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Copyright

 

 

 

 

 

Der Roman, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung Autorin unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Die Personen und Handlungen in dieser Geschichte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Teil 1 ... Die Hundert

Teil 2 ... Team 98

Teil 3 ... Die letzten der Hundert

... Teil 4 ... Horror fürs Team ...

 

 

 

 

 

Impressum: 1. Auflage 2012

Mail: feenwinter@freenet.de

© Cover-Gestaltung: Katja Neumann

© Grafiken: Katja Neumann

Lektorat: Katja Neumann

Layout, Design: Katja Neumann

Letzte Überarbeitung: 11.Juni 2017

 

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Ein Blick zurück...

Lange Zeit hatte es gedauerte bis Kahlyn begriff, dass sie auf ihre neuen Kollegen vertrauen und sich immer auf deren Hilfe verlassen konnte. Endlich verstand sie, dass sie hier in der Wache Freunde besaß. Dass sie sagen konnte, was sie dachte, genau wie bei ihren Freunden in der Schule. Auch dass sie ihrem Vorgesetzten die Meinung sagen durfte, ohne dass sie Schläge zu erwarten hatte. Die Männer vom SEK61 in Gera, würden sie niemals wegen einer anderen Meinung schlagen oder verurteilen. Kahlyn wurde, obwohl sie noch so jung war, als vollwertiges Teammitglied anerkannt und vor allem zweifelte niemand mehr an ihren Fähigkeiten. Ein Gefühl der Geborgenheit hatte von ihr Besitz gegriffen, das sie noch nie in ihrem Leben vorfand. Immer noch verstand sie nicht alles, was die Kollegen von ihr wollten. Allerdings begriff das Mädchen langsam aber sicher, dass sie sich selber etwas mehr Zeit geben musste, um das Neue das sie umgab zu erlernen.

 

Der Stress und der Horror, um Kahlyn hörten einfach nicht auf. Wenn die Kollegen des SEK61 in Gera dachten, es würde jetzt endlich etwas ruhiger, um ihre so junge Kollegin werden, wurden sie enttäuscht. Auf der einen Seite, behielten sie zwar Recht, auf der anderen Seite irrten sie sich gewaltig. Zwar hörten endlich die Schreiattacken ihrer Kollegin auf, da sie erkannt hatte, dass sie ihre vergangenen Erfahrungen, von der Welt in der sie jetzt lebt, vollständig trennen musste. Kahlyn begriff langsam, dass das eine nichts mit dem anderen zu tun hatte und bekam sie ihre Anfälle fast vollständig in den Griff. Aber der Stress wurde deshalb nicht weniger.

 

Kahlyn, so schien es, zog schlimme Einsätze an wie ein Magnet das Metall. Allerdings brauchte es noch eine ganze Weile, bis Kahlyn in der Lage sein würde das zu erkennen und eine Möglichkeit finden konnte, dagegen vorzugehen. Für Kahlyn waren das alles normale und keineswegs schwere Einsätze. Ihre Kollegen allerdings machten diese Art von Einsätzen, langsam aber sicher systematisch kaputt. Die Kollegen des SEK61 fanden sich auf einmal in Einsätzen wieder, deren Gewaltigkeit sie nicht einmal erahnen konnten. Sie bekamen einen kleinen Einblick, in die Abgründe der Menschheit, von deren Existenz sie genauso wenige Ahnung hatten, wie einst Doktor Jacob. Sie begriffen erst mit der Zeit, welch ein Glück sie hatten, dass Kahlyn zu ihrer Einheit gestoßen war. Oder war dies eher ihr großes Pech?

Oft erklärte ihnen die neue Kollegin, dass das alles einfache und harmlose Einsätze wären. Diese Erlebnisse, holten ihre Kollegen sehr schnell auf den Boden der Tatsachen zurück. Die Schreiattacken mit Kahlyn, würden den Männern der Sender Teams, bald wie ein leichter Ausrutscher vorkommen. Denn die Einsätze die auf einmal, auf die Teams zukamen, waren nichts anderes als der blanke Horror und es waren TODESKOMMANDOS. Durch die Anwesenheit Kahlyns in dem Geraer Team, wurden immer mehr undurchführbare Einsätze, an das Team weitergeleitet.

Allein der erste große Einsatz den das Team mit Kahlyn erlebte, brachte die schon erfahrenen Kämpfer an den Rand der Verzweiflung. Viele von ihnen glaubten, in ihren schlimmsten Alpträumen gefangen zu sein. Dieser Einsatz war in Kahlyns Augen, ein Einsatz zum Warmmachen und diente der Erholung. Dieser Einsatz war es nicht wert, dass man darüber sprach. Der Einsatz war zwar nicht schön, aber darüber zu reden lohnte nicht. Sie führte die Teams mit traumwandlerischer Sicherheit durch den Einsätze, den die Teams trotz ihrer Erfahrung mit ihrem Leben bezahlt hätten. Vor allem ohne dass die Männer viel zu tun bekamen, die meiste Arbeit übernahm stets Kahlyn. Die Männer konnten trotzdem danach kaum mehr schlafen und waren tagelang kaum noch ansprechbar. Wenn die Teams allerdings dachten, es ginge nicht schlimmer, so irrten sie sich gewaltig. Es ging immer schlimmer, das wusste Kahlyn nur zu gut.

Immer wenn das SEK61 sich von einem Schock etwas erholt hatte, wurde dafür gesorgt, dass der nächste Kampf, die Grenze des Ertragbaren überschritt und es noch um einiges schlimmer für die Teams wurde. Nur gut, dass sie Kahlyn hatten, die die erwachsenen Männer auffing und ihnen zeigen konnte, wie sie mit diesem Wahnsinn klar kommen konnten.

 

Wie immer musste Kahlyn auch im SEK61 in Gera mehr arbeiten als ihre Kollegen. Auch während ihrer freien Tage, holte man sie gewohnter Weise zu Einsätzen.  

Die Runges mussten, genau wie Sender lernen, dass es nicht einfach werden würde, Kahlyn in ein normales Leben zu integrieren. Allerdings wurde es, mit jedem Schock den Kahlyn erlebe musste besser. Immer öfter begriff Kahlyn, dass man sie bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht ein einziges Mal als Mensch behandelt hatte. Der Zorn in ihr wurde immer schlimmer und es kostete sie immer mehr Mühe, ihren Zorn nicht an den neuen Freunden auszulassen.

Das Mädchen verstand sich selbst nicht mehr was mit ihr los war und zweifelte immer mehr an sich selber. Vor allem begriff die Ärztin in ihr nicht, wieso ihr das Fieber immer noch so schwer zu schaffen machte und sie einfach nicht zur Ruhe kommen ließ. Kahlyn suchte die Schuld für diese Tatsache, ständig bei sich. Denn keiner ahnte, was der wahre Grund für all ihre Beschwerden war... 

Erinnert euch ...

Von ganz weit entfernt hörte ich eine Stimme, die nach mir rief. "Kahlyn, du musst aufwachen. Mäuschen, wir müssen dann wirklich langsam los."

Ich öffnete die Augen und das Erste was ich sah, war mein John. "Ich komme sofort."

Ich stand vorsichtig auf und machte erst einmal einen Stehtest. Es kam immer einmal vor, dass einen die Beine nach einer solchen Prozedur nachgaben. Aber es war alles in Ordnung.

"Wann müssen wir los, John?"

Erkundigte ich immer noch völlig verschlafen und rieb mir müde das Gesicht.

"In zehn Minuten, Mäuschen. Entschuldige ich habe dich nicht eher munter bekommen. Du hast so fest geschlafen. Ich habe dich fast nicht munter bekommen."

Ich winkte ab und begriff, dass ich in einer ruhigen Minute, einmal mit John in Ruhe reden musste. Im Moment war dazu aber keine Zeit.

"Dann komm, John. Beeilen wir uns. Weißt du, was wir für Ausrüstung brauchen? Ich wollte eigentlich noch einmal kurz in das Dossier schauen. Damit ich Bescheid weiß, was ich an Ausrüstung mitnehmen muss."

John zuckte verlegen mit den Schultern. "Keine Ahnung, Mäuschen. Ich nehme immer nur Nahkampfausrüstung mit. Für den Rest, setzt mich Rudi sowieso nicht ein. Aber das Dossier, liegt bei Rudi im Büro. Da kannst du selber schnell einmal rein schauen. Ich denke zehn Minuten hast du bestimmt Zeit, wenn du nicht noch duschen gehen willst."

Ich nickte und lief im Laufschritt los. Der Einsatz würde hart werden. Das merkte ich schon bei den ersten Schritten. Mein Bein brannte wie Feuer. Doko Karpo hatte es etwas zu gut gemeint, mit der Dosierung. Allerdings war das um vieles besser, etwas mehr als zu wenig zu spritzen. Dies bedeutete zwar etwas mehr Schmerzen, aber dadurch wusste man, dass man den Brand in den Griff bekam. Da musste ich jetzt durch, was blieb mir anderes übrig.

Unschlüssig stand ich vor Rudis Büro, denn der war nicht anwesend. Ich schaute John fragend an. Gerade setzte ich zu der Frage an, ob ich überhaupt in das Dossier schauen durfte, als mir John schon die Antwort gab. Ich glaube er kannte mich schon ziemlich gut. Dankbar sah ich ihn an.

"Geh nur rein, Mäuschen. Das geht schon in Ordnung. Ich warte solange hier. Rudi schimpft nicht gleich wieder mit dir."

Ich ging also zum Schreibtisch und blätterte das Dossier durch. Grob und nicht ins Detail gehend, las ich mir den Ordner durch. Wir würden beides brauchen. Aber so wie ich das überblicken konnte, brauchte ich die Schwerter nicht. Aber irgendetwas stimmte dort nicht. Darüber musste ich im Bus noch einmal in Ruhe nachdenken.

"In Ordnung ich nehme beides mit", informierte ich John.

Sofort schloss ich das Dossier wieder und legte es wieder so hin, dass es nicht auffiel, dass ich daran war. Etwas, dass ich mir angewöhnt hatte, weil Mayer regelmäßig in die Luft ging, wenn wir an seinem Schreibtisch waren. Eilig lief ich zur Tür und ging auf John zu, der mich ganz verdutzt ansah. Das konnten wir alles im Bus regeln. Ich musste mich noch fertig anziehen. Deshalb lief ich weiter zu den Spinden und zog meine übliche Ausrüstung an. Diesmal zog ich auch meine Spezialschuhe an und legte meinen Nahkampfgürtel um. Ich rüstete ihn wieder aus. Auf die Schwerter, Tonfa und die Sai verzichtete ich allerdings, die würde ich nicht brauchen. Das alles dauerte keine vier Minuten, ich hatte halt einige Übung drin. Fertig ausgerüstet stand ich wartend an meinen Spind und sah John zu wie er sich fertig machte. Der schüttelte mit dem Kopf und war erstaunt, dass ich bereits fertig war.

"Na dann los, die anderen warten schon im Bus auf die Schlafmütze und ihren Wecker", rief uns Sender lachend zu.

Ich sah fragend zu John, der mich lachend ansah. Also war das keine Rüge, sondern ein Spaß, den sich der Major erlaubt hatte. Na ja sollte er nur lachen. Das würde ihm heute noch vergehen, ging es mir durch den Kopf. Sender hatte sich nur noch sein Dossier geholt, dass er im Büro hatte liegen lassen. Ich nahm meinen Medi-Koffer und folgte Beiden nach unten in den Hof. Wir bestiegen den Bus und ich setzte mich auf den gewohnten Platz, vorn in die erste Reihe, auf der rechten Seite, gleich neben den Einstig. Dies war ein guter Platz. Von dort aus konnte ich alles, was vor mir geschah, gut im Blick behalten. Was hinter mir passierte, interessierte mich nicht sonderlich, da saßen meine Freunde. Meine Freunde, ging es mir durch den Kopf. Ich wunderte mich über mich selber. Nie hätte ich mir das vorstellen können, in nur acht Tagen, so etwas wie eine Freundschaft aufbauen zu können. Trotzdem war es geschehen und ich war froh darüber. Dass ich eigentlich auf Senders Platz saß, war mir gar nicht bewusst. Ich hatte mich dort hingesetzt, weil es der einzige freie Platz war, als wir das erste Mal in das Einsatzfahrzeug stiegen. Mein Major hatte einfach akzeptiert, dass ich ihm seinen Platz gestibitzt hatte. Rudi konnte damit leben, er suchte sich einen anderen Platz. Mittlerweile wusste er nur zu genau, dass ich diesen Überblick immer brauchte, um alles genau beobachten zu können und so ein Gefühl von Sicherheit zu haben. Vor allem aber schnell agieren zu können. John setzte sich neben mich.

"Wie geht es dir Mäuschen?", erkundigte sich mein Freund besorgt.

"Es geht. Weißt du wie lange wir fahren? Ich hab nicht darauf geachtet, wo wir hinfahren. John bitte sage dem Major, in der Planung ist ein grober Fehler. Wenn wir so vorgehen, wie diese verdammten Theoretiker es da oben vorgeschlagen haben, werden viele verletzt oder müssen sogar sterben."

John sah mich verdutzt an. "Mäuschen, du hast keine drei Minuten in das Dossier geguckt. Woher weißt du das schon wieder? Rudi grübelt seit zwei Tagen und findet den Fehler nicht."

Müde sah ich John an. "John bitte, könnten wir das dann bereden. Ich würde gern noch etwas schlafen."

Der stand auf und ging vor zu Fran. Weil er ja auch noch nicht wusste, wo wir genau hinfuhren. Die Information, wo die Einsatzzentrale sein würde, bekam Rudi erst vor einer halben Stunde. Nach wenigen Augenblicken, kam er zurück.

"Du kannst in Ruhe schlafen Kahlyn, wir fahren fast zwei Stunden."

Dem Himmel sei Dank. Da konnte ich wirklich noch schlafen.

"John, ich würde euch allen empfehlen, noch etwas zu schlafen. Glaube mir, die Sache wird sich ziehen. Die ist nicht in zwei Stunden erledigt."

Wieder schaute mich John zweifelnd an. Ich winkte ab, ich hatte jetzt keine Lust zu reden. Ich fühlte mich wie gerädert und wollte noch etwas schlafen.

"Geht klar Mäuschen, ich sage es Rudi gleich."

John stand noch einmal auf und ging hinter zu Rudi. Ich rollte mich auf meinen Sitz zusammen. Aber es ging nicht. Mein Bein brannte wie Feuer, sobald ich es anwinkelte. John kam zurück und setzte sich wieder.

"John, darf ich mein Bein über deine Beine legen. Dann tut es nicht ganz so weh."

Besorgt sah mich unser Sanitäter an.

"John, es tut nun mal weh. Aber es ist nicht so schlimm. Nur wenn ich es anwinkle, dann brennt es wie Feuer. Es ist besser, wenn es etwas höher liegt, dann sind die Schmerzen nicht so schlimm."

"Na klar, mach nur Mäuschen. Aber verspreche mir eins, wenn es nicht geht, sagst du einfach Bescheid. Wir schaffen es auch ohne dich, versprochen Mäuschen?"

Ich nickte und lehnte mich an die Scheibe. Meine Beine legte ich über Johns Schoss. Drei Atemzüge später, schlief ich wieder tief und fest. Denn ich wusste mir konnte hier wirklich nichts geschehen. Nach anderthalb Stunden erwachte ich etwas erholter auf. John schlief noch. Ich schloss wieder die Augen und wandte eine Technik an, die wir schon sehr zeitig gelernt hatten. Kontrollierte auf diese Weise mein Bein. Ich hatte wieder einmal Glück gehabt, der Brand war aus der Wunde heraus. Das beruhigte mich sehr. Auch wenn mein Bein schmerzen würde, während des gesamten Einsatzes, die Gefahr war vorbei. Vorsichtig, um John nicht zu wecken, griff ich nach meinem Medi-Koffer, öffnete ihn und nahm den Ampullenkoffer heraus. Dann zog ich vierzig Einheiten B32 auf, das waren acht Spritzen, die ich in das Brillenfach meines Gürtels legte und dazu legte ich acht eingeschweißte Kanülen. Spritze mir gleich fünf Einheiten, so dass die Schmerzen nicht mehr so schlimm waren. Auf diese Weise, konnte ich unterwegs ohne großen Zeitaufwand, etwas gegen die Schmerzen unternehmen.

Der Vorteil der Schmerzmittel die wir verwendeten war, dass sie nicht wie Morphium abhängig machten. Die Wirkung war ähnlich stark, jedoch machten sie nicht deppert im Kopf. Man blieb ständig der Herr seiner Sinne, egal wie hoch man das Medikament dossierte. Man konnte sie im Notfall, also wenn es wie im Kampf, darauf ankam schmerzfrei zu sein, auch einmal sehr hochdosieren. Konnte sie am nächsten Tag sofort wieder absetzen, ohne, dass davon die Wirkung beeinflusst wurde oder man abhängig wurde. Ich würde bei dem Einsatz bestimmt auf fünfzig bis sechzig Spritzen kommen. Aber das war im Kampf oft so. Die maximale Dosierung, lag bei tausendfünfhundert Einheiten, also dreihundert Spritzen. Das hatten wir nur ganz selten gebraucht und noch seltener Überschritten. In den vielen Kämpfe die wir während unserer Schulzeit hinter uns gebracht hatten, waren wir oft auf zweihundert Spritzen pro Tag gekommen. Das Mittel, was ich mir heute Mittag gespritzt hatte, besaß zwar eine Langzeitwirkung und war viermal stärker als das B32, es würde aber nicht genügen. Bei einem Kampf, würde die Wirkung nicht in dem Maße die Schmerzen zu unterdrücken, wie wir es brauchten, um schmerzfrei zu sein. Im Kampf waren Schmerzen nur hinderlich. Wenn man Schmerzen hatte, konnte man sich nicht richtig konzentrieren und erst recht nicht frei bewegen, das war einfach nicht möglich.

Deshalb sorgte ich in während des Kampfes immer dafür, dass meine Teammitglieder keinerlei Schmerzen hatten. Auch ich konnte nicht kämpfen, wenn ich bei jeder Bewegung, gegen Schmerzwellen ankämpfen musste. Schmerzen lenkten einen nur von der eigentlichen Arbeit ab und Ablenkung im Kampf hieß nichts anderes, als eine höhere Verletzungsgefahr. Deshalb war es wichtig in einem Kampf schmerzfrei zu sein. Verdammt lange hatte es gedauert, bis Doko Jacob dieses Prinzip verstanden hatte und mir, zusammen mit Doktor Zolger den Chefwissenschaftler des Projektes half, ein solches Schmerzmittel zu entwickeln. Die Medikamentenreihe der Betäubungsmittel, also der B-Reihe, waren auf diesem Prinzip aufgebaut, genau, wie alle anderen Medikamente, die wir verwendeten. Je höher die Zahl hinter dem Buchstaben, umso höher war deren Wirkung.

Ich war froh, dass wir diese Mittel besaßen. Sonst hätten wir bei vielen der Kämpfe gar nichts mehr machen können. Sondern hätten uns vor Schmerzen zusammengekrümmt am Boden gesielt oder wären ständig völlig verwirrt oder wie besoffen, in der Gegend herumgelaufen.

Doko hatte am Anfang unsere Medikamente nicht bei anderen Projektbewohnern verwenden wollen und seine Patienten mit den handelsüblichen Medikamenten behandelt. Wir wunderten uns dann nur darüber, dass die Mitarbeiter teilweise über Wochen in den Betten der Krankenstation lagen und jammerten. Dass sich viel trotz der Medikamente kaum noch bewegen konnten oder wenn sie denn schmerzfrei waren, einen völlig verwirrten Eindruck auf uns machten. Doko erklärte mir, dass jedes Medikament, das er verwenden durfte, erst eine behördliche Genehmigung bräuchte und erst wenn er die hatte, durfte er sie an den Patienten anwenden.

Verwirrt von seiner Erklärung schlug ich ihm dann vor, frage doch einfach deine Patienten ob sie eure oder unsere Medikamente bekommen wollen. Es würde doch keiner etwas dagegen haben, wenn er zwar Rippenbrüche hatte, aber keine Schmerzen. Erst seit dem unser Doko anfing unsere Medikamente, auch bei seinen Patienten einzusetzen, soweit das möglich war und die das wollte, fiel keiner seiner Patienten mehr für so lange Zeit aus. Natürlich nur dann, wenn die Mitarbeiter es zuließen und ihm schriftlich die Genehmigung dazu gaben. Sogar Mayer schoss es mir durch den Kopf, ließ sich mit unseren Mitteln behandeln. Er meinte mal, dieser andere Medikamentenmist würde nichts taugen. Ja klar, vor allem vertrug es sich nicht mit seiner Sauferei.

Lachend räumte ich meinen Medi-Koffer wieder ein, während mir diese Gedanken durch den Kopf gingen und stellte ihn unter den Sitz. Im Anschluss schloss ich noch einmal für kurze Zeit die Augen. Der Schlaf war nur noch sehr oberflächlich. Aber dafür umso entspannender. Zwanzig Minuten fuhren wir noch und kamen endlich in der Einsatzzentrale an.

Kapitel 1

Fran weckte uns gleich nach dem er das Fahrzeug zum Stehen gebracht hatte. Völlig verschlafen stiegen wir aus dem Bus. Aber das würde sich, nach einem starken Kaffee schnell geben. Gemeinsam und uns die Augen reibend, verließen wir den Bus und gingen auf ein großes Gebäude zu. Wir öffnen die Tür und betraten eine Turnhalle. Kaum, dass die Tür sich geöffnet hatte, erlebten wir etwas, mit dem wir überhaupt nicht gerechnet hatten. Unsere sonst so emotionslose Kollegin rief oder sollte man besser sagen, schrie geradezu auf.

„Conny, mein Conny“, schrie Kahlyn und stürmte regelrecht los.

Rannte humpelnd in die Halle auf einen jungen Mann zu. Unser gesamtes Team, kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Kahlyn sprang den uns fremden Kollegen regelrecht an und fiel dem weißhaarigen Mann, um den Hals. Der nahm sie lachend hoch und setzte sie sich einfach auf seine Hüften. Danach drehte er sich ein paarmal mit ihr im Kreis. Es erfolgten zwei Küsse, einer rechts und einer links und eine freundschaftliche Umarmung. Keiner, wirklich keiner von uns, hatte diesem sonst so, emotionslosen Mädchen, diese Reaktion zugetraut. Wir standen da, mit herunter gelassener Kinnlade oder wie die Kuh vorm neuen Tor und staunten große bunte Bauklötzer.

Der weißhaarige Hüne, kam einfach mit Kahlyn auf den Hüften, auf unser Team zu. Unsere Kahlyn hielt sich an ihm fest, wie so ein Klammeräffchen und ließ ihn gar nicht mehr los. Kurz bevor uns die Beiden gänzlich erreichten, setzte er Kahlyn einfach wieder auf die Erde.

„Na, wenn das mal kein gutes Zeichen zum Beginn eines wunderschönen Einsatzes ist, dann weiß ich nicht, was wir sonst noch brauchen, um Glück zu haben. So nett wurde ich lange nicht mehr begrüßt und von euch hätte ich das schon mal gar nicht erwartet“, erklärte er lachend und tausend Teufel funkelten in seinen Augen.

Lange ging auf die immer noch sprachlos dastehenden Männer des Geraer Teams zu. Die Kahlyn anstarrten wie eine Fremde. Lachend sprach er weiter.

„Na Leute, habt ihr noch nie gesehen wie ein kleines Mädchen sich freut. Hallo bekommt euch mal wieder ein. Ich bin im Übrigen Major Cornelius Lange. Kahlyn kenne ich ja schon und wer seid ihr?“

Stellte er sich vor und lächelte die Kollegen immer noch an. Als das immer noch, völlig sprachlose Sender Team nichts sagte, ergriff Kahlyn das Wort.

„Conny, das hier ist Major Sender und sein Team. Ich hoffe ich bekomme alle Namen zusammen. Das hier ist John, Fran, Max, Ali, Wolle, Sep, Andi und Tom. Ich glaube, ich habe sie verschreckt. Ich hab ja nicht gewusst, dass du da bist. Du bist so gemein, warum hast du heute früh nichts gesagt? Ich freu mich so.“

Conny wuschelte Kahlyn über den Kopf. „Das habe ich grad gemerkt. So hast du mich ja lange nicht mehr begrüßt. Gestern haste mich einfach ignoriert, das fand ich gar nicht nett“, er zog dabei eine Schippe und bekam von Kahlyn einen freundschaftlichen Knuff in die Seite. „Ach Engelchen, ich wollte dich doch überraschen. Schön, dass es dir wieder besser geht. Heute früh, sah das aber ganz anders aus. Wenn du sowas nochmal machst Engelchen, hau ich dir die Ohren vom Stamm. Das ist keine Spaß, irgendwann Kahlyn, bringst du dich noch mal um, mit sowas“, schimpfte er jetzt ernst mit ihr.

„Ach Quatsch, so schnell sterb ich nicht, das weißt du doch.“

Endlich hatten sich auch die anderen wieder gefangen.

„Woher kennt ihr zwei euch eigentlich? Ihr scheint ja wirklich, alte Bekannte zu sein“, erkundigte sich Sender, der gerade seine Sprache wieder gefunden hatte.

Immer noch dachte er, dass das, was er eben gesehen hatte, ein Traum war. Ein schöner zwar, aber halt nur ein Traum. Interessiert musterte er diesen Cornelius Lange, ein junger braungebrannter Mann mit schneeweißem Haar. Den ihre Kahlyn scheinbar fest in ihrem Herzen eingeschlossen hatte.

„Ja, wir kennen uns schon eine halbe Ewigkeit. Obwohl wir einige Starschwierigkeiten hatten. Wie lange ist das her mein Engelchen?“, wandte sich Conny an Kahlyn.

Die überlegte krampfhaft und suchte in ihren Erinnerungen nach Daten. Nachdenklich lehnte sie sich an Conny und entlastete ihr Bein fast vollständig Conny sah sie verwundert an, sagte aber nichts dazu. Denn in dem Moment begann sie offen zu sprechen, wie sie noch nie im Beisein des Geraer Teams getan hatte.

„Das war damals bei der Geiselnahme in Rügen. Wo du zwischen die Fronten gerade bist. Das ist jetzt glaube ich sieben Jahre her. Dort hat dich dann auch, der Oberst entdeckt. Du warst damals noch so ein klitzekleiner, winziger und total arroganter Streifling“, grinste ihn Kahlyn, auf ihre Weise frech an.

Conny jedoch bekam es an ihrer Körperhaltung mit. Er kannte mittlerweile jede Reaktion des Mädchens. Conny holte aus und wollte ihr aus Spaß vor die Brust boxen. So wie er es halt immer machte, wenn er sein Engelchen neckte. Kahlyn jedoch drehte sich zur Seite weg und er stolperte vorwärts. Kahlyn hopste auf dem gesunden Bein herum, um den Schwung des Ausweichens abzufangen. Ein Spiel, was die Beiden fast immer abzogen, wenn sie aufeinander trafen.

„Verdammt Kahlyn, du sollst doch stehen bleiben, hab ich dir schon so oft gesagt. Verdammt, ich will dich doch nur einmal treffen“, rief er sich mit einer Rolle abfangend. Conny kam zurück und baute sich vor mir auf und grinste mich schelmisch an.

„Conny, ich habe dir vorgestern schon einmal gesagt, ich bleibe erst dann stehen, wenn du schwarze Haare hast, wie ich. Wenn du bis dahin fleißig übst, dann schaffst du das bis dahin bestimmt.“

Das ganze Sender-Team fing schallend an zu lachen, genau wie Conny, der ging vor Lachen wieder in die Knie. Kahlyn nahm sich vor, John einmal zu fragen, warum das so lustig war. Das war gar nicht möglich, also würde Conny sie nie erwischen. Na ja, manchmal verstand Kahlyn diese Leute halt nicht, das war halt so.

„Na los, kommt rein. Major Sender, ich würde mit ihnen gern den Einsatz durchgehen, in der zwischen Zeit könnt ihr euch ja beschnuppern. Also bis dann Kahlyn“, wieder wuschelte Conny seiner kleinen Freundin durch die Haare.

Kahlyn mochte diese Geste von ihm. Conny und Sender liefen nach hinten, in eine der Umkleidekabinen, in der sich Conny ein provisorisches Büro eingerichtet hatte, um in Ruhe arbeiten zu können. Kahlyn rief Conny nach.

„Conny, kann ich mir das da hinten einmal in Ruhe ansehen? So wie sich das die feinen Herren von der Theorie vorstellen, funktioniert das nicht.“

Conny drehte sich um und lief dabei rückwärts. „Ich bitte dich sogar darum Kahlyn. Vor allem will ich unbedingt deine Meinung zu diesem Gott verdammten Mist hören. Irgendetwas stimmt da nicht. Ich komme einfach nicht dahinter, was da nicht stimmt.“

Kahlyn nickte, das glaubte sie Conny gerne. Vorhin hatte sie nicht die Zeit dazu gehabt, alles durchzulesen. Ihr war aber sofort aufgefallen, dass irgendetwas an diesen Unterlagen falsch war. Sie hatte aber auch noch keine Ahnung was. Diesmal lief sie etwas langsamer in die Halle hinein, um zu den Memoboards zu kommen, an der Conny immer für alle sichtbar, alle wichtigen Informationen zu dem Einsatz angeheftet hatte. Immer drauf achtend, dass sie ihr Bein nicht zu stark belastete.

Der stürmische Lauf zu Conny und das Ausweichen, hatten regelrechte Schmerzsalven durch ihren Körper gejagt. Es würde wieder einmal ein Einsatz werden, bei dem sie durch die Hölle ging. Aber ihr war eins klar, dass sie bei diesem Einsatz mit musste. Vor allem dann, wenn sie die Verluste, so gering wie möglich halten wollte. Es würden ansonsten viele gute Männer der SEKs sterben. Deshalb konnte sie sich vor diesem Einsatz nicht einfach drücken. Conny war zwar gut, aber er war wie alle anderen, zu bestimmten Dingen einfach nicht fähig.

So oft Kahlyn verflucht hatte, dass man sie und ihre Freunde geschaffen hatte, bei solchen Einsätzen dachte sie immer, nur gut, dass es uns gibt. Sie konnte dadurch, viele schlimme Sachen verhindern. So würde es auch bei diesem Einsatz werden. Einen Einsatz, bei denen sie alle wieder einmal durch die Hölle gehen mussten.

Langsam ging Kahlyn, an den aufgehängten Karten, Bildern und Skizzen vorbei. Ja genau, das war der Fehler. Diese Terrain, konnte nicht wie die Aufklärung es beschrieben hatte, von zwanzig Leuten gehalten werden. Niemals, würden solche Gruppen dieses hohe Risiko eingehen und solch ein Gelände nicht ausreichend sichern. Diese Gruppen, hatten genug Geld, um auf Nummer sicher zu gehen. Vor allem bedeutete die Auflösung eines solchen Lagers enorme Verluste an Geld. Diese Labore der Drogenhändler, waren besser gesichert als jede Bank, da dort Waren lagerten, der Wert in die Millionen gingen. Die hatten lieber zu viele Leute vor Ort, als zu wenig, um im Fall der Fälle die Waren in Sicherheit bringen zu können.

Es waren mindestens achtzig bis hundert Leute notwendig, um dieses großes Terrain einigermaßen abzusichern. Das hieß, es würde noch mehrere Lager außerhalb geben, die im Schichtrhythmus, die Wachen ringsherum und im Bergwerk ablösen konnten. Eins der Bilder, nahm sie sich von der Tafel und sah es sich genauer an. Als sie von hinten jemand ansprach, der sie schon eine Weile beobachtet hatte. Sie spürte schon eine ganze Zeit dessen Blick, ignorierte ihn aber, so gut es halt ging.

„Kannst du schon lesen oder soll ich dir helfen? An deiner Stelle, würde ich ja mal die Sonnenbrille abnehmen. Dann kannst du wahrscheinlich auch etwas erkennen.“

Kahlyn holte tief Luft. Oh nein, ging es ihr durch den Kopf, nicht schon wieder dieser Brillenquatsch, den konnte sie einfach nicht mehr hören. Gerade als Kahlyn ihren Mund aufmachen wollte, um dem fremden Kollegen eine sehr passende Antworten zu geben, hörte sie Conny rufen. Und zwar in einem Tonfall, den sie bis jetzt bei ihm, nur ganz selten zu hören bekam. Innerlich dankbar, dass er ihr das heute ersparte.

„Kurt, was ist los?“, wollte Lange von seinem Teammitglied wissen.

Der drehte sich um und griente seinen Teamchef an. „Conny, nichts ist los. Ich machte das Küken hier, nur gerade darauf aufmerksam, dass hier die Sonne nicht scheint“, gab er selbstsicher zur Antwort und in einem so abfälligen Ton, dass Kahlyn tief Luft holte.

Was in diesem Moment geschah, verstand keiner der Anwesenden, weder jemand aus den beiden SEK Teams, aber erst recht nicht Kahlyn. Die Conny nur als ausgeglichenen, ruhigen und immer zu Späßen auf gelegten Kameraden kennen gelernt hatte. Conny rannte wütend auf sein Teammitglied zu und zwang ihn mit Schlägen, zum Rückwärtsgehen und an die Wand. Conny lief dunkelrot an, die Schlagadern an seinem Hals wurden erschreckend sichtbar. Etwas, was noch nie geschehen war und Kahlyn hatte Conny schon einige Mal tüchtig zur Weißglut gebracht. Nicht einmal die Mitglieder des Lange Team, hatte so etwas je erlebt und in den Anfangsjahren, als Conny Lange dieses Team übernommen hatte, kam es zu einigen bösen Auseinandersetzungen. Die Leute von Conny starrten ihren Chef entsetzt an.

Conny, dunkelrot im Gesicht und schwer atmend, drückte sein Teammitglied mit einer Hand an die Wand, so dass sich der mit Kurz angesprochene, nicht rühren konnte. Mit der anderen Hand, was von der enormen Kraft zeugte, die dieser Mann besaß, riss er seinem Untergebenen das fest angenähte Teamabzeichen der SEK vom Overall. Dann ließ Conny Kurt schwer atmend los. Tief atmend versuchte sich der Teamleiter des Lange Teams zu beruhigen. Cornelius Lange ließ seinen Kollegen, der völlig geschockt dastand, einfach stehen. Der Major wollte sich einem seiner Männer zuwenden, überlegte es sich in gleichen Augenblick aber noch einmal anders. Im Weggehen verlangte er von dem Kollegen, den er eben an die Wand gedrückt hatte und über seine Schulter.

„Kurt, deine Waffen und deine Marke. Und das ein bisschen avanti, du hast all meine Geduld aufgebraucht“, befahl Lange in einen wütenden Ton, den niemand so richtig nachvollziehen konnte. Daraufhin drehte er sich weiter um und wandte sich an einen anderen Kollegen, der genauso erstarrt war, wie der angegriffene und der Rest des Teams. Lange gab auch diesem kurze, aber konkrete Anweisung.

„Simon, eine Waffenkiste hierher und zwar sofort. Werner, rufe bitte, für Kurt einen Toniwagen. Es reicht. Das Maß ist voller als nur voll“, schwer atmend holte er Luft und wandte sich wieder Kurt zu. Er sprach zu ihm in einem leisen, aber sehr strengen Ton, der so gar nicht zu dem Ausraster passte, den die Kollegen gerade erlebt hatten.

„Und du mein Freund, solltest einmal tief in dich gehen und über dein Verhalten nachdenken. Ich habe dir heute früh, das ist noch keine 6 Stunden her, bei der Einsatzbesprechung gesagt, noch einen einzigen Fehler und du bist raus. Du bist wohl der Meinung, du hast hier in diesem SEK absolute Narrenfreiheit und kannst dich aufführen wie der König höchst persönlich, nur weil dein Herr Papa der Polizeirat ist? Mein Freund das ist auch nur ein Titel. Denkst du vielleicht, du bist etwas Besonderes und hast deshalb einen Sonderstatus inne? Viel zu lange habe ich mir das Theater mit dir angesehen und ich bin ganz bestimmt ein sehr geduldiger Mensch. Ich habe dir so ein Haufen Chancen eingeräumt, dich hier einzugliedern, um dich zu beweisen und mir zu beweisen, dass ich dir trauen kann. Was ich zugegebener Maßen nicht tue. Nicht eine einzige Chance hast du auch nur ansatzweise wahr genommen. Das Einzige mit dem du wirklich gut bist, ist im Maul aufreißen. Heute mein Freund, bist du zu weit gegangen“, dabei drehte er sich zu Kahlyn um und zeigte auf sie. „Dieses Küken hier, wie du sie gerade genannt hast, hat mehr auf den Kasten, als alle neunzehn Kameraden die hier stehen. Dieses Küken hier, wie du sie nennst, hat mir schon mehr als ein Duzendmal, das Leben gerettet“, wütend und immer noch schwer nach Luft ringend, sah er sein Teammitglied an, zwang sich weiterhin zum Leise sprechen. „Dieses Küken hier, wie du sie gerade genannt hast, ist tausendmal besser und hunderttausendmal mehr wert, als du verdammter hinterhältiger Bastard. Weil sie ehrlich ist, kameradschaftlich und selbstlos und vor allem, weil sie nicht so ein verdammtes Egoistenschwein ist, wie du. Vieles mein Freund, von dem was ich kann, habe ich von ihr gelernt. Die hat schon gekämpft, da bist du noch in die Schule gegangen. Ich habe die Schnauze gestrichen voll von dir und deinem selbstgefälligen Getue. Ich kann dich einfach nicht mehr ertragen. Deine Waffen und deine Dienstmarke. Du bist ab sofort suspendiert“, fordernd stand Cornelius Lange von seinem Kollegen, der ihn ansah, als wenn er ihn falsch verstanden hätte. „Kurt, brauchst du es schriftlich. Deine Waffen, deine Dienstmarke und zwar sofort.“

Der Kollege hatte sich wieder gefangen. „Conny…“ weiter kam er nicht.

Conny fauchte ihn böse an. „Bist du taub, Kurt? Ich will von dir nichts mehr hören. Halte sofort deine Klappe, bevor ich meine ganze gute Erziehung vergesse und deinem Vater einmal erzähle, was du in Wirklichkeit für ein kaputtes Arschloch bist. Du konntest mich vielleicht auf der Polizeischule drangsalieren, aber jetzt nicht mehr, mein Freund. Ich habe nicht vergessen, was du mir vor acht Jahren angetan hast, Kurt. Ich sehe es jeden Tag, wenn ich in den Spiegel sehe. Geh mir aus den Augen, bevor ich etwas tue, was ich später bitter bereuen würde“, schweratmend, stand Conny vor seinem Kollegen.

Kurt begriff, dass er den Bogen überspannt hatte. „Conny, es tut mir leid, was damals passiert ist, wirklich.“

Conny jedoch schüttelte den Kopf. „Das interessiert mich nicht mehr. Das ist vergeben und vergessen, aber es ist ein Faktum, weshalb ich dir nicht über den Weg traue. Du bist eine hinterhältiges Arschloch und ein Versager dazu. Wichtig ist nur, dass ich dir auch heute nicht über den Weg traue. Du hast mir mehr als einmal bewiesen, dass dir keiner den Rücken zuwenden sollte. Du bist arrogant, du bist überheblich, du bist selbstsüchtig und du bist derartig in dich selbst verliebt, das mir schlecht wird. Denkst von dir, dass du alles kannst und bringst nicht einmal die mindesten Anforderungen die für die Aufnahme in ein SEK Team notwendig sind. Du hast die Aufnahme ins SEK nur geschafft, weil dein Vater dir die Prüfungsaufgaben regelrecht eingebläut hat und die Ergebnisse der praktischen Prüfungen zu deinem Gunsten ändern lies, das hat er mir einmal gestanden. Vor allem mein Freund, hast du von absolut nichts eine Ahnung. Nicht einmal die einfachsten Dinge, wie einen Fußfeger oder das Reinigen einer Waffe bekommst du ohne Hilfe geregelt. Laufe Streife, das kannst du gerade mal noch so schaffen, ohne andere in Gefahr zu bringen. Obwohl ich mir da auch noch nicht sicher bin, selbst da wirst du deine Kollegen in Schwierigkeiten bringen. Verschwinde mir aus meinem Sichtfeld, Kurt bevor ich mich vergesse.“

„Conny...“, wollte Kahlyn versuchen, ihren aufgebrachten Kollegen und Freund zu beruhigen.

Der schüttelte wütend den Kopf. „Lass gut sein Kahlyn, das hat nichts mit dir zu tun. Es war nur der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Kurt ist erst seit drei Monaten in unserem Team, musst du wissen und macht seit dem nur Ärger.“

Kurt holte seine Waffen und legte sie in die Kiste, seine Marke dazu.

„Die am Wadenhalfter auch“, befahl Conny, in einem Ton der keinen Widerspruch zu ließ.

Kurt bückte sich und gab auch diese Pistolen heraus.

Werner kam aus Connys Büro. „Der Toniwagen ist in drei Minuten da. Soll ich den Polizeirat informieren.“

Conny schüttelte den Kopf. „Nein, der bekommt nach dem Einsatz von mir einen mehr als ausführlichen Bericht, über Kurts Verhalten in den letzten zehn Jahren. Damit er endlich einmal kapiert, was er sich da für einen Bagaluten herangezogen hat. Im Moment habe ich dazu keine Nerven. Bitte Werner, sei so gut und kontrolliere Kurt. Ich möchte ihn nicht anfassen, bei mir wäre das heute bestimmt nicht schmerzfrei. Kontrolliere, ob er noch irgendwo am Körper Waffen versteckt hat. Er geht nur im Overall, alles andere bleibt hier.“

Werner nickte und nahm sich seines Kollegen an. Conny drehte sich zur Wand um und stützte sich mit den Händen dagegen, um sich vollständig zu beruhigen. Ihm war es unangenehm, dass er sich vor dem Team aus Gera so hatte gehen gelassen. Er konnte diesen Menschen einfach nicht mehr ertragen. Es dauerte trotzdem noch fast zwei Minuten, bis Cornelius Lange herunter gefahren war und wieder normal denken konnte. Tief holte er noch einmal Luft und drehte sich zu dem Geraer Team um. Entschuldigend wandte er sich jetzt an das erschrockene Sender-Team.

„Entschuldigt bitte, dass ihr Zeugen dieser Auseinandersetzung geworden seid. Ihr habt jetzt einen völlig falschen Eindruck, von mir bekommen. Normalerweise gehe ich nicht so, mit meinen Leuten um. Aber dieser Kollege hier, hat mich in den letzten drei Monaten mehr Nerven gekostet, als alle anderen in den letzten vier Jahren. Bereits vier meiner Leute, liegen wegen dessen Unfähigkeit und Selbstverliebtheit im Krankenhaus. Immer wieder versprach Kurt sich zu ändern. Aber er tut es allerdings nicht. Irgendwann muss mal Schluss sein. Dass er jetzt Kahlyn angegriffen hat, nur weil sie so jung aussieht und eine Sonnenbrille trägt, ist eine Frechheit. Meine Männer wurden heute früh bei der Einsatzbesprechung, von mir drauf vorbereitet. Aber der gute Kurt hatte besseres zu tun, er musste schlafen. So wie er es jedes Mal macht, wenn wir Einsatzbesprechung haben. Das Maß ist einfach gestrichen voll. Ich kann bei diesem Einsatz, keine Leute gebrauchen, die Helden spielen wollen und nur mit dem Maul groß sind. Dann ist die Hälfte unserer Leute im Anschluss tot. Der Einsatz heute ist er viel zu gefährlich, um jemanden einen Großmaulhelden spielen zu lassen.“

In der Tür der Turnhalle, erscheinen zwei Uniformierte.

Conny ging auf die beiden Kollegen zu.

„Guten Tag Genossen, bitte bringen sie Leutnant Schwarz zur nächsten Wache und lassen sie ihn dort festsetzten. Er bleibt im Gewahrsam, bis ihn sein Vater der Polizeirat abholen lässt, bzw. in selber abholt. Bitte legen sie ihm Handschellen an und rechnen sie damit, dass er sich zur Wehr setzt. Er ist unberechenbar und zähzornig. Wir hatten hier schon einige tätliche Auseinandersetzungen, bei dem er einen Kollegen so schwer verletzt hat, dass ich ihn nur mit Mühe retten konnte. Seien sie also bitte vorsichtig und lassen sie auch in der Zelle die Handfesseln um. Es ist zu ihrer eigenen Sicherheit.“

Lange übergab sein ehemaliges Teammitglied, an die Kollegen des Streifenwagens.

Kurt sah ihn zornig an. „Conny, das kannst du doch nicht machen, wir sind doch alte Freunde.“

Conny drehte sich um. „Wir und alte Freunde, Leutnant Schwarz? Kommen sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Das waren wir noch nie und werden es auch niemals werden. Würden sie Leutnant Schwarz, bitte die formelle Ansprache einhalten. Es heißt korrekt Major Lange und sie. Conny dürfen mich nur Menschen nennen denen ich traue. Führen sie ihn ab.“

Damit war für Conny, das Thema vom Tisch. „Tut mir leid“, sagte Lange nochmals zu beiden Teams und holte tief Luft. Man merkte, dass es ihm schwer fiel, sich zu beruhigen. „Setzt euch bitte Kollegen. Ich muss nur noch einen dringenden Anruf machen. Simon, sorge dafür, dass alle Kaffee bekommen. Mir einen extra großen und starken zur Beruhigung meiner Nerven“, versuchte er einen lockeren Spruch zu machen, was ihm gehörig misslang.

 

Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ Conny erst einmal alle stehen und lief nach hinten ins Büro. Kaum dort angekommen, ging er ans Telefon und wählte eine Nummer, die er aus dem Kopf kannte. Kaum hatte er die Nummer fertig gewählt, meldete sich schon Oberst Fleischer.

„Soko Tiranus, Oberst Fleischer am Apparat.“

Conny holte tief Luft, um sich zu beruhigen. „Willy, hier ist Conny. Sag mal ich bräuchte sofort zwei deiner Leute. Ginge das kurzfristig, ohne erst Anträge zu stellen, bitte. Es ist folgendes…“ Kurz erläuterte er Oberst Fleischer, was geschehen war und weshalb er seinen Kollegen gerade aus dem Team geworfen hatte. Der Oberst hörte sich Connys Darstellung ohne Unterbrechung an.

„Conny, beruhige dich erst einmal. So aufgebracht kannst du doch nicht arbeiten. Es ist in Ordnung, dass du das gemacht hast. Kurt Schwarz, das habe ich dir schon ein paarmal gesagt, ist eine Bedrohung für deine Teams. Ich hätte ihn schon längst gekickt. Wenn du willst, kann ich den Polizeirat auch informieren, dann musst du das nicht machen. Wen von meinen Leuten willst oder besser brauchst du? Gosch denke ich mal auf alle Fälle, denn auf diese Weise ist der Kollege am schnellsten da. Wen noch?“

Conny überlegte schnell. „Mario, wenn er nicht gerade frei hat.“ Oberst Fleischer schwieg einen Moment. Man bekam mit, wie er den Hörer hinlegte und ein paar Schritte lief. Dann hörte man ihn, aus der Ferne rufen „Gosch, Mario, sofort in mein Büro, Sondereinsatz für euch.“

Einige Sekunden später nahm Oberst Fleischer den Hörer wieder auf. „Conny, das geht klar. Ich denke in zwei Stunden wird Gosch bei Euch sein. Könnt ihr noch so lange warten?“

Conny sah kurz auf die Uhr, es war gerade 16 Uhr 45, das ging in Ordnung. „Klar das reicht voll und ganz Willy. Ich mache um 20 Uhr 30 eine zweite Einsatzbesprechung. Es wäre schön, wenn Mario daran teilnimmt. Gosch und Kahlyn, sind sowieso ein eingespieltes Team, die verstehen sich ohne Worte. Aber eine Bitte habe ich doch noch an dich. Kannst du mir vier gute Männer schicken, für mein Team. Durch Kurt habe ich vier gute Leute verloren. Drei davon, werden wohl nie wieder einsatzfähig werden. Ich brauche hier wirklich ein paar zuverlässige Männer, die sich auch eingliedern können. Kannst du mal schauen, ob du jemanden zu mir umleiten kannst. Bitte, sonst werde ich noch schneeweiß, du weißt ja wie grau ich schon bin“, lachte er gezwungen.

„Geht klar Conny, ich schau, was ich machen kann. Hab schon vier im Kopf. Ich muss nur sehen ob sie frei sind. Also viel Erfolg. Hab schon gehört, das wird ein Horrortrip.“

Conny nickte laut brummend. Das war ja auch der Grund, weshalb er Kurt jetzt doch noch rausgeschmissen hatte. Der würde den ganzen Einsatz gefährden. Die geringe Chance, die sie hatten, würde dieser Möchtegernheld auch noch vermasseln. Er hatte in den letzten drei Monaten genug Leute verloren, durch dessen Schuld.

„Jupp, da hast du mehr als nur Recht, Willy Ich weiß nur zu genau, was das wieder für ein Horror wird. Aber ich habe eine gute Chance, durch Kahlyn. Die findet immer irgendeinen Weg, uns unbeschadet durch diesen verdammten Schlamassel zubringen. Hoffen wir, dass sie nicht ausfällt. Sie ist schlimmer verletzt, als sie zugibt. Sie humpelt.“

Der Oberst war entsetzt. „Siiiie macht waaaas?“ fragte der Oberst nach, weil er dachte, dass er sich verhört hatte.

„Du hast richtig gehört, Willy. Kahlyn humpelt und nicht nur ein wenig, sondern sie entlastet ihr rechtes Bein fast vollständig“, wiederholte Conny.

„Wenn Kahlyn humpelt, dann hat sie unvorstellbare Schmerzen. Du willst sie trotzdem mitnehmen?“

Conny schüttelte automatisch den Kopf, auch wenn der Oberst es nicht sehen konnte. „Willy, ich will sie nicht mitnehmen, aber ich muss. Ohne Kahlyn, haben wir überhaupt keine Chance. Aber ich rede mit ihr. Deshalb will ich Gosch hier haben. Ich lasse Dr. Jacob holen, damit er sich das Bein ansieht. Dem Doko wird schon etwas einfallen, wie er sei einigermaßen schmerzfrei bekommt. Dem guten alten Doko fällt doch immer etwas ein.“

Das war der Conny, den der Oberst kennt. „Geht klar, Conny. Ich kläre das mit Gosch und dem Doko. Vielleicht kann er es so einrichten, dass er gleich beim Doktor vorbeifliegt und ihn mitbringt. Ich rufe Jacob gleich einmal an. Mache dir keine Sorgen, ich bekomme das schon geregelt.“

Conny atmete erleichtert aus. Gleich zwei Sorgen hatte er jetzt weniger. Er bekam wieder gute Leute und vor allem wurde Kahlyn versorgt.

„Danke Willy, du rettest mir gerade mein Leben und meinen Seelenfrieden. Also bis später, ich melde mich bei dir, wenn der Einsatz vorbei ist.“

Conny ließ sein Genick knacken und legte auf. Etwas entspannter verließ er sein Büro. Er hatte sich vollständig gefangen und war wieder er selbst. Major Lange lief eilig vor zu den Anderen. Die unterhielten sich in gemischten Gruppen. Conny war froh, dass sein Ausflipper keine bleibende Spannung, zwischen den Teams erzeugt hatte. Das wäre mehr als schlecht gewesen.

„So Leute, jetzt mal von den unerfreulichen Dingen in unserem Leben, zu den weniger angenehmeren Dingen, die da auf uns zukommen. Setzt euch“, bat Conny grinsend, der wieder ganz der alte war.

Seine Leute befolgten seine Bitte sofort und setzten sich. Das Sender Team stand allerdings immer noch, um ihren Teamleiter herum und ignorierte die Aufforderung des Einsatzleiters vollständig.

„Bitte meine Herren, setzen sie sich. Major Sender und Kahlyn kommen bitte vor zu mir.“

Das Team reagierte immer noch nicht. Deshalb ging Conny auf das Team zu, um nachzusehen, was dort los war. Sender war vertieft in einer heißen Diskussion mit Kahlyn, hatte die Aufforderung von Conny gar nicht mitbekommen, das war ein verdammt schlechtes Zeichen.

„Was ist los? Muss ich euch eine schriftliche Aufforderung schicken, damit ihr euch setzt? Bitte. Leute, uns läuft die Zeit davon“, erst jetzt bekam Sender mit, dass Conny etwas gesagt hatte.

„Entschuldigen sie Kollege, wir müssen hier schnell etwas klären. Aber vielleicht, können sie bei Kahlyn mehr erreichen, als wir. Auf uns hört sie einfach ja nicht.“

Conny nickte, er konnte sich denken, um was es bei der Diskussion ging. „Setzen sie sich bitte. In den Teams, in denen ich die Einsatzleitung habe, ist es üblich vor Einsätzen miteinander zu reden. So werden wir das jetzt auch machen. Also, bitte meine Herren nehmen sie Platz. Wir werden auf alle Probleme eingehen. Es bringt niemanden etwas, mit einem Problem in einen Einsatz zu gehen. Das erhöht die Verletzungsgefahr enorm“, erklärte er dem Geraer Team, dass was auch Kahlyn immer jedem Team erklärte.

Alle setzten sich. Sender und Kahlyn begleiteten Conny, mit vor die Mannschaft. Conny stellte entsetzt fest, dass Kahlyn immer schlechter laufen konnte.

„So, jetzt erst einmal ein herzliches Willkommen, an das Team Sender. Es kommt zwar spät, aber doch von Herzen. Auch möchte ich mich noch einmal, für mein Auftreten von vorhin entschuldigen. Das ist wirklich nicht meine Art der Menschenführung. Aber bei diesem Einsatz, können wir keine falschen Helden gebrauchen. Dazu ist er einfach zu gefährlich. Also beginnen wir, nochmal von vorn. Da wir uns noch nicht kennen, werde ich uns mal vorstellen. Als erstes, bei mir zählen keine Sternchen und Streifchen. Bei mir werden alle gleichen Ranges angesehen. Bei mir gibt es kein Sie und kein Sir. Wer bei mir etwas zu sagen hat, sagt es auch. Selbst dann, wenn es noch so unbedeutend erscheint. Nur, wenn wir uns wirklich vertrauen und wenn wir gut zusammenarbeiten, können wir aus diesen Horroreinsätzen heil heraus kommen. Ist das klar? Habt ihr das alle verstanden?“ Lange sah in die Runde und sein Blick blieb breit grinsend bei Kahlyn hängen.

„Immer guckst du mich an, Conny. Das ist nicht fair. Ich habe es ja kapiert. Außerdem benutzt du meine Sätze, das ist gemein und dann, guckst du auch noch mich an“, den Schelm in den Nacken sitzen nickte Kahlyn und lachte Conny auf ihre Weise an.

Wusste sie doch wie schwierig das am Anfang war. Conny lachte zurück. Beide hatten diese Situation schon so oft gehabt, sie liebten diese kleinen Neckereien. Conny genauso wie Kahlyn.

„Ja ja, lach mich nur aus Engelchen. Aber in Ordnung, wenn alle soweit sind, fange ich mal an. Also jetzt einmal kurz zu mir. Ich bin Cornelius Lange, von allen die jemals mit mir zu tun hatten, kurz Conny genannt. Ich bin hier in diesem Team, derjenige der die Hosen an hat und das Sagen hat“, alle lachten. „Ihr seid so zu sagen dazu verdammt, auf mich zu hören. Ich bin das, was man einen Allrounder nennt. Nahkampfexperte, Scharfschütze, Bombenexperte, Sanitöter. Ja lacht nur, ich nenne mich selber so. Auch kann ich verschiedene Hubschrauber und Kampfjets fliegen und bin Seelsorger und Babysitter in einem. Mein Team besteht leider, im Moment nur noch aus vier Kollegen und meiner Wenigkeit. Die anderen vier von uns, liegen wegen Kurts Unfähigkeit, im Krankenhaus. Deshalb arbeiten wir heute, leider unter erschwerten Bedingungen. Wir sind nicht eingespielt. Ich danke aber meinen Kollegen von Deltateam, dass sie eingesprungen sind, obwohl sie eigentlich frei habe. So das hier ist…“ nach und nach rief er jeden der Kollegen auf und jeder musste etwas von sich sagen. Als sein Team durch war, wandte er sich an Sender und ging gleich zum Vornamen über.

„Rudi, bitte jetzt dein Team. Kahlyn lassen wir bitte heraus, die stelle ich dann selber vor. Das ist dir doch Recht.“ Kahlyn nickte dankbar. Denn sie hasste dieses Vorstell-Szenario immer. So stellten sich auch alle aus dem Team Sender vor. Alle fassten sich kurz und knapp.

„So jetzt mal zu meinem Engelchen hier. Das hier ist Kahlyn, sie hat keine Vornamen, sie ist einfach nur Kahlyn, ganze sechszehn Jahre jung, seit dreizehn Jahren im Dienst und das mit einer hundert prozentigen Erfolgsquote. Wenn man das mal so sagen darf. Ja guckt nicht so, es ist wahr sie sammelte bereits mit drei Jahren, die ersten Erfahrungen bei solchen Einsätzen. Hat also mehr Erfahrung, als die meisten von euch. Sie ist eine Ikone, in allem, was das Kämpfen angeht. Wenn ihr schlau seid, macht ihr es wie ich, guckt euch ab, was nur geht. So mehr muss man zu dir nicht sagen oder?“

Dabei griente er Kahlyn an. Die zuckte allerdings nur mit den Schultern, wie immer kapierte sie nicht, auf was Conny hinaus wollte.

„Zu Eurer Information: Heute früh hat Kahlyn, in einer unglaublichen Aktion. Einen Geiselnehmer, der fast acht Tage Vorsprung hatte, aufgespürt und trotz des Unwetters, bei dem all seine Spuren weggespült wurden, gefunden und die Geisel befreit. Sieben Tagen lang, versuchte eine fünfunddreißigköpfige Soko, diesen Mann mit seiner Geisel aufzuspüren und es gelang ihnen nicht. Ich sage das nicht, um Kahlyn hier in Verlegenheit zu bringen“, lächelnd sah er sie an. „Ich weiß, du magst so etwas gar nicht. Ich sage das hier nur, damit ihr begreift, dass es dieser kleine Engel drauf hat. Viele, so auch ich, begriffen das immer erst nach dem ersten Einsatz. Also vertraut auf das, was sie Euch sagt. Sie weiß einfach, von was sie spricht.“

Conny sah zu seinen Männern die alle nicken. Die wussten, dass sich ihr Chef immer schwer tat, jemanden zu loben. Wenn er es aber machte, dann war derjenige wirklich gut. Diese Kahlyn, musste also wirklich etwas Besonderes sein. Ihr Major schwärmte ja geradewegs von ihr.

„So jetzt zu dir Kahlyn. Ich weiß, dass du verletzt bist. Ich kann mir denken, dass Rudi mit dir gerade sehr intensiv über deine Einsatzfähigkeit gesprochen hat. Er kennt dich nicht so genau, wie ich. Ich weiß, du kannst jetzt im Moment kaum laufen. Wie sieht es aus, bist du einsatzfähig ja oder nein? Ich weiß auch, dass ich dir in dieser Hinsicht vertrauen kann“, ernst sah er Sender an, der gerade etwas sagen wollte.

Allerdings schüttelte Conny leicht seinen Kopf. Deshalb schwieg Sender, erst einmal, er würde dann noch einmal unter vier Augen mit Conny reden. Kahlyn, die es gewohnt war, auf beiden Beinen zu stehen, verlagerte das Gewicht auf das gesunde Bein.

„Conny, du kennst mich. Ich war schon schlimmer verletzt als jetzt und habe die Einsätze geleitet. Habe alle erfolgreich zum Ende gebracht“, wollte sie der direkten Antwort ausweichen.

Conny ließ das jedoch nie zu. „Ich möchte eine klare Aussage von dir Kahlyn. Höre auf herum zu eiern“, schimpfte er seine kleine Freundin aus.

Kahlyn holte genervt Luft. „Conny ich weiß es nicht. Im Moment würde ich sagen, ich bin noch einsatzfähig. Aber, wenn es noch schlimmer wird, wird es schwierig. Du weißt aber auch, dass ich während des Einsatzes, die Schmerzen vollständig ignorieren und sie mir zum größten Teil wegspritzen kann. Ich will mir nur jetzt noch nichts spritzen, ich werde im Einsatz noch genug brauchen. Außerdem habe mir vorhin im Bus, vor ungefähr einer Stunde schon fünf Einheiten gespritzt. Beim Einsatz spritze ich mir die Schmerzen weg, das weißt du. Ich werde, wenn die Besprechung vorbei ist, noch etwas schlafen. Ich hoffe sehr, dass es dann besser geht. Genauere Informationen kann ich dir im Moment dazu nicht geben.“

Conny wusste dass diese Worte wahr waren, denn er sah es an Kahlyns gesamter Körperhaltung. Momentan war ihr mehr nach Sterben, als nach Leben zu mute.

„Gut, damit kann ich leben. Jetzt weiter…“

Plötzlich unterbrach er sich. „Uwe, Felix, seid ihr bitte so lieb und bringt mal von hinten aus der Halle, einen der Kästen ungefähr einen Meter hoch.“

Die beiden Angesprochenen, standen auf und holten einen dieser stapelbaren Kästen, die man zum Bockspringen im Turnunterricht benutzte.

„Ja stellt ihn hier her. So Kahlyn, setze dich, dann musst du wenigstens nicht stehe.“

Kahlyn setzte sich, dankbar und ganz leise nur für Conny bestimmt, sagte sie. „Danke“ Ihr war schon schlecht vom Stehen, ihr Bein wurde immer schlimmer. Hoffentlich hielt sie durch, ihr war himmelangst und bange, bei dem Gedanken an den Einsatz. Conny sprach indessen weiter.

„Danke Jungs. So weiter im Text. Kahlyn, du hast mir vorhin gesagt, mit der Einsatzplanung stimmt etwas nicht. Das haben Rudi und ich, auch schon festgestellt. Wir kommen nur beide nicht dahinter, wo der Gedankenfehler unserer Taktiker liegen könnte. Helfe uns bitte mal auf die Sprünge. Was ist uns entgangen? Ich weiß du hast einen Blick für Details, die wir manchmal übersehen.“

Kahlyn die im Moment gegen den Schmerz kämpfte, der jetzt schon bis hoch in die Hüfte zog, atmet tief durch. Vorsichtig wollte sie aufstehen. Conny der sie genau beobachtet, schüttelte den Kopf, also bleibt sie einfach sitzen. Das war auch besser so.

„Es ist so, seht euch einmal das Terrain an“, entschlossen zeigte sie hinter sich, auf das abgesteckte Gebiet. „Die den Einsatz geplant haben, gehen davon aus, das das Gelände von nur zwanzig Leute bewacht wird. Die sich gegen unseren Zugriff zur Wehr setzen würden. Das kann nicht sein. Du weißt Conny, das ist nicht mein erster Einsatz gegen die Drogenmafia. Die haben genug Geld um sich mehr Sicherheitskräfte zu leisten. Es geht bei deinen um verdammt viel Geld.“

Kahlyn stand nun doch auf, so konnte sie nicht arbeiten und humpelte mühsam zu der Tafel. Sie stellte sich auf das gesunde Bein, entlastet das andere Bein, damit komplett. Conny entging das nicht, das hat er von Kahlyn noch nie erlebt. Es musste wirklich schlimm sein, mit den Schmerzen.

„Seht euch das hier einmal an. Hier hinten ist eine Art Kessel, dort kann man gut und gerne zwanzig Leute lagern lassen. Wenn ich davon ausgehe, dass die Aufklärung so schlecht, wie in achtzig Prozent der Fälle arbeitet. Stimmt es auch nicht, dass nur ein Wachposten in diesem Bereich sein würde. Entschuldigung…“

Kahlyn schloss die Augen und versuchte die Schmerzwelle zu unterdrücken, die grad durch ihren Körper raste, mühsam rang sie nach Atem. Als es vorbei war, was fast eine Minute gedauert hatte, öffnete sie diese wieder. Conny blickte besorgt, in ihre Richtung. Er hatte das schon einige Mal bei Kahlyn erlebt. Conny wusste allerdings auch, dass Kahlyn im Kampf die Schmerzen fast komplett ausschalten konnte.

„Geht's wieder?“ fragte er nur.

Kahlyn holte tief Luft. „…Ist schon gut Conny, das geht gleich vorbei. Kann ich vielleicht einen Kaffee haben, so wie John in trinkt?“ Fran sprang auf, holt ihr einen.

„Danke Fran. Also, wenn ihr mich fragt. Diese Gruppen sparen nie an Leuten. Die verheizen lieber fünfzig Mann, als ihre Waren zu verlieren. Die sichern ihre Waren besser ab, als ein Golddepot. Deshalb denke ich, werden die auch hier so vorgehen wie in anderen solcher Lager. Ich würde an deren Stelle, in diesem Bereich mindestens zwei, wenn nicht noch besser drei Wachen postieren. Also hier und hier und hier. Conny du weißt diese Leute gehen immer auf Nummer sicher, setzten lieber mehr, als zu wenige Leute zur Bewachung ein. Mit einer Wache könnte man den kompletten Bereich niemals überschauen. An den Seiten werden, so denke ich, mindestens fünf oder eher sechs Posten laufen, die in regelmäßigen Abständen das gesamte Gebiet umrunden. Deshalb, Conny würde ich raten, diese drei Posten, so leid es mir tut, nicht nur schlafen zu legen. Conny wir kommen hier nicht mit zwanzig Minuten hin. Eine falsche Bewegung von den Posten und wir bekommen den schlimmsten Kampf. Dort kann auch ich euch nicht heil herausholen. Deshalb würde ich vorschlagen zwei der drei Wachen komplett abzuschalten. Dann einfach so zu postieren, dass es von unten so aussieht, als ob sie weiter Wache halten.“

Ein Murren ging durch die Reihe der Männer. Da steht eine Sechzehnjährige und sprach vom Töten, wie ein Profi. Die Männer starrten ihren Chef an und blickten dann in die fassungslosen Gesichter des Sender Teams. Kahlyn bekam sehr wohl diese Blicke mit.

