnung oder besser gesagt Vorstellung, was ich der Familie damit an tat. Meine Freunde aus der Schule, hatten solche Aktionen von mir, als nicht umgehbare Notwendigkeit akzeptieren gelernt. Jeder von ihnen, war in den letzten vierzehn Jahren einmal in solch eine Blockade gerutscht und sie wussten alle, dass es keine andere schnelle Hilfe gab. Für jahrelange psychologische Behandlungen hatten wir einfach keine Zeit. Für sie waren das normal Methoden, die halfen, jemanden aus einer Blockade zurückzuholen. Woher sollte ich also wissen, dass das in Familien anders war und dass sie gar nicht mit solchen, zugegebenermaßen brutalen Methoden umgehen konnten.
Ich hoffte sehr, dass sich Rudi an das erinnerte, was ich Gabi, Wolles Frau erklärt hatte und er Tina, durch diesen Alp hindurch half. Die Kinder Knut, Arno und Sandra waren nach unserer Rückkehr in den Wohnraum, völlig aufgelöst und hatten mich gehasst. Erst nach über einer Stunde und vielen Erklärungen verstanden sie, warum ich ihren Vater so quälen musste und dass er nicht vor Schmerzen sondern vor Panik geschrien hatte. Vor allem aber, merkten sie während des Gespräches schnell, das Wolle wieder der Vater war, den sie kannten.
Max steckte noch um einiges tiefer in der Blockade als Wolle. Bei ihm würden sehr viel weiter gehen müssen. Wie weit, das konnte ich jetzt noch nicht sagen. Aber ich wusste, dass es mir absolut nicht gut tun würde. Lange hatte ich Max jetzt angesehen, während mir diese Gedanken durch den Kopf gingen. Ich gab mir einen Ruck, ich musste anfangen, denn es würde nicht besser werden, wenn ich es noch Stunden vor mir herschob. Tief holte ich Luft und sah meinen Kollegen traurig an.
"So, nun zu dir, mein Freund", wandte ich mich in einen ruhigen leisem Ton an Max. "Weißt du, was mich an dir ankotzt Max? Du bist so tief in deinem Selbstmitleid versunken, dass du nicht einmal merkst, dass du die Menschen, die dich am meisten lieben, verletzt. Du bist ein totaler Egoist, denkst nur an dich und nimmst auf niemanden anderen Rücksicht", sagte ich ihm richtig die Meinung.
Max der sich dagegen wehren musste, brauste auf. "Was weißt du junges Ding, denn vom Leben? Du weißt doch gar nicht, was das Leben alles mit einem machen kann", brüllte er mich immer noch an.
"Max, bist du wirklich der festen Meinung, dass ich nicht weiß, was das Leben mit mir alles machen kann. Du hast wirklich gar keine Ahnung vom wahren Leben, Max. Ich werde dir jetzt einmal zeigen, was das Leben mit einer wie mir, alles machen konnte. Damit du endlich begreifst, dass du ein schönes Leben hast und vor allem dass der Einsatz in Himmelpfort nicht schlimm war", sagte ich ganz leise zu Max.
Lange sah ich Max an. Ich wollte nicht tun, was ich jetzt gleich machen würde. Aber wenn ich Max helfen wollte, blieb mir nur dieser eine Weg. Sonst müsste ich Max in eine geschlossene Abteilung der Psychiatrie einweisen. Denn er war in diesem Zustand eine tickende Zeitbombe, bei der man nicht wusste, wann sie in die Luft fliegen würde. Ob man in der Psychiatrie einen Weg finden würde, der ihm wirklich half wieder zu sich selber zu finden, bezweifelte ich stark. Tief holte ich Luft, drehte mich um und legte meine Brille auf den Schreibtisch von Jo und schaltete das Licht aus. Entschlossen setzte ich mich einfach neben Max auf die Couch. Es half mir nicht es hinauszuzögern, davon würde es nicht leichter werden. Je eher ich anfing, umso schneller hatte ich es hinter mir.
Ich lehnte mich in die Ecke der Ledercouch und zog Max so auf meine Beine, dass ich hinter ihm saß. Legte meine Beine um seinen Körper, auch umfasste ich seine Arme mit meinen Beinen. So dass er sich später, aus dieser Umklammerung nicht befreien konnte. Ich schob ihn so weit nach unten, dass sein Kopf an meinem Körper lehnte und nahm ihn in einen speziellen, aber sicheren Griff. Dieser Griff verhinderte, dass Max sich aus meinem Blick drehen konnte. Da ich alleine war mit ihm, musste ihn richtig fixieren, also halten und sichern gleichzeitig. Auf diese Weise hielt ich Max in einem sicheren Griff und begann mit ihm das Krantonak zu machen.
So leid mir mein Kollege tat: Ich ging hart gegen Max vor. Etwas, dass ich sehr selten und vor allem sehr ungern machte. Aber schon einige Mal machen musste, wenn es darum ging zu verhindern, dass jemand verrückt wurde. Max war gerade dabei, eben das zu werden. Er kam nicht mit dem Erlebten klar. Deshalb nutzte ich das Krantonak, um ihn zu zeigen, dass die Dinge die er erlebt hatte, zwar schlimm waren. Dass es aber viel schlimmere Dinge auf dieser Welt gab, die man erleben konnte. Ich zeigte ihm Bilder aus meinem Leben, Dinge über die ich nie sprechen würde. Ich zeigte ihm meine Inhaftierung in Chile, mit aller der Folter. Zeigte ihm, wie man mich zwang, Dinge zu tun, die ich niemals getan hätte. Wie ich meine Kameraden eigenhändig foltern musste, um die andere zu schützen und zu retten. Ließ ihm teilhaben, an dem Verlust meiner Freunde. Zeigte ihm Dinge die ich tun musste, um zu verhindern, dass man vierhunderteinunddreißig unschuldige Kinder tötete, wie damals in Algerien. Als ich mich mit Cankat zusammen gefangen nehmen ließ, nur um die Möglichkeit zu bekommen, diese Kinder zu retten. Wie wir zu zweit gegen dreihundertzweiundachtzig Bewacher eines Lagers zu kämpften. Da wir von unseren anderen Kameraden völlig abgeschnitten waren. Wir konnten nicht warten, bis die anderen zu uns fanden und zu uns stießen, denn dann wäre es für die Kinder zu spät gewesen. Also versuchten Cankat und ich das Unmögliche zu zweit. Denn wir mussten verhindern, dass man diese Kinder einfach tötete, weil die Regierung auf die Forderung der Geiselnehmer nicht einging. Wir wurden dort hingeschickt mit sechs Jahren, um die dort befindlichen Kinder einer Schule zu befreien. Ich gab Max die Möglichkeit zusehen, aber auch die Schmerzen fühlen, die ich bei der Folter in dem Lager in Algerien empfand und ließ ihm teilhaben, an meinen Gefühlen. Ich ging weiter nach Vietnam, um ihm zu zeigen, wie man dort behandelt wurde, wenn man zwischen die Fronten in einem Guerillakrieg geriet, um Geiseln zu befreien. Wie liebenswert der Vietkong, seine Gäste behandelte. Bilder, die ich danach restlos, aus seinem Gedächtnis wieder herausholen würde. Was ich nicht löschen würde, waren aber die Erinnerung an diese meine Gefühle. So dass er begreifen konnte, das Himmelpfort nichts Schlimmes war. Ich zeigte Max auch Kuba, die Erlebnisse meiner dortigen Gefangenschaft. Ich ließ ihn teilhaben an meinen Schmerzen, an der Folter, ließ ihn meine Verzweiflung fühlen. Max fing nach zwanzig Sekunden an zu schreien, sich trotz der Blockade in meinen Armen zu winden. Er wollte weglaufen, aber konnte er sich nicht richtig bewegen. Nachdem er fast hundertfünfundvierzig Minuten gegen meine Erinnerungen gekämpft hatte, holte ich die Erinnerungen zurück und schwächte die Erinnerungen an Himmelpfort ab.
Erschöpft schloss ich die Augen. Ich flüchtete mich ins Jawefan und schlief einige Minuten im tiefen Schlaf, um mich etwas zu erholen. Max war zu nichts in der Lage. Er war viel zu sehr mit dem beschäftigt, was er gerade erlebt hatte. Kaum, dass ich zurück aus dem Jawefan war, hob ich die Bewegungsblockade seines Körpers auf.
Max lag völlig geschafft da. Auf einmal kam wieder Leben in seine Augen. Er schaute zu mir hoch. Verwundert blickte er mich an und setzte sich auf. Wollte etwas sagen, ich schüttelte kurz nur den Kopf. Ich konnte und wollte jetzt nicht mit ihm reden. Tief holte ich Luft und setzte mich ebenfalls hin. Ich stützte den Kopf auf die Hände, atmete einige Mal tief durch. Dann gab ich mir innerlich einen Schubs und sah hoch zu Max.
"Hast du dich nun wieder beruhigt Max?", wollte ich leise von ihm wissen.
Ich musste mich mühsam zum Sprechen zwingen. Mir war einfach nur schlecht. Max starrte mich an, als wenn er aus einer anderen Welt aufgetaucht wäre. Mir war es gelungen und hatte ihn zurück geholt. Erleichterung machte sich in mir breit, trotz der Übelkeit die ich fühlte.
"Was war nur los mit mir, Kahlyn? Es tut mir leid, ich weiß nicht, warum ich das gemacht habe", versuchte er sich zu rechtfertigen, mit einer eigenartig klingenden Stimme.
"Ist schon gut Max, das passiert manchmal. Aber mache das nicht zu oft. Wenn ich ehrlich bin, habe ich nicht die Kraft, das Öfters mit dir zu machen. Oft, kann ich dich aus so einer Blockade nicht unbeschadet herausholen. Du musst dich nicht bei mir entschuldigen. Entschuldige dich lieber bei deiner Tina, die hast du viel mehr verletzt, als mich. Ich weiß, dass du nicht du selber gewesen warst. Ich kenne diese Zustände mehr, als mir lieb ist. Geh nach vorn, rede mit ihr. Bitte Max, sorge dafür, dass man mich in Ruhe lässt. Treibt mich bitte nicht in die Ecke. Ich bin im Moment nicht ganz ungefährlich. Ich musste verdammt weit gehen bei dir, um dich zurück zu holen. Ich brauche Zeit, um zu mir selber zurückzufinden. Lasst mir die Zeit, die ich zum Herunterfahren brauche."
Kaum, dass ich fertige gesprochen hatte, stand ich auf und griff nach meiner Brille und machte das Licht in Jos Büro wieder an. Hielt mich einen Moment am Schreibtisch fest, dann setzte ich sie auf und ging wortlos aus dem Raum. Draußen im Gang blieb ich nochmals kurz stehen und versuchte mich zu beruhigen. Leider wollte es mir nicht gelingen. Mir war alles zu viel im Moment. In der Küche saßen Jo, Rudi, Viola und Tina und blickten mich erschrocken an. Alle sahen verzweifelt aus, wollten wissen, was los war. Warum Max so geschrien hatte. Ich hoffte sehr, dass Rudi sich an meine Worte erinnerte und mich in Ruhe ließ. Schwankend ging ich zum Sofa und zog meine Sachen aus, auch die Schuhe. Als Rudi etwas sagen wollte, schüttelte ich den Kopf, mühsam atmend.
Leise flüsterte ich nur. "Lasst mich einfach alle in Ruhe, ich brauche Zeit."
Entschlossen öffnete ich die Tür zur Terrasse und ging nur im Bustier und Turnhose begleitet, nach draußen. Lief zur Dusche und stellte sie an. Aber es kam kein Wasser mehr. Auch im Becken war kein Wasser mehr. Ich hatte so gehofft, dass ich das kalte Wasser nutzen konnte, um herunterzufahren. Deshalb hatte ich die Sachen ausgezogen. Verzweifelt setzte ich mich an den Rand des Schwimmbeckens. Stützte meine Ellen auf die Knie und legte meinen Kopf in meine Hände. Rudi wollte mir nach. Jo hielt ihn zurück.
"Rudi ich glaube, du solltest die Kleene lassen. Sie ist glaube ich kurz vor dem Austicken. Ich werde ihr das Wasser anstellen", versuchte er Rudi zu erklären, dass er mich in Ruhe lassen sollte.
Jo drehte sich um und verließ den Raum in Richtung Keller, um die Dusche anzudrehen. Rudi jedoch, ganz auf meine Sicherheit fixiert, wollte mir unbedingt hinterher. Er öffnete die Tür und kam ganz langsam auf mich zu. Besorgt sah er mich an.
"Kleene es ist kalt hier draußen, geh hoch in deine Zimmer."
Ich versuchte ganz ruhig zu bleiben. Die Wut die ich in mir hatte, nicht an Rudi auszulassen. Ohne zu merken redete ich in meiner Sprache, da ich viel zu sehr mit mir beschäftigt war. "Kri semro, Teja. Granima, sori keladi. Drö, Rafik granima. - Das wirkliche töten beginnt am Schluss. Mein Freund, du bist Gefangen in deiner Schuld und deiner Panik. Du kannst mir nicht helfen meine innere Ruhe zu finden", traurig und schwer atmend sah ich Rudi an. Wieder einmal war Rudi froh, dass ich ihn meine Sprache beigebracht hatte, so konnte er verstehen, was ich gesagt hatte.
Max, der gerade in die Küche gekommen war, übersetzte für die anderen. "Wenn ich es richtig verstanden habe, hat sie gesagt. ‚Das wirkliche töten beginnt am Ende, mein Freund. Gefangen bist du in deiner Schuld und in deiner Panik. Du kannst mir dabei nicht helfen, meine Ruhe zu finden‘."
Jo sah Max erstaunt an, der zuckte mit den Schultern und nahm Tina in den Arm, gab ihr einen Kuss. "Es tut mir leid, verzeih mir bitte", bat er sie leise um Verzeihung.
Jo jedoch rief aus der Tür heraus. "Kleene, die Dusche ist an. Du kannst sie jetzt benutzen."
Rudi drehte sich um und kam in die Küche. Setzte sich auf seinen Platz, starrte den Kopf auf die Hände stützend, auf die Tischplatte.
Max ging zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. "Rudi, sie hat zu mir gesagt, wir sollen sie in Ruhe lassen. Sie wäre nicht ungefährlich und sie bräuchte Zeit zum Runterfahren. Rudi, es tut mir leid", sprach Max total geknickt.
Max macht sich Vorwürfe, wegen dem, was im Moment passierte. Ich dagegen war froh, dass die Männer mich nicht in die Ecke trieben. Bliebe noch eine Weile auf den Beckenrand sitzen. Dann stand ich auf und ging zur Dusche, stellte mich darunter. Fast dreißig Minuten ließ ich das eisige Wasser über meinen Körper laufen. Langsam wurde ich etwas ruhiger. Ich konnte wieder besser denken. Langsam drehte die Dusche aus, wollte nach hinten in die Ecke gehen, in der ich schon einmal geschlafen hatte. Jo kam mir wortlos entgegen und hielt mir eine Decke hin. Ich schüttelte den Kopf und ließ ihn entsetzt stehen. Setzte mich an die Wand, legte den Kopf in den Nacken. Lange starrte ich nach oben in die Wolken und konzentrierte mich auf meine Atmung, versuchte krampfhaft diese Bilder wieder zu verdrängen. Sie wieder nach ganz unten zu schieben, in eine Ecke in der sie mir nicht mehr so zu schaffen machten. Aber es war so verdammt schwer. Erst vor ein paar Tagen, kamen sie wieder nach oben. Es fraß mich langsam auf, es zerstörte mich systematisch, wenn ich zuließ, dass diese Bilder mich beherrschten. Tief atmete ich mich in mein Qi, langsam wurde mir besser. Ich stand auf und ging hinaus auf die Wiese, begann das Taiji zu machen. Anderthalb Stunden später, kam ich wieder zurück aus dem Taiji, es ging mir wieder etwas besser. Ein wenig Schlaf dann würde es wieder gehen. Ich hatte es geschafft. Diesmal war ich nicht in einen Anfall hinein gerutscht. Ich konnte es also schaffen. Langsam atmete ich mich aus, drehte mich um und ging zurück in die Küche.
"Ich lege mich hin. Bitte ich will nicht reden, nicht jetzt."
Bittend sah ich die Runges und Rudi an, alle nickten. Als erste jedoch ging ich noch einmal auf Max zu, der immer noch in der Küche saß.
"Alles wieder klar mit dir?", wollte ich von ihm wissen.
Max sah mich traurig an. "Ich weiß nicht, was du mit mir gemacht hast, aber es geht mir wieder gut. Tut mir leid, was ich zu dir gesagt habe, wirklich."
Ich nickte nur, mir war nicht nach reden. "Dann ist es gut, dann hat es sich wenigstens gelohnt."
Rudi stand auf und hing mir eine Decke um, sagte aber kein Wort. Dankbar sah ich ihn an. Ohne einen Gruß ließ ich alle sitzen und lief nach oben in mein Zimmer, setzte ich mich in die Ecke hinter den Schrank und rollte mich zusammen. Immer noch kämpfte ich gegen den Hass, gegen die Wut und diese verdammte Panik die in mir war. Auch, wenn sie nachgelassen hatte, es war noch lange nicht vorbei. Ich konzentrierte mich wieder auf meine Atmung und holte mir die Stimme von Rashida zurück. "Komm Täubchen, atme ruhig. Lass dich nicht von der Panik erfassen. Es tut dir nicht gut." Nach über einer halben Stunden, verfiel ich in einen ruhigen erholsamen Schlaf. In der engen Ecke liegend, fanden mich nach einer Stunde, Rudi und Jo. Die aus Sorge um mich, nachsehen wollten, wie es mir ging. Als Rudi mich berührte, um mich aufs Bett zu legen, fing ich an, um mich zu schlagen. Also ließ sie mich, wo ich war. Nahmen nur eine Decke, aber auch die beiden Teddys von Bett, um mich zu zudecken. Denn ich war immer noch eisig kalt. Traurig hockte sich Rudi vor mich hin und sah mir zu, wie ich in mich zusammenkroch.
"Ihr ging es gerade so gut."
Jo sah seinen Freund an. "Glaube mir, sie fängt sich schnell wieder."
Rudi nickte und stand auf und verließ traurig das Zimmer, um nach unten in die Küche zu gehen. Dort saßen Max, Tina und Viola, redeten über das, was Max in den letzten Tagen so angestellt hatte.
Max schüttelte immer wieder den Kopf, er konnte nicht begreifen, was er da gemacht hatte. Immer wieder sagte er. "Tina, es tut mir so leid. Ich weiß das wirklich nicht."
Tina schmiegte sich an ihren Max und streichelte ihm über das Gesicht. "Max, ist nicht schlimm, ich glaube dir das gerne, du warst nicht mehr du selbst."
Rudi setzte sich zu den Beiden an den Tisch. Über zwei Stunden redeten alle miteinander. Bis Rudi sich durchringen konnte und Max danach fragte, was hinten im Büro passiert war. Warum er so geschrien hat?
"Max, kannst du mir vielleicht sagen, was ihr dahinten gemacht habt? Warum hast du so geschrien? Warum ist meine Kleene wieder so durch den Wind? Ihr ging es gerade mal gut."
Max schüttelt jedoch den Kopf. "Rudi, ich weiß es wirklich nicht. Ich weiß nur, dass es schlimm war. Es war ganz grauenvoll. Aber ich könnte dir nicht sagen, was es war. Aber es brachte mich zurück. Ich weiß jetzt, das Himmelpfort nicht schlimm war. Keine Ahnung, warum? Ich kann es dir wirklich nicht erklären", Max starrte Rudi an, der schüttelte den Kopf.
"Max, du musst doch wissen, warum du so geschrien hast."
Alle waren so auf Max konzentriert, dass sie mich gar nicht bemerkten. "Es stimmt, was er sagt", erklärte ich ihnen leise. "Er kann es nicht wissen, Rudi. Ich habe ihm zwar die Gefühle gelassen, die er beim Sehen der Bilder empfunden hat. Die Bilder aber nicht. Das würde ihn zerstören, wenn ihn schon Himmelpfort fast zerstört hat. Aber es ist immer gut zu wissen, dass es noch schlimmere Sachen gibt. Max es tut mir leid, dass ich dir das antun musste. Aber anders hätte ich dich aus deinem Wahnbild, nicht mehr heraus bekommen. Ohne dich in eine Anstalt einzuweisen. Oft helfen einen solche Schocks, aus dem ursprünglichen Schock heraus zukommen."
Damit ging ich auf das Sofa zu, auf dem meine Sachen lagen und zog mich wieder an.
"Kahlyn möchtest du etwas essen?", fragte mich Viola besorgt, ich schüttelte den Kopf.
"Nein Viola, das würde ich sowieso nur wieder ausbrechen. Könnte ich bitte einen Tee haben?" Ich setzte mich auf meinen Platz, stützte den Kopf auf die Hände und atmete einige Male tief durch.
Rudi kam zu mir. "Darf ich dich in den Arm nehmen Kleene, dir geht es doch nicht gut", er sah mich besorgt an.
"Gern, aber ich werde lieber wieder hoch gehen. Mir ist heute alles zu viel. Bitte Rudi, frage nicht, was los ist, das schaffe ich heute nicht."
Rudi nickte, das konnte er sich denken. Besorgt stellte er fest, dass ich wieder schneeweiß im Gesicht aussah. Selbst die dunklen Augenringe, sah man sogar unter der Brille.
"Soll ich dir beim Schlafen helfen, Kleene?", bot er mir Hilfe an.
Ich zuckte mit den Schultern, mir war im Moment alles egal. Ich hatte nur Durst gehabt, hoffte das keiner mehr hier war. Mir war nicht nach reden zu Mute. Rudi zog mich in seinen Arm, ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter und trank Schluck für Schluck meinen heißen Tee. Es freute mich zu sehen, dass Max wieder aufgetaut war und wieder mit Tina und den anderen in einem vernünftigen Ton sprach. Dann hat es sich die ganze Sache wenigstens gelohnt. Max war kurz davor wahnsinnig zu werden. Er tat mir richtig leid, er musste die letzten Tage durch die Hölle gegangen sein. Hin und hergerissen von seinen Gefühlen, nicht mehr fähig diese zu steuern. Ich wusste wie er sich fühlt, ging es mir oft genauso. Aber das Einzige was zählte, war die Tatsache, dass er es geschafft hatte. Als meine Tasse leer war, fragte mich Viola, ob ich noch mehr haben wollte, ich schüttelte den Kopf.
"Wenn ihr mir nicht böse seid, dann würde ich gern schlafen gehen", sagte ich offen zu Viola. Die nickte und gab mir einen Kuss.
"Klar macht das, ich glaube wir sollten alle schlafen gehen, es ist gleich 2 Uhr 30."
Erschrocken sah Max auf die Uhr. "Entschuldigt. Es tut mir leid. Komm Tinchen, du musst auch ins Bett", besorgt auf seine Frau guckend, die ja in der Früh wieder arbeiten musste.
"Nein Max, ich habe mit deiner Mutter gesprochen. Ich habe ein paar Tage frei, damit wir erst einmal wieder zu uns finden. So nannte sie das. Aber ich glaube, wir sollten auch schlafen gehen, wenn ich ehrlich sein soll, ich bin auch todmüde." Damit stand sie auf und kam auf mich zu. "Danke Kahlyn, was immer du gemacht hast, du hast mir meinen Max wieder gegeben. Dafür werde ich dich immer lieben. Schlaf schön und gute Besserung", Tina gab mir einen Kuss auf die Stirn.
Auch Max gab mir einen. "Schlaf schön Kahlyn und danke, für das was du mit mir gemacht hast."
"Auf Wiedersehen ihr Beiden", verabschiedete ich mich kurz angebunden, da ich einfach nicht reden wollte.
Jo, Viola, Rudi brachten die Beiden an die Tür. Ich stand auf und ging ohne ein Wort zu sagen, nach oben in mein Zimmer. Diesmal rollte ich mich auf meinem Bett zusammen. Allerdings kamen sobald ich lag, die schlimmen Bilder wieder. Das Zittern erfasste von neuen meinen Körper und ließ mich nicht zur Ruhe kommen.
Einige Minuten nach mir, kam Rudi ins Zimmer. "Komm Kleene, zieh dich aus. Ich mache dein Bett."
Also stand ich noch einmal auf und zog meine Sachen aus. In der Zwischenzeit hatte Rudi den Überwurf vom Bett genommen, auch hatte er meine Bären aus der Ecke geholt und zog sich ebenfalls Schuhe und Hose aus.
"Komm Kleene, ich helfe dir, dass du schlafen kannst und endlich zur Ruhe kommst."
Er zeigte ins Bett. Ich kletterte hinein, rutsche zur Seite, so dass auch Rudi noch Platz darin fand. Rudi deckte erst einmal mich zu, dann holte er sich eine zweite Decke, legte sich neben mich, dann deckte er sich und mich zu. "Komm in meinen Arm, meine Kleene, du gefällst mir gar nicht. Hast du vorhin wieder einen Anfall gehabt."
Ich schüttelte den Kopf. "Nein, nur das, was ich mit Max gemacht habe, war nicht gut für mich. Ich weiß nicht, ob ich das noch einmal machen kann. Rudi, wir müssen nach solchen Einsätzen mehr auf unsere Leute achten, die gehen daran zu Grunde. Ich wusste nicht, dass es so schlimm für euch ist. Ich glaube, ich kann das nicht richtig einschätzen. Für mich ist Himmelpfort zwar kein schöner Einsatz gewesen, aber er war nicht schlimm. Dass er euch so aus den Schuhen drückt, habe ich nicht einmal ansatzweise geahnt. Ich hoffe nur, dass die Leute von Conny und dem Oberst es besser verkraftet haben, als ihr. Wenn ich ehrlich sein soll, ich schaffe nicht noch mehr solcher Gespräche. Es macht mich kaputt", müde sah ich Rudi an.
Liebevoll streichelte er mir mein Gesicht. "Das habe ich gesehen, Kleene. Weißt du wie du schon wieder aussiehst. Aber ich weiß auch nicht, wie ich dir dabei helfen soll. Vorhin hast du niemanden mehr an dich heran gelassen. Wenn ich wenigstens verstehen würde, warum du mich immer so abblockst, dann wäre es leichter. Verstehst du das?"
Ich schüttelte den Kopf. "Warum wäre das Leichter?", fragte ich, weil ich nicht begreifen konnte, warum das leichter wäre, wenn er es wusste.
"Kleene, wenn du ohne Grund so blockst und niemanden an dich heran lässt. Denke ich immer, du fällst in einen Anfall. Habe Angst, dass es wieder so schlimm wird wie nach der Sache mit den Puppen, kannst du das verstehen."
Ich sah ihn verständnisvoll an.
"Wenn ich aber weiß, was mit dir los ist, kann ich dich vielleicht davor beschützen, denke ich jedenfalls", versuchte er mir zu erklären, was in ihm vorging. "Ich habe zwar vorhin deine Worte verstanden, nur ergaben sie in meiner Sprache keinen Sinn. Du drückst dich anders aus als wir, meine Kleene. Jetzt weiß ich endlich wie es dir immer geht."
"Was hast du nicht verstanden, Rudi?", erkundigte ich mich verwirrt.
"Du hast, so wie ich das verstanden habe gesagt. ‚Das wirkliche töten beginnt am Ende, mein Freund. Gefangen bist du in deiner Schuld, in deiner Panik.‘ Was bedeutet das? Was meinst du da mit?", irritiert sah er mich an, streichelte mein Gesicht.
"Wie soll ich dir das erklären Rudi? Vielleicht so? Nach dem Kampf, beginnt der Tot dich zu töten. Durch die Schuld die auf dir lastet. Aber auch, durch die Panik die dich erfasst. Dadurch wirst du gefangen in deinen Gefühlen und in deinem Geist. Du stehst zwischen der Normalität und dem Wahnsinn, der Grad dazwischen ist verdammt eng."
Rudi nickte, jetzt begriff er, was ich meinte, er hatte es selber erlebt.
"Rudi, es ist nur so, dass ich Sachen erlebt habe, die du dir nicht einmal vorstellen kannst. Als ich damals John von Rumänien erzählte, wäre er mir fast gestorben. Das war aber eine Sache, die nicht schlimm war. Verstehst du?"
Rudi starrte mich entsetzt an. "Das war die Hölle, Kleene. Was kannst du erlebt haben, was noch schlimmer ist?"
"Rudi das willst du nicht wissen, es würde dich zerstören. Ich habe zurzeit einfach keine Kraft mehr, dich dort wieder heraus zu holen. Ich kann dir einiges aus meinem Leben zeigen, aber ich weiß, dass es mir danach wieder nicht so gut geht. Aber vielleicht hast du Recht, dass du wissen solltest, was mit mir los ist. Sonst passieren immer wieder solche Sachen, wie mit Ines neulich. Aber ich habe Angst, dass ich irgendwann den Weg nicht mehr zurück finde. Es ist wie ein Labyrinth in dem man sich verirrt. Rudi, es wird jedes Mal schwerer wieder dort herauszukommen. Ach ich weiß auch nicht, du musst es selber entscheiden. Was du willst und was nicht. Dass kann ich nicht für dich machen. Aber glaube mir eins, im Vergleich zu dem, was ich erlebt habe, war Himmelpfort ein ganz ruhiger und mittelmäßig schwerer Einsatz. Zu vergleichen mit dem ersten Einsatz, den wir zusammen gemacht hatten."
Rudi starrte mich an. Lange sah er mir in die Augen. Dann holte er tief Luft. "Ich will es wissen. Denn, wenn ich dich adoptieren möchte, dann muss ich auch für dich sorgen können. Vor allem muss ich wissen, was mit dir los ist. Warum du so reagierst, wie du reagierst. Warum du so manches Mal, einfach aus der Bahn geschmissen wirst. Wie soll ich dich denn sonst beschützen, meine Kleene."
Lange sah ich ihn prüfend an. Aber ich sah, dass er es wirklich wollte. Trotz dem er sichtbare Angst davor hatte. "In Ordnung. Kannst du mir ein Gefallen tun, Rudi. Könntest du mir den Medi-Koffer hoch holen, der steht glaube ich noch in Jos Büro. In der Zwischenzeit atme ich mich ins Qi, dann kann ich das besser abfedern."
Rudi nickte und stand auf, lief nur in Turnhose und T-Shirt begleitet, nach unten in das Büro, wo noch der Medi-Koffer stand. Ich wollte Max ja eigentlich noch eine Spritze geben, was ich total vergessen hatte. Aber ich war der Meinung, dass Max jetzt auch ohne die Spritze klar kam. Kurze Zeit später, kehrte Rudi wieder ins Zimmer zurück und brachte mir noch eine Tasse Tee und sich einen Kaffee mit.
"Rudi, machst du bitte einmal kurz das Licht aus, ich muss eine Injektion für mich vorbereiten." Schnell zog ich die Spritze mit dem N47 auf. Das war ein Mittel, das nur bei den Hundert eingesetzt wurde. Wir nannte diese Injektion den Genblocker. Mit dieser Injektion wurde verhindert, dass Aggressionen und Stress zu hoch kochten. Ich nahm dieses Mittel sehr ungern, da es schlimme Nebenwirkungen hatte und weil ich bei diesem Mittel eine lebensgefährlich hohe Dosis spritzen musste, da ich gegen dieses Mittel fast immun war. Aber bei der Sache die ich mir Rudi vorhatte, musste ich es mir injizieren, sonst bestand die Gefahr, dass ich aus dem Ruder lief. Ich für Rudi und vor allem für die Runges und die Kinder eine unmittelbare Gefahr wurde. Für Rudi zog ich auch eine Spritze auf und erhitzte ich eine Spritze mit N91, die ich ihm dann ebenfalls gleich geben würde. So waren wir beide auf der sicheren Seite.
"Rudi, ich gebe dir vorbeugend einen Injektion mit N91, erstens kannst du dann besser schlafen, vor allem ist die Gefahr geringer, dass du überreagierst. Ich spritze mir allerdings ein Mittel, das arge Nebenwirkungen hat. Aber ich muss das einfach machen, bei dem, was wir vorhaben. Sonst stelle ich eine Gefahr für dich und die Runges dar."
Rudi sah mich entsetzt an. "Was für Nebenwirkungen, Kleene?"
"Ist doch egal, das sage ich dir morgen. Wichtig ist nur, dass wenn ich aus Nase, Augen, Ohren und den Mund bluten sollte, dass du dann keine Panik bekommst. Das ist normal."
Als Rudi dazu ansetzen wollte mit mir zu diskutieren, würgte ich das gleich ab.
"Rudi, du musst schon wissen, was du willst. Alles kann man nicht haben. Jede Medaille hat nun einmal zwei Seiten. Vertraust du mir nun oder nicht?"
Rudi stöhnte auf. Holte dann einmal tief Luft und nickte, nachdem er mich lange eindringlich angesehen hatte. "Dann komm."
Sofort gab ich ihm zwei Einheiten N91 und mir fünf Einheiten von dem Genblocker, dem N47. "Lege dich auf meine Knie, damit ich deinen Kopf halten kann."
Rudi legte sich so hin, dass er mit dem Rücken auf meinen Oberschenkel lag und ich so bequem seinen Kopf halten konnte. Sogleich begann mit dem Krantonak, um ihm mein wahres Leben zu zeigen. All meine Erinnerungen. Ich begann bei meinen ersten Erinnerungen, ging nach und nach weiter, bis zu dem letzen Einsatz im Chelm. Nach über drei Stunden, hatte ich ihm alles gezeigt. Ich nahm ihm die Erinnerung nicht, aber ich nahm ihm den Schmerz, das Grauen, das Gefühl, es selber erlebt zu haben. Zurück blieben nur Bilder. Die wie aus einem schlechten Film waren, ohne emotionale Bindung. Das Gesehene, verlor seine Kraft, damit seine Wirkung auf die Seele, es waren die Informationen eines Fremden. Die einen selber emotional nicht bedrückten. Es waren nur noch Informationen, mehr nicht. Dann brach ich das Krantonak ab. Die erlösende Erholung blieb aus, obwohl ich am Ende meiner Kraft war, konnte ich nicht wie sonst abtauchen. Das war in dieser Situation nicht möglich, meine Emotionen waren viel zu aufgewühlt. Ich legte mich nur noch zurück und kämpfte gegen diese verdammten Emotionen an, die ich hasste wie die Pest.
Rudi jedoch starrte mich an, er konnte nicht glauben, was er da gesehen hatte. Er legte sich neben mich und nahm mich in den Arm. Ich wehrte mich und fing an um mich zu schlagen. Denn ich wollte keine körperliche Nähe. Doch er hielt mich fest, genauso wie es Rashida immer getan hatte, wenn ich emotional aufgewühlt war. Ich zeigte ihm auch im Krantonak, wie mich Rashida in schlimmen Situationen betreut hatte. Wie sie es immer wieder geschafft hatte mich zurückzuholen und mich bei Verstand zu halten. Plötzlich fing ich an, zu krampfen. Der Kampf der Emotionen, gegen meinen Verstand begann. Die Spritze zeigte seine Wirkung. Nach zehn Minuten ließen die Krämpfe etwas nach, aber ich fing an zu bluten. Aus den Augen, der Nase, dem Mund, aus den Ohren, sogar meine Haut fing an zu bluten. Rudi hielt mich einfach fest. Eine halbe Stunde später, schlief ich tief und fest in Rudis Armen, erholte mich von meinem eigenen Leben.
Rudi dagegen kämpfte gegen seine Gefühle. Er begann zu weinen und versuchte sich mühsam wieder zu beruhigen, aus Angst, dass er seine Kleene muntermachen könnte. Immer wieder stiegen die Bilder in seiner Erinnerung hoch. Bei jedem neuem Erinnerungsschub fragte er sich, wie Kinder nach solchen Erlebnissen noch normal seinen konnten. Vor allem aber wie sie noch an das Gute im Menschen glauben konnten. Nicht nur einmal fragte Rudi sich, wie man Kindern solch unvorstellbares Grauen zumuten konnte. Immer wieder schaute er zu Kahlyn, streichelte liebevoll, ihren sich immer noch gegen die Krämpfe wehrenden Körper. Langsam versuchte er Ordnung in das Chaos seiner Gedanken zu bringen. Er überlegte, wie er wohl gehandelt hätte, wenn er an Stelle von Kahlyn vor der Wahl gestanden hätte, seine eigenen Freunde zu töten oder zu akzeptieren das mehr Menschen starben. Er musste sich eingestehen, dass er bei dem Einsatz in Prag, diese Risiken nicht eingegangen wären, die Kahlyn einging, um das große Blutvergießen zu verhindern. Ihm wurde mit einem mal klar, dass er von Kahlyn wahnsinnig viel lernen konnte. Dass er aber auch lernen musste, dass sie in allen Dingen die das Kämpfen betraf, viel mehr Erfahrungen besaß, als er sich träumen ließ. Er versuchte zu verarbeiten, was er da in den Erinnerungen Kahlyns gesehen hatte. Begriff nach einer Weile, auch diese Information hatte Kahlyn ihm über das Krantonak gegeben, dass er das nicht verarbeiten konnte. Dass er es nur akzeptieren konnte, als Informationen über ihr Leben. Langsam wurde auch er ruhiger und schlief ebenfalls ein.
Kurz nach 9 Uhr in der Früh erwachte ich ausgeschlafen, wenn auch mit fürchterlichen Kopfschmerzen. Ich bewegte mich, davon erwachte auch Rudi, erholt sah er nicht gerade aus. Aber doch besser als vor dem Einschlafen.
"Guten Morgen Rudi", begrüßte ich ihn so leicht es ging. Rudi sah mich an und zog mich in seinen Arm, gab mir einen Kuss.
"Guten Morgen meine Kleene. Wie geht es dir?", war seine erste Frage.
"Es geht so. Nichts Schlimmes, aber es ging mir schon besser. Es sind nur die Nachwirkungen der Spritze", erklärte ich ihm, als er mich besorgt ansah.
Rudi lächelte mich an. "Dann ist es ja gut. Darf ich dich etwas fragen, meine Kleene?"
Ich grinste, weil ich ahnte, welche Frage jetzt kam.
"Wie kannst du bei dem, was du erlebt hast, noch normal sein? Ich wäre schon längst durchgedreht."
Da lächelte ich ihn noch mehr an. "Rudi, das hätte mir nichts genutzt, davon wäre es nicht einfacher geworden. Aber sag mal, wie geht es dir. Du siehst müde aus", lenkte ich vom Thema ab, dass mir nicht gut tat.
"Bin ich auch, ich habe heute früh noch lange über das, was du mir gezeigt hast nachgedacht. Ich verstehe jetzt, warum du der Meinung bist, das Himmelpfort nicht schlimm gewesen wäre. Aber ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll."
Ich schmiegte mich einfach an ihn. "Am besten sagst du gar nichts dazu. Rudi, ich will darüber nicht reden, ich kann es nicht. Aber, du verstehst jetzt, warum ich mich so erschrocken habe, mit Ines. Vielleicht kannst du mir helfen, mit so etwas klar zu kommen. Ich weiß es, wenn ich ehrlich sein soll, nämlich nicht."
Rudi nickte, plötzlich sah er mich erschrocken an. Schon wieder lief Blut aus meinen Augen, Ohren, Nase, auch im Mund, hatte ich wieder den Geschmack des Blutes.
"Wieso blutest du so, Kleene?", eilig stand Rudi auf und holte eine Kompresse aus dem Medi-Koffer.
"Das ist nichts Schlimmes, es ist eine der Nebenwirkungen, der Spritze die ich mir heute Früh gegeben habe."
Rudi war entsetzt. "Aber das ist doch schon Stunden her", stellte er fest.
"Das hält noch einige Stunden an. Ich denke heute Mittag lässt es dann nach, solange sollte ich auch liegen bleiben. Dann gehen auch die Schmerzen weg. Mach dir keine Sorgen, es ist nicht so schlimm wie sonst", erklärte ich ihm.
"Aber warum blutest du, Kleene?"
"Das ist schwer zu erklären, ohne dass ich dich in Panik versetze. Es ist halt wie es ist. Was hast du davon dir Sorgen zu machen? Wenn ich A sage muss ich auch B akzeptieren."
"Kleene, ich will es aber wissen", beharrte Rudi auf Informationen.
Also ergab ich mich meinem Schicksal und erklärte es ihm. "Diese Spritze verdünnt das Blut, drückt den Blutdruck weit unter den normalen Wert. Normalisiert sich dieser dann zu schnell, ist es so, als wenn die Arterien lecken. So wie ein kaputter Wasserschlauch. Aber keine Angst, ich kann das steuern. Es ist nur, dass ich dann wahnsinnige Kopfschmerzen habe. Sich in meinen Magen Blut sammelt, zum Teil auch in meinen Lungen, je nach Verfassung, in der ich gerade bin. Aber, das ist bei uns nicht schlimm. Damit können wir gut leben. Wir husten das einfach ab."
Entsetzt sah mich Rudi an. Ich legte mich zurück, damit ich das Bluten, besser unter Kontrolle bekam. Tief ging ich in mich, kontrollierte meinen Körper und stillte die Blutungen. Nach einigen Minuten hörte das Bluten von alleine auf und mein Freund beruhigte sich wieder etwas.
"Rudi ich möchte noch etwas schlafen, das solltest du auch tun. Nutze deine Fähigkeit des schnellen Schlafes. Dann erholst du dich schneller. Komm ich helfe dir. Sag ich will zwei Stunden tief und fest schlafen und höre auf meine Atmung."
Gleichzeitig atmete ich tief und ruhig. Es dauert keine zwei Minuten, dass Rudi tief und fest schlief. Ich jedoch stand auf und ging nach unten in die Dusche. Um die eigentliche Nachwirkung der Spritze, die ich Rudi nicht zumuten wollte, hinter mich zu bringen. Damit die schlimmen Schmerzen nachließen. In der Dusche angekommen, zog ich mich aus und stellte mich unter die Dusche. Kaum hatte ich das Wasser aufgedreht, fing ich schon an zu Husten, erbrach immer wieder Blut. Selbst meine Haut fing an zu bluten. Nach fast einer Stunde hörte das Bluten auf. Viola die immer wieder ins Bad kommen wollte, weil sie mich brechen und husten hörte, bat ich mich duschen zu lassen.
"Bitte Viola, komme nicht rein, bitte", sagte ich immer wieder.
Nach einer weiteren viertel Stunde, ging es mir besser, das Schlimmste hatte ich geschafft. Nun mussten nur noch die Krämpfe aufhören. Das würde aber noch einige Tage dauern. Langsam trocknete ich mich ab. Säuberte die Duschkabine, den Boden und wusch auch das Handtuch aus. Nahm das Handtuch, mein Bustier und meine Turnhose, und brachte alles in den Wäscheraum. Holte mir ein neues Handtuch. Ich wollte gerade die Treppe hoch ins Zimmer gehen, als mir Viola entgegen kam.
"Um Gottes Willen Kahlyn, wie siehst du denn aus?", fragte sie entsetzt.
"Es ist nichts, Viola. Bitte ich möchte mich hinlegen. Mir geht es nicht so gut. Viola, ich hoffe ich habe das Bad wieder richtig sauber bekommen. Sonst putze ich es dann noch einmal. Bitte, Viola ich möchte mich einfach nur hinlegen", sagte ich ganz leise und hielt mich schwankend am Lauf der Treppe fest.
"Komm Mädel, ich bringe dich nach oben."
Viola griff mir einfach hilfreich unter die Achsel und zog meinen Arm über ihre Schulter, brachte mich so die Treppe nach oben. Im Zimmer angekommen, sah sie Rudi tief und fest schlafend im Bett liegen. Verwundert schüttelte den Kopf. Ich sah sie mit dem Kopf schüttelnd an.
"Viola, es ist nicht so wie du denkst. Ich habe Rudi mit voller Absicht in den Schlaf geholfen, damit er das nicht mitbekommt. Bitte, sag ihm nicht, dass es mir wieder schlecht ging. Er macht sich sowieso schon so große Sorgen."
Ernst sah mich Viola an. "Dann lege dich hin. Ich will dich nicht eher in der Küche sehen, bis du wieder richtig auf den Beinen bist. Willst du etwas trinken?"
Ich schüttelte den Kopf. "Lieber nicht Viola. Sonst muss ich wieder brechen. Danke für deine Hilfe."
Erleichtert es hinter mir zu haben, kuschelte ich mich an Rudi und versuchte in seinen Atemrhythmus zu kommen. Es dauerte diesmal lange, ehe ich meinen Atemrhythmus wieder gefunden hatte. Endlich nach fast zehn Minuten schlief ich ein. Viola blieb bei mir am Bett sitzen, bis sie merkte, dass ich ruhig schlief. Vorsichtig deckte sie mich zu. Ging nach unten, um das Bad zu putzen. Das Bad war jedoch sauber, ich hatte es ordentlich verlassen. Kopfschüttelnd ging sie in die Küche und bereitete das Essen vor. Kurz nach 12 Uhr erwachte Rudi aus einem erholsamen Schlaf, sah mich zusammen gerollt, neben sich liegen.
Rudi hatte gut geschlafen, dieses gehetzte Gefühl, dass er nach dem Sehen des Lebens von Kahlyn hatte, war nach dem Schlafen verschwunden. Ob es an der Injektion mit dem N91 lag oder einfach daran, dass er ausgeschlafen hatte, war ihm nicht klar. Auf alle Fälle ging es ihm wieder wesentlich besser, als vor zwei Stunden. Immer noch kreisten Rudis Gedanken, um all diese schlimmen Sachen die das kleine Mädchen erleben musste. Immer noch fragte er sich, wie sie nach solchen Sachen noch normal sein konnte. Wie sie noch Vertrauen zu Menschen, wie ihm fassen konnte. Er selber gestand sich ein, dass er spätestens nach der Sachen in Chile oder nach Kuba sämtliches Vertrauen in normale Menschen verloren hätte. Trotz der Spritze die ihn Kahlyn heute früh gab, hatte er das Gefühl gehabt, schreiend aus dem Zimmer rennen zu müssen. Am liebsten hätte er in seiner unsagbaren Wut, alles kurz und klein geschlagen, was ihn vor die Fäuste gekommen wäre. Nur gut, dass Kahlyn obwohl es ihr selber sichtbar schlecht ging, ihn dazu zwang nochmals zu schlafen. Was wäre wohl geschehen, wenn sie ihm nicht diese Spritze gegeben hätte. Tief holte Rudi Luft und nahm sich vor, es zu handhaben, wie es Kahlyn ihm während des Krantonak vorgeschlagen hatte. Er konnte dies alles nur als Informationen nehmen, über Kahlyns Leben. Denn, wenn er genauer darüber nachdenken würde, was sein kleines Mädchen schon durchleben musste, würde er wahnsinnig werden. Das gestand er sich ehrlich ein. Er hätte nicht deren Stärke.
Vorsichtig drehte sich Rudi auf die Seite und sah Kahlyn beim Schlafen zu. In Gedanken versuchte er die Bilder zu ordnen, die sie ihm gegeben hatte,. Er ging ihr ganzes Leben durch. So nahm er viele der Bilder, die für das Leben hier wichtig waren, bewusst in sich auf. Er wusste jetzt, worauf er bei ihr in Zukunft achten musste. Auch hatte er begriffen, was sie in der Fleischerei so in Panik versetzt hatte. Er nahm sich vor, mit ihr darüber noch einmal in Ruhe zu reden. Aber erst wenn es ihr wieder besser ging. Auch würde er mit ihr nochmals zu dem Onkel von Ines gehen, um Kahlyn zu zeigen, dass ihre Erinnerungen ihr etwas vorgegaukelt hatten. Dass es nicht wieder geschah, dass sie solche Dinge, so schlimm aus der Bahn warfen. Lächelnd sah er sein kleines Mädchen an, die so viele schlimme Dinge erlebt hatte und streichelte ihr zärtlich übers Gesicht.
Auch hatte er begriffen, warum sie solche Probleme mit den Schuhen hatte. Er beschloss, dass seine so junge Kollegin nur noch Schuhe tragen musste, wenn sie das selber wollte oder man privat etwas machen würde. Dadurch konnte es nicht mehr passieren, dass sie ständig ihre Schuhe suchen musste. Er nahm sich auch vor, für seine kleine Freundin eine Versammlung einzuberufen, um allen Teammitgliedern zu erklären, warum sie eine Ausnahmereglung, wegen der Schuhe bekam. So dass es deshalb keine Diskussion mehr gab. Sie dadurch, wenigstens in diesen beeinflussbaren Bereichen etwas zur Ruhe kam. Zufrieden, dass er seine Kleene jetzt besser verstand und sich besser in sie herein denken konnte, streichelte er ihr nochmals über das Gesicht.
Von dem Streicheln meines Gesichtes, wurde ich munter. Etwas erholter wachte ich auf und sah Rudi an.
"Guten Morgen Rudi, geht es dir wieder besser? Du siehst nicht mehr so müde aus", stellte ich erleichtert fest, kuschelte mich in seinen Arm. Ich fühlte mich geborgen, wie lange nicht mehr. Nur bei Rashida, hatte ich mich bis jetzt so geborgen gefühlt.
"Mir geht es gut. Aber wie geht es dir meine Kleene. Du siehst nicht gut aus." Rudi musterte mich genau. "Jedenfalls gewinnst du heute, keinen Schönheitswettbewerb", machte er eine Bemerkung die ich überhaupt nicht verstand.
"Was ist das denn?"
Verwundert überlegte ich, wie man mit Schönheit einen Wettbewerb machen konnte? Ich fragte mich ernsthaft ob mich mein Freund veralbern wollte. Rudi fing schallend an zu lachen, weil er mein erstauntes Gesicht sah.
"Das verstehst du noch nicht, Kleene. Aber das lernst du noch. Aber du hast mir meine Frage noch nicht richtig beantwortet", forderte er mich nun auf diese zu beantworten.
"Es geht mir wieder besser. Aber ich brauche noch ein paar Tage, ehe es mir wieder richtig gut geht. Allerdings, habe ich schlimmen Hunger und noch schlimmeren Durst", gab ich ihm offen zur Antwort.
Rudi setzte sich auf und drehte sich zum Nachttischchen um, griff nach meiner Tasse. "Hier meine Kleene. Der Tee ist zwar genauso kalt, wie der Kaffee, aber schön nass", grinste er mich an.
Auch ich setzte mich hin, erst jetzt sah Rudi, dass ich nichts mehr anhatte.
"Wieso bist du nackt?" Wunderte sich Rudi, denn als er eingeschlafen war, trug ich noch Turnhose und Bustier.
"Ich war vorhin schnell duschen", erklärte ich seinem Blick ausweichend und zog das Badhandtuch zu mir.
Sofort wickelte mich darin wieder ein. Rudi nahm es zum Glück, wie ich es sagte und harkte diesmal nicht nach. Also nahm ich ihm die Tasse aus der Hand und trank gierig den Tee.
"Wollen wir dann aufstehen Rudi? Es ist gleich 13 Uhr. Wir haben den halben Tag verschlafen. Wir sind Schlafmützen, würde Falko, von der Wache, zu uns sagen."
Rudi lachte und wuschelte mir durch die Haare. "Dann müssen wir nur noch festlegen, ich welcher Reihenfolge, wir jetzt aufstehen. Gehst du erst duschen oder ich?"
Jetzt lachte ich Rudi auch an. "Rudi ich war schon Duschen, ich ziehe mich nur noch an, dann komme ich runter."
Sofort stand ich auf und ging an den Schrank. Holte mir einen Trainingsanzug, Bustier, Turnhose, Socken und zog mich an, auch die Schuhe. Dann lief ich nach unten in die Küche, in der schon Tom, Tim, Jenny und Viola beim Essen saßen. Ich gab lachend allen einen Kuss. Damit sie wussten, das alles in Ordnung war. Setzte mich dann auf meinen Platz.
"Na Kahlyn, geht es dir wieder besser? Soll ich dir etwas zu essen mache?", erkundigte sich Viola gleich als erstes.
"Nein, erst isst du mal schön. Ich will ohnehin auf Rudi warten, der duscht erst noch", erklärte ich lachend Viola.
Die sah mich ernst an. "Kahlyn, was war vorhin mit dir los. Du sahst schlimm aus", besorgt musterte sie mich, auch wenn ich nicht mehr schneeweiß im Gesicht war, sah ich noch sehr blass aus.
"Ach Viola, vergiss es einfach. Es geht mir wieder gut. Sag bitte, soll ich das Bad noch putzen oder habe ich vorhin alles erwischt?", fragte ich erschrocken, weil ich nicht mehr daran gedacht hatte.
"Nein Kahlyn, das Bad war richtig aufgeräumt und vor allem sauberer, als es vorher war. Aber das nächste Mal, nimmst du bitte nicht das Handtuch zum Wischen, die bekomme ich sonst irgendwann nicht mehr sauber."
Erleichtert atmete ich auf. "Viola, das Handtuch war nicht nass vom Wischen, es war nur blutig. Ich hatte schlimmes Nasenbluten. Deshalb habe ich es ausgewaschen, war das falsch?"
Viola schüttelte den Kopf. "Ach so, ich dachte du hast das Bad damit gewischt."
"Nein Viola, ich habe dazu den Lappen genommen, der unter dem Waschbecken gehangen hat."
In dem Moment kam Rudi in die Küche. "Oh, es gibt etwas zu Essen. Ich habe so ein Hunger, lecker Kartoffelsuppe. Schade Kahlyn, dass du das nicht essen darfst. Viola macht die aller beste Kartoffelsuppe der ganzen Welt", er setzte er sich auf seinen Platz, nachdem er sich einen Teller Suppe geholt hatte und machte sich hungrig über die Suppe her.
Viola jedoch stand auf, fragend sah sie mich an. "Kahlyn, wie viel Brei soll ich dir machen?"
"Bitte zweihundertfünfzig Gramm, das wäre schön, ich habe richtiggehend Hunger", erleichtert sah ich zu, wie sie meinen Brei machte. "Viola, irgendwann musst du mir das noch einmal mit dem Herd erklären. Ich komme damit einfach nicht klar. Ich habe Angst, dass ich ihn kaputt mache. Dann brauchst du mir nicht immer den Brei machen. Das kann ich doch auch alleine. Aber ich traue mich nicht an den Herd", erkläre ich verlegen.
Viola griff hinter sich und streichelte mein Gesicht. "Kahlynchen, ich mache dir gerne deinen Brei. Schau mal, für die anderen koche ich auch immer. Dann kann ich deinen Brei, genauso gut mache. Der geht schneller, als jedes andere Essen oder gar Kartoffelsuppe."
Ich hielt den Kopf etwas schief und sah sie fragend an. "Was ist in so einer Suppe alles drinnen, Viola?" Interessierte ich mich dafür, was die anderen da so aßen.
Viola lachte, konnte sie sich vorstellen, dass Rudis kleines Ziehkindel gar keine Vorstellung davon hatte, wie man so etwas machte. "Da sind nur ganz gesunde Sachen drinnen, willst du mal kosten?"
Ich schüttelte schnell den Kopf. "Nein, lieber nicht, nach dem Eis ist mir das glaube ich vergangen. Ich frage jetzt lieber immer vorher, was drinnen ist. Nicht, dass ich mich wieder verbrenne", erklärte ich Viola, die mich ungläubig ansah.
"Also in einer Kartoffelsuppe sind Kartoffel, Möhren, Sellerie, Zwiebeln, Petersilie, Wasser, Gewürze wie Salz, Pfeffer, Knoblauch, etwas gebratener Speck und etwas Schmalz."
"So viele Sachen, aber davon sieht man doch gar nichts mehr. Wo ist das alles hin, Viola?" Verwundert, sah auf Toms Teller, der mir gegenübersaß.
"Tja, das wird alles gekocht und dann püriert. So dass es alles ganz klein ist. Ist etwas für Kaufaule, wie unseren Tom."
Tom strahlte seine Mutti an. "Aber es schmeckt lecker, Kahlyn. Du musst das echt mal kosten."
Dabei rieb sich Tom seinen Bauch. Ich sah Rudi an, auf der einen Seite interessierte mich schon, was die da so aßen. Aber auf der anderen Seite, hatte ich auch Angst davor.
Rudi sah mich kopfschüttelnd an. "Tja meine Kleene, die Entscheidung kann ich dir nicht abnehmen. Schon gar nicht nach der Sache mit dem Eis. Da würde ich dir eher sagen, lasse die Finger weg. Aber wir können eins machen, ich stell mich an den Wasserhahn und wenn etwas ist, spuckst du es gleich aus."
Ich war und her gerissen, von meiner Angst vor dem, was passiert und meiner Neugier. Was die da immer alles in sich hineinstopfte. Ich gab meiner Neugier einfach nach. Tief holte ich Luft und nahm mein ganzen Mut zusammen.
"Ich probier mal."
Rudi macht mir etwas Suppe auf den Löffel und hielt ihn mir hin. Ganz vorsichtig kostete ich. Das schmeckte einfach köstlich.
"Mmhhh, das ist lecker. Tut gar nicht weh, beim Essen", sagte ich lachend. "Das schmeckt komisch, aber es ist lecker", stellte ich mit einem lachenden Gesicht fest.
Die ganze Bande lachte mit. Viola nahm eine ganz kleine Schüssel und machte mir etwas Suppe hinein. "Dann lass es dir mal schmecken. Für das erste Mal, aber nur ganz wenig. Das nächste Mal, wenn du es gut verträgst, kannst du gerne auch mehr bekommen", freudestrahlend stellte mir Viola die Suppe, vor die Nase.
Verwundert sah ich Rudi an. "Ich soll das essen?"
Rudi nickte. "Wenn du denkst, dass du das verträgst, dann esse es. Ich denke, wenn es dir schmeckt, dann verträgst du es auch."
Ganz vorsichtig aß ich die Suppe. Ständig kontrollierte ich meinen Körper, aber es kam keine Reaktion. Glücklich sah ich Rudi an.
Tom war wohl am Glücklichsten. "Mutti, da musst du jetzt öfter mal Kartoffelsuppe kochen. Da kann Kahlyn auch mal etwas anderes essen, außer dem ollen Brei, den sie immer essen muss."
Viola lachte ihren Großen an. "Da hast du aber Glück, dass es ausgerechnet dein Lieblingsessen jetzt öfter gibt."
Freudig schaute Viola mir beim Essen zu. Es tat gut, mal etwas anderes zu schmecken. Auch wenn mich das nicht wirklich satt machte. Als ich mein Schälchen leer gegessen hatte, brachte mir Viola noch meinen Brei, auch den aß ich genüsslich auf. Danach war ich voll gefuttert und satt.
Rudi sah mich an. "Na Kleene jetzt gefällst du mir schon besser. Jetzt hast du wieder Farbe im Gesicht."
Ich nickte, denn mir ging es auch wieder viel besser, auch wenn die Krämpfe noch nicht ganz weg waren, ging es mir richtig gut.
In diesem Moment fiel mir etwas Wichtiges ein.
"Ach Rudi, du wolltest Viola noch erklären wie das mit der Milch bei mir ist."
Rudi erschrak, das hatte er ganz vergessen. "Viola, wir müssen bitte mit der Milch ganz vorsichtig sein. Kahlyn ist gegen Milch total allergisch. Die brennt ihr regelrecht die Haut weg."
Viola guckte mich erschrocken an. "Warum, sagst du mir das nicht, Kahlyn?"
Ich zuckte mit der Schulter. "Ich hab nicht dran gedacht, Viola", erklärte ich ihr.
"Gegen was bist du noch allergisch?" Erkundigte sich Viola.
"Ich weiß nicht so genau Viola. Ich weiß nur gegen Zucker in großen Mengen und gegen Milch, Essig, Orangensaft, Zitronensaft, Sekt, Wein, Cognac. Mit der Milch ist es aber am schlimmsten, das weiß ich auch nur, weil wir damals als kleine Kinder gestorben wären, hätte man uns Milchersatznahrung gegeben. Deshalb hat ja Doko, diese Spezialnahrung erfunden. Sonst wären wir verhungert und das schon kurz nach der Geburt. Mit der Milch, das ist mir auch erst wieder eingefallen, als die Frau in der Eisdiele mir sagte, dass sie das Eis daraus machen. Bei den anderen Sachen, das haben wir nach und nach festgestellt, wenn wir…" Ich brach ab, schluckte krampfhaft.
Rudi sprang für mich ein. "Viola nimm es bitte, wie die Kleene dir das gesagt hat. Bitte Frage nicht warum, das tut der Kleenen nicht gut", dankbar sah ich Rudi an und war froh, dass ich es nicht erklären musste.
"Kahlynchen, dann müssen wir einfach aufpassen, wenn Milch oder Sahne auf den Tisch steht. Jetzt verstehe ich warum du dir immer so lange die Finger wäscht, wenn du Käse geschnitten hast. Mädel warum sagst du denn das nicht, dass dir das weh tut. Kinder, ihr habt es gehört, achtet bitte mit darauf. Die anderen Sachen sind nicht so schlimm, da müssen wir nur beim Kochen aufpassen. Rudi, das musst du Fran aber auch sagen. Was Käse ist weißt du aber, Kahlyn?" Viola sah ihre beiden Großen und Rudi ermahnend an.
Ich zuckte mit den Schultern. "Was ist das?"
Rudi nickte bestätigend. "Das werde ich machen, auch den Teams müssen wir das sagen. Obwohl, ich denke, wenn da wirklich einmal etwas umfällt, ist die Kleene schnell genug in ihren Reflexen, dass sie ausweicht. Aber mal was anderes, Kleene, weißt du überhaupt wie Milch aussieht. Da bin ich mir bei dir nicht so sicher", überlegend sah mich Rudi an.
Ich schüttelte den Kopf.
Tom, dessen Blick verwundert von Rudi zu mir wechselte, sah mich irritiert an. "Jedes Kind weiß doch, wie Milch aussieht", sprach er lachend.
Das brachte ihm eine Rüge von Viola ein. "Tom, du weißt doch, das Kahlyn keine normale Nahrung essen kann, woher soll sie das denn wissen."
Tom starrte mich immer noch ungläubig und fassungslos an. "Du weißt das wirklich nicht, Kahlyn?", erkundigte er sich jetzt verlegen.
Ich schüttelte wieder den Kopf und zuckte mit den Schultern. "Nein, ich glaube ich weiß nicht, wie das aussieht. Ich weiß nur, dass es weh höllisch tut", erklärte ich Tom.
"Arme Kahlyn", meinte Tom traurig.
"Ach das ist nicht schlimm, das lerne ich schon noch. Sieh mal, ich weiß jetzt schon wie Kartoffelsuppe aussieht und sogar wie sie schmeckt", versuchte ich ihn zu trösten. Lachend schaute ich ihn an.
Da lachte Tom zurück. Ich war froh, dass er nicht mehr traurig war. Viola jedoch ging zum Kühlschrank und nahm eine Flasche mit einer weißen Flüssigkeit heraus.
"Kahlyn, vorsichtig bitte. Das ist Milch, wenn du magst, kannst du gern mal dran riechen."
Vorsichtig um nichts zu verschütten machte Viola den Deckel auf. Es kam mir ein Geruch entgegen, der mir den Atem nahm. Ich wich zurück und wurde schneeweiß im Gesicht.
Rudi der mich beobachtet, sagte zu Viola. "Bitte stelle sie zurück."
An mich gewandt. "Kleene, komm es ist gut. Es tut dir hier keiner was. Atme durch meine Kleene", vorsichtig nahm er mich in den Arm.
Ganz leise sagte ich, nur für Rudi bestimmt. "Ich habe nicht mehr gewusst, dass es Milch war, Rudi. Ich wusste es nicht, dass das so heißt."
"Ist ja gut meine Kleene, beruhige dich. Komm achte auf meine Atmung, ganz ruhig. Ein-Aus-Ein-Aus."
Ich zitterte am ganzen Körper, es war einfach zu viel. Ich drehte mich zu Rudi um, lehnte mich an seine Schulter und schloss die Augen. Langsam beruhigte sich mein Atem.
"So ist es gut meine Kleene, du schaffst es."
Endlich ließ der Schmerz nach, ich konnte wieder richtig atmen. "Warum passiert mir das immer, Rudi? Ich weiß doch, dass mir hier keiner etwas tut."
Rudi fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, mit der anderen Hand hielt er mich einfach fest. "Kleene, du bist einfach fertig. Es ist kein Wunder, dass dein Körper überreagiert. Lass dir einfach mehr Zeit", entschlossen drückte er mich von sich weg. "Willst du dich noch etwas hinlegen?", fragte er besorgt.
Ich schüttelte den Kopf. "Nein es geht schon wieder. Ist schon in Ordnung", ich rieb mir den Nacken.
"Was ist los, Kleene?", wollte Rudi von mir wissen.
Ich schüttele den Kopf, kämpfte einen schweren Kampf mit mir. Ich musste mich einfach meiner Angst stellen, sonst fing sie mich immer wieder ein. Bitter schluckte ich diese Pille. Ganz leise bat ich Viola, die sich erschrocken an den Tisch gesetzt hatte.
"Viola, kannst du mir die Milch noch einmal zeigen, bitte."
Rudi wollte nichts davon hören. "Kleene…"
Ich unterbrach ihn kopfschüttelnd. In der Verbindung sagte ich zu ihm. "Bitte Rudi, mache es für mich nicht noch schwerer, als es ohnehin schon ist. Ich muss mich meiner Angst stellen, genauso, wie bei den Puppen. Ich muss das in den Griff bekommen, sonst zerstört mich das alles hier."
Rudi sah mich ernst an, streichelte mir mein Gesicht. "Du hast Recht meine Kleene. Ich halte dich ganz fest."
Ich sah ihn dankbar an.
Viola schaute fragend zu Rudi, der nickte ihr zu. "Mädel muss das sein, du bist schon wieder schneeweiß im Gesicht."
Viola sah besorgt zu mir. Ich nickte, wollte es hinter mich bringen. Viola stand auf und ging zum Kühlschrank, holte noch einmal die Milch heraus. Stellte sie vor mich hin. Mühsam versuchte ich ruhig zu atmen. Diese verdammte Panik machte sich schon wieder in mir breit. Verdammt, ich musste es schaffen. 'Bleib ruhig', sagte ich in Gedanken zu mir selber, 'es ist hier alles ganz anders.' Trotzdem kamen die schlimmen Bilder wieder, ich konnte nichts dagegen machen. Die Bilder aus
Chile und der Schule. Eine der schlimmsten Bestrafungen, die sich der Oberstleutnant je für uns ausgedacht hatte. Ich schob die Bilder weg. Atmete mich tief in mein Qi und stellte mich dieser Angst. Langsam griff ich nach der Flasche und nahm sie in die Hand. Rudi griff von unten an die Flasche, da er Angst hatte, dass ich sie mit meinen zitternden Händen fallen ließ. Ich versuchte den Verschluss zu öffnen. Es ging nicht, meine Hände zitterten so sehr, dass ich es einfach nicht schaffte. Ich schloss die Augen und atme mich noch tiefer in das Qi. Endlich wurden meine Hände ruhiger. Nach einigen Minuten öffnete ich meine Augen, meine Hände waren ganz ruhig. Ich machte den Flaschenverschluss auf. Ganz vorsichtig roch ich daran. Es roch genauso schlimm, wie ich es in Erinnerung hatte. Trotzdem sog ich immer wieder den Geruch der Milch ein. Nach einer Weile hörte mein Herz auf zu rasen. Ich hatte es geschafft. Auch die schlimmen Bilder, kamen nicht mehr wieder. Jetzt musste ich sie nicht mehr wegschieben. Das damals Erlebte hatte nichts mehr, mit dieser Flasche zu tun. Es war eine andere Erinnerung. Ich wusste jetzt bewusst, dass ich es geschafft hatte. Ich schloss den Verschluss und stellte die Flasche wieder auf den Tisch. Dann drehte ich mich zu Rudi um und klammerte mich an ihn. Plötzlich fing ich an zu weinen, die ganze Anspannung weinte ich aus mir heraus. Ließ meine Tränen einfach laufen. Es dauert gar nicht lange, da hatte ich mich wieder beruhigt. Sah zu Rudi hoch und der lächelte mich stolz an.
"Ist es vorbei meinen Kleene?", er drückte mich vorsichtig. "Geht es wieder?"
Ich nicke. Tom, Tim und Jenny saßen nicht mehr am Tisch. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass sie gegangen sind. "Wo sind die anderen hin?", fragte ich Rudi in der Verbindung.
"Viola hat sie in ihr Zimmer geschickt, weil sie nicht wusste, was los ist." Antwortete mir Rudi auf die gleiche Weise.
Viola sah mich traurig an. "Kahlynchen, was war denn los?", sie war ganz durcheinander.
"Viola, lass gut sein, das willst du nicht wissen. Es ist schlimm. Aber ich finde es gut, dass die Kleene sich dieser Angst gestellt hat. Sonst kommt sie nie zur Ruhe." Dabei streichelte er mir das Gesicht.
Immer noch starrte ich auf die Flasche, die mich so erschreckt hatte. Wie oft, würde mir das hier noch passieren, fragte ich mich auf einmal. Warum versetzte mich das alles so in Panik. Ich wusste doch, dass es hier diese Dinge alle nicht gab. Vor allem das mir hier keiner etwas tat. Müde rieb ich mir das Genick. Irgendwie ärgerte ich mich über mich selber. Dass ich dies alles nicht in den Griff bekam. Es musste doch irgendwann einmal möglich sein, dass mich mein altes Leben nicht mehr einholte. Ich hatte doch schon begriffen, dass das eine mit den anderen nichts zu tun hatte.
"Es tut mir leid Viola, wirklich. Aber ich kann das im Moment nicht steuern. Ich wollte dich nicht erschrecken wirklich nicht", sagte ich leise zu ihr.
Viola stand auf und setzte sich auf den Stuhl neben mich. "Kahlyn, du musst dich nicht entschuldigen. Du kannst doch nichts dafür. Aber ich mache mir wirklich Sorgen, wie das weiter gehen soll. Ich habe Angst, dass ich dich durch irgendwas, wieder so erschrecke, wie damals mit den Puppen", versuchte sie mir zu erklären, warum sie so erschrocken guckte.
Traurig sah sie mich an und hielt mir einfach ihre Arme hin. Rudi schob mich auf die andere Seite, zu Viola. Vorsichtig, nahm Viola mich in ihre Arme. Ich lehnte mich einfach an ihren Körper, sie fühlte sich warm an. Es tat einfach gut.
"Ich versuche ja, dagegen anzukämpfen, Viola. Aber ich schaffe es nicht. Diese Erinnerungen kommen so plötzlich. Ich habe keine Ahnung, was ich dagegen tun soll. Wirklich nicht. Ich kann sie fast immer unterdrücken. Aber durch bestimmte Reize, Gerüche oder Bilder kommen sie urplötzlich nach oben. Wie eine Lawine, die den Berg herunter kommt", versuchte ich ihr zu erklären, wie das im Moment bei mir war.
"Aber, was ist an Milch so schlimm, Mädel. Ich begreife das nicht", sie wollte es genau von mir wissen.
Rudi wollte, um mich zu schonen, das Ganze unterbinden.
Ich schüttelte den Kopf. "Rudi, ich denke Viola sollte wissen und verstehen lernen, was los ist. Genau wie ich. Sie hat ein Recht dazu. Sei so lieb und hole den Medi-Koffer von oben, damit ich ihr dann, wenn nötig etwas geben kann. Bitte." Ganz lieb sah ich ihn an. "Sonst versteht sie es nicht Rudi", setzte ich nach.
Rudi nickte und stand auf, lief nach oben.
Viola hielt mich immer noch in ihren Armen. "Mädel, höre doch auf zu zittern", bat sie mich leise. "Hier tut dir keiner etwas, das würde ich nicht zulassen. Vertraust du mir denn nicht?", wollte sie von mir wissen.
"Ich weiß Viola, ich vertraue dir doch", gab ich genauso leise zur Antwort. "Aber ich kann nichts gegen das Zittern machen. Ich kann einfach nicht aufhören damit."
Viola begann mich zu schaukeln, so wie es John schon so oft gemacht hatte. Es half, langsam wurde ich ruhiger. Lehnte mich entspannter an ihre Schulter. Atmete wieder gleichmäßiger. Das Zittern hörte nach und nach auf.
"So ist es gut meine Mädel, so ist es gut", flüsterte sie, ganz zärtlich an meinem Ohr.
Rudi kam mit dem Medi-Koffer. "Kleene, willst du dir etwas spritzen? Nicht, dass du wieder in einen Anfall rutschst", besorgt sah er mich an.
Ich schüttelte den Kopf. "Es geht wieder. Tut mir wirklich leid, dass mir das immer wieder passiert. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie mich das ankotzt. Könnt ihr nicht machen, dass es aufhört", bat ich die Beiden ganz leise.
Viola streichelte mir über das Gesicht. "Weißt du Kahlyn, irgendwann wird es besser. Sieh mal, du bist erst fünf Wochen hier. Du hast in der kurzen Zeit, schon so viel geschafft. Du hast keine Angst mehr vor Puppen, selbst vor der Milch fürchtest du dich nicht mehr so. Mit jedem Schrecken den du bekommst, wird es etwas besser. Aber vielleicht kannst du mir sagen, warum du dich so erschrocken hast, vor der Milch?"
Lange sah ich Viola an, dann Rudi. "Viola, ich weiß nicht ob es gut ist, wenn ich darüber spreche. Es wird dir nicht gefallen", versuchte ich zu erklären, warum ich nicht darüber sprechen wollte. Obwohl mir klar war, dass es Viola wissen sollte. Sie, beharrte stets auf ihrer Meinung und würde sich nicht mit leeren Worten abspeisen lassen.
"Kahlyn, wie soll ich dich verstehen lernen, wenn ich nicht weiß, was los ist."
Viola begann mich wieder zu schaukeln. Da das Zittern mir ihrer Frage wieder kam. So hatte ich etwas Zeit zum Nachdenken.
Tief holte ich Luft und versuchte mich wieder zu beruhigen. Krampfhaft begann darüber nachzudenken, wie ich es ihr am besten erklären konnte, ohne sie zu sehr zu schocken. Weil ich auch begriffen hatte, dass sie ein Recht darauf besaß zu wissen, was mit mir los war und in mir vorging. Sie musste mich genauso verstehen lernen, wie ich sie. Es war eine unschöne Situation in der ich mich befand. Denn es ging nicht mehr allein nur um mich und sie, sondern auch darum, Schaden von den drei Kindern abzuwenden. Die ungewollt immer wieder in eine Situation gerieten, durch mich, die ihren verletzbaren Seelen schaden konnten.
Viola hatte das Herz einer Löwin, das hatte ich ziemlich schnell begriffen. Sie würde ihre Familie, genau wie all die anderen Mütter, die ich gestern kennen gelernt hatte, vor allem Schaden beschützen. Wenn es denn sein sollte und musste, auch vor mir. Davor hatte ich solch eine verdammte Angst. Ich mochte Viola. Dieses Gefühl, dass von ihr eine Gefahr ausging war verschwunden, seit dem ich keine Antibiotika mehr in mir hatte. Schnell hatte ich sie mit ganz anderen Augen sehen gelernt und ich musste mir eingestehen, dass ich sie von ganzem Herzen liebte. Wahrscheinlich war es das Gefühl, dass Kinder ihren Müttern gegenüber empfanden. Es war das gleiche Gefühl, was ich für Dika empfand und ich wollte sie nie mehr verlieren. Sie tat mir einfach nur gut. Sie hatte so klare offene Augen, wie ich es bei selten einem Menschen erlebt hatte. Ich fürchtete mich vor ihren Reaktionen, auf dass was ich ihr zu erzählen hatte. Das machte die Entscheidung für mich nicht einfacher. Ich wusste, dass sie um ihre Familie zu schützen, mich verjagen würde. Ich wusste nicht, ob ich ihr von dieser Angst erzählen sollte. Deshalb schwieg ich lieber und versuchte ihr die Sache mit der Milch so zu erklären, dass sie nicht zu geschockt war. Tief holte ich Luft, sah sie noch einen Moment lang an und begann leise zu erzählen.
"Viola, es ist so, vor ungefähr zwölf Jahren, wir waren also ungefähr vier Jahre alt, da bestrafte der Oberleutnant Kami, Dea, Pius, Melih, Ezzo und mich, weil wir uns weigerten einen Befehl auszuführen. Wir sollten einige aus unserer Gruppe auf den Hof auspeitschen. Ich ließ das nicht zu. Meine Freunde waren alle fertig vom Einsatz und hatten durch die Verletzungen, sowieso schon genügend Schmerzen. Viola, vor allem weiß ich genau, was das für Schmerzen sind. Der Oberstleutnant ließ es sich nicht gefallen. Befehle die er gab, mussten stets zu hundert Prozent ausgeführt werden. Machten wir das nicht bekamen wir eine Strafe. Nur diesmal hatte er sich eine der schlimmsten Strafen ausgedacht, die er uns antun konnte. Als wir uns weigerten, unsere Kameraden auszupeitschen, wurden wir in Fässer gesteckt, mussten uns hin setzten. Es war nicht das erste Mal, dass er das tat. Aber das war zehnmal besser als ausgepeitscht zu werden. Wir konnten alle sehr lange die Luft anhalten, so war die Sache zwar nicht besonders schön, aber brachte wenigstens keine Schmerzen mit sich. Der Oberstleutnant verschloss wie immer die Fässer. Dieses Mal jedoch füllte er nicht wie sonst, die Fässer mit Wasser. Er ließ uns sonst immer in den Wasserfässern solange sitzen, bis wir fast erstickt sind. Bei dieser Bestrafung füllte er kein Wasser in die Fässer, sondern er goss eine weiße Flüssigkeit hinein", ich schielte mit den Augen auf die Milch, die immer noch auf dem Tisch stand. "Diesen Geruch werde ich nie vergessen, Viola. Jetzt weiß ich, dass es Milch war. Ich wusste bis heute nicht, wie sich diese Flüssigkeit nannte. Es brannte wie Feuer auf unseren Körpern. Wir alle, nicht nur ich, regieren auf Milch im hohen Maße allergisch. Du musst dir ungefähr so vorstellen, als wenn man euch in Säure stellt", ich schluckte, versuchte mich gegen diese Bilder zu wehren. Viola hielt mich fest und starrte mich entsetzt an. Nach einer Weile hatte ich mich soweit beruhigt, dass ich weitersprechen konnte. "Er hat uns fast eine Stunde in der Milch gelassen. Als er uns heraus holte, waren wir nur noch rohes Fleisch. Er ließ uns aus den Fässern und wir durften duschen gehen. Ich versuchte über das Jawefan und das Krantonak zu retten, was zu retten war. Ezzo, Dea und Pius, haben es nicht geschafft. Ihre Körper reagierten noch extremer auf die Milch wie meiner. Wir sahen aus, wie das, was Ines in ihren Beutel hatte, Rudi. Genau so, deshalb habe ich mich so erschrocken. Meine drei Freunde, Viola, starben an den Folgen dieser Misshandlung. Wirklich ich konnte sie nicht retten, ich habe alles versucht. Wir anderen, also Kami, Melih und ich, hatten monatelang, gegen die Folgen zu kämpfen. Die Haut wollte einfach nicht wieder heilen. Erst als der Doko die Brandsalbe entwickelt hatte, wurde es besser. Diese Salbe brachte uns endlich die Heilung und langsam begannen sich unsere Wunden zu schließen. Es dauerte zwei Jahre, ehe uns wieder Haare wuchsen, auch hielten die Schmerzen fast genau so lange an. Seit dem Tag, hat es in der Schule und in unserer Nähe nie wieder Milch gegeben. Ich wusste nicht mehr, dass es Milch war, was uns so verbrannt hatte. Bis ich das vorhin roch."
Viola starrte mich mit tränennassem Gesicht an, nahm mich noch fester in den Arm. "Wie kann man Kindern, so etwas antun?", fragte sie mich. Das blanke Entsetzen stand in ihrem Gesicht.
"Ich weiß es nicht Viola. Aber der Oberstleutnant, hat oft sowas mit uns gemacht. Manchmal denke ich, dass er Freude daran hatte, uns leiden zu sehen", versuchte ich ihr zu erklären.
Genau beobachte ich ihr Herz, es war zwar aufgeregt, aber nicht so schlimm wie damals bei John. Viola, verkraftet das Gehörte besser als ich dachte. Ich musste ihr keine Spritze geben.
"Viola, darf ich euch einmal etwas fragen?"
Viola nickte mir lächelnd zu. "Natürlich."
"Woher kommt Milch überhaupt? Wie wird die Milch hergestellt? Aus, was wird die gemacht?", versuchte ich zu ergründen, warum uns die Milch so verletzen konnte.
Viola sah mich verwundert an, dann streichelte sie mir den Kopf. Ihr wurde bewusst dass ich dies wirklich nicht wusste. Denn solche Dinge hatten nichts mit dem Kampf zu tun und Jo hatte ihr erklärt, dass Kahlyn und ihre Freunde in dieser Schule nur Dinge gelernt bekamen, die unmittelbar mit dem Kampf zu tun hatten oder mit der Wundversorgung. Dass der Doko und die Dika, die beiden vertrautesten Menschen der Kinder, zwar versuchten ihnen auch andere Dinge beizubringen, das einfach nie genügend Zeit vorhanden war, um ihnen solche banalen Sachen zu erklären. Es gab einfach wichtigere Probleme, die es zu lösen galt. Da die Kinder, wenn sie mal in der Schule waren, meistens nur schliefen, schwer krank waren oder sofort wieder zu neuen Einsätzen mussten.
"Ach mein Mädel, du bist so klug. Aber in allem, was das normale Leben angeht hast du wirklich keine Ahnung. Es ist manchmal wirklich schwer für uns. Soweit zu denken, weil das für uns alles unbedeutende Dinge sind. Für uns ist dies völlig normal. Kahlyn, Milch wird nicht hergestellt. Die Kühe liefern die Milch. Was eine Kuh ist, das weißt du aber?", verlegen sah mich Viola an, da sie sich selbst da nicht sicher war.
Jetzt musste ich lachen. "Ja das weiß ich", bestätigte ich.
"Na, das ist doch schon mal etwas. Die Kühe werden regelmäßig befruchtet. Das heißt die bringen Kälber zu Welt, so dass sie ständig Milch geben. Du musst wissen, die Kühe geben nur Milch, solange sie ihre Jungen säugen. Es ist eigentlich die Nahrung, welche die Mütterkühe ihren Jungen geben. Verstehst du?", fragend sah sie mich an.
Ich nickte, hatte das schon auf den Wiesen beobachtet und mich gewundert was die Kälbchen da machten. "Ja, das haben wir beobachtet, auf den Weiden und bei Einsätzen. Da standen die Kuhkinder, du nanntest sie Kälber, bei ihren Müttern an den Bäuchen und sie zogen an den langen Schläuchen, die da herunter hingen. Ich habe mich immer gefragt, was sie da machten", bestätigte ich mit Worten, dass ich verstanden hatte, was mir Viola erklärte.
Viola und Rudi lachten. "Kleene, die langen Schläuche, nennt man Zitzen. So nennt man die Saugwarzen, am Euter der Kühe", versuchte mir Rudi zu erklären, wie man das genau bezeichnete.
Viola fuhr fort mit ihrer Erklärung. "Kurz nach der Geburt des Kalbes, wird die Kuh wieder befruchtet, so gibt sie ungefähr dreihundertfünfzig Tage im Jahr Milch. Die Kühe werden in großen Ställen gehalten. Dort werden sie dann, über große Melkanlagen, mehrmals am Tag gemolken. So nennt man das, wenn man die Milch aus dem Euter der Kuh holt. Du musst wissen Kahlyn, Milch ist etwas ganz gesundes, vor allem für Kinder, die im Wachstum sind", erklärte mir Viola so genau wie möglich, was es mit der Milch auf sich hat. Auf einmal fiel ihr etwas Wichtiges ein. "Kahlyn, auch Babys bekommen Milch von ihren Müttern. Entweder als Muttermilch oder als Milchersatznahrung. Du musst also, bei ganz kleinen Kindern aufpassen. Die spucken manchmal die zu viel getrunkene Milch aus."
Irritiert sah ich Viola an.
"Wenn die spucken, wie man das Erbrechen bei Babys nennt, bekommt man das schnell mal ins Gesicht oder auf die Hände."
Jetzt begriff ich, was Viola meinte. "Aber, warum verbrennt sie uns, Viola, ich verstehe das nicht. Wenn Milch so gesund ist, warum tut sie uns dann so weh. Frag Rudi, wie schlimm mein Mund und meinen Hände gestern aussahen."
Viola zuckte mit den Schultern. "Das kann ich dir wirklich nicht erklären, mein Mädel. Wir könnten vielleicht Jens einmal fragen. Der kennt sich mit so etwas sehr gut aus. Er hat Ernährungswissenschaften studiert, vielleicht kann er dir das erklären. Vielleicht weiß er, was in der Milch enthalten ist, dass es dir so schadet."
"Na ja, ist ja auch egal. Aber ich mag Milch nicht, sie tut weh", sagte ich kurz entschlossen, um das Thema zu beenden. Mir ging es wieder besser. "Danke, dass ihr mir geholfen habt", setzte ich noch nach.
Viola wuschelte mir durch die Haare. Rudi dagegen sah mich erfreut an, er war sichtbar froh, dass ich wieder Farbe ins Gesicht bekam und vor allem wieder lächeln konnte.
"Was wollen wir zwei heute noch machen?", fragte er mich.
Ich zuckte mit den Schultern. "Was hältst du von einer Runde Fobnekotar, um uns mal richtig auszupowern? Oder hast du eine andere Idee?"
Antwortete ich sofort. Ich gab Viola einen Kuss, stand auf, nahm die Flasche und brachte sie zurück in den Kühlschrank. Dahin, wo ich sie nicht mehr sehen musste. Rudi lächelte mich an, dann kratzte er sich den Nacken, sah mich mit einem eigenartigen Blick an. Mit einem Mal strahlte er übers ganze Gesicht und zwinkerte mir zu.
Immer noch schelmisch grinsend, erkundigte sich Rudi bei mir.
"Was denkst du meine Kleene, hast du Lust mal zu Rashida zu fahren? Ich würde auf ihrer Dienstelle anrufen und nachfragen, ob das machbar wäre. Ich weiß, dass sie Dienst hat. Sie ist in dem Zyklus wie unser Delta-Team. Sie müsste also auf der Wache sein. Wir könnten sie direkt auf ihrer Dienststelle besuchen gehen. Ich denke die Kollegen dort, habe bestimmt nichts dagegen einzuwenden."
Fassungslos starrte ich Rudi an und konnte nicht richtig glauben, was er mir da vorschlug. "Zu Rashida, können wir fahren?"
Ungläubig sah ich Rudi an. Bestimmt hatte ich jetzt Ähnlichkeit mit einem Eichhörnchen, dem man die Nüsse geklaut hat. Rudi nickte. Ich konnte nicht anders und ich fiel ihm einfach um den Hals. Ich glaubte, das sagte Rudi mehr als das gehauchte Wort.
"Gern."
Mehr brachte ich beim besten Willen nicht heraus. Irgendwie weigerte sich meine Stimme zu sprechen. Rudi drückte mich etwas von sich weg und lächelte mich verstehend an.
"Lass mich schnell, ein paar Anrufe machen. Viola, du bist bitte so lieb und ziehst die Kleene besonders schick an. Sie soll ja ihrer Freundin zeigen, wie toll sie in zivil ausschaut. Dann ziehe ich mich schnell um, wir können sofort los fahren. Ich denke länger als drei Stunden brauchen wir nicht bis dorthin. Es ist jetzt kurz vor halb 3 Uhr, dann könnten wir so gegen halb 6 Uhr, in Forst sein. Also los zieh dich an. Ich sehe doch wie du dich freust."
Lachend stand Rudi auf, um in Jos Büro zu telefonieren. Keine zehn Minuten später hatte er alles geklärt und verschwand nach unten in seine Wohnung und zog sich auch etwas Schönes an. Bekleidet mit einer schwarzen Hose, einen schwarzem Hemd mit einer feingemusterten silbergrauen Krawatte, einer sportlich eleganten dunkelblauen Jacke und einer schwarzen Baskenmütze, stand Rudi nach nicht einmal einer viertel Stunde wieder in der Küche. Viola hatte mir einen schwarze Hose, einen dunkelblauen Norwegerpullover mit weißen Sternen, zum Anziehen gegeben. Auch hatte sie meine Haare zu Recht gemacht, so dass sie richtig schick aussahen. Als ich in die Küche kam, hielt mir Rudi auch eine Baskenmütze hin.
"Kleene, möchtest du die haben?", fragte er mich belustigt.
Viola nahm sie Rudi aus der Hand und setzte sie mir auf. "Komm mal bitte mit Mädel. Schau mal, das bist du jetzt ganz in Zivil. Erkennst du dich noch?", neckte sie mich lachend und schob mich vor den Spiegel.
Ich erkannte mich selber nicht wieder. Völlig ganz anders schaute ich aus. "Ich glaube Rashida erkennt mich gar nicht, wenn ich keinen Overall anhabe", erwiderte ich lachend.
Viola gab mir nickend Recht.
Rudi der zu uns gekommen war, fing auch an zu lachen. "Das glaube ich dir gerne. Aber ich denke, wenn du ihr um den Hals fällst, wird sie dich schon erkennen."
Viola sah Rudi ernst an. "Rudi, denkt ihr bitte daran, dass ihr morgen Abend wieder da sein müsst. Ines hat doch extra eine Willkommensfeier für Kahlyn organisiert. Bei der wir nun endlich auch, Tims und Jos Geburtstag nachfeiern können. Die Feier fängt um 20 Uhr an."
Rudi schlug sich an den Kopf. "Ach du meine Güte. Viola, glaubst du, dass ich Jo und Tim, noch nicht einmal zum Geburtstag gratuliert habe. Das ist dieses Jahr total untergegangen, durch den Stress, den wir laufend hatten. Ich gebe dir aber auf alle Fäll, die Geburtstagsgeschenke für die Beiden mit. Die habe ich den beiden auch noch nicht gegeben. Dann kann ich, wenn es knapp wird mit der Zeit, gleich in das Clara Zetkin Klubhaus kommen und muss nicht noch einmal nach Hause fahren."
Viola nickte und Rudi lief noch einmal nach unten. Kam mit einem Beutel zurück und drückte ihm Viola in die Hand.
"Dann bis morgen, geb den Kindern ein Kuss und deinem Holden auch."
Viola küsste Rudi auf die Stirn, dann gab sie mir auch einen Kuss und drückte mich ganz lieb. "So ihr beide, dann viel Spaß, fahrt bitte vorsichtig. Rudi, melde dich bitte einmal kurz, wenn du in Forst bist. Sonst mache ich mir wieder die ganze Zeit Sorgen. Also bis morgen Abend", verabschiedete sich Viola, machte einen Schritt zur Seite und gab uns den Weg zum Auto frei.
"Auf Wiedersehen, Viola."
Freudig drehte ich mich um und folgte Rudi nach draußen zu seinem Trabi. Rudi stieg ein und öffnete mir die Tür. Ich setzte mich neben ihn, allerdings fiel mir noch etwas Wichtiges ein. "Rudi, ich habe etwas vergessen, ich beeile mich", sofort stieg ich noch einmal aus. Lief zurück ins Haus und nach oben in mein Zimmer. Mit dem Medi-Koffer in der Hand, kam ich keine zwei Minuten später zurück und sah Rudi entschuldigend an.
"Besser ist besser", sagte ich einfach.
Rudi mich verwirrt ansah. "Na, dann wollen wir mal los, meine Kleene. Schnall dich lieber an."
Inzwischen hatte Rudi das Auto gestartet und fuhr los in Richtung Autobahn. Kurz vor der Auffahrt, bog er noch einmal kurz ab, um das Auto vollzutanken. Endlich ging es los, ich konnte es kaum glauben, dass mein sehnlichster Wunsch in Erfüllung ging. Immer wieder, sah ich Rudi von der Seite an. Ich glaube man sah mir an, was in mir vor sich ging.