„Ihr könnt jetzt schlecht über mich denken. Conny weiß, dass ich nur töte, wenn es gar nicht anders geht. Wenn wir hier zehn Einheiten zur Verfügung hätten, wäre das etwas anderes. Aber die haben wir nicht. Auf jeden von uns, kommen mindestens vier bis fünf Kämpfer. Das scheint euch noch nicht klar zu sein. In dem oberen Bereich denke ich, haben wir es mit mindestens fünfundvierzig bis sechzig Leuten zu tun. Im Bergwerk noch einmal so viele.“

Wieder sah Kahlyn Conny an und rieb sich angespannt das Genick. Sah noch einmal auf die Memotafel und schüttelte den Kopf.

„Wenn ich an deiner Stelle wäre, Conny, würde ich das ganze Dossier auf einem großen Feuer verbrennen. Das taugt nur zum Feuer machen, zu mehr ist das nicht nütze. Es ist schade, um das Papier, auf dem es geschrieben ist. Aber das sind diese Taktik Vorschläge, von diesen Theoretikern ja immer. Die sollten mal selber nach ihrer eigenen Taktik kämpfen, dann hätten wir endlich ein gelöstes Problem. Ich würde dir vorschlagen, einfach neu anfangen. Ich kann dir meine Strategie erklären, die ist um vieles einfacher durchzuführen und du wirst hinterher…“ Kahlyn überlegte, wie sie es am besten formulieren sollte. „Ich weiß nicht, wie gut deine Jungs sind Conny und auch nicht, wie gut die Jungs von Rudi wirklich sind. Bei meiner Truppe hätte ich gesagt von uns Neun wären vier oder fünf verletzt. Beim Oberst würde ich sagen ein Viertel der Leute, hätten hinterher mehr oder weniger schwere Verletzungen. Bei euch denke ich, wird wohl Jeder kleine Spur des Kampfes abbekommen, aber keiner wird so schwer verletzt sein, dass er ins Krankenhaus muss. Die Verletzungen, die ihr davon tragt, müsste ich alle ausheilen können.“

Wieder ging ein Murren, durch die Reihe der Männer.

Conny reichte es. „Ruhe Leute, glaubt mir eins, wenn Kahlyn das so sagt, ist es auch so. Sie hat bis jetzt immer recht behalten, wenn sie so etwas behauptet hatte. Ich habe über hundert Einsätze mit ihr hinter mir und stets lag sie mit ihren Prognosen richtig. Kahlyn, wie sieht deine Voraussage aus, wenn wir nach den vorgegebenen Plan vorgehen?“

Lange sah Kahlyn Conny an und schüttelte den Kopf. „Das wollt ihr nicht wirklich wissen.“

Rudi sah seinen Schützling an. „Doch Kahlyn, wir müssen es wissen, damit wir entscheiden können, wen wir uns anvertrauen. Ich kenne dich zwar noch nicht so lange. Aber ich weiß, was du bei dem einen Einsatz geleistet hast, den wir zusammen gemacht haben. Ich vertraue dir gern.“

Wieder holte Kahlyn tief Luft. „Rudi, wenn wir nach dem Vorgehen, was ich in diesem Dossier gelesen habe und dem, was hier vorne aufgezeichnet wurden. Habt ihr mindestens zwölf bis vierzehn Tode und der Rest ist schwer verletzt. Die Bande aber, lacht sich krank, über unsere Dummheit und sucht sich ein neues Versteck und ist weg. Ihr habt keine Chance, wirklich keine.“

Entsetzt sahen Rudi, Conny und die anderen zu Kahlyn.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst“, rutsche es Rudi heraus.

Kahlyn fuhr sich über den Kopf. „Leider doch, Rudi. Ich weiß nicht, wer das bearbeitet hat. Aber dieser Mensch sollte so etwas nicht machen. Das hätte Raiko, der schlechteste Taktiker, meines alten Teams, bei weitem besser hinbekommen und der ist in Taktik, eine absolute Null. Das geht wirklich nicht. Rudi du hättest innerhalb von höchstens einer Minuten und ich schätze das jetzt einmal sehr niedrig, mit einer Gegenwehr von mindestens vierzig bis fünfzig Leuten zu tun. Die mit MGs auf euch schießen. Nach drei oder vier Minuten hättet ihr ganz verloren. Ihr könntet gar nicht so schnell zurücklaufen, wie die euch abgeknallt hätten. Die haben doch nichts zu verlieren, die gehen aufs Ganze. Es funktioniert auf diese Weise einfach nicht. Egal wie ihr es dreht. Ihr steht mit zwanzig Leuten gegen eine halbe Kompanie, also hundert bis hundertzwanzig Leute. Wohlgemerkt niedrig geschätzt. Da habe selbst ich keine Chance mehr, euch dort noch heil rauszuholen.“

Kahlyn rieb sich das Genick und nahm einen großen Schluck Kaffee. Setzte sich mühsam zu ihrem Platz auf der Kiste humpelnd wieder hin. Nachdenklich schauten sich Sender und Conny an.

„Wir diskutieren das hinten aus Rudi. Kahlyn, lege dich noch ein wenig schlafen. Ich glaube ich brauche dich bei dem Einsatz noch mehr als dringend. Schlaf noch etwas, damit du das mit deinem Bein in den Griff bekommst. Mir ist klar geworden, ohne dich bekommen wir diesen Einsatz nicht hin“, erklärte er bitter lächelnd. "Engelchen, so gern ich dir diesen Einsatz ersparen würden."

"Ich weiß Conny. Aber ohne mich, habt ihr keine Chance", erklärte Kahlyn traurig.

Als Rudi etwas sagen wollte, schüttelte Conny den Kopf. „Rudi, glaube mir eins, wenn Kahlyn so etwas voraussagt, dann trifft das leider auch immer ein. Sie irrt sich in solchen Dingen nie. Wir haben das bitter lernen müssen. Es waren unsere Leute, die bei solchen Horroreinsätzen, wie dem hier schwer verletzt wurde. Nur weil wir nicht auf die Kleine hören wollten. Die Standpauke die wir im Anschluss von Kahlyn bekamen, war vom Allerfeinsten. Oft hat sie uns dann in letzter Sekunde, noch unter Einsatz ihres Lebens herausgehauen. Aber frage nicht, um welchen Preis“, traurig blickte Conny zu Kahlyn, die nun ebenfalls nickte.

Auch Rudi begriff jetzt, dass man lieber auf Kahlyn hören sollte. Erleichtert atmete Conny auf. Er streichelte seinem Engelchen, übers Gesicht. 

„Engelchen, Hilfe ist unterwegs. Gosch holt deinen Doko und bringt noch Mario als Verstärkung mit. Also schlaf noch etwas. Es würde euch allen nicht schaden, euch noch etwas auszuruhen. Es ist jetzt gleich 18 Uhr. Um 20 Uhr 30 machen wir eine erste Einsatzbesprechung, da seid ihr alle gefordert. Also legt euch noch etwas hin.“

Conny winkte Sender zu und bat diesen ihm zu folgen. Beide verschwanden nach hinten in Connys provisorisches Büro. Kahlyn erhob sich und humpelt mühsam zu John, der sie besorgt anschaute.

„John, guck nicht schon wieder so besorgt. Es ist schon gut, das wird bald wieder. Es ist nicht jedes Mal so, schlimm. Ich komme schon klar. Kannst du auf mich aufpassen, bitte. Du weißt ich kann sonst nicht schlafen. Ich brauche den Schlaf aber im Moment wirklich dringend.“

John nickte. Er kannte das ja nun schon. Er sah sich fragend um. Kahlyn zeigte auf eine Ecke in der eine Matte lag, die etwas abseits von dem Getümmel lag. John half ihr dort hin. Kahlyn konnte kaum noch laufen. Vorsichtig ließ sie sich auf der Matte nieder und konnte sich ein Stöhnen nicht verkneifen. Verdammt, diesmal war es wirklich schlimm. So schlimm war es lange nicht mehr. John lehnte sich an die Wand und nahm Kahlyn einfach in den Arm.

 „Kahlyn, kommen die Schmerzen von der Behandlung oder frisst der Brand sich weiter?“

Kahlyn schloss die Augen und checkte sich selber durch. Nach einer Weile antwortete sie. „John es ist nichts weiter. Irgendwie ist von der Behandlung, aber eine schlimme Entzündung im Bein. Wenn ich doch nur die Salbe von Doko hätte, dann wäre es nicht ganz so schlimm. Diesmal ist es wieder einmal, besonders schlimm. Manchmal geht es. Ich hätte es gleich behandeln müssen. Aber durch das Unwetter, konnte Gosch nicht fliegen. Ich kam deshalb nicht an den Medi-Koffer. Das war gestern einfach nicht mein Tag. Hoffen wir, dass der heutige, etwas besser wird.“

John streichelte ihr über die Wange, sie sah hoch zu ihm.

„Schau nicht so besorgt. Ich sterbe nicht so schnell. Es sind nur höllische Schmerzen. Aber Conny hat gesagt, Doko kommt dann, der lässt sich bestimmt etwas einfallen. Hoffentlich denkt er an die Salbe. Noch ein paarmal, halte ich diese Tortur nicht aus.“

John nahm sie fest in den Arm. Kahlyn drehte sich auf die gesunde Seite und legte das kranke Bein einfach auf die von John, so dass es etwas höher lag. So ging es. Nach fünf tiefen Atemzügen, schlief sie tief und fest. Es war schon eigenartig, wie dieses Mädchen so schnell schlafen konnte, ging es John durch den Kopf. Auch er lehnte sich zurück und schloss ebenfalls die Augen. Schlafen konnte er nicht, er war viel zu besorgt. John lauschte auf Kahlyn und hörte auf deren Atemrhythmus. Als wenn diese ihre Müdigkeit auf ihn übertragen würde, schlief auch er kurze Zeit später ein. Fast anderthalb Stunden später rüttelte ihn jemand an den Schultern.

 

„John, hören sie mich.“

Völlig verschlafen öffnete er die Augen. „Was ist?“

Plötzlich erblickte er Dr. Jacob. „Oh, schön dass sie kommen konnten Doktor. Kahlyn hat schlimme Schmerzen im Bein…“ Schnell erzählte er, was er wusste und vor allem, was Kahlyn in der Sanistube gemacht hatte. „… gab es wirklich keinen anderen Ausweg? Doktor, das ist ja bestialisch. Wie kann sie sich das antun?“

Doktor Jacob nickte. „Tja John, das musste sie aber tun. Wenn Kahlyn, einen Brand im Bein hatte, dann ist es schlimm und vor allem sehr gefährlich. Sie ist sehr anfällig einen Wundbrand in eine Wunde zu bekommen, sie hatte das viel öfter als ihre Kameraden. Ich verstehe nur nicht, dass Jens ihr die Creme nicht gegeben hat. Ich hab ihn doch extra eine große Dose dagelassen. Die blaue Dose mit dem Roten Kreuz, ich hatte keine roten mehr. Na ja, ich hab ihr auf alle Fälle fünf Dosen mitgebracht. Komm wecken wir sie.“

Doktor Jacob begann ganz vorsichtig Kahlyn zu streicheln. „Nikyta, frido. - Mein Kind, wach auf“, mehrmals musste er Kahlyn ansprechen bis diese aus dem Schlaf erwachte.

„Doko, du bist da. Bitte helfe mir, ich habe solche Schmerzen, bitte Doko, ich halte es nicht mehr aus“, bat sie sofort, man hört ihrer Stimme an, wie schlimm die Schmerzen sind.

„Keine Angst, ich schaue mir dein Bein gleich an, komm zieh dich aus. Können wir irgendwo hingehen, wo sie höher liegt und ich mehr Licht habe?“

John zeigte auf den Kasten, auf dem Kahlyn vorhin gesessen hatte und der immer noch an derselben Stelle stand. John lehnte Kahlyn, die ohne Hilfe nicht mehr aufstehen konnte, an die Wand und erhob sich. Dann half er seiner kleinen Freundin auf die Füße, die stöhnte laut auf. Als sie jedoch einen Schritt machen wollte, schrie sie laut auf und zog sie das Bein hoch. Kahlyn hielt sich krampfhaft an John fest, der Schmerz war unerträglich. Mühsam versuchte sie, wieder Luft zu bekommen, die Schmerzwellen die durch ihren Körper rasten, nahmen ihr die Luft. Doktor Jacob sah entsetzt zu seinem Mädchen, das hat er noch nie erlebt. Kurzerhand nahm John sie auf die Arme, wie er es schon einige Male, gemacht hatte.

Kahlyn brachte mühsam ein „Danke“ heraus, war froh nicht laufen zu müssen.

John setzte sie auf den Kasten. Einige der Männer waren aufgewacht durch den Schrei und die Unruhe die im Raum entstanden war. Neugierig kamen sie näher. John half dem Mädchen, beim Ausziehen des Overalls, als sie die Hose über die Beine zog, sah man schon, warum sie solche Schmerzen hatte. Über den Verband hinaus hatte sich das ganze Bein dunkelrot gefärbt.

„Um Gottes Willen, was hast du denn gemacht. Das sieht böse aus Kahlyn, schmerzfrei bekomme ich dich nicht. Aber ich muss erst einmal den Verband abmachen, um genaueres sagen zu können, es hilft nichts. Auch muss ich das Veruat entfernen, da ist irgendwo noch etwas, in der Wunde.“

Kahlyn nickte, sie wusste, dass es nicht anders ging.

„Mach nur Doko, schlimmer kann es bald nicht mehr werden. Bitte mach, dass die Schmerzen weniger werden, bitte Doko. So, kann ich nicht arbeiten. Ich muss bei diesem Einsatz dabei sein, alleine schaffen das die Jungs hier nicht, bitte Doko, sonst sind hinterher alle Tod. Die Schmerzen bringen mich um. Bitte Doko, mach das es aufhört.“

Schmerztränen liefen ihr über die Wange, das hat Jacob noch nie erlebt. Kahlyn musste unvorstellbare Schmerzen haben. Tief atmete sie sich in die Taiji-Atmung ein. Doko, der die Schmerzbekämpfung seiner Kinder kannte, ließ ihr die Zeit.

„Kann ich anfangen, Kahlyn?“

Diese nickte nur kurz, blieb in ihrer tiefen Atmung versunken.

Dr. Jacob nahm eine Schere, schnitt zügig den Verband auf. Was er dann zu sehen bekam, war sogar für Jacob erschreckend. Mit dem Verband, holte der Arzt das gesamte Veruat aus der Wunde. Kahlyn schrie auf vor Schmerz, ließ sich nach hinten umfallen, versuchte krampfhaft die Schmerzen, in den Griff zu bekommen. Mühsam kämpfte sie gegen die Schmerzen an, doch die waren einfach zu stark. Nach einigen Minuten ließ die Schmerzen etwas nach und Kahlyn hörte auf zu schreien. Dr. Jacob versuchte ihr zu helfen, indem er sie etwas hochhob und ihr den Rücken stützte. Conny kam aus seinem Büro gerannt und lief zu Jacob, um ihn zu unterstützen. Besorgt sahen die beiden zu Kahlyn, so etwas hat sie noch nie erlebt, bei ihr. Kahlyn war Schmerzen gewohnt, aber diese mussten furchtbar sein, sonst würde sie nicht das Bewusstsein verlieren. Langsam kam sie wieder zu sich.

„Geht es wieder Kahlyn?“, fragten Jacob und Conny besorgt. „Ich muss schneiden es nutzt nichts“, fuhr Jacob fort.

Diese nickte und versuchte wieder sie in einen tiefen Atemrhythmus zu kommen. Conny stützte seine kleine Freundin und blickte sie besorgt an. Nach einigen tiefen Atemzügen nickte sie. Conny war beruhigt und ließ sie mit Jacob alleine. Sie hatte ihren Rhythmus gefunden. John stellte sich neben Kahlyn, um ihr moralischen Bestand zu geben. Mehr konnte er nicht tun.

Dr. Jacob begann zu operieren, nach und nach schnitt er die entzündeten und die zum Teil schon abgestorbenen Wundränder aus. Kahlyn blieb in ihrem Atemrhythmus. Etwas, dass keiner der noch stehenden Männer begriff. Es wurde besser mit dem Schmerz. Endlich nach fast einer halben Stunde, hatte Dr. Jacob die Wunde sauber. Er nahm eine Büchse mit einer Wundcreme und trug diese großzügig auf. Kahlyn stützte sich auf die Ellenbogen, atmete tief durch. Dann ließ sie dem Kopf in den Nacken fallen, sie war erleichtert. Endlich waren diese höllischen Schmerzen weg. Es war nicht mehr zum aushalte gewesen. Sie war viel gewöhnt, aber das war einfach zu viel.

„So meine Kleine, jetzt wird es bald besser. Aber an der Wunde, wirst du ein paar Tage zu kämpfen haben. Sag mal, was hast du nur gemacht? Du weißt doch eigentlich, wie du das behandeln musst“, erstaunt sah Dr. Jacob ein kleines Mädchen an.

„Doko, ich habe das gemacht, was ich immer tue, wenn ich die Salbe nicht habe, ich habe das Verurat mit Salzsäure unterspült.“

Jacob verstand das nicht. „John, sein sie bitte mal so lieb und holen mir Kahlyns Medi-Koffer.“

Der Sanitäter lief los und kehrte keine zwei Minuten später, mit dem Koffer zurück. Jacob sah sich die Flasche mit dem Acidum hydrochloricum an. Dann schüttelte er den Kopf.

„Kahlyn, da steht zwar ‚Acidum hydrochloricum‘ drauf, die ist da aber nicht drin, da ist nichts, was ich kenne drinnen. Was ist das? Wo hast du das her?“

Kahlyn zuckte mit den Schultern und überlegt.

„Doko, als wir in Cuba waren, war mir die Salzsäure ausgegangen, diese Flasche hier, hat mir der Betreuer Reimund gegeben. Weil wir alle nichts mehr hatten. Sie wurde nie getauscht, sie war ja nicht angebrochen und noch voll war. Seit Cuba, hab ich sie nicht mehr gebraucht.“

Wütend sah Jacob aus und lief ein paarmal die Hände hinterm Nacken verschränkt vor den Kästen auf und ab, um sich zu beruhigen. Nach dem er sich wieder beruhigt hatte, beugte er sich über seinen Koffer und suchte etwas. Dann nahm er ein kleines Mikroskop aus der Tasche und träufelte etwas von der Flüssigkeit auf eine kleine Petrischale. Er roch dran und sah sich unter dem Mikroskop an, was das war. Dann blickte er wütend auf.

„Kahlyn, weißt du, was das ist? Das ist Chlorwasserstoff. Kein Wunder, dass du solche Schmerzen hast. Dieses verdammte Schwein, dieses Arschloch. Ich bringe ihn um.“

Erschrocken sah Kahlyn Jacob an, dann brauchte sie sich über die Entzündung nicht wundern. Hörte das eigentlich nie auf, dass der Oberstleutnant sich an ihr verging und an ihr rächte, für Sachen die sie gar nicht verschuldet hatte.

„Doko, die anderen müssen die Flaschen auch unbedingt tauschen, Doko, wir haben die alle bekommen.“ Jacob nickte, er würde alle Kinder informieren.

„Kahlyn, wir lassen die Wunde offen, so heilt es besser. Wenn ich es richtig verbinde, ist das genauso so gut, als wenn wir sie versiegeln. So hast du weniger Schmerzen. Erst muss die Entzündung ausheilen, bevor sich die Wunde schließen kann.“

Kahlyn nickte, das war ihr klar. „Wir mache einfach eine Tyronplatte drüber, dann ist es gegen Dreck, Wasser und Schläge geschützt. Danke Doko, du hast mir das Leben gerettet. Lange hätte ich das nicht mehr ausgehalten“, erleichtert atmete Kahlyn auf.

Jacob verband das Bein von Kahlyn und schnitt eine Tyronplatte zu, die er über den Verband anpasste, dann fixierte er alles mit einem Klebestreifen, darüber noch einmal eine Binde. Fertig damit, stand Kahlyn auf, bewegte vorsichtig ihr Bein. Dann machte sie etwas, was allen außer Jacob und Conny, den Atem nahm. Das Mädchen, das gerade minutenlang vor Schmerzen geschrien hatte, nahm Anlauf und machte einige Salto vorwärts und rückwärts und sprang sogar ins Spagat. Dann stand sie auf und lief, als wenn nie etwas gewesen wäre, zu ihrem Doktor und gab ihm einen Kuss.

„Danke, so ist es gut Doko, ich sollte ich noch etwas gegen die Entzündung spritzen und den Heiler.“

"Mach das mein Mädchen, mit der Dosierung weißt du besser Bescheid als ich", stimmte Jacob zu. So kannte er seine Kahlyn.

Schnell zog sie sich die Injektionen auf und gab sie sich. Im Stillen dachte sie, na so schlimm wird der Einsatz, dank Doko doch nicht. Die Männer jedoch konnten es nicht glauben. Gerade noch hatte die Kleine gewimmert vor Schmerzen, jetzt tat sie so als ob nichts wäre.

Sender musste sich Luft machen. „Kahlyn, verdammt noch mal, musst du gleich wieder so rumspringen, dann hast du gleich wieder Schmerzen.“

Bevor sie allerdings antworten konnte, erklärte Jacob. „Rudi, bleiben sie ganz ruhig. Das Bein ist wieder in Ordnung. Auch, wenn es noch ein paar Tage braucht bis es wieder völlig verheilt ist. Sie kann mit dem Bein, alles machen. Nur wird sie noch tüchtige Schmerzen haben. Keiner von uns, würde mit den Schmerzen einen Meter laufen. Aber wie sie gerade gesehen haben, springt sie sogar wieder. Rudi, sie müssen unbedingt lernen umzudenken. Es nutzt nichts, das habe ich ihnen schon einige Male erklärt. Vergleichen sie Kahlyn nie mit sich oder einem normalen Menschen, Kahlyn ist etwas Besonderes. Sie ist ein ganz besonderer Engel“, erleichtert, dass es seinem Mädchen besser ging, nahm er sie glücklich in den Arm und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Doko, wie geht es meiner Dika?“, wollte Kahlyn wissen, weil ihr Anna gerade in den Sinn kam.

„Der geht es gut, sie lässt dich lieb grüßen und sie hat mir sogar etwas für dich mitgeschickt. Wo hab ich das nur wieder hingetan?“, er kramt er in seiner Tasche und zog eine Tüte mit Toffees heraus. Selbst diejenigen unter den Männern, die nicht wie Jacob und Conny, die Gefühle von Kahlyn lesen konnten, sahen, dass die Kleine sich wie verrückt freute.

„Mmhhh lecker, danke Doko. Da haben sich die Schmerzen ja wenigstens gelohnt“, sprach es und schob sich ein Toffee in den Mund.

Conny nahm seine Engel in den Arm. „Na, jetzt gefällst du mir wieder. Da muss ich mir also wenigstens, wegen dir keine Sorgen mehr machen.“

Kahlyn nickte, dann sah sie Gosch und lief auf ihn zu. Fiel ihrem Piloten genauso, um den Hals, wie vorhin Conny.

„Ich glaube es nicht Gosch, wo kommst du her? Komm ich will dir meinen Major vorstellen. Rudi, das ist Gosch, mein Drachenflieger, den du so ausgeschimpft hast. Er ist mein Schutzengel“, entschlossen zog sie Gosch in die Truppe und stellte ihm jeden ihres Teams vor, vor allem John und Rudi. Gosch wurde gleich ins Team mit aufgenommen, so dass er gar keine Möglichkeiten mehr hatte zu entkommen. Urplötzlich wurde Kahlyn nachdenklich.

„Gosch, sag mal. Du hattest mir doch einmal irgendwann erzählt, dass du den Drachen um schalten kannst, aufs leise fliegen? Wie leise ist das?“

Gosch sah Kahlyn verwundert an, es war Jahre her, dass er das einmal erwähnt hatte. Schnell zog sie sich wieder an. Alles außer der Schutzweste.

„Kahlyn, leise ist relativ, ein Heli kann nicht vollkommen leise fliegen“, meinte er entschuldigend.

„Mir kommt da eine Idee. Gosch komme mit. Conny, Rudi ihr beiden bitte auch. Gosch, du startest den Heli und fliegst leise. Ich will wissen, ab welcher Höhe, man den Heli nicht mehr hört.“

Gosch lief im Laufschritt zum Hubschrauber und zog ihn hoch. Schaltet um auf leise.

Diese Art zu fliegen war nur möglich, durch ein neues Getriebe, welches er mit Hilfe des Obersts, bauen konnte. Er konnte nur nicht lange damit fliegen, es fraß zu viel Sprit. Kahlyn gab ihm von unten Handzeichen, bei einer Höhe von zwanzig Meter hörte sie ihn nicht mehr. „Conny, Rudi bitte sagt mir, wann ihr ihn wieder hört.“

Mit einem Handzeichen gab sie Gosch das Signal wieder herunter zu kommen. Als der Drache auf zwölf Meter war, hörten ihn Rudi und Conny, weil sie sich darauf konzentrierten.

Kahlyn, gab Gosch das Zeichen zum Aufsprung, lief los und sprang ab. Das Sender-Team wie auch das Team von Conny, die das noch nie gesehen hatten, klappte das Kinn herunter. Alle schüttelten den Kopf, so etwas hatten sie noch nie gesehen. John jedoch fiel ein, was Kai ihm gestern Morgen gesagt hatte. Jetzt wurde ihm klar, wieso das sein Kollege nicht verstand. Der blanke Wahnsinn, was das Mädel machte. Wie kann man zwölf Meter nach oben, an die Kufen eines Helikopters springen? So etwas geht doch gar nicht, kopfschüttelnd sah er Rudi an, der winkte ab, ihn wunderte langsam gar nichts mehr.

Als Kahlyn in den Heli geklettert war, gab sie Gosch die Anweisung, wieder auf laut zu gehen. Das Lager, welches sie heute Nacht stürmen wollten, lag ca. fünfundzwanzig Kilometer weiter nördlich.

„Gosch, gehe bitte auf hundert Meter Höhe und überfliege folgende Koordinaten.“

Gosch jedoch meinte. „Täubchen, ich würde etwas anderes vorschlagen. Damit die uns nicht bemerken. Siehst du die Regenfront, die dort hinten aufzieht. Wenn wir Glück haben, können wir der hinter fliegen und uns so besser Anschleichen.“

Kahlyn nickte. „Gute Idee, wir sind doch ein spitzen Team, wir zwei. Sag mal Gosch, hab ich dir schon deinen Kuss gegeben.“

Gosch tat so, als wenn er beleidigt zum Fenster hinaus sieht.

„Nööö“, er guckte ganz betrübt.

„Na dann, bekommst du ihn jetzt“, eilig beugte sie sich zum ihm und gab ihn einen Kuss. „So wieder alles in Ordnung?“, fragte sie grinsend nach.

Gosch nickte und flog den Drachen hinter die Regenfront. Etwa zwei Kilometer bevor sie das Lager erreichten, gab er Bescheid.

„Gosch, geh auf Leise und achtzehn Meter, das müsste genügen. Conny und Rudi haben dich erst bei zwölf Metern gehört, also haben wir noch etwas Toleranz. Nehm aber immer, den Höchsten Punkt als Nulllinie.“

Beim Sprechen, kletterte Kahlyn nach hinten, öffnete die Tür und setzte sich in die Türfüllung. Vorsichtig überflogen sie das Lager, durch den heftigen Regen waren alle damit beschäftig, so wenig wie möglich nass zu werden, so dass keine nach oben sah. Als sie das Lager überfolgen hatten, kletterte Kahlyn wieder in den Hubschrauber und schloss die Tür. Sie war pitschnass. Aber sie wusste jetzt, dass sie richtig lag. „Gosch, flieg zurück zur Zentrale“, angespannt lehnte sie sich zurück, tief atmete sie ein und aus. Langsam aber, sicher konnte sie wieder normal denken.

„Sag mal Gosch, wolltest du nicht mit deiner Frau, morgen etwas machen?“, erkundigte sie sich, weil ihr das gerade einfiel.

Gosch zuckte mit der Schulter. „Tja, du weißt doch wie das ist Täubchen, die Arbeit geht vor. Mit dem Krieg zu Hause, werde ich leben müssen und auch können.“

'Das glaub ich nicht. Conny kann Mario zurück bringen und Gosch kann Doko und sich nach Hause fliegen. Den brauchen wir doch bei dem Einsatz nicht', ging es Kahlyn durch den Kopf.

Gosch soll keinen Krieg haben. Kahlyn nahm sich vor, gleich einmal mit Conny zu reden. Zehn Minuten später landeten sie und beide stiegen aus. Gemeinsam gingen sie auf die Halle zu. Kahlyn lief weiter in Connys Büro, wo sie auch Sender antraf.

„Kann ich mal kurz stören“, bat sie leise.

Die beiden Männer sahen auf.

„Ja klar, was hast du heraus bekommen?“, wollte Conny sofort wissen.

„Gleich, Conny darf ich dich erst etwas fragen?“

Der verdreht die Augen, nickte dann aber.

„Wir brauchen doch den Gosch und den Doko nicht mehr. Alles was jetzt an Verletzungen passiert, kann ich behandeln. Kann Gosch, den Doko heimfliegen und dann selber? Er hat mir vorgestern schon erzählt, dass er Krieg zu Hause bekommt, wenn er am Zehnten nicht daheim ist. Das will ich nicht.“

Conny sah Kahlyn lächelnd an. „Nein Engelchen, das wollen wir alle nicht, laufe und sag ihm Bescheid. Er kann heim fliegen, wenn du ihn nicht mehr brauchst.“

Sofort drehte sie sich um und lief hinaus, um Gosch und den Doko nach Hause zu schicken. Conny jedoch sah Rudi schmunzelnd an.

„Rudi, genau das ist das, was ich dir vorhin versucht habe zu erklären, als es um Familie ging. Viele Dinge sind für diesen Engel nicht vorstellbar. Es ist totales Neuland. Kahlyn, stellt sich zum Beispiel, unter dem Begriff Krieg, Mord, Leid, Terror vor. Sie kennt doch nichts anderes. Gosch sagte vorgestern so sinngemäß ‚Oh je, wenn ich am Geburtstag meiner Frau nicht zu Hause bin, gibt es Krieg‘. Damit meint er Streit. Für Kahlyn aber, die nicht weiß, was ein Geburtstag ist, heißt das, dass Gosch wird von seiner Frau umgebracht. Selbst, wenn wir ihr das erklären würden, sie würde es nicht verstehen. In allen Dingen, was das normale Leben betrifft, ist die so erfahren Kämpferin, überfordert. Sie ist wie ein Baby, das laufen lernen muss. Wenn ihr sie wirklich aufnehmt, müsst ihr Kahlyn wirklich alles beibringen, wie einem Säugling. Weil sie nämlich rein gar nichts, darüber weiß.“

Rudi nickte, er hatte es gerade verstanden, dieser Blick war ihn nicht entgangen. Als sie erzählte hatte, warum sie Gosch nach Hause schicken wollte. Sie würde noch viele Probleme bekommen, aber sie würde auch das lernen. Jetzt war es erst einmal wichtig, diesen schwierigen Auftrag zu beenden. Er machte hundert Kreuze, wenn sie hier niemanden verloren. In diesem Moment kam seine Kleene zurück. Die ganze Körperhaltung war eine ganz andere, wie vor einigen Stunden. Man sah ihr an, dass es ihr wieder wesentlich besser ging.

„So Conny, die beiden fliegen jetzt los. Gosch ist froh, dass er nach Hause kann. Aber zu dem Einsatz hier zurück. Es ist so, wie ich es dir gesagt habe. Ich hoffe sehr, dass ich alles gesehen habe und mir nichts Wichtiges entgangen ist. Dort draußen ist ein Mistwetter kann ich dir sagen, man sieht die Hand vor Augen kaum. Du weißt normaler weiße fliege ich fünf oder sechsmal in großen Abständen über solche Lager. Wir haben drei Basislager außerhalb des Zentralen Lagers. Ich zeichne dir das mal auf….“ Schritt für Schritt erklärte sie den beiden Teamleitern, ihre geplante Vorgehensweiße. Nachdem sie damit fertig war, sah sie Beide an.

Conny nickte. „Engelchen, jetzt ergibt das alles, einen Zusammenhang. Aber dir ist schon klar, dass du fast siebzig Prozent der ganzen Arbeit leisten musst.“

Kahlyn nickte. „Conny, es geht aber nicht anders. Wenn ich meine Leute da hätte. Wäre das eine Sache von zwanzig oder dreißig Minuten. So müssen wir mit gut zwei bis drei Stunden rechnen und dann muss wirklich alles klappen. In der Zeit müssen wir das schaffen. Wenn wir das nicht schaffen, haben wir ein richtiges Problem. Du weißt, ich lasse mir gern eine Stunde Toleranz. Ich hoffe nur, dass ich alles gesehen habe. Wenn nicht, müssen wir improvisieren“, tief holt sie Luft, dass was sie Conny jetzt noch sagen musste, würde ihm nicht gefallen. „Conny, noch eins. Dieser Einsatz, wird vielen von denen das Leben kosten. Du weißt ich töte nur, wenn es nicht anders geht. Aber, wenn wir in dieses Bergwerk wollen, müssen wir leise vorgehen. Wir können uns keinen vorzeitigen Alarm leisten. Ich denke im Berg selber, sind noch mal so viele Leute, dass wir selbst mit denen, noch Problem bekommen werden. Wir können von Glück reden, wenn wir heil aus diesem verdammten Einsatz heraus kommen. Es geht nicht anders, Conny dieser Einsatz wird der blanke Horror.“

Conny sah sein Engelchen traurig an und du musst wieder mit vielen Toden leben. Kahlyn jedoch kämpfte mit sich, sie hatte noch ein viel schlimmeres Problem. Einen Moment überlegte sie, dann fragte sie einfach.

„Ach Conny, ich habe ein riesiges Problem. Meine Taiji-Schwerter liegen in Gera, ich hab sie nicht mitgenommen. Ich kann ja nicht jedes Mal, die komplette Ausrüstung mitschleppen, hast du deine mit?“

Conny stand lächelnd auf, holte seine Schwerter. Irgendwie machte der Einsatzleiter ein eigenartiges Gesicht. Manchmal kam Kahlyn einfach, nicht mit den Gesichtsausdrücken zu Recht, die diese Leute hatten. Sie konnte sie einfach nicht deuten. Was hieß das denn jetzt wieder? Fragte sie sich.

„Was guckst du so komisch Conny?“

Conny grinste sie an. Deshalb bat sie einfach, um das, was sie haben wollte. „Kannst du mir am Anfang beide leihen?“

Conny schüttelte den Kopf.

„Bitte, wenn die drei Lager sauber sind, bekommst du eins wieder. Bei solchen Massen, komme ich mit Messern nicht aus. Verdammt hätte ich sie bloß mitgenommen“, ärgerlich schnaubte sie, vor sich hin.

„Keine Bange, schau mal was ich hier habe, ich wusste ja, dass du kommst. Wusste aber nicht, ob du noch Zeit hast ins Dossier zu gucken, war ja ziemlich knapp mit der Zeit.“

Er griff hinter sich und holte sechs Holzkisten dazu. Kahlyn sprang einfach über den Tisch und gab ihm einen Kuss.

„Du bist ein Genie. Oh man, bin ich froh. Du bekommst alles Heile zurück, versprochen. Es sind ja keine Schuhe.“

Da fing Conny schallend an zu lachen. „Ist schon gut Engelchen, wenn nicht, kauf ich mir etwas Neues.“

Sender verstand nicht, warum Conny so lachte. Was in Gottes Namen, hatten Schwerter, mit Schuhen zu tun?

„Wie?“ Sender sah verwirrt von einem, zum anderen.

Conny versuchte krampfhaft aufzuhören mit lachen, es gelang ihm aber nicht, deshalb antwortet halt Kahlyn.

„Na ja Rudi, es ist so, dass ich ständig meine Schuhe verliere. Ihr zwingt ich ja immer, welche anzuziehen. Ich bin es aber gewohnt, barfuß zu kämpfen. Im Kampf sind die oft hinderlicher, als nützlich. Da gibt es immer wieder Situationen, wo ich sie einfach ausziehe und wegschmeiße. Hinterher finde sie aber fast nie wieder. Aber Conny, bei den Waffen brauchst du keine Angst haben, selbst meine Shuriken finde ich immer alle wieder. Ich merke mir, wo ich die hinschmeiße und sammele sie immer ein, sie sind wichtig.“

Conny nickte immer noch lachend. „Ich weiß Engelchen, deine Waffen sind dir heilig, deine Schuh brauchst du nicht.“

Jetzt lachte auch Sender.

„Ach ihr seid albern, immer lacht ihr mich aus“, sagte sie und verließ den Raum. Ging zu John, der sich mit Fran und Max unterhielt.

„Na mein Mäuschen, wie geht es dir?“, erkundigte sich John gleich.

„Wieder gut. Die sind albern die Beiden da drinnen. Die lachen mich aus. Pffff…“, sagte Kahlyn mit leichten Ton.

John sah sie verwirrt an. Aber Kahlyn winkte ab, setzte sich einfach auf den Tisch.

„Du John? Ich muss dich einmal, was fragen, warum habt ihr vorhin gelacht, wo ich zu Conny gesagt habe, er trifft mich erst wenn er schwarzes Haar hat. Ich verstehe das nicht. Das geht doch nicht, er hat doch weißes Haar“, Kahlyn sah zu John hoch.

Der begriff, dass sie es wirklich ernst meint, musste sich ein Lachen verkneifen. „Oh je, wie erkläre ich dir das“, laut vor sich hin brabbelnd. „Kahlyn, das sind Scherze, da lacht man halt drüber, es ist, als wenn du zu mir sagen würdest….“, er überlegte krampfhaft, was, aber ihm fiel nichts ein. „… keine Ahnung was, auf alle Fälle …“ dann zuckte er mit den Schultern. „Kahlyn, ich kann dir das nicht erklären, es ist halt lustig, weil es ja nicht geht.“

Sie begriff gar nichts. Aber ihr war es auch egal, sie begriff so vieles im Moment nicht. Das war halt etwas, was sie erst mal nicht verstand. Irgendwann, würde es besser werden, hatte ihr Doko und Dika versichert.

 

Conny und Sender kamen aus dem Büro und liefen vor zu den Memotafeln. Es war gerade 20 Uhr 30 geworden, alle setzten sich auf die aufgestellten Stühle. John setzte sich mit mir und Max ganz hinten hin, weil die anderen Plätze alle schon belegt waren.

Conny ergriff das Wort. „So Leute, jetzt zu dem, weswegen wir hier sind. Kahlyn, bitte komme vor zu uns. Ich möchte, dass du die Einsatzleitung übernimmst, du musst die ganze Sache koordinieren.“

Also ging ich vor zu den Beiden. Vom Team Lange begann es ein großes Murren zu geben, sie waren es gewohnt, dass Conny seine Einsätze selber plante und vor allem leitete. Hatten doch alle, zu ihm volles Vertrauen. Dieses Küken, was gerade geschrien hatte wie am Spieß, soll den Einsatz leiten, sie begriffen ihren Chef nicht. Mich störte das aber nicht, es war jedes Mal so. Conny jedoch ärgerte das, er hatte seinen Männern, schon auf der Herfahrt gesagt, dass dies geschehen würde.

„Leute, was soll das?“ Wandte er sich an seine Leute. „Ihr kennt mich, ich übernehme nur Aufträge, wo ich sicherstellen kann, dass wir da heil heraus kommen. Hier kann ich das nicht“, Conny sah zum Sender-Team, wo keiner murrte. Das nahm er zum Anlass, es seinen Leuten vorzuhalten.

„Seht ihr etwa, dass das Team von Rudi hier so einen Aufstand macht? Wenn die Kollegen meinem Engelchen trauen, könnt ihr dies da nicht auch versuchen? Ali, warum maulst du nicht?“, wandte er sich spontan, an Alexander Klein.

Der sah unsicher zu Sender, als dieser nickte, sagte er einfach was er dachte. „Ich habe Kahlyn erst bei einem Einsatz erlebt, aber, was die Kleine dort abgezogen hat, obwohl sie hohes Fieber hatte, war einmalig. Ich würde ihr blind, mein Leben anvertrauen. Sie ist zwar erst seit einer Woche, in unserem Team und hat für verdammt viel Aufregung gesorgt, aber sie ist wirklich gut“, verlegen schwieg er, denn er war es nicht gewohnt, vor Leuten zu reden.

Conny wandte sich an sein Team, was sich langsam beruhigt.

„Leute, Kahlyn mag ja noch jung sein, aber sie hat viel mehr Erfahrung, bei solchen Einsätzen wie ich. Ich habe euch schon so viel, über die Todesschwadron erzählt. Ihr wart immer erstaunt und wolltet den Teamleiter gern mal persönlich kennenlernen. Hier steht er. Ja guckt nicht so, Kahlyn ist der Teamleiter des Todesschwadron, so unwahrscheinlich, das auch klingen mag. Glaubt mir eins, immer wenn ich in der Soko war und sie ebenfalls da war, hat Kahlyn die Einsätze geleitet. Der Verlust bei diesen Einsätzen und ihr wisst, das sind immer schlimme Einsätze, lag bei null. Wenn ich ihr blind mein Leben anvertraue, könnt ihr diesem Engel da nicht auch eine kleine Chance einräumen“, ernst sah er von einem zu anderen.

Alle nickten.

„So mein Engel, meine Leute hören dir jetzt zu“, lächelnd setzte er sich zu seinen Leuten.

Rudi ging zu meinem Platz.

„Danke Conny“, bedanke ich mich kurz. „Ich hätte mich auch selber durchgesetzt, das weißt du.“

Conny nickte. „Ich weiß mein Engel, aber so geht es einfach schneller. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich auf diese Diskussion, keine Lust mehr. Das musstest du, bei fast jedem Team durchmachen, hinterher sind sie dann immer alle so klein mit Hut“, dabei deutete er die Größe mit Daumen und Zeigefinger an. „So nun fangen an.“

Ich nickte zustimmend, begann die Einsatzbesprechung, so wie ich es beim Oberst immer gemacht hatte, kurz und bündig und ohne lange um den heißen Brei zu reden.

„Ich habe vor die beiden Teams in Gruppen zu unterteilen, weil ich dann die Aufgaben einfacher verteilen kann. Beim Team von Rudi ist das einfach. Seid ihr so lieb und setzt euch nach der Gruppenaufteilung, so wie ich euch aufrufe. Das Team 1 bilden wir aus Fran, Sep und Max, wie ihr merkt sind das die Scharfschützen. Zum Team 2 gehören, John, Andi, Tom, Ali, Wolle, Rudi. Mich lasse ich außen vor, ich werde zu keinem der Teams gehören, sondern mit allen Teams bei Notwendigkeit zusammenarbeiten. Die meiste Zeit, muss ich sowieso alleine kämpfen, weil ihr mir dabei nicht helfen könnt. So jetzt, musst du mir helfen Conny, ich kenne deine Leute nicht, du hast mir zwar gesagt, was wer macht. Doch weiß ich nicht, wie gut Felix, Eric und Friedel im Nahkampf sind.“

Conny nickte, so weit hat er vorhin nicht gedacht. „Kahlyn, Eric und Friedel sind ganz gut, keine Experten, aber sie würden mindestens fünfzehn bis zwanzig Sekunden, gegen dich bestehen. Felix allerding hätte keine Chance, reicht dir das als Antwort“, lachend sah er mir zu, er wusste glaube ich, was gleich kam.

Ich sagte erst einmal gar nichts, legte allerdings den Kopf etwas schräg, um Conny zu mustern.  „Conny, hat dir schon einmal einer gesagt, dass du böse bist. Selbst du hast keine Minute gegen mich. Also halte bitte die Füße still und schockiere, deine Leute nicht so. Oder muss ich wieder einmal etwas mit dir spielen? Was sollen deine Leute von mir denken?“

Konterte ich, zum Erstaunen von Sender und seinen Team, die so einen lockeren Umgangston, von mir nicht gewohnt waren. Doch bei Conny konnte ich das, ihn kannte ich schon so lange. Conny fing an zu lachen.

„Wie recht du hast. Zweiundvierzig Sekunden brauchtest du, um mich zu legen, Gosch hat das letzte Mal gestoppt“, wieder fing er an zu lachen, ich hörte das so gerne, es kam von Herzen. Er konnte immer noch über sich selbst lachen, das war gut.

„Siehst du“, sagte ich deshalb nur. „Also weiter, wir schweifen ab. Dann teile ich dein Team wie folgt. Team 3 die Scharfschützen. Werner, Uwe, Felix und Team 4 Simon, Ole, Rüdiger, Eric, Friedel, mein allerbester Freund Mario. Sei gegrüßt, ich freue mich, dass du dabei bist und natürlich du Conny. Damit wäre das geklärt. Die Taktik die wir anwenden, wird von mir nur mit Teamnummer erklärt, so dass ihr sofort wisst, wo ihr hin müsst. Habe ich spezielle Aufgaben, werde ich euch mit Namen nennen. Einverstanden und habt ihr begriffen wie das gemeint ist, sonst fragt bitte. Es nutzt uns nichts, wenn ihr dann nicht wisst, wo ihr hin müsst.“

Wieder musterte ich die Männer aufmerksam. Alle nickten und standen auf. Sie tauschten die Plätze und rückten Stühle so, dass alle Teams nach Einteilung saßen.

„Also, wir gehen wie folgt vor…“ Wieder erklärte ich Schritt für Schritt die Vorgehensweise, es wurden Fragen gestellt und die auch geklärt. Ich versuchte alle Eventualitäten einzukalkulieren. Nach über zwei Stunden, die Uhr der Turnhalle zeigte bereits 22 Uhr 53 an, waren alle eingewiesen, wussten in groben Zügen, was auf sie zukam. Genauere Planung war einfach nicht möglich, es gab einfach zu viele unbekannte Sachverhalte.

„Noch eins zum Abschluss, damit ich dann beim Einsatz, keine Probleme bekomme. Rudi, der einfachhalber werde ich alle Kommandos an Conny geben. Bitte verzeih mir, dass ich dich übergehe. Das hat nichts mit uns Beiden zu tun. Ich habe über hundert Einsätze mit Conny hinter mir, er versteht meine Sprache und meine Zeichen. In angespannten Situationen, nutze ich oft die Schulsprache, ohne dass mir das bewusst wird. Da ich das einfach gewohnt bin. Das zum Ersten. Zum Zweiten, ich werde ohne Schutzkleidung kämpfen.“

Sender, John und viele der anderen protestieren. Die Einzigen die lachend da saßen, weil sie das schon hundertmal erlebt hatten, waren Conny und Mario. Es war immer das Gleiche, aber auch verständlich.

„Bitte Ruhe, ich erkläre euch warum“, ich wartete, bis sich alles beruhigt hatten. „Rudi ihr habt mich in der Wand gesehen. Mehrmals schon habe ich euch das auch erklärt, bitte frage Conny wie hinderlich Sachen beim Wandlaufen sind, der kann das nämlich auch. Wir sind es gewohnt ohne Schutzkleidung zu kämpfen, wir hatten so etwas nie. Rudi, du weißt, dass ich gute Reflexe habe, aber du ahnst nicht mal annähernd, wie gut die wirklich sind. Ich weiche einer Kugel aus, ohne dass sie mich trifft, wenn sie aus fünf Metern abgeschossen wird. Für mich bedeuten Schuhe, Overalls, ballistische Weste, einfach nur Ballast und sie sind unbequem. Ich werde bei diesem Einsatz, Dinge tun müssen, die ihr Euch nicht einmal vorstellen könnt. Da zählt, einfach jedes Gramm Gewicht, das ich mehr tragen muss. Es ist einfach ein Gramm zu viel und kostet mich zusätzliche Kraft.“

Sender nickte, auch wenn ihm sichtbar unwohl dabei war. Er würde es erst, nach dem Einsatz begreifen. „John, nun zu dir. Ich weiß, dass du mich immer beschützt hast. Aber ich werde zwischen durch, wahrscheinlich einige Pausen brauchen. Je nachdem, wie wir im Zeitplan liegen. Ich habe zwar viel mehr Kraft als ihr, aber auch nicht unendliche Reserven. Oft mache ich, eine drei bis vierminütige Pause, um zu schlafen. Ich werde mich dann ebenfalls an Conny wenden. Er versteht das ohne Worte, ich muss da nichts erklären, dazu fehlt einfach die Zeit und wenn ich ehrlich bin, auch oft die Puste. Also sei bitte nicht böse.“

Der lachte laut. „Keine Angst Kahlyn, ich bin da nicht eifersüchtig, solange es dir danach besser geht. Ich werde aber versuchen, zu begreifen, wie du dass Conny verständlich machst“, dankbar sah ich den lieben Freund an. „So sind jetzt noch Fragen offen, die geklärt werden müssen? Ach Fran, dir vertraue ich den Medi-Koffer an. Ich muss ihn dabei haben für Notfälle, für mich ist er aber, bei diesem Einsatz einfach nur hinderlich.“

Fran nickte. Alle anderen aber, schüttelten den Kopf.

„Dann würde ich folgendes vorschlagen Conny, Abendessen für euch. Mir bitte meins erst 1 Uhr 40, Fran und nur 50 ml“, gab ich die letzten Anweisungen.

„Bitte, stört mich jetzt nicht, ich brauche das Taiji und das Fobnekotar zur Vorbereitung, auf den Kampf. Ich habe nicht mal drei Stunden, also eigentlich viel zu wenig Zeit. Wir sehen uns dann im Bus. Sollten bis dahin noch Fragen sein, wendet euch bitte an Conny oder Rudi. Bis später.“

Ich ging in die Ecke, wo ich mit John vorhin geschlafen hatte und zog mich komplett aus. Lief hinüber zu den Umkleiden, ich hatte gesehen, dass dort Duschen waren. Lange ließ ich das heiße Wasser, über meinen Körper laufen, genoss einfach die Entspannung. Dabei kontrollierte ich auch gleich, ob der Verband gegen Wasser geschützt war. Doko hatte, wie immer gute Arbeit geleistet, der Verband hielt gut. Nach circa zwanzig Minuten, drehte ich die Dusche ab. Lief so nass wie ich war, zu meinem Medi-Koffer, um mich einzucremen. Diese Lediros-Creme, hatte auch Doko Jacob entwickelt, sie schützte unsere Haut, zusätzlich gegen Verletzungen. Der Hautaufbau unserer Haut, war eine ganz andere, als die eines, ich sage jetzt einmal die eines normalen Menschens. Die Epidermis, also die Oberhaut ist nicht nur 0,03 bis 0,05 Millimeter dick, sondern fast fünf Millimeter, trotzdem sah sie nicht anders aus, als die von normalen Menschen. Dadurch, dass sie durch ein feines Porennetz geschmeidig gehalten wurde. Diese Oberhaut, wurde durch das Auftragen der Creme, wie Gummi. Damit setzte man die Verletzungsgefahr herunter. Leider ging das nicht bei der normalen Haut. Conny hatte diese Creme auch einmal versucht, musste anschließend Wochenlang behandelt werden, weil sich seine Haut einfach auflöste. Wahrscheinlich lag das daran, dass die Haut einfach zu dünn war. Sonst wäre ich dafür, dass sich jeder damit einrieb. Aber leider hätte das nicht den Erfolg. Anschließend wickelte ich den oberen Verband ab, ersetzte die weiße Binde durch eine bräunlich auf meinen Hautton abgestimmte. So dass man diesen Verband nicht mehr schon von weitem sah. Zog als ich fertig war, meine Turnhose, das Bustier und meine Spezialschuhe an.

In der Mitte der Halle befand sich eine große Fläche, wo nichts stand. Dort ging ich hin und begann mich einzuatmen. Konzentrierte mich auf mein Qi, begann das Taiji. Nach anderthalb Stunden, beendete ich das Taiji und fühlte mich richtig wohl. Jetzt musste ich nur noch dafür sorgen, dass meine Muskeln richtig aufgewärmt werden. Bei dem, was ich heute vor hatte, muss ich das machen. Auch, wenn ich dazwischen, einen halbe Stunden Pause haben würden, nutzte mir das Vorwärmen sehr viel. Die Muskeln wussten dann, was auf sie zukam in den nächsten Stunden und waren schon besser durchblutet. Im Anschluss begann ich mit dem Fobnekotar, das waren langsame fließende Bewegungen, die jede kleinste Muskelfaser im Körper beansprucht, es hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Taiji, förderte aber nicht den Energiefluss, sondern den Kraftfluss und hatte auch etwas mit Körperbeherrschung zu tun.

Doko Jacob stritt sich immer mit mir, dass damit das Gleiche gemeint wäre. Das war es aber nicht, die fließende Energie des Körpers, da gebe ich dem Doko recht, fließt durch alle Zellen, auch durch die Muskeln. Der Kraftfluss aber ist ein örtlich begrenzter, nur auf die Muskulatur beschränkter Fluss. Der, wenn er unterbrochen würde, zu Faserrissen in der Muskulatur führt, die verdammt schmerzhaft waren. Rashida hatte diese Übungen entwickelt, weil viele von uns unruhig wurden, wenn wir mal lange Kampfpausen hatten. Schnell stellten wir fest, dass diese Übungen uns dabei halfen schneller warm zu werden und wir uns viel seltener verletzten.

In der Zeit in der mir diese Gedanken, beim Fobnekotar durch den Kopf gingen, sammelten sich die Männer, die ihr Abendessen schon lange beendet hatten und sahen mir dabei zu. Conny, der diese Übungen auch schon lange machte, erklärte ihnen deren Zweck. Zehn Minuten, nachdem ich angefangen hatte, stieg er in diese Übungen ein. Es freute mich immer zu sehen, wie exakt er die Übungen auszuführen konnte. Fast zwei Jahre hatte er und die die Teams von der Soko Tiranus gebraucht, ehe sie das Fobnekotar fehlerfrei ausführen konnten. Nur durch diese Übungen, war er in der Lage in der Wand zu laufen, wie ich es tat. Man benötigte eine sehr gute Körperbeherrschung, die man durch diese Übungen erlernte. Dabei fiel mir ein, dass John das auch lernen wollte. Vielleicht konnte ich es allen, die das wollten nach und nach beibringen. Ich nahm mir vor einmal mit Rudi darüber zu sprechen. Das Fobnekotar, machte einfach in der Gruppe viel mehr Spaß als alleine, vor allem sah es gut aus.

Wir hatten einige Mal bei Veranstaltungen die der Oberstleutnant für irgendwelche Militärs organisierte, Schaukämpfe gemacht. Als Vorspiel, machten wir immer das Fobnekotar. Es hatte allen immer besser gefallen, als die Kämpfe selber. Ich vergewisserte mich auf die Uhr der Turnhalle, dass mein Zeitgefühl stimmte und sagte kurz. „Semro. - Gleich zu Ende“, das hieß, dass wir machen Schluss mussten.

Conny begriff sofort und langsam führten wir den Bewegungsablauf zu Ende, dann atmeten wir uns aus, das hieß es wurden mehrere tiefe Atemzüge in der Taiji-Atmung gemacht. Conny lächelte mir zu.

„Das tat gut Engelchen, zu zweit macht das viel mehr Spaß.“

Ich nickte. „Dann lerne es deinen Leuten, dann hast du jemanden, der mitmacht“, gab ich ihm Kontra.

Conny lachte, weil er wusste, dass es schwierig war diese Bewegungen jemanden beizubringen. Ich ließ ihn einfach stehen und lief hinter in die Ecke, um mich fertig anzuziehen.

Fertig angezogen holte ich mir die Waffen die Conny mir geborgt hatte. Die beiden Schwerter, die beiden Sai und die Nunchaku. Nahm auch den Teleskop Tonfa mit, die Conny immer nutzte. Ich mochte diese Art Tonfa nicht so besonders. Denn diese waren mir nicht stabil genug, aber es war besser als nichts. Dann band ich mir noch ein schwarzes Tuch um die Stirn, was ich bestimmt brauchen würde. Es war dort ein ständiger Wechsel zwischen Licht und Dunkelheit, ich wollte aber keine Kampfbrillen aufsetzen, da ich die schon einige Male verloren hatte. Tücher hatte ich immer ein oder zwei auf Reserve, im Brillenfach einstecken.

Ich ging nach vorn zu den Tischen. Fran machte gerade mein Essen. Setzte mich auf den Tisch, es war eine dumme Angewohnheit. Aber mit den Schwertern, saß es sich so einfach besser. Fran brachte mir das Essen, ich löffelte den Teller leer. Schaute dabei die anderen an. Punkt 1 Uhr 45 waren alle fertig und ich gab das Zeichen für den Aufbruch. Beide Teams liefen zu ihrem Bus und wir fuhren los. Ich war froh, dass die Jungs noch nicht ahnten, was gleich auf sie zukam. Meiner Meinung nach, wären sie dann sofort umgedreht und hätten sich geweigert mitzukommen. Der blanke Horror stand uns bevor.

Nur Conny und Marion, lachten nicht so mit. Ich blickte zu den Beiden hinüber und schüttelte leicht den Kopf. Es brachte niemanden etwas, wenn sie ihre Leute jetzt schon verunsicherten. Man sah den Beiden an, dass sie kein gutes Gefühl bei dem Einsatz hatten. Sie hatten schon einige solcher Einsätze mit mir erlebt. Sie wussten nur zu gut, was es bedeutete, wenn ich dermaßen aufrüsten musste. Das ließ nicht Gute vermuten, da kam Schlimmes auf uns zu. Aber es nutzte nichts, sie schluckten ihre Bedenken herunter und lachten mit den anderen mit, schon wurde die Stimmung lockerer. Nach dem Einsatz würde keinem mehr nach lachen zu Mute sein.

Wir stellten die Busse zwei Kilometer vor dem Lager ab, ich legte meine Brille auf meinen Platz und zog mein Band über die Augen. Gemeinsam liefen wir im leichten Laufschritttempo, bis kurz vor das erste Lager. Ich freute mich, dass alle, wirklich alle, sofort in die von mir vorgeschlagen Formationen gegangen waren. Das Team 4, also Connys Team, lief als erstes, dann das Team 2 das von Sender geführte Nahkampfteam, die Teams 3 und 1, die Scharfschützen am Schluss. Conny lief, wie verabredet an meiner Seite.

„Wartet hier, ich gucke mir das erst einmal aus der Nähe etwas genauer an.“

Ich machte die geballte Faust, um den anderen den Stopp zu signalisieren. Conny ging in die Hocke, ich jedoch lief weiter. Vorsichtig schlich ich auf das erste Lager zu, ich fand einen Felsvorsprung, an dem ich mich hochziehen konnte, um auf die höher gelegene Felswand zu kommen. Von dort auch überblickte ich alles, aus einer sicheren Position. Zwölf Leute zählte ich, davon saßen acht an einem Feuer. In Zweiergruppen, liefen zwei Gruppen Streife, um das Lager. Im Abstand von fünfzig Metern.

Ich kehrte zu den Anderen zurück. Holte Rudi und Conny heran, um ihnen Anweisungen zu geben. Da das Lager in einem Talkessel lag, konnte ich mich von oben, an die Acht um das Lagerfeuer versammelten heranschleichen. Unweit des Feuers standen Zelte, die mir zusätzliche Deckung gaben, da ich mich in deren Schatten ungesehen nähern konnte.

Conny kam mit Mario, Ole und mir mit. Ich half den Dreien mit dem Fangseil auf die Plattform, da der Vorsprung für sie nicht erreichbar war. Die drei huschten lautlos an mir vorbei, zu der hinteren Patrouille. Rudi blieb mit John und Wolle vorn, und wartete auf mein Zeichen, in den sie sich in den Schatten der Felsen drückten und hinter den Bäumen Deckung suchten. Erst wenn beide Gruppen in Position waren, was ich sehr gut von oben sehen konnte, würden wir zeitgleich auf die drei Gruppen losgehen. Wobei meine Gruppe, das schlechteste Los gezogen hatte. Senders und Connys Team, legten die Streifen schlafen, fixierten diese mit Achtern und Knebeln und brachten sie in die Zelte. Bei mir lag die Sache leider anders. Ich musste lautlos zu agieren. Wir konnten uns die Alarmierung der anderen beiden Lager, nicht leisten. Ein Schrei würden genügen, um die anderen zu alarmiert, dann hätten wir eine Katastrophe. Ich beobachtete von der Felswand, wie beide Teams in Position gingen. Sender und Conny, gaben mir eine flache nach oben gehaltene Hand, das Zeichen, dass sie die Wachen im Fixier habe, sie praktisch auf dem Präsentierteller lagen. Sie waren bereit zu zugreifen, sobald ich meinen Angriff begann.

Schnell zog ich meine Schuhe aus, damit ich mich leiser bewegen konnte. Sprang lautlos die circa fünfzehn Meter hohe Wand herunter und lief rasch, jeden Schatten nutzend, in Richtung des Feuers. Ich zog leise meine Schwerter locker, in dem ich sie aus der Rasterung zog, aber in den Scheiden beließ. Ging in Angriffsposition, keine zwei Meter vor mir war das Feuer. Zwei Messer und zwei Shuriken in jeder Hand. Ein Schrei des Kauzes signalisierte, dass ich meinen Angriff begann. Hintereinander im Abstand von einer viertel Sekunde, schleuderte ich die Shuriken Sterne und die Shuriken Messer, gegen acht der Männer, die lautlos umkippten. Ich atmete tief durch, drückte die Schwerter, wieder zurück in die Scheide, damit sie wieder justiert waren. Sender und Conny, hatten die Wachen auch lautlos niederringen können und brachten die Vier, hier zu dem Feuer. Wir hatten abgemacht, dass wir die lebenden, in die Zelte legen würden und zwar jeden einzeln für sich. Gefesselt mit sogenannten ‚Achter‘, an Händen und Beinen fixiert. Diese Achter waren Plastikfesseln, die man nur einmalig verwenden konnte. Sie haben entfernte Ähnlichkeit, mit Kabelbindern. Alleine, kam man aber dort nicht heraus, man verletzte sich dabei nur selber schwer. In den Mund bekamen sie alle, einen Knebel, so dass sie auch nicht in der Lage waren zu schreien. Da diese Handschellen, sehr leicht und platzsparend waren, benutze ich diese bei solchen Kämpfen sehr gern. Die acht Getöteten, setzten wir aufrecht ans Lagerfeuer. So sah es von Weiten aus, als ob sie sich weiter unterhielten. Ich holte meinen Messer und Sterne zurück, wischte sie einfach an einer herum liegenden Decke ab.

„Gute Arbeit Jungs, los weiter“, befahl ich flüsternd und lief ich zurück, zu den anderen.

Wir gingen den Weg wieder zurück, um an das zweite Lager zu kommen. Im Laufschritt, das Tempo etwas anziehend, wir mussten unbedingt etwas Zeit gutmachen, mir dauerte das alles zu lange. Wie so oft, wenn ich mit den Anderen zusammenarbeiten musste, dauerte alles ewig. Meine Freunde und ich waren ein über Jahre eingespieltes Team, wo jeder wusste, was er, wann zu machen hatte, vor allem waren meine Freunde viel schneller im Laufen. Ich lief das kleine Stück um den Wald herum. Keine fünf Minuten später, hatten wir das zweite Lager erreicht. Wieder machte ich das Zeichen, für Stopp.

„Das Gleich wie vorhin, ihr wartet erst einmal hier“, erneut schlich ich mich an das Lager heran und sondiere die Lage.

Nur vier Leute waren hier. Verdammt, wo waren die anderen? Eigentlich müssten sich hier wenigstens auch zehn Leute aufhalten. Es standen wie bei dem anderen Lager vier Zelte da. Vorsichtig auf jedes Geräusch achtend und die Schatten der Bäume nutzend, lief ich die Zelte ab. Das erste war leer, in dem zweiten schliefen zwei, die anderen beiden waren ebenfalls leer. Sofort ging ich zurück zur Gruppe. Lief hinter zu den Scharfschützen.

„Macht die Schalldämpfer drauf. Es kann sein, dass sich von hinten eine Sechsergruppe nähert. Ohne Vorwarnung schießen“, als ich die entsetzten Gesichter, von Connys Männern sah, setzte ich nach. „Wir können uns hier nicht erlauben human zu sein, das habe ich euch erklärt. Jeder Schuss ein Treffer. Wenn hier eine Schießerei losgeht, haben wir ein Problem. Dann haben wir fünfzig oder sechzig Leute am Hals, wollt ihr das?“

Die Scharfschützen schüttelten den Kopf.

„Dann los, wir haben keine Zeit, für solche Diskusionen“, raunte ich ihnen genervt und ungehalten zu. Ging wieder vor zu den anderen, wütend den Kopf schüttelnd. Ich wies John und Rudi das Zelt zu und informierte Conny, von den Problemen, die seine Männer machten.

„Conny, sorge dafür, dass die mitziehen, sonst sind die raus, ich habe keine Zeit für sowas“, gab John und Rudi ein Zeichen, dass wir los mussten. Fünf Minuten hatte mich diese sinnlose Debatte gekostet, Zeit die ich eigentlich nicht hatte. Zusammen gingen wir, zu den Zelten. Ich schlich ein Zelt weiter, holte zwei Messer und zwei Sterne heraus und stieß den Schrei des Kauzes aus. Gleichzeitig warf ich die Messer und Sterne. Sofort fielen die Männer um. Im Zelt gab es eine kurze, aber lautlose Rangelei. Die Beiden im Zelt wurden fixiert und geknebelt. Dann wurden sie getrennt in zwei verschiedene Zelte gelegt. Die vier Getöteten ans Feuer gesetzt. Wieder holte ich mir meine Messer und die Sterne zurück, wischte sie an der Hemd des einen Toten ab.

„Weiter“, hauchte ich kurz angebunden. Ohne Verzögerung liefen wir zurück zu den Anderen. Dort angekommen, fragte ich Conny kurz und er merkte an meiner Stimme, dass ich genervt war.

„Geklärt?“

Conny nickte, sagt nichts dazu. Er kannte mich lange genug, um zu wissen wie ich in solchen Situationen reagierte. Er wusste, dass ich solche Diskusionen, während eines Einsatzes hasste wie die Pest. Wir liefen weiter den Weg entlang, Conny der neben mir lief, bekam im Laufen Instruktionen.

„Conny, ich laufe vor und sondierte das Gelände. Mich macht es verrückt, dass da nur sechs Leute da waren. Ich denke uns kommen gleich welche entgegen, die zum Lager wollen. Bei dem Krach den ihr macht, kann ich nichts hören, entschuldige ich weiß, ihr könnt nichts dafür. Warte mit den Anderen am Ausgang des Waldes.“ Damit lief ich los. Schnell hatte ich einen Abstand, von gut dreihundert Metern heraus geholt und konnte mich auf die Geräusche konzentrieren. Die Jungs konnten nichts für die Geräusche die sie machten, kein normaler Mensch der nicht hochkonzentriert auf Geräusche achten würde, hätte sie gehört. Doch unser Gehör war um vieles feiner, durch die Schuhe gab es einfach mehr Geräusch als gut war. Dies war auch ein Grund, weshalb wir selten Schuhe trugen. Genau horchte ich nach vorn, es war einfach zu ruhig, mir gefiel das gar nicht.