"Na meine Kleene, du bist wohl richtig glücklich?", neckte mich Rudi nach einer Weile.
Ich zog meine Füße auf die Sitzfläche, wie ich es so oft machte. "Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie glücklich ich bin. Ich habe Rashida so vieles zu erzählen. Vor allem, kann ich ihr die Verbindung geben, deshalb habe ich doch den Koffer schnell noch geholt. Dann ist Rashida, auch nicht mehr so alleine."
Rudi lachte, fasste von der Seite nach meinem Hals und zog mich zu sich heran, gab mir einen Kuss. "Ich sehe, dass du glücklich bist, meine Kleene. Jetzt gefällst du mir wieder besser. Du hast wieder etwas Farbe im Gesicht, mir ist das halt so eingefallen. Manchmal sind die spontanen Ideen, die Besten. Sag mal wie geht es dir, die Nachwirkungen der Spritze, lassen die langsam nach?", fragte er dennoch besorgt und eine tiefe Sorgenfalte grub sich zwischen seine Augenbrauen.
"Äh… ich glaube ja. Ich war jetzt so aufgeregt, dass ich das gar nicht mehr mitbekommen habe. Rudi, mir geht es einfach gut. So gut wie seit Jahren nicht mehr. Soll ich dir mal etwas sagen?"
Rudi sah mich grinsend an. "Was denn meine Kleene?"
"Ich fahre mit meinem, wie sagt Tom immer, Paps zu meiner… Schwester", strahlend sah ich Rudi an.
Mein Major strahlte genauso wie ich.
Verlegen sah ich Rudi an. "Sag mal Rudi, was sind Geburtstagsgeschenke und was ist ein Geburtstag. Ich habe Ines das schon mal gefragt. Aber ich habe es nicht so richtig verstanden, was sie mir da erklärt hatte", versuchte ich meine Frage, so genau wie möglich zu formulieren.
"Ach Kleene, das ist ganz einfach. Geburtstag ist der Tag an dem du geboren bist. Also Geburts... Tag. Verstehst du?"
Ich nickte. "Ach so, warum hat mir Ines das so kompliziert erklärt. Ich glaube ich habe es jetzt begriffen. Da habe ich so etwas ja auch, der Tag an den sie uns aus der Maschine geholt haben."
"Genau, meine Kleene. Jedes Jahr an diesem Tag, feiern wir ein Fest. Das nennt man dann eine Geburtstagsfeier. Da bekommt derjenige, der Geburtstag hat, einige Geschenk, das nennt man dann Geburtstagsgeschenk. Verstehst du?"
Ich nickte wieder, langsam wurden mir die Zusammenhänge klar. "So wie ihr mir die Teddys geschenkt habt."
"Genau meine Kleene, man kauft dem Geburtstagskind, so heißt derjenige der Geburtstag hat, etwas, dass ihm großen Spaß macht oder man bastelt ihm etwas Schönes. Ich selber freue mich immer mehr über Dinge die man selber gemacht hat. Es muss kein Geld kosten, sondern muss von Herzen kommen, verstehst du meine Kleene."
Nachdenklich, sah ich zum Fenster hinaus. Ich hatte nichts, was Jo und Tim eine Freude machen könnte. Ich wüsste gar nicht, über was sie sich freuen. Traurig sah ich aus dem Fenster.
"Kleene, über was grübelst du nach?", erkundigte sich Rudi.
"Mir ging gerade durch den Kopf, dass ich gar nichts habe, für Jo und Tim. Jedenfalls nichts, was den Beiden eine Freude machen würde."
Rudi griff zu mir herüber und streichelte meine Wange. "Kleene, alleine, dass du da bist, denke ich ist für die Beiden Freude genug. Tim hast du schon das größte Geschenk gegeben, das du jemanden überhaupt geben kannst. Du hast ihn gesund gemacht. Jo, damit auch. Du musst dich darüber nicht sorgen", erklärte er mir.
Erleichtert atmete ich auf. "Na ja, vielleicht fällt mir ja noch etwas ein", sagte ich lachend. Plötzlich fiel mir ein, dass ich immer noch nicht wusste, wann ich Geburtstag hatte. "Rudi, können wir mal in meine Akte nachgucken, wann ich Geburtstag habe. Als ich bei diesem Staatsanwalt war, weißt du wegen der Selbstanzeige, wollte der das von mir wissen. Aber ich weiß das doch nicht", fragte ich meinem liebsten Freund.
Rudi sah mich verblüfft an. "Wie du weißt nicht, wann du Geburtstag hast?"
Ich schüttelte den Kopf. "Rudi, ich weiß das nicht. Wir haben sowas noch nie gemacht, wie ihr, Geburtstag gefeiert."
Rudi sah mich kurz an, um dann sofort wieder auf die Straße zu sehen. "Du hast noch nie Geburtstag gefeiert. Das gibt es doch nicht", stellte er erschrocken fest.
"Das ist nicht schlimm Rudi. Aber, es war schon nicht so schön, weil dieser Staatsanwalt dachte, dass ich nicht mit ihm reden will. Aber ich wusste nicht, was er von mir wollte. Ich hab seine Frage nach meinen Daten, erst überhaupt nicht verstanden, wirklich nicht. Aber ich weiß nicht, wen ich fragen kann, vielleicht weiß es der Doko. Aber ich weiß nicht, wie ich den erreichen kann. Ich weiß, das doch alles nicht. Es war nie wichtig, dass wir so etwas wussten. Ines sagte mir neulich, es würde im Dienstausweis stehen. Hat dann sogar selber auf meinem Ausweis nachgesehen, da steht auch kein Datum drauf. Ich wusste nicht, dass es wichtig ist, das zu wissen. Auch weiß ich nicht, wo ich da nachsehen könnte. Bis jetzt hat uns noch nie jemand danach gefragt."
Rudi rieb sich das Kinn. "Mach dir keine Sorgen, das bekommen wir schon noch heraus. Ich rufe einfach mal Fritz an und frage ihn. Dein Doko wird das schon wissen. Ach Kleene, du hast es auch manchmal wirklich schwer. Jetzt verstehe ich wenigstens, warum du mit am ersten Tag so komisch geantwortet hast, als ich dich fragte wie alt du bist? Du sagtest, ungefähr sechszehn Jahre. Kleene ich habe nie begriffen, warum du mir so geantwortet hast. Gerade eben wird mir das klar, du weißt das wirklich nicht genauer. Aber wir bekommen das schon raus, keine Sorge", beruhigte er mich.
"Sag mal Rudi, wann hast du eigentlich so einen Geburtstag?", war ich jetzt neugierig.
Rudi lacht. "Ich bin am 20. November 1936 geboren", erklärte er mir.
"Dann bist du jetzt neununddreißig Jahre", rechnete ich schnell aus.
Rudi schüttelte den Kopf. "Nein meine Kleene, ich werde erst neununddreißig. Mache mich bloß nicht noch älter, als ich sowieso schon bin."
Rudi machte ein ganz trauriges Gesicht, aber seine Augen lachen.
Kurz entschlossen beugte ich mich zu ihm hinüber und gab ihm einen Kuss. "Entschuldige, ist's wieder gut Rudi? Wie alt sind denn Tim und Jo jetzt?"
Rudi schielte zu mir herüber. "Tim ist vier Jahre alt geworden und Jo ist siebenundvierzig Jahre."
Ich nickte, sah dann aber zu den Autofenstern hinaus, da mir einige Gedanken durch den Kopf gingen. "Rudi, du sollst doch Viola anrufen, wenn wir im Forst sind?", versuchte ich Klarheit in meine Gedanken zu bringen, in dem ich Rudi einfach fragte, der nickte zustimmend. "Könntest du sie bitte fragen, ob sie mir zwei Blätter und einen Stift mitbringt. Freut sich Jo auch, über etwas selber Gemachtes?" Fragte ich einfach, was mir in den Kopf kam.
"Ja meine Kleene, willst du Jo ein Bild malen. Darüber freut er sich bestimmt riesig", bestätigte Rudi meine Gedankengänge.
"Tim kann ich auch ein Bild malen, von den Schweinchen, die Geschichte hat ihm gut gefallen. Obwohl ich sie nicht verstanden habe. Aber ich kann ein Bild dazu malen. Ich hab es in dem Buch gesehen. Dann habe ich auch ein Geschenk", stellte ich zufrieden lächelnd fest.
Rudi grinste mich an. "Stimmt", sagte er kurz.
Viele Dinge zeigte und erklärte mir Rudi unterwegs. Die Fahrt nach Forst verging, wie im Flug. Nach nicht einmal zwei und einer dreiviertel Stunde, fuhren wir von der Autobahn herunter. Nach einem weiteren Kilometer, sahen wir schon das Ortseingangsschild von Forst, dem Ort wo meine beste Freundin jetzt lebte.
Nur weniger Minuten später, fuhren wir auf dem Parkplatz vor dem Polizeirevier Forst und hielten wir vor dem Gebäude an. Ich war von dem, was ich sah völlig vereinnahmt. Es war ein riesiger Flachbau, den man vor ein großes, an eine Villa erinnerndes Gebäude gebaut hatte. Der Anbau, wirkte wie ein Fremdkörper, vor diesem schönen alten Backsteingebäude, das mit vielen aus Stein gemeißelten Reliefs verziert war. An den Erkern und auf dem Dach, standen Statuen mit Pfeil und Bogen, Schwertern oder Speeren. Mich faszinierten diese Stuckarbeiten, wie sie mein Major bezeichnete. Die in Stein gehauenen Ornamente, die Blättern und Blüten ähnlich sahen, verbanden die Statuen miteinander. Der Kontrast zwischen den roten Backstein und den hellen fast weißen Relief Ornamenten, nahm mich völlig gefangen. So etwas hatte ich noch nie so bewusst wahrgenommen. Der grau/weiße, fast dreckig wirkende Flachbau passte so gar nicht, zu dem schönen Gebäude, mit seinen durch Stuck verzierte Fensterbögen und den Reliefs die sich über das gesamte Gebäude verteilten. Daher bekam ich gar nicht mit, wie Rudi seinen Trabanten auf einen Parkplatz mit einem Schild "Für Gäste" abstellte.
Mehrmals sprach mich mein Major an, bis er mich in die Wirklichkeit zurückgeholt hatte und ich ihn bemerkte. "Komm Kleene, steig aus", kopfschüttelnd stand Rudi da und amüsierte sich über mich.
Endlich konnte ich mich von der Schönheit dieses Hauses losreißen und landete wieder in der Gegenwart. Entschuldigend sah ich meinen Major an und zuckte verlegen mit den Schultern.
"Schon gut Kleene, dir gefällt das Haus wohl sehr? Weißt du, wenn dir so etwas so gefällt, dann fahren wir, wenn wir Urlaub haben, einfach mal nach Dresden oder Potsdam, da gibt es ganz viele solcher wunderschönen Häuser oder nach Görlitz, die Stadt ist noch viel schöner. Aber jetzt gehen wir erst einmal deine Freundin besuchen. Komm", forderte er mich auf.
Auch weil er merkte, dass ich nicht wirklich begriffen hatte, was er mir da gerade erzählt hatte. Aber das war nicht schlimm, ich würde ihn einfach mal fragen was dieses "drehsten" oder "Postamt" bedeutet.
Gemeinsam, den Arm um meine Schultern gelegt, gingen Rudi und ich auf die Wache zu. Ich konnte es immer noch nicht glauben, dass ich gleich meine Rashida wiedersehen würde. Mein Herz schlug wie wild in meine Brust und ich hatte ein Gefühl, als ob ich am ganzen Körper zittern würde. Was nichts mit der Injektion von gestern zu tun hatte, sondern mit meiner Aufregung. So aufgeregt war ich noch nie in meinem Leben. Ich hätte weinen und lachen können und das gleichzeitig, ganz durcheinander war ich in meinem Inneren.
An der Tür des Flachbaues angekommen, klingelten wir, da die Tür verschlossen war und es keine Klinke gab, um diese ohne Hilfe zu öffnen. Ein Summen ertönte und Rudi drückte die Tür auf. Wir betraten einen kleinen Vorraum und kamen zu einer zweiten Tür. Auch hier ertönte ein Summen, die Tür ließ sich öffnen, schon betraten wir eine Wachstube und standen direkt vor einem Tresen.
"Guten Abend Genosse Wachtmeister", begrüßte Rudi seinen Kollegen aus Forst, in dem er sich auswies. "Ich bin Major Sender vom Revier in Gera. Ich würde gern mit Major Kreuzer sprechen. Ich bin angemeldet, wusste aber nicht genau, wie lange wir hierher brauchen. Könnten sie den Major bitte einmal hier vor rufen?", bat er in einen freundlichen Ton und hielt dem vor ihn stehenden Kollegen seinen Dienstausweis unter die Nase. Der jedoch beachtete den kaum, antwortete brummig.
"Ich werde sehen, ob der Major Zeit hat."
Rudi sah den Wachtmeister, verwundert an.
Der jedoch drehte sich zum Telefon um und wählte eine Nummer. "Genosse Major, hier ist ein Major Sender. Er sagte er hätte einen Termin, könnten sie bitte mal nach vorn kommen… Ja, der Major wünscht sie hier zu sprechen… Nein Genosse Major… Ja ich sage es ihm, Genosse Major."
Der Wachtmeister legte auf, wandte er sich wieder Rudi zu. "Genosse Major, sie möchten bitte hinter kommen. Major Kreuzer hat im Moment keine Zeit, hier vorzukommen."
"Genosse Wachtmeister, wenn sie mir sagen, wo wir hin gehen müssen? Wir gehen natürlich auch nach hinten, das ist kein Problem."
"Genosse Sender, sie sollen nur alleine hinter kommen. Ihre Begleitung kann hier warten. Der Genosse Major hat nichts davon gesagt, dass sie jemanden mit hinter bringen sollen", wies er genervt darauf hin, dass er keine dementsprechenden Befehle bekam.
Rudi sah mich verwundert an.
"Geh nur, ich warte hier, wenn ich darf. Sonst warte ich draußen."
Rudi sah zu dem Wachtmeister. "Wie heißen sie eigentlich, Genosse Wachtmeister? Bei uns in der Wache ist es üblich, dass man sich vorstellt, wenn man jemanden bedient", kritisierte Rudi, nicht zu Unrecht, den brummigen Wachtmeister.
"Wachtmeister Friedrich, Genosse Major, entschuldigen sie bitte Genosse Major. Bei uns ist seit Tagen die Hölle los, ich bin jetzt schon die dritte Schicht hier, ich bin einfach nur hundemüde. Trotzdem haben sie Recht. Verzeihen sie mir bitte. Die junge Frau kann hier warten."
Friedrich ging zu einer Klappe, öffnete diese und auch eine darunter befindliche Pendeltür. Jetzt etwas freundlicher, ließ Rudi durchgehen. Ich ging etwas vom Tresen weg, stellte mich in die Ecke, die der Tür gegenüber war, mit den Rücken an die Wand. Friedrich schloss die Tür sofort wieder.
"Bis gleich meine Kleene. Ich beeile mich", so folgte Rudi den Anweisungen seines Kollegen und verschwand durch eine Tür, auf der Rückseite der Wachstube.
"Kann ich ihnen etwas zu trinken anbieten, junge Frau?", erkundigt sich Friedrich um einiges freundlicher bei mir.
"Sir, nein, Sir", antwortete ich knapp, sah mich derweilen in der Wachstube um.
Es war hier ganz anders, als bei uns in der Wachstube, viel beengter. Obwohl der Flachbau von außen riesig aussah. Hier standen nur zwei Schreibtische, dann kam schon eine Trennwand. Dahinter schien eine Art Funkzentrale zu sein. Denn dort hörte ich jemanden sprechen, der wahrscheinlich für die Koordination der Toniwagen zuständig war.
Wachtmeister Friedrich, machte für mich einen sehr müden Eindruck. Der Kollege war sehr schlanker, aber gut durchtrainiert. Mit seinen hundertsechsundsiebzig Zentimeter war er nicht klein, aber auch nicht groß, aber man sah ihm an, dass er sehr viel Sport machte, er wirkte auf mich durchtrainiert. Sein Alter war schwer zu schätzen, ich würde sagen er war um die fünfundzwanzig Jahre. Die schwarze Brille, die er trug, machte ihn älter, als er eigentlich war. Der größte Kontrast an Friedrich, war sein sonnengebräuntes Gesicht und die weißblonden Haar. Der Kontrast konnte nicht größer sein und wirkte unnatürlich. Der Wachtmeister musste wirklich wahnsinnig müde sein, ständig ließ er sein Genick knacken, rieb sich das Gesicht und war ständig am Gähnen. Eigentlich so schoss mir der Gedanken durch den Kopf, war er gar nicht mehr diensttauglich. Er stand hinten an der Kaffeemaschine und kämpfte selbst beim Eingießen des Kaffees dagegen an, nicht im Stehen einzuschlafen. Immer wieder rieb er sich das Genick und schüttelte den Kopf. Irgendwo tat er mir leid.
Die Tür, durch die Rudi gerade die Wachstube verlassen hatte, öffnete sich plötzlich. Friedrich drehte sich um.
"Das wird ja auch Zeit, dass du mal wieder kommst. Ich wollte schon die Polizei anrufen und nach dir suchen lassen, Mark. Bist du ins Klo gefallen oder warum hat so lange gedauert", pulverte Friedrich, den hereinkommenden Kollegen an.
Der mit Mark angesprochene, lachte schallend. "Mensch Udo, du bist heute aber schlecht drauf. Was soll die junge Lady von dir denken. Die denkt du bist immer so kutzelig", gab er zur Antwort, dabei musterte er mich genau. "Wenn haben wir denn da, eine Miniaturausgabe von unserer Rashida?", wandte er sich lachend an mich. "Hoffentlich versteht sie mehr Spaß", setzte er nach.
Aufmerksam musterte ich ihn, als er auf mich zukam, nahm ich die Hände auf den Rücken. Darauf gefasst, dass er mich angreifen wollte. Irgendwie bekam ich diese Gedanken, nie völlig aus meinem Kopf. Obwohl ich ja eigentlich wusste, dass es hier alles anders war.
Der Kollege trat näher an mich heran und stellte sich nun vor. "Oberwachtmeister Mark Bär, ich bin der Schichtleiter, was kann ich für sie tun junge Frau?", erkundigte sich der rothaarige schlanke fast hundertneunzig Zentimeter große Oberwachtmeister.
Ich wusste nicht, was ich ihm darauf antworten sollte. Er konnte nichts für mich tun, also schwieg ich.
"Du redest wohl nicht mit jedem? Bist genauso schweigsam, wie Rashida", stellte er trocken fest. "Muss dir wohl auch ein Liedlein singen, um dich aufzumuntern", stichelte Bär herum.
Immer noch schwieg ich. Was sollte ich dazu auch sagen? Ich wusste mir keinen Rat. Beobachtete Bär aber genau.
Friedrich sah Bär lachend an. "Lass mal Mark, die wartet auf ihren Major. Der ist gerade oben bei Simon."
Bär jedoch ging jetzt auf die Klappe zu.
Ich öffnete jetzt die Verbindung zu Rudi. "Rudi, ich weiß nicht, was ich machen soll. Hier ist ein Oberwachtmeister, der rückt mir immer mehr auf die Pelle. Ich will das nicht, kann ich draußen warten?", bat ich Rudi.
"Kleene, bleibe ganz ruhig. Ich komme gleich vor und bringe Simon mit. Bleib einfach da, wo du bist. Vor allem, versuche bitte einmal, niemanden zu legen", gab er mir lachend den Rat.
Der Oberwachtmeister hatte jetzt jedoch, die Klappe erreicht und geöffnet, auch die Pendeltür. Lachend kam er auf mich zu und hielt mir die Hand hin. Ich jedoch stand immer noch, mit den Händen auf den Rücken, an der Wand.
"Na komm schon, du kannst mir doch wenigstens sagen, wie du heißt oder ist das zu viel verlangt, junge Frau", fordernd baute er sich vor mir auf und lächelte mich an.
"Sir, ich heiße Leutnant Kahlyn, Sir. Bitte bleiben sie stehen, Sir. Ich mag es nicht, wenn man mir so auf die Pelle rückt, Sir", antwortete ich leise und wies ihn daraufhin, dass er mich nicht so bedrängen sollte.
Ich beobachtete jede seiner Bewegungen und traute ihm nicht. Er war mir nicht geheuer.
Jetzt lachte er mich an. "Sie kann reden, siehst du Udo, sie hat sogar eine Stimme", sprach er lachend zu seinem Kollegen.
Immer weiter kam Bär auf mich zu und drängte mich dadurch immer mehr in die Ecke, tief atmete ich mich in mein Qi. Ich würde nicht zulassen, dass er mich berührt. Egal, was Rudi dazu sagen würde. Kurz bevor er mich erreicht hatte, öffnete sich die Tür durch die Bär vor wenigen Minuten gekommen war.
Rudi betrat die Wachstube, gefolgt von einem Kollegen, der in etwa Rudis Statur hatte, nur etwas größer als mein Major war und kompakter wirkte. Der dunkelhaarigen Kollegen, dessen Haare von vielen grauen Strähnen durchzogen waren, trug einem blauen Overall des SEKs. Mit seiner sehr dunklen wohlklingenden Stimme, griff dieser sofort in das Geschehen ein und stoppte auf diese Weise Bär in seinem Vorhaben.
"Mark, dat würd ick an deener Stell net machen. Dat jönnt dich net so jut bejommen. Lass mich dee Jleene ja zu Ruh, dee steht unner meenem persönlichen Schutz. Jenauso wie Rashida, denk dran, wat dee Rashida mit dich jemacht hat. Dee Jleene jann dat noch besser", wies er lachend seinen Oberwachtmeister darauf hin, dass der mich in Ruhe lassen sollte. Der schaute mich verdutzt an. "Mark, dat is dee hess jelobte Kahlyn, lass es lieber oder du bejommste jroße Beuln. Aber net nur von dee Jleene, sonnern och von miche", damit zog sich Bär zurück.
Ich war heil froh. Erleichtert atmete ich auf. "Sir, danke, Sir", sagte ich leise in Richtung des Mannes, der mich gerade erlöst hatte.
"Kahlyn, ick bin Major Jreuzer, dee Cheffe von deener Freundin Rashida. Herzlich Willjommen uf unsrer Wache. Dann jomm ma mit. Wolln mer deener Freundin ma ne jroße Überraschung machen."
Kreuzer schob er Bär, einfach zur Seite und winkte mich zu sich heran. Ich jedoch blickte erst einmal zu Rudi. Denn mir war nicht klar, wie ich mich verhalten sollte.
Rudi lächelte mir zu. "Komm Kleene, oder willst du Rashida warten lassen."
Ich schüttelte den Kopf und ging ich auf Kreuzer zu. Betrat die Wachstube.
"Dann wolln mer ma nach oben jehen, dee Maus wird staun, dee wess jar net dat du jommst", erklärte mir Kreuzer in seinem Berliner Dialekt.
Aufgeregt folgte ich Rudi und Kreuzer, durch die hintere Tür in der Wachstube und stand auf einmal in einer großen Halle. Hier gingen viele Türen ab und eine Treppe die nach oben führt. Eine weitere Treppe führte nach unten. Genau auf die steuerten wir zu. Im Keller angekommen, liefen wir einen langen Gang entlang und bogen dann nach rechts ab. Wir kamen an eine weitere Treppe, die wir wieder nach oben stiegen. Auf einmal standen wir, in einer großen Turnhalle.
Ich sah meine Rashida, die mit dem Rücken zu mir stand. Sie trainierte, so wie ich es in Gera auch machte, ihre Truppe im Nahkampf. Ich strahlte Rudi an, zog meine Schuhe aus und drückte ihm einfach meine Jacke, wie auch die Mütze in die Hand.
Lief ohne auf Kreuzer zu achten, von hinten auf Rashida zu. Meine Freundin, die von den "Hundert" mit die besten Reflexe hatte, reagiert instinktiv. Sie drehte sich um und versuchte nach mir zu schlagen und mich mit einem Schlag niederzustrecken. Dies war ein Reflex, denn sie genauso wenig steuern konnte wie ich. Denn sie fühlte ja nur, dass sie von hinten angegriffen wurde. Da ich allerdings genau wusste, was auf mich zu kam, war ich auf ihre Abwehrbewegung gefasst. Ich duckte mich einfach unter ihrem Schlag weg und fing ihren Arm ab. Nutzte den Schwung ihres Schlages aus und machte einen Salto über ihre Schulter. Trat ihr aus dem Salto heraus, mit Schwung von hinten in die Kniekehle, fasste ihr zeitgleich an den Hals und legte sie, da ihr die Knie wegknickten, einfach auf die Matte.
Das alles dauert keine drei Sekunden. Stellte mich breitbeinig über Rashida und grinste sie an. Es war für den überraschten Kreuzer, aber auch für Rudi, ein erschreckendes Bild. Beide schauten mich völlig entgeistert an. Sie konnten nicht glauben, wie ich die fast vierzig Zentimeter größere, auch über fünfzig Kilo schwere Rashida legte, als wäre sie ein Fliegengewicht.
Rashida hatte mich jedoch schnell erkannt. Nach dem ersten Teil einer Schrecksekunde, ließ sich einfach fallen und wehrte sich nicht mehr gegen meinen Angriff. Nach dem ich sie losgelassen hatte, rollte sie sich auf den Rücken und stand auf. Sie nahm mich einfach hoch. In dem sie mich unter den Achseln fasste und mit Schwung auf ihre Hüften setzte. Dann drehte sich mit mir mehrmals im Kreis.
Mit den Worten. "Nikyta jaan, pionda andus zurien", fiel ich ihr einfach um den Hals und fing an zu weinen.
Rudi übersetzte für Kreuzer. "Sie sagte: ‚Meine liebste Freundin, ich habe das Strahlen deiner Augen so vermisst‘."
Nach einigen Drehungen, hockte sich Rashida mit mir auf den Hüften einfach hin. "Täubchen, wo kommst du denn her. Höre auf zu weinen, Täubchen. Es ist doch gut. Beruhige dich doch. Komm beruhige dich. Du krampfst ja schon."
Rashida hielt mich einfach in ihren Armen. Ich konnte mich einfach nicht beruhigen, so sehr ich das auch wollte.
"Komm Täubchen, höre auf meinen Atem. Dann geht es gleich wieder", bot sie mir ihre Hilfe an.
Ich konzentrierte mich auf ihre Atmung. So hatte sie mich schon immer beruhigen können. Es half auch diesmal. Langsam beruhigte sich mein Herz. Auch hörte ich auf zu weinen.
"Ich freue mich so, dass du hier bist Täubchen", erklärte sie mir und nahm ihre Hand, wischte einfach meine Tränen weg. So wie sie es immer gemacht hatte.
Ich gab ihr einen Kuss. "Es ist so schön, dass ich dich wiedersehe. Rudi hat mich her gefahren. Ich will mit euch das Jawefan machen. Rashida, die Jungs in Gera haben alle die Verbindung zu mir. Ist das nicht schön. Wir haben die Verbindung durch das Jawefan, stelle dir das mal vor", platzte alles auf einmal aus mir heraus.
Rashida stand mit mir auf den Hüften auf und stellte mich einfach auf den Boden. Neben ihr wirkte ich, wie ein kleines Mädchen, zierlich, vor allem noch jünger. "Nun beruhige dich erst einmal, Täubchen. Du bist ja völlig durch den Wind", sagte sie zu mir. "Komm ich stelle dir mal, meine Jungs vor."
Erleichtert atmete ich auf. Auch weil ich sah das Kreuzer, wie auch Rudi nicht böse guckten.
"Sach ma Kahlyn, du jannst doch net eenfach meenen besten Mann, uf dee Matte lejen. So jeht dat aber net", meinte Kreuzer lachend zu mir.
Rashida antwortete schneller als ich. Sie kannte ihren Chef ja besser. "Oh doch, Simon, das kann sie schon immer. Gegen Kahlyn, haben wir alle zusammen keine Chance. Das sage ich euch doch immer. Jetzt habt ihr selber mal gesehen, was die kleine Zwecke für eine ist. Sie schafft es immer noch, mich zu überraschen", erklärte sie lachend. Beugte sich zu mir herunter und gab mir ein Kuss, auf die Stirn.
"Du lässt dich aber auch immer überraschen. Das wird noch einmal dein Tod sein. Man ist nirgends sicher, auch nicht zu Hause", gab ich ihr lachend, Kontra.
Die Jungs, die Rashida gerade trainiert hatte, kamen lachend auf sie zu.
"Na Rashida, jetzt glauben wir dir, dass sie dein Meister ist. Ich bin im Übrigen Lars", stellte sich ein etwa hundertneunzig Zentimeter großer Kollege vor und streckte mir lachend die Hand entgegen. Ich sah Rashida an, die nickte mir lachend zu.
Also nahm ich die Hand und schüttelte sie. "Sir, ich bin die Kahlyn, Sir", stellte ich mich vor.
Die Jungs fingen an zu lachen. Nach einander stellte mir Rashida ihre Jungs vor. Sie schien richtig glücklich zu sein, das freute mich sehr. Kreuzer wandte sich an einen etwas untersetzten, aber sehr durchtrainierten Kollegen.
"Serch, du bist bitte so lieb, machst dat Training weeter, damit dee Damen een bissel Zeet für eenander ham."
Ich sah Rashida an, dann in die Halle. Sie begriff sofort, was ich wollte und nickte mir aufmunternd zu. "Sir, wenn sie wollen, Sir, könnte ich mit Rashida das Training zusammen machen, Sir. Das würde mir gut tun, Sir. Es war eine lange Fahrt hierher und die Bewegung tut mir immer gut, Sir", schlug ich leise vor.
Rashidas Chef sah mich erstaunt an. "Kahlyn, dat jeht doch net, wenn du dir hier verletzt."
Jetzt musste ich lachen.
Rudi der die Verbindung, zu mir offen hatte, lachte mit. "Kleene, immer lache den armen Simon nur aus. Der kennt dich doch nicht so gut, wie ich." An Simon Kreuzer gewandt. "Ich glaube Simon, du musst keine Angst um die Kleene haben. Eher um deine Jungs und Rashida."
Da nickte Kreuzer, dem gerade einfiel, was ich mit Rashida zur Begrüßung gemacht hatte. Fragend sah ich Rashida an, diese nickte mir aufmunternd zu.
"Sir, dürfte ich ihnen, ihren Jungs und Rashida, ein kleines Geschenk machen, Sir. Ich würde ihnen gern helfen, dass sie besser werden, Sir. Den Jungs in Gera, hat es sehr gefallen. Vor allem, weil es einen netten Nebeneffekt hat, Sir."
Kreuzer der überhaupt nicht wusste, um was es ging, sah mich irritiert an.
"Kleene, am besten du ziehst dich erst einmal aus und ich erkläre das Simon schnell. Das geht einfach schneller und ist effektiver", gab Rudi mir einen Rat.
Ich nickte und ging zu einer der Bänke. Schnell zog ich meine Sachen aus, bis ich nur noch im Bustier und Turnhose da stand. Die Kollegen der Forster Wache sahen mich ganz erschrocken an, als sie meinen Oberkörper und meine Beine sahen. Rashida verhinderte, dass sie danach fragten, in dem sie leicht den Kopf schüttelte. Die Männer vertrauten Rashida völlig und stellten keine Fragen. Sie wussten, dass ihre Kollegin ihre Fragen auch später noch beantworten konnte. Trotzdem merkte man ihnen an, wie geschockt sie dieser Anblick machte.
In der Zwischenzeit hatte Rudi, seinem Kollegen das Wichtigste erklärt. Auch, wenn Simon nicht die Hälfte von dem verstanden hatte oder besser die Zusammenhänge nicht verstand, war er damit einverstanden. Auch, wenn er ein komisches Gefühl dabei hatte und nicht genau wusste, was Rudi alles damit meinte. Der hatte ihm aber versichert, dass es von Vorteil war und dass er das nie wieder missen möchte. Vor allem wäre er seit dem nie mehr müde. Alleine dieser Satz überzeugte den Teamleiter, da seine Männer im Moment alle am Limit liefen.
Ich sah Rashida an. "Rashida, wer von deinem Team, ist von den Schmerzen her derjenige, der das meiste aushält?", fragte ich direkt nach dem, was ich wollte. Rashida sah mich verwundert an, doch dann huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Sie hatte mich verstanden und nickte kurz. "Rashida, bilde einen Kreis von denjenigen die am meisten aushalten zu denjenigen die am wenigsten aushalten, die schließen den Kreis", ordnete ich an. Rashida nickte nochmals und sortierte die Jungs, in der von mir gewünschten Reihenfolge. Auch Kreuzer, holte sie in den Kreis, setzte ihn direkt neben mich.
"Also, hört zu und macht einfach das, was ich euch sagen. Auch wenn ihr mich jetzt nicht ganz versteht. In spätestens einer Stunde habt ihr es verstanden. Es ist so, dass das, was ich jetzt mit euch mache, tut euch nur bedingt weh. Ich werde versuche die Schmerzen weitestgehend zurück zu halten. Aber es wird mir wahrscheinlich nicht völlig gelingen. Dass, was ich jetzt mit euch mache, wird euch helfen besser zu werden. Setzt euch einfach in einen Kreis, so dass eure Hände den Boden berühren, wenn ihr euch anfasst", ohne zu zögern setzten sich die Jungs.
Auch Kreuzer setzte sich in den Kreis. "Warum jommt Rashida net mit innen Kreis?", wollte Kreuzer von mir wissen.
"Sir, weil Rashida, dass, was ich euch beibringen will schon kann. Sie würden den Fluss unterbrechen, deshalb muss sie draußen bleiben." Rashida korrigierte für mich den Kreis als sich alle hingesetzt hatten. Ich atmete mich in der Zwischenzeit in mein Qi. Ich musste die Schmerzen besser in den Griff zu bekommen. Fast zehn Minuten brauchte ich, um meine Schmerzen zu kontrollieren. Ich bemerkte sehr wohl, die verwunderten Blicke von Rudi und Rashida. Aber darauf wollte ich jetzt nicht reagieren, vielmehr ich konnte nicht. Die Männer hier im Kreis waren jetzt wichtiger, als die Fragen der beiden Freunde. Kaum, dass ich meinen richtigen Atemrhythmus gefunden hatte, bat ich Rashidas Kollegen mir zu folgen.
"Bitte, versucht jetzt in meinen Atemrhythmus zu kommen und vor allem zu bleiben. Atmet tief ein-aus-ein-aus", schnell begann der Strom zu fließen und ich ging in das Jawefan. Die unmittelbar neben mir sitzenden brüllten auf vor Schmerzen. Aber das konnte ich leider nicht verhindern. Ich würde ihnen die Schmerzen gleich nehmen. Schnell schloss sich der Kreis, weil alle gut mitmachten und niemand den Fluss störte. So konnte ich die Schmerzen schnell zurücknehmen. Öffnete dann die Verbindung und brachte allen das schnelle Schlafen, das Taiji, das Kun-Fu, die Selbstkontrolle, gegen Fieber, Blutungen, Verletzungen, aber auch das Fobnekotar bei, unsere Sprache, das Öffnen und Schließen der Verbindung und das benutzen der Notfalltüren. Ließ die Jungs noch einige Minuten im Jawefan schlafen. Alle durch die Reihe waren todmüde. Nach reichlichen zehn Minuten ging ich langsam und behutsam aus den Jawefan. Kurz vor dem Beenden des Jawefans, weckte ich die Jungs. Einige Minuten später, erwachten alle aus dem tiefen Schlaf. Verwundert sah mich Kreuzer an. Der wie alle anderen, wieder etwas erholter aussah und sich auch so fühlt.
"Kahlyn, wat hast du mit mich jemacht? Ick jomme mich vor, als hät ick vier Wochen durch jeschlafen." Im selben Moment kam er auf mich zugestürmt.
Rudi rief noch. "Nicht Simon."
Der konnte sich aber nicht mehr bremsen. Da ich allerdings tief in Gedanken versunken war, hörte ich die Beiden nicht und nahm auch nichts von meiner Umwelt wahr. Ich war so intensiv auf Rashida fixiert, da ich mich gerade mit ihr über die Freischaltcodes unterhielt und ihr genau erklärte, wie sie die freischalten musste. Vor allem, warum ich nicht gleich alles freischalten hatte. Deshalb sah ich Kreuzer nicht kommen, reagierte wie immer instinktiv. Sah nur aus den Augenwinkeln, eine Hand auf mich zukommen und blockte diese mit dem Unterarm des rechten Armes ab, fasste reflexartig mit der linken Hand an den Ellenbogen Kreuzers, bekam dadurch die rechte Hand wieder frei. Kreuzer, der wohl ebenfalls sehr gute Reflexe hatte, wollte mit der linken Hand, seiner jetzt freien Hand, nach meiner rechten Hand greifen. Ich fing diese mit der jetzt wieder freien Hand ab, drehte mich zu ihm hin, so dass ich seitlich von ihm stand. Sofort ließ ich die Elle Kreuzers los, griff mit der linken Hand an sein Kinn, drückte ihm mein linkes Knie in seine rechte Kniekehle und zog ihn nach hinten, brachte ihn so zu Fall. Das alles dauerte keine drei Sekunden. So wie Kreuzer am Boden lag, wurde mir bewusst, was ich getan hatte. Erschrocken wich zurück. Entsetzt starrte ich auf Kreuzer, der am Boden lag an. Rashida, wie auch Rudi, die meine Reaktionen auf so etwas, ja nur allzu gut kannten, versuchten mich zu beruhigen.
Rashida, drückte Rudi weg. "Lass sie", befahl sie kurz, schüttelte in Rudis Richtung den Kopf.
Ich war so geschockt, über das was ich getan hatte, dass mir fast das Herz stehen blieb. Ich konnte nicht fassen, dass ich Rashidas Vorgesetzten auf den Boden gelegt hatte, dass ich in meiner Panik immer mehr von den Jungs zurückwich. Als diese mich lachend beruhigen wollten, sagte Rashida nur laut.
"Ruhe, das ist Ernst", forderte sie von ihren Kollegen.
Vorsichtig näherte sie sich mir. Ich war unfähig klar zu denken und stand vollkommen unter Schock.
"Rashida nikyta, keladi, rashida", begann sie ganz ruhig zu mir sprechen.
Rudi übersetzte für die anderen. "Beruhige dich Täubchen, es ist nichts passiert, beruhige dich."
Vorsichtig näherte sich Rashida. Kreuzer der den Ernst der Lage, noch nicht verstanden hatte, wollte auf mich zu gehen, mir damit zeigen, dass nichts passiert war. Zum Glück er wurde von Rudi zurück gehalten.
"Simon, lass das Rashida machen. Kahlyn neigt bei solchen Sachen, leicht dazu in Panik zu geraten. Was ich langsam verstehen kann. Wenn man sie dann in die Ecke treibt, kann es passieren, dass sie richtig ausrastet. Lass das lieber. Kahlyns Freundin weiß wie sie in solchen Fällen mit ihr umgehen muss."
Kreuzer sah Rudi verwirrt an. "Es is doch jar nix passiert. Warum bejommt dee Jleene, denn enen Schrecken? Dat versteh ick net. Wat is mit ihrem Rücken passiert?"
Rudi sah traurig zu mir hinüber, da er sah, dass Rashida sichtlich Mühe hatte, zu mir durchzudringen. "Simon, die Kleene hat uns erklärt, dass auf Grund ihres vorherigen Lebens, ihre Reflexe sehr gut ausgebildet sind. Sie ist wohl diejenige von den Hundert mit den besten Reflexen. Dass das wichtig war, um zu Überleben. Dass sie jedes Mal, wenn sie aus solch einem Reflex heraus reagiert, Angst bekommt, dass sie ausversehen einmal jemanden tötet. Glaube mir, wir haben am Anfang auch immer darüber gelacht, wenn sie einen von uns gelegt hat. Aber seit zwei Wochen, lacht da keiner mehr darüber. Als ich gesehen habe, wie sie im Kampf jemanden, aus so einem Reflex heraus, innerhalb eines Sekundenbruchteils getötet hat, wurde mir ganz anders. Mir wurde bewusst, was wir bis jetzt für Glück hatten. Wenn du das erlebst hast, lachst du darüber nicht mehr. Ich kann die Kleene voll verstehen. Ihr Rücken ist ein Andenken an ihren ehemaligen Vorgesetzten, der sie regelmäßig ausgepeitscht hat. Rashida, im Übrigen auch. Nur hat die Kleene, das bei den anderen Hundert, immer wegmachen können. Nur bei sich selber ging das wohl nicht."
Kreuzer sah Rudi entsetzt an. "Dat jibts doch net."
Rudi nickte, beobachtete Rashida allerdings genau, die trieb mich immer mehr in die Ecke, versuchte mit reden in mich einzudringen. Allerdings sie kam nur sehr langsam, an mich heran.
Entsetzt sah ich sie an, leise beruhigend sprach Rashida immer wieder zu mir. "Nikyta halikon, Simon krisin, Nikyta wopurm."
Rudi übersetzt für die Anderen. Da er nicht daran dachte, dass die Kollegen, uns jetzt auch verstanden.
"Täubchen höre auf, Simon hat dich nur erschreckt, es ist nichts geschehen, mein Täubchen."
Langsam beruhigte sich mein Atem. Rashida machte einen großen Schritt auf mich zu. Sie nahm mich einfach in den Arm und hielt mich einfach fest.
"Ist schon gut Täubchen, es ist nichts passiert. Simon geht es gut, beruhige dich doch."
"Ich wollte das nicht, wirklich. Du bekommst jetzt wegen mir Ärger."
Rashida, streichelte mir mein Gesicht. "Nein Täubchen, ich bekomme keinen Ärger. Simon ist ganz lieb. Er ist nicht wie der Oberstleutnant. Du musst dich nicht sorgen", beruhigte sie mich. Rashida sah ihren Chef an, nickte ihm aufmunternd zu.
Kreuzer kam auf uns zu. "Kahlyn, ick wollt dir net erschrecken, jlaube mich dat meene, Jleene. Es is nix passiert. Du musst dir net sorjen."
Immer noch völlig durch den Wind, schielte ich zu Kreuzer, der jedoch sah mich lachend an.
"Mein Jott, hast du Reflexe, dat jann doch jeener ahnen."
Rashida, streichelte mir beruhigend den Rücken. "Täubchen, es ist alles in Ordnung, wirklich. Es ist nicht passiert, du warst nur erschrocken."
Wieder schielte ich an Rashida vorbei. Kreuzer jedoch lachte mich an. Erleichtert ließ mich Rashida los, hockte sich vor mich hin. "Alles wieder in Ordnung Täubchen?", fragte sie mich lachend. Ich nickte, immer noch am ganzen Körper zitternd vor Schreck. Kurz entschlossen ging ich auf Kreuzer zu. "Sir, entschuldigen sie bitte, Sir. Ich war in Gedanken, Sir. Ich kann das nicht steuern, gegen meine Reflexe bin ich machtlos, wirklich, Sir", versuchte ich mich bei ihm zu entschuldigen.
"Kahlyn, dat is net so schlimm. Ick war doch selber schuld. Hätte dir ja net erschrejen brauchen. Jleene, du musst net Sir zu mich sajen. Dat macht Rashida och net. Sach enfach Simon zu mich, dann stimmt dad", aufmunternd hielt er mir die Hand hin.
Verwirrt sah ich zu Rashida, diese nickte mir lächelnd zu, also ergriff ich die Hand von Kreuzer.
"Na siehste Jleene. Es tut jar net weh."
Rudi kam auf mich zu, wuschelte mir den Kopf. "Alles wieder klar, meine Kleene. Du hast dich aber auch erschrocken."
Traurig sah ich ihn an. "Rudi, ich kann nichts dagegen machen. Ich war völlig auf Rashida konzentriert, um ihr die Freischaltcodes zu erklären. Ach manne mich kotzt das so an, immer passiert mir das. Aber ihr merkt euch das auch nicht. Dass es besser ist mich vorher anzusprechen oder von vorn auf mich zu zukommen, damit ich euch sehe."
Rudi lachte schallend. "Also Jungs, bitte sprecht mir die Kleene vorher immer schön an, sonst liegt ihr auf der Nase. Aber lacht ruhig, ich habe auch schon zweimal auf der Nase gelegen."
Die Jungs schmissen sich weg vor Lachen, aber mir war absolut nicht danach. Rashida die das wusste, beendete kurz entschlossen das Gelächter.
"Ich würde an eurer Stelle nicht so lachen. Die Sache ist verdammt ernst. Kahlyn, hat recht. Sprecht sie lieber an oder geht von vorn an sie ran. Sie ist um einiges besser als ich. In einer falschen Situation, in der sie sich bedroht fühlt, kann dieser Reflex bei ihr tödlich enden. Dann lacht ihr nie wieder", erklärte sie ihren Jungs mit ernstem Gesicht.
Simon nickte. "In Ordnung, soweit hammer jetzt net jedacht. Aber du hast, wie so oft Recht, Rashida. Komm wolln mer noch etwas trainiern. Dann jibts Abendbrot, ick hab viellecht enen Hunger."
Ich holte tief Luft und war froh das Rashida, keinen Ärger wegen mir bekam. Bevor wir allerdings mit dem Training anfingen, erklärte ich den Jungs noch die Verbindung, in dem ich einfach alle Notfalltüren zu ihnen öffnete.
"So, jetzt mal zu dem schönen Nebeneffekt", sagte ich in der Verbindung, zu den Kollegen aus Forst. Diese sahen mich ganz entgeistert an, da sie mich nicht reden sahen, aber mich trotzdem hörten. "Ja, ihr hört meine Gedanken. Diese Verbindung, wie ich das nenne, entsteht durch das Jawefan. Was ich eben mit euch gemacht habe. Deshalb durfte Rashida nicht mit in den Kreis. Es ist der Grund, weshalb Rashida Anfang September so krank war. Da eben diese Verbindung urplötzlich weg war. Es ist aber eine gute Möglichkeit, sich im Kampf gegenseitig zu warnen. Ich erkläre euch jetzt wie ihr diese Verbindung öffnen und schließen könnt. Wie ihr aber auch Notfalltüren öffnen könnt, so wie ich das eben gemacht habe, wenn keiner die Verbindung offen hat. Das ist Lebenswichtig. Vorher noch eins. Rashida, bevor du schlafen gehst, musst du deine Verbindungen unbedingt immer trennen, sonst sehen die anderen deine Träume. Also…" Genau erklärte ich Schritt für Schritt, die Funktionsweise der Verbindung.
Damit fertig, sah mich Simon fragend an. "Kahlyn, jannst du dat den anneren Teams von miche och jeben, oder jann dat Rashida och machen?"
Ich schüttelte den Kopf. "Nein, Rashida kann das leider nicht. Aber wenn du es schaffst deine Jungs bis wir fahren, alle zusammen zu holen, mache ich das gern mit allen. Ich finde, dass es etwas ganz Wichtiges ist. Den Rest bringt euch Rashida bei, die meisten Dinge die ich euch heute beigebracht habe, sind mit Freischaltcodes gesichert. Sonst würde euch der Kopf platzen", erklärte ich Simon. "Jetzt noch zu dem schnellen Schlafen. Ich habe euch eine Fähigkeit gegeben, die sehr nützlich ist. Wie vielen Kollegen die in unserem Bereich tätig sind, fehlt auch bei euch oft der nötige Schlaf. Das schnelle Schlafen ermöglicht euch, in kürzester Zeit acht Stunden zu schlafen. Allerdings ist es keine Dauerlösung. Es ist eine Art Notfallschlaf. Damit ihr im Einsatz wieder schnell zu Kräften kommt. Wenn ihr diesen Schlaf nutzen wollt, legt ihr euch einfach hin, schließt die Augen, atmet gleichmäßig ein und aus, sagt euch ich möchte zehn Minuten, eine Stunde oder wie lange ihr Zeit habt schlafen. Nach der genannten Zeitspanne, erwacht man, als hätte man acht Stunden am Stück geschlafen. Aber bitte beachtet, dass ihr in dieser Zeit völlig wehrlos seid. In müsst für die Zeit des Schlafens, immer Wachen aufstellen. Dann ist das eine wirklich nützlich Sache", fragend schaute ich zu Rudi, der nickte.
"Ich habe es schon probiert, es ist eine feine Sache, endlich keinen Schlafmangel mehr", stellte er bestätigend fest, in meine Richtung blickend.
Ich sah Rashida an und nickte ebenfalls. "Ja diese Fähigkeit hat uns schon einige Male gerettet", sagte ich locker, auf einmal war es gar nicht mehr schlimm, dass ich die Jungs nicht kannte. Meine Rashida mochte sie, also mochte ich sie auch. "Also, wollen wir noch etwas tun, oder seid ihr hier zum quatschen?", foppte ich die Jungs. Die sahen mich lachend an.
"Nee, wir wollen noch etwas machen", meinte Simon ebenfalls breit grinsend. Rudi setzte sich auf die Bank und sah uns einfach zu. Mit den Worten. "Na dann, laufen wir mal ein paar Runden, damit eure Muskeln wieder warm werden", nahm ich das Training einfach in meine Hand. Begann einige Runden in der Halle zu laufen. Nach zehn Runden, hielt ich an.
"Bitte stellt euch in Blocks auf, immer paarweise." Mit den Worten. "Sedoc Eztakfu sonde zurien, almech." Schalte ich das Eztakfu, das Katzen-Kun-Fu frei. Rashida nickte mir zu, sie hatte verstanden, wie ich das Freischalten der Codes gemeint hatte. Das war gut so, denn ich war ja nur wenige Stunden hier und konnte dies nicht mit allen Gruppen machen. Zügig erklärte ich mit Rashidas Hilfe diese Kampfsportart. Ging Schritt für Schritt, die Technik durch. Nach fünfundvierzig Minuten, hatten alle die Griffe, Abwehrmechanismen und Schläge verstanden. Gerade wollten wir einen kleinen Übungskampf beginnen, als der Alarm los ging. Simon lief los, hetzte hinüber in die Wachstube. Rashida beendet das Training. Zusammen gingen wir in den Bereitschaftsraum des hiesigen SEKs. Dort angekommen, lief Rashida in die Dusche, ich folgte ihr. Keine fünf Minuten später, standen wir fertig geduscht, wieder im Bereitschaftsraum.
Simon kehrte zurück. "Leute es is Jroßalarm ausjelöst wurdn, eene Jruppe von fünf nicht ungefährlichen Drojenschmucklern, is dem SEK in Cottbus entwischt, hat sich der Festnahme entzojen. Dee Jollejen bitten uns, um Hilfe. Wir solln verhinnern, dad dee Bande nach Polen abhaut."
Ich sah Rashida an, schüttelte den Kopf. Durch die Grenznähe, würden wir das nicht verhindern können. Wir mussten ja erst eine Spur finden. "Was ist, wenn die schon in Polen sind?", fragte ich wie selbstverständlich, den Teamleiter der Forster Wache.
"Dann müssn sich dee Jollejen in Polen, um dee Bande jümmern."
Ich sah Rashida an, grinste schelmisch in mich hinein. "Ich kann deine Gedanken lesen, Kleene", meinte Rudi, der mich genau beobachtete, also auch mitbekommen hatte, wie ich schelmisch lachen musste.
"Ja ich denke du ahnst, was ich denke. Simon, lass mich und Rashida auf Jagd gehen. Wir bringen dir die fünf in ein paar Stunden hierher. Kläre das nur mit den Kollegen in Polen, damit wir dort keinen Ärger bekommen. Die sind da sehr eigen."
Simon, sah Rudi und Rashida abwechselnd an.
"Lass die Kleene machen, die ist wirklich gut. Kahlyn, hat vorgestern erst eine Schulklasse gefunden, die seit vierzehn Tagen vermisst wurde. Vor allem in einer ganz anderen Ecke der Republik."
Rashida nickte ebenfalls.
"Aber, du jannst ja net nackt jehen, Jleene", meinte Simon grinsend, auf mich zeigend. Ich stand nur in Bustier und Turnhose da.
"Vielleicht hat jemand einen Overall für mich, der nicht so sehr groß ist. Ich bin halt mal ein Zwerg", erwiderte ich locker.
Simon verschwand nach hinten, einiger Zeit später kam er mit einem Overall zurück. "Probier ma, ob du da rinpasst, Jleene?" und warf mir einfach einen Overall zu.
Ich zog ihn sofort an. "Na ja, ein wenig groß ist er ja schon, aber ich kremple einfach die Arme und Beine ein wenig nach oben, dann geht das schon."
Simon war allerdings anderer Meinung. Ging nochmals nach hinten und kam mit einer Schere nach vorn. Kurzerhand kniete er sich vor mir hin und schnitt das, was zu lang war einfach ab. Lachend sah er mich an.
"Siehst dat passt doch, wie anjejossen", sagte er einfach.
Vergnügt ging er zu Rashida und sagte ihr etwas ins Ohr. Die fing laut an zu lachen, erschrocken sah ich sie an. Noch nie hatte ich meine Rashida, laut lachen gehört. Also hatte auch sie das Lachen hier gelernt, das freute mich sehr.
"Also Kahlyn, Simon ist der Meinung, du solltest die Einsatzleitung übernehmen. Die Jungs von Cottbus sind in zehn Minuten da."
"Oh nein", rutschte es mir heraus und ich fuhr mir genervt durch die Haare.
"Was ist?", fragten einige Jungs, Rudi, Simon, aber auch Rashida gleichzeitig.
"Ich hab nicht schon wieder Lust auf den Brillenquatsch", sagte ich trocken, aber offen zu Simon. Da ich dachte wir machen den Einsatz, nur mit den Jungs von Forst.
Simon sah mich grinsend an. "Jleene, du musst jeene Angst ham. Dee Jungens aus Cottbus jennen unsre Rashida schon. Ick denke dee wärn jeene Probleme mehr machen, wejen deener Brille", er feixend, scheinbar kannte auch er schon das Theater, mit der Brille.
"Dann geht es ja. Hoffen wir, dass die mich auch akzeptieren. Wenn ich ehrlich bin, nervt mich das nur noch."
Rashida bestätigte meine Worte. "Nicht nur dich Kahlyn, uns alle", stellte sie mit einen Blick auf mich fest.
Rudi sah Simon an. "Simon, dann sei so gut und gebe mir bitte auch einen Overall. Sonst bin ich ja der Einzige, der hier in Zivil herumläuft."
Simon begann schallend zu lachen. "Bei diche muss ick wenijstens nix abschneidn."
"Na da bitte ich aber drum, Simon. Es bleibt alles, wo es ist."
Die ganze Bande schmiss sich weg vor Lachen. Die einzigen die nicht wussten, was los war, waren Rashida und ich. Verwirrt sah ich Rudi an.
"Ach Kleene, das verstehst du irgendwann mal. Das war ein Spaß."
Ich nickte, in Ordnung sollen sie ruhig lachen. Simon begleitete Rudi nach hinten in dessen Büro, gab ihm einen Overall aus seinem Spind und auch ein paar Schuhe. Kaum waren die beiden wieder vorn, kamen schon die Kollegen aus Cottbus. Simon, schickte alle nach hinten ins Besprechungszimmer und ließ sich das Dossier geben. Sofort kam er auf Rashida und mich zugelaufen.
"Rashi, hier hast dat Dossier. Schaut ihr zwee bitte ma, wat ihr draus machen jönnt. Rashi, wie lang brauchst dun für nen Einsatzplan? Wollt ihr hinnen och nen Kaffee?", stellte Simon gleich mehrere Fragen. Rashida sah Simon an. "Simon, vielleicht zwanzig bis fünfundzwanzig Minuten, länger werden wir nicht brauchen. Klärst du die Einsatzleitung hinten schon mal ab. Wenn ich ehrlich bin, ich habe auch keine Lust mehr, auf den Brillenquatsch. Bei Kahlyn ist das noch schlimmer, weil sie so klein ist. Ein Kaffee wäre schön", erklärte Rashida ihrem Chef.
Simon nickte. "Jeht klar, Rashi. Also mach hinne."
Freundlich sah er Rashida an, drehte sich um und verschwand nach hinten zu den anderen. Rashida las mit mir zusammen das Dossier, nach zehn Minuten hatten wir es durch, arbeiteten einen Einsatzplan aus. Nach einer reichlichen viertel Stunde, standen wir auf und liefen zusammen nach hinten in das Besprechungszimmer, in dem jetzt vierzig Leute saßen. Erschrocken sah ich mich nach bekannten Gesichtern um. Simon saß ganz hinten neben Rudi und war in ein Gespräch vertieft. Ich blieb neben der Tür stehen, registrierte das Murmeln, das durchs Zimmer ging, als ich mit Rashida den Raum betrat. Es war, wie es immer war, wenn ich mit anderen der Hundert irgendwo aufkreuzte. Man nahm mich noch weniger für voll. Da ich den anderen kaum bis unter die Achseln reiche.
Es würde auch diesmal wieder, ein richtiger Kampf werden. Na ja, ich würde mich wohl daran gewöhnen müssen, dass ich jedes Mal erst, um den nötigen Respekt kämpfen musste. Da musste ich wohl durch und schlussendlich, war es egal. Es war halt, wie es war. Rashida kam mit Simon nach vorn, dieser trat auf mich zu.
"Wie siehts aus Jlenne, übernimmst du dee Eensatzleitung?", fragte er noch einmal nach.
Ich nickte. "Sir, jawohl, Sir", gab ich gewohnheitsgemäß zur Antwort.
"Na denn jomm ma mit", Kreuzer stellte sich vorn an die Tafel.
"Juten Abend mene Herren, aber auch mene Damen. Heut ham wir ja jleich ma zwee von der Sorte. Damits hier jar net erst, zu jroßen Disjusionen jommt. Dee Jlenne hier übernimmt dee Eensatzleitung. Rashida jennt ihr ja alle. Leutnant Kahlyn, is ihr ehemalijer Teamchef. Sie is dat Beste, wat wir uns inner momentanen Situation wünschen jönnen. Wer net mitzieht fliejt, iss dat jlar?", fragend sah er in die Runde. "So meene Jleene, dann fang ma an."
Simon sah noch einmal ernst in die Runde und ging kurz nickend, weiter nach hinten zu Rudi. Mein Major nickte mir aufmunternd zu.
"Guten Abend meine Herren. Mein Name ist Leutnant Kahlyn, neben mir das ist Leutnant Rashida. Wir haben beide sechzehn Jahre lang in einem Team gekämpft, kennen uns also in- und auswendig. Kurz einige Erläuterungen, zu den von mir geleiteten Einsätzen. Bei mir zählen keine Rangabzeichen, keine Titel, es gibt bei mir keine Sir, kein Mam, kein sie. Ich spreche während der Einsätze, alle mit Vornamen und du an. Das zum Ersten, zum Zweiten. Jeder der hier eine Frage stellt. Formuliert die auf folgende Weise. Frage, danach Team und Name. Ich kenne euch ja nicht. Rashida, zeige den Herren bitte, wie das gemeint ist", forderte ich meine Freundin auf.
"Kahlyn, wie sieht es mit Waffen bei dir aus? Muss ich dir welche besorgen, oder reicht es, wenn wir uns meine teilen? Rashida Team Kreuzer, Forst."
"Rashida, ich denke es reicht, wenn wir uns deine teilen. Ich hoffe sehr, dass ich es ohne Kampf beenden kann. Kahlyn, Alpha Team Gera. Habt ihr verstanden, wie ich das meine?", fragend sah ich in die Runde.
Die Männer von Simon, nickten alle. Die anderen Kollegen nickten oder sagen gar nichts. Es war also das Übliche, Ablehnung auf der ganzen Ebene. Genervt holte ich Luft. Ich hatte keine Lust auf eine ellenlange Diskussion, deshalb beschloss ich die Abkürzung zu nehmen.
"In Ordnung. Ich weiß, ich bin klein. Ich weiß, ich sehe jung aus. Ich weiß, keiner von euch traut mir etwas zu. Aber meine Herren, ich habe seit über dreizehn Jahre das Team der Hundert geführt. Die sogenannten Todesengel oder Todesbrigade oder Todeskinder, die schwarzen Engel, wie man uns immer nannte. Glauben ihr nicht, dass ich etwas Erfahrung habe."
Einer aus dem Cottbusser Team, ein kräftiger fast hundertfünfundachtzig Zentimeter großer, Bereitschultiger Kollege, war anderer Meinung und brachte das auch deutlich zum Ausdruck.
"Deshalb seid ihr wohl nur noch, zu Zweit", meinte er lachend, seine Kollegen stimmten in sein Lachen ein.
Ich holte tief Luft. "Simon, vorn in der Halle ist doch genügend Platz. Darf ich diesen sinnlosen Findungsprozess etwas abkürzen? Ich habe da wirklich keine Lust mehr drauf."
Simon der nicht wusste, was ich damit bezweckte, nickte trotzdem. "Mach ma meene Jlenne. Ick hab da volles Vertraun in dir."
Also würde ich mich diesmal auf eine andere Art durchsetzen. "Meine Herren, bitte folgen sie mir alle, kurz nach vorn in den Vorraum."
Genervt ging ich zur Tür, öffnete diese und zeigte nach draußen. Als sich keiner erheben wollte, sagte ich sehr leise, allerdings in einem eisigen Ton, den nur Rashida von mir kannte, wenn ich sehr genervt war. "Das ist ein Befehl, raus aus dem Raum nach vorn und zwar ein bisschen Dalli, wenn ich bitten darf. Die Zeit arbeitet gegen uns."
Erschrocken erhoben sich alle. Ich schloss, nach dem alle den Raum verlassen hatten, die Tür. Ging ebenfalls nach vorn in die Eingangshalle.
"Bitte meine Herren stellen sie sich in einem Kreis auf, so dass sie sich nicht gegenseitig behindern."
Rudi der jetzt wusste, was ich machen wollte, fing schallend an zu lachen. Als alle im Kreis standen. Gab ich Rashida, die auch mit im Kreis stand ein Zeichen. Stellte mich in dessen Mitte.
"So meine Herren, wenn ihr der Meinung seid, dass ich zu dumm, zu klein und zu unerfahren bin, um diesen Einsatz zu leiten. Dann bin ich auch nicht in der Lage, mich gegen, Moment…." Ich zählte schnell durch. "Mich gegen dreiundvierzig von euch zu wehren. Wenn ihr es also schafft, mich zu Boden zu ringen, dann ziehe ich mich um und fahre mit meinem Major wieder nach Hause. Schafft ihr das aber nicht, dann hört ihr mir gefälligst zu und zwar ohne laufend mit mir zu diskutieren. Ich hab nämlich mit Verlaub, die Schnauze davon gestrichen voll, mir immer erst euren Respekt verdienen zu müssen. Rashida, sage bitte Bescheid, wenn fünf Minuten um sind."
Ich ging tief in mein Qi, schloss die Augen und atmete tief ein und aus. Auf mein Nicken hin, erfolgte das Signal des Angriffs, welches Rashida gab.
"Alle auf Kahlyn."
Schon griffen Rashida und Rudi mich als Erstes an, die andern versuchten es nach zu machen. Rashida konnte mich zu fassen bekommen. Aber sie flog im hohen Bogen zur Seite, durch eine Abwehrreaktion von mir. Sie nahm drei ihrer Kollegen mit zu Boden, die nicht drauf gefasst waren. Jetzt wurden die anderen richtig aggressiv, versuchten mich zum fassen zu bekommen. Außer, dass mich Rudi einige Male am Arm streifte, kam es zu keinen Berührungen mehr. Rashida hatte sich aus dem Kreis zurück gezogen. Sie wusste ja, um was es ging. Nach fünf Minuten sagte Rashida, laut.
"Die Zeit ist um."
Mit einem Salto, sprang ich nach oben, an die etwa fünfzehn Meter höher gelegene Balustrade und zog mich hinauf. Setzte mich dort auf das Geländer und sah von oben zu, wie die Männer mich unten suchten. Verwundert sahen sie sich um, weil ich verschwunden war. Rashida zeigte breit grinsend nach oben.
"Na, wie sieht es aus, soll ich wieder nach unten kommen oder soll ich nach Hause fahren?"
Sah ich grinsend in die verdutzten Gesichter der Männer. Es machte immer wieder Spaß, die mir fremden Kollegen auf diese Weise zu schocken. Denn die ahnten ja nicht, zu was wir wirklich fähig waren. Fünfzehn Meter waren für mich keine wirkliche Herausforderung, da musste ich mich nicht einmal anstrengen. Ich stellte mich auf das Geländer, machte einen Salto nach unten und kam punktgenau neben Rashida auf.
"Können wir jetzt die Einsatzbesprechung durchführen, traut ihr mir jetzt zu, dass ich die Einsatzleitung übernehmen kann?"
Erkundige ich immer noch breit grinsend. Weil einige von denen, die vorhin über mich gelacht hatten, ganz schön dumm aus der Wäsche guckten. Dazu gehörte auch der Kollege, der mich vorhin so angemotzt hatte. Alle nickten. Also ging ich nach hinten in das Besprechungszimmer, gefolgt von dreiundvierzig Kollegen, die auf ihren Stühlen Platz nahmen.
"Also nochmals, Guten Abend meine Herren. Ich möchte die Teamleiter bitten, dass die Teams sich bitte zueinander setzen, die Teamleiter bitte Rechts als Erstes, damit ich weiß, wer eingespielt ist. Danke." Kurz wurde es unruhig, nach dem die Teams sich gruppenweise gesetzt haben, fing ich mit der Einsatzbesprechung an. Was mich freute, ich hatte jetzt die ganze Aufmerksamkeit der Cottbuser Teams, keiner murrte mehr.
"Also kommen wir zu dem, was uns heute zusammengeführt hat. Laut Dossier, haben ihr heute versucht, ein Drogenlabor östlich von Bärenbrück auszuheben. Leider sind euch einiger der Dealer durch die Lappen gegangen und haben sich nach Südosten in Richtung Forst abgesetzt. Die zuständige Grenzstation hat keine der beschrieben Personen, bis zur jetzigen Stunde ausfindig gemacht. Wir sollen jetzt also die Gegend, um Forst nach Spuren absuchen. Bin ich richtig in der Annahme?", fragte ich die Teamleiter aus Cottbus.
Der Einsatzleiter aus Cottbus nickte. "Kahlyn, da liegst du recht in der Annahme. Da wir keine Spuren haben, müssen wir erst welche finden. Rainer Alpha-Team Cottbus."
"Simon, wie sieht es aus, kannst du für Rashida und mich auf die Schnelle einen Hubschrauber organisieren?", fragte ich nach der einfachsten Lösung.
Simon schüttelte den Kopf. "Das ist nicht in fünf Minuten organisiert. Den muss ich beim BGS anfordern. Ich brauche mindestens drei bis vier Stunden, ehe ich einen Hubschrauber bekomme, Simon Team Kreuzer Forst."
Ich überlegte kurz. "Rashida, wir werden zwei Routen absuchen, auf einen Hubschrauber können wir also nicht zählen, sondern müssen Strecke laufen. Es gibt meiner Meinung nach, nur zwei Routen die in Frage kommen, da drei der Täter aus Lubsko sind, werden die auf alle Fälle versuchen, auf dem schnellsten, vor allem sichersten Weg in Richtung Polen zu kommen. Ich denke, wir brauchen hier in Deutschland nicht mehr lange suchen, der Zugriff und der Ausbruch der Fünf, war vor nun mehr achtzehn Stunden. Selbst, wenn die Flüchtigen auf Nummer sicher gegangen sind, haben sie die Grenze wahrscheinlich schon längst überschritten. Deshalb Simon, solltest du dich sofortig um Amtshilfe, bei den zuständigen polnischen Kollegen bemühen. Die sind sehr eigen in dieser Sache. Wir haben mit denen schon einige Mal, böse Auseinandersetzungen gehabt. Deshalb kläre bitte ab, ob die Oprawcy oder Śmierć dzieci, bitte nutze diesen Begriff, auf polnischen Territorium suchen dürfen."
"Was heißt das Kleene, Rudi, Alpha Team Gera", stellte Rudi die Frage, die wohl alle interessierte.
"Rudi, wir werden in Polen, das Todesschwadron genannt. Wir haben diesen Namen bekommen, weil wir oft dort Einsätze bekamen, wo wir keine Überlebenschance hatte oder die Todeskinder. Du kannst dir aussuchen, was dir besser gefällt. Mir gefallen beide Namen nicht", meinte ich traurig.
Simon nickte und stand auf um die zuständigen Dienststelle in Polen zu kontaktieren, bevor er den Raum verließ, wies ich ihn noch darauf. "Simon, sei so lieb, lass die Verbindung offen, so dass du mitbekommst, was hier im Einzelnen besprochen wird."
Simon nickte und machte gleichzeitig die Verbindung zu mir auf.
"Simon, du brauchst nur die Verbindung zu mir offen lassen, damit ich Rücksprache mit dir halten kann. Du bekommst automatisch alles mit, was ich höre", informierte ich ihn noch einmal, weil ich merke, dass er alle Verbindungen aufmachen wollte. Die Cottbuser Kollegen guckten etwas verwirrt.
"Jeht jlar Kahlyn", gab er mir kurz Bescheid und konzentrierte sich auf das, was er dem Verbindungsoffizier in Polen sagen wollte.
"Also zurück zum Thema. Rashida ich würde vorschlagen, wir beide laufen schnelle Schleifen, von Forst aus in Richtung Norden. Ich laufe direkt an der Grenze, du Rashida circa fünf Kilometer westlich von mir, oder umgedreht, wir treffen uns immer in der Mitte. Dann haben wir die Strecke die ich ausschließen will, am schnellsten überwunden. Ich denke länger als fünfundvierzig Minuten brauchen wir dazu nicht. Ich vermute, die sind weder an Mulknitz noch an Neu Sarco, Sarco, noch an Naundorf und Bohrau vorbei. Wir werden erst ein bis zwei Kilometer, nördlich von Briesnig die ersten Spuren finden", Ich zeigte an Hand der an die Tafel gehefteten Karte, wo wir suchen würden. "Dort würde ich dann bitten, dass ihr auf uns wartet. Sollten wir wieder Erwarten, vorher schon Spuren finden, informieren wir euch sofort. Dann ziehen wir die Spurensuche von der Stelle an auf. Ich denke jedoch, dass die westlich von Strzegow über die Grenze sind oder zwei Kilometer nördlich in der Nähe von Pozna. Wir werden sehen. Je nach dem, was die polnischen Kollegen sagen, würde ich einen Suchfächer von sechshundert Metern Breite losschicken, der die Wälder zwischen Strzegow und Pozan durchkämmen. So finden wir wahrscheinlich, am schnellsten eine heiße Spur."
Die Kollegen aus Cottbus nickten, sie waren also einverstanden. Auch deshalb, weil von dem Grenzübergang in Forst immer noch keine Meldung gegeben wurde, dass die gesuchten Personen gefunden und festgesetzt werden konnten.
"Ich vermute, es ist ja schließlich nicht gerade mehr Sommer, das die Fünf in der Nähe von Pozna, wo der Kanal von der Neiße abgeht, die einzig möglich Übergangsmöglichkeit nutzen werden, die über die Neiße führt. Die einzige Brücke, die hier in der Nähe auf polnische Seite führt. Wenn ich mich nicht ganz täusche, werden die Fünf, falls sie noch nicht über die Grenze sind, bis gegen 2 Uhr irgendwo dort in der Nähe zu finden sein. Das lässt mich hoffen, dass wir sie noch auf der deutschen Seite antreffen werden. Bis 2 Uhr Nachts, ist dieser Übergang ständig besetzt, erst dann werden bis 4 Uhr unregelmäßig Streifen in dem Gebiet eingesetzt", erklärte ich meine Gedankengänge.
Kopfschüttelnd sahen mich die Männer an.
"Kahlyn, woher willst du das wissen, Achim Delta-Team Cottbus." Meldete sich der Kollege aus Cottbus, der mich vorhin so böse angemacht hatte, wieder zu Wort.
"Achim, es ist nicht das erste Mal, dass wir hier in dem Gebiet operieren. Ich weiß, dass diese Bücke bis vor einem Jahr immer in der Nacht von 2 bis 4 Uhr unbewacht war. Weil man davon ausgeht, dass die Leute um diese Zeit schlafen. Deshalb werden an der Brücke, in unregelmäßigen Abständen Kontrollen von den Grenztruppen durchgeführt. Das wissen nicht nur wir, sondern auch die Bevölkerung. Wenn ich dort über die Grenze will, gibt es mehr als genug Möglichkeiten sich zu verstecken. Wir haben schon einige Täter dort festgesetzt. Die Fünf die fliehen konnten, sind verzweifelt und wollen nach Hause. Sie werden es versuchen oder haben es schon getan", erklärte ich meinen Standpunkt.
Achim schüttelte den Kopf. "Du bist anderer Meinung Achim? Hast du eine bessere Idee. Dann sage sie bitte, auch ich kann mich irren", offen sah ich zu ihm hin.
"Ja, ich denke du irrst dich, Kahlyn. Circa zweihundert oder dreihundert Meter nördlich dieses Überganges gibt es eine weitere Brücke und die wird nie bewacht. Noch ein Stückchen weiter nördlich, ist eine Mühle durch die man, mit etwas Geschick ebenfalls über den Kanal kommt."
Ich stimmte ihm zu. "Achim, du hast Recht. Über den Kanal kommt man dort ohne weiteres. Aber nur über den Kanal und nicht weiter. Diese beiden Übergänge sind wirklich leicht zu überwinden, im Sommer würde ich auch sagen, eine gute Möglichkeit, ungesehen über die Neiße zu kommen. Nur schau bitte mal aufs Thermometer. Es ist für euch, auf gut deutsch gesagt, arschkalt. Gestern Nacht waren es vier Grad unter null. Glaubst du wirklich, dass wenn die über den Kanal trocken drüber sind, dass die freiwillig über die Neiße schwimmen. Die Neiße ist dort an allen Stellen über zwei Meter tief, nicht mal Rashida kann dort irgendwo durchlaufen. Ich kann mir das nicht vorstellen. Das würde Rashida oder ich machen, uns macht die Kälte nicht so viel aus, jedenfalls nicht hier in dieser Region. Aber für euch denke ich, ist das einfach viel zu kalt. Selbst dann, wenn ihr eure Sachen auszieht, müsst ihr ins Wasser, das hat höchstens noch elf oder zwölf Grad. Aber wir machen folgendes, um auf Nummer sicher zu gehen. Wird dein Team, du bist doch der Teamleiter?", fragte ich nach.
Achim nickte.
"Achim, dein Team, wird sich teilen und diese beiden Übergänge, in den Augen behalten, vor allem genau nach Spuren untersuchen. Bist du damit einverstanden?"
Teilte ich ihn für eine Aufgabe ein, die eigentlich sinnlos war. Aber manchmal war es besser, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Oft gingen Täter die in Panik waren, Wege, die sich unser eins nicht vorstellen konnte. Achim nickte zustimmend.
"Danke Achim, so haben wir auch diese Möglichkeit ausgeschlossen. Die anderen Teams werden sich dann, auf die dritte Übergangsmöglichkeit konzentrieren und auch dort die möglichen Verstecke durchsuchen. Rashida und ich gehen allerding gleich weiter, auf die polnische Seite der Neiße und suchen dort nach Spuren. Ich denke, dass die schon in der vergangen Nacht, also heute früh zwischen 2 und 4 Uhr, über die Grenze sind."
In dem Moment, kam Simon zurück. "Kahlyn, ihr jönnt sofort mit der Suche in Polen bejinnen. Ihr bejommt dee Erlaubnis zu. Der zuständige Verbindungsoffizier, jannte sojar deenen Namen. Ick soll nen schönen Jruß bestellen, ihr hät in Chelm jute Arbeit jelestet. Du sollst aber net wieder, dee halbe Stadt zerlejen. Lubsko wär sene Hematstadt. Wat immer er damit och meent?", verwirrt sah mich Simon an.
Verlegen senkte ich meinen Blick zu den Füßen.
Rashida lachte laut los. "Simon, in Chelm stand, nach dem wir nach Hause gefahren sind, in der Innenstadt praktisch nichts mehr da, wo es vorher stand. Wir haben dort tüchtig aufgeräumt. Man ließ uns keine andere Wahl, die wollten einfach nicht auf uns hören", versuchte sie ihm lachend zu erklären.
So hatte ich meine Rashida noch nie erlebt, irritiert sah ich sie an.
"Aber wir haben dort doch gar nicht umgeräumt. Das waren die Rebellen. Wir hatten genug damit zu tun, am Leben zu bleiben, da konnte ich nicht noch auf Dekorationen achten. Ich bin halt auf der Wiese rumgelaufen, obwohl da groß stand "Betreten verboten". Aber ich bin nicht auf die Blumen gelatscht, das war Rashida mit ihren großen Füßen", widersprach ich kleinlaut, aber lachend.
Mit ein paar bösen Seitenhieben, gegen meine beste Freundin. Die lachte allerdings auch. Dennoch brachte mir mein freche Kommentar, einen Knuffer von Rashida ein. Was hätte ich sonst sagen sollen? Es war wirklich so, die Innenstadt von Chelm, glich nach unserem Weggang einem Schlachtfeld. Wir waren eingekreist, hatten uns nach außen durchkämpf müssen. Da gingen nun mal ein paar Schaufenster zu Bruch und ein paar Laternen. Ich konnte ja beim Kämpfen nicht auch noch auf die Ausstattung der Stadt achten. Wenn man uns zum allerletzten Mittel zwang, mussten sie auch damit rechnen, dass etwas kaputt ging.
"Na du erst noch, also los. Fang mer an. Jeb jetzt ma janz jonkrete Anweesung, wat du brauchst und wo mer warten solln", kam Simon zurück aufs eigentliche Thema zurück.
"Sir, jawohl, Sir", antworte ich korrekt, aber mit einem Schalk im Gesicht, dass die Jungs alle lachten. "Also Simon, wir mache es wie folgt. Es ist jetzt 20 Uhr 45, Abendessen für alle Kollegen, um 21 Uhr 45 gehen Rashida und ich los. Dadurch, dass es draußen um diese Uhrzeit schon richtig dunkel ist, brauchen wir unsere Brillen nicht mehr. Können wesentlich besser sehen. Simon, wer ist der Koch bei euch?", fragte ich einfach, denn auch ich hatte langsam auch Hunger.
Ein großer kräftiger Kollege meldete sich. "Ich bin der Koch, Kahlyn. Siggi vom Alpha Team Forst", lächelnd sah er mich an.
"Siggi, du macht uns bitte zweihundertfünfzig Gramm Nahrung zu Recht. Haben deine Dosen alle Versieglungsfolien?", fragte ich vorsichtshalber Siggi.
"Ja Kahlyn, du musst keine Angst haben", antwortete dieser lachend, die Kollegen aus Cottbus sahen mich verwundert an.
Ich winke ab. "Das ist für euch nicht wichtig, das ist nur für Rashida und mich wichtig. Also, ich denke damit sollten wir eine kleine Pause machen. Simon, bitte sei so nett, es ist kalt draußen, organisiere in Griesen eine kleine Einsatzzentrale. Bestimmt gibt es ein Rathaus oder eine Kneipe dort, wo ihr auf uns warten könnt. Auch wäre es schön, wenn wir einen Kaffee bekommen würden. Wir sind zwar nicht so kälteempfindlich wie ihr, kalt ist uns aber auch. Rashida, wir nehmen nur Nahkampfausrüstung mit, keine Schwerter. Du weißt die Polen mögen die nicht. Also nur Dolche. Kann mir jemand von euch Messerhalfter leihen, ich hab ja keine Ausrüstung mit", erkundigte ich einfach in die Runde, damit ich nicht von Rashida die Hälfte der Waffen nehmen muss. Doch keiner besaß hier so etwas.
"Kahlyn, ick jann dich Messer von mich jeben, aber der Jürtel passt dich doch net, solche Halfter wie ihr, ham wir hier net, nutzt bei uns jeener."
"Ist nicht schlimm, wenn ihr mir zwei Messer gebt, ist das in Ordnung, mehr brauche ich nicht."
Beruhigt gingen wir nach vorn, in den Bereitschaftsraum, in denen sich die Köche, schon um das Abendessen kümmerten. So hatte ich etwas Zeit, mich mit Rashida zu unterhalten. Wir setzten uns etwas abseits von den Trubel, einfach auf den Boden. Da der Platz hier in der Wache für dreiundvierzig Leute doch sehr beengt war. "Sag mal Rashida, wie geht es dir?" Fragend schaute ich zu meiner Freundin hoch.
Rashida legte ihren Arm um mich. "Täubchen, mir geht es richtig gut. Ich habe immer gedacht, so ein Leben gibt es für mich nicht. Es ist so ganz anderes, als das, was wir kennen. Oft gerade ich in Panik, weil mich hier alles erschreckt. Einige Male habe ich richtige Schreikrämpfe bekommen, weil die Panik mich voll im Griff hatte. Aber Simon ist ganz lieb. Ich wohne bei ihm und seiner Frau. Die beiden haben selber keine Kinder, musst du wissen. Seine Frau und er wollen mich adoptieren", erklärte sie mir strahlend. Ich lehnte mich an ihre Schulter, kuschelte mich richtig fest an sie. Ach wie hat mir das gefehlt.
"Bei mir ist es ähnlich, ich bekam auch richtige Anfälle, weil mich alles überfordert. Aber Rudi und die Runges sind ganz lieb, die haben mir alles verziehen. Ob wohl ich ihr Leben, wohl ganz schön durcheinander gebracht habe. Rudi, will mich auch adoptieren, damit ich eine Familie habe. Es ist so schön, ich denke oft ich träume. Hast du eine Möglichkeit gefunden, gegen diese Panik anzukämpfen?"
Rashida erzählte mir viel von dem, was sie hier erlebt hatte, aber auch sie fand bis jetzt noch keine Möglichkeit, diesen Schocks aus dem Weg zu gehen. Aber sie erklärte mir, dass es nicht so schlimm sei. Das die Jungs ihr sehr halfen, damit sie zurechtkam. Auch ich berichte ihr einiges, die Zeit reichte aber nicht, um über alles zu sprechen. Schon kam Siggi mit unseren Brei. Hungrig machte ich mich darüber her.
"Na du hast ja einen Hunger", meinte Rashida lachend zu mir.
"Das kannst du wohl sagen. Ich hab seit 1. September, kaum etwas bei mir behalten, erst seit zwei Tagen, kann ich wieder richtig essen", gestand ich Rashida. In dem Moment fiel mir ein, das Rashida ja auch Antibiotika im Körper hatte, durch das Jawefan.
"Rashida, wie sieht es mit der Antibiotika in deinem Körper aus?", wollte ich besorgt wissen, weil ich in dem Moment gar nicht mehr dran gedacht habe.
"Mach dir keine Sorgen, Täubchen ich habe seit einigen Tagen, keine mehr in mir. Ich glaube ich baue die schneller ab, als du."
Erleichtert atmete ich auf. "Dann ist es ja gut. Ich habe auch keine mehr in mir. Aber glaube mir die letzten Tage waren die Hölle. Ich habe geweint vor Hunger."
Rashida sah mich besorgt an, sie wusste, dass es dann sehr schlimm gewesen sein musste. "So schlimm, Täubchen?"
Ich nickte. "Ich hätte nicht gewusst, wie ich noch acht Tage ohne Nahrung hätte durchhalten sollen. Wirklich nicht."
Rashida streichelte mir lieb über das Haar.
"Dann kam mir die Idee mit dem Jawefan, dass ich das Fobnekotar den Jungs darüber beibringen kann. Rudi brachte mich dann auf die Idee, die Antibiotika auf die anderen zu verteilen. Er hat sich schon richtige Sorgen, um mich gemacht. Also habe ich es versucht, dadurch habe ich ja heraus bekommen, dass wir die Verbindung durch das Jawefan bekommen haben. Das hatte ich ganz vergessen. Dann kam der Hilferuf vom Oberst, wegen der vermissten Schulklasse. Ich habe nicht mal mehr einen Aufsprung geschafft. Also brachte ich in Gera, allen Jungs alles bei, dann beim Oberst und der Truppe von Conny, schon konnte ich acht Tage eher etwas essen. Ich glaube, ich hätte noch acht Tage hungern, nicht mehr durchgehalten. Ich hatte einfach keine Kraft mehr. Es war schon fast so schlimm, wie damals in Chile", erklärte ich Rashida traurig.
Liebevoll streichelte sie mir übers Gesicht und freute sich darüber, dass ich so offen war. Etwas, dass ich nur ganz selten machte, die meisten Zeit fraß ich alles in mich hinein, um ja niemanden eine Schwäche zu zeigen. So offen wie jetzt, hatte mich Rashida noch nie erlebt. Es war ein Zeichen, dass es mir wirklich gut ging und ich ihr nichts vorspielte.
"Aber jetzt geht es mir richtig gut. Weißt du, was ich heute Mittag gegessen habe?"
Rashida lachte mich an. "Was denn, Täubchen?"
"Kartoffelsuppe, du das schmeckt lecker und ich habe sie sogar vertragen. Wenn sie auch nicht wirklich satt macht. Aber Eis darfst du keins essen Rashida, da ist Milch drin. Das tut richtig weh."
Schnell berichtete ich ihr noch von meinem Erlebnis in der Eisdiele, sagte ihr auch den Trick mit dem Kamillentee, falls sie sich mal verbrennen sollte. Aufmerksam hörte sie mir zu, immer breiter wurde ihr Grinsen. Rashida beugte sie sich zu mir herunter.
"Bratkartoffeln schmecken auch lecker, wenn sie mit wenig Fett gemacht sind, dann vertragen wir die sogar", erklärte sie mir ebenfalls grinsend.
So tauschten wir noch einige Minuten unsere Eindrücke aus. Ich sah auf die Uhr die im Bereitschaftsraum hing. Es war 21 Uhr 37, wir mussten gleich los.
"Rashida, wir sollten los laufen", sogleich, standen wir beide auf und gingen zu dem Tisch, an dem die anderen sehr beengt saßen. "Simon wir gehen jetzt los. Wir treffen uns um 23 Uhr in Grießen, ihr könnt uns über die Verbindung sagen, wo wir hinkommen müssen."
"Jeht klar ihr zwee, passt jut uf euch uf."
Rudi lächelte mir zu.
"Dann bis später", verabschiede ich mich.
Rashida ging zu Simon und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Also tat ich das gleiche auch bei Rudi, um ihm einen Kuss zu geben. Ich hatte mich nur nicht getraut, da so viele Fremde im Raum waren. Rudi freute sich riesig darüber.
Ohne langes Zögern liefen wir los. Ich ließ Rashida, nun doch an der Grenze laufen, da ich wesentlich schneller war als sie. Wir drehten nachdem wir die Wache verlassen hatten, nach Richtung Westen ab. Rashida begleitete mich, um mir den Weg aus der Stadt zu zeigen. Gemeinsam liefen wir nach Gosda, das lag in der Mitte des Suchgebietes. Von dort aus lief Rashida gegen Osten und ich weiter nach Westen in Richtung B97. Wir waren uns beide einig, dass diese die Grenze war. Die fünf Kilometer bis zur Fernverkehrsstraße, war ich schnell gelaufen. Ging dann in eine Suchschleife, die zwei Kilometer gegen Norden verlief. Dann wandte ich mich um und ging fünfhundert Meter Richtung Osten, danach wieder zurück nach Süden. Aber es gab hier, wie vermutet, keine Spuren. Auch Rashida fand nichts. Kurz vor Grötsch musste ich eine morastige Fläche überqueren. Ich sah aus wie ein Schwein und war klitschnass. Rashida lachte sich weg, denn ich fluchte wie ein Rohrspatz. Aber weder in Grötsch, noch in Briesnig, fanden wir Spuren. Die erste brauchbare Spur die auf die Flüchtigen schließen ließ, sahen wir achthundert Meter nördlich von Heinersbrück, also kurz vor Horno. Die Spur führte direkt auf die erste Übergangsmöglichkeit nach Polen zu, war allerdings schon fünfzehn bis sechszehn Stunden alt. Es war also durchaus möglich, dass die Flüchtigen schon auf der polnischen Seite der Neiße waren und sich dort in Sicherheit wogen. Wir trafen uns kurz vor Grießen, nach einer kurzen Beratung, folgten Rashida und ich zusammen dieser Spur, um auf Nummer sicher zu gehen. Wir beschlossen, sofort hier weiter zu suchen, damit wir nicht noch mehr Zeit verloren. Allerdings gingen wir erst einmal gemeinsam nach Grießen, um die dortige Kneipe aufzusuchen, die mehr eine Baracke war als eine Gaststätte. Kurz vor 23 Uhr betraten wir das Gebäude, in dem die Jungs schon versammelt waren.
Simon kam auf uns zu, in jeder Hand einen heißen Kaffee, den wir ihm dankend abnahmen. "Verdammt is dat jalt draußen, Mädels ihr friert euch doch zu Tode", meinte er besorgt.
Rashida klopft ihm auf die Schulter. "Keine Angst Simon, wenn wir ordentlich gegessen haben, frieren wir nicht so schnell."
"Na dann is ja jut, ick hab mich schon Sorjen jemacht. Also habt ihr, wat jefunden?", fragte er direkt.
"Simon, es ist so wie wir es schon vermutet haben, die Flüchtigen sind schon in Polen. Deshalb kommen wir auch etwas später. Wir waren gerade über der Brücke noch nachsehen, die Spuren führen direkt nach dem ersten Übergang, weiter nach Südwesten in Richtung Lubsko. Das liegt jetzt im Einsatzgebiet der polnischen Polizei. Wir müssen also ob wir wollen oder nicht mit denen zusammenarbeiten. Wenn wir müssen", erklärte ich ihm ziemlich zerknirscht. Ich hasste es, wenn wir mit den polnischen Kollegen zusammenarbeiten mussten. Da kam nie etwas Gescheites heraus.
"Wat hescht denn dat nun wieder?", hinterfragte Simon irritiert.
"Simon, wenn ich nicht muss, werde ich nicht mit den polnischen Kollegen zusammenarbeiten. Tut mir leid, wir haben damit keine guten Erfahrungen gemacht. Rashida und ich, werden versuchen die Täter dingfest zu machen und bringen sie wieder zurück nach Deutschland. Ich denke, die werden die Zeit auf der polnischen Seite erst einmal genutzt haben, um zu schlafen. Da sie sich dort in Sicherheit wissen."
Simon sah mich erschrocken an. "Dat kannst du doch net machen, Kahlyn. Dee Jollegen ham mich zujesichert, dat ihr nen Wagen bejommt, sobald ihr dee Fünf jefunden habt. Der euch zurück nach Deutschland bringt, mit den Jefangen. Bei dem Eensatz sind eenije Jollegen, schwer verletzt wurdn."
Ich sah Simon, entsetzt an. "In Ordnung, dann ist es etwas anderes. Dann klappt das auch mit der Zusammenarbeit." Ich wechselte in einer geschlossenen Verbindung einige Worte mit Rashida und sprach unsere weitere Vorgehensweiße mit ihr ab. "Deshalb…", wandte ich mich jetzt an alle Teams. "…werden wir es wie folgt machen. Simon, du fährst mit den Jungs zurück auf die Wache. Ich denke, wenn eins der Cottbuser Teams in Forst bleibt, ist das ausreichenden. Die andern können nach Hause fahren. Es bringt nichts, wenn wir mit vierzig Leuten eine Spur verfolgen, die mit zwei Leuten ausreichend verfolgt werden kann."
Simon sah mich skeptisch an. "Ihr jönnt doch net, fünf Leute zu zweet festnehmn."
Rashida musterte Simon, sagte trocken "Keine Angst, das können wir. Simon, das schaffe ich sogar alleine."
Ich lächelte nun auch, wischte ich mir heimlich mit meinem Ärmel die Nase sauber, denn ich bekam gerade Nasenbluten. Rashida musterte mich ernst. Sie kannte diese Symptome nur zu gut. Ich schüttelte den Kopf und klopfte Simon auf die Schulter.