Am Ende des Waldes angekommen, schaute ich mir die Lage an. Die Felsformation war so, wie ich sie beim Überflug mit Gosch, in Erinnerung hatte. Hoch über mir waren die Überspannungsleitungen, die über die gesamte Lichtung führten. Wie ein Kreuz, liefen sie von Süden nach Norden und vom Westen nach Osten. Die Leitungen würde ich dann nutzen. Ich sah mich nach den drei Posten um, die auf den jeweiligen Felsen lagen. Vorsichtig alle Schatten der Felswände ausnutzend, lief ich um das Terrain herum. Sah mich nach dem dritten und dem letzten Lager um. Wir würden hier nicht hinkommen, bevor ich die Posten nicht ausgeschaltet hatte. Nicht mit so vielen Männern. Ich schlich wieder zurück. In der Zwischenzeit waren auch die anderen da.

„Conny, ihr geht in die Schatten und wartet hier. Hoffen wir, dass die fehlenden Leute noch nicht kommen. Ich muss erst, die drei Posten ausschalten. Es geht nicht anders.“

Conny nickte.

Ich sah mich kurz um. Lief zum nächstgelegenen und einen der dicksten Bäume, um an dessen Stamm nach oben in die Krone klettern zu können. Suchte mir einen aus, der möglichst nahe an der Hochspannungsleitung stand. Von der Krone des Baumes aus, sprang ich hoch in die Leitung und hielt mich daran fest. Zog mich aus dem Klimmzug hoch in die Stütze und dann nach oben auf die Leitung. Balancierte wie ein Seiltänzer vorsichtig zur Mitte der Lichtung, immer darauf hoffend, dass keiner der Wachen nach oben blicken würde. Dort kreuzte die zweite Leitung die Lichtung, auf die wollte ich, um ungesehen über den Wachen in Richtung Norden zu gelangen. Ich machte einem Salto und landete ich zielgenau auf der anderen Leitung, die mich am Nächsten zu den hinteren der drei Posten führte. Immer auf den Posten achten, balancierte ich auf diesen zu. Der sah allerding zu meinem Glück, immer Richtung Osten, so dass ich unbemerkt an ihn herankam.

Mist für das Mejo, eine Art Jojo, war die Entfernung einfach zu groß, es waren mindestens zweiunddreißig Meter. Also musste ich, von der Leitung erst einmal runter. Vorsichtig schätzte ich ab, ob ich dann wieder auf die Leitung gelangen konnte? Sonst musste ich erst zurück zum Wald, das würde unnütze Zeit kosten. Es waren von der Kante des Felsens, nur fünfzehn Meter. Verdammt hätte der Posten nicht fünf Meter näher liegen können, aber es nutzte einfach nichts, dass ich jammerte, das kostete nur Zeit. Also musste ich springen. Zurück auf die Leitung, das schaffte ich locker auch ohne Anlauf. Leise, jedes Geräusch vermeidend, ließ ich mich auf den Fels fallen. Noch aus der Abfangrolle heraus, führte ich einen kurzen Zug mit den Sai von hinten am Hals des Postens entlang und dieser war tot. Ich legte ihn so, dass es von unten aussah, als ob er die Gegend beobachtete.

Sofort sprang ich wieder nach oben und griff nach der Leitung, zog mich wieder nach oben. Da entdecke ich etwas, was mir gar nicht gefiel. Etwas, das ich durch den Regen, nicht sehen konnte. Es gab noch ein viertes Lager, ich musste sofort handeln. Ich sprang zwei Leitungen weiter, um näher an das Lager zu kommen. Denn von dort brachen gerade sechs Leute auf, um zu dem Eingang des Stollens zu gehen. Der in das stillgelegte Bergwerk führte, in das wir hinein wollten. Ich musste diese Gruppe unbedingt aufhalten. Denn die musste genau an meinen wartenden Leuten vorbei und die waren nicht so gut bedeckt, dass sie nicht entdeckt werden konnten. Ich sprang von der Leitung und zog im Fallen die Schwerter. Kam kurz nach der Biegung des Weges, auf den Boden. Die genau in das Lager und damit auf das offene Terrain führte. Erwischte genau die mir entgegenkommende Gruppen. Ehe die sich versahen, lagen sie schon alle am Boden. Einem Wirbel von Taiji Schwertern, konnte man nur ausweichen, wenn man darauf gefasst war. Ich lief, ohne auf Geräusche zu achten, hinein in das Lager. Fiel auch über die sechs zurückgebliebenen her, wie ein Wirbelsturm. Leider ging das nicht anders. Ein Geräusch, ein Schrei würde genügen, um die verbliebenen beiden Posten zu alarmieren. Das Lager war einfach zu nah. Verdammt, wie konnte mir das nur entgehen. Ich lief zurück, nahm zwei der sechs Toden, einfach an den Händen und zog sie in das Lager zurück. Noch zweimal musste ich laufen, um alle aus dem Sichtfeld zu holen. Falls jemand den Weg, zum Lager hinauf lief. Ich schnitt einen Zweig ab, um die Schleifspuren zu beseitigen und schmiss den Zweig in den Wald.

Über den nächst gelegenem Baum sprang ich nach oben in die Leitung. Verdammt, das hat mich fast fünfzehn Minuten gekostet. Hoffentlich, hielt Conny die Männer ruhig. So schnell es ging, lief ich Richtung Westen, um den zweiten Posten zu erledigen. Nur gut, dass die Posten sich stur auf ihre Richtung konzentrieren oder schon so müde waren, dass sie über sich die Bewegungen nicht wahr nahmen. Ich konnte mir keine Zeit mehr lassen, sondern musste handeln, mir lief die Zeit weg. Viel zu lange brauchte ich, um hier klar Schiff zu machen. Eigentlich bräuchte ich hier drei Leute für einen zeitgleichen Zugriff, doch die hatte ich nicht, denn keiner außer mir war in der Lage auf einer Hochspannungsleitung zu laufen, vor allen dort ohne Hilfe hinzukommen. Also musste ich vorsichtig agieren, so dass die anderen Posten nichts bemerkten. Beim Sprung schon, zog ich die Sai und schnitt sobald ich den Boden berührte, den zweiten Posten die Kehle durch. Ging sofort wieder in den Schatten, damit der andere Posten, der letzte mich nicht sah.

Wie lange wohl, würde ich diese Bilder, wieder Nacht für Nacht sehen? Ging es mir, in diesen Moment, durch den Kopf. Wie ich es hasste, jemanden zu töten, aber es ging nicht anders. Wenn wir diesen Einsatz erfolgreich ohne Verluste für uns beenden wollten, musste ich das tun, so leid es mir für diese Menschen tat. Ich riss mich zurück aus meinen Gedanken, ich konnte es mir nicht leisten, abgelenkt zu sein. Konzentriere dich, ermahnte ich mich selber.

Auch den Posten, legte ich aus dem Schatten heraus wieder so hin, dass es aussah, als ob er die Gegend beobachtet. Jetzt kam der einfachste der drei Posten. Der südliche, den Männern am nächsten gelegenen Posten. Ich sprang vom Felsen und lief im Schatten auf den dritten Felsen zu. Den man, durch eine Schräge leicht betreten konnte. Leise, wie es nur ohne Schuhe möglich war, lief ich die Schräge hinauf, legte den Posten schlafen. Jetzt brauchte ich nicht mehr vorsichtig sein, denn mich konnte keiner mehr sehen. Schnell schnitt ich von dessen Hemd einen Streifen ab und knebelte ihn damit. Mit zwei Achter, wurden die Beine und die Arme, um einen Baum fixiert. So konnte er nicht fliehen oder sich vom Felsen rollen.

Fertig damit, wollte ich das Zeichen geben das, die Gruppen kommen konnte, als ich Geräusche hörte. Ich hielt, die geschlossene Faust, nach oben. Das hieß, Stopp, bleibt wo ihr seid. Eine Minute später, kam eine Gruppe von sechs Leuten, die in Richtung des Lagers liefen, welches wir als zweites geräumt hatten. Die Gruppe lief also direkt, auf meine Männer zu. Ich musste sofort handeln. In dem Moment, als sie unter dem Fels, auf den ich mich noch befand, waren, sprang ich die zwölf Meter, hinunter in die Gruppe. Zog schon im Fall, die Schwerter, schon lag die Gruppe. Ich gab Conny durch winken zu verstehen, dass er heran kommen sollte.

„Bringt die nach hinten, zu den anderen“, gab ich flüsternd den Befehl und zeigte in die Richtung des Lagers, welches ich zuvor beräumt hatte. Ich lief zurück zu dem Wald, holte einen Zweig und verwischte die Spuren. Fran der sah, was ich mache, hielt seine Hand hin. Ich drückte ihm den Ast in die Hand, raunte ihm zu.

„Bis hinten alle Spuren beseitigen. Sag Conny Bescheid, sofort alle zu mir, uns läuft die Zeit davon“, sofort ließ ich ihn alleine.

Huschte nun, zu dem wirklich letzten Lager, sondierte es. Auch hier, erwartete mich das gewohnte Bild, acht am Feuer. Einer von den Acht, lag schlafend am Feuer. Je zwei Gruppen, liefen Streife, um das Lager. Es würde schwierig werden, den liegenden zu erwischen. Conny kam mit den anderen gerade an, als ich zurück auf das freie Gelände lief.

„Conny, wie beim ersten Lager, du die hinteren Posten, Rudi die vorderen. Ich die am Feuer.“ An die anderen

„Ihr geht in den Schatten und Ruhe bitte“, sofort schlich ich, mit den sechs anderen los. Verdammt, mir lief die Zeit weg. Wir waren jetzt schon fast zwei Stunden hier, immer noch nicht im Bergwerk. Je länger wir brauchten, umso höher wurde die Wahrscheinlichkeit, dass die jemanden vermissten, ginge es mir durch den Kopf.

„Beeilung jetzt“, treib ich die anderen an. Conny schlich sich im Wald, um das Lager, Rudi postierte sich vor dem Lager, ich suchte dem für mich besten Wurfpunkt aus. Einige Male, hörte ich Geräusche, dachte bei mir, verdammt können die nicht leiser sein. Doch die Leute am Lagerfeuer, fühlten sich sicher, zu sicher. Kurz sah ich, dass Conny aus der Deckung kam, mir ein Zeichen gab. Der Kauz schrie kurz, wir griffen gleichzeitig an. Hintereinander, warf ich die vier Messern und die vier Sterne, gegen die an dem Feuer sitzenden. Alle, bis auf den Schlafenden, fielen nach hinten um. Den hatte ich nicht richtig erwischt. Verdammt, ich sprinte los, zog im Laufen das Sai und zog sie durch.

Zum wiederholten Male, setzte ich die Toten ans Feuer, holte meine Messer und Sterne und wischte sie sauber. Die Wachen, wurden geknebelt und gefesselt in den Zelten verteilt. Ich trieb die Männer an, hin zu machen. Ich wusste das Hektik nicht gut war, aber langsam wurde es kritisch mit der Zeit. Wir mussten in das Bergwerk, bevor die ihre Leute vermissten. Nur so, hatten wir eine reelle Chance. Ich hatte einfach zu wenige Leute, um im Nahkampf 1:3 eine Chance zu haben.

Im Laufschritt ging es zurück zur anderen Gruppe. An der Gruppe vorbei laufend, rief ich nur leise.

„Weiter, jeder auf seine Position“, auf jedes Geräusch achtend lief ich auf dem Eingang des Bergwerkes zu. Der sich im Norden, in der Felswand, unter dem ersten Posten befand. Im Laufen zog ich mir das Band von den Augen und lief ohne Halt hinein und horchte. Zum Glück war alles ruhig.

Ich gab Conny das Zeichen, für absolute Ruhe, eine flache mit dem Handrücke nach oben gehaltene Hand, die über dem Boden kreiste. Langsam auf jedes Geräusch achtend, huschte ich in den Stollen hinein. Am Ende des Ganges, standen Posten. Es war so, wie ich es mir aus den Zeichnungen, heraus vorgestellt hatte. Eine große Höhle, durch die Schienenbrücken für die Loren führte. Es standen zwei Posten, auf jeder Seite des Schienenstranges, auf der Oberen Schiene. Auf der unteren Schiene, war nur ein Posten, der schlafend an der Wand lehnte. Von dem Gang in dem ich mich befand, ging rechts und links je ein Gang ab. Ich winkte die Männer, die wie abgemacht zehn Meter, vor dem Gangende gewartet hatten, zu mir. Leise kaum hörbar, sagte ich zu allen.

„Ihr wartet hier. Conny, du kommst mit mir, los die Schuhe aus, wir müssen in die Wand“, befahl ich leise flüsternd.

Ohne auf Conny zu warten, ging ich auf den rechten Gang zu und sprang in die Wand. Schnell lief ich gegen die Decke. Ich wusste, dass mir Conny folgen würde, sah mich vorn um, einfach um etwas Zeit zu sparen.

Gleich nach der Biegung standen drei Posten, genervt wartete ich auf Conny, der viel zu langsam war. Kaum hatte er aufgeschlossen, gab ich ihm ein Zeichen, der Erste ist für dich, die Hinteren für mich. Conny bestätigte es durch ein kurzes Nicken. Ich warf zwei Messer, Conny ließ sich aus der Wand fallen ein Ruck im Genick und der Posten lag. Ich sprang ebenfalls aus der Wand und nahm meine Waffen wieder an mich. Wir liefen im hohen Tempo zurück und hinein in den anderen Gang. Hoch in die Wand und an die Decke. Verdammt Conny mache hin, wir haben keine Zeit mehr, ginge es mir durch den Kopf.

Auch wenn Conny in der Wand laufen konnte, er war viel langsamer als wir. Er gab sein bestes, nur wurde ich langsam ungeduldig. Ich wusste, dass das falsch war Stress zu machen, aber die Zeit arbeitete gegen uns. Die Posten unterhielten sich schon darüber, wo die anderen bleiben würden. Hoffentlich lag es an den Posten die ungeduldig waren und nicht an der Zeit. Wieder kamen wir zu zwei Posten, das gleiche Spiel. Ich zeigte nach vorn, Conny wies ihn an, dass er am Ende des Tunnels beim nächsten Posten auf mein Zeichen warten soll. Wir mussten beide gegenüberstehenden Posten gleichzeitig angreifen, damit keiner Gelegenheit bekam, den anderen durch Zeichen oder Zurufe, zu warnen. Ich lief das Stück zurück, legte einen Sprint ein und erreichte zeitgleich mit Conny, meinen Posten der am gegenüberliegenden Ende der Gleisbrücke stand. Ein Nicken meinerseits reichte Conny als Signal den Posten anzugreifen, sofort schliefen die beiden Wachen, obwohl sie das bestimmt nicht wollte. Knebeln und mit der Achter fixieren, schon war die obere Ebene frei von Wachen.

Der nächste Posten war schwierig für uns. Ich schaute vom Ende der Gleisbrücke aus, auf das untere Gleis, was nur circa fünfzehn Meter von mir entfernt war. Allerdings lief es circa zwanzig Meter unter mir, um reichliche neunzig Grad versetzt ebenfalls, von Tunneleingang zu Tunneleingang. Der dort sitzende Posten schlief immer noch tief und fest, halb an der Wand lehnend und halb nach vorn gebeugt. Dass war auf der einen Seite gut, so hatte er von unserer Aktion nichts mitbekommen, auf der anderen Seite war das für mich sehr schlecht. Denn er saß ungünstig über dem zentralen Raum, der sich etwas neunzig Meter unter meiner jetzigen Position befand. Ich schätze die Chancen ab, dass der Posten, von einem Messer getroffen liegen bleiben würde, sie betrug weniger als ein Prozent, war mehr als schlecht. Eine winzig kleine Bewegung von ihm, verursacht durch ein kleines bisschen zu viel Schwung und er würde mir in die Tiefe stürzen. Zu wenig Schwung würde ihn aber nicht töten und er könnte aufwachen und vor Schreck anfangen zu schreien. Auf diese Art hätte er dann, so oder so die anderen alarmiert. Selbst dann, wenn er tot wäre. Egal was passieren würde, ich musste verhindern, dass er schrie und dass er fiel. Demnach lieber das Messer mit zu viel Kraft werfen. Mir bliebe es also nicht erspart, ich würde springen müssen, um den Posten aufzufangen. Ich gab Conny das Zeichen, mit allen zu mir zu kommen. Keine zwei Minuten später, war die Gruppe hier. Kurz informierte ich Conny über mein Vorhaben, was nicht ungefährlich war. Die anderen mussten sich darauf einstellen, dass es schief ging. Ich brauchte nur daneben zu fassen. Schon würden wir, in einen sehr ungleichen Nahkampf verstrickt. Das Risiko, war aber sehr gering. Ich zog statt eines Messers, lieber einen Wurfstern, löse das Fangseil um meine Taille und nahm es in die Hand, bereit es einzusetzen. Ein gut gezielter Wurf und genau das passierte, was ich erwartet hatte. Der Posten kippte statt nach hinten, nach vorn und fiel. Im Sprung, warf ich das Fangseil, um die Gleise und fing mit der anderen Hand, den Posten auf.

Es gab einen schlimmen Ruck und ich dachte mir reißt es die Arme heraus. Vor allem war unter mir zeitgleich ein lauter Streit entbrannt, welcher die Geräusche die ich verursacht hatte, übertönten. Zu meinem Glück hielten auch das Fangseil und die Schiene. Vorsichtig und sehr langsam, immer die Hoffnung behaltend, dass von den unten befindlichen Personen von ihrem Streit abgelenkt waren und keiner nach oben sah, wickelte ich mir das Fangseil über die Hand und den Ellenbogen. Eine Kraft raubende Unternehmung war das, ich hatte ja nur einen Arm zur Verfügung. Da ich mit dem anderen Arm, den Toten halten musste. Ich musste allerdings nicht nur mein Gewicht, sondern auch das Gewicht des Toten mit nach oben ziehen.

Mir dauerte das alles viel zu lange, aber es ging nicht anders. Vom anderen Gleis aus, konnte mir keiner helfen. Der einzige noch mögliche Zugang auf dieses Gleis, war von unten aus der Höhle, über einen Gang. An den kamen wir jetzt noch nicht heran. Endlich, nach fast drei Minuten, einer kleinen Ewigkeit, war ich auf Höhe des Gleises angelangt, schob die Leiche des Postens nach oben. Schwer atmend, am Ende meiner Kräfte, setzte ich den Posten wieder hin und nahm mein Shuriken wieder an mich. Kurz nach Luft schnappend, sah ich nach drüben zu den Jungs und überlegte, ob ich von unten her aufräumen konnte. Verwarf den Plan aber gleich wieder, denn dann würde es noch mehr Tode geben. Gerade das wollte ich ja unbedingt Vermeiden. Also musste ich zurück, auf das andere Gleis zurück.

Schwankend stand ich auf, nahm das Fangseil und sprang. Leider lag die Schiene zu weit weg und Anlauf konnte ich hier keinen nehmen, also musste ich mich erneut am Fangseil hochziehen, diesmal hatte ich aber beide Arme zur Verfügung und es war leichter. Wieder hing ich am Seil und zog mich nach oben.

Conny, der genau gesehen hatte, dass ich geschafft war und auch wusste, dass die Zeit drängte, legte sich auf das Gleis und zog mich zusätzlich mit dem Seil nach oben. Alleine, hätte ich die fünfzehn Meter, nicht so schnell geschafft, war nicht mal ganz dreißig Sekunden später auf der anderen Seite. Sender streckte mir die Hand entgegen und zog mich mit Connys Hilfe auf das Gleis und zurück in den Gang. Ich blieb liegen, wo ich war, zog einmal den Zeigefinger quer über den Hals, zeigte mit der anderen Hand drei Finger und schloss die Augen. Ich musste unbedingt ein paar Minuten schlafen, ich war völlig fertig.

Verdammt was war nur los mit mir. Normalerweise machen mir solche Aktionen überhaupt nichts aus. Wieso bekam ich schon wieder so hohes Fieber? Mühsam atmete ich mich runter. Conny zog mich in seinen Arm und hielt mich fest. Er atmete gleichmäßig und tief, ich passte meinen rasselnden Atem, seiner Atemgeschwindigkeit an, fiel sofort in einen tiefen Schlaf. Leise gab Conny Anweisung, das Terrain zu sichern, die Scharfschützen legten sich in Lauerstellung. Nach drei Minuten öffnete ich die Augen, ich hatte mich etwas erholt.

„Team 1 geht rüber an den anderen Gleisausgang, sofort, Team 3 bezieht hier Stellung. Die anderen folgen mir und Conny“, gab ich immer noch schwer atmend Anweisung. Sender wollte etwas sagen, ich schüttelte den Kopf. Wir hatten einfach keine Zeit mehr, für endlose und sinnlose Diskussionen. Mein Bein wummerte, ich holte drei der im Bus aufgezogenen Spritzen aus meiner Gürteltasche und injizierte sie mir. Ging nochmals kurz auf die Knie und gönnte mir drei Atemzüge lang noch etwas Ruhe, dann stand ich auf.

„Conny, in die Wand und beeile dich ein bisschen, ihr anderen haltet zehn Meter Abstand zu uns.“

Ohne eine Antwort abzuwarten sprang ich nach Conny in die Wand und lief eilig vorwärts. Ganze sieben Abzweigungen lagen noch vor uns, es war noch ein weiter Weg. Ich lief unter Conny durch, da ich mich wesentlich schneller, in der Wand bewegen konnte, als er. Deshalb lief ich vor, um den Gang vor uns auszuspionieren. Keine dreißig Meter weiter, standen wieder drei Posten die in ein Gespräch vertieft, ich muss schnell handeln, zog zwei meiner Shuriken-Messer, warf sie nach den beiden Männern, Conny nahm sich den dritten vor. Diese sacken lautlos zusammen.

Ich ging aus der Höhe und zog die beiden Messer, um sie wieder an mich zu nehmen, ließ die Toten einfach liegen. Weiter lief ich, wieder an Höhe gewinnend in der Wand. Ich lauschte, immer lauter werdende kamen Stimmen mir entgegen, aus einem nach rechts verlaufenden Gang. Ich warte bis Conny aufgeschlossen hat.

„Conny bleibe hier, warte hier auf mich, das musst du dir nicht antun. Dort hinten muss eine Höhle sein, da sind mindestens zehn Leute drin. Wir haben keine Zeit mehr human aufzuräumen. Tut mir leid, es sind jetzt schon fast vier Stunden. Wir müssen nach unten, die wollen einen Suchtrupp losschicken. Die sind schon auf Alarm, habe ich vorhin gehört“, entschuldigte ich für das, was ich gleicht tun musste um unsere Leute zu beschützen.

Ich ging aus der Wand und zog im Lauf meine Schwerter und rannte ohne Vorwarnung in die Höhle. Nicht einmal eine Minuten später kam ich zurück und war am ganzen Körper mit Blut bespritzt. Ich hasste mich für das, was ich gerade getan hatte. Aber wir konnten es uns nicht leisten, noch mehr Zeit zu verlieren. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Leute aus der Höhle unten, mit einer Suchmannschaft nach oben gehen würden. Bis dahin musste ich hier aufgeräumt haben. Sonst bekamen wir den großen Kampf. Ich hatte vom Gleis aus zählen können, das unten immer noch neununddreißig Leute waren, die ich sehen konnte. Wie es schien, waren aber in einer der unteren Höhlen, noch mehr Kämpfer. In dem Streit der unten ausgebrochen war, ging es darum, wo die Ablösung bliebe. Wir mussten zum Ende kommen. Aber wir mussten auch dafür sorgen, uns den Rücken freizuhalten, wir waren nur vierzehn Nahkämpfer und davon waren einige nicht einmal besonders gut. So leid es mir um die Menschen tat, es ging nicht anders. Wenn wir das Drogenlaboratorium zerstören wollten, mussten wir diese Leute ausschalten. Sie würden uns bei einem Kampf, sonst in den Rücken fallen. Einen zwei Frontenkampf, konnte ich mir hier nicht leisten. Wieder ging ich in die Wand, gab Conny das Zeichen weiter. Zügig lief ich nach vorn, wieder zwei Posten, zwei Shuriken Messer flogen auf sie zu, die Messer zurückgeholt und weiter. Noch insgesamt vier Posten, musste ich auf diese Weise ausschalten. Endlich kamen wir an die Treppe, die circa zwanzig Meter steil nach unten führt. Erleichterung machte sich in mir breit, jetzt konnte uns nicht mehr viel passieren. Alle Kämpfer des Drogenkartells waren jetzt unter uns versammelt. Die Kämpfer konnten also nur noch aus einer Richtung kommen. Solche Kämpfe konnte ich beeinflussen, ohne dass es wieder zu viele Tode gab. Verletzungen waren heilbar, ein Leben aber konnte ich niemanden Zurückgeben. Selbst wenn in der Höhle noch hundert Kämpfer waren, bekam ich das ohne Probleme zu bekommen und töten zu müssen, in den Griff.

 Ich ging etwas zurück in den Gang, gab letzte Instruktionen.

„Hört zu, Conny, Mario, John, Rudi und zwar in dieser Reihenfolge, gehen als erstes die Treppe hinunter. Sobald ihr mich schreien hört. Die anderen gehen auch auf die Treppe und bleiben dort. Conny du versuchst mit Mario zusammen, ungesehen soweit es möglich ist, nach unten zu laufen. Wenn es geht bis ganz hinunter, John und Rudi ihr folgt den Beiden. Ihr anderen bleibt auf der Treppe. Ich will euch nicht unten haben. Seht ihr Vier die beiden Nischen. Conny, Mario ihr zieht eure Gegner in die Rechte hinein, wenn es irgend geht. Rudi, John ihr in die Linke. Bitte und das ist sehr wichtig. Wenn ich kann, werde ich alle Gegner auf mich ziehen. Erfahrungsgemäß brechen immer einige Kämpfer aus und versuchen zu fliehen. Egal was ist, kommt mir nicht in meine Klingennähe, ich sehe nicht mit wem ich kämpfe. Dafür bin ich einfach zu schnell. Ich kämpfe gegen alles, was sich bewegt und in meine Klingennähe kommt. Verstanden, ich will niemanden von euch verletzen. Die anderen bleiben auf der Treppe, wehe ihr verlasst diese. Egal, was da untern passiert, ihr bleibt auf der Treppe. Verstanden.“ Ich sah alle nach einander an. „Es ist lebenswichtig, dass ich mich auf euch verlassen kann. Auch ihr vier bleibt in den Nischen. Lieber macht ihr gar nichts, als mir in die Klinge zu laufen. Keine Angst, mir passiert schon nichts. Ihr lauft erst runter, wenn ich fast unten angekommen bin. Ich schrei kurz, das ist euer Signal. Das dauert, ich habe fast sechzig Meter freien Fall. Verstanden“, wieder schaue ich alle an. „Friedel und Eric ihr lauft hoch zu den Scharfschützen, sagt ihnen, das sie auf die Schützen feuern sollen. Mir machen die Kugeln nicht viel, ich weiche ihnen aus, doch ihr könnt das nicht. Sobald einer schießt, wird er ausgeschaltet. Auch sollen sie darauf achten, ob jemand in Gefahr gerät. Wenn jemand in eine ausweglose Situation kommt, sollen sie schießend Unterstützung geben, durch Fangschüsse. Sage Fran, er soll runter kommen, wenn alles vorbei ist und die anderen auch. Ich brauche dann den Medi-Koffer. Ab mit euch, sagt ihnen, der Schrei ist das Signal. Dann geht ihr zurück zur Treppe. So, ich laufe jetzt auch los. Drückt uns die Daumen, dass wir hier heil rauskommen. Bis später.“

Tief durch atmend lief ich den Beiden hinterher. Die Jungs von Conny waren gut, sie waren bereits bei den Scharfschützen, als ich das obere Gleis erreicht hatte. Ich lief auf das Gleis und sprang auf das unter mir liegende Gleis zu. Erfasste die Schiene, zog mich nach oben. Kurz musste ich mich auf das Gleis setzen. Tief ging ich in mich und suchte mein Qi, denn ich musste sechzig Meter in die Tiefe springen und hatte nur eine Rolle Platz zum abrollen. Zwei Minuten, atmete ich mich ein, dann öffnete ich die Augen und zog meine beiden Sai. Die Schwerter ließ ich bei diesem Kampf stecken. Ich hatte heute genug Menschen, töten müssen. Ich wollte die Leute ausschalten, aber ich wollte heute niemanden mehr töten. Da ich ins Helle springen musste, zog ich wieder, das Band über die Augen und atmete noch einmal tief durch. Konzentriert sprang ich, die sechzig Meter in die Tiefe. Fünf Meter vor dem Aufsetzen, stieß ich einen schrillen Schrei aus und zog so alle Aufmerksamkeit erst einmal auf mich. Rollte mich ab, aus dem Seitenblick sah ich, dass beide Teams die Nischen erreicht hatten. Die anderen Männer, hatten sich in gleichmäßigen Abständen, auf der Treppe verteilt. Die Jungs waren gut, wirklich gut, ging es mir durch den Kopf.

Weiter konnte ich das Geschehene nicht verfolgen. Die Männer hatten sich von ihrem Schrecken erholt und gingen gezielt auf mich los. Ich ging in eine Art Schwerttanz über, eine Technik die uns ein alter Kun Fu Meister in China zeigte, der von dem wir auch die Taiji-Schwerter bekamen. Wir haben diese Technik für uns etwas abgewandelt, da wir durch unsere Fähigkeiten, viel schneller agieren können. Nutzen wir dafür nur Messer oder wie ich die Sai. Das war weniger tödlich. Egal ob man auf mich schoss oder man versucht mir mit Schlägen bei zu kommen, man kam nicht an mich heran. Diese Technik ermöglicht es mir, viele Gegner an mich zu binden und diese gleichzeitig kampfunfähig zu machen. Deshalb hatte ich die Sais mit betäubendem Gift beträufelt, so dass es reichte meine Gegner kurz zu verletzen und die würden innerhalb von wenigen Sekunden bewegungsunfähig am Boden liegen. 

Nach einigen Minuten war der Kampf vorbei, es kamen keine Gegner mehr nach. Schwer atmend stand ich da und wartete auf weitere Angriffe. Den Kopf gesenkt und die Sais kampfbereit in den Händen, war ich bereit mich sofort wieder zu verteidigen. Aber es kamen keine Gegner mehr. Langsam fuhr ich runter und konnte wieder etwas besser atmen. Die Jungs kamen auf mich zu, hielten aber respektvoll Abstand zu mir. Alle schüttelten den Kopf und starrten mich wie einen Alien an. So war es nach jedem Kampf dieser Art. Ich war nicht in der Lage zu reden, setze mich dort, wo ich grade gestanden hatte, einfach mitten ins Blut.

Stoßweise atmete ich und versuchte die Schmerzwellen in meinem Körper und die Atmung in den Griff zu bekommen. Ich saß mit geschlossenen Augen da und versuchte aus dem Blutrausch herauszukommen, das dauert ungefähr eine Minute. Geschafft, langsam beruhigt sich meine Atmung wieder. Behutsam öffnete ich die Augen und stand auf. Zählte 1,2… 17, 18, 19, dem Himmel sei Dank, alle standen auf ihren eigenen Füßen. Also war keiner schwer verletzt. Langsam bekam ich wieder Luft und steckte die Sais zurück in meinen Gürtel.

„Fran… … Medi-Koffer“, bat ich, kurzatmig.

Er brachte ihn mir.

„Alle zu mir“, befahl ich und bekam verständnislose Blicke dafür.

Ich lief einfach an einen der Tische, auf denen gestapelt lauter große Packungen mit Drogen lagen und kippte einen davon einfach um, damit diese auf den Boden fielen. Mit einem am Boden liegenden Lappen wischte ich den Tisch, so gut es ging sauber, stellte den Koffer darauf. Öffnete ihn und setzte mich daneben, atmete mich nochmals tief in mein Qi. Das half mir meine Hände ruhig zu bekommen, dann stand ich wieder auf.

Die Männer standen um mich herum, wussten nicht genau was los war. Einen nach dem anderen winkte ich heran, kontrollierte sie auf Verletzungen. Eine Sache, die ich mir in der Schule angewöhnt hatte, weil einfach zu viele schlafen gegangen waren. Warum sollte ich das hier, nicht auch so machen? Von den Nahkämpfern hatte fast jeder ein paar leichte Verletzungen abbekommen, die schnell mit Kleber und Faden behoben waren. Am schlimmsten hatte es Conny erwischt, er hatte einen Messerhieb, im Gesicht abbekommen. Vorsichtig klebte ich die Wunde, dann schaute ich mich nach einer dunklen Ecke um. In der Höhle war aber alles hell erleuchtet, da entdeckte ich einen Karton, so musste es gehen. Ich stupste John an, zeigte auf den Karton, immer noch konnte und wollte ich nicht wieder sprechen, der holte ihn mir. Ich stülpte ihn einfach über meinen und Connys Kopf, dann schob ich das Band nach oben, begann das Krantonak an. Es ging schnell, es war keine schlimme Wunde, sie würde allerdings eine böse Narbe hinterlassen. Eine Minute später, schob ich das Band wieder über die Augen. Hielt mich kurz an Conny fest, zum Glück hatte mich das nicht viel Kraft gekostet. Conny nutzte die Gelegenheit, gibt mir einen Kuss.

„Danke Engelchen“, haucht er.

Ich schenkte ihm ein misslungenes Lächeln, ich war viel zu fertig, um lachen zu können. Dann schmiss ich die Kiste einfach vom Kopf. Leise vor allem mühsam, gab ich Anweisungen.

„Conny… die Männer die noch leben hier her, zur Versorgung… Immer zwei von uns, einen von denen… dann fixieren... kontrolliert auch die in dem Lager. Max rufe an“, langsam kam ich wieder richtig zu mir und konnte wieder besser sprechen. „… die sollen ein Aufräumkommando schicken… Einsatz hiermit beendet, sag es gibt viele Verletzte und noch mehr Tode… Es ist,“ ich griff nach Toms Arm, „6 Uhr 32. Also los Leute, ich will hier raus.“

Nach einander wurden sechsunddreißig Verletze gebracht, die ich alle notdürftig versorge, den Rest konnten die Haftärzte machen. Fast anderthalb Stunden hatte ich gebraucht, um alle meine Leute und die Gefangenen zu versorgen. Mein Koffer war fast leer, nur einige Injektionen hätte ich noch geben können. Hoffentlich hatte Conny noch einen Medi-Koffer dabei, sonst konnte ich mich erst in Gera versorgen. Ich war fertig, nicht nur mit dem versorgen der Verwundeten, sondern auch physisch wie psychisch.

In Moment als mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, kamen die ersten von der Bereitschaftpolizei die Treppe herunter, um die Gefangenen abzutransportieren. Ich übergab die Gefangenen, an dessen Einsatzleiter. Informierte ihn über die in den Lager befindlichen und über den auf Felsen. Damit war der Einsatz, aus unserer Verantwortung, es war jetzt 7 Uhr 52. Fast sechs Stunden hat der Einsatz gedauert.

„Los raus hier, ich kann und will heute kein Blut mehr sehen. Du hast erst mal wieder die Einsatzleitung. Conny, ich muss hier raus“, sagte ich kurz an Conny gewandt.

Conny wusste, dass ich einfach nur weg wollte und nickte mir aufmunternd zu und entließ mich aus meiner Verantwortung. Ich ließ die Männer einfach stehen und lief die Treppe hoch. Ich musste unbedingt an die frische Luft. So ging es mir nach jedem Einsatz, dieser Art. Ohne auf die anderen zu achten die mir entgegen kamen, lief ich raus zum nächsten Baum und erbrach ich mich. Lehnte ich mich an den Baum, umklammerte meine Knie. Wie ich, solche Einsätze hasste. Nach einer ganzen Weile, kamen auch die anderen heraus. John eilte auf mich zu und hockte sich neben mich, wollte mit mir reden. Ich stand auf und ließ ihn hocken.

John verstand das nicht, ganz irritiert, blieb er in der Hocke. Was hatte er falsch gemacht? Ging es ihm durch den Kopf. Conny kam und legte ihn die Hand auf seine Schulter.

„John, lasse sie in Ruhe. Sie will mit niemanden reden, niemanden sehen und vor allem keine Nähe, nach so einen Einsatz. Sie nennt es eine Phase der Abschottung. Sie braucht das, um nicht durchzudrehen. Weißt du, wie viele Menschen Kahlyn heute getötet hat. Ich hab die Zahlen, gerade von dem Einsatzleiter der Bereitschaftspolizei bekommen. Der fragte mich, ob wir einen Krieg gehabt hätten, dieser Arsch. Er hätte siebenundneunzig Leichen und einundfünfzig zum Teil schwer Verletzte, so viel hätte er noch nie bei einem Einsatz gehabt. Wie viele Einheiten, hier gewesen wären und wieso die nicht auf sein Eintreffen gewartet hätten. Als ich ihm sagte, das wir nur zwanzig Leute gewesen sind, hat er mir den Vogel gezeigt.“

John sah ihn entsetzt an.

Conny fuhr fort mit seinen Erklärungen. Er kann anders mit solchen Dingen klar als ich, er musste reden, etwas dass ich nach solchen Einsätzen nie konnte. „Kannst du dir vorstellen, dass unser Engelchen, erst einmal damit klar kommen muss?“

John nickte.

Alle anderen Kollegen standen hinter ihm und hatten zu gehört.

„Es kann gut und gerne sein, dass Kahlyn ein paar Tage, kaum jemanden an sich heran lässt, das ist immer so. Aber kommt ein neuer Einsatz, ist sie sofort wieder voll da. Ich habe das, ein dutzende Mal, bei ihr erlebt. Habt ihr mitbekommen, dass sie sich selber noch nicht einmal versorgt hat, weil es nicht geht. Ihr Koffer ist leer. Aber keine Angst, ich stelle ihr dann meinen hin, gebt ihr eine Stunde Zeit, dann schließt sie den Einsatz ab. Erst pflegt sie die Waffen, dann bedankt sie sich bei euch. Dann erst geht sie duschen, im Anschluss verbindet sie sich. Daran müsst ihr euch gewöhnen. Nichts, rein gar nichts, ändert etwas an dieser Reihenfolge. Wollt ihr diese Reihenfolge ändern, stoßt ihr auf massiven Widerstand. Das macht sie seit vierzehn Jahren so, das bekommt ihr nicht mehr heraus. Selbst der Oberst, der viel bei Kahlyn erreicht hatte, konnte dieses Verhalten nicht ändern.“

Entschlossen drehte Conny sich um und ging allen voran Richtung Busse. Auch er musste ein wenige allein sein, um mit diesem Horroreinsatz auf seine Weise abschließen.

 

Zwanzig Minuten später, erreichten alle den Platz, auf dem die Busse geparkt waren. Kahlyn saß an einen Baum gelehnt, die Knie mit den Armen umschlungen, den Kopf in den Nacken gelegt und wartete. Fran schloss den Bus auf, alle stiegen ein. Kahlyn ging auf ihren Platz und rollte sich zusammen. John wollte sie in seinen Arm nehmen, doch sie rutschte weg von ihm. 'In Ordnung Mäuschen, ich lasse dich in Ruhe. Ich habe ja begriffen, was Conny mir erklärt hat.' Endlich fuhren wir los und die fünfundzwanzig Kilometer zurück, zur Einsatzzentrale. Dort angekommen, sagte Conny kurz.

„Keiner von Euch, bitte keiner, spricht unser Engelchen an. Lasst sie einfach in Ruhe. Ist das klar“, er sah allen nach einander an. „Dann ist es gut. Alle gehen duschen, Mario hol die Kisten mit den Overalls aus meinem Büro, ihr müsst gucken, eigentlich habe ich genug mit, vielleicht ist es dem einen oder anderen zu kurz oder zu lang. Aber besser, als diese Drecksachen anzulassen. Ali hinten in der letzen Dusche, ist ein Eimer, hole bitte Wasser für Kahlyn. Erik, du legst Lappen auf den Tisch. Ole in meinem Büro, steht das Putzset, bitte auch auf den Tisch. Fran und Simon ihr geht zuerst duschen, dann macht ihr Frühstück, für alle. Werner, du rufst auf der nächsten Polizeistation an und bittest die Kollegen, uns vierzig Semmeln zu organisieren oder sechs geschnittene Brote und den dazu gehörigen Belag, Käse, Wurst, Marmelade. Das Geld bekommen sie von mir, wenn sie hier sind. Wolle und Rüdiger, ihr kocht mal schon Kaffee, der Rest sofort unter die Duschen, es gibt vier Duschräume, in allen liegen Handtücher und Seife. Also los, macht hin, dass wir diesen Dreck von der Haut bekommen. Rudi, du kommst hinter zu mir ins Büro.“

Ohne eine Diskussion zuzulassen, drehte Conny sich um und ging in sein Büro. Die Männer erledigten, die ihnen zugeteilten Aufgaben. Aber alle drehten sich nach Kahlyn um. Die schweigend, ohne auf die Anordnungen von Conny zu hören, in die Ecke gegangen war. Sich einfach, an der Wand hatte herunterrutschen lassen. Den Kopf in den Nacken, saß sie immer noch schweratmend da, starrte auf einen imaginären Punkt an der Decke der Halle.

Zehn Minuten später, stand sie auf und lief auf den Tisch zu, wo ein Eimer stand. Nahm ihre Halfter ab, legte alle Waffen sorgfältig auf den Tisch. Langsam und gründlich, als wenn sie nicht ein noch so kleines Krümelchen, auf ihren Waffen und Halftern lassen wollte, reinigte sie gewissenhaft ihre Sachen. Über dreißig Minuten, brauchte sie dazu. Damit fertig, legte sie die Waffen die sie sich geborgt hatte auf die Bank, ihre räumte sie zurück in den Gürtel, legte diesen ebenfalls auf die Bank. Lief nach hinten in die Dusche und holte neues Wasser, anschließend schrubbte sie ordentlich den Tisch. Brachte den Eimer in die hintere Dusche und schmiss die Lappen neben die Overallkiste. Sofort kehrte sie zum Tisch zurück, holte Connys Waffen und ging in dessen Büro.

„Conny, kann ich die Abschlussbesprechung gleich noch machen, ich möchte mich dann duschen bitte“, bat sie ohne darauf zu achten, dass sie das Gespräch der beiden Männer unterbrach. Conny nickte und stand auf.

„Komm Rudi, holen wir die Männer zusammen.“

Kahlyn dagegen holte ihre Waffen, um sie auf ihre Matte zu legen. Stellte sie sich dann vorn vor die sich versammelnde Mannschaft und wartete darauf, dass sich allen hinsetzten und ruhig waren. Keine drei Minuten später, saßen alle wieder auf den Plätzen, die sie vor Einsatzbeginn hatte. Kahlyn, dreckig und blutverschmiert, stand vor den Männern. Man sah bei ihr nicht, was nun ihr eigenes war und was fremdes Blut war. Aber sie schien das nicht zu stören, sie lehnte sich gegen die, immer noch vorn stehende Kiste. Wartete darauf, dass die Männer ruhig wurden. Als diese nicht aufhörten zu reden, sagte sie ganz leise.

„Könnt ihr euch eigentlich vorstellen, dass ich auch gern unter die Dusche gehen würde?“

Traurig wartete sie, die vorn sitzenden konnten es gerade noch so verstehen und sorgten deshalb, für Ruhe.

„Danke, dass ich noch einmal, kurz eure Aufmerksamkeit bekomme. Ich wollte euch nur für eure gute Arbeit danken. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten, die aber normal sind, hat alles sehr gut geklappt. Trotzdem, muss ich die Scharfschützen rügen. Ich hatte euch, vor dem Einsatz, alle möglichen Zwischenfälle erläuter. Ich finde es nicht gut, dass ihr mich trotzdem dazu gezwungen habt, es im Einsatz nochmals zu erläutern. Warum ich welche Anordnungen treffe. Diese zwei Minuten, hätten reichen können, um den Einsatz zu einem, für uns blutigen Ende zu führen. Ich bin es wirklich nicht gewohnt, irgendwelche Befehle, doppelt und dreifach zu erklären. Dazu fehlen mir einfach die Zeit und die Nerven, solche Verzögerungen gefährden den gesamten Einsatz. Sie können tödlich sein. Ich weiß, dass es immer schwer ist, sich auf neue Befehlslinien einzustellen. Trotzdem solltet ihr euch angewöhnen, bestimmte Dinge einfach zu akzeptieren. Ihr seid Scharfschützen, ihr wurdet dazu ausgebildet, mit dem direkten Schuss zu töten. Wenn ihr das nicht könnt, dann habt ihr den falschen Beruf. Lasst euch das einmal durch den Kopf gehen. Nicht immer ist es schön, wenn man jemanden töten muss oder denkt ihr mir macht das Spaß. Aber in manchen Fällen, geht es nicht anders. Das wusste jeder von Euch, als er sich diesen Beruf gewählt hat. Ihr konntet es euch aussuchen, ich nicht. Ich wurde geboren, um zu töten. Also, wenn ihr dafür nicht bereit seid, sucht euch etwas anders. Das soll keine Kritik an euch sein, sondern ein Denkanstoß. Ich danke jeden Einzelne von euch, für seine gute Leistung und für eure akkurate Mitarbeit. Ohne eure Disziplin und ohne euren Einsatzwillen, wäre dieser Einsatz nicht möglich gewesen. Hiermit übergebe ich offiziell, die Einsatzleitung wieder an Conny zurück. Hoffe, dass wir wieder einmal zusammen arbeiten können. Auf Wiedersehen.“

Ganz leise, ruhig hat Kahlyn gesprochen. Trotzallem merkte man ihrer Stimme an, wie schwer ihr das gefallen war. Auch, weil man deutlich an ihrer Haltung sah, wie fertig sie war. Mit dem letzten Satz, verließ sie die Männer und ging humpelnd in die Dusche. Conny übernahm, damit wieder offiziell die Leitung. Auch er wollte noch einiges los werden.

„Ich weiß, dass die Scharfschützen, sich jetzt etwas auf den Schlips getreten fühlen. Doch gebe ich Kahlyn in dieser Hinsicht recht. Ich weiß auch, das viele den Hinweis auf den falschen Beruf, schwer verarbeiten könne. Einen Rat möchte ich euch dazu geben, diese Worte von Kahlyn, habe ich mir ebenfalls schon mehr als hundertmal anhören müssen und ich kann Kahlyn verstehen. Die Wahl, diesen Beruf beim SEK anzunehmen, stand jeden von uns frei. Wir könnten genauso gut auf Streife gehen oder eine Kreuzung regeln. Kahlyn hatte diese Wahl nie. Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass Kahlyn ihren Beruf und ihre Arbeit liebt. Auch, wenn sie diesen manches Mal, so wie heute hasst. Sie weiß aber auch, genau wie wir, dass sie viel Gutes tun kann. So wie heute, die Vernichtung von Drogen oder das Retten einer Geisel. Was sie euch eigentlich damit sagen wollte, sie kann es nur nicht so gut ausdrücken. Ist folgendes, das die Entscheidung und die Verantwortung eines jeden Toten, liegt immer bei demjenigen der die Einsatzleitung hat. Weil nur er alles überblicken und lenken kann. Er kann nicht zulassen, dass sich Einzelne, einem Befehl wieder setzen. Das ihr deshalb dem Befehl zu gehorchen habt, egal wie schlimm es für euch ist. Sonst steht oft, nicht mehr nur um das Leben eines Einzelnen, sondern das Leben der ganzen Gruppe steht auf dem Spiel. Ist das jetzt bei jedem von euch angekommen.“

Die Männer nickten stumm. Einigen von ihnen hatten immer noch eine wahnsinnige Wut in ihren Blick. Da sie sich von Kahlyn persönlich angesprochen fühlten.

„Das ist gut. Jetzt auch von mir, danke für die gute Leistung, ihr habt super mitgearbeitet. Mein Dank auch an Rudis Team, gern wieder. An mein Team, ein super Dank. Ich weiß, dass das heute für euch nicht einfach war, wir sind nicht eingespielt, trotzdem hat alles so geklappt wie es klappen sollte. Mario, auch an dich meinen Dank, super Leistung, gern wieder. Sage dem Oberst tausend Mal Danke, ich melde mich, sobald ich in der Dienststelle bin. So ihr Lieben, nach dem Frühstück geht es ab nach Hause. Alle helfen soweit es jetzt schon möglich ist, Werner beim einräumen der Sachen. Achtet bitte darauf, dass die Halle sauber verlassen wird. Ach und stellt euch darauf ein, dass es mit unserem Engelchen noch ein paar Schwierigkeiten gibt. Sie geht durch eine schlimme Zeit. Ihr hattet ein Problem damit einen Menschen zu töten, denkt darüber nach, wie sich unser Engel jetzt fühlen muss. Also wundert euch dann nicht, wenn sie anders reagiert, als wie ihr es erwartet. Das war's auch von meiner Seite. Rudi?“

Der schüttelte den Kopf. „Ich mache das, wenn Kahlyn wieder ansprechbar ist.“

„Finde ich gut.“

Conny war zufrieden, er hatte die halbe Stunde genutzt, um Rudi ein paar Tipps, im Umgang mit Kahlyn zu geben. Die eine ganz Liebe war, aber in manchen Sachen Reaktionen zeigte, die für normale Menschen nicht verständlich waren.

„Komm, gehen wir auch duschen. Zu Kahlyn in die Dusche, ich will sehen ob und wie schwer, sie verletzt ist.“

Conny löste mit diesen Worten, die Abschlussbesprechung auf. Er ging in sein Büro und zog sich aus. Lief so nackt wie er war hinüber in die Dusche, in der Kahlyn verschwunden war. Die stand immer noch, mit den Händen an der Wand und ließ das Wasser über ihren Körper laufen. Eine Prozedur die sie immer machte, wenn sie das nur konnte. Sie war so weit weg in ihren Gedanken, dass sie nicht einmal bemerkte, dass die beiden Männer den Raum betraten. Oder sie ignorierte die Männer einfach. Conny sah sich den Körper von Kahlyn genau an, sah einige tiefe Schnittwunden, die stark aber nicht übermäßig bluteten. Er war beruhigt, es waren keine lebensgefährlichen Verletzungen. Sender kam in die Dusche und sah Kahlyn vor sich hin bluten, gleich wollte er wieder etwas sagen. Conny nahm ihn am Arm und schüttete leicht den Kopf.

„Rudi, das was du hier siehst, sind bei uns schlimme Verletzungen. Für Kahlyn, sind das Kratzer, ungefähr so, als wenn du dir beim Rasieren ins Gesicht geschnitten hättest. Glaube mir, mein Engelchen hat einen natürlichen Selbstschutz. Gefährlich Verletzungen, behandelt sie sofort.“

Ungläubig sah Sender zu Conny der nickt. „Was Conny ist dann schlimm?“ Sender war entsetzt.

Conny lächelte. „Rudi, das wirst du schon noch herausbekommen. Glaube mir. Vertraue einfach meinem Engelchen. Das dauerte eine Weile, aber nach sieben Jahren und hundert Einsätzen, weiß ich. Dass das hier nur, leichte Kratzer sind.“

Im gleichen Augenblick drehte Conny die Dusche auf, stellte sich genau wie Kahlyn, mit den Händen an die Wand. Er hatte sich das schnell abgesehen und festgestellt, dass dies wirklich entspannend wirkte. Sonst hatte er nach jedem Einsatz, tagelang Probleme mit Verspannungen, sogar Krämpfen. Das blieb seit dem er das so machte, völlig aus.

Rudi schüttelte den Kopf und drehte sich auch eine Dusche auf, duschte allerdings wie gewohnt. Conny drehte seinen Kopf zur Seite.

„Rudi probiere das ruhig mal aus, es tut gut. Kahlyn weiß, wie man Muskeln wieder locker bekommt.“

Grinsend sah er Sender an. Der zuckte mit den Schultern und dachte bei sich. 'Warum nicht, es tut ja nicht weh.' Stellte sich jetzt ebenfalls mit den Händen an die Wand, nach einer Minute stöhnte er erleichtert. 'Oh tut das gut, die Kleine weiß wirklich wie man entspannt.' Langsam drehte er den Kopf zu Conny und sagte nur.

„Danke.“

Dann schloss er die Augen und genoss das heiße Wasser. Nach einer viertel Stunde, fingen die beiden Männer an sich zu waschen und verließen fünf Minuten später die Dusche. Kahlyn jedoch stand immer noch unter der Dusche, ohne sich zu rühren. Nach über einer Stunde, erschien Kahlyn mit nasser Unterwäsche und Bustier, immer noch blutend aus der Dusche.

„Rudi, ich werde dafür sorgen, dass ihr in Gera, mit Kahlyn nicht schon wieder Probleme bekommt. Das hattet ihr in der letzten Woche genug, aber es wird heftig werden. Bitte sorge dafür, dass egal was jetzt passiert, niemand eingreift. Egal, was passiert. Ich kann mich gegen Kahlyn zur Wehr setzten, von Euch ist dazu noch keiner in der Lage“, sich zu seinen Jungs umdrehend. „Ihr bleibt auf Euren Plätzen, egal, was jetzt passiert. Kahlyn kann, wenn man sie im falschen Moment anspricht, oft sehr heftig reagieren. Sie tut mir zwar weh, doch das halte ich aus. Wenn ihr eingreift, läuft das aus den Rudern. Dann kommt es, zu einem richtigen Kampf, dann werden hier einige arg verletzt. Nicht jeder von euch, hat schon richtig mit Kahlyn trainiert und weiß wie hart dieses Mädchen zu schlagen kann. Ich kann das, ihr allerdings nicht. Ich habe über Jahre mit ihr trainiert oder besser sie hat mich trainiert. Kahlyn war meine Ausbilderin und hat mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin. Also bleibt, wo ihr seid, egal wie schwer euch das fällt. Mario, übersetze ruhig, was mein Engelchen mir an den Kopf schmeißt. Damit die Jungs begreifen, dass Kahlyn, gar nicht richtig da ist.“

Mario nickte, hatte er doch genau wie Conny, schon einige solche schlimmen Einsätze, mit Kahlyn erlebt. Weiß wie gefährlich, das bei Kahlyn werden konnte. Das war auch der Grund warum, sein Freund wollte, das Kahlyn sich hier noch abreagierte. Weil er Angst hatte, das die Kollegen aus Gera, dem nicht gewachsen waren. Beim Oberst, hatte man Kahlyn immer gleich, ein paar Stunden schlafen lassen. Nur mussten die Kollegen wieder nach Hause und konnten nicht noch vier oder fünf Stunden warten.

„Viel Glück, Conny. Wann soll ich eingreifen?“, mit bangen Gesicht, sah Mario zu seinem Freund.

„Am liebsten gar nicht. Wenn ich Hilfe brauche, schreie ich danach. Wenn es zu gefährlich wird, lenkst du sie ab und ich lege sie schlafen. Dann müssen wir sie fesseln, bis es vorbei ist. Aber ich hoffe, ich bekomme es so hin. Aber es wird diesmal heftig werden.“

Conny ging vorsichtig auf seinen Engel zu. Wusste er doch, dass der falsche Augenblick, fatale Folgen haben konnte. In der einen Hand ein Paket mit trockener Wäsche, in der anderen den Ersatz Medi-Koffer. Leise sprach er sie an

„Kahlyn, lödein Medo. Slensa, Nikyta.“

Mario übersetzte für die anderen „Ich passe auf dich auf, hier ist ein Medi-Koffer. Verbinde dich, Engelchen.“

Es war der falsche Augenblick, das stellte Conny beim ersten Wort fest. Inständig hoffte er, sie zurück zu holen. Kahlyn allerdings rastete völlig aus. Sie fing an ihn anzuschreien.

„Pör, kri.“ Immer wieder, schrie sie Conny an. „Pör, kri.“

Mario übersetzt, behielt die Beiden ständig im Auge. „Du Monster, ich töte dich.“

Dabei schlug und trat sie auf Conny ein. Wild folgte Schlag auf Schlag, Tritt auf Tritt, Conny konnte den Schlägen und Tritten kaum ausweichen. Diese Schläge kamen in einem Tempo, die sich die Männer aus Gera nicht vorstellen konnten. Sie wussten ja, dass Kahlyn gut war, das hatten sie bei den zwei gemeinsamen Einsätzen gesehen. Aber dass sie so kämpfen konnte, das ahnten sie nicht. Wild und voller Wut schlug sie hart auf ihren Freund ein, den sie vor wenigen Stunden, noch so um den Hals gefallen war. Was ging in ihr vor, was trieb dieses Mädchen nur dazu, so auf ihn einzuprügeln? Er hatte doch gar nichts Schlimmes gemacht. Was ging in ihren Kopf nur vor sich?

Conny ließ die Sachen fallen, um sich vor den Schlägen Kahlyns zu schützen. Vor allem, um besser auszuweichen zu können. Diese heftigen und nicht ganz ungefährlichen Schläge, waren für das Geraer Team unbegreiflich heftig. Ihnen wurde auf einmal klar, was Conny vorhin meinte, sie könnten sich nicht gegen Kahlyn wehren. Conny schon, denn er war auf diese Schläge vorbreitet, durch das Anspannen der Muskulatur, war das Verletzungsrisiko sehr gering.

„Lözi, Raiko“, brüllte Kahlyn mit hasserfüllter Stimme.

„Du willst mich zerstören, du bist ein böser Mensch.“

Der Einsatzleiter wisch den Schlägen gekonnt aus, schlug aber kein einziges Mal zurück. Rasselnd und pfeifend ging Kahlyns Atem. Ihre Tritte und Schläge, krachten wie Hagelschläge auf Conny nieder.

„Levedo?“ … „Levedo?“ … „Levedo?“, rief Kahlyn immer wieder, jede Silbe ein harter Schlag und jede Silbe voller Hass geschrien. Tränen der Wut rannen über ihr Gesicht. Conny wich jeden Schlag mit einer unvorstellbaren Geschwindigkeit aus, lief immer rückwärtsgehend Kreise in der Halle. „Levedo?“

„Warum bestrafst du mich, mit solchen Einsätzen?“, übersetzte Mario weiter für die anderen.

Conny dagegen sprach im leisen und beruhigenden Ton, auf das aufgebrachte Mädchen ein. Seine Stimme klang gelassen und liebevoll.

„Kahlyn, rashida Nikyta.“

Mario stand auf, bereit sofort einzugreifen. Er hatte Angst um seinen Freund. Auch, wenn er wusste, dass Kahlyn, Conny nie mit Absicht schwer verletzten würde. So wusste er doch von vorangegangen Auseinandersetzungen mit ihr, dass dies schon vorgekommen war. So heftig wie diesmal, war es lange nicht gewesen. Er zog seine Schuhe und den Overall aus und machte sich bereit einzugreifen. Denn Conny wurde von dem wütenden Mädchen, immer mehr in die Enge getrieben. Conny blickte zu Mario und sah ihn in Turnhose stehen, schüttelte leicht den Kopf. Er hatte diese Auseinandersetzung also noch voll im Griff. Wieder sprach er fast zärtlich zu ihr.

„Kahlyn, rashida Nikyta.“

„Ich beschütze dich, beruhige dich doch, Engelchen.“

Diese schlug und trat weiter, wie wild auf ihn ein. Schlag um Schlag wehrte Conny ab und wiederholte ständig, den gleichen Satz, in der Hoffnung, dass dieser in die gepeinigte Seele von Kahlyn vordringen würde.

„Kahlyn, rashida Nikyta.“

Immer mit gleichbleibenden ruhigen und warmherzigen Stimme. Auch wenn man langsam merkte, dass Conny die Luft knapp wurde.

„Raiko“, wieder schrie Kahlyn ihn an, die Schläge wurden langsamer. Rote Flecken zeigten sich auf ihrem Gesicht.

„Du bist ein böser Mensch“, Mario atmete tief ein und aus.

Nach fast dreißig Minuten, wurden ihre Attacken, langsam immer weniger.

„Rashida“, bat Conny schwer atmend, aber immer noch mit leiser Stimme.

„Beruhige dich.“

Immer seltener schlug Kahlyn zu. Auch sie atmete schwer.

„Granima, Raiko“, wimmerte Kahlyn immer wieder, aber leiser werdend.

Mario setzte sich wieder, es war vorbei. Die Gefahr war gebannt. Die Kleine hatte sich beruhigt, sie kam langsam zur Ruhe.

„Lass mich in Ruhe, du bösartiger Mensch“, übersetzte Mario für die Anderen und zog sich wieder an.

Atmete, für die Anderen, sichtbar erleichtert auf und rieb sich müde das Gesicht. Conny näherte sich langsam dem Mädchen, leise redete er auf sie ein. Immer wieder wiederholte er die gleichen Worte.

„Kahlyn, rashida Nikyta.“

Mario beobachtete die Beiden genau, denn nicht nur einmal, wurden die Attacken wieder schlimmer, durch eine unbedachtes Wort, eine schnelle Bewegung, die Kahlyn falsch verstand.

„Ich beschütze dich doch. Beruhige dich, mein Engel.“

Immer seltener, schlug sie auf Conny ein, vor allem aber nicht mehr so kraftvoll. Plötzlich sank sie weinend auf die Knie. Vorsichtig näherte sich der Einsatzleiter dem Mädchen, hockte sich in einer sicheren Entfernung vor sie hin. Immer wieder sagte er die gleichen Worte „Rashida, beruhige dich doch.“

„Granima“, flüsterte sie jetzt

„Lass mich in Ruhe“, wurde es gleich übersetzt.

Conny nahm sie in den Arm. Streichelte ihr vorsichtig über den Rücken, zog sie an sich heran und hielt sie eine Weile einfach nur fest.

„Keladi, Nikyta. keladi“, erklärte er ihr in einen leisen freundlichen Ton. Dabei streichelte ihr Conny über den Kopf.

„Es ist vorbei, Engelchen, es ist vorbei“, Mario rieb sich immer wieder das müde Gesicht, war froh, dass es vorbei war.

„Pör, lözi“, wimmerte Kahlyn.

„Der Tod verfolgt mich, du Monster.“

Conny versuchte die völlig fertige Kahlyn, zu beruhigen.

„Keladi, Nikyta. Keladi.“

„Semro, Kahlyn.“

Erschrocken sah Mario, zu Kahlyn.

John sah ihn an. „Was hat sie gesagt? Das du so entsetzt guckst?“

Mario blickte ihn traurig an. „Das heißt: warum beschützt mich keiner, warum kann ich nicht sterben? So schlimm war es lange nicht mehr.“

Conny versuchte immer noch, sein Engelchen zu beruhigen.

„Keladi, Nikyta. Keladi“, immer wieder sagte er diesen Satz, in der Hoffnung, dass dieser in ihre zermarterte Seele vordrang.

Langsam beruhigte sie sich. Ihre Atmung wurde gleichmäßiger.

„Nikyta. Drö kirema.“

„Engelchen, soll ich dir beim Versorgen deiner Wunden helfen?“

Kahlyn nickte. Langsam kam sie wieder zu sich. Conny hielt das jetzt am ganzen Körper zitternde Mädchen im Arm, immer noch weinte sie.

„Kahlyn ich weiß, dass es ein Horroreinsatz war. Aber er ist vorbei, beruhige dich doch. Komm mein Engelchen.“ Conny streichelte ihr über den Kopf.

„Ich will die Toten aber nicht mehr sehen. Ich will Menschen beschützen und nicht sie töten“, wimmerte die Kleine.

„Ich weiß Engelchen, aber immer geht das nicht, das weißt du doch. Dank dir, ist keiner von uns gestorben. Du hast uns gut beschützt“, wieder versuchte er, sein schlotterndes Engelchen zu beruhigen. „Es geht vorbei, Kahlyn, es geht immer vorbei.“

Immer wieder, bäumte sie sich gegen Conny auf. Diese unsagbare Wut konnte sie nur schwer bekämpfen und kam immer wieder in ihr hoch. Das Fieber in ihr kochte und machte es ihr schwer, klar zu denken.

„Was weißt du? Du hast meine Träume nicht. Dich verfolgen sie nicht, nur mich“, schrie sie wieder und wehrte sich gegen Conny.

Diesmal ließ Conny sie nicht mehr los, hielt sie fest in seinen Armen, so dass sie nicht mehr entkommen konnte und der Kampf von neuen begann. „Beruhige dich doch Engelchen, es ist vorbei. Hör doch auf! Sag mal hast du schon wieder Fieber? Du bist ja kochend heiß.“

Rasselnd ging Kahlyns Atem. „Es soll aufhören, es soll doch nur aufhören“, plötzlich rollte sie sich zusammen, wie ein kleines verletztes Tier. Immer wieder stieß sie wimmernd hervor. „Es soll aufhören, das Töten. Es soll doch nur aufhören. Ich will das nicht mehr tun.“

Conny legte sich zu ihr und zog sie dicht an seinen Körper und zwang sie so in seinen Atemrhythmus. Sie ließ es sich diesmal ohne Gegenwehr gefallen. Zitternd lag sie in Connys Armen.

„Ich will doch nur, dass es aufhört.“

Kahlyn drehte sich zu Conny um und kuschelte sich fest an ihn. Sie kam wieder zu sich, erleichterte atmet Conny auf. Der setzte sich hin und zog sie wieder zu sich auf den Schoss und in seine Arme.

„Es ist vorbei und es hört wieder auf, so wie es immer aufgehört hat“, erklärte er ihr mit seiner warmen Stimme.

Er fing an, sie zu schaukel, das schien sie zu beruhigen.

Langsam ging sie auf die Knie und sah ihn wieder bewusst an.

Conny war froh, dass sie wieder da war. Es war heftig, wie lange nicht mehr. Wie lange mochte diese kleine Seele, noch so viel Gewalt aushalten? Bevor sie zerbrach, ging es ihm durch den Kopf. Kahlyn kniete vor ihm und sah ihn traurig an. Jede Faser ihres Körpers, drückte Schmerz und Verzweiflung aus. Mit einem Mal, begann sie tief zu atmen, ein und aus, zwei oder drei Minuten lang. Sie hatte sich wieder gefangen. Plötzlich für die anderen, völlig überraschend, umarmte sie ihren Freund. Sie begriff, dass sie ihm weh getan hatte.