"Simon, vertraue Rashida und mir einfach. Wir machen das nicht das erste Mal. Sobald wir die Leute haben, sagen wir dir Bescheid. Du setzt dich dann, mit dem Kollegen in Polen auseinander. Schickst uns ein Wagen, der uns und die Flüchtigen abholt. Wir nehmen einen Peilsender mit. Ein Funkgerät brauchen wir bitte auch, da wir uns ja mit den polnischen Kollegen absprechen müssen. Wir unterhalten uns über die Verbindung, die hält mindestens achtzig Kilometer. Das ist glaube ich ausreichend. Bist du damit einverstanden, Simon?", wandte ich mich fragend an den Haupteinsatzleiter.
Simon sah Rashida ernst an, diese nickte. "In Ordnung, Jlene. Auch, wenn ick da en janz mulmijes Jefühl hab. Dann macht los, dat ihr wieder ins Warme jommt. Viel Jlück."
Rashida und ich, tranken den Kaffee aus und nahmen das Funkgerät und einen Peilsender entgegen. Nach dem wir überprüft hatten, dass die Geräte funktionieren, stecken wir sie ein. Ließen jedoch beide Geräte noch aus, um Strom zu sparen. Sofort standen wir auf und liefen los. Rashida musterte mich fragend.
Rudi rief mir noch etwas hinterher. "Kleene, wo sind…"
Allerdings bekamen wir diesen Ruf, schon nicht mehr mit, da waren wir schon aus dem Raum. Rashida allerdings blieb vor der Kneipe noch einmal kurz stehen und sah mich fragend an.
"Täubchen, wies...."
Ich unterbrach sie einfach. "Rashida, es ist nichts. Lass uns die Typen finden. Bitte ich habe keine Lust auf weitere Diskussionen. Die hatte ich in den letzten Wochen genug. Wir müssen es sowieso nehmen wie es ist", unterband ich jegliche Diskussion über meinen jetzigen Gesundheitszustand.
Rashida wusste wenn ich so rigoros eine Diskussion unterband, ging es mir nicht sonderlich gut. Es hatte dann aber auch keinen Zweck mit mir zu diskutieren. Ich würde ihr keine Auskunft geben, egal wie sehr sie es versuchte. Also unterließ Rashida ein weiteres Eindringen in mich. Beobachtete mich aber von der Seite sehr genau. Sie sah die Krämpfe die durch meinen Körper wogen und sah auch wie ich blutete. Also hustete ich das Blut nochmals ab. Das schnelle Laufen hatte mir nicht gut getan, aber es nutzte nichts, wir hatten einen Auftrag, den galt es zu erfüllen. Wir liefen also los und liefen im schnellen Tempo in Richtung des Übergangs und über die Brücken. Welchen uns trocken über den Kanal und die über die Neiße führte. Na ja bei mir war es egal ich war sowieso schon nass, aber wenigstens Rashida blieb weiter trocken. Schnell waren wir auf das Gebiet der VR Polen. Zügig begannen wir die Suche nach der Spur. Zehn Minuten später, hatten wir die Spur der Fünf wieder gefunden und liefen in einem zügigen Tempo in Richtung Südwesten. Zwischen Pozna und Strzegow hindurch, in den Wald, der sich über viele Kilometer erstreckte. Wir liefen zwei Kilometer nördlich an Mielno vorbei, dann bogen die Flüchtigen etwas mehr nach Westen ab. Sie hielten also direkt auf Jeziory zu. Kurz vor Jeziory merkten sie, dass sie zu weit nach Norden kamen. Wandten sich wieder nach Süden, um circa einen Kilometer unterhalb von Jeziory an der Ortschaft vorbeizulaufen. Erleichtert atmete ich auf. In einer Stadt nach fünf Leuten zu suchen, wäre ein zeitaufwendiger Prozess geworden. Die Flüchtlinge kreuzten nach ihrem Richtungswechsel, die Fernverkehrsstraße 289. Es ging jetzt südlich von Nablot in Richtung Westen, auf Tarnow zu. Die Spuren die wir jetzt fanden, waren nur ungefähr zwei Stunden alt. Wir hatten also gut aufgeholt. Etwa einen Kilometer westlich von Tarnow, genau südlich unter Chelm Zarski, entdeckten wir die Fünf, auf einer Lichtung. Einer von ihnen, saß schlafend an einem Baum gelehnt. Er schien bei seiner Wache eingeschlafen zu sein. Wir hatten also leichtes Spiel. Die anderen, lagen um ein Lagerfeuer im tiefen Schlaf. Erleichtert die Flüchtlinge gefunden zu haben, machten wir eine kurze Rast, um Luft zu bekommen. Immer wieder trafen mich die besorgten Blicke Rashidas. Ich schüttelte nur den Kopf. In der Verbindung, schlug ich meiner Freundin unsere Vorgehensweise vor.
"Rashida, höre auf die Sorgen zu machen. Es ist alles in Ordnung. Konzentriere dich auf den Fall. Ich will unter die Dusche. Also höre genau zu. Wir legen dem am Baum, schlafen. Dann gehen wir zum Lagerfeuer. Jeder legt einen von denen am Feuer schlafen, dann bekommt der andere Handschellen. Einverstanden?"
Rashida nickte wortlos. Ich war ihr dankbar, dass sie jetzt keine Diskussion vom Zaun brach. Deshalb lief ich ohne auf meine Freundin zu warten auf den Schlafenden am Baum zu. Ein kurzer Griff in den Nacken, der Schlafende war ausgeschaltet und schlief jetzt noch tiefer. Rashida kam sofort ans Feuer, nahm sich auch einen der Schlafenden vor. Auch dieser, konnte sich nicht mehr wehren. Sofort zogen wir die Achter aus dem Overall. Das sind diese Plastikhandschellen, die wir in solchen Fällen immer verwendeten. Schnell legten wir sie den Schlafenden um. Die wurden davon munter und fingen an zu schreien. Aber keiner ihre Kameraden konnten ihnen noch zu Hilfe kommen. Kurz entschlossen, legten wir auch die Beiden noch schlafen, um in Ruhe arbeiten zu können. Durch einen kurzen Griff in den Nacken, an einen bestimmten Punkt in der Nackenmuskulatur, fielen sie in eine etwa zehnminütige Ohnmacht. So konnten wir auch, die Anderen in Ruhe festnehmen.
Wir zogen sie zum Feuer, fesselten alle Fünf mit den Füßen zusammen. Immer einen rechten mit einem linken Fuß des Nachbarn, so dass sie nicht weglaufen konnten. Sie waren dadurch gezwungen nebeneinander zu laufen. Das Gleich machten wir mit den Händen, immer eine rechte Hand mit der linken Hand des Nachbarn verbunden. Das war notwendig, weil wir noch ein ganzes Stück, bis zur Straße laufen mussten. Wir aber nur zwei Leute waren und nicht einmal Schusswaffen dabei hatten. Diese Methode machte uns zwar langsam, aber sie war sehr effektiv. Verwundert kamen die fünf Flüchtigen, nach einiger Zeit wieder zu sich. Die Flüchtlinge bemerkten, dass sie so kurz vor ihrem Ziel, noch festgenommen wurden und beschimpfen uns auf Polnisch. Das prallte an uns ab. An mir sowieso, ich verstand sie nicht. Rashida dagegen, lachte sich innerlich weg, über die Beschimpfungen, sie stand schon immer über solchen Dingen. Ich machte Meldung. Es war kurz vor 2 Uhr am Morgen, als wir fertig waren mit den Handschellen anlegen.
"Simon, wir haben die Flüchtigen. Wir sind etwa fünfhundert Meter südlich von Chelm Zarski. Wir werden die Fünf zur Fernverkehrsstraße 289 bringen. Die Kollegen werden uns schon erkennen. Wir sind ja nicht zu verwechseln. Sag ihnen, sie sollen sich beeilen. Es ist richtig kalt hier draußen", erklärte ich ihm. Mit Hilfe meiner Freundin hievten wir die Fünf auf die Beine, mit den Worten von Rashida, die einige Sätze Polnisch sprach.
"Wysoki z tobą, jesteś aresztowany za sprawa narkotykami i odporność na Policję." Zwei der Fünf sahen uns entgeistert an, da sie kein Polnisch sprechen, deshalb wiederholt Rashida, das was sie gerade gesagt, hat auf Deutsch. "Hoch mit euch, ihr seid festgenommen, wegen Drogenhandels, unerlaubten Waffenbesitzes und bewaffneten Widerstand, gegen die Staatsgewalt."
Wir liefen los, schoben die beiden Äußeren in Richtung Norden und zu dem Treffpunkt der an der Straße lag. Da die Anderen, die an den Füßen und den Händen mit den beiden Äußeren verbunden waren, mussten sie gezwungener Maßen mitlaufen. Denn die Beiden jammerten und fluchten, da die Achter ihnen derb in die Fuß und Handgelenke schnitten. Langsam aber sicher, kamen wir auf diese Weise vorwärts. Da die Festgenommen endlich begriffen hatten, dass sie sich mit ihrem Widerstand, nur selber Schmerzen zufügten, gaben sie schließlich auf. Ich stellte das Funkgerät an und auch den Peilsender, so dass die polnischen Kollegen uns besser orten konnten. Kurz nach 2 Uhr kamen wir auf die Straße, dort erwartete uns schon ein Lkw der hiesigen Polizei. Wir schnitten die Fußfesseln durch, damit die Festgenommenen auf den Lkw klettern konnten. Setzten zwei auf die linke und drei auf die rechte Seite. Als die Fünf ein Gespräch anfangen wollten, sagte Rashida nur kurz in beiden Sprachen.
"Spokojne, zamknij się. - Ruhe, Mund halten." Wir bekamen böse Blicke dafür, nicht nur von den Gefangenen, sondern auch von den polnischen Kollegen. Leider kannten wir dieses Spiel, der Absprache nur zu gut. Wir hatten es leider, schon einige Male erlebt. Das einige wenige polnische Polizisten, mit den Gangstern Hand in Hand arbeiteten. Deshalb trauten wir denen nicht mehr, wenn wir diese nicht schon von anderen Einsätzen kannten. Zu oft mussten wir dann ein zum wiederholten Male auf Jagd gehen, die Verbrecher die wir schon einmal hatten, ein zweites Mal jagen. Von daher waren wir vorsichtiger geworden. Schweigend fuhren wir zurück, auf der Fernverkehrsstraße 289, zum Grenzübergang nach Forst. An der Grenze angekommen, luden wir die Fünf aus. Rashida bedankte sich höfflich bei den polnischen Kollegen, für die gute Zusammenarbeit.
"Dziękuję bardzo za współpracę.- Vielen Dank für die Zusammenarbeit."
Wir führten die fünf Flüchtlinge, zu dem Einsatzfahrzeug unserer Polizei, drei Toniwagen standen dort bereit und nahmen uns die Gefangen ab. Erschrocken stellten die Kollegen fest, dass wir nicht alle in die Fahrzeuge passten. Rashida und ich, fanden das nicht schlimm. Die Kollegen brauchten nicht noch einen Wagen zu bestellen und wir liefen das kurze Stück bis zur Wache einfach zu Fuß. Nur etwa zwei Minuten nach den Kollegen, kamen auch wir in der Wache an. Simon, organisierte gerade den Abtransport der Festgenommenen nach Cottbus, mit dem dortigen Einsatzleiter.
Rudi kam uns strahlend entgegen. "Na ihr zwei, da bin ich aber froh, dass euch nichts passiert ist. Die Jungs aus Cottbus, hatten richtig Angst um euch."
Ich gab Rudi einen Kuss auf die Stirn. "Warum das denn? Die haben doch geschlafen. Die merkten erst, als sie munter wurden, dass sie verhaftet waren. Selbst, wenn sie gewollt hätten, sie hätten nicht gekonnt", erkläre ich ihm lachend.
"Na du erst noch", meinte Rudi. Aber man sah ihm an, dass er erleichtert war, dass wir gesund zurück waren.
"Könnten wir einen Kaffee bekommen? Es ist böse kalt heute Nacht", fragte Rashida.
Ich war ihr dankbar. Auch mir war furchtbar kalt. Ich hatte keine Reserven mehr, die Overalls waren nicht besonders warm, auch hatte ich eiskalte Füße. Rudi ging zum Tisch, dort standen schon zwei dampfende Tassen mit Kaffee, kaum dass wir uns gesetzt haben, kamen Lars und Speedy, der eigentlich Alexander hieß, mit je einer angewärmten Decke und hängten sie uns um. Ach tat das gut. Genüsslich lehnte ich mich an Rashida und trank meinen heißen Kaffee.
Als Simon herein kam. "Na ihr Zwee, wat habt ihr denn mit dee polnischen Jollegen abjezojen. Dee warn ja so sauer", fragte er uns sofort.
Ich stand jedoch erst einmal auf. "Sir, Einsatz um 2 Uhr 32 erfolgreich beendet, Sir. Die Gefangenen wurden an der Grenze, an die hiesige Polizei übergeben, Sir." Damit setzte ich mich wieder.
"Ja is ja in Ordnung. Aber dat is jene Antwort uf mene Fraje", harkte Simon nach.
Als Rashida etwas sagen wollte, schüttelte ich den Kopf. "Simon, wir diskutieren, aus Prinzip nicht mehr mit der polnischen Polizei. Ich habe einfach zu schlechte Erfahrungen mit den polnischen Kollegen gemacht, tut mir leid. Die Gefangen wollten, reden. Da ich in punkto Sprachen, eine völlige Niete bin, bat ich Rashida darum, zu sagen: ‚Ruhe, Mund halten.‘ Sie hat nur meinen Befehl ausgeführt. Sie trifft also keine Schuld, die Anordnung kam von mir. Das bekamen die Kollegen, wohl in den falschen Hals und schwiegen auch die ganze Zeit. Da ich kein Polnisch kann, habe ich auch geschwiegen. Gemeint waren eigentlich die Gefangenen, da wir nur zu zweit waren, konnten wir nicht zulassen, dass sie sich in einer Sprache unterhielten, die ich nicht verstehe. Tut mir leid Simon."
Jetzt lachte Simon. "Jene Angst, Jlene. Dee ham sich net direkt beschwert. Nur jewundert, dat ihr so ruhig wart. Verstandn net, warum see net redn dürfen. Ick hab denen erjlärt, dat ihr net sprechn müsst, um zu redn. Damit warn see beruhigt. Danke ihr Beeden, für den jutn Eensatz. Auch een Dank von Achim un seenen Truppen."
Rashida nickt, unterdrückt ein Gähnen.
"Na Rashi, du bist wohl müd. Jen Wunner. Dat war och eene harte Woche. Ick denke, wir solltn alle schlafn jehen. Redn jönnt ihr och morjen noch", ebenfalls gähnend erhob sich Simon. "Rudi, Kahlyn, jommt mit, ick zeeje euch, wo ihr schlafn jönnt. Ach Kahlyn, morjen um 10 Uhr sin alle us meener truppe da, dann jannste dat mit den Andern och machn."
Simon ging nach hinten und stieg eine Treppe hoch. Genau über den Bereitschaftsraum befand sich ein großer Schlafsaal. Dort zeigte uns Simon, zwei Betten. Beklommen sah ich mich um. Dort konnte ich nicht schlafen. Es ist mitten im Raum. Rashida kam zu mir, flüsterte mir ins Ohr.
"Täubchen, habe keine Angst, wir schlafen wie immer?"
Ich nickte überglücklich, damit nahm sie mich an der Schulter, führte mich zu ihrem Bett. Als ich die Schuhe ausziehen wollte, erschrak ich und blicke entsetzt zu meinen Füßen. Rashida guckte mich an und fing schallend an zu lachen. So das Simon, Rudi und die Anderen, auf uns aufmerksam wurden.
Rudi kam heran, folgte meinem Blick, sah ebenfalls auf meine Füße. "Kahlyn, nee das gibt es doch nicht. Sag nur, du hast schon wieder deine Schuhe verloren."
Ich überlegte krampfhaft, wann ich das letzte Mal die Schuhe anhatte. Rashida, die immer noch gegen das Lachen kämpft, sagte immer wieder, vom Lachen unterbrochen. "Ich … habe keine Ahnung… wann du die… schon… wieder ausgezogen hast… ach Täubchen… das ist so schlimm… mit dir", wischte sich die Tränen, aus den Augen, schüttelte immer wieder den Kopf. Ich hatte keine Ahnung, wann ich die Schuhe weggeschmissen hatte. Dann allerdings fiel es mir wieder ein. Bei Grötsch als wir die Schleifen gelaufen waren, war ich im Morast stecken geblieben, da war ein Schuh weg, da hab ich den anderen auch ausgezogen.
"Ha, ich weiß, wo die sind, irgendwo bei Grötsch in einem kleinen Morast. Da hab ich einen verloren, den anderen dann auch ausgezogen, weil ich keine Zeit mit der Suche, nach dem Schuh verschwenden wollte. Wenn ihr wollt gehe ich sie holen", erklärte ich offen, zu Rudi und Simon.
Alle schüttelten den Kopf.
"Kahlyn, ich rufe morgen auf der Wache an. Du bekommst bevor wir ins Klubhaus fahren ein Paar neue Schuhe. Bis dahin borgt dir hier, bestimmt jemand ein paar Schuhe. Es ist wirklich schlimm mit dir. Du und Schuhe das passt wirklich nicht. Ach egal, schlaft mal schön", Kopfschüttelnd drehte er sich, immer noch lachend, um. Legte sich auf das zugewiesene Bett.
Ich sah Rashida flehentlich an. "Können wir schnell noch duschen gehen? Ich fühle mich wie ein Schwein."
Rashida lachte. "Komm Täubchen, gehen wir duschen, dann wird uns wenigstens warm."
Erleichtert verließen wir noch einmal den Schlafraum, gingen nach unten in die Dusche. Nach zwanzig Minute kamen wir aufgewärmt und sauber zurück. Rashida und ich schliefen so wie wir es Jahre lang gemacht hatten, in einem Bett. Rashida nahm mich einfach in den Arm, wärmte mich, da sie eine viel größere Körperwärme hatte, als ich. Vorsichtig wollte sie mit mir über die Krämpfe in meinem Körper reden, aber ich gähnte ohne Unterbrechung und konnte vor Müdigkeit kaum die Augen aufhalten. Der Einsatz war zwar nicht schwer gewesen, aber in meinem momentanen Zustand hart. Ich war einfach fertig und todmüde.
„Bitte Rashidas, es wird nicht besser davon, wenn wir drüber reden. Lass uns schlafen. Das hilft mir mehr als langes Reden.“
Rashida verstand was ich meinte. Sie nickte kurz und fing an tief und gleichmäßig zu atmen. Ich war ihr so dankbar dafür, dass sie mich nicht bedrängte. Keine zwei Atemzüge später, schlief ich glücklich in ihren Armen ein.
Es war kurz nach halb 6 Uhr, als wir munter wurden, erschrocken sahen wir auf die Uhr, am anderen Ende des Schlafraums, beeilten uns nach unten zu kommen. Liefen schnell unter die Dusche, es war herrlich, auch Rashida genoss diesen Luxus.
"Täubchen, duscht du auch so viel, wie ich?", fragte sie mich lachend, mit den Händen an die Wand gestützt.
"Ja Rashida, die Jungs in Gera sagen schon immer, wenn ich so weiter mache, wird meine Haut ganz dünne."
Rashida lachte ihr schönes warmes Lachen, dass ich so mochte. Als wir fertig waren mit dem Duschen, gingen wir zu Rashidas Spind, sie gab mir von sich Unterwäsche. Da wir die gleiche Größe hatten, war das machbar. Nur in der Länge unterschieden wir uns, nicht in der Breite. Rashida reichte mir auch eine Trainingshose und ein Sweatshirt, in dem ich zugegebener Maßen wirklich rein geborgt aussah. Es war alles viel zu lang, aber wir krempelten die Beine und Arme einfach um. Auch, wenn es im Umfang passte, aber in der Länge war es halt viel zu groß, hier merkte man die vierzig Zentimeter Unterschied. Aber egal, ich wollte nur nicht meine schönen Sachen schmutzig machen. Da fiel mir eine Frage ein, die ich ihr noch stellen wollte.
"Rashida warst du auch schon zivile Anziehsachen kaufen."
Rashida verdrehte die Augen. "Das war ein Spaß, wir mussten extra nach Berlin fahren, weil es hier kein Geschäft gab, in dem Kleidung für mich zu bekommen war, die mir passte. Es war mir einfach alles viel zu kurz. Aber dann haben wir ein Geschäft gefunden. Jetzt habe ich ganz schicke Sachen. Schade, dass ich sie dir nicht zeigen kann", erklärte sie mir, wie schwierig das für sie war. "Vor allem habe ich Panik bekommen, in dem Laden. Katrin, hatte alle Mühe, mich zu beruhigen, am liebsten wäre ich weggelaufen. Mir war richtig schlecht."
Ich nickte, mir ging es genauso. "Wir waren in einen Warenhaus, so heißt das glaube ich. Mir war so schlecht, dass ich keine Luft mehr bekam. Aber wir hatten großes Glück, von einem aus unserem Team, arbeiten die Mutter und die Frau dort. Die haben mich mit in ein Büro genommen, dort warteten wir, bis alle Leute aus dem Kaufhaus waren. Dann habe sie mir das alles erklärt. Als das Warenhaus schon geschlossen war. Am Schlimmsten, war aber die Spielzeugabteilung, da standen hunderte von Puppen, ich hatte das Gefühl, ich bin wieder in Rumänien. Aber ich habe sie mir alle angekuckt. Seit dem habe ich keine Angst mehr, vor Puppen."
Rashida nickte. "Ich war so erschrocken, als ich die erste Puppe hier gesehen habe, Simon versuchte mich zu beruhigen, aber es war schlimm. Ich bekam hohes Fieber und habe stundenlang geschrien, erst als mir der Doko N91 gespritzt hat, wurde es wieder besser. Aber nach dem ich die Puppe untersucht hatte, ging es dann bei mir auch. Aber ich habe seit dem, wieder die schlimmen Träume", teilte mir Rashida traurig mit.
Ich nahm sie ganz lieb in den Arm, um sie zu trösten. "Rashida, die Kinder werden demnächst beerdigt. Ich habe das mit der Selbstanzeige gemacht. Endlich werden sie aus ihrem Gefängnis befreit. Dann können wir sie mit beerdigen, wenn die Rumänen das zulassen. Aber es war schlimm Rashida, ich musste alles noch einmal erzählen." Erklärte ich meiner Freundin, die erleichtert aufatmete, mir dann tröstend über das Gesicht streichelte.
"Du Arme", sagte sie lieb zu mir. Zusammen gingen wir nach vorn, wo die Jungs schon am Frühstücktisch saßen. Ich lief auf Rudi zu, gab ihm einfach einen Kuss.
"Guten Morgen, ihr alle", rief ich laut in die Runde.
"Na, habt ihr ausjeschlafen, ihr Zwee", fragte Simon als erstes. Wir nickten. Simon kam auf mich zu. "Dann setzt euch hinne. Kahlyn, darf ick dir eenen Juss jeben?"
Ich zuckte mit den Schultern, weil ich nicht wusste, was das sollte.
"Warum?"
Ich hielt den Kopf verwundert schief und sah Simon an. Als ich in die Runde blickte, ahnte ich warum. Alle sahen erholt und ausgeschlafen aus.
"Na Jlene, weel wir heute net wieder den janzen Tach, jejen unsere Müdigkeet jämpfen müssen. Du jannst dich jar net vorstellen, wie schlimm dat immer is."
"Oh doch, das weiß ich nur zu gut, Simon. Aber, das ist keine Dauerlösung, ab und zu müsst ihr auch einmal richtig schlafen. Das habe ich in Gera gelernt. Es ersetzt einen richtigen Schlaf nicht. So viel, wie in Gera, habe ich in meinem gesamten Leben noch nie geschlafen. Aber es ist schon schön, wenn man nicht immer nur am Limit läuft", erklärte ich Simon, dass ich genau wusste wie die Jungs sich oft fühlten. "Deshalb dachte ich ja, dass es euch gefallen wird, das zu können."
Simon kam auf mich zu und gab mir trotzdem einen Kuss auf die Wange. Es war ein schönes Gefühl, dass ich helfen konnte. "Danke Jlene, dat is net mit Jold zu bezahlen."
Simon lächelte und ging zurück zu seinen Platz. Siggi sah Rashida fragend an, also händelten sie es hier genauso, wie ich mit Fran, dass sie immer sagt, wie viel sie essen wollte.
"Siggi mir machst du bitte, hundert Gramm, Täubchen und wie viel willst du?", wollte Rashida, dass ich selber Angaben dazu machte, wie viel ich essen wollte.
"Siggi, ich möchte bitte, zweihundertfünfzig Gramm. Rashida, ich muss immer noch Reserven aufbauen. Ich esse doch erst, seit zwei Tagen wieder", entschuldigte ich mich bei ihr. Weil ich genau wusste, dass Rashida aufpassen musste mit ihrer Esserei. Denn sie hatte hier nicht so viel Bewegung, ein zu viel Nahrung täte ihr auch nicht gut. Dass sie zusehen musste, wie ich viel mehr als sie aß, war mir unangenehm, denn früher hatte sie immer meine Reste gegessen.
"Du musst dich nicht entschuldigen, Täubchen. Ich sehe doch, wie dünn du geworden bist. Von mir aus esse auch fünfhundert Gramm, nur weiß ich bei dir immer nicht, wie viel du gerade brauchst", mit der Erklärung war für meine Freundin die Sache vom Tisch.
Simon, der uns beide beobachtet hatte, sah mich verlegen an. "Jlene sag ma, wat hältst du davon, wenn dich Rashi nachher ma zeejt, wee see heer lebt. Ick jann zwar net mitjommen, aber dann jannst du och jleech Katrin jennenlernen, dat is meene Fru."
Fragend sah ich Rashida an, dann Rudi, beide nickten. "Wenn das geht, würde mich das freuen", flüsterte ich mehr als das ich sprach.
"In Ordnung, dann ruf ick sie dann jleech ma an. Rashi ick jeb dich eenen Toni, da fährst du mit ihr ma hinne."
Rashida nickte überglücklich und strahlte übers gesamte Gesicht. Etwas, dass ich bei ihr noch nie gesehen hatte. Damit widmeten wir uns unseren Brei, den uns Siggi gerade brachte. Genüsslich machte ich mich darüber her.
"Dir schmeckt es wohl?", fragte mich Speedy. "So klein und futtert das Doppelte, von unserer Rashida. Du musst wohl noch wachsen", stichelte er weiter.
Rashida sah ihn lachend an. "Speedy, das Täubchen wächst nicht mehr, sie bleibt so eine kleine Zwecke. Aber sie hat seit dem 1. September, kaum etwas bei sich behalten. Du weißt doch, dass wir immer nur wenig zu essen bekamen. Das habe ich euch doch erzählt. Kahlyn bekam oft noch weniger, als wir anderen. Nur, wenn der Doko kam, der hat ihr immer mehr gegeben, damit sie ein paar Reserven aufbauen konnte."
Speedy sah mich entsetzt an. "Wieso hast du nichts bei dir behalten, warst du krank?"
Wieder nahm mir Rashida das Antworten ab, wofür ich ihr dankbar war. "Nein Speedy, der Oberstleutnant hat mein Täubchen immer mit Absicht hungern lassen. Zum Schluss, hat er sie regelrecht vergiftet. Wenn sie regelmäßig gegessen hätte, wäre sie jetzt tot. Aber dadurch, dass sie unter dem Nervenfieber, noch viel schlimmer gelitten hat als ich, brach sie durch das hohe Fieber immer wieder die Nahrung aus. Erst vor zwölf Tagen bekamen wir heraus, dass er die Nahrung von Kahlyn, mit Antibiotika vergiftet hatte. Sie wäre fast gestorben. Deshalb, konnte ich doch auch so lange nichts essen. Nur war das bei mir nicht so schlimm, weil ich Reserven hatte. Kahlyn hatte schon keine mehr, als wir am 1. September in unsere neuen Einheiten geschickt wurden. Sie hat vor Chelm schon nichts zu essen bekommen. Für sie, war das bestimmt die Hölle. Deshalb fragte sie gestern auch, ob unsere Dosen eine Versiegelungsfolie haben."
Simon sah Rashida an. "Dad is doch net deen Ernst."
Diesmal jedoch antwortete Rudi für mich. "Doch Simon, das ist ihr Ernst. Die Kleene wäre wirklich fast gestorben. Nur gut, das ihre Kameraden in Himmelpfort bei dem Einsatz dabei waren. Sonst wäre sie heute tot. Kahlyn hat so gelitten. Wir haben uns auf der Wache, schon nicht mehr getraut etwas zu essen. Wir hatten ein richtig schlechtes Gewissen. Keiner von uns, hätte so arbeiten können."
Verlegen sah ich auf meinen Teller, ich mochte es nicht, wenn man so über mich sprach.
"Da musst du nicht verlegen werden, Kleene, es ist doch so", wies mich Rudi zurecht, der bemerkte, dass es mir unangenehm war.
"Aber Antibiotika, is doch nix Schlimmes", wies Simon Rudi darauf hin, dass es doch kein Problem damit gegeben dürfte, der ja auch der Sanitäter des Teams war.
"Doch Simon, für uns schon", gab ich jetzt doch selber zur Antwort. "Bitte, falls Rashida einmal hohes Fieber hat, gebt ihr um Himmels Willen keine Antibiotika. Das würde sie töten. Für uns, ist Antibiotika, dasselbe, was für euch Arsen ist. Pures Gift, es potenziert sich mit jeder Gabe."
Simon sah erst mich entsetzt an, dann sah er böse zu Rashida. "Rashi, warum hast du mich dat noch net jesajt. Dat is doch wichtig, dat ick dat weeß. Wat soll ick dich denn, dann jeben?", erschrocken blickte er Rashida an.
"Rashida, hole bitte sofort einmal deinen Ampullen-Koffer, so geht das nicht. Du musst deinen Leuten, schon einige Sachen erklären. Was ist, wenn du mal schwer verletzt bist", schimpfte ich sie jetzt aus.
Rashida schaute mich erschrocken an. Ihr wurde bewusst, dass ich vollkommen Recht hatte, mit der Bemerkung. "Soweit hab ich nicht gedacht, Täubchen. Aber du hast Recht, erklärst du das bitte den Jungs. Du kannst das besser als ich", bat sie mich um Hilfe und stand sofort auf, um den Medi-Koffer zu holen. "Ich weiß nicht so richtig, wie ich das erklären soll."
Lächelnd sah ich ihr hinterher. "Natürlich, ich mache das für dich. Da fällt mir ein, Rudi, du weißt das ja auch nicht, was ist wenn Doko Karpo mal nicht da ist."
Erschrocken sah mich Rudi an. Im selben Moment kam Rashida mit dem Ampullen-Koffer zurück.
"Also Simon. Rudi, wenn du magst kannst du auch zusehen, dann weißt du auch gleich Bescheid. Ich erkläre das alles auch John und den anderen im Team noch einmal. Rashida, alle sollten die Medikamente spritzen können, also merke dir wie ich das jetzt erklären."
Ernst sah ich die Männer und meine Freundin an. Ich stellte erfreut fest, dass gleich alle Sanitäter von Rashidas Einheit, zu mir kamen, um ebenfalls zuzuhören. Jetzt wusste ich, dass ich mir um meine beste Freundin keine Sorgen mehr machen brauchte.
"Also seht genau her, das Prinzip ist ganz einfach gehalten. In dem Ampullen-Koffer gibt es mehrere Schablonen. An jeder Schablone gibt es eine Notiz darüber, für was diese gut ist. Ich habe das System sehr einfach aufgebaut, wir waren damals noch nicht so alt und erfahren. Deshalb sortierte ich die Medikamente, nach Einsatzgebieten und nach Stärke. Für euch sind eigentlich nur drei Buchstaben interessant. Das wäre das B für Betäubungsmittel, die du mit Schmerzmittel gleichsetzen kannst. N für die Nervenmittel, die den Beruhigungsmitteln entsprechen, das K für Körpertemperatur, also die Fiebersenkenden Mittel, vielleicht noch das A für Atemnot. Die anderen Mittel sind viel zu gefährlich für den Einsatz für Laien oder Sanitäter. Die sollte nur Rashida verwenden und bitte, egal was ihr verabreicht, immer in die Halsschlagader spritzen, dann wirken die Medikamente einfach schneller. Rashida kann euch das zeigen. Vor allem muss man da nicht anstauen und es geht wesentlich schneller. Mit ein bisschen Übung, geht das einfacher als in den Arm. Je höher die Zahl hinter dem Buchstaben, umso höher ist die Wirkung in der Dauer und die Stärke. Es gibt einige Schablonen… " Ich zeigte auf die N91, daneben war ein roter Flamme abgebildet. "… da ist dieses Flammensymbol, diese Mittel müssen auf einen bestimmt Temperatur erhitzt werde. Ach Rashida, ich würde dir empfehlen, einige Spritzen N91 fertig zu machen, falls du mal einen Schock hast, damit dir Simon das spritzen kann. Diese Spritzen verwendest du bitte nur, wenn sie Rashida selbst hergestellt hat. Da diese, wenn die nicht genau auf die richtige Temperatur erhitzt wurden, pures Gift sind", ernst sah ich die Beiden an, diese nickten. "Also kommt mal her, die Schablonen, werden auf die Ampullen gelegt, neben der Ampulle steht immer eine Zahl, wie viele Einheiten, du von welcher Ampulle brauchst. Ihr könnt auch nur die Ampullen verwenden die gebraucht werden, die anderen sind abgedeckt", langsam erklärte ich die Funktionsweise, auch Rudi war mit heran gekommen und sah mir genau dabei zu.
Simon nickte. "Een super System, eenfach un verständlich. Ick verstehe net, warum verwendet ihr keene herjömmlichen Medijamente? Warum erfindet ihr dat Rad neu?", interessierte Simon nun doch.
Dass wurde ich schon so oft gefragt. "Simon, es ist leider so, dass wir viele Sachen die für euch gut sind, einfach nicht vertragen haben. Außerdem, haben die meisten Medikamente, Nebenwirkungen die im Kampf nicht gut sind. Vor allem, bei den Nerven- und Schmerzmitteln. Wir brauchten, aber im Kampf trotzdem einen klaren Kopf, das ging mit Morphium zum Beispiel nicht oder Barium. Da konnte man nicht mehr klar denken, vor allem nicht in der hohen Dosierung, wie wir sie oft brauchten. Bitte, wenn Rashida nicht ansprechbar ist, haltet bitte immer Rücksprache, bei allen Medikamenten die ihr Rashida gebt, mit dem Doko Jacob oder wenn ihr den nicht erreichen könnt, dann fragt mich um Hilfe. Viele Sachen, die für euch gut verträglich sind, sind für uns pures Gift."
Simon nickte. "Wie viel jann ich Rashida, davon aber spritzen, ohne sie in Jefahr zu bringen, denn der Truppenarzt braucht bei uns, fast eene halbe Stunde, bis er hier is", wieder zeigte ich auf die Schablonen vom N91. "Sieh mal Simon, hier steht eine "100", daneben die Zahl "5", das ist die Dosierung für die "100", wie wir uns immer nennen, also maximal fünf Einheiten. Dann steht hier ein "M", lach bitte nicht, das heißt Menschen. Ich war damals drei Jahre alt, als ich das System entwickelt habe, das ist die Dosierung für euch, da steht ein "2". Die Schablone, wo du dieses "M" nicht findest, dürft ihr für euch niemals nutzen, es würde euch umbringen. Genauso, wie die wo keine "100" steht, nicht für uns nutzbar ist." Ich zeigte ihm die Schablone mit dem N47, das nur für uns war. Aber auch auf die Antibiotika K02, damit er es genau verstand.
"In Ordnung meene Jlene, danke dat du mich dat jezeijt hast. Jetzt weß ick wenigstens Bescheed."
Ich räumte die Koffer wieder ein und drückte ihn Rashida in die Hand. "Rashida, vergesse nicht einige Spritzen vom N91 aufzuziehen und fertig zu machen, für den Notfall. Ich würde dir auch raten eine Injektion mit zwei Einheiten N47 vorzubereiten."
Entsetzt sah mich Rashida an. "Täubchen…"
Weiter ließ ich sie nicht reden. "Rashida, für den Notfall. Verdammt nochmal, wie willst du das dann noch machen? Du bist dazu nicht in der Lage. Ich ja, aber du nicht. Ich brauche drei Stunden, bis ich bei dir bin. Willst du die anderen in Gefahr bringen? Willst du wirklich so egoistisch sein? Kannst du das verantworten?"
Wollte ich von ihr wissen. Rashida sah mich böse an. Wollte noch etwas dazu sagen. Aber ich schnitt ihr rigoros das Wort ab und fuhr sie böse an.
"Keine Diskussion Rashida. Ich will mit dir darüber nicht diskutieren, Rashida. Es ist eine Notfallspritze, mehr nicht. Ich hoffe du wirst sie niemals brauchen. Wenn du sie brauchst, wirst du dankbar sein, dass du sie hast. Glaube mir und Ende der Diskussion", fuhr ich sie bitterböse an.
Vor allem in einem eisigen Ton, den Rashida von mir nur selten zu hören bekam. Ernst sah ich sie an. Rashida ging kopfschüttelnd und wütend zu ihrem Spind.
Rudi jedoch sah mich ernst an. "Kleene, wieso reagiert Rashida so abweisend?"
Ich wollte darüber nicht reden, es machte den Einsatz dieser Spritze nicht einfacher.
Allerdings bestand Rudi auf eine Antwort. "Kleene, ich habe dich etwas gefragt."
Rashida kam in dem Moment zurück, antwortete für mich. "Warum ich so abweisend reagiere? Dass kann ich dir genau sagen Rudi. Es ist das letzte Mittel, was wir einsetzten. Denn viele sind daran fast gestorben."
Rudi sah Rashida entsetzt an. "Von zwei Einheiten?"
Rashida schüttelte den Kopf. "Nein Rudi von einer Einheit, mehr als eine Einheit darf man davon nicht spritzen", erklärte sie in einem wütenden Ton und sah mich dabei bitterböse an.
In diesem Moment hatte sie glaube ich begriffen, was mit mir los war. Das Nasenbluten, Bluthusten und die Krämpfe die durch meinen Körper liefen. Rashida musste nur eins und eins zusammen zählen, um die Symptome zu begreifen. Ich stand mit gesenktem Kopf da, weil ich wusste, was jetzt in Rashidas und Rudis Kopf vor sich ging. Bräuchte dazu, nicht erst seine Gedanken hören. Sein Gesicht, sprach Bände. Rudi kam einen Schritt auf mich zu, hob meinen Kopf nach oben.
"Kleene, sag mir bitte, dass das nicht wahr ist."
Ich schluckte bitter. Ich war ja selber schuld, dass es jetzt im nach hinein noch eine Diskussion losgetreten hatte. "Es ist doch nichts passiert, also beruhige dich Rudi", antwortete ich leise, in der Hoffnung, dass es meine Freundin nicht mitbekam.
Rashida hatte meine Antwort trotz allem mitbekommen. "Was heißt hier, es ist nichts passiert, Täubchen?", fuhr sie mich an und drängte Rudi einfach zur Seite. Stellte sich wütend vor mich hin.
"Das, was ich gesagt habe. Es ist nichts passiert", gab ich ihr trotzig zur Antwort.
Jetzt blickte Rashida entsetzt und schwer atmend, Rudi an. "Rudi, sag mir bitte, dass Kahlyn sich nicht das N47 gespritzt hat. Nicht in ihrem jetzigen Zustand."
Rudi sah Rashida an. "Das hat sie und nicht nur eine Einheit. Ich glaube es waren fünf Einheiten."
Rashida holte aus und gab mir eine schallende Ohrfeige, so dass ich im hohen Bogen gegen die gegenüberliegende Wand flog. Diesem Schlag hatte ich nichts entgegen zu setzen, außerdem hätte ich nie im Leben damit gerechnet, dass Rashida das tun würde. Ich wurde davon völlig überrascht, etwas dass mir ganz selten passierte. Rudi sah Rashida entsetzt an. Meine Freundin drehte sich jedoch weg und ließ mich einfach liegen. Ich rappelte mich wieder auf und ging wieder zu Simon und Rudi. Während Rashida nach hinten in die Dusche verschwand. Simon war wütend über die Behandlung, die mir die um vieles größere Rashida zuteilwerden ließ und wollte sie zur Rechenschaft ziehen.
"Warum schläjst du, die Jleene?", rief Simon ihr nach.
Rashida schüttelte den Kopf und ging einfach weiter. Sie war nicht bereit mit ihrem Chef zu sprechen, viel zu wütend und aufgebracht über das, was sie gerade erfahren hatte. Simon lief ihr hinterher, um diesen Vorfall zu klären.
"Simon, bleibe bitte hier", verlangte ich von Rashidas Chef.
Rudi hatte jedoch begriffen, warum ich die Ohrfeige bekam. "Kleene, sag mir bitte, dass ich träume. Wolltest du dich umbringen?"
Ich schüttelte den Kopf. "Nein Rudi, aber anders wäre es in dem Moment nicht gegangen. Anders hätte ich das nicht machen können. Man kann nicht alles im Leben haben. Du kannst nicht von mir erwarten, dass ich dir mein Leben zeige, wenn es mir schon hundsmiserabel geht. Ohne, dass ich dafür sorge, dass ich nicht im Anschluss Amok laufe. Ich musste für deine und für die Sicherheit der Runges sorgen. Oder wäre es dir lieber gewesen, hinterher einige Tode wegzuräumen. Anders ging das nicht. Bitte höre auf zu diskutieren. Ich möchte zu Rashida, es mit ihr auf meine Weise klären."
Rudi war schneeweiß im Gesicht geworden und war zu keiner Reaktion mehr fähig. Ihm wurde in diesem Moment bewusst, wie leichtgläubig er gewesen war. Er ließ sich auf den nächsten Stuhl fallen und starrte mich fassungslos an. Ich lief Rashida und Simon nach.
Simon wollte in Rashida eindringen, ich schickte ihn weg. "Simon bitte lass Rashida in Ruhe. Es ist eine Sache, zwischen ihr und mir."
Simon wollte davon nichts hören, er sah das vollkommen anders. "Wat is los mit ihr?"
"Bitte Simon, lass mich das mit ihr klären! Gehe bitte vor zu Rudi, kümmere dich um ihn. Er braucht glaube ich, deine Hilfe eher als Rashida. Das muss ich regeln, sonst gerät das aus dem Ruder."
Simon sah mich verwundert an. Als er meinen bittenden Blick sah, ging er nach vorn. Dafür war ich ihm dankbar.
"Rashida, bitte, du musst mir zuhören, damit du verstehst, warum", meine Freundin war richtig gehend wütend, etwas dass bei ihr wirklich sehr selten vorkam. So wütend, war sie lange nicht mehr auf mich. Ich konnte sie ja verstehen. Sie war zu Recht wütend auf mich. Denn mit den fünf Einheiten N47, war ich ein großes Risiko eingegangen.
"Du weißt, dass du dich damit hättest töten können", schrie sie mich weinend an.
"Rashida, du weißt, dass es nicht so ist. Es gab keine andere Möglichkeit. Es musste sein. Bitte lass dir erklären, warum."
Rashida rastete vollkommen aus und fing an, nach mir zu schlagen. Sie war so wütend, dass sie die komplette Kontrolle über sich verloren hatte. Jedes Wort ein Schlag und ein Tritt.
"Verdammt… du… hättest… sterben… können…" brüllte sie mich an. "Es… ist… ein… Wunder… dass… du… noch… lebst…"
Ich blockte jeden ihrer Schläge ab. Die Männer, die durch den Lärm neugierig geworden waren, sahen entsetzt zu uns. Sahen, wie die um vieles größere Rashida, auf mich einschlug. Wollten mich beschützen und helfend eingreifen.
"Verschwindet, bitte das ist eine Sache zwischen mir und Rashida. Da könnt ihr uns nicht helfen. Ihr bringt euch, nur selber in Gefahr", rief ich über die Schulter den Männern zu.
Rashidas Kollegen sahen mich entsetzt an. Da ich scheinbar Mühe hatte den Schlägen und Tritten auf dem engen Raum auszuweichen. Trotzdem zogen sie sich sofort zurück. Ich war froh, dass Rashidas Team auf mich hörte. Rashida wurde so wütend, dass ich sie legen musste. Dazu brauchte ich Platz und konnte nicht noch, auf die anderen Kollegen Rücksicht nehmen. Ich wollte ihre Kollegen aber nicht verletzten. Sobald ich merkte, dass die Männer sich zurückzogen, ging ich auf diesen Kampf ein. Blockte Rashidas Schläge ab und ließ sie sich austoben. Nach einigen Minuten fing ich ihren Schlag mit dem rechten Arm ab, griff nach ihrem Handgelenk und ihrem Oberarm. Als sie versuchte nach meinem rechten Knie zu treten, zog ich es zurück, so dass sie ins Leere trat. Stellte den Fuß nach hinten, verlagerte das Gewicht, so dass ich mit dem linken Fuß in ihre rechte Kniekehle treten konnte. Dadurch verlor sie das Gleichgewicht, durch das Drücken gegen ihren Oberarm, brachte ich sie zu Fall. Keine zwei Sekunden hatte das gedauert. Blitzschnell, fasste ich beide Handgelenke und zog sie auf Rashidas Rücken. Justierte sie so am Boden. Rashida brüllte vor Schmerzen auf. Konnte sich aber nicht mehr bewegen, denn ich kniete auf ihren Rücken, drückte ihre Arme in einer schmerzhaften Stellung, in Richtung Kopf. So verhinderte ich, dass mich, die mir körperlich sehr überlegene Freundin, von ihrem Rücken schmiss. Rashida brüllte nicht nur aus Wut, sondern jetzt auch noch wegen des Schmerzes. Immer wieder sagte ich zu ihr. "Rashida, Nikyta, rashida. – Beruhige dich, meine Freundin, beruhige dich."
Rudi, der wie Simon und die anderen Jungs, von weiten zugesehen hatten, wie ich Rashida auf den Boden legte. Sahen sich fassungslos an. Keiner von den Männern hätte sich träumen lassen, dass das möglich wäre. Völlig entsetz hatten sie zugesehen, wie ich die tobende und um einiges stärkere Rashida in den Griff bekam. Alle standen völlig geschockt im Gang und sahen zu, wie ich meine Freundin in einer Art Zwangshaltung toben ließ. Rudi übersetzte für die anderen, meine sich immer wieder wiederholenden Worte, die scheinbar nicht zu Rashida durchdrangen.
"Rashida, Nikyta, rashida. - Beruhige dich, meine Freundin, beruhige dich."
Langsam wurde der Widerstand weniger. Immer wieder, sagte ich zur ihr.
"Rashida, Nikyta, rashida."
Endlich nach fast zehn Minuten des Kampfes, hatte sich Rashida beruhigt und gab ihren Wiederstand auf.
"Rashida, kann ich dich los lassen? Ohne dass du wieder ausflippst?", fragte ich meine liebste Freundin.
Rashida hörte auf zu brüllen und nickte. Vorsichtig und auf einen erneuten Ausbruch von ihr gefasst, lockerte ich meinen Griff und ließ sie dann los. Rashida drehte sich auf den Rücken und stand auf. Ging ohne ein Wort zu sagen an mir vorbei, nach hinten an die Wand und ließ sich dort einfach nach unten rutschen. Legte ihre Arme und ihren Kopf, auf die Knie und blieb einige Minuten so sitzen. Dann hob sie den Kopf, immer noch böse guckte sie mich an.
"Warum machst du sowas?"
"Rashida, du weißt ich würde das nie machen, wenn es nicht sein muss. Es ist doch nichts passiert. Ich lebe noch, es sind doch meine Schmerzen und nicht deine", versuchte ich ihr zu erklären, dass es keine anderen Möglichkeiten gab.
"Aber…", wollte sie wieder anfangen.
"Rashida, es ist aber nichts. Es gibt einfach manchmal Situationen, da muss man solche Risiken eingehen. Ob man es will oder nicht. Wie hätte ich meine Freunde, sonst vor mir schützen können. Denke bitte erst einmal nach, bevor du wieder ausflippst. Es ist nichts passiert. Außer, dass ich ein paar Stunden durch die blanke Hölle gegangen bin und noch gehen werde. Aber es ist bald wieder gut. Sieh mich an, es ist keine vierundzwanzig Stunden her. Ich habe sogar schon einen Einsatz hinter mir. Auch wenn es mir nicht besonders gut geht, bin ich voll einsatzfähig. Oder siehst du mir etwas an. Antworte mir und zwar sofort!"
Entsetzt sah mich Rashida an. "Nein. Trotzdem bist du verrückt. Wie hättest du reagiert, wenn ich das gemacht hätte?", wütend sah sie mich an.
"Genauso wie du, also komm beruhige dich. Es ist alles gut. Du kannst mich gern untersuchen. Es ist wirklich alles in Ordnung."
Rashida sah mich an und hielt mir ihre Hand hin. Es war vorbei, sie hatte sich wieder beruhigt. Ich hockte mich neben sie und sie nahm mich in den Arm und fing bitterlich an zu weinen.
"Ist schon gut, Rashida. Es ist schon gut, beruhige dich."
Die Tränen wollten einfach nicht aufhören zu fließen. Lange hielt ich sie in meinen Armen, hielt sie einfach fest. Rudi kam näher, wollte wissen was los war. Verneinend schüttelte ich den Kopf.
"Rudi, bitte fange jetzt nicht wieder davon an. Es ist nichts passiert. Nur das ist es was zählt. Ende der Diskussion."
Ernst sah ich meinen Major an und flehte ihn mit den Augen an, Ruhe zu geben. Rashida hatte sich wieder beruhigt und wollte sich erheben. Simon wollte aber wissen, was hier los war. Er kam auf uns zu.
"Jönnt ihr mich mal erjlären, wat dat eben hier sollte? Wieso ihr jejeneenander jämpft? Wieso tickst du so aus, Rashida? Dat jann doch allet net wahr seen."
Genervt verdrehte ich die Augen, aber ich musste meine Freundin schützen. "Simon, das ist meine Schuld. Rashida ist zu Recht ausgeflippt. Ich habe mir gestern, bei Rudi eine Injektion, mit fünf Einheiten N47 gegeben. Es ist eine tödliche Dosis. Es war sehr riskant, in meiner momentanen gesundheitlichen Verfassung. Aber es war in der gegebenen Situation notwendig. Bitte, ich will darüber nicht mehr reden. Ich habe wirklich, in den letzten Wochen genug N91 gespritzt. Ich bin heilfroh, dass ich es jetzt etwas besser kontrollieren kann. Rashida, ist nur deshalb so ausgeflippt, weil diese Dosierung, bei uns eigentlich als der Todesschuss gilt. Sie hatte etwas falsch verstanden oder besser gesagt, an etwas nicht gedacht. Dadurch dass ich viel häufiger als die andern "Hundert", diese Injektionen benutzen musste. Bin ich gegen viele dieser Injektionen, schon immun. Ich vertrage eine wesentlich höhere Dosis, als die anderen unserer Gruppe. Das vergessen die anderen oft. Genau wie Rashida und auch der Doko, da schon einmal nicht daran denken. Bei mir liegt der Todesschuss bei sieben besser noch acht Einheiten."
Rashida wurde, als ich das erklärte, auf einmal auch klar, dass sie völlig überreagiert hatte. "Da hab ich jetzt nicht dran gedacht, Täubchen."
"Ich weiß Rashida, ist nicht schlimm. Ich verstehe schon, warum du so sauer warst. Aber, du kennst mich doch schon so lange. Warum hätte ich das denn, ausgerechnet jetzt machen sollen? Das erste Mal in meinen Leben, geht es mir gut. Ich soll mich dann umbringen? Warum denn?", wollte ich von ihr wissen.
Rudi jedoch begriff gar nicht, von dem, was er da hörte. "Was heißt das denn schon wieder, Todesschuss?" wollte er es jetzt genauer wissen.
"Rudi, wenn einer der "Hundert" so schwer verletzt ist, dass er nicht mehr gesund werden kann. Also, wenn er irreparable Schäden hatte. Schickten wir ihn schlafen, das heißt, er bekam eine Injektion, mit fünf Einheiten N47, die ihn das Sterben erleichterte. Er schlief innerhalb von Sekunden ein und wachte nie wieder auf. Wir leisten uns gegenseitig Strebehilfe."
Das pure Entsetzen stand auf allen Gesichtern.
"Aber, wenn ihr euch irrt. Er wieder gesund werden würde", brachte Speedy zum Ausdruck, was die anderen alle dachten.
Rashida schüttelte den Kopf. "Wenn Kahlyn sagt, es wird nichts mehr, dann wird es auch nicht mehr. Bevor uns der Oberstleutnant schlafen schickt, machen wir das lieber selber."
Simon starrte uns beide an, wie von einem anderen Stern. "Wie der Oberstleutnant…?"
Weiter kam er nicht. Rashida ergriff das Wort. "Der Oberstleutnant schickte uns auf eine viel schlimmere Art schlafen. Er steckte uns in ein Fass mit Wasser, verschloss das Fass, bis wir erstickt waren. Glaubt mir da sind fünf Einheiten N47, ein schönes Einschlafen", traurig sah Rashida Simon an.
Die Männer waren entsetzt, sahen uns ungläubig an. Ihre Blicke wechselnden von Rashida zu mir und zurück.
Rudi stellte die Frage die wohl alle interessierte. "Wie viel habt ihr auf diese bestialische Art, schon schlafen geschickt?"
Traurig sah ich auf meine Füße. "Drei, aber alle drei, wären durch den Oberstleutnant getötet wurden. Fedon, hatte eine gebrochene Halswirbelsäule und war ab dem Hals querschnittsgelähmt. Er hatte mich darum gebeten. Miles, hatte man beide Augen ausgestochen, sie war dadurch blind und man hatte ihm eine Hand abgehackt und Cahil, hatte keine Beine mehr."
Traurig rieb ich mir das Genick, diese schlimmen Erinnerungen kamen alle wieder hoch. Tränen liefen über mein Gesicht, auch, wenn ich völlig ruhig sprach, konnte ich nicht verhindern, dass sie über mein Gesicht liefen.
"Was hätte ich denn machen sollen?", fragte ich die Männer die mich Kopfschüttelnd ansahen.
Die Männer verstanden es nicht.
"Das sind doch keine Verletzungen, mit denen man nicht weiter leben kann. Ja, es ist schlimm, aber man kann damit weiterleben", brüllte mich Carl an, der stellvertretende Teamleiter, des Kreuzer Teams. Kopfschüttelnd sah er mich an. "Damit hätten sie hundert Jahre alt werden können."
Rashida wie auch ich, schüttelten den Kopf. "Nein Carl, das hätten sie nicht. Der Oberstleutnant, schickte jeden schlafen, der nicht mehr einsatztauglich war. Schon wegen geringeren Gebrechen, hat er unsere Leute in die Tonne gesteckt, wie wir das immer nannte. Wegen eines steifen Knies, oder eines fehlender Finger", erklärte ich ihm.
Entsetzt sahen uns die Männer an.
"Wie in die Tonne gesteckt?", fragte Andi.
"In die Tonne stecken heißt, dass ein Fass auf den Hof gestellt wurde. Dort musst du dann hineinsteigen. Dieses Fass wird mit Wasser gefüllt, bis es voll ist. Dann kommt der Deckel drauf. Du kommst dort nicht heraus, musst darin elende ersticken. Ihr denkt vielleicht, das ist nicht so schlimm. Nach drei Minuten ist es vorbei. Bei euch ja. Aber wir können fast zwanzig Minuten, unter Wasser schwimmen. Es ist ein qualvoller Tod, der fast eine Stunde dauert. Glaubt uns, wir haben uns diese Entscheidung nie einfach gemacht. Wir haben das N47 wirklich nur dann eingesetzt, wenn es gar nicht mehr anders ging. Ihr müsst wissen, vieles kann ich reparieren. Viele Verletzungen kann ich über das Krantonak ausheilen. Rashida hatte zweimal eine gebrochen Wirbelsäule und einmal hatte sie fast ihr Bein verloren. Ich konnte es immer reparieren. Aber bei manchen Verletzungen bin auch ich nicht mehr in der Lage zu helfen. Es ist nicht einfach einen Freund zu töten, glaubt mir das. Ich weiß, von was ich spreche. Denn ich musste die Injektionen immer geben, weil es keiner der andere konnte. Immer musste ich es tun", sagte ich bitter und stand auf, ging nach vorn an den Tisch.
Nur um einige Augenblicke alleine zu sein. Die Männer sahen mir entsetzt nach und starrten Rashida an. Jetzt hatten sie begriffen, warum Rashida so ausgeflippt war. Sie begriffen, dass diese dachte ich wollte mich umbringen. Das war jedoch nicht der Fall. Es war riskant ja. Aber nicht der Versuch zu sterben, warum denn auch. So gut wie im Moment, ging es mir noch nie in meinem gesamten Leben. Nach einer Weile, kamen alle wieder nach vorn, hatten sich wieder beruhigt. Rashida kam auf mich zu und gab mir einen Kuss.
"Tut mir leid Täubchen, ich war nur so erschrocken."
Ich lächelte sie gequält an "Ich weiß Rashida. Aber du müsstest eigentlich wissen, dass ich keinen Grund habe, mir mein Leben zu nehmen. Also, warum sollte ich mir den Schuss setzen."
Rashida setzte sich neben mich, zog mich einfach in ihren Arm, drückte mich ganz lieb. Dankend nahm ich die Tasse Kaffee, die mir Siggi in die Hand drückte. Lehnte mich bequem zurück und zog meine Füße auf die Sitzfläche. Genoss einfach die Nähe von Rashida. Alle hatten sich wieder beruhigt, auch Rudi, darüber war ich sehr froh.
Es war jetzt kurz nach 8 Uhr, der Bereitschaftsraum wurde immer voller. Es waren alle Mitglieder, der anderen Teams eingetroffen. Simon sah mich fragend an. "Kahlyn, wollen wir dat jetzt jleech machen? Dann jann dat Team, wat free hat, wieder Heem fahrn. Denn dee ham schlimme Wochen hinner sich oder willst noch ne Weele warten?"
Ich schüttelte den Kopf. "Nein Simon, das können wir gleich machen. Aber ich würden dem Team das frei hat, nach dem Jawefan noch zeigen, wie sie das Taiji zu Hause, zum Stressabbau nutzen können."
Simon war einverstanden, nickte bestätigend.
"Simon, wie sieht es aus, mit den Wachmeistern aus der Wachstube."
Simon schüttelte den Kopf, da er der Meinung war, dass dies nicht notwendig wäre. Allerdings war ich da völlig anderer Meinung.
"Simon, als wir gestern angekommen sind, waren deine Wachtmeister, das, was man fertig nennt. Ich denke, das Taiji, das schnell Schlafen, wäre für die auch von Vorteil. Jedenfalls für den, der Udo heißt. Denn der war ziemlich unausgeschlafen. In meinen Augen ist der nicht mehr einsatzfähig."
Jetzt hatte Simon begriffen, was ich meinte.
"Jeht klar, mach wat du für richtig hältst. Du hast da mehr Erfahrungen."
Ich öffnete eine Verbindung nur zu Simon, erklärte ihm in der Verbindung. "Simon, du kannst jeder Zeit, alle die du nicht dabei haben willst, aus der Verbindung dauerhaft ausschließen oder ich nehme, wenn du die Verbindung nicht aufbauen willst, einfach jemanden von euch dazwischen. Aber durch die Verbindung, habt ihr die Möglichkeit in einem Notfall, jemanden um Hilfe zu bitten. Informationen schneller an die richtigen Stellen weiter zuleiten. Mehr als achtzig Kilometer seid ihr selten, von der Wache weg."
Simon stimmte mir jetzt doch zu. "Du hast recht meene Jlene, sowet hab ick jetzt net jedacht."
Durch dieses interne Gespräch war es also beschlossene Sache, dass wir die Wachtmeister mit in das Jawefan einschlossen.
"Also, ich denke wir sollten es Teamweise machen, das geht schneller. Rashida hilfst du mir bitte?"
Rashida lächelte mich an. Ich war froh, dass zwischen uns wieder alles in Ordnung war. Simon trommelte seine Leute zusammen, sofort gingen wir nach hinten in die Turnhalle. Simon übergab die Teamleitung an Rashida und ging wieder in sein Büro, um so viele seiner Leute, wie möglich zusammen zu rufen. Aber auch, um mit seiner Frau zu telefonieren. Hinten in der Turnhalle, begann ich mit dem Markow-Team, das Jawefan zu machen, nach einer reichlichen dreiviertel Stunden war ich damit fertig. Wandte mich dem Maier-Team zu, danach den Wachtmeistern. Nach zweieinhalb Stunden waren wir mit den Jawefan fertig. Danach begann ich dem Maier-Team, das im Moment frei hatte, das Taiji zu erklären. Nach anderthalb Stunden, wusste die Truppe es anzuwenden. Rashida würde dort wahrscheinlich nochmals einige Korrekturen vornehmen müssen. Aber auf diese Weise, konnten sie es erst einmal nutzen. Vor allem das schnelle Schlafen. Kurz vor 12 Uhr, kehrte ich mit einer glücklichen und vor allem ausgesöhnten Rashida, nach vorn in den Bereitschaftsraum zurück. Während ich dem Maier-Team das Taiji erklärt habe, sprach ich mich mit meiner Freundin aus. Siggi, der schon das Essen fertig hatte, da die Jungs im Anschluss Lauftraining machen wollten, fragte Rashida und mich, wie viel Brei wir haben wollen. Wir sagten ihm die Menge, wenige Minuten später, hatten auch wir unser Essen. Simon sah ständig zu mir.
"Jlene, ick weß jar net, wie wir dat wieder jut machen jönnen. Dat wat du uns jejeben hast, is eenfach super", verlegen sah er mich an.
Ich lachte in mich hinein und sah meine Rashida an. "Macht meine Rashida glücklich und passt gut auf sie auf. Sie ist meine aller beste Freundin. Ihr darf nichts passieren. Ich kann sie doch nicht mehr beschützen, das müsst ihr jetzt machen", bat ich einfach, um das ich mir am meisten Sorgen machte.
"Da pass ick schon uf, jeene Angst meene Jlene. Ick leebe deene Freendin jenau so, wie du", Simon sah mich offen an.
"Das beruhigt mich, dann brauche ich keine Angst mehr um sie haben", bedankte ich mich strahlend.
Rashida zog mich zu sich ran. "Nein, mein Täubchen, das brauchst du nicht", beruhigte sie mich und lachte von ganzem Herzen.
Nach dem Essen, gab uns Simon ein Zeichen, ihm zu folgen. Rashida und ich standen auf und liefen ihm hinterher, nach vorn in die Wache. Dort warteten schon die Fahrer des Toniwagens auf uns.
"Kalle, Bruno, ihr fahrt bitte, die Beeden ma zu meener Fru. Um 16 Uhr holt ihr die Beeden, denn dort wieder ab. Wenn ihr nich von mich ne andere Info bejommt."
Die beiden Wachtmeister starrten mich an. "Ist das deine kleine Schwester, Rashida?", fragte der etwas kleinere von Beiden, freundlich lächelnd.
Rashida guckte ihn böse an, man merkte, dass sie diesen Wachtmeister nicht besonders mochte.
"Diese Bemerjung, jann och nur von diche jommen, Bruno. Wat intellijenteres, hätte dich bestimmt weh jetan", sagte Simon in einem bösen Ton. "Jannst du eejentlich, och ma wat jescheedes, von dich jeben oder musst du immer nur die Leute anjreefen?", maßregelte er den Angesprochenen, der eigentlich nichts Schlimmes gemacht hatte.
"Mensch Simon, das war ein Spaß. Entschuldige bitte, du bist heute aber böse drauf."
Simon jedoch, wollte das nicht als Spaß abtun, irritiert sah ich von Rashida zu Simon, dann zu dem Angesprochenen.
Rashida erklärt mir in der Verbindung. "Täubchen, die beiden sind sich nicht hold. Die können sich nicht leiden. Bruno ist hierher Strafversetzt wurden, weil er seinen Chef auf der vorhergehenden Wache, tätlich angegriffen hatte. Hier hat es in den letzten fünf Wochen, auch schon einige sehr bösen und wortreichen Auseinandersetzungen gegeben."
"Ach so, es war ja nicht schlimm, was er gesagt hat."
Rashida lacht innerlich. "Nein das nicht, Bruno weiß aber, dass du mein Teamleiter warst. Erinnere dich mal an den Einsatz in Oberhof vor drei Jahren? Damals war er dort beim SEK Erfurt."
Jetzt erkannte ich ihn auch. "Der ist aber dick geworden. Was ist denn mit dem, geschehen? Den hätte ich nie wieder erkannt. Damals war er aber noch nicht so drauf? Das war damals, ein ganz lustiger Bursche. Vielleicht sollte ich mich einmal kurz mit ihm unterhalten", schlug ich Rashida vor.
Meine Freundin schüttelte den Kopf. "Brauchst du nicht Täubchen, das hab ich schon gemacht. Brunos Ehe ist kaputt gegangen, seit dem kommt er mit sich selber nicht mehr klar."
Ich verfolgte aber zeitgleich die Unterhaltung der beiden Männer.
"Bruno, ick bin net böse druf. Ick jann es nur net leeden, wenn du zu jeder Sach, deenen Senf zu jeben musst. Da druf jann ick dankend verzichten."
"Dann sag ich halt gar nichts mehr", erwiderte der Angesprochene jetzt zu Recht böse.
Aus meiner Sicht hatte er in diesem Moment gar nichts gemacht, dass er sich eine solche Rüge von Simon verdient hätte. Wenn ich ehrlich sein sollte, verstand ich das Verhalten von Simon nicht wirklich. Ich war kurz davor mich einzumischen.
"Jenau, dat is dat, wat ick dich jesajt hab. Du sollst net zu allem, denen Senf zu jeben. Die Jlene ist der ehemalige Teamchef von Rashida, un net die jlene Schwester. Häng dich net immer in Sachen rin, die dir nix anjehen", ernst sah Simon seinen Untergebenen an.
Der war kurz davor, aus dem Anzug zu springen. "Du kannst mich mal", sagte er böse und wollte sich um drehen, um die Wache zu verlassen.
Simon wollte ihm in diesem Moment hinterher gehen.
Ich drang über die Notfalltür, zu Simon vor. "Simon, bitte höre auf. Bruno hat nichts gemacht, du treibst ihn in die Ecke. Bitte höre auf damit. Sonst läuft das hier aus dem Ruder."
Simon sah mich böse an. Dann besann er sich und holte er tief Luft, winkte missmutig ab. "Vielleicht hast du Recht, Jlene. Ick rede später noch ma mit ihm."
"Simon, soll ich mal mit ihm reden. Ich kenne ihn von einem unserer Einsätze."
"Wenn du denkst, dat du an ihn ranjommst, dann du es. Ick will nur dat er uf hört, zu stänkern, dat nervt nämlich langsam."
Ich nickte, konnte ich mir vorstellen, wie schlimm das war. "Simon, dann musst du aber auch aufhören, ihn zu provozieren. Bruno hat nur freundlich, eine Frage gestellt. Du bist ihn gleich angegangen. Ich rede ihm Auto mal mit ihm", laut sagte ich dann zu Simon. "Also bis später, danke, dass wir fahren dürfen", kurz entschlossen gab ich ihm einen Kuss auf die Wange, drehte mich um und lief Bruno hinterher. Der stand wütend draußen am Toniwagen.
"Hallo Bruno, wie geht es dir?", versuchte ich locker ein Gespräch mit ihm anzufangen.
"Wie soll's mir gehen, wenn ich schon wieder so angemacht werde. Aber, woher kennst du meinen Namen, kennen wir uns?", Bruno sah mich verwundert an.
"Na klar Bruno, kannst du dich noch an den Einsatz im Dezember 1972 erinnern? In Oberhof, war das. Als dieser Bankräuber, uns im Winter, über den ganzen Rennsteig gejagt habe. Buha, war das kalt damals."
Bruno sah mich entgeistert an, musterte mich verlegen. Auf einmal ging ihm ein Licht auf, er hatte mich erkannt. " Ich glaube es nicht. Kahlyn? Du bist das wirklich. Ich hätte dich gar nicht mehr erkannt. Du siehst ganz anders aus. Viel dünner und deine Haare sind so lang. Das verändert dein ganzes Aussehen. Komm her, meine kleine Maus, lass dich drücken", bat er mich in einem ganz anderen Ton.
Simon, der mit Rashida gerade aus dem Eingang, auf die Straße trat, glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Als er sah das Bruno, der gerade so mies drauf war, mich in den Armen hielt und mich drückte. In der Verbindung sagte ich zu ihm.
"Bitte sag jetzt nichts, Simon. Lass es so wie es ist. Ich habe meine eigene Art, mit Leuten umzugehen."
Simon nickte kaum merklich. "Na dann viel Spaß ihr Zwee, bis heute Nachmittag."
"Danke, Simon, kümmerst du dich ein wenig um Rudi. Der läuft gern, nimm ihn ruhig mit", antwortete ich lachend.
Simon drehte sich um und ging zurück in die Wache. Rashida kam auf uns zu und stieg wortlos in den Toniwagen ein.
"Na dann, wollen wir mal Bruno. Aber bevor wir fahren, will ich mir dir kurz sprechen, Bruno. Kommst du mal kurz mit mir mit?", bat ich ihn leise.
Bruno sah mich böse an. "Wenn du jetzt auch noch auf mir rumhacken willst, dann lass es sein", wies er mich im genervten Ton zurecht.
"Nein, ich wollte nur einmal kurz, mit dir unter vier Augen reden. Wenn du das zulässt? Wir haben uns doch eigentlich gut verstanden", gab ich ihm genauso leise zur Antwort.
Bruno nickte ergeben.
"Rashida wir kommen gleich. Ich will nur etwas mit Bruno regeln."
Meine Freundin lachte mich an. Sie kannte mich schon lange genug, dass sie wusste ich konnte nicht anders handeln. Solche Missstände in einer Einheit, konnte ich nicht gut heißen. Dazu war unser Beruf viel zu gefährlich. Sie ergab sich ihrem Schicksal, etwas auf mich warten zu müssen. In Gedanken hätte mir diese Sache sowieso keine Ruhe gelassen. Dankbar sah ich Rashida noch kurz an und folgte eilig Bruno, der ein Stück vom Toniwagen weggegangen war. Ging mit ihm einfach ein Stück die Straße hinauf und lehnte mich dort an einen schmiedeeisener Zaun.
"Was ist eigentlich aus dem netten, liebenswürdigen und gut durchtrainierten Bruno geworden? Der du in Oberhof mal warst", kam ich direkt auf den Punkt zu sprechen, der mich am meisten interessierte.
Bruno sah mich traurig an. "Ach ich weiß nicht Kahlyn, bei mir läuft im Moment alles schief. Erst zwingt mich meine, sogenannten besten Freund zum … ach lassen wir das, dann rennt mir meine Frau weg. Seit dem bin ich bei jedem und bei allen der Arsch der Nation", meinte er verbittert.
"Bruno, so geht das nicht. Bitte, was sollen wir lassen. Du weißt ich kann dir helfen. Aber du musst es zulassen. Genau wie damals in Oberhof", erklärte ich ihm leise.
Bruno rieb sich das Genick. "Was soll ich sagen Kahlyn? Ich müsste einen Kollegen in Misskredit bringen, das kann ich nicht. Ich bin kein Kollegenschwein", gab er mir genauso leise zur Antwort.
Ich wusste, dass er mir vertraut, damals in Oberhof hatte es ihn ziemlich erwischt, ein Querschläger hatte ihn damals getroffen. Ich konnte ihn gerade noch so retten. Ich glaube, das hatte er nicht vergessen.
"Erzähle", sagte ich nur kurz und sah ihn offen an.
"Ach ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll. Es ist Anfang des Jahres etwas passiert, was nicht so schön war", traurig sah er mich an.
Kurz entschlossen fasste ich ihn an der Hand. "Bruno, vertraust du mir noch?"
Bruno sah mich einen Moment lang an und nickte.
"Dann komme mit."
Kurz entschlossen ging ich auf die Wache zu und klingelte an der Tür. Der Summer ertönte und wir betraten in die Wachstube.
Udo der gestern ja auch schon Dienst hatte, wollte gerade Bruno anmotzen, weil er noch nicht los gefahren war und wurde von mir kurzerhand unterbrochen. "Wieso…", fing Udo an.
"Udo, bitte nicht. Ich brauche einen Raum, der vollkommen dunkel ist. Habt ihr hier so etwas?", fragte ich nach dem, was ich haben wollte.
Udo nickte. "Wie …“ er unterbrach sich selber, als er mein Kopfschütteln sah. „Ja ist ja in Ordnung. Komme mit, ich zeig dir wo. Aber zu was brauchst du das denn?", harkte er jetzt doch nach, weil er neugierig war.
"Das interessiert dich nicht. Bitte zeige mir nur wo und sorge dafür, dass mich niemand stört", gab ich klare Anweisungen.
Udo akzeptierte diese Ansage, die ich in einem bestimmten, keinen Widerspruch zulassenden Ton gemacht hatte. Wir verließen die Wachstube und gingen durch den Eingangsbereich nach rechts, zu einer Tür an der "Archiv" stand.
"Kahlyn, hier ist es dunkel. Du kannst auch von innen abschließen."
"Danke Udo. Wenn Rashida nach mir sucht, sage ihr, ich bin in ein paar Minuten fertig."
Ohne weitere Worte zu machen, zog ich Bruno hinter mir her, hinein ins Archiv und verschloss die Tür. "So Bruno, komm setzte dich bitte einmal hin. Ich werde mich jetzt hinter dich setzten, dann erkläre ich dir alles. Ich muss dazu aber das Licht ausmachen."
Bruno, setzte sich einfach auf den Boden und ich machte das Licht aus. "Bruno, bitte erschrecke nicht. Du weißt ich habe andere Augen als ihr. Das weißt du noch von damals oder?", fragte ich ihn.
Bruno antwortet lächelnd. "Ja Kahlyn, deine Augen werde ich nie vergessen."
"Das ist schön Bruno. Bitte ich möchte sehen, was mit dem netten fröhlichen Bruno passiert ist. Darf ich mir deine Erinnerungen einmal ansehen, damit ich verstehe, was dich so verändert hat?"
Bruno brummelte etwas in seinen nicht vorhandenen Bart. Plötzlich ging ein Ruck durch seinen Körper, er war entschlossen mir zu vertrauen. "Ja mein kleines Mädchen, mache das. Es ist ja sowieso alles egal. Viel schlimmer kann es nicht mehr werden, Kahlyn. Vielleicht kannst du mir ein zweites Mal das Leben retten. So macht das Leben nämlich keinen Spaß mehr", meinte er verbittert.
Ich setzte mich hinter ihn. "Bruno, legt dich so auf meine Beine, dass du mit dem Kopf auf meinen Oberschenkeln liegst. Ich mache das Krantonak mit dir. Aus meinen Augen kommen wieder roten Strahlen. Du kennst das doch noch, von damals. Also erschrecke dich nicht. Du weißt, es tut nicht weh."
Bruno legte sich hin und ich hielt seinen Kopf fest. Tief drang ich in seine Erinnerungen ein. Was ich da sehen musste, erschreckte mich total. Ich sah einen Vorfall, der alles andere, aber nicht schön war. Vor allem das, was danach passierte, konnte jemanden völlig niederreißen und zerstören, wie es bei Bruno der Fall war.
Bei einem Einsatz Anfang des Jahres, erschoss Brunos Kollege, das war in seinen Erinnerungen genau zu sehen, einen Jugendlichen bei einer Schießerei, vor allem ohne ersichtlichen Grund. Der Junge der von Brunos Kollegen erschossen wurde, hatte nicht einmal die Waffe auf den Kollegen gerichtet, sondern hielt diese nur in der Hand. Vor allem war es nur eine giftgrüne Pistolenattrappe die der Junge in der Hand hielt. Der der zweite Junge dagegen führte eine 9mm Mauser, von Typ Luger. Das ist eine Pistole die Ende des neunzehnten bis Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts vom der dem Österreicher G.J. Luger konstruiert wurde. Damit zielte der junge Mann allerdings auf Bruno und nicht auf den Kollegen. Keine Ahnung wie er an diese Waffe gelangen konnte. Die Pistolen waren schon seit vielen Jahrzehnten nicht mehr im Einsatz, sondern gehörten in ein Museum.
Der Kollege von Bruno wurde also weder direkt angegriffen oder bedroht. Bruno der auf der Straße, ohne Deckung seinem Kollegen zu Hilfe eilte und von dem zweiten Jungen mit der Waffe bedroht wurde, kam in dem Moment dazu, als der Kollege seine Waffe zum Anschlag führte und abdrückte. Bruno wurde Zeuge wie der Junge erschossen wurde, ohne jeglichen Grund. Ohne zu Zögern tauschte der Kollege die Spielzeugwaffen gegen eine Waffe aus, die er in einem Wadenhalfter, versteckt trug. Nach dem der zweite Junge dingfest gemacht wurde, verheimlichte Brunos Kollege den ganzen Vorfall, so dass sein Schuss, als gerechtfertigt dargestellt wurde. Wie sich später herausstellte, war die zweite Waffe nicht einmal geladen. Die beiden Jungen hatten nur Räuber und Gendarm gespielt.
Bei der Untersuchung machte der betreffende Kollege falsche Angaben und zwang Bruno aus falscher Loyalität, zum Lügen. Mit dem ungerechtfertigten Tod des Jungen und den damit verbunden Lügen, kam Bruno nicht klar. Das macht ihm dermaßen zu schaffen, dass sein gesamtes Leben darunter litt. Da der betreffende Kollege, auch war sein unmittelbarer Vorgesetzter im SEK Erfurt war und Bruno also auch nicht aus dem Weg gehen konnte, war Stress vorprogrammiert. Derjenige, den Bruno angeblich ohne Grund verprügelt hatte, hatte diese Prügel also mit Recht bezogen. Ich konnte Bruno sehr gut verstehen, denn ich wäre an seiner Stelle ebenfalls ausgeflippt.
Es war eine schlimme Situation, für den sehr akkuraten Bruno der stets den Gesetzten gefolgt war, war das eine dermaßen psychische Belastung, dass auch sein Privatleben darunter litt. Ich konnte mir nicht die gesamte Zeit ansehen, das würde zu lange dauern und vor allem auch zu weit gehen. Die Erinnerungen, die ich sah reichten mir allerdings, um mir ein Bild von dem Teamleiter des SEKs in Erfurt zu machen. Er hatte Bruno regelrecht in diese Schlägerei hinein getrieben. Da er seinen Untergebenen ständig unter Druck setzte und ohne Unterbrechung provozierte. An Brunos Stelle wäre ich schon viel eher ausgerastet. Das ehemalige SEK Mitglied war hin und her gerissen, zwischen seiner falschen Loyalität und dem Drang die Wahrheit zu sagen. Vor allem machte ihn sein Gewissen zu schaffen, das nach Gerechtigkeit für den getöteten Jungen schrie. Der völlig ohne Grund erschossen wurde. Bruno war ein von Grund auf ehrlicher Mensch und konnte mit diesem Wissen einfach nicht leben.
Zum Schluss ging dann auch noch seine Ehe kaputt. Ich stärkte Brunos Selbstvertrauen, das völlig zerstört war und gab ihm dadurch seine innere Ruhe wieder. Stärkte vor allem sein Vertrauen und seinen Willen wieder etwas für sich selber zu tun und sein Körperbewusstsein. Beendete das Krantonak.
"Bruno lass mir ein paar Minuten. Bitte", flüsterte ich leise.
Im gleichen Atemzug kippte ich zur Seite. Flüchtete mich für kurze Zeit ins Jawefan. Nach fünf Minuten kam ich zu mir und stand auf, machte das Licht wieder an. Als erstes sah ich in das entsetze Gesicht von Bruno.
"Bruno, es ist nichts. Du musst, ob du es willst oder nicht, diese Sache zum Abschluss bringen, sonst zerstört es dein ganzes Leben. Weißt du es ist schwer sich gegen einen Vorgesetzten zu stellen. Ich weiß das nur zu gut und habe das oft genug gemacht. Simon ist ein sehr ehrlicher Mensch. Gehe zu ihm und erzähle ihm alles. Ich denke er wird Mittel und Wege finden, um dir zu helfen. Wenn das nicht der Fall ist, kann ich mit meinem Oberst reden. Dann sagst du Rashida Bescheid und ich regele das über den Oberst. Oberst Fleischer geht an die Decke, wenn er von so etwas Wind bekommt, der hilft dir bestimmt. Aber ich denke Simon wird dir auch helfen. Vor allem Bruno, gehe zu deiner Frau, rede noch mal mit ihr. Wenn sie das nicht will, dann schreibe ihr einen Brief. Erkläre ihr einfach, was los war. Dass dein Chef sich dann noch an deine Frau rangemacht hat, finde ich die absolute Krönung. Aber ich weiß nicht, ob du deine Ehe noch retten kannst. Aber du kannst dich wenigstens selber retten. Bitte rede mit Simon, er ist ein guter Teamleiter. Ich weiß genau, wenn er die Wahrheit erfährt, dann gibt dir eine zweite Chance. Vertraue ihm einfach, nur dieses eine Mal, Bruno."
Bruno sah mich traurig an. "Denkst du ich kann ihm vertrauen?", fragte er mich betrübt.
Ich nickte ihm aufmunternd zu. Konnte mir aber auch vorstellen, dass Bruno nach diesem Vorfall, kein großes Vertrauen mehr in seine Vorgesetzte hatte. Aber er musste lernen, dass nicht alle Vorgesetzten Schweine waren. Auch ich hatte dies lernen müssen. Nachdenklich stand Bruno auf, als ich ihm die Hand hin hielt, lange blickte er mich an.
"Ach Kahlynchen, jetzt rettest du mich schon das zweite Mal", entgegnete er mir leise und nahm mich in den Arm, drückte mich ganz lieb.
Ich streichelte ihn, über das Gesicht. "Versuche Simon zu vertrauen. Nutze das Taiji, um Ruhe zu finden und das schnelle Schlafen. Es wird dir helfen, wieder du selber zu werden. Simon ist anders als dein alter Teamchef. Glaube mir, ich kenne mich gut mit Menschen aus. Komm, lassen wir Rashida nicht noch länger warten."
Vorsichtig schob ich ihn zur Tür heraus, in dem Moment kam Simon auf uns zu.
"Wieso seed ihr denn noch hier?", fragte er mich verwundert.
"Bruno, gehst du bitte schon mal raus, ich komme gleich nach."
Bruno nickte traurig und sah Simon verlegen an.
"Simon, hast du einen Moment Zeit für mich. Ich möchte mit dir reden."
"Wat is los, meene Jlene?"
"Simon, ich habe gerade bei Bruno das Krantonak gemacht. Habe mir dabei seine Erinnerungen angesehen, von den Vorfällen am Anfang des Jahres, bis hin zu der tätlichen Auseinandersetzung die er mit seinem alten Vorgesetzten hatte. Was da lief, war eine riesige Schweinerei. In meinen Augen gehört nicht Bruno strafversetzt, sondern sein Vorgesetzter. Folgendes ist passiert…" In kurzen bündigen Sätzen erklärte ich Simon, was ich gesehen hatte und schilderte detailgenau den Vorfall des Schusswechsels, aber auch, das, was vor der tätlichen Auseinandersetzung gelaufen war. Fasste seine Hände zeigte ihm über das Jawefan, die gesehenen Bilder.
Simon sah mich entsetzt an. "Dat jibts doch jar net. Dat is net deen Ernst oder?" Simon konnte nicht glauben, was ich ihm da erzählte und gezeigt hatte, kopfschüttelnd stand er da. "Jann dat seen, dat du falsche Erinnerungen jesehen hast?", forschte er nach.
"Nein Simon, man kann Erinnerungen nicht verändern, so etwas ist nicht machbar. Diese Engramme sind eingebrannt, da kann man nicht drin rumpfuschen", ernst sah ich Simon an.
"Dat heeßt ja, dat man Bruno für wat bestraft hat, wat er gar net jemacht hat. Dat jibts ja jar net. Ick jeh jleech an die Deje, verdammitsch no ma. Ick muss dann jleech ma mit ihm reden. Keen Wunner, dass der so gereezt is, die janze Zeet. Da wäre icke och net jut druff. Danke meene Jlene."
"Gern Simon. Weißt du Simon, ich kenne Bruno ein wenig, na so gut, wie man jemand nach einem Einsatz kennt der hammerhart war. Der Einsatz damals war richtig schlimm. Ich würde ihm immer meinen Arsch anvertrauen, er ist ein guter Mann. Aber so etwas, kann einen schon kaputt machen."
Simon stimmte mir zu. "Jeht jlar, ick jümmere mir drum. Nun fahrt, sonst habt ihr jenne Zeet, meene Frau hat nämlich schon anjerufen, die dachte es is wat passiert unterwejs."
"Geht klar Simon, aber ich dacht das war wichtiger."
Simon nickte noch einmal und streichelte mir übers Haar. Eilig lief ich in die Wachstube und nach draußen zum Toniwagen und stieg zu Rashida in den Wagen.
Rashida lächelte mich wissend an.
Bruno drehte sich um zu mir. "Können wir fahren Kahlyn, wir müssen dann zu einem Einsatz."
Ich sah ihn freundlich an. "Klar, fahr los. Mache ruhig das Blaulicht an, dann seid ihr uns eher los", neckte ich ihn breit grinsend.
"Nein, das nicht Kahlyn. Aber wir müssen wirklich los", Bruno gab seinem Kollegen Kalle, ein Zeichen, dass dieser losfahren konnte und drehte sich nochmals zu mir um. "Danke Kahlyn, für alles. Du hast Recht, ich rede heute nach Dienstschluss mal mit Simon."
"Mach dass Bruno, sonst bekommst du nie Ruhe. Vor allem findest du sonst keinen Abschluss. Aber nun will ich endlich wissen, wo du lebst Rashida."
Meine Freundin nahm mich einfach in ihre Arme. "Na geht es dir wieder besser Täubchen? Das hätte dir doch keine Ruhe gelassen, stimmt’s?", fragend sah sie mich an.
Ich sah sie verlegen an und lehnte mich einfach an ihre Schulter, genoss ihre Nähe. Ach, wie ich diese Ruhe von Rashida, die ganze Zeit vermisst hatte, sie tat mir immer so gut. Ihre Nähe hatte mir stets geholfen, meine Ruhe zu finden. Eine Ruhe, die ich seit dem ich in Gera lebte nicht mehr gefunden hatte. Die ich aber brauchte, um mich richtig zu erholen. Auch, wenn sich alle bemühten mir beim Runterfahren zu helfen, so hatte ich schon mein gesamtes Leben lang, eine ganz eigenartige Bindung zu Rashida. Das war etwas, dass man mit Worten nicht erklären konnte. Ich genoss, diese Ruhe einfach, diesen seelischen Frieden. Ich schielte hoch zu ihr und erklärte ihr in der Verbindung, die ich ständig zu ihr offen hatte.
"Ja, du hast recht, Rashida. Du weißt Ungerechtigkeiten, regen mich schon immer auf. Das was man mit Bruno gemacht hat, war mehr als Ungerecht. Sieh mal."
Mit diesen Worten, reichte ich ihr die Hände, öffnete das Jawefan und zeigte ihr die Bilder die ich gerade bei Bruno gesehen hatte. Rashida war entsetzt und konnte nicht glauben, was ich ihr da zeigte.
"Kahlyn, das gibt es doch nicht. Zu, was sind wir denn eigentlich da, wenn es in unseren Reihen solchen Schweine gibt", erbost äußerte sie ihre Meinung nach dem Jawefan, in der Verbindung zu mir. "Ich kann es einfach nicht fassen."
Laut an ihren Kollegen gewandt, dem so viel Ungerechtigkeit wiederfahren war. "Bruno, warum hast du mir das nicht erzählt. Ich hätte dir doch auch geholfen. Leider kann ich das Krantonak nicht, das kann nur Kahlyn. Aber glaube mir, so etwas lasse ich auch nicht zu. Es tut mir leid, können wir noch Freunde werden?"
Bruno drehte sich um zu Rashida, auch zu mir. "Ihr seid für immer meine Freunde. Ihr habt mir bei dem Einsatz in Oberhof, das Leben gerettet, so etwas vergisst man nie. Aber ich habe einfach zu niemanden mehr Vertrauen."
Rashida sah ihn traurig an. "Das glaube ich dir gerne Bruno. Aber uns, ist das Lügen fremd. Zu uns kann man immer Vertrauen haben."
Ich nickte bestätigend zu Rashidas Worten. "Glaube mir Bruno, wir können das nicht. Die einzige Sache, wo wir nicht immer die absolute Wahrheit sagen, betrifft unseren Gesundheitszustand. Das ist die einzige Lüge, die wir je gebraucht haben, das mussten wir tun, zu unserem Schutz."
Bruno nickte, denn er hat es damals selber erlebt. Ich weiß noch, wie er sich schützend vor mich gestellt hatte, als der Oberstleutnant mich schlagen wollte, obwohl er selber schwer verletzt war.
"Ich weiß Kahlyn. Ich rede mit Simon, das verspreche ich dir. Ich will, dass es endlich aufhört. Du hast recht es zerstört mich, langsam aber sicher. Auch werde ich wieder anfangen zu trainieren."
Plötzlich schenkte er mir sein schönstes Lächeln, das war wieder der Bruno den ich kannte. Ich war froh, dass er sich selber wieder gefunden hatte. Manchmal sind es halt die kleinen Dinge im Leben, die einen glücklich machen konnten. Bruno wieder so strahlend zu sehen, machte mich unwahrscheinlich glücklich.
Wir fuhren gerade von der B115 ab, hinein in ein Waldgrundstück. Verwundert sah ich Rashida an. Diese lachte mich ebenfalls glücklich an.
"Es wird dir hier gefallen, mein Täubchen. Glaube mir, es ist wunderschön hier. Ich habe noch eine riesengroße Überraschung für dich. Du wirst gleich absolut glücklich sein", erklärte sie mir in einem Ton, den ich von meiner Rashida noch nie gehört hatte.
Ihr Gesicht bekam einen Ausdruck, als wenn sie in eine andere Welt eintauchen würde. Keine hundertfünfzig Meter später, hielten wir vor einem großen Fachwerkhaus, in dessen Mitte ein Tor war. Wir bedankten uns bei den Fahrern, versprachen ihnen uns zu melden, wenn wir eher zurück wollten.
Gemeinsam gingen wir auf das Tor zu. Rashida gab mir einen Kuss auf die Stirn und lächelte mich auf eine Art an, die ich noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte. Dann drückte sie die Klinke des Tores nach unten. Was ich dann sah, entlockte mir ein scharfes Ausatmen und faszinierte mich über alle Maßen. Fassungslos sah ich zu Rashida hoch und in den Hof.
Rasch schob mich Rashida weiter und schloss sofort wieder das Tor. Kaum, dass wir in den Hof eingetreten waren, kamen uns mindestens zwanzig kleine Hunde entgegen gelaufen. Im Alter von etwa neun bis fünfzehn Wochen. Aber auch sechs große Hunde kamen auf uns zu gelaufen. Jetzt verstand ich auch warum, Rashida zu mir sagte, ich sollte ihre Trainingshosen anbehalten, als ich mich schnell umziehen wollte.
Es platze aus mir heraus. "Oh, sind die süß."
Sofort hatte ich alle Hunde um mich versammelt und war in eine völlig andere Welt abgetaucht. Ich bekam nicht einmal mehr mit, dass eine fremde Frau auf uns zukam. Als diese mich ansprechen wollte, bat Rashida sie.
"Katrin, lass mein Täubchen eine Weile. Kahlyn, liebt Tiere über alles. Wenn sie Tiere sieht, taucht sie in eine andere Welt ab. Tiere waren schon immer wie ein Ruhepol für sie gewesen. Lass ihr eine halbe Stunde Zeit, dann kommt sie von ganz alleine. Das ist ja genau das, was ich dir damals erklärt habe, als ich das erste Mal bei euch war."