„Tut mir leid Conny, ich wollte das nicht. Warum lässt du mich nicht in Ruhe. Dann passiert so etwas nicht. Ich wollte dir nicht weh tun. Habe ich dich verletzt?“

Der nickte und schüttelte dann den Kopf. „Ich weiß Engelchen. Ist ja nichts passiert, ein paar blaue Flecke. Mit denen kann ich dann angeben“, er streichelte Kahlyn über das Gesicht. „Ich weiß, dass du mir nie mit Absicht weh tun würdest. Das machst du ja nicht jedes Mal mit mir“, gezwungen lächelnd nahm er ihren Kopf, küsste ihre Stirn.

„Komm, lass mich deine Verletzungen versorgen, du verlierst zu viel Blut.“

Erleichtert stand Conny auf und zog Kahlyn auf die Füße, holte die Sachen, die er hat fallen gelassen hatte und lief mit ihr hinter in die Ecke.

 

Vorn am Frühstückstisch, saß die Mannschaft immer noch geschockt von dem gerade Erlebten. John fing sich als erster.

„Mario, ist das immer so heftig? Das macht einen ja Angst.“

Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Nein, das passiert selten. Ihr müsst nicht gleich Panik schieben. Das geschieht nur nach solchen schlimmen Einsätzen. Kahlyn hat so viele schlimme Einsätze hinter sich, dass es manchmal, so wie heute, einfach zu viel ist. Das Problem ist nur, dass sie keine Emotionen zeigen kann. Jeden von Euch würde man ansehen, dass es ihm alles viel ist oder dass es ihm halt richtig schlecht geht. Er würde darüber reden, so wie es Conny in den nächsten Tagen machen wird. Auch er hat bei diesem Einsatz wieder einige Leute töten müssen. Das hat er mir vorhin gesagt, und kommt damit nicht gleich klar. So wie es halt jeden von uns, nach solch einen schlimmen Einsatz geht. Das einzige was da hilft, ist viel darüber zu sprechen. Oder aber ihr würde euch sagen, „Hey lasst mich einfach eine Zeit in Ruhe, mir geht es gerade nicht so gut‘“. Das kann dieses Mädchen aber nicht. Sie hat mir mal erklärt, nach so einem Ausraster, sie musste immer für ihr Team stark sein. Und dass sie ihre Gefühle immer auch vor ihren Kameraden verstecken musste, damit nicht noch mehr ihres Teams schlafen gehen. Kahlyn jedoch muss man sehr genau kennen, um so etwas zu sehen. Conny warnte mich schon vor. Er meinte schon vor dem Einsatz, nachdem euch Kahlyn gesagt hatte, wo der Fehler genau liegt: „Oh je, das nimmt ein heftiges Ende“. Ich kenne sie jetzt seit fünf Jahren, das ist erst das dritte Mal, dass sie so ausgetickt ist. Also macht euch keine Sorgen. Ich glaube dem Mädchen, ist im Moment alles zu viel. Auch hat sie schon wieder hohes Fieber. Ich verstehe nur nicht warum.“ Mario sah beruhigend zum Sender Team, die völlig geschockt am Tisch saßen. „Glaubt mir, so etwas passiert wirklich nur ganz selten. Normalerweise hätte Conny, ihr nur den Medi-Koffer hingestellt und ohne ein Wort zu sagen, die trocknen Sachen hingelegt. Dann hätte Kahlyn sich selber versorgt, in irgendeine Ecke zurückgezogen und geschlafen. Morgen wäre sie aufgewacht, wäre wieder die Alte.“

Mario rieb sich den Nacken, weil er nicht wusste wie er dem Sender-Team, Connys Absicht erklären sollte. Ohne Conny in ein falsches Licht zu rücken. Aber ihm war schon bewusst, was Conny damit erreichen wollte. Deshalb versuchte er es zu erklären.

„Conny so denke ich, hat das hier auch nur ausgelöst, um euch zu zeigen, wie Kahlyn ab und an einmal reagieren kann. Wenn man sie, wie eben auf dem falschen Fuß erwischt. Es ist wichtig, dass ihr das wisst und ihr euch das bewusst macht. Eindringen in ihre verwundete Seele, die sich selber zermartert, durch Fürsorge, Zuneigung, Hilfsangebote, drücken sie völlig aus der Spur. Ich weiß nicht, wie ich Euch das erklären soll. Ich glaube Conny könnte das besser, als ich. Das alles sind Dinge, die Kahlyn nicht kennt. Der Oberst erzählte manchmal von Kahlyns Anfangszeiten in der Soko Tiranus. Damals muss es oft heftig gewesen sein. Heftiger als das eben. Oft ist sie mit Waffen, auf den Oberst losgegangen, weil sie dachte sie wird angegriffen. Sie wusste oft nicht, ist sie schon zu Hause oder noch im Kampf. Mit den Jahren wurde es besser, es sind ja auch jetzt über elf Jahre, die sie in der Soko arbeitet. Sie hat immer dazu gelernt und wir auch. Der Oberst sagt immer, am besten lässt man sie, nach so einem Einsatz in Ruhe. Sie pflegt ihre Waffen, geht duschen, geht dann ihre Wunden versorgen, rollt sich in irgendeiner Ecke oder Nische zusammen und schläft. Wenn man sie, wie eben Conny aus der Spur drückt, dann kann sie schon sehr heftig reagieren. So wie heute. Wenn Conny sich jetzt noch gewehrt hätte, dann wäre es hier zu einem richtigen Kampf gekommen. Das ist nichts, gegen das was ihr eben gesehen habt. Da wäre richtig Blut geflossen. Kahlyn hätte Conny nicht getötet, das macht sie nie. Aber schon richtig außer Gefecht gesetzt. Dabei wäre es nicht ohne schlimme Verletzungen zugegangen. Wirklich keiner, kann sich gegen eine außer Kontrolle geratenen Kahlyn zur Wehr setzen. Höchstens ihre Freunde aus der Schule und selbst die haben da Mühe, das wissen wir von Doko Jacob. Der hat so einige Sachen erzählt. Deshalb hat Conny die Schläge, einfach alle nur eingesteckt und abgefedert. Obwohl die richtig weh tun, ich bin einmal dazwischen geraten, als ich noch neu beim Oberst war, das Risiko gehe ich nie wieder ein. Ich habe Wochen wie ein Hund gelitten und da hat mich Kahlyn nur kurz aus dem Kampf gedrängt. Hätte Conny es nicht geschafft, Kahlyn zu beruhigen, hätten wir versucht, dass ich Kahlyns Aufmerksamkeit auf mich ziehe, in dem ich sie angreife. Conny hätte sie schlafen gelegt. Nur er und der Oberst verfügen über die nötige Kraft in den Händen, um Kahlyn schlafen zu schicken. Das Mädchen hat Nackenmuskeln die ihr euch nicht einmal in euren kühnsten Träumen vorstellen könnt. Im Anschluss hätten wir sie gefesselt, sie solange toben lassen, bis sie sich von selber beruhigt hätte. Also merkt euch, falls Kahlyn mal ausrastet, versucht sie nie mit Gewalt zu beruhigen. Das schafft niemand, ignoriert sie am besten, zieht euch zurück. Irgendwann, meist nach fünf oder zehn Minuten, beruhigt sie sich dann von alleine. So schlimm wie heute, war es lange nicht mehr. Wie schon gesagt, ich glaube, ihr ist im Moment alles zu viel. Lasst ihr sie nach einem Einsatz egal welcher Art, einfach links liegen, bis sie von alleine kommt“, beendete Mario seinen langen Vortrag.

Das Sender-Team sah Mario entsetzt an. Keiner hatte richtig begriffen, was das sollte. John saß grübelnd am Tisch und starrte eine Weile, mit auf die Hände gelegten Kopf auf die Tischplatte. Plötzlich sah er auf. Ihm schwante auf einmal, was Mario meinen könnte.

„Ich glaube ich verstehe, was du meinst Mario. Dadurch, dass Kahlyn nie Gefühle zeigen kann, gibt es so etwas wie einen Emotionsstau. Das, was wir gerade erlebt haben, ist nichts anderes als ein Wutausbruch. Wut, die Kahlyn auf sich selber entwickelt, weil sie keine Möglichkeit gefunden hat, diese Männer zu retten. Sie ist nicht auf uns wütend, schon mal gar nicht auf Conny, sondern auf sich. Sie gibt sich die Schuld für den Tod dieser Menschen. Das ist Wahnsinn, Mario. Wie lange soll sie das noch durchhalten?“, John sah den Kollegen entsetzt an, der zuckte mit den Schultern.

„Das kann ich dir nicht sagen, John. Aber du hast Recht mit deiner Erklärung. Wisst ihr, wenn es nach Kahlyn ginge, würde jeder wirklich jeder, ohne Verletzungen aus dem Kampf kommen. Nicht nur wir, sondern auch die Leute die wir bekämpfen müssen. Wisst ihr, dass Kahlyn immer als Erste läuft. Sie lässt nie jemanden an die Spitze. Weil dort das Verletzungsrisiko einfach viel zu groß ist. Heute bei dem Einsatz habt ihr ja erlebt, wie sie vorgeht. Die meisten Zeit haben wir gewartet und sie hat die Arbeit gemacht. Alles, was mit dem töten zu tun hat, übernimmt sie. Was denkt ihr, warum sie so sauer auf die Scharfschützen war. Die sollten doch nur dafür sorgen, dass der Rücken gedeckt wird. Wisst ihr das Kahlyn, heute siebzig Prozent der Arbeit alleine gemacht hat. Selbst an den dreißig Prozent, die wir geleistet haben, haben wir wieder Wochen zu knabbern. Wie mag es dann wohl, in dem Mädchen aussehen. Habt ihr das Lager hinten gesehen. Dort lagen achtzehn Leichen, im Bergwerk in der einen Höhle lagen siebzehn Leichen. Man kann es ihr nicht verübeln, wenn sie da mal abdreht.“

Alle schüttelten den Kopf, der Anblick des Lagers, würde keiner von ihnen so schnell vergessen.

„Du hast Recht Mario, aber eine andere Sache. Habt ihr irgendein Heft oder Buch, wo ihr die Worte der Kleinen aufgeschrieben habt? Gibt es eine Art Wörterbuch und was ist das überhaupt für eine Sprache?“

Wieder Mario schüttelte den Kopf. „Nein John, rede mit ihr, sie bringt dir die Sprache bei. Soviel ich weiß, haben die Kinder diese Sprache selber erfunden, als sie noch ganz klein waren. Es ist zwar schwierig zu erlernen, weil ein Wort je nach Situation eine andere Bedeutung hat, aber mit der Zeit lernt man das. Bei uns in der Soko kann jeder Kahlyns Sprache sprechen, es ist Pflicht. Wer die nicht lernen will fliegt wieder aus der Soko. Oft verfällt Kahlyn, ohne es zu merken in ihre Sprache. Erst seit zwei Jahren, ist Kahlyn gezwungen sich zu Einsätzen Hilfe zu holen. Vorher hat sie stets nur mit ihren Leuten gekämpft. Wir spielen oft, wenn wir auf Einsätzen sind, rate mal was ich grad sage. Lacht nicht, es ist wirklich viel raten dabei. Weil eine Wort für viele Sachen eingesetzt werden kann. So heißt Doko, zum Beispiel: Doktor, Arzt, Helfer, Sanitäter, zu Hilfe kommender, Heiler, Heilender, Heilung aber in dem Zusammenhang mit anderen Wörtern kann es zu einen ganz anderen Sinn kommen. Kahlyn zum Beispiel ist nicht nur ein Name, sondern im Satz verwendet heißt das auch: beschützt du nicht andere, ich passe auf dich auf, starke Führerin, Beschützerin, beschützen, die Hand über einen halten, Angriff abwehren, sich schützend vor andere stellen. Es kommt immer auf die Worte an, die sie vorher oder nachher sagt. Es ist etwas schwierig, hat man es einmal begriffen ist es einfach. So hat sie vorhin gesagt Semro, was so viel heißt wie es ist zu spät, wir beenden das, sterben, es hat ein Ende. So kann man den Satz verschieden interpretieren. Im Zusammenhang mit Semro, kahlyn, kann man das sinngemäß übersetzten warum beschützt mich keiner, warum kann ich nicht sterben. Wechseln die Worte allerdings. Kahlyn, semro, bedeutet es, Ich beschütze dich, ich lasse nicht zu das du stirbst. Ihr seht also, es sind die gleichen Worte und doch eine vollkommen andere Bedeutungen. Es gibt nicht, wie in unserer Sprache verschieden Forme, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Sondern nur ein Wort, was eigentlich immer, ein ganzer Satz ist“, verwirrt schauten ihn alle an. „Ich sag ja, es ist schwer zu erklären. Redet mit Kahlyn. Die meiner Meinung nach, den richtigen Namen trägt: Die Beschützerin. Ich weiß, dass sie sich freut, wenn jemand Interesse hat, ihre Sprach zu lernen“, erleichtert widmete er sich wieder seinen Kaffee, froh das Thema vom Tisch zu haben. Irgendwie taten Mario, die Leute leid, sie mussten allein dahinter kommen. Als er damals zum Oberst gekommen war, wussten die schon wie das mit Kahlyn läuft, trotzdem war es schon schwer genug. Ohne Hilfe würde es schwer werden.

„Rudi“, sprach er deshalb, nochmal Sender an. „Ich gebe dir die Nummer von Oberst, der hilft dir gern. Ihm liegt die Kleine sehr am Herzen. Wie ich weiß, hat er wohl einige Beziehungen spielen lassen, damit Kahlyn zu Euch ins Team kommt. Ihr habt einen verdammt guten Ruf.“

Verwundert sah Sender den Kollegen an. „Wir einen guten Ruf? Wir sind nicht besser oder schlechter als andere Teams“, erklärte Sender.

Mario schüttelte den Kopf. „Ihr müsst aber besser sein, es standen vierzehn Teams zur Auswahl. Conny, Gosch und der Oberst, haben viele Monate aussortiert. Ihr wart von Anfang an, in der engeren Wahl und vor allem nur für Kahlyn bestimmt, warum weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass es so war. Für Gosch, wart ihr von Anfang an, die Nummer eins. Ich weiß, dass Conny euch für diesen Einsatz extra angefordert hat, weil er euch alle kennen lernen wollte. Er wollte Kahlyn gern in sein Team haben, aber der Oberst, sagte immer wieder. Kahlyn muss zu fremden Menschen, um soziale Kontakte aufzubauen zu können. Das Team muss stabil sein und einen guten Führer haben. Deshalb ist sie bei Euch, Rudi, weil der Oberst weiß, dass du gut zu deinen Leuten bist. Streng, aber gut.“

Sender glaubte nicht, was er da hört. „Na ja, ich freue mich das wir Kahlyn bei uns haben. Auch, wenn es mit ihr schwierig ist, ist sie doch eine Bereicherung und ich denke wir können viel von ihr lernen. Sag mal Mario, kannst du dieses Fob…. oh ich habe vergessen wie das heißt, was Kahlyn mit Conny vorhin gemacht hat?“

Der schüttelte mit dem Kopf. „Na ja, ich kann es mehr schlecht als recht. Ich versuche es seit zwei Jahren, zu lernen, komme aber über die ersten Übungen nicht hinaus, nach einer Minute sehe ich aus als ob ich zwei Stunden in der Sauna war. Conny sagt immer, ich habe mein Qi nicht im Griff, was immer das auch heißt. Aber es ist ein gutes Training, für Körperbeherrschung. Komischer Weise lernt man dadurch schneller zu reagieren, ich bin viel besser geworden im Nahkampf, seit dem ich das mache. Trotzdem habe ich nie begriffen, warum das so ist. Vor allem macht es einen wahnsinnigen Spaß. Im Übrigen ihr könnt glücklich sein Kahlyn zu haben, überlasst ihr das Training, dann werdet ihr bald das Beste Team aller Zeiten“, breit grinste Mario die Männer an. „Ich liebe die Trainingseinheiten mit Kahlyn, ich lerne da in einer Stunde mehr als sonst in einem Monat.“

In dem Moment kam Conny auf sie zu. Völlig fertig, setzte er sich stöhnend, zu den anderen an den Frühstückstisch. „Kann mir bitte jemand einen Kaffee holen. Mir tut alles weh“, in dem er den Kopf nach rechts und links legte, ließ er seine Wirbel krachen. Müde rieb er sich seinen Oberkörper.

„Kann ich mir das mal ansehen Conny?“, bat ihn John.

„Brauchst du nicht, dass hat Kahlyn schon gemacht. Hab ein paar böse Blutergüssen. In ein paar Minuten, wirken die Spritzen. Verdammt, so schlimm war es lange nicht“, müde fuhr er sich übers Gesicht. „Rudi, hast du noch ein bisschen Zeit, ich würde gern sehen, dass Kahlyn wenigstens noch eine Stunde schläft. Ich hatte Mühe, sie zur Ruhe zu bekommen. Vor allem hat mein Engel schon wieder hohes Fieber.“

Sender nickte und wollte nachfragen, doch Conny schüttelte den Kopf.

„Ich weiß nicht warum sie schon wieder Fieber hat, Rudi. Kahlyn weiß es selber nicht. "

"Conny ich denke es ist die Gesamtsituation, die Kahlyn nicht zur Ruhe kommen lässt. Die Woche mit ihr war die Härte, kein Wunder dass sie so aus tickt. Ich bin der Meinung wir sollten nach diesem Einsatz, alle noch etwas Ruhe haben, vor allem die Fahrer. Fran, du legst dich bitte noch eine Stunde aufs Ohr. Ich weiß, dass du noch fahren kannst. Trotzdem, mache dich einfach eine Stunde lang.“

Fran nickte und stand auf, ging zu einer der Matten, die für die Männer zum schlafen ausgelegt waren und legt sich hin. Keine Minute später schlief er, tief und fest.

 

„Conny, wann denkst du, dass wir los könne? Ich würde mit dir gern noch einiges bereden. Ich denke, wir sollten der Kleinen wegen, in Verbindung bleiben.“

Conny nickte, nahm sich ein Brötchen. „Wir können hier reden. Ich habe vor meinen Jungs keinerlei Geheimnisse und berede immer gern alles vor ihnen. Diese Führungsweise meines Teams, habe ich mir vom Oberst, der hat es sich von Kahlyn abgeschaut und wir fahren alle super gut damit. Bei uns wird über wirklich alles, im Team gesprochen. Auch wenn jemand Bockmist gebaut hat. Stimmt’s Jungs?“

Die übriggebliebenen vier des Teams nickten, die vier die eingesprungen waren auch.

„Rudi, du musst eins von uns, also Kahlyn und mir wissen. Wir leben für unser Team. Wir haben beide keine Familie, keine Freunde in dem Sinne. Unsere Freunde sind unsere Kampfgefährten. Ich versuche mal zu erklären, warum das so ist. Als ich Kahlyn kennenlernte, war ich ein Jungspund, gerade frisch von der Polizeischule gekommen. Ich war gerade mal einundzwanzig Jahre, hatte den schlimmsten Horror, erlebt den man sich vorstellen konnte. Ich hatte damals schon schneeweißes Haar. Damals habe ich in der Illusion gelebt, dass ich ein furchtbares Schicksal hatte und war so tief im Selbstmitleid versunken, dass es schon fast weh tat. Erst durch mein Zusammentreffen mit Kahlyn, war es mir möglich, meine Vergangenheit abzuhaken und einen neuen Anfang zu finden. Ich begriff, dass ich überhaupt kein Leid erfahren hatte“, müde fuhr sich Conny durch das schneeweiße Haar. „Ich gab jedem die Schuld an meinem Leid, dass ich immer noch durchleben musste, nur nicht mir. Dann kam diese Geiselnahme, ich war im Urlaub auf Rügen, wollte mir ein paar schöne Tage machen. Keine Ahnung, warum man von den vierzig Leuten, ausgerechnet mich genommen hatte, einen Polizisten im Urlaub. Ich schob es auf mein Schicksal, ich fiel mit meinem weißen Haar halt immer auf. Ich ging durch den nächsten Horror. Wäre ich damals nicht schon weißhaarig gewesen, ich wäre es hinterher bestimmt geworden. Ganze neun Tage schleppten mich die drei Entführer mit durch die ganze Republik. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich schon aufgegeben. Die Geiselnehmer schoren mir meine Haare, so dass mich keiner erkannte. Im Radio kam ständig die Meldung, dass man keine Spur von uns hat. Einige Male versuchte ich zu fliehen, doch ich hatte keine Chance. Am zehnten Tag wir waren auf einer Waldlichtung. Es war schon lange nach Mitternacht, da spürte ich auf einmal einen furchtbaren Schmerz. Danach war alles dunkel. Heute weiß ich, mein Engelchen hatte mich schlafen gelegt. Zehn Minuten später kam ich zu mir, da saßen zwei meiner Entführer gefesselt an den Bäumen. Ich hörte einen Piepton, wie ihn Peilsender ausstrahlen. Ein junges Mädchen saß vor mir und sprach auf mich ein. Völlig blutverschmiert. Als sie merkte, dass ich wieder zu Bewusstsein gekommen war, sah sie mich an und ich schrie. Mich schauten zwei Augen an, die ich noch nie gesehen hatte, wie die einer Katze nur völlig ohne Pupillen. Sie leuchteten im Dunkeln, wie zwei silbrig rote Sonnen. Ganz leise sprach sie auf mich ein, fragte mich, ob sie meine Wunden versorgen dürfte, sie sei Polizistin und Ärztin. Ich ließ es einfach gesehen, mir war es egal. Keine Ahnung mehr, was mir damals alles durch den Kopf ging. Dann brachte sie mich aus dem Wald, zu einem Hubschrauber. Dort wartete Gosch auf uns. Sie sagte ihm, er solle mich in die Zentrale bringen, einer sei ihr entwischt. So eine kleine Maus, sagte einem Oberst, was er zu tun hätte, ich verstand die Welt nicht mehr und der hörte auch noch auf sie. Drückte Gosch einen Koffer in die Hand und verschwand im Wald, fast am Wald angekommen, rief sie Gosch noch zu. „Zwei schmusen mit den Bäumen. Lasst sie ein wenig warten, ich hab dafür gesorgt, dass sie es unbequem haben.“ Fort war sie. Gosch brachte mich in die Zentrale und flog zurück, um Kahlyn zu suchen. Drei Tage war ich dort. Ihr müsst wissen, es gibt bei Kahlyn ein Gesetz, dass der Einsatz erst beendet ist, wenn alle gefasst sind. In diesen Tagen unterhielt ich mich viel mit dem Oberst, der holte mich keine zwei Monate später zu sich und bildete mich zusammen mit Kahlyn aus. Mein Engelchen kam am vierten Tag nach meiner Befreiung zurück trat vor den Oberst. „Sir, Einsatz erfolgreich beendet, Sir“. Dann ging sie ihre Waffen pflegen und schlafen.

Heute weiß ich, weshalb sie nicht duschen ging. Knappe anderthalb Stunden später, kam Gosch und brachte einen etwas wohlgenährten, aber gut durchtrainierten Mann mit, Dr. Jacob, wie sich später herausstellte. Beide eilten nach hinten, um nach der Kleinen zu schauen. Kahlyn hatte nach ihm geschickt. Sie ging nicht in unserem Sinne, sondern im Sinne der Kinder schlafen. Das heißt die Kinder, sind bereit zu sterben, da sie nicht mehr die Kraft haben sich selber zu behandeln. Beide gingen, ohne ein Wort zu sagen, hinter zu Kahlyn. Reichlich drei Stunden später, kamen die beiden blutverschmiert nach vorn und der Doko sagt „Sie wird es noch einmal schaffen.“ Dann schmiss er achtundzwanzig Kugeln auf den Tisch. Ich schaute ihn an „Woher haben sie die?“ Er meinte gerade aus Kahlyn heraus operiert. Ich verstand die Welt nicht mehr. „Wie, heraus operiert?“ Gosch schaute mich traurig an. „Wir haben nicht gesehen, dass sie schon schwer verletzt war, als sie hier ankam.“ Zuvor müsst ihr wissen, war sie bei einem Einsatz der Schule und diese …", pfeiffend holte Conny Luft. "... diese Gott verfluchten … Menschenschinder … “, die blanke Wut kochte in Conny hoch, als er das erzählte. „… haben sie schwerverletzt zu diesem Einsatz geschickt. Hatte ihr nicht einmal so viel Zeit gelassen, damit sie hoch zu ihrem Doko gehen konnten, um sich versorgen zu lassen. Mit achtundzwanzig Kugeln im Körper, hat sie sechs Tage lang mich und meine Geiselnehmer verfolgt. Das ist mein Engelchen. Egal was passiert, sie wird immer mein Vorbild sein. Ich habe vieles von ihr übernommen, so auch ihr Leben. Ich lebe für mein Team, ich bin vierundzwanzig Stunden, sieben Tage die Woche und dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr auf Arbeit. Ich liebe diesen Job, die Jungs hier sind meine Familie und meine Freund, mein ein und alles. Genauso ist es bei Kahlyn, ihr seid jetzt ihre Familie. Jeden einzelnen von euch, würde sie genauso wie die Soko oder ihre Kameraden und sogar diesen Oberstleutnant Mayer, mit ihrem Leben beschützen. Versteht ihr, was ich meine? Am Anfang hatte ich mit Kahlyn, arge Schwierigkeiten“, Conny lächelte in sich hinein, als er an die oft aufgebrachte Kahlyn dachte. „Sie warf mir meine Arroganz vor, die ich als Schutzschild um mich herum aufgebaut hatte. Obwohl ich sie vom ersten Augenblick an liebte, wie eine kleine Schwester, nahm sie nicht für voll. Mein Gott, die Kleine war damals neun Jahre alt, als ich sie kennen lernte und ich dachte, was soll ich von ihr lernen. Kahlyn sagte mir ständig, dass ich unfähig bin, wie oft hat sie mich angebrüllt. Sie war einer meiner besten Ausbilder gewesen. Im Übrigen mein liebster Ausbilder. Von ihr habe ich so viel vermittelt bekommen, nachdem ich endlich begriffen hatte, dass sie wirklich gut ist. Von ihr habe ich sehr viel gelernt, nicht nur das Kämpfen, sondern auch, was Moral angeht.

Mir stieg oft in den Kopf, dass ich besser war als die anderen. Dann forderte mich mein kleiner Engel, jedes Mal zum Kampf heraus und zeigte mir, dass ich doch nicht so gut war, wie ich dachte. Oft bekam ich dermaßen Prügel von ihr, dass mir Hören und Sehen verging. Das was ihr gerade gesehen habt, war nichts dagegen. Das war ein freundschaftliches Necken, aber keine schlimme Prügel. Ladet sie mal zu einen Nahkampf ein, alle gegen Kahlyn, dann werdet ihr einen Einblick in ihr wirkliches Können erhalten. Was ihr heute bei dem Einsatz gesehen habt, war nichts. Glaubt mir, sie ist viel besser, als ihr euch das überhaupt vorstellen könnt. Ihr habe ich es zu verdanken, dass ich heute der Mann bin, den alle Conny nennen. Ich weiß, was ich kann, aber ich bin da nicht stolz drauf. Ich mache es einfach und versuche alle zu beschützen, so wie es mein großes Vorbild tut. Nämlich mein Engelchen.“ Conny sah Rudi, klar in die Augen. „Die Schwierigkeiten, die wir mit Kahlyn hatten, waren die Gleichen, die ihr jetzt habt. Kaum einer verstand, die Handlungsweise dieses Mädchens. Erst als ich meine eigenes Team hatte und ich begann dreihundertfünfundsechzig Tag im Jahr, ohne Urlaub zu arbeiten. Begriff ich, wie Kahlyn denkt und handelt. Rudi, Kahlyn lebt für die Gerechtigkeit. Sie macht sich Vorwürfe, weil sie die Täter nicht vor sich selber schützen kann. Sie sieht in einem Geiselnehmer nicht einen Menschen, der etwas Böses tut, sondern einen Menschen den sie vor sich selber retten muss. Wenn solche Einsätze wie heute sind, ist mein Engelchen völlig zerstört, ihr ganzes Weltbild gerät ins Wanken.“

Einen Moment lang überlegte er, ob Rudi alles erzählen und erklären sollte. Aber dann wurde Conny klar, dass Sender nur dann verstehen konnte, was in Kahlyn vor sich geht, wenn er weiß, welche Vorstellung sie von der Welt außerhalb ihrer Schule hatte. Nur dann würde es für Kahlyn leichter werden. Es war ihm wichtig dass es ihr gut ging. Kurz entschlossen erklärte er dem Geraer Team.

„Kahlyn erklärte mir einmal, dass die Kinder sich eigene Gesetzte schufen, um in dieser Welt klar zu kommen. Wisst ihr, was das komische daran ist? Diese Gesetzte stimmen soweit sie auf diese Kinder anwendbar sind, zu hundert Prozent mit den zehn Geboten überein. Obwohl sie noch nie etwas von einem Gott oder einer Bibel gehört haben. Du sollst nicht Töten, deine Arbeit ist heilig, liebe die Menschen, liebe deinen Erschaffer, sie haben keine Eltern, Lüge niemals, stehle nicht, beschütze alles was lebt. Merkst du, auf was ich hinaus will. Kahlyn lebt nach diesen Geboten und es könnte sich so mancher Erwachsenen eine dicke Scheibe von ihr abschneiden. Muss sie dann doch töten, so wie heute, sucht sie die Schuld alleine bei sich. Oft bekam ich von ihr zu hören, so auch heute. Ich war nicht gut genug“, wieder raufte er sich die Haare. „Vorhin sagte sie mir. Wenn ich meine Leute da gehabt hätte, wären alle noch am Leben. Manchmal denke ich, sie sollten noch mehr wie uns machen, damit nicht so viele sterben müssen.“ Conny sah traurig zu Rudis Team.

Mit einem Schlag, war Conny alles zu viel. Es war als wenn ihm jemand die Luft zum Atmen abdrehte und er kurz vor dem Ersticken war. Conny stützte seinen Kopf auf die Hände, schüttelte immer wieder den Kopf, seine Hände zitterten wie Espenlaub. Mühsam versuchte er sich zu beruhigen, gerade kam der Einsatz in ihm hoch. Die Bilder des Kampfes zogen wie ein Film, vor seinem inneren Auge vorbei. Mario, der seinen Freund nur zu gut kannte und wusste, dieser nicht so ruhig war, wie er nach außen hin tat, legte beruhigend die Hand auf Connys Schultern.

„Komm beruhige dich, Conny, atme gleichmäßiger“, sprach er leise auf den Freund ein.

Zog ihn einfach zu sich herum und hielt in einige Zeit in den Arm. Er wusste, dass dies helfen würde. Denn so hatte es oft genug auch Conny bei ihm gemacht.

Conny hatte sichtbar mit sich zu tun. Bemühte sich ruhig und tief zu atmen, so wie es ihm Kahlyn immer wieder erklärt hatte. Es half etwas gegen diese verdammt Wut. Er konnte sein kleines Mädchen nur zu gut verstehen. Ihm wurde wieder einmal bewusst, dass er genau wie sein Engelchen ausflippen würde, wenn ihn jetzt jemand bedrängte. Mühsam atmete er sich runter und langsam wurde es besser.

Die Männer aus dem Geraer Team sahen Conny entsetzt an. Ihnen ging durch den Kopf, dass wenn dieser erfahrene Kämpfer, schon so an dem Einsatz zu knabbern hatte, es kein Wunder war, wenn ihr kleines Mädchen so durchdrehte. Fast zehn Minuten brauchte der Einsatzleiter, um sich vollständig zu beruhigen. Mario sah seinen Freund lange an, als dieser sich von ihm wegdrückte.

„Geht’s wieder?“ Erkundigte sich Mario leise.

Er bekam ein Nicken zur Antwort. Conny griff verlegen zu seiner Tasse. Aber er konnte es nicht ändern, es gab Situationen, da ging einfach nichts mehr. Er hatte bei diesem Einsatz wieder so viele Menschen töten müssen, aber es nutzte nicht. Er gab ja seinem Engelchen Recht, wären ihre Freunde da gewesen, würden fast alle noch leben. Dass war ja das Schlimme an der ganzen Sache. Tief holte er Luft und sah die Kollegen vom anderen Team an.

„Entschuldigt bitte. Es ist nicht immer einfach mit dem Tod klar zu kommen. Aber um auf Kahlyns Aussage zurück zu kommen. Dass sie sich manchmal wünschte man hätte mehr wie sie geschaffen. Fragte ich sie, ob sie es nicht stören würde, dass die Kinder durch die gleiche Hölle müssten, wie sie. Ihre Antwort darauf lautete „Doch schon, aber es müssten weniger Menschen sterben, um uns ist es nicht schade, wir sind Leid gewöhnt. Wir wurden geboren um zu leiden.“ Mir zerreißt es immer die Seele im Leib, wenn ich solche Worte, von ihr zu hören bekomme. Ich könnte dann schreien vor Wut. Das Schlimme daran ist allerdings, dass sie Recht hat. Wären ihre Freunde da gewesen, dann hätte es wesentlich weniger Tote gegeben. Das kann ich ihr doch nicht sagen. Allerdings sagt es viel, über ihre einfach und gradlinige Denkweise aus.“

Conny kämpfte wieder gegen seine Emotionen, am liebsten würde er laut schreien vor Wut. Dann wandte er um, blickte nach hinten in die Ecke, in der sich Kahlyn zu rührte begann. Er war froh nicht mehr reden zu müssen und stand deshalb auf, um sofort zu ihr zu gehen. Kniete sich zu ihr, redete auf sie ein.

„Kahlyn, schlafe noch etwas, du kannst noch nicht fahren. Engelchen, das schaffst du noch nicht.“

Sein Engelchen wollte nichts davon hören. „Conny, bitte ich will nach Hause, es geht mir wieder besser. Ich will nur weg hier, bitte“, sie nahm seinen Kopf, küsst seine Stirn.

„Du siehst schlecht aus, Engelchen. Hast du wieder Fieber“

Die schüttelte den Kopf, doch dann nickte sie, konnte sie sich doch vorstellen, wie sie aussah. „Conny, mir ist so schlecht. Bloß es wird hier nicht besser. Ich kann das erst abschließen, wenn ich zu Hause geschlafen habe.“

„Das verstehe ich. Komm esse bitte etwas und wenn, es nur ganz wenig ist. Bitte mir zu liebe, sonst habe ich keine Ruhe“, lächelnd sah er Kahlyn an. „Außerdem reißt mir der Oberst den Kopf ab, wenn ich dich ohne etwas zu essen gehen lasse. Also komm zieh deinen Overall an, dann trinkst du einen Kaffee und isst etwas, dann könnt ihr zurück fahren.“

Kahlyn stand wortlos auf und zog sich an, suchte ihre Schuhe.

Conny fing laut an zu lachen. „Verdammt Kahlyn, wo hast du nur wieder deine Schuhe.“

Kahlyn überlegte, als sie los sind, hatte sie die noch an. Sie zuckte mit den Schultern.

„Simon, sei bitte so lieb und hole den Karton aus meinem Büro, Kahlyn hat ihre Schuhe verloren.“

Daraufhin fing Conny lauthals an zu lachen. Die anderen Teammitglieder stimmten mit ein. Lieb fuhr er ihr über den Kopf. Die stand da, mit schiefgehaltenen Kopf und sah Conny an.

„Aber deine Schwerter, habe ich nicht verloren.“

Conny nahm sie einfach an der Schulter und schob sie an den Frühstückstisch. Ging selber zum Kocher und bereitete einen Brei für Kahlyn vor.

Kahlyn sah verlegen, zu Sender und seinem Team. „Das passiert mir immer, ich kann nicht einmal sagen, wann ich sie ausgezogen habe.“

Sender fing nun auch schallend an zu lachen und schüttelte den Kopf. „Da werde ich wohl Tony beauftragen müssen, für dich Schuhe einzulagern. Das wievielte Paar ist das diese Woche eigentlich?“

Kahlyn überlegte krampfhaft, so genau wusste sie das nicht. „Ich glaube das dritte Paar.“

Sender grinste. „Na, da geht’s ja noch.“

Conny kam mit dem Brei.

Kahlyn schüttelte den Kopf.

„Es gibt keinen Wiederspruch, Kahlyn, bevor du nicht aufgegessen hast, dürft ihr nicht fahren. Sonst verpetze ich dich beim Oberst.“

Zerknirscht setzte sich Conny und nahm sich seine noch unberührte Semmel, biss hinein. Kahlyn nahm den Löffel, wusste sie doch, dass Conny es ernst meint und aß ihren Brei auf. Es war viel zu viel. In ihrem Magen, tobte sowieso schon ein Krieg. Aber sie wollte Conny nicht enttäuschen. Dazu mochte sie den Freund viel zu sehr.

„Engelchen, wie sieht es aus, darf ich euer Team im Notfall wieder anfordern oder willst du nie wieder, etwas mit mir zu tun haben“, erkundigte er sich, obwohl er die Antwort kannte.

„Na ja, wenn Rudi das will gerne, er kann mich ja zu Hause lassen“, breit grinsend sah sie Conny an.

„Na du erst noch, lachst du mich jetzt aus“, konterte Conny zurück, der froh war, dass Kahlyn wieder etwas lächeln konnte.

„Nein, aber du willst mich bestimmt nicht mehr, wenn ich dich immer verhaue?“, erklärte sie ihn nun lachend.

„Na mit der Tracht Prügel, kann ich leben, die bekomme ich ja nicht jedes Mal. Oder doch?“, scherzte er zurück.

Kahlyn schüttelte den Kopf. „Nein, versprochen. Aber du warst selber schuld, lass mich doch einfach ein paar Minuten in Ruhe, dann verhaue ich dich auch nicht. Außerdem freue ich mich doch immer, wenn ich dich sehe. Vielleicht sehen wir uns ja mal, beim Oberst wieder. Aber erzähl ihm bitte nicht, dass ich ausgerastet bin, dann bekomme ich wieder eine Standpauke von ihm.“

Conny schüttelt den Kopf, fragend sah er zu Rudi. „Kann ich noch irgendetwas für euch tun?“

Sender jedoch schüttelte den Kopf.

Fran der gerade aufgewacht war, kam an den Tisch.

„Sollen wir dir noch beim Aufräumen helfen, Conny?“, erkundigte sich Sender.

Verneinend schüttelte der Einsatzleiter den Kopf. „Braucht ihr nicht, wir sind genug, das bisschen ausfegen schaffen wir oder?“, ernst sah er die anderen an, die nickten. „Siehst du, ich will nur, dass unser Engel hier nach Hause kommt und ins Bett kann. Das ist wichtiger, als eure Hilfe hier.“

Conny stand auf und begann sich von den Mitgliedern des Sender Teams, wie von alten Freunden zu verabschieden. Dann nahm er Kahlyn, nochmals in den Arm und sah sie ernst an.

„Pass auf dich auf Engelchen. Versprichst du mir das“, er hob sie einfach hoch und herzte sie. Kahlyn lehnte ihren Kopf, an seine Schulter.

„Das mache ich. Du aber auch auf dich und lass dich nicht ärgern, sonst wirst du noch ganz weiß, um die Haare“, scherzte sie, damit sich Conny nicht so viel Sorgen um sie machte.

Lachend stellte Conny sie nach unten und gab ihr noch einen Kuss auf die Stirn. „Dann bis zum nächsten Mal“, sofort drehte er sich um und ging in sein Büro.

Wie immer hatte Conny Probleme, seine Emotionen in den Griff zu bekommen, wenn Kahlyn wegfuhr. Er liebte die Kleine wie eine Schwester und hatte ständig Angst um sie. Bei jeden Abschied fragte er sich, ob er sie je wieder sah. Aber dieses Mal, dachte er, war es nicht so schlimm. Er schickte sie wenigstens nicht zurück in diese Hölle und zu Oberstleutnant Mayer. Er wusste sie in guten Händen. Er hatte gemerkt, dass Rudi viel an seinem kleinen Engel lag, genau wie ihm. Wenigstens blieb ihr dieses Mal, der Horror der Schule erspart. Das Sender-Team stieg in den Bus, alle waren froh, dass es nach Hause ging.

Kapitel 2

Durch Rudis nicken dazu aufgefordert, lief Fran zum Bus, um so schnell wie möglich loszufahren. Gefolgt von seinen Kollegen, die alle froh waren nach Hause fahren zu können. Kahlyn stieg als letzte ein und setzte sich auf ihren Platz. Wie immer rollte sich zusammen, um einfach weiter zu schlafen. Allerdings fand sie keine Ruhe. John der nicht wusste, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte und ob sie seine Nähe überhaupt zulassen würde, ließ sie lieber in Ruhe. Er hatte Angst sie in die Ecke zu drängen.

Kaum das sich alle gesetzt hatten, fuhr Fran los. Kahlyn fand jedoch keine wirkliche Ruhe. Da John seine Freundin unauffällig aus den Augenwinkeln heraus beobachtete, merkte er schnell, dass Kahlyn nicht schlief und schwer mit sich kämpfte.

„Mäuschen, willst du, dass ich dich in den Arm nehme damit du zur Ruhe kommst und schlafen kannst?“, fragte er ganz leise und vorsichtig.

Kahlyn drehte den Kopf zu ihm herum und schluckte. Dann sah sie ihn lange an, setzte sich mit angezogenen Beinen auf den Sitz.

„John, es tut mir leid.“

John verstand nicht, wofür sich Kahlyn entschuldigt. „Was tut dir leid, Mäuschen? Du hast doch gar nichts gemacht“, stellte er für sich fest.

„Na, weil ich vorhin nicht wollte, dass du mich berührst. Ich hab mich so schmutzig gefühlt, verstehst du?“

Wieder einmal, verstand er ihre Gedankengänge nicht. „Kahlyn, wir waren doch alle schmutzig. Das ist nun mal so“, zuckte John mit den und stellte die Tatsache sachlich fest.

Kahlyn meinte das allerdings ganz anders. „John, ich meinte nicht das Blut und den Schmutz, sondern die Schuld, verstehst du. Ich habe schon so viele Menschen getötet, aber ich kann immer noch nicht richtig damit umgehen.“

John zog sie vorsichtig in seinen Arm. „Mäuschen, das ist das, was ich an dir bewundere. Dass du nach allem, was du erlebt hast, immer noch menschlich bist.“

Kahlyn ließ es geschehen, dass er sie in den Arm nahm. Sie fühlte sich bei John so sicher und vor allen geborgen. Ihr war so verdammt schlecht, so ging es ihr nach jedem Kampf. Jedes Mal, nach solchen Einsätzen, konnte sie Tagelang nichts bei sich behalten. Sie ekelte sich, vor sich selber.

„John“, gab sie ganz leise von sich.

„Mäuschen was ist?“

„Mir ist so schlecht, es ist jedes Mal so schlimm“, schwer holte sie Luft. Kahlyn schloss die Augen, um den Brechreiz unter Kontrolle zu bekommen. „Mir ist so schlecht John. Immer verfolgen mich die Toten und fragen mich: Warum hast du das getan, Kahlyn? Immer fragen sie mich, warum hast du mich getötet? Was soll ich ihnen sagen, John? Keiner hat das Recht, jemanden das Leben zu nehmen, John. Ich soll doch Leben beschützen.“

Kahlyn rollte sich wieder zusammen, weg von ihren Freund ihre Schultern zuckten. John zog sie wieder zu sich, damit sie seine Wärme spürte. Er wusste mittlerweile, dass ihr das half. Er ließ sie erst einmal ruhiger werden. Denn soweit hatte er das, was Mario und Conny gesagt hatten, verstanden.

Was sollte John auch darauf sagen? Auch er hatte seine Toten, die ihn verfolgten. Charly, sein bester Freund war erst vor wenigen Wochen, in seinen Armen gestorben. Auch er hatte sich gefragt, warum er dessen Tod nicht verhindern konnte. Bis jetzt allerdings, hatte er großes Glück, er musste noch niemals selber jemanden töten.

„Mäuschen, ich kann dir darauf keine Antwort geben, darauf kannst du dir nur selber antworten. Ist es nicht so…“

Weiter kam John nicht. Kahlyn würgte, immer wieder versuchte sie den Brechreiz zu unterdrücken. Laut rief John nach vorn zum Fahrer.

„Fran, halte sofort an, fahr rechts ran, schnell“, an Kahlyn gewandt. „Komm, Mäuschen“, er zog seine kleine Freundin auf die Beine, half ihr beim Aussteigen.

Kaum, dass sie aus dem Bus ausgestiegen war, riss sie sich los und stürzte davon. Sie lief weit in das Feld hinein, fiel auf die Knie und übergab sich immer wieder. John lief ihr langsam hinterher. Hockte sich ein Stück von ihr entfernt hin und wartete. Es hatte kein Zweck, jetzt auf sie einzureden. Erst musste alles aus dem Magen heraus. Conny hätte ihr das Essen nicht aufzwingen sollen. Ganze zehn Minuten erbrach sie sich. Langsam ging John ein Stück an sie heran.

„Mäuschen, komm zu mir. Höre auf, du hast doch nichts mehr im Magen. Komm zu mir“, John ging zu ihr und zog sie hoch. „Komm Mäuschen, komm gehen wir zurück.“

Langsam zwang er sie loszulaufen. Wieder blieb sie stehen und ging in die Knie, erbrach sich. Er hockte sich neben sie und hielt sie einfach fest. Erschöpft lehnte sie sich an ihn.

„Tut mir leid, immer mache ich Ärger“, flüsterte sie.

John drehte ihr Gesicht zu sich herum. „Nein, das machst du nicht. Jeder hat mal so eine Phase, die geht vorbei. Geht es wieder?“, erkundigte er sich.

Kahlyn nickte.

„Dann komm, lass uns nach Hause fahren, damit du ins Bett kannst“, wieder zog er sie auf die Beine, zusammen gingen sie zum Bus.

Die anderen waren ebenfalls ausgestiegen und sahen ihre Kollegin traurig an.

Sender guckte seine Kleine an. „Geht’s wieder?“, erkundigte er sich kurz.

Kahlyn nickte und stieg ohne jemanden anzusehen in den Bus, sie schämte sich und setzte sich auf ihren Platz. Fran kam zu ihr und reichte ihr eine Flasche mit Wasser.

Kahlyn schüttelte den Kopf. „Lieber nicht, sonst musst du noch mal anhalten. Aber danke Fran.“

Der drückte sie einfach John in die Hand. „Falls sie es sich doch noch anders überlegt“, meinte er lächelnd.

Er wartete, bis alle wieder eingestiegen waren und schon ging es weiter. Sender kam vor zur Sitzreihe von Kahlyn und ihrem großen Freund.

„John, kann ich bitte kurz mit Kahlyn reden.“

Der nickte und machte seinem Teamleiter Platz.

„Kleines, hast du kurz Zeit für mich oder willst du schlafen?“

Kahlyn sah Sender an. „Es tut mir leid, ich wollte ja nichts essen“, entschuldigte sie sich sofort.

„Ach Kleines, es ist doch nicht so schlimm, das kann jeden Mal passieren. Ich wollte dich nur fragen, was aus uns nun wird? Möchtest du gern bei uns in der Einheit bleiben oder möchtest du wieder weg. Weißt du, ich mache mir schon die ganze Zeit Gedanken darüber. Ich hatte das Gefühl, dass du Conny sehr magst, wenn du möchtest würde ich Oberst Fleischer anrufen, ob er dich zu ihm versetzen kann. Ich glaube er hat die Macht dazu, das für dich durchzusetzen.“

Kahlyn sah Sender an. „Rudi, willst du mich nicht mehr?“

Sender erschrak sichtbar. „Oh nein, Kahlyn. Um Himmels Willen, ich möchte dass du bei uns bleibst. Ich wäre traurig, wenn du uns schon verlässt. Nur weißt du, ich möchte endlich erreichen, dass du zur Ruhe kommst. Aber ich habe auch gesehen, wie locker du bei Conny warst, so hab ich dich noch nie erlebt. Deshalb dachte ich das, verstehst du?“, traurig sah er Kahlyn an.

Die nickte, ohne einen Ton zu sagen.

„Wenn du, aber nur, wenn du das wirklich willst, weil du es bei uns so schrecklich findest, dann helfe ich dir zu Conny zu kommen. Ersatz finde ich für dich sowieso nicht. Aber mir ist es wichtig, dass es dir endlich wieder gut geht. Ich kann mir das nicht mehr mit ansehen, wie du leidest. Nur das ist es, was zählt.“

Kahlyn sah aus dem fahrenden Bus. Dann machte sie etwas, was Sender nie erwartet hätte. Sie lehnte sich an ihn. Einen Arm um seinen Bauch geschlungen, schloss sie die Augen. Lange lag sie so da, atmete ganz gleichmäßig. Auf einmal rutschte sie nach unten auf den Schoss ihres Vorgesetzten und rollte sich zusammen. Immer noch hielt sie ihn umschlungen, als ob sie sich an ihm festhalten würde.

Sender sah sich zu John um, der nickte lächelnd und setzte sich einfach auf Senders Platz. Nach einigen Minuten atmete Kahlyn gleichmäßig und tief, sie war eingeschlafen.

John kam leise zu Sender vor und flüsterte ihm ins Ohr. „Rudi, ist dir das Antwort genug. Brauchst du noch mehr.“

Der schüttelte glücklich den Kopf. Der gleiche Gedanke, kam ihm auch gerade.

Keine anderthalb Stunden später, erreichten sie die Dienststelle. Vorsichtig bewegte sich Sender, um aufzustehen. Kahlyn jedoch wurde nicht munter, sie schlief tief und fest. Die letzten Tage, hatten sie an ihre Leistungsgrenzen gebracht. Da sie sich sicher und geborgen fühlte, bei dem Mann der sie in den Armen hielt, konnte sie vollkommen abtauchen. Sonst hätte sie nie so fest geschlafen. Nur eins hätte sie aus diesem dringend notwendigen Schlaf holen können, das wäre das Wort Alarm. Sender versuchte es sogar, mit dem einzigen Wort, welches er von der Sprache des Mädchens kannte.

Frido, Kahlyn. - Wache auf Kahlyn“, sagt er.

Allerdings war Kahlyn nicht wach zu bekommen, sie schlief so fest, dass sie nicht einmal merkte, wie John und Sender, sie vom Platz hochhoben und John sie nach oben ins Bett schaffte. Dort angekommen, zogen sie dem völlig erschöpften, tief schlafenden Mädchen den Overall und die Schuhe aus. Legten sie in ihr Bett und deckten sie zu. Keine dreißig Minuten später, lagen die gesamte Truppe im Bett. Alle schliefen einen erschöpften Schlaf und erholten sich von dem kräftezerrenden, vor allem schlimmen Einsatz.

Am nächsten Morgen erwachte John gegen 5 Uhr. Darauf gefasst, dass Kahlyn wie jedes Mal verschwunden war, sah John in ihr Bett. Dieses Mal jedoch, lag sie noch fast genauso darin wie die beiden Männer sie am vergangen Nachmittag hinein gelegt hatten. Kahlyn schlief unruhig, aber sie schlief. John ging nach vorn um zu duschen. Dort traf er auch Sender.

„Rudi, Kahlyn schläft noch. Ich glaube, sie ist fertiger als wir alle dachten. So lange hat sie noch nie geschlafen. Was machen wir, lassen wir sie schlafen oder wecken wir sie?“

Sender sah John an. „Was denkst du? Ich denke John, wir sollten sie schlafen lassen. Aber ab und an nach ihr schauen. Nachdem, was Kahlyn die letzten Tage durch hat, denke ich tut ihr der Schlaf richtig gut.“

Damit war die Sache erst einmal vom Tisch. Nachdem Frühstück und Senders obligatorischen Sparziergang, ging es weiter zum Nahkampftraining. Nach dem Mittagessen jedoch wurden Sender und John langsam nervös. Solange hatte Kahlyn noch nie geschlafen. Immer wieder gingen sie hinter und sahen nach dem Mädchen, das unruhig schlief. John war sich nicht sicher, ob sie wieder Fieber hatte, deshalb beschlossen die Männer, gegen Abend Karpo anzurufen.

„Jens, wenn du dann mal einen Moment Zeit hast oder kurz bevor du Feierabend machst, kannst du mal nach Kahlyn sehen?“, besorgt klang die Stimme von Sender.

„Klar, ich hab grade etwas Luft, ich komme mal kurz runter. Was ist mit ihr, wieder einen der Anfälle?“, hinterfragte Karpo, den die Sorge in Sender Stimme, nicht entgangen war.

„Nein, das nicht Jens, Aber sie ist gestern Nachmittag im Bus eingeschlafen, das war so gegen 14 Uhr 30 und sie schläft immer noch. Bei meinem Patenkind würde ich sagen, in Ordnung, dann schläft sie sich einfach mal aus. Aber bei Kahlyn bin ich mir immer nicht sicher. Auch weil sie so verdammt heiß ist“, erleichtert, dass Karpo gleich mal kam, atmete Sender auf.

„Ist in Ordnung, ich rufe gleich mal Fritz an, ob das schon mal sein kann. Die Woche war ja für Kahlyn, auch nicht so einfach. Vielleicht braucht ihr Körper, einfach einmal Schlaf. Aber ich komme sofort mal nach ihr schauen. Macht euch nicht gleich wieder Sorgen.“

Nach dem letzten Satz legte Karpo auf. Sender beugte sich wieder über das Dossier, was er gerade bekommen hatte und hofft im Stillen, dass es wirklich nur ein Ausschlafen war. Wenn er ehrlich zu sich war, konnte er bald keinen Stress mehr ertragen. Nur gut, dass sie in drei Tagen, Bereitschaft hatten. Er hatte schon mit Ronny Schulze, dem Teamleiter des Beta Teams telefonierte, dass sein Team die erste Woche nur geholt wurde, wenn ein absoluter Notfall eintrat. Nicht nur er, sondern sein gesamtes Team brauchte Ruhe. Dann würde er sich erst mal richtig ausschlafen und drei Tage nichts anderes machen, als entspannen.

Eine viertel Stunde, nach seinem Anruf erschien Karpo auf der Wache und ging zügig hinter zu Sender ins Büro.

„Tag Rudi, pass auf ich habe Fritz gerade angerufen. Er meinte, das kann schon sein, dass sie mal eine ganze Woche durchschläft. Das würde zwar sehr selten vorkommen, aber wir sollen bedenken, dass Kahlyn seit fast vier Monaten, nie richtig geschlafen hat. Auch wenn sie hier nach den Anfällen, mal zwölf Stunden am Stück schlief. Wäre das aber kein erholsamer Schlaf gewesen. Sondern eher, so eine Art Komaschlaf, wo sich ihr Körper einfach das Minimum an Ruhe geholt hat, dass er zum regenerieren brauchte. Ich soll einfach mal Temperatur und Vitalwerte kontrollieren. Sind die Wert bei ihr in Ordnung, sollen wir sie einfach schlafen lassen. Ansonsten sollen wir ihr einfach sagen, es wäre Alarm, wir würden sie brauchen. Ich schau mal nach ihr“, Karpo nickte Sender zu und ging zwei Zimmer weiter, um nach seinem Sorgenkind zu sehen. Keine zehn Minuten später, war er wieder in Senders Büro. „Rudi, du brauchst dir keine Sorgen machen. Sie schläft wirklich nur. Hat kein sehr hohes Fieber 50,8 °C und alle anderen Werte, liegen in ihrem Bereich. Sie schläft zwar unruhig, wahrscheinlich träumt sie schlecht, also lasse sie schlafen. Fritz meinte, wenn sie so schläft, ist sie hier angekommen. Das Schlimmste hättet ihr überstanden.“

Die Erleichterung auf Sender Seite, war deutlich zu sehen. „Jens, das dachten wir uns im Bus auch. Ich fragte Kahlyn nämlich, bevor sie eingeschlafen ist, ob ich sie nicht in ein anderes Team schicken soll. Statt einer Antwort, legte sie sich auf meinen Schoss und schlief ein. Ich glaube, wir haben es geschafft. Hoffen wir, dass es etwas ruhiger wird um die Kleene. Wenn ich ehrlich bin, halte ich den Stress der letzten beiden Wochen nicht mehr lange aus. Ich bin fix und foxi, wie ich immer so schön sage. So sehr wie diesmal, habe ich mich noch nie, auf meine Bereitschaft gefreut.“

Karpo lächelte den Teamleiter des Alpha-Teams mitleidig an. „Das glaube ich dir. Aber ich denke, wenn ihr wie du mir gesagt hast, wirklich die Kleine bei euch aufnehmen wollt, dann wird es nicht viel mit Ruhe.“

Sender lächelte. „Ach weißt du, solange sie nicht so abdreht wie hier, kann mich nichts mehr aus der Ruhe bringen. Wir werden einfach Geduld haben müssen. Aber eine andere Frage. Sag mal wie sieht es aus, wenn mit der Kleenen etwas ist, würde ich gerne immer dich anrufen. Ich könnte ja auch meinen Hausarzt dazu ziehen, aber ich denke, du kennst dich da besser aus.“

Karpo sah den Kollegen ernst an. „Rudi, ich würde dir auch nicht raten einen anderen Arzt als mich zu rufen. Es sei denn, es ist ein absoluter Notfall oder ich bin nicht erreichbar. Kahlyn reagiert recht abweisend auf Ärzte. Fritz sagte mir, dass man diese Kinder oft wie Versuchskaninchen behandelt hat. Die haben alle keine guten Erfahrungen mit Ärzten gemacht. Ich glaube fast, dass sie mir nur vertraut, weil ich ihr damals geholfen habe. Weißt du gleich am zweiten Tag. Fritz wunderte sich, dass sie Doko zu mir sagt. Das macht Kahlyn sonst nie.“

Sender nickte. „Sag mal Jens, hast du mal nach ihrem Bein geschaut.“

„Ja Rudi, die Entzündung geht langsam zurück. Ich habe aber den Verband nicht aufgemacht. Fritz sagte mir, ich soll ihn nicht ab machen, nur wenn die Entzündung weiter am Bein hoch oder runter gewandert ist. Ich wusste erst nicht, was er meinte. Aber als ich mir das Bein ansah, wurde mir das schon klar. Die Entzündung geht zurück, ist nur noch halb so groß, wie sie mal war. Also, auch das ist am abheilen. Ich komme morgen früh noch einmal, nach Kahlyn schauen. Sollte etwas sein, du erreichst mich ab 20 Uhr, bei meiner Mutter. Dann noch ruhigen Dienst.“

Karpo klopfte Sender auf die Schulter und verließ dessen Büro und die Wache. Kurz nach 23 Uhr, lagen auch die anderen wieder, in ihren Betten und schliefen. Kahlyn hatte nichts von dem Tag mitbekommen, immer noch schlief sie, jetzt allerdings ruhig und fest.

 

Ich erwachte und streckte mich erst einmal. Als ich auf die Uhr sah erschrak ich mich, es war schon 3 Uhr 27. Oh gütiger Himmel, wie lange hatte ich denn geschlafen? Wie war ich überhaupt ins Bett gekommen? Mühsam versuchte ich mich, an die letzten Stunden zu erinnern.

Ich wusste noch, dass mir schlecht war. Fran musste den Bus anhalten, danach war ich zurück in den Bus gegangen. John saß neben mir. Dann kam Sender, um mit mir zu reden. Ja klar, er wollte wissen, ob ich lieber im Team von Conny arbeiten würde. Ich überlegte kurz. Sollte ich in Connys Team wechseln? Nein, eigentlich nicht. Ich tät gern hier bleiben. Warum? Das Team von Conny hatte schon einen guten Mann, ich glaube ich wurde hier im Team mehr gebraucht. Außerdem würde es die Trennung von vielen bedeuten, die ich sehr mochte. Langsam aber sicher, hatte ich das Gefühl, dass ich hierher gehörte.

Der Oberst, hatte wieder einmal recht. Ich musste mir nur mehr Zeit lassen oder war es vielleicht nur eine Frage der Einstellung, dass es mir jetzt hier besser gefiel? Weil ich seit kurzem wusste, ich konnte wo anders hin, wenn es mir hier nicht klar kam. Das konnte schon sein, dass ich es dadurch nicht mehr so verbissen sah, es dadurch lockerer anging. Am liebsten, so ging es mir durch den Kopf, mochte ich John und Rudi. Weil ich mit den Beiden, einfach viel Zeit verbracht hatte und die Beiden am besten kannte.

Ich horchte in mich hinein. Ging es mir wirklich gut? Die Frage konnte ich mit einem klaren JA beantworten, es ging mir gut. Natürlich vermisste ich meine Freunde noch. Ich würde sie immer vermissen, aber es tat nicht mehr so weh. Eine Weile horchte ich auf die Geräusche der anderen. Versuchte noch einmal einzuschlafen, aber ich konnte nicht mehr schlafen. Aus diesem Grund beschloss ich aufzustehen.

Leise erhob ich mich und verließ den Schlafsaal. Mir ging es gut, so gut wie ewig nicht mehr. Vorn bei den Spinden angekommen, zog ich mich aus, dann ging ich duschen. Herrlich dieses Gefühl, wie ich das liebte, das heiße Wasser auf der Haut zu spüren. Jeder meiner Muskeln tat weh. Ich kam mir vor, als wenn mich ein Panzer überrollt hätte. Na ja, ging es mir durch den Kopf, der Einsatz war ja auch mehr als anstrengend gewesen. Langsam, ganz vorsichtig wickelte ich unter der Dusche, die Verbände ab, erfreut stellte ich fest, dass die Wunden richtig gut aussahen. Die Wunde am Bein war zwar noch tüchtig entzündet, aber sie begann schon abzuheilen, die anderen Wunden waren schon fast verheilt. Das wunderte mich ein wenig. In den paar Stunden, eigenartig, sonst brauchten die mindestens zwei Tage. Ich ließ einfach Wasser darauf laufen. Doko hatte mir mal erklärt, dass man das nicht machen sollte. Aber bei mir half das immer gut. Durch das Ausspülen der Wunde, hatte ich festgestellt, wurde die alte Salbe weggespült, wenn ich dann neue Salbe auf die Wunden machte, wirkte die viel besser. Alles wusste mein guter alter Doko halt auch nicht. Oder war das nur bei uns wieder anders, als bei normalen Menschen?

Wie es ihm und Dika wohl ging? Ich hoffte doch gut. Bald waren die Beiden auch, den Oberstleutnant los, dann brauchte ich mir keine Sorgen mehr zu machen. Ich sann darüber nach, was die Beiden mir immer gesagt hatten.

Doko sagte immer zu mir. „Kahlyn, irgendwann kommt eine Zeit, dann wirst du wie ein Mensch behandelt. Keiner wird dich dann mehr schlagen, du musst nie mehr hungern und kannst immer schlafen.“

Immer hatte ich dann gedacht, ach du lieber Doko, das ist und bleibt nur ein Wunschtraum von dir, der sich nie erfüllen ließ, jedenfalls nicht für uns. Aber er schien recht zu behalten. Hier in Gera schlug mich niemand, ich konnte immer schlafen und bekam sogar mehr zu essen, als ich vertrug. Es waren Menschen hier, die mich beschützen, obwohl sie nicht wie wir waren. Denen es egal war, das wir anders aussahen, die mich sogar verteidigten und beschützten. Nie wirklich niemals hätte ich gedacht, dass es für uns, vor allem für mich so etwas geben würde.

Ach tat das Wasser gut, ging es mir durch den Kopf. Wenn wir in der Schule geduscht hatten, hieß es immer‚ schnell macht hin, beeilt euch. Nur, wenn ich auf der Krankenstation war, dann konnte ich das genießen. Doko hatte mich dann immer Duschen geschickt und mich immer gedeckt. Jetzt konnte ich das jeden Tag und keiner sagte etwas. Es war einfach nur schön hier. Nur eins machte mir Sorgen. Was würden das für andere sein, das Beta-Team von Schulze, ob die auch so nett waren, wie die von Sender? Ich hoffte es sehr. Und wenn nicht, dann waren es ja nur sechs Wochen, bis John wiederkam. Die würde ich schon irgendwie aushalten.

Ich wusch mich gründlich und lief nach vorn zu den Spinden. Mit Schrecken fiel mir ein, dass mein Medi-Koffer ja leer war. Na dann musste ich schauen, ob in der Sanistube, etwas Verbandsmaterial lag. Trotzdem öffnete ich ihn, weil ich meine Wundsalbe herausholen wollte und war erstaunt. Irgendjemand hatte den Koffer auffüllen lassen. Die waren so lieb hier. Keiner, wirklich keiner, hätte das in der Schule gemacht. Erfreut widmete ich mich der Versorgung, meines Beines, dann zog ich mich an. Die Uhr an der Tür, zeigte jetzt 4 Uhr 35 an.

Was mache ich jetzt? Ging es mir durch den Kopf. Leise ging ich in Frans Küche und holte mir eine Tasse Wasser, ich hatte schrecklichen Durst. Nachdenklich stand ich da und entschied mich, nach vorn in die Wachstube zu gehen. Vielleicht brauchten die dort vorn, jemanden zum helfen.

„Guten Morgen“, begrüßte ich die Nachtschicht. Die Wachtmeister sahen mich erstaunt an.

„Na schon so zeitig auf, hast du endlich ausgeschlafen, du Schlafmütze“, foppte mich einer der Wachtmeister, den ich noch nicht kannte.

„Ja, hab ja lange genug geschlafen. Kann ich hier etwas helfen? Ich weiß nicht, was ich hintern machen soll. Ich will die anderen ja nicht wecken“, fragte ich einfach, einer inneren Eingebung folgend.

„Ja, du kannst einen Kaffee trinken“, erklärte mir der Wachtmeister. „Wie willst du ihn?“

Keine Ahnung? Deshalb sagte ich das, was Doko immer zu Dika, auf diese Frage antwortet. „Am liebsten heiß, kalt wird er von alleine.“

Die Männer fingen an schallend zu lachen.

„Na, du hast wirklich ausgeschlafen. Jetzt glaube ich es dir. Sag mal Kahlyn, wie geht es dir? Ach, im Übrigen, ich bin der Falko“, stellte er sich vor und hielt mir die Hand hin.

Ich sah ihn verwirrt an.

„Na du musst meine Hand, nehmen und sagen, ich bin die Kahlyn. So stellt man sich vor“, meinte er schmunzelnd.

Ich nahm seine Hand und sprach genau wie er es mir voreschlagen hatte. „Ich bin Kahlyn. Dich kenne ich aber noch nicht“, setzte ich einfach nach.