Katrin lachte. Sie konnte sich noch genau erinnern als Rashida, hier auf den Hof kam. Damals waren es nur elf Welpen, nicht wie heute dreiundzwanzig, die auf dem Hof herum stromerten. Rashida reagierte auf die gleiche Weise, wie ich heute und tauchte vollkommen ab. Über vier Stunden, war sie damals nicht ansprechbar gewesen. Als sie versuchten, sie aus ihrer Welt zurück zu holen, legte sie Simon im hohen Bogen auf die Erde. Sie war damals so erschrocken, weil sie Simon gelegt hatte. Dann stand sie Minutenlang wie zur Salzsäule erstarrt da, ist dann vor Schreck geflohen und zum Glück zurück auf die Wache gelaufen.
"Na, dann lass sie mal, willst du einen Kaffee?", erkundigte sich Katrin, sie musterte mich dabei, von der Seite. "Du hast ja so Recht Rashi. Kahlyn, ist gegen dich wirklich ein kleiner Zwerg. Ich dachte immer du übertreibst. Aber ihr seht euch total ähnlich. Weißt du, was wir dann machen?"
Rashida sah ihre neue Freundin und zukünftige Ziehmutter, kopfschüttelnd an. Gemeinsam wandten sie sich dem Haus zu, wobei Katrin sichtlich Mühe hatte, Rashida zu folgen, da sie stark hinkte.
"Nein, Katrin. Sag mal hast du schon wieder, so schlimme Schmerzen?", antwortete Rashida und drehte sich nochmals grinsend nach mir um.
"Wir machen dann mit der großen Kamera und mit der Polaroid ein paar Fotos. Dann hast du und Kahlyn eine schöne Erinnerung, möchtest du das? Es geht mit den Schmerzen, ich hab nur grad gelegen."
Rashida strahlte Katrin an. "Gern, darüber wird sich Kahlyn bestimmt freuen. Mein Täubchen vermisst mich sehr und ich sie. Als sie gestern kam, hat sie ganz schlimm geweint."
Die beiden gingen in die große Küche, in der gut zehn Leute Platz hatten. Setzten sich an das Fenster zum Hof, von dem aus sie die Hunde, aber auch mich beobachten konnten.
Ich war total weg, durch die kleinen und großen Hunde, und in eine andere Welt abgetaucht. In eine Welt in der es nur Frieden gab. Frieden und vor allem sehr viel Ruhe. Ich liebte Tiere im Allgemeinen. Hatte allerdings einige Tierarten, die ich besonders gern mochte. Dazu gehörten die Bären, Wölfe und Hunde, vor allem aber große Hunde. Die Airedale Terrier, gehörten zu einer Hunderasse die ich besonders gern mochte. Es waren sehr schlaue Tiere, mit einem sehr starken eigenen Willen. Oft, sagte man diesen Tieren nach, dass sie schwierig zu handhaben wären und versuchte mit Gewalt, deren Willen zu brechen. Später wunderten sich die Besitzer dann, weshalb ihre Hunde bissig wurden. Die Airedale Terrier waren vom Wesen her, ganz liebevolle Tiere, die ihren Herrn in den Tod folgten. Diese Hunderasse musste man sehr genau kennen, um mit ihr klar zu kommen. Diese Tiere liebten Zuwendungen und Gehorsam lernten sie nur durch Liebe. Schlug man diese Rasse, reagierte sie mit Gegenwehr und schaltete auf Stur. Man musste mit viel Lob und Liebe, die Dressur durchführen, dann gehorchten sie aufs Wort.
In der Schule hatte unser Hausmeister einen solchen Hund und am Anfang gab es sehr viele Probleme mit dem Tier. Da dieser wahrscheinlich aus schlechter Haltung kam. Arthur Zimmermann fand den Airedale Terrier, völlig ausgehungert und zerschlagen, am Zaun vor dem Tor der Schule. Gemeinsam pflegte er ihn mit Doktor Jacobs und meiner Hilfe gesund. Nach zwei Monaten, hörte das Tier nur noch auf Handzeichen des Hausmeisters und mir. Er fraß dem Hausmeister aus der Hand. Er bekam den Namen Dragon vom Hausmeisterteam, weil er wie Drache über alle wachte. Kam Mayer auch nur in die Nähe des Tieres, drehte Dragon völlig durch. Wir liebten diesen Hund und unser Hausmeister, kam immer extra mit ihm in unseren Raum, wenn wir einmal etwas Zeit hatten, damit wir uns mit ihm beschäftigen konnten. Traurig stellte ich fest, als wir aus Chile zurückkamen, dass er gestorben war. Zimmermann meinte immer, er wäre aus Kummer um mich gestorben. Aber ich denke, es war an der Zeit für ihn zu gehen. Dragon war immerhin dreizehn Jahre alt, als er starb. Ein schönes Alter für diese große Hunderasse, die im Durchschnitt nur neun, maximal zehn Jahre alt wurde.
Ich hatte für Tiere im Allgemeinen eine gute Hand. Für Hunde allerdings, lebte ich. Mein größter Traum wäre es einmal, einen eigenen Hund zu haben. Leider war das nicht möglich, dazu brauchte man wahnsinnig viel Zeit. Aber zu wissen, dass meine beste Freundin, mitten unter Hunden lebte, konnte mich begeistern. Denn Rashida liebte diese Tiere, genauso sehr wie ich. Ich freute mich für sie, dass sie solch eine fantastische Möglichkeit bekam und wusste, dass sie hier vollkommen glücklich war. Es war keine Worte notwendig das zu bestätigen. Ich kannte Rashida mein ganzes Leben lang. Ich wusste, was sie glücklich machte. Denn ich kannte all ihre Träume.
Jetzt begriff ich, was Rashida mit Überraschung meinte. Ich war einfach glücklich. Mir war es egal, wie dreckig ich wurde, ich balgte mich mit den Hunden herum. Aber die Hunde auch mit mir. So wie es mir schon oft gegangen war, wurde ich sofort vom Rudel aufgenommen. Keine Ahnung, warum das bei mir so war. Die Tiere, egal welche Art, akzeptierten mich immer sofort, genau wie Kinder. Als ob sie spüren würden, dass ich sie über alles liebte.
Die Airedale Terrier war als der König, unter den Terriern bekannt. Es war in meinen Augen, die schönste Hunderasse überhaupt. Diese Tiere, hatten eine Schulterhöhe von ungefähr sechzig Zentimeter und waren ungefähr fünfundzwanzig Kilo schwer, also nicht gerade Leichtgewichte. Aber es waren robuste, sehr muskulöse und vor allem intelligente Tiere. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte uns Doko erklärt, dass sie in Großbritannien gezüchtet wurden, Anfang des 19. Jahrhunderts. Sie hatten meist ein helles, ich würde sagen rotbraunes Fell, der Rücken jedoch, war meistens schwarz oder dunkelgrau.
Ich liebte diese klugen Tiere, mit denen wir häufig in Kontakt kamen. Nicht nur durch den Hausmeister, sondern weil sie oft als Schutzhunde eingesetzt wurden. Oft bellten sie jeden Fremden weg. Bei mir war das jedoch anders. Ich ging auf diese Hunde zu, knurrte einmal kurz, schon war ich deren Freund. Ähnlich, wie ich es mit Runges Katze, gemacht hatte. Fast eine halbe Stunde, vergnügte ich mit den Hunden im Hof. Als Rashida mich, in die Realität zurück holte. In dem sie mich in der Verbindung fragte, ob ich nicht auch Katrin kennen lernen wollte. Erschrocken sah ich auf. Wieder einmal hatte ich Raum und Zeit vergessen. Ich stand auf, klopfte meine Sachen so gut es ging sauber. Verlegen sah ich mich um, da ich nicht wusste, wohin ich gehen muss. Ich hatte schnell eine Lösung für mich gefunden. Ich bat den Leithund einfach, mich zu meiner Freundin zu bringen. Einige Laute richtete ich an das sehr dominante Männchen.
"Bring mich zum Frauchen", bat ich im Anschluss.
Er wackelte mit seinen Schwanz und lief vor mir her, zeigte mir so, wo ich lang gehen musste. Keine Minute später, stand ich mit ihm zusammen in der Küche. Tätschelte dem Alpha Tier des kleinen Rudels, dankbar den Kopf und gab ihm sogar einen Kuss auf die Nase.
Katrin, sah mich verwundert an. "Peko, bringt dich hier rein, ich glaube es nicht. Jeden, wirklich jeden, außer Rashida, bellte er sonst weg", kopfschüttelnd saß sie da und traute ihren Augen nicht.
"Hallo Kahlyn, schön, dass du mich besuchst. Ich bin Katrin, die Frau von Simon", sie stand auf und kam auf mich zu gehumpelt und reichte mir freundlich die Hand.
Verlegen sah ich sie an. "Mam, entschuldigen sie, Mam. Ich war so erstaunt über die hübschen Tiere. Ich habe mich völlig vergessen, Mam. Der Peko, wie sie ihn nannten, ist ein sehr schlauer Hund, Mam. Der weiß, wem er trauen kann und wem nicht. Aber der einer der Kleinen ist krank, Mam. Wenn sie wollen, kann ich ihn heilen. Auch sie, dann müssen sie keine Schmerzen mehr haben, Mam", machte ich ihr verlegen einen Vorschlag, dabei in Rashidas Richtung guckend.
"Wer ist krank?", erkundigte sich Katrin erschrocken.
"Mam, der Kleine mit dem runden schwarzen Latz auf der Brust, Mam. Er hat etwas gefressen, was nicht gut für ihn war, Mam. Aber das kann ich richten, Mam", erklärte ich Katrin.
Schnell lief ich in Richtung Tür. Simons Frau kam mir langsam hinterher, genau wie Rashida, die mich besorgt ansah. Ich ging auf den Kleinen zu, den ich meinte.
"Max, oh nein, nicht schon wieder mein, Max", rief Rashida entsetzt.
Verwundert sah ich sie an. "Warum?"
"Kahlyn, das ist schon das zweite Mal, dass er etwas frisst, was nicht gut für ihn ist."
Ich nahm den Kleinen auf den Arm. Das Muttertier sprang an mir hoch, vorsichtig fasste ich zu dem aufgeregten Tier. Ich hockte mich hin und knurrte leise, sanft, aber bestimmend. Sofort hörte das Muttertier damit auf. Es wich aber besorgt um ihr Junges, nicht mehr von meiner Seite.
"Rashida, wo ist es dunkel?", erkundigte ich mich, weil ich mich hier ja nicht auskannte.
"Komm", forderte mich Rashida auf und ging mir voraus, auf eine Tür zu. Dahinter war ein fast dunkler Raum. Wir legten den Kleinen auf den Tisch. Rashida kümmerte sich, um das besorgte Muttertier. Ich streichelte Max beruhigend. Dann setzte ich die Brille ab, begann mit dem Krantonak. Schnell hatte ich die Blähungen, in seinem Bäuchlein aufgelöst, die ihm böse Bauchschmerzen einbrachten. Dadurch ging es ihm sofort wieder besser. Verstärkte die Abneigung gegen bestimmte ungesunde Pflanzen, so dass er diese nicht mehr fraß. Damit fertig, nahm ihn Rashida auf den Arm und setzte ihn auf den Boden zu seiner Mama. Ich hockte mich an die Wand und brauchte einige Minuten zur Erholung. Rashida kam zu mir und zog mich in ihren Arm. Besorgt sah sie mich an, denn sie hatte es selten erlebt, dass mich so ein kurzes Krantonak umwarf. Nach dem ich wieder zu mir kam, wollte sie nachharken. Ich schüttelte den Kopf und wir verließen den Raum. Ich war ihr dankbar, dass sie nicht schon wieder anfing, mit diesen sinnlosen Diskussionen. Davon hatte ich die Nase nämlich gestrichen voll. Katrin stand an die Wand gelehnt, ganz ängstlich sah sie mich an.
"Mam, es ist wieder alles in Ordnung, Mam. Es geht ihm wieder gut. Er wird auch nicht wieder etwas fressen, was nicht gut für ihn ist, Mam", beruhigte ich sie.
Erleichtert atmete sie auf. Jetzt erst sah ich mich hier richtig um. Es war wunderschön hier. Rashida lebte in einem Paradies. Auf einem Dreiseitenhof, der nach hinten einen riesigen Garten hatte, mit schönen alten Buchen. An der vorderen Seite, war ein Durchbruch eine Art Tor, durch den wir den Hof betreten hatten. Drei gepflegte Fachwerkhäuser bildeten den Hof, durchbrochen waren die weiß getünchten Fassaden, von dunkelbraunen Holzbalken. An den Fenstern waren dunkelbraune Holzladen, die man schließen konnte.
Rashida zeigt nach links. "Kahlyn, dort oben, wo die Laden geschlossen sind, dort ist mein Zimmer, soll ich dir das mal zeigen. Ich habe ein Zimmer für mich ganz alleine", berichtete sie mir stolz.
"Ja, das kannst du mir gleich zeigen. Aber erst möchte ich noch Katrin helfen. Damit sie keine Schmerzen mehr hat. Dann kann sie auch wieder besser laufen."
Rashida nickte, sie kannte mich schon mein ganzes Leben. Sie wusste genau, dass ich erst das wirklich Wichtige machte, bevor ich etwas tat, was mich interessierte. Ich ging also, auf die mir noch unbekannte Frau zu, die meine Hilfe braucht.
"Mam, darf ich mir ihren Rücken bitte einmal ansehen, Mam. Sie haben schlimme Schmerzen, das ist nicht gut, Mam."
Katrin sah mich traurig an. "Ja Kahlyn, ich habe heute wieder schlimme Schmerzen, aber dagegen kannst du nichts machen. Seit meinem Unfall vor achtzehn Jahren habe ich diese Schmerzen. Sie kommen von der Wirbelsäule", versuchte sie mir zu erklären.
"Mam, es tut ihnen doch nicht schaden, wenn ich mir das einmal genauer ansehe, bitte, Mam", verzweifelt sah ich zu Rashida. Ich brauchte ihre Hilfe, die Frau von Simon kannte mich ja nicht. Rashida allerdings wusste, dass ich vieles richten konnte.
Rashida begriff sofort, was ich meinte. "Katrin, vertraue Kahlyn einfach. Sie ist wirklich gut. Bitte, es wäre doch schön, wenn du nicht immer Schmerzen hättest", versuchte sie ihre neue Ziehmutter und Freundin zu überzeugen. Katrin hatte kein Vertrauen zu mir, wie denn auch, sie kannte mich gerade eine halbe Stunde.
"Rashida, hast du deinen Medi-Koffer hier?", fragte ich meine Freundin in der Verbindung.
"Ja, ich habe einen hier, der Doktor hat mir extra einen Dritten gegeben, damit ich den Koffer für Katrin nicht immer mitschleppen muss", erklärte sie mir.
"Was hältst du davon, wenn wir Katrin zu ihrem Glück zwingen. Sie vertraut mir nicht", schlug ich meiner besten Freundin in Gedanken vor.
Rashida war hin und her gerissen, zwischen dem Wunsch Katrin zu helfen und der Angst ihr Vertrauen zu verlieren. Ich konnte mir schon vorstellen, in was für einer Situation sie sich befand. Sie vertraute genauso selten jemanden, wie ich und hatten jetzt natürlich Angst, das kleine Glück, das sie gerade hier gefunden hatte, wieder zu verlieren. Rashida tat mir so leid. Deshalb wandte ich mich einfach direkt an Simon. Der war ja nur wenige Kilometer entfernt auf der Wache und die Verbindung machte es möglich, in dem ich eine Notfalltür öffnete. Ich wollte Rashida zu nichts zwingen, dass ihr bisschen Glück in Gefahr brachte. Vor allem wollte ich sie, in keinen Gewissenskonflikt stürzen. Ich ließ aber Rashida in der Verbindung mithören, was ich mit Simon besprechen würde. So dass sie sofort über alles Bescheid wusste.
"Simon, kann ich dich bitte einmal kurz stören?", bat ich ihn in der Verbindung.
"Wat is denn Jlene, is wat passiert?", fragte er sofort verwundert, aber auch erschrocken. "Is wat mit meener Fru?"
"Nein Simon, keine Angst es ist nichts passiert. Ich habe nur ein Problem. Ich weiß nicht, was ich machen soll und vor allem, wie ich es dir mit wenigen Worten erklären soll. Ich könnte deiner Frau helfen, damit sie keine Schmerzen mehr hat und wieder besser laufen kann. Aber sie kennt mich nicht, hat kein Vertrauen zu mir. Jetzt wollte ich dich fragen, ob ich sie schlafen legen kann. Dann bringe ich das in Ordnung, was die Schmerzen verursacht. Wenn sie zu sich kommt, dann hat sie allerdings ein paar Tage Kopfweh."
Simon war völlig durcheinander. "Wie du jannst ihr helfen? Wirklich?"
"Ja Simon, das kann ich."
Eine ganze Weile war Ruhe. Simon war hin und her gerissen, zwischen dem Wunsch, dass es seine Frau endlich wieder etwas besser geht. Dennoch bereitete es ihm Kopfschmerzen, es gegen ihren Willen durchzusetzen.
"Kahlyn, machs eenfach, die Schmerzen sin in den letzten Wochen wieder elende schlimm jeworden. Katrin jann manchmal jaum noch lofen. Aber jeen Arzt jann ihr helfen. Ick jann sie net mehr leeden sehn. Dat jeht jetzt schon achtzehn Jahr so, sie hat jenug jelitten."
"In Ordnung Simon. Ich versuche mit ihr noch einmal zu reden, wenn sie dann immer noch nein sagt, lege ich sie schlafen. Dann helfe ich ihr gegen ihren Willen."
"Rashida, hast du mit gehört", erkundige ich mich bei meiner besten Freundin. Sie schenkte mir ihr schönstes Lächeln und nickte. Wir gingen hinein in die Küche zu Katrin, die schon vorgegangen war und setzten uns an den Tisch.
"Mam, darf ich sie etwas fragen, Mam?"
Katrin sah mich lächelnd an. "Natürlich Kahlyn", gab sie mir sofort Antwort.
"Mam, wenn sie weniger Schmerzen hätten, wäre das nicht gut, Mam."
Katrin sah verzweifelt zu ihrer Ziehtochter. "Rashida hat mir gezeigt, wie ich mich selber spritzen kann. Damit die Schmerzen nicht so schlimm sind."
Ich wusste, dass ich sehr vorsichtig vorgehen musste, um ihr Vertrauen zu gewinnen. "Mam, aber heute hilft die Spritze nicht richtig. Sie haben trotz der Spritze noch schlimmere Schmerzen, als sonst. Stimmt das, Mam?"
Katrin nickte traurig, ihre Augen wurden ganz feucht, von den Tränen die sich darin sammelten. "Ja Kahlyn, heute sind die Schmerzen wieder einmal besonders schlimm. Ich weiß nur nicht warum?"
Rashida ging zu Katrin, die anfing zu weinen. Die Schmerzen waren wohl noch schlimmer, als ich ahnte. "Mam, das ist normal. Ein Nerv ist zwischen zwei Wirbeln eingeklemmt, Mam. Er ist entzündet, dadurch haben sie die schlimmen Schmerzen, Mam. Ich könnte etwas dagegen tun. So dass sie in ein paar Tagen völlig schmerzfrei wären, Mam. Fragen sie Rashida, wenn sie mir nicht vertrauen. Unser Doko, konnte gar nicht mehr laufen, nach dem der Oberstleutnant ihn zusammen geschlagen hatte, vor drei Jahren. Alle Ärzte hatten ihm gesagt, er muss für den Rest seines Lebens im Rollstuhl sitzen. Oh, die Dika hat so geweint, Mam. Aber ich habe ihn wieder hin bekommen. Er kann zwar keinen Sport mehr machen, weil das zu gefährlich wäre, aber kann wieder laufen und das ohne Schmerzen, Mam."
Katrin sah mich ungläubig an.
"Mam, bitte vertrauen sie mir, nur dieses eine Mal. Ich würde nie etwas tun, was ihr Leben gefährdet. Oder wenn ich mir nicht sicher wäre, wirklich nicht. Ich will ihnen doch nur helfen, Mam."
"Kahlyn, ich habe Angst, dass ich danach gar nicht mehr laufen kann", gestand sie mir ängstlich.
Ich ging auf sie zu und setzte mich einfach auf den Stuhl neben sie und schaute sie offen an. Ich konnte ihre Angst schon nachvollziehen. "Mam, versuchen sie doch einfach mal logisch zu denken. Rashida ist nicht nur ein ehemaliges Teammitglied, Mam. Ich könnte ihr das gar nicht antun, denn sie ist mein ganzes Leben lang, schon meine beste Freundin. Sie ist so froh, dass sie jetzt eine Familie hat, glauben sie wirklich, ich würde das zerstören. Wissen sie, Mam, die Schmerzen kommen von dem Nerv, unterhalb des Querfortsatzes, des Thorakale Wirbels, Th1 und 2, wenn sich diese Wirbel sich noch mehr verschieben, sind sie wirklich eines Tages querschnittsgelähmt, Mam. Einmal einen der Hunde falsch hochgehoben, schon ist es vorbei. Das will ich verhindern. Ich verspreche ihnen, dass es nicht weh tut. Nur werden sie ein paar Tage ein wenig Kopfschmerz haben. Aber dagegen kann ich ihnen etwas geben. Sie müssen sich auch ein paar Tage schonen, Mam. Aber dann ist wieder alles in Ordnung, fast so wie vor ihren Unfall. Ich will doch nur, dass es ihnen wieder besser geht. Denn dann weiß ich, dass es auch meiner Rashida noch besser geht, Mam."
Katrin, sah Rashida an, die nickte ihr aufmunternd zu. "Also gut mach es. Auch wenn ich wahnsinnige Angst davor haben, Kahlyn."
Ich war froh, das Katrin mir ein wenige vertraute. "Rashida, du musst mir helfen, bitte. Räume den Tisch ab, könnt ihr es hier dunkel machen?"
Katrin sah mich fragend an.
"Mam, ich kann im dunklen besser sehen, als im Hellen, Mam."
"Täubchen, ich mache die Laden zu, das müsste genügen", gab mir Rashida zur Antwort.
"Also los. Damit Katrin es hinter sich hat. Ich brauche den Medi-Koffer", forderte ich in einem freundlichen Ton, von Rashida. Da ich ja keinen dabei hatte, denn der stand auf der Wache in Forst. Schnell hatten wir den Tisch freigeräumt und die Fensterläden geschlossen. Rashida stellte den Medi-Koffer auf den Tisch. Ich setzte die Brille ab. Katrin schrak zurück. Verwirrt sah ich Rashida an.
"Äähh Täubchen, Katrin hat meine Augen noch nicht gesehen", entschuldigte sie sich traurig.
"Entschuldigen sie, Mam. Ich dachte sie kennen unsere Augen. Sie brauchen keine Angst haben. Was ich mit ihnen mache spüren sie nicht. Wirklich nicht, vertrauen sie mir einfach, Mam."
Katrin hatte sich allerdings schon von dem Schreck erholt. "Du hast schöne Augen, Kahlyn", gestand sie mir leise, dass meine Augen ihr gefielen.
"Ich weiß Mam. Rashida, hat auch so schöne Augen, setzen sie sich bitte auf den Tisch und ziehen sie das Oberteil aus. Rashida, du hältst bitte Katrin fest."
Rashida stellte sich vor Katrin, um ihr in dieser vollkommenen Dunkelheit etwas Sicherheit zu geben. Ich ging zu der kleine Lampe, mache das letzte Licht aus. Von hinten ging ich auf Katrin zu, nickte kurz, als Zeichen für Rashida. So dass meine Freundin Bescheid wusste, dass ich Katrin jetzt schlafen lege. Sofort griff ich Katrin in den Nacken, diese kippte auf Rashida zu und wurde von ihr aufgefangen. Zusammen legten wir Katrin auf den Bauch, mit dem Skalpell machte ich einen kleinen Schnitt im oberen Bereich der Thorakale Wirbel, der Brustwirbelsäule, um diesen winzig kleinen Knochensplitter, der eine der Ursachen für Katrins Schmerzen war, zu entfernen. Dieser steckte zwischen den Th3 und Th4 Wirbeln und hatte sich verkapselt. Wahrscheinlich war dieser von Dornfortsatz abgesplittert. Danach begann ich mit Rashidas Hilfe, die Wirbelsäule vorsichtig zu strecken, schon sprang der eingeklemmte Nerv heraus. Mit Hilfe von etwas Verurat, einem sich selbstauflösendes Material, verhinderte ich, dass der Nerv in den nächsten Wochen wieder zurück rutschte. Auch sicherte ich eine abgeklemmte Arterie, mit einem aufgeschnitten Vendurat, das sind Röhrchen die sich wie das Verurat nach einer gewissen Zeit selber auflösen. Nach der Auflösung dieses Materials, hatte sich Katrins Körper schon wieder so weit geheilt, dass das nicht mehr passieren würde. Nach acht Minuten, hatte ich die kleine notwendige Operation abgeschlossen. Legte Katrin allerdings, um in Ruhe arbeiten zu können, noch ein zweites Mal schlafen. So konnte ich die Behandlung abzuschließen. Sofort begann ich mit dem Krantonak, heilte die Entzündungen aus, auch das bereits beschädigte Rückenmarksgewebe, das durch das ständige verrutschen der Wirbel immer mehr beschädigt wurde. Ich war froh, dass ich das heute tun konnte, denn lange wäre dies nicht mehr gut gegangen. Katrin hatte verdammtes Glück gehabt, noch ein oder zweimal etwas Schweres gehoben und sie wäre querschnittsgelähmt gewesen. Auch den kleinen Schnitt, den ich machen musste heilte ich aus. So dass Katrin keine Narbe zurück behalten würde. Ich verstärkte die Bänder und die Muskeln, die von dem Dornfortsatz abgingen. So dass sie einen besseren Halt für die Wirbelsäule bieten konnte. Durch die Verstärkung der Muskulatur, würde im Laufe der nächsten Wochen, eine wesentliche Verbesserung der Haltung eintreten. In der Verbindung bat ich Rashida, dafür zu sorgen, dass Katrin noch etwas liegen blieb. Nach weiteren zehn Minuten, hatte ich es geschafft. Ich war froh, alles wieder richten zu können. Ich war fertig als Katrin munter wurde. Fast zeitgleich mit dem Erwachen Katrins, kippte ich seitlich weg. Wie immer, wenn ich das Krantonak so intensiv einsetzte, darauf hatte ich einfach keinen Einfluss. Fast achtzehn Minuten brauchte ich, um wieder zu mir zu kommen. In der Zwischenzeit kümmerte sich Rashida, um die völlig panische Katrin. Sie erklärte ihr, was mit mir los war. Kaum, dass ich wieder zu mir gekommen war, halfen wir Katrin vorsichtig auf.
"Mam, ich möchte noch eine Kleinigkeit für sie tun. Bitte bleiben sie noch einen Moment sitzen, Mam."
Ich ging in die Verbindung, um meine beste Freundin etwas zu fragen, was mir gerade einfiel.
"Rashida, was hältst du davon die Verbindung auch Katrin zu geben?", wollte ich von ihr wissen und macht ihr damit einen Vorschlag, von dem ich wusste, dass sie ihn niemals ablehnen würde. Ein Strahlen, legte sich auf Rashidas Gesicht.
"Kahlyn, das wäre schön. Ich mache mir oft Sorgen um sie. Katrin, musst du wissen, wohnt hier praktisch alleine, wenn Simon und ich im Dienst sind. Es sind zwar immer die Hunde da, die sie beschütze könnten. Was ist, wenn sie einmal stürzt? Nur im Winter ist sie hier nicht allein. Da ihre Eltern dann auch hier wohnen, solange das Wetter allerdings schön ist, wohnen die auf einem Zeltplatz."
"Geht in Ordnung, Rashida", gab ich ihr zur Antwort und setzte ich mich einfach auf den Tisch. "Mam, könnten sie sich bitte im Schneidersitz mir gegenüber setzten, bitte Mam."
Simons Frau sah mich fragend an.
Rashida meinte einfach. "Katrin, mach es einfach. Es wird dir bestimmt gefallen. Keine Angst es tut nicht mehr weh, als das, was Kahlyn gerade mit dir gemacht hat", lachend sah sie die Frau von ihrem Chef an.
"In Ordnung, wenn ich das schaffe", vorsichtig setzte sich Katrin auf den Tisch in den Schneidersitz und war erstaunt, dass sie sich so gut bewegen konnte. Vor allem, dass sie keine Schmerzen mehr hatte.
"Wieso…?"
Weiter ließ ich sie nicht reden. "Mam, bitte lassen sie uns erst fertig machen. Ich muss gleich wieder in die Wache zurück, Mam."
Ich atmete mich tief in mein Qi und ergriff ihre Hände, rückte soweit an sie heran, dass ihre Hände auf meinen Knien lagen. "Mam, bitte versuchen sie in meinem Atemrhythmus zu kommen, Mam."
Schnell hatte sie meinen Rhythmus gefunden. Ich ging in das Jawefan. Nahm ihr die Kopfschmerzen auf diese Weise, da musste ich sie nicht spritzen, denn sie hatte schon genug Schmerzmittel intus. Über das Jawefan, brachte ich Katrin unsere Sprache, die körperliche Selbstkontrolle bei, wie sie Fieber senken konnte, die Schmerzkontrolle, auch das schnelle Schlafen, das Taiji, das Fobnekotar, aber auch das Kun-Fu, damit sie sich im Notfall verteidigen konnte. Im Anschluss hielt ich sie noch einige Minuten länger im Jawefan, damit sie sich etwas erholen konnte. Ich spürte ihre Müdigkeit. Katrin schien seit Wochen, kaum noch geschlafen zu haben. Wahrscheinlich hatten sie die ganze Zeit die Schmerzen nicht schlafen lassen. Na ja das würde jetzt besser werden und Katrin konnte sich jetzt schnell erholen. Ich zeigte ihr noch im Jawefan wie sie in der Verbindung die Türen öffnen und schließen konnte. Brachte ihr aber auch das Öffnen einer Notfalltür bei. Als ich damit fertig war, ging ich ganz langsam und behutsam, aus dem Jawefan und weckte Katrin auf. Nach nur zwanzig Minuten beendete ich das Jawefan und fünf Minuten später erwachte Katrin gut erholt.
"Mam, wie geht es ihnen, Mam", wollte ich von ihr wissen, um einschätzen zu können, ob ich ihr doch noch etwas gegen die Schmerzen spritzen musste.
Katrin sah mich entgeistert an. "Was hast du mit mir gemacht, Kahlyn? So gut ging es mir seit dem Unfall, vor achtzehn Jahren nicht mehr. Ich fühle mich, wie ein neuer Mensch." Erfreut beugte sie sich zu mir und gab mir einfach einen Kuss auf die Stirn. "Danke Kahlyn."
Ich wollte allerdings noch von ihr wissen, ob sie Kopfschmerzen hatte. "Mam, haben sie Kopfschmerzen, Mam?", ich sah sie forschend an und musterte sie genau.
"Kahlyn, ein ganz klein wenig. Aber es ist nicht schlimm, damit kann ich leben."
Ich war da allerdings anderer Meinung. Katrin hatte genug Schmerzen für alle Zeiten ertragen müssen. Deshalb griff ich hinter mich, wo der Medi-Koffer stand und holte mir den Ampullen-Koffer heraus. Zog eine Injektion mit B97 auf, einem Schmerzmittel mit einer Langzeitwirkung von drei Tagen. "Mam, ich gebe ihnen noch eine kleine Injektion, dann haben sie keine Kopfschmerzen mehr. Dann ist alles wieder in Ordnung. Aber bitte, sie müssen noch mindestens vierzehn Tagen sehr vorsichtig sein. Dann können sie wieder alles machen, was sie wollen. Aber die nächsten vierzehn Tagen, dürfen sie wirklich nichts Schweres heben bitte, auch die Hunde nicht, Mam."
Katrin nickte verstehend und stand vorsichtig auf. Verwundert sah sie mich an. "Es tut nichts mehr weh, gar nichts mehr."
Ich lachte in der Verbindung und sagte ich zu Rashida, "Bitte mache die Fensterläden wieder auf. Wir sollte auch Simon Bescheid sagen, dass es Katrin gut geht. Vielleicht sollten sie das selber machen, Mam?", machte ich einen Vorschlag in der Verbindung zu Katrin, die schaute mich an, wie einen Alien. "Ja Mam, sie können meine Gedanken hören. Das ist mein kleines Geschenk an sie. Dann können sie im Notfall um Hilfe rufen. Auch wenn sie nicht mehr an ein Telefon heran kommen. Sie öffnen…" Genau erklärte ich ihr wie sie eine Notfalltür öffnen konnte. Zeigte ihr, wie sie bei Simon, anklopfte, fast sofort klappte es. Die Verbindung zu Simon war offen, Katrin konnte ihren Mann erzählen, dass es ihr gut ging und er konnte das auch spüren. Ich sprach aber noch eine Warnung aus, um Schaden von Simon abzuwenden. "Mam, bitte nutzen sie diese Verbindung nur im Notfall. Da ihr Mann nicht dran gewöhnt ist, lenkt es ihn von der Arbeit ab. Also sollten sie lieber immer bei Rashida, um Hilfe rufen. Sie kann auch im Kampf, mit der Verbindung arbeiten. Wir sind das seit klein auf gewohnt."
Meine Rashida war glücklich, darüber freut mich riesig. Ich wusste ja nur zu genau, wie einsam sie war. Katrin war zwar noch etwas verwirrt, allerdings würde sie sich schnell an die Verbindung gewöhnen. Vor allem war sie jetzt hier draußen, fern ab von den Menschen, nicht mehr so einsam, dass beruhigte nicht nur Rashida und Simon, sondern auch mich.
Zufrieden mit dem Ergebnis, mit einer glücklichen Rashida und Katrin, räumten wir die Küche wieder auf. Kaum dass wir fertig damit waren, wollte nun Rashida ihr Recht einfordern.
"Täubchen, komm mit. Ich zeige dir jetzt endlich einmal mein Zimmer", bat Rashida mich.
Freudig fasste sie meine Hand und zog mich einfach hinter sich her. Wir liefen einen Treppe nach oben und einen langen Flur entlang und kamen zu einer Tür, an der mit feinen Pinsel geschrieben stand. „Hier wohnt unser Engel Rashida“. Verwundert sah ich meine Freundin an.
"Das hat Katrin für mich gemacht, Täubchen. Als ihr Simon sagte, dass er mich in den freien Tagen mit hierher bringen wollte, hat Katrin mir das Zimmer eingerichtet. Deshalb tat ihr Rücken auch so weh. Sie hat sich total übernommen. Schau mal, wie schön sie das gemacht hat."
Wir betraten Rashidas Zimmer. Es war stockdunkel hier drinnen. Die Wände, aber auch die Decke, waren mit dunkelblauer Farbe gestrichen. An der Decke waren lauter weiße Sterne. Ich setzte die Brille ab, da wir hier keine Brille brauchten. Hier stand ein Schrank, aus dunkelbraunem Holz der zwei Türen hatte. Daneben stand ein ebensolches Regal mit lauter Büchern. An der Wand gegenüber, befand sich ein großer dunkelbrauner Schreibtisch, mit vielen Ablagemöglichkeiten für Stifte und Blöcke. Am Fenster jedoch, war ein großes Bett, bezogen mit dunkelroter Bettwäsche die eine helle Borte hatte. An der Wand waren Gräser, Blumen und Bäume in weißer, gelber, rosa Farbe gemalt. Dadurch, dass wir Farben anders wahrnahmen, als normale Menschen, wenn wir keine Brillen aufhatten, machte es den Eindruck, als wenn diese leuchten oder als wenn sie lebten. Es war einfach wunderschön hier, vor dem Bett lag ein weißes Fell. Daneben stand ein Körbchen mit einem Kissen, darin lag ein Ball. Verwundert sah ich zu Rashida.
"Für, was ist das?", wollte ich neugierig, wie ich nun einmal war, von meiner Freundin wissen.
"Das ist für Max, den kleinen Hund, den du heute geheilt hast, Täubchen. Du musst wissen, den hat mir Katrin geschenkt. Er gehört mir allein", erklärte mir Rashida lachend, aber auch ein wenig verlegen.
Ich war fassungslos. "Du hast… du hast… ein… ein, einen Hund, für dich ganz alleine. Ach ist das schön. Dann musst du ihn gut erziehen. Ich sage Max dann, dass er ganz brav sein soll. Dass er immer gut auf dich aufpassen muss."
Ich fiel Rashida um den Hals und freute mich, dass sie so ein Glück hat. Das ließ mich auch, für meine anderen Freunde hoffen. Vielleicht hatte ich nicht nur allein so ein Glück, auf meiner Wache. Sondern allen anderen, ging es so gut, wie Rashida und mir.
"Hier wäre ich auch glücklich, Rashida. Aber ich bekomme demnächst auch ein Zimmer bei Rudi. Bis jetzt war alles noch etwas provisorisch, da ich erst nicht zu den Runges wollte. Aber das ist eine lange Geschichte", erklärte ich Rashida.
"Komm Täubchen, gehen wir nach unten zu Katrin. Die freut sich auch, dass sie einmal Besuch hat und wenn sie nicht so viel alleine ist."
Rashida ging zur Tür und ich folgte ihr, setzte meine Brille wieder auf.
"Du hast es schön hier, richtig schön", musste ich noch los werden, folgte ihr nach unten in die Küche.
Dort fanden wir Katrin, die gerade die Welpen fütterte. Plötzlich kam mir einen Idee, aber ich traute mich nicht zu fragen. Ich setzte mich auf den Boden und sah den Welpen beim Futtern zu. Katrin beobachtete mich genau. Rashida jedoch sah den Kampf, den ich mit mir kämpfte.
"Täubchen, was ist los? Dir geht doch etwas durch den Kopf. Raus mit der Sprache."
Ich druckste herum.
"Komm schon Täubchen, was ist los?"
Verlegen sah ich Rashida an. "Ach es ist nichts weiter, Rashida. Ich musste nur gerade an Tim denken. Das ist der kleinste Sohn von Jo und Viola. Der wünschte sich auch einen Hund. Allerdings konnte er nie einen bekommen, weil er so schwer krank war. Jetzt ist er aber gesund und hat Geburtstag. Ich überlege gerade, ob ich ihm einen Hund schenken soll. Aber ich habe doch gar kein Geld. Tina hat mir aber erklärt, dass alles seinen Preis hat und man ohne Geld nichts kaufen kann. Jedenfalls kann ich nichts für ihn bezahlen", verlegen sah ich zu Rashida hoch.
Katrin musterte mich intensiv. "Kahlyn, du würdest auch gern einen Hund haben, stimmt's?", neckte sie mich ein wenig.
Sie hatte mich ja schon im Hof beobachtete, wie gut ich mit den Hunden umgehen konnte. Vor allem sah sie wie gut die Hunde ihrer Rashida taten und konnte sich gut vorstellen, dass das bei mir nicht anders sein würde.
"Mam, ich habe überhaupt gar keine Zeit für einen Hund. Ich bin doch oft nicht da. Das könnte ich so einem Tier gar nicht antun, Mam", erklärte ich Katrin offen, dass es nicht ginge, dass ich einen Hund zu mir nehmen könnte. Auch, wenn ich mir noch so sehr einen wünschte. "Mam, auch wenn ich wollte, ich könnte nicht, Mam."
"Kahlyn, sag mal, was hältst du von dem Vorschlag, deinem kleinen Freund Tim, ein Hündchen zu schenken. Dann hättest du auch einen Hund. Der Stromer ist schon alt genug, den könntest du gleich mitnehmen."
Verwirrt sah ich zu Katrin, aber auch zu Rashida. "Ich glaube das wäre keine so gute Idee. Das kann ich nicht machen. Ich bin doch nur Gast bei den Runges. Ich sag ja es ist eine blöde Idee, vergessen wir die Frage einfach. Das kann ich dem Hund nicht antun, denn ihm soll es ja gut gehen. Ein Hund bedeutet sehr viel Verantwortung. Ich weiß nicht einmal, ob die Runges überhaupt einen Hund wollen. Ob die überhaupt Hunde mögen. Ich bin ja mindestens sechs von neun Wochen nicht da. Ich weiß auch gar nicht, wie ich den Hund bezahlen soll. Ich habe doch kein Geld", versuchte ich meinen inneren Kampf zu erklären.
Rashida entschied wie so oft in solchen Situationen, wenn es um mich selber ging, für mich. In solchen Situationen, war ich oft völlig überfordert. Ich hatte noch nie auf meine Wünsche gehört. Rashida ging einfach hinaus auf den Hof und suchte Stromer. Dabei öffnete sie eine Notfalltür zu Rudi.
"Rudi, hast du einen Moment Zeit?", bat sie ihn der Verbindung, um ein Gespräch mit meinen Chef und besten Freund.
"Natürlich Rashida, was ist? Geht es meiner Kleenen wieder nicht gut?"
"Nein Rudi, ihr geht es sehr gut. Sie ist so glücklich hier. Aber sie kämpft einen Kampf mit sich. Ich weiß sie würde niemals fragen. Weißt du ob die Runges, wo ihr wohnt etwas gegen einen Hund hätten?", steuerte sie sofort, in die richtige Richtung.
"Rashida, die Runges lieben Tiere. Die wollten schon seit langer Zeit, einen Hund oder besser zwei oder drei Hunde kaufen. Es ging leider nicht. Wegen dem jüngsten Sohn, weil der schwer krank war. Warum fragst du?"
Rashida freute sich. "Rudi, Katrin möchte Kahlyn einen Hund schenken, aber sie traut sich das nicht zu machen, weil es die Hunde ja auch gut haben müssen."
Rudi lachte. "Einen besseren Platz könnten sich die Hunde nicht wünschen. Ihr müsst halt sagen, was ihr für die Hunde bekommt, ich überweise das Geld dann", erklärte er kurzerhand.
"Danke Rudi, ich rede mit Katrin", kurz entschlossen nahm Rashida Stromer und Struppi mit in die Küche. "Katrin, schaue bitte einmal. Das sind doch die Beiden, die wir nicht vermittelt bekommen, weil sie nicht in der Züchternorm liegen."
Katrin nickte breit grinsend, in der Zwischenzeit öffnete Rashida eine Verbindung nur zu Katrin.
"Katrin, ich habe gerade mit Rudi gesprochen, den zukünftigen Adoptivvater von Kahlyn. Er sagte die Runges sind totale Hundenarren. Können wir die beiden nicht zu den Runges geben. Einen für Jo und Tim und einen nur für Kahlyn?"
Katrin lachte. "Natürlich, dann weiß ich die Beiden in guten Händen. Kahlyn würde nie zulassen, dass es den Beiden schlecht geht."
Freudig setzte Rashida die beiden Ausreißer an den Futternapf und ging auch noch die anderen Welpen suchen, die noch nichts gefressen hatten.
"Katrin, schau mal, was Max macht", sagte ich, als ich den kleinen Hund von Rashida beobachtend. Der hob gerade sein Beinchen, strullerte einfach in die Küche. Katrin schüttelte den Kopf, ging auf Max zu und stupste ihn mit seinem Näschen in die Pfütze. Sie schimpfte ihn aus und drückte ihn mir in die Hand.
"Max, das darfst du nicht machen", erklärte ich dem Welpen.
Max leckte mir das Gesicht. Ich knurrte ihn kurz an, schon zog er das Schwänchen zwischen die Beine. Er hatte verstanden, dass er das nicht machen durfte. Katrin wischte in der Zwischenzeit die Pfütze weg. So konnte Max weiter fressen. Ich stand auf und ging zu Katrin und Rashida an den Küchentisch.
"Ach ihr habt es schön hier", murmelte ich für mich, ganz verträumt auf die Hunde schauend. Lange unterhielten wir uns, über die letzten acht Wochen. Was wir erlebt hatten und wie wir Freunde fanden. Auf einmal haute sich Katrin an den Kopf, dass es nur so knallte.
"Mädels, jetzt hätten wir das Wichtigste fast vergessen. Kommt ich hole die Kameras, dann kann ich ein paar schöne Fotos von euch machen. Vielleicht könntet ihr mal kurz auch im Hellen die Brillen absetzen, dann mach ich einmal ein von euch ein Foto ohne die Brillen. Damit stand sie auf und lief aus dem Raum. Keine Minute später kam sie mit zwei Kameras wieder. Sie sagte uns wie wir uns hinstellen sollen. Machte abwechselnd mit der Polaroid und mit der normalen Kamera Fotos. Zum Schluss jedoch sollten wir uns auf dem Boden legen. Katrin holte eine Hundepfeife und gab so den Hunden das Signal, zum Sammeln. Dann setzte sie alle Hunde neben und die Welpen auf uns drauf und schoss auch so ein paar Fotos. Damit fertig rief sie uns zu sich, an den Küchentisch. Dort lagen fünfzehn wunderschöne Fotos, mit meiner besten Freundin und mir. Die Polaroid Fotos legte sie alle auf einen Haufen und holte einen Bilderrahmen der an der Wand lehnte. Konzentriert begann Katrin damit, die Fotos zu sortieren. Dann nahm sie ein Blatt Papier und klebte die schönsten davon darauf. Mit einer wunderschönen Schrift, Feder und Tinte, schrieb sie in einer Kaligraphie, also Zierschriftart. "Kahlyn’s erster Besuch." Dann begann sie das Blatt zu verzieren.
"Mam, sie können aber schön zeichnen. Oh das sieht schön aus, Mam", lobte ich sie anerkennend.
Katrin sah mich strahlend an. "Ach Kahlyn, du musst nicht immer Mam zu mir sagen. Könntest du nicht, wie deine Freundin auch Katrin zu mir sagen, das wäre viel schöner. Ich würde auch gern deine Freundin sein", bat sie leise, unterbrach aber ihre Arbeit nicht. "Es stimmt ich kann ziemlich gut zeichnen. Du musst wissen, ich bin Zeichner in Babelsberg gewesen. Bevor ich den Unfall hatte. Seit dem Unfall konnte ich leider nicht mehr arbeiten, weil ich nicht mehr lange sitzen konnte. Also ich habe mich jetzt auf die Hundezucht spezialisiert, das ist auch eine schöne Arbeit. Die ich genauso gern mache, wie das zeichnen", erklärte sie mir. Ich kämpfte einen inneren Kampf mit mir, ob ich wirklich Katrin sagen sollte. Mir fiel es immer noch schwer, diese persönliche Anrede mit Namen zu benutzen. Vorsichtig schielte ich zu Rashida, diese nickte mir aufmunternd zu.
"Katrin, was ist Babelsberg?", fragte ich jetzt einfach. Ich hatte es satt immer gemaßregelt zu werden, weil ich so förmlich war.
"Wie meinst du das Kahlyn?", wollte sie von mir wissen und zeichnete immer noch weiter.
Rashida brachte uns für alle noch einmal Kaffee.
"Du hattest gesagt, du warst Zeichner in Babelsberg. Was bedeutet das?", erklärte ich, dass ich nicht verstanden hatte, um was es da ging.
Da auch Rashida nicht wusste, was damit gemeint war.
"Ach Mädels, immer denke ich nicht daran, dass ihr vieles gar nicht kennt. Ich habe geholfen Zeichentrickfilme herzustellen. Habe beim Sandmännchen und viele der Figuren entworfen", erklärte Katrin uns. Wir sahen uns immer verwirrt an.
"Was ist das?", fragte dieses Mal Rashida.
"Das Sandmännchen. Ihr kennt das Sandmännchen nicht? Jedes Kinder auf der Welt kennt das Sandmännchen", wiedersprach Katrin jetzt.
Wir schüttelten beide den Kopf.
"Das müsst ihr aber ändern, ich werde Simon dann mal anrufen, dass du in der Wache mal das Sandmännchen schauen kannst. Das bringt doch alle Kinder ins Bett. Habt ihr das nie gesehen."
Wir schütteln wieder beide den Kopf. "Uns hat nie jemand ins Bett gebracht", erklärte ich ihr ernst.
Katrin sah mich traurig an. Begann auf einem neuen Blatt Papier, einen Kreis zu malen. Dann kamen eine spitze nach obenstehender Mütze und ein langer Mantel und ein Cap. Nach einigen Minuten war auf den Blatt ein kleiner Mann entstanden mit Knopfaugen, Bart, Zipfelmütze, Stiefeln und einen Rucksack. "Seht mal, das ist der Sandmann. Der kommt immer mit einem Sack voll Schlafsand und bringt den Kindern schöne Träume. Mal kommt er mit dem Flugzeug, mal mit einem Schlitten, mal mit einem Heli, mal zu Fuß oder mit einem Motorrad. Er erzählt den Kindern Geschichten. Danach gehen die kleinen Kinder immer schlafen", traurig sah Katrin uns an.
"Dann kennt der uns nicht", sagte ich einfach, was ich dachte.
"Warum nicht?", fragte Katrin jetzt nach und sah mich interessiert an.
"Weil uns nie jemand schöne Träume gebracht hat", gab Rashida zur Antwort und ich nickte.
Katrin sah auf einmal ganz traurig aus.
"Ach das ist nicht schlimm Katrin, es gibt Schlimmeres. Aber vielleicht frage ich einmal Viola, ob sie mir das zeigen kann", sprach ich im lockeren Ton.
Katrin stand auf und ging um den Tisch herum. "Bitte Kahlyn, das ist ein kleines Geschenk von Rashida und von mir. Damit überreicht sie mir den Bilderrahmen mit den Fotos.
"Das ist für mich?", erstaunt sah ich Katrin an.
"Ja meine Kleine."
Ich stand auf und nahm die fast einen halben Kopf größere Katrin, in den Arm und drückte sie.
"Danke", bedankte ich mich leise, mit einer eigenartigen Stimme. Tränen liefen aus meinen Augen, ich konnte nichts dagegen tun. "Aber warum, schenkst du mir das? Du kennst mich doch gar nicht", wollte ich von Katrin schluchzend wissen. Weil ich nicht verstand, dass ich von einem völlig fremden Menschen, ein so schönes Geschenk erhielt.
"Kahlyn, du bist die bester Freundin von Rashida. Damit gehörst du praktisch zur Familie. Man könnte ja fast sagen, dass ihr Schwestern seid. Als gehörst du sowieso dazu", erstaunt sah ich sie an.
Eigentlich hatte sie ja Recht. Ich hielt den Kopf etwas schräg, dann lachte und weinte gleichzeitig. "Du hast Recht. Sieh uns an, wir sind ja eigentlich Geschwister. Wir kommen beide aus der Serie 9. Vielleicht haben wir sogar genetisch, gleiche Eltern?", schniefend sah ich Rashida an, die lachte. "Weißt du was Rashida, ich nehme mal ein Haar von dir mit und frage mal Doko Karpo, ob ich das mal testen kann. Vielleicht sind wir wirklich Schwestern."
Rashida gab mir einen Kuss. "Klar sind wir das, guck uns doch an. Wir gleichen uns auf das Haar genau. Nur bist du zu heiß gebadet wurden. Du bist eingelaufen", plötzlich fing Rashida schallend an zu lachen.
"Du hast schon Recht", stimmte ich leise zu.
Nahm mir einfach den Block der auf den Tisch lag und zeichnete für Tim und Jo zwei Bilder, dann noch ein drittes für Katrin, in dem ich Rashida und mich darauf malte und zwischen uns den Max. Dann noch eins für meine beste Freundin Rashida. Wo nur wir zwei darauf waren. Nebenher erzählten mir Katrin und Rashida, was sie in Berlin erlebt hatten, beim Einkaufen der Sachen. Das war schon lustig. Aber auch von dem Schock den Rashida bekam, als sie die erste Puppe sah. Ich sah auf die Uhr, die an der Küchenwand hing, die Zeit war wie im Flug vergangen. Am liebsten würde ich noch ganz lange hier bleiben. Aber leider mussten wir wieder los. Es war schon kurz vor 16 Uhr.
"Rashida, der Toniwagen kommt gleich. Wir müssen los", wies ich meine Freundin darauf hin, dass wir gleich gehen mussten.
Katrin guckte ganz traurig. "Kahlyn, kommst du uns wieder einmal besuchen. Du kannst auch mal mit dem Zug kommen. Wenn Rudi keine Zeit hat. Oder aber, du bringst einfach Rudi mit, er gehört ja auch zur Familie."
Ich zuckte mit den Schultern und nickte dann doch. "Ach ich komme euch bestimmt wieder einmal Besuchen. Vielleicht haben wir ja auch mal zusammen Frei", erklärte ich den Beiden traurig.
Katrin erhob sich und lief in ein Nachbarzimmer, kam mit zwei Paketen zurück. "So meine liebe Kahlyn. Ich möchte mich bei dir ganz sehr bedanken. Für das, was du heute mit mir gemacht hast. Mit Rudi ist das abgesprochen, du musst keine Angst haben oder dir wegen den Runges Gedanken machen", breit grinsend, öffnete sie das erste Paket auf dem Struppi stand. "Hier drin, ist der Impfausweis von Struppi, seine Decke und sein Spielzeug. Auch habe ich dir hier Leine und ein Halsband hineingetan. Das zweite Paket, ist für deinen Jo und Tim. Da hast du etwas Wunderschönes zum Geburtstag für die Beiden. Der Stromer wird Struppi begleiten."
Völlig aus dem Häuschen sah ich Katrin an. "Ich kann... ich kann… doch nicht…" Stotterte ich herum. Katrin, nahm mich einfach in den Arm. "Doch meine Kleine, du kannst. Die beiden Hunde schenke ich dir. Nicht nur weil du mich gesund gemacht hast. Ich möchte, dass du glücklich bist. Ich sehe doch, wie sehr du dir einen Hund wünschst. Deshalb habe ich das mit Simon besprochen, der ist auch der Meinung, dass es richtig ist. Pass mir auf die Beiden gut auf", sagte sie mit einer eigenartigen Stimme, man merkte, dass ihr die Trennung von den Hunden schwer fiel.
"Das kann ich nicht annehmen. Dann bist du traurig", erklärte ich leise.
Katrin schüttelte den Kopf. "Kahlyn, ich bin immer etwas traurig, wenn ich die Hunde weggebe. Sieh mal ich habe mich fünfzehn Wochen, um die Kleinen gekümmert. Da wachsen die einen ans Herz. Aber bei dir weiß ich, dass sie in guten Händen sind."
Ich starrte Katrin an.
Katrin bückte sich holt Struppi nach oben. "Struppi, ist der mit den weißen Ohrspitzen. Das ist ein Merkmal, dass diese Hunderasse nicht haben darf. Es ist ein kleiner Fehler. Aber ich denke dir ist das egal. Stromer hat eine weiße Schwanzspitze. Aber passe gut auf die beiden auf, Stromer läuft schnell mal weg", erklärte mir Katrin noch.
Ich starrte sie immer noch an und hielt meinen Struppi auf den Arm, unfähig etwas zu sagen. Abwechselnd sah ich zu Katrin, dann zu Rashida, dann zu Struppi. Rashida verstand, was in mir vorging, wusste sie doch von meiner Liebe zu Hunden.
"Täubchen, du kannst ihn wirklich mitnehmen. Wirklich", sagte sie in ihrer warmen Stimme zu mir.
Ich musste mich setzten, mir war ganz schlecht und ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Tränen liefen aus meinen Augen, schluchzend drückte ich das Hündchen an meine Brust. Struppi fing an mir die Tränen weg zu lecken. Sie wollten nicht aufhören zu laufen. Rashida kam zu mir und hockte sich vor meinen Stuhl.
"Wein ruhig, ich weiß, dass du niemals gefragt hättest. Aber ich weiß doch, wie sehr du Hunde liebst. Er gehört zu dir, für immer und ewig, genauso wie ich", flüsterte sie ganz leise zu mir.
Ich schluckte schwer, konnte nicht glauben, dass ich einen eigenen Hund hatte. Plötzlich stand ich auf und drückte Rashida meinen Struppi in die Hand. Ich ging auf Katrin zu und nahm sie in den Arm, drückte sie einfach, immer noch schluchzend. Lange brauchte ich bis ich mich einigermaßen beruhigt hatte. Katrin hielt mich einfach in ihren Armen und streichelte mir liebevoll den Rücken. Nach einer ganzen Weile hörten die Tränen auf. Ich sah verlegen zu ihr hoch, schluckte den Kloß der in meinem Hals steckte herunter.
"Danke Katrin. Danke", mehr bekam ich nicht heraus.
"Ist schon gut. Zu sehen wie du dich freust, sagt mehr als jedes Wort. Nun müsst ihr leider los. Die Toniwagen, können nicht ewig auf euch warten", liebevoll gab sie mir einen Kuss, auf die Wange. "Alles Gute, Kahlyn", verabschiedete sie sich leise.
Ich hatte mich wieder gefangen, mit den Ärmeln wischte ich die Tränen von meinem Gesicht "Auf Wiedersehen, Katrin. Denke daran, dich noch wenigstens zwei Wochen zu schonen. Nichts Schweres heben, versprochen. Dann kannst du wieder alles machen. Rashida bringt dir dann noch einiges bei, was dir hilft damit es deinem Rücken bald wieder besser geht."
Ich gab ihr einen letzten Kuss. "Danke, ich kann das nie wieder gut machen, Katrin", sagte ich noch einmal zu ihr.
Ohne weitere Zeit zu verschwenden, ging ich zu Rashida und nahm meinen Struppi auf den Arm. Rashida nahm sich des kleinen Stromers an. Zusammen verließen wir das Haus, bepackt mit je einer Kiste voller Hundesachen, einer großen Tüte Hundefutter, dem Bilderrahmen, sowie die beiden Bildern für Jo und Tim. Erreichten wir ohne einen Zwischenstopp den Toni, der vor dem Tor schon auf uns wartete. Bruno stand mit seinem Kollegen am Toniwagen und grinste uns schon von weitem an.
"Na wen bringt ihr denn hier mit?", wollte Bruno von uns wissen und machte den Kofferraum auf, so dass wir die ganzen Sachen hineinstellen konnten. Er sah ganz anders aus, als vor einigen Stunden.
"Das ist Struppi und das hier ist Stromer", stellte Rashida die beiden Hunde ihren Kollegen Bruno vor. Ich drehte mich noch einmal zu Katrin um und gab ihr nun doch noch einen Kuss, hauchte ihr noch ein. "Danke Katrin", ins Ohr und stieg in den Wagen. Glücklich winkte ich ihr zu.
"Na Kahlyn, du redest wohl nicht mehr mit mir", fragte mich Bruno.
"Doch Bruno, ich rede noch mit dir. Nur ich muss das erst einmal verarbeiten. Geb mir einen Moment", erklärte ich leise. Immer noch konnte ich nicht fassen, dass ich meinen Hund auf dem Arm hielt.
"Dann werden wir mal losfahren. Damit du begreifst kannst, dass es deine Hunde sind", meinte Bruno lachend zu Kalle, seinem Kollegen.
Kalle war auch auf einmal ganz anders drauf, als vor einigen Stunden. Erst jetzt registrierte ich diese Veränderung. Winkte Katrin noch ein letztes Mal zu.
"Sag mal Bruno, was ist denn mit dir los? Sag bloß du hast den guten alten Bruno wieder gefunden? Den Bruno kenne ich nämlich, den mochte ich immer gern", neckte ich lachend.
Bruno nickte. "Ich hatte vorhin ein langes Gespräch mit Simon. Er war mir nicht mehr böse. Vor allem will er dafür sorgen, dass ich zu ihm ins SEK komme. Aber er hat mir auch die Ohren lang gezogen, weil ich nicht eher zu ihm Vertrauen hatte. Danke Kahlynchen, du hast mir das zweite Mal das Leben gerettet. Jetzt geht es mir wieder besser. Mein Leben bekommt langsam wieder einen Sinn", sagte er in einem Ton dem man anmerkte, dass er die Wahrheit sagte.
"Das ist schön, das freut mich."
Jetzt guckte Bruno nach hinten zu uns. Vor allem, zu den beiden drolligen Kerlchen. "Sag mal Kahlyn, bist du auf den Hund gekommen", fragte er mich lachend.
"Ja, ich kann es noch gar nicht glauben", gab ich leise zur Antwort, spielte mit meinem kleinen Gefährten. Der nuckelte an meinem Finger.
"Die sind aber süß, was ist das denn für eine Sorte?", wollte Kalle nun wissen.
"Das sind Airedale Terrier, die werden ziemlich groß, fast wie Schäferhunde. Sind aber wesentlich leichter und schlanker", erklärte ich den Beiden, Bruno sah zu Kalle den Fahrer.
"Was Kalle, da geht ein das Herz auf, da möchte man auch einen haben. Vielleicht erfülle ich mir diesen Wunsch, jetzt doch noch", meinte Bruno aus einer inneren Eingebung heraus.
Rashida sah Kalle an und dann Bruno. "Sagt mal ihr Beiden, habt ihr euch ausgesprochen? Ihr redet ja wieder zusammen?", Rashida sah dabei zu Kalle den Fahrer.
Bruno wandte sich Kalle zu und dieser grinste Bruno breit an. Gemeinsam kam zeitgleich eine Antwort. "Ja, Rashida", dann lachten beide, erleichtert auf.
"Wieso das denn? Wochenlang habe ich versucht, dass ihr mit einander redet. Aber auf mich hört keiner. Da muss erst mein Täubchen kommen, schon klappt das."
Bruno ergänzte das Gesagte. "Mal ganz ehrlich Rashida, sie hat irgendwie eine außergewöhnliche Art, einen den Kopf zu waschen."
Rashida lacht ihr schönes dunkles Lachen. "Ich weiß. Das hat das Täubchen, auch bei uns immer gemacht."
Jetzt guckte ich entgeistert. "Was machte ich bei euch auch immer? Du hast mir ja wohl öfter geholfen, als ich dir", meinte ich lachend zu meiner liebsten Freundin.
"Nein Täubchen, du hast mir öfter den Kopf gewaschen, als ich dir. Aber du merkst dir das nie. Wenn wieder alles in Ordnung ist, vergisst du es einfach. Aber es ist auch egal. Wir lieben dich alle, so wie du bist", neckte sie mich immer noch lachend und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
Wenige Minuten später, hielten wir vor der Wache in Forst an. Die Fahrer halfen uns, beim Tragen der ganzen Sachen. Wir gingen gemeinsam nach hinten in den Bereitschaftsraum. Dort wurden wir schon sehnsüchtig, von Rudi und den anderen erwartet. Katrin, hatte in der Zwischenzeit Simon davon unterrichtet, dass wir mit zwei Welpen auf der Wache erscheinen würden. Das löste bei den Männern natürlich Freude aus, es war eine schöne Abwechslung. Sofort kamen die Männer auf uns zu. Simon musste dafür sorgen, dass die Kleinen nicht erdrückt wurden. Ich übergab Struppi an Rudi und ging zu Rashidas Spind, um meine zivilen Sachen anzuziehen. Rudi drängelte, dass wir los müssten. Kaum, dass ich Struppi an Rudi übergeben hatte, fing der kleine Kerl an zu winseln. Also beeilte ich mich, umso mehr. Simon hatte in der Zwischenzeit zwei große Kisten besorgt, in die er je eine Decke hineinlegte. Damit wir die Hunde nach Gera transportieren konnten. Die Beiden kleinen Kerle, kamen in jeweils eine Kiste. Beruhigend sprach ich auf die Beiden ein und sagte ihnen, dass sie etwas schlafen sollten. Schon legten sie sich hin und rollten sich zusammen. Rashida zog ihr T-Shirt aus, das sie unter dem Overall trug. Riss es, zum Erstaunen der Männer, mit einem Ruck in der Mitte durch, jedes der Tiere bekam ein Teil. Damit sie nicht einsam waren. Schon schliefen die kleinen Kerle. In die Deckel der Kisten machten wir große Löcher, damit genug Sauerstoff hinein kam. Zusammen schafften Rudi und Rashida, die Hunde ins Auto.
Simon kam auf mich zu.
"Kahlyn, ick habe mit Rudi abjesprochn, wenn mer ma Verstärjung brauchn, hol ick euer Team zu Hilfe, so bleebn mer in Verbindung. Danke meene Jlene, für alles wat du für uns jemacht hast. Net nur für dat Team, sondern och für meene Katrin. Dat die jenne Schmerzn mehr hat, is dat schönste wat mir passiern jonnte. Vor allm och, dat du dat mit Bruno, hast jejlärt. Ick sorje dafür, dat dat richtig jestellt wird. Versuch ihn hier ins Team zu bejommen. Der Teamleiter meenes zweeten Teams möchte jern ufhören. Er sajt immer er is langsam zu alt, für den Job. Möchte jern etwas ruhjer treten. Da jann ick eenen juten Mann jebrauchn. Also pass jut uf dir uf, meene Jlene und natürlich och uf Stromer und Struppi", ohne zu Zögern zog mich Simon in den Arm und drückte mich ganz lieb.
"Danke Simon. Sage Katrin nochmals einen lieben Gruß von mir und sie soll sich noch mindestens zwei Wochen schonen. Danke für alles. Ich bin total glücklich, dass ich mal einen eigenen Hund habe, hätte ich mir nie träumen lassen", erklärte ich ihm, stellte mich auf die Zehen, um Simon einen Kuss auf die Stirn zu geben. "Auf Wiedersehen, Simon. Pass auf meine Rashida auf, bitte. Lass nicht zu, dass ihr etwas passiert", bat ich ihn noch einmal.
Eilig drehte ich mich um, winkte den Männern noch einmal zu. Lief auf Rashida zu, die neben dem Auto stand und fiel ihr um den Hals. Die nahm mich einfach hoch auf ihre Hüften.
"Täubchen, nicht weinen, wir sehen uns schon wieder. Du musst nicht traurig sein. Du weißt doch jetzt, dass es mir hier gut geht. Wir sehen uns bestimmt bald wieder", versuchte sie mich zu beruhigen. Aber auch ihr war es anzumerken, dass ihr die Trennung nicht leicht fiel.
"Sieh mal, du hast jetzt sogar Fotos von mir. Da kannst du immer mit mir reden, wenn du traurig bist."
Ich versuchte nicht zu weinen, aber ich konnte nichts sagen, meine Stimme wollte einfach nicht sprechen. Deshalb ging ich in die Verbindung.
"Ich werde dich sehr vermissen, Rashida. Ich hab dich so lieb. Es tat so gut, bei dir in den Armen zu liegen und dich zu fühlen. Vielleicht könnt ihr mich ja auch einmal besuchen kommen, dann siehst du auch, wie schön ich es habe. Lernst meine ganze Familie kennen. Die Runges sind super lieb", bat ich sie, versuchte das Weinen zu unterdrücken. Aber ich konnte nichts dagegen tun. Ich hatte wieder das Gefühl, als ob mir jemand das Herz heraus reisen wollte.
"Ich werde dich auch vermissen. Aber immer, wenn ich jetzt mein Max ansehe, weiß ich das Struppi bei dir ist. Also sei stark mein Täubchen, lass dich nicht unterkriegen und pass auf dich auf."
Ich nickte traurig und drückte meine beste Freundin noch einmal.
"Du auch Rashida, grüße alle noch einmal von mir."
Diese setzte mich vor Rudis Auto auf dem Boden und drehte sich wortlos um, ging zurück in die Wache. An der Tür drehte sie sich noch einmal kurz um und winkte mir zu, verschwand in der Wache.
Wir setzten uns in Rudis Auto und er fuhr los. Traurig blickte ich zurück und kämpfte gegen meine Emotionen. Zum Glück ließ mich Rudi in Ruhe. Kurz nach halb fünf am Nachmittag verließen wir Forst und fuhren über die Autobahn zurück nach Gera. Rudi sah regelmäßig zu mir herüber. Weil ich so gar nichts sagte. Ich brauchte unwahrscheinlich lange, um mich zu beruhigen. Mein Herz brannte wie Feuer. Rudi ließ mir die Zeit die ich brauchte, um meine innere Ruhe wieder zu finden. Dafür war ich ihm sehr dankbar. Nach über einer dreiviertel Stunden, wortloser Fahrt, hatte ich meine Emotionen wieder einigermaßen im Griff und hatte mich endlich wieder beruhigt. Immer wieder schielte ich hinüber zu Rudi.
"Danke", kam ganz leise über meine Lippen.
Rudi der sichtbar froh war, dass ich wieder etwas sagte, sah mich lächelnd an. "Der Abschied ist dir schwer gefallen, nicht wahr meine Kleene? Aber für was, bedankst du dich denn bei mir?" Rudi griff zu mir herüber, streichelte ganz lieb mein Gesicht.
"Rudi, der Abschied ist mir wahnsinnig schwer gefallen. Ich kann doch nichts dafür. Ich liebe Rashida mehr als mein eigenes Leben. Weißt du, sie war immer da, wenn es mir schlecht ging. Sie ist mehr als eine Schwester für mich. Ich bin mit ihr am engsten verbunden, ich weiß nicht warum. Ich mag alle aus der Schule, außer Raiko. Aber bei Rashida ist es eine Verbindung die ganz anders ist. Die Trennung von ihr war das Schlimmste, als wir in die neuen Dienststellen gefahren sind. Sie half mir immer beim Schlafen. Sie konnte mich immer beruhigen. Sie half mir stets meine Aggressionen abzubauen. Jetzt muss ich das alles alleine schaffen, langsam geht es. Aber am Anfang, war das sehr schwer. Ich bedanke mich dafür, dass wir zu Rashida gefahren sind. Das war so schön, dass ich sie wieder gesehen habe. Das ich jetzt weiß wie sie lebt und vor allem, dass sie total glücklich ist. Auch wegen der Hunde und weil es dich, für mich gibt", erklärte ich ganz leise.
"Ach Kleene, das hab ich gern gemacht. Das Strahlen in euren Gesichtern, sagte mehr über euer Verhältnis als Worte. Allerdings, mir war gar nicht bewusst, dass Rashida so groß ist. In Himmelpfort, kam sie mir gar nicht so groß vor", stellte Rudi lachend fest. "Jetzt weiß ich, dass du wirklich nur ein Zwerg bist."
"Das ist normal Rudi, da waren ja auch die anderen noch da. Doch Rashida, musst du wissen, ist schon immer eine der Größten von uns gewesen. Allerdings sind die Größenunterschiede, von den anderen untereinander nicht so extrem, wie bei mir. Da sind das, meistens maximal acht Zentimeter. Bei mir waren das allerdings zwischen zweiunddreißig bis einundvierzig Zentimeter, die ich kleiner bin. Beim Gewicht war es noch extremer, da waren es als wir aus der Schule kamen, zwischen vierzehn bis achtundsechzig Kilo Unterschied. Jaan wiegt das Doppelte von mir, obwohl er alles aber nicht dick ist. Ich wiege zurzeit nur noch einundsiebzig Kilo, Jaan wiegt hundertachtundvierzig Kilo, Rashida hundertachtunddreißig Kilo, das ist schon ganz schön viel. Von den Hundert, war ich schon immer, mit Abstand die Kleinste und Leichteste gewesen. Aber jetzt hast du selber mal gesehen, wie schwer das immer ist, wenn ich neben den anderen stehe, bin ich nur noch ein kleines Mädchen."
Rudi lacht. "Ja, da wirkst du noch jünger, als du so schon bist. Irgendwie sieht Rashida, um einiges älter aus als du. Das mag aber nicht nur an der Größe liegen. Sie ist einfach imposanter, durch ihr Erscheinungsbild. Aber du bist trotzdem, so denke ich besser als sie. Wie du Rashida in der Turnhalle und vor dem Duschraum gelegt hast. Mir blieb das Herz fast stehen, nie hätte ich dir das zugetraut. Ich hab dich glaube ich total unterschätzt", erklärte er mir mit einem Seitenblick auf mich, der alleine schon Bände sprach.
"Nein, du hast mich nicht unterschätz. Es ist einfach nur so, dass ich die anderen immer trainiert habe. Ich kenne ihre Schwächen und weiß dadurch ganz genau, wo sie verwundbar sind. Rashida, war nicht konzentriert in der Turnhalle. Vor der Dusche war sie viel zu wütend, um normal zu reagieren. Auch hatte sie mich in der Turnhalle fast sofort erkannt, sie hat sich nicht gewehrt. Glaube mir, normalerweise ist sie nicht so leicht zu überwältigen. Aber es macht mir auch Spaß, sie ab und an mal, auf diese Weise zu necken. Aber vor der Dusche, das war schon etwas Ernstes. Zum Glück habe ich sie schnell überwältigen können, bevor es zu einem richtigen Kampf gekommen ist", erklärte ich teils ernst, teils lachend.
"Na du erst noch. Du nennst das Necken, wenn du jemanden so auf die Matte legst?", verwundert schielte er zu mir herüber.
"Na ja Rudi, wir hatten doch nichts anderes. Für uns waren das kleine Spielchen, die wir manchmal machten, wenn wir ausgeruht waren. Einfach um einmal richtig Dampf abzulassen und jemanden zu necken. Aber vor der Dusche hatten wir Glück, dass es nicht aus dem Rudern gelaufen ist. Lange hätte ich Rashida, alleine nicht halten können. Nicht, ohne sie ernsthaft zu verletzen, ich bin ihr Kräftemäßig einfach unterlegen", erklärte ich, wieso das bei uns so war.
Rudi lacht schallend. Doch dann sah er mich ernst an. "Kleene, über die Spritze, ist aber noch nicht das letzte Wort gesprochen, darüber müssen wir noch einmal in Ruhe reden."
Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte darüber nicht diskutieren. "Rudi, was hat es für ein Zweck, sich darüber zu unterhalten. Es ist sowieso vorbei. Egal wie sehr du mit mir darüber diskutierst, du kannst diese Entscheidung, nicht mehr rückgängig machen. Wenn ich solche Entscheidungen treffen, wird mich keiner dran hintern, auch du nicht. Ich muss tun, was nötig ist, um eure Sicherheit zu gewährleisten. Ihr habt doch keine Ahnung, auf was ihr euch sonst einlasst. Rudi ihr wisst nichts über meine Freunde und mich. Was mit mir dabei geschieht, ist nebensächlich. Eure Sicherheit steht für mich an allererster Stelle. Ich komme damit klar, egal was mit mir passiert. Lieber sterbe ich, als dass Tim, Tom, Jenny, Viola, Jo und dir etwas passiert. Ihr könnt euch nicht gegen mich wehren", ich sah Rudi mit einem Blick an, der keine Diskussion über dieses Thema dulden ließ.
Der sah das allerdings anders. "Kleene, es ist nicht mehr nur deine Entscheidung. Du solltest bitte darüber nachdenken, dass du jetzt Menschen hast, die dich lieben. Du hast auch eine gewisse psychische Verantwortung. Kahlynchen, du musst das nicht jetzt mit mir diskutieren. Aber du solltest bitte einmal in Ruhe darüber nachdenken. Dass es Menschen, um dich herum gibt, denen es nicht egal ist, ob du stirbst. Verstehst du? Ich möchte nur, dass du darüber noch einmal nachdenkst, ganz in Ruhe", bittend sah er zu mir. "Denke einfach mal darüber nach, was wohl Tim, Tom, Jenny fühlen würden, wenn du auf einmal tot bist. Wie sollen wir ihnen das erklären. Sollen wir ihnen sagen, dass es dir egal ist, ob du lebst oder nicht. Denk darüber, einmal in Ruhe nach bitte, meine Kleene", mit diesen Worten streichelte er mir das Gesicht.
Nachdenklich sah ich aus dem Fenster, Rudi hatte zwar auf der einen Seite recht. Ich würde darüber noch einmal in Ruhe nachdenken müssen. Aber er kannte nicht die gesamten Konsequenzen unsere genetischen Veränderungen. Ich versuchte es ihm zu erklären, was mir schwer fiel.
"Aber du solltest auch einmal über etwas nachdenken, Rudi. Was wäre, wenn Tim, Tom, Jenny, Viola und Jo, tot daliegen würden, nur weil ich mir diese Spritze nicht gegeben hätte. Weil ich so egoistisch gewesen wäre und nur an mich gedacht hätte. Weil ich Angst vor einer Spritze habe, durch die ich ein bisschen blute und die mir höllische Schmerzen bereitet. Dass ich dadurch, weil ich Angst vor der Spritze hatte, einen schlimmen Anfall nicht in den Griff bekommen hätte. Wie wäre dir und vor allem mir dann zu Mute?", ernst sah ich Rudi an.
Erschrocken atmet mein Major aus. Als er etwas sagen wollte, schüttelte ich den Kopf.
"Denke einfach einmal drüber nach, jetzt Ende mit dieser sinnlosen Diskussion. Was hätte, können und sollte sein. Es bringt doch nichts", ich lächelte ihn liebevoll an und griff zu ihm hinüber, um sein Gesicht zu streicheln. "Trotzdem war es schön bei Rashida, einfach schön. Sie so glücklich zu sehen, gibt mir viel Kraft", setzte ich leise nach, um von dem unangenehmen Thema abzulenken.
Rudi lächelte mich an. "Ja es war schön, vor allem für mich lehrreich. Simon ist ein guter Teamleiter. Wie der mit seinen Leuten umgeht, ist einfach sensationell. Er hat eine gute Hand und seine Berliner Schnauze, lässt einen das Herz höher schlagen. Ich mag seine Art einfach", erzählte er mir lachend.
"Ja, Simon ist ein einzigartiger Mensch, das merkt man wie er die Sache mit Bruno in die Hand nimmt. Ich hoffe sehr, der kommt wieder auf die Beine."
"Kleene, wer ist Bruno?", erkundigte sich Rudi verwundert.
"Ach das weißt du ja noch gar nicht. Also Bruno…"
Kurz erläutere ich ihn, woher ich Bruno kannte, was mit ihm los war. War froh darüber von dem brisanten Thema abzulenken. Rudi hörte mir gespannt zu. Als ich ihm aber erzählte, was man mit ihm geschehen war. Schüttelte er wütend den Kopf.
"Das gibt es doch nicht. Verdammt noch einmal, was ist nur in der letzten Zeit los. Weißt du was, meine Kleene. Ich dachte bis jetzt immer, dass ich in meinen Job, etwas Gutes tun kann. Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass es selbst in unseren Reihen, solche Schweine gibt oder Menschen, die vor der Ausbildung durch die Hölle gegangen sind. Dann kamst du zu uns. Alles, was ich bis jetzt dache und fühlte, kam durcheinander. Auf einmal gab es Menschen, die sich Polizisten nennen, die nicht besser sind, als die Verbrecher die wir jagen und verhaften. Auf einmal gibt es in unseren Reihen Menschen, denen Unrecht geschehen ist. Wie Raphi, Bruno und du. Ich frage mich, ob ich bis jetzt blind durch die Gegend gelaufen bin. Auch, habe ich mich seit dem ich dich kenne immer wieder gefragt, ob meine Werteinstellungen noch stimmen. Verstehst du mich?"
Ich schüttelte den Kopf und wusste nicht genau, was Rudi mir damit sagen wollte.
"Kleene, bis du kamst, dachte ich immer alle Polizisten sind ehrliche Menschen. Aber, das kann man von dem Mayer und Brunos Vorgesetzten, ja nicht gerade behaupten. Auch wie dich manche der Kollegen behandeln. Denke doch mal an die Sache mit dem Heli in Halberstadt. Da bekommt man mehr als einmal Fragen, ob in unserer Welt etwas nicht mehr stimmt", ernst blickte er mich von der Seite an.
"Rudi, das sind doch einzelne Personen. Das kann man nicht verallgemeinern", versuchte ich ihn zu beruhigen.
"Da magst du ja irgendwo recht haben, Kleene. Bloß, was mich erschreckt ist die Tatsache, dass ich jetzt schon seit fast zwanzig Jahren im Dienst bin, aber erst seit zwei Monaten von solchen Dingen erfahre. Gibt es noch mehr solche Schweine, in unseren Reihen? Das ist die Frage, die mich seit dem ich dich kenne, ständig beschäftigt. Oder nimm Raphi, ich kenne ihn jetzt seit vier Jahren, wusste aber nicht, das er als Kind durch die Hölle gegangen ist."
Erstaunt sah ich Rudi an. "Rudi, es gibt überall schlechte Menschen, auch in unseren Reihen und es gibt mehr misshandelte Kinder, als du dir in deinen kühnsten Träumen vorstellen kannst. Sei froh, dass du nicht alles weißt, es würde dich fertig machen. Deine Sichtweiße der Dinge, hat sich vielleicht ein wenig geändert. Wichtig ist doch nur eins. Dass, wenn du Wind von so etwas bekommst, du dann dafür sorgst, dass es in Ordnung kommt. Wie bei Bruno halt oder bei den Geschwistern von Jim, neulich. Dafür sind wir schließlich da. Dass wir diese Dinge richten und in Bahnen lenken, die in die richtige Richtung führen", ernst sah ich ihn von der Seite an.
Rudi nickte. "Da hast du wohl recht. Aber irritieren tut mich das schon."
Nachdenklich fuhr Rudi weiter, in Richtung Gera. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass der Rückweg kürzer war, als der Hinweg. Wir fuhren schon, an Ronneburg vorbei oder lag es einfach daran, dass ich ständig nach hinten sah, ob die Welpen noch schliefen. So dass mir die Fahrt nicht so lange vorkam. Kurze Zeit später, fuhren wir schon von der Autobahn und bogen in Richtung Wache ab. Dort hielten wir kurz an, Rudi ließ mich im Auto zu warten und kam drei Minuten später, lachend mit ein paar neuen Schuhen in der Hand, zu mir zurück. Dankend nahm ich sie ihm ab und zog sie sofort an.
"Danke Rudi. Weißt du was, ab sofort werde ich nie mehr Schuhe im Kampf anziehen. Dann kann ich sie wenigstens nicht verlieren."
Rudi wuschelte mir durch dir Haare. "Wir werden sehen, aber vielleicht gewöhnst du dich mit der Zeit auch noch daran. Diesmal wusstest du ja wenigstens, wo du sie verloren hast", wies er mich lachend darauf hin, dass ich genau wusste, wo sie abgeblieben waren.
Wir fuhren aus der Wache auf die Wiesenstraße, in Richtung Clara Zetkin Klubhaus. Nur drei Querstraßen weiter mussten wir noch fahren, schon waren wir am verabredeten Treffpunkt angekommen. Wir stellten unser Auto, gegenüber dem Klubhaus ab.
Bewaffnet mit zwei Rollen und zwei großen, sowie zwei kleineren Kartons, liefen wir über die Straße und auf den Eingang des Klubhauses zu. Schnell waren wir die vier Stufen, zum Eingang hinaufgestiegen und durch die großen Flügeltüren betraten wir eine Art Foyer. Von hier gingen zwei Türen ab und eine Treppe führte nach oben in den ersten Stock. Auf einem Schild das über der Treppe hing, stand "Großer Saal." Rudi steuerte auf die Treppe zu und wollte gerade nach oben steigen, als sich auf der rechten Seite eine Tür öffnete. Ines betrat das Foyer und kam uns strahlend entgegen gelaufen.
"Rudi, Kahlyn, schön, dass ihr endlich da seid. Wir hatten schon Angst, dass ihr nicht mehr kommt."
Rudi sah verwundert zu Ines. "Wieso das denn? Es ist doch noch nicht einmal 19 Uhr 30, wir haben sogar noch eine halbe Stunde Zeit."
Ines sah ihn entsetzt an. "Rudi, um 18 Uhr, wollten wir anfangen."
Rudi schüttelte den Kopf, genau wie ich. "Ines, du hattest gesagt um 8 Uhr Abends. Das heißt für mich um 20 Uhr. Sind denn Jo, Viola und die Kinder schon da?", Rudi sah fragend in die Richtung, in der seine rothaarige Kollegin stand.
Ines kratzte sich am Kopf, überlegend sah sie uns an. "Nein, die sind auch noch nicht da. Deshalb wollte ich gerade nach oben in Vatis Büro, um anzurufen und um zu fragen, ob sie das Fest vergessen haben."
Rudi fing an zu lachen. "Ines, du hast uns gesagt, um 20 Uhr fängt die Feier an, wirklich."
Ines schüttelte über sich selber den Kopf. "Oh je, da habe ich wohl mal wieder Mist gebaut. Na egal, Hauptsache ihr seid noch gekommen. Dann werden die Runges auch noch kommen. John ist schon da, mit seiner Familie. Soll ich euch tragen helfen, ihr seid ja beladen."
Ich schüttelte den Kopf.
Rudi dagegen bat. "Ines zeig uns einfach, wo wir hin sollen."
Ines stieg die Treppe hoch, in Richtung des Saales. Wir folgten ihr. Als wir auf der halben Treppe waren, kam von unten ein Ruf oder besser gesagt ein Kinderschrei.
"Dalyn, meine Dalyn", rief Tim, so laut er konnte und versuchte alleine die Treppe hoch zu rennen. Das schaffte er allerdings nicht und fiel prompt auf sein Näschen.
"Mach langsam Tim", rief Viola, von unten und eilte ihrem jüngsten Spross hinterher. Gemeinsam stiegen sie die Treppe hinauf, gefolgt von Tom, Jo und Jenny. So betraten wir zusammen den Saal. Wie angewurzelt blieb ich stehen, fast siebzig Leute waren hier versammelt.
Rudi der mich von der Seite beobachtet hatte, sah wie ich zurück schreckte. "Kleene, keine Angst, die sind alle ganz nett. Komm stellen wir die Kartons erst mal irgendwo ab, wo es etwas ruhiger ist. Ines, kann ich das hier irgendwo abstellen, wo es nicht so laut ist", Rudi sah sich um.
Ines bat uns mitzukommen. "Warum?", interessierte es Ines.
"Das wirst du später sehen", vertröstete Rudi sie.
Wir traten durch eine kleine Tür an der Seite des Saales, in eine Art Garderobenraum ein. Hier konnten wir die Kartons mit den Hunden abstellen. Vorsichtig sah ich nach, aber die Welpen schliefen noch.
Ines konnte sich einen Ausruf, nicht verkneifen. "Oh sind die Süß."
Rudi legte allerdings den Zeigefinger auf die Lippen. "Aber nichts verraten. Das ist Kahlyns Geburtstagsgeschenk für Jo und Tim. Den zweiten bekam Kahlyn von ihrer Freundin geschenkt, das ist ihr Hund."
Freudig musterte mich Ines. "Oh, wie schön." Sie kam auf mich zu und gab mir einen Kuss.
"Ich hab mich so gefreut über Struppi", erklärte ich Ines.
"Das kann ich mir vorstellen. Na kommt, lassen wir den Beiden noch etwas Ruhe. Wenn wir die nachher rausholen, wird es bestimmt stressig für die Zwei. Komm Ines, komm Kleene", forderte Rudi zu uns beiden.
Zusammen verließen wir die Garderobe und gesellten uns vor zu den anderen. Ich nahm allerdings die beiden Rollen mit.
"Rudi, ich denke ihr solltet die Hunde erst zu Hause aus den Kartons holen. Die bekommen bestimmt Angst bei so vielen Menschen", meinte Ines zu uns.
Rudi nickte und schüttelte dann den Kopf. Zum Schluss winkte er ab. Er hatte im Moment ganz andere Sorgen. Mit den Hunden, dass konnte er dann noch entscheiden. "Na Kleene, wirst du es aushalten hier auf den Saal. Du warst doch vorhin schon wieder erschrocken."
Ich sah ihn unsicher an. "Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass so viele Menschen hier sind. Ines sagte doch ihre Familie."
Da musste Ines aus ganzem Herzen lachen. "Ach Kahlyn, das ist meine Familie. Wenn wirklich alle da sind, sind wir fast hundert Leute. Heute konnten leider nicht alle kommen und einige kommen etwas später. Andere leider gar nicht, weil sie noch arbeiten müssen."
"So viele?", konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen.
"Ja Kahlynchen, so viele. Du musst wissen meine Mutti alleine hat schon sechs Geschwister mein Vati drei, das heißt, das sind mit den beiden schon elf, jeder hat Ehepartner, eigenen Kinder zum Teil auch schon Enkel. Da ist man schnell auf hundert Leute", erklärte mir Ines, da ich sie ungläubig ansah.
Schon waren wir zurück in dem Saal. Gingen auf einen etwa sechzigjährigen Mann zu, der breitschultrig und korpulent war mit weißen vollen Haar und einem riesigen Schnauzer, genau wie der Mann in der Fleischerei.
"Vati, darf ich dir unsere Kahlyn vorstellen, um die es heute Abend eigentlich geht. Dass sie jetzt erst kommen ist meine Schuld. Ich habe 20 Uhr statt 18 Uhr gesagt. Tut mir leid", entschuldigte sie unser Zuspätkommen lachend.
Ich musterte den Mann genau. Er hatte eigenartige Sachen an. Er trug eine rote Kniebundhose aus Samt, ein weißes Hemd mit weiten Puffärmeln und Sandalen, die an der Wade hochgeschnürt waren und um den nicht geraden kleinen Bauch, trug er eine schwarze Scherbe. Unterhalb des Haaransatzes, auf der Stirn, ein rotes schwarzes Samtband. Verwundert sah ich zu Rudi, so hatte ich noch nie jemanden herum laufen sehen. Der Mann sah mich ebenfalls musternd an.
"Na dann, Herzlich Willkommen bei den Sörens, der am verrücktesten Familie der Welt. Hast du auch, dich das überlegt richtig oder du lieber willst wieder gehen?", foppt er mich.
Er hatte eine schöne warme Stimme, die man bei so einem fülligen Menschen, gar nicht erwartet hätte. Die aber viel Liebe ausströmte. Ich sah von Ines zu Rudi und wieder zurück. Ich konnte nicht sagen, warum ich ein ungutes Gefühl hatte. Aber ich mochte den Mann nicht. Genauso wenig, wie den Mann, aus der Fleischerei.
"Na, du wohl nicht redest mit jedem?", harkte der Vati von Ines nach.
"Vati, bitte lass Kahlyn etwas Zeit. Sie kennt doch niemanden hier. Das wird schon. Mit mir hat sie am Anfang auch nie gesprochen."
Rudi dagegen, ging auf den Mann zu und nahm ihn in den Arm, wie einen guten Freund. "Guten Abend Carlos, wie geht es dir so?"
Carlos, grinste Rudi an. "Schlecht, ganz furchtbar schlecht, Rudi. Wie sollen mich es gut gehen, wenn ein kleines hübsches Mädchen ignoriert mich. Dann gehen es mich immer miserable, wie eine geprügelte Hund. Ich es mag absolut nicht, wenn jemand sich nur wegen meines dicken Bauches fürchten. Aber, mal selbst sagen zu mich Rudi. Ein Kneipier ohne dicker Bauch, ist doch eine miserable Kneipier oder sein nicht wahr? Das doch mal gar nicht gehen", stellte Carlos lachend fest.
Irgendwie klang das lustig, durch seine eigenartigen Aussprache und Satzstellung. Da fiel mir ein, dass mir Ines erklärt hatte, dass ihre Eltern Zigeuner waren und aus Griechenland hierhergekommen waren.
Rudi stupste mich an. "Kleene, der Carlos tut dir nichts. Keine Angst, der ist genauso lieb wie Jo und dein Doko. Das haben dicke Leute nun einmal so an sich. Die können gar nicht so böse sein. Die sind bewegungsfaul", foppte er Carlos ein wenig.