Warum auch nicht, beim Oberst im Team machte ich das auch immer so. Conny, hat mir gestern vor dem Einsatz extra noch einmal gesagt, ich sollte etwas lockerer werden. Sender wäre ganz irritiert, weil ich immer alle mit sie anspreche würde und so förmlich täte. Die Leute auf meiner neuen Dienststelle wären nicht anders als die Leute beim Oberst. Vielleicht hatte er ja recht, vielleicht kam ich besser klar, wenn ich es einfach lockerer sehen würde. Alle sagten in der Wache, du zueinander und ich war so förmlich, da konnte man sich ja nicht näher kommen. Ich würde es einfach einmal versuchen. Beim Oberst war das immer alles so einfach, aber hier. Irgendwie ging es mir heute richtig gut, so gut ging es mir schon Jahre nicht mehr. Ich könnte Bäume ausreisen.

Falko kam mit einem Kaffee, ich sprang kurzerhand auf den Tresen und setzte mich im Schneidersitz darauf. Da fing der Wachtmeister an zu lachen.

„Na du erst noch. Machst du es dir bequem. Aber um 8 Uhr musst du hier Platz mache.“

Ich schaute ihn an und hielt meinen Kopf etwas schräg, so wie ich es immer machte, wenn ich etwas nicht richtig verstanden hatte.

„Na, wie sollen die Leute hier etwas vorbringen, wenn du auf dem Tresen sitzt“, erklärte mir Falko der gemerkt hatte, dass ich nicht wusste wie er das meinte.

Ich nahm ihm lachend die Tasse ab. „Na solange kann ich gar nicht hier bleiben. Ich muss dann hinter, sonst suchen die Jungs mich noch.“

Genüsslich trank ich den Kaffee. Beobachtete die drei Wachleute beim Arbeiten.

„Falko?“

Der Wachtmeister, drehte sich zu mir um. "Was ist?"

„Darf ich einen Zettel und einen Bleistift bekommen? Ich möchte ein wenig zeichnen, mir ist langweilig“, fragte ich den netten Wachtmeister.

Der brachte mir einen Block, auch einen Stift.

„Danke.“

Ich legte mich kurzerhand bäuchlings auf den Tresen und fing an zu zeichnen. Kopfschüttelnd sahen mich die Wachtmeister dabei zu. Mir war das egal, sollten sie doch gucken, mir ging es einfach nur gut. Kurz nach 5 Uhr, traf Ines Sören mit den Brötchen ein.

„Guten Morgen Jungs“, rief sie und stutzte, weil sie mich auf dem Tresen liegen sah.

„Guten Morgen Kahlyn, na hast du endlich ausgeschlafen.“

Ich schaute zu ihr herum. „Ja, hab ich.“

Sören lächelte. „Na, das freut mich aber. Wie ich sehe hat man dich schon mit Kaffee versorgt. Ich hoffe, du hast nicht allen weggetrunken.“

Ich schüttelte den Kopf und setzte mich wieder hin. „Nein, nur eine Tasse.“

Sören lachte. „Na, dann hab ich wohl Glück. Habt ihr für eine unausgeschlafene Ines, auch noch einen Kaffee.“

Falko kam allerdings schon auf sie zu, mit einer Tasse in der Hand. "Hier dein Kaffee Ines, lass ihn dir schmecken." Falko drückte seiner Kollegin die Tassen in die Hand. Neugierig sah er auf meine Zeichnung. „Kahlyn, das ist gut. Man kannst du gut zeichnen. Darf ich das Bild haben? Meine Frau freut sich darüber bestimmt sehr. Die hat nämlich morgen Geburtstag.“

Mit den Schultern zuckend, reichte ich ihm den Block. „Gern, ich hatte nur Langeweile. Ich bin es nicht gewohnt, nichts zu tun. Es ist aber nicht sehr gut. Jaan, kann das viel besser als ich. Darf ich dich was fragen?“

Falko nickte. „Ja klar doch, frag alles, was du willst“, lächelnd sah er mich an.

„Ich hab das schon so oft gehört, aber, was ist der Geburtstag? Gosch, sagte vorgestern zu mir, wenn ich am zehnten nicht zum Geburtstag meiner Frau zu Hause bin, gibt es Krieg. Ich verstehe das nicht, warum tötet man ihn, wegen so einem Tag?“

Sören, Falko, auch die anderen beiden Wachtmeister fingen an zu lachen. Ines sah mich nach einer Weile traurig an.

„Oh Kahlyn, Kleines. Dein Gosch wird nicht getötet, weil er am zehnten nicht zu Hause war. Du musst dir keine Sorgen machen“, erklärte Sören mir. „Seine Frau wäre nur sehr enttäuscht gewesen, wenn er an diesen Tag nicht da ist oder halt traurig oder hätte geweint“, versuchte sie mir die Angst zu nehmen.

„Aber, warum oder besser, was ist so schlimm, wenn Gosch nicht an diesem Tag zu Hause ist. Dann ist er halt am nächsten Tag zu Hause. Was macht das schon?“ Ich verstand es nicht.

„Kahlyn, du hast doch auch Geburtstag.“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich hab so was nicht“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

Jetzt guckten Falko und Sören, verunsichert.

„Kleines, jeder Mensch hat einen Geburtstag, du auch Kahlyn.“

Ich schüttelte wieder den Kopf, ich konnte doch nichts dafür, dass ich nicht wusste, was das ist und so etwas nicht hatte.

Sören sah mich traurig an. „Kahlyn, du wurdest doch einmal geboren oder? Auf die Welt geholt.“

Ich nickte.

„Na siehst du und weißt du, welcher Tag das war?“

Ich schüttelte den Kopf „Das weiß ich nicht, da muss ich den Doko fragen, ob der das weiß. Das steht bestimmt in meinen medizinischen Unterlagen.“

Sören und Falko starrten mich an, wie ein Alien. Sie konnten nicht glauben, was sie da hörten.

„Kahlyn, man muss doch wissen, wann man geboren ist. Wie alt bist du?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich glaube ungefähr sechszehn Jahre.“

Wieder schüttelten beide den Kopf.

„Dann, hattest du schon sechszehnmal Geburtstag gehabt. Hast du nie Geburtstagsgeschenke bekommen.“

Ich verstand nur Bahnhof. Aber es war egal, irgendwann würde ich das schon begreifen. Wenn nicht jetzt, dann halt später.

„Was ist das denn schon wieder? So etwas kenne ich nicht und hab auch noch nie sowas bekommen. Ach Manne, das ist hier alles so kompliziert bei euch hier. Ist ja auch egal“, sagte ich und sprang vom Tresen.

„Ich geh mal nach hinten, sonst bekommen die wieder Panik und suchen nach mir. Also bis später.“

Im gleichen Augenblick verließ ich die Wachstube. Die anwesenden Wachtmeister völlig durcheinander zurücklassend, die die Welt nicht mehr verstanden. Aber dieser Tatsache, war ich mir nicht bewusst. Im Bereitschaftsraum angekommen, kam Fran gerade in seiner Küche an. Sobald er mich sah, ging ein Strahlen über sein Gesicht auf.

„Kahlyn, na ausgeschlafen. Wie geht es dir?“

Ich lief auf ihn zu. „Guten Morgen Fran, mir geht es gut, ich bin ausgeschlafen und du? Heute siehst du nicht mehr so müde aus, wie gestern“, stellte ich fest.

„Na zwei Nächte richtig schlafen, das wirkt Wunder. Du siehst aber auch gut aus, überhaupt nicht mehr blass, wie sonst. Die zwei Tage Schlaf, haben dir wirklich gut getan.“

Ich starrte Fran entsetzt an. „Wie zwei Tage Schlaf?“

Fran mustert mich. „Kahlyn, wir sind schon den zweiten Tag zurück. Du hast gestern den ganzen Tag verschlafen. Seit wann bist du auf?“

Ich fasste es nicht.

„Kahlyn, heute ist Freitag, du hast seit Mittwoch gegen 15 Uhr geschlafen.“

Ungläubig schüttelte ich den Kopf. „Warum hat mich keiner geweckt?“

Fran grinste mich an. „Weil keine Notwenigkeit bestanden hat. Du solltest mal ordentlich ausschlafen und das hat dir richtig gut getan. So gut, hast du noch nie ausgesehen. Sag mal, was macht dein Bein, geht es wieder?“

Ich nickte und kratzte mir den Kopf. „Es heilt, in ein oder zwei Tagen, ist es wieder gut.“

Jetzt wurde mir auch klar, wieso die anderen Verletzungen schon so gut verheilt waren. Kein Wunder, wenn ich so lange geschlafen hatte. Ich musste ganz schön fertig gewesen sein. Deshalb also ging es mir so gut.

Fran räumte das Geschirr aus dem Schrank. „Das ist gut. Hilfst mir ein wenig beim Frühstück machen, dann bin ich schneller fertig?“, bat Fran mich.

„Klar, sag mir nur, wie ich und was machen soll“, antwortete ich froh, etwas tun zu können.

So gar nichts zu tun, war etwas Ungewohntes für mich. Ich trug die Teller nach vorn und das Besteck. Fran zeigte mir dann, wie ich das alles hinstellen sollte. Er bereitete in der Zwischenzeit Speck und Zwiebeln vor.

„Kahlyn, sag mal bist du so lieb und gibst mir die Margarine aus dem Kühlschrank?“, mit keiner Silbe dachte Fran daran, dass ich ja gar nicht wusste, was das war.

„Was ist das Fran?“, fragte ich ihn.

Verzweifelt schüttelte Fran den Kopf. „Komm mit Täubchen, ich zeige dir, was das ist. Hast du Lust kochen zu lernen? Dann kann ich dir einiges zeigen und du hast gleich etwas zu tun.“

Ich nickte, warum auch nicht. So erklärte mir Fran Schritt für Schritt, wie man ein Rührei zu bereitet. Das roch eigenartig, so etwas hatte ich noch nie gerochen. Aber irgendwie, roch das auch gut. Nach und nach, trafen alle anderen am Frühstückstisch ein. Nach einer ganzen Weile, kam auch Sören mit den Brötchen, nur einer der Wachtmeister, musste vorn beim Funk bleiben.

Fran gab mir ein großen Teller mit Wurst, Käse, Rührei, Butterbrötchen und einem großen Pot Kaffee. „Kahlyn, bist du so lieb und bringst das vor zu Michael. Der hat auch Hunger.“

Klar machte ich das gerne. Fran hat gerade meinen Brei, auf den Platz gestellt. Oh Manne, hatte ich einen Hunger, langsam löffelte ich den Teller leer. Es wurde gelacht und geschwatzt, es war richtig schön. Sender saß nachdenklich auf seinen Platz, beobachtete mich ständig von der Seite. Die anderen bekamen gar nicht mit, dass ihr Chef heute so schweigsam war.

John jedoch fiel es auf. „Rudi, über was grübelst du den nach?“, erkundigte er sich bei Sender.

„Ach es ist nichts, mir fiel bloß gerade ein, dass ich heute Mittag den Bericht fertig haben muss, aber immer noch nicht durch bin. Da bekomme ich wieder eine auf die Mütze. Verdammt, ich habe mich so auf das Lauftraining gefreut. Aber das müsst ihr heute ohne mich machen.“

Unsicher schaute ich zu John, der fragte „Was ist den Mäuschen?“

Ich zuckte mit den Schultern.

Sender sah mich nun auch an. „Was ist los Kahlyn?“

Ich holte tief Luft, nahm meinen ganzen Mut zusammen. „Kann ich mir das vielleicht mal ansehen? Vielleicht, kann ich das für dich machen, wenn ich darf, Rudi?"

Richtig wohl war mir dabei nicht, dass Rudi einfach so anzubieten. Aber ich hatte ja Conny versprochen, dass ich mehr auf die Leute zu gehen sollte. So, wie ich es beim Oberst, auch immer gemacht hatte. Dem hatte ich auch oft diesen Aktenkram abgenommen, wie er ihn nannte, wenn ich Zeit dazu hatte.

Rudi musterte mich ganz komisch. „Du kannst doch nicht meine Arbeit machen, Kahlyn.“

Ich zuckte mit den Schultern. „Warum nicht? Ich mache das ganz gut, sagt mir immer der Oberst. Dem hab ich das auch ab und zu mal abgenommen. Der hasst das nämlich wie die Pest, sagt er immer. Wirklich Rudi“, setzte ich nach, als ich seinen ungläubigen Blick sah. „Lass mich wenigstens einmal reingucken, es schadet doch nicht.“

Rudi sah mich skeptisch an. „Aber unser Spaziergang?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Dann komme ich morgen mit, ist doch nicht schlimm. Aber, das Lauftraining ist für dich viel wichtiger, als die Büroarbeit, genau wie für mich.“ Ich sah ihn ernst an.

„Na von mir aus. Schau dir den Mist mal an. Der Ordner liegt offen auf meinem Schreibtisch.“

Ich nickte, da ich fertig war mit meinem Brei, stand ich auf und ging sofort hinter in Senders Büro. So bekam ich gar nicht mehr mit, dass alle den Kopf schüttelten. In Senders Büro, nahm ich den Ordner, legte einen Zettel auf den Tisch.

„Bin im Besprechungsraum.“

So verhinderte ich, dass mich wieder einmal alle suchen mussten. Dort angekommen, nahm ich mir das Dossier vor. Es war eine Statistik über die Einsätze des vergangen Jahres. Das war schnell aufgearbeitet, dachte ich mir so, das hatte ich beim Oberst schon x-mal gemacht. So wie ich es schon einmal gemacht hatte, schrieb ich einfach auf die Rückseite der Blätter Bemerkungen, zeichnete Diagramme und ganz am Ende, schrieb ich Sender meine Schlussfolgerungen hin. Eine knappe Stunde später, ging ich in Senders Büro und legte das Dossier wieder auf seinen Platz. Lief nach vorn, zu den Anderen. Als ich sah, dass die anderen schon umgezogen waren, ging ich mich auch umziehen. Dann jedoch wandte ich mich John zu.

„Du John, sag mal muss ich unbedingt Schuhe zum Laufen anziehen, ich laufe lieber barfuß. Oder bekomme ich dann wieder Ärger mit euch?“

Der sah mich ernst an. „Ich würde das nicht machen, überall auf dem Weg liegen Scherben, du zerschneidest dir die Füße.“

Ich schüttelte den Kopf. „Das passiert nicht so schnell. Meine Füße sind das gewöhnt. Aber wenn du willst, ziehe ich die Nahkampfschuhe an, dann sind sie geschützter.“

John zuckte mit den Schultern. „Na ich weiß nicht Kahlyn. Frag am besten Rudi, wenn er kommt. Er hat das letzte Wort, von mir aus ja.“

Ich nickte erfreut. „Mach ich, danke John“, lächelnd gab ich ihm, einen Kuss auf die Stirn, wie ich es immer mit Conny gemacht hatte.

John lächelte mir glücklich zu. „Man erkennt dich gar nicht mehr wieder. Du bist wie ausgewechselt, Mäuschen.“

„Mir geht’s einfach nur gut. So gut wie seit Jahren nicht mehr. John, ich habe geschlafen, habe gegessen und ich habe dich. Da muss es mir doch gut gehen.“

Bevor John etwas sagen konnte, kam Sender von draußen herein.

„Na Kahlyn, hast wohl aufgegeben. Das ist ein Zahlengewirr, da wird einen schlecht bei. Ist nicht schlimm, dann lauft mal ohne mich.“

Ich verstand den Major nicht. „John, hab ich etwas falsch gemacht? Es ist doch fertig, warum will er jetzt doch nicht mitkommen?“

John grinste von einem Ohr zum anderen. „Kahlyn, er wird nicht vermuten, dass du schon fertig bist. Warte ab, gleich kommt er vor, fragt dich ob du verrückt geworden bist.“

Erschrocken sah ich John an. „Ich bin doch…“, weiter kam ich nicht, in dem Moment kam Sender, mit dem Dossier in der Hand nach vorne gestürmt.

„Kahlyn, Kleene, wie kannst du das schon fertig haben, bist du verrückt?“

John fing schallend an zu lachen, stupste mich an. „Siehst du Mäuschen, was habe ich dir gesagt.“

Ich schüttelte den Kopf. „Ich bin doch nicht verrückt“, beendete ich den Satz, den ich gerade sagen wollte. „Warum soll ich denn verrückt sein? Du wolltest doch, dass ich das mache! Es war nur eine kleine Auswertung und gar nichts Schlimmes.“

Sender kam zu mir, gab mir einen Kuss. „Kahlyn, du hast mir gerade das Leben gerettet. Danke Kleene.“

Verwirrt sah ich ihn an, doch Sender war schon wieder auf dem Weg ins Büro. „John, ich verstehe gar nichts mehr. Warum habe ich Rudi das Leben gerettet? Ihr redet manchmal so komisch, dass ich Euch nicht verstehe.“

John lachte immer noch. „Ach Mäuschen, du darfst nicht immer alles wortwörtlich nehmen, was wir sagen. Oft ist das nur sinngemäß gemeint.“

Ich verstand wieder einmal gar nichts. „Warum sagt ihr nicht einfach das, was ihr meint? Das ist doch viel einfacher“, ich schüttelte den Kopf, es war einfach nur verwirrend.

„Tja Mäuschen, so sind wir halt. Was dir Rudi damit sagen wollte, ist folgendes. Er hasst diese Art von Arbeit, aber sie gehört nun mal, zu seinem Aufgabenbereich, also muss er sie machen. Er saß gestern den gesamten Tag daran. Du machst einfach mal in fünfzig Minuten, was er in achtzehn Stunden nicht zustande gebracht hat. Hast einfach diese Arbeit aus dem Handgelenk heraus erledigt. Er hätte auch nur, danke sagen brauchen“, John wuschelte mir über die Haare.

„Das hätte genügt und ich hätte es verstanden“, erklärte ich mich kurz, schon war die Sache für mich von Tisch.

Manchmal waren die Männer hier, ganz schön kompliziert. In der Zwischenzeit, hatte sich auch Sender umgezogen, wir konnten endlich loslaufen. Sender bat mich neben ihn zu laufen.

„Danke Kleene. Ich schaue es mir dann in Ruhe an. Also lass uns die frische Luft genießen.“

Sender zog das Tempo etwas an und lief mit uns die ganz große Runde. Kurz nach 13 Uhr kamen wir zurück in die Wache und gingen duschen. Eine Stunde später gab es Mittag. Wie immer ließ ich das ausfallen. Sender sah mich ganz böse an, aber ich hatte keinen Hunger. Ich würde mit ihm einmal darüber reden müssen, dass ich nicht ausgelastet war. Dadurch gar nicht so viel essen konnte, wie man mir ständig vorsetzte. Sonst würde ich in einem Monat nicht mehr durch die Tür passen, weil ich so dick geworden wäre.

Da die meisten sich dann eine Stunde hinlegten, man wusste ja nie, ob noch Alarm kam, entschloss ich mich zu fragen, ob ich in den Park gehen könnte.

„Rudi, darf ich etwas in den Park gehen, ich brauche etwas Bewegung und wenn du irgendwann einmal etwas Zeit hast, würde ich gern mit dir über meine Ernährung reden, damit wir nicht immer diese Diskussion haben. Bitte.“

Mein Major nickte, mit vollen Mund. Eilig kaute er runter. „Geh nur, ich schicke dir jemanden, wenn ich dich brauche oder wenn Alarm ist. Aber um 15 Uhr möchte ich mit euch allen, die Einsatzauswertung machen, von vorgestern.“

Ich nickte und stand auf. Ich war froh, dass ich mal heraus kam und mich auspowern konnte. Ich verließ die Wache, überquerte die Straße und ging nach unten in den Park. Dort sah ich mich um, ob Josef in der Nähe war und betrat die Wiese. Schnell zog ich meinen Overall aus und begann mit dem Fobnekotar. Es tat gut, sich mal so richtig auszupowern. Nach einiger Zeit hatte ich sogar ein paar Zuschauer, aber das war mir egal. Anderthalb Stunden später nahm ich meinen Overall und lief zurück in die Wache. Ich war schweißgebadet, aber ich fühlte mich richtig wohl. John sah mich schweißgebadet in den Bereitschaftsraum kommen.

„Sag mal Mäuschen, regnet es draußen oder warum bist du so nass?“, verwirrt guckte er mich an.

Ich schüttelte breit grinsend den Kopf. „Nein, ich habe nur das Fobnekotar gemacht.“

„Das was?“, erkundigte sich John.

Ich ließ meinen Overall fallen, machte es ihm vor.

„Ach das, aber wieso schwitzt du so?“, erstaunt sah er mich an.

„Weil das, mit jeden Zyklus schwerer wird. Das erste Mal ist es ganz einfach, aber bei jedem weiteren Zyklus, geht das schon ganz schön in die Kondition. Ich scheine auch noch nicht ganz fit zu sein, aber es wird langsam besser“, erklärte ich ihm.

„Na, das musst du uns allen Mal beibringen“, stellte er einfach fest.

„Kann ich machen, ich gehe mal schnell duschen.“

John lachte. „Wenn du weiter so viel duschen gehst, Mäuschen, wird deine Haut noch ganz dünne“, scherzte er mit mir.

„Wieso?“, ich schaute ihn mit leicht schräggestellten Kopf an.

„Ach vergiss es Mäuschen, das war nur ein Scherz.“

Mit dem Kopf schüttelnd, ging ich weiter in die Dusche, zehn Minuten später war ich wieder vollständig angezogen im Bereitschaftsraum.

„Kahlyn, komm mal in mein Büro.“ Sender rief mich von hinten aus seiner Bürotür.

„Kleene, wie machst du das nur. Eine super Arbeit, übersichtlich und gut dargestellt. Woher kannst du das?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Wir haben das in der Schule gelernt. Jeder von uns musste irgendwann, für den Oberstleutnant, solche Sachen aufarbeiten. Am Anfang meistens nur Raiko, er war genau wie Rina, der Liebling vom Oberstleutnant gewesen. Aber der konnte das nie, also haben wir ihn alle geholfen und haben ihm erklärt und gezeigt wie er das machen muss. Dadurch habe ich das halt gelernt. Mir macht das Spaß, ich arbeite gern solche Sachen aus.“

Sender staunte. „Kahlyn, du machst so was gern? Wenn dir das wirklich Spaß macht, kannst du das gern immer machen. Ich hasse das wie die Pest. Ich weiß mit diesen vielen Zahlen, einfach nicht umzugehen“, ernst sah er mich an.

„Gern Rudi, gebe mir die Ordner einfach, wenn du sie bekommst und ich mache es dir fertig. Wenn es fertig ist, liest du es dir durch und dann weißt du auch, worum es geht. Dann habe ich wenigstens etwas zu tun. Mir ist oft langweilig. Ich bin es nicht gewöhnt, nichts zu tun. Entschuldigung“, ernst sah ich ihn an.

Sender schüttelte den Kopf. „Kleene, wieso ist dir Langweilig. Sei doch froh, dass du mal etwas Ruhe hast“, verwundert sah er mich an.

„Rudi, ich bin das nicht gewöhnt, ich war bis jetzt ständig in Bewegung. Jetzt habe ich auf einmal so viel Zeit, das ist mir zu viel, verstehst du?“

Sender schüttelte den Kopf, dann nickte er. Eigentlich konnte er sich schon denken, dass es für dieses junge Mädchen, das erste Mal war, dass es Luft zwischen zwei Einsätzen hatte.

„Kleene, wie sieht es aus, würdest du dann die Abschlussbesprechung von dem Einsatz noch machen oder willst du da lieber nicht dabei sein und ich soll die machen?“

„Natürlich mache ich die. Nur weiß ich nicht, was ich da machen soll, Rudi. Ich habe das noch nie gemacht.“

Sender gab mir genaue Anweisungen, auf welche Punkte ich Wert legen sollte.

„In Ordnung“, gab ich ziemlich kleinlaut zur Antwort. Denn im gleichen Atemzug bereute ich, meine vorschnelle Zusage. Aber ich würde das schon irgendwie schaffen. „Rudi, hast du noch einen Augenblick Zeit für mich?“

Sender lächelte mich an. „Kleene, für dich doch immer. Schieß los, was hast du auf dem Herzen?“

Tja, ging es mir durch den Kopf, wie erkläre ich es ihm am besten. „Rudi, wie ist das bei dir, du isst doch auch nicht mehr, als für dich gut ist, oder?“

Sender nickte.

„Wenn du hier auf Arbeit bist, dann isst du wahrscheinlich mehr, als wenn du… wie sagst du immer, frei hast. Wenn du jetzt genauso weiter essen würdest, wie hier auf Arbeit, was passiert dann mit dir?“

Sender grinste. „Ich würde dick werden, wie der Polizeirat.“

Ich grinste ihn an. „Genau das passiert auch bei mir. Ich habe so etwas, wie ein Signal in meinem Körper, das mir sagt, ich muss etwas essen. Wenn ich wie vorhin nichts esse, dann mache ich das nicht weil ich krank bin, sondern weil ich keinen Hunger habe. Weißt du, ich neige schnell dazu dick zu werden und das ist nicht gut. Ich denke es liegt daran, dass ich so klein bin. Bei den anderen aus meinem Team, da fallen fünf Kilo nicht so schnell auf, wie bei mir. Die sind alle gute dreißig Zentimeter größer als ich. Verstehst du? Bei mir fallen fünf Kilo schon schwer ins Gewicht und vor allem, tut es mir nicht gut. In der Schule bekamen wir so wenig zu essen, dass wir ständig hungern mussten. Was ich hier bei Euch in der Zeit gegessen habe, bekamen wir in der Schule in zwei Monaten. Ich bin einfach satt, verstehst du. Vertraue mir einfach in dieser Beziehung. Wenn ich Hunger habe, werde ich etwas essen. Auch dann, wenn gerade keine Essenszeit ist. Dann gehe ich zu Fran und frage ihn, ob er mir etwas macht. Das verspreche ich dir“, ernst sah ich meinen Vorgesetzten an.

Sender musterte mich von Kopf bis Fuß. „In Ordnung, ich werde versuchen, mir nicht immer Sorgen, um dich zu machen.“ Er sah aus seinem Büro. Es war schon kurz nach 15 Uhr. „Komm Kahlyn wir müssen hinter.“

Mir freundschaftlich auf die Schulter klopfend, stand er auf und ging an mir vorbei. Ich folgte ihn, so betraten wir zeitgleich das Besprechungszimmer, in dem schon alle versammelt waren.

 

„Na dann wollen wir mal. Kahlyn, du machst bitte die Auswertung, du hast den Einsatz ja geleitet“, begann er die Auswertung, in dem er sie mir in die Hand legte.

Sender setzte sich neben John und sah mich aufmunternd an. Eigentlich wusste ich gar nicht, warum wir das machten? Was sollte es bringen, diesen ganzen Mist noch einmal aufzurollen. Aber ich hatte es ja Sender versprochen. Ich holte also noch mal tief Luft und fing einfach an zu sprechen.

„Also, noch einmal meinen Dank an euch. Es war ein zwar kein sonderlich schwerer Einsatz, aber für euch ein ungewohnter. Ich weiß, dass ihr Einsätze dieser Art nicht gewohnt seid und eine andere Vorgehensweise als ich habt. Deshalb gehört euch mein Dank. Nur durch eure gute Mitarbeit, konnte dieser Einsatz einigermaßen glimpflich verlaufen.“ Ich sah zu John, der lächelte mir zu und nickte. „Ich hab so eine Einsatzauswertung noch nie gemacht, deshalb kann ich nicht sagen, ob ich das so mache, wie ihr das gewohnt seid. Aber ich denke, wenn ich Rudi richtig verstanden hatte. Solle ich dafür Sorge tragen, dass nicht beim nächsten Einsatz, wieder meine Befehle hinterfragt werden. Wenn ich ehrlich sein soll, hat mich das schon ganz schön genervt. Also fangen wir an.“

Ich ging vor an die Tafel, zeichnete mit einigen Strichen, das Terrain auf, welches im oberen Bereich des Lagers war.

„Es war so, als ich mit Gosch über das Lager flog, wurde mir sofort klar, dass der Einsatz einfach der blanke Horror wird. Auf Grund der kurzen Entfernungen zwischen den Lagern, war es nicht möglich auf Risiko zu gehen. Seht mal genau her“, ich zeichnete die drei Posten, vor dem Bergwerkseingang ein.

„Seht ihr, hier lagen die Posten auf den Felsen. Von unten konnte man sie kaum sehen, aber von oben konnten sie das umliegende Terrain gut einsehen. Sie konnte zwar die einzelnen Lager nicht sehen. Trotzdem waren alle vier Lager auf Hörreichweite entfernt. Es waren nur circa fünfzig bis hundertfünfzig Meter Luftlinie, zwischen den Posten und den einzelnen Lagern.

Das war das eigentliche Problem bei diesem Einsatz. Ein kleiner Schrei, ein lauter Ruf und die anderen Lager oder die Posten, hätten es gehört. Deshalb war es wichtig, lautlos zu agieren. Glaubt ja nicht, dass es mir Spaß macht zu töten.“

Ich sah von einem, zum anderen. Bei Max blieb mein Blick länger als bei den anderen hängen, in seinem Gesicht stand deutlich geschrieben, dass er genau das, von mir dachte. Ich hatte schon den ganzen Tag das Gefühl, dass er mir auswich. Der Kollege ging weg, wenn ich in seine Nähe kam.

„Max, wieso denkst du, dass mir das Töten Spaß macht? Kannst du mir das eventuell erklären“, sprach ich ihn direkt an.

Erschrocken sah er zu mir. Ihm war wahrscheinlich gar nicht bewusst, dass er mir seine Abneigung so deutlich gezeigt hatte. Ertappt und etwas verlegen wirkend, sah er mich an und senkte schnell wieder seinen Blick.

„Max glaube mir ein, es ist nicht schlimm, dass du das von mir denkst. Wahrscheinlich würde ich das auch von dir denken, wenn der Sachverhalt anders herum läge? Wichtig ist aber, dass wir das klären. Ich habe gemerkt, dass du mir ausweichst, dich zurück ziehst, wenn ich in deine Nähe komme. Wir müssen aber, beim nächsten Einsatz wieder zusammenarbeiten. Verstehst du?“

Max zuckte mit den Schultern. „Kahlyn, du hast ohne mit der Wimper zu zucken, die Leute dort erledigt. Dann bist du ganz normal weitergegangen und hast die nächsten erledigt. Als ob es das normalste der Welt wäre. Als wir uns weigerten, ohne Grund auf die sechs fehlenden Posten zu schießen, da bist du fast ausgerastet. Da kommen einen schon solche Gedanken.“

Ich sah ihn eine Weile schweigend an. Wenn du wüsstest, wie schlimm das jedes Mal für mich war, wenn ich so etwas tun musste. Wie sollte ich ihm das begreiflich machen?

Mir wurde auf einmal klar, warum Sender diese Auswertung machen musste. Waren wir wirklich so anders? Lagen wirklich solche unterschiedlichen Denkweisen hier vor? Dann fielen mir viele Gespräche mit meinen Freunden ein, aus der Anfangszeit unserer Kämpfe. Wir waren damals anderthalb bis zwei Jahre alt. Meine Kameraden hätten ohne mit der Wimper zu zucken, alles getötet, was ihnen vor die Klinge, die Hände oder die Gewehre kam. Wie oft hatten wir uns in den Haaren, bis sie begriffen, dass das Leben das wertvollste war, was man besaß und keiner das Recht hatte, es jemand zu nehmen. Dass der Kampf bis auf den Tod, immer das letzte Mittel bleiben sollte. Man den Tod, von anderen Menschen nur dann in Kauf nehmen dufte, um das Leben seiner Kameraden zu schützen. Nur dann, war das letzte Mittel vertretbar.

Wiederum musterte ich Max, lange und ausgiebig. Es tat mir nicht gut über diese Dinge zu sprechen, aber ich musste es machen, damit die Jungs hier, genauso wie meine Freunde damals verstanden, warum man bestimmte Dinge tun oder nicht tun sollte. Ich holte tief Luft und fragte Max.

„Was hättest du gemacht? Bitte erkläre mir deine Taktik, wie wärst du vorgegangen?“ Ich winkte ihn zu mir heran. Auf einmal begriff ich, was Sender meint, die Leute müssen verstehen, warum der Einsatz so gelaufen war.

 „Komm Max, bitte erkläre es mir, bitte.“

Ich klappte die Tafel zu und zeichnete vorn, eins der Lager auf, setzte die Menschen auf die Positionen, auf denen sie zum Zugriffszeitpunkt waren.

„Bitte erkläre mir, wie du die Leute hier ausgeschaltet hättest. Ohne die anderen Posten zu alarmieren. Vielleicht habe ich etwas falsch gemacht und diese Leute könnten alle noch leben. Dann weiß ich, was ich das nächste Mal anders machen kann.“

Max stand auf und lief nach vorn an die Tafel. Völlig seines Sieges bewusst erklärte mir mein Kollege, an Hand der von mir gemachten Skizze, die Fehler die ich bei diesem Einsatz, in seinen Augen gemacht hatte und wie er an meiner Stelle und vor allem, wie er um vieles besser vorgegangen wäre.

„Also ich wäre, mit der ganzen Gruppe hier herein gegangen, hätte vier Leute hier und vier Leute hier verteilt. Zwei für die Posten hier hinten und zwei für die Posten hier vorn. Auf ein Zeichen hin, der zeitnahe Zugriff. So hätten alle überlebt.“

Ich nickte, gab ihm in der Theorie recht, es wäre eine Möglichkeit gewesen. Max setzte sich wieder. Aber im Raum war es unruhig geworden und einige aus dem Team begannen zu murren.

„Was meint ihr anderen dazu?“, fragte ich in die Runde, um den Kollegen die Möglichkeit zu geben, ihre Meinung zu äußern.

„Wolle, darf ich dich fragen, ob das so machbar gewesen wäre?“, sprach ich ihn an, weil der richtig wütend seinen Kopf geschüttelt hatte.

Wolle schüttelte nochmals den Kopf in die Richtung seines Kollegen. „Ich war im Lager, Max. Rudi, John und ich wir hatten alle Hände voll zu tun, dass wir die beiden Wachen, gleichzeitig auf den Boden bekamen haben, ohne dass eine der beiden schrie. Ich denke Kahlyn, das wir keine Chance gehabt hätten, lautlos und ich glaube darauf kam es an. Alle Acht gleichzeitig niederzuringen, wir hätten dann mindestens sechzehn Leute gebraucht und hätten uns gegenseitig, in dem räumlich sehr beengten Lager, behindert.“

Ich nickte. Wir hatten solche Situationen oft. Am Anfang, so ging es mir durch den Kopf, hatten wir auch versucht, solche Gruppen gleichzeitig niederzuringen. Aber wir hatten das sehr schnell gelassen, weil wir auf diese Weise keine Chance hatten.

„Max, sehe bitte mal zu mir und versuche einmal deine Wut, die du verständlicher Weise auf mich hast, auszuschalten. Und vor allem höre mir bitte genau zu. Du denkst du weißt wie schnell ich bin, was ich für schnelle Reflexe habe. Dabei hast du nicht einmal eine blasse Vorstellung, wie schnell ich wirklich bin. Alle Freunde von mir aus der Schule, haben ebenfalls die gleichen schnellen Reflexe wie ich. Selbst wir haben es nie geschafft, lautlos zu agieren, wenn es mehr als vier Gegner waren. Da ist einfach nicht genug Platz da. Man behindert sich gegenseitig, genau wie es Wolle dir gerade erklärt hat. Aber das eigentliche Problem, in diesem Fall war die Nähe der Posten“, ich öffnete die Tafel und zeigte noch mal auf das Lager.

„Max, wenn auch nur einer in dem Lager geschrien oder geschossen hätte. Wäre alles zu spät gewesen. Glaubst du mir nun, dass es keine andere Möglichkeit gab“, wieder sah ich ihn an, diesmal nickte er, auch wenn er noch nicht ganz überzeugt war.

„Weißt du Max, ich fühle mich alles andere, aber nicht wohl dabei, wenn ich jemanden töten muss. Diese Toten, verfolgen mich noch monatelang und rauben mir meinen Schlaf. Aber es ging nicht anders. Manchmal, muss man einfach töten und zu diesem extremen Mitteln greifen, um seine Freunde zu schützen.“

Trotzdem versuchte Max es noch einmal. „Warum aber, mussten die in der Höhle sterben? Hätten wir nicht die wenigstens, am Leben lassen können?“

Ich sah den Kollegen traurig an. Er wollte es nicht begreifen. Max brauchte unbedingt einen Schuldigen, den er die Verantwortung für die viele Tote geben konnte. Irgendwo hatte er ja auch Recht damit. Es war alleine meine Schuld, aber ich wusste nicht wie ich es ihm erklären sollte. Ich ging zu der Tafel und wische sie ab, begann eine Skizze von der Höhle zu zeichnen. Einfach um Zeit zu gewinnen und um mir überlegen zu können wie ich ihm das Geschehene erklären konnte.

Plötzlich, kamen die Bilder wieder in mir hoch. Ich brauchte eine kurze Pause und stützte mich mit den Händen an die Tafel. Ich musste mich beruhigen, die verdammten Bilder vom Zugriff in der Höhle, kamen mit aller Gewalt wieder hoch und mit ihnen die Geräusche. Ich sah das Entsetzen in den Augen der Sterbenden, den Versuch zu fliehen von denen die noch lebten. Die mir aber nicht entkommen konnten und mir in der kleinen Höhle, direkt in die Klingen liefen. Der Zugriff hatte nur knapp dreißig Sekunden gedauert. Aber dreißig Sekunden können in der Erinnerung eine Ewigkeit sein. Es war jedes Mal das Gleiche, ich erlebte diese Zugriffe stets wie in einer Art Zeitlupe. Hörte die Geräusche des letzten Atemzuges meiner Gegner, das letzte Stöhnen. Sah den Versuch des Schreiens der zum Tode Verurteilten. Der nur damit endete, dass sie ihr eigenes Ende beschleunigten. Aus der Wunde am Kehlkopf, kam nur ein Schwall Blut, das ein gurgelndes Geräusch erzeugte. Dieses Geräusch, welches den nahen Tod ankündigte. Ich sah das Erstarren ihres Blickes, in den die pure Angst und das Erschrecken stand und in denen der Tod innerhalb von wenigen Sekundenbruchteilen Einzug hielt. So oft hatte ich das schon erlebt und konnte mich immer noch nicht daran gewöhnen. Es war immer noch der blanke Horror für mich, Menschen zu töten.

Konnte man sich an so etwas überhaupt gewöhnen? Fragte ich mich nicht zum ersten Male. Vielleicht gab es Menschen, die sich an solche Sachen gewöhnen konnten. Ich glaube ich wollte das gar nicht. Mir war oft genug bewusst geworden, dass wenn ich mich daran gewöhnen würde, es schlimm um mich gestellt wäre. Ab diesen Zeitpunkt, besäße ich das gleiche skrupellose Gewissen wie ein Mörder.

Oder war ich schon so weit? Manchmal, nach solchen Einsätzen, war ich mir da nicht mehr so sicher, dass mit meinem Gewissen noch alles in Ordnung war. Immer hatte ich Angst, dass ich eines Tages aufwachen würde und eben kein schlechtes Gewissen mehr hätte und mich nicht mehr so beschießen fühlen würde, nach solchen schlimmen Einsätzen. Obwohl, der Einsatz nicht wirklich schlimm war. Nur untergeordnet spielte die Anzahl der Toten eine Rolle dabei. Es gab bei weitem schlimmere Einsätze, als den von vorgestern: So der in Prag oder in Vietnam. Ich rief mich zurück in die Gegenwart, es nutzte nichts über Sachen nachzudenken die schon lange vorbei waren.

Ich atmete tief ein und aus, nur mühsam bekam ich mich wieder ein. Ich versuchte gleichmäßiger zu atmen. John kam zu mir vor, vorsichtig schüttelte ich den Kopf, dabei konnte er mir nicht helfen. Nach drei Minuten hatte ich mich wieder einigermaßen im Griff. Ich holte noch einmal tief Luft. Als ich mich herum drehte, sah ich noch, wie John Max böse ansah.

„John, lass Max in Ruhe. Wenn du mit jemanden meckern, willst dann mit mir.“

John sah mich fassungslos an.

„John, Max und auch alle anderen hier, haben das Recht zu verstehen, warum bei diesem Einsatz das Gesetz freigegeben werden musste. Warum es so viele Tote gab? Vor allem John, keiner deiner Kollegen kann etwas dafür, dass ich damit nicht klar kommen. Hast du das verstanden“, ich sah ernst ihn an.

Er nickte und setzte sich wieder. Deshalb wandte ich mich den anderen zu und schaute zum Schluss, doch wieder John an. Traurig sah ich noch einmal in die Runde. Wie oft hatte ich mich nach solchen Einsätzen gefragt, ob ich den Einsatz als nicht durchführbar, hätte ablehnen sollen. Jedes Mal kam ich zum gleichen Ergebnis, das sagte ich den Männern jetzt auch.

„Die einzige Möglichkeit, es anders zu machen, wäre folgendes gewesen: Diesen verdammten Einsatz, als nicht durchführbar einzustufen. Dann wäre euch und vor allem mir, der ganze Horror erspart geblieben. Die zuständige Stelle hätte dann einfach ein Räumungskommando losgeschickt. Die Verantwortlichen müssen ja nicht selber dort hin, um den Mist zu beräumen. Sie geben ja nur den Befehl und der tut nicht weh", erklärte ich John was passiert wäre. "Das hätte dann an unserer Stelle, mit gepanzerten Räumungsfahrzeugen und bis an die Zähne bewaffneten Spezialeinheiten, mit purer Waffengewalt das Drogenlager beräumt. Der einzige aber für mich entscheidende Unterschied, den es gemacht hätte, wäre die Tatsache, dass es dann auf beiden Seiten zu schwere Verlusten gekommen wäre. Die Zahl der Toten wäre die Gleiche oder wie ich vermute, sogar noch um einige höher gewesen. Aber mit einem Räumungskommando, hätte nicht nur das Drogenkartell schwere Verluste hinnehmen müssen, sondern auch diejenigen, die wie wir nur ihre Befehle ausführen müssen. Es wären die Kollegen einer anderen Einheit gewesen, die dann ihr Leben verloren hätten und deren Familien und Freunde, ihren Tod zu beweinen hätten. Glaubst du ich könnte das Verantworten? So wurde keiner der Befehle empfängt schwer verletzt. Also sag mir bitte John, was ist Schlimmes daran, wenn es mir wegen der Uneinsichtigkeit die Max im Moment noch hat, einmal ein paar Minuten lang nicht so gut geht?", bat ich John über das Gesagte nachzudenken. "Du musst die Frage nicht gleich beantworten, solltest aber bitte einmal darüber nachdenken, in einer Ruhigen Minute", verlangte ich von ihm und auch meine anderen Kollegen, die Zusammenhänge alle zu bedenken. "Lieber geht es mir ein paar Minuten schlecht, als das dreißig oder vierzig Kollegen sterben", wieder sah ich in den Raum. "Ihr wisst genauso gut oder sogar noch besser als ich, dass die Drogenkartelle keinerlei Gnade kennen, wenn es darum geht, ihre Waren und ihr Hab und Gut zu verteidigen. Die haben genug Geld, um sich immer wieder neue Leuten und neue Waffen zu besorgen. Und komischer Weise sind die Leute oft bessere ausgerüstet wie wir. Dort geht es nicht um ein paar lumpige Mark, sondern um Millionenbeträge. Die Kartelle schützen ihre Labor besser, als jedes Golddepot auf der Welt abgesichert ist. Für diese Menschen spielen, wie ich im Laufe der Jahre festgestellt habe, Menschenleben keine Rolle mehr. Die sind schlimmer als der Oberstleutnant, weil die sich einfach neue Leute kaufen, wenn ein paar ihrer Kämpfer umgekommen sind. Komischer Weise finden sie auch immer wieder neue Leute, die für sie Drogen herstellen und bewachen“, offen sah ich ihm in die Augen.

Lange und ohne ein Wort zu sagen, musterte John mich. Er hatte einen eigenartigen Blick. Zum Glück nickte auch John nach einer Weile und gab mir so zu verstehen, dass er mir in meinen Ausführungen folgen konnte. Erleichtert dass John einsah, dass ich Recht hatte, holte ich nochmals tief Luft und wandte ich dem uneinsichtigen Kollegen zu.

„Nun zu dir Max und zu deinem Vorwurf. Ich weiß du brauchst einen Schuldigen, dem du für den Tod der vielen Menschen verantwortlich machen kannst. Wenn es dir hilft, dass du dich besser fühlen kannst, dann gebe mir die Schuld. Auch dann wenn ich der Meinung bin, dass es nicht fair von dir ist. Du bist der Meinung, dass die Leute in der Höhle hätten nicht sterben brauchen. Leider kann ich nur sagen, du irrst dich und zwar gewaltig", traurig sah ich den Kollegen an. "In einer Sache gebe ich dir Recht, es wäre anders gegangen, aber nicht mit euch. Mit meinen Freunden zusammen, hätte ich bei diesem Einsatz nicht siebenundneunzig Tode gehabt, sondern vielleicht zehn, wenn überhaupt. Aber ich war alleine und auf mich gestellt. Auf die Hilfe meine Freunde musste ich verzichten. Wären sie da gewesen Max, da geben ich dir Recht, hätte wahrscheinlich niemand von den Leuten dort sterben müssen. Also müssen wir noch mehr Monster wie mich züchten. Also müssen die Militärs noch mehr Supersoldaten wie mich zusammen basteln“, als sich Max aufbegehren wollte, herrschte ich ihn an. Wieder kam die verdammte Wut in mir hoch, gegen die ich schon seit Monaten vergeblich ankämpfte. „HALT DEINEN MUND MAX, du hörst mir jetzt einmal genau zu, mein Freund. Damit du begreifst wie Unrecht du hast. Vor allem wie bösartig deine Unterstellung hier ist“, ich drehte mich zur Tafel um und schrieb auf einige Zahlen auf die noch unbeschrieben Hälfte.

Wütend sah mich Max an, weil ich ihn vor den Anderen ziemlich runtergeputzt hatte. Allerdings das war mir im Moment egal. Mühsam versuchte ich wieder leise zu sprechen, denn ich war bei den letzten Worten sehr laut geworden. Leise und in einem eisigen Ton sprach ich weiter. Einem Ton den ich immer nutzte, wenn mich meine Vorgesetzten auf die Palme brachte.

„Seht genau her und merkt euch das für die Zukunft. Diese Laboratorien arbeiten stets in einem vier Stunden Rhythmus. Ihr könnt mir glauben, dass es immer so ist. Ich habe schon etliche solcher Einsätze gemacht und es war immer das Gleiche.“

Wolle rief dazwischen „Warum das denn?“

Ich lächelte gequält, das fragte mich die Kollegen immer. Waren wir die einzige Einheit weit und breit, die sich mit den Gepflogenheiten solcher Gruppen auskannte. Die sich die Zeit nahmen, die Zeitabläufe solcher Gruppen zu studieren und die sich die Mühe machten, die bekämpften Gruppen miteinander zu vergleichen?  Diese Zusammenhänge mussten außer uns, auch anderen Einheiten aufgefallen sein. Ich riss mich aus den Gedanken, darüber musste ich in Ruhe einmal nachdenken und sah den Kollegen an, weil der Einwurf gut war.

„Wolle, wenn du in so einem Laboratorium arbeitest, bist du ständig Dämpfen und Drogenstaub ausgesetzt. Nach spätestens vier Stunden, bist du das, was ihr high nennt. Egal, was man für Belüftungen einbaut oder welchen Atemschutz du trägst, ist es überall, in all diesen Laboratorien das Gleiche. Nach spätestens vier Stunden geht nichts mehr. Deswegen müssen diejenigen Leute die die Drogen herstellen und verpacken, ob sie wollen oder nicht, nach spätestens vier Stunden wechseln. Wir waren aber schon drei Stunden und siebenundvierzig Minuten unterwegs, uns brannte die Zeit unter den Nägeln. Wir hatten die Ablösung abgefangen und irgendwann werden auch die Leute misstrauisch, selbst dann, wenn sie vollkommen high sind. Als ich den Posten hochzog, der auf dem anderen Gleis saß, hörte ich die Diskussion der Leute im Laboratorium, in der es darum ging, wo die Ablösung blieb. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis man nach den Vermissten schicken würde.“

Ich sah die Jungs an, vor allem aber Max, der immer noch nicht begriff worauf ich hinaus wollte. Also erklärte ich es ihm jetzt ganz genau.

„Max, hätten wir jetzt die Leute, in der Höhle in Ruhe gelassen, wäre folgendes passiert. Wir wären weiter vor gegangen wie wir das geplant hatten und hätten genau die Gruppe aus der Höhle, von hinten in den Rücken bekommen, beim letzten und entscheidenden Kampf. Der ging alles aber nicht lautlos vonstatten. Ihr könnt nicht wie wir es gelernt haben, vollkommen lautlos kämpfen. Wir hätten also innerhalb von wenigen Minuten an zwei Fronten gleichzeitig kämpfen müssen. Von unten hätten uns neunundfünfzig Gegner angegriffen und von hinten siebzehn Gegner. Hätten wir versucht diese Leute mit Schlafenlegen, zur Strecke zu bringen und nur ein einziger hätte geschrien, wäre folgendes passiert...“, an Hand der Skizze erklärte ich noch einmal, alle möglichen und selbst unmöglichen Varianten.

Zum Schluss nickte auch Max. „Tut mir leid Kahlyn, jetzt verstehe ich das besser. Ich habe wohl nur zu kurzsichtig gedacht. Aber, woher weißt du das vorher?“

Ich setzte mich auf den Stuhl, mir war schlecht und rieb mir den Nacken. Ließ einfach einen Moment den Kopf nach hinten hängen und starrte hoch an die Decke, um das Zittern meines Körpers in den Griff zu bekommen. Krampfhaft versuchte ich mich zu beruhigen. Die Bilder aus dem Kopf zu bekommen, einfach, um wieder normal atmen zu können. Zu oft konnte ich bei der Rückkehr meiner Erinnerung an solche Kämpfe, nicht richtig atmen. Durch die Erinnerungen verkrampften sich alle Muskeln in meinem Körper und behinderten dadurch meine Atmung. Als ich mich wieder einigermaßen im Griff hatte, ließ ich durch das rechts und links legen des Kopfes meine Nackenwirbel krachen. Dann sah ich wieder zu den Männern, mein Blick blieb bei Max hängen.

„Max, das ist einfach die Erfahrung. Wir haben solche Fehler, wie den, den du gerade gemacht hättest, alle selber gemacht. Und glaube es mir, wir haben diese Fehler verdammt teuer bezahlt. Unsere Freunde waren es gewesen, die bei solchen Fehlentscheidungen gestorben sind. Weil wir solche Sachen am Anfang nicht beachtet hatten. Solche Fehler, Max, passieren dir nur einmal im Leben, wenn du dabei deine Freunde sterben siehst.“

Ich stützte meine Ellenbogen auf die Knie und legte meinen Kopf auf die Hände. Vergeblich versuchte ich diese Bilder zu vergessen, tief atmete ich ein und aus. Nach einigen Augenblicken, hatte ich mich wieder einigermaßen in den Griff bekommen.

„Max, glaube mir eins, ich töte nicht gerne. Töten ist für mich eine Strafe, die ich jedes Mal bitter bezahlen muss. Doko Jacob fragte mich einmal: "Kahlyn, wie kannst du mit all den Toten leben?" Ich sagte ihm das, was ich auch dir jetzt sage. Ich kann nicht mit ihnen Leben. Sie verfolgen mich jeden Tag", tief holte ich Luft und sah zu meinem Kollegen. Nur zu ihm sprach ich jetzt. "Max, du hast doch keinerlei Vorstellung, wie viele Menschen ich in meinem Leben schon töten musste. Hast du überhaupt eine Ahnung, davon wie es sich anfühlt töten zu müssen. Wie viele Menschen musstest du schon töten?", wollte ich von ihm wissen.

Ich wusste von Conny und dem Oberst, dass die meisten Mitglieder eines SEKs niemals in ihrem Leben töten mussten. Da solche Einsätze wie vorgestern, nur an Spezialteams vergeben werden. Deshalb führte ich Max jetzt etwas vor Augen, dass ihn und alle Kollegen hier im Raum schocken würde. Das musste aber sein, um in Zukunft solche Diskussionen zu verhindern.

"Vermutlich hast du noch nie jemanden selber getötet und ich hoffe für dich, dass du das niemals machen musst. Danach ist deine Welt eine völlig andere. Nichts ist mehr so wie es einmal war. Wenn ich dir versichere, dass das, was beim Einsatz mit Conny vorgestern passiert ist harmlos war, wirst du es nicht begreifen können. Eins versichere ich dir, man gewöhnt sich niemals ans töten. Das ist bei dem letzten getöteten, genauso schlimm wie beim Ersten. Du gehst bei jedem den du tötet hast, durch die Hölle“, wieder brauche ich einen Moment um mich zu beruhigen, um nicht meine ganze Wut aus mir herauszuschreien. „Max, hast du auch nur die geringste Vorstellung davon, wie viele Menschen ich nur, in den letzten fünf Einsätzen getötet musste?“

Max schüttelte ängstlich den Kopf. Man sah ihm an, dass er das eigentlich gar nicht wissen wollte. Trotzdem war es notwendig es ihm zu sagen, damit er begriff, dass er mir nie wieder so etwas vorwerfen durfte.

„In Cuba, waren es, über fünfhundertsechsundzwanzig, in Polen waren es nur achtundneunzig, bei den beiden Geiselnahmen keinen und gestern um die siebenundneunzig. Das sind über siebenhundert Menschen in nur vier Monaten. Rechne dass mal hoch auf reichliche dreizehn Jahre die ich schon kämpfe. Wenn du denkst, das wären viele Menschen gewesen, dann irrst du dich gewaltig. Alle Einsätze, zu denen wir von der Schule aus geschickt wurden, waren sogenannte Todeskommandos. In den es, ums blanke Überleben ging, jeder einzelne Einsatz, Max, war noch schlimmer als der Einsatz den du gerade gemacht hast. Ich habe in den letzten vier Monaten, zum Glück nur wenige Menschen töten müssen. Dem Himmel sei Dank. Glaube mir Max, es ist die Hölle. Wie viele Menschen hast du getötet in deinem Leben?“, wiederholte ich meine Frage von vorhin, auf die ich immer noch keine Antwort bekommen hatte. Ich folgte einer inneren Eingebung und sah den Kollegen ernst an.

Max sah mich entsetzt an und antwortete mit zittriger Stimme. „Keinen.“

Gegen die Wut in mir kämpfend, sah ich ihn lange an. „Siehst du Max, du weißt überhaupt nicht wie es ist. Frage Conny, er weiß wie es ist einen Menschen zu töten. Danach bist du ein vollkommen anderer Mensch. Auch er hat vor zwei Tagen wieder töten müssen, leider konnte ich das nicht verhindern, sonst wäre alles aus dem Ruder gelaufen. Auch Conny wird an diesem Einsatz wieder Wochen zu kauen haben. Ich hoffe sehr für dich, dass du niemals dieses beschissene Gefühl kennen lernen musst, niemals. Es gibt nichts, was im Leben schlimmer ist, als einen Menschen töten zu müssen. Nichts wirklich nichts ist danach mehr so, wie vorher war. Glaube mir eins, ich würde nie jemanden töten, wenn ich es irgendwie verhindern kann, leider lässt es sich oft nicht verhindern. Oft geht es, so wie vorgestern, ums blanke Überleben…“

Ich schob die Brille auf den Kopf und rieb mir die Augen. Als ob ich damit die schlimmen Bilder, die wieder in mir hochkamen vertreiben konnte. Schob im Anschluss meine Brille wieder auf die Nase, sah Max wieder an. Ich brauchte diese kurze Pause einfach, um normal weiterzusprechen.

„... Max, ich musste mich oft entscheiden, lasse ich meine Freunde am Leben oder meine Feinde. Glaube mir diese Entscheidung zu fällen, ist nie einfach. Oft habe ich einen meiner Freunde opfern müssen, um die Zahl der toten Feinde zu minimieren. Weil es sonst so viele geworden wären, dass wir es nicht verantworten konnten. Meine Freunde und ich beschlossen dann immer, wer freiwillig schlafen geht. Glaube mir eins, wir haben diese Entscheidung nie leichtfertig getroffen, genausowenig wie ich vor zwei Tagen leichtfertig diese Menschen getötet habe.“

Ich kämpfte gegen diese ungeheure Wut an, die in mir aufstieg, versuchte diese in den Griff zu bekommen, um Max nicht anzuschreien, denn dieser konnte nichts für die Wut die in mir tobte.

„Aber Max, glaube mir, ich würde auch nie jemanden los schicken, diesen Part zu übernehmen, nur damit ich mich besser fühle. Weil ich weiß, dass es die absolute Hölle ist.“

Tief holte ich Luft, sah Max traurig an und blickte dann zu John, meinen Freund. Mehr zu ihm als zu den anderen, versuchte ich zu erklären, was diese Hölle bedeutet.

„Man sagt das so einfach dahin, es ist die absolute Hölle, keiner kann das begreifen, was das wirklich heißt. Es sei denn, er hat diese Hölle einmal selber erlebt.“

Ich stützte den Kopf auf die Hände und sprach mehr zu meinen Füßen, als zu meinen Kameraden. In der Hoffnung, dass ich es dadurch fertig brachte, ruhig zu bleiben. Dass ich es schaffte, meine Freunde nicht anzuschreien. Meine Hände zitterten so schlimm, wie mein gesamter Körper.

„Hinterher, versteht ihr, habt ihr das Gefühl ins Bodenlose zu fallen. Ihr habt das Gefühl, das alle eure Sinne überreizt sind, ihr hört die Schreie der Toden, die Stimmen noch Tage nach dem Kampf in eurem Kopf. Hört das Zerbrechen ihrer Knochen, das Geräusch ihres brechenden Genicks, verlässt euch nie mehr. Genauso, wie ihr das Blut riecht und schmeckt.“

Tränen liefen über meine Hände und tropften auf meine Füße. Ich schluckte schwer, versuche ruhig weiter zu sprechen, doch meine Stimme zitterte wie Espenlaub, so wie mein ganzer Körper.

„Ihr möchtet, wenn es möglich ist, tagelang nur noch duschen. Trotzdem habt ihr ständig das Gefühl immer noch schmutzig zu sein. Ihr riecht das Blut an euren Händen und habt den Geschmack von Eisen im Mund. Den Geruch von Blut in der Nase und auf der Zunge. Ihr fühlt euch nur noch schmutzig, nicht nur auf dem Körper und den Sachen die ihr tragt, vor allem aber auf der Seele seid ihr befleckt. Nicht weil ihr dreckig seid, sondern wegen der Schuld die ihr in euch tragt. Ihr ekelt euch, vor euch selber. Wenn ihr die Augen schließt, seht ihr in den Gesichtern, die Angst in den Augen, der von euch getöteten Menschen. Viele, nicht nur ich, brechen über Tage alle Nahrung heraus. Ihr denkt die Toten sitzen auf eurem Brustkorb und wollen verhindern, dass ihr weiter atmet. Man bekommt das Gefühl, dass jemand ganz langsam eine Schraubzwinge, um deinen Brustkorb legt und zudreht“, mit dem Ärmel, wischte ich über mein Gesicht. „Dachtet ihr vielleicht, ich bin vorgestern bei Conny, nur so aus Langerweile ausgeflippt oder weil ich mich interessant machen wollte“, traurig sah ich nach oben zu meinen neuen Kameraden, dann sah ich Max direkt an. Leise kaum noch hörbar sprach ich zu ihm. „Nein Max, ich meinte es ernst. Die Toten verfolgen mich.“

Mit jedem Wort ging mein Atem schwerer, die letzten Worte presste ich mehr hervor, als das ich sie sprechen konnte. Lange legte ich den Kopf in den Nacken, starrte auf einen imaginären Punkt, an der Decke. Langsam beruhigte ich mich, atmete noch einmal tief durch, versuchte wieder Luft zu bekommen. Ganz leise erklärte ich weiter und starrte auf meine Hände, versuchte mich meine Wut und meinen Hass zu bändigen. Ich wusste, ich muss das Ganze hier beenden, sonst würde ich durchdrehen und würde Dinge tun, die ich hinterher bereuen würde. Tief holte ich nochmals Luft, sagte in einen ganz ruhigen Ton, so wie ich immer mit dem Oberstleutnant gesprochen hatte, wenn der mich provozieren wollte.

„Ach lassen wir das. Im Endeffekt zählt doch nur eins, Max. Du musstest sie nicht töten, sondern ich. Du musst nicht damit klar kommen, sondern ich. Deshalb, übernehme immer ich das Töten, damit sich kein anderer damit belastet. Es ist der Horror. Es ist der schlimmste Alp, den du dir vorstellen kannst. Den ich niemanden und nicht einmal meinen ärgsten Feinden wünsche“, ich stand auf und sah alle an. „Gibt es noch Fragen, die ihr geklärt haben wollt?“, ging also einfach zum normalen Tagesablauf über.

Ich war mir bewusst, dass ich viel zu viel von mir preis gegeben hatte. Dass ich diese Männer, viel zu tief in mein Innerstes hatte hineinblicken lassen. Etwas, dass ich bis jetzt noch nie gemacht hatte, außer bei meinen Freunden. Alle schüttelten entsetzt den Kopf.

„Dann übergebe ich an dich Rudi. Kann ich bitte gehen, Rudi? Ich brauch ein paar Minuten für mich bitte. Mir geht es gerade nicht so gut, bitte.“

Sender sah mich besorgt an, dann nickte er aber.

 

Fluchtartig verließ ich den Raum und zog mich in den Schlafsaal zurück. Ich musste alleine sein. Ich lief hinter in mein Bett, setzte mich mit den Rücken an die Wand und nahm meine Knie in die Arme, fing an zu schaukeln. Wann hörte das alles endlich auf, fragte ich mich. Konnte man sich nicht einfach irgendwann daran gewöhnen, töten zu müssen? Wieso machte es mir nur so viel aus? Die Freunde aus meinem alten Team hatten nie Probleme damit, nur ich. Ich versuchte mich zu beruhigen. Tief atmete ich ein und aus, dann legte ich mich auf mein Bett, konzentrierte mich auf die Atmung, ein und aus, ein und aus. „Komm Kahlyn“ hörte ich Conny sagen „flippe nicht schon wieder aus, du musst dich beruhigen.“ Ein und aus. Im Stillen rief ich nach John, er konnte mich immer beruhigen. Auf einmal berührte mich eine warme Hand.

„Mäuschen, was ist los. Komm.“

Mein John war gekommen, er nahm mich in den Arm, das tat so gut.

„Komm beruhige dich doch.“

Ich nickte, ich genoss seine Nähe, langsam fuhr ich herunter. Es hörte auf, die Stimmen in meinem Kopf verschwanden. Ich setzte mich hin und sah John an.

„Danke John.“

Der musterte mich, hielt meinen Kopf so, dass er mir in die Augen sehen konnte. „Alles klar?“

Ich nickte. „John, es ist nicht gut, wenn ich darüber spreche, sagst du bitte Rudi, dass ich das nicht kann. Es macht mich kaputt. Irgendwann schaffe ich es nicht mehr, mich ein zubekommen. Dann flippe ich richtig aus, tue etwas, was ich dann hinterher bereue. Oft, halte ich das nicht mehr aus. Es ist schon schlimm es zu tun zu müssen, aber auch noch erklären müssen, warum so viele Menschen sterben mussten, ist die Hölle. Ich kann das nicht“, ich legte den Kopf in den Nacken. „Jedenfalls nicht im Moment. Mir ist einfach alles zu viel, verstehst du das.“

John nickte. „Kommst du mit nach vorn?“, bat er mich.

Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte allein sein, mein Kopf tat wieder weh. Vor allem wollte ich Max nicht sehen, am liebsten keinen der Jungs. Ich sah immer noch den Vorwurf, in ihren Augen. Verdammt, wie konnte man denken, dass jemanden am Töten Spaß hatte. Dieser Gedanke konnte nur jemanden kommen, der das noch nie getan hatte.

„Willst du einen Kaffee?“, erkundigte sich John auf einmal.

Wieder nickte ich nur. Ich wollte im Moment einfach nicht sprechen.

Sofort stand John auf und verschwand. Keine zwei Minuten später kam er wieder, in jeder Hand eine Tasse dampfenden heißen Kaffees. Ich setzte mich auf, dankbar nahm ich sie ihm ab. Langsam trank ich einen Schluck. Das tat gut.

„John, wie gehst du mit dem Tod um?“, fragte ich ihn, einer inneren Eingebung folgend.

John rutschte mit dem Rücken an die Wand und zog mich an sich. „Das ist eine schwierige Frage Kahlyn. Müsstest du das nicht eigentlich besser wissen, als ich?“

Ich schüttelte den Kopf. „John, das ist etwas, was ich nie gelernt habe. Die anderen können das alle, ich aber nicht. Ich bin damit noch nie klar gekommen, wirklich noch nie. Es macht mich einfach kaputt.“

John atmete tief durch, traurig sah er in seine Tasse. „Ich kann es dir nicht sagen, Kahlyn. Ich habe es nie erlebt, dass ich jemanden töten musste. Mir blieb das bis jetzt erspart, dem Himmel sei Dank. Ich habe einige Kollegen sterben sehen. Aber ich musste dem Himmel sei Dank, noch nie jemanden töten. Als Charly gestorben ist, hatte ich eine verdammte Wut im Bauch. Du musst wissen, Mäuschen, Charly gehört wie Rudi zu meinem engsten Freundeskreis. Weißt du, Charly ist in meinen Armen gestorben, ich konnte ihm nicht helfen. Über vier Stunden, lagen wir abgeschnitten von den anderen, eingeklemmt zwischen zwei Trägern eines gesprengten Hauses. Ich habe mir die Schuld gegeben, dass ich ihn nicht beschützen konnte. Obwohl ich wusste, dass ich hätte nicht tun können. Es war fürchterlich. Oft sehe ich jetzt noch im Traum seine Augen, die mich immer vorwurfsvoll ansehen. Mich fragen, warum konntest du mich nicht retten. Ein kleines bisschen verstehe ich, was du meinst, aber nur ein kleines bisschen“, er streichelte mir den Arm. „Aber…“, meint er dann und sah mich ernst an. „…weißt du, was ich denke, du solltest es akzeptieren. Dass man manches Mal einfach Dinge tun muss, die nicht schön sind, um schlimmeres zu verhindern. Schau mal, hätten wir das Labor nicht geräumt, müssten tausende Menschen sterben. Durch die Droge oder Aktionen die durch die Einnahme der Droge ausgelöst werden“, wieder sah er mir traurig in die Augen. „Aber ich weiß, das hilft nicht dabei das zu vergessen, was man tun musste. Weißt du, dass ich dich bewundere, Mäuschen?“

Erstaunt sah ich ihn an. „Wieso das?“

Jetzt lächelte er mich an. „Na, dass du trotzdem du viele schlimme Dinge in deinen kurzem Leben erlebt hast und tun musstest, dir noch Gedanken über solche Sachen machst. Ich war geschockt vorhin, als du sagtest, du über siebenhundert Menschen getötet hast und das nur in den letzten vier Monaten. Vor allem, dass du sagtest, das waren wenige. Ich glaube, ich wäre da abgestumpft oder wahnsinnig geworden.“

Ich kniete mich auf das Bett, setzte mich auf die Fersen, damit ich ihn besser sehe konnte und nicht immer nach oben schielen musste.

„Das kann ich doch nicht John. Wenn ich aufgebe, mich von den Schmerz, der Trauer und der Wut herunterziehen lasse, wer soll dann diesen Part übernehmen? Wenn ich wahnsinnig geworden bin, dann muss sich noch jemand damit belasten und würde daran zerbrechen. Das könnte ich niemals zulassen.“

John sah mich an und schüttelte den Kopf. „Kahlyn, du hast wirklich den richtigen Name, Mario hat recht.“

Jetzt war es an mir ihn verwundert anzusehen. Ich legte den Kopf ein wenig schräg. „Wieso?“

John lachte. „Mario, hat uns als du so wütend auf Conny warst, etwas über eure Sprache gesagt, dass sie schwer zu lernen ist und wir dich fragen sollen, wenn wir sie lernen wollen. Dann sagte er uns, Kahlyn heißt die große Beschützerin. Ich finde der Name passt gut zu dir.“

Ich zuckte mit den Schultern. „Kann schon sein. Wir mussten uns ja Namen geben. In der Schule, wurden wir nur mit der Nummer angesprochen. Es ist doof, wenn man gerufen wird, 98 komm her, so hieß ich damals immer. Ich fragte Dika einmal, warum wir Zahlen haben und nicht wie der Oberstleutnant und die Betreuer Namen. Die Schwester erklärte mir, das hätten die vom Institut so vorgeschrieben, um zu verhindern, dass jemand aus dem Projekt eine Beziehung zu uns aufbaut oder sowas in der Art. Ich glaube, als wir eineinhalb Wochen alt waren, hatten wir es satt, uns immer mit Nummern anzusprechen, Nummer 2 oder so. Deshalb gaben wir uns gegenseitig, in unserer Sprache Namen. Rashida zum Beispiel, bedeutet die Beruhigende, weil sie immer alle beruhigen konnten. Raiko dagegen heißt der Herrscher, weil er immer über alle herrschen will, deshalb ist er auch, vom Oberstleutnant der Liebling gewesen. Er hat uns immer beim Oberstleutnant angeschwärzt und sich lieb Kind gemacht. Keiner aus meinem alten Team mag ihn wirklich leiden. Wir schlossen ihn, wenn wir wichtige Entscheidungen zu treffen hatten, immer aus unserer Verbindung aus. Rina dagegen war unsere Sängerin, sie war immer fröhlich, hat immer gesungen und hatte eine wunderbare Stimme. Deswegen mochte sie der Oberstleutnant, weil sie ihn immer vorsingen musste. So bekam jeder seinen Namen. Ich hieß am Anfang Lyn, die Winzige. Erst mit neun Jahren, gaben mir meine Kameraden den Namen Kahlyn. Aber es ist egal wie man heißt, wichtig ist nur, dass man zu dem steht, was man tut.“

John nahm meinen Kopf, dann küsste er meine Stirn. „Das tust du Mäuschen, das tust du wirklich.“

Ich nickte ihm zu. Langsam rutschte ich mit dem Rücken an seinen Körper, zog die Beine an. John legte die Arme, um meine Schultern hielt mich einfach fest. Ich legte meinen Kopf an seine Schulter.

„John, kannst du mir erklären, was mit mir wird, wenn ihr Frei habt, mir ist ganz bange. Gerade habe ich mich an euch gewöhnt und nun muss ich mich schon wieder, an neue Leute gewöhnen. Ich weiß nicht, ob ich das zurzeit schaffe.“

John streichelte mir den Kopf. „Du musst dich nicht an neue Leute gewöhnen. Du hast doch auch frei. In der Zeit, wo du nicht arbeitest, wohnst du bei Rudi, Jo, Viola, Jenny, Tom und Tim. Das wollte dir doch Rudi eigentlich erklären, als er mit dir zu den Runges gefahren ist und du dich so vor Jennys Puppen erschrocken hast. Die wollten dir extra ein Zimmer einrichten, das weiß ich von Rudi. Also du kennst alle, mit denen du zu tun hast. Keine Angst, du musst nicht in Jennys Zimmer gehen. Ich habe gestern mit ihr gesprochen, sie versteht, dass du ihre Puppen nicht magst.“

Ich drehte den Kopf zu John um. „Aber, was mache ich da? Was soll ich machen, wenn ich nicht kämpfen kann. John, ich habe doch immer gekämpft. Ich kann doch nichts anderes“, ich legte den Arm, um seinen Bauch, so als wenn ich mich festhalten wollte.

„Kahlyn, du musst dich nicht fürchten. Habe einfach Vertrauen zu Viola, sie ist genauso lieb, wie deine Dika, sie wird dir alles erklären.“

John streichelte mir über die Wange, wie ich das liebte. Ich bekam dann immer, ein ganz warmes Gefühl in den Bauch, so als ob ich etwas zu essen bekomme hätte, nur, dass es halt nicht satt machte. Es war schön, dieses Gefühl, ich genoss es. Tief holte ich Luft, stellte die Frage, die mich am meisten beschäftigte, vor deren Beantwortung, ich die meiste Angst hatte.

„Dich sehe ich dann gar nicht mehr?“

Da drückte also der Schuh, das lag dir am meisten auf dem Herzen und deiner Seele.

„Doch Kahlyn, du wirst mich dann auch noch sehen. Wenn auch nicht mehr jeden Tag. Ich habe schon mit meiner Frau gesprochen, wir kommen dich ein paar Mal besuchen. Du hast doch Rudi noch, den magst du doch auch. Vielleicht kommst du mich auch mal besuchen, mit Rudi und Jenny zusammen. Du wirst sehen, es wird gar nicht so schlimm werden, wie du jetzt denkst. Tim ist den ganzen Tag zu Hause und der kleine Mann freut sich, wenn er jemanden zum Spielen hat. Tom und Jenny sind ab Mittag auch da, so hast du eigentlich immer etwas zu tun. Vor allem, kannst du mal richtig ausschlafen, ohne Stress und den Druck dieses oder jenes machen zu müssen. Du kannst Sport machen, oder einfach auf der Wiese liegen und träumen. Vielleicht liest du auch ein Buch oder du malst ein wenige, das machst du doch auch gerne. Wenn ich dich besuchen komme, bringe ich dir vielleicht meine Ramira einmal mit. Auch, wenn ihr nicht spielen könnt, sie ist aber eine ganz liebe. Du wirst sehen, es wird schön werden.“

Ich sagte lange nichts, weil ich mich vor der Antwort fürchtete, auf die Frage die ich als nächstes stellen würde. Deshalb fragte ich erst einmal, nach etwas anderen, was ich auch nicht kannte.

„Was ist spielen, John? Was macht man da?“

John fuhr sich durch die Haare, dann schüttelte er den Kopf, was kennst du noch alles nicht. „Weißt du Mäuschen, das lässt du dir am besten von Tim erklären. Es ist nichts Schlimmes und es macht, wenn du es einmal begriffen hast, richtig viel Spaß. Vielleicht lernst du durch Tim, was es heißt ein Kind zu sein. Mach dir keinen Kopf, es ist etwas Schönes und ich glaube, du wirst es schnell lernen.“

Ich schaute zu John „Warum kann Ramira, nicht spielen, John?“

John sah auf einmal ganz traurig aus. Er wollte aber seine kleine Freundin, jetzt nicht schon wieder aufregen. Vor allem wollte er, dass sie erst einmal zur Ruhe kam, deshalb wich er ihrer Frage aus.

„Mäuschen, das wirst du dann sehen, wenn du sie triffst. Das lässt sich jetzt nicht mit wenigen Worten erklären.“

Lange kämpfte ich gegen meine Gefühle, weil ich Angst hatte, zu fragen, was mich die ganze Zeit beschäftigte. „John, was ist, wenn ich dort nicht klar komme?“ Ganz leise, kaum hörbar, setzte ich nach. „Ich mag diese Viola nicht.“

Oh je, dachte sich John, dann hatten wir ein großes Problem. Aber auch das war lösbar, dann würde ich das Mäuschen zu mir holen, beschloss er für sich. Aber kampflos würde das Mädchen Viola nicht aufgeben.

Laut sagte er zu seiner kleinen Freundin. „Mäuschen, warum magst du Viola nicht? Immer noch wegen der Puppen?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht John, wirklich nicht. Aber es kann schon sein, dass es wegen der Puppen ist. Sie sieht komisch aus und sie schaut mich immer so böse an.“

John drückte mich an sich. „Ach Mäuschen, das bildest du dir nur ein. Bitte gebe Viola einfach eine Chance. Ich kenne niemanden, der Kinder mehr liebt als sie. Selbst Ramira mag sie und die ist Fremden gegenüber, nicht sehr aufgeschlossen. Schau, ich würde Viola…“ folgte John einer inneren Eingebung. „… sofort mein Leben anvertrauen. Glaube mir, ich kenne niemanden, der lieber ist als sie. Solltest du gar nicht klar kommen bei den Runges, dann werde ich mit meiner Frau reden, dass du zu uns kommen kannst. Aber versuche es erst einmal dort. Weißt du, wir haben nur eine ganz kleine Wohnung. Die Runges dagegen haben ein großes Haus. Dort hast du viel mehr Platz und sogar einen kleinen Swimmingpool“, John streichelte mir über den Kopf. „Außerdem wäre es für Ramira, nicht besonders gut. Wenn es bei uns eine Veränderung geben würde. Tut mir leid Mäuschen, sonst würde ich dich gern, sofort zu mir nehmen.“

Meine Kopfschmerzen wurden immer unerträglich, so gab ich mich damit zufrieden, was mir John erklärte. Ich wollte nur noch schlafen. Ich konnte mir nicht schon wieder Medikamente spritzen. Ich mochte das nicht. Im Einsatz war das notwendig, aber nicht, wenn wir schlafen konnten. Ich legte mich wieder hin.

„John ich möchte gern schlafen, mir tut der Kopf schlimm weh. Mir ist im Moment einfach alles zu viel. Können wir morgen weiterreden.“

Besorgt blickte mich mein großer Freund an.

„John, was ist denn? Warum guckst du so komisch?“

Er streichelte mir den Kopf. „Kahlyn, ist es wieder so schlimm, dir ging es doch heute so gut und nun hast du schon wieder Probleme. Hört das nie auf?“

Ich fasste nach seiner Hand, legte sie auf meine Stirn. „John, es ist nichts, schau ich habe kaum Fieber. Ich bin einfach müde. Die letzten Wochen, waren die Hölle und mein Körper, sehnt sich nach etwas Ruhe. Lass mich in Ruhe etwas schlafen. Keine Angst, ich falle in keine Blockade mehr, jetzt nicht mehr. Ich bin ja jetzt zu Hause und ich habe dich, mehr brauche ich gar nicht.“

Bei meinen letzten Worten, rollte ich mich zusammen und hielt Johns Hand einfach fest. Drei tiefe Atemzüge, also fast sofort, schlief ich ruhig und tief. John blieb noch einen Weile sitzen, sah mir beim schlafen zu. Vorsichtig um mich nicht zu wecken, zog er seine Hand aus meiner. Nahm meine Decke und deckte mich liebevoll zu. Das bekam ich aber schon nicht mehr mit, denn ich war in einem erholsamen Schlaf versunken.

 

John nahm unsere Tassen und ging vor in den Bereitschaftsraum. Wollte sich an den Tisch zu den anderen Teammitgliedern setzen, die schon wieder besorgt guckten.

„Leute, nicht immer ist etwas mit Kahlyn, wenn sie sich zurück zieht. Sie ist einfach nur müde und völlig geschafft. Nachdem, was sie uns so erzählt hat, glaube ich ihr das gerne. Sie schläft ganz ruhig. Wisst ihr, was sie mir gerade gesagt hat, das ist das Schönste, was sie überhaupt die ganze Zeit gesagt hatte. 'Du brauchst keine Angst zu haben, John, ich bin wirklich nur müde. Ich bin doch jetzt zu Hause, ich möchte einfach nur schlafen.' Also gönnen wir ihr die Ruhe.“

Um den Blicken seiner Kollegen auszuweichen, ging John in die Küche und stellte die schmutzigen Tassen ins Becken. Hinter ihn atmeten alle erleichtert auf. John dachte an seine Ramira, er musste ihr erklären, dass Kahlyn anders war, als andere Kinder. Hoffentlich wurde sie nicht wieder hysterisch, wie sonst.

Ramira war Johns zweites Sorgenkind, als ob eins nicht reichte. Seine Tochter war vor zwei Jahren nach einem schweren Fahrradunfall erblindet. Ein rücksichtsloser Autofahrer, hatte sie auf der Spielstraße einfach umgefahren und liegen gelassen. Seit dieser Zeit, hatte seine Tochter vor allem Angst, was neu war und sie nicht kannte.

Das war wahrscheinlich, so kam John gerade der Gedanke, der Grund, weshalb er sich so gut in die Ängsten von Kahlyn hineinversetzen konnte. Es waren die gleichen Ängste, wie sie Ramira hatte: Die Angst vor dem Neuen und Unbekannten. Müde rieb er sich das Gesicht. Hoffen wir, dass sie bei den Runges ein wenig zur Ruhe kommt. Das brauchte die Kleine unbedingt. Er fragte sich ernsthaft, wieso Kahlyn gesagt hatte, Viola sähe komisch aus und sie würde immer so böse schauen. Er musste unbedingt mit Rudi unbedingt darüber reden. Keine Ahnung, was die Kleine hatte.

Mit den Rücken an den Türrahmen der Küche gelehnt, stellte John mit Schrecken fest, dass Kahlyn nun wieder nichts zu essen bekommen hatte. Ihm ging durch den Kopf, dass das eigentlich nicht schlimm war, es gab Schlimmeres. Dann würde sie morgen etwas mehr zu essen bekommen. Er schüttelte den Kopf, über sich selber, strafte die Schultern und drehte sich um. Mit einem Lächeln im Gesicht, lief er auf die anderen zu und begann mit seinen Kollegen zu scherzen. Was nützte ihm und dem Rest des Teams, das Grübeln. Es tat niemanden gut, weder den Jungs hier vorne, noch Kahlyn in ihrem Bett und auch ihm nicht.

Das Leben musste weiter gehen. Mit einem Lächeln im Gesicht, machte das Leben, einfach viel mehr Spaß. John ging an die Kaffeekanne und holte sich einen neuen Kaffee und setzte sich an den Tisch. Ging wie er es immer machte, einfach zum Alltag über und schob seine schlechten und traurigen Gedanken zur Seite.

Kapitel 3

Langsam wurde ich munter. Ich streckte mich und schaute auf die Uhr über der Tür, es war schon 5 Uhr 23, die anderen machten einen Heidenlärm. Oh ich musste aufstehen, verdammt hatte ich lange geschlafen. Der Schlaf hatte mir gut getan, mir ging es wieder besser als gestern Nachmittag. Nochmals streckte ich mich und stand auf, um vor zu den Spinden zu laufen. Langsam zog ich mich aus und ging duschen. Diesmal beeilte ich mich damit, um pünktlich an den Frühstückstisch zu kommen. Ich war die Letzte die am Tisch erschien und sah verlegen zu meinen Kollegen. Dabei überlegte ich krampfhaft, wann ich gestern eingeschlafen war. Es muss so gegen halb acht am Abend gewesen sein. Oh du lieber Himmel, ich hatte schon wieder zehn Stunden geschlafen. Was war nur mit mir los? So lange schlief ich doch sonst nicht, na egal ging es mir durch den Kopf, das konnte ich jetzt nicht ändern. Geschadet hatte es auf alle Fälle nicht. Wie hatte Falko gestern zu mir gesagt? Ich wäre eine Schlafmütze. Dann war das halt so, es gab schlimmeres.

„Guten Morgen“, grüßte ich laut in die Runde und alle grinsten mich an.

Na los nun nennt mich wieder eine Schlafmütze, so hatte mich Falko gestern genannt, was immer das bedeutete. John lachte mich von der Seite an. Fran brachte mir mein Frühstück.

„Danke Fan, das sieht lustig aus“, Fran hatte sich selber übertroffen, er schaffte es sogar unseren grauen Brei lecker aussehen zu lassen. Unser Koch hatte auf meinen Brei lauter Flocken gemacht. Vorsichtig kostete ich von den Flocken, es waren geriebene Toffees.

„Mmhhh, das schmeckt aber lecker“, hungrig machte ich mich über den leckeren Brei her.

Alle redeten durcheinander. John, der neben mir saß, stupste mich von der Seite an.

„Kahlyn, wie sieht es aus, machst du heute für mich mal das Nahkampftraining? Du hast das doch das letztemal so gut gemacht.“

Ich schaute ihn an. „Klar, warum nicht, Hauptsache du bist dann nicht sauer auf mich, wenn ich dir deine Arbeit wegnehmen.“

John fing an zu lachen. „Warum sollte ich auf dich sauer sein? Du kannst das besser als ich erklären und ich kann das Training dadurch einfach besser genießen. Mach nur Mäuschen“, aufmerksam musterte mich John von der Seite. „Wie geht es dir heute, wieder besser? Was macht dein Kopf?“

Ich sah ihn einfach nur an, lächelte auf meine Weise, der liebe John, immer machte er sich Sorgen um mich.

„John, mir geht es gut, wirklich. Schau ich habe richtig gut geschlafen, habe etwas zu essen und ich habe euch, wie soll es mir da schlecht gehen.“

John lachte herzhaft auf. „Na, dann bin ich ja beruhigt.“

Sender beobachtete mich. „Kahlyn, hast du Lust mit mir raus in den Park zu kommen, auch wenn es heute nicht so schön ist wie gestern?“

Ich nickte und freute ich mich sehr auf diese kleine Auszeit. Schnell aß ich meinen Brei auf und wartete darauf, dass Sender sich erhob. Ich schaute aus dem Fenster und fing an zu träumen. Es kam mir vor, als wenn ich schon ewig hier war, dabei waren es noch nicht einmal zwei Wochen. Der Oberstleutnant und die Schule, waren in ganz weite Ferne gerückt. Mir ging es so gut, ich konnte es irgendwie nicht fassen, dass es so ein Leben auch für mich geben sollte. Blieb es jetzt immer so? Fragte ich mich ernsthaft.

Sender sprach einige Male mich an, aber ich bekam das irgendwie gar nicht mit. „Kleene, wo bist du, hallo.“

Verwundert schaute ich mich um.

Sender stand hinter mir und lachte. „Auf welcher Wolke warst du denn jetzt? Du warst ja gar nicht mehr hier.“

Alle schauten mich irritiert an.

„Ach nichts“, sagte ich nur, mir war es peinlich, dass ich geträumt hatte.

„Komm raus mit der Sprache, was ist los?“

Ich zuckte mit den Schultern, wie sollte ich das erklären. „Ich weiß nicht so genau, wie ich das erklären soll. Mir ging nur so einiges durch den Kopf. Es kommt mir vor, als wenn ich schon ewig hier bin, dabei sind es noch nicht einmal zwei Wochen. Aber es ist schön hier.“

Erleichtert atmete nicht nur Sender auf, sondern das ganze Team.

„Na, dann ist es ja gut, ich dachte du grübelst schon wieder.“

Verwundert schaute ich zu Sender hoch. „Ich hab doch keinen Grund dazu.“

Sender nickte und lächelte ganz komisch. „Na, dann ist es ja gut. Komm mit Kleene, wollen wir ein bissel Luft schnappen“, an die anderen gewandt. „Punkt 8 Uhr geht es zum Training, macht euch fertig“, ohne zu zögern, drehte er sich um und ging zur Tür.

Ich lief ihm hinterher, barfuß wie ich war.

„Kleene deine Schuhe.“

Ich zuckte mit den Schultern. „Kann ich nicht so gehen, ich mag Schuhe nicht.“

Sender winkte ab. „Na, dann komme mal“, forderte mein Major und wir verließen die Wache, um nach dem obligatorischen Zwischenstopp am Kiosk, in den Park zu gehen. Gemütlich ließen wir uns auf der Wiese nieder und tranken unseren Kaffee.

„Na Kleene, dir scheint es ja heute richtig gut zu gehen. Du strahlst wie eine kleine Sonne. Ich habe gar nicht gewusst, dass du so eine schöne Hautfarbe hast. Jetzt wird mir erst einmal bewusst, wie schlecht du wirklich ausgesehen hast, die ersten Tage.“

Erstaunt musterte ich Sender. „Warum? Ich sehe doch aus wie immer.“

Rudi schüttelte den Kopf. „Nein, du sahst die ersten Tage immer schneeweiß oder besser gesagt, grau im Gesicht aus. Jetzt dagegen hast du eine richtige gesunde Farbe. Auch deine Körperhaltung ist eine ganz andere. So als wenn eine riesen Last von deinen Schultern genommen wäre. Trotz des schlimmen Einsatzes vor drei Tagen.“

Lange sah ich zu dem Nest, was sollte ich dazu auch sagen. Über Gefühle zu reden, war gar nicht so einfach. Leise fing ich an zu erzählen.

„Irgendwie ist es auch so, Rudi. In der Schule war es immer so, dass wir ständig mit Attacken der Betreuer rechnen mussten. Immer hieß es, bei allem was uns gut tat, macht hin wir haben keine Zeit“, ich setzte mich hin, umschlang meine Knie mit den Armen, so wie ich es immer machte, wenn ich mich unsicher fühlte. „Egal, was wir taten, nie war etwas gut genug. Ständig war ich in Angst, dass man meinen Kameraden etwas tut. Wenigstens diese Angst muss ich nicht mehr haben und in ein paar Tagen, muss ich auch um Dika und Doko keine Angst mehr haben. Weil die Beiden, dann auch vor dem Oberstleutnant sicher sind.“

Sender schüttelt den Kopf. Dieses junge Mädchen erstaunte ihn immer wieder, nicht um sich machte sie sich Gedanken, sondern einzig und allein über andere.

„Kahlyn und wie geht es dir? Ich höre von dir immer nur, dass du dir über andere Sorgen machst, aber hast du nicht auch Sorge, was aus dir wird?“

Ich schaute fassungslos zu Sender. „Warum soll ich mir darüber Sorgen machen? Ich muss es ja sowieso nehmen wie es kommt. So schlimm wie in der Schule wird es schon nicht mehr werden. Auch, wenn es so werden würde, dann kann ich damit leben. Ich komme schon irgendwie zurecht. Hauptsache den anderen geht es gut.“

Langsam legte ich mich auf die Wiese und nahm die Arme hinter den Kopf. Verträumt schaute ich den aufziehenden Wolken bei ihrer Wanderschaft zu.

Sender jedoch schüttelte den Kopf. „Sag mal Kleene, denkst du eigentlich nie an dich?“

Ich drehte ihm den Kopf zu. „Wie an mich?“ fragte ich ihn einfach.

„Na, du musst doch auch mal an dich denken. Du kannst dir doch nicht immer nur Gedanken um andere machen.“

„Warum nicht? Mir geht es gut, wenn ich weiß, dass es den anderen gut geht. Was brauche ich noch mehr?“

Ich verstand einfach nicht, was der Major von mir wollte. Manchmal waren diese Leute schon ganz schön kompliziert.

„Mir geht es doch gut Rudi. Warum soll ich mir da Gedanken machen?“

Wieder schaute ich den Wolken zu. Lächelnd gab ich ihnen einen Gruß, an meine Freunde mit. Sender folgte meinen Blicken, auf einmal zeigte er auf eine Wolke.

„Schau mal, die Wolke sieht aus wie ein Vogel.“

Ich lachte, das stimmte genau. Ich zeigte auf die Wolke daneben.

„Schau, die sieht aus wie eine Katze.“

Leise machte ich ein Schnurren nach, wie Tiger das machte, wenn er sich wohl fühlt. Sender fing an zu lachen. Auf einmal riss uns ein lauter Pfiff aus der Träumerei.

„Komm Kleene, wir müssen zurück.“ Sender lief los, ich folgte ihn in die Wache.

Am Eingang stand John. „Rudi Telefon für dich, hinten in deinem Büro.“

 

Sender sprintete hinter, ich folgte John in den Bereitschaftsraum und setzte mich auf meinen Stuhl. Auf einmal kam Sender vorgelaufen, er sah eigenartig aus. So hatte ich ihn noch nicht gesehen.

„Kahlyn, sofort hinter zu mir ins Büro“, befahl er mir in einem ungewohnten Ton.

Ich folgte dem Major, mit jedem Schritt wurde mir unwohler. Irgendetwas war passiert, nur was. Aber das würde ich bestimmt gleich erfahren.

„Was ist los, Rudi?“, erkundigte ich mich bei Sender.

Der schob mich erst einmal in sein Büro.

„Telefon für dich Kahlyn. Setze dich auf meinen Stuhl“, wies er mich an, schob mich zu seinen Stuhl hinter den Schreibtisch, reichte mir den Hörer.

Man sah ihm an, dass ihm nicht wohl dabei war.

 „Leutnant Kahlyn, am Apparat“, meldete ich mich vorschriftsmäßig.

„Kahlyn, Kleine hier ist Oberst Fleischer“, um Himmels Willen, was war denn da passiert.

Der Oberst hatte noch nie so besorgt geklungen. „Kahlyn, ich brauche dich sofort hier, Gosch ist in ca. zehn Minuten bei dir und holt dich ab. Es ist etwas Schreckliches passiert. Conny ist seit fast drei Tagen verschwunden und wir finden ihn nicht. Bitte du musst uns unbedingt helfen. Ich sterbe vor Angst um den Jungen. Ich mache mir wahnsinnige Sorgen.“

Mir stockte der Atem. Mein Conny verschwunden. Tief holte ich Luft, um mich zu beruhigen. „Keine Angst Oberst ich finde ihn schon. Was brauche ich an Ausrüstung?“

Der Oberst holte tief Luft. „Nichts meine Kleine, ich habe alles da, was du brauchst. Komme einfach schnell her. Bitte ich habe ein ganz schlechtes Gefühlt.“

Ich schluckte schwer, wenn der Oberst ein schlechtes Gefühl hatte, sah es nicht gut aus. „Ich bin schon unterwegs. Oberst kläre den Rest mit Rudi, damit ich keinen Ärger bekomme.“

Völlig durcheinander, drückte ich Sender einfach den Hörer in die Hand und rannte zu meinem Spind. Schnell zog ich den Overall aus und verband mein Bein, das hatte ich heute früh nicht gemacht, trug nochmal richtig Salbe auf, verband alles neu, aber mit einer hautfarbene Binde. Dann zog ich meine Nahkampfschuhe an, den Overall darüber, nahm meinen Gürtel und die Nahkampfwaffen. Meine Schuhe ließ ich gleich hier, die würd ich sowieso nur wieder verlieren. Dann schloss ich die beiden Schränke und lehnte mich erst einmal dagegen. Atmete mit an die Spinde gestützten Armen durch. Ich hasste es, wenn ich Leute suchen musste, mit denen ich persönlich bekannt war. Da spielten meine Emotionen eine große Rolle und das nicht zum Positiven. Das war etwas, was ich eigentlich nicht gebrauchen konnte.

Ich brauchte einen klaren Kopf, wenn ich solche Suchaktionen durchführen musste. Tief atmete ich ein und aus, um meinen Kopf frei zu bekommen. Verdammt, wo konnte Conny nur stecken? Er ging doch nie irgendwo hin, ohne sich abzumelden. Er verschwand doch nicht einfach.

John kam auf mich zu. „Kahlyn, was ist los?“, erkundigte er sich bei mir.

Ich schüttelte nur den Kopf und ließ ihn einfach stehen. Ich konnte nicht reden, nicht jetzt. Eilig lief ich vor in die Wachstube.

„Ines, wann ist der Hubschrauber da? Wo sperrt ihr ab?“, wollte ich wissen, obwohl ich sah, dass sie eine Frau am Tresen stehen hatte.

„Kleinen Moment Frau Birger, ich bin gleich wieder für sie da“, entschuldigte sich Sören bei der älteren Dame.

„Kahlyn, der Heli ist in vier Minuten da. Ein Gosch lässt dir sagen, du sollst aufspringen. Was immer das bedeutet!? Die Jungs warten nur auf mein Zeichen. Was ist los? Du siehst aus, als hättest du den Leibhaftigen gesehen.“

Ich schüttelte den Kopf. „Sag mir Bescheid, wenn er da ist.“

Ohne Vorankündigung, sprang ich einfach auf den Tresen. Egal wie erschrocken die Frau guckte. Ich musste mich in mein Qi einatmen, sonst konnte ich nicht aufspringen. Ich musste mich unbedingt beruhigen, so ging das nicht. Tief versenkte ich mich in die Taiji Atmung und wurde langsam ruhiger.

Von weitem hörte ich Ines. „Kahlyn, der Heli ist da.“

Ich sprang ohne ein Wort zu sagen auf und von dem Tresen, lief auf die Straße. Sah schon Gosch circa 12 Meter über der Kreuzung schweben, gab ihm kurz Zeichen, lief los und sprang auf. Kaum hatte ich die Hände an den Kufen, zog Gosch auch schon den Hubschrauber nach oben und flog los. Mühsam gegen die Fliehkräfte kämpfend kletterte ich hinein, die bei dem enormen Tempo am Heli wirkten.

„Gosch, bitte sage mir, was los ist.“

Gosch schüttelte den Kopf. „Täubchen, ich weiß nicht mehr als du. Ich war mit dem Drachen in der Inspektion, als mich der Oberst anrief. Ich mache mir große Sorgen. Conny verschwindet nicht so einfach. Ich freue mich ja, dass ich dich so schnell wiedersehe, aber mir ist ganz schlecht bei den Gedanken an Conny. Der meldet sich sogar ab, wenn er pinkeln geht. Verdammt noch mal, der verschwindet doch nicht so einfach", mein Drachenflieger atmete tief durch, um sich zu beruhigen. "Wie geht es dir eigentlich?“

Ich gab Gosch, erst einmal einen Kuss. „Geb Gas Gosch. Jede Minute zählt, die wir eher da sind. Ich hab große Bauchschmerzen. Flieg so schnell du kannst.“

Gosch sprach gerade mit der Flugsicherung, damit die ihm einen Flugkorridor zuwiesen, die uns eine schnelle Passage zum Stützpunkt ermöglichte.

„So jetzt kann ich Stoff geben, Täubchen. Du hast mit immer noch nicht gesagt, wie es dir geht?“

Ich atmete tief durch. „Bis vor 10 Minuten ging es mir richtig wohl. Aber ich mache mir Sorgen um Conny. Hat dir der Oberst ein Dossier mit gegeben.“

Wütend sah mich Gosch an. Warum eigentlich? Ich wusste es wirklich nicht. Es dauerte nur ein Sekunde, bis er auch schon lospoltert.

„Hörst du mir eigentlich nicht zu. Kahlyn, ich habe dir gerade gesagt, ich komme von einer Inspektion mit dem Drachen. Ich weiß wahrscheinlich weniger, als du.“

Erschrocken wich ich zurück. Gosch hatte mich noch nie angebrüllt.

„Entschuldige Gosch, ja das hattest du gesagt, aber ich dachte du bist erst zum Stützpunkt geflogen. Jetzt mache ich mir noch mehr Sorgen. Sag mal, kannst du mir eine Verbindung zum Oberst machen, damit ich mit ihm reden kann?“

Gosch stellte auf den Funk um und verband mich mit dem Oberst. „Täubchen, tut mir leid ich wollte dich nicht anbrüllen. Mario holt gerade den Oberst an den Funk. Das dauert einen Moment.“

Ich klopfte Gosch auf die Schulter. „Schon gut Gosch. Du magst Conny genauso wie ich. Ich verstehe nur nicht, dass er einfach verschwindet. Das ist nicht Connys Art“, nachdenklich schwieg ich.

Starr schaute ich nach draußen und grübelte über das Wenn und Aber von Connys Verschwinden nach. Ging alle Details durch, die mir über Conny einfielen. Nie war Conny seit dem ich ihn kannte auch nur für fünf Minuten irgendwohin verschwunden, ohne sich abzumelden. Nicht einmal dann, wenn es großen Ärger in der Soko gab, selbst dann hatte er sich abgemeldet und wenn es nur ein Zuruf war 'bin draußen, muss mich beruhigen'. Er hatte mir auch nie erzählt, dass er mit jemanden Streit oder der gleichen hatte. Was war da nur passiert? Grübelnd sah ich nach draußen, ohne irgendetwas wahrzunehmen. Ich kam erst wieder zu mir, als mir Gosch die Kopfhörer herunter zog.

„Setze auf, ich habe leise gestellt.“

Ich nahm die Kopfhörer des Copiloten, setzte sie auf. Ich nahm die nur sehr ungern, weil die Rückkopplungen meinen Ohren weh taten. Nur ganz selten benutzte ich diese Dinger, weil Gosch dann immer alles verstellen musste und auf eine Minimum Lautstärke herunterregeln musste.

„Kahlyn?“ Hörte ich den Oberst hinter den anderen Funkgeräuschen.

„Jawohl Genosse Oberst, ich bin da. Wir sind auf dem Weg“, an Gosch gewandt. „Wie lange brauchen wir Gosch?“

Der sah auf seine Anzeigen. „Fünfundfünfzig Minuten, wenn wir gutes Wetter haben. Sonst etwas mehr als eine Stunde.“

Ich nickte ihm dankend zu. „Sir, wir sind in circa einer Stunde da, Gosch gibt Gas, schneller geht es leider nicht, Sir“, erklärte ich dem Oberst. „Sir, warum holt ihr mich jetzt erst, hättet ihr mich nicht gleich holen können, Sir“, machte ich ihm schwere Vorwürfe. „Sir, was wissen sie über sein Verschwinden. Conny verschwindet doch nicht einfach so, Sir.“

Lange hörte ich dem Bericht des Obersts zu und mit jedem Satz wurde mir klarer, was geschehen war. Ich zählte ein und eins zusammen.

„Sir, ich habe eine dunkle Ahnung und hoffen wir, dass sie sich nicht bewahrheitet. Können sie mir einen Gefallen tun, Sir?“

Der Oberst atmet erleichtert auf, wenn ich ihn schon um einen Gefallen bat, wusste er, hatte ich nicht nur eine leichte Ahnung, was hier los war. Hoffentlich behielt ich nicht recht, waren meine Gedanken.

„Kahlyn, jeden, wenn es dir hilft Conny zu finden. Ich mache mir wirklich große Sorgen.“

Das glaubte ich ihm gerne. Ich machte mir auch welche, jetzt noch viel mehr als vorhin. Hoffte nur sehr, dass ich mich irrte.

„Sir, bitte erzählen sie mir, warum Conny so weiße Haare hat. Sagen sie mir jetzt ja nicht, dass sie das nicht wissen. Ich weiß, dass sie aus einen alles herausbekommen. Was ist damals geschehen, warum war Conny mit seinen einundzwanzig Jahren schneeweiß gewesen. Er hat es mir nie erzählt. Ich muss es aber wissen, sonst kann ich ihm nicht helfen. Es hängt mittelbar mit seinem jetzigen Verschwinden zusammen. Die Zeit arbeitet gegen Conny, Sir, bedenken sie das.“

Der Oberst schwieg. Ich wusste, dass er einen schweren Kampf mit sich selber kämpfte. Er sprach niemals über Dinge, die man ihm im Vertrauen erzählt hatte.

„Sir, sie wissen, dass ich nie darüber reden würde und Gosch können sie auch trauen. Es wird unser Geheimnis bleiben. Aber ich denke, es hängt damit zusammen, weshalb Conny verschwunden ist. Oder ich müsste mich total täuschen, Sir.“

Tief holte der Oberst am anderen Ende der Leitung Luft. „Also gut Kahlyn, wenn es hilft Conny zu finden, erzähle ich es dir. Conny wurde auf der Polizeischule, von anderen drangsaliert. Namen hat er mir nie genannt. Ich weiß nur, dass diese Typen ihn in einen Sarg gelegt und lebendig begraben hatten. Sie legten ein Funkgerät in den Sarg, wollten wissen, wie lange man darin überleben konnte. Allerdings planten sie nicht ein, dass sie ja den Sarg auch wieder ausgraben mussten. Conny wäre damals fast gestorben. Als er den nächsten Tag in den Spiegel sah, war er schneeweiß.“

Deshalb hattest du also immer Angst, vor engen Räumen, dachte ich so bei mir. Jetzt wurde mir vieles klar, es hatte Jahre gedauert ehe Conny in einem engen Raum in der Wand laufen konnte. Aber es passte zu den Gedanken, die mir gekommen waren.

„Genosse Oberst, wo wohnt der Polizeirat Schwarz. Geben sie bitte Gosch die Koordinaten und zwar sofort, Sir.“ An Gosch gewandt. „Wie viel Sprit hast du noch?“

Gosch bekam gerade die Koordinaten vom Oberst, so konnte er nicht gleich antworten. „Es reicht dass ich dich dort absetze, dann muss ich aber auftanken. Zwei oder drei Schleifen kann ich aber fliegen.“

Ich nickte, fuhr mir durch die Haare.

„Sir, wenn es das ist, was ich vermute, steht es verdammt schlecht um Conny. Ich brauche Gosch mit einem Heli schnellst möglich zurück. Bitte bekommen sie heraus, wo das alles geschehen ist. Falls ich bei den Schwarzes kein Glück habe. Dann muss ich dort suchen und leiten sie eine offizielle Fahndung, nach Kurt Schwarz ein. Der ist, wenn ich richtig vermute, auf der Flucht. Sorgen sie dafür, dass in der Zentrale ein Raum für Conny und mich eingerichtet wird, der absolut dunkel ist. Wenn Conny noch eine Chance hat, dann ist sie mehr als nur minimal. Es sind drei Tage, die er verschwunden war. Oberst und sorgen sie dafür, dass, wenn ich mit Gosch und Conny komme, mich alle in Ruhe lassen. Es geht so vermute ich, um Sekunden, Sir“, an Gosch gewandt. „Dich Gosch, brauche ich in der kürzesten Zeit zurück bitte.“

„Sir, machen sie einen der anderen Helis fertig, das Gosch nur umsteigen braucht. Das geht einfach schneller, als das betanken und schicken sie Gosch ohne Verzögerung zu mir zurück. Es sind zwar nur Minuten die wir sparen, die könnten Conny allerdings das Leben kosten", befahl ich mit einer keinen Widerspruch zu lassenden Stimme.

Gosch sah mich ganz komisch an.

„Gosch, guck nicht so. Du kannst auch die anderen Helis fliegen. Aber es ist für Conny wichtig, dass du so schnell wie möglich zurück bist, falls ich ihn bei den Schwarzes nicht gefunden habe. Selbst wenn ich ihn dort finde, geht es um Minuten, damit er überleben kann. Ich habe ein verdammt komisches Gefühl im Bauch. Er ist glaube ich mehr tot als lebendig. Bitte Gosch“, flehentlich schaute ich ihn an.

Gosch gab noch mehr Gas, flog so schnell es ging, über das Grundstück des Polizeirates. Schon bei der ersten Schleife, sah ich, was ich suchte. Es gab schwache Thermospuren im Garten der Schwarzes.

„Gosch, hast du eine Schaufel im Heli.“

Mein Drachenflieger zeigte nach hinten und ich klettere auf die Rückbank. Griff mir die Schaufel. Mein Herz schlug mir bis in den Hals und ich war vollkommen in Panik.

„Gosch, führe mich auf diese Koordinaten und dann fliege den Drachen so schnell, wie du ihn noch nie geflogen hast. Ich brauche dich in fünf Minuten wieder hier.“

Noch nicht ganz aus dem Heli geklettert, gab ich Gosch das Zeichen für den Absprung. Im gleichen Moment sprang ich aus fünfundzwanzig Metern Höhe, aus dem Drachen, etwas was ich selten machte, da es sehr gefährlich war. Der Garten war nicht besonders groß und ich hatte kaum Platz zum Abrollen. Diesmal ging es um Sekunden. Auf der Wiese angekommen, rollte ich einige Male ab und knallte dabei böse gegen einen Baum. Ich ignorierte die Schmerzen und sprang sofort auf die Füße. Gosch wies mich ein, in dem er über die Koordinaten flog, an der ich die Thermospuren gesehen hatte. Schnell hatte ich das noch frische Grab gefunden und fing an zu puddeln. In meinem Kopf drehte sich ein Gedanke im Hamsterrad. 'Bitte lebe noch, Conny! Halte durch! Ich hab dich da gleich heraus!'

Gott sei Dank war die Erde noch ganz locker. Das Grab war höchstens einen halben bis einen Tage alt. Mein Freund hatte also noch eine reelle Chance, dass ich ihn retten konnte. Auf einmal stieß ich auf Holz. Ohne Rücksicht darauf, dass ich Conny dabei verletzen könnte, zertrümmerte ich den Deckel des Sarges. Mit grober Gewalt hakte ich den Spaten auf das Holz und riss die kaputten Holzlatten einfach mit bloßen Händen auf.

Keine zwei Sekunden später, sah ich in das blasse und entsetzte Gesicht Connys. Es war nicht mehr viel Leben in ihm. Kaum, dass er noch atmete. Ohne Rücksicht riss ich die restlichen Bretter des Sarges weg. Laufend rutschte das verdammte Erdreich nach und versuchte meinen Freund wieder zu begraben. Endlich bekam ich Conny zu fassen und zog ihm aus dem Sarg.

Dieses verdammte Dreckschwein, konnte sich warm anziehen. Und wenn ich diesen Kurt Schwarz bis ans Ende der Welt jagen musste, ich würde ihn finden. Schwor ich meinen Freund, noch vor dem offenen Grab. Als ich Conny vorsichtig auf die Wiese legte. Nur sehr mühsam unterdrückte ich meine Wut. Sie war hier in diesem Moment völlig fehl am Platz. Jetzt ging es erst einmal darum, dass ich es schaffte Conny zu retten. Schmiss den Spaten weg und musste mich kurz orientieren. Nahm Conny auf die Schulter und lief so schnell ich konnte, zu dem freien Feld, welches ich vom Heli aus gesehen hatte. Fast fünfundvierzig Minuten hatte ich gebraucht, um Conny aus dem Sarg zu befreien. Dieses verdammte Monster hatte Conny 5 Meter tief eingegraben. Wie konnte er das machen, ohne dass es hier jemanden auffiel? Ich war fassungslos und unsagbar wütend.

Gosch musste bald wieder hier auftauchen. Da ich hörte einen Heli, aber es war nicht der Drachen. Vorsichtig legte ich Conny auf die frisch gepflügte Erde des Feldes, Gosch der mich gesucht hatte, wie immer meine Gedankengänge voraussah, landet keine zwei Meter von mir entfernt.

„Kahlyn du hast ihn.“

Ich schrie ihm nur zu. „Lödein Medo! - Hol den Medi-Koffer!

Gosch rannte los und brachte er mir den Medi-Koffer. Vorsichtig untersuchte ich Conny. Zum Glück hatte er keine inneren Verletzungen, auch keine anderen Verletzungen. Er litt nur an den Folgen des akuten Sauerstoffmangels und des Schocks. Alles Sachen, die ich beheben konnte, auch wenn ich dabei an die Grenzen, meines Könnens geraden würde. Ich gab ihn einige Injektionen, das A97, welches die Sauerstoffaufnahme im Blut erhöht, das N99 ein Beruhigungsmittel mit einer Langzeitwirkung von sieben Tagen, das N91 konnte ich jetzt nicht herstellen und das C99, ein Mittel, das man zur Wiederbelebung und Stabilisierung nutzte. Von diesem zog ich gleich zwei Spritzen auf, legte eine in den Ampullenkoffer.

„Geb mir Wasser“, befahl ich.

Gosch lief zum Heli, holte eine Flasche Wasser, vorsichtig flößte ich Conny einige Tropfen Wasser ein. Allerdings war mein Freund viel zu weit weg und gar nicht in der Lage zu schlucken.

„Helf mir!“

Gosch nahm Connys Beine und ich seinen Oberkörper. Zusammen legten wir unseren Freund auf den Rücksitz.

„Flieg so schnell du kannst. Gosch, es geht um Sekunden. Gosch, im Ampullenkoffer liegt eine Spritze. Gebt sie mir in die Halsschlagader, falls ich nicht mehr von alleine zu mir komme. Bitte, wenn die nicht wirkt, dann lasst mich schlafen.“

Gosch wollte etwas sagen.

Ich brüllte ihn an, so sehr war ich außer mir vor Zorn und Wut, die nichts mit Gosch zu tun hatten. „Verdammt nochmal, mach es einfach.“

Ich hatte keine Zeit für sinnlose Diskussionen. Um Conny sofort helfen zu können, setzte ich mich zwischen Pilot und Rücksitzbank. Nahm obwohl es draußen hell war und mir die Augen schmerzten, die Brille ab und fing schon im Heli an, das Krantonak zu machen. Es war nicht mehr viel Leben in Conny. Ich hätte meinen Freund keine zehn Minuten später finden dürfen. Dann hätte ich nichts, rein weg gar nichts mehr für ihn tun können.

Gosch flog wie ein Henker, zwanzig Minuten später, waren wir in der Zentrale der Soko Tiranus. Ich unterbrach kurz das Krantonak und setzte meine Brille wieder auf. Sogleich wollte ich Conny mit Goschs Hilfe in den hinteren der Schlafräume tragen. Der Oberst und die Jungs des Soko Teams waren sofort zur Stelle, als wir landeten und legten Conny auf eine Trage. Eilig liefen sie mit ihm los. Mühsam und schwankend folgte ich den Jungs. Der Oberst nahm mich in den Arm und half mir beim Laufen. Kein Wort kam über seine Lippen. Ihm genügten das Aussehen von Conny und ein Blick in mein Gesicht, um zu wissen, wie knapp die ganze Rettung war.

Ich hatte kaum noch Kraft in mir. Das Krantonak alleine war schon anstrengend, das vorhandene Licht, kostet mich zusätzlich wahnsinnig viel Kraft. Kraft die ich eigentlich für Connys Rettung gebraucht hätte. Aber ich musste ihm sofort helfen, denn sein Herz blieb während des Fluges einige Male einfach stehen. Schnell waren wir in dem Raum, den der Oberst für uns vorbereitet hatte. Leise befahl ich ihm. „Keiner kommt rein. Bevor ich nicht rufe oder Conny euch ruft. Gosch denke an die Spritze.“

Endlich schloss sich die Tür. Sofort setzte ich mich neben Conny. Atmete mich tief in mein Qi, um die allerletzten Kraftreserven zu mobilisieren. Ich war mir sehr wohl bewusst, dass ich mich in eine gefährliche Situation brachte. Aber es half alles nichts, anders schaffte ich es nicht, Conny wieder zurückzuholen. Ich würde es schon irgendwie schaffen. Wichtig war nur, dass mein Freund wieder gesund wurde. Wieder nahm ich die Brille ab und begann mit dem Krantonak.

Es dauerte ewig, ehe ich Connys Herz dazu brachte wieder gleichmäßiger und kräftiger zu schlagen. Noch länger dauert es, bis sich sein Vitalfunktionen einigermaßen stabilisierten. Mehrmals war ich an einen Punkt, an dem ich aufgeben wollte. Es hatte keinen Zweck, er war schon viel zu weit weg. Aber ich konnte meinen Freund nicht einfach sterben lassen. Mein Herz schrie vor Pein und ich zwang mich weiter zu machen. Auch wenn ich keine, absolut keine Kraft mehr hatte. Langsam kam Conny zu sich, ich jedoch war am Ende meiner Kraft angekommen, ich konnte einfach nicht mehr. Über viereinhalb Stunden hatte ich um das Leben meines Freundes gekämpft. Ich brach zusammen. Was dann geschah, bekam ich nicht mehr mit und hatte darauf auch keinerlei Einfluss mehr.

 

Conny fing an zu schreien. Er wollte hier heraus. Es war so dunkel hier. Eine ihm unbekannte Panik erfasste ihn und brachte ihn dazu, aus Leibeskräften zu schreien. 'Warum tut er mir das? Warum nur tat er mir das ein zweites Mal an? War seine Wut so groß, weil ich ihn aus dem Team geworfen hatte? Damit erreicht er doch nichts. Warum tut Kurt das nur? Nicht einmal sein Vater, würde ihn jetzt noch helfen können', ging es Conny durch den Kopf.

Conny wollte gegen den Deckel des Sarges treten, in dem er lag. Er wusste zwar dass das nicht helfen würde, aber er musste versuchen hier heraus zu kommen. Aber da war nichts mehr. Er hatte Platz und konnte sich frei bewegen. 'Wieso, bin ich nicht mehr in dem Sarg?' Conny tastete um sich herum. Er lag in einem Bett. Hatte er nur einen Albtraum? Er war völlig irritiert.

Mit einem Schlag wurde es hell um ihn. Geblendet schloss er die Augen. Conny wusste nicht, wo er war. Er blinzelte gegen das Licht und sah Willy Fleischer. 'Der Oberst war da. Wo kam der denn her? Ich war doch in meiner Einheit. Hab ich das alles nur geträumt? War es ein Albtraum? Aber der Oberst passte nicht in diese Gedankengänge. Er war fehl am Platz', geisterte es Conny durch den Kopf. Conny drehte den Kopf und sah Kahlyn neben seinem Bett liegen. 'Oh nein. Engelchen, du hast mich gefunden und aus dem Sarg geholt.'

Conny wollte aufstehen, aber es ging nicht. Er war viel zu schwach. Gosch eilte auf ihn zu und drückte ihn ins Bett zurück. Der Oberst hob Kahlyn auf und legte sie einfach zu Conny ins Bett. Sie atmete nicht mehr. 'Engelchen, du darfst nicht sterben. Bitte nicht. Damit kann ich nicht leben. Ich liebe dich doch mehr als mein eigenes Leben' Laut schrie Conny auf. Er war völlig panisch.

„Engelchen, wach auf! Bitte wach auf!“

Der Oberst fing bei Kahlyn mit Mund zu Mund Beatmung an. Die Jungs zogen Conny aus dem Bett und wollten ihn aus dem Raum führen.

„Ich will nicht! Ich will hier bei ihr bleiben“, schrie Conny wie von Sinnen.

Die Panik hatte den jungen Mann voll im Griff. Er wurde fast verrückt, aus Angst um seine kleine Freundin. Langsam rutschte er an der Wand herunter.

„Mein Engelchen darf nicht sterben, bitte“, flehte Conny, am ganzen Körper zitternd.

Walter setzte sich neben Conny. Er legte beruhigend den Arm um ihn und versuchte ihn dadurch etwas zu beruhigen.

Gosch begann mit der Herzdruckmassage, während der Oberst sein kleines Mädchen beatmete.

„Holt den Medi-Koffer, schnell“, rief Gosch.

Mario sprintete los. Keine zwei Minute später, war er mit dem Koffer vom Heli zurück.

„Mach weiter Mario“, rief Gosch ihn zu und griff in den Koffer, den sein Kamerad auf das Bett gestellt hatte.

Mit fahrigen Händen versuchte er ihn zu öffnen. Erst beim vierten Versuch hatte er die richtigen Zahlen eingestellt. Endlich konnte er den Koffer aufmachen und holte den Ampullenkoffer hervor. Entnahm ihn die Injektion die Kahlyn vorhin aufgezogen hatte und steckte eine Nadel drauf. Er schob Mario einfach zur Seite, spritzte Kahlyn das Mittel langsam in die Halsschlagader.

„Verdammt, du hast gewusst, dass du dich umbringst“, brüllte Gosch sie nun an. Wie ein Verrückter schlug er auf Kahlyns Brust, um ihr Herz wieder zum Schlagen zu bringen. „Atme verdammt noch mal! Ich bringe dich um.“

Immer wieder machte er die Herzdruckmassage, plötzlich gab er auf. Über vierzig Minuten versuchte er noch ihr Herz zum Schlagen zu bringen. Es war zu spät. Kahlyn hatte es nicht geschafft.

„Es hat keinen Zweck. Sie ist zu weit gegangen.“

Mario schob Gosch einfach zur Seite und fing wieder mit der Herzdruckmassage an. Nach über dreißig Minuten sahen alle ein, dass es zu spät war. Keiner konnte Kahlyn mehr helfen. Traurig standen die Männer, um deren Bett. Keiner konnte fassen, dass das Mädchen tot sein sollte. Nach einigen Minuten begann Gosch auf einmal zu lauschen. Er kniete sich vor Kahlyn hin und beobachtete sie ganz genau.

„Ruhe! Seid einmal alle ganz ruhig“, befahl er in einem Ton, den keiner von ihm gewohnt war.

Gosch legte seine Hand an ihre Nase, anschließend legte er den Kopf auf ihre Brust.

„Sie lebt! Ich glaube es nicht. Sie lebt!“

Langsam ganz langsam fing Kahlyn, wieder an zu atmen. Ganz flach, aber sie lebte wieder. Gosch sank auf den Boden und fing hemmungslos an zu weinen. Am ganzen Körper zitternd, hockte sich der Oberst zu seinem besten Piloten und zog ihn auf die Beine.

„Kommt, alle raus hier, lassen wir sie schlafen.“

Tief atmend, um sich zu beruhigen, schob Fleischer alle aus dem Raum und schloss die Tür. Draußen angekommen, gab er einige Befehle, an seine Untergebenen.

„Arndt, du fliegst zu den üblichen Koordinaten, lass sie dir von Gosch geben und holst Dr. Jacob ab. Ich will, dass er die Kleine untersucht. Tom, du bringst Conny nach vorn zum Sofa. Er soll sich hinlegen und ausruhen. Mario, du holst sofort einen Notarzt hier her, der Conny untersucht. Walter, du gehst rein zu Kahlyn und beobachtest sie, bei der kleinsten Verschlechterung ihres Zustandes, gibst du mir sofort Bescheid. Ich bin in meinem Büro.“

Fleischer ließ seine Leute einfach stehen. Er wusste dass man seine Befehle korrekt ausführen würde. Der Oberst musste erst einmal zu sich kommen, bevor jemanden aus seinem Team anschrie. In seinem Büro angekommen, griff er sofort nach dem Hörer und rief Dr. Jacob an.

„Fritz, du musst sofort herkommen. Kahlyn, wäre beinah gestorben. Ich will, dass du sie untersuchst. Egal, was bei dir ist. Du kommst sofort hier her, der übliche Treffpunkt Arndt holt dich ab. Gosch kann ich dir nicht schicken, der kann nicht fliegen.“

Sofort legte er auf, ohne auf eine Antwort zu warten. Er wusste Jacob würde kommen, wenn es um seine Kinder ging, vor allem aber um Kahlyn. Fleischer legt die Arme auf den Tisch, den Kopf darauf, atmet tief durch. Ganze zehn Minuten brauchte er um seine Nerven zu beruhigen. Wieder griff er nach dem Hörer und wählte die Nummer von Connys Dienststelle.

„Oberleutnant Schneider am Apparat“, meldete sich der stellvertretende Teamleiter. „Werner, wir haben Conny. Er lebt. Kahlyn hat ihn gefunden auf dem Grundstück vom Polizeirat. Was ist bei euch eigentlich los? Wieso vergräbt Kurt seinen Ex-Teamchef.“

Werner erklärte ihm, was vor drei Tagen vorgefallen war, langsam zählte der Oberst eins und eins zusammen.

„Das konntet ihr mir vor drei Tagen nicht sagen. Verdammt noch mal. Sorry Werner, bei mir liegen gerade die Nerven blank. Ihr braucht euch um Conny keine Sorgen zu machen. Er kommt bestimmt durch. Gebt ihn ein paar Tage Zeit und dann fängt er sich wieder.“

Werner konnte sich denken, dass dies alles sehr knapp war, so hatte er den Teamleiter der Soko noch nie erlebt.

„Was ist mit Kahlyn? Mit ihr ist doch hoffentlich alles in Ordnung.“

Der Oberst atmete tief durch. „Ich weiß es nicht, Werner, das kann ich dir erst sagen, wenn der Arzt da war. Vorhin dachten wir sie schafft es nicht mehr. Ich bring die Kleine um, wenn sie so etwas noch einmal tut. Du ich muss Schluss machen. Ich muss noch einige Anrufe machen und mich um meine Leute kümmern, die sind alle durch den Wind. Bis später.“

Fleischer legte er einfach auf und wählte erneut eine Nummer. Mit einem harschen Ton schrieb er Kurt Schwarz zur Fahndung aus, wegen versuchten Mordes an einem Polizeibeamten, um den ehemaligen Kollegen dingfest zu machen. Im Anschluss rief Fleischer Polizeirat Schwarz an, dem er in einem nicht sehr freundlichen Ton, über die Vergehen seines Sohnes berichtete. Der Teamleiter der Soko Tiranus informierte Schwarz in einem keinen Wiederspruch zulassenden Ton darüber, dass er eine Fahndung nach seinem Sohn in die Wege geleitet hatte. Das er persönlich dafür sorgen würde, dass dieser hinter Gitter käme, für den Rest seines Lebens dort verbringen würde. Er ließ Schwarz gar nicht erst zu Wort kommen. Dann knallte er einfach den Hörer auf. Noch einmal wählte der Oberst eine Nummer und bestellte ein Team der Spurensicherung, zum Eigenheim der Familie Schwarz, um die dortigen Spuren aufnehmen zu lassen, bevor diese vollkommen verwischt wurden. Auch informierte er die Spurensicherung, dass Kahlyn wohl einiges an Spuren zerstört hatte, um das Leben ihres Kollegen zu retten.

Tief atmete Fleischer durch, verließ sein Büro, um hinter zu Kahlyn zu gehen. Die lag wie leblos in dem Bett. Zum Glück atmete sie wieder etwas kräftiger. Ein wenig beruhigter ging er vor zu seinen Leuten, um auch nach Conny zu sehen. Sein Kollege sah aus, wie der Tod auf Latschen. Er war schneeweiß im Gesicht, hat tiefe schwarze Augenringe. Soeben war der Notarzt eingetroffen und untersuchte Conny. Der Arzt war ganz zufrieden mit den Werten. Als Fleischer sich vorstellte, teilte er seine Untersuchungsergebnisse dem Soko Chef mit.

„Ich werde ihren Kollegen ein paar Tage mit in die Klinik nehmen. So ganz gefällt mir der Herzschlag ihres Kollegen nicht. Allerdings habe ich hier nicht die Möglichkeit, genaueres festzustellen. Der Herzschlag ist einfach zu unregelmäßig", der Arzt wandte sich direkt an Conny. "Wie schätzen sie selber ein, wie es ihnen geht?“ Der Notarzt musterte Conny intensiv.

Lange saß immer noch schlotternd auf dem Sofa, war zu keinem Wort fähig. Das Einzige, was er heraus brachte, war die Feststellung: „Sie ist tot. Sie ist wegen mir Tod.“

Conny hatte die Worte von Gosch, gar nicht registrieren können, da er noch völlig unter Schock stand. Der Oberst konnte es seinem besten Mann nachfühlen, wie er sich fühlte. Ihm ging es nicht anders. Er setzte sich auf das Sofa neben Conny.

„Conny, höre zu mein Freund. Kahlyn ist nicht tot. Sie lebt, ihr geht es nicht sonderlich gut, aber sie lebt. Der Doko ist unterwegs, der sieht gleich nach ihr.“

Conny sah den Oberst ungläubig an.

„Komm mit, sehe selber, dass sie lebt.“

Ohne zu Zögern half er Conny auf die Beine. Der Notarzt wollte das nicht zulassen, doch der Oberst schüttelte den Kopf.

„Er muss es selber sehen, sonst findet er keine Ruhe. Doktor er muss sehen, dass sein kleines Mädchen lebt. Komm Conny.“

Seinen Kollegen hilfreich unter die Arme greifend, führte er Conny, nachhinten in das kleine Zimmer in dem Kahlyn lag. Lange brauchte beim Laufen Hilfe, da er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Conny kniete sich neben das Bett, in dem Kahlyn wie tot schlief. Streichelte ihr lieb über den Kopf. Aber es kam keine Reaktion von ihr. Das was er sah, reichte aber, um den völlig fertigen Conny zu beruhigen. Mühsam zog der Oberst, seinen Freund wieder auf die Beine.

Mario, der schon ahnte, dass Conny kaum noch Kraft hatte, kam den Beiden entgegen. Er nahm Connys Arm über seine Schulter, zusammen führten sie ihn so, zurück zu dem Sofa. Dort angekommen legte dieser sich sofort schwer atmend hin. Der Notarzt wollte Conny abtransportieren ins Krankenhaus, der weigerte sich beharrlich mitzukommen. Er wollte hier bleiben und schlafen. Nach einigen hin und her, der Versicherung, dass in einer Stunde, ein sehr kompetenter Arzt hier sein würde, ließ der Notarzt Conny hier, wenn auch mit einem sehr unguten Gefühl.

Eine Stunde später traf Arndt mit Dr. Jacob ein. Der ging sofort hinter zu Kahlyn. Fast zwei Stunden blieb er bei dem Mädchen. Der Doko spritzte Kahlyn viele Medikamente und versorgte auch noch einmal ihr Bein. Dann kam er nach vorn und wollte wissen, was überhaupt passiert war. Er hätte Kahlyn noch nie in einem so miserablen Zustand angetroffen.

Der Oberst erzählte, was geschehen war. Allerdings verstand Doko Jacob nicht, was Kahlyn gemacht hatte. Diese Krantonak kannte er nicht. Nicht alle Fähigkeiten, so erklärte er dem Oberst, hatte Kahlyn ihm gezeigt und erklärt. Plötzlich jedoch fiel Jacob ein, was Kahlyn in der Dienststelle in Gera gemacht hatte. Ihm wurde bewusst, dass er das selber schon erlebt hatte. Er schüttelte ungläubig den Kopf. Er musste sich mit Kahlyn unbedingt darüber unterhalten. Als er Conny auf dem Sofa liegen sah, erschrak er. War das derselbe junge Mann, den er vor drei Tagen gesehen hat. Vorsichtshalber untersuchte er ihn noch einmal. Langes Herz schlug sehr unregelmäßig und seine Vitalwerte, waren alles andere als gut. Wieder zog er einige Spritzen auf und gab sie Conny. Endlich schlief der völlig geschaffte junge Mann ein und fand etwas Ruhe.

„Willy, kann ich meine Frau kurz anrufen. Ich werde ein paar Tage hier bleiben müssen. So schnell erholen sich Conny und Kahlyn nicht von dem Geschehenen. Es ist verdammt ernst. So schlecht wie heute, ging es ihr schon seit Jahren nicht mehr.“

Fleischer nickte und ging mit Jacob hinter in sein Büro. Auf der Uhr im Büro war es jetzt 15 Uhr 56. Einen Anruf später kehrte Jacob zu Kahlyn zurück, maß ständig ihre Vitalfunktionen. Gegen 19 Uhr kam er vor in den Bereitschaftsraum und gab Entwarnung. Alles war wieder im grünen Bereich, ein paar Stunden Schlaf, dann war Kahlyn wieder die alte.

Kurz nach 21 Uhr kam eine blasse Kahlyn auf ihren eigenen Beinen in den Bereitschaftsraum. Ihr erster Weg, bevor sie etwas sagte, war zu Conny. Setzte sich auf das Sofa. Immer noch schlug das Herz von Conny ungleichmäßig.

„Oberst, bringen sie Conny hinter in den Raum, bitte“, waren die einzigen Worte die sie mit müder Stimme sagte.

Fleischer wollte das nicht dulden und begann mit ihr zu diskutieren. Unerwartet für alle geschah etwas, was lange nicht mehr passiert war, vor allem aber Dr. Jacob total schockierte. Kahlyn zog eines ihrer Messer und ging mit Schlägen und Tritten, auf den Oberst los. Schob ihren Vorgesetzten mit brutaler Gewalt gegen die nächste Wand und drückte ihm, das Messer an die Kehle. Mit einer Stimmer die keinen Widerspruch zu ließ und einem Gänsehaut über den ganzen Körper jagte, sprach Kahlyn.

„In einer Minute ist Conny hinten in dem Raum! Oder der Oberst ist tot! Mir läuft die Zeit weg, verdammt noch mal. Ich habe absolut keine Geduld für solche sinnlose Debatten.“

So kurz angebunden wie Kahlyn war und bei diesem Ton, wagte keiner der Männer, ihr zu wiedersprechen. Mario stand auf und holte die Trage. Vorsichtig legten sie den schlafenden Conny darauf und brachten ihn wieder nach hinter in das Zimmer. Kahlyn sah den Oberst mit einem Ausdruck im Gesicht an, das dem Oberst das Blut in seinen Adern gefror. Kahlyns Blick, ein tiefes und böses knurren ihrerseits und der Griff ihrer Hand an seinem Hals, ließ Fleischer in sich erstarren und vollkommen verstummen. Er wagte sich nicht die kleinste Bewegung zu machen. Genauso plötzlich wie der Angriff auf ihn erfolgte, ließ Kahlyn ihn los und steckte das Messer zurück in den Unterarmhalfter. Schwankend ging sie hinter zu Conny und schloss die Tür. Dr. Jacob der ihr hinterher gehen wollte, wurde vom Oberst zurück gehalten.

„Doko, gehen sie bitte nicht hinter. Wenn Kahlyn so drauf ist, sollte man sie in Ruhe lassen. Ich habe auch Angst um sie. Aber noch mehr Angst habe ich davor, dass sie etwas tut, was sie hinterher bereut. Lassen sie die Kleine am besten in Ruhe.“

Jacob schluckte, er hat wahnsinnige Angst um Kahlyn. Er wusste nur zu gut, dass dieses Mädel für andere, oft ihr Leben riskiert. Aber er wusste auch, dass sie in dem Zustand nicht genau wusste, wo sie war, was sie tat. Na ja, eigentlich war das so nicht richtig, korrigierte sich Jacob.