Der ging gewohnheitsgemäß auf Rudis Neckerei ein, dieses Spielchen trieben die beiden alten Freunde schon seit vielen Jahren. Oft hatten sie zusammen trainiert und jeder kannte sein Gegenüber mehr als genau. Was sie in dem Moment völlig aus den Augen verloren, war, dass ich Carlos ja überhaupt nicht kannte und ihn gar nicht einschätzen konnte. Carlos stieg auf Rudis foppen so ein wie er es seit Jahren machte, er holte zu einen Schlag aus und wollte Rudi freundschaftlich in den Bauch boxen. Ein Schlag der eigentlich spaßig gemeint war, von Carolos Seite und auf den sich Rudi auch durch anspannen seiner Muskeln gefasst gemacht hatte. Ich sah jedoch nur, dass Carlos nach Rudi schlagen wollte und noch dazu in den Bauch. Schläge in den Bauchraum, waren aufs äußerste gefährlich, denn oft kam es dadurch zu Verletzungen der inneren Organe und Blutungen die sehr gefährlich waren. Ich hasste es wie die Pest, wenn man jemanden in den Bauch schlug und wurde bei so etwas immer richtig böse. Instinktiv, wollte ich Rudi schützen und griff mit voller Kraft zu. Fing noch bevor Carlos Faust Rudi erreicht konnte, dessen Faust ab. Griff schützen nach dem Handgelenk von Carlos und drehte dessen Hand mit einem kräftigen Ruck nach hinten. Sofort ging Carlos auf die Knie und brüllte vor Schmerzen auf. Hasserfüllt schaute ich ihn an und drehte den Arm in eine Stellung, in der sich Carlos nicht mehr rühren konnte. Rudi wie auch Ines, sahen mich erschrocken an. Sie hatten beide Angst um den Freund und Vater.
"Kleene, bitte lasse Carlos los. Bitte."
„Kahlyn, bitte tue meinen Vati nicht weh. Das war doch nur Spaß“, bat mich Ines mit zitternder Stimme. Da sie sich furchtbar erschrocken hatte.
Irritiert sah ich Rudi an. "Er wollte dich schlagen, Rudi."
Rudi schüttelte verzweifelt den Kopf. "Nein Kahlyn. Bitte lasse ihn los. Er wollte mich nicht schlagen und Carlos würde mir niemals etwas tun. Wirklich nicht. Bitte lasse ihn los."
Ich ließ ihn los, darauf gefasst, meinen Freund vor diesen Menschen sofort wieder zu schützen. Ich traute diesem Mann nicht. Niemand den ich kannte, schlug jemanden in dem Bauch, nur so zum Spaß. Wenn man das machte, dann wollte man seinem Gegenüber schwere Verletzungen zufügen und ihn töten. Carlos sah mich kopfschüttelnd an und rieb sich mit vor Schmerz verzogenem Gesicht den Arm. Rudi kam vorsichtig auf mich zu und wollte mich beruhigen. Verwirrt sah ich von Ines zu Rudi und dann zu diesem Carlos. Ich wusste nicht, wie ich die Lager hier einschätzen sollte und noch weniger, was ich machen und wie ich mich verhalten sollte.
Ich wollte Rudi nur beschützen, vor einer schweren Verletzung. Warum war das falsch? Wieso durfte ich das nicht? Ich ließ die Drei einfach stehen und drehte mich um, rannte nach hinten zu den Welpen. Mir war das hier einfach alles zu viel. Ich verstand diese Menschen einfach nicht. Warum schlugen sie sich in den Bauch? Das war gefährlich und schmerzte sehr. So etwas machte man einfach bei Freunden nicht. Ich setzte mich neben die Kisten mit dem Welpen, auf den Boden und versuchte mich zu beruhigen. Begann hin und her zu schaukeln, da ich völlig durcheinander war. Ich wollte nur nach Hause oder in meine Wache. Dort verstand ich wenigstens was los war. Rudi kam mir sofort nachgelaufen.
"Kleene, was ist denn los? Komm doch wieder mit nach vorn bitte. Es ist doch nichts passiert."
Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte dort nicht wieder rein. Nicht zu Menschen, die es lustig fanden, sich zu schlagen.
"Ach Kleene. Du kannst doch nicht hier hinten bleiben. Versuche es doch wenigstens mal. Du wirst sehen die sind alle ganz lieb."
Traurig sah ich Rudi an. "Lieb Rudi? Ich finde es absolut nicht lieb, wenn man jemanden in den Bauch schlägt. Das ist gefährlich und schmerzt. Da hört bei mir der Spaß auf", vorwurfsvoll sagte ich das und ich sah meinen Major dabei böse an.
Rudi hockte sich vor mich und zog mich zu sich heran. "Kahlyn, weißt du, es ist oft schwer mit dir. Kleene du musst langsam einmal aufhören, alles nur nach deinen bisherigen Maßstäben zu messen. Ich weiß ja, dass du eine andere Wertung der Dinge hast, als wir. Aber bitte meine Kleene, du musst lernen, dass vieles bei uns im Laufe der Jahre eingerissen ist. Wir machen solche Spielchen halt ab und zu einmal. Du kannst doch nicht verlangen, dass wir uns in allen Situationen, so wie ihr verhalten. Schau mal, Carlos und ich, wir kennen uns jetzt schon, seit über fünfundzwanzig Jahren. Da sind bestimmte Foppereien üblich. Carlos und ich, haben über viele Jahre zusammen trainiert, wir kennen uns in und auswendig. Wir boxen uns schon mal. Aber Carlos weiß ganz genau, wie stark er zuschlagen muss, um mir nicht weh zu tun. Ungefähr so, wie du es mit Conny immer machst. Dass er dich nicht trifft. Es ist doch von Conny auch nicht böse gemeint. So wie du Rashida gelegt hast, um sie zu necken."
Ich sah ihn lange an. Er meinte es ehrlich.
"Trotzdem schlägt man sich nicht in den Bauch. Das würde ich nie machen, niemals. Ich weiß ja, dass es bei euch anders ist. So etwas tut man nicht, schon gar nicht mit Freunden", stellte ich traurig fest. "Es ist schlimm mit euch. Nie verstehe ich euch. Immer macht ihr Sachen, die ich missverstehe. Ich will in meine Wache. Da verstehe ich wenigstens, was man von mir will."
Verzweifelt legte ich meinen schmerzenden Kopf auf meine Arme, die ich vorher auf die Knie gelegt hatte. Plötzlich klopfte es an der Tür. Carlos sah herein und kam auf mich zu. Ich rückte nach hinten in die Eck. Ich mochte den Mann jetzt noch weniger als vorher.
Traurig sah mich Carlos an. "Kahlyn, ich wollten deinem Freund Rudi nicht tun weh, wirklich nicht. Kommen wieder nach draußen. Ich verspreche auch dich hoch und heilig, ich werden hauen Rudi nie wieder. Wirklich nicht, meine Spatz. Du musst nicht fürchten dich vor mich."
Traurig hockte sich Ines Vati vor mich hin und sah mich lange an. Ich hob meinen Kopf und sah ihn lange in die Augen. Es waren warme Augen, mit vielen kleinen Lachfalten darum. Er sah gar nicht böse aus. Aufmunternd lächelte er mich an. Entschlossen stand Carlos auf und hielt mir die Hand hin.
"Kommen, Spatz. Mich geben eine kleine Chance. Ich hoffe wir dich erschrecken nicht noch öfter. Wenn ehrlich ich bin, weiß ich nicht, was du von uns hältst. Wir sind halt manchmal derb etwas. Aber wir würden nie tun etwas, was jemand schadet. Das verspreche ich dich."
Ich schüttelte meinen Kopf und drehte mich von Carlos weg. Lehnte mich in der Ecke zurück und atmete tief durch. Rudi sah verzweifelt zu seinem Freund. Mein Major zog Carlos ein Stück von mir weg, um mir Raum geben. Hoffte sehr, dass ich von alleine kommen würde. Ich war froh, dass mich Rudi nicht wieder in die Ecke drängte. Rudi und dieser Carlos standen an der Tür und unterhielten sich leise. Mein Major erklärte Ines Vater in groben Zügen, warum ich auf diesen Spaß so extrem reagierte. Mein Freund machte das einzig Richtige, er ließ zu, dass ich das Gespräch der beiden mithören konnte. Da Rudi seine Verbindung zu mir aufgemacht hatte. Ich glaube Rudi hatte begriffen, dass Überreden hier nicht viel nutzen würde. Sondern dass ich allein begreifen musste, dass ich etwas falsch verstanden hatte. Wie so oft in der letzten Zeit. Dadurch, dass ich das Gespräch der Beiden verfolgen konnte, bekam ich Einblick in die Persönlichkeit von Carlos. Ich sah das Entsetzen in Carlos Gesicht und hörte seine Reaktionen auf die Erklärungen von Rudi. Langsam verstand ich, dass was Rudi mir vorhin erklärt hatte. Sollte ich mich vielleicht getäuscht haben. Genau verfolgte ich jede Reaktion von Carlos. Immer wieder schaute Carlos zu mir und fuhr sich verzweifelt durch seine Haare. Ihm wurde auf einmal klar, warum ich so sauer reagiert hatte und er begriff, dass ich Rudi nur beschützen wollte. Noch einmal kam Carlos auf mich zu und hockte sich vor mich hin. Er sagte lange nichts, sondern sah mich nur traurig an. Plötzlich holte er tief Luft.
„Kahlyn, deine Rudi hat mich erzählt eben, einiges aus deine Leben. Es mich wirklich tun leid. Ich wollte erschrecken dich nicht. Spatz, bitte verzeihen mich. Niemals ich würde Rudi tun ein Leid. Er sein seit viele Jahre ein sehr guter Freund von mich und nie ich würde zulassen, dass passiert ihm etwas. Komm geben eine kleine Chance mich. Versuchen es wenigstens“, bat er mich und hielt mir noch einmal seine Hand hin.
Lange sah ich zu Rudi, der nickte mir lächelnd zu. Was sollte ich machen? Rudi war mir ein wichtiger Freund geworden und er hatte mich zu meiner Rashida gefahren. War es jetzt nicht auch an mir, einmal etwas für ihn zu tun? Ich holte tief Luft, auch wenn mir bei der Sache nicht wohl war. Rudi mochte Carlos sehr. Für ihn war er wie ein Vater, genau wie Jo so etwas wie ein großer Bruder für Rudi war. Es war sozusagen Rudis Familie. Was blieb mir also übrig, ich wollte Rudi nicht enttäuschen. Deshalb ergriff ich die Hand, die mir dargeboten wurde. Vor allem Rudi zu liebe. Carlos stand auf und zog schließlich auch mich auf die Beine.
"Kommst du wieder mit rein, Spatz?", fragte Carlos mich vorsichtig.
Er nahm die Hand und wollte mir über das Gesicht streicheln, allerdings wich ich ihm aus und machte einen Schritt zurück.
"Schon gut Kahlyn. Aber ich tuen dich wirklich nichts. Lass uns vorgehen, Ines haben sich so viel Mühe gegeben, mit deine Feier."
Ich sah ihn an und kämpfte mir mit. "Sir, habe ich sie verletzt, Sir?", fragte ich leise.
Carlos schüttelte lachend den Kopf. "Kahlyn mein Spatz, so schnell kann niemand mich verletzten. Dazu ich treibe viel zu viel Sport und sein zu durchtrainiert. Von daher kennen wir uns doch, Rudi und ich", verständnislos sah ich Rudi an.
"Carlos, ist Artist. Früher hatte ich noch ab und an mal mitgemacht, wenn es um die Menschenpyramide ging. Aber heute, bin ich leider schon viel zu lange heraus. Ich habe einfach zu wenig Zeit dazu. Vor allem hat Carlos genug Nachwuchs aus den eigenen Reihen", erklärte Rudi lachend und ging er in Richtung Tür. "Komm Kleene, gebe den Leuten hier eine Chance und merke dir vor allem eins. Egal, was die machen, keiner würde hier jemanden verletzten. Komm schon."
Entschlossen öffnete Rudi die Tür und winkte mir zu, dass ich kommen sollte. Notgedrungen folgte ich ihm nach draußen. Denn ich wollte Rudi nicht enttäuschen. Mein Major nahm mich bei der Schulter und drückte mich beruhigend.
"Kleene, vertraue mir einfach. Ich habe Rashida versprechen müssen, auf ihr Täubchen aufzupassen. Das Versprechen werde ich nicht brechen."
Liebevoll streichelte er mir das Gesicht und führte mich auf einen Platz neben John. Setzte sich direkt neben mich, Ines hatte extra darauf geachtet, dass ich zwischen zwei Menschen saß, denen ich voll und ganz vertraute.
"Hallo Mäuschen, wie geht es dir denn?", wollte John so bald ich saß von mir wissen.
"Gut und wie geht es dir?", gab ich eine Gegenfrage leise zurück.
Denn als wir vor zwei Tagen die Rundfahrt gemacht hatten, ging es ihm gar nicht so gut. Er griff zu mir herüber und lächelte mich an.
"Jetzt wieder gut mein Mäuschen."
"Das freut mich aber John. Hast du dich mit Carmen wieder vertragen?"
John nickte nur, konnte aber nicht mehr antworten.
In diesem Moment kamen Carlos und Miguel in den Saal, beide trugen eine Frau auf ihren, weit über den Kopf gestreckten Armen. Erstaunt sah ich zu den beiden Männern, vor denen ich mich so gefürchtet hatte. Auf einmal schmissen die zwei Männer die Frauen in die Luft und fingen sie auf. Stellten sie sanft auf den Boden. Diese machten einige Flickflacks und gingen ins Spagat. Sofort liefen Miguel und Carlos zu ihnen hin, zogen sie an den Händen nach oben und stemmten sie in die Luft. Die Frauen machten auf deren Händen einen Handstand. Plötzlich ließ Miguel eine Hand der Frau los, so dass sie nur noch auf einer Hand stand. Zurück in den zweihändigen Handstand, stellte sie sich auf Miguels Schultern. Carlos ging auf Miguel zu. Die Frau die auf Carlos Schultern stand, klettert über die Frau auf Miguels Schultern, so dass drei Menschen übereinander standen. Plötzlich ließen sich alle drei fallen, machten eine Rolle und standen wieder auf ihren Füßen. Alle klatschten, ich sah Rudi und John an.
"Du musst auch klatschen, wenn es dir gefallen hat, Mäuschen", riet mir John.
Rudi nickte mir lachend zu.
"Warum?", irritiert sah ich mich um, aber alle klatschten.
Ich wusste nicht, was das sollte und konnte mich nicht dazu entschließen. Carlos stellte sich in die Mitte der freien Fläche, Miguel trat ihn in die Kniekehle und stieg auf seine Schultern. Dann kletterte eine der Frauen auf der rechten Seite und eine auf der linken Seite nach oben. Jede stellte sich auf ein der Schultern und griff mit einer Hand auf die Schulter von Miguel und die andere Hand, fasste nach Miguels Hand. Ganz langsam und vorsichtig, gingen die beiden Frauen in den Handstand. Plötzlich erschrak ich. Miguel nahm seine Hände weg, die Frauen fielen nicht herunter, sondern standen sicher auf dessen Schulter und hielten sich mit den Füßen gegenseitig fest. Ich staunte, es war eine überragende Leistung, was Carlos da machte. Es gehörte viel Kraft und Balance dazu, vier Menschen zu halten. Im Einsatz, hatten wir das auch manchmal machen müssen, um über Hindernisse zu kommen, die wir nicht überspringen konnten. Wir waren da nur hinüber gekommen, in dem wir eine Menschenleiter gebaut hatten. Ich wusste also nur zu genau, wie schwer das war. Bewundernd sah ich die vier an. Die vier Menschen, waren bestimmt nicht mehr ganz jung. Da Ines ja auch schon neunundzwanzig Jahre zählte, fiel mir ein. Nach einer halben Stunde, beendeten die vier ihre Darbietung und verbeugten sich. John und Rudi klatschten.
Carlos kam auf uns zu. "Na Spatz, hat es gefallen dir?" Er wischt sich den Schweiß von der Stirn.
"Sir, ja, Sir. Mir hat das sehr gefallen, Sir. Das ist verdammt schwer, Sir", gab ich leise zur Antwort.
Eine Frau kam auf zu Carlos. "Na Carlos, willst du mich nicht mal vorstellen oder flirtest du einfach ohne mein Wissen, mit einer fremden Frau", irritiert sah ich die Frau an, die lachte mich an und strahlt über das ganze Gesicht. Es war also nicht böse gemeint.
Carlos legte den Arm, um die rothaarige Frau. "Kahlyn, das sein meine Frau Camilla und die Mitéra oder wie heißen hier, Mama von Ines", Carlos drehte sich zu seinem Bruder um. "Miguel, ihr mal zu mich kommen", rief er ihn. "Kahlyn, das hier sein Miguel und seine Frau Emilia, Miguel sein mein Bruder und Emilia sein die Schwester von Camilla."
Verwundert sah ich ihn an, dann seinen Bruder. Mir war vorher gar nicht bewusst gewesen, dass die beiden sich so sehr ähnlich sahen, genau wie die beiden Frauen. Lachend beobachtete mich Carlos.
"Du dich wundern tust, dass wir uns so sehen ähnlich. Dass sein normal, wir seien beides Zwillinge. Was Zwillinge seien, du aber weißt oder?", erkundigte er sich jetzt lieber bei mir.
Natürlich wusste ich das. Es gehört zur Ausbildung zum Allgemeinmediziner, dass wir uns mit Vererbungslehre beschäftigten und das hat uns der Doko gelernt, als wir die Menschliche Physiologie durchgenommen hatten.
"Sir, ja, Sir", gab ich zurückhaltend zur Antwort.
"Kahlyn, du musst nicht dich vor mich fürchten", versuchte Miguel mich zu beruhigen.
Ich traute dem Frieden allerdings nicht. Ich konnte nicht einmal genau sagen, warum das so war. Vielleicht war es der eigenartige Geruch der von ihm ausging. Der mich so abstieß und der genauso roch, wie es damals in Chile roch. Er roch, wie der Tot. Wieder kam das Bild, dieser Tasche in mir hoch. Ich senkte den Blick und versuchte mich zu beruhigen. Rudi nahm mich in den Arm. Ich glaube er ahnte, was gerade geschah.
"Kleene, bitte beruhige dich doch. Dir macht es falsche Bilder vor. Glaube mir. Komm hör auf meinen Atem", er begann ruhig zu atmen. Aber es fiel mir schwer gegen diese Bilder anzukämpfen. Ich wollte so gern nach Hause. Mir war das hier alles zu viel. Ich konnte mich allerdings nicht überwinden, Rudi danach zu fragen und vor allem, wollte ich Ines nicht enttäuschen. Mühsam beruhigte ich mich wieder. Diese Krämpfe machten mich einfach fertig. Irgendwie bekam es Rudi hin, dass ich wieder normal atmen konnte. Erleichtert atmeten John und er auf. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass Miguel und Carlos gegangen waren. Nachdem Ines merkte, dass es mir wieder besser ging, rief sie ihre Familie zusammen und alles stellten sie auf der großen freien Fläche auf, welche die beiden Männer gerade genutzt hatten, um ihre Akrobatik vorzuführen. Sie hatte extra für mich eine kleine Geschichte geschrieben. Sie nahm ein Buch in die Hand und begann diese Geschichte vorzulesen.
"Vor vielen Jahren, begann die Geschichte der Sörens, im fernen Griechenland…"
Auf einmal war ich froh, dass ich hier geblieben war, denn was Ines da für mich organisiert hatte, war so was von schön und vor allem hatte das bestimmt viel Organisation gekostet und noch mehr Arbeit gemacht. Meine Kollegin zu enttäuschen, nur weil es mir einen kleinen Moment nicht so gut ging, die mit glänzenden Augen und solch ein strahlen im Gesicht vor mir stand, hätte ich nicht über das Herz gebracht. Vor allem lenkte mich das alles ab, von den Schmerzen und den schlimmen Bildern, so dass es mir langsam wieder besser ging. Ich hatte mich an Rudi gelehnt und sog das alles in mich hinein. Es war einfach nur wunderschön. Nach und nach, kamen alle anwesenden Sörens nach vorn und brachte mir ein Ständchen oder ein Lied. Führte eine kleine akrobatische Einlage vor oder erzählte eine Geschichte. Auf diese Weise stellte sie mir ihre Großeltern, Eltern und deren Geschwister vor. Sie erklärte mir, dass das ihre Tanten und Onkel sind. Zeigte mir ihre Neffen und Nichten, welche die Kinder ihrer Geschwister waren. Die Cousinen und Cousins, also die Kinder von den Tanten oder Onkel. Langsam aber sicher, wurde mit der Zusammenhang klar. Ich lachte Ines zu und sie lachte mir zurück. Endlich hatte ich begriffen, wie diese Familie funktionierte. Es war gar nicht so kompliziert. Am Schluss, kam Ines auf mich zu und reichte mir eine Rolle. Als ich diese aufrollte, sah ich, dass sie mir alles noch einmal aufgeschrieben hatte. So dass ich es nicht mehr vergaß.
"Danke Ines, du so lieb bist, dass du das mir erklärt hast", bedankte ich mich leise bei ihr.
Die Sörens verbeugten sich alle tief vor mir. Irgendwie war mir das unangenehm. Aber ich fand es so toll, dass sie das alles für mich gemacht hatten, obwohl sie mich doch gar nicht kannten. Carlos kam auf Ines zu.
"Ines, du das hast aber schön gemacht. Jetzt ich habe endlich verstanden, dass dein Vati ich bin. Immer ich mussen überlegen, wie sein verwandtschaftliches Verhältnis sein zu dich", frotzelte er mit Ines herum.
Die guckte ihren Vati böse an. "Ach manne Vati, immer machst du dich über mich lustig. Die Kleene, weiß so etwas doch nicht. Auf diese Weise konnte ich es ihr am besten erklären", schimpfte sie mit Carlos.
Verwundert sah mich Carlos an, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu uns an den Tisch. "Wieso, du das wissen nicht, Spatz?"
Lange überlegte ich ob ich ihm überhaupt antworten sollte. Ines nickte mir aufmunternd zu, auch John und Rudi. "Sir, ich hab so was nicht, Sir", sagte ich ganz leise, weil ich mich dafür schämte.
Carlos sah mich ungläubig an. "Wie, du nicht haben sowas?"
Rudi drückte mir die Schulter, dann er legte beruhigend den Arm, um mich. Das gab mir etwas mehr Sicherheit. "Sir, ich habe keine Mutti und keinen Vati, auch keine Großeltern und sowas, Sir. Ich hatte immer nur meine Freunde, Dika und Doko und die Betreuer, Sir", erklärte ich ihm nun.
Carlos schüttelte den Kopf. "Jeder Eltern hat, auch du."
Ich schüttelte den Kopf.
Rudi half mir es zu erklären. "Carlos, die Kleene hat wirklich keine Eltern. Sie kommt aus der Retorte. Sie ist nicht mal eine Waise. Sie hat wirklich keine Eltern. Sie wurde gezüchtet, wie man Kühe züchtet oder Hunde. Das beste Genmaterial, was es bei uns gab, wurde genommen, irgendwie in einem Reagenzglas getan und dann gut durch geschüttelt. Heraus kamen die "Hundert" eine Gruppe Kinder, die fürs Töten gezüchtet wurde. Die nicht einmal die normale Nahrung vertragen, die du und ich zu uns nehmen können. Sondern eine spezielle Nahrung bekommen müssen, weil sie, wenn sie zum Beispiel mit Milch in Berührung kommen, regelrecht verbrennen. Man züchtete diese Kinder, ohne darüber nachzudenken, dass diese Kinder auch Liebe brauchen, Zuneigung und vor allem eine Familie. Das lernt die Kleene jetzt erst. Deshalb ist sie auch nicht so offen wie andere Kinder in ihrem Alter. Sie kannte bis jetzt nur den Kampf, sie ist seit dreizehn Jahren Teamleiterin der "Hundert" gewesen. Sie hat Horror gesehen, Carlos, dagegen ist das, was du mir von Buchenwald erzählt hast ein Lacher."
Carlos sah mich traurig an. "Das mich tuen leid. Dann du wirklich haben nie Liebe lernen kennen? Jetzt ich verstehe, warum hier dich das so ängstigen."
Ich sah Rudi müde an, ich hatte schlimme Kopfschmerzen. Ich wollte nur nach Hause. Mir wurde das alles zu viel. Ich war so etwas einfach nicht gewohnt. Aber ich traute mich, das nicht zu sagen. Carlos fiel gerade etwas Wichtiges ein und das lenkte ihn zum Glück von seinen Fragen ab.
"Sag Rudi, ihr haben doch gegessen Abendbrot keins. Was ihr wollen haben, entschuldigt. Aber wir unten alle schon gegessen, ihr ja zu spät kommen."
"Carlos, mir kannst du gern ein Schnitzel machen mit Bratkartoffeln, aber bei der Kleenen ist das schon ein Problem. Ich hab keine Essen für sie mit. Vielleicht war Viola so schlau, dass sie an die Dose gedacht hat."
Carlos stand auf und ging kurz zu Viola, unterhielt er sich mit ihr. Sofort kam er zu uns zurück. "Kleene, du bitte kommen nach unten mal mit in Küche, du helfen bei mich, deinem Brei zu machen?", bat mich Carlos und hielt mir die Dose, mit meiner Nahrung vor die Nase.
Verlegen sah ich Rudi an. "Geh ruhig mit, Kleene. Carlos tut dir nichts. Hab ein bissel Vertrauen zu mir. Ich würde nie zulassen, dass dir jemand etwas tut. Bei Carlos bist du in Sicherheit. Er würde dich mit seinem Leben beschützen. Ich lasse die Verbindung offen, du kannst mich also jederzeit rufen. Ich komme sofort zu dir", erklärte er mir, also bliebe mir nichts anderes übrig, als mit dem Vater von Ines mitzugehen.
Carlos hielt mir seine Hand hin. "Keine Angst Spatz, ich tuen dich wirklich nichts."
"Sir, ich hab keinen Angst vor ihnen, Sir."
Protestiere ich leise und erhob mich. Folgte ihm nach unten in die Küche, seine Hand allerdings schlug ich aus. In der Küche angekommen, band sich Carlos eine Schürze um und hielt mir auch einen hin.
"Helfen du ein wenig mich, dann es gehen schneller", forderte er mich lachend auf.
Ich nahm mir die Schürze und band sie mir so um, wie ich es von Carlos gesehen hatte. Der lachte mich an, als er sah wie rein geborgt ich in der riesigen Schürze aussah.
"Du mussen wachsen, aber noch ein wenig, Kahlyn. Du zu dünn für die Schürze sein und wenig zu kurz, warte ich dich helfen."
Er kam auf mich zu und löste das Band von der Schürze noch einmal. Schlug kurzerhand die Schürze um, schon passte sie mir. "So sein es besser Spatz. Kannst du schälen Zwiebeln?", fragte er mich einfach.
Ich nickte, da drückte er mir zwei Zwiebeln in die Hand.
"Komm waschen Hände. Wenn das kannst du, schneide bitte klein sie."
Wieder sagte ich nichts, aber machte, was man mir an Arbeit zuwies. Ich lief zum Waschbecken, um mir die Hände zu waschen und machte mich an die Arbeit. Carlos war erstaunt, als er sah wie schnell ich meine Arbeit erledigt hatte.
"Spatz, bitte mal rühre den Speck, bis ich bin wieder da", bat er mich um weitere Hilfe.
"Verbrennen aber dich nicht."
Carlos verließ kurz die Küche und kam keine Minute später mit einer Schüssel zurück. "Halte du bitte einmal", bat mich Carlos und hielt er mir eine Schüssel hin.
Ich starrte auf die Schüssel. Fing krampfhaft an nach Luft zu japsen. Warum kamen diese Bilder nur immer wieder. Ich wusste doch, dass es nichts mit dem zu tun hatte, was ich erlebt hatte in Chile. Trotzdem wich ich, schneeweiß im Gesicht, zurück an die Wand. Ließ den Löffel einfach fallen, mit dem ich gerade den Speck umgerührte.
Carlos sah mich erschrocken an. "Was sein Spatz?" Er kam auf mich zu und hockte sich neben mich. "Komm Spatzl, es passieren dir hier doch nichts."
Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte nicht mit ihm reden. Krampfhaft versuchte ich mich zu beruhigen und atmete mich in mein Qi. Da ich nicht auf ihn reagierte, stand Carlos wieder auf und ging nach vorn zu seiner Bedienung. "Holen bitte Rudi mal runter schnell. Sagen ihm mit Kahlyn stimmen etwas nicht."
Sofort kam er zurück in die Küche und kümmerte sich erst einmal weiter um das Essen. Beobachtete mich aber von der Seite. Ihm war nicht klar, was passiert war. Rudi kam nur eine Minute später in die Küche geeilt und sah mich am Boden sitzen und kam langsam auf mich zu. Als Carlos etwas sagen wollte, schüttelte Rudi den Kopf und zeigte nur auf den Tisch. Dort sah er das Gehackte stehen. Carlos war nicht klar, was das damit zu tun hatte. Allerdings begriff er, dass es mit dem Hack zusammenhing.
Rudi hockte sich vor mich hin. "Nikyta, krös. Andus krisin. Frido. Zurien dikjen. Rashida, nikyta. – Meine Kleene, deine Augen sehen etwas, was nicht wahr ist. Sieh hin. Du musst dich nicht erschrecken", versuchte er mich zu beruhigen.
Ich sah ihn an, flüstere mehr, als das ich sprach. "Drö Rudi, piosdi. – Rudi, helfe mir, zeige mir einen Weg."
Carlos drehte sich, zu uns um. "Was ihr da sagt?", er verstand uns nicht.
Rudi sah zu ihm hoch. "Ich habe ihr gesagt, dass sie keine Angst haben muss, dass ihre Augen etwas anderes sehen und sie sich nicht erschrecken muss. Dass sie falsch denkt und sich beruhigen soll. Sie bat mich um Hilfe, ich soll ihr einen Weg zeigen. Aber Carlos, ich weiß aber nicht wie." Rudi rieb sich verzweifelt den Nacken. "Komm Kleene, stell dich deiner Angst. Du weißt, dass es nichts mit deiner Erinnerung zu tun hat. Dich wird es sonst immer wieder erschrecken. Komm ich nehm dich in den Arm. Zusammen schaffen wir das bestimmt. Es ist nur Gehacktes, es ist nichts Schlimmes."
Ich schüttelte erst den Kopf. Ich wollte das nicht sehen. Rudi hatte aber irgendwie Recht. Wenn ich mich dem nicht, stellte würde es nie besser werden. Deshalb nickte ich. Rudi kannte mich schon sehr gut. Vorsichtig streichelte er mir die Wange.
"Komm ich helf dir. Steh auf Kleene."
Rudi erhob sich und hielt mir die Hand hin. Ich ergriff sie. Aber ich hatte die Augen geschlossen. Ich wollte das alles nicht sehen. Trotzdem sah ich es. Wieder fing ich an krampfhaft nach Luft zu ringen. Rudi nahm mich einfach in den Arm.
"Kleene, komm, sei tapfer. Es ist nur in deiner Fantasie so schlimm. Es ist nur Schweinefleisch. Es hat nichts mit deinen Erinnerungen zu tun. Es ist wie bei den Puppen. Deine Gedanken spielen dir etwas vor, was nicht real ist."
Vorsichtig drückte er mich in die Richtung des Tisches, aber ich wollte nicht, alles sträubte sich in mir, an den Tisch zu treten.
"Konzentriere dich auf meinen Atem, Kleene, dann wird es besser", schlug er mir vor.
Ich versuchte es ja, aber es war so schwer. Immer wieder, kamen diese Bilder hoch, nicht nur die von Chile. Auch die aus dem Hof, von vor zwölf Jahren. Ich sah Kami, Dea, Pius, Melih, Ezzo und mich aus den Fässern klettern. Die Bilder von Chile, wie sie alle an der Wand hingen und wie ich Chim die Finger abschnitt. All diese Erinnerungen kamen mit einem Mal nach oben, an die Oberfläche. Immer heftiger wurde mein Atem. Die Stimme von Rudi, drang kaum noch an mein Ohr. Ich wollte mich wegdrehen, aber Rudi hielt mich fest. Ich begann zu würgen. Mir war nur noch schlecht. Carlos wollte eingreifen, konnte nicht mit ansehen, wie Rudi mich quälte.
Rudi schüttelt den Kopf. "Carlos, mache es nicht noch schwerer für mich. Sie muss es lernen. Sonst kommt sie nie zur Ruhe. Die Kleene geht mir hier sonst langsam vor die Hunde."
Carlos sah mich traurig an. Ich nahm nichts von all dem wahr. Kämpfte gegen die Bilder und gegen den Zwang wegzulaufen. Endlich wurde es etwas besser. Vorsichtig öffnete ich die Augen und sah mir die Schüssel mit dem Hack an.
"So ist es gut meine Kleene. Du schaffst es. Komm bitte", heftig atmend, sah ich zu Rudi hoch. Der nickte und ließ den Griff locker. Langsam hob er die Hand und streichelte mir mein Gesicht.
Ich drehte mich zu ihm um und fing einfach an zu weinen. "Warum … lässt mich … meine Ver … gangenheit … nicht in Ruhe … Ich will … da nicht … dran denken … aber… immer wieder … kommt das … hoch."
Rudi verstand kaum meine Worte zwischen den Schluchzten.
"Ich will … dass das … aufhört … kannst du … nicht machen … dass das … aufhört … Rudi?", bat ich ihn weinend.
"Ich würde das so gern machen, meine Kleene. Wenn ich nur wüsste wie", traurig streichelt er mir den Rücken.
Carlos stand ratlos in seiner Küche, sah ja wie durcheinander und blass ich war. "Spatz, was dich erschreckt so. Was ich falsch gemacht haben?", wollte von er Rudi und mir wissen.
Rudi schüttelte den Kopf. "Carlos, du hast nichts falsch gemacht. Die Kleene hat so viele schlimme Sachen erlebt. Das manchmal, einfach bestimmte Reize genügen, das alles hoch kommt. Genau das ist jetzt gerade passiert. Das Hack erinnert sie an eine schlimme Bestrafung vor zwölf Jahren als drei ihrer Kameraden auf bestialische Weise gestorben sind. Kahlyn und noch zwei weiter Kinder haben das gerade so überlebt. Dadurch aber, jahrelange Schmerzen gehabt." Rudi drehte mich um, zwang mich noch einmal dies Schüssel anzusehen. "Kahlyn, das ist Gewiegtes, Hack, Hackepeter oder wie das noch genannt wird. Das schmeckt lecker, glaube mir die Jungs auf der Wache essen das, für ihr Leben gern. Das gibt es auch bei Viola mal schnell, weil es nicht viel Arbeit macht und wir das alle gern essen. Sag mal Kleene, darfst du eigentlich Fleisch essen?", fragte Rudi mich plötzlich, weil es ihn interessierte.
"Ich weiß nicht. Ich habe so etwas noch nie gegessen", gab ich leise zur Antwort und schielte immer wieder zu Carlos. Es war mir unangenehm, dass ich wieder Ärger gemacht hatte. "Sir, es tut mir leid, Sir. Aber ich kann das einfach nicht steuern, Sir", entschuldigte ich mich kaum hörbar.
Carlos sah mich traurig an. "Darf ich dich mal nehmen in den Arm, Spatz. Ich nicht wollen dich erschrecken. Wirklich nicht", er hielt mir seine Arme hin.
Rudi schob mich einfach in seine Arme. Aber ich war ganz steif, ich kannte den Mann gar nicht. Allerdings fühlte er sich ganz warm an. Es strömte eine Art Geborgenheit von ihm aus, die ich so nicht kannte. Langsam entspannte ich mich, mein Atem wurde ruhiger. Rudi schaute mich lächelnd an. "Na siehst du, Kleene. Du musst den Leuten nur eine Chance geben, dann wird das auch mit der Zeit. Kleene, du musst das nicht alleine durchstehen, wenn du vor etwas Angst hast, dann sage es doch, bevor dich der Horror ganz in den Bann hat. Dann kann man dir doch helfen."
Ich zuckte mit den Schultern. "Ich kann das nicht Rudi", sagte ich traurig. "Du weißt doch, wie das ist. Mit Fremden kann ich nicht so reden, wie mit dir", versuchte ich es zu erklären.
"Du mussen lernen das aber", gab mir Carlos leise zu verstehen.
"Ich will in meine Wache zurück. Da erschreckt mich nichts. Da kenn ich alles", erwidere ich stattdessen leise weinend und lehnte mich an Carlos seinen dicken Bauch. Irgendwie erinnerte er mich an den dicken Bauch von meinem guten alten Doko. Dort hatte ich mich auch immer so geborgen gefühlt.
"Das keine Lösung sein. Du nicht kannst Rest deines Lebens in der Wache verbringen. Nur weil du dich erschrecken vor Sachen hier draußen ab und zu mal, Spatzl", traurig sahen mich Rudi und Carlos an.
Ich wollte nicht mehr darüber reden.
Rudi merkte, dass ich vollkommen zu mache. "Na komm, dann mache deinen Brei. Dann gehen wir nach oben, Kleene", meinte er traurig zu mir.
"Ich hab keinen Hunger mehr, Rudi. Ich mag nichts mehr essen", gab ich ihm sofort zur Antwort.
Carlos schob mich von sich.
"Du isst etwas und zwar ohne Diskussion."
Ich schüttelte den Kopf. "Rudi, bitte, mir ist schlecht. Wenn ich jetzt etwas esse, breche ich das alles wieder aus", versuchte ich ihm zu erklären, dass es keinen Zweck hatte.
"Dann esse ich auch nichts", bockte Rudi jetzt.
Also musste ich etwas essen, damit Rudi auch etwas aß. "Ist ja schon gut ich esse etwas. Aber beschwere dich dann nicht, wenn ich wieder breche."
Mein ganzer Magen krampfte sich zusammen. Immer noch hatte ich Mühe, das Würgen zu unterdrücken. Mein Kopf fühlte sich an, als wenn er gleich zerspringen wollte.
Carlos schob mich in Rudis Arme, ergriff Partei für mich. "Rudi, lassen das Spatzl. Wenn etwas essen will, dann wir machen später einen Brei. Jetzt quälen sie du doch nur damit. Du auch nicht essen, wenn sein schlecht dich."
Rudi sah mich prüfend an. "In Ordnung aber du sagst, wenn du etwas essen willst."
Ich nickte.
Carlos kam auf mich zu und streichelte mir über das Gesicht. "Willst du helfen mir weiter, oder lieber gehen nach oben."
Ich schüttelte den Kopf. "Sir, ich helfe ihnen weiter, Sir", erklärte ich leise.
"Dann kommen her. Rudi, ich glauben wir Zwei jetzt alleine kommen klar", stellte Carlos trocken fest und gab mir einen neuen Löffel in die Hand. Er bückte sich und nahm den heruntergefallenen Löffel und legte ihn in die Spüle. Rudi sah mich nachdenklich an.
"Ich schaffe das schon. Tut mir leid. Immer mache ich Ärger."
Rudi wuschelte mir den Kopf und lächelte mir zu. "Na dann, macht mal, sonst muss ich noch verhungern", versuchte er zu scherzen und verschwand durch die Küchentür, um wieder nach oben zu gehen.
"Dann wir mal wollen. Rühren bitte mal um die Bratkartoffeln. Aber vorsichtig, damit nicht kaputt gehen sie", er zeigte mir wie ich das machen musste.
In der Zwischenzeit holte er Fleisch und stellte sich so, dass ich das Fleisch nicht sehen musste. Panierte das Schnitzel, wie er es nannte. Holte eine weitere Pfanne und gab etwas Öl dazu, ließ es heiß werden. In diese Pfanne gab er das Schnitzel, für Rudi und lauter kleine Bällchen. Interessiert sah ich Carlos zu.
"Na das wohl lecker riechen." Es roch eigenartig, aber wirklich richtig gut. "Willst du mal kosten?", erkundigte sich Carlos.
Ich schüttelte den Kopf. "Sir, ich weiß nicht, was da drin ist, Sir", antwortete ich leise und zögernd.
Carlos lachte. "Oh vielleicht solltest kosten du erst und dann ich erkläre, was drinnen sein", sagte er schelmisch blickend.
Ich schüttelte den Kopf. "Sir, lieber nicht. Jedes Mal wenn ich etwas koste von ihrer Nahrung, habe ich hinterher Schmerzen. Erst vor ein paar Tagen war ich mit Rudi Eis essen, da hat mein ganzer Mund geblutet, Sir", erklärte ich ihm offen.
Auf einmal war es gar nicht mehr so schlimm mit Carlos zu reden. Vielleicht hatte Rudi recht, dass ich mir einfach zu viele Gedanken machte. Ich nahm mir vor, dass ich nicht mehr so abweisend zu den Leuten sein würde. Auch, wenn mir das schwer fiel.
"Wieso seinen Mund blutig denn?" Carlos konnte nicht glauben, was er da von mir zu hören bekam.
"Sir, ich habe doch nicht gewusst, das Eis aus Milch gemacht wird. Dagegen bin ich aber, ganz schlimm allergisch, das verbrennt meine ganze Haut. Dann sehe ich aus wie…" Ich schielte in Richtung, des Tisches.
"Deshalb du haben dich so erschrocken, jetzt ich verstehen erst. Ach Spatzl, es mir tuen so leid." Carlos kam auf mich zu und nahm mich in den Arm. "Kahlyn, das keine verbranntes Fleisch sein. Das Fleisch sein, was man drehen durch eine Maschine, die genannt werden Wolf. Damit man kann besser es würzen. Die Bällchen hier, machen ich aus dieser Masse. Miguel mir immer gleich würzen die, damit ich kann sie braten gleich. So ich weniger Arbeit haben."
Interessiert hörte ich ihm zu. Gebraten sah das gar nicht mehr so schlimm aus.
"Sir, was ist da drinnen, Sir?", fragte ich jetzt noch einmal.
Carlos lachte ein warmes dunkles Lachen. "Also Spatzl, da sein Zwiebeln drin, Knoblauch, Pfeffer, Salz, Kümmel, Semmelbrösel, Ei."
Interessiert sah ich ihm dabei zu, wie er die kleinen Bällchen machte.
"Willst du auch mal machen, welche?" bot er mir jetzt an.
Dadurch musste ich mich meiner Angst, noch einmal stellen. Lange überlegte ich. Aber Carlos hatte Recht. Wenn ich das, was ich fürchte anfassen würde, konnte ich genau feststellen, dass es nichts mit dem zu tun hatte, an was es mich erinnerte. Ich nickte zögerlich und ich glaube man sah mir meine Angst deutlich an. "Dann komme, dich waschen deine Hände ordentlich. Du merken musst dir, wenn machen mit Lebensmittel, so nennen man die Nahrungsmittel in Küche, muss man achten immer auf Sauberkeit."
Ich folgte ihm, er gab mir Seife und ich wusch mir gründlich die Hände, noch mehr als vor dem schneiden der Zwiebeln. Damit fertig, zeigte er mir wie ich die Bällchen formen musste. Tief atmend stand ich vor der Schüssel, traute mir nicht hinein zu greifen. Carlos nahm etwas von der Masse aus der Schüssel und griff nach meiner Hand, legte sie darauf. Es fühlte sich kalt an. Carlos nahm sich auch etwas und zeigte mir, was ich machen musste. Kurz entschlossen machte ich es nach, es war gar nicht schlimm. Lachend sah ich Carlos an. Der nickte mir bestätigend zu. "Siehst du, es sein gar nicht schlimm, Spatzl. Wenn man sich einmal hat überwunden, ist gar nicht mehr schwer es. Komm noch ein Bällchen machen, dann ich kann die Beiden schon braten", zögerlich griff ich in die Schüssel und nahm mir etwas von dem Hack heraus, formte ein Bällchen. Dann noch eins, noch eins. Schnell war das Hack alle. Je weniger Hack in der Schüssel war, umso weniger fürchte ich mich davor. Ich hatte begriffen, dass es nichts Schlimmes war. Erleichtert atmete ich auf, endlich war es vorbei. Die Panik war vollkommen weg. Carlos grinste mich an und gab mir einfach einen Kuss auf die Stirn.
Ich glaube, er freute sich genauso wie ich. "Sir, danke, Sir", bedankte ich mich lachend.
"Kein Problem sein, mein Spatzl. Siehst du, jetzt du dich nicht mehr fürchtest. Ich sein stolz auf dich. Du dich musst immer deiner Angst stellen. Aber, ich wissen wie schwer das sein. Wenn man aber geschafft hat es, dann man richtig froh sein können, stimmt's Spatzl?"
"Sir, ja, Sir", bestätigte ich das Gesagte ganz leise. Er hatte Recht. "Sir, aber warum macht mir diese ganzen Sachen solch eine Angst? Ich weiß eigentlich, dass es nichts mit meinen Erinnerungen zu tun hat. Warum erschreckt mich das alles hier, Sir?"
Carlos zuckte mit den Schultern. "Das ich kann dir sagen nicht, Spatzl. Aber denken ich, dass du haben Auslöser bestimmte. Dann du weißt nicht genau, sein es Trugbilder oder sein es Realität. Es irgendwie vermischen sich. Wenn allerdings irgendwann du begreifen, das nichts was hier sein, mit Vergangenheit deiner zu tun haben. Dann hören das auf, ich denken, mit dem Erschrecken."
Lange dachte ich über das nach, was Carlos mir gerade erklärt hatte. Ich glaube er hatte wirklich Recht. Wenn ich begriff, dass die Vergangenheit vorbei war, dass es hier, wo ich jetzt lebte, so etwas nicht gab. Dann erschreckte mich das vielleicht nicht mehr alles so.
"Aber wie macht man das?", bat ich einfach noch einmal um Hilfe und vergaß sogar, dass Sir zu sagen, was mir selten passierte, wenn ich jemanden noch nicht so lange kannte.
"Das eine gute Frage sein, Spatzl. Vielleicht machen du dir klar, das haben für deinen Freunde und dich, angefangen eine neue Zeit. Vielleicht du nennen, die einen Zeit vor deine neue Leben. Die Zeit jetzt, dein neue besseren Leben. Das Lebe, wo es gibt keinen Horror mehr. So ich das gemacht haben", schlug er mir lächelnd.
"Du hast auch Horror erlebt?", interessiert sah ich Carlos an, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass dieser lustige Mann etwas Schreckliches erlebt hatte.
Carlos lächelte etwas geknickt. "Ja Spatzl, das KZ in Buchenwald waren der blanke Horror. Als, meinen gesamte Familie wurde dort hineingesteckt, nur weil waren wir Zigeuner. Ich Angst hatten um meinen Eltern und meinen Geschwister, das für mich waren der Horror. Du wissen musst, ich waren erst neunzehn Jahre alt. Miguel und ich, wir seinen die ältesten, die anderen alle waren noch jünger, in anderen Lager kamen. Wir dachten wir nie wiedersehen sie. Nach Ende des Krieges, wir alle suchten dann. Zum Glück, alle überleben haben. Wir dann einfach sind hier geblieben. Am Anfang, weil zu schwach wir waren, zugehen nach Griechenland zurück. Dann, weil uns einfach hier gefallen haben. Jetzt wir nicht mehr weg wollen von hier. Sind geworden sesshaft, etwas, das selten für Zigeuner sein. Aber unsere Kinder, sein alle geboren hier."
"Aber, wie hast du dich deine Angst gestellt? Wie bist du damit klar gekommen. Carlos?", mit schief gehaltenem Kopf sah ich ihn an.
"Spatzl, ich sein hier bleiben. Obwohl ich vor Deutschen Angst haben. Angst davor, dass mich wieder stecken in einen Lager. Aber, wir beweisen wollen uns selber, dass wir können es. Auch, wenn immer wir, wenn es klingeln an der Tür haben, zusammenschrecken. Weil dachten wir, kommen wieder die Gestapo zu holen uns. Aber irgendwann vorbei war es. Heute ich mich freue, wenn klingeln an der Tür. Ich weiß Freunde kommen."
Ich verstand, was er meinte. "Also hast du dich deine Angst gestellt. Vielleicht wird es bei mir auch einmal so, dass mich das nicht alles so erschreckt, das wäre schön", gab ich meiner Hoffnung Ausdruck, ganz leise und kaum hörbar.
"Spatzl, dich selber vertraue, dann das schon wird. Sieh mal heute sogar haben du schon Bouletten machen. So man nennt Bällchen nämlich und wenn du haben die mal kosten, dann du wirst nie wieder haben Angst davor. Dann du deine Angst einfach auffressen", lachend streichelte er mir das Gesicht.
Mir war auf einmal gar nicht mehr schlecht. Carlos war ganz lieb. Vielleicht sollte ich Miguel auch eine Chance geben, ging es mir durch den Kopf.
"Ich glaube, ich sollte nicht immer so misstrauisch sein. Vielleicht sind die Menschen hier, ganz anders, als die, welche ich bis jetzt gekannt habe. Vielleicht wird es dann einfacher, das Leben hier", stellte ich laut für mich fest.
Carlos nickte. "Genauso sein es, Spatzl. Nun kommen, mal koste vorsichtig, ob du kannst das Essen." Damit machte er mir auf eine Untertasse, eine Boulette und etwas Bratkartoffeln. "Wenn du nicht verträgst es, einfach spucke wieder aus es, Spatzl", gab mir Carlos den Rat.
Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und gab mir einen Schubs, von Rashida wusste ich, dass wir Bratkartoffel vertrugen. Also kostete ich das zuerst. Ein ganz kleines Stück nahm ich auf den Löffel. Das schmeckte genauso köstlich, wie die Kartoffelsuppe von Viola. "Mmhhh, das ist lecker", sagte ich Carlos, der strahlte.
"Dann auch koste die Boulette mal", ganz vorsichtig probierte ich auch davon. Im gleichen Moment spuckte ich es wieder aus, es brannte im Mund. Aber nicht, weil ich es nicht vertrug, sondern weil es heiß war.
Carlos lachte. "Spatzl, du erst blasen musst, das sein doch heiß", erklärte er mir.
Mit Tränen in den Augen, sah ich ihn an, aber ich lachte mit. "Das musst du mir doch sagen."
Carlos wuschelte mir über die Haare. "Komm, ich dich es klein mache. Dann es schneller kalt werden. Du es aber auch schwer haben, Spatzl. Du das alles wirklich gar nicht kennst?"
Ich schüttelte verlegen den Kopf.
Carlos machte die Boulette klein, blies sie etwas kälter. Dann legte er den Finger darauf. "Jetzt du es essen kannst, jetzt sein es nicht heiß mehr."
Jetzt bekam ich den Teller wieder. Nochmals kostete ich vorsichtig. "Das schmeckt komisch", erklärte ich Carlos leise. Ich koste noch ein Stück. Das schmeckte schon viel besser. "Ich glaube aber es schmeckt auch gut", sagte ich immer noch unsicher, kontrollierte meinen Körper, aber es kamen keine Abwehrreaktionen. Froh, dass ich es gekostet hatte, stellte ich den leeren Teller wieder zurück. "Carlos, darf ich mir jetzt doch noch einen Brei machen? Mir ist nicht mehr schlecht", bat ich, weil ich nun doch Hunger bekam.
Carlos nickte lächelnd und holte einen Topf. "Wie viel Wasser ich soll nehmen und wie viel Löffel?"
Erkundigte sich Carlos sofort. Er war froh, dass ich mich von dem Schrecken erholt hatte. Nach dem ich ihm die Menge sagte, machte mir Carlos sofort den Brei. Er machte Rudis Essen auf den Teller, einen großen Teller mit Bouletten, ein Körbchen mit Brot machte er zurecht und stellte alles auf ein Tablett.
Er trug alles zum Fahrstuhl, dann kamen noch ein kleiner Teller mit Bratkartoffeln und mein Teller mit dem Brei hinein. Er schloss die Luke und schickte alles nach oben. Wie er mir erklärte und band sich die Schürze ab.
"Dann komm Spatzl. Wir wieder nach oben gehen. Sonst kalt wird dein Brei", er hielt mir die Hand hin.
Ich ergriff sie und lief mit ihm nach oben in den Saal.
Dort sagte Carlos mir. "Setzen dich schon hin, ich bringen gleich euch Essen."
Sofort lief er nach hinten und ich setzte mich auf meinen Platz. John, Rudi, Jo und Viola standen mit einigen von den Sörens zusammen und unterhielten sich.
Rudi winkte mir zu, entschuldigt sich bei den anderen und kam sofort zu mir. "Na meine Kleene, geht es dir wieder besser. Jedenfalls siehst du wieder besser aus."
"Tut mir leid Rudi, ich kann das einfach nicht steuern."
Rudi streichelte mir über den Arm. "Ist nicht schlimm, meine Kleene. Es tut mir nur immer leid, dass ich dir dabei nicht helfen kann."
In dem Moment, kommt Carlos und brachte Rudi das Essen. Stellte mir breit grinsend den Brei hin, aber auch den kleinen Teller mit Bratkartoffeln und einer Boulette. "Dann es Euch mal schmecken lassen", meinte er lachend zu uns und setzte sich an unseren Tisch.
"Rudi, das Spatzl super sein. Sie hat gemacht sogar Bouletten mit, jetzt sie keine Angst mehr haben vor Hack", erklärte er Rudi stolz.
Hungrig machte ich mich erst über meinen Brei her. Da ich mir nicht sicher war, ob ich das andere noch essen mochte. Aber ich würde auf alle Fälle, noch ein bisschen davon essen. Aber so hatte ich erst einmal etwas im Magen, dass ich wirklich vertrug. Mit meinem Brei fertig, fing ich zu Rudis Erstaunen an, die Bratkartoffeln und auch die Boulette zu futtern.
"Das schmeckt lecker Carlos", lobte ich ihn lachend.
"Da ich aber froh sein. Jetzt du musst vertragen es nur noch. Dann ich schicken Ines, immer Bouletten mit für dich", sagte er grinsend zu Rudi, der aus dem Staunen, nicht mehr heraus kam. "Tja Rudi, da du staunen, wir uns haben richtig gefreundet in der Küche, stimmt es Spatzl?"
Ich nickte und lachte Carlos zu. "Ja Carlos, ist ganz lieb zu mir gewesen. Ich hoffentlich auch", witzele ich herum.
"Na ja, erst nicht sein, Spatzl, aber dann schon", konterte Carlos.
"Dann mal essen auf, danach wir wollen doch endlich, dem Tim und dem Jo mal gratulieren zum Geburtstag. Sonst wir vergessen das, in der Aufregung ganzen noch."
Erschrocken sah ich Rudi an. "Rudi, ich hab vor Schreck Struppi und Stromer ganz vergessen."
Rudi beruhigt mich sofort. "Keine Angst, die Beiden sind Schlafmützen, die schlafen immer noch. Ach Carlos, wir bräuchten dann bitte ein Schälchen mit Wasser, geht das?"
Carlos nickte und wollte sofort aufstehen.
"Dann Carlos, lass uns erst Essen", hungrig futterte Rudi, seine riesige Portion auf.
Nach dem Essen, wandte sich Carlos wieder an mich. "Sag mal mein Spatzl, du eigentlich singen kannst."
Ich schüttelte den Kopf, den Rina sagte immer zu mir, ich singe fürchterlich falsch. "Nein Carlos, ich kann nicht singen, ich halte keinen Ton sagte mir Rina immer. Die konnte von uns immer am besten singen."
"Na nicht so schlimm sein, dann du halt falsch singen. Komm Spatzl, mit uns ein Lied singen, für deine Freund Jo und den kleinen Tim."
Ich schüttelte den Kopf. "Ich kann kein Lied singen. Ich kann mir keine Texte merken, das war nie wichtig, Carlos", gestand ich traurig.
"Ach das sein nicht schlimm, ich dich schreiben die vier Zeile auf, die du einfach mit mir zusammen singen. Wir das schon hinbekommen. Wer hat die Bouletten gemeistert, auch schaffen ein Geburtstaglied", ermutigt er mich lachend zum Singen und stand auf, ging hinter den Tresen. Nach einigen Minuten kam er mit dem Geburtstagsliedtext zurück. "Passen auf, so gehen das Lied, Spatzl", leise sang er mir das Lied vor.
Ich hörte aufmerksam zu. Es war ganz einfach. Als er fertig war, sah mich Carlos fragend an. Ich nickte einfach. Rudi freute sich riesig. Also gingen wir nach vorn. Carlos trommelte seine Sänger zusammen und nahm mich in den Arm.
"Wir heute noch zwei Geburtstagskinder haben hier. Die diesen Jahr ganz vergessen sein. Deshalb sie von uns bekommen, eine extra Ständchen. Diesmal haben mich holen Verstärkung, Kahlyn wird helfen mich dabei."
Chris fing an, der Bruder von Ines, auf einer Gitarre eine Melodie zu spielen.
Die erste Strophe sangen Miguel und seine Frau Emilia. "Kräht der Hahn früh am Tage, kräht laut, kräht weit: Guten Morgen, Rumpumpel, dein Geburtstag ist heut."
Dazwischen spielte Chris die Melodie weiter.
Dann sangen Ines und Chris. "Guckt das Eichhörnchen runter: Wenig Zeit, wenig Zeit! Guten Morgen, Rumpumpel, dein Geburtstag ist heut."
Danach ein Neffe zusammen mit Rudi, der auch mit vor gekommen war, was ich jetzt erst feststellte. "Kommt das Häschen gesprungen, macht Männchen vor Freud: Guten Morgen, Rumpumpel, dein Geburtstag ist heut."
Jetzt stupste mich Carlos an. Leise flüsterte er mir zu. "Jetzt wir sein beide dran."
Ich nickte, als Carlos anfing zu singen, sang ich einfach mit.
"Steht der Kuchen auf dem Tisch, macht sich dick, macht sich breit: Guten Morgen, Rumpumpel, dein Geburtstag ist heut", erleichtert atmete ich auf, dass ich es geschafft hatte.
Carlos gab mir einen Kuss. "Na so schlimm es doch gar nicht war", stellte er lachend fest. "Sieh mal Spatzl, sogar ich hab noch die Schuhe an."
Verwundert sah ich auf seine Füße. "Wieso sollen die denn weg sein?", das verstand ich nicht.
Rudi der hinter uns getreten war, fing an zu lachen. "Ach Kleene, das ist ein Spaß, wenn jemand falsch singt, sagt man, es zieht einen die Schuhe aus."
Ich winkte ab, ich muss ja nicht alles verstehen. "Mir tun nur die Ohren, weh wenn jemand falsch singt", erklärte ich den Beiden trocken, jetzt fing auch noch Carlos an zu lachen. "Ach, ihr seid albern, immer lachen mich alle aus", stellte ich ebenfalls lachend fest.
Carlos drückte mich an sich und streichelte mir lieb das Gesicht.
"Na nun geb schon dein Geschenk", schlug mir Rudi lachend vor. Sofort lief ich nach hinten in die Garderobe und holte die beiden Kisten, für Jo und Tim. Sah aber erst noch einmal nach ob Struppi auch munter war. Der saß ganz traurig in seiner Kiste, also musste ich ihn auch gleich holen. Lief als erstes nach vorn zu den Anderen an den Tisch und holte auch die beiden Rollen.
"Rudi, kannst du Struppi dann holen? Der ist ganz traurig", flüsterte ich leise zu ihm. Der nickte grinsend. "Aber erst übergeben wir Stromer, das dauert ja nicht lange. Komm", antwortete er mir flüsternd und ging auf Tim und Jo zu. "Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, von mir", gratulierte Rudi und nahm seinen Freund Jo in den Arm. Danach auch Tim, den er einfach auf dem Arm ließ. Überreichte den Beiden seine Geschenke. Dann sagte Rudi zu mir. "Mach es genauso wie ich, meine Kleene."
Also ging ich auf Jo zu, drückte ihn. "Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag von mir", gratulierte nun auch ich Jo und stellte die zwei Pakete ab. "Das ist von mir und Rudi, denn ohne Rudi wäre ich nicht zu Rashida gekommen. Aber die Bilder sind ganz alleine von mir", erklärte ich ihm leise und reichte Jo ein Bild und eins Tim.
Viola half dem aufgeregtem Tim beim Aufrollen, damit er das Bild nicht zerriss. "Dande Dalyn, das sind ja die Weinchen", freudig drückte er sich fest an mich. Auch Jo rollte sein Bild auseinander. Auf dem Bild war seinen ganze Familie und Rudi zu sehen.
"Danke Kahlyn, das ist aber schön, doch fehlt hier jemand."
Verwundert sah ich ihn an.
"Na du Kahlyn, du gehörst doch auch zu meiner Familie."
Ich schüttelte den Kopf.
"Doch du gehörst auch dazu. Also musst du dich noch dazu malen."
Ich zuckte verlegen mit den Schultern. Dann sah er auf die Kisten. Rudi nahm die kleinere Kiste erst einmal weg. "Packt erst mal die große aus", schlug er breit grinsend vor.
Als Tim das machen wollte, meinte Rudi.
"Tim, lass das lieber mal den Papa machen."
Alle standen, um den Tisch herum, weil sie ja auch noch gratulieren wollten. Jo öffnete die Kiste, es kam nur ein.
"Das kann doch nicht wahr sein, seid ihr den verrückt geworden?"
Irritiert sah ich Jo an, dann Rudi dann Viola. Doch alle lachten.
"Warum sollen wir verrückt sein, Jo?", wollte ich gern wissen, weil ich es nicht verstand. Doch Jo, konnte gar nicht sprechen, er griff in die Kiste und holte Stromer heraus.
Tim war völlig aus dem Häuschen, hopste wie ein Verrückter auf dem Tisch herum, so dass ihn Viola festhalten musste. "Ein Wauwau", brüllte er ständig "Ein Wauwau."
Viola hatte Tränen in den Augen und konnte nicht begreifen, dass ihr größter Wunsch wahr geworden war. "Ich … ich … ich … glaube es nicht, ein … ein … ein Hund", stotterte Jenny.
Tom konnte sich gar nicht satt sehen an dem Hund. Die Runges waren völlig hin und weg von dem Hündchen.
Rudi flüsterte mir ins Ohr. "Hol mal deinen Struppi, damit der nicht mehr in der Kiste sitzen muss."
Ich nickte und drängelte mich durch die ganzen Leute, nach hinten in die Garderobe. Struppi war sichtbar froh, dass er aus der Kiste konnte. Ich ging mit ihm, aber gleich nach unten. Denn er hatte einen ganz dicken Bauch. Gegenüber dem Klubhaus war ein kleiner Platz, dort ließ ich Struppi runter, sofort machte er sein Geschäft. Ich lobte ihn sehr, bei so kleinen Tieren passierte es schnell, dass die nicht an sich halten konnten. Dann nahm ich ihn wieder auf den Arm und lief hinüber zum Klubhaus. Die Treppe nach oben in den Saal. Dort hatte Stromer schon aus lauter Angst, sein Geschäft in den Armen von Jo gemacht. Aber keiner schimpfte mit ihm, es war doch aufregend für so einen kleinen Hund, aus der Kiste zu kommen werden und gleich so viele Menschen zu sehen.
Jo sah sich suchend nach mir um. Fragte Rudi. "Wo ist die Kleene? Ich will mich doch bedanken", da entdeckte er mich. "Kahlyn, du hast ja noch einen Hund. Das ist aber schön, dann ist der Kleine hier nicht alleine. Danke für das schöne Geschenk", drückte mich ganz lieb und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
"Ich habe die beiden Hunde, von Katrin bekommen. Das ist die Frau von Simon, wo jetzt meine Rashida wohnt", erklärte ich Jo. "Ich wollte nur einen, aber sie hat mir den Struppi geschenkt, damit Stromer nicht so alleine ist."
Viola kam mit Jenny auf mich zu. "Sind die süß, die Namen passen total zu den Beiden. Es ist so schön, wir haben uns immer Hunde gewünscht. Jetzt können wir, dank dir welchen haben."
Rudi band Stromer das Halsband um und auch die Leine.
"Na, so jetzt können wir dein Bäuchlein ganz leer machen gehen", meinte Jo lachend und wischte sich mit einem Taschentuch den Bauch trocken. Er nahm Stromer auf den Arm und ging zur Tür, um auch mit Stromer Gassi zu gehen. Rudi holte in der Zwischenzeit auch von Struppi die Leine und das Halsband. Legte es ihm um. "Willst du mit ihm gehen?", fragte ich Rudi. Der nickte glücklich, also gab ich ihm Struppi. Er folgte Jo hinterher. Langsam beruhigten sich alle. Auch Tim, bekam noch viele Geschenke von den Sörens, auch Jo der mit Rudi zusammen nach kurzer Zeit, wieder nach oben gekommen war.
Noch fast zwei Stunden lachten, sangen tanzten wir auf der Feier. Es wurde richtig schön. Zum Schluss wusste ich gar nicht mehr, warum ich mich am Anfang so gefürchtet hatte. Ich war schon manchmal komisch. Aber so war es immer bei mir, dass, was ich nicht kannte jagte mir schlimme Angst ein. Die Sachen und Dinge die ich kannte, darauf konnte ich mich einstellen, so war die Angst nicht mehr vorhanden. Ich hatte es einfach akzeptiert.
Erst als der kleine Tim seine Äugelein gar nicht mehr offen halten konnte, mahnte Viola zum Aufbruch. Es war kurz vor Mitternacht, als wir uns verabschiedeten.
Carlos nahm mich ganz lieb in den Arm. Auch Miguel kam auf mich zu, der sich den ganzen Abend von mir fern gehalten hatte. "Darf ich auch dich mal drücken?", lieb sah er mich an und hielt mir seine Arme hin.
Ich ließ mich einfach von ihm in den Arm nehmen. Ines die mich beobachtete lachte mir zu. Ich war froh, dass ich es machte, es tat nicht weh, aber es machte Ines glücklich, was gab es schöneres? Fragte ich mich ernsthaft. Rudi hatte die kleineren Kisten einfach in die großen gestellt, die Sörens halfen uns beim Abtransport, der ganzen Geschenke. Nach dem wir uns von allen verabschiedet hatten, sagte Carlos noch zu mir.
"Kahlyn, Ines eben zu mir sagte, du hast noch nie Geburtstag gefeiert."
Ich nickte verlegen.
"Wann du hast Geburtstag?", erkundigte er sich sofort.
"Das weiß ich nicht Carlos. Rudi will sich einmal erkundigen."
Verwirrt sah Carlos, von mir zu Rudi.
"Carlos, die Kleene weiß das wirklich nicht. Aber wir bekomme das schon raus, ich rufe morgen mal ihren Doko an, vielleicht weiß der das ja", erklärte Rudi ihm.
In dem Moment dreht sich Jo zu uns um. "Rudi, ich kann euch das sagen. Ich habe es gestern von Fritz erfahren, der war ja eine Woche im Urlaub und nicht zu erreichen. Ich kann euch sagen das war vielleicht kompliziert. Glaubt mir es wusste niemand mehr, wann die Kinder geboren waren. Es ist nicht zu fassen oder. Aber wir haben es heraus gefunden. Kahlyn ist am 14. Februar 1959 geboren. Also meine Kleene, merke dir das gut. Wir brauchten das doch, für die Selbstanzeige. Das war vielleicht ein Spaß. Es hieß nur irgendwann im Februar 1959, aber keiner wusste an welchen Tag. Die Kinder sind Serienweise geholt wurden. Fritz war sich nicht mehr ganz sicher und hatte auch erst in seinen persönlichen Unterlagen nachsehen müssen, ob das Datum, das er im Kopf hatte auch wirklich stimmte. Es gibt nicht einmal amtlich bestätigte Geburtsurkunden von den Kindern. Die habe ich jetzt allerdings beantragt, für alle. Fritz macht sich deshalb Vorwürfe, aber er gestand mir, dass er mit keiner Silbe daran gedacht, dass es wichtig sein könnte. Da die Kinder, danach noch nie gefragt wurden. Er gestand mir, dass er diesen schrecklichen Tag einfach nur vergessen wollte und mit keiner Silbe daran dachte, dass er ja den Kindern damit das Recht auf die Geburtstagsfeier nehmen könnte. Das wäre zu Projektzeiten gar nicht möglich gewesen. Kahlyn deine Freundin Rashida und du, ihr seid wie alle anderen Kinder am gleichen Tag geboren", nachdenklich und traurig, sah er mich an. Endlich wusste ich, wann ich geboren war. Einige Male wiederholte ich das Datum für mich, damit ich es mir merkte.
Lachend sagte ich zu Rudi. "Siehst du ich bin sechzehn Jahre."
Jetzt mussten alle anderen auch lachen, weil ich das mit ernstem Gesicht und völliger Überzeugung sagte. Schon stieg ich ins Auto ein. Ich wollte nur noch schlafen. Ich war todmüde und Struppi auch. Sofort fuhr Rudi los, ich winkte allen noch einmal zu.
"Na meine Kleene, wie hat es dir gefallen?", wollte er von mir wissen.
"Erst gar nicht, da wollte ich nur weg. Aber zum Schluss war es richtig schön. Du hattest wie so oft recht. Ich muss den Leuten nur eine Chance geben. Aber ich lerne das schon noch." Struppi rollte sich auf meinen Beinen zusammen, er genoss meine Nähe, so wie ich die seine genieße. Wir fuhren eine ganze Weile, bis wir vor dem Haus der Runges ankamen. Jo stieg aus dem Auto aus und nahm Viola den schon schlafenden Tim aus dem Arm, trug ihn hinein ins Haus. Viola lief mit Stromer ein Stück in Richtung Wald, ich lief ihr mir Struppi hinterher. Kaum hatte ich sie eingeholt, musste ich eine Frage los werden, die mich die ganze Zeit beschäftigte.
"Viola, du bist nicht böse, wegen der Hunde?"
Viola schüttelte den Kopf. "Kahlynchen, im Gegenteil ich freue mich riesig, auch wenn es eine Menge Arbeit ist, aber ich liebe Hunde. Wir wollten schon immer welche haben. Nur hatten wir früher nie das Geld dazu, vor allem aber die Zeit. Jetzt hätten wir zwar das Geld, auch die Zeit dazu gehabt. Aber durch Tim, konnten wir das nicht machen. Also haben wir es immer wieder verschoben. Erst vorige Wochen, hatten Jo und ich beschlossen, uns nach einem guten Züchter um zusehen. Das hat sich jetzt erledigt. Du musst wissen, dass ich die Airedale Terrier, schon immer haben wollte. Ich finde, dass so süß, das deiner Struppi heißt. Struppi aus Berlin, war immer mein Lieblingshund."
"Wer ist das denn, Viola?"
Verwundert sah ich sie an. "Ach Mädel, immer vergesse ich, dass du das alles nicht kennst. Nächsten Samstag, gucken wir mal die Flimmerstunde. Da siehst du den Struppi aus Berlin, dann verstehst du, was ich meine."
Ich nickte und zuckte dann aber mit den Schultern, da ich nicht wirklich verstanden hatte, was sie meinte. Aber ich musste ja nicht alles verstehen.
"Du Viola, kannst du mir auch das Sandmännchen mal zeigen. Die Katrin war Zeichner in Babelsberg, die hat das mit gezeichnet. Ich habe es nicht verstanden, weil ich das ja nicht kenne und nicht weiß, was sie damit meint", erkundige ich mich bei Viola.
"Na klar, den guckt Tim doch immer, da schaust du einfach mal zu."
Ich nickte und freute mich darauf, wieder etwas Neues kennenzulernen. Fast zwanzig Minuten liefen wir mit den beiden Hunden eine große Runde. Erst dann kehrten wir zu den Runges zurück. Jo erwartete uns schon in der Küche, auch Jenny war noch auf, nur Tim und Tom waren schon ins Bett gegangen.
Wir machten Stromer und Struppi von der Leine, so dass sie ihre neue Umgebung, etwas erkunden konnten. Stromer, der mutigere der beiden Hunde, erkundete sofort das gesamte Terrain. Struppi jedoch, legte sich zu meinen Füßen und rollte sich zusammen.
"Tja, jetzt ist nur noch die Frage wie wir die Beiden auseinander halten", stellte Jo lachen fest.
"Jo, das ist ganz einfach. Stromer hat eine weiße Schwanzspitze, Struppi dagegen, hat weiße Ohrspitzen. Er ist glaube ich auch der Ruhigere, von den beiden Hunden", erklärte ich offen. "Die beiden entsprechen nicht der Züchternorm, hat mir Katrin erklärt. Aber ich habe gesagt, das ist nicht schlimm, wir werden sie trotzdem lieb haben. Könnt ihr mir erklären, was damit gemeint ist", interessiert sah ich in die Runde.
Viola sah mich fragend an. "Was verstehst du nicht, mein Mädel?"
"Viola, ich weiß nicht, was mit Züchternorm gemeint ist", verdeutlichte ich meine Frage.
"Kahlyn, das ist etwas kompliziert zu erklären. Aber ich versuche es einfach mal. Das gibt bestimmte Merkmale die eine Rasse haben muss, um einer bestimmten Richtlinie zu entsprechen. Also eine bestimmte Größe, ein bestimmtes Gewicht, Fellmerkmal, Augenfarbe. So werden zum Beispiel viele Hunde kupiert, man schneidet ihnen einfach das Schwänchen ab. Nur weil irgendjemand mal fand, dass es besser aussieht. Ich finde es unwichtig. Aber für viele sogenannte oder selbst ernannte Hundenarren, ist es wichtig, dass ein Hund dieses besondere Merkmal hat. Diese Menschen, nehmen keinen Hund der diese Merkmale nicht nachweisen kann. Oder holen sich nur Hunde die bestimmte Eltern haben. Ich finde für die ist das nur ein Statussymbol, denen sind die Hunde, als solches, nicht wichtig."
"Was wird aus den Tieren, die nicht in dieser Norm liegen?", erschrocken, sah ich Viola an.
"Die sind nichts wert und werden zu einem geringeren Entgelt abgegeben. Es gibt leider einige Züchter, die töten Tiere, die nicht in der Norm liegen einfach…"
Wütend stöhnte ich auf, so dass Viola mitten im Satz innen hielt.
"Was ist denn Kahlynchen?" Jenny blickte verwundert auf mich.
Viola jedoch begreift, dass dies schlechte Erinnerungen in mir hoch bringt. "Kahlyn, was ist denn?", flüsterte Viola ängstlich.
"Es ist wie bei uns. Die nicht in der Norm lagen, wurden auch einfach schlafen geschickt", platzte es einfach aus mir heraus.
"Wie schlafen geschickt?", fragte mich Viola entsetzt.
Mit riesen großen Augen, sahen mich Jenny aber auch Viola an.
"Damals, als wir aus den Maschinen geholt wurden, hat man einfach diejenigen, die nicht das entsprechende Geburtsgewicht, von mindestens sechstausend Gramm und eine Mindestgröße von achtundfünfzig Zentimetern hatten, einfach schlafen geschickt. Obwohl es für ein Teil der Kinder besser war. Aber ungerecht finde ich es heute trotzdem. Es waren achtzehn Kinder die dieser Norm nicht entsprachen. Nur bei mir, machte man eine Ausnahme, weil der Doko feststellte, dass ich etwas besonderes sein könnte. Ich durfte leben, obwohl ich nur dreitausendneunhundert Gramm wog und siebenundvierzig Zentimeter war. Das ist ja der Grund weswegen ich umso vieles kleiner bin als die anderen. Aber auf der anderen Seite, denke ich manchmal, es wäre besser gewesen, dass man mich nicht am Leben gelassen hätte. Mir wäre vieles erspart geblieben. Auch nach dem wir älter wurden, schickte man noch viele von uns schlafen, weil sie bestimmte Leistungen nicht schafften. Ich musste immer besser sein, als die Anderen, um weiter leben zu dürfen", kurz überlegte ich, weil mir einfach die Namen nicht einfallen wollen, alles war so fern, so weit weg. "Keri, er war der erste. Er war ein so lieber Freund. Ich hab ihn so gemocht. Wir waren damals gerade ungefähr vier Monate alt, das entspricht bei euch einem Alter von etwa zehn bis elf Jahren. Er war der Ersten, der danach schlafen geschickt werden sollte. Er konnte nicht so gut sehen wie wir, aber immer noch besser als ihr, trotzdem musste er schlafen gehen. Aber ich finde, wir haben mit ihm einen sehr guten Taktiker verloren. Er war einfach brillant. Ich habe viel von ihm gelernt. Das was er an Sehkraft zu wenig hatte, hätte er auf anderen Gebieten, gut machen können. Aber der Oberstleutnant, hat nicht auf mich gehört. Er hat mich einfach ausgepeitscht, weil ich das nicht zulassen wollte. Aber ich war der Meinung es sollte Keris Entscheidung sein, nicht die von anderen. Na ja, Keri wollte auch schlafen gehen, damit die Schmerzen aufhören. Aber damit waren wir dann auch alle einverstanden. Außer dem Doko, der wollte das nicht. Der wollte das Keri weiterlebt. Ich hab ihm dann aber gezeigt, wie sehr Keri leiden musste und vor allem wäre er in drei oder vier Wochen so oder so gestorben, da er schwer krank war. Wir haben ihn dann mit sechs Monaten erlöst, er hätte diesen Test sowieso nicht geschafft, durch seine Schmerzen. Aber es war nicht schön."
Viola schüttelte den Kopf. "Mädel, das kann nicht stimmen, was du da erzählst."
Erstaunt blickte ich Viola an. "Warum, Viola, soll das nicht stimmen? Ich lüge nicht, Lügen ist mir fremd", erklärte ich ihr.
Doch Viola wollte nicht glauben, was sie da gehört hatte. "Weil niemand Kinder tötet, nur weil sie nicht perfekt sind. Kahlyn, so etwas macht kein normaler Mensch."
Jo half mir, in dem er bestätigt, was ich sagte. "Doch Veilchen, man hat diese Kinder einfach getötet. Ich glaube allerdings nicht mehr, nach dem, was ich über diesen Oberstleutnant Mayer gehört habe, dass dieser normal ist. Aus den Unterlagen, die ich mir jetzt über das Dalinow-Projekt besorgt habe geht das eindeutig hervor. Kahlyn sagt in allem die Wahrheit. Diese Kinder wurden als Fehlzüchtungen, eingestuft. Ich bin an die Decke gegangen. Inge kam in mein Büro, weil ich etwas an die Wand geschmissen hatte. Sie war so erschrocken, weil ich kurz davor war mein Büro auseinander zu nehmen. Ich bin regelrecht ausgeflippt. Inge hat dann Jens geholt, der mir N91 gespritzt hat. Man schrieb das dort in die Protokolle, als wenn diese Kinder, irgendwelche Versuchskaninchen gewesen wären. Was man allerdings nirgends erwähnt hat, ist wie diese Kinder, um es mit den schöneren Worten Kahlyns zu sagen, schlafen geschickt wurden?" Jo sah zu mir herüber.
Lange überlegte ich, ob ich das hier im Beisein von Jenny erzählen konnte. Aber ich hatte unbedachterweise, selber davon angefangen. "Die ersten von uns, weiß ich nicht genau, das hat der Doko selber machen müssen. Dika sagte immer, er hat sie einschlafen lassen, mit Narkotika. Auch bei Keri hat er das noch so gemacht." Ich schluckte schwer an dem, was ich dann sagen musste. "Später dann, hat das der Oberstleutnant selber übernommen, weil sich Doko geweigert hatte, jemanden von uns schlafen zu schicken. Eigentlich hat Mayer viel mehr uns dazu gezwungen, es zu tun. Oberstleutnant Mayer hat uns gezwungen, sie zu ertränken. Es wurde auf dem Hof ein Fass aufgestellt, dort mussten derjenige dann hineinsteigen. Dann wurden wir gezwungen, das Fass zu verschließen und mit Wasser zu füllen. Haben wir uns geweigert, wurden wir solange ausgepeitscht, bis wir nachgaben. Einige Male wurden wir dann selber in diese Fässer gesteckt, bis wir fast erstickten. Also gehorchten wir irgendwann. Nach einem Tag, mussten wir das Fass dann öffnen und unseren Kameraden wurden in die Leichenhalle gebracht. Dort haben wir dann immer ihre toten Körper gestohlen, um sie wenigstens begraben zu können, unter unserem Baum."
Ich drehte mich zu Rudi und lehnte mich an seine Schulter, fing einfach an zu weinen. Wie oft, hatten wir das machen müssen? Wie oft hatte es genauso weh getan, wie jetzt. Noch nie hatte ich geweint. Was war nur los mit mir? Aber seitdem ich hier war, konnte ich meine Tränen einfach nicht mehr zurück halten. Sie kamen einfach aus mir heraus, als ob sie die ganzen Jahre angestaut waren, jetzt auf einmal eine Möglichkeit gefunden hatten herauszulaufen.
Jo sah mich entsetzt an. "Warum hast du das dem Staatsanwalt nicht erzählt, Kleene?", wollte er von mir wissen.
Selbst wenn ich wollte, ich konnte ihm nicht gleich antworten. Rudi hielt mich in den Arm und Viola hielt Jenny ganz fest. Nach einer Weile, hatte ich mich wieder beruhigt.
"Ich… ich… ich hab nicht mehr daran gedacht und ihr habt mich nicht danach gefragt. Viele Dinge habe ich im Laufe der Zeit einfach verdrängt. Ich wollte sie einfach nur vergessen, weil sie so weh taten. Wenn es wichtig ist, reichen wir das noch nach. Es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass Jenny traurig ist. Aber ich bin froh, dass wir Stromer und Struppi das Leben gerettet haben. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass Katrin die Beiden hätte schlafen geschickt. Das könnte Katrin glaube ich nicht. Sie war froh, dass sie für die Beiden ein gutes zu Hause gefunden hat", erklärte ich den beiden Frauen, die immer noch weinten. Ich stand auf und ging auf Viola und Jenny zu. "Ich will nicht, dass ihr traurig seid, bitte hört auf zu weinen. Es ist doch schon so lange her, wir können es nicht mehr ändern. Wenn ich es hätte verhindern können, glaubt mir ich hätte es getan. Bei Raiko habe ich das ja auch geschafft, genau wie bei Rina", erkläre ich den beiden, damit sie nicht mehr traurig waren.
Viola zog mich zu sich in den Arm. Unter Tränen gestand sie mir. "Ich bin so froh, dass sie dich nicht auch schlafen geschickt haben. Ich bin so unendlich froh darüber."
Lieb streichelte ich ihr Gesicht und dann das von Jenny. "Ich heute auch, das könnt ihr mir glauben. Aber es gab Zeiten, da habe ich den Doko dafür gehasst, dass er mir das Leben gerettet hatte. Da wäre ich lieber Tod gewesen und hätte für immer unter unserem Baum geschlafen. Heute allerdings, denke ich es ist gut, dass ich noch lebe. Sonst, hätte ich euch nicht kennen lernen können. Ich hätte etwas sehr Schönes verpasst."
Jo stand auf und kam auf mich zu. Er hob mich einfach hoch und setzte mich auf den Tisch und nahm mich in seine Arme. "Glaube mir meinen Kleene, ich bin darüber genauso froh darüber, dass der Doko so um dich gekämpft hat. Sonst hätte ich eine verdammt wichtige Erfahrung in meinem Leben weniger gehabt. Eine, die ich niemals missen möchte."
Verwundert sah ich zu ihm auf.
"Du verstehst mich nicht?"
"Jo, ich weiß nicht, was du meinst. Ich verstehe deine Worte, begreife aber nicht den Sinn, der sich darin verbirgt."
Jo streichelte mein Gesicht. "Seit dem du hier bist Kleene, hab ich über vieles in meinem Leben nachgedacht und habe versucht viele meiner Einstellungen zu ändert. Auch, wenn es noch nicht immer klappt, ich bin auf dem Weg mich zu verändern. Manchmal denke ich, dass wir zu sehr in unseren Bahnen festgefahren waren. Du hast uns aus dieser regressiven Spur geworfen."
Entsetzt sah ich auf. "Das wollte ich nicht", reagierte ich spontan. Aus der Spur geworfen zu werden, war etwas ganz schlimmes für mich.
Jo merkte sofort, dass ich etwas missverstanden hatte. "Nein Kleene, es ist gut, dass du uns aus dieser Bahn heraus geholt hast. Weil wir dadurch gezwungen waren unser Leben zu ändern. Du bringst uns eine andere Sichtweise der Dinge bei. Das ist etwas Gutes, vor allem Nützliches. Es hat mir geholfen, einige wichtige Angelegenheiten in meinem Leben in die richtige Bahn zu lenken. Dinge, die ich seit Monaten vor mir hergeschoben hatte, weil ich darauf keine gescheite Antwort wusste. Durch dich wurde mir die Lösung auf einem silbernen Tablett serviert. Diese Lösungen die ich suchte, musste ich nur von meinem Herzen bestimmen lassen. Manchmal, das hast du mir in den wenigen Wochen beigebracht, muss man aus dem Bauch heraus Entscheidungen fällen, die man mit seinem Herzen abgestimmt hat. Komischerweise, waren diese Entscheidungen die richtigen. Ich fragte mich einfach, wie würde Kahlyn an diese Frage herangehen und schon fand ich eine akzeptable Lösung für diese Angelegenheit. Ich denke, wir suchen oft Probleme, wo keine sind."
Verwirrt sah ich Jo an, verstand nicht, was er mir versuchte zu sagen.
"Ach meine Kleene, es ist nicht schlimm, dass du nicht alles verstehst, was ich dir gerade gesagt habe. Wichtig ist nur, dass du endlich begreifst, dass du verdammt wichtig bist. Nicht nur für die Wache, sondern auch für uns", Jo gab mir einen Kuss auf die Stirn und wechselte das Thema. "So meine Lieben, ich bin todmüde, es ist jetzt gleich 2 Uhr in der Früh. Ich wünsche euch allen eine gute Nacht. Die Hunde lassen wir jetzt noch mal schnell in den Garten, dann kommen sie ins Bett. Schlaft schön", verabschiedete er sich gähnend.
Ich hopste vom Tisch und rief nach Stromer und Struppi. Gab einen kurzen Beller von mir und öffnete die Tür. Schon waren die Beiden draußen auf der Wiese und hoben ihr Beinchen, um zu bullern. Als Stromer auf Inspektionsreise gehen wollte, knurre ich kurz, schon kam er angerannt und Struppi ebenso. Die Terrassentür wurde geschlossen, dann gingen wir alle ins Bett. Rudi, Jo, Viola und auch Jenny bekamen einen Gute Nacht Kuss von mir. Dann bückte ich mich nach Struppi, nahm ihn mit zu mir nach oben, in mein Zimmer. Legte seine Decke in mein Bett und zog mich aus. Kletterte mit Struppi zusammen ins Bett und rollte mich zusammen. Struppi rollt sich, an mich gekuschelt, ebenfalls zusammen. Schon schliefen wir, einen ruhigen Schlaf. Seit vielen Jahren hatte ich nicht mehr so entspannt geschlafen. Die Nähe des Welpen tat mir gut. Sie half mir meine Ruhe zu finden.
Kurz vor 6 Uhr in der Früh wurde ich munter, durch schlimme Schmerzen und auch weil Struppi unruhig wurde. Ein ganz dickes Bäuchlein hatte er. Ich stand auf und nahm ihn auf den Arm, um mit ihm nach unten in den Garten zu gehen. Dort war auch Stromer schon unterwegs, der auch sein Geschäftchen machen musste. Nach einer ganzen Weile kam Struppi wieder zu mir gelaufen, so gingen wir wieder hinein. Jo allerdings hatte sichtbar Mühe mit Stromer, der nicht zurück kommen wollte. Ein kurzes Knurren von mir genügte, schon kam er angeflitzt. Ich gab Struppi in Jos Arme und bückte mich nach Stromer. Oben auf meinen Arm, knurrte ich ihn an und biss ihn sanft ins Ohr. Sein Schwänzchen ging zwischen die Beine. Stromer hatte also begriffen, dass er das nicht durfte.
"So, jetzt wird er auf dich hören. Ich habe ihm gesagt, dass er das nicht machen darf."
Jo sah mich verwundert an. "Wie machst du das nur, meine Kleene? Wieso kannst du mit den Hunden reden?"
Ich zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht, irgendwie komme ich mit jeden Tier klar. Genauso wie Raiko, jede Sprache in wenigen Stunden spricht, lerne ich in ganz kurzer Zeit, mich mit Tieren zu verständigen. Es war schon immer so. Ich weiß nicht wie ich das mache. Ich kann das einfach", verlegen drückte ich ihm Stromer in die Hand und nahm meinen Struppi wieder auf den Arm.
"Jo, ich leg mich noch einmal hin. Mir geht es nicht so gut, könnt ihr mich bitte schlafen lassen?"
Jo nickte und musterte mich besorgt von oben bis unten. "Was ist meine Kleene, soll ich Jens anrufen?"
"Nein, der kann mir nicht helfen. Das kann nur ich selber tun. Es ist nichts Schlimmes. Ich bin nur müde", versuchte ich Jo klar zu machen, dass es nichts weiter war und nichts, wobei man mir helfen konnte.
Was hätte ich auch sonst sagen sollen. Alle hätten sich gleich wieder Sorgen gemacht. Das wäre unsinnig. Jo ließ das aber so nicht gelten, mustert mich ernst. Das hatte ich nur davon, dass ich ehrlich war, eine sinnlose Diskussion.
"Kleene, bitte setze dich, erzähl mir was los ist. Bitte."
Ziemlich genervt, setzte ich mich auf das Sofa und zog die Beine auf die Sitzfläche. Wie sollte ich etwas erzählen, was ich selber nicht verstand. Wie sollte ich über Gefühle reden, die mir unbekannt waren, die ich nicht benennen konnte. Wie sollte ich Dinge erklären, die diese Menschen nicht verstanden. Wenn ich es ihnen zeigen würde, dann würden sie sich erschrecken und mich von sich stoßen, als Monster darstellen. Struppi der sich neben mich gelegt hatte, schmuste sich an mich. Er gab mir eine gewisse Sicherheit.
"Komm Kleene, rede mit mir. Was ist los?"
"Was soll ich sagen, Jo? Es ist nichts. Ich bin wirklich nur müde. Die letzten Wochen waren anstrengend. Ich laufe immer noch am Limit und ich sehne mich einfach nach Ruhe", versuchte ich dieser sinnlosen Debatte zu entgehen.
Jo allerdings hatte ein feines Gespür, für Menschen die nicht die ganze Wahrheit sagten. Er bemerkte genau, dass ich etwas zurück hielt und dass ich seinen Fragen nur ausweichen wollte.
"Kahlyn, ich glaube dir nicht, dass du nur müde bist. Du verheimlichst uns etwas, bitte erzähle mir, was los ist. Ich weiß von Viola, dass es dir am Donnerstag ganz beschissen ging. Hast du immer noch Probleme? Viola sagte mir, dass deine Augen geblutet hätten, dass deine gesamte Haut blutig gewesen wäre. Du hättest Blut gebrochen und auch Blut ausgehustet. Was ist los mit dir?"
Lange sah Jo mich an. Struppi der merkte, dass ich in die Ecke gedrängt wurde, fing an zu knurre. Ich knurrte ihn kurz an, so dass er ruhig war. Er musste lernen, dass er sich nicht in meine Konflikte einmischen durfte.
"Wie soll ich dir das erklären, Jo? Es wird doch nicht besser, wenn du dich sorgst. Es ist nichts Schlimmes. Bitte, lass es so wie es ist. Ich möchte hoch in mein Zimmer, Jo. Bitte Jo, ich möchte wirklich nur hoch in mein Zimmer. Du lässt meinen Schutz nicht zu. Bitte Jo, lass mich in mein Bett gehen", bat ich ihn noch einmal um Verständnis, ich wollte nur hoch in mein Bett.
Jo jedoch schüttelte mit dem Kopf. "Kleene, so geht das nicht. Du musst schon zu uns Vertrauen haben. Wie ist sonst ein Zusammenleben, so vieler Menschen auf so engen Raum möglich?"
"Jo, bitte. Es gibt Dinge, die ihr besser nicht wissen solltet. Es würde euch erschrecken. Bitte höre auf mich zu bedrängen. Ich möchte hoch in mein Bett, bitte Jo. Bitte, lasse meinen Schutz doch zu, ich möchte beschützt schlafen", flehte ich ihn an.
Jo stand auf und lief um den Tisch, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich mir gegenüber. "Ich habe Zeit bis Montag um 9 Uhr, ich kann warten", verdeutlichte er mir die Tatsache, dass er dieses Thema, nicht ruhen lassen würde.
Also würde ich reden müssen. Total genervt holte ich Luft. "Hast du schon einmal jemanden der seit seiner Geburt taub ist versucht, das Summen einer Biene zu erklären oder einem Blinden eine Farbe, Jo?"