Sie wusste schon genau, was sie tat, nur wusste sie scheinbar in solchen Ausnahmesituationen nie genau, wer ein Freund und wer ein Feind war. Manchmal hatte Jacob das Gefühl, dass Kahlyn in solchen Situationen, ihre Umwelt bewusst und vollständig ausblendete, um sich von nichts ablenken zu lassen. Da zählte nur noch der Verletzte, mehr nicht. Wenn dann jemand nicht mitzog, dann reagierte sie wie gerade eben, völlig überzogen. Er hatte es auch einige Male zu spüren bekommen und in den letzten sechszehneinhalb Jahren auch keine Möglichkeit gefunden, ihr dieses ungewöhnliche Verhalten abzugewöhnen. Reichlich fünfzehn Minuten später kam Kahlyn nach vorn, setzte sich einfach an den Tisch, als wenn nichts gewesen wäre.

„Genosse Oberst, kann ich Gosch bekommen und den Drachen, Bitte, Sir“, bat sie auf ihre zitternden Hände starrend.

Dann sprach sie Jacob an. Keiner hatte überhaupt vermutet, dass sie mitbekommen hatte, dass er da war.

„Doko, gehst du bitte noch einmal nach Conny gucken, es müsste jetzt besser sein mit seinem Herzen. Aber ich kann das jetzt nicht in Ordnung bringen, mir fehlt die Kraft. Mario, machst du mir etwas zu essen, hundertfünfzig Gramm. Gosch, tanke den Drachen voll, ich werde dieses gottverdammte Schwein so lange suchen, bis ich ihn habe.“

Schweigend starrte das Mädchen jetzt aus dem Fenster, nicht bereit auf sich auf irgendwelche Diskussionen einzulassen und auf Fragen zu reagieren. Ihre gesamte Körperhaltung warnte alle davor, sie in diesem Zustand anzusprechen. Sie hatte die Informationen, die sie geben musste gegeben, alle wussten Bescheid, was sie vorhatte, mehr musste sie nicht sagen.

Oberst Fleischer war sich darüber im Klaren, dass egal was er jetzt machen würde, Kahlyn nicht davon abbringen konnte, diesen Kurt Schwarz zu jagen. Diesmal war es eine persönliche Angelegenheit, man hatte einen ihrer Freunde persönlich angegriffen und so etwas verzieh Kahlyn nie. Deshalb beschloss er, ihr zu helfen so gut er nur konnte. Um sein kleines Mädchen nicht noch mehr in die Ecke zu drängen, als es sowieso schon der Fall gewesen ist. Das hier war eine absolute Ausnahmesituation, das war dem Oberst klar. Er wusste nur zu genau, wie sehr Kahlyn es hasste, jemanden zu suchen mit dem sie persönlich bekannt war. Dann kamen bei ihr Emotionen ins Spiel und das war gar nicht gut. Freunde waren ihr heilig und diese würde sie beschützen, egal was mit ihr danach geschah.

Deshalb ärgerte sich der Oberst über sich selber, dass er Kahlyn durch eine unbedachte Äußerung zu so einem Handel getrieben hatte. Er kannte das Mädchen lange genug und wusste, wie sie in solchen Situationen reagierte. Deshalb gab der Soko Chef klar Anweisung an seinen Piloten und an Mario.

„Gosch, du hast gehört, was dein Täubchen gesagt hat. Ab mach den Drachen bereit. Mario, mach Kahlyn etwas zu essen und du Kahlyn, sagst mir was du vorhast.“  

Kahlyn drehte den Kopf in Richtung Oberst.

„Sir, tut mir leid wegen vorhin. Aber ich habe keine Kraft für solche sinnlosen Diskussionen. Ich will zum Polizeirat, ich will wissen, wo dieser Arsch steckt. Ich bringe ihn dafür, was er Conny angetan hat, in den Knast und sorge dafür, dass er nie wieder raus kommt. Oder ich bringe ihn selber um und wenn es das letzte ist was ich tue.“

Das war das letzte was Kahlyn sagte. Sie schwieg beharrlich, egal was der Oberst versuchte. Er bekam kein einziges Wort mehr aus ihr heraus. Traurig sah er seine Kleine an.

'Was mochte wohl in ihren Kopf vorgehen? Was hast du erlebt, dass du so ausflippst? Dass du so verdammt böse geworden bist? Ich weiß, dass du viele schlimme Sachen erlebt hast. Aber warum nimmst du gerade diese Geschichte so persönlich? Liegt es nur an Conny oder steckt da noch mehr dahinter.'

Plötzlich wurde ihm bewusst, dass Kahlyn vor vielen Jahren einmal zu ihm sagte, sie würde ohne nachzudenken, für Conny in das offene Feuer gehen. Sie liebte ihn, Kahlyn liebt Conny nicht wie er immer gedacht hatte, wie eine Schwester, sondern von ganzem Herzen wie nur ein Mädchen einen Mann lieben konnte. Oh Gott, das durfte nicht wahr sein.

„Kahlyn in mein Büro, sofort.“

Kahlyn stand auf und folgte dem Oberst in sein Büro.

„Setzt dich Kleines, erzähle mir, was los ist. Bevor wir das nicht geklärt haben, lasse ich Gosch nicht fliegen. Verstanden.“

Kahlyn sah zum Oberst. „Das verstehen sie nicht, Sir.“

Der Oberst lehnte sich zurück. „Dann erklärst du es mir bitte eins. So mies bist du schon seit Jahren nicht mehr drauf gewesen, dass du mich mit einem Messer bedrohst. Was sollte das Kahlyn?“

Kahlyn fing an mit ihren Finger zu spielen, ein typisches Zeichen dafür, dass sie ein Problem hatte, mit dem sie nicht klar kam.

„Kahlyn, rede mit mir. Bitte.“

Kahlyn sah zu ihrem Freund den Oberst auf und fing sie an zu weinen.

„Komm zu mir, komm mal her.“ Der Oberst stand auf und zog sie auf seinen Schoss. „Was ist los meine Kleine? Erzähle es mir, es ist wichtig bevor du Ding tust, die du hinter her bereust.“

Lange dauerte es, bis sie sich einigermaßen beruhigt hatte.

„Vor ungefähr elf Jahren, wir kannten uns damals noch nicht Sir“, begann sie zögerlich, immer wieder vom Weinen unterbrochen. „Hatte der Oberstleutnant mich und noch fünf andere in Holzkisten eingesperrt, diese mit Gewichten beschwert, ins Wasser geschmissen. Du weißt Oberst, ich kann lange unter Wasser aushalten, aber ich wäre damals fast ertrunken. Nur, das Jawefan hat mich gerettet. Der Oberstleutnant, wollte uns töten. Ich weiß genau, wie es Conny jetzt geht. Ich werde diesen Kerl finden und wenn es das letzte ist, was ich tue. Aber ihr habt mich fast getötet. Ich habe doch Gosch extra gesagt, er soll mich schlafen lassen. Aber dann fiel mir Conny ein, nur deshalb bin ich zurück gekommen, nur deshalb“, flüsternd hatte sie gesprochen und fing erneut an zu weinen.

Der Oberst hielt das schluchzende Mädchen im Arm. „Kahlyn, du weißt doch aber, das Rache kein gutes Motiv ist. Kannst du mir wenigstens eins versprechen, dass du ihn nicht tötest. Selbstjustiz ist nicht gut, dass weißt du doch. Das ist aber nicht der Einzige Grund, oder?“

Kahlyn hob ihr nasses Gesicht, nur bei ihrem Oberst, konnte sie richtig weinen oder bei John, weil sie wusste, dass beide sie beschützen und ihr Wissen niemals gegen sie anwenden würden, genau wie Dika und Doko. Dann nickte sie.

„Ich verspreche es ihnen Genosse Oberst. Ich werde ihn nicht töten. Aber ich werde ihm zeigen, was es bedeutet lebendig Begraben zu sein. Damit er begreifen lernt, wie Conny und ich mich gefühlt haben in dem Sarg. Was er Conny und mir angetan hat. Wie meinen sie das, es ist nicht der einzige Grund?“

Lange sah der Oberst Kahlyn an. 'Du bist dir nicht mal bewusst, dass es Liebe ist. Stimmt’s meine Kleine? Du weißt nur, dass es dir das Herz zerreißt, Conny so leiden zu sehen. Na, woher sollst du auch wissen, was Liebe ist, du hast sie ja nie kennen gelernt.'

Fleischer raufte sich das Haar, wie oft schon dachte er, dass einen diese Kinder nur leidtun konnten. Dass man ihnen so viel genommen hatte. Nicht nur ihre Kindheit, sondern ihr gesamtes Leben. Aber er würde jetzt dafür Sorge tragen, dass sie all diese Dinge kennen lernen durften, die ihnen bis jetzt verwehrt blieben. Er hielt Kahlyn in den Armen, langsam beruhigte sie sich. Er stand auf und wischte mit seinem Taschentuch, die Tränen aus ihrem Gesicht.

„Kahlyn, geht es wieder? Wenn alles in Ordnung ist, dann fliege los, finde diesen Kurt und bringe ihn her zu mir. Ich will ihn sehen.“

Kahlyn nickte, sah aber den Oberst völlig irritiert an. Ging ohne ein Wort zu sagen, aus dem Raum. Winkte Gosch mitzukommen und wollte schon in Richtung Ausgang gehen.

Gosch jedoch rief sie zurück. „Kahlyn, erst essen, vorher fliege ich nicht.“

Kahlyn ging zurück und aß ihren Brei oder besser gesagt, sie schlang ihn herunter. Kaum das der Teller leer war, stand sie auf. Zügig lief sie auf den Drachen zu und setzte sich ohne etwas zu sagen auf den Platz des Co-Piloten. Gosch stieg ein und startete den Helikopter.

„Wie lange fliegen wir?“, fragt sie Gosch.

„Eine halbe Stunde ungefähr.“

Schnell rollte sie sich zusammen. Drei tiefe Atemzüge, sie schlief. Gosch machte sich Sorgen, um seine kleine Freundin. So mies drauf, war sie schon lange nicht mehr. Zu mindestens sprach sie sonst immer mit ihm. Zwanzig Minuten später wachte Kahlyn auf. Setzte sich schweigend auf ihren Platz.

„Hab ich dir etwas getan, Täubchen? Das du nicht mehr mit mir redest“, erkundigte er sich einfach.

Lange sah sie Gosch an und schüttelte den Kopf.

„Du hast mir nichts getan, Gosch. Mir geht es nur nicht gut. Das Krantonak, was ich bei Conny gemacht habe, hat mich fast getötet. Dann habt ihr mich fast umgebracht. Ich will nur dieses Schwein fangen, dann gehe ich schlafen. Ich kann nicht mehr. Gosch, ich bin so müde.“

Gosch erschrak. „Kahlyn, bitte tue mir das nicht an, ich dachte vorhin schon, du bist schlafen gegangen.“

Kahlyn merkte, dass Gosch sie falsch verstanden hatte, deshalb schüttelte sie den Kopf.

„Gosch, ich meine das Schlafen, wo man früh wieder aufsteht.“

Erleichtert atmete Gosch auf. „Da bin ich aber froh. Ich kann dich nicht verlieren, das halte ich nicht aus. Vorhin dachten wir schon, du bist schlafen gegangen, dreißig Minuten lang haben wir versucht, dich zurück zu holen. Mach das nie wieder.“

Kahlyn sah zu ihrem Freund. „Hätte ich das nicht gemacht, Gosch, wäre Conny jetzt tot. Ich musste es tun. Es war kaum noch Leben in ihm drinnen. Lieber bin ich tot, als er. Aber ihr hättet mich schlafen lassen sollen. Gosch ich habe dir extra gesagt, ihr sollt mich schlafen lassen. Warum hört ihr nie auf mich. Lass mich einfach in Ruhe, bitte.“

Anschließend sah Kahlyn aus dem Fenster und signalisierte Gosch auf diese Weise, dass sie nicht mehr reden wollte.

Gosch landete auf dem Feld und blieb beim Heli.

Kahlyn lief zurück in den Garten und weiter zu dem Haus der Schwarzes und klingelte. Eine verweint aussehende Frau öffnete ihr die Tür.

„Guten Abend, Frau Schwarz. Entschuldigen sie bitte die späte Störung. Ich bin Leutnant Kahlyn, von der Soko Tiranus. Könnte ich mit ihnen sprechen, bitte Mam“, stellte sie sich vor, erklärte den Grund für die späte Störung.

Frau Schwarz bat sie herein. Ein älterer schlanker, aber gut durchtrainierter Mann kam ihr entgegen.

„Guten Abend Genosse Polizeirat, ich bin Leut…“ weiter kam sie nicht.

„Guten Abend Leutnant. Oberst Fleischer hat mich schon von ihrem Kommen informiert“, unterbrach sie der Polizeirat einfach. „Kommen sie, wir unterhalten uns in der Stube. Wollen sie einen Kaffee?“

Kahlyn nickte, sie war müde und kaputt, etwas Warmes würde ihr gut tun. Der Polizeirat wandte sich an seine Frau.

„Lisbeth Schatz, machst du uns bitte einen Kaffee“, Schwarz drehte sich um und ging weiter ins Wohnzimmer. „Nehmen sie Platz Leutnant Kahlyn. Ihnen habe ich also zu verdanken, dass mein Sohn nicht wegen Mordes angeklagt wird. Wie in Gottes Namen sind sie darauf gekommen, dass er Conny hier begraben hat. Ich kann es einfach nicht fassen, dass ich mich so in meinem Sohn getäuscht habe. Es ist unbegreiflich“, völlig fertig mit den Nerven, setzte sich der hohe Polizeibeamte auf das Sofa und stützte den Kopf in die Hände. Ungläubig dessen was geschehen war, schüttelte Schwarz seinen Kopf.

„Sir, es tut nichts zur Sache, wie ich ihn gefunden habe. Wichtig ist nur, dass Conny noch lebt. Sie wissen aber, dass es nicht das erste Mal war, dass dieser Kurt meinem Kollegen Conny, das angetan hat.“

Entsetzt stöhnte der Polizeirat auf und hinter Kahlyn ging eine Kanne zu Bruch. Lisbeth Schwarz, hatte die Kanne mit dem Kaffee vor Schreck fallen gelassen.

„Entschuldigung, ich koche gleich neuen“, sprach sie mit weinender Stimme, der man den Schrecken über das gerade Gehörte anmerkte. Sie verschwand schluchzend in der Küche.

„Wie nicht das erstes Mal?“

Kahlyn sah dem Polizeirat an, dass dieser nichts von dieser Geschichte wusste. Conny hatte also nicht nur dem Oberst die Namen derjenigen nicht genannt, die ihm das vor acht Jahren angetan hatten. Kahlyn wurde bewusst, dass sie so manches Mal Conny sehr Unrecht getan hatte. Er war alles, aber er war nie ein Egoist gewesen. Sie würde sich bei ihm entschuldigen müssen, für die vielen Dinge, die sie ihm während seiner Ausbildung an den Kopf warf. Denn sie sah Conny, auf einmal mit ganz anderen Augen. Wieder sah Kahlyn den Polizeirat an und musterte ihn ausgiebig. Er sollte die gesamte Wahrheit über diesen Kurt erfahren.

Inzwischen kam auch Frau Schwarz mit einer neuen Kanne Kaffee ins Zimmer und gab jeden eine Tasse, fragte Kahlyn wie sie ihren Kaffee trinken wollte.

„Bitte nur Kaffee“, sagte Kahlyn jetzt freundlicher, zu der immer noch weinenden Frau.

Sie schien die ganze Sache, sehr mitgenommen zu haben. Es war immer schlimm, wenn andere so litten, wegen eines Menschen der keinerlei Skrupel kannte.

„Vielen Dank, Frau Schwarz. Weinen sie nicht bitte nicht mehr. Ich verspreche ihnen, ich werde diesen Unmenschen finden, der Conny Lange das angetan hat. Beruhigen sie sich oder soll ich ihnen etwas zur Beruhigung holen“, schlug Kahlyn der immer mehr zitternden Frau vor, die gar nicht in der Lage war, etwas zu sagen. Kurz entschlossen stand sie auf und lief nach draußen zu Gosch, von weiten schon rief sie.

„Gosch ich brauche den Medi-Koffer“, dieser kam ihr entgegen gelaufen und drückte ihn Kahlyn in die Hand.

„Danke.“

Im gleichen Augenblickt lief sie schon zurück ins Haus der Familie, um Kurts Mutter etwas zur Beruhigung zu spritzen. Kahlyn zog für Frau Schwarz eine Einheit N99 auf.

„Frau Schwarz, ich gebe ihnen eine Spritze, die ihnen hilft ruhiger zu werden. Damit sie schneller wirkt, gebe ich es ihnen in die Halsschlagader“, als die Frau sie ängstlich ansah, fügte sie rasch nach. „Keine Angst, das tut nicht weh.“

Sie stellte sich neben die Frau und in dem Moment als diese ausatmete, spritzte sie die Dosis. Sofort räumte sie ihren Koffer wieder auf und stellte ihn neben den Tisch. Kahlyn beobachtete die Frau einen Moment lang. Langsam wurde sie etwas ruhiger und konnte wieder gleichmäßiger atmen.

„Danke“, kam es von ihr. „Langsam wird mir besser“ sprach sie leise zu Kahlyn, die feststellte, dass die Dosis ausreichte und es dieser Frau endlich etwas besser ging.

Kahlyn nahm die Tasse und trank einen Schluck, dann sah sie zum Polizeirat und seiner Frau. Es war immer nicht einfach, solche Dinge anderen zu erklären, doch es musste sein. Sonst würden die Beiden ihr nicht helfen und sie war auf deren Hilfe angewiesen, wenn sie diesen Kurt Schwarz schnell finden wollte. Tief holte Kahlyn Luft und begann den ihr fremden Menschen zu erklären, was dieser Kurt für ein Mensch war.

„Genossen Polizeirat, Frau Schwarz, ich kann ihnen keinen genau Details erzählen, denn der Genosse Lange ist noch nicht wieder ansprechbar. Ich habe ihn erst einmal ruhig gestellt. Aber zu ihrer Information, wäre ich nur zehn Minuten später gekommen, wäre mein Kollege jetzt tot. Ich hätte nichts mehr für ihn tun können. Kurt Schwarz wäre dann ein Mörder. So viel bekam ich in der kurzen Zeit heraus.“ Sie sah noch einmal zu Frau Schwarz, aber dies hatte sich jetzt völlig beruhigt, ihr Herz schlug wieder normal und sie hatte auch aufgehört zu weinen. Also hatte sie jetzt die volle Aufmerksamkeit der Beiden. „Vor ungefähr acht Jahren, das genaue Datum könne wir ihnen noch nicht sagen. Hatte Kurt Schwarz, mit Freunden in der Polizeischule, dasselbe schon einmal mit Conny abgezogen. Diese Unmenschen, wollten nur einmal ausprobieren, wie lange ein Mensch in einem Sarg überleben konnte. Wie kann man als Polizist so etwas tun? Ich kann so etwas einfach nicht begreifen. Wir sind da, um zu beschützen und nicht um Experimente mit Menschen machen… “, wütend holte Kahlyn Luft und schüttelte den Kopf. „… damals schon wäre Conny fast gestorben, weil diese Unmenschen vergaßen, dass man ja auch Zeit dazu braucht, um den Sarg wieder auszubuddeln. Ich weiß von Oberst Fleischer, dass Conny Lange nie gesagt hat, wer an diesem Vorfall beteiligt gewesen ist. Heute weiß ich auch warum. Er wollte ihnen nicht schaden, Genosse Polizeirat. Aber so etwas geht einfach nicht“, ernst sah Kahlyn, zu dem total verstörten Mann und dessen Frau. Beide sahen Kahlyn entsetzt an und konnten nicht glauben, was sie da hörten.

„Das ist nicht wahr.“

Am liebsten wäre Kahlyn an die Decke gegangen, so eine Wut kam in ihr hoch. „Unterstellen sie mir jetzt, dass ich Lügen erfinde. Ich habe noch nie in meinem Leben gelogen und ich werde wegen ihnen Genosse Polizeirat, nicht damit anfangen“, gab sie dem Polizeirat in einem gefährlich leisen, aber sehr scharfen Ton zu verstehen. Der ihren ganzen Unmut zum Ausdruck brachte. Damit dieser begreifen konnte, dass seine Unterstellung von ihr nicht geduldet wurde.

„Oh nein, Leutnant. So hatte ich das nicht gemeint. Ich kann nur nicht verstehen, wieso Kurt, so etwas tut. Wieso ich mich so in ihm getäuscht habe? Wieso ich nie mitbekommen habe, dass mein eigener Sohn so ein … so ein … ach ich weiß nicht als was ich ihn bezeichnen soll. Leutnant, er ist mein Sohn. Ich sollte stolz auf ihn sein und jetzt stellt sich heraus, dass er ein Verbrecher der schlimmsten Sorte ist. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Ich bin mit Leib und Seele Polizist und habe mein ganzes Leben lang gegen Verbrecher gekämpft und nun das. Ich werde ihnen helfen, auch wenn es mir das Herz dabei zerbricht. Es wird mir schwer fallen gegen meinen eigenen Sohn vorzugehen. Aber so etwas kann er nicht tun“, der Polizeirat wurde mit jedem Wort leiser, die letzten Worte hatte er nur noch geflüstert. Tränen der Wut sammelten sich in seinen Augen.

Kahlyn wurde mit jedem Wort klarer, er hatte davon wirklich nichts gewusst oder auch nur einen Schimmer von einer Ahnung gehabt. Sie nahm die Erklärung an und verstand, dass er ihr keine Lügen unterstellte wollte. Sie ihn also nur missverstanden hatte. Um einiges freundlicher sprach sie weiter.

 „Genosse Polizeirat, wenn sie wirklich mit Leib und Seele, Polizist sind, so wie ich, dann helfen sie mir diesen Kurz Schwarz zu finden, bevor er noch mehr Menschen in das Unglück stürzt.“

Schwarz nickte und seine Frau ebenfalls. Kahlyn war froh das sie ihr helfen wollten.

„Wie können wir, meine Frau und ich ihnen helfen?“, offen sah Schwarz, ihr ins Gesicht.

„Erzählen sie mir einfach alles, was sie über die Lieblingsplätze und den Verstecken von Kurt Schwarz wissen. Sorgen sie dafür, dass auch ihre Frau mir alles erzählt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Frauen meisten mehr über die Eigenheiten von bestimmten Personen wissen, als Männer. Es wäre auch gut, wenn sie eine Karte von der Umgebung hier hätten, da ich mich in dieser Gegend nicht sonderlich gut auskenne.“

Lange Zeit saßen die Drei zusammen und redeten über alle möglichen und unmöglichen Varianten. Als sie war damit fertig waren, bat Kahlyn darum, sich im Haus um sehen zu dürfen. Sie ging in alle Zimmer, entdeckten einen Platz in der Scheune, an dem Kurt zum Entsetzen seine Vaters, eine richtig Waffensammlung gelagert hatte. Versteckt hinter einem auf einem Drehgestell, gelagerten Regal mit Werkzeug, verbarg sich ein regelrechtes Waffenlager. Kahlyn stellte schnell fest, dass einige der Waffen fehlten.

Nochmals wurde die Spurensicherung alarmiert und nahmen sich des Hauses der Schwarzes an, um nach verwertbaren Spuren zu suchen. Kahlyn, jedoch verabschiedet sich, um einige der Plätze abzufliegen und zu sehen, ob sie Kurt schon irgendwo entdecken konnte.

Kurz nach 6 Uhr in der Früh, verließ Kahlyn die Familie, die am Boden zerstört war. Fünfzehn Minuten später flog sie mit der vom Polizeirat zur Verfügung gestellten Karte los, um sich einen ersten Eindruck zu machen. Gosch überflog grob das Gebiet von Colbitz, flog auf Kahlyns bitte weiter Richtung Westen. Knappe zehn Kilometer hinter Colbitz, wollte Kahlyn aussteigen.

„Gosch, wie lange kannst du mir noch folgen bis du tanken musst“, wandte sich Kahlyn an ihren Piloten.

Der sah auf seine Tankanzeige. „Circa zwei Stunden noch. Aber, das ist das Maximum. Ich kläre mit dem Oberst ab, ob ich hier in der Nähe auftanken kann, dann bin ich schneller zurück. Nehm das Funkgerät mit, ich rufe dich sobald ich zurück bin.“

Kahlyn überlegte einen kurzen Moment. „Gosch, du fliegst gleich Tanken. Ich will mich da untern erst einmal umsehen. Lass dir Zeit ich glaube nicht, dass ich diesen Kurt jetzt schon finde. Schlafe drei Stunden in einem Bett, dann kommst du mich holen. Es ist Quatsch, wenn du die gesamte Zeit hinter mir her fliegst. Ich laufe erst einmal Richtung Süden, also Richtung Lindhorst. Wenn ich da nichts finde, gehe ich zurück Richtung Westen, Richtung Jägerstieg. Also wirst du mich in circa drei Stunden in westlicher Richtung finden. Ich bin immer noch der Meinung ich sollte Richtung Norden suchen. Will die anderen Richtungen, aber als erstes Ausschließen. Ich nehme keine Ausrüstung mit, ich will Strecke laufen. Verspreche mir das du schläfst“, ernst sah sie Gosch an, der müde wirkte.

„Ja mache ich.“ Antwortet Gosch.

„Das ist gut. Es ist jetzt 6 Uhr 15, du fliegst 9 Uhr 30 wieder los, suchst mich westlich von Colbitz, gegen 10 Uhr solltest du mich gefunden haben. Dann machen wir eine Pause. Also bis dann, ich springe ab, du musst nicht landen.“

„Kahlyn…“

Widerwillig schüttelte sie nur den Kopf. Da schwieg Gosch lieber, er wusste, wenn er sie jetzt reizte, dann ging sie ohne Peilsender und Funkgerät.

„Viel Glück“, rief er deshalb nur.

Kahlyn nahm das nicht mehr wahr. Sein Täubchen hatte auf Durchzug geschaltet. Sie hatte schon die hintere Tür geöffnet und nahm sich eins der blauen Funkgeräte und zwei Akkus, steckte sie in ihren Gurt und sprang unweit der Ortschaft Lindhorst aus dem Helikopter.

Gosch schüttelte den Kopf. Er hatte genau gesehen, dass Kahlyn vor Müdigkeit, kaum noch aus den Augen sehen konnte. Er folgte Kahlyn eine Weile, wie sie mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Süden lief. Immer wieder bewunderte er dieses Mädchen, die auf ebenem Gelände ein sagenhaftes Tempo vorlegte. So schnell hatte er noch nie jemanden laufen sehen. Als sie das Wäldchen im Süden von Lindhorst erreicht hatte, drehte er ab und flog zu dem mit dem Oberst vereinbarten Treffpunkt, wo er den Hubschrauber auftanken konnte, unweit von Lindhorst.

Kahlyn lief Schleifen im Wald, die einfachste Methode Spuren zu entdecken, schnell merkte sie allerdings, dass sie hier nicht finden würde. Sie konnte nicht mal genau sagen, warum das so war, es war einfach so ein Bauchgefühl. Wenn sie einem Täter auf der Spur war, spürte sie das, hier war aber nichts. Also wandte sie sich zurück nach Norden-Westen. Ließ so das Örtchen Lindhorst einfach westlich liegen, kämmte das Wäldchen in Richtung Jägerstieg durch. Am Jägerstieg angekommen, nahm sie dieses Terrain genau unter die Lupe. Merkte bald, dass hier auch keine Spuren zu finden waren. Es war kurz nach halb zehn. Langsam war sie am Ende ihrer Kraft angelangt. Sie musste unbedingt eine Pause machen. Dass konnte sie sich leisten. Die Geisel war in Sicherheit und den Täter konnte sie auch eine Stunde später noch festnehmen. Kahlyn hatte einfach keine Reserven mehr und musste mit dem bisschen, was ihr noch zur Verfügung stand haushalten.

Das Krantonak das sie mit Conny gemacht hatte, fraß ihre letzten Kraftreserven auf. Das Schlimmste war, dass man sie danach nicht hatte schlafen lassen. Deshalb war es schwer für geworden, den Weg zurück zu finden. Am liebsten hätte sie den Drang, für immer zu schlafen nachgegeben. Ihr war im Moment, oft alles zu viel. Ständig hörte man nicht auf sie. Früher konnte sie sich auf ihre Kameraden verlassen, die führten jede Bitte, die sie stellte exakt aus. Ihre Kameraden wussten, dass sie ihr Vertrauen konnten und sie vertraute ihnen. Nie brauchte sie alles, was sie tat begründen und erklären, es reichte wenn sie darum bat, dieses oder jenes zu tun. Kahlyn war im Moment rundherum genervt, weil man ihr in wichtigen Dingen nicht vertraute. Hier musste sie immer alles aufs Genauste erklären und trotzdem machte Niemand, das was sie wollte. Sie verstand einfach nicht, warum das so war.

Allerdings hatte sie sich und Conny über dessen Grab geschworen, diesen Unmenschen dingfest zu machen. Sie hatte noch nie einen Schwur gebrochen, deshalb kam sie zurück: Koste es was es wolle, sie würde dieses Monster finden und wenn es das letzte war, was sie tat. Also musste sie weiter kämpfen, auch wenn sie keine Kraft mehr hatte und die Jagd nach diesem Scheusal aufnehmen.

Kahlyn lief zurück auf ein Feld in Richtung Lindhorst, dort kreiste Gosch schon mit dem Drachen. Sie machte Gosch das Zeichen zur Landung, sie schaffte einfach keinen Aufsprung mehr. Keine zwei Minuten später war gelandet.  

Kahlyn ließ sich auf den Sitz des Co-Piloten fallen, 5 nach 10 Uhr brach sie die Spurensuche ab und Gosch flog zurück zum Stützpunkt. Eine reichliche halbe Stunde später, erreichten sie die Soko. Gosch half Kahlyn aus dem Heli. Sein Täubchen konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, vor Müdigkeit. Sie ging mit Gosch, ohne ein Wort zu sagen, hinter in den Schlafraum. Dort ließ sie sich so dreckig wie sie war, in eins der Betten fallen und schlief sofort fest ein. Der Oberst kam nach hinten und fragte Gosch aus, der zuckte nur mit den Schultern.

„Willy, ich kann dir auch nichts sagen. Sie hat nicht ein Wort mit mir gesprochen, seit dem sie wieder im Drachen war. Aber ich glaube sie hat nichts gefunden, sonst hätte sie die Suche nicht abgebrochen.“

Fleischer klopfte seinem Piloten auf die Schulter.

„Leg dich auch etwas hin, Gosch. Ich wecke dich, wenn sie munter ist. Du nutz ihr nichts, wenn du dich vor Müdigkeit kaum auf den Beinen halten kannst. Ich schicke dir dann auch Arndt. Er holt den Drachen ab, du steigst auf die Cobra um. Guck nicht so. Die Cobra ist fast wie dein Drachen. Du musst ja nicht lange mit dem Heli fliegen, nur bis der Drache wieder voll ist. Dann steigst du auf deinen Drachen um. Aber so hast du Kahlyn immer im Auge. Ich habe noch einmal mit dem Polizeirat über seinen Sohn gesprochen, er gibt zu, dass Kurt zähzornig und unkontrollierbar war, in letzter Zeit. Also seid vorsichtig. Schlaf jetzt.“

Fleischer ließ seinen Piloten und Kahlyn alleine im Schlafraum zurück. Schnell sah er noch nach seinem kleinen Mädchen, die schlief tief und fest. Hoffen wir, so dachte der Oberst bei sich, dass du ihn bald findest. Du gefällst mir gar nicht. Kurz nach 16 Uhr wachte Gosch auf, ausgeschlafen und ausgeruht. Verwundert stellte er fest, dass Kahlyn immer noch schlief. Sechs Stunden, das war für sie eine ungewohnte lange Zeit. Gosch beschloss duschen zu gehen, damit er ganz munter wurde. Ganze fünfundvierzig Minuten nach ihm wachte Kahlyn auf.

Jeder Knochen im Körper tat ihr weh. Bevor sie etwas anderes machte, ging sie Conny suchen. Der lag auf dem Sofa, erzählte mit Mario. Als er Kahlyn sah, wollte er aufstehen. Es ging nicht, sobald er sich bewegte, fing er an zu husten. Kahlyn setzte sich zu ihm und gab ihn einen Kuss auf die Stirn.

„Keine Angst, ich bekomme dich schon wieder hin. Mario, helft ihr Conny bitte hinter in das Zimmer, meine Augen tun weh, bitte.“

Mario stand auf und ging Steven holen. Zusammen trugen sie ihren Kollegen hinten ins Zimmer, wo es dunkel war. Kahlyn ging zu ihrem Doko, auch ihm gab sie einen Kuss.

„Semro, drö, Doko. Teja, kandulu. Sliu, co un at. Piosdi Sliu. Etries, Jawefan, Doko“, sagte sie zu ihm, der nickte.

Steven der gerade mit Mario zurück kam, sah seinen Freund an.

„Was hat sie gesagt, das habe ich nicht verstanden.“

Mario übersetzte, für den noch neuen Kollegen.

„Das heißt: Ich habe keine Zeit, bitte hilf mir, Doko. Hole mich zurück, gebe mir die Injektion C98. Ich breite dir die Spritze vor. Lass mich schlafen, im tiefen Schlaf, Doko“, traurig sah Mario zu seiner kleinen Freundin.

Jacob sah allerdings entsetzt zu Kahlyn. „Nikyta lina?...“ Weiter kam Jacob nicht, denn Kahlyn rastete aus.

„Warum willst du dich gefährden? ...“ Übersetzt Marion sofort.

„Drö Doko? Semro!“, schrie sie Jacob wütend an.

„Hilfst du mir nun? Ich habe keine Zeit!“, flüstert Mario, Steven zu.

Jacob nickte und erhob sich. Erleichtert atmete Kahlyn auf, nahm ihren Medi-Koffer und ging hinter zu Conny. Dort bereitete sie die genannte Injektion vor, die erhitzt werden musste. Dieses C98, war ein Kreislaufmittel, das schlimme Nebenwirkungen hatte und zu inneren Blutungen führen konnte. Deshalb wurde es sehr selten benutzt. Doko Jacob mochte diese Spritze nicht, da einige der Kinder, fast daran gestorben waren. Allerdings wusste er auch, das Kahlyn sonst versuchen würde, es sich alleine zu spritzen, das war noch gefährlicher. Wenn man es zu schnell spritzte, waren die Nebenwirkungen noch schlimmer.

„Kahlyn, muss das wirklich sein“, fragte er ganz vorsichtig.

Kahlyn ging an die Decke, sie war viel zu fertig, um noch normal reagieren zu können. „Entweder hilfst du mir oder du gehst und vor allem lasse mich unbedingt schlafen, im Jawefan.“

Entschlossen drehte sie sich zu Conny um. In einem ganz anderen Ton, sprach sie ruhig auf ihn ein.

„Conny, lege dich hin. Ich muss dein Herz in Ordnung bringen, so geht das nicht. Bitte fange jetzt nicht auch an mit mir zu diskutieren. Ich habe weder die Zeit, noch die Geduld, noch die Nerven dazu. Bitte.“

Lange legte sich hin, wusste er nur zu genau, wenn sein Engelchen in dem Ton sprach, war es besser die Klappe zu halten. Kahlyn, nahm die Brille ab und begann das Krantonak. Das erste Mal in seinem Leben, sah Jacob bewusst diese Heilmethode bei Kahlyn. Nach dreiundvierzig Minuten brach das Krantonak ab, keine zwei Sekunden später, brach sein kleines Mädchen bewusstlos zusammen. Jacob war entsetzt, als er zu ihr lief und die Vitalfunktionen überprüfte. Seine Patientin hatte weder Puls noch Atmung. Eilig holte er die vorbereitete Spritze. Gab ihr diese Injektion, ganz langsam, so wie Kahlyn ihn das Spritzen dieses Medikamentes, schon Dutzend Male gezeigt hatte. Dann begann er mit Herzdruckmassage und Mund zu Mund Beatmung. Conny kniete sich neben Jacob, übernahm die Beatmung. Auf einmal setzte die Atmung wieder ein. Gemeinsam legten sie das Mädchen ins Bett. Eine Ewigkeit später, ganze fünfzig Minuten hatte es gedauert, kam Jacob wieder nach vorn, schneeweiß im Gesicht. Mario ging auf den netten Arzt zu.

„Was ist los, Doktor?“, wollte er wissen.

Doko Jacob war gar nicht in der Lage zu sprechen.

Kurzentschlossen holte Mario dem Arzt einen Kaffee und reichte ihm die Tasse.

„Was ist denn los, Doko?“, wiederholte er seine Frage. „Ist was mit Conny oder …“, wie Schuppen fiel es Mario von den Augen. „Kahlyn, ist sie…“

Jacob schüttelte den Kopf, er hatte sich wieder gefangen. „Nein sie ist nicht Tod. Aber wenn sie so weiter macht, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie es ist“, auf einmal wurde der sonst immer ruhige Jacob, richtig wütend. „Die kann etwas erleben, wenn sie aufsteht, ich bringe sie lieber selber um, als dass ich mit ansehen muss, wie sie sich selber tötet.“

Wütend stand Jacob auf und verließ den Bereitschaftsraum. Er musste ein Stück laufen, um sich zu beruhigen. Mario sah entsetzt zum Oberst. Der zuckte mit den Schultern und ging nach hinten, um zu sehen, was dort wieder los war. Conny saß auf Kahlyns Bett und war fassungslos.

„Conny, was ist los, so hab ich Fritz noch nie erlebt. Der ist vorn gerade ausgeflippt.“

Conny schüttelte den Kopf, er bekam kein Wort heraus, streichelte nur ständig Kahlyns schneeweißes Gesicht. Die jedoch lag da, als wenn sie tot wäre. Langsam ging Oberst Fleischer an das junge Mädchen heran, dass ihm lieb wie eine Tochter war. Fühlte den Puls, der sehr schwach war.

„Conny, hat Kahlyn schon wieder das Krantonak angewendet?“

Der junge Mann nickte traurig. Ihm ging es wieder gut, aber ihr nicht, er könnte heulen. Der Oberst schüttelte wütend den Kopf. Er musste mit Kahlyn reden, wenn der Einsatz vorbei war. So ging das absolut nicht. Sie konnte nicht ständig ihr eigenes Leben in Gefahr bringen.

„Wie geht es dir, Conny? Hat sich das wenigstens gelohnt?“

Erkundigte sich Fleischer bei Conny stattdessen. Im gleichen Augenblick, fiel ihm auf, wie blöd er seine Frage formuliert hatte und hofft sehr, damit seinen Freund nicht noch in Gewissenskonflikte gebracht zu haben. Aber der schien die falsche Wortwahl gar nicht zu bemerken.

„Mir geht es wieder gut, aber zu welchem Preis Willy. Sie war praktisch schon fast tot. Ich weiß nicht, was sie sich da zusammen gemixt hat. Fritz ist jedenfalls fast ausgeflippt eben. Wir müssen mit ihr reden, das ist es doch nicht wert. Verdammt, wenn ihr etwas passiert, damit kann ich nicht leben. Sie ist für mich, wie eine kleine Schwester.“

Oberst Fleischer klopfte Conny auf die Schulter. „Mach dir keine Vorwürfe. Kahlyn ist stark. Conny, das weißt du. Komm lass sie schlafen. Das hilft immer noch am besten bei ihr.“ Fleischer zog den Freund auf die Füße und schob ihn Richtung Tür. „Komm lassen wir sie alleine, dann erholt sie sich am schnellsten“, trotz enormen Widerstandes, schob er Conny vor sich her und aus dem Raum.

Gemeinsam liefen sie nach vorn, in den Bereitschaftsraum. Jacob war in der Zwischenzeit auch wieder eingetroffen und er hatte sich vor allem wieder beruhigt. Lange unterhielten sich die Männer, über das Vorgefallene. Kamen aber alle zu der Einsicht, dass man Kahlyn erst nach dem Einsatz die Leviten lesen sollte. Im Moment war sie für keine Kritik zugänglich. Fast zwei Stunden diskutierten die Männer, wie man dem Mädchen beibringen konnte, dass sie ihr Leben nicht mehr ständig in Gefahr bringen sollte. Als mitten in diese Diskussion hinein Kahlyn sprach.

„Ihr braucht mir nicht zu erklären, was ich nicht machen soll. Ich weiß selber, wie weit ich gehen kann. Das mache ich normalerweise nicht, dass ich so weit gehe. Ich weiß genau, wann ich aufhören muss. Aber Conny darf nicht sterben. Kapiert das eigentlich keiner von euch. Ist euch egal, wenn er stirbt?“

Wütend ließ sie die völlig verblüfften Männer sitzen und ging in die Kochnische, wollte sich etwas zu Essen machen. Walter stand auf und lief zu ihr.

„Kahlyn, ich mach das schon. Setzt dich ruhig einen Moment. Wie viel soll ich dir machen?“

Dankbar streichelte sie seinen Arm. „Zweihundertfünfzig Gramm, Bitte“, antwortete sie leise und setzte sich aufs Sofa.

Sie wollte einfach nur ihre Ruhe, etwas essen und dann los. Sie wusste selber, dass sie am Limit lief. Trotzdem war es notwendig das Krantonak bei Conny noch einmal anzuwenden. Sein Herz hatte regelmäßige Aussetzer, es wäre früher oder später einfach stehen geblieben. Wenn man sie wenigstens würde schlafen lassen. Aber nein, immer wieder wurde sie zurück geholt. Zum Glück, war jetzt wieder fast alles in Ordnung. Vor allem würde Conny auch mit der Erinnerung leben können. Jetzt hieß es nur noch, diesen Kerl zu finden und den Einsatz erfolgreich abzuschließen.

Wie so oft konnte Doko Jacob nicht akzeptieren, was er von Kahlyn an den Kopf geschmissen bekam. Er kam auf sie zu und setzte sich neben sie auf das Sofa. Statt sein Mädchen einfach einmal in Ruhe zu lassen, wenn sie schon so auf Brass war, musste er sie auch noch provozieren.

„Kahlyn, wenn du so etwas wie eben noch einmal machst, rede ich nie wieder ein Wort mit dir. Ich hab dich doch nicht die ganzen Jahre beschützt, damit du dich jetzt selber umbringst.“

Traurig sah Kahlyn ihren Doko an. Was sollte das denn nun wieder heißen? Erst holte er sie zurück und ließ sie nicht schlafen. Obwohl sie ihm extra gesagt hatte, dass er sie im Jawefan schlafen lassen sollte und nun erpresste er sie auch noch. Kapierte er überhaupt nicht, wie wichtig Conny, nicht nur für sie, sondern auch für die Einheit war. Jacob bekam für diese unbedachte Äußerung, sofort eine seelische Ohrfeige, die vom aller Feinsten war. Eigentlich wusste der Arzt, dass seine Kahlyn in solchen Situationen, für nichts zugänglich war.

„Sir, dann müssen sie schweigen, Sir.“

Mehr sagte sein kleines Mädchen nicht, Jacob kapierte im ersten Moment überhaupt nichts mehr. Dachte er stets, dass er einen guten Zugang zu Kahlyn zu hatte und dass sie Ratschläge und Hinweise von ihm dankbar annahm. Wütend über das Verhalten des Mädchens, schüttelte er den Kopf.

„Kahlyn…“

Wütend unterbrach sie ihn, mit leiser eisiger Stimme.

„Sir. Ich denke sie sollten ab jetzt lieber schweigen, SIR?“

Böse sah sie ihren Doko dabei an. Der schluckte die bittere Pille, die er sich eben selber verpasst hatte. Ihm war klar, dass er sich gerade selber, den Zugang zu Kahlyn verbaut hatte. Im Moment kam er nicht mehr an sie heran und daran war er selber schuld. Traurig stand er auf und wollte ihr über den Kopf fahren, allerdings ließ sie das nicht mehr zu und drehte ihren Kopf weg.

Jacob begriff das es war sinnlos, weiter auf seine Kleine einwirken zu wollen, er hatte es gerade gründlich vermasselt. Es würde wieder Monate dauern, ehe er das Vertrauen wieder aufgebaut hatte, wenn er es überhaupt reparieren konnte. Kahlyn konnte in dieser Hinsicht sehr nachtragend sein. War sie einmal so böse auf jemanden, konnte man sie nur schwer vom Gegenteil überzeugen. Wütend auf sich, ging der Arzt zu den Männern und setzte sich an den Tisch.

Walter hatte in der Zwischenzeit den Brei fertig und reichte die Schüssel Kahlyn. Augenblicke später passierte etwas, was den Oberst, der Doko und die Männer von der Soko noch mehr erschreckte, als alles andere. Denn so etwas war noch nie vorgekommen. Da Kahlyn ihren Nahrung immer genoss und es hasste, wenn man mit Essen nicht achtsam umging und es verschwendet wurde. Oft genug gab es deshalb Krach in der Soko, weil der Oberst immer viel zu viel Nahrung für Kahlyn zubereiten ließ.

Kahlyn aß nur zwei oder drei Löffel, dann schmiss sie die Schüssel voller Wut an die Wand. Stand auf und rief nach ihrem Piloten, mit so viel Wut im Bauch, dass allen himmelangst und bange wurde. Den Männern aus der Soko und auch Doko Jacob wurde mit einem Schlag klar, dass sie den Bogen überspannt hatten. Dieser Einsatz, so ahnten sie alle, würde kein gutes Ende nehmen. Der Druck auf Kahlyn, der durch den wochenlangen Stress in der Schule und in Gera, das nicht verstehen all dieser für das Mädchen neuen Situation und die Suche nach Conny, hatten die Kleine völlig aus der Spur geworfen und in eine Ecke gedrückt, aus der sie nur noch mit Aggressivität herauskam.

„Komm Gosch, wir müssen weiter.“

Gosch schüttelte den Kopf, so konnte Kahlyn nicht losgehen, das ging nicht gut.

„Gosch, kommst du oder muss ich den Heli alleine fliegen?“

Gosch sah zum Oberst, bat ihn mit den Augen an um Hilfe. Der unternahm einen letzten Versuch. Auch, wenn er ahnte, dass Kahlyn im Moment nicht ansprechbar war.

„Kahlyn in mein Büro und zwar sofort.“

Sein Mädchen drehte einfach sich um und verließ ohne auf die Aufforderung zu reagieren das Gebäude und lief auf den Drachen zu. Der Oberst schüttelte den Kopf.

„Gosch, hinterher und pass auf die Kleine auf.“

Gosch sprintete los, um Kahlyn noch einzuholen. Gerade wollte sie auf den Pilotensitz steigen, als Gosch den Drachen erreichte.

„Kahlyn, auf die andere Seite und zwar ohne Diskussion. Den Drachen fliege nur ich“, sprach er mit einem bösen Klang in der Stimme.

Kahlyn grinste ihn breit an. „Wusste ich doch, dass ich wenigstens auf dich zählen kann“, drehte sich um, ging auf die andere Seite des Drachens und stieg auf der Seite des Co-Piloten ein. Gosch startete den Hubschrauber und wartete auf die Startfreigabe.

„Sag mal Täubchen, was sollte das eben?“, erkundigte sich der Pilot.

Kahlyn zuckte mit den Schultern. „Gosch, ich habe es so satt, dass man mir ständig sagt, was ich nicht darf. Ich weiß, was ich kann und ich weiß genau, wo meine Grenzen sind. Ihr sprecht immer alle davon, dass ich zu euch Vertrauen haben soll. Aber ihr habt keins zu mir. Verdammt noch mal, ich weiß, was ich mache. Ich mache das seit sechszehn Jahren. Könnt ihr nicht langsam mal einsehen, dass ich weiß, was ich tue. Nur ihr wisst es nicht. Ihr hört mir nie zu. Ihr macht nie das, was ihr machen sollt. Vor allem aber macht ihr nie das, was ich euch sage. Ihr hört mir einfach nicht zu“, mit jedem Satz war sie lauter geworden. „Ich bin doch kein Baby mehr, verdammt nochmal. Jetzt lasse mich mit dem Scheiß in Ruhe. Ich muss mich auf meine Arbeit konzentrieren“, brüllte sie jetzt auch noch ihren Drachenflieger an.

Kahlyn lehnte sie sich zurück und schloss demonstrativ die Augen, um zu zeigen, dass sie zu keiner weiteren Diskussion mehr bereit ist. Kahlyn konzentrierte sich auf ihr Qi um herunterzufahren. Es war nicht gut, so aufgebracht in einen Einsatz zu gehen. Nach fast fünfzehn Minuten, solange nämlich braucht Kahlyn, um sich einigermaßen zu beruhigen, ging ihr Atem wieder etwas ruhiger. Sie fiel ins Jawefan, um sich wenigstens ein wenig zu erholen. Allerdings reichte die Zeit nicht, um sich richtig zu erholen. Weiter zwanzig Minuten später waren sie an der Stelle, an der sie vor zehn Stunden die Suche abgebrochen hatten.

„Gosch, du lässt mich hier raus. Fliegst zum Stützpunkt zurück und legst dich hin. Ich will dich in dreieinhalb Stunden wieder hier haben und zwar ausgeruht. Fange nicht wieder an zu diskutieren. Mein Maß an Diskusionen ist für heute voll. Um 23 Uhr 30 kommst du hier her und suchst mich. Ich durchsuche die Wälder entlang der B189 in Richtung Norden. Du findest mich schon. Es nutzt mir nichts, wenn du hier oben herumschwirrst. Also ab mit dir und lasst mir einfach meine Ruhe. Das kannst du auch den Oberst sagen. Ich habe genug Belehrungen von euch bekommen, für die nächsten zwei Jahre.“

Kahlyn schnappte sie sich zwei Accus von der Rückbank. „Geh auf zehn Meter, ich springe in die Bäume.“

Ignorierte die Antwort von Gosch einfach und kletterte auf die Kufen. Als dieser nicht hören wollte, hängte sie sich an die Kufen und ließ sich aus einer Höhe von fünfzehn Meter fallen. Gosch hatte zu tun, durch die plötzliche Gewichtsverlagerung, das Trudeln des Helis in den Griff zu bekommen. Er war wütend auf sich. Als er den Heli wieder im Griff hatte, sah er Kahlyn schon nicht mehr. Er konnte ihr nur noch per Peilsender folgen. Plötzlich war auch dieser weg. Zwei Minuten später war die Peilung wieder da. Kahlyn schaltete das Funkgerät kurz ein.

„Gosch, wenn du nicht sofort zum Stützpunkt fliegst, schalte ich das Funkgerät ganz ab, schmeiße das Funkgerät weg und gehe ohne weiter. Wenn du mich also dann noch finden willst, verschwinde und zwar sofort“, wütend brüllte Kahlyn in das Funkgerät. Etwas, was ihm bei Kahlyn selten passiert und sie wirklich nur machte, wenn man sie bis zum äußersten gereizt hatte.

„Ist ja gut Täubchen, ich fliege schon. Ich wollte ja nur wissen ob du heil unten angekommen bist. Du bist heute unmöglich.“

Gosch zog den Drachen herum und flog ab.

Was sollte er auch anderes machen, er wusste nur zu genau, was passieren würde, wenn Kahlyn so drauf war. Sie brachte es fertig, schaltete das Funkgerät wirklich aus und schmiss es irgendwo weg. Vor fünf Jahren haben dreißig Leute nach Kahlyn suchen müssen, weil sie bei einem Einsatz, der ähnlich gelagert war wie der heutige, das Funkgerät einfach weggeschmissen hatte. Achtundfünfzig Stunden später fand Rashida, die man extra angefordert hat, sie zweihundertneunundfünfzig Kilometer von dem letzten bekannten Punkt entfernt, schwerverletzt. An den Bäumen waren die vier Geiselnehmer gefesselt und die Geisel kümmerte sich um die hochfiebrige und schwerverletzte Kahlyn. Damals schwor sich Gosch, dass ihm so etwas wie damals, nicht noch einmal passieren würde. Seit dieser Zeit nahm er lieber den Anschiss vom Oberst in Kauf, als zu riskieren, dass Kahlyn wieder das Funkgerät wegschmiss. Mit einem ganz schlechten Gefühl im Bauch, flog Gosch zurück zum Stützpunkt.

Kahlyn allerdings nahm die Spurensuche nach Kurt Schwarz wieder auf. Kontinuierlich suchte sie rechts und links der B189 die Waldstücke in Richtung Dolle ab, eine viertel Stunde nach dem Gosch weggeflogen war, fand sie eine erste Spur. Eine der Schulterklappen von Conny. Sie musste Kurt aus der Tasche gerutscht sein. Er hatte sie sich bestimmt als Trophäe mit genommen, um später damit prahlen zu können. Vorsichtig verfolgte sie, von dort aus dieser Spur. Wie sie sich das schon gedacht hatte, zog die Spur sich immer weiter in Richtung Norden, an Dolle vorbei. Weiter in Richtung Vollenschier, wo die Familie ein Grundstück besaß.

So wie der Polizeirat ihr gestern erzählt hatte, wohnt dort ein Bruder von Kurt, mit seiner Frau und sechs Kindern. Immer schneller, um den Vorsprung zu Kurt zu verkürzen. Der hatte fast zwei Tage Vorsprung. Auf jedes Detail achtend, folgte sie den Spuren. Je sicherer Kahlyn sich wurde, dass sie auf der richtigen Fährte war, umso schneller lief sie. Nach drei Stunden hatte sie den Vorsprung auf wenige Minuten reduziert.

Vorsichtig schlich sie sich an das etwas südlich von der Dorfstraße liegende Gehöft heran, das Gebäude scheint verlassen zu sein. Wo war die dort lebende Familie? Ganz bang wurde ihr bei dem Gedanken, dass der in Panik geratenen Kurt, vielleicht der Familie, die in dem Haus lebte, etwas angetan hatte.

Abgelenkt durch die Gedanken, an Conny, Doko und den Oberst näherte sich Kahlyn, viel zu offen dem Gebäude. Bekam erst als es zu spät war mit, dass sie in eine Falle geraten war. Vom Dach des Gebäudes aus schoss Kurt, auf die unachtsame Kahlyn, die voll in die MG-Salve hineinlief.

Kahlyn beschloss im ersten Moment schlafen zu gehen, dann fielen ihr John, Rudi und vor allem Conny ein. Sie konnte nicht einfach schlafen gehen. Also versuchte sie sich vor einigen der Kugeln in Sicherheit zu bringen. Vier oder fünf bekam sie jedoch ab, weil sie die viel zu spät hatte kommen sehen. Benommen blieb sie liegen auf dem Weg zum Gehöft liegen. Kurt jubelte und stand Freudesprünge machend auf dem Dach. Klettert herunter und schoss der am Boden liegenden Kahlyn, noch einige Kugeln in die Brust und den Rücken. Anschließend trat er sie, mit seinen Stiefeln in die Rippen, den Kopf und den Bauch. Dann lief er jubelnd und lauthals lachend weiter. Ließ die schwer verletzte Kahlyn einfach liegen. Dass das Mädchen bewusstlos war und an ihrem eigenen Blut ersticken könnte, störte Schwarz nicht. Erst eine Stunde nach dem Kurt, von ihr abgelassen hatte, kam Kahlyn wieder richtig zu sich. Mühsam rappelte sie sich auf. Schon seit eine viertel Stunde, versuchte Gosch sein kleines Mädchen per Funk zu erreichen. Seine Stimme klang panisch, er hatte wahnsinnige Angst um sein Täubchen, denn diese meldete sich sonst immer. Wenn sie nicht sprechen konnten, dann schaltete sie das Peilgerät ein und aus, so dass er wusste, dass alles in Ordnung war. Diesmal jedoch bekam der Pilot gar keine Reaktion, dies hieß nichts Gutes.

„Kahlyn, verdammt melde dich. Was ist los mit dir? Warum antwortest du nicht?“, sprach Gosch bestimmt das zwanzigste Mal in das Funkgerät.

Seit Ewigkeiten funkte ihn der Oberst schon an, was sollte er ihm sagen. Er hatte kein Peilsignal von Kahlyn, er flog Schleifen in der Hoffnung sie irgendwo zu sehen. Endlich meldete sie sich und er hörte schon an ihrer Stimme, dass etwas passiert war.

Kahlyn, bat ihn südlich von Vollenschier zu landen und kam nach zehn Minuten schwer verletzt an den Heli. Gosch war entsetzt, als er sie erblickte und wollte ihr einen Vortrag halten. Verstummte jedoch sofort, da ihm sein Täubchen ganz eigenartig ansah.

Flüsterte nur leise und mühsam. „Gosch, drö? Nikyta, levedo! - Hilfst du mir Gosch? Das ist meine Strafe!“

Gosch begriff, was sie meint. Sie war abgelenkt gewesen durch den Streit und hatte nicht richtig aufgepasst.

Er nickte. „Tut mir leid Kahlyn, ich habe dich nicht eher gefunden dein Peilsender ist kaputt. Wirklich es tut mir leid, vertragen wir uns wieder. Bitte.“

Diese nickte und war kaum noch in der Lage zu sprechen. „Gosch, Medo“, hauchte sie.

Der Pilot holte sofort den Medi-Koffer, half so gut er konnte.

Ignorierte den verrücktspielenden Funk völlig. Er wusste, dass der Oberst irgendwann aufhören würde, ihn anzufunken. Denn wenn er nicht in der Lage war an den Funk zu gehen, dann war irgendwas Schlimmes geschehen und er würde sich melden, sobald er dazu Gelegenheit bekam. Es war wichtiger wieder Vertrauen bei seinem Täubchen aufzubauen, denn er sah doch, wo das alles Hingeführte hatte. Unter solchen Bedingungen konnte Kahlyn keinen Einsatz zu einem vernünftigen Ende führen. Also half er ihr erst einmal bei der Versorgung der Schussverletzungen. 

Es waren doch mehr Kugeln die sie getroffen hatten. Neun von den zwölf Kugeln, die Kahlyn getroffen hatten, konnten sie gleich entfernen, auch die beiden gebrochenen Rippen, die in der Lunge steckte, konnten sie selbst sofort medizinisch versorgen. Allerdings, waren drei der Kugeln von hinten in den Körper eingedrungen, die konnte Kahlyn nicht entfernen. Das musste der Doko später operieren. Das waren die Kugeln, die ihr Kurt noch verabreichte, als sie schon bewusstlos am Boden lag. Sie nutzte einen alten Trick, den sie vor acht Jahren schon einmal angewendet hatte. Damals als sie Conny das erste Mal gesucht hatte. Sie setzte Druckverbände ein, um das Bluten zu stoppen.

Gosch wusste nur zu genau, dass es höllische Schmerzen waren, die sein Täubchen jetzt erlitt. Vor einigen Jahren hatte es ihn selber einmal erwischt. Er war danach nicht mehr in der Lage gewesen, sich auch nur einen Meter zu bewegen. Er half so gut es ging, beim Verbinden der Wunden. Kahlyn zog sich dreißig Spritzen mit B32 auf, die sie in die Gürteltaschen steckte. Die fünf weitere spritzt sie sich sofort. Dann gab sie ihrem Piloten das Zeichen, dass sie ein paar Minuten schlafen musste. Er nahm sie einfach in den Arm und hielt sie einfach nur fest. Fast zehn Minuten braucht seine kleine Freundin, bis sie zur Ruhe kam. Dann schlief sie zehn Minuten. Sie stand danach wortlos auf und machte vorsichtig einige Bewegungen. Hockte sich nochmals hin, um sich weitere fünf Spritzen B32 zu geben. Gosch sah sie verzweifelt an, sie musste höllische Schmerzen haben. Allerdings sagte er nichts, er wollte keinen weiteren Streit vom Zaun brechen.

„Gosch, rufe beim Oberst an. Frage nach, wo die Familie ist die hier wohnt, von der mir Polizeirat mir erzählt hat. Er soll jemanden herschicken, um zu kontrollieren, wo die sind und ob bei denen alles in Ordnung ist. Ich habe keine Zeit und keine Nerven dazu, jetzt hier noch zu suchen, das kann eure Truppe machen. Ich hoffe sehr, dass er dieser Familie nichts angetan hat. Ich laufe hinter Kurt her. Gosch, halte einen Abstand von fünf Kilometern zu mir ein. Hoffen wir, dass ich die Spur schnell wieder finde.“

Ohne auf eine Antwort zu warten lief Kahlyn los. Ohne ein Abschiedsgruß und ohne zurück zu gucken. Es war kurz vor halb 2 Uhr in der Früh. Eine halbe Stunde später hatte sie die Spur des Flüchtigen wieder aufgenommen. Lief hinter Schwarz her. Sie beschleunigte das Tempo, auf eine für Gosch kaum vorstellbare Geschwindigkeit. Der Pilot hatte Mühe dem Peilsignal zu folgen. Aber Kahlyn musste sich beeilen, denn Kurt hatte wieder einen Vorsprung von über zwei Stunden. Sie musste einige Pausen einlegen. Fünfmal musste sie sich Schmerzmittel nachspritzen, damit sie die Schmerzen einigermaßen unter Kontrolle bekam. Zur Verwunderung Kahlyns lief Kurt komischerweise wieder zurück in Richtung Süden. Wieso? Was wollte er im Süden? Plötzlich fiel Kahlyn ein, in Theerhütte wohnte Kurts Oma, was immer das hieß. Aber der Polizeirat hatte ihr erzählt, dass er die sehr mochte. Dort wollte er also hin. Hoffentlich erwischte sie ihn noch, bevor er dort ankam.

Kurt Schwarz war gefährlich geworden. Er war der Meinung, dass er alle besiegen konnte. Immer schneller lief sie ihm nach. Nach fast drei Stunden war sie auf wenige Minuten an ihn herangekommen. Plötzlich begann ein schlimmes Unwetter, dem Himmel sei Dank. Vom Polizeirat, wusste Kahlyn, dass sich Kurt vor Gewittern fürchtete, sich stets irgendwo verkroch. So konnte sie sich an ihn heranschleichen. Lange hielt sie dieses Tempo nicht mehr durch. Sie war schon weit übern Limit und bekam kaum noch Luft. Sie brauchte selber eine Pause, der Morgen brach bereits wieder an. Es gewittert immer noch und es regnete, als wenn der Himmel alle Schleusen geöffnet hätte. Gosch hatte sich abgemeldet, er konnte bei dem Wetter nicht fliegen. Er wartete, auf besseres Wetter, auf einem Feld in der Nähe. Es musste kurz vor 5 Uhr sein, als es genauso plötzlich aufhörte zu Gewittern und zu regnen, wie es angefangen hatte.

Endlich entdeckte sie Kurt Schwarz. Schlafend auf einem der überdachten Hochsitze, hatte er es sich bequem gemacht. Keine Minute musste sie überlegen. Kahlyn ging in den Baum, ein Griff in den Nacken und schon schlief Kurt noch fester. Schnell machte sie ihm Handschellen, um die Hand und Fußgelenke. Es waren nicht ganz dreihundert Meter, bis zur Straße nach Theerhütte, an die Straße grenzte ein Feld, das Gosch zur Landung nutzen konnte.

Sie stieß Kurt kurzerhand vom Hochsitz. Ihr war es egal ob er sich etwas bracht. Als er unten aufschlug, nahm sie sein zusammen gebunden Hände und zerrte ihn einfach hinter sich her. In der anderen Hand schleifte sie sein MG am Boden entlang. Einige Male musste sie Pause machen, weil sie einfach keine Luft mehr bekam und nicht mehr weiter konnte. Fast zwanzig Minuten brauchte sie für das kurze Stück bis zum Feld. Einige Male versuchte sich Kurt zu wehren, in dem er sich wand, wie ein Aal. Also legte sie ihn noch einmal schlafen. Dann endlich hatte sie das Feld erreicht. Fixierte jetzt den auf den Bauch liegenden Kurt Schwarz, in dem sie Hände und Füße zusammenband. Dadurch konnte er nicht mehr entkommen und hatte es sehr unbequem. Schwer nach Luft ringend holte sie das Funkgerät heraus und meldete den Einsatz als beendet. Kaum fünf Minuten später landete Gosch neben ihr auf dem Feld. Sofort wollte der Pilot Kurt Schwarz in den Heli bringen, verneinend schüttelte sein Täubchen den Kopf.

„Ich brauche deine Hilfe Gosch. Entweder du hilfst mir kurz oder aber, du gehst in den Wald pinkeln. Das ist mir scheißegal, nur brauche ich deine Antwort, jetzt sofort. Ich brauche noch zehn Minuten Zeit.“

Sie sah Gosch mit einen Blick an, denn dieser noch nie in seinen Leben gesehen hatte und der ihm eine Heidenangst einjagte. Aber er hatte Angst um Kahlyn und wollte sie nicht schon wieder aufregen. Da er wusste sie würde nie etwas Schlechtes tun, nickte er. Auch, wenn er nicht wusste, was Kahlyn vor hatte.

„Ich helfe dir“, meinte er kurz.

Gosch wollte nicht das Kahlyn schon wieder an die Decke ging. Sie sah total schlecht und fertig aus. Konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.

„Dann setze dich, halte seinen Kopf und schließe deine Augen, bis ich dir sage, mache sie wieder auf“, hauchte sie.

Gosch setzte sich und Kahlyn legte den tobenden Kurt ein drittes Mal schlafen. Alleine das hätte als Bestrafung gelangt, die Kopfschmerzen die er haben würde, wenn er wieder zu sich kam, würden von einem anderen Stern sein. Dann tat sie etwas, was sie noch nie gemacht hatte in ihrem Leben. Sie pflanzt Kurt die Erinnerungen in den Kopf, die sie Conny genommen hatte und blockierte alles mit einem Auslöser, der würde der Anblick seiner Mutter sein. Ab diesem Zeitpunkt würde er ständig an sein Verbrechen erinnert. Keiner konnte ihm das nehmen, nur sie alleine.

Es war ihre Art, ihn für das zu bestrafen, was er ihnen jetzt schon zweimal angetan hatte. Selbstjustiz war nicht gut, doch dieser Kerl hat es verdient, dass zu erleben, was er seinem Opfer antat. Es brachte ihn nicht um, auch verletzte es ihn nicht, aber es würde ihn empfänglicher machen, für seine Strafe. Der Hass auf diese Menschen, war fast so stark wie der auf den Oberstleutnant, vermischte sich irgendwie. Eigentlich wusste sie gar nicht mehr richtig, was sie tat.

„Du kannst ihn wegbringen Gosch. Schnalle ihn ja richtig gut an. Nicht, dass er ausversehen aus dem Heli fällt“, flüsterte Kahlyn und stieg in den Hubschrauber.

Erschöpft lehnte sich zurück und schloss die Augen. Gosch brachte den immer noch bewusstlosen Kurt in den Heli. Dort schnallte ihn gut fest und startete sofort. Nach der Startfreigabe, sah er zu Kahlyn, diese schlief. Über Funk informierte er den Oberst, dass der Einsatz mit Aufnahme des Gefangenen beendet sei und sie auf den Rückflug waren.