"Nein, aber es ist bestimmt schwierig. Aber ich denke, man kann es nur bis zu einem gewissen Grad erklären, meine Kleene."
"Genau darin liegt das Problem, Jo. Ich weiß nicht, wie ich dir etwas erklären soll, was du nicht kennst. Ich habe mir am Donnerstagmorgen eine Spritze gegeben, weil ich Rudi mein Leben zeigen sollte. Das kann ich so aber nicht machen. Dann stelle ich eine Gefahr für euch dar. Ich könnte außer Kontrolle geraten. Hier ist niemand außer mir, der euch vor mir beschützen kann. Ich muss doch immer an eure Sicherheit denken. Bitte Jo lass meinen Schutz zu und mich nach oben gehen", verzweifelt sah ich Jo an.
"Ja und?" Jo begriff nicht, was ich sagen wollte. Ihm ging es so wie es mir so oft in letzter Zeit geht. Er verstand die Worte, aber nicht den vollen Sinn.
"Jo, es gibt Spritzen die nicht so gut sind. Die über viele Tage nachwirken. Das passiert im Moment."
"Rudi hat das zugelassen, Kleene? Das kann ich mir nicht vorstellen", zweifelnd beobachtete er, jede meiner Reaktionen.
"Nein Jo, Rudi weiß nichts davon. Was hätte es gebracht, ihm das zu erklären. Er hat sich so schon genug Sorgen gemacht. Ich weiß, was ich vertrage und vor allem weiß ich auch, was auf mich zukommt, wenn ich mir eine solche Spritze setze. Auch, was ich dagegen machen kann. Aber Jo, mir läuft die Zeit weg, du verhinderst, dass ich es kontrollieren kann. Es gerät außer Kontrolle, wenn du mich nicht sofort nach oben gehen lässt. Bitte Jo. Ich mache das nicht das erste Mal. Also habe so wie Rudi, einfach Vertrauen in mein Können und lasse meinen Schutz zu."
Jo wollte das so nicht akzeptieren. "Ich bin nicht Rudi, meine Kleene. Ich lasse mich mit solchen Phrasen nicht abspeisen. Ich möchte jetzt genau wissen, was das für eine Spritze war. Vor allem wie viel du dir davon gespritzt hast und welche Wirkung diese Spritze auf dich hat. Weil nur, wenn ich das weiß, ich dir im Notfall helfen kann. Denn nur so kann ich dich beschützen", erklärte er mir seinen Standpunkt, der ja aus seiner Sicht richtig war.
Aber in meinen Fall lag es etwas anders. "Jo, es gibt nichts, was du für mich tun kannst. Nur ich kann etwas für mich tun. Ich muss mich ausruhen. Die letzten beiden Tage waren sehr anstrengend, vor allem aufregend. Die Belastungen die ich hatte, waren nicht gut. Jedenfalls nicht, in der Kombination dessen, was in den letzten Wochen mit mir passiert ist. Bitte, ich erkläre dir hinterher alles. Ich möchte mich nur hinlegen und noch einige Stunden schlafen. Dann geht es mir wieder gut. Ich verspreche dir, dann erkläre ich dir alles, was du wissen willst. Bitte Jo, lass mich nach oben gehen. Du verhinderst, dass ich es kontrollieren kann, bitte Jo. Du verhinderst meinen Schutz", blockte ich alles ab.
Von mir aus konnten wir bis Montagmorgen hier sitzen bleiben. Es würde nichts daran ändern, dass ich ihm nicht erzählen wollte, was los ist. Es würde nur dazu kommen, dass alle sahen, was mit mir passiert, das war aber nicht gut. Also musste ich blocken, mir lief wirklich die Zeit weg. Denn ich fühlte den Anfall kommen.
Traurig sah Jo mich an und stand auf. "So wenig Vertrauen hast du zu uns", stellte er beim Weggehen fest.
Ich stand ebenfalls auf und nahm Struppi auf den Arm. "Das hat nichts mit Vertrauen zu tun, Jo. Es hat etwas mit Zeit zu tun, dir mir wegläuft. Ich erkläre dir alles hinterher, bitte habe doch dafür Verständnis und vertraue mir einmal. Ich will euch doch nur schützen. Du machst meinen Schutz kaputt."
Jedes Wort, das ich sprach, fiel mir schwerer. Ich konnte nur noch schweigend, versuchen es so zu kontrollieren. Aber Jo war enttäuscht und traurig, weil ich ihm aus seiner Sicht her nicht vertraute. Er ging einfach weg, blockte das, was ich ihm sagte, enttäuscht ab. Schnell lief ich nach oben. Öffnete die Tür zu Jennys Zimmer und sagte Struppi er sollte bei ihr bleiben. Sofort lief ich weiter in mein Zimmer und verschloss die Tür. Verkeilte sie mit dem Stuhl, so dass sie von außen nicht zu öffnen war. Auch die Jalousien blockierte ich, so dass keiner das Zimmer betreten konnte. Gerade noch rechtzeitig, um einen der Anfälle unbeobachtet durchstehen zu können.
Ich riss mir die Sachen vom Leib und legte mich neben mein Bett auf den Boden. Vom Bett riss ich nur das Kopfkissen herunter und presste es auf mein Gesicht. Krampfhaft versuchte ich im hier zu bleiben, um die Kontrolle nicht völlig zu verlieren. Um mich wenigstens noch ins Taiji atmen zu können. Es war zu spät, ich schaffte es nicht mehr. Die Wucht des Anfalls kam zu früh. Durch das ewig lange Gespräch mit Jo, konnte ich mich nicht mehr in die Taijiatmung flüchten. Nur in der Taijiatmung war es mir möglich diesen Anfall zu kontrollieren und vor allem abzufedern. Nur in der Taijiatmung war es mir möglich die Schmerzen einigermaßen zu ertragen. Jo hatte meinen einzigen möglichen Schutz kaputt gemacht. Ich konnte den Anfall also nicht mehr abfedern, er erwischt mich mit voller Gewalt. Vor allem begann der Ginobusanfall ohne Vorwarnung. Ich drückte mein Gesicht in das Kissen und biss hinein. Die Schmerzwellen rasten ohne Unterlass, durch meinen Körper. Innerhalb eines Sekundenbruchteils zog sich sämtliche Muskulatur meines Körpers, mit einem Mal zusammen, zu einem fürchterlichen Krampf. Der Schmerz war unerträglich, von einer Intensität, die sich kein normaler Mensch vorstellen konnte. Ich schaffte es gerade noch, mich in das Jawefan zu flüchten. Das es mir ermöglichte für eine unglaublich lange Zeit mit flacher Atmung auszukommen. Nur leider konnte ich dadurch nicht verhindernd, dass ich vor Schmerzen schrie. Egal, was ich versuchte, ich konnte das Schreien nicht verhindern. Nicht einmal das hineinbeißen in das Kissen, dämpften meine irren Schreie. Mir taten die Kinder leid und ich hasste Jo dafür, dass er seinen Kindern das alles zugemutet hatte. Nur durch seine sinnlose Debatte, mussten Tim, Tom und Jenny jetzt meine Schreie hören. Ich hasste mich dafür, weil ich keinen Weg fand, das zu verhindern. Nach endlos langen vier Stunden, löste sich der Krampf genauso plötzlich, wie er gekommen war. Langsam kam ich aus dem Jawefan zurück. Ich war völlig desorientiert. Wurde gepeinigt von schlimmen Schmerzen und der anhaltender schlimmer Atemnot. Mühsam atmete ich mich in das Taiji, fand wieder zurück in mein Qi, um wieder ganz zurück zukommen. Es war kurz nach Mittag, als es mir wieder etwas besser ging und ich schlief völlig geschafft ein.
Nach einem tiefen erholsamen Schlaf, wachte ich kurz vor 17 Uhr auf. Als erstes sah ich mich im Zimmer um. Erleichtert stellte ich fest, dass ich nichts kaputt gemacht hatte. Also hatte ich den Anfall noch einigermaßen unter Kontrolle. Nur das Kissen hatte ich vollkommen zerstört. Das war aber kein schlimmer Verlust. Dem Himmel sei Dank, war ich nicht ausgebrochen.
In der Schule, hatte ich in dem Zustand des Krampfes einiges zerstört, hatte unseren Raum einige Mal zu Kleinholz verarbeitet. So hatte es der Hausmeister immer ausgedrückt. Meine Freunde hatten dann immer große Mühe gehabt, mich zu bändigen. Ich hatte also am Donnerstag die Dosierung richtig gewählt, allerdings war es ganz schön knapp gewesen. Ich sah auf dem Boden die Kratzspuren meiner Fingernägel. Diese Spuren zeugten davon, dass ich kurz davor war, die gesamte Kontrolle zu verlieren. Mühsam erhob ich mich und hielt mich kurz an der Wand fest. Jeder einzelne meiner Knochen schmerzte und jeder Muskel tat mir weh. Entsetzt sah ich auf meine Finger. Alle Fingernägel hatte ich verloren. Es war verdammt knapp, viel hätte nicht gefehlt, dass ich eine Gefahr für die Runges geworden wäre. Ich konzentrierte mich auf meine Hände, heilte so die Wunden und stellte die Nägel wieder her. Schnell sammelte ich die Nägel ein und schmiss sie in den Papierkorb, wische das Blut mit meiner Schlafanzugjacke grob auf. Später würde ich das Zimmer ordentlich säubern. Ich war froh, dass ich es hinter mir zu hatte. Jetzt würde es endlich besser werden. Die schlimmsten Auswirkungen der Injektion hatte ich überstanden. Die Sachen die jetzt noch kamen, konnte ich überspielen. Das Kissen zog ich ab, ich würde es später reparieren. Den Bezug und meine Sachen wickelte ich zusammen und würde sie nach unten in den Hauswirtschaftsraum bringen. Ich nahm den Stuhl unter der Klinke weg und öffnete die Tür. Davor saß Rudi an der Wand, vor dem Zimmer, in dem ich immer geschlafen hatte. Er sah mich entsetzt an. Stand auf und wollte auf mich zukommen.
Leise kaum hörbar bat ich ihn "Bitte, lasse mich erst duschen, bitte Rudi."
Er nickte und machte einen Schritt zur Seite. "Geb mir deine Sachen, ich bringe sie nach unten, geh duschen. Ich bringe dir Sachen zum anziehen mit, Kleene."
"Danke", hauchte ich, drückte ihn die Sachen in die Hand und lief schwankend, von Rudi gestützt, nach unten ins Bad. Dort erschreckte ich mich vor mir selber, mein ganzes Gesicht war schwarzblau und blutunterlaufen. Der Anfall war schlimmer, als ich gedacht hatte. Aber das war jetzt egal. Ich zog meine Unterwäsche aus, stellte mich unter die Dusche und genoss einfach die Entspannung. Das heiße Wasser, löste die schlimmen Krämpfe in meinem Körper etwas. Ich konzentrierte mich, auf die Hämatome, die ich am ganzen Körper hatte und heilte so die blutunterlaufenen Stellen aus. Etwas, das nur ich beherrschte, keine Ahnung wie ich das bewerkstelligte. Eine schöne Fähigkeit, sonst wäre ich mein Leben lang mit Blutergüssen im Gesicht herumgelaufen. Es hatte den Oberstleutnant immer geärgert, weil man mir nie seine Schläge ansah. Leider konnte ich das nicht am Oberkörper machen, nur an den sichtbaren Stellen. Aber das wusste der Oberstleutnant nicht. Mit dieser Fähigkeit konnte ihn sehr gut zur Weißglut bringen. Nach zwanzig Minuten wusch ich mich und ging aus der Dusche heraus, trocknete mich ab. Im Spiegel kontrollierte ich, ob ich alle Hämatome beseitigt hatte, jedenfalls die sichtbaren. Zum Glück, ich hatte alle erwischt. Ich sah wieder etwas besser aus, wenn auch nicht gut. Aber das gab sich in ein paar Stunden. In dem Moment als ich fertig damit war mich abzutrocknen, kam Rudi zur Tür herein, um mir meine Sachen zu geben.
"Geht es wieder, Kleene?"
Dankend nahm ich ihm die Sachen ab. "Ja, tut mir leid. Ich hoffe, es war nicht so schlimm", gab ich leise zur Antwort.
Rudi ließ mich erst einmal anziehen. Dann kam er auf mich zu und nahm mich in den Arm. "Kahlyn, kannst du mir erklären, was mit dir los war? Es war die Hölle. Was hast du in deinem Zimmer drinnen gemacht?", entsetzen stand auf seinem Gesicht geschrieben.
"Das ist nicht so leicht zu erklären, das dauert ein bisschen. Wollen wir das oben im Zimmer machen oder unten in der Küche?"
"In der Küche. Ich denke alle sollten wissen, was los war. Du hast die Kinder zu Tode erschrocken", machte er mir zum Vorwurf.
"Das tut mir leid, das wollte ich wirklich nicht. Aber es war nicht meine Schuld. Hätte mich Jo gehen lassen, als ich ihn darum bat, wäre es nicht so schlimm geworden. Ich habe ihn so oft drum gebeten. Aber ihr müsst mich immer bedrängen, habt nie Vertrauen zu mir", verbittert kam dieser Vorwurf tief aus mir heraus und ich sah ihn dabei traurig an.
Rudi nahm mich an den Schultern und schob mich in Richtung Küche. Dort saßen alle zusammen, am liebsten wäre ich weglaufen, so böse sah mich Jo an. Struppi hatte sich unters Sofa verkrochen, als er mich sah, kam er auf mich zu gelaufen. Sprang freudig an mir hoch. Ich nahm ihn auf den Arm und kraulte ihn beruhigend hinter den Ohren.
Jo sah mich vorwurfsvoll an. "Was sollte das Kahlyn?", brüllte er mich an und kam wütend auf mich zu.
Rudi ließ mich los, um auf Jo zu zugehen, er wollte ihn beruhigen.
"Wenn du so etwas noch einmal machst Kahlyn, kannst du nicht mehr hier wohnen", brüllte Jo mich wütend an.
"Es tut mir leid. Ich wollte das nicht. Du hast meinen Schutz nicht zugelassen. Jetzt machst du mir Vorwürfe", hielt ich ihm seine Schuld kaum hörbar vor. "Ich werde euch nicht mehr belästigen", setzte ich genauso leise nach.
Blickte ihn weinend an und drehte mich einfach um, lief in Richtung der Tür. Rudi wollte mich festhalten, aber ich wich ihm aus, schon war ich aus der Tür und rannte ins Wäldchen. Lief in Richtung meiner Wache, dort gehörte ich hin. Denn da verstand ich alles und fühlte ich mich wohl. Nach dem Wäldchen, ließ ich Struppi einfach nach unten und er lief mir hinterher. Allerdings blieb ich kurz vor der Wache stehen und überlegte es mir anders.
Grübelnd setzte ich mich auf einen großen Stein, der am Straßenrand lag. Ich konnte nicht in die Wache zurück, fiel mir in diesem Moment gerade ein. Jo war der Polizeirat, er würde auch dafür sorgen, dass ich nicht mehr dort arbeiten durfte. Aber, wo sollte ich jetzt hin? Es blieb mir nur eine Option, zurück in die Schule, zurück in mein altes Leben und zurück in die Hölle. Aber das konnte ich meinem Struppi nicht zumuten, dazu war er einfach zu klein und vor allem, hatte er sich diese Hölle nicht verdient. Also würde ich noch einmal zurücklaufen müssen, zu den Runges. Struppi musste bei den Runges bleiben. Ich erklärte es meinen kleinen Freund. Traurig sah ich ihn an. Ich würde ihn schlimm vermissen. Wieder einmal begriff ich, dass ich kein Recht hatte, glücklich zu sein. Wie konnte ich mir auch einbilden, etwas so wertvolles wie einen Hund besitzen zu dürfen. Es war alles nur ein schöner Traum, der war vorbei. Ich war einsamer denn je. Wie konnte ich nur annehmen dass es ein solches Leben für mich gab!? Wie konnte ich so vermessen sein, dass es für mich ein schönes Leben geben sollte. Dabei hatte ich schon sehr früh begreifen müssen, dass Träume nie wahr wurden und die Realität danach nur noch um vieles schlimmer wurde. Ich hoffte nur, dass Rashida nicht auch solche Erfahrungen machen würde, wie ich. Ich gönnte ihr das kleine Glück, das sie hatte. Hoffte, dass Simon zu ihr besser war, als Jo zu mir. Er ließ meinen Schutz nicht zu und machte mich jetzt dafür verantwortlich. Ich hasste ihn dafür, dass er seinen Kindern das angetan hatte und dass er mir mein kleines Glück wieder nahm.
Ich drückte Struppi an mich und weinte in sein Fell. Lange brauchte ich, ehe ich mich beruhigt hatte und wieder klarer denken konnte. Ich überlegte mir wie ich jetzt weitervorgehen konnte. Mitnehmen konnte ich Struppi nicht. Aber ich versprach ihm, dass ich ihn holen würde, wenn er etwas größer war. Es war verdammt kalt geworden, dabei war es noch nicht einmal 20 Uhr. Struppi fror jetzt schon. Ich konnte ihn also unmöglich durch die ganze Republik schleppen. Das wäre sein Tod. Ich steckte ihn in meine Trainingsjacke, so dass er meine Körperwärme spürte. Ich kehrte auf Umwegen zu den Runges zurück.
Genau sondierte ich das dortige Gelände. Da ich einer weiteren Begegnung mit den Menschen entgehen wollte. Weil ich sie so liebte und sie mich einfach weggestoßen hatten, obwohl mich keine Schuld traf. Die Menschen, die verhindert hatten, dass dieser Anfall kontrolliert stattfinden konnte. Mir aber jetzt die ganze Schuld daran gaben, dass es so schlimm geworden war. Ich verstand diese Menschen einfach nicht. Traurig beobachtete ich das Haus, von einem Baum aus. Ständig kamen Toniwagen. Rudi fuhr weg und kam wieder. Auch Jo, John, Ronny kamen und suchten nach mir. Sollten sie mich ruhig suchen, sie würden mich nicht finden. Keiner von ihnen, dachte so wie ich. Die Einzigen die eine Chance hätten mich aufzuspüren, wären meine Freunde. Aber auch vor ihnen konnte ich mich verbergen. Ich würde bei meiner Flucht auch darauf achten müssen. Gegen 20 Uhr kamen die beiden Einsatzbusse, das Beta und das Delta Team, begann eine Fächersuche. Sie kämmten das gesamte Gebiet durch. Immer weiter entfernten sie sich vom Grundstück der Runges. In der Verbindung, in der die Jungs ja unerfahren waren, hörte ich alles mit, was sie vorhatten. Allerdingst vertraute ich ihnen nicht mehr. Ich glaubte ihnen nicht, das was sie dachten. Zu sehr war ich enttäuscht von Runges und Rudi. Traurig beobachtete ich deren Haus, in dem es langsam ruhiger wurde.
Kurz vor 2 Uhr fuhren die letzen Streifenwagen weg, mit Rudi, John, Jo und Ronny, auch die beiden Busse wurden abgeholt. Bei den Runges wurde es ganz ruhig, nach einer weiteren halben Stunde war alles dunkel. Ich ging über die Garage des Nachbargrundstückes, auf das Grundstück von den Runges. Hebelte die Terrassentür auf und betrat die Küche. Dort holte ich mir eine Tasse Tee und machte Struppi eine Portion Futter zu Recht und gab ihm Wasser. Ich trank meinen Tee aus, dann sah ich das Bild, dass ich für Jo gemalt hatte. Eine unsagbare Wut erfasste mich. Ich nahm den Stift und zeichnete zu den auf dem Bild befindlichen Personen noch eine siebende Person dazu. Ein Skelett mit einer Sonnenbrille, der pure Hass hatte mich in den Griff bekommen. Der Hass auf Jo, der mich hatte nicht gehen lassen. Der verhinderte, dass ich den Anfall abfangen konnte. Der Hass auf Jo, der mir jetzt die Schuld gab, dass es aus dem Ruder gelaufen war. Obwohl ich doch nur versuchen wollte, die Runges zu schützen. Der Hass auf Jo, der mich in meinen Horror zurück trieb, in die Schule. Der mich zurück schickte in meinen schlimmsten Alptraum. Der Hass auf Jo, der mir das wertvollste nahm, dass ich je besessen hatte, meinen Struppi. Unter das Bild schrieb ich in der Kaligraphie, der Schönschrift die ich bei Katrin das erste Mal gesehen hatte.
"Kahlyns letzter Besuch."
Ich beugte mich zu Struppi nach unten und gab ihm einen letzten Kuss. Dann zog ich meine Jacke noch einmal aus und gab Struppi mein T-Shirt. Lief nach hinten in die Wäschekammer und holte mir einen Trainingshose, legte meine guten Sachen in den Wäschekorb, auch stellte ich meine Schuhe daneben. Zurück ging es in die Küche, Struppi winselte. Ich beruhigte den kleinen Kerl, versprach ihm noch einmal, dass ich ihn holen würde, wenn er etwas größer war. Dann verließ ich das Haus der Runges durch den Vordereingang und schlug laut die Tür zu. Sollten sie ruhig wissen, dass ich noch einmal hier war, so konnte sich jemand um den kleinen Struppi kümmern. Vor allem konzentrierten sie ihre Suche dann wieder nach hier. Jetzt lief ich nun doch noch einmal in die Wache, denn ich brauchte noch einiges aus meinem Spint.
Es war kurz vor dreiviertel Drei, als ich eine Möglichkeit sah, ungesehen in die Wache zu kommen. Über die Fassade, war ich auf das Dach des Gebäudes gelangt und von dort aus in den Hof. Kam so über die stets offene Hoftür in das Gebäude. Beobachtete aus dem Schatten heraus, den Bereitschaftsraum. Dort war ein Kommen und Gehen. Es wurde diskutiert, wo ich stecken könnte. Um 4 Uhr 30 jagte Rudi alle für eine Stunde in die Betten, weil man um 6 Uhr wieder mit der Suche beginnen wollte. Im Dunkeln, hatte die Spurensuche keinen Sinn mehr. Immer wieder versuchten die Jungs über die Notfalltür zu mir vorzudringen. Allerdings blockte ich all ihre Versuche ab. Ich wollte mit niemanden von diesen Verrätern mehr reden. Zu sehr war mein Vertrauen zerstört, ich traute niemand mehr.
In den vergangen Stunden, hatte ich darüber nach gegrübelt, warum mich die Runges nicht mehr haben wollten. Ich kam zu keinem brauchbaren Ergebnis. Der einzig mögliche Schluss für mich war, dass sie mich die ganze Zeit getäuscht hatten. Ich hatte ihnen einfach zu schnell vertraut, dies würde ich nie wieder tun. Kurz vor 5 Uhr war Ruhe in der Wache eingetreten. Ich wartete noch fünf weitere Minuten zur Sicherheit. Dann schlich ich an meinen Spind, holte mir meine Ausrüstung, die ich von der Schule mitgebracht hatte. Band mir die Messerhalfter um, den Nahkampfgürtel, außer die Shuriken. Das Fangseil band ich mir um und nahm mir die Hacke und den Spaten. Meine Taiji Schwerter ließ ich schweren Herzens zurück, mit den würde ich zu viel Aufsehen erregen. Leise lief ich nach hinten in Rudis Büro, holte mir einen Zettel und schrieb darauf.
"Die Schwerter schickt ihr bitte Rashida. Sie gehören ab sofort ihr."
Als ich den Zettel fertig geschrieben hatte, sah ich das Bild der Runges liegen, nahm es an mich. Kehrte zurück zu den Spinden. Klemmte den Zettel in dem Waffenschrank, zwischen die beiden Schwertschachteln. Steckte den Medi-Koffer in den Rucksack, auch nahm ich mein Mejo mit. Gerade wollte ich gehen, als mein Blick auf meine Bilder fiel. Wütend wie ich war, ging ich hin und nahm die Bilderrahmen von der Wand. Schnell holte ich die Bilder heraus und zerriss sie in Stücke, auch, dass der Runges. Nichts sollte mehr an mich erinnern. In Frans Küche nahm ich den Anzünder und brannte die Stücke an. Zurück im Aufenthaltsraum, hing ich die leeren Bilderrahmen wieder an die Wand. Öffnete sperrangelweit das Fenster und sprang einfach auf die Straße. Dann lief ich über die Kreuzung in Richtung Autobahn. Ich fühlte die Blicke, mit denen mich die Wachtmeister verfolgten. Aber eh die Wachtmeister jemanden informiert hatten, war ich auf der leeren Straße schon längst verschwunden. Die kannten mich noch lange nicht, ich hatte Zeit. Sie würden mich niemals dort suchen, wo ich langlief. Ich wusste wie man Spuren verwischen musste, wenn man nicht gefunden werden wollte. Ich hatte dreizehn Jahre Erfahrungen in solchen Dingen, die ich im Kampf gesammelt hatte. Sie wollten mit mir einen Krieg anfangen, sie sollten ihren Krieg dann auch haben.
Die Kollegen aus Gera hatten mich enttäuscht und mit meinen Gefühlen gespielt. Dass Schlimmste daran war allerdings, sie hatten mich verraten. Sie würden es nie wieder schaffen mich so hinters Licht zu führen. Wenn man mich schon zurück in die Hölle schickte, dann nach meinen Bedingungen. Ich würde bestimmen wie und wann ich dort ankam. Vor allem wollte ich nicht gefunden werden, nie wieder. Ich wollte mit diesen Verrätern nie wieder etwas zu tun haben. Ich wusste sie würden mich auch in der Schule suchen. Allerdings machten sie eine Rechnung ohne mich, dort kannte ich mich besser aus. Ich hatte Heimvorteil und kannte hunderte von Verstecken. In der Schule würden sie nach meinen Regeln, mit mir spielen müssen. Da würden es ihnen auch nichts nutzen sich meine Freunde oder den Doko zu Hilfe zu holen.
Erst in der Schule würde ich in Ruhe darüber nachdenken, wie es weiter gehen sollte. Jetzt hatte ich einfach, meinen Kopf nicht frei. Es tat einfach alles zu sehr weh. Nach meiner Ankunft in der Schule, würde die erste Wut verlaufen sein. Denn ich hatte Hunderte von Kilometer vor mir die ich überwinden musste und ich durfte keine Spuren hinterlassen. Ich wollte nicht, dass mich jemand fand. Es war mein letzter Weg, ich würde nie wieder zulassen, dass man mich so verletzte. Ein kurzer Gedanke flammte in mir auf. Noch einen Weg konnte ich gehen, den Weg der Mitte, darüber würde ich aber erst in der Schule nachdenken. Erst einmal hatte ich andere Sorgen.
Zügig lief ich in Richtung Stadtzentrum und folgte den Schienen der Straßenbahn, überquerte die Brücke die über die Elster führte, bis ich den Park mit den alten Bäumen erreicht hatte. Dann wechselte ich noch einmal die Richtung.
Nach dem ich den kleinen Park erreicht hatte, an dem wir mit der Straßenbahn vorbeigefahren waren, lief ich eine Weile darin herum und hinterließ in Richtung Stadtmitte viele auffällige Spuren. Dann sprang ich nach oben in die Bäume und folgte diesen in Richtung Elster. Vorsichtig, um keine noch so kleinen Spuren zu hinterlassen, ging ich am Ende des Parks, auf eine hohe Mauer die um ein Fabrikgelände gezogen war und von dort aus auf die Straße. Immer im Schatten bleibend, lief ich zurück in den Park an der Wache. Kurzerhand schwamm ich durch die Elster ans andere Ufer. Die Dunkelheit bot mir genügend Schutz, um die knappen sechzig Meter, die der Fluss breit war, ungesehen zu überwinden. Hier in dem Park an der Wache, würden sie mich am Wenigsten suchen. Von hier aus konnte ich allerdings die Wache über den Tag, aus dem Gipfel der alten Kastanie genau beobachten. So wusste ich, über deren weitere Vorgehensweise genau Bescheid.
Kurz vor 6 Uhr fuhren drei Busse aus der Wache in Richtung Autobahn davon. Also hatte Rudi alle Teams zum Einsatz gerufen. Sie würden die Autobahn abriegeln und versuchen, mich dort zu erwischen. Also konnte ich es mir leisten, etwas zu schlafen. Ich kletterte noch ein Stück höher, in die Krone der Kastanie und war froh, dass noch etwas Laub an dem Baum hing. Dadurch hatte ich noch mehr Deckung. Obwohl ich mir kaum vorstellen konnte, dass mich einer hier oben suchen würde. Ich suchte mir eine Astgabel, in die ich mich bequem legen konnte und schlief fast sofort ein. Auch, wenn ich nicht besonders tief schlief, da alle meine Sinne auf Alarm waren. Erholte ich mich einigermaßen.
Als ich erwachte war mir hundekalt. Mein Overall war gefroren. Also waren es heute minus Grade. Ich rieb mir meine klammen Hände, um die Blutzirkulation wieder anzutreiben. Immer noch versuchten die Jungs über die Notfalltüren zu mir durchzukommen, vor allem Rudi und John versuchten es ständig, aber vergeblich.
Lange musste ich warten, bis die Busse der drei Teams wieder zur Wache zurückkehrten, es war schon kurz nach 22 Uhr, als sich die Tore zum Hof wieder schlossen. Eine Stunde später, fuhren die Toniwagen wieder ihre üblichen Touren. Sie hatten also aufgegeben und würden jetzt also versuchen, mich über den Oberst finden zu lassen. Jetzt kamen Conny und meine Freunde ins Spiel, also musste ich vorsichtig sein. Es wurde Zeit, dass ich aufbrach. Langsam und meine Umgebung genauestens beobachtend, ging ich aus der Kastanie in den Schatten. Ich nahm Abschied von meiner Wache, von der ich dachte, dass sie mein neues zu Hause war und ich hier Freunde gefunden hatte. Aber es war keine Zeit dazu traurig zu sein. Ich musste vorsichtig vorgehen und meine Spuren gut verwischen. Also machte ich mich auf den Weg und lief los in Richtung Süden, das war die Richtung, in der sie mich zuletzt suchen würden. Lief die Wiesestraße entlang, vorbei an Miguels Fleischerei und an der Bäckerei von Chris, in der schon oder immer noch Licht brannte. Immer weiter ging es in Richtung Weida. Erst als ich Steinsdorf erreicht hatte, also gute achtzehn Kilometer in die falsche Richtung gelaufen war, wandte ich mich Richtung Westen, nach Rohna. Nach weiteren dreizehn Kilometern hatte ich Geheege erreicht. Jetzt befand sich vor mir ein riesiges Waldgebiet, dass ich gut zur Deckung nutzen konnte. Schnell erreichte ich Zwackau, von dort aus ging ich weiter in Richtung Meusebach, Leutra. Ich mied alle Ortschaften, suchte stets die Deckung der Wälder, auch wenn das für mich riesige Umwege bedeutete. Ich hatte ja Zeit.
Nach Leutra änderte ich nochmals die Richtung und wandte mich gegen Norden, in diese Richtung musste ich von jetzt aus laufen, um nach Hause zu kommen. Nach Hause, in meine Schule. Den einzigen Ort auf der Welt, wo ich genau wusste, was richtig und was falsch war. Ungefähr einen Kilometer westlich, passierte ich Jena und lief weiter nach Norden. Kam gegen 2 Uhr in der Früh, oberhalb von Rödigen an einen kleinen Teich, an dem ich eine Pause machen konnte. Fast hundert Kilometer war ich am Stück im hohen Tempo gelaufen. Dieses Tempo hielt ich nicht lange durch, jedenfalls nicht in meinem jetzigen angeschlagenen Zustand. Am See trank ich etwas Wasser und machte eine zehn Minütige Pause, um mich etwas zu erholen. Danach ging es weiter in Richtung Norden. So kam ich gegen 6 Uhr, östlich der Ortschaft Lochow, an einen Fischteich. Noch einmal trank ich mich satt und lief weiter nach Friedensau.
Kurz vor Friedensau, sicherte ich mich in einen der Bäume, zum Schlafen. Fast dreihundert Kilometer war ich am Stück gelaufen, abseits von der Route, die ein normaler Mensch laufen würde. Sie führte mich weit ab vom kürzesten Weg, allerdings trotz allem zum Ziel. So schlief ich unentdeckt, gegen 7 Uhr am Morgen ein. Da ich mich sicher fühlte, schlief ich fest und erholsam, kam langsam etwas zur Ruhe. Am späten Nachmittag weckte mich ein bekanntes Geräusch, ein Hubschrauber überflog das Gebiet in Suchschleifen. Ich kannte diese Hubschrauber, es war der Drachen. Innerlich lachte ich, Conny kannte mich wirklich sehr genau. Allerdings würde er mich nicht finden. Ich lag gut versteckt, in einem gut belaubten Baum. Von oben konnte er mich nicht entdecken und am Boden hatte ich keine Spuren hinterlassen. So dass er keinen Grund hatte, aus dem Drachen auszusteigen. So gut war Conny nicht, dass er diese wenigen Spuren finden konnte, dich ich beim Laufen hinterließ. Noch dazu, da ich keine Schuhe anhatte, barfuß hinterließ ich noch weniger Spuren als normal. Kurz nach 19 Uhr, entfernten sich die Geräusche die der Hubschrauber machte, kurz nach 20 Uhr waren diese in Richtung Norden verschwunden. Ich vermutete bestimmt richtig, dass Conny seine Suche, jetzt auf Feldhusen und Umland konzentrieren würde. Aber ehe ich dort angekommen war, würde er auch dort die Suche aufgegeben haben.
Das war der Grund, weshalb ich in Gera so lange gewartet hatte. Man vermutet mich, viel näher am Ziel, als ich wirklich war. Das war mein Ziel gewesen. Conny hatte nur, so wie ich es auch oft machte, das Unmögliche ausgeschlossen. Kein Wunder, er hatte viel von mir gelernt und arbeitete oft nach dem gleichen Raster. Wir waren uns viel zu ähnlich geworden. Er würde jetzt keine Zeit mehr daran verschwenden, um an den falschen Stellen zu suchen. Er würde sich von nun an auf das Wesentliche konzentrieren.
So konnte ich es mir wagen, weiter zu laufen. Es war schon lange nach Mitternacht, als ich aus dem Baum ging und meinen Weg fortsetzte. Ich war froh mich wieder bewegen zu können, denn mir war verdammt kalt. Zügig lief ich weiter in Richtung Norden, vorbei an Genthin, Mallentin, nach reichlich dreieinhalb Stunden, also in den frühen Morgenstunden, des dritten Tages, hatte ich das ungefähr zweihundertfünfzig Kilometer entfernte Feldhusen erreicht. Von dort aus war es nicht weit zum Deipsee, an dessen Ufern sich mein zu Hause und unsere alte Schule befand. Endlich war ich angekommen. Ich ging über einen nur uns Kindern bekannten Stollen, in meine Schule und suchte unseren Raum auf.
Mein erster Weg, führte mich an den Wasserhahn, ich hatte großen Durst. Als nächstes, ging ich zu den Verbindungstüren und änderte überall die Zugangscodes, so dass nicht einmal mehr der Doko, in den Schülerbereich der Schule konnte. Alle fünf Zugangstüren, versiegelte ich auf diese Weise, vor dem Zugriff Fremder. Wenn jetzt jemand versuchte, mit einem falschen Code in die Schule zu kommen, würde automatisch der Alarm ausgelöst. Ich erhielt also sofort eine Warnung, dass Gefahr drohte. Dadurch konnte ich mich, in eines unserer Verstecke zurück ziehen. Damit fertig, kehrte in unseren Raum zurück. Erstaunt stellte ich fest, dass sogar die Decken, noch auf unseren Betten lagen. Ich rollte mich auf meinem alten Bett zusammen, um zu schlafen. Hier war ich sicher, außer dem Oberstleutnant und dem Doko, kannte niemand die Zugangscodes und diese waren durch mich geändert. Der Schülerbereich, war damit hermetisch versiegelt. Erschöpft, vor allem traurig, fiel ich in einen tiefen Schlaf. Nur eine Sache hatte ich dabei nicht bedacht…
Die Runges konnten nicht fassen, was sie gerade erlebten und sahen sich entsetzt an. Jo hatte mit allem, aber nicht mit diesen Reaktionen, seiner Familie und Kahlyn, gerechnet. Rudi versuchte noch hinter Kahlyn her zu laufen, aber es war zu spät. Sie war schon am Wäldchen und verschwand gerade zwischen den Bäumen.
Viola sagte wütend zu Jo. „Musste das jetzt wirklich sein, Jo? Hast du gesehen wie das Mädel aussah. Hättest du sie nicht erst einmal setzen lassen können? Musstest du sie so anbrüllen? Du hast Kahlyn, total verschreckt. Du bist unmöglich. Du hast alles kaputt gemacht“, erhob Viola schwere Vorwürfe gegen ihren Mann.
Jenny weinte und war ebenso wütend auf ihren Vati, wie ihre Mutti und Tom.
Jenny brachte es mit Worten sehr deutlich zum Ausdruck. „Du hast sie einfach vertrieben. Du hast sie regelrecht weggejagt. Du bist so gemein, Vati“, brachte sie zwischen vielen Schluchzern hervor.
Tom sah seinen Vati böse an. „Sie hat doch nichts gemacht, warum brüllst du sie an?“, warf er weinend und vor allem wütend zu seinem Vati vor.
Jo sah zwischen Viola und seinen Kindern hin und her. Er war sprachlos und entsetzt über diese Reaktion.
Tim saß weinend auf Violas Schoss. „Dalyn, weddelaufen. Dommt nis wieder?“, fragend sah er seine Mama an.
Viola versuchte den kleinen Buben zu beruhigen.
Rudi kam wutentbrannt, zurück ins Haus. „Das hast du super gemacht, Jo. Weißt du, was die Kleene, als einziges registriert hat. Du kannst hier nicht mehr wohnen. Verdammt noch mal“, fuhr er Jo an.
„Rudi…“
Rudi war viel zu wütend auf Jo, um klar denken zu können. „Hoffe, dass sie in die Wache läuft. Wenn nicht, weiß ich nämlich nicht, wo ich sie suchen soll. Verdammt nochmal, musste das wirklich sein? Du weißt wie sensibel die Kleene in manchen Dingen ist.“
Jo stand auf und wollte Rudi beruhigend die Hand auf die Schulter legen, aber der drehte sich weg. Rudi war regelrecht in Panik. Er hatte an Kahlyns Haltung gesehen, dass sie vollkommen dicht gemacht hatte. Viel zu aufgewühlt von seinen Gefühlen und der Panik die sich in ihm breit machte, ging er zum Telefon und wählte die Nummer der Wache. Er ließ die Wachtmeister nicht einmal zur Wort kommen und sprach sofort in den Hörer.
„Leute, hier ist Rudi. Kahlyn ist weggelaufen, bitte informiert mich sofort, wenn sie ankommt. Informiert bitte alle Streifenwagen, dass sie nach der Kleenen, Ausschau halten sollen. Lasst sie bitte in Ruhe. Sie ist total von der Rolle, nicht das noch etwas passiert. Ich komme sofort hin.“
Wütend schmiss er den Hörer auf die Gabel und nahm sich den Autoschlüssel vom Brett. Verließ Gruß und Wortlos das Haus. Kaum zwölf Minuten später hatte er die Wache erreicht und stellte seinen Trabi einfach halb auf den Bürgersteig.
„Guten Abend Felix, bitte sag mir das die Kleene hier angekommen ist.“
Felix schüttelte nur den Kopf.
Rudi raufte sich die Haare und griff nach dem Hörer, um die Runges anzurufen. Vielleicht hatte sie es sich noch einmal überlegt und war zurück gekommen.
„Bei…“ Weiter kam Jo nicht.
„Ist die Kleene bei euch?“, fragte er böse.
„Nein Rudi“, gab Jo sofort Auskunft, der sich jetzt auch Sorgen machte.
„Seht mal in ihrer Ecke nach, auf der Terrasse, vielleicht hat sie sich dort versteckt“, bat Rudi immer noch in einem bösen und sehr barschen Ton, den man so nicht von ihm gewohnt war.
„Rudi, dort haben wir gerade nachgesehen, sie ist nicht da. Verdammt das kann sie doch…“ Weiter kam Jo nicht, denn Rudi hatte wütend den Hörer aufgelegt.
„Olli, sag mal ist Detlef da oder haben die Einsätze?“
„Rudi, es sind keine Einsätze geplant. Es sind alle hinten.“
„Danke Olli, bitte fahrt mein Auto mal auf den Hof. Dazu habe ich gerade keinen Nerv, danke.“
Rudi warf Olli seinen Autoschlüssen zu und lief ohne ein weiteres Wort zu sagen, nach hinten in den Bereitschaftsraum. Dort saßen alle beim Abendessen.
„Hallo Rudi, was verschlägt dich denn hier her? Hast wohl Hunger, komm setzt dich oder hast du uns so vermisst“, stichelte Ronny.
Rudi ignorierte einfach die Zurufe von ihm und lief mit den Worten „Lasst mich doch einfach alle in Ruhe. Ich muss mal euer Telefon benutzen.“
Rannte nach hinten in das Büro der Teamleitung. Die Jungs sahen ihn erschrocken hinterher. Erst jetzt hatten sie registriert wie schlecht Rudi aussah. Im Büro angekommen, setzte er sich sofort ans Telefon, um John anzurufen.
„Ja hallo, Ramira Peters am Apparat“, meldet sich Ramira, Johns Tochter.
„Ramira, Schatz, ist der Papa zu Hause? Hier ist Onkel Rudi“, wollte er freundlich von seinem Patenkind wissen.
„Ja, Onkel Rudi, soll ich ihn dir holen?“
„Ja mein Schatz, sei bitte so lieb. Sag dem Papa es ist ganz dringend.“
Schon hörte er, wie Ramira den Hörer hinlegte. Im Hintergrund hörte man Ramira rufen. „Papa, schnell du musst ans Telefon, es ist ein Notfall. Onkel Rudi will dich sprechen.“
Man hörte hastige Schritte, schon meldete sich John am Apparat. „Rudi, was ist denn los? Ist wieder Großeinsatz?“ fragte er erschrocken.
„Nein John, ich weiß mir keinen Rat, die Kleene ist weggelaufen. Jo hat sie böse an gepulvert, weil sie die Kinder erschrocken hat. Bitte habe eine Idee, wo ich sie suchen kann, in der Wache ist sie nicht.“
John atmet erschrocken aus. „Wo bist du?“, erkundigte er kurz und knapp.
„Auf der Wache, ich mache mir solche Sorgen, sie blockt selbst die Notfalltüren ab. Ich komme nicht an sie heran“, erklärte er panisch.
So hatte John, seinen Freund noch nie erlebt. Rudi war kurz vor dem Durchdrehen. Er muss schreckliche Angst um das Mädchen haben. Verdammt, was war da bloß wieder passiert, ging es John durch den Kopf. Kam seine kleine Freundin eigentlich nie zur Ruhe? Einen kurzen Augenblick überlegte er, rieb sich das Genick.
„Bleib wo du bist, ich komme“, im gleichen Moment legte John den Hörer auf und wandte sich an seine Frau. „Carmen ich muss in die Wache, da ist irgendetwas passiert. Kahlyn ist weggelaufen, Rudi ist völlig in Panik, er kann sie nicht finden. Sollte sie hier oder bei deinen Eltern aufkreuzen, dann rufe mich sofort an und bitte lasst die Maus in Ruhe gebt ihr einen Kaffee und ruft mich an“, rief er seiner Frau zu und war schon im Laufschritt unterwegs, nach draußen zu seinem Wagen und fuhr zur Wache. Rudi jedoch telefonierte weiter, wollte erst einmal alle Möglichkeiten ausschließen. Ignorierte erst einmal Detlef und Ronny, die soeben ins Büro gekommen waren.
Als nächstes wählte er die Nummer von Inge. „Kronen, was kann ich für sie tun“, meldete sich Inge selber am Apparat.
„Inge, hier ist Rudi. Wir haben ein großes Problem, ist die Kleene bei euch aufgetaucht? Könntest du den Wachdienst vom Warenhaus bitte informieren, falls sie dort aufkreuzt, dass sie die Kleene in Ruhe lassen sollen. Sie ist in Panik, wir finden sie nicht.“
Inge schnappte nach Luft. „Um Gottes Willen Rudi, was ist denn passiert?“, wollte Inge genau wissen.
„Inge ich habe wirklich keine Zeit. Bitte, ich mache mir große Sorgen, die Kleene ist völlig von der Rolle. Kannst du dort bitte mal anrufen, ob die Kleene dort ist. Vielleicht könnten die in der Eisdiele auch mal nachfragen, vielleicht ist sie auch dort hin gelaufen. Die Bedienung war sehr nett zu ihr, vielleicht ist sie in ihrer Panik dorthin gelaufen. In der Wache ist sie nicht. Inge die Kleene ist total durch den Wind.“
Inge atmete schwer. „Rudi, ich fahre selber hin, wo erreiche ich dich.“
„Inge, rufe einfach in der Wache an, die teilen mir das mit, die wissen wo ich zu erreichen bin. Danke für deine Hilfe“, sofort legte er auf, wählte schon die nächste Nummer.
„Klubhau …“
Rudi unterbrach Carlos einfach. „Carlos, hier ist Rudi, sag mal ist die Kleene eventuell, bei euch aufgetaucht?“, fragte er immer panischer, weil ihm langsam die Ideen ausgingen. Er wusste nicht mehr, wo er seinen Schützling noch suchen sollte.
„Rudi, bitte beruhige dich. Was die Kleene sollen denn hier bei mich?“, erkundigte Carlos verwundert.
„Carlos, die Kleene ist in Panik. Sie hat etwas in den falschen Hals bekommen. Meistens läuft sie in die Wache, aber hier ist sie nicht. Ich weiß nicht, wo ich sie noch suchen soll. Ich gehe jetzt einfach alle Leute durch, die sie kennt. Vor denen sie nicht weglaufen würde.“
„Rudi, falls sollen sie kommen her, rufen ich an sofort auf der Wache. Machen keine Sorgen dich. Ihr schon passieren nichts. Der Spatz sein es doch gewohnt aufzupassen auf sich.“
„Dein Wort in Gotte Gehörgang. Sie ist in Panik, aber danke bis später“, er legt auf und wählte schon die nächste und die letzte Nummer die ihm einfiel.
„SEK Forst, Major Kreuzer…“ Weiter ließ Rudi, Simon nicht reden.
„Simon, bitte sei so lieb, falls die Kleene bei euch auftauchen sollte, sorgt dafür, dass sie nicht wieder wegläuft. Sie hat etwas falsch verstanden. Hat hier fluchtartig die Runges verlassen, wir finden sie nicht. Vielleicht kannst du auch mal mit Rashida reden, vielleicht hat die eine Idee, wo wir sie noch suchen können. Mir gehen die Optionen aus, ich bin total verzweifelt“, überflutete er Simon mit Informationen.
„Rudi, bleeb ma janz ruhig. Erstens passiert der Jleenen, net so schnell wat. Dee sin jewohnt uf sich selber ufzupassen. Ick red ma mit Rashi, vielleecht hat dee eene Idee. Aber mach dich jeene Sorjen, ick weeß dat die sich nix antun jönnen. Bis später, ick meld mir, so schnell es jeht“, mit seinem letzten Wort legte Simon auf.
Rudi stützte den Kopf in die Hände und raufte sich die Haare.
„Mein Gott Rudi, was ist denn los. So bist du doch sonst nicht durch den Wind.“
Bevor Rudi antworten konnte, fiel ihm noch der Oberst ein. Sofort griff er abermals zum Telefon und wählte dessen Nummer.
„Soko Tiranus, Oberst Fleis…“
Rudi sprach einfach los, war viel zu sehr durch einander, als das er Anstandsregeln einhalten wollte. Er wollte nur wissen, wo seine Kleene war.
„Willy, hier ist Rudi, bitte falls die Kleene bei euch auftauchen sollte, haltet sie fest. Sie hat etwas falsch verstanden, sie ist total durch den Wind und ist einfach weggelaufen. Ich weiß nicht, wo ich sie noch suchen soll.“
Oberst Fleischer versuchte Rudi zu beruhigen. „Rudi, bleibe ganz ruhig. Kahlyn, kann auch in Paniksituationen klar denken. Ihr passiert nichts. Ich kümmere mich darum, rufe ihre Freunde aus der Schule an, ob die eine Idee haben, wie sie in so einem Fall reagieren könnte. Ich melde mich über Funk, der Funker soll mir sagen, wie ich euch erreichen kann. Mache dir keine Sorgen, Kahlyn ist ein kluges Mädchen, sie weiß, was sie tut, auch wenn sie in Panik ist.“
Rudi atmete erleichtert auf. Willy glaubte er das gern, er kannte seine Kleene am längsten.
Ronny starrte Rudi an, genauso wie Detlef. „Rudi, was ist denn los? Du siehst total fertig aus. Herr Gott noch mal, so bist du doch sonst nicht, durch den Wind.“
Rudi schüttelte den Kopf und lehnte sich zurück, versuchte sich erst einmal zu beruhigen, so konnte er nicht klar denken. In dem Moment kam John in das Büro gestürmt.
„Rudi, was ist denn los?“, als er seinen Freund sah, begriff er, dass dieser total fertig war und nicht mehr klar denken konnte.
John musste dafür sorgen, dass Rudi sich erst einmal beruhigen konnte. Er ging zu ihm, setzte sich auf die Kante des Schreibtisches.
„Rudi, komm beruhige dich doch erst einmal“, sprach er beruhigend und leise auf ihn ein. „Dem Mäuschen nutzt es doch nichts, wenn du jetzt durchdrehst. Es reicht doch, wenn die Maus durch den Wind und in Panik ist. Erzähl erst mal, was passiert ist, vielleicht fällt uns gemeinsam etwas ein.“
John stand auf und holte vier Kaffee, reichte Zucker und Sahne herum. Rudi nehm John dankbar den Kaffee ab.
„Was ist denn eigentlich bei den Runges passiert?“
Rudi rieb sich das Genick, er hatte wahnsinnige Kopfschmerzen und es schien ihm alles über den Kopf zu wachsen. Gerade wollte er anfangen zu reden, als Jo ins Büro gestürmt kam. Das war der Punkt, an dem Rudi ganz aus dem Anzug sprang und seine Beherrschung ganz verlor. Er gab Jo die ganze Schuld für Kahlyns Verhalten.
„Was willst du denn hier, verschwinde aus meiner Wache. Hast du heute nicht schon genug Unheil angerichtet“, brüllt er seinen besten Freund wütend an und sprang von seinem Stuhl auf und wollte in seiner maßlosen Wut auf Jo, auf diesen losgehen.
John hatte Mühe seinen Freund zurück zu halten.
Jo sah Rudi erschrocken an. „Rudi, bitte…“
Weiter kam er nicht. „Verschwinde, bevor ich mich völlig vergesse“, brüllte Rudi weiter, zu keinem klaren Gedanken mehr fähig.
Jo drehte sich um und verließ das Büro. Er merkte, dass er so nicht mehr an Rudi heran kam. Detlef, Ronny und John, sahen ihren Chef erschrocken an. So war er noch nie mit einem Vorgesetzten umgegangen und schon gar nicht mit seinem besten Freund. John drückte Rudi auf seinen Platz zurück, mit dem Kopf nickte er den beiden Teamchefs zu, signalisierte ihnen so, dass sie das Büro verlassen sollten. Rudi war nicht mehr ansprechbar. Sein Atem ging rasselnd und er saß mit großen Augen auf seinen Stuhl, war unfähig einen klaren Gedanken zu fassen.
John nahm Rudis Tasse und drückte sie ihm in die Hand. „Komm trink erst einmal einen Schluck, damit du wieder normal denken kannst“, bat er ihn ganz leise.
Rudi nahm die Tasse mit zitternden Händen und trank einen großen Schluck. „Tut mir leid John, aber ich könnte Jo umbringen. Er hat der Kleenen nicht mal Zeit gelassen, sich zu setzen. Ist sie gleich dermaßen angegangen, dabei sah man ihr an wie schlimm es ihr gehen musste. Wenn meiner Kleenen etwas passiert, bringe ich ihn um“, ließ er seiner Wut freien Lauf, bitter klangen seine Worte.
„Damit wartest du bitte noch ein paar Tage“, versuchte John zu scherzen.
Das brachte ihm nicht gerade freundliche Blicke, von Rudi ein.
„Rudi, komm beruhige dich. So aufgebracht wie du bist, finden wir sie überhaupt nicht.“
Rudi nickte und trank seinen Kaffee. Langsam wurde er wieder etwas ruhiger, sein Kopf schmerzte nicht mehr so sehr. Fast zehn Minuten brauchte er, um sich einigermaßen zu beruhigen.
„So ist es besser, kannst du wieder normal denken?“
Rudi nickte und stand wortlos auf, um sich eine weitere Tasse Kaffee zu holen. „Ich hole Detlef und Ronny. Kann ich Jo auch mitbringen oder gehst du ihm wieder an die Kehle?“
Rudi schüttelte den Kopf. „Nein John, ich habe mich fast beruhigt.“
Erleichtert ging John nach vorn, um die Drei zu holen. Rudi stützte seinen Kopf auf die Hände, grübelnd saß er am Schreibtisch. Überlegte, wo Kahlyn hingelaufen sein könnte. Nur ein Ort fiel ihm sofort ein, in ihre Schule. Zurück in die Hölle, wo sie wusste wie sie sich zu verhalten hatte. Was falsch und was richtig war. Wo sie alle Reaktionen voraussehen konnte und wo sie genau wusste, wie alle reagierten. Vor allem, wo sie genau wusste, wem sie trauen konnte und wem nicht und wo sie sich sicher fühlte. Grübelnd und tief in Gedanken versunken fanden die Vier, ihren Freund vor. Mitleidig sahen sie auf Rudi, konnten sie sich doch vorstellen, dass dieser durch die Hölle gehen musste. Dass er sich verantwortlich fühlte, für das, was mit Kahlyn passierte.
„Rudi, kann ich bitte mit dir reden“, bat Jo verzweifelt.
Rudi sah Jo böse an. „Du hast sie nicht mal setzen lassen Jo. Hast du gesehen wie die Kleene ausgesehen hat. Aber du hast nichts Besseres zu tun, als sie in die Ecke zu drängen und anzubrüllen. Dann wunderst du dich, wenn sie wegläuft. Du hast alles kaputt gemacht, was wir in den letzten Wochen an Vertrauen aufgebaut haben“, warf er dem Freund immer wütender werden vor.
Weil ihm das Verhalten Jos in der Küche richtiggehend aufgeregt hatte. Selbst er wäre aus dem Anzug gesprungen, wenn ihn Jo so an gepulvert hätte.
„Rudi, bitte lass uns doch wie erwachsene Menschen unterhalten. Glaube mir, Viola und Jenny, sogar Tim und Tom, haben mir schon den Kopf gewaschen, das musst du nicht auch noch machen. Ich habe falsch reagiert. Aber verdammt noch mal, ich war wütend auf die Kleene. Ich wollte heute früh mit ihr reden, weil ich da schon sah, dass etwas nicht stimmte und es ihr nicht gut ging. Aber sie hat nie Vertrauen, wir sollen welches haben, sie dagegen lässt uns immer auflaufen. Das ist doch nicht fair.“
Rudi fauchte seinen Freund Jo böse an. „Was hat das bitte mit einem Vertrauensbruch zu tun, wenn sie dich bitten sie gehen zu lassen? Sie hat zu mir gesagt, als sie aus dem Zimmer kam. „Es war nicht meine Schuld. Hätte mich Jo gehen lassen, als ich ihn darum bat, wäre es nicht so schlimm geworden. Aber ihr müsst mich immer bedrängen, habt nie Vertrauen zu mir.“ Jo sollten wir nicht als erstes Vertrauen haben. Die Kleene hat so viel Vertrauen zu uns aufgebaut, in den letzten Wochen. Hat mehr Menschen an sich heran gelassen, als in ihrem ganzen vorangegangenen Leben. Was verlangst du von der Kleenen eigentlich. Dass sie sich so verhält wie deine Kinder, das kann sie nicht. Statt ihr zu vertrauen, brüllst du sie an. „Wenn du sowas noch mal machst Kahlyn, kannst du nicht mehr hier wohnen.“ Wie hättest du denn an ihrer Stelle reagiert? Ich hätte dir das gleiche geantwortet. „Ich werde euch nicht mehr belästigen.“ Genau dasselbe“, krampfhaft versuchte Rudi sich zu beruhigen, doch die ganze Wut auf Jos falsches Verhalten, kochte wieder hoch. „Als Kahlyn aus ihrem Zimmer kam, war ihr ganzes Gesicht blutunterlaufen, fast schwarz. Als ich ihr Sachen zum Anziehen holte, sah ich auf dem Fußboden tiefe Rillen, die von ihren Fingernägeln in die Dielen gekratzt wurden. Die Fingernägel fand ich im Papierkorb. Ihr Kopfkissen war blutverschmiert und zerbissen. Sie muss einen schlimmen Anfall gehabt haben. Ihr ging es beschissen und du lässt sie nicht mal setzten. Sondern brüllst sie sofort an und schmeißt sie regelrecht raus. All ihre Sachen waren blutig. Dass sie die Tür verschlossen hat, war bestimmt zu unseren Schutz. Ach du hast sie doch nicht mehr alle.“
Mit jedem Satz war Rudi lauter geworden, den letzten Satz brüllte er Jo ins Gesicht. Wütend stützte er den Kopf auf die Hände und versuchte sich wieder zu beruhigen. Die Vier starrten Rudi entsetzt an.
John der sich als erster fing, harkte nach. „Wie Rillen im Fußboden, Fingernägel im Papierkorb, blutige Sachen?“, wollte er von seinem Teamleiter wissen.
Rudi allerdings war nicht in der Lage zu antworten. Seine Emotionen waren viel zu hoch geschossen, mühsam versuchte er runter zu fahren, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
„Ich fahr nach Hause, suche im Wäldchen, vielleicht hat sie sich dort irgendwo versteckt. Ihr könnt mich alle mal“, brachte er nur wütend hervor.
So wütend wie jetzt, war Rudi noch nie in seinem Leben. John konnte und wollte das nicht zulassen. Als Rudi aufstand und das Büro verlassen wollte und stellte er sich in die Tür.
„Du gehst nirgendwo hin. Nicht in dem Zustand. Du bleibst hier, bis du dich beruhigt hast, Rudi“, ermahnte der Sanitäter der Truppe seinen Freund, in einen strengen Ton. „Oder ich rufe Jens an und lasse dich ruhig spritzen.“
Ernst sah er seinen Vorgesetzten, der ging zurück an den Schreibtisch und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Ronny der wie Detlef, immer noch nicht begriffen hatte, was los war, wollte erst einmal etwas Genaueres wissen.
„Rudi, was ist denn eigentlich vor dem Anfall passiert. Den bekommt doch die Kleine nicht aus dem heiteren Himmel.“
Rudi stand auf und holte sich einen neuen Kaffee, nur um nicht gleich antworten zu müssen und um Zeit zu gewinnen. Dann setzte er sich auf seinen Stuhl, legte erst einmal den Kopf in den Nacken, atmete sich in das Taiji. Das erste Mal war er froh, dass er das jetzt konnte. Er verstand auf einmal, weshalb Kahlyn das so oft nutzte. Es half wirklich gut, auf diese Weise konnte er sich schnell wieder beruhigen. Nach fünf Minuten, hatte er sich so weit in den Griff, dass er wieder normal atmen konnte und auch seine wahnsinnigen Kopfschmerzen ließen etwas nach. In dem er den Kopf nach rechts und links legt, ließ er die Nackenwirbel knacken. Dann sah er Ronny an.
„Was willst du hören, Ronny? Überleg doch einfach mal, was seit dem 1. September alles passiert ist. Die Kleene ist noch nicht einmal richtig zur Ruhe gekommen. Sie stürzt von einem extremen Schock in den nächsten. Gestern Abend bei Carlos, hat sie sich wieder vor dem Hack erschrocken, den Tag davor hat sie im Reflex, Simon den Chef von Rashida gelegt, hat sich erschrocken, den Tag davor… soll ich dir alle Tage jetzt aufzuzählen. Es gab doch nicht einen Tag, an dem sie nicht irgendwelchen psychischen Stress ausgesetzt war. Verdammt die Kleene ist sechszehn Jahre alt, sie kennt nichts von dem hier. Alles macht ihr Angst. Am Donnerstag in der Nacht, hat sie mir über das Krantonak, ihr ganzes Leben gezeigt. Damit ich sie besser verstehen kann. Ihr denkt Himmelpfort sei schlimm. Glaubt mir eins, es ist das Paradies gegen all das, was die Kleene in ihrem kurzen Leben gesehen und erlebt hat. Sie hat sich irgendeine Cocktail gespritzt. Ihre Freundin ist regelrecht ausgeflippt, als sie davon erfuhr. Ich denke der Anfall hängt unmittelbar mit dieser Injektion zusammen. Ich wollte nicht, dass sie sich das spritzt. Aber sie sagte: „Ich muss es tun, um euch zu schützen, ich bin gefährlich in bestimmten Situationen.“ Als ich sie davon abhalten wollte sagte sie zu mir, dass jede Medaille zwei Seiten hat. Man nicht alles haben kann. Auf meine Frage, was die Spritze bewirkt, bekam ich zur Antwort, dass ich ruhiger werde, nur die Nebenwirkungen sind nicht schön. Aber ich bekomme das in den Griff. Das hat sie auch. Nur hat sie nicht damit gerechnet, dass wir sie nicht zulassen, dass sie uns schützt. Dass sie von uns schon wieder in die Ecke gedrängt wird.“ Traurig sah Rudi in seine Kaffeetasse.
Jo ging auf seinen Freund zu. Er wollte ihn berühren, aber Rudi war immer noch stinksauer auf ihn. „Rudi, was soll das? Ich habe einen Fehler gemacht, bitte lass nicht zu, dass dieser Fehler unsere Freundschaft zerstört“, ernst sah er ihn an.
„Jo, lass mich heute einfach in Ruhe. Ich kann heute nicht normal mit dir reden. Weil ich stinksauer auf dich bin. So sauer wie noch nie in meinem Leben. Was du gemacht hast, war egoistisch, kontrollsüchtig und unmenschlich. Tut mir leid, dass ich dir das mal so offen und ehrlich sagen muss. Du wolltest der Kleenen deinen Willen aufzwingen. Auch, wenn du es gut gemeint hast, funktioniert es bei Kahlyn nicht. Das müsstest du langsam wissen. Sie hat sich selbst von Mayer nie bedrängen lassen. Denkst du vielleicht, dass es dann jemand anderes schafft. Aber du musst immer deinen Willen durchsetzten. Du kannst nicht alles kontrollieren, es geht nicht. Du bist ein guter Freund, wirst es auch für mich immer bleiben. Aber du machst keine Unterschiede, du behandelst Kahlyn, wie deine Jenny. Kahlyn ist aber nicht wie Jenny. Sie kennt kein behütetes Leben, sie muss das erst lernen. Ich sag dir eins. Ich hätte an Kahlyns Stelle genauso reagiert. Ich kann die Kleene voll verstehen. Tut mir leid, ich kann dir nichts anderes dazu sagen.“
Jo sah Rudi traurig an und schüttelte den Kopf. „Wenn du meinst, dann kann ich ja gehen“, erklärte er traurig und wollte zur Tür.
John schüttelte den Kopf, genauso wie Detlef und Ronny. „Sind wir jetzt im Kindergarten. Du hast mir mein Auto weggenommen, ich spiel jetzt nicht mehr mit dir“, raunzte jetzt John den Polizeirat wütend an und sah zu den beiden Freunden, die sich wie Kindergartenkinder verhielten.
„Was soll ich denn sonst dazu sagen“, meinte nun auch noch Jo wütend.
„Nix“, stellte Ronny trocken fest und Detlef nickt.
„Rudi, kommt ihr seid so lange Zeit befreundet. Jo, was willst du? Wenn das stimmt, was Rudi erzählt hat, dann hat er recht. Du wolltest von dem Mäuschen Informationen, die sie dir nicht gebe konnte. Wahrscheinlich kann sie das, was geschieht nicht voraussagen, oder ihr fehlen, wie so oft einfach die Worte. Wie sagte sie mal so schön, als es um das Jawefan ging. Wie erkläre ich einem Blinden, die Farbe Blau? Ich denke, sie kann oft gar nicht mit Worten ausdrücken, was sie gerade durchmacht, was sie empfindet. Vielleicht hat sie auch Angst davor, es uns zu sagen, weil wir sie dann von uns wegstoßen. Jo, vergess doch nicht immer, dass die Maus erst seit zwei Monaten bei uns ist. Woher soll sie das denn können und wissen.“
Traurig sah John, seinen alten Freund und Polizeirat an. Jo kam zurück und ließ sich aufs Sofa fallen. Stützte seinen Kopf auf die Hände, lange saßen die Freunde so da, keiner sagte etwas. Auf einmal erhob sich Rudi, er hatte sich wieder im Griff und ging zu seinen Freund Jo.
„Komm Jo, lassen wir das was geschehen ist erst einmal beiseite, wichtig ist doch nur, dass wir die Kleene schnellsten finden. Bevor sie sich einredet, wir wollen sie nicht mehr.“
Rudi hockte sich vor seinen Freund hin, hob dessen Kopf, damit er ihn in die Augen sehen kann.
Jo blickte Rudi an. „Ja, ich denke, wir sollten überlegen, was die Kleene macht, wenn sie sich so vor den Kopf gestoßen fühlt.“ Der Polizeirat erhob sich mühsam und nahm Rudi in den Arm. „Tut mir leid Rudi, aber ich war so wütend auf die Kleene. Ich hab mich von meiner Wut leiden lassen. Ich hoffe sehr wir können das wieder richten.“
Rudi nahm seinen alten Freund auch in den Arm. „Wir bekommen das schon hin, komm setz euch, lass uns überlegen.“
Rudi nahm sich einen Zettel und einen Stift, um aufzuschreiben, wen er schon angerufen hat. „Also ich habe alle angerufen, die je Kontakt zu Kahlyn hatten. Zu denen sie auch so etwas wie Vertrauen aufgebaut hat. Das wären Inge, die Schwiegermutter von Max. Die Frau aus der Eisdiele, Simon und Rashida, den Oberst. Carlos, den Vater von Ines, mit dem sie sich gestern etwas angefreundet hat. Als erstes aber John. Irgendjemanden habe ich vergessen, aber ich komme nicht darauf wen?“, lange überlegt er.
John schüttelte den Kopf. „Meine Schwiegereltern, dort war sie auch, auch wenn sie kein Vertrauen hat, ihren Doko und die Dika. Aber, wenn ihr mich fragt, werden wir sie hier in den nächsten Stunden nicht finden. Denn ist sie unterwegs in ihre Schule. Das ist glaube ich der nahe liegende Ort, an dem ich suchen würden.“
Rudi nickte. „John, dieser Gedanke kam mir auch. Aber, wo ist das? Ich habe das bis jetzt noch nicht heraus bekommen“, stellte Rudi traurig. Dann kam ihn noch ein Gedanken. Er ging die Erinnerungen von Kahlyn durch und suchte nach der Schule. Doch Kahlyn wusste nicht, wo das ist. Jedenfalls hatte sie keine Erinnerungen, an einen Namen.
Jo überlegte, er hat den Ort schon gelesen, doch fiel ihm der Name im Moment, nicht ein. Er ging ganz in sich, blätterte in Gedanken die Akte von Kahlyn noch einmal, Schritt für Schritt durch. „Feldhusen, in der Nähe von Dassow“, erinnerte sich Jo auf einmal.
„Wo liegt das denn?“, fragte Ronny erstaunt, der diese Namen noch nie gehört hatte.
„Das ist im Sperrgebiet zur BRD, in der Nähe von der Ostsee“, umriss Jo das besagte Gebiet.
Rudi stand auf, um zu seinem Kartenregal zu gehen und holte sich eine Karte von Mecklenburg-Vorpommern dazu, um nachzusehen, wo Kahlyn hin gelaufen sein konnte. Legte für alle sichtbar die Karte auf den Tisch. „Ihren Doko habe ich vergessen“, fiel ihm in diesem Moment ein. Schon griff er nach dem Hörer und wollte gerade die Nummer von Fritz wählen.
Jo den Kopf schüttelte. „Rudi, da wirst du keinen Erfolg mehr haben. Fritz ist vorige Woche umgezogen. Das Telefon funktioniert bei ihm noch nicht. Ich habe Fritz nur kurz erreichen können, als er in seiner Praxis in der Schule etwas geholt hatte. Er hat in der neuen Wohnung noch keinen neuen Telefonanschluss, der kommt erst in ein paar Tagen. Aber ich kann ihn durch das zuständige Polizeirevier, im Notfall holen lassen“, unterrichtete er seinen Freund.
Rudi zuckte mit den Schultern und wollte gerade die Karte auseinander falten, als das Telefon klingelte.
Rudi nahm den Anruf genervt entgegen. „SEK 61 Gera, Major Sender“, meldete er sich.
„Rudi, ick bins, Simon. Rashida steht neben mich, möcht mit dich sprechen. Ick jeb sie dich ma“, schon reichte Simon, den Hörer weiter an Rashida.
„Rudi, was ist mit dem Täubchen, warum ist sie weggelaufen, ich verstehe das nicht. Das ist nicht ihre Art“, wollte sie von ihm wissen.
„Rashida, ich kann nur das sagen, was ich selber gesehen habe. Ich verstehe nicht, was passiert ist. Gestern Abend kamen wir nach Hause, da war mit der Kleenen noch alles in Ordnung. Sie hat gelacht, hat sich sogar mit Carlos angefreundet, nach dem sie sich tüchtig erschrocken hat und bei den Runges haben wir uns noch schön unterhalten. Dann ging sie mit Struppi schlafen. Heut früh um 6 Uhr ging sie mit Struppi in den Garten bullern. Dann hatte Jo mit ihr ein Gespräch, was für Jo sehr unbefriedigend war. Sie wollte einfach nicht reden, sondern nochmal schlafen gehen. Als Jo sie unter Druck setzte, was ich nicht richtig fand, machte sie dicht, sagte gar nichts mehr. Daraufhin brach Jo das Gespräch ab, sie ging nach oben, schickte Struppi zu Jenny ins Zimmer, dann verbarrikadierte sie sich. Keine fünf Minuten später, fing sie an zu schreien. Als wenn sie jemand umbringen würde. Schlimmer noch als nach der Puppensache, die ich dir erzählt habe. Aber wir kamen nicht zu ihr ins Zimmer und konnten ihr nicht helfen, weil sie die Tür blockiert hatte. Gegen 12 Uhr hörte das Schreien auf einmal auf, über vier Stunden hat sie ohne Unterbrechung geschrien. Es wurde ganz ruhig, wir kamen immer noch nicht durch die Tür, aber auch nicht durch das Fenster in das Zimmer von Kahlyn herein. Die Kinder waren schockiert, dadurch war Jo sauer. Ich weiß er wollte nur seine Kinder beschützen, vor seelischem Leid. Ich kann ihn ja irgendwo verstehen, auch wenn ich nicht richtig heiße, was er gemacht hat. Kurz nach halb 6 Uhr abends kam sie aus dem Zimmer, dunkelblau im Gesicht, Blutverschmiert und kaum ansprechbar. Ich brachte sie nach unten ins Bad, ging hoch um ihr Anziehsachen zu holen. Rashida, sie hat auf dem Boden geschlafen, tiefe Rillen in die Dielen gekratzt, das Kopfkissen ist total zerbissen oder zerrissen. Ihre Fingernägel lagen im Papierkorb, der gesamte Fußboden war blutverschmiert. Nach dem Duschen, sah sie wieder normal, wenn auch sehr schlecht aus. Wir gingen zusammen in die Küche, dort pulverte sie Jo sofort an, dann lief sie einfach weg. Mehr kann ich dir nicht sagen. In die Wache ist sie nicht gelaufen. Rashida, ich weiß nicht, wo ich sie suchen soll“, Rudis Augen waren nass und eine Träne lief über sein Gesicht, die Stimme von ihm drückte die gleiche Verzweiflung aus wie sein Gesicht.
Rashida atmet erschrocken durch, dann erklang ihre warme dunkle Stimme, am Telefon. „Rudi, es ist kein Wunder, dass das passiert ist. Deshalb bin ich doch so ausgeflippt. Das waren die Nachwirkungen der Spritze. Dieses N47, es ist ein furchtbares Mittel. Es führt nicht nur zu wahnsinnigen Schmerzen und Krämpfen. Schmerzen die du dir nicht einmal annähernd vorstellen kannst, sondern hat auch einige andere böse Nebenwirkungen. Viele von uns sind fast erstickt, weil sie nicht mehr atmen konnten. Bei dem Täubchen ist das alles anders, sie kann sich ins Jawefan flüchten. Normalerweise kontrolliert sie diese Anfälle über das Taiji. Im Taiji hättet ihr den Anfall gar nicht mitbekommen. Ihr hättet euch höchstens gewundert, dass sie recht blass ausschaut. Das Schreien kann sie allerdings nicht unterbinden, das ist nicht kontrollierbar im Jawefan, nur im Taiji geht das. Sie hat sich die Fingernägel nicht abgerissen, sondern sie fallen ab, wenn die Krallen kommen. Ich kann dir das nicht genau erklären. Durch dieses Mittel, werden Gene in uns unterdrückt, die glaube ich tierischer Herkunft sind. Wir wissen das nicht genau, warum das so ist. Es ist bei jedem von uns anders, aber eins ist bei allen gleich, diese unglaublichen Schmerzen. Dass mein Täubchen nicht geantwortet hat, lag bestimmt daran, dass sie schon mitten in einem Anfall war. Sie wollte nur nach oben, um ins Taiji zu gehen. Die einzige Möglichkeit diese Anfälle zu verhindern. Beziehungsweise dafür zu sorgen, dass sie kontrollierbar bleiben. Wenn dieser Jo sie daran gehindert hat, ist er selber schuld, wenn sie dann geschrien hat. Es sind Schmerzen, die du dir nicht vorstellen kannst. Ihr würdet sterben, so schlimm sind diese Schmerzen. Normalerweise sind fünf Einheiten dieses N47 tödlich, bei meinem Täubchen sind es sieben Einheiten. Aber die Schmerzen die man bei fünf Einheiten hat, sind selbst für uns unerträglich. Ich bekam einmal zwei Einheiten und ich dachte damals, ich muss sterben. Ich weiß nicht wie das Täubchen das aushält. Kahlyn war fertig, als sie vom Duschen kam, sie hätte Ruhe gebraucht und keinen Anpfiff. Sie ist nach so einem Anfall hypersensibel und reagiert da schnell über. Aber einmal eine andere Frage. Sag mal, hat sie Struppi mitgenommen? Rudi glaube mir, ihr werdet sie nicht finden. Sie will nicht gefunden werden. Selbst wir hätten Mühe eine Spur von ihr zu finden. Sie ist wirklich gut im Spuren verwischen. Seht in zwei oder drei Tagen in der Schule nach, dann ist sie dort. Der einzige Ort, wo sie sich je geborgen gefühlt hat, außer bei Euch. Ihr habt ihr Vertrauen völlig zerstört, keine Ahnung ob ihr das je wieder aufbauen könnt“, beendete Rashida ihre lange Erläuterung.
Verzweifelt rieb Rudi sich den Nacken. „Rashida, die Kleene hat Struppi mit. Verdammt, warum erzählt sie mir das nicht, dann hätten ich ihr helfen können. Warum hat sie immer noch kein Vertrauen zu mir?“
Rashida verneinte das Ganze. „Rudi, das hat nichts mit Vertrauen zu tun. Ihr hättet ihr auch, dabei nicht helfen können. Kahlyn sagt euch das nicht, damit ihr euch keine Sorgen macht. Mein Täubchen wollte euch doch nur beschützen. Sie wollte verhindern, dass ihr so etwas erlebt und wollte nicht, dass ihr das mitbekommt. Glaube mir, das sieht erstens nicht sehr schön aus, vor allem ist es gefährlich. Kahlyn, hat in der Schule bei so einem Anfall, beinah einige unserer eigenen Leute getötet. Weil diese ihr unbedingt helfen wollten. Erst als Sina und ich dazwischen gegangen sind, konnten wir sie isolieren und in eine speziell gesicherte Kammer sperren. Dort hat sie dann fünf Tage lang getobt. Wenn Jo jedoch verhindert hat, dass sie sich ins Taiji atmen konnte, dann hat er ihren Schutz nicht zugelassen. Hat sie ungeschützt in den Anfall hinein getrieben. Sie tut mir so leid. Sie ist durch die Hölle gegangen Rudi. Sie hätte Hilfe gebraucht, keine Vorhaltungen. Sie ist wie ich schon gesagt habe, nach solchen Anfällen hypersensibel, eigentlich kaum ansprechbar. Sie reagiert dann sehr heftig. Mein Täubchen ist aber auch dann noch fähig, klare logische Entscheidungen zu treffen. Wenn sie Struppi mitgenommen hat, ist sie noch irgendwo in der Nähe. Das Täubchen würde nie die Gesundheit des Welpen riskieren, niemals. Sie ist irgendwo in eurer Nähe und beobachtet euch. Dann, wenn ihr gar nicht mehr damit rechnet, bringt sie Struppi zu euch nach Hause, erst dann verschwindet sie. Egal, wie schlecht es ihr geht, Struppis Wohl steht über ihrem eigenen“, erklärte sie Rudi.
„Rashida, was sollen wir jetzt machen? Es ist arschkalt draußen. Sie hat nur eine dünne Hose, eine dünne Trainingsjacke an und nur ein T-Shirt drunter.“
„Rudi, das ist nicht schlimm. Kahlyn erfriert nicht so schnell. Erst bei Temperaturen von unter minus 30°C wird es gefährlich. Erst dann müsstest du dir Sorgen machen. Auch, wenn sie jetzt keine Reserven mehr hat, erfriert sie nicht so schnell. Wir haben andere Methoden, uns vor Kälte zu schützen. Mache dir keine Sorgen, das Täubchen macht keinen Unsinn, ihr passiert schon nichts. Am besten macht ihr gar nichts. Fahrt in zwei oder drei Tagen in die Schule und versucht dann noch einmal in aller Ruhe mit ihr zu reden, wenn sie es denn noch zu lässt. Wenn ihr nicht an sie heran kommt, ruft mich an, dann versuche ich es. Wir bekommen das schon hin.“ Rashida verabschiedet sich. „Rudi, ich mache Schluss. Wir müssen zu einem Einsatz, die Jungs warten auf mich. Rudi am besten macht nichts, ihr macht nur euch selber verrückt.“
„Rashida danke, grüße alle von mir. Pass auf dich auf, ich finde dein Täubchen. Tut mir leid, dass ich nicht besser auf sie aufgepasst habe“, entschuldigt sich Rudi.
„Rudi, es ist nicht deine Schuld. Ihr könnt das nicht wissen, aber auch nicht die von dem Täubchen. Es liegt daran, dass wir verschieden aufgewachsen sind und einfach verschieden denken. Ich habe das gleiche Problem hier mit den Jungs, aber es wird immer besser. Also mach es gut“, es machte Klick in der Leitung, da Rashida aufgelegt hatte.
Rudi lehnte sich im Stuhl zurück und schloss die Augen, war hin und her gerissen von seinen Gefühlen.
John unterbrach die drückende Stille, durch seine Fragen. „Rudi, was hat Rashida gesagt? Hat sie eine Idee, wo wir noch suchen könnten? Was sollen wir jetzt machen?“
Rudi winkte ab, „Wir sollen gar nichts machen. Ich soll in zwei oder drei Tagen hoch in die Schule fahren, versuchen mit ihr zu reden. Sie geht hundertprozentig in die Schule, davon ist Rashida überzeugt. Dem einzigen Ort, an dem sie sich geborgen gefühlt hat. Auch sagte sie, dass sie noch hier irgendwo in der Nähe ist und uns beobachtet, sie hat ja Struppi mitgenommen. Sie würden den Welpen nie einer Gefahr aussetzen. Ich habe keine Ahnung, was wir tun sollen. Ich habe wirklich keine Ahnung. Am liebsten würde ich die ganze Gegend auf den Kopf stellen. Aber Rashida meint, das wäre zwecklos. Kahlyn ist eine Meisterin im Verstecken.“
Rudi stützte den Kopf auf die Hände und fing an zu grübeln. Jo, dem durch das Telefonat mit Rashida, noch klarer geworden war, dass er diese Lawine ins Rollen brachte, wollte Kahlyn unbedingt finden. Er konnte nicht drei Tage rumsitzen und darauf warten, dass Kahlyn von alleine irgendwo auftauchte. Er machte sich schwere Vorwürfe. Diese kamen zwar zu spät, aber hat er begriffen, dass er das alles verursacht hatte.
„Verdammt, ich wollte ihr doch nur helfen. Rudi wir suchen, egal, was Rashida gesagt hat, noch einmal alles ab. Es ist jetzt kurz vor 19 Uhr. Wir können mit Lampen nach ihr suchen. Ich gebe nicht so schnell auf.“
Rudi schüttelte den Kopf. Immer wieder, rief er sich die Erinnerungen von Kahlyn auf. Ihm wurde klar das Rashida mit allem Recht hatte, was sie ihm gerade gesagt hatte. Sie würden Kahlyn nicht finden. Rudi war auch bewusst, dass er nicht drei Tage herum sitzen konnte, um dann zur Schule zu fahren.
Detlef der die Einsatzleitung hatte, ergriff jetzt das Wort. „Rudi, wir suchen mit allen verfügbaren Kräften, die Umgebung noch einmal ab. Dann fahren wir zurück Wache, heute Abend werden wir eine gezielte Suche nach Spuren, beginnend von eurer Wohnung aus aufnehmen. Kommt gehen wir nach vorn, informieren wir die Jungs, um was es geht. Die helfen allen, wenn es um Kahlyn geht.“
Sofort standen alle Fünf auf, um nach vorn in den Bereitschaftsraum zu gehen. Es war kurz nach 19 Uhr als die Jungs zu einer ersten Einsatzbesprechung zusammen saßen. Erschrocken sahen die Jungs Rudi und Jo an, denen man ansah, dass sie ziemlich fertig waren. Im Anschluss an die Besprechung, fuhren die beiden Einsatzbusse zu Runges nach Zeulsdorf. Sie durch kämmen das Wäldchen im Norden und Westen bis hin zur Straße des Friedens. Nirgends fanden sie irgendeine Spur von Kahlyn. Da an keinem Ort etwas zu finden war, wurde die Suche kurz nach 1 Uhr abgebrochen. Da alle die Straße des Friedens erreicht hatten, liefen sie das kleine Stück zur Wache zurück. Lars und Kurt fuhren mit einem Toniwagen, zurück zu den Runges und holten die Busse.
Es trat Ruhe in und vor dem Haus von den Runges ein, das bis dahin als Einsatzzentrale diente. Viola brachte die völlig aufgelöste Jenny ins Bett. Tim und Tom schliefen schon eine ganze Weile. Auch Viola legte sich schlafen, geschafft von der Aufregung des Tages. Zermarterte sich mit Vorwürfen, nicht genug auf Kahlyn aufgepasst zu haben. Kurz vor viertel Drei, Viola war gerade eingeschlafen, gab es einen lauten Knall, so dass Viola hochschreckte. Verwirrt stand sie auf und lief nach unten in die Küche, dort traf sie fast der Schlag. Struppi saß winselnd im Flur an der Haustür, Viola konnte es nicht glauben.
„Struppi, wo kommst du denn her?“, fragte sie unnötigerweise den kleinen Hund.
Struppi saß zitternd und winselnd an der Tür, kratzte daran, um hinaus zukommen. Viola nahm den kleinen Kerl auf den Arm und lief vors Haus. Allerdings war dort niemand mehr zu sehen. Völlig durcheinander war der Welpe. Er vermisste sein Frauchen jetzt schon und wusste, dass er sie so schnell nicht wiedersehen würde.
Viola ging nach hinten in die Küche und sah den liebevoll zu Recht gemachten Fressnapf auf den Boden stehen, die Schüssel mit Wasser und das T-Shirt, das noch warm war, von Kahlyns Körperwärme. Das Mädchen musste demnach gerade hier gewesen sein. Immer noch den zitternden Welpen auf den Arm haltend, ging sie hoch in Kahlyns Zimmer, um nach ihr zu schauen. Aber ihr Bett war leer. Viola lief wieder nach unten und setzte sich, den Welpen beruhigend streichelnd, an den Tisch. Jetzt erst sah sie das Bild, was Jo von Kahlyn zum Geburtstag bekommen hatte, verkehrt herum auf den Tisch liegen. Viola nahm das Bild zur Hand und drehte es herum. Sie erschrak sich fürchterlich und begann zu weinen.
Einige Minuten später kam Jo nach Hause, um auch noch etwas zu schlafen. Fand seine verzweifelte Frau, am Tisch sitzend und immer noch weinend vor. In den Armen hielt sie Struppi und starrte immer noch auf das Bild.
„Viola, wo kommt der denn her?“
Verwundert nahm Jo den immer noch winselnden Welpen, aus Violas Armen und gab seiner Frau erst einmal einen Kuss. Viola sagte gar nichts, aber sie zeigte weinen auf das Bild.
Jo war entsetzt. „Wann hast du das gefunden?“
Viola versucht sich zu beruhigen. „Vielleicht vor fünf Minuten. Es gab einen Knall, von dem zuschlagen der Haustür, davon bin ich hochgeschreckt. Jo, ich war gerade eingeschlafen, ich hab nicht gehört das Kahlyn gekommen ist. Sonst hätte ich sie aufgehalten. Dann ging ich hier vor, da saß Struppi an der Tür und winselte, dann sah ich das Bild. Sie tut sich bestimmt etwas an“, wieder fing Viola an zu weinen.
Jo nahm seine Frau in den Arm. Die Zeichnung, machte ihm auch Angst. Was bedeutete dieses Bild? „Setzt dich! Ich muss Rudi noch einmal anrufen. Nein, leg dich am besten hin. Ich fahre noch einmal in die Wache und zeige Rudi das Bild. Viola ich bleibe dann auf der Wache, ich bin todmüde. Leg dich auch hin. Also hat Rashida recht gehabt, mit dem was sie uns über die Kleen gesagt hat. Kahlyn hat uns die ganze Zeit beobachtet. Wieso haben wir sie dann aber nicht gefunden? Verdammt noch mal. Die Kleene spielt mit uns Katz und Maus, die kann was erleben“, murmelte Jo wütende vor sich hin.
Viola sprang jetzt völlig aus der Bahn und ging böse gegen Jo vor. „Merkst du eigentlich nicht Jo, dass du die kleine Maus ständig in die Ecke drängst. Warum spielt sie denn mit uns Katz und Maus, überlege doch mal“, fuhr Viola ihren Mann unter Tränen an. „Weil du ihr ganzes Vertrauen in uns zerstört hast. Du brüllst sie an, obwohl es ihr sichtbar schlecht geht. Du hörst nicht auf das, was sie dir sagt. Dann wunderst du dich, wenn ein kleines Mädchen, das hier absolut nicht klar kommt, sämtliches Vertrauen in uns verliert. Mich wundert es nicht. Du bist ein herzensguter Patriarch, Jo, du weißt dass ich dich innig liebe. Aber manchmal wirst du zu einem herrischen alten Mann, der alles immer hundertprozentig genau wissen und kontrollieren muss“, Viola stand sie wütend auf, nahm ihm Struppi aus dem Arm und ließ ihren Mann einfach in der Küche steht.
Als er ihr nachrief. „Veilchen…“
Viola winkte nur ab. Sie konnte und wollte jetzt nicht mit ihren Mann reden. Jo setzte sich an den Tisch. Noch nie war Viola so massiv gegen ihn vorgegangen und so sauer auf ihn gewesen. Das brachte den Polizeirat zum Nachdenken. Es war das zweite Mal, dass ihn heute jemand, der ihm sehr nahe stand, zusammen gestaucht hatte. War er wirklich so sehr über das Ziel hinaus geschossen? Hatte er Kahlyn wirklich so sehr in die Ecke gedrängt?
Jo stand auf und rief sich einen Toniwagen, er war nicht mehr in der Lage selber zu fahren. Er war einfach nur fertig mit den Nerven. Er machte sich schlimme Vorwürfe. Wieder ging er nach draußen, in der Hand hielt das Bild von Kahlyn, das er ständig wieder betrachten musste. Kurze Zeit später, kamen die Kollegen ihn abholen. Gemeinsam fuhren sie mit ihrem großen Chef zur Wache. Jo lief sofort nach hinten in den Bereitschaftsraum, in dem die Teammitglieder sich alle versammelt hatten. Sich mit den Kollegen der Streifenfahrzeuge, abwechselten, um nach Kahlyn in ganz Gera Ausschau zu halten. Jo sah sich suchend nach Rudi um. Da entdeckte er seinen Freund, vertieft in einer heißen Diskussion mit Ronny, am Tisch sitzend.
„Rudi, darf ich euch kurz stören?“, unterbrach er die beiden Männer.
Rudi sah hoch zu Jo. „Wieso bist du denn schon wieder hier? Ich dachte du wolltest nach Hause und schlafen gehen“, Rudi sah irritiert seinen Freund Jo.
„Ich war auch kurz zu Hause, nur fand ich dort Viola weinend mit Struppi im Arm vor. Rashida hatte recht, wir werden die Kleene nicht finden. Die will nicht gefunden werden. Sie hat das Haus heute wahrscheinlich den ganzen Abend beobachtet. Kurz nach dem die Busse weg waren, gab es einen Knall von dem Viola munter wurde. Sie ging runter, um nach zusehen, was da los war. Da hörte sie Struppi winseln, er saß an der Vordertür. Als sie in die Küche kam, fand sie ein Schälchen mit Futter und eins mit Wasser. Alles war liebevoll von Kahlyn für ihren Struppi zu recht gemacht, daneben das T-Shirt von Kahlyn, was noch ganz warm war. Aber auch das hier“, traurig reichte er Rudi das Bild.
Ronny sah genauso entsetzt auf das Bild, wie zuvor Jo, aber auch Rudi.
„Was soll das denn jetzt heißen?“ Rudi starrte erschrocken auf die Zeichnung.
Ronny beruhigte ihn aber sofort. „Rudi, das heißt nicht das, was du denkst. Wenn du Kahlyn auch nur ein wenig kennst, dann weißt du, dass sie sich nichts antun wird. Sie sagt damit nur, dass sie für euch gestorben ist. Mehr nicht! Sie war wütend, verdammt wütend und musste irgendwo Druck ablassen. Das hat sie mit dem Bild gemacht.“
Rudi starrte das Bild an. Ihm wurde Himmel Angst und Bange zumute. „Hoffentlich hast du Recht. Aber, wieso haben wir die Kleene nicht gefunden. Wir sind mit achtzehn Leuten dort herum geschlichen und keiner hat sie gesehen. Das gibt es doch nicht. Sind wir denn alle blind?“
Rudi stützte den Kopf auf, verzweifelt starrte er auf das Bild. Lange noch diskutierten die Männer über Möglichkeiten, Kahlyn zu finden. Sie drehten sich einfach nur im Kreis. Ronny brachte es auf den Punkt, genauso wie John.
„Es bringt nichts über Dinge zu diskutieren, die wir nicht verstehen“, brachte Ronny seine ehrliche Meinung zum Ausdruck.
John jedoch stellte ganz trocken fest. „Tja, ich glaube wir bräuchten jetzt das Mäuschen, um eine Spur zu finden. Ich glaube nicht, dass wir eine Chance haben sie zu finden. Wir haben unseren Meister gefunden. Kahlyn ist einfach zu gut für uns. Sie hinterlässt keine Spuren. Zeigt uns auf ihre Art und Weise, durch das Knallen der Tür, egal was ihr tut, ihr bekommt mich nicht, wenn ich das nicht will. So einfach ist das, wir können jetzt noch vier Stunden diskutieren, es wird sich nichts, aber auch gar nichts daran ändern.“
Rudi nickte zustimmend. „Du hast glaube ich recht, John. Leute, es ist jetzt gleich halb 5 Uhr, ich denke wir sollten ein wenig schlafen gehen. Nutzt das schnell Schlafen. Duschen könnt ihr dann. Also ab mit euch.“
Rudi stand auf, nahm das Bild und ging nach hinten in sein Büro. Legte es dort auf den Schreibtisch, nochmals ging er nach vorn und jagte auch die letzten ins Bett. Ging noch einmal nach vorn in die Wachstube. „Kai, wenn irgendjemand Kahlyn sehen sollte oder ihr sie findet, wecke mich sofort.“
„Klar, das mache ich sofort. Rudi leg dich hin, du siehst schrecklich aus.“
Rudi nickte. Er konnte sich vorstellen wie er aussah. Wenn er nur halb so aussah wie er sich fühlte, dann furchtbar. Er ging nach hinten in den Schlafraum und schmiss sich so wie er war aufs Bett. Ging in einen gleichmäßigen Atemrhythmus, in dem er auf seine schlafenden Kollegen hörte. Sofort war er fest eingeschlafen. Keine zehn Minuten später schliefen alle beiden Teams tief und fest.
Nur Jo wälzte sich unruhig hin und her, fand allerdings keinen erholsamen Schlaf. Mit der Ruhe kamen die Selbstvorwürfe, die den sonst immer selbstbeherrschten Polizeirat zu schaffen machten. Nur einmal hatte er die Kontrolle über sich verloren und schon endete es in einer Katastrophe. Die Angst nahm Jo immer mehr gefangen und zeigte ihm im Schlaf die schlimmsten Horrorszenarien. Er würde sich nie verzeihen, wenn Kahlyn wegen ihm etwas zustoßen würde. Er fühlte sich verantwortlich für das, was jetzt geschah. Auch, wenn seine Einsicht spät kam, wurde sie von seinem Herzen gesteuert. Denn Jo wollte Kahlyn, weder in die Ecke drängen, noch hatte er die Absicht sie zu vertreiben. Er wollte seine Kinder und dazu gehörte auch Kahlyn, doch nur beschützen. Auch Kahlyn, die ihm sehr ans Herz gewachsen war. Kurz schlief Jo ein, aber er fand keinen erholsamen Schlaf. Denn in seinen Träumen gestalteten sich seine Gedanken und Ahnungen, zu einem Alptraum, in dem das Bild Kahlyns und seine Selbstvorwürfe eine große Rolle spielten.
Es war noch keine Stunde vergangen, da kam Wachtmeister Kai Nowotie in den Schlafsaal gestürmt. „Rudi, wache auf, schnell. Kahlyn ist gerade aus dem Fenster gesprungen. Ich glaube ich spinne.“
Rudi schreckte auf, schüttelte den Kopf und rieb sich verschlafen die Augen. „Wie bitte?“
Kai stöhnte. „Rudi, ich stand gerade am Fenster, als von oben eine Gestalt auf der Straße vor mir landete, mit Nahkampfgürtel und einem Rucksack beladen. Ich hab, sie zwar nur von hinten gesehen. Aber ich schwöre dir, es war Kahlyn“, erklärte er dem verschlafenen Rudi.
„Das gibt es doch nicht.“
Rudi sprang auf und lief nach vorn zu den Spinden, öffnete Kahlyns Schrank. Er schüttelte den Kopf und lief weiter nach vorn in den Bereitschaftsraum, dessen Fenster genau über der Wachstube waren. Diese standen sperrangelweit offen. Dann fiel sein Blick in die Fernsehecke. Entsetzt starrte er auf die leeren Bilderrahmen.
Kai folgte seinem Blick. „Wo sind die Bilder hin?“, überlegte der Wachtmeister laut.
Rudi schnüffelte, seine feine Nase erahnte, was Kahlyn getan hatte. Er ging in die Küche, entsetzt stand er am Spülbecken. Kai der ihm gefolgt war, konnte nicht glauben, was er da sah.
„Warum hat sie das getan?“, fragt er Rudi.
„Damit nichts mehr an sie erinnert. Sie hat aus dem Spind auch nur ihr Eigentum mitgenommen, alles außer ihren Schwertern. Sieh mal der Zettel steckte, zwischen den beiden Kisten, der Schwerte“, Rudi reichte Kai den Zettel, der schüttelte den Kopf. „Die Kleene weiß, dass sie die Schwerter nur im Einsatz mitführen darf. Es ist ihr bestimmt schwer gefallen, sie hier zu lassen“, Rudi raufte sich die Haare. „Ich verstehe die Kleene nicht mehr. Warum bestraft sie uns alle, nur weil Jo einen Fehler gemacht hat?“, brachte Rudi seine Gefühle zum Ausdruck.
Kai sagte einfach, dass, was ihm gerade durch den Kopf ging. „Weil sie alles Vertrauen verloren hat und weil sie denkt, wir haben sie verraten. Denn Jo ist nicht nur Jo. Rudi, er ist der Polizeirat, verstehst du.“
Rudi nickte, an Kais Gedanken könnte etwas Wahres sein. „Kai, rufe alle vom Alpha-Team an die in Gera sind, vielleicht erwischen wir sie, bevor sie über die Autobahn ist. Es ist ein kleiner Hoffnungsschimmer, ein ganz kleiner. Um 6 Uhr fahren wir los. Also mache hin.“
Rudi lief hinter zu den anderen, um alle zu wecken. Ließ ein kleines Frühstück vorbereiten, doch keiner hatte Hunger. Fast alle hatten Angst um Kahlyn, hegten den gleichen Gedanken. Die Angst, dass ihr kleines Mädchen sich etwas antun könnte. Rudi der in der Zwischenzeit auch festgestellt hatte, das Kahlyn sogar das Bild aus seinem Büro verbrannt hatte, war restlos am Boden zerstört. Nacheinander trafen alle vom Alpha Team ein, die sich in Gera aufhielten und der Bitte Ronnys, um Hilfe bei der Suche nach Kahlyn, gefolgt waren. Die drei die in den Urlaub gefahren waren, beließ man dort, wo sie waren.
Nach dem das Alpha Team auch über die Details in Kenntnis gesetzt wurde, um was es genau ging, fuhren allen in Richtung Autobahn. Je zwei Mann suchten ein zugeteiltes Gebiet ab. Aber nirgends waren Spuren zu entdecken. Nach sechszehn Stunden vergeblicher Suche, man hatte nirgends eine noch so winzige Spur entdecken können, kehrten alle völlig deprimiert zur Wache zurück. Rudi bedankte sich bei seinem Alpha Team, für die Hilfe bei der Suche und schickte seine Männer aber nach Hause. Er hatte jetzt verstanden, dass Rashida Recht hatte mit der Behauptung, dass sie Kahlyn nicht finden würden. Sie wollte nicht gefunden werden. Er versammelte das Beta und Delta Team im Besprechungszimmer.
„So Leute, ich möchte euch für euren Einsatz danken. Aber ich denke Rashida, die beste Freundin Kahlyns, aus der Schule hat Recht. Wir werden die Kleene nicht finden. Egal, was wir tun werden, wir machen uns nur selber verrückt. Es ist nur heraus geschmissene Energie. Deshalb werde ich die Suche einstellen und fahre morgen Abend nach Feldhusen, in die Schule von Kahlyn. Vielleicht kommt sie ja dorthin. Wenn nicht, weiß ich keinen Rat mehr. Wir werden Kahlyn nicht finden, sie ist halt verdammt gut. Also legt euch bitte hin und schlaft. Ich wünsche euch einen ruhigen Dienst.“
Als Ronny noch etwas sagen wollte, winkte Rudi ab. Drehte sich um und lief aus dem Raum. Ging nach vorn in die Wachstube, um auch die Kollegen von seinem weiteren Vorgehen in Kenntnis zu setzen.
„Kai, ich bin bei den Runges zu erreichen, wenn ihr etwas von der Kleenen hören solltet. Ruft mich einfach an, egal um welche Zeit.“
Kai sah traurig zum Dienststellenleiter. „Gebt ihr auf?“
Rudi sah ihn zerknirscht an. „Was sollen wir machen? Die Kleene ist ein Meister im Spuren verwischen, wir haben keine Chance sie zu finden. Rashida ihre Freundin hat Recht, es ist herausgeschmissene Energie. Ich fahre morgen Abend in ihre Schule, sehe ob ich sie dort finde. Also ruhigen Dienst noch und danke an die Jungs von den Streifen für ihre Hilfe. Sie sollen weiter die Augen offen halten. Aber ich glaube nicht, dass Kahlyn noch in Gera ist.“
Rudi ging noch einmal nach hinten und blickte sich suchend nach Jo um, der bei den anderen im Bereitschaftsraum saß. „Jo, soll ich dich mit nach Hause nehmen?“, fragte er seinen Freund.
Jo nickte und erhob sich müde.
„Also Ronny geht alle schlafen und ruft mich an, falls sie hier noch auftaucht. Gute Nacht.“
Völlig fertig mit sich und der Welt, verließ Rudi gefolgt von Jo den Bereitschaftsraum und die Wache. Schweigend fuhren die Beiden zurück zu den Runges. Rudi ging wortlos in seine Wohnung, etwas, das er noch nie gemacht hatte. Die Freundschaft der beiden alten Freunde, wurde auf eine harte Zerreißprobe gestellt. Aber Jo hatte mittlerweilen begriffen, dass er eine riesige Schuld daran trug. Er bedrängte seinen Freund nicht. Dieser würde sich erst wieder beruhigen können, wenn er wusste, was mit seinem kleinen Schützling war und vor allem dass es ihr einigermaßen gut ging. Traurig betrat er die Küche, in der Jenny und Viola auf ihn warteten. Beide sahen müde und verweint aus. Struppi lag auf Jennys Schoss. Seine Tochter graulte dem kleinen Hund, hinter den Ohren. Struppi war immer noch, am Winseln.
„Guten Abend ihr Beide.“
Jo ging auf Viola zu und gab ihr einen Kuss. Als er seiner Tochter einen Kuss geben wollte, drehte diese den Kopf weg. Sie war mit ihrem Vati böse, etwas das bis jetzt noch nie vorgekommen war. „Jenny bitte“, Jo sah sie traurig an.
Jenny war allerdings so wütend auf ihren Vater, dass sie seine Nähe nicht wollte. Nur wegen ihm war Kahlyn weggelaufen. Der kleine Hund auf ihren Schoss, tat nur wegen ihm weinen. Es zerriss dem Mädchen das Herz, diesen kleinen Burschen so leiden zu sehen. Jo setzte sich an den Tisch und sah seine Tochter traurig an, die ihn noch nie in ihrem Leben von sich weggestoßen hatte.
„Jenny, ich habe einen großen Fehler gemacht, das habe ich begriffen. Bitte auch wir Erwachsenen, sind nicht fehlerfrei. Aber ich glaube nicht, dass Kahlyn gewollt hätte, dass du deshalb nichts mehr von mir wissen willst. Was soll ich denn machen, Jenny? Wenn es ginge, würde ich diesen Satz nur zu gern zurück nehmen. Glaubst du, mir ist nicht klar geworden, dass es falsch war“, traurig musterte er seine Tochter an.
„Ihr habt sie aufgegeben. Ihr hört auf sie zu suchen. Sonst wärt ihr nicht beide nach Hause gekommen. Ihr gebt sie einfach auf. Das Tom, Tim und Struppi weinen, ist euch völlig egal. Genauso wie es euch egal ist, dass ich weine. Ich will nur, dass sie wieder kommt. Sie hatte doch nichts Schlimmes gemacht. Ja, sie hat schlimm geschrien. Bestimmt hat sie wahnsinnige Schmerzen gehabt, sonst hätte sie das bestimmt nicht gemacht. Warum musstest du sie so anschreien? Hast du nicht gesehen, wie schlimm sie aussah. Du bist so gemein zu ihr gewesen. Ich hasse dich“, schrie sie ihren Vati an.
Jenny nahm Struppi auf den Arm und lief nach oben in Kahlyns Zimmer. Sie warf sich auf deren Bett, um ihr wenigstens ein bisschen nahe zu sein.
Jo wollte ihr hinterher laufen.
Viola hielt ihn einfach fest. „Jo, lass sie. Jenny ist wütend auf dich. Wenn du sie bedrängst, wird sie genauso blocken, wie Kahlyn. Sie hat heute den ganzen Tag geweint, genauso wie Tom und Tim. Sie vermissen Kahlyn und machen sich alle Sorgen. Tim hat mich gefragt, ob Kahlyn nie wieder kommt. Tom denkt, dass sie sich jetzt eine andere Familie sucht. Jenny aber, denkt sie wird sich etwas antun.“
Jo sah verzweifelt zu seiner Frau. Das hatte er nicht gewollt. Er wollte lediglich seine Kinder beschützen. Aber er hatte alles nur noch schlimmer gemacht, das wurde ihm langsam klar. Er hatte aus einem Leid, gleich viele produziert, nur weil er einmal seine Beherrschung verloren hatte.
„Verdammt noch mal. Was soll ich denn jetzt machen?“
Jo stützte seinen Kopf auf die Hände. Er war verzweifelt. Auf einmal brach die ganze Last aus ihm heraus. Er fing an zu weinen. Etwas, dass er seit acht Jahren nicht mehr gemacht hatte. Aber er konnte einfach nicht mehr stark sein und allen Kraft geben. Die Unruhe, die Belastung die in den letzten beiden Monaten auf ihm lastete, wurden einfach zu viel. Vor allem aber die vielen schlimmen Einzelheiten, die er aus den internen Ordnern Kahlyns erfahren hatte und dass, was ihm Doktor Jacob am Telefon erzählt hatte, machen ihn mehr zu schaffen, als er sich eingestehen wollte. Vieles stand gar nicht in den internen Ordner, da Mayer und Hunsinger nie etwas davon erfahren hatten. Mit jedem Puzzel Teilchen, das er von Kahlyns Leben fand und erfuhr, wurde das Bild, das sich vor seinem inneren Auge bildete, grausamer und unerträglicher.
Jo mochte dieses kleine Mädchen sehr. Aber er bekam seinen schweren Job und diese zusätzliche Belastung, einfach nicht mehr auf die Reihe. Seit Wochen war er nicht zur Ruhe gekommen und ihm war einfach alles zu viel. Diese vielen Informationen verfolgten ihn, bis hinein ins eine Träume, sie fraßen ihn systematisch auf. Veilchen sah ihren Mann, verzweifelt an. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie wusste, dass ihr Mann einfach übers Ziel hinausgeschossen war, aber sie konnte ihm im Moment nicht helfen. Denn sie war genauso sauer auf ihren Mann wie Jenny. Trotzdem konnte und wollte Viola ihrem Mann helfen und ihn beruhigend in den Arm nehmen. Jo jedoch drehte sich aus ihrer Umarmung und stand auf. Verließ fluchtartig die Küche mit den Worten.
„Ich lege mich hin.“
Jo lief nach oben in das Schlafzimmer und schmiss sich so wie er war, auf das Bett. Als Viola, zwei Minute später in den Raum kam, schlief Jo schon tief und fest. Sein Körper hatte sich sein Recht eingefordert. Jo beherrschte nicht wie die anderen auf der Wache, das schnelle Schlafen und hatte nur wenige Minuten geschlafen. Viola zog Jo die Schuhe aus und deckte ihn einfach zu. Traurig ging sie nach hinten zu Jenny.
Viola fand ihre Tochter jedoch nicht ihn ihrem Zimmer. Panisch überlegte Viola, wo Jenny sein könnte. Aus einem Gefühl heraus, lief sie in Kahlyns Zimmer. Dort lag Jenny zusammengerollt mit Struppi im Arm und schlief. Erschrocken sah Viola, das viele Blut auf den Boden und die tiefen Rillen, in denen sich das Blut gesammelt hatte. Was um Himmels Willen, hatte diese kleine Maus hier gemacht? Ging es Viola durch den Kopf. Jennys Mutter nahm eine Decke und deckte damit die fest schlafende Jenny zu. Sie war froh, dass ihre Tochter endlich schlief. Denn Jenny hatte die ganze vorige Nacht schon nicht geschlafen. Die Kleine war völlig fertig.
Viola lief nach unten in den Hauswirtschaftsraum und holte sich einen Eimer mit Wasser und einen Schrubber, um wenigstens das Blut wegzuwischen. Zurück in Kahlyns Zimmer, wischte sie das Blut vom Boden auf, aber auch das, was an der Wand war weg. Entdeckte das völlig kaputte Kopfkissen. Brachte den blutigen Überwurf und die Decke, die sie noch in deren Zimmer fand, nach unten in den Hauswirtschaftsraum, um diese in die Waschmaschine zu stecken und gleich noch zu waschen. Auch dort fand sie blutige Sachen. Vor allem aber, ordentlich hingestellt Kahlyns Schuhe und die private Kleidung der Kleinen. Kopfschüttelnd, wusch Viola die blutigen Sachen erst einmal aus. Als sie jedoch den Kissenbezug fand, wurde ihr Angst. Man sah deren Zahnabdrücke in dem Bezug, durch den Kahlyn durchgebissen hatte. Was musste dieses Mädel, wohl für Schmerzen gehabt haben, wenn sie einen dicken Baumwollbezug durchgebissen hatte!? Viola verstand die Welt nicht mehr. Steckte die Sachen in die Waschmaschine und stellte sie noch an. Den Bezug allerdings nahm sie mit nach oben und legte ihn Jo auf seinen Schreibtisch. Dann ging sie hoch in die obere Etage, um Stromer aus Tims Zimmer zu holen. Tim hatte so geweint, dass sie ihn nur mit Stromer beruhigen konnte. Auch Tom, hatte sich nur mit Struppi beruhigen können. Viola fragte sich immer wieder, was wohl für die Kinder schlimmer gewesen war. Dass Kahlyn so geschrien hatte oder dass sie jetzt auf einmal weg war. Sie war der festen Überzeugung, dass es das Zweite war, das für wesentlich mehr Kummer gesorgt hatte. Nicht einmal kam die Frage von ihren Kindern, warum hat Kahlyn so schlimm geschrien? Sondern nur, warum kommt sie nicht wieder? Viola nahm Stromer auf den Arm und ging nach unten in Jos Büro, rief kurz entschlossen, obwohl es kurz vor Mitternacht war, noch den Direktor der Schule an.
„Bei Lux“, meldete sich eine männliche Stimme.
„Genosse Direktor entschuldigen sie bitte, dass ich sie um diese Zeit noch anrufe, leider bin ich nicht eher dazu gekommen. Hier ist Frau Runge von Tom und Jenny, die Mutti“, meldete sich Viola, der man anmerkte, dass sie ganz durch den Wind war.
„Frau Runge, um Himmels Willen, was ist denn passiert? Sie klingen ja völlig durcheinander.“
Viola holte tief Luft. „Herr Lux, das bin ich auch. Kahlyn ist weggelaufen, am gestrigen späten Nachmittag. Mein Mann hat bis eben nach ihr gesucht. Man hat sie immer noch nicht gefunden. Ich wollte sie bitten, dass ich die Kinder morgen zu Hause lassen kann. Es geht den Beiden überhaupt nicht gut. Sie haben den ganzen Tag geweint, vor allem sind beide, eben erst zur Ruhe gekommen. Tom ist erst kurz vor 23 Uhr eingeschlafen, Jenny erst vor einigen Minuten. Die Beiden sind einfach im Moment nicht in der Lage, in die Schule zu gehen. Vor allem sind die Beiden total durch den Wind.“
Direktor Lux hörte erschrocken zu. „Frau Runge, lassen sie die Beiden ein paar Tage zu Hause. Bis sie von alleine wieder in die Schule wollen oder sie ihren Schützling gefunden und sich alles wieder beruhigt hat. Die beiden holen sie paar Fehlstunden, schnell wieder auf. In ihrer jetzigen Gemütsverfassung können sie dem Unterricht sowieso nicht folgen. Wir würden die Kinder nur quälen, wenn wir sie mit Gewalt in die Schule zwängen. Danke, dass sie Bescheid gesagt haben. Wieso ist Kahlyn weggelaufen? Das passt überhaupt nicht zu ihr. Nach allem, was ich von Jenny und Tom, über sie erfahren habe, ist sie eine sehr verantwortungsbewusste junge Frau. Die beiden sind nur am schwärmen von ihrer neuen Freundin. Als es jetzt um Vorbilder ging, haben beide Kahlyn genannt. Ich kann das wirklich nicht nachvollziehen“, erklärte Lux, dass er nicht versteht, was geschehen ist.
„Das stimmt Herr Lux, nur ist es leider so, dass Kahlyn mit dem normalen Leben, einfach nicht klar kommt. Sie bekam gestern einen schlimmen Anfall. Hat dadurch über vier Stunden wie am Spieß geschrien. Mein Mann war so besorgt wegen unserer Kinder. Die so etwas ja noch nie erlebt hatten, wollte sie eigentlich nur schützen. Natürlich waren die Kinder erschrocken, wollten wissen, was mit Kahlyn war. Aber wir wissen es doch selber nicht. Wir sind oft mit der Kleinen überfordert. Als dann Ruhe wurde, war das genauso schlimm, wie das Schreien davor, es tat genauso weh. Dann kam Kahlyn in die Küche. Mein Mann hatte einfach überreagiert, hat die Kleine an gepulvert. Damit kam sie nicht klar, lief einfach weg. Seit gestern um 18 Uhr suchen die Kollegen von der Wache die Kleine. Sie hat nur einen dünne Hosen und Trainingsjacke an, nicht mal Schuhe“, erzählte Viola weinend.
„Um Himmels Willen. Ich hoffe sehr, dass die Kollegen ihres Mannes, Kahlyn schnell finden, sie kennt sich doch hier bestimmt nicht aus.“
Viola bestätigt das. „Das stimmt, ich habe aber keine Angst, dass sie sich verläuft. Kahlyn kann auf sich selber aufpassen. Ich habe nur große Angst, dass sie sich etwas antut. Sie hat das Vertrauen zu uns verloren. Sonst wäre sie nicht weg gelaufen, sondern nur in ihre Wache. Hoffen wir, dass sie sich bald beruhigt, vielleicht von alleine wieder nach Hause kommt. Danke, dass sie mir zugehört haben Herr Lux“, Viola wurde bewusst, dass sie den Direktor von Schlafen abhielt.
„Das ist kein Problem. Wie gesagt, lassen sie die Beiden zu Hause, bis sie von alleine wieder in die Schule wollen oder sich die Lage wieder normalisiert hat, bei ihnen. Ich sage den Lehrern Bescheid, so hat es keinen Zweck. Guten Nacht Frau Runge, machen sie sich nicht zu viel Sorgen. Ich kenne Kahlyn zwar nicht besonders, aber als sie hier war, machte sie mir nicht den Eindruck, dass sie suizidgefährdet wäre. Versuchen sie etwas zu schlafen. Gute Nacht“, verabschiedete sich Lux von Viola.
„Guten Nacht Herr Direktor, entschuldigen sie noch einmal die späte Störung“, Viola legte nun ebenfalls auf.
Erleichtert atmete sie auf. Jetzt konnte sie mit ruhigen Gewissen, ihre beiden Kinder morgen früh schlafen lassen. Tief in Gedanken versunken graulte Viola Stromers den Nacken, ging dann in Richtung Bad. Dort setzte sie Stromer auf den Boden und ging duschen. Damit fertig, nahm sie Stromer wieder auf den Arm und legte sich auch ins Bett. Stromer rollte sich an Viola gekuschelt zusammen und schlief fast sofort ein. Viola versuchte vergeblich einzuschlafen.
Immer wieder kreisten ihre Gedanken, um Kahlyn. Das Mädchen, auch wenn sie oft schwierig war, hatte ihr Herz im Sturm erobert. Nicht nur deshalb weil sie Tim gesund gemacht hatte. Sondern durch ihre Art wie sie ihren Kindern Wertigkeiten beibrachte und wie sie sich mit ihnen unterhielt. Auch machte ihr immer noch der Streit mit Jo zu schaffen. Sie nahm ihn übel, dass er so grob zu Kahlyn war, die diese ihre Welt doch gar nicht verstehen konnte.
Kurz nach 6 Uhr stand Viola auf, sie konnte einfach nicht schlafen, da Stromer unruhig geworden war. Ging sie erst einmal nach hinten in Kahlyns Zimmer und holte auch Struppi, zog ihre Trainingshose über den Schlafanzug und darüber eine dicke Jacke. So ging sie mit den beiden Hunden eine Runde Gassi. Mit Erschrecken stellte Viola fest, dass ein eisiger Wind wehte und es richtig knackig kalt geworden war. Ihre Gedanken gingen zu Kahlyn, die bestimmt fror, so dünn wie sie angezogen war. Während Viola ihren Gedanken nachhing, liefen die beiden Welpen hin und her. Stromer der mutigere von beiden lief immer vor, Struppi dagegen machte immer noch einen völlig verstörten Eindruck. Sah sich ständig um, ob auch Viola noch da war. Ihr wurde bewusst, dass Struppi wohl eine sehr enge Beziehung zu Kahlyn aufgebaut hatte und er deren Verschwinden genauso schlecht verkraften würde wie ihre Kinder, hoffentlich wurde der Kleine, nicht ernsthaft krank. Welpen neigten dazu, solche Trennungen schwer zu verkraften. Trotzdem tat es Viola gut, ihnen beim Toben zu zusehen. Denn es lenkte sie ein wenig von ihrer Sorge um Kahlyn ab. Nach einer Weile hatten beide ihr Geschäft gemacht. Deshalb kehrte Viola um und lief nach Hause. Es war gerade kurz nach 7 Uhr, also ging sie nach oben, um Jo zu wecken.
„Jo, es ist 7 Uhr durch. Du musst langsam aufstehen“, bat Viola ihren Mann, der immer noch tief und fest schlief.
Jo rieb sich müde das Gesicht. „Ich komme Veilchen. Ich rufe nur Inge an, dass ich heute nicht komme. Dann lege ich mich noch einmal hin“, sagte er leise und mit trauriger Stimme.
Der Polizeirat stand ohne zu Murren auf und ging nach unten in sein Büro. Kam aber sofort wieder nach vorn in die Küche. „Veilchen, was ist das denn?“, wollte er von seiner Frau wissen und ging auf sie zu, gab ihr erst einmal einen guten Morgenkuss. „Du siehst müde aus, hast du überhaupt geschlafen, Veilchen?“, fragt Jo seine Frau.
Erschrocken stellt er fest, dass sie dunkle Ringe unter den Augen hat. Etwas, dass bei seiner Frau wirklich selten vorkam.
Viola schüttelte den Kopf. „Ich konnte nicht schlafen. Die Sache mit der kleinen Maus lässt mir einfach keine Ruhe. Jo, sie hat nicht einmal Schuhe an, die stehen unten in der Waschküche. Das da…“, sie zeigte auf den blutigen Bezug von Kahlyns Kissen. „… ist der Kopfkissenbezug, von Kahlyns Bett. Ich dachte du solltest das wissen. Die Kleine muss wahnsinnige Schmerzen gehabt haben. Weißt du, was für Kraft dazu gehört, einen Baumwollbezug durchzubeißen. Ich habe schon viel gesehen, in meiner Zeit als Krankenschwester. Aber so etwas noch nicht. Kein Wunder, dass sie so geschrien hat. Jetzt weiß ich endlich auch, warum die Schreie so komisch geklungen haben. Sie wollte verhindern, dass wir ihre Schreie hören und hat ins Kissen gebissen, um die Schreie zu dämpfen. Das Kissen, sieht genauso kaputt aus, Jo. Der ganze Boden und ein Teil der Wand, waren voller Blut gewesen. Es muss schlimm gewesen sein“, berichtete Viola, unter Tränen.
Jo nahm sein Veilchen, tröstend in den Arm. „Veilchen, es tut mir so leid. Ich wollte nur unsere Kinder beschützen. Aber ich habe begriffen, dass es falsch war. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Ich will nur, dass wir sie finden und sie wieder mit nach Hause kommt. Zu ihrem Struppi und zu uns. Ich mache mir solche Sorgen“, verzweifelt sah er Viola an.
Viola brachte seine größte Angst zu Ausdruck. „Was ist, wenn sie nie wieder kommen will? Wenn wir ihr Vertrauen, nicht wiedergewinnen können?“
Jo zuckte mit der Schulter. „Ich weiß nicht, was wird, Veilchen. Aber ich weiß, dass ich so schnell nicht aufgeben werde. Ich habe es verbockt, ich werde es ihr auch erklären. Ich bringe das wieder in Ordnung. Veilchen, das verspreche ich dir.“
„Jo, glaubst du wirklich, dass du das so einfach wieder in Ordnung bringen kannst?“, erklang auf einmal die müde Stimme von Rudi. „Das, was du gemacht hast Jo, war total gemein. Ich habe keine Ahnung, ob wir das Vertrauen von Kahlyn, überhaupt wieder gewinnen können. Was glaubst du eigentlich, warum sie nicht in die Wache gelaufen ist?“, stellt Rudi Jo leise eine wichtige Frage.
„Ich weiß es nicht, Rudi.“
Viola gab für Rudi die Antwort und bestätigte dadurch, dessen und Kais Gedankengänge.
„Jo, Kahlyn ist nicht in die Wache gelaufen, weil du der Polizeirat bist, der größte Chef, der hier das Sagen hat. Ihr unmittelbarer Vorgesetzter. Du hast sie aus dem Haus gejagt, Jo. Damit aber auch aus ihrer Wache. Sie traute sich dort nicht mehr hin. Sie hat ihr ganzes Vertrauen verloren, zu allen Leuten die sie hier kannte. Ich habe die ganze Nacht gegrübelt. Ich denke sie ist nicht mehr in Gera. Sie wird versuchen, in ihre Schule zu kommen. So weit weg von hier wie es nur irgendwie geht. Weg von den Verrätern, die wir in ihren Augen bestimmt sind“, erklärte sie und konnte das weinen nicht unterdrücken, sah mit nassem Gesicht zu ihrem Mann.
Rudi nickt. „Genau, zu dem gleichen Ergebnis, bin ich heute Nacht auch gekommen. Ich glaube nicht, dass es einfach sein wird ihr Vertrauen wieder zu erlangen. Wir werden schwer darum kämpfen müssen“, Rudi setzte sich müde an den Tisch.
Jo ließ sich auf den nächsten Stuhl fallen, stützte seinen Kopf grübelnd auf die Hände. So, hatte er die ganze Sache noch gar nicht gesehen. Die Beiden hatten recht, es würde sehr schwer werden, das kaputte Vertrauen zurückzugewinnen. Eine ganze Weile blieb Jo so sitzen, viele Dinge gingen ihm durch den Kopf. Plötzlich strafte er sich, er hatte für sich einen Beschluss gefasst. „Dann müssen wir es ihr beweisen, Rudi. Sag mal, ob Max und John uns heute etwas helfen würden, auch, wenn sie frei haben?“, wollte er kurz entschlossen von seinem Freund wissen.
Der sah ihn verwundert an. „Das kommt darauf an, bei was?“, meinte Rudi.
„Ich muss erst mit Inge einiges klären, dann reden wir weiter.“
Entschlossen stand Jo auf und lief nach hinten in sein Büro. Wählte die Nummer seines Büros. Als seine Sekretärin sich melden wollte, unterbrach er diese sofort.
„Bür…“, weiter kam Inge nicht.
„Inge ich bin es, Jo. Inge, bitte sei so lieb. Sage für heute, morgen und übermorgen alle Termine ab. Wenn jemand fragt, aus persönlichen Gründen. Inge, Kahlyn ist wegen mir weggelaufen. Ich muss das erst in Ordnung bringen. Ich erkläre dir alles am Donnerstag. Bitte lege alle Termine um. Ich nehme ein paar Tage frei. Ich hab ja mehr als genug Überstunden. Es geht nicht anders. Bei mir ist die Hölle los. Ich muss erst einmal wieder Ruhe bei mir in die Familie bringen. Hier geht es zurzeit drunter und drüber.“
Inge bestätigte. „Jo, die Wache hat mir schon Bescheid gesagt, dass du vielleicht später kommst. Ich rief vorhin dort an. Du hattest doch heute um 7 Uhr, einen wichtigen Termin. Als du kurz vor 7 Uhr noch nicht da warst und ich auch bei dir zu Hause niemanden erreichte, habe ich auf der Wache angerufen. Ich hab mir schon so etwas gedacht. Also kläre das, ich verlege alle Termin, die ich nicht umlegen kann, verteile ich auf andere. Ich hoffe ihr findet die Kleine bald.“
„Ach du lieber Schreck. Den ollen Sachsen hab ich total vergessen, entschuldige Inge. Aber ich bin total fertig, wegen der ganzen Sache“, entschuldigte sich Jo, für den vergessenen Termin, den er mit dem Polizeirat in Sachsen hatte. Aber auch er war nur ein Mensch.
Inge beruhigte ihren Chef. „Jo, ich habe ihm erklärt, du hättest dir eine Darmgrippe zugezogen, die heute Nacht ausgebrochen ist. Du weißt doch, mir fällt immer eine gute Ausrede, für dich ein. Mach dir keine Sorgen. Du sollst dich melden, wenn es dir wieder besser geht.“
Jo atmete erleichter auf. Inge war ein Engel. „Ich hoffe der Polizeirat, war nicht all zu verärgert. Danke Inge, aber du weißt aber, dass man nicht lügen sollte“, schimpfte er, ein bisschen neckend mit ihr.
Inge lachte. „Mache ich so etwas?“, gab sie schelmisch zur Antwort.
Jetzt muss sogar Jo, ein wenig lächeln, obwohl ihm gar nicht danach war. Inge schaffte es immer wieder, ihm ein Lächeln abzuringen.
„Also Inge, danke noch einmal. Dann bis Donnerstag. Ich melde mich aber, wenn wir sie gefunden haben.“
Erleichtert legte Jo auf und ging nach vorn, zu Rudi und Viola, um ihnen seine Idee vorzutragen. Jetzt hatte er den Rücken frei und konnte ganz anders arbeiten.
„Also, ich habe mir erst einmal bis Donnerstag frei genommen“, erklärt Jo seiner Frau und seinem besten Freund. „Rudi, als erstes, es tut mir wirklich leid, was vorgestern passiert ist. Ich weiß nicht, was mit mir los war. Egal, was ich sage, davon wird es nicht besser. Ich habe einfach falsch reagiert. Könntest du mir das bitte verzeihen. Verdammt, wir sind so lange befreundet, bitte lass unsere Freundschaft nicht daran zerbrechen“, flehentlich sah er seinen besten Freund an.
Rudi schlug Jo auf die Schulter. „Das weiß ich Jo. Ich war nur die letzten beiden Tage, total durch den Wind. Jo, du weißt, dass ihr meine Familie seid. Ich habe doch nur euch, eine eigene Familie habe ich nicht. Aber ich bin total in Sorge wegen der Kleenen. Wenn ihr etwas passiert, nur weil ich sie nicht beschützt habe, das könnte ich mir nie verzeihen“, er nahm Jo in den Arm.
Viola, wie auch Jo atmeten erleichtert auf.
„Da hab ich wohl noch einmal Glück gehabt“, stellte Jo bitter fest.
Viola, wie auch Rudi nickten. Endlich entspannte sich die ganze Lage ein wenig.
„Also hört bitte mal zu, ich habe eine Idee. Rashida meinte doch, vor Morgen brauchen wir nicht in der Schule sein. Kahlyn, so denke ich wird nicht auf den geraden Weg dorthin laufen. Wir haben also einen ganzen Tag, um meine Idee umzusetzen. Um auf diese Weise der kleinen Maus zu zeigen, dass sie uns wirklich am Herzen liegt“, fragen sah Jo die beide an.
Veilchen und Rudi verstanden aber nur Bahnhof, weil sie Jos Gedankengänge, nicht folgen konnten.
„Was willst du umsetzen Jo? Du sprichst in Rätseln“, erklärte Viola ihren Mann, genau das, was Rudi dachte.
Jo fuhr sich durch die Haare. „Ich denke, wir sollte für Kahlyn ein eigenes Zimmer machen. Das, was sie jetzt bewohnt, ist ja nur provisorisch. Wenn wir vielleicht John und Max bitten mit anzufassen, ist das in ein paar Stunden erledigt. Ich rufe bei Tony an und frage ihn, ob er etwas Farbe für uns hat. Bestimmt bekommen wir irgendwo, auch auf die Schnelle ein paar Rohre organisiert. Wenn ich Carlos frage, der besorgt mir das bestimmt, in kürzester Zeit oder hat vielleicht sogar etwas Passendes in seiner Werkstatt. So sieht die Kleene, dass wir sie wirklich mögen. Was haltet ihr von der Idee?“, fragend sah er Viola aber auch Rudi an. Beide nicken zustimmend.
Viola, fiel Jo weinend, um den Hals.
Rudi dagegen, sagte. „Dann los, fangen wir an zu telefonieren und holen wir die Jungs dazu. Dann ist alles fertig, bevor wir uns umsehen.“
Jo fiel ein Stein vom Herzen. Drehte sich direkt um und gab Viola im Gehen noch einen Kuss. Verschwand sofort im Büro. Rudi dagegen, lief zum Telefon in der Diele und rief Tony an, Viola spielte Bote und meldete Jo hinten alles, was Rudi erreicht hat und umgekehrt. Nach anderthalb Stunden, es war kurz vor 9 Uhr, kam John mit Carmen und deren Vater Heinz. Kurze Zeit später, erscheinen Max, Tina, und dessen Vater Horst. Aber auch Fran, Sep, Ronny, Tino, Basti von den Teams aus der Wache abgestellt, da sie die besten Handwerker waren. Zur Verwunderung Jos kamen auch die Sörens und fassten mit an. Carlos der Vater von Ines, dessen Bruder Miguel und der Bruder von Ines, Chris. Jo staunte nicht schlecht, wie viele Leute bereit waren, Kahlyn zu beweisen, dass sie hier erwünscht war. Nicht nur einmal, kämpfte er an diesem Tag gegen die Tränen, ihm wurde jetzt erst richtig bewusst, wie wichtig Kahlyn für viele geworden war. Aber auch wie viele Freunde er hier hatte. Die bereit waren, ihm dabei zu helfen, einen schlimmen Fehler wieder gut zumachen. Dankbar sah er sich in der Runde um, war froh solche Freunde zu haben.
Viola machte mit Jenny, Tina und Carmen, erst einmal für alle Frühstück. Chris hatte für alle Brötchen mitgebracht, und Miguel Hack und Belag. Die Männer dagegen sahen sich die beiden Räumlichkeiten an. Um 9 Uhr 30 saßen alle, zu einer ersten Planungsbesprechung, aber auch zum Frühstück am Tisch. Um 10 Uhr begann Carlos der Architekt der Sörens, einen Arbeitsplan auszuarbeiten, sagte genau, was man alles brauchte.
Nur dreißig Minuten später, begannen die Männer mit der Arbeit. Jeder bekam seine Arbeit zugewiesen. Die Sörens kümmerten sich ausschließlich, um die Inneneinrichtung, die in der eigenen Schreinerwerkstatt hergestellt wurde. Das Aufarbeiten von teilweise vorhandenen Möbeln und das Anfertigen eines Bettes für Kahlyn und ihren Struppi. Sep, John, Ronny, und Heinz kümmerten sich um die Kemptner- und Elektroarbeiten, Viola, Basti, Max, Tino, Horst, Tina, Carmen, um die Malerarbeiten. Auch Tom und Jenny, aber auch der kleine Tim halfen so gut es ging, beim Malern und Saubermachen. Bereits um 18 Uhr, war der Hauswirtschaftsraum wie auch Kahlyns Raum fertig gemalert und eingerichtet. Als es kurz nach 19 Uhr klingelte, kam Inge vollbepackt mit Dekorationsmaterial für Kahlyns Zimmer. Die ihrem kleinen Mäuschen, auch eine Freude machen wollte. Sie brachte Bettzeug, einige Spiele, Bücher, vor allem aber, Mal und Schreibutensilien für den Schreibtisch mit. Viola, sah ihre Freunde strahlend an, jetzt glaubte sie wieder fest daran, dass Kahlyn wieder nach Hause kommen würde. Die Sörens, hatten sogar eine Möglichkeit gefunden, das Fenster von Kahlyns Zimmer so zu verdunkeln, so dass sie auch, wenn sie keine Brille aufhatte, ihr Zimmer am helllichten Tag belüften konnte. Gemeinsam sahen sich die Handwerker ihr Werk an.
Das Zimmer war wunderschön geworden. Man hatte die Wände wie auch die Decke dunkelblau gestrichen, an der Wand über dem Bett, hing das Bild, das Kahlyn von Katrin und Rashida geschenkt bekam. Nicht nur in einen wunderschönen Bilderrahmen eingerahmt, sondern von Carmen zusätzlich, mit einem handgemalten wunderschönen Rahmen, aus hellblauer Farbe umrahmt, von dem Ranken durch das gesamte Zimmer liefen. Von den Ranken wiederum, gingen rosa, hellgrün, gelb und hellblau, gezeichnete Blüten ab. Es war nicht zu viel, doch machte es das sehr dunkle Zimmer, zu einer Augenweide. Auf den Blüten saßen vereinzelte Bienen und Schmetterlinge. Die von Ines, Carlos und Miguel gezeichnet wurden. Die sich auch an dem neuen Kleiderschrank, den Betten von Kahlyn und Struppi, sowie an den Schreibtisch und dem Bücherregal, wieder fanden. Es lockerte das gesamte Bild auf, wirkte aber nicht überladen. An der Decke jedoch, flogen einige wenige Vögel, wie Raben, Adler, Schwalben, die in hellen Grau- und Brauntönen gezeichnet wurden. Es hatte den Eindruck, als lebte man mitten in der Natur. Einer Natur in der Nacht. Auch das Fenster bekam Verzierungen. Da man es komplett verkleidet hatte, wurde es ebenfalls dunkelblau gestrichen, um das Zimmer zu verdunkeln. Ein kleines Kunstwerk, aus Pastellfarben, war dort entstanden. Es sah aus, als wenn man aus einem Fenster in einen kleinen Garten sehen würde. Einen Garten mit Blumen, Gräsern, Vögeln, Schmetterlingen, einer kleine roten Katze und zwei Hunden. Die von Ines, die nach ihrer Arbeit sofort zu den Runges kam, gezeichnet wurde.
An die Tür kam von außen, ein Schriftzug.
„Kahlyns Reich!
Bitte Licht ausschalten!“
Darauf, hatte Jenny bestanden. Auch hatten die Sörens extra den Eingangsbereich abgegrenzt, so dass eine kleine Trennwand, die gleichzeitig als Garderobe diente, verhinderte, das Licht in den Raum drang, wenn man die Tür öffnete. Es gab nur zwei Lampen. Eine abgedunkelte Lampe, die in eine wunderschöne Sonnenblume eingebettet wurde. Die Glühlampe, war dunkelblau, so dass Kahlyn, auch einmal Besuch empfangen konnte. So hoffte man jedenfalls, ohne dass sie in ihrem Zimmer die Brille tragen musste. Dann gab es noch eine Lampe in der äußeren Ecke, die Viola anmachen konnte. Wenn sie den Raum einmal selber sauber machen oder die Betten beziehen wollte. Es konnte ja sein, dass Kahlyn einmal längere Zeit nicht zu Hause war. Dann musste sich jemand anderes, um die Sauberkeit des Zimmers kümmern. Sonst machte das Kahlyn ja selber. Das hatte sie die ganzen Wochen im Gästezimmer bewiesen. Das stets ordentlich aufgeräumt und sauber war.
Der Hauswirtschaftsraum von Viola, erstrahlte in einem warmen Gelbton. Carlos und Miguel hatten Viola auch gleich neue Regale gebaut. Der kaputte Fußboden wurde repariert, sowie einen Überbau über die Waschmaschine angefertigt. Dort konnte sie ihre Waschutensilien aufbewahren. Auch bekam sie einen schönen Wäscheständer, so dass sie bei schlechtem Wetter auch hier im Zimmer die Wäsche aufhängen konnte und nicht jedes Mal nach unten in den Keller musste. An der Tür standen jetzt groß, mit Blumen umrahmte.
„Violas Reich“
Damit jeder wusste, dass dies der neue Hauswirtschaftsraum war. Auch arbeiteten Carlos, Miguel und Chris, die alten Möbel des Hauswirtschaftsraumes auf und glichen sie auf diese Weise den neuen Möbeln an. Das Zimmer vermittelte dadurch den Eindruck, das alles neue Möbel vorhanden waren. Es war ein gut durchdachtes Konzept, typisch für die Sörens. Die über Jahrzehnte in Wohnwagen lebten und dadurch gelernt hatten auf minimalen Platz viel unterzubringen. So war zum Beispiel ein Bügelbrett in ein Regal eingearbeitet, dass Viola nur herausziehen und aufklappen braucht. Brauchte sie dieses nicht mehr, verschwand es vollkommen. Nichts stand im Weg herum, sondern war gut versteckt und ein unsichtbares Teil des Regales. Genau wie der Wäschetrockner fast vollständig verschwand, wenn Viola ihn nicht brauchte. Auch Behälter für die Schmutzwäsche Sortierung bauten die Sörens für die Hausfrau, der siebenköpfigen Familie. An den Wänden bekam Viola einige Blumen gemalte, damit sie eine Freude hatte. Auch für Tim und Tom tat man einiges, um sie etwas von ihren Kummer abzulenken. So bekam Tim einen Saurier und Tom einen Indianerkopf, über ihre Betten gezeichnet. Damit sie nicht mehr so traurig waren. Nur Jenny wollte nichts dergleichen haben. Sie wollte nur, dass ihre Kahlyn zurück kam und war mit nichts abzulenken. Nur, dass Kahlyn jetzt so ein schönes Zimmer bekam, tröstete sie ein wenig. Alle waren zufrieden, mit dem, was in dieser kurzen Zeit erreicht wurde. Carmen, Jenny, Tina und Viola hatten für die Handwerker und Helfer, ein kleines Menü zubereitet. So setzten sich alle, kurz vor halb acht, an den Tisch, um zu essen. Als alle am Tisch versammelt waren, erhob sich Jo.
„Ich möchte, euch allen danken, dass ihr uns heute so sehr geholfen habt. Ich hoffe jetzt nur, dass mir die Kleene meinen falschen Satz verzeihen kann. Wir müssen ja, um ihr das zu zeigen, erst einmal erreichen, dass sie wieder mit hierher kommt. Also Danke ihr Lieben, für alles. Ohne euch hätten wir das nie geschafft, in so kurzer Zeit. Vor allem nicht so schön“, bedankte sich Jo mit einem eigenartigen Vibrieren in der Stimme. „Danke auch an die Frauen, für das wunderbare Abendessen, ich wünsche euch, guten Appetit.“
Alle griffen herzhaft zu, denn alle hatten einen riesigen Hunger. Vor allem gab es nur Leckereien. Die Bouletten von Miguel waren berühmt, genauso wie die Schnitzel von Tina, der Kartoffelsalat von Viola und der Kuchen von Carmen. Alle ließen es sich schmecken. Es wurde wieder etwas gelacht. Jenny hatte ihren Vati fast verziehen, sie hatten sich kurz ausgesprochen. Auch Tim und Tom waren wieder glücklich. Stromer saß mit einem dicken Bäuchlein, bei Tom auf dem Schoss, Struppi bei Jenny. Alle bis auf Struppi waren glücklich.
Der kleine Hund war vollkommen verstört. Er hatte seit vorgestern nichts gefressen und auch nichts getrunken. Viola, die deshalb in Sorge war, machte gerade für Struppi eine Flasche mit Hundeersatznahrung zurecht. Die sie sich bei einer Nachbarin, die Langhaardackel züchtete, besorgt hatte. Kaum hatte die Milch die richtige Temperatur, gab sie Jenny die Flasche, da Struppi zu Jenny das meiste Vertrauen hatte. Aber auch das wollte der kleine Hund nicht trinken. Er lag mit trüben Augen auf Jennys Schoss. Traurig, weil ihn sein Frauchen verlassen hatte. Jenny nahm kurzerhand die Flasche und drehte den Deckel auf, steckte den Finger in die Milch. Dann stupste sie mit dem nassen Finger an Struppis Nase und zwang Struppi auf diese Weise, seine Nase abzulecken. Dann hielt sie ihm den Finger hin, damit Struppi diesen ableckte, immer wieder macht sie das. Auf diese Weise bekam er wenigstens, ein wenig Nahrung. Es war nicht gut, wenn so kleine Hunde, nichts tranken und fraßen. Das konnte ganz schnell, zu schweren Schäden führen. Zwar nahm Struppi dadurch auch nicht genügend Nahrung zu sich, aber wenigstens etwas. Rudi, Jo und John, hatten Jenny versprochen Struppi mitzunehmen. Damit dieser so schnell wie möglich, wieder zu Kahlyn kam. Viola hatte schon eine Dose mit Futter und eine Falsche Wasser, für Struppi bereitgestellt. So dass Kahlyn dem armen Kerlchen dann in der Schule, gleich etwas geben konnte. Auch einen Beutel mit Sachen für Kahlyn, hatte Viola vorbereitet. Jetzt blieb nur die Frage zu klären, ob Kahlyn wirklich in der Schule war.
Das war der Punkt, vor dem graute allen. Keiner wusste, wo sie sonst noch nach Kahlyn suchen sollten. Rudi, der vor einer Stunde noch einmal mit Oberst Fleischer von der Soko Tiranus gesprochen hatte, war sich da nicht so sicher. Conny, der nun schon den zweiten Tag, nach Spuren, um Feldhusen suchte, hatte bis jetzt noch keine Spur finden können. Conny hatte Rudi zwar immer wieder versichert, dass dies keine schlechten Nachrichten waren. Conny hätte es eher gewundert, wenn er Spuren gefunden hätte. Wäre das der Fall gewesen, würde es Kahlyn richtige schlecht gehen. Dann hätten sich wirklich alle Sorgen machen müssen. Die Tatsache, dass Conny so absolut nichts fand, gab Anlass zur Hoffnung. So widersprüchlich das auch im Moment klingen würde. So jedenfalls hatte es Conny, Rudi und den Oberst erklärt.
Man hatte vereinbarte, dass man sich morgen früh gegen 9 Uhr, beim Doko treffen wollte. Conny sollte versuchen an Kahlyn heranzukommen, falls Rudi keinen Zugang zu ihr fand. Sollten beide scheitern, war mit Simon schon besprochen, dass der Oberst, den Drachen zu Rashida schickte, um diese zu Kahlyn zu bringen. Das sollte allerdings die letzte Option sein. Der Oberst ging davon aus, dass Rudi Erfolgt haben würde. Also hofften, alle das Beste.
Eine ganze Weile unterhielten sich die Handwerker noch. Allerdings begann Rudi kurz vor 22 Uhr damit, zu drängeln. Er wollte endlich losfahren. Da man erst noch bei John vorbeifahren musste. John wollte sich wenigstens noch duschen und sich sauber anziehen, bevor man losfuhr. Rudi, war froh solche Freunde zu haben. Er begleitete John und seine Familie zum Auto. Rudi und Jo hatten gleich nach dem Abendessen geduscht und sich Reisefertig gemacht. Sie verabschiedeten sich jetzt von den restlichen Handwerkern. Aber auch von Tom, Tim Viola und Jenny.
Rudi nahm Jenny den kleinen Struppi ab. „Onkel Rudi, du bringst uns unsere Kahlyn wieder mit, bitte“, flehte sie ihren Patenonkel, weinend an, der sie tröstend in die Arme zog.
„Jenny, ich verspreche dir nichts. Ich mag dich nicht belügen. Ich weiß nicht, ob sie wieder herkommen will. Aber glaube mir, ich werde nichts unversucht lassen. Ich vermisse die Kleene doch auch. Ich geb sie so schnell nicht auf. Das kann ich dir versprechen.“
Diese ehrliche Antwort, belohnte Jenny mit einem dicken Kuss. „Danke, Onkel Rudi. Lass nicht zu, dass Vati sie wieder verschreckt“, bat sie ganz leise.
Jo hatte es allerdings trotzdem gehört. „Jenny, bist du immer noch böse auf mich?“
Jenny nickte.
„Mäuschen ich verspreche dir, ich werde Kahlyn nicht mehr verschrecken. Ich spreche mich mit ihr aus, das verspreche ich dir. Ich möchte doch auch, dass sie zurück kommt.“
Mit diesem Versprechen ihres Vaters, war Jenny einverstanden. Also stieg Rudi mit Struppi im Arm, in Jos Dienstwagen und fuhren John nach. Circa fünfzehn Minuten nach John, erreichten sie dessen Wohnung. John stand schon fertig angezogen im Hauseingang, so dass man gleich losfahren konnte. Man hatte einen weiten Weg vor sich, denn es waren über sechshundert Kilometer, die gefahren werden mussten, um zur Schule von Kahlyn, beziehungsweise zum neuen Zuhause von Fritz Jacob zu kommen. Wo sie bereits sehnsüchtig erwartet wurden.
Fritz Jacob, der Doko der Kinder, wohnte seit einer Woche in Groß Schwansee. Der Ort lag nur ungefähr acht Kilometer von der ehemaligen Dienstelle und Kahlyns alter Schule entfernt. Er hatte sich außerhalb des Dorfes vor einem Jahr ein Haus bauen lassen, in dem er auch eine eigene kleine Arztpraxis und vor allem eine Apotheke eingerichtet hatte. Obwohl er eigentlich in Pension gehen konnte, wollte er sich noch nicht ganz aus dem Berufsleben zurückziehen. Er liebte den Umgang mit seinen Patienten und seine Pension, erlaubte ihn sich nur auf diesen einen Ort zu konzentrieren. Das Haus war bezahlt, genau wie die Einrichtung der Praxis und der Apotheke. Man musste also daraus keine Gewinne erwirtschaften, sondern er konnte in seinem Beruf als „Hobby“ weiter betreiben. Durch ein Gespräch mit dem hiesigen Bürgermeister wusste er, dass es einen akuten Ärztemangel in der hiesigen Region gab. Das vor allem im Umkreis von fünfzehn Kilometern keine Apotheke war. Deshalb entschlossen sich die Jacobs, nicht wieder nach Erfurt zurück zukehren, sondern hier zu bleiben. In einer Umgebung die sie seit Jahren kannten und sich hier eine neue Existenz aufzubauen. Sie würden ja egal, wo sie hinzogen, neu anfangen müssen. Da konnten sie auch in der Nähe, ihrer geliebten Ostsee bleiben. Die Seeluft hatte ihnen alle die Jahre gut getan und beide liebten die einheimische Bevölkerung, mit denen sie doch ab und an einmal zu tun hatten. Doktor Jacob wurde von der hiesigen Feuerwehr, der Polizei und der hier lebenden Krankenschwester, schon seit Jahren zu Notfällen geholt. Da der nächste Arzt einen Anfahrtsweg von fast fünfundvierzig Minuten hatte. Jacob der eine Ausbildung in der allgemein Medizin, Chirurgie, Kinder-, Frauenheilkunde, aber auch ein HNO-Arzt besaß und vor allem aber über sehr viel Erfahrungen, konnte bei vielen der kleinen Missgeschicken sofort helfen. Ein Anruf im Projekt genügte und der Doktor war innerhalb kürzester Zeit an Ort und Stelle. In den vergangen Jahren, hatte er danke Kahlyn und des immer weiter abgebauten Personals des Projektes, immer weniger zu tun, so dass er sich schon einen gewissen Patientenkreis in Groß Schwanensee und Umgebung aufgebaut hatte. Seine Patienten freuten sich, nun endlich einen ortsansässigen Arzt zu haben, der noch dazu den Ruf hatte, fast alles heilen zu können. Es fiel den Jacobs, nach einigen Startschwierigkeiten, nicht schwer hier Fuß zu fassen. Sie würden sich in dem Ort schnell integrieren und vor allem einleben.
Auf der Fahrt nach Groß Schwanensee unterhielten sich die drei Freunde, über die Möglichkeiten die ihnen blieben, um an Kahlyn heran zu kommen. Ob sie eine Möglichkeit finden konnten, Kahlyns Vertrauen zurückzugewinnen. Rudi, wurde mit jeden Meter unruhiger, genau wie Struppi. Übertrug sich dessen innere Unruhe auf den kleinen Hund oder was war los mit dem Welpen?
Um 4 Uhr 30 klingelten Rudi, Jo und John an der neuen Adresse von Fritz Jacob und dessen Frau Anna, der sofort öffnete. Erschrocken sah der Arzt Rudi und Jo an. Denen man die durchwachten Nächte ansah. Rudi wie auch Jo und John, hatte seit drei Tagen, keinen erholsamen Schlaf gefunden. Aber Rudi zermarterte sich auch noch die Seele, dass er nicht genügend auf sein kleines Mädchen aufgepasst hatte.
„Hallo ihr Drei, kommt herein. Ach du lieber Himmel, wen bringt ihr da mit?“, kam die neugierige Frage von Fritz. Der ließ die drei Freunde aus Gera ein und wies ihnen den Weg in die Küche. Dort saßen Anna und Conny am Tisch. Conny war auch erst vor einer halben Stunde angekommen und sah völlig geschafft aus.
Conny sprang sofort auf und lief Rudi, Jo und John entgegen. „Guten Morgen ihr Drei. Rudi, um Gottes Willen, wie siehst du denn aus. Lege dich bloß hin, sonst kippst du uns dann noch um.“ Rudi winkte ab. Er konnte nicht schlafen, solange er nicht wusste, dass es seiner Kleenen gut geht und vor allem, bis er wusste, wo sich Kahlyn aufhielt.
„Ach herrjemine, wie süß. Wer ist das denn?“, Anna ging gleich auf Rudi zu, der Struppi auf den Arm hatte. „Guten Morgen, hattet ihr eine gute Fahrt?“, erkundigte sich Anna.
„Es war lang, aber wir sind gut durch gekommen“, gab Jo zur Antwort, der auch nicht viel besser als Rudi aussah.
„Darf ich vorstellen, das ist Struppi, unser zweites Sorgenkind. Es ist Kahlyns Hündchen, den sie zurückgelassen hat. Aber der Kleene will nichts mehr fressen und saufen, seit die Kleene weg ist. Deshalb habe ich ihn mitgenommen, vielleicht kann Kahlyn ihn dazu bringen, wieder etwas zu fressen. Ich hoffe so, dass wir sie bald finden“, gab Rudi traurig zur Antwort.
Fritz sah sich den kleinen Kerl besorgt an. „Oh je Rudi, der Kleine braucht dringend Flüssigkeit, dem geht es gar nicht gut. Ich glaube, er hat eine Verbindung zu Kahlyn, die wir nicht verstehen. Hoffen wir, dass er Kahlyn nicht warnt, so dass sie sich versteckt“, verwirrt sahen alle Fritz an.
„Wie meinst du das, Fritz?“ Conny war erstaunt und verwirrt zugleich.
„Ich kann das nicht genau erklären, aber ich habe schon einige Male fest gestellt, dass Kahlyn eine Art Verbindungen zu Tieren aufbaut, sich ohne Worte mit ihnen verständigte. So kamen Pferde einfach zu ihr, wenn sie reiten wollte oder Hunde, Katzen, Vögel, die sofort auf sie zukamen, ohne Grund. Wie gesagt, ich kann das nicht genau erklären“, Fritz zuckte verlegen mit den Schultern.
Conny starrte den Arzt an. Ihm fielen spontan einige Sachen ein, die sich mit dem, was der Arzt gerade erzählt hatte, auf den Punkt deckten. „Vielleicht sollten wir gleich in die Schule gehen. Wenn Struppi ihr signalisiert hat, das wir hier sind, kann es gut sein, das sie wieder flieht.“
Fritz schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass sie hier weg geht. Die Schule ist ihr zu Hause und hier hat sie Heimvorteil. Das einzige Problem, was wir bekommen könnten ist, dass sie die Zugriffcodes ändert und dadurch die Türen blockiert. Aber ich denke, dass sie das sowieso schon gemacht hat. Kahlyn geht in allem, was sie tut auf Nummer sicher. Trotzdem denke ich, ihr solltet alle ein wenig schlafen. Es nutzt niemanden etwas, wenn ihr in der Schule, dann aus den Schuhen kippt. Aber vorher gebe ich Struppi noch etwas, damit er bis morgen durchhält.“
Fritz stand auf und ging zu seiner Tasche und holte eine Schachtel Tscenns heraus. Entnahm zwei dieser Pillen, öffnete dem Welpen mit sanfter Gewalt das Mäulchen und steckte sie hinten in den Rachen. Dann hielt er dem Welpen das Maul zu, bis dieser schluckte. „So, jetzt hat Struppi genug Nahrung aufgenommen, für die nächste Woche. Jetzt braucht er nur noch, etwas Wasser. Da habe ich auch einige Tricks auf Lager. Meine Vermieterin züchtete auch Hunde. Da kam es schnell mal vor, dass einer nicht mehr fressen wollte“, Fritz holte eine Spritze und füllte sie mit Wasser. „Rudi, du hältst Struppi, bitte fest im Arm.“
Wieder nahm Jacob das Maul des Welpen in die Hand und drückte den Kopf nach oben. Dann steckte die Tülle, so nennt man das genormte Teil auf den die Kanülen gesteckt wurden, in das Maul des kleinen Hundes und drückte ganz langsam mit dem Kolben das Wasser ins Maul. Dreimal machte er das und zwang Struppi so dazu, das Wasser zu trinken. Endlich kam wieder etwas Leben in seine Augen.
„Na siehst du Struppi, jetzt geht es dir doch gleich besser. Anna hol bitte mal ein Schälchen mit Wasser“, beruhigend kraulte er Struppis Ohren.
Struppi entspannte sich zusehends. Anna stellte die Schüssel mit dem Wasser auf den Boden. Rudi setzte Struppi davor, schon begann er gierig zu trinken.
„Na, wer sagt es denn. Du hast vor lauter Kummer vergessen, dass man auch etwas fressen und trinken musst. Du bist ein kleiner dummer Struppi“, neckte Anna den kleine Kerl lachend. Ging an den Kühlschrank nahm eine Scheibe Brot, ein Brettchen und etwas Leberwurst. Schmierte die Schnitte, schnitt sie klein und stellte das Brettchen auf den Boden. Es gab glaube ich keinen Hund auf der ganzen Welt, der einer Leberwurstschnitte wiederstehen konnte und schon mal keinen kleinen ausgehungerten Hund. Sofort machte sich Struppi gierig darüber her.
„Na, du hast aber Hunger“, stellte Rudi erleichtert fest, wenigstens eins seiner Sorgenkinder war über den Berg. Alle freuten sich, dass es Struppi wieder besser ging. Der kleine Kerl schien wirklich nur getrauert zu haben. Hatte aber jetzt begriffen, dass er weiter leben musste. Warum konnte sich niemand erklären? Vielleicht spürte er die Nähe seines Frauchens. Oder er war einfach, durch den Kummer so geschwächt, dass erst die Tscenns, ihm wieder genug Energie gaben, um zu fressen. Es gab da viele Möglichkeiten, man würde es nie erfahren.
Rudi ging mit seinem kleinen Freund, schnell noch einmal in den Garten, dort machte Struppi sein Geschäft. Allerdings sah er sich ständig nach Rudi um, lief nur so weit wie es sein musste, aus lauter Angst wieder verlassen zu werden. Dann gingen alle eine wenig schlafen, auch Rudi. Er merkte selber, dass er kurz vor dem Umfallen war, er hatte schlimmes Herzrasen, ihm war schwindelig und schlecht. Bewusst atmete er sich in den Schlaf, schlief dadurch fast sofort im schnellen Schlaf ein.
Ein paar Minuten vor 8 Uhr wurde Rudi wach. Sofort ging er nach vorn an den Frühstückstisch. Anna hatte schon mit viel Liebe das Frühstück vorbereitet und die Anderen waren schon versammelt, als Rudi als letzter eintraf. Struppi fraß an seinem Futternapf, was Rudi sehr freute.
„Guten Morgen“, wurde er von allen begrüßt.
„Na, hoffentlich wird es eine guter Morgen“, brummelte Rudi.
Er sah immer noch nicht gut aus und hatte tiefe dunkle Augenringe. Man sah ihm an, dass ihn seine Sorgen nicht losließen. Der Schlaf war nicht besonders erholsam, da er mit Alpträumen durchwogen war. Leise setzte er mit müder Stimme nach.
„Ich wünsche euch allen auch einen, guten Morgen“, wiederholte er seinen Morgengruß nun etwas freundlicher.
„Rudi, was möchtest du, Kaffee oder Tee?“, freundlich, aber auch traurig sah Anna, Rudi an.
„Anna, bitte einen Kaffee und den dreifach stark“, Rudi war geistig schon bei der Planung. „Wie wollen wir vorgehen?“, kam er gleich zu dem, was ihn am meisten interessierte.
„Rudi, frühstücke erst einmal.“ Conny sah seinen Kollegen ernst an.
„Ich habe keinen Hunger. Lasst es mal gut sein, ein Kaffee tut es auch. Ich kann jetzt nichts essen. Ich muss erst wissen, dass es meiner Kleenen gut geht.“
John und Jo sahen Rudi böse an. Jo der sich zwar immer noch schuldig fühlte, hielt sich trotzdem nicht zurück. „Rudi, du isst etwas, sonst fahren wir nicht los. Also je eher du etwas gegessen hast. Umso eher bist du bei Kahlyn.“
Als Rudi etwas sagen wollte, hing sich Fritz Jacob dazwischen, der die Spannung zwischen den beiden Freunden richtig fühlen konnte. „Rudi, du isst bitte etwas. Du weißt nicht wie lange wir da drinnen brauche. Wenn du dann vor Hunger umfällst, nutz es der Kleinen auch nichts. Jo hat in dieser Hinsicht völlig recht. Es muss nicht viel sein, aber wenigstens etwas.“
Genervt holte Rudi Luft, nahm sich eine Schnitte, schmierte Butter drauf. Klappte diese zusammen und aß sie oder besser gesagt, ekelte sie sich hinter. Denn mit Appetit aß er sie wahrlich nicht, sondern schlang sie sich nur herunter, damit er nicht warten musste. Dann trank er seinen Kaffee aus. Da die anderen sich Zeit nahmen zum Frühstücken, ging er in Gedanken alle Bilder, die er von der Schule hatte, noch einmal durch. Es gab einen geheimen Eingang in die Schule, den die Kinder vor fünfzehn Jahren gegraben hatten. Diesen Eingang kannte niemand, außer den Kindern, diesen würde Rudi benutzen, um zu Kahlyn zu kommen, er musste nur die Stelle finden. Der Eingang war von einem See aus.
„Sag mal Fritz, gibt es in der Nähe der Schule einen See, der an einen Wald grenzt?“ Rudi war immer noch tief in Gedanken versunken.
Fritz nickte. „Ja Rudi, dort fahren wir entlang, wenn wir in die Schule fahren. Warum?“
Rudi überlegte einen Moment. „Fritz, ihr Vier geht zum offiziellen Eingang. Ich gehe von der anderen Seite in die Schule.“
Fritz schüttelte den Kopf. „Rudi, es gibt nur einen Eingang zur Schule.“
Rudi sah den Doko der Kinder mit einem vielsagenden Lächeln an. „Nein Fritz, es gibt einen geheimen Eingang, den nur die Kinder kennen. Ich muss ihn nur finden. Wenn ich den Ort sehe, finde ich ihn auch. Ich sage dir einfach, wo du mich und Struppi raus lassen musst“, mit diesem klaren Befehl, war das Thema für Rudi vom Tisch.
Als die anderen mit ihm diskutieren wollten, sah er sie böse an.
„Ihr braucht nicht mit mir zu diskutieren“, böse Blicke schmiss Rudi in die Runde, wenn diese Blick hätten töten können, wäre zu mindestens Jo tot umgefallen.
„Rudi, das ist viel zu gefährlich. Du weißt nicht, wie Kahlyn drauf ist“, warf Conny vorsichtig ein.
Rudi ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. „Kahlyn, tut mir nichts, das weiß ich genau. Schon deshalb, weil ich ihr den kleinen Struppi mitbringe. Sie vermisst ihn bestimmt genauso, wie Struppi sie.“
Jo war da anderer Meinung. „Rudi, du…“
„Jo, du brauchst mit mir nicht diskutieren, entweder lasst ihr mich an dem Wald raus oder ich laufe von hier aus hin. Ihr könnt es euch aussuchen“, wütend sah er Jo an, ohne dessen unbeherrschtes Verhalten, hätten sie dieses ganze Problem jetzt gar nicht.
Jo, der merkte wie Rudi sich wieder in seine Wut hineinsteigerte und winkt ab. „Es ist deine Gesundheit, die du riskierst.“
Fritz sah erst zu Jo und dann zu Rudi. „Was ist denn mit euch geschehen? Ich dachte ihr seid Freunde? Na egal, könnt ihr mir aber bitte mal sagen, warum Kahlyn überhaupt ausgerissen ist. Das ist doch nicht ihre Art“, wollte Fritz es jetzt genau wissen.
Langsam reichte es Rudi. „Sind wir hier zum Kaffeetrinken oder haben wir eine Aufgabe. Ihr sitzt hier als ob es nichts Wichtigeres gebe. Verdammt ich will zu meiner Kleenen und ihr endlich erklären, was los ist. Bevor sie sich noch mehr einredet, wir mögen sie alle nicht“, brachte Rudi jetzt seine Anliegen vor.
Conny, der Rudi nur als ruhigen Kollegen kannte, schüttelte verwundert den Kopf. „Rudi, wir gehen gleich, aber du gehst nicht alleine zu Kahlyn rein, das lasse ich nicht zu. Du kannst dich nicht gegen sie zur Wehr setzen“, Conny wollte Rudi mit diesen Worten auf den richtigen Weg bringen.
Rudi wurde langsam sauer und wollte davon nichts wissen. „Verdammt Conny, ich hatte Kahlyns volles Vertrauen gehabt, bevor Jo alles zerstört hat. Denkst du nicht, dass ich mir eine Chance verdient habe, ihr zu beweisen, dass sie mir wirklich vertrauen kann. Ich bringe ihr das, was sie am meisten liebt und am schmerzlichsten vermisst, nämlich ihren Hund und habe damit einen Mauerbrecher. Wenn ich scheitere, könnt ihr versuchen, was ihr wollt. Aber erst will ich es, auf meine eigene Weise probieren. Ich will Kahlyn adoptieren, dann muss ich auch wissen, ob ich dem gewachsen bin. Ich bin die letzten drei Tage, durch Jos Schuld, einmal quer durch die Hölle gegangen. Es ist meine Tochter, um die es hier geht. Verdammt noch mal. Es ist schlimm genug, dass ich zuließ, dass Jo sie so angreift. Dass ich mich um ihn, statt um sie gekümmert habe. Ich will das in Ordnung bringen. Könnt ihr das denn nicht begreifen. Verdammt nochmal, es ist für mich genauso wichtig wie für meine Kleene.“
Erstaunte Blicke, bekam Rudi von John, Fritz, Conny und Anna, die ja noch nichts davon wussten.
„Was ist, darf ich die Kleene nicht adoptieren oder warum guckt ihr so?“, fuhr Rudi die Vier gereizt an, die ihn anstarren.
„Nein, um Himmels Willen. Natürlich kannst du das machen. Nur wussten wir ja davon nichts. Also gut versuche es, wenn du Hilfe brauchst, dann sage über die Verbindung Bescheid“, meinte John.
John lächelte seinem Freund und Teamleiter jetzt an, und verstand auf einmal viele seiner Reaktion besser.
„Wie Verbindung?“, jetzt war Fritz verwirrt, der davon ja noch nichts wusste.
Rudi wurde es langsam aber sicher zu viel, er wollte endlich los. „Fritz, können wir das nicht alles später machen, wenn wir die Kleene hier haben. Bitte Leute.“
Rudi war völlig genervt, von der Arschruhe der Anderen. Endlich standen alle auf, es war mittlerweilen schon fast 9 Uhr geworden. Rudi ging mit Struppi nach draußen, damit der noch sein Geschäft machen konnte. In der Zwischenzeit kamen auch die anderen nach draußen.
Anna ging auf Rudi zu. „Dann viel Glück Rudi, ich freue mich für dich und für Kahlyn. Hoffentlich holst du sie dort bald heraus“, flüsterte Anna und gab Rudi einen Kuss auf die Wange.
Alle stiegen in Jos Wolga, schon fuhr er los. Fritz wies Jo ein wie er zu fahren hatte. Sie folgten der L1 in Richtung Südwesten, vorbei an Klein Schwansee, Neusiedlung, bogen dann Richtung Westen ab, weiter nach Harkensee, einen Kilometer nach dem sie das Dörfchen verlassen hatte, ließ Rudi Jo anhalten.
„Wünscht mir alle Glück und vor allem macht nichts, was die Kleene erschrecken könnte“, bat er leise.
Rudi stieg aus, nahm sich Struppi auf den Arm und verschwand im Wald. Ließ ohne zurückzusehen seine Freunde stehen, folgte einfach seinen Instinkten. Schnell hatte er den Eingang gefunden und lief durch den Zugangstunnel in die Richtung der Schule. Nur eine Wand trennte ihn noch, von Kahlyn. Nochmals ging er Kahlyns Erinnerungen durch, auf einmal wusste er, wie er diese Wand öffnen konnte, er griff etwa anderthalb Meter über den Boden, in der Mitte der Fläche und drückte nur mit den fünf Fingerspitzen an die Wand, schon gab die Tür nach. Es war nichts zu sehen an den Stellen, nur spürte man bei einer bestimmten Fingerstellung einen leichten Widerstand. Sofort öffnete sich die Tür, Rudi stand in einem großen dunklen Korridor. Plötzlich wurde Struppi unruhig und wollte nach unten. Er witterte sein Frauchen.
„Struppi, bringe mich zu Kahlyn, bitte“, flüsterte er dem Welpen ins Ohr. Struppi lief los, Rudi hatte Mühe dem kleinen Kerlchen im Halbdunkeln zu folgen. Er lief vorsichtig den, nur mit einem Notlicht beleuchteten, Gang entlang. Durch zwei weitere Türen musste Rudi steigen, bis er in einen riesigen Tunnel kam, fast hundert Meter musste er Struppi noch folgen. Dann blieb der Welpe plötzlich vor einer Tür stehen und fing fürchterlich an zu winseln. Rudi bückte sich nach ihm und nahm ihn auf den Arm.
Entschlossen drückte er die Klinke nach unten und blickte in einen noch dunkleren Raum, kein Sonnenstrahl fiel hier herein. Rudi betrat den Raum, setzte Struppi auf den Boden und schloss sofort die Tür von innen. Fast sofort bereute er die Tür geschlossen zu haben, eine unsagbare Panik ergriff von ihm Besitz. Er ließ sich an der Tür nach unten rutschen, er war praktisch blind. Unfähig auch nur einen Zentimeter weit zu sehen. Struppi entfernte sich immer weiter von ihm, wie groß mochte dieser Raum wohl sein. Rudi fühlte sich unwohl, weil er nichts aber absolut nichts sah. Er wollte hier bleiben, denn er spürte Kahlyn. Er wusste, dass sie hier war, nicht allzu weit von ihm entfernt.
'Warum nur hatte er keine Taschenlampe mitgenommen?', schoss es ihm mit einem Male durch den Kopf. Mühsam gegen die in ihm aufsteigende Panik ankämpfend, versuchte er leichtsinnigerweise Struppi nachzukriechen. An ein Laufen war nicht mehr zu denken. Aber nach wenigen Zentimetern merkte er, dass er das nicht dazu in der Lage war. Sobald er den Halt im Rücken verlor, überrollte ihn die Panik noch mehr. Er kroch also zurück zur Tür, die Tür jedoch war völlig verschwunden. Er kam zwar zur Wand, aber er konnte die Tür rechts und links von sich nicht mehr ertasten. Der Gedanke die Tür einfach einen Spalt zu öffnen und so für etwas Licht zu sorgen, war deshalb nicht mehr möglich. Verzweifelt und panisch wie Rudi war, versuchte er es, mit der Notfalltür.
„Kahlyn, ich brauche deine Hilfe, bitte meine Kleene. Ich habe Angst, mich zu bewegen, hilf mir“, rief Rudi, seiner Kleenen verzweifelt zu.
Diese verdammte Dunkelheit erschlug ihn regelrecht, sie tat ihm körperlich weh. Sie war in einem Maße erdrückend wie es Rudi noch nie zuvor erlebt hatte. Rudi der immer von sich gedachte hatte, mit jeder Situation in seinem Leben mehr oder weniger zurechtzukommen, begriff auf mit einem Schlag, dass ihn diese Situation nicht nur überforderte, sondern ihm auf eine Art Angst machte, die er noch nie in seinem Leben erlebt hatte. Von einer Sekunde zur anderen hörte auch noch das Winseln von Struppi hörte auf. Jetzt war es nicht mehr nur stockdunkel, sondern auch noch totenstill. So musste es sich jemand anfühlen, wenn man ihn lebendig beerdigt hatte, schoss es Rudi mit einem Male durch den Kopf. Er hatte keine Ahnung wie er auf diesen Gedanken gekommen war. Aber er fühlte sich wirklich, wie lebendig begraben. Eine unvorstellbare Panik stieg in Rudi hoch, die von jeder einzelne Zelle seines Körpers in Besitz ergriff. Das einzige, was ihn davon abhielt, fluchtartig diesen grauenvollen Raum zu verlassen, war der Gedanke, dass er unbedingt zu seinem kleinen Mädchen wollte und dass er diese verdammte Tür nicht sofort finden konnte. Ihm wurde bewusst, dass er die Wand nach der Tür abtasten könnte, denn weit konnte sie nicht entfernt sein. Diesen Gedanken allerdings verwarf er sofort wieder. Was war seine Panik schon zu dem, was sein kleines Mädchen in den letzten drei Tagen durchmachen musste. Dieser Gedanke an Kahlyn ließ ihn die Gedanken an eine Flucht aus diesem grässlichen Raum, zur Seite schieben. Er musste zu Kahlyn, egal wie, auch wenn er nicht wusste, wie er zu ihr gelangen sollte und sie in dieser Dunkelheit finden sollte. Tief ging Rudi in sich und versuchte mit der Taijiatmung die Panik die sich immer mehr in ihn breit machte, in den Griff zu bekommen. Aber es wollte ihn nicht gelingen.
Ich wurde munter, weil ich mich das Winseln meines Struppis geweckt hatte und ich seine unmittelbare Nähe spürte. Immer näher kam mein kleiner Freund. Der Schmerz den der Welpe fühlte, weil ich ihn alleine gelassen hatte, wurde immer spürbarer und mit jeder Sekunde greifbarer. 'Wieso war Struppi hier?', schoss es mir noch im Halbschlaf durch den Kopf, das konnte nur ein wunderschöner Traum sein.
Trotzdem öffnete ich meine Augen. Es war kein Traum, ich glaubte nicht, was ich da sah. Mein Struppi, kam unsicher auf mich zugetappst, winselnd, ängstlich, völlig durcheinander, aber auch ganz aufgeregt. Er folgte mit dem Näschen der Spur die ich hinterlassen hatte und suchte verzweifelt nach mir. Mein kleiner Freund, konnte wie alle anderen hier in diesem Raum nichts sehen. Er war völlig blind und konnte sich nur auf seine Nase verlassen. Da ich aber einige Mal in dem Raum hin und her gelaufen war, musste er erst die Spur finden die zu mir führte. Endlich hatte er die richtige Spur gefunden und kam siegessicher auf mich zu getapst.
„Wo kommst du denn her?“, fragte ich ihn in Gedanken.
Kaum dass Struppi bei mir angekommen war, hob ich ihn auf mein Bett, da er noch viel zu klein war, um so hoch springen zu können. Unsere Pritschen hatten eine Höhe von einem Meter, da sie auf die Körpergrößen der "Hundert" angepasst wurden waren.
Auf einmal hörte ich noch eine Stimme, die ich hier in meiner Schule nie vermutet hätte. Rudi flehte mich, innerhalb der Verbindung, um Hilfe an.
„Kahlyn, ich brauche deine Hilfe, bitte Kleene. Ich habe Angst, mich zu bewegen, hilf mir.“
Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Antwortete ich ihm, dann wusste er, dass ich hier war. Ich war mir allerdings sicher, dass er es auch so schon ahnte. Struppi hatte sofort aufgehört zu winseln, als ich ihn in meine Arme genommen hatte. Trotzdem ich mich völlig zerschlagen fühlte, stand ich auf. Sah mich erst einmal in dem fünfundzwanzig breiten und fünfunddreißig Meter langen Raum um, an dem nur noch an den Wänden Betten standen, um den Major zu finden.
Vorn direkt an der Tür sah ich Rudi auf dem Boden sitzend und sich keinen Meter weiter in den Raum trauend, da er völlig blind war. Ich ging auf leisen Sohlen zu ihm und hockte mich etwa vier Meter vor ihm hin. Näher wagte ich mich nicht an ihn heran, denn er würde dann meinen Atem spüren und hören wie ich atmete. Lange sah ich ihn, durch meine zu Schlitzen verengten Augen an, um meine Position nicht zu verraten. Da meine Augen hier im Raum leuchteten, war das notwendig. Mir war völlig schleierhaft, wie Rudi in unseren Raum gekommen war. Der Alarm war nicht losgegangen und die Zugangscodes zu den Türen hatte ich alle geändert. Wie war er ohne Alarm auszulösen in den Kinderbereich gelangt? Ich schob den Gedanken erst einmal zur Seite. Was wollte der Major von mir? Ich konnte die Situation einfach nicht einschätzen. Das war etwas, dass mir überhaupt nicht gefiel.
Rudi rief immer wieder verzweifelt nach mir. „Kahlyn bitte, ich bin doch nicht so weit gefahren, um jetzt an der Dunkelheit zu scheitern. Kleene, ich vermiss dich so. Verlass mich nicht. Ich weiß, dass du hier irgendwo bist. Auch, wenn ich dich nicht sehe. Ich fühle, dass du hier bist. Bitte helfe mir doch“, flehte er mich an.
Was sollte ich tun? Am liebsten würde ich auf ihn zulaufen, ihn in den Arm nehmen. Aber sie hatten mich verraten. Aber, warum war er gekommen. War er nur gekommen, weil er mir Struppi bringen wollte? Was war nur los? Fast zehn Minuten saß ich vor Rudi, als der sich dazu entschloss, mich im Dunkeln zu suchen.
Rudi fing an sich im Dunkeln, auf allen Vieren vorwärts zu tasten. Bewegte sich kriechend durch den Raum. Aufzustehen, traute sich Rudi absolut nicht. Er kroch in die völlig falsche Richtung und war ohne jegliche Orientierung. Ich musste zu einem Entschluss kommen. Rudi versuchte an das andere Ende des Raumes zu kommen, doch bewegte er sich im Kreis. Dreimal schon, war er an der Tür vorbei gekommen.
„Kleene, bitte helfe mir doch, ich finde dich nicht. Bitte, ich weiß nicht mehr, wo ich bin. Hilf mir doch“, flehte er mich an, mit einer unsagbaren Panik in der Stimme. „Kleene, ich hab das Gefühl die Dunkelheit erdrückt mich. Helf mir doch, bitte.“
„Was willst du? Ihr wolltet mich doch nicht mehr“, öffnete nun ebenfalls die Verbindung zu ihm.
Rudi hörte auf zu kriechen und tastete nach einer Wand. Es war nirgends eine, die nächste Wand war drei Meter von ihm weg. Rudi verlor immer mehr den Halt. Er fühlte sich immer unsicherer, wollte wieder zurück an die Wand kriechen, um wenigstens etwas Halt zu haben. Rudi kroch stattdessen immer unsicherer und panischer im Raum herum. Kam statt an die Wand, immer weiter in die Raummitte. Sein Atem ging rasselnd und selbst seine Stimme in der Verbindung zitterte, als er zu mir sprach.
„Bitte Kahlyn, helfe mir doch. Ich weiß nicht mehr, wo ich bin. Ich bin doch hier drinnen völlig Blind. Bitte Kleene, helfe mir.“
Rudi wurde sichtbar unruhiger und fing immer schwerer an zu atmen. Er tat mir so leid. Mein Major sah verdammt schlecht aus und hatte tiefe dunkle Augenringe. Er musste die letzten Tage kaum geschlafen haben. So oft hatte er mir geholfen, wenn es mir nicht gut ging. Jetzt war es an der Zeit, ihm zu helfen. Also lief ich auf ihn zu und fasste ihn an. Rudi, war mittlerweilen völlig in Panik geraten und schlug erschrocken um sich.
„Rudi, ist schon gut, ich bin es nur, beruhige dich“, versuchte ich ihn in der Verbindung zu beruhigen.
Erleichtert atmete er auf, tastete nach meiner Hand. Ich hockte mich zu ihm. Rudi fing an zu weinen. Er konnte sich gar nicht mehr beruhigen. Er begann am ganzen Körper zu zittern und war völlig hilflos. Ich half ihm auf und führte ihn zu meinem Bett. Unsicher tastete, er sich Schritt für Schritt vorwärts. Am Bett angekommen, half ich ihm sich zu setzen und rutsche mit ihm ganz hinten an die Wand, so dass er sich anlehnen konnte.
„Wo kommt ihr zwei denn her?“, erkundigte ich mich bei Rudi.
Der konnte immer noch nicht sprechen. Er war nicht in der Lage sich zu beruhigen. Ich glaube, er stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Ich musste ihm unbedingt helfen.
„Rudi, ich lass dich kurz los und spritze dir etwas zur Beruhigung.“
Rudi wollte davon nichts wissen und fing wieder heftig an zu atmen, griff nach meiner Hand. „Lass mich bitte nicht alleine. Ich drehe in dieser Dunkelheit durch. Bitte Kahlyn. Lass mich nicht allein. Ich habe Angst. Ich habe bis heute nicht gewusst … dass es so eine Dunkelheit gibt. Vor allem nicht … das Dunkelheit so weh tun kann. Das macht mir richtig Angst. Bitte Kleene … lass mich nicht alleine“, flehte er mich jetzt regelrecht an.
Mir war unbegreiflich, dass Rudi Angst in der Dunkelheit hatte, warum er so in Panik geriet. Nahm ihn wieder in den Arm. Für mich war es nicht dunkel, der Raum war hell erleuchtet. Ich konnte es zwar nicht verstehen, aber ich wusste wie Doko reagierte, wenn wir die Tür schlossen hatten. Er bekam die gleiche Panik.
„Ich lasse dich nicht alleine, keine Angst Rudi“, versicherte ich ihm.
Ganz langsam beruhigte er sich, leise fing Rudi nach einer Weile an zu erzählen. „Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist, meine Kleene. Ich bin fast durchgedreht vor Angst. Wir haben dich so lange gesucht. Warum bist du nur weggelaufen? Ich hab dir doch nichts getan. Ich vermisse dich so. Du weißt doch, dass ich dich beschütze. Ich lasse nicht zu, dass dich einer verletzt. Kleene, ich dachte ich muss sterben. Wenn dir etwas passiert wäre, ich hätte nicht mehr leben wollen. Lieber will ich tot sein, als das dich jemand verletzt. Lass mich nicht wieder alleine, das halte ich nicht aus“, wieder fing er an zu weinen.
Struppi kletterte auf seine Beine und fing an ihm die Tränen weg zu schlecken.
„Ihr wolltet mich doch nicht mehr. Das hat doch der Polizeirat gesagt“, erklärte ich Rudi offen. „Er sagte, du kannst nicht mehr hier wohnen. Also bin ich gegangen. Ich wusste nicht wohin. Was hätte ich denn sonst machen sollen, Rudi“, verzweifelt sah zu ihm. Dann wurde mir bewusst, dass er das ja gar nicht sehen konnte. Also nahm ich die Hand und streichelte ihm lieb das Gesicht.
„Ich weiß meine Kleene. Ich war so wütend auf Jo. Aber ich kann nicht so schnell laufen, wie du. Ich bin dir noch hinterher gerannt. Aber du warst schon weg. Kleene, ich hab dir doch nichts getan, warum tust du mir das an“, man hörte seine ganz Verzweiflung in seiner Stimme.
Ich schwieg allerdings, was hätte ich denn auch sagen sollen. „Kleene, Jo war wütend auf dich. Du hast die Kinder erschreckt. Er hatte einfach falsch reagiert. Hatte die falschen Worte gewählt. Als er das begriff, warst schon du gegangen. Wirklich Kahlyn“, sein Verzweiflung spürte ich deutlich, in der offenen Verbindung. Auch spürte ich, dass er die Wahrheit sagte.
„Wenn du nicht mehr mit zu den Runges willst, kann ich das sehr gut verstehen. Dann ziehen wir in eine eigene Wohnung, nur lass mich bitte nicht alleine. Das kann ich nicht ertrage. Kahlyn, ich bin die letzten drei Tage, durch die Hölle gegangen. Bitte meine Kleene, ich hab dich doch lieb. Wie soll ich ohne dich leben? Das kann ich nicht“, wieder brach er in Tränen aus und konnte sich ewig nicht beruhigen.
Ich nahm ihn einfach in den Arm und fing an ihn zu streicheln. Langsam wurde er ruhiger und schlief völlig erschöpft in meinen Armen ein. Er musste am Ende seiner Kraft sein. Das hatte ich nicht gewollt. Ich mochte Rudi sehr. Aber ich verstand diese Welt nicht mehr. Viele Fragen gingen mir durch den Kopf. Fragen die ich mir selber nicht beantworten konnte. Beruhigend legte ich mich neben ihn, hielt Rudi einfach in den Arm, so dass er meine Nähe spürte und sich in der Dunkelheit nicht mehr fürchtete.
Ich begriff einfach nicht, was da vor sich ging. Wieso war Rudi so fertig? Der Polizeirat, hatte mich weggeschickt. Rudi war zu ihm gegangen. Ich verstand einfach nicht, warum das alles so kompliziert geworden war. Lange grübelte ich, über die wenigen verwirrenden Worte Rudis nach. Ich bekam einfach nichts auf die Reihe, von dem, was ich da zu hören bekam. Mir fehlten zu viele Informationen, um ein vollständiges Bild zu bekommen. Oder hatte ich etwas übersehen? Vor mich hin grübelnd hörte ich auf den langsam ruhiger werdenden Atem Rudis. Nach über zwei Stunden schlief Rudi, endlich ruhig und entspannt. Ich lauschte seinen ruhigen Atemzügen und schlief selber wieder ein. Struppi rollte sich neben uns zusammen und schlief ebenfalls.
Jo, John, Conny und Fritz folgten der Straße weiter, die sie zum Haupteingang der "Projektes Dalinow" und zu meiner Schule führte. Der Eingang zum Projekt lag auf der anderen Seite des Deipsees, so dass sie den See einmal umfahren mussten. Sie fuhren eine Zufahrtsstraße hinauf, der eigentlich nur ein Forstweg war und an dessen Eingangsbereich sich ein Gästeparkplatz befand. Dort stellten die Vier Jos Wolga ab. Eilig liefen sie die wenigen Schritte zurück zum Eingang. Sie gingen an einer fünfzehn Meter hohen und mit Stacheldraht gezäumten Mauer entlang. Kamen vor dem Tor an, auf dessen rechten Seite ein Wachhaus stand. Dort befanden sich zwei bewaffnete Wachleute, die das Objekt bewachten.
„Guten Morgen Genosse Unterleutnant“, begrüßt ihn Fritz Jacob.
„Guten Morgen Genosse Oberst. Was haben sie für ein Anliegen? Sie wissen doch, dass sie dieses Objekt nicht mehr betreten dürfen“, ernst sah der verantwortliche Gruppenführer zu dem ehemaligen Chefarzt. Der Verantwortliche für die Bewachung des Projektes kannte Jacob scheinbar schon länger.
„Das weiß ich Genosse Unterleutnant, aber es gibt ein großes Problem. Ich möchte ihnen, aber erst einmal meine Kollegen hier vorstellen“, Jacob zeigte der Reihe nach, auf die vorzustellenden Personen. „Major Lange, vom SEK Schwerin, das hier ist Leutnant Peters vom SEK Gera und das hier ist Polizeirat Runge, von der Polizeidirektion Gera. Major Sender versucht bereits von der anderen Seite ins Projekt zu gelangen. Glauben sie mir bitte eins, ich würde sie nicht belästigen, wenn es nicht sein müsste. Wir haben da allerdings ein riesiges Problem. Wir vermuten, dass einer meinen ehemaligen Schützlingen wieder in der Schule ist. Da die Herren, Kahlyn schon seit drei Tagen vergeblich suchen und nirgends gefunden haben, bleibt das die einzige noch mögliche Option. Würden sie uns bitte mal nachsehen lassen, ob Kahlyn in ihr altes Zuhause zurück gekehrt ist“, erklärte Jacob sachlich den Sachverhalt.
Der Unterleutnant schüttelte den Kopf. „Genosse Oberst, sie wissen, dass wir strikte Anweisungen bekommen haben, niemanden mehr ins Objekt zu lassen. Wie sollte Kahlyn hier herein gekommen sein? Wir haben sie nicht eingelassen“, ungläubig sah er den Arzt der Kinder an.
Jo reichte es. Er hatte keine Lust über solche Sachen zu diskutieren. „Sagen sie Genosse Unterleutnant. Sie haben doch bestimmt einen Namen?“, griff er den Wachmann jetzt persönlich an. Der es versäumte sich ebenfalls vorzustellen.
„Natürlich Genosse Polizeirat. Unterleutnant Worm. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass wir strikte Befehle haben, an die ich mich halten muss“, erwiderte er mit ernstem Gesicht.
„Genosse Worms, sie können uns gern begleiten. Dann sehen wir schnell nach, ob die Kleene hier ist. Dann sind sie uns sofort wieder los.“
Worms schüttelte den Kopf. „Genosse Polizeirat, wir haben genauste und detaillierte Instruktionen für die Bewachung des Objektes bekommen. Das Projekt Dalinow, ist seit dem 29. September dieses Jahres, Sperrzone und steht unter Quarantäne. Warum kann ich ihnen nicht sagen. Es darf nur noch von Personen betreten werden, die Sicherheitsstufe S9 und höher haben. Selbst Doktor Jacob darf es nicht mehr betreten, er hat nur die S8. Es gibt nur noch zwei Personen die dieses Projekt betreten dürfen. Dass ist Generalmajor Hunsinger und Oberstleutnant Mayer. Alle anderen Personen, egal welchen Ranges, dürfen nur mit einer Sondergenehmigung in das Projekt herein. Die können sie sich von Oberstleutnant Mayer und Generalmajor Hunsinger ausstellen lassen. Da ich annehme, dass sie diese nicht vorweisen können, darf ich sie hier nicht durchlassen. Ich habe Vorschriften und bin nicht gewillt mich über diese hinwegzusetzen. Die besagen, dass ich niemanden in das Objekt lassen darf, es auch selber nicht mehr betreten darf. Was soll ich also machen?“, Worms war aufgebracht, weil man seine Kompetenz anzweifelte. „Außerdem, wie soll Kahlyn in die Schule gekommen sein. Fliegen kann sie doch nicht oder?“, meinte er ironisch.
„Kollege, sie haben aber in der Wachstube bestimmt ein Telefon?“
Worm sah Jo irritiert an. „Natürlich, Genosse Polizeirat.“
„Dürfte ich das bitte mal benutzen, um eine Zugangserlaubnis zu bekommen?“
Worms winkte Jo zu. „Kommen sie bitte mit, Genosse Polizeirat.“
Jo wandte sich an die anderen. „Wartet bitte mal, ich werde das hier regeln. Das kann aber eine Weile dauern.“
Conny gab ihm noch den Rat. „Wenn es nicht klappt, sage Bescheid. Dann rufe ich Oberst Fleischer von der Soko Tiranus an. Dann haben wir das hier schnell geregelt.“
Jo sah dankbar zu Conny. „Danke Conny, ich versuche es erst einmal so“, sogleich lief Jo hinter Worms her, der schon vorausgegangen war und auf den Polizeirat wartete.
John sah sich derweilen um. Es war eine wunderschöne Parkanlage vor dem Eingangsbereich. Aber die Mauern, erinnerten eher an die eines Hochsicherheitstraktes eines Gefängnisses, als an eine Schule. Irgendwie passte das hier alles nicht zusammen. Auch Conny gingen ähnliche Gedanken durch den Kopf.
„Sag mal Fritz, ist das hier ein Gefängnis oder eine Schule? Wieso hat man das hier alles so abgesichert? Die armen Kinder die hier gelebt haben, mir tun Kahlyn und ihre Freunde einfach nur leid. Das erinnert mich eher an ein Hochsicherheitsgefängnis, als ein Schulgebäude“, musste John los werden.
„Selbst das ist nicht so abgesichert, John. Ich habe in den letzten drei Tagen versucht hier in das Objekt zu kommen und einen Durchschlupf gesucht. Das gesamte Projekt Dalinow ist so um zäunt. Auf der gegenüberliegenden Seite, wo sich der Flugplatz befindet, sind die Mauern noch höher. Als Schule kannst du das hier nicht bezeichnen“, berichtete Conny.
Fritz nickte lachend zu Connys Worten und kratzte sich verlegen den Kopf. „Na ja ihr Zwei, das war ja auch nicht im wirklichen Sinne, eine Schule. Ihr wisst doch, dass das "Projekt Dalinow" unter militärischer Obhut gestanden hat und daher mit den gesetzlich vorgeschrieben Sicherheitsstandards des Militärs gesichert werden musste. Von daher stimmt der Anblick schon. Aber, eigentlich hast du Recht, Conny. Für eine Schule würde das hier keiner halten. Oft haben wir uns das, am Anfang auch gefragt. Ob ihr es glaubt oder nicht, man gewöhnt sich mit der Zeit daran und nimmt diese Mauern gar nicht mehr wahr. Glaubt mir eins, Jungs, diese Mauern waren mehr als notwendig. Sie wurden damals sogar noch zweimal erhöht und vor allem verstärkt. Da sie am Anfang nur zwei Meter hoch waren und nur dreißig Zentimeter dick waren. Sie wurden von unseren Kindern nicht nur einmal eingerissen. Jetzt haben die Mauern eine Höhe von achtzehn Metern und eine Dicke von drei Metern. Wir haben hier einige verdammt schlimme Zeiten hinter uns“, Jacob lächelte in sich hinein. „Ihr müsst wissen, als die Kinder noch ganz klein waren und ihre Emotionen noch nicht so gut kontrollieren konnten, haben eben diese Mauern verhindert, dass die Kinder für andere eine Gefahr darstellten. Was denkt ihr wie oft diese Mauern wieder aufgebaut wurden. Am Anfang haben sogar die Wachleute mitgearbeitet, um die beschädigten Mauern wieder aufzubauen oder sämtliche Mauern ein viertes oder fünftes Mal zu verstärken. Mittlerweile haben die Mauern einen Stahlbetongürtel, dessen Trägerteile aus doppel T-Trägern bestehen, die miteinander verschweißt sind. Dadurch können die Mauern nicht mehr eingerissen werden. Nur weil die Kinder in einem Wutanfall, versucht hatten die Mauern einzureißen. Glaub mir eins, eine Raubtierbändigung, wäre damals ein leichter und ungefährlicher Job gewesen. Unsere Kinder zu erziehen und zu bändigen, war nicht nur Hochleistungssport, sondern ähnelte vor allem die ersten Wochen und Monaten, eher der Tätigkeit eines Raubtierbändigers, als der eines Erziehers. Am Anfang, im Alter von ein bis zwei Monaten sind unsere Lieblinge so oft ausgerissen, dass wir kaum noch zum Schlafen kamen. Sie wollten damals einfach nur ihre Welt erkunden. Ihr wisst selber wie Kinder mit ein bis zwei Jahren sind, man kann sie oft nicht berechnen. Nun stellt euch ein neun Monate altes Kind vor das gerade laufen lernt. Aber dieses Kind hat den Verstand eines fünfzehnjährigen, der genauso groß ist wie du und der die Kraft von drei Erwachsenen hat. So waren unsere Kinder mit etwa einem halben Jahr“, erklärte der Chefarzt lachend und sah in die entgeistert guckenden Gesichter seiner Freunde. „Guckt nicht so. Es ist wirklich so gewesen. Sie sind viel zu schnell gewachsen und haben sich so unwahrscheinlich schnell entwickelt, dass wir sie oft völlig unterschätzten haben. Wer sieht in einem einjährigen Mädchen, eine Abiturientin? Oder in einem dreijährigen Jungen einen voll ausgebildeten Soldaten? Keiner glaube mir. Selbst für uns, die wir, mit den Kindern vierundzwanzig Stunden an Tag zusammenlebten, waren viele dieser Dinge unbegreiflich. Es war oft sehr schwer für uns, mit diesem Tempo mitzuhalten. Aber lasst euch nicht täuschen von diesen Mauern. Ihr glaubt gar nicht wie schön das Projekt selber ist. Hinter den Mauern mit dem Stacheldraht liegt ein kleines Paradies. Dahinter liegt ein wunderschöner Park mit vielen Springbrunnen und riesigen alten Kastanien. Bänke stehen in der gesamten Parkanlage, die zum Verweilen einladen. Es gibt ein eigenes Schwimmbad, nur für die Angestellten. Von der Mensa aus, konnte man mit dem Fernglas den gesamten Park überblicken. Man hatte das Gefühl, mitten im Park zu sitzen. Es war einfach wunderschön“, kam der Chefarzt richtig ins Schwärmen und erntete dafür ungläubige Blicke. „Wenn ihr dann hinter das Tor kommt, denkt ihr bestimmt, im ersten Moment, dass dies ein kleines Objekt ist. Es stehen darauf nur sechs Gebäude, die weitläufig auf dem Gelände verteilt sind und von denen die Mensa das größte Terrain beansprucht, mit der dahinter befindlichen Sportanlage. Die fünf Wohnblöcke wirken dagegen klein und mickrig. Aber ich habe mich die ersten drei Jahre, regelmäßig im Objekt verlaufen. Immer, wenn ich dachte, ich finde die Wege endlich ohne diese verdammten Wege-Karten, die es extra für dieses Objekt gab, verirrte ich mich hoffnungslos. Es gab bis zur Schließung des Projektes, einen Rettungsdienst, der regelmäßig Leute irgendwo abholte, da sie sich verlaufen hatte. Wenn ihr hier einmal einen über den Durst getrunken hattet, habt nie mehr nach Hause in euer Quartier gefunden, es war in diesem Zustand hoffnungslos. Ihr müsst euch vorstellen das fünfundneunzig Prozent der Anlage unterirdisch gebaut wurde. Es geht sechs bis sieben Stockwerke in die Tiefe. Die Anlage ist unvorstellbar groß und komplex“, versuchte Jacob das Projekt zu beschreiben. „Aber, die Mensa muss ich euch gestehen, hatte mir damals, als ich sie das erste Mal betrat, fast die Luft genommen. Sie ist so unglaublich konzipiert, das könnt ihr euch gar nicht vorstellen“, plötzlich huscht ein dunkler Schatten über das Gesicht des Chefarztes, die ganze Begeisterung, war plötzlich aus dessen Erzählungen verschwunden. „Allerdings hat man in dem Kinderbereich, auf jeglichen Luxus verzichtet. Dort gab es nur das nötigste vom Nötigen. Wenn ich von meiner Wohnung und dem Labor nach unten kam, bekam ich jedes Mal einen Schock. Daran hat sich in den ganzen Jahren nichts geändert. So kalt kam mir das vor und glaubt mir, ich hatte jedes Mal ein schlechtes Gewissen, den Kindern gegenüber. Die Mitarbeiter, also auch ich, ertranken regelrecht im Luxus. Es war immer ein Unterschied wie Tag und Nacht oder dem Himmel und der Hölle oder wie Feuer und Wasser, ihr könnt euch aussuchen was euch besser gefällt. Der Kontrast, zwischen unserem Leben und das der Kinder, konnte einfach nicht größer sein. Ich habe mich dafür, zum Schluss regelrecht gehasst“, gestand Fritz in einen traurigen Ton.
„Tja das wundert mich nicht, bei dem Projektleiter“, musste John los werden.
Fritz sah ihn etwas irritiert an, weil er diese Bemerkung nicht ganz verstand. Was hatte Mayer mit der Ausstattung des Projektes zu tun. Der war doch dafür nicht zuständig gewesen.
„Na Fritz, wir habe diesen Oberstleutnant in Aktion erlebt. Das erste Mal, wie er mit Kahlyn umgegangen ist, gleich am zweiten Tag und dann in Himmelpfort. Da muss man mir nichts mehr sagen, wieso bei den Kindern gespart wurde und was der für die Kinder empfunden hatte. Das ist ein gefühlskalter Bastard.“
Fritz Jacob holte tief Luft und schüttelt den Kopf. Es dauerte eine Weile bis er weiter sprach, weil er ahnte, dass seine Worte einen falschen Eindruck erwecken konnten. Jacob war sich nicht sicher, wie er die Sache mit Mayer am besten erklären sollte. Mayer war ein Arschloch geworden, das stimmte, aber er war es nicht immer. Aber wie sollte er das den Freunden am Dümmsten erklären. Sie kannten die Narben auf Kahlyns Körper und wussten von den vielen schlimmen Dingen die Mayer getan hatte.
„Was ist Fritz?“, wollte Conny wissen, der sah wie schwer der Doko der Kinder mit sich kämpfte.
„Da brauchst du gar nicht mit dem Kopf schütteln“, beharrte John auf seiner Meinung.
„John, das siehst du etwas falsch. Nein Falsch ist nicht richtig, John das ist schwer zu erklären. Zum einen hatte Mayer absolut nichts mit der Planung des Projektes zu tun. Das haben Architekten geplant und die Ausstattung des Kinderbereiches wurde durch die Mitarbeiter des Institutes so festgelegt. Die verlangten von den Architekten eine minimale Ausstattung des Kinderbereiches und verlangten für die Ausbildung das Beste vom Besten. Dafür konnte Mayer doch nicht. Mayer hat vieles falsch gemacht in seinem Leben. Aber ihm an allem, was hier schiefgelaufen ist die Schuld zu geben, wäre ungerecht und in meinen Augen auch völlig falsch. Vor allem denke ich, solltest du das nicht so verallgemeinern“, einen kurzen Moment schwieg der Chefarzt und sah von John zu Conny und wieder zurück. Er kämpfte einen schweren Kampf mit sich. Aber Jacob war der Meinung, man sollte immer ehrlich bleiben. „Wisst ihr, ganz am Anfang war Mayer, zu den Kindern ganz lieb. Ich habe ihn oft mit Kahlyn und den anderen spielen sehen. Aber dann kam der Zwischenfall mit Sneimy, der beim Spielen Mayers Tochter tödlich verletzte…“ Fritz Jacob überlegte wie er das am besten benennen sollte. „…na ja, Sneimy, spielte mit Mayers Tochter. Mayer kam in den Kinderraum gestürmt und knallte wütend die Tür zu. Seine Tochter drehte sich nach dem Geräusch um. Dabei verletzte der Bub die zehn Jahre ältere Tochter Mayers, beim Spielen tödlich. Die Kinder konnten damals doch nicht wissen, dass sie mehr Kraft hatten. Die waren noch nicht einmal vier Monate alt. Das entspricht in etwa dem Alter von elf Jahren. Ilka war fast genauso alt. Kahlyn wollte damals nie das man Mayers Tochter nach unten brachte in den Raum. Mayer jedoch gab an diesem Tag dem Wunsch seiner Tochter nach, die sich bei Kahlyn für ihre Heilung bedanken wollte. Da sie aber durch ihre Krankheit immer noch geschwächt war, hatte sie Sneimys Schlag nichts entgegen zu setzen. Nicht nur Kahlyn sondern auch ich hatte Mayer immer davor gewarnt, Ilka mit den Kindern spielen zu lassen. Aber er wollte nicht auf uns hören. Nach dem Unfall, änderte sich sein Verhalten schlagartig. Er begegnete den Kindern, nur noch mit Hass. Was man auf der einen Seite, bis zu einem gewissen Grad irgendwie verstehen konnte. Allerdings hätte er nicht nur bei den Kindern die Schuld suchen dürfen, sondern erst einmal bei sich. Durch seinen Hass, auf das was Sneimy getan hat, zerstörte er sich immer mehr. Er gab die gesamte Schuld den Kindern, driftete immer mehr in die Schiene des Schlägers, griff immer öfter zum Alkohol, um das alles zu vergessen. Am Anfang war er ein sehr netter Kollege, mit dem man über vieles reden konnte, mit dem wir wahnsinnig viel Spaß hatten. Wir waren fast zwei Jahre befreundet. Ich habe verdammt lange um ihn gekämpft, aber kam ich nie mehr an ihn heran. Er hatte sich falsche Freunde gesucht, solche wie den Friedrich, den ihr ja in Himmelpfort kennen gelernt hattet.“
Interessiert hörten John, wie auch Conny zu. So hatten sie das Beide nicht gesehen.
„Aber das alles rechtfertigt nicht sein Verhalten. Fritz, du weißt doch besser, als jeder andere, wie Kahlyns Rücken aussieht. Was kann Kahlyn dazu, das Sneimy, die Tochter von Mayer getötet hat“, protestierte John erbost. Der nicht verstehen konnte, das Fritz, den Oberstleutnant in Schutz nahm. Wütend schaute er den Schularzt an.
„John, natürlich rechtfertigt es nicht, was Mayer all die Jahre getan hat. Ich wollte ja nur, dass du nichts verallgemeinern solltest. Das Mayer, Kahlyn so hasst, hatte einen anderen Grund. Du musst wissen, Kahlyn sieht Ilka verdammt ähnlich. Nur, dass sie andere Augen hat und schwarze Haare. Ich denke er hasst sie, weil sie ihn ständig an Ilka erinnert.“
John konnte nicht verstehen, dass Fritz sich schützend vor den Oberstleutnant stellte. Egal, was Fritz auch sagte, an seiner Meinung, das Mayer ein sadistisches Schwein war, würde sich nichts ändern.
„Das ist jetzt nicht dein Ernst. Du nimmst diesen verdammten Mistkerl, doch nicht wirklich in Schutz, Fritz? Dieser Kerl hat nicht das Recht, die Kinder so zu misshandeln oder gar zu töten. Was Sneimy getan hat ist schlimm. Doch liegt die Schuld bei Mayer selber. Er kann doch nicht die Verletzung seiner Aufsichtspflicht, den Kindern anlasten.“ John hatte sich richtig in Rage geredet.
Fritz klopfte John beruhigend auf die Schulter. „John, ich nehme ihn doch nicht in Schutz. Du hast ja vollkommen recht. Nichts, was Mayer getan hat ist gerecht fertigt. Nicht nur einmal hat er mich halb tot geschlagen oder versuchte mich zu vergiften. Ich verdanke es nur Kahlyn und ihren Freunden, dass ich noch lebe. Ich wollte dir ja damit nur sagen, dass Mayer nicht immer so gewesen ist. Er war wirklich am Anfang, die ersten anderthalb Jahre ein richtig netter Kollege, mit dem man wahnsinnig viel Spaß haben konnte. Wir waren sogar befreundet und er war ständig in Sorge um mich. Umso schlimmer wurde für uns seine Verwandlung, in diese Bestie. Er hat dann gegen alle Hass gehabt, nicht nur gegen die Kinder, sondern gegen alle im Projekt, die ihm nicht in den Arsch gekrochen sind. Der einzige den er heute noch mag ist Reimund, der Chefbetreuer der Kinder. Aber das ist auch kein Wunder, der zieht Kilometer lange Schleimspuren hinter sich her. Wenn es eine Olympiadisziplin fürs Arschkriechen gäbe, wär er viermal in Folge Olympiasieger gewesen. Glaubt mir“, Fritz begann böse zu lachen.
Da sich John das bildlich vorstellte, musste selbst er wieder lächeln. Lange unterhielten sich die drei noch über das Für und Wider, der Schule. Über drei Stunden brauchte Jo, um die Genehmigung zu bekommen, das Objekt zu betreten.
Kurz vor 13 Uhr kam Jo gefolgt von Worm zurück, zu den in eine heiße Diskussion über Recht und Unrecht auf dieser Schule vertieften, Freunden.
„Das war jetzt ein Kampf, kann ich euch sagen. Aber wir können in die Schule, solange wir wollen und so oft wir wollen. Also kommt. Habt ihr etwas von Rudi gehört?“, erkundigt sich Jo besorgt.
Alle schüttelten den Kopf.
„Langsam mache ich mir Sorgen. Ich versuche schon seit einer Stunde zu Rudi vorzudringen“, gestand John jetzt.
Fritz sah John verwundert an. „Wie das denn?“
John winkte ab, wollte nur endlich in diese Schule, die er aus tiefsten Herzen hasste. Er wollte seine kleine Freundin und Rudi, dort endlich heraus haben. Als Worm das Tor öffnete, blieb den Freunden von Kahlyn vor Staunen der Mund offen stehen. Sie konnte nicht glauben, was sie da zu sehen bekamen. Fritz hatte in nichts übertrieben, es war wie im Paradies. Trotzdem es ein kalter und drüber Herbsttag war, wirkte der Park einfach wunderschön. In dem mit schwarzen Glasscheiben verkleidete Hauptgebäude, spiegelte sich der Park wieder. Jo, John und Conny waren völlig perplex, gefangen in der Schönheit der Anlage. Worm der dieses Objekt kannte und schon seit Jahren bewachte, konnte das gut verstehen, genau wie der Chefarzt. Jeder der dieses Projekt das erste Mal betrat, blieb genau an dieser Stelle fassungslos stehen. Worms Kollege der erst seit wenigen Tagen in der Einheit war und seinem Kollegen seine Schwärmereien nie geglaubt hatte, blieb genauso stehen, wie die drei Freunde, die Kahlyn suchten. Auch er sah den Park das erste Mal. Alle vergaßen für einen Moment lang, warum sie eigentlich hier waren. Jacob und Worms ließen ihnen etwas Zeit den Park zu bestaunen. Zu gut konnten sie sich daran erinnern, als sie das erste Mal hier eingetreten oder besser gefahren sind. Diesen Anblick vergaß man nie wieder in seinem Leben. Jacob räusperte sich, um die Freunde zurück zu holen.
„Na kommt oder wollt ihr hier Wurzeln schlagen. Genossen Worm, ich melde mich, sobald wir hier fertig sind. Auf Grund der Größe der Anlage, kann dies allerdings ein paar Stunden dauern, bis wir alles durchsucht haben. Sie wissen das ja selber, die Kinder haben viele Verstecke. Also wir melden uns wie abgesprochen“, lächelnd blickte Jacob, den Wachmann an.
Worm nickte dem Chefarzt verstehend zu und schloss sofort wieder das Tor. Die Vier Freunde gingen weiter durch den wunderschönen Park.
„Kommt ich zeige euch mal einiges. Dann kann ich gleich einige von Kahlyns Verstecke durchsuchen. Es gibt in fast jedem Gebäude von den Kindern, entdeckte Fluchttüren und Tunnel. In denen sie sich in Sicherheit bringen konnten, wenn Mayer sie jagte. Mayer hat das immer angekotzt, dass er die Kinder nie finden konnte.“
John starrte Fritz verwundert an. Vor nicht allzu langer Zeit, da hatte Jacob Mayer in Schutz genommen. Jetzt sprach er ganz anders, stellte ihn selber als Monster dar. „Fritz, ich verstehe dich nicht, es ist noch keine zwei Stunden her, da hast du ihn in den Himmel gelobt…“
Fritz würgte das Gespräch ab. „John, das kannst du nicht wirklich verstehen, frage doch einfach Kahlyn einmal, wenn wir sie gefunden haben. Sie wird dir auch sagen, dass es Zeiten gab in dem Mayer ganz lieb zu ihr war.“
John schüttelte den Kopf. Das konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen.
Jo erinnert sich, dass Kahlyn ihm so etwas erzählt hat. „John, es stimmt, was Fritz da sagte. Kahlyn hat das Rudi oder mir erzählt. Sie verstand nur nicht, dass er sich auf einmal so verändert hatte. Aber das können wir dann klären, ich will erst einmal nach Rudi und Kahlyn sehen. Das ist wichtiger“, brachte er den eigentlichen Grund ihres Hierseins zur Sprache.
Die Anderen nickten.
„Du hast Recht. Also folgt mir“, winkte Fritz bestimmend den anderen zu und lief in Richtung des Hauptgebäudes. Er zog seine Schlüsselkarte aus der Tasche und steckte sie in ein kleines Kästchen über der Klinke. Schon betraten sie das Foyer und gingen nach rechts in die Mensa. Erstaunt sahen sich die drei Neuankömmlinge um. Fritz hatte nicht übertrieben, es war unglaublich und wunderschön hier. Es war alles da, was man sich wünschen und vorstellen konnte. Kein Wunder, das Fritz vorhin so von der Mensa schwärmte. Sie liefen weiter nach hinten in die Sportanlage. Fritz bog in der Halle nach links ab und ging an eine Sprossenwand. In einer Höhe von anderthalb Metern legte er die Finger an die Wand, plötzlich kam ihnen die Wand entgegen. Dahinter befand sich ein langer Gang. Fritz betrat diesen und lief weiter, doch nirgends konnte er Kahlyn finden. In viele kleinere Räume sah er hinein, aber nichts wies darauf hin, dass Kahlyn sich hier aufgehalten hatte. Im Gegenteil man konnte feststellen, dass hier schon Monatelang niemand mehr gewesen war. Auf einmal endete der Gang. Fritz fluchte, der obwohl er eine Zahlenkombination in das Schloss eingegeben hatte, öffnete sich die Tür nicht.
„Verdammt Kahlyn. Ach Mensch, warum tust du mir das an? Warum sperrst du mich aus?“
Verwundert wurde er von seinen Begleitern angestarrt.
„Das wars. Wir haben keine Chance zu Kahlyn zu kommen. Kahlyn hat die Zugangscodes für den Kinderbereich geändert. Wir werden dort nicht hineinkommen. Diese Tür hier hat als einzige, keine Alarmsicherung, nur gut, dass wir es erst hier probiert habe. Jetzt ist nur die Frage, wie wir weiter vorgehen. Wollen wir versuchen den Code von hier aus zu knacken oder wollen wir zurückfahren. Wir kommen nicht ohne einen Alarm auszulösen in den Kinderbereich. Wir haben also keine Chance, Kahlyn zu finden, ohne sie zu warnen. Sobald wir einmal einen falschen Code eingeben, wird im ganzen Objekt, Alarm ausgelöst“, fragend sah er die Freund Kahlyns an.
„Ich habe keine Ahnung. Was schlägst du vor Fritz? Du kennst Kahlyn, von uns allen am besten“, erkundigte sich Conny. „Ich kann ein paar Zahlencodes ausprobieren. Aber es gibt bestimmt zehn Milliarden Zahlenkombinationen. Ob ich da zufälligerweise, die richtige finde, ist fraglich“, meinte John.
Fritz überlegte lange, dann schüttelte er den Kopf. „Ich zeige euch einfach mal die Schule. Wenn wir schon mal hier sind, könnt ihr sie euch auch ansehen. Dann wisst ihr wenigstens, wo die Kleine gelebt hat. Vielleicht finden wir zufälligerweise eine offene Tür. Was ich mir aber nicht vorstellen kann. Jedenfalls nicht bei Kahlyn, die geht immer auf Nummer sicher. Geben wir Rudi eine Chance, er hat in meinen Augen die beste Möglichkeit, einen Zugang zu ihr zu finden. Sollte Rudi morgen früh nicht wieder zurück sein. Conny dann müssen du und John zusehen, ob ihr den Spuren Rudis folgen könnt. Dann müssen wir den Geheimgang suchen. Ich denke Eile, bringt hier gar nichts. Wenn wir einen Alarm auslösen, zerstören wir vielleicht das bisschen Vertrauen, dass Rudi gerade aufgebaut hat.“
Die Drei Freunde sahen sich an und stimmten sie Fritz zu.
„Fritz ich denke du hast recht. Also zeig uns mal Euer Reich.“ Schlug Jo vor und übergab Fritz damit das Kommando.
Vieles sahen sich die Vier an und waren völlig überrascht von der Größe des Objektes. Fritz hatte Recht, man ahnte von außen nicht einmal annähernd, wie groß das Objekt eigentlich war. Zum Schluss gingen, alle zusammen noch zu dem Baum der Kinder. Fritz meinte es wäre das Einzige, was er ihnen von Kahlyns persönlichem Lebensraum zeigen konnte. Da sämtliche Zugänge zu den Kinderbereichen versiegelt waren. Sie dort nicht hinein konnten, bevor Kahlyn ihnen nicht den Code gab.
Über das "Projekt Dalinow" diskutierend legten sie den Weg zum Friedhof der Kinder zurück. Alle hatten sie schon von dem sonderbaren Friedhof der Kinder gehört und jeder hatte sich in seinen Gedanken ein Bild davon zu Recht gemacht. Als die drei Freunde allerdings dann Kahlyns Baum sahen, blieben sie stöhnend, aber auch erschrocken stehen. Es war grauenhaft sich vorzustellen, dass jede dieser Ketten, für ein totes Kind stand. Natürlich wussten alle, dass einundneunzig Kinder schon ihren Platz unter und auf diesem Baum gefunden hatten, aber das war nur eine Zahl. Es war etwas anders, wenn man die Ketten hängen sah. Sprachlos standen die Männer vor diesem Mahnmal, einer etwa hundertfünfzig Jahre alten Kastanien, von einem immensen Umfang, von deren Stamm, elf starke Äste abgingen. Fritz erzählte den Dreien, dass immer zehn Kinder auf einen Ast gesessen hatten.
John erkundigte sich beim Doko der Kinder. „Fritz, warum hängen die Ketten so unterschiedlich? Warum sind da Lücken?“
Fritz zeigte traurig nach oben. „Dort, wo die Lücken sind, leben die Kinder noch. Seht mal, dort oben auf dem letzten Ast. Dort sind zwei Lücken, ganz am Stamm, das war Rashidas Platz, sie war das Kind mit der Nummer 91. Am Ende des Astes, die Lücke, das war Kahlyns Platz, sie war Nummer 98. Die Kinder setzten sich immer, zugehörig zu den Serien.“
Conny sah Fritz fragend an. „Wie Serien?“
Fritz holte tief Luft. „Es ist doch so, die Kinder wurden künstlich erzeugt. Es gab immer pro Serie bestimmte, sorry ich kann nichts für diese Ausdrücke, Zuchtmerkmale. Die Wissenschaftler haben das so genannt, mich hatte das immer aufgeregt. Jedenfalls haben alle Kinder einer Serie, wenn man das so will, genetisch gleiche Eltern. Das heißt die Zuchtmerkmale...“ Fritz sah die Freunde entschuldigend an. „... sind bei allen Kindern einer Serie gleich. Was die Wissenschaftler absolut nicht verstanden, war dass sich die Kinder trotzdem im Aussehen dermaßen unterschieden. Etwas, was ich bis heute auch nicht verstanden habe. Seht euch Kahlyn und Rashida an, größer könnte ein Unterschied in der Entwicklung nicht sein. Bei anderen Serien, waren die Unterschiede noch um vieles größer.“
Die Männer aus Gera, aber auch Conny schüttelten den Kopf. „Wie kannst du so herablassend, über die Kinder reden die hier hängen? Das sind Wesen aus Fleisch und Blut gewesen, die zum Teil ermordet wurden“, böse schaute John, den Schularzt an.
„John, weißt du wie schwer es ist, diese Ausdrücke nicht zu verwenden. Es ist nun mal so, diese Kinder wurden gezüchtet. Ich kann euch nicht mal sagen, denn selbst da bin ich mir nicht sicher, dass diese Kinder hundertprozentig Menschlich sind. Ich habe mich in den letzten Jahren intensiv mit Genetik auseinandergesetzt und vor allem müssen, weil ich viele Dinge die mit den Kindern passiert sind, nicht verstand. Doktor Zolger, der Wissenschaftliche Leiter und Genetiker hier im Projekt, hat einige Gene gefunden die wir nicht erklären können. Die nicht nur in meinen Augen, ich muss aber zugeben, ich bin kein Experte in der Genetik, nicht menschlichen Ursprungs sind. Aber, ich kann auch nicht sagen, was es für Gene sind. Sag mir bitte John wie soll ich es denn anders nennen?“, fragend sah er den Angesprochenen an.
John kämpfte gegen seine Wut an, denn Jacob konnte nichts dafür. „Du hast recht Fritz, nur klingt das so abwertend, so unmenschlich. Alles in mir sträubt sich dagegen.“
Fritz konnte das nur zu gut nachvollziehen. „John, ich gebe dir voll und ganz Recht. Mir geht es doch auch so. Aber es ändert nun mal nichts daran, dass es eine Tatsache ist, die wir akzeptieren müssen.“
Jo rieb sich den Nacken. „Schade, dass wir keinen Fotoapparat dabei haben, vielleicht hätte sich Kahlyn gefreut, eine Erinnerung an ihren Baum zu haben.“
Fritz sah Jo an. „Das ist kein Problem, wartet einfach hier. Ich bin in fünf Minuten zurück. Oder wollt ihr meine alte Wohnung mal sehen, dann kommt mit.“
Jo, John und Conny waren natürlich neugierig, wie Fritz bisher gelebt hatte. Begleiteten den ehemaligen Schularzt, in seine alte Wohnung.
„Klar wollen wir sehen, wie du gelebt hast, das ist doch interessant“, John klopfte dem Schularzt auf die Schulter, so dass er merkte, dass er ihm nicht mehr böse war.
„Na dann kommt. Wir müssen ganz hinter in das Haus 6, das ist das letzte Gebäude, dass der Flugbahn am nächsten steht. Darunter sind alle Kinderbereiche eingegliedert“, erklärte Fritz seinen Begleitern.
„Ich denke wir kommen da nicht rein?“ Jo sah Jacob verwirrt an.
„Oben in meinen Bereich schon, das heißt alles das, was oberirdisch gebaut wurde. Das heißt in meine Wohnung die oberhalb liegt und in Parterre, war mein Labor, dann beginnt erst der Kinderbereich, ihr würdet sagen im Keller. Aber, so stimmt das nicht, sondern es beginnt mit der Ebene -1 oder kurz 6/rot, das ist die Krankenstation für Schüler gewesen. Dort gab es, einen Krankensaal mit zehn Betten, Duschraum, OP-Saal, Verbandsräume. Als nächstes kommt die Ebene -2 oder 6/blau, dort befindet sich jetzt wahrscheinlich Kahlyn und Rudi, das ist der Wohnraum der Kinder, auf der sich auch die sogenannten Dusch- und Sanitärräume der Kinder befinden. Auf der darunterliegenden Ebene -3 befindet sich der Schießstand, noch eine Ebene darunter auf der Ebene -4 gibt es einen Parcours, für die Ausbildung der Kinder. Jo, den würdet ihr gern haben wollen. Wer dort überlebt, kann im realen Leben alles überwinden. Auf der Ebenen -5 befindet sich die Turnhalle Kinder und ganz unten in der letzten Ebene die sogenannte Schwimmhalle. Das kann ich euch leider nicht zeigen, das ist Sperrzone, dort komme ich zurzeit nicht rein. Mit der Codeänderung wurde auch der Fahrstuhl außer Betrieb gesetzt, die Sicherungen dafür sind auf Ebene -2. Also müssen wir laufen.“
Durch die Erklärungen von Fritz hatte man das Gebäude schnell erreicht. Erstaunt sahen sich alle in Jacobs Wohneinheit um. Es war wunderschön hier. Ein großer Wohnraum mit Kamin, einer wunderschönen Sitzlandschaft mit Blick auf die Ostsee. Daran grenzend eine wunderschöne Küche. Arbeits-, Schlaf-, Wirtschaftsräume sowie Bad, alles war aufs feinste eingerichtet.
„Fritz, du konntest nichts von dem, was hier drinnen steht mitnehmen“, erkundigte sich Conny.
„Nein, wir bekamen das alles so wie es ist eingerichtet. Wir mussten uns jetzt komplett neu einrichten, allerdings bekamen wir Unterstützung, so dass wir sofort die Möbel bekamen. Wenn wir etwas brauchten oder haben wollten, mussten wir es nur sagen, dann bekamen wir es, ohne lange Diskussion. Man konnte sagen, ein Wort genügte. Wenn man so will. Wir waren aber auf der anderen Seite, der Projektleitung auf Verderb ausgeliefert. Niemand konnte das Projekt verlassen. Außer Mayer, Anna und mir unterlagen alle, der Ausgangs und Informationssperre. Es war sozusagen ein goldener Käfig gewesen. Aber wir hatten es nie als schlimm empfunden. Ihr müsst wissen, wir hatten hier nie einen acht Stunden Tag und nie Urlaub, wir arbeiteten stets vierundzwanzig Stunden. Egal, wann etwas war, wir mussten immer ran. Deshalb kann ich ja jetzt auch schon in Rente gehen. Wir haben an einem Tag jeweils drei Tage gearbeitet. Auch, wenn mal etwas Luft war, waren wir ständig in Bereitschaft und durften siebzehn Jahre dieses Gelände nie verlassen. Brauchten es auch eigentlich nicht. Diejenige, die das erste Jahr durch gehalten hatten, waren mit dem Herz dabei.“
Jo schüttelte den Kopf, konnte er sich für sich selber nicht vorstellen, dass er hier siebzehn Jahre eingesperrt leben wollte. Selbst, wenn es hier alles gab, was man sich erträumen konnte. Es war in seinen Augen trotzdem eine Art Gefängnis.
Fritz ging in sein Arbeitszimmer, man hörte ihn Schübe ziehen und wieder schließen bis auf einmal der Ausruf kam.
„Ach da ist sie ja“, ein paar Sekunden später, kam Jacob mit einer Spiegelreflexkamera, zu den Wartenden. Ging nach draußen auf die Terrasse. Macht von der Ostsee, die in der Ferne zu sehen war, ein Foto.
„So, jetzt hat meine Anna noch ihr Bild“, meinte er lachend.
„Fritz, dann stelle dich doch auch noch einmal dort hin, dann mache ich noch eins mit dir, damit Anna weiß, dass du hier warst“, neckte John den Arzt lachend.
Von John dem Fotographen wurden einige Fotos gemacht, dann ging man zurück zur Kastanie. Auch diese wurde von John einige Male fotografiert und so für die Vergangenheit festgehalten. Bis man sicher war, dass man ein schönes Bild erwischt hatte. Im Anschluss, gingen die Freunde zurück an das Tor. Es war schon kurz nach 15 Uhr, als die Vier die Schule verließen.
„Danke Genosse Worm, aber wir können heute nichts mehr hier erreichen. Die Kamera, schicke ich in die Gerichtsmedizin, die wird den zuständigen Behörden, dann ausgehändigt. Machen sie sich, da mal keine Sorgen. Wenn sie wollen, quittiere ich ihnen das.“
Worms winkte ab, er hatte gerade ein Gespräch mit Hunsinger, der ihm angewiesen hatte Runge in allem zu unterstützen.
„Dann ruhigen Dienst noch. Es kann sein, dass wir morgen noch einmal kommen, ich muss mir die Zugangscodes, zu dem Kinderbereich besorgen, dort sind alle Türen blockiert, soweit habe ich vorhin nicht gedacht“, erklärte Jo weiter.
Die Vier verabschiedeten sich von der Wache und liefen zu Jos Wagen. Sofort fuhren sie zurück nach Groß Schwansee. Anna die sehnsüchtig auf ihre Kahlyn gewartet hatte, war sichtlich enttäuscht, dass man weder Rudi, noch Kahlyn mitbrachte. Nun hieß es warten und hoffen, dass Rudi mehr Glück hatte, zu der Ausreißerin vorzudringen.
Etwas bewegte sich auf meiner Pritsche und ich öffnete die Augen. Ich hatte nicht geträumt. Rudi lag in meinen Arm und Struppi stupste mich an. Er musste dringend sein Geschäft machen. Vorsichtig, um Rudi nicht zu wecken, ließ ich ihn auf die Pritsche gleiten. Stieg über ihn, griff nach meiner Brille und lief los. Struppi sprang freudig hinter mir her. Schnell gingen wir nach draußen und liefen den Gang entlang in Richtung Landebahn. Ich öffnete die Tür und ließ ihn nach draußen. Struppi lief ein paar Meter und machte schnell sein Geschäft. Ständig drehte er sich nach mir um, aus Angst, dass ich ihn wieder verließ. Es nutzte nichts, dass ich ihm versicherte, dass ich bei ihm bleiben würde. Ich hatte ihn einmal verlassen, das würde er mir nicht so schnell verzeihen. Auch, wenn es zu seiner Sicherheit war. Vorsichtig lief er ein Stückchen weiter, immer wieder drehte er sich nach mir um, dann hockte er sich hin und macht auch noch sein großes Geschäft. Damit fertig eilte er sofort wieder zu mir, nicht mehr bereit, auch nur einen Meter weiter als nötig von mir zu weichen. Er sah so niedlich aus wie er mit seinen unsicheren, tapsigen Schritten auf mich zu rannte, aus lauter Angst, dass ich ihn wieder verlasse könnte. Ich beugte mich zu ihm hinunter und streichelte ihn.
Wir mussten allerdings zurück und hatten keine Zeit zu spielen. Rudi war ganz alleine und ich hatte Angst, dass er munter wurde. Also gingen wir zurück in unseren Raum, ich nahm den kleinen Kerl auf den Arm und öffnete den Wasserhahn. Trank mich satt, auch Struppi ließ ich von meiner Hand trinken. Ich glaube der kleine Kerl war kurz vorm Verdursten, er hörte gar nicht mehr auf zu trinken. Langsam drehte ich den Wasserhahn zu, knurrte ihn kurz an, weil er anfing zu bellen, es war nicht gut, wenn er so viel auf einmal trank. Falls er lange nichts gefressen und gesoffen hatte, musste ich ihn langsam wieder an Nahrung gewöhnen. Ich setzte Struppi runter und lief nach hinten zu meinem Bett. Dort lag Rudi, noch in einem tiefen Schlaf.
Wieso war er zu mir gekommen? Ich verstand das nicht. Was nutzte es ihm, wenn er bei mir war? Der Polizeirat hatte gesagt, ich kann dort nicht mehr wohnen. Aber Rudi wohnte dort, es gab keinen Weg zurück. Wenn ich dort nicht mehr wohnte, durfte ich auch nicht mehr in der Wache arbeiten. Ich verstand das alles nicht. Mir gingen so viele Fragen durch den Kopf.
Rudi begann sich zur regen. Er öffnete die Augen, wieder kam diese unerklärliche Panik in ihm hoch. Leise flüsterte er. „Kahlyn, wo bist du?“
„Ich bin hier Rudi, komm setze dich hin.“ Ich fasste ihn an und half ihm sich hinzusetzen. Kein Wort kam von ihm, dass er mich bat für ihn Licht anzumachen. Warum fragte er mich nicht? Es war ihm doch ein leichtes, zu fragen. Ich verstand nicht, warum er sich so quälte.
Rudi tastete nach meinem Gesicht. „Kahlyn, wie geht es dir?“, fragte er mit zitternder Stimme.
„Ich weiß nicht Rudi, mir ging es schon besser, aber mir geht es auch nicht schlecht. Ich bin nur ganz durcheinander“, reagierte ich sofort auf ihn, sah ihn allerdings traurig an.
„Darf ich dich etwas fragen, meine Kleene“, bat er mich, immer wieder tastete seine Hand nach mir, aus Angst, dass ich ihn verließ.
„Du kannst mich immer alles fragen, aber ich möchte dich dann auch etwas fragen“, ich versuchte ihn zu beruhigen und zog ihn einfach in meine Arme, so dass er auf meinen Oberschenkeln lag. So spürte er, dass ich ihm ganz nahe war.
„Dann frag du erst?“, legte Rudi fest.
„Warum bist du hier her gekommen? Ich verstehe das nicht, warum bringst du mir meinen Struppi, Rudi?“, stellte ich die beiden Fragen, die mich am meisten interessierten.
„Kleene, ich vermisse dich so sehr, genau wie Struppi, Tim, Tom, Jenny, Viola und auch Jo. Alle haben wir geweint. Struppi hat aus lauter Trauer, nichts mehr gefressen und getrunken. Ich habe seit dem du weg bist, nicht mehr richtig geschlafen, aus Sorge um dich“, antwortete Rudi mir ehrlich.
Durch die Verbindung würde ich sofort merken, wenn er log. „Wieso habt ihr geweint? Ihr wolltet mich doch nicht mehr“, ich war traurig, weil ich es nicht verstand.
„Ach Kleene, es ist oft so schwer mit dir. Du vertraust uns immer noch nicht. Ich weiß aber nicht, wie ich dir das erklären soll.“
„Dann versuche es doch einfach, Rudi“, ich wurde barsch zu ihm, weil ich immer noch wütend war, weil man mich einfach weggeschickt hatte.
„Kahlyn, weißt du, dass du vier Stunden geschrien hast wie am Spieß?“
Ich nickte, wurde mir aber bewusst, dass Rudi das ja nicht sehen konnte. „Rudi, das weiß ich. Aber es war nicht meine Schuld. Jo, hat verhindert, dass ich es kontrollieren kann.“
„Was kontrollieren, Kleene, was war dort oben los mit dir? Der ganze Fußboden, die Wände waren voller Blut, deine Fingernägel lagen im Papierkorb. Tiefe Kratzspuren waren auf dem Fussboden. Du musst dort oben durch die Hölle gegangen sein. Was war da oben mit dir geschehen?“, wollte Rudi wissen, sein Atem hatte sich beschleunigt, man merkte ihm die Angst an, die wieder von ihm Besitz ergriff. Durch die Bilder, die er innerlich sah, die durch die Dunkelheit zusätzlich verstärkt wurden.
„Ich möchte darüber nicht reden, Rudi“, gab ich kurz zur Antwort.
„Kleene, bitte, wie sollen wir dich verstehen lernen, wenn du nicht offen zu uns bist.“
Ich schwieg, alles in mir sträubte sich. Ich mochte nicht darüber reden. Rudi tastete nach meinem Gesicht und streichelte meine Wangen.
„Kahlyn, ich weiß, dass du niemanden traust. Ich verstehe das ja auch. Aber Kleene, glaube mir eins und soweit müsstest du mich schon kennen. Egal, was mit dir ist, ich werde immer zu dir halten“, eine Weile schwieg Rudi, dann atmete er heftig, man merkte den Kampf, den er mit sich führte. Dann fuhr er fort. „Wenn ich dir es beweisen muss, meine Kleene. Werde ich den Rest meines Lebens, mit dir in dieser fürchterlichen Dunkelheit verbringen. Damit du mir endlich glaubst, dass ich dich wirklich mehr liebe, als mein eigenes Leben. Ich weiß zwar nicht, wie ich das aushalten soll. Diese Dunkelheit erzeugte eine Angst in mir, die ich so nicht kenne. Ich habe mich immer für einen mutigen Menschen gehalten. Aber hier ängstige ich mich zu Tode. Aber, das ist mir egal. Kahlyn, ich will nur eins, dass du mir endlich vertraust. Bitte, ich hab dich doch lieb. Ich weiß nicht, wie ich dir das noch beweisen soll. Ich würde mein Leben für dich geben. Seit dem ersten Tag, an dem ich dich kennen gelernt habe, liebe ich dich“, immer leiser war er mit jedem Wort geworden.
Die letzen Worte hatte er nur noch geflüstert. Rudi rollte sich zusammen, wie ein verletztes Tier. Das sich ganz klein machte, um weniger Angriffsfläche zu bieten, um nicht so sehr verletzbar zu sein. Wieder fing Rudi an zu zittern und vor allem, begann er wieder zu weinen, so verzweifelt war er. Er sagte die Wahrheit, da er die Verbindung offen gelassen hatte, wusste ich, dass er das dachte, was er mit auch sagte. Er liebte mich wirklich. Ich verstand es nicht. Wie konnte man jemanden wie mich lieben?
„Warum liebst du mich?“, aufmerksam betrachtete ich meinen Freund und hielt den Kopf schief.
Beobachte den Menschen ganz genau, der von sich behauptete, dass er für mich sein Leben geben würde. Ich glaubte es Rudi, er hat es mir bewiesen. Jetzt erschien mir das, was er getan hatte, als der Oberstleutnant nach Gera kam, in einem ganz anderen Licht. Vielleicht war es ihm damals noch nicht bewusst wie heute, aber er handelte eben wegen dieser Gefühle so. Aber er kannte mich doch gar nicht, er wusste gar nicht, was für ein Monster ich war und worauf er sich da einließ. Ich merkte, wie sehr Rudi mit sich kämpfte, um sich wieder zu beruhigen. Ich hatte das Gefühl, dass diese Dunkelheit ihn in den Wahnsinn trieb. Seine Atmung war vollkommen verkrampft. Dadurch, dass er sich von mir gelöst hatte, wurde diese Angst wieder um vieles verstärkt. Ich zog ihn zurück auf meine Beine. „Beruhige dich doch Rudi. Komm du bist nicht alleine. Ich passe auf dich auf“, versuchte ich ihn zu beruhigen. Langsam entspannte sich Rudi wieder. Ganz leise, versuchte er es mir zu erklären.
„Ich kann dir nicht genau sagen, warum. Kleene, als du damals zu uns kamst, hast du mich erst aufgeregt, mit deiner blöden Sonnenbrille. Du musst wissen, ich mag es nicht, wenn jemand eine Sonnenbrille trägt. Ich suche immer den Blickkontakt zu den Menschen mit denen ich rede. Dann aber, sah ich deine Augen. Ich weiß nicht, was da passiert ist. Als ich in deine Augen sah, war es so, als wenn jemand mein Herz angezündet hätte. Als wenn, ein Funke übergesprungen wäre. Ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll“, Rudi suchte sichtbar nach Worten und wusste nicht genau, wie er seine Gefühle erklären sollte. „Kleene du musst wissen, als Jo und Viola damals heirateten, hatte ich das Gefühl, als ob mein Herz gestorben wäre. Ich weiß nicht, ob du das begreifen kannst, weil du sowas ja nicht kennst. Ich habe Viola geliebt, aber Viola liebte Jo mehr als mich. Verstehst du das?“
Ich sah ihn an und begriff nur einen Teil von dem, was er mir zu erklären versuchte. „Warum bist du dann bei den Runges geblieben?“, wollte ich jetzt wissen.
„Das ist nicht so einfach zu erklären. Kahlyn, ich habe keine Familie. Jo, war für mich immer, wie ein großer Bruder gewesen.“
„Wieso hast du keine Familie, Rudi? Bei euch hat doch jeder eine Familie“, interessierte mich diese Tatsache, weil ich dachte nur wir hatten so etwas nicht.
„Kahlyn, nicht jeder in unserer Welt hat eine Familie. Meine Eltern starben beide, als ich noch jung war, jünger als du jetzt bist. Mein Vater im Krieg, da war ich sieben, meine Mutter an Typhus, ein Jahr später. Ich glaube sie hat seinen Tod nie überwunden. Deshalb war sie so geschwächt, dass sie die Krankheit nicht überlebte. Ich bin bei meiner Großmutter groß geworden, mein Großvater war Soldat und kaum zu Hause und starb in Griechenland 1941, da war ich gerade mal zehn Jahre alt. Auch meine Großmutter starb viel zu zeitig. Du musst wissen, ich war noch sehr jung, gerade erst vierzehn Jahre alt. Kurz darauf lernte ich Jo kennen. Ich machte gerade meiner Ausbildung als Schlosser. Es hatte sich keiner um mich gekümmert. Weißt du, es war doch niemand mehr da. Die Wohnung meiner Großmutter wurde nach einigen Monaten geräumt, da ich die Miete nicht bezahlen konnte. Ich wusste nicht, wo ich hin sollte. Also habe ich versucht, mich alleine durchzuschlagen. Da ich kein Geld mehr hatte, hab ich damals aus Hunger ein Brot gestohlen. Weil ich aber nicht gut war, auch weil ich wusste, dass man das nicht durfte, hat man mich natürlich erwischt und der Polizei übergeben. Jo war, damals noch Streifenpolizist in Greiz, weißt du auf der Wache, wo wir Einsatz hatten. Er nahm mich mit, auf die Wache und nahm meine Personalien auf. Wollte wissen, wo meine Eltern waren, ums sie über meine Tat zu informieren. Ich sagte ihm, dass sie tot sind. Er wollte wissen, wo ich wohne. Ich sagte ihm, überall und nirgends. Er begriff, dass ich auf der Straße lebte, nahm er mich einfach mit zu sich nach Hause. Von dem Tag an, habe ich ihn geliebt. Er war wie einen Bruder für mich, er kümmerte sich um mich, als es mir richtig schlecht ging. Weißt du er ist nur acht Jahre älter als ich, war damals gerade mal zweiundzwanzig Jahre alt und hatte seine erste eigene Wohnung. Er gab mir nicht nur ein zu Hause, sondern auch eine Zukunft. Lernte mich alles, was ich heute kann. Durch ihn habe ich mein Abitur nachgemacht, bin aus Überzeugung Polizist geworden. Er ist immer mein großes Vorbild gewesen, wird es auch immer bleiben. Vor einundzwanzig Jahren lernte wir Viola kennen und verliebten uns beide unsterblich in sie. Jo war sechsundzwanzig und ich gerade mal achtzehn Jahre alt. Viola war allerdings auch schon dreiundzwanzig Jahre alt. Wir ließen Viola entscheiden. Verstehst du.“
Interessiert hatte ich zugehört. Ich verstand ungefähr, was mir Rudi erklären wollte. Doko hatte mir damals einmal erklärt, als sich zwei der Mitarbeiter in eine Frau verliebt hatten, wie das ist so zwischen Mann und Frau. Auch, wenn ich nicht alles begriffen hatte, verstand ich doch einigermaßen wie es Rudi ging.
„Ja Rudi, aber du liebst sie immer noch.“
„Ja meine Kleene, ich liebe sie immer noch. Daran wird sich auch nichts ändern. Seit Viola habe ich nie wieder eine andere Frau angeguckt. Egal, was Jo versucht hatte, keine Frau kam an Viola heran. Sie haben mich bei sich aufgenommen. Ich gehöre zu ihnen, sie sind meine Familie. Zu sehen, dass sie so glücklich sind, zu erleben wie Jenny, Tom und dann Tim geboren wurden, war mir genug. Aber dann…“ Rudi unterbrach sich.
„Was aber dann, Rudi?“, wollte ich jetzt von ihm wissen.
„…Aber dann, sah ich in deine Augen. Mein Herz, was ich für alle Frauen dieser Welt verschlossen hatte, wurde auf einmal wieder geöffnet. Für ein kleines sechzehnjähriges Mädchen, mit Augen wie die aufgehende Sonne. Es ist so, als wenn ich das erste Mal seit vielen Jahren wieder Gefühle habe. Seit dem ich dich kenne, kann ich wieder fühlen. Ich weiß nicht, warum das so ist, es ist auch nicht die Liebe, die ich zu Viola empfinde. Nein, es ist eine andere Liebe, als wenn du ein Teil von mir wärst.“ Rudi fuhr sich durch die Haare, ich spürte seine Verzweiflung, weil er nicht wusste wie er das erklären sollte. „Als du weggelaufen bist, war es so, als wenn man mir das Herz heraus gerissen hat, verstehst du. Ich weiß, dass ich ohne dich nicht leben kann. Ich kann es dir aber nicht erklären, wirklich nicht“, wieder liefen Tränen aus seinen Augen.
Rudi war zutiefst traurig, weil er es mir nicht besser erklären konnte. Auch hatte ich das Gefühl, das er nervlich am Ende war. Alleine der Gedanke, dass er mir eine seiner Meinung nach, so unbefriedigende Antwort geben musste, machte ihn fertig. Aber er hatte mir genug erklärt, ich hatte ihn verstanden. Mir ging es ebenso, als ich von meinen Freunden getrennt wurde. Deshalb wusste ich, was er fühlte. Aber, das fühlte ich auch, so ehrlich musste ich auch zu mir selber sein, als weggelaufen war. Die Trennung von Rudi, tat mir am meisten weh und die von Struppi, weil ich die beiden innig liebte.
„Rudi, du musst nicht weinen. Ich habe dich doch auch lieb. Es ist nur so, wir können nicht mehr zurück. Jo hat gesagt, ich darf nicht mehr bei ihm wohnen. Also muss ich ja hier bleiben. Wo soll ich denn hin?“, erklärte ich ihm traurig.
„Kleene, bitte, lasse uns einen Schritt, nach dem anderen machen. Bitte erkläre mir, was da oben los war. Das ist der Grund, warum Jo so wütend auf dich war. Du hast die Kinder erschreckt. Kleene, unsere Kinder, kennen doch so etwas nicht. Jenny, Tom, sogar Tim haben am ganzen Körper gezittert, als du so geschrien hast und haben so geweint. Sie waren wütend auf uns, weil wir dir nicht helfen konnten. Jenny sagte immer: Warum helft ihr Kahlyn nicht? Warum lasst ihr sie so leiden? Wir müssen ihnen doch erklären können, warum du so geschrien hast. Was da oben passiert ist, damit sie es verstehen und keinen seelischen Schaden nehmen. Kannst du das nachvollziehen?“
Natürlich verstand ich das, mir war nur nicht klar, dass Jo deshalb so wütend war. Ich überlegte lange, wie ich es erklären sollte. Es war nicht schön, was mit uns bei so einem Anfall passierte. Als Rudi etwas sagen wollte, legte ich ihm die Hand auf den Mund. Ich brauchte Zeit zum Nachdenken. Rudi verstand mich richtig und schwieg. Lange überlegte ich und suchte nach den richtigen Worten. Streichelte dabei sein Gesicht, damit er merkte, dass ich noch hier war.
„Rudi, warum habt ihr mir das nicht so gesagt? Ich habe Angst, wenn ich dir das erkläre, dass du mich dann nicht mehr haben willst. Dann hältst du mich bestimmt für ein Monster“, bitter stieß mich dieser Gedanke auf.
Rudi schüttelte den Kopf. „Kahlynchen, egal, was mit dir passiert, du kannst doch nichts dazu. Du warst doch nicht diejenige, die ein Genmix gemacht hat. Was du bist, das bist du, ich akzeptiere dich so, wie du bist. Ich liebe dich, so wie du bist. Verstehst du, es ist mir völlig egal. Ich möchte nur verstehen, was mit dir geschieht. Dass wenigstens ich dagegen steuern kann, wenn du unter Druck gerätst und dich vor allem beschützen kann. Ich will doch nur erreichen, dass du nicht immer wieder in die Ecke gedrängt wirst. Und ich endlich weiß, wie ich reagieren muss und du nicht mehr weglaufen musst. Sondern dich zu uns setzt und mit uns oder wenigstens mit mir redest. Verstehst du ... Warum, wir das nicht so gesagt haben? Ich weiß es wirklich nicht, meine Kleene. Ich vermute wir waren genauso geschockt, wie die Kinder. Wir waren genauso durcheinander und verwirrt oder so. Wir sind doch auch nicht perfekt“, er nahm meine Hand und hielt sie ganz fest.
Ich gab mir eine Schupps und fing an ihm alles zu erklären. „Rudi, es kann unter bestimmten Umständen passieren, dass in unserem Körper Gene aktiviert werden, die normalerweise schlummern. Normalerweise, lassen wir diese Gene nur in ausweglosen Kampfsituationen an die Oberfläche, wenn wir nur dadurch unser Leben retten können, wie damals in Prag oder in Chile. Allerdings kommen sie dann kontrolliert an die Oberfläche. Das N47 ist ein Genblocker. Dieser Blocker unterdrückt das eine Symptom, aber es weckt dafür andere noch viel schlimmere Symptome. Das N47 verstärkt allerdings, auch diese verdammten Schmerzen ins Unerträgliche. Wie gesagt, ich kann dir das wirklich nicht so genau erklären. Unkontrolliert, kann das bei großer Wut oder übergroßen Stress passieren. Normalerweise, bekommen wir das heute gut in den Griff, da wir sehr zeitig merken, dass wir in einen Anfall hineinrutschen. Nur dadurch, dass Jo mich nicht gehen gelassen hat, rutschte ich ungeschützt immer mehr in den Anfall hinein. Den ich dadurch nicht mehr kontrollieren konnte. Du weißt, dass man ungefähr zehn bis fünfzehn Minuten braucht, um in die tiefe Taijiatmung zu kommen. Ich hatte nur noch drei oder vier Minuten, weil Jo mich nicht gehen ließ. Ich habe es einfach nicht mehr geschafft“, bitter schluckte ich an dieser Wahrheit. „Ich ging nach oben, schickte Struppi in Jennys Zimmer, um ihn nicht zu gefährden und vor allem nicht zu erschrecken. Dann habe ich die Tür von innen verbarrikadiert, damit ihr nicht ins Zimmer kommen könnt und euch dadurch in Gefahr bringt. In diesem Zustand, bin ich völlig außer Kontrolle und aufs äußerste gefährlich. Verstehst du.“
Rudi drückte mir die Hand und nickte bestätigend. Lange suchte ich nach den richtigen Worten, um das Geschehene zu erklären.
„Diese schlummernden Gene, wie wir sie nennen, sind meiner Meinung nach tierischen Ursprungs. Vielleicht erklären sie auch unsere Augen und ein paar andere unsere Eigenschaften. Ich weiß es nicht genau. Wenn wir in so einen Anfall ohne Taijiatmung hineinrutschen, können wir das nicht mehr steuern. Einige von uns, sind deshalb sogar gestorben, weil sie nicht mehr atmen konnten. Ich kann mich in das Jawefan retten. Die anderen leider nicht. Deshalb habe ich, alle diese Anfälle überlebt, egal wie heftig sie waren. Rashida und die anderen, wären vor drei Tagen gestorben. Weil sie das Jawefan nicht können. Nur diese unschönen Nebenwirkungen, kann ich nur im Taiji steuern. Im Jawefan ist das nicht mehr möglich, deshalb habe ich so geschrien. Die Schmerzen, dabei sind unerträglich, sie treiben dich in den Wahnsinn.“
Ich rieb mir den Nacken, weil ich nicht darüber sprechen wollte. Aber mir war klar geworden, dass ich wenn ich Rudi verlor, niemanden mehr trauen konnte auf dieser Welt. Nur jemand, der dich wirklich liebt, war bereit sich zu opfern, so wie es Rudi zurzeit tat. Es war ein schweres Opfer, das er brachte, sich dieser für ihn unerträglichen Dunkelheit über Stunden, bewusst auszusetzten. Der Doko hatte es nie länger, als zwei oder drei Minuten, bei uns ausgehalten, dann war er panisch geflohen. Rudi verbrachte jetzt schon einige Stunden in dieser Dunkelheit. Ich bewunderte ihn, für seinen Mut, für seinen Willen mir zu beweisen, dass er mich wirklich liebte. Ich hatte begriffen, dass er nur deshalb nicht nach Licht gefragt hatte. Ich wusste jetzt, dass er mich nicht direkt darum bitten würde, diesen Raum zu verlassen. Das erst ich ihn aus der Dunkelheit erlösen konnte.
„Ich weiß nicht wie ich es erklären soll, aber ich werde es versuchen. Was bei diesen Anfällen passiert, die wir ab und zu, auch so mal bekommen. Wenn wir emotional überreagieren oder zu sehr in die Ecke getrieben werden. Wir verwandeln uns dann, es kommen aus unseren Händen Krallen. Diese Krallen, drücken die Fingernägel einfach weg. Ich weiß nicht wie ich dir das erklären soll. Das ist aber nicht das Einzige. Der gesamte Körper verkrampft und verformt sich. Es ist so, als wollten sich die Knochen anders anordnen. Wie gesagt ich weiß nicht genau wie ich das erklären soll. Auch die Muskeln verschieben sich, deshalb ist es wichtig, dass wir es kontrollieren“, ich rieb mir meinen völlig verspannten Nacken, einfach um eine kleine Pause zu haben. Fuhr dann, aber gleich fort. „Rudi, wir sind euch so schon kräftemäßig überlegen. Aber in einem dieser Anfälle, haben wir zehn bis fünfzehnmal so viel Kraft wie normal. Kannst du dir vorstellen wie gefährlich wir dann sind. Das ist der Grund, weshalb wir das im Kampf nutzen, wenn wir in ausweglosen Situationen kommen. Wir haben hier in der Schule für uns einen Raum geschaffen, aus zwanzig Zentimeter dicken Panzerstahlplatten, um die anderen zu schützen. Trotzdem haben wir es geschafft aus diesen Raum auszubrechen, als wir kleiner waren. Erst seit ungefähr sechs Jahren haben es alle von uns geschafft, diese Fähigkeit oder auch manchmal Anfälle, irgendwie zu kontrollieren. Heute würde uns dieser Raum, nicht mehr davor bewahren auszubrechen. Wir wären eine Gefahr für alle. Jetzt stell dir mal vor, ich hätte es bei den Runges nicht geschafft, im Raum zu bleiben. Ich darf darüber gar nicht nachdenken. Es ist niemand da, der mich bändigen kann. Conny hat zwar die Kraft mich schlafen zu legen, wenn ich normal bin, doch sonst niemand. Aber in einen Anfall, würde selbst er das nicht schaffen. Selbst Rashida und Sina zusammen, die stärksten aus meinem alten Team, hatten immer zu tun mich in einen solchen Anfall zu bändigen. Da ich, obwohl ich die Kleinste bin, am heftigsten unter diesen Anfällen litt. Ich kann diese Gene ohne Taiji kaum beherrschen. Rudi ich war richtig in Panik. Ich schaffte es gerade noch, in das Jawefan. Aber ich hatte keine wirkliche Kontrolle mehr. Ich war froh die Dosis hochgenug gewählt zu haben, aber es war verdammt knapp.“
Ich konnte nicht mehr weitersprechen. Die Panik von vor drei Tagen, hatte mich wieder erfasst, die Panik dass ich den Runges und Rudi etwas antun könnte. Langsam bekam ich mich wieder ein,
Rudi sah mich entsetzt an. „Wie kann man so etwas, Kindern antun?“, seine zitternde Stimme sagte viel über das aus, was er fühlte. Kein Vorwurf, dass ich eine Gefahr war, nur Unverständnis über das, was man uns angetan hatte.
„Ich weiß es nicht, Rudi. Das musst du diese Leute fragen, die uns das angetan haben. Glaube mir, das haben wir uns auch schon oft gefragt. Als der Anfall vorbei gewesen ist, war ich so froh, dass ich nicht ausgebrochen war. Dass ich es schaffte im Raum zu bleiben, nichts außer dem Kopfkissen kaputt gemacht hatte. Nicht nur einmal, hatten wir die Schule in den ersten Jahren, in ein Trümmerfeld verwandelt. Was denkst du, warum wir Stahlpritschen haben. Selbst diese haben wir zum Teil kaputt gemacht. Du kannst dir nicht vorstellen wie froh ich war, dass ich euch nichts getan habe.“
Rudi suchte mein Gesicht, ich beugte mich zu ihm nach unten und nahm seine Hand, führte sie zu meinem Gesicht.
„Warum hast du dir nur dieses N47 gespritzt, wenn du weißt, dass so etwas Schlimmes mit dir passiert. Ich verstehe das nicht richtig meine Kleene“, Verständnislosigkeit, war in seinem gesamten Gesicht zu sehen.
„Rudi, damit ich nicht ganz außer Kontrolle gerade, mit den Schmerzen kann und muss ich leben, aber es passiert dann nichts Schlimmeres. Das N47 erhöht die Schmerzen, verhindert aber den vollen Ausbruch der körperlichen Veränderungen. Führt allerdings zu schlimmen Muskelkrämpfen, die dadurch verhindern, dass ich ausbreche. Dadurch kann ich mich nicht mehr bewegen, es geht einfach nicht. Durch die Krämpfe und die wahnsinnigen Schmerzen. In der Taijiatmung, hätte ich nicht nur die Schmerzkontrolle, sondern auch meine Körperkontrolle noch. Dadurch, dass mich Jo hat nicht gehen lassen, konnte ich mich nicht mehr in die Taijiatmung retten und es dadurch absolut nicht mehr kontrollieren. In der Taijiatmung hätte ich nicht geschrien. Ich hätte mich einfach durch den Anfall hindurch geatmet. Weißt du wie froh ich war, dass ich die Dosierung des N47 hoch genug gewählt hatte und nicht ausgebrochen bin. Aber es war verdammt knapp, Rudi, verdammt knapp. Ich konnte mich nicht mehr bewegen, aber bekam die volle Wucht der Schmerzen ab. Konnte nicht verhindern, dass die Krallen kommen und sich mein Körper verformte. Wenn ich die Dosierung nicht hochgenug gewählt hätte, dann wüsstest du jetzt, wie ich in diesen Anfall aussehe. Dann ich wäre ausgebrochen und hätte ich nicht nur mich, sondern vor allen die Runges und dich in Gefahr gebracht und alle Leute die mir in den Weg gekommen wären. Deshalb habe ich mich ja vorsorglich, so hochdosiert gespritzt. Rudi ich bin seit zwei Monaten noch nicht einmal zur Ruhe gekommen. Ich habe diese verdammte Wut in mir und sie wird von Tag zu Tag schlimmer. Ich hätte dir mein Leben nicht zeigen können, ohne die Spritze. Verstehst du? Es tut mir leid für Tom, Tim und Jenny, aber ich konnte wirklich nichts dafür. Ich habe es Jo so oft gesagt. Rudi, er wollte es einfach nicht hören.“
Traurig sah ich auf Rudi, mir wurde klar, dass es für mich jetzt kein Zurück mehr gab. Jetzt, wo Rudi wusste, dass ich für die Runges eine Gefahr darstelle, würde er nicht mehr zulassen, dass ich zurück kehrte.
„Ach Kleene, warum hast du mir das nicht gleich gesagt. Dann hätte ich Jo informieren könne. Weißt du meine Kleene, genau das ist der Grund, warum wir wissen müssen, was mit dir geschieht. Nur so, können wir verhindern, dass du in solche Situationen gerätst. Verstehst du?“
Ungläubig starrte ich ihn an, kein Vorwurf, kam von Rudi. Ich verstand es nicht.
„Kleene, wenn Jo gewusst hätte, dass du kurz vor einem Anfall bist, dann hätte er dich gehen lassen“, Rudi schwieg, man sah wie er nach Worten suchte.
Ich spürte seine Angst. Er hatte Angst etwas Falsches zu sagen, etwas, dass ich missverstehen könnte.
„Rudi, du musst keine Angst haben, mir zu sagen, dass ich nicht mehr zurück kann, zu den Runges. Das habe ich doch verstanden, deswegen bin ich doch gegangen“, versuchte ich ihm die Entscheidung zu erleichtern, damit er keine Angst mehr hatte.
Ich bekam wieder eine ganz andere Reaktion von Rudi, als ich erwartet hätte. Er schüttelte den Kopf.
„Kleene, wer sagt das denn?“
Irritiert sah er mich an.
„Ich spüre doch, wie du mit dir kämpfst, Rudi“, erklärte ich ihm bitter.
Wiederum schüttelte Rudi den Kopf. „Ach Kleene, du interpretierst immer Sachen in alles hinein, die nicht so stimmen. Genau da, liegt dein Fehler. Ja, ich suche nach den richtigen Worten. Weil ich Angst habe, dass du wieder etwas falsch verstehst. Weil du einfach nicht fragst, wenn dir etwas unklar ist, sondern einfach gehst. Deshalb überlege ich, wie ich dir das am besten erkläre. Es ist doch so Kahlyn, wir kennen dich erst seit zwei Monaten. Du bist uns genauso fremd, wie wir dir. Wir müssen uns doch erst richtig kennen lernen. Das dauert aber länger, als die Zeit die wir bis jetzt hatten. Vor allem meine Kleene, müssen wir lernen einander zu vertrauen. Weißt du, es war falsch von dir wegzulaufen. Verstehe das bitte nicht falsch. Der richtige Weg wäre gewesen zu fragen, warum darf ich nicht mehr bei euch wohnen. Aber du hast nur den letzten Satz registriert, aber Jo hat noch mehr zu dir gesagt. Jo sagte zu dir „Kahlyn, wenn du das noch einmal machst, dann kannst du nicht mehr hier wohnen.“ Stimmt das meine Kleene.“
Ich sah Rudi an und überlegte lange. Ich rief mir den Abend vor drei Tagen ins Gedächtnis zurück. Rudi hatte recht, mit dem, was Jo sagte.
„Du hast recht, er hat es so gesagt“, gab ich kleinlaut zur Antwort.
„Siehst du meine Kleene, der richtigere Weg wäre gewesen zu fragen. Warum, Jo? Dann hätten wir dir das, in Ruhe erklären können. Außerdem hat es Jo gar nicht so gemeint. Er war erschrocken, hatte Angst um das Seelenheil seine Kinder. Er hat einfach überreagiert. Ich bin zu Jo gegangen, weil ich ihn beruhigen wollte. Er war viel zu aufgeregt, um klar zu denken. Ich wollte damit nur erreichen, dass er in Ruhe mit dir spricht. Du bist aber gleich wegelaufen. Wäre ich nur bei dir geblieben. Ich mache mir deshalb solche Vorwürfe. Wenn du wenigstens, nur in die Wache gelaufen wärst. Ich bin dir hinterher gekommen. Sofort bin ich in die Wache gefahren und hatte so gehofft, dass du dahin kommst“, erklärte er mir.
Ich verstand das alles nicht. „Rudi, ich kann doch nicht mehr in die Wache. Jo, ist der Polizeirat, wenn ich nicht mehr bei ihm wohnen darf, dann kann ich auch nicht mehr in seine Wache. Wir dürfen doch hier auch nicht mehr kämpfen, weil wir hier nicht wohnen“, erklärte ich ihm seinen Fehler und meine logische Schlussfolgerung.
Rudi schüttelte wieder den Kopf. „Kleene, dass du beim Polizeirat wohnst ist eine Sache. Deshalb kannst du doch trotzdem noch in der Wache arbeiten. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Selbst, wenn dich Jo würde aus dem Haus rausschmeißen, was er nie machen würde. Kannst du immer in deine Wache. Um aus dem Dienst entlassen zu werden, musst du richtigen Bockmist bauen. Glaube mir, in deine Wache kannst du immer. Schau einmal Kleene, es ist doch so, dass Jo der Polizeirat ist, spielt überhaupt keine Rolle. Es ist ein Zufall. Auch, wenn wir beide uns mal streiten, kannst du immer auf die Wache laufen, verstehst du das?“
Lange dachte ich darüber nach, was Rudi mir da erklären wollte. „Nein ich verstehe es nicht Rudi. Aber, wenn du es so sagst, werde ich dir das glauben. Du hast mich noch nie belogen. Warum ist nur alles so kompliziert?“, fragte ich mich wieder einmal.
Rudi suchte nach meinem Gesicht und streichelte mich ganz lieb. „Ach Kleene, es ist aber auch schwer. Weißt du, wir können so oft deine Gedankengänge nicht nachvollziehen. Das macht doch alles so kompliziert. Wärst du nur zurück auf deine Wache gelaufen, hättest du dir viel Leid erspart und uns auch. Ich bin dir wirklich sofort hinterher gefahren und wollte sofort mit dir reden und dir alles erklären. Wir haben dich mit allen Teams gesucht, aber du bist zu gut für uns. Wir konnten dich nicht finden. Erst als wir dich nirgends finden konnten, kam mir die Idee, dass du vielleicht hierher gelaufen bist, in dein altes Zuhause. Rashida hatte mir das dann bestätigt. Deshalb konnte ich dich jetzt erst finden, deshalb musstest du so lange auf mich warten. Kahlyn, alle deine Freunde, waren in Panik, Struppi, Tim, Tom, Jenny, Viola, Jo, Ramira, Carmen, alle aus der Wache. Inge, Rashida, Carlos, Tina, Simon, Conny, Dika, Doko, Katrin, alle hatten Angst, dass dir etwas passiert. Alle haben sie sich große Sorgen, um dich gemacht. Auch weil ich alle verrückt gemacht habe. Dann das Bild mit dem Skelettkopf, ich dachte du wolltest dich umbringen. Verstehst du?“
Erklärte mir Rudi seine Panik. Traurig sah er aus. Hatte er recht, mit dem was er sagte? Diese Frage ließ mich nicht mehr los. Als er etwas sagen wollte, legte ich wieder meine Hand auf seinen Mund, ich musste nachdenken. So vieles war mir unklar. Hatte ich wirklich falsch reagiert. Lange grübelte ich nach, aber Rudi hatte recht. Vor allem war es gut zu wissen, dass ich immer in meine Wache konnte.
Leise mehr zu mir selber, als zu Rudi sagte ich. „Was hätte ich denn machen sollen?“
Rudi tastete suchend nach meiner Hand, die ich immer noch auf seinen Mund liegen hatte und schob sie sachte zur Seite. „Mit uns reden Kahlyn, nur so hättest du es verhindern können. Weißt du, dass die Kinder und Viola drei Tage geweint haben. Viola konnte die Kinder nicht einmal in die Schule schicken, so fertig waren die Kleinen. Jo, derjenige von uns der sonst nie zeigt wie er sich fühlt, der immer der Starke war, der Führer sozusagen. Jo hat als er begriff, dass du wegen seiner falsch gewählten Worte gegangen bist, stundenlang geweint. Jo liebt dich meine Kleene, so wie seine eigenen Kinder. Weißt du, er wollte dich auch adoptieren, nur bin ich ihm zuvor gekommen. Kahlyn, er liebt dich wirklich. Er sitzt jetzt bei deinem Doko, hat stundenlang versucht hier herein zu kommen. Aus irgendeinem Grund haben sie es nicht geschafft. Sie versuchten durch den offiziellen Eingang zu dir zu kommen. Jo, hat seit Samstag kaum geschlafen, er macht sich solche Vorwürfe und will mit dir reden, dir beweisen, dass er es nicht so gemeint hat. John sitzt bei deinem Doko, genauso wie Conny. Sie suchen dich genau wie Jo und ich seit Samstag. Die beiden versuchen schon seit Stunden eine Verbindung, über die Notfalltür mit mir zu bekommen, weil sie sich Sorgen um dich und um mich machen. Conny wollte nicht, dass ich alleine zu dir gehe, weil er Angst hatte, dass du mir etwas tust. Ich habe gesagt, dass du mir nichts tun wirst. Sie haben mir vertraut. Ich blocke all ihre Versuche ab, weil ich erst mit dir ins Reine kommen will. Aber Kleene, du musst auch mal lernen, uns zu vertrauen. Wir sind nicht deine Lehrer. Wir würden alle nicht zulassen, dass dir jemand etwas tut. Aber wir sind auch nicht perfekt. Komm doch wieder mit nach Hause, bitte meine Kleene“, wagte sich Rudi jetzt weit vor. „Wir möchten, dass du wieder mit nach Hause kommst. Wir vermissen dich, wir können dir beweisen, dass wir dich alle sehr mögen. Geb uns eine Chance, es dir wenigstens zu zeigen. Wenn du es dann noch nicht glaubst, kannst du wieder gehen. Bitte meine Kleene, ich möchte hier raus. Wenn ich ehrlich sein soll, ich halte diese Dunkelheit nicht mehr lange aus. Sie frisst mich auf. Mir ist richtig schlecht, ich habe das Gefühl hier drinnen wahnsinnig zu werden. Bitte Kahlyn“, flehend sah er nach oben, dorthin, wo er mein Gesicht vermutete.
„Ich kann nicht mehr zu den Runges, Rudi“, erklärte ich ihm verbittert.
Rudi stöhnte auf, dachte er doch, dass ich endlich begriffen hatte, dass es nicht so war. Dass ich jederzeit willkommen war.
„Warum denn, Kleene? Ich begreife es nicht, erkläre es mir bitte“, flehte er mich an.
„Weil ich eine Gefahr darstelle für die Runges, aber auch für dich“, ich gab ich ihm leise zur Antwort.
Rudi fuhr sich durch die Haare. Ich spürte seine Verzweiflung. „Warum, ich verstehe es nicht, Kleene? Weil du einen Anfall, nicht kontrollieren konntest? Wir wissen das doch jetzt, wir werden nie wieder zulassen, dass dir das noch einmal passiert. Das kann ich dir versprechen“, langsam baute sich eine unsagbare Wut ihn ihm auf, weil ich ihn nicht verstand.
„Rudi, er hat gesagt, dass ich nicht mehr dort wohnen darf. Wenn ich das noch einmal mache. Ich kann das nicht garantieren, verstehst du? Wenn ich jetzt wieder mit zu den Runges komme und es aber noch einmal passiert, dann muss ich wieder weg. Ich … ich … halte das … nicht aus. Es … es … tut so … verdammt … weh.“
Auf einmal brach meine ganze Verzweiflung aus mir heraus. Ich brach in Tränen aus und drehte mich weg von Rudi. Ich rollte mich ein Stück von ihm entfernt zusammen und fing an zu weinen.
„Kahlyn, bitte komm zu mir, ich sehe dich doch nicht, Kleene, bitte. Jo, hat es doch nicht so gemeint. Bitte gebe uns noch eine Chance.“
Ich musste alleine sein und konnte nicht mehr klar denken. War emotional viel zu aufgewühlt, das war nicht gut. Ich musste versuchen mich zu beruhigen, sonst forderten die letzten Tage wieder ihr Tribut. Auf Rudi konnte ich im Moment keine Rücksicht nehmen, ich musste ihn schützen, da ich merkte dass ich es nicht mehr schaffen würde. Ich bekam den Anfall einfach nicht mehr in den Griff. Die Nachwirkungen des Krantonak, als ich Rudi meine Vergangenheit zeigte, die Nachwirkungen der Injektion, potenzierten sich mit dem emotionalen Stress, den ich gerade unterlag. Ich stand auf und lief ans andere Ende des Raumes, um Rudi zu schützen. Setzte mich dort in eine Ecke, versuchte noch in die Taijiatmung zukommen. Auch dieses Mal schaffte ich es nicht mehr. Der Anfall kam viel zu plötzlich. In Gedanken war ich viel zu sehr auf Rudi konzentriert, den ich allein auf meinem Bett hatte liegen lassen. So konnte ich das zweite Mal in drei Tagen, einen dieser Anfälle nicht abfedern. Er erreichte mich völlig ungeschützt. Ich ging ins Jawefan und hoffte, dass mich das N47, noch einmal beschützte. Ich begann zu schreien, wieder kamen die Krämpfe, wieder kamen die Krallen und wieder begann ich mich zu verwandeln. Struppi verkroch sich unter eine der Pritschen, in die äußerste Ecke des Raumes und ließ Rudi nun ebenfalls allein.
Rudi lag hilflos, auf meiner Pritsche. Am anderen Ende des Raumes, wusste nicht, was er tun sollte. Hin und her gerissen von seinen Gefühlen. Nicht bereit, sich seiner Panik vor der Dunkelheit ganz hinzugeben, überlegte Rudi krampfhaft, was er tun konnte. Nach einem schlimmen inneren Kampf, entschloss er sich vom Bett zu gehen. Vorsichtig tastete er nach der Bettkannte, ließ seine Beine auf den Boden, ging auf die Knie. Sich nur nach dem Gehör richten, bewegte er sich auf Händen und Knien, langsam in die Richtung der wahnsinnigen Schreie, die sein kleines Mädchen von sich gab. Fast eine Stunde brauchte er, ehe er mich gefunden hatte. Durch die Leere des riesigen Raumes, war ein Richtungshören nur schwer möglich.
Dann hatte er mich erreicht, tastete nach meinem Körper, der jedoch nicht mehr so war, wie er sich normal anfühlte. Er war hart, verspannt und verschoben. Trotzdem nahm er mich in den Arm, obwohl ich schreiend nach ihm schlug und trat. Rudi hielt mich fest. Er wollte mir helfen und mir beweisen, dass er sich auch in der Verwandlung nicht vor mir fürchtete. Dass ich ihn dabei verletzen könnte, war ihm egal. Er wollte bei mir sein und mir unbedingt zeigen, dass er mich liebte. Auch, wenn er sich dabei selber in Gefahr brachte. Wollte mir auf diese Weise beweisen, dass ich immer mit ihm rechnen konnte. Es war der blanke Irrsinn, was er das tat, unvernünftig und lebensgefährlich.
Seine Körperwärme tat mir allerdings gut. Sein gleichmäßiges Atmen, half mir schneller aus dem Anfall heraus zu kommen. Langsam entspannte sich mein Körper, der Anfall war vorbei. Erschöpft schlief ich in Rudis Armen ein.
Rudi hatte es allerdings böse erwischt. Nur mühsam konnte er noch atmen und presste seine Hand, auf eine große Wunde am Bauch. Nur mühsam blieb er bei Bewusstsein. Mit der anderen Hand streichelte er mein Gesicht, mit der anderen versuchte er die Blutung zu minimieren. Flüchtete sich in die Taijiatmung, um die Schmerzen besser zu ertragen und versuchte mit der Selbstkontrolle die Blutung unter Kontrolle zu bringen, was ihm allerdings nur teilweise gelang. Die Taijiatmung half ihm nur bedingt, das Atmen fiel ihm immer schwerer. Eine gute Stunde später, wachte ich von einem röchelnden Geräusch auf und sah nach oben. Erschrocken sah Rudi über mir, mit dem Rücken an der Wand lehnend. Ich konnte meinen Major nicht begreifen, warum setzte er sich solcher Gefahren aus.
„Warum bist du zu mir gekommen?“, wollte ich von ihm in Gedanken wissen, weil ich noch nicht sprechen konnte.
„Weil du meine Hilfe brauchtest … Mir macht es nichts aus … wenn du anders bist … Ich kann … dich doch nicht … alleine leiden lassen … zusammen … schaffen … wir alles“, antwortete er mir auf die gleiche Weise, mühsam atmend.
Erst jetzt sah ich, dass sein ganzes Gesicht geschwollen war. Einen schlimmen Schlag hatte er abbekommen. Er tat mir so leid.
„Komm“, bat ich meinen Freund und stand auf.
Half Rudi auf die Beine. Ihn stützend ging ich zurück, zu meiner Pritsche. Dort legte ich ihn hin. Rudi konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Sofort holte ich meinen Medi-Koffer, um ihn zu versorgen.
Meinen Major hatte ich schwer verletzt. Kaum dass Rudi lag, hatte er schon das Bewusstsein verloren. Schnell versorgte ich seine schlimmsten Wunden. Rudi war kurz vor dem Verbluten. Eine große offene Bauchwunde, bei der eine Arterie verletzt war. Vier gebrochene Rippen, von denen eine in die Lunge gestoßen wurde. Deshalb röchelte er so schlimm beim Atmen. Er war kurz davor, an seinem eigenen Blut zu ersticken. Zum Schluss versorgte ich noch sein Gesicht. Das ob ich wollte oder nicht, tüchtig blau werden würde. Das konnte ich nicht verhindern. Den gebrochenen Unterkiefer, konnte ich richten und auch ausheilen, ebenfalls die Kratzspuren in seinem Gesicht. Nach dem ich fertig war, setzte ich das Krantonak ein. Nicht nur um das Blut in seinen Lungen aufzulösen, sondern auch, um die Brüche auszuheilen und eine Narbenbildung zu verhindern. Fast eine dreiviertel Stunde brauchte ich, um mich von den Krantonak zu erholen. Kämpfte mich so schnell es ging, wieder ins Bewusstsein zurück, obwohl ich noch hätte Erholung gebraucht. Aus lauter Angst, um meinen Major. Zum Glück und zu meiner großen Sorge, war Rudi noch ohne Bewusstsein, als ich erwachte. Schnellstmöglich spritze ich ihm fünf Einheiten des Heilers F28, dann hochdosiertes Schmerzmittel. Eins mit Langzeitwirkung, das B97, aber auch ein Mittel, das sofort die starken Schmerzen unterdrückte. Von dem B32 spritzte ich ihm ebenfalls zehn Einheiten, damit er wieder zu Bewusstsein kam. Ich hätte können Schreien vor Wut. Immer wieder fragte ich mich, warum war er zu mir gekommen. Ich war doch extra weggegangen, um ihn nicht zu gefährden. Ich verstand das alles nicht. Langsam kam Rudi zu sich. Ich beobachte ihn genau. Er war völlig desorientiert und noch ganz benommen...
Kahlyn kommt zu Beginn des sechsten Teiles und vorerst letzten Teil, dieses Romans endlich bei den Runges an. Erlebt als erstes eine riesige Überraschung. Sie begreift für wie viele Menschen sie in der kurzen Zeit in Gera wichtig geworden war. Sie lernt Schritt für Schritt mehr das normale Leben kennen und auch für die Runges wird es langsam etwas ruhiger.
Aber auch die Runges müssen verstehen lernen, wieso Kahlyn so misstrauisch gegen über allen anderen Menschen ist. Langsam begreifen vor allem Jo und Viola Runge, wieso Kahlyn niemanden an sich heran lässt und wieso Kahlyn immer wieder von ihrem Misstrauen Fremden gegenüber eingeholt wurde. Die Kinder der Runges, haben keinerlei Problem, Kahlyn so zu akzeptieren wie sie ist und nehmen alle Problem, die durch sie entstehen an, so wie sie halt sind. Als lösbar. Kahlyn lernt aber auch viele neue Freunde kennen und begreift langsam, dass sie völlig umdenken muss.
Kahlyn wir in diesem Teil aber auch Selbstbewusster. Sie lernt sich durchzusetzen und lernt auch einmal zu sagen, nein das will ich nicht. Aber, wie es nun einmal so ist, auch das Erlernen von Selbstbewusstsein fordert seinen Tribut. Man darf nicht vergessen, dass Kahlyn ja noch nicht einmal ein viertel Jahr in dieser ihr so fremden Welt lebt und auf der neuen Dienststelle ist.
Die Kollegen der neuen Wache erkennen bald, das immer wenn sie denken, jetzt kennen sie Kahlyn endlich etwas genauer, ihr neue Kollegin eine neue Überraschung für sie bereit hält. Sie stellen fest, dass sie noch lange nicht ahnen, was ihre Kollegin wirklich zustande bringt. Sie lernen Fähigkeiten von Kahlyn kennen, die ihnen den Atem nehmen und mehr als nur Angst einjagen und müssen begreifen lernen, dass Kahlyn in dieser ihrer Welt aufs äußerste gefährdet ist. Dass sie als Kollegen eine Verantwortung Kahlyn gegenüber übernehmen müssen, die ihnen bis zum Einsatz in Rostock nicht klar war.
Es kommt zu schlimmen Auseinandersetzungen, nicht nur mit den Kollegen der Wache, sondern auch mit ihrem Oberst und mit ihrem neuen Freunden auf der Wache. Diesmal läuft Kahlyn zwar nicht weg, aber sie will Gera für immer verlassen. Wieder einmal beginnt der Kampf um Kahlyn und ihr völlig verdrehte Denkweise. Immer noch haben die Kollegen der Wache nicht begriffen, dass Kahlyn nie jemanden etwas Böses tun würde, sondern alle nur beschützen will. Es spielt dabei keine Rolle, wann, wie und was sie tut. Die Sicherheit ihrer Kollegen stellt sie immer über ihr eigenes Wohl. Kahlyn bekommt sich aber auch mit ihrer besten Freundin Rashida in die Haare und die Kollegen der SEK Teams werden einmal mehr feststellen, dass sie noch lange nicht wissen, zu was diese Kinder wirklich fähig sind.
Aber ich denke ihr solltet selber lesen, was passiert, wenn ich hier alles schreibe, braucht ihr das Buch ja nicht mehr zu lesen.
Viel Spaß eure Autorin
Tag der Veröffentlichung: 28.10.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für meine Kahlyn,
die ich im Laufe des Schreibens,
wie eine Freundin lieb gewonnen habe
und alle meine Leser.
LG eure Katja