 

Der Drachen kam gegen 6 Uhr in die Nähe des Stützpunkts, auch informierte Gosch den Oberst über die Verletzungen von Kahlyn. Zwei Minuten nach um 6 Uhr landete er mit dem Drachen, auf dem Stützpunkt und übergab den tobenden Kurt Schwarz an die Kollegen, die Schwarz zum Oberst brachten. Vorsichtig versuchte er Kahlyn zu wecken, langsam wurde sein Täubchen munter.

„Kahlyn, wache auf wir sind da“, sagte Gosch immer wieder. Endlich stieg sie aus. Kahlyn ging auf das Einsatzgebäude zu und betrat den Bereitschaftsraum. Oberst Fleischer sah sie entsetzt an.

„Sir, Einsatz erfolgreich beendet, Sir, der Entführer wurde um 6:02 an sie übergeben“, erklärte sie knapp.

Müde ging sie auf den Medi-Koffer zu, den ihr der Oberst hingestellt hatte. Als Doko Jacob sich erheben wollte, um ihr bei der Versorgung ihrer Wunden zu helfen, sah Kahlyn ihren Doko nur kurz an und schüttelte den Kopf.

Jacob begriff es nicht. „Kahlyn ich will dir nur helfen.“

Das Mädchen schien immer noch wütend auf ihren Doko zu sein. „Sir, wieso reden sie mit mir, Sir. Sie wollten doch für immer schweigen, Sir. Ich traue ihnen nicht mehr, Sir“, beim letzten Wort drehte sich um und ließ den erschrockenen Jacob einfach links liegen.

Oberst Fleischer reichte es, „Kahlyn, was soll das?“, fragte er.

Kahlyn sah ihn an, mit leicht schräg gestelltem Kopf.

„Sir, ich kann mich allein versorgen, Sir. Der Genosse Jacob, sagte mir vorhin sehr direkt, was er von mir hält, Sir. Ich bin kein Baby mehr, Sir. Ich wende das Krantonak, seit fast sechszehn Jahren an, Sir. Ich weiß, wo meine Grenzen liegen, Sir. Mehrmals hatte ich sie alle gebeten, Sir, dass sie mich schlafen zu lassen im Jawefan, Sir. Sie haben es nicht gemacht, Sir. Sie machen nie, was ich ihnen sage, Sir. Ich habe mich in all den Jahren immer selber versorgen müssen, Sir. Glauben sie wirklich, dass ich das nicht kann, Sir. Ich habe mit Verlaub die Schnauzte voll, Sir. Jeder spricht hier von Vertrauen, Sir. Welches ich haben soll, Sir. Nur hat niemand von ihnen, zu mir Vertrauen, Sir. Wo das hinführt, Sir. Das sehen sie nur zu gut an meinen Verletzungen, Sir. Es bringt mich an den Rand meiner Leistungsfähigkeit und lenkt mich von meiner Arbeit ab, Sir. Dies wird mir nicht mehr passieren, Sir. Ich werde niemanden mehr vertrauen, Sir. Damit bin ich immer gut gefahren, Sir. Darf ich mich jetzt verbinden gehen, Sir?“

Kahlyn fing heftig an zu husten und als sie die Hand vom Mund nahm sah man daran Blut, auch wenn sie es sofort abwischte. Sie versuchte krampfhaft Luft zu holen. Die lauten und deutlich gesprochenen Worte hatten sie scheinbar, sehr viel Kraft gekostet. Traurig sah sie dem Oberst in die Augen, der konnte es nicht fassen, dass Kahlyn wieder so blockte. Bevor sein Mädel jedoch ganz verbluten würde, nickte er. Auf dem Boden hatte sich schon eine große Blutlache gebildet.

„Sir, danke, Sir“, zackig knallte Kahlyn die Fersen zusammen und dreht sich mit sehr viel Wut um. Ging ohne weitere Worte, nach hinter in den Raum, in dem sie vor einigen Stunden Conny versorgt hatte. Jacob saß am Tisch und stützte mit den Händen seinen Kopf ab. Der Doko war verzweifelt. Er verstand sein kleines Mädchen nicht mehr. Was würde wohl Dika dazu sagen, wenn er ihr gestand, dass er sämtliches Vertrauen bei Kahlyn zerstört hatte. Müde stand er auf und wandte sich an den Oberst.

„Dann kann ich wohl nach Hause fahren. Könntest du mir ein Taxi rufen, bitte.“

Der Oberst schüttelte den Kopf. „Ich rede noch einmal mit Kahlyn.“

Jacob schüttelte den Kopf. „Lassen sie das lieber, wenn sie nicht wollen, dass Kahlyn sie auch noch von sich wegstößt. Sie beruhigt sich schon irgendwann wieder. Es ist nicht das erste Mal, dass wir uns auf diese Weise zerstritten haben. Lassen sie ihr Zeit. Ich war ja selber schuld.“

Der Oberst glaubte dem Arzt. „Arndt, bitte fliege den Doktor nach Hause. Danke trotzdem, dass sie gekommen sind. Grüßen sie ihre Frau von mir. Nehmen sie es nicht so schwer, ich rede bei Gelegenheit mit ihr, versprochen.“

Traurig nickte Jacob. Conny erhob sich immer noch angeschlagen, kam auf den Arzt zu und nahm ihn in den Arm.

„Doko, ich sehe nach Kahlyn. Von mir lässt sie sich bestimmt helfen.“

Jacob klopfte Conny auf die Schulter. „Danke Conny und gute Besserung“, traurig folgte Jacob Arndt zum Hubschrauber.

Conny ging schwankend nach hinten zu Kahlyn ins Zimmer, um seinem Engelchen bei der Wundversorgung zu helfen und vor allem, um zu sehen wie es ihr ging. Auch er kam wenige Minuten später zurück er war von ihr, aus dem Zimmer geschmissen wurden. Kahlyn, ließ niemanden mehr an sich heran. Zweieinhalb Stunden später, kam Kahlyn völlig mit Blut verschmierte nach vorn und ging weiter in die Dusche. Dort wusch sie sich notdürftig und ging zur Kaffeemaschine. Schwer atmend setzte sie sich an den Tisch, nach dem sie sich eine Tasse Kaffee geholt hatte. Den trank sie ohne ein Wort zu sagen aus. Als die Uhr im Bereitschaftsraum 8 Uhr 40 anzeigte, stand Kahlyn auf und lief zu dem am Tisch sitzenden Oberst.

„Sir, wäre es möglich, dass mich Gosch nach Hause fliegen kann, Sir?“

Der Oberst wollte davon jedoch nichts hören. Er hatte immer noch nicht seine Lektion gelernt und wollte Kahlyn weiterhin seinen Willen aufzwingen.

„Du legst dich bitte erst noch hin und schläfst, ohne Diskussion.“

Kahlyn holte tief Luft und fing schlimm an zu husten. „Sir, es gibt zwei Möglichkeiten die wir jetzt haben, Sir. Die Erste wäre, Sir, kann ich nach Hause laufen, Sir. Aber da besteht die Gefahr, dass ich nie in Gera ankomme, Sir, da ich irgendwo unterwegs verblute, Sir. Oder, Sir, die zweite Möglichkeit die wir haben, wäre die, Sir, sie geben mir den Gosch, Sir, der mich nach Hause fliegt, Sir, dann wissen sie, dass ich in Gera angekommen bin, Sir. Die Entscheidungsgewalt liegt bei ihnen, Sir. Sie können sich gern Zeit lassen, Sir, mit ihrer Entscheidung, Sir. Aber seien sie sich darüber im Klaren, Sir, dass ich nicht ewig warten kann und werde, Sir. Denn ich würde gern zurück zu meiner Einheit, Sir“, beim letzten Wort drehte Kahlyn sich um und verließ das Gebäude. Ging zu dem Heli und setzte sich auf der Seite des Co-Piloten in die Türöffnung, um auf ihren Drachenflieger zu warten.

„Gosch, fliege sie nach Hause. Wir kommen heute sowieso nicht mehr an sie heran. Aber das hat ein Nachspiel, das lasse ich mir nicht gefallen.“

Der Oberst haute mit der Faust auf den Tisch, so wütend war er auf Kahlyn.

„Soll ich noch einmal mit ihr sprechen, Willy?“

Oberst Fleischer schüttelte den Kopf. „Nein, lass mal Gosch, du bist im Moment der Einzige, der noch mit ihr reden kann.“

Tief durchatmend folgte Gosch seinem Täubchen zum Hubschrauber. Kahlyn stieg wortlos in den Hubschrauber ein und rollte sich auf den Sitz zusammen. Gosch startete den Helikopter und flog los. Oft sah er zu seiner kleinen Freundin, die nur so tat als ob sie schlief. Viel zu ungleichmäßig war ihre Atmung und ständig hustete sie Blut. Das war ein Zeichen, dass es ihr verdammt schlecht ging. Vor allem, dass sie nicht schlief. Vorsichtig versuchte er ein Gespräch mit ihr anzufangen.

„Täubchen, können wir reden.“

Sein Täubchen reagierte auch nicht mehr auf ihren Piloten, mit dem sie sich eigentlich immer gut verstanden hatte. Sie schien einfach nur genervt von dem, was heute passiert war. Sie wollte ihre Ruhe und sie war aus irgendeinem Grund wütend auf sich selber.

Warum nur, überlegte Gosch? Was geht in deinem Kopf vor sich, Täubchen? Er konnte es sich fast denken, was mit ihr los war. Sie verstand die Welt nicht mehr. Doko, dem sie immer vertraut hatte, erpresste sie. Der Oberst, zu dem sie immer aufgeschaut hatte, den sie Hochachtung entgegen brachte, behandelte sie als wenn sie unmündig wäre. Selbst Conny, für den sie bereit war zu sterben, überhäufte sie mit Vorwürfen. Was war nur los? Würde sie sich fragen. Hatte sie überreagiert? Lag die Schuld alleine bei ihr? So grübelte er den ganzen Flug, was wohl in seiner kleinen Freundin vor sich ging. Gosch der sonst immer an Kahlyn heran kam, schaffte es nicht sie aus ihrer Grübelei heraus zu holen. Kurz vor Gera, sagte ihr Gosch Bescheid.

„Täubchen, wache auf, wir sind in zehn Minuten da.“

Kahlyn setzte sich sofort hin und starrte aus dem Fenster. Signalisierte Gosch somit, dass sie zu keinem Gespräch mehr bereit war. Er ließ sie in Ruhe. Zwei Minuten vor dem Erreichen der Kreuzung gab er der Wache das Signal für die Absperrung.

Kahlyn kletterte nach hinten. Öffnete die Tür und kletterte ohne ein Wort des Abschiedes aus dem Heli. Schon aus zehn Meter Höhe gab sie Gosch das Zeichen für den Absprung, der war entsetzt. Allerdings wusste er das Kahlyn springen würde, ob er das nun wollte oder nicht. Also hielt er dagegen.

Kahlyn sprang und rollte einige Male ab. Blieb einen Moment liegen, der Aufschlag auf die harte Straße schien ihr die Luft genommen zu haben. Dann stand sie auf und lief ohne einen Gruß in die Wache.

Gosch drehte traurig ab, noch niemals in den letzten elf Jahren, war sie ohne Gruß gegangen. Und sie hatten sich schon einige Male böse gezankt. Er sah nach hinten auf die Rückbank, nicht einmal ihre Schwerter hatte sie mit genommen. Kahlyn stand total neben sich und wusste nicht mehr was sie tat.

Er flog zurück zum Stützpunkt, nachdem er in Gera aufgetankt hatte, berichtete besorgt dem Oberst, dass Kahlyn vollkommen dicht gemacht hatte. Damit war zwar Conny gerettet, aber Kahlyn so schien es, war für die Soko verloren.

Kapitel 4

Der Flug nach Gera war der blanke Horror. Ich fühlte mich wie zerschlagen. Am liebsten wäre ich Gosch um den Hals gefallen und hätte geweint. Ich konnte es nicht. Ich hasste mich für das, was ich getan hatte.

Wie konnte ich mich zu so einer Tat hinreißen lassen? War ich nicht dazu da, um Menschen zu beschützen? Warum hatte ich Kurt das nur angetan? Das zweite Mal in meinem Leben, verstieß ich gegen unsere eigenen Gesetzte, gegen unseren Kodex. Ich konnte es nicht begreifen. Warum hatte ich das getan?

Conny ging es wieder gut und dieser Kurt war eingesperrt. Alles wäre wieder in Ordnung gewesen. Aber ich musste so einen Bockmist bauen. Was ich davon hatte, sah ich jetzt. In meiner Wut auf mich selber, hatte ich alle, wirklich alle, vergrault. Doko, Conny, den Oberst und jetzt auch noch Gosch. Jetzt war ich wieder alleine. Keiner würde mir mein Benehmen verzeihen.

Oh wie traurig mein Gosch war. Ich spürte seine Traurigkeit, obwohl ich ihn nicht ansah. Ich konnte ihn nicht ansehen, schon gar nicht mit ihm sprechen. Ich schämte mich so, für das, was ich getan hatte. Vor allem, weil ich ihn mit da hineingezogen hatte.

„Täubchen wache auf, wir sind in zehn Minuten da“, erklang seine liebe Stimme.

Ich setzte mich auf und kämpfte gegen die Tränen. Es würde ein Abschied für immer sein. Wir würden nie wieder miteinander fliegen. Der Oberst konnte mir nie wieder sein Vertrauen schenken und vor allem das verzeihen, was ich getan hatte. Wie oft hatte er mich vor solchen Taten gewarnt. 'Du bist selber schuld', sagte ich mir, 'du hast dich von deinem Hass leiden lassen. Hass, das wusstest du doch, war kein guter Ratgeber. Also beklage dich jetzt nicht.'

Gosch, machte gerade die Meldung, dass wir in zwei Minuten da wären. Ich kletterte nach hinten und raus aus dem Heli. Ich musste unbedingt hier raus. Ich hielt es nicht mehr aus. Schon in der Höhe von zehn Metern, gab ich Gosch das Zeichen für den Absprung. Ich wollte ihn nicht mehr sehen, sonst würde ich noch anfangen zu heulen. Ich sprang und prallte hart auf die Straße, einige Male überschlug ich mich und blieb einen Moment liegen.

Ich musste mich zusammenreißen, sonst würde ich durchdrehen. Tief atmete ich ein und aus, stand auf und ging ohne zurück zu blicken, grußlos in die Wache. Hätte ich zurück geblickt, hätte jeder meinen Katzenjammer gesehen. Das wollte ich nicht, keiner sollte etwas von meinen Gefühlen ahnen. Also lieber kurz und schmerzlos. Ich ging in die Anmeldung.

„Ines, kannst du bitte nach dem Doko schicken, ich brauche ihn, in circa anderthalb Stunden“, bat ich müde.

Sören sah mich erschrocken an. „Kahlyn, du siehst schrecklich aus. Ich soll…“

„Lass mich in Ruhe, Mensch. Mir ist nach allem, aber nicht nach reden“, unterbrach ich sie einfach und winkte ab.

Eilig lief nach hinten, in den Bereitschaftsraum. Ich hatte keine Lust zum Reden. Mein einziger Wunsch war, endlich duschen, meine Wunden versorge und dann schlafen. Jeder Knochen tat mir weh und ich war so verdammt müde. Tief holte ich Luft und betrat den Bereitschaftsraum.

Wo waren meine Freunde? Verwundert sah ich mich um. Keinen der Männer die dort am Tisch saßen, kannte ich. Was waren das für Leute? Ich drehte mich um, doch es war meine Wache, dort hingen meine Bilder und Ines war ja auch da. Aber, wo waren John und die anderen. Wut kam in mir hoch, die ganze unterdrückte Wut, von den vergangen drei Tagen, die ich kaum bändigen konnte. Jetzt hatten mich auch noch meine letzten Freunde alleine gelassen. Müde und wütend, ging ich zu meinem Spind. Dann überlegte ich es mir anders, Fran war ja nicht mehr da, den ich fragen konnte. Also holte ich mir erst das Wasser und die Lappen, hinten aus dem Wirtschaftsraum. Erst dann ging ich zum Spind, holte meine Waffenkisten und mein Pflegeset. Erschrocken stellte ich fest, dass meine Schwerter und die Tonfa noch im Heli von Gosch lagen. Verdammt noch einmal, das war nicht gut. Ich ging zum Tisch und knallte die Schachteln wütend auf die Tischplatte und lief noch einmal vor in die Wachstube. Die einzigen Menschen, die ich hier noch kannte.

„Ines, könntest du mir bitte einen Gefallen tun, bitte.“

Sören nickte. „Was ist Kahlyn?“

Ich überlegte, wie ich es ihr erklären sollte. „Ines, ich habe keine Lust, mich schon wieder mit Oberst Fleischer von der Soko Tiranus zu streiten. Rufst bitte gleich einmal für mich in der Soko Tiranus an. Bitte sie darum, sie mögen mir meine Schwerter und die Tonfa, per Eilkurier nachschicken. Ich habe sie im Heli vergessen. Ich bin einfach zu müde dazu.“

Sören nickte stumm und sah mich ganz komisch an. Ich drehte mich um und wollte die Wachstube verlassen, als Sören mir noch etwas sagen wollte.

„Kahlyn…“

„Danke Ines, nicht jetzt. Ich bin total fertig, lass mich erst einmal duschen. Ich habe im Moment einfach keine Lust zum Reden.“

Ließ Sören einfach stehen und zum zweiten Mal nicht zu Wort kommen und ging einfach nach hinten in den Bereitschaftsraum. Eine kopfschüttelnde Wachtmeisterin, blieb am Tresen zurück.

Im Bereitschaftsraum starrten mich alle wie einen Alien an. Ja klar, ich war dreckig und blutig, mein Overall war zerrissen, hat deutlich Spuren von Schussverletzungen. Na und? Daran mussten sie sich halt gewöhnen, so sah ich halt immer aus. Müde leerte ich meinen Gürtel und wollte anfangen meine Shuriken zu säubern.

Ein großer Mann mit einer Narbe im Gesicht kam auf mich zu. „Leutnant Kahlyn? Wenn ich das richtig vermute?“, erkundigte er sich, mit einer dunklen angenehmen Stimme.

Ich schaute ihn an, nickte. Ich hatte keine Lust zu reden, konnte denn keiner verstehen, dass ich erst einmal duschen gehen wollte.

„Wären sie so nett und würden mit mir reden, Leutnant?“

Ich schüttelte den Kopf, denn ich wollte nicht reden, sondern erst einmal unter die Dusche. Also widmete ich mich weiter meiner Arbeit und ignorierte den Mann einfach.

Der Oberleutnant wurde langsam ebenfalls wütend, war er es doch nicht gewohnt, dass man ihn einfach ignorierte. Immer mehr, rückte er mir auf die Pelle. Etwas, dass ich für den Tod hasste, wenn ich müde und zerschlagen war. Ich wandte ihm den Kopf kurz zu und schüttelte den Kopf. Dann putzte ich weiter mein Shuriken, begann sie abzutrocknen. Den Kollegen konnte mein Verhalten nicht fassen, es regte ihn langsam aber sicher auf.

„Leutnant Kahlyn, ich habe sie etwas gefragt“, fuhr er mich jetzt zornig an.

Ich knallte das Messer auf den Tisch, drückte den mir jetzt heiß ins Gesicht atmenden Mann, mit einer Hand von mir fort, mit der anderen griff ich in seinen Kehlkopf.

Etries! - Lass mich in Ruhe!“, flüsterte ich, in meiner Sprache, ohne dass ich dies mitbekam.

Immer schneller werdend, schob ich den Kollegen von dem Tisch weg, in Richtung Wand. Der traute sich nicht, mir Wiederstand entgegen zu bringen. Aus Angst, dass ich ihm den Kehlkopf zudrückte. Als ich ihn an der Wand hatte, ließ ich ihn einfach stehen und ging wieder zum Tisch, um mit dem Einfetten der Shuriken weiter zu machen. Der von seiner Umklammerung befreite Kollege, kam wieder auf mich zu. Versuchte mich anzugreifen, ich wich ihm einfach aus und schmiss meine Shuriken auf den Tisch. Griff jetzt ebenfalls an, vielmehr verteidigte mich. Einige wütende, schnelle, sehr heftige Schläge bekam der Kollege trotzdem zu spüren. Auf der freien Fläche angekommen, legte ich ihn mit einen Koshi-guruma, sogenannten Hüftrad auf die Erde. Zog ihm dem Arm auf den Rücken, justierte ihn Arme und Beine mit zwei Achter. So, das Hände und Füße verbunden waren, welches ich aus meiner Overalltasche holte. Ließ ihn so wie er war liegen und ging zurück an den Tisch. Nahm meine Shuriken, fettete sie weiter ein. Einer seiner Kollegen, wollte dem Oberleutnant zu Hilfe kommen. Ich sah ihn nur böse an und schüttelte den Kopf. Reinigte jetzt noch meine Halfter und auch den Gürtel, wachste dann beides ein. Fertig mit meiner Waffenpflege räumte ich meine Sachen auf, schrubbte den Tisch und brachte Eimer und Lappen zurück in den Wirtschaftsraum.

Endlich war ich fertig mit meiner Waffenpflege und konnte duschen gehen. Ich lief an meinen Spind, begann mich auszuziehen. Keiner der Kollegen traute sich, den am Boden liegenden Kollegen zu befreien. Vorsichtig wickelte ich die Verbände ab, sofort fing es wieder an heftig zu bluten. Also verband ich mich wieder. Den Verband von meinem Bein jedoch holte ich herunter. Fertig damit, nahm ich mein Messer und lief auf den immer noch am Boden liegenden Kollegen zu. Langsam ging ich in die Hocke.

 „Rashida? - Beruhigt?“

Wollte ich von ihm wissen. Ohne zu merken, dass ich wieder die Frage in der Schulsprache stellte, die der neue Kollege ja gar nicht verstehen konnte. Der ahnte wohl was ich meinte und nickte. Deshalb schnitt ich ihm die Achter auf, ließ ihn einfach liegen, wo er lag und schmiss das Messer, wütend in den offenen Waffenspind.

Erleichtert, dass ich endlich meine Ruhe hatte, lief weiter nach hinten zu den Wasch- und Duschräumen. Fast eine Stunde stand ich unter der Dusche, jede Faser meiner Muskeln tat weh. Die Verletzungen schmerzten, wie die Hölle. Nachdem es mir etwas besser ging, wusch ich die Wunde an meinem Bein aus. Trocknete mich so gut es halt ging ab und lief wieder zu meinem Spind.

Der Kollege hatte sich immer noch nicht beruhigt und kam schon wieder auf mich zu. In dem Moment allerdings betrat Dr. Karpo in den Bereitschaftsraum. Als er sah wie dieser auf mich zukam, meinte er kurz.

„Ronny, das würde ich an deiner Stelle nicht machen. Kahlyn ist megaschlecht drauf, lass sie einfach in Ruhe. Siehst du nicht, dass sie verletzt ist. Lass mich erst ihre Wunden versorgen, dann könnt ihr alles klären, was ihr zu klären habt“, entschlossen schob er den um vieles größeren Ronny von mir weg.

„Hallo Kleines, wie geht es dir? Du siehst schlecht aus. War wohl hart der Einsatz?“

Ich schaute ihn böse an, so dass Karpo zurück schreckte, in dem Moment erkannte ich meinen Doko. „Drö, lina, sitdu, Doko“, bat ich leise.

Karpo verstand mich nicht. „Kahlyn, ich kann deine Sprache nicht verstehen. Tut mir leid Kleines.“

Müde schaute ich ihn an. „Helf mir bitte, Doko. Ich habe wahnsinnige Schmerzen und habe sehr viel Blut verloren“, wiederholte ich für ihn, das Gesagte, in einer verständlichen Sprache.

Doko nickte mir zu. „Komm“, sagte er nun auch kurz angebunden.

Bückte sich nach dem Medi-Koffer und nahm ihn einfach mit in die Sanistube. Jetzt sah auch der Mann, dass mir Rücken schon wieder das Blut herunter lief.

„Tut mir leid“, entschuldigte er sich kurz und ging einen Schritt weg von mir, so dass ich in die Sanistube konnte.

Sofort wollte der Doko das Licht ausschalten, damit ich mich selber operieren konnte. Dieses Mal schüttelte ich den Kopf. Ich konnte das nicht selber machen, am Rücken konnte ich mich nicht selber operieren. Ich legte mich auf die Liege, atmete mich einfach ein. Karpo entfernte die Verbände.

„Kahlyn, ich brauche Hilfe, alleine kann ich das nicht machen.“

Ich nickte, mir war mittlerweile egal, was er machte. Hauptsache die Schmerzen hörten endlich auf. Er ging zur Tür und rief hinaus in den Bereitschaftsraum.

„Sven ich brauche dich hier drinnen.“

Kurz gab ich dem Doko noch Instruktionen, was er bei der Operation zu beachten hatte. „Doko, bitte nehme, den Kleber und den Brenner, zum Versiegeln und dann die Brandsalbe darauf. Danke Doko.“

Im gleichen Augenblick erschien ein noch sehr junge Kollege und ging ihm schweigend zur Hand. Nach fast drei Stunden hatte Karpo mit seinem Sanitäter meine Wunden versorgt. Drei Kugeln hatte er aus meinem, Rücken heraus operiert. Dem Himmel sei Dank, waren keine inneren Organe schwer verletzt, so dass er alles richten konnte. Karpo verband mich und half mir beim hinsetzen. Schnell spritzte ich mir noch den Heiler F28, das Schmerzmittel B32, dankbar sah ich Karpo an.

Mön Doko. - Danke Doko“, sagte ich und stand auf, verließ die Sanistube.

Karpo setzte sich geschafft, auf einen der Stühle und Sven ebenfalls. Ich dagegen, ging einfach weiter in den Schlafsaal und legte mich hin. Drei Atemzüge später, schlief ich tief und fest.

 

 

 

Kurz nach dem Kahlyn in der Sanistube verschwunden war, tauchte Sender in der Wache auf, von Ines Sören von der Rückkehr Kahlyns informiert. Kaum hatte er die Wache betreten, kam schon Ines Sören auf ihn zugestürmt.

„Rudi, Kahlyn sieht furchtbar aus und so schlimm wie heute, war sie noch nie drauf. Sie ist gar nicht ansprechbar.“

Sender blickte Sören entsetzt an. Verdammt, hörte das nie auf mit der Kleinen. „Wie sie ist schlecht drauf und sieht furchtbar aus?“, Sender konnte es nicht fassen.

„Rudi, ich wollte dich nur vorwarnen, geh selber hinter und sieh sie dir an.“

Sören drehte sich um und ließ den verdutzten Major stehen. Sofort ging er nach hinter in den Bereitschaftsraum. Kaum hatte er diesen betreten, als Ronny Schulze wütend auf ihn zugelaufen kam und sich dabei ständig die Handgelenke rieb. Oh nein, schoss es dem Dienststellenleiter durch den Kopf, bitte nicht. Seine ersten Gedanken wurden allerdings sofort von Ronny Schulze, dem Teamleiter des Beta-Teams, bestätigt.

„Sag mal Rudi, was ist in diese Kahlyn eigentlich gefahren. Die…“

Sender unterbrach ihn

„Ronny, was hatte ich dir erklärt. Hatte ich dir nicht ausdrückliche Anweisungen gegeben, Kahlyn in Ruhe zu lassen, bis ich komme. Ist es eigentlich so schwer sich an klare gestellte Befehle zu halten. Egal, was sie gemacht hat, du bist selber schuld. Was in Teufels Namen, soll ich dir noch erklären, außer, dass Kahlyn manchmal ein wenig schwierig ist. Sie wusste nicht, dass wir nicht mehr hier sind, als sie zu einem Einsatz geholt wurde. Für die Kleene war es bestimmt ein totaler Schock, dass wir alle auf einmal weg waren.“

Schulze schüttelte den Kopf. „Verdammt Rudi, das wollte ich doch gar nicht sagen. Mir ist schon klar, dass ich das provoziert habe. Jedenfalls wurde mir das in den letzten Minuten klar. Aber die Kleine ist echt gut. Ich habe gedacht mir bleibt das Herz stehen. Springt die aus zehn Meter Höhe aus dem Heli raus. Dann sehe ich, dass sie hier fleißig vor sich hin blutet. Aber die putzt erst einmal ganz gemütlich ihre Waffen und geht genauso gemütlich duschen, bevor sie sich verbinden lässt. Ich fasse es einfach nicht. Seit einer halben Stunde ist der Doktor und Sven, drinnen in der Sanistube, um sie zu versorgen. Nicht mal ins Krankenhaus ist Jens mit ihr gefahren. Nichts rein gar nichts, habe ich ihr angesehen, erst als sie sich ausgezogen hat, sah ich die blutdurchdrängten Verbände“, sprudelte es jetzt aus Schulze heraus.

Sender schüttelte den Kopf und setzte sich auf einen der freien Stühle. „Ronny habt ihr einen Kaffee für mich. Violas Gesundheitsbrühe kann man ja nicht trinken.“

Tino, der Koch des Beta-Teams, stand auf, holte Sender einen Kaffee. „Hier Rudi, lass ihn dir schmecken.“

Sender stand auf und nahm seinen Pot Kaffee, lief hinter in das gemeinsame Büro. „Ronny, ich muss mal hinten das Telefon nutzen. Ich will wissen, was da wieder los war, in der Soko Tiranus?“, rief er Schulze zu und verschwand in dem gemeinsamen Büro, um Oberst Fleischer an zu rufen.

Nach einer Stunde kam Sender stöhnend, aus dem Büro, um sich zu den Jungs zu setzten. Ständig raufte er sich die Haare. Er machte sich Vorwürfe, über Vorwürfe. Warum nur hatte er die Kleine nur zur der Soko gehen lassen? Jetzt war sie noch schlechter drauf, als vorher. Immer wieder starrte er auf die Uhr. Fast drei Stunden, war Karpo jetzt schon am Verbinden. Langsam aber sicher, machte er sich große Sorgen. Endlich kurz nach 14 Uhr, öffnete sich die Tür zum Saniraum. Kahlyn kam heraus und ging sofort hinter in Richtung Schlafsaal. Sender erschrak, eingefallen war ihr Gesicht und es sah wieder so grau aus, wie die ersten Tage. Kahlyn, macht gar keinen guten Eindruck auf ihn.

Eine Weile kämpfte er mit sich, dann entschied er sich dazu, zu ihr zu gehen. Vielleich beruhigte es sie ja, wenn sie seine Stimme hörte. Im Schlafsaal ging er hinter zu Kahlyns Bett. Seine Kleene schlief allerdings schon. Er setzte sich zu ihr und sah ihr beim Schlafen zu. Unruhig wälzte sie sich hin und her. Deshalb rutschte er ein Stück an die Wand und nahm sie in den Arm, langsam wurde sie ruhiger. Gleichmäßig wurde ihr Atem und vor allem tiefer. Ein Blick auf die Uhr sagte Sender, dass es jetzt 15 Uhr war. Vorsichtig, um Kahlyn nicht wieder zu wecken, ließ er sie auf das Bett gleiten und deckte sie zu. Eine Weile beobachtete er sie noch, dann ging er vor zu den anderen. Endlich hatte sie etwas Ruhe gefunden.

Karpo saß mit den Männern am Tisch. Sender ging auf ihn zu und klopfte ihn auf die Schulter.

„Na Jens, hat dich die Kleene wieder geschafft?“

Der nickte. „Es war schlimm, Rudi drei Kugeln hab ich aus ihrem Rücken geholt. Eine davon, hätte fast ihr Rückenmark erwischt, eine andere hatte die Lunge verletzt. Wie können die in der Soko, sie so schwerverletzt durch die halbe Republik fliegen lassen? Ich verstehe so etwas nicht.“

Sender nickte. „Tja Jens, das habe ich den Oberst auch gefragt. Du hast ja keine Ahnung, was dort wieder los war. Stellt euch mal vor…“ Nach und nach erzählte Sender, was er vom Oberst erzählt bekommen hatte.

Karpo war schockiert. „Rudi, das ist doch nicht dein Ernst. Sie hat ihren Doko einfach abblitzen lassen, sich nicht bei der Versorgung der Wunden helfen lassen. Ich verstehe das Mädchen nicht. Echt, ich verstehe sie nicht. Aber ich gebe den Leuten von der Soko recht, wir müssen mit ihr in Ruhe mal reden. So geht das nicht.“

Sender sah Karpo eindringlich an. „Ich rede mit ihr. Aber lassen wir sie erst einmal zu Ruhe kommen, du siehst ja, dass sie total überfordert ist. An der Aktion, die sie mit Ronny abgezogen hat. Aber Ronny, du bist ihr doch hoffentlich nicht auf Dauer böse. Sie ist echt, eine Liebe.“

Der lachte schallend. „Nein Rudi, das bin ich sicher nicht. Ich weiß ja, dass ich selber schuld war. Du hattest mich ja vorgewarnt. Aber mich hat das so aufgeregt. Kommt hier rein, sagt keinen Ton, knallte ihre Kisten auf den Tisch verschwindet, kommt zurück, dann diese Sonnenbrille. Ich habe wirklich nicht daran gedacht, dass sie die tragen muss.“

Jetzt fing auch Sender an zu lachen, ging es ihm doch selber so. „Na ja, ich hoffe sehr, dass du die richtige Kahlyn, noch kennen lernst. Sag mal kann ich bei euch Abendbrot mit essen, ich möchte warten bis sie munter wird. Damit sie wenigstens einen Menschen hier kennt.“

Schulze guckte auf die Uhr, es war kurz vor 17 Uhr. „Na, das ist ja noch eine Weile hin. Aber sag mal, wer hat eigentlich die Statistik gemacht, die in deinem Büro liegt. Die ist doch nicht von dir?“

Sender schüttelte den Kopf. „Nee, du weißt doch, dass ich mich damit schwer tue, die hat Kahlyn gemacht, in genau fünfzig Minuten.“

Anerkennend nickte Schulze. „Wirklich übersichtlich und vor allem stimmig…“

In diesem Moment kam Kahlyn um die Ecke.

Sender sprang auf und lief auf seine Kollegin zu. „Kleene, bist du schon ausgeschlafen. Entschuldige, dass ich nicht da war, als du gekommen bist. Aber ich war noch bei einer Besprechung.“

Kahlyn erblickte Sender und fiel ihm einfach weinend um den Hals. „Rudi, ich dachte… ihr habt mich… alle alleine gelassen.“ Der nahm seine Kollegin in den Arm und zog sie an den Tisch. Sofort versteifte sich Kahlyn.

„Ach Kleene, die sind alle nett die Jungs hier. Komm ich stelle sie dir mal vor. Also das hier, ist Ronny der Teamleiter, vom Beta-Team, mit ihm hast du dich ja schon angelegt und bekannt gemacht.“

Schulze hielt ihr die Hand hin. „Sagst du mir jetzt guten Tag, Kahlyn oder willst du mich wieder auf die Matte legen“, fragte er lächelnd.

Kahlyn sah unsicher zu Sender, der nickte ihr aufmunternd zu. Langsam ergriff Kahlyn die Hand von Ronny Schulz.

„Sir, guten Tag, ich bin Leutnant Kahlyn, Sir“, plötzlich sackten ihr die Beine weg.

Sender fing sie auf und führte sie zu einem Stuhl. „Na, so gut geht es dir wohl noch nicht.“

Kahlyn nickte müde.

„Warum bist du dann aufgestanden Kahlyn? Dann schlafe doch noch ein bisschen. Ich warte hier auf dich.“

„Ich habe Hunger Rudi, ich habe vorgestern das Letzte gegessen und schlimmen Durst. Außerdem kann ich nicht mehr schlafen, weil mir so viel durch den Kopf geht.“

Sender nahm seine kleine Freundin in den Arm und drückte sie an sich. „So schlimm meine Kleene? Dann mache ich dir einen Vorschlag. Erst isst und trinkst etwas, dann gehen wir hinter ins Besprechungszimmer und du erzählst mir alles.“

Wieder nickte Kahlyn stumm, zu müde um zu reden.

Tino stand auf „Wie viel soll ich dir machen Kahlyn? Fran hat mir erklärt, wie ich das machen soll, aber ich weiß die Menge nicht mehr. Ach so und was willst du Trinken.“

Kahlyn sah auf den großen rothaarigen Mann, der bedrohlich wirkte, jedoch ein gütiges Gesicht hatte.

„Kahlyn, ich bin hier der Koch“, setzte er schnell hinterher.

Kahlyn, die sich Fremden gegenüber immer etwas schwer tat, sah zu Sender. Der lächelte ihr aufmunternd zu.

„Sir, 100 ml Wasser und drei Messlöffel bitte und einen Kaffee wie John in trinkt bitte, Sir“, bat sie ganz leise.

Sender beugte sich zu ihr. „Kahlyn, die Jungs hier musst du auch nicht mit Sir anreden, genauso wie uns. Der Riese da drüben ist Tino der Koch und ich glaube mit dem hättest du deinen Spaß, beim Nahkampf. Der ist gar nicht so schlecht, fast so gut wie John.“

Tino machte lachend, eine Verbeugung in Richtung Kahlyn und verschwand in Richtung Küche. Keine Minute später, kam er mit einem großen Kaffee zurück und stellte ihn, dem blass aussehenden Mädchen hin.

„Danke“, sagte diese leise. Nach einander stellte Sender, Kahlyn jeden aus dem Beta-Team vor. Aber immer wieder sah Kahlyn, zu Ronny Schulze. Man sah, dass sie mit sich kämpft. Sender der das Mädchen ja nun schon etwas besser kannte, fragte sie deshalb.

„Kleene, was hast du auf dem Herzen? Du kannst mit Ronny reden wie mit jedem anderen in meinem Team.“

Vorsichtig zog Sender die Kleine an seinen Stuhl, so dass er sie in den Arm nehmen konnte. Immer wieder öffnete sie den Mund, dann verließ sie der Mut. Schulze der etwas sagen wollte, wurde durch das Kopfschütteln des Majors, daran gehindert. Wie immer, wenn Kahlyn nervös war, spielte sie ihr Fingerspiel. Ganz leise sagte Sender zu ihr.

„Es ist wegen vorhin.“

Kahlyn nickte und lehnte sich an Sender.

„Dann sag es ihm doch, der tut dich nicht schlagen, keine Angst und würde er es machen wollen. Müsste er erst an mir vorbei.“

Kahlyn schielte hoch zu Rudi, sie war so müde. Sender streichelte ihr die Wange und lächelte ihr zu. Kaum hörbar erklärte sie jetzt ihr Verhalten.

„Sir, ich wollte ihnen vorhin nichts tun, ich habe einige Male versucht ihnen zu sagen, sie sollen mich in Ruhe lassen, Sir. Aber sie haben nicht aufgehört. Es war ein Horroreinsatz und ich war fertig, hatte Schmerzen und wollte endlich unter die Dusche. Ich habe mich mit meinen Freunden zerstritten und wollte einfach nur meine Ruhe. Aber sie haben nicht aufgehört, Sir. Ich wusste mir nicht anders zu helfen, Sir. Ich wollte doch nur unter die Dusche, Sir.“

Kahlyn fing an zu weinen. Auch, wenn keiner es sah, Sender spürte das vibrieren ihres ganzen Körpers.

Ronny Schulze stand auf und kam um den Tisch herum und hockte sich vor das zitternde Mädchen. „Kahlyn, ist nicht schlimm. Können wir trotzdem noch Freunde werden“, er hielt ihr die Hand hin.

Kahlyn zuckte mit den Schultern, nahm aber die Hand. „Sir, was ist mit ihrem Gesicht passiert, Sir?“, mit schiefgehaltenen Kopf musterte sie die Narbe.

„Tja da hab ich irgendwann mal die Nase, zu tief in eine Sache hinein gesteckt, die mich nichts angeht. Aber du gewöhnst dich daran.“

Kahlyn schüttelte den Kopf.

Schulze verstand das völlig falsch. „Glaube mir, du gewöhnst dich daran. Die Jungs hier haben sich alle dran gewöhnt.“

Wieder schüttelte Kahlyn den Kopf. „Sir, so meine ich das nicht, Sir“, erklärte sie ganz leise.

Verwirrt sah Schulze seinen Kollegen an, der wusste allerdings auch nicht, wie sie das meint.

„Wie meinst du das?“ Erkundigte sich Sender bei Kahlyn.

Die Kleine sah müde ihren einzigen Freund an und antwortet ganz leise. „Ich denke, keiner sollte sich an so etwas gewöhnen. Ich kann es weg machen, Rudi, aber nicht heute. Das schaffe ich nicht mehr. Aber irgendwann, wenn es mir mal besser geht, kann ich die Narbe weg machen. Genauso, wie ich das mit dem Herzen von Tim in Ordnung gebracht habe“, erklärte sie Sender leise. „Aber nicht heute, ich habe einfach keine Kraft mehr“, fügte sie noch einmal dazu.

Sender nickte, das glaubt er ihr gerne.

Schulze stand auf und lächelte seine neue Kollegin an. „Ach lass mal, das ist schon gut mit der Narbe, sie erinnert mich jeden Tag daran, vorsichtiger zu sein.“

Schulz ging zu seinem Platz, aber man merkte, dass er es nicht richtig ernst meint.

Tino kam mit Kahlyns Essen. Wie immer, zogen alle die Nase kraus. Das sah nicht nur unappetitlich aus, sondern roch auch noch so. Kahlyn machte sich mit Heißhunger darüber her.

„Na, das scheint dir wohl zu schmecken“, meinte Tino amüsiert.

Kahlyn nickte und langsam, bekam sie etwas Farbe im Gesicht.

Nach dem Kahlyn aufgegessen hatte, erkundigte sich Tino. „Soll ich dir noch etwas machen?“

Kahlyn schüttelte den Kopf.

„Na Kleene wollen wir mal hintergehen und beraten, wie wir dein Problem lösen können oder willst du dich wieder hinlegen.“

Kahlyn stand langsam auf und ging in Richtung Schlafsaal. Sender der nicht wusste, was das sollte, folgte ihr einfach. Er würde ja sehen, wo sie hinging. Kahlyn ging am Schlafsaal vorbei und weiter in das Besprechungszimmer, dort setzte sie sich auf einen Stuhl und zog die Beine auf die Sitzfläche. Als Sender das sah, dachte er so bei sich, oh je so schlimm. Er zog sich ein Stuhl heran und setzte sich Kahlyn gegenüber.

„Na Kleene, was ist in der Soko denn so schief gelaufen, dass du so fertig bist. Es ist doch nicht nur der Einsatz, vor allem nicht die Verletzung, die dich so fertig machen.“

Kahlyn sah ihren Major traurig an. „Rudi, ich habe alles kaputt gemacht. Ich schäme mich so, deshalb habe ich niemanden mehr an mich heran gelassen. Ich habe etwas ganz Schlimmes getan, ich hab mich von meiner Wut überrennen lassen und von meinem Hass. Was dieser Kurt, dem Conny angetan hat, ist das Schlimmste, was man einen Menschen antun kann. Weißt du ich hasse Einsätze, wo ich die Leute persönlich kenne. Da spielen immer Emotionen rein. Ich kann die nicht ausschalten. Ich habe das nie gelernt.“

Sender hörte seiner Kollegin zu. „Ich habe mit dem Oberst gesprochen, der hat mir erzählt, dass Kurt ganz schön ramponiert ausgesehen hat. Aber deshalb, musst du dich doch nicht so fertig machen.“

Kahlyn legte ihren Kopf auf die Knie und weinte.

„Was denn, so schlimm?“ Sender zog seine kleine Freundin, in den Arm. „Kahlyn, er hat ein paar Schrammen, die heilen wieder. Das ist doch nicht so schlimm. Ich hätte ihn wahrscheinlich windelweich geprügelt und nicht nur hinter mir her geschleift.“

Immer wieder schüttelte Kahlyn den Kopf. „Das ist es nicht Rudi, ich habe ihn viel schlimmer verletzt. Man kann das von außen nicht sehen, aber es ist schlimm. Du weißt, dass man mit dem Krantonak, nicht nur heilen kann, man kann auch damit töten. Man kann damit aber auch, Erinnerungen nehmen und sie einer anderen Person einpflanzen“, wieder fing Kahlyn an zu weinen, weil sie sich so schämte. Schluchzend sprach sie weiter. „Er wird genau das fühlen, was er Conny angetan hat. Er wird die Angst kennenlernen vor der Enge, die Angst vor der Dunkelheit, das Gefühl zu ersticken. Verstehst du. Ich habe es gemacht, weil ich so wütend war. Zweimal hat dieses Schwein Conny lebendig begraben. Du weißt ja nicht, wie schlimm das ist. Aber ich weiß es, ich kenne das Gefühl“, brach es aus ihr heraus. „Der Oberstleutnant hat uns mit fünf Jahren in eine Holzkiste gesteckt, Gewichte hinein geworfen und ins Wasser geschmissen. Weißt du wie tief der Stechlinsee ist, fast siebzig Meter. Ich wäre beinah erstickt, genau wie Conny. Es ist dunkel, es kommt das Wasser, aber du kannst nicht heraus. Es ist die Hölle. Ich hab mich von meinen Gefühlen hinreißen lassen und so etwas ist falsch, so etwas darf nicht sein. Ich hasse mich dafür. Rudi, bitte ich will das wieder in Ordnung bringen“, flehentlich und am ganzen Körper zitternd sah Kahlyn auf Sender.

Der Major starrte Kahlyn nur entsetzt an. Nicht weil sie das gemacht hatte, sondern weil sie mit fünf Jahren, so etwas durch machen musste.

„Rudi, Conny war mehr tot als lebendig als ich ihn fand. Ich mag Conny sehr, ich hätte mir nie verziehen, wenn ihm etwas zugestoßen wäre. Aber alle haben nur gemeckert, weil ich so weit gegangen bin, mit dem Krantonak. Aber, was hätte ich machen sollen. Hätte ich es nicht getan, wäre er gestorben. Aber statt das sich alle freuen, dass Conny lebt, meckern alle mit mir rum. Wirklich alle. Ich war wütend auf alle, dann schoss Kurt, erst wollte ich ja schlafen gehen. Aber dann dachte ich an dich, an Conny und an John. Conny der ohne mich keine Chance hat, gesund zu werden. Ich dachte an John und an dich, hatte ich euch doch versprochen, nicht schlafen zu gehen. Also kämpfte ich wieder um mein Leben. Alle haben nur gemeckert mit mir, wirklich alle", laut schluchzte Kahlyn auf. "Sogar der Doko, wollte mich erpressen. Damit ich mich entscheide, zwischen ihn und Conny. Was hatte ich noch für eine Wahl? Sie haben mich nicht schlafen lassen, ich konnte mich nicht erholen. Dann bekam ich Kurt in die Finger, kannst du dir vorstellen, wie wütend ich war. Ich hatte all meine Freunde wegen ihm verloren, beinah noch mein Leben und er lag da, wimmerte, wegen ein paar Schrammen. Er hatte das schlimmste mit jemand gemacht, was man tun kann. Er hatte einen Menschen lebendig begraben und das zwei Mal. Ich konnte genauso wenig klar denken, wie damals in der Höhle, mit den Kindern. Ich hab's einfach getan, ohne nachzudenken und ich hab Gosch, da mit reingezogen. Ich hasse mich dafür.“

Kahlyn fing an, am ganzen Leib zu zittern und bekam rote Flecken im Gesicht.

Sender zog sie sich in den Arm. „Kahlyn, jeder kann das nachvollziehen. Komm bitte mit. Wir rufen jetzt den Oberst an, er soll kommen und wir klären das.“

Kahlyn schüttelte den Kopf. Ganz leise sagte sie. „Er wird es mir nie verzeihen.“

Sender schüttelte den Kopf, nahm Kahlyns Kinn und zwang sie so ihn anzusehen. „Kahlyn, ich bin doch immer ehrlich zu dir gewesen. Wenn ich dir sage, dass der Oberst es verstehen wird, kannst du mir das glauben. Pass auf, du dich legst noch etwas hin und ich rufe den Oberst an. Wollen wir das so machen?“

Kahlyn sah Sender am ganzen Körper zitternd an, nickte dann zögerlich.

„Komm ich helfe dir erst beim Einschlafen und dann rufe ich deinen Oberst an und wir klären das vernünftig.“

Entschlossen stand Sender auf und reichte seiner Kleenen die Hand, um ihr beim Aufstehen zu helfen. Gemeinsam gingen sie in den Schlafsaal, Sender nahm die völlig aufgelöste Kahlyn in den Arm. Nach einer viertel Stunde, war diese endlich eingeschlafen. Sender legte sie ins Bett und ging in sein Büro, um den Oberst Fleischer ein zweites Mal anzurufen.

 

„Major Sender von der Dienststelle 61 Gera, kann ich bitte Oberst Fleischer an den Apparat bekommen“, meldete sich Sender.

„Am Apparat, was kann ich für sie tun Genosse Major“, erkundigte sich der Oberst.

„Willy, hier ist Rudi, Kahlyns neue Vorgesetzter. Wir hatten uns ja schon auf das du geeinigt, oder hat sich da etwas daran geändert?“, neckte er den ranghöheren Offizier.

Lachend antwortete der Oberst. „Nein Rudi, was gibt es? Wie geht es unserem Sorgenkind? Ich hoffe doch wieder besser.“

Sender schüttelte den Kopf. „Nein Willy, es wird ihr auch nicht besser gehen, bevor sie eine Sache oder besser drei Sachen geregelt hat. Du kennst doch das ehrliche Wesen von Kahlyn…“, genau berichtete er dem Oberst, was er gerade von Kahlyn erfahren hatte.

Fleischer erschrak fürchterliche. Es war ihm gar nicht bewusst, dass sie die Kleine so in die Ecke getrieben hatte. Verdammt, nun kannte er die Kleine schon so lange, trotzdem passierten ihm solche Fehler immer noch. Aber auch ihm ging es darum, dass Kahlyn endlich ihre Ruhe fand. Er macht sich große Sorgen, wusste er doch genau, zu was die Kleine alles fähig war. Alleine, dass sie die Absicht hatte für immer schlafen zu gehen, machte ihn Angst. Er wollte seine Kleine nicht verlieren. Kahlyn war ihn ans Herz gewachsen wie eine Tochter, die er nie hatte. Innerlich dankte er Conny, Rudi und John, dass es sie gab. Kurz überschlug er, wie viel Zeit er brauch würde bis Gera.

„Rudi, pass auf wir machen folgendes. Ich habe Kurt noch hier, weil sein Vater mit ihm morgen früh noch einmal sprechen wollte. Also ist das kein Problem. Conny ist auch noch da. Also ich komme mit Gosch, Conny, Kurt und Mario. Arndt schicke ich zu Doko Jacob und der kommt auch her. Das müssten wir in drei Stunden schaffen. Lass die Kleine solange noch schlafen. Dann kann sie das mit Kurt in Ordnung bringen. Im Anschluss können wir uns alle aussprechen. Es kann sein, dass Conny bei Euch schlafen muss. Ihm geht es noch nicht wirklich gut. Er ist tüchtig angeschlagen, wenn auch stabil. In dem Fall, bringe ich Jacob nach Hause und Conny und Arndt bleiben bis morgen bei euch. Also bis später, ich muss das erst einmal organisieren. Schicke mir einige Toniwagen, auf den Flugplatz in Gera. Bis später.“

Sender jedoch rief ins Telefon hinein. „Willy, warte.“

Der Oberst stutzte, fragte nach. „Was ist noch Rudi?“

Erleichtert atmete Sender auf, hatte er doch gedacht Fleischer hätte es nicht mehr gehört und schon aufgelegt. „Willy, du kannst doch, Kurt nicht mit Conny, in einen Heli setzen. Das willst du dem doch nicht etwa antun?“

Der lachte auf. „Du hast Recht, Rudi. Aber das hätte mir Gosch bestimmt auch noch gesagt. Also bis gleich, ich finde da schon eine Regelung“, beim letzten Wort hatte Fleischer aufgelegt.

Sender lehnte sich im Stuhl zurück, na hoffentlich, ging das gut. Er stand auf und ging hinter zu Kahlyn und sah noch einmal nach ihr. Die schlief schon wieder unruhig, also nahm er sie wieder in den Arm, bis sie ruhig und fest schlief. Ach man, wann kommt die Kleine, endlich einmal zur Ruhe, ging es ihm durch den Kopf. Vorsichtig um Kahlyn nicht munter zu machen, legte er sie ins Bett und lief vor zu den Jungs, die bereits am Abendbrottisch sitzen.

„Na, jetzt schläft Kahlyn erst einmal. Also, was gibt es bei euch neues, Ronny. Erzähle.“ Sender setzte sich, an den Tisch und sah seinen Teamchef neugierig an.

„Guckt nicht so. Ich muss mal irgendetwas Nettes hören“, dabei grinste er den Kollegen und Freund an.

„Was ist Rudi, waren die letzten drei Wochen so schlimm?“, stellte Schulze, stattdessen eine Gegenfrage.

„Na ja, die erste ging, aber die letzten beiden Wochen waren die Hölle…“ ruhig, sich kurz fassend erzählte er dem Beta-Team, was sich in der Zeit, als Kahlyn auf der Wache kam, alles ereignet hatte.

Kopfschüttelnd, entsetzt und geschockt hörten die zehn Männer zu. Vergaßen dabei sogar das Essen.

Worte wie: „Das gibt es doch nicht.“

Oder wütendes Geschnaufe von den Kollegen, das sich anhörten, wie: „Ich glaube nicht, was du mir da erzählst.“

„So etwas gibt es doch gar nicht“, gaben die fassungslosen Kollegen von sich.

Karpo der wie Sender ja alles mit erlebt hatte, bis auf die Einsätze, bestätigte allerdings durch Kopfnicken und Haare raufen, was Sender seinen Leuten erzählte. Nach einer ganzen Weile des Schweigens, sah ihn Ronny Schulze dann an.

„Rudi, sag mal wie kann dieses junge Mädchen nach solchen Sachen, noch normal sein. Wir hören das hier nur und mir ist speiübel. Weißt du, da frage ich mich, wieso wir überhaupt bei der Polizei sind? Wenn es in unseren Reihen, solche gewissenlose Menschen gibt. Dagegen müssen wir unbedingt etwas unternehmen. Stelle dir mal vor, die machen noch einmal solche Experimente“, den Kopf auf die Hände gestützt, starrte Ronny Schulze, auf die Tischplatte.

Sender gab dem Kollegen Recht. „Ronny, das habe ich mit in den letzten vierzehn Tagen, auch des Öfteren gefragt“, tief holte Rudi Luft und sprach weiter. „Aber egal was ist, Ronny diese Kleene hat es voll drauf. Die macht Sachen, bei denen du nur so mit den Ohren schlackerst. So lange es um Kampf geht. Können wir alle nur von ihr lernen. Was sie bei dem Einsatz bei Conny gezeigt hat, den du dann gleich kennen lernen wirst, ist einfach unvorstellbar. Aber mir wird angst und bange, wenn ich daran denke, dass sie vom normalen Leben keine Ahnung hat. Ich weiß nicht, wie ich ihr das beibringen soll, wirklich nicht.“

Schulze hob den Kopf und sah Sender an. „Nehm sie einfach an die Hand und führe sie, wie eine Blinde. Schön Schritt für Schritt. Weißt du noch, als ich damals aus dem Koma erwacht bin. Rudi, ich musste das auch, Schritt für Schritt alles erlernen. Es ging schwer, aber ich denke sie ist stark genug, alles zu verstehen. Erkläre ihr all das, was ihr Angst einjagt. Lasse es sie begreifen. Damit meine ich wirklich, dass sie es berühren soll. Was man anfassen kann, macht einen weniger Angst“, erklärte ihm Schulze.

Der sich noch gut an seine Zeit nach dem Koma erinnern konnte, es war ja noch nicht so lange her. Sender sah seinen Kollegen und Freund an, dieser hatte recht.

Oh je, wenn er sich daran erinnerte, als Ronny damals aus dem fast einjährigen Koma, erwacht war. Nie hätte er gedacht, dass der Freund so schnell wieder fit sein würde. Dieser Schock über das entstellte Gesicht, dieser Schock nicht mehr sprechen zu können, nicht mehr zu wissen wie die einfachsten Dinge funktionierten. Keine vier Jahre war das jetzt her, heute war er wieder voll der Alte.

„Du hast Recht Ronny, vielleicht kannst du dich bei Gelegenheit, ja mal mit Kahlyn unterhalten, ihr von deinen Erfahrungen damals erzählen, vielleicht hilft es ihr ja. Vielleicht kann sie dadurch ihre Angst vor allem Neuen überwinden. Wenn ich ehrlich sein soll, weiß ich so manches Mal nicht, was in ihren Kopf vor sich geht. Aber das werden wir bestimmt alles noch lernen. Sie ist doch noch nicht einmal drei Wochen bei uns. Das wird schon.“ Sender schoss gerade ein Gedanke durch den Kopf. „Ronny, sag mal, vielleicht hilft es Kahlyn, wenn sie bei Gelegenheit, mit euch mal einen Einsatz macht, dann lernt ihr sie auch besser kennen und vor allem verliert sie dann die Angst vor euch“, fragend schaute Sender sein Beta-Team an.

Alle wirklich nickten, waren sie durch das gerade Gehörte neugierig geworden, auf das unbekannte Teammitglied.

„Klar können wir das mal machen. Aber im Moment denke ich, sollte sie sich erst einmal auf ihr neues Zuhause konzentrieren. Sie sieht ziemlich fertig aus. Ich denke in den nächsten drei Wochen, werden wir das Alpha-Team, sowieso irgendwann brauchen.“

Sender sah seine Leute erfreut an.

Die Tür zum Flur öffnete sich, Sender schaute auf die Uhr und erschrak. Du lieber Himmel, wo war die Zeit hin, es war schon kurz nach 22 Uhr, fast dreieinhalb Stunden saßen sie jetzt hier am Tisch und unterhielten sich. Das Essen war schon längst kalt geworden.

Wachtmeister Kai Nowotie, brachte Conny, den Oberst und Gosch in den Bereitschaftsraum. Sender erschrak, als er das eingefallen Gesicht, die tiefen Augenringe und das blasse Gesicht von Conny erblickte. War das der junge Mann, mit dem er vor fünf Tagen diesen schweren Einsatz hatte und der Kahlyn so die Stirn geboten hatte. Conny konnte sich kaum, auf den Beinen halten, so schwach war er.

„Conny, komm lege dich auf das Sofa“, Sender ging auf den Freund zu und nahm ihn stützend in den Arm. „Wie geht es dir? Du siehst verdammt schlecht aus, mein Freund“, sprach Sender weiter, weil er nicht so richtig wusste, wie er sich verhalten sollte.

„Guten Abend Willy, guten Abend Gosch. Darf ich euch mein Beta-Team vorstellen“, Sender begann, als er Conny aufs Sofa gelegt hatte, damit alle vorzustellen.

Einfach um etwas Zeit zu gewinnen. Conny war froh, dass er wieder liegen konnte. Er hätte nicht gedacht, dass er noch so wackelig, auf den Beinen war. Der Flug hierher, hatte ihn richtig fertig gemacht. Froh liegen zu können, schloss er die Augen.

„Rudi, wie geht es meinem Engelchen?“, brachte er noch mühsam und schwer atmend hervor.

Sender zuckte mit den Schultern. „Sie schläft, Conny. Aber ich sehe gleich einmal nach ihr. Ronny, sagst du vorn in der Wache bitte Bescheid, wenn Doktor Jacob kommt, soll gleich mal nach Conny sehen. Den Gefangenen, sollen sie gleich runter in die Zelle bringen: Ich will den erst hier oben haben, wenn ich nach ihm schicke oder ihn selber hole. Der Typ ist gefährlich passt also auf“, gab er seinem Teamchef Instruktionen und stand auf.

„Rudi, darf ich mit nach hinten gehen?“, bat ihn Gosch.

Sender nickte, so gingen sie gemeinsam nach hinten, um Kahlyn sehen. Im Schlafsaal, wälzte sich Kahlyn unruhig hin und her. Sender ging auf das unruhig schlafende Mädchen zu und sprach sie leise an. Allerdings reagierte Kahlyn nicht auf ihn. Gosch tippte dem Major auf die Schulter.

„Rudi, darf ich es einmal versuchen?“

Sender nickte dem Piloten zu.

„Nikyta, frido, teja. Nikyta, rafik. Frido, Nikyta! Täubchen, wache auf, ich beschütze dich. Täubchen, deine Freunde sind da. Wache auf mein Täubchen“, übersetzte der Pilot gleich, für Sender das Gesagte.

Kahlyn drehte sich zu ihm um. Erblickte Gosch und fiel ihm weinend um den Hals.

 

Als ich meinen Drachenflieger sah, fing ich an zu weinen und fiel Gosch einfach um den Hals. Nie hätte ich gedacht, dass ich meinen Freund jemals wiedersehen würde. Nicht nachdem, was ich getan hatte. Halb erstickend, unter den Tränen, flüsterte ich Gosch zu.

„Woen, andus Gosch“, Gosch übersetzt für Sender.

„Ich dachte du hast mich verlassen, dass ich dich nie wieder sehe Gosch.“

Mein Drachenflieger drückte mich an sich. „Kahlyn, ich verlasse dich nie, das weißt du doch. Höre auf zu weinen bitte, es bricht mir das Herz.“

Immer noch schluchzend, gegen die Tränen kämpfend, brachte ich mühsam hervor. „Kahlyn, raiko. Junufu, raiko. Rafik.“

Gosch schüttelte den Kopf. „Ich war böse. Ich ersticke an dem bösen, was ich tat. Mein Freund.“

Vorsichtig streichelte er, mein Gesicht. „Nein Kahlyn, du bist nicht böse. Du hast nur etwas Falsches getan. Komm beruhig dich. Gehen wir nach vorn und sprechen miteinander. Egal, was du getan hast, es wird sich regeln lassen.“

Da erblickte ich Sender. „Rudi, ich habe Angst.“

Sender setzte sich zu mir. „Kleene, warum? Keiner reist dir hier den Kopf ab. Keiner, also komm beruhige dich. Sag mal bekommst du schon wieder Fieber?“

Tief atmete ich durch, schaute meine beiden Freunde an und ignorierte die Frage einfach. Ich hatte ganz andere Probleme als meinen Gesundheitszustand.

„Komm“, bat Sender, wie auch Gosch.

Beide hielte mir eine Hand hin. Ich ergriff sie und stand auf. Langsam liefen wir nach vorn. Dort lag Conny, mein allerliebster Freund. Ich lief los, am Sofa angekommen, sah ich ihn liegen und kniete mich davor. Vorsichtig streichelte ich sein Gesicht, den Kopf etwas schräg gehalten.

„Conny, sere? Krös, teja, Rafik.“

Gosch übersetzte für die anderen. „Conny, wie geht es dir? Keine Angst, ich passe auf dich auf, mein Freund.“

Conny jedoch rührte sich nicht, er war fest eingeschlafen. Ich setzte mich auf das Sofa, beobachtete ihn. Sein Herz schlug immer noch nicht richtig, es hatte immer noch Aussetzer.

„Gosch, mako. Asödoah, nisön. Conny, semro, drö, semro, Gosch?“

Der Oberst stöhnte auf, genauso wie Gosch. Zögerlich nickten beide.

„Was hast sie gesagt?“, fragte Sender, von einem zum anderen schauend.

„Rudi, Kahlyn sagte gerade zu Gosch. Ich habe ein Problem, vertraust du mir mein Freund? Conny wird sterben, wenn ich ihm nicht helfe. Dann ist alles zu spät, Gosch.“

Der Oberst schaute mich besorgt an. Allerdings hatte ich ihn noch gar nicht entdeckt. Ich war viel zu sehr auf Conny fixiert. Nahm nichts, um mich herum wahr. Deshalb kam er auf mich zu.

„Hallo Kahlyn, redest du wieder mit mir?“

Erschrocken schaute ich ihn an und wollte sofort aufstehen. Der Oberst drückte mich wieder zurück auf das Sofa. Ich nickte, was bleibt mir denn auch weiter übrig.

„Du willst doch nicht schon wieder das Krantonak anwenden. Weißt du wie du aussiehst Kleines?“

Wieder stieg diese unsagbare Wut in mir auf, weil er mir nicht vertraute. „Sir, sie erzählen mir immer, dass ich ihnen vertrauen soll. Aber nie vertrauen sie mir, Sir. Nie vertraut ihr mir. Ihr seht immer nur das kleine Mädchen in mir. Das macht aber das Krantonak schon seit über fünfzehn Jahren, Sir. Ich weiß doch, was ich tue, Sir. Verdammt nochmal, ich muss es machen, sonst stirbt Conny. Warum verstehen sie das nicht, Sir. Ist es ihnen egal, wenn Conny stirbt, Sir. Mir ist es nicht egal, er ist ein guter Freund. Das gleiche würde ich auch bei ihnen machen, Sir“, sagte ich wütend und sehr laut.

„Kahlyn, das hat nichts mit Vertrauen zu tun. Du warst in den letzten zwei Tagen, zweimal fast tot. Ich kann es nicht ertragen, dass du stirbst, ist das so schlimm.“

Ich starrte ihn ungläubig an. Ich war doch nicht tot. Nicht eine Sekunde war mein Leben in Gefahr. Jetzt auf einmal begriff ich, was los war.

„Sir, ich war nicht tot, Sir. Jetzt begreife ich erst, was los ist, Sir“, ich schüttelte den Kopf.

Der Oberst, Gosch, wie auch Sender sahen mich an, als wenn ich vom Mond kommen würde.

„Kahlyn, wenn jemand keinen Herzschlag und keine Atmung mehr hat, wie nennt man das sonst“, fuhr mich Gosch wütend an.

Ich stützte den Kopf auf die Hände, schüttelte immer wieder verzweifelt den Kopf.

„Rede mit uns“, polterte mich jetzt auch noch der Oberst böse an, dessen Nerven gereizt waren, nach allem, was in den letzten Tag geschehen war.

Tief holte ich Luft, ich überlegte wie ich das erklären sollte, was die Männer so in Aufregung versetzt hatte. „Ich weiß nicht, wie ich das euch erklären soll. Ich habe euch das doch schon so oft erklärt. Nie hört ihr mir zu, verdammt nochmal. Warum könnt ihr mir nicht mal vertrauen und das machen, was ich sage“, fing ich an zu sprechen.

„Was ist da zu erklären, du warst tot, Kahlyn. Zweimal, haben wir dich mit Müh und Not, wieder ins Leben zurück geholt“, schrie mich Gosch wütend an.

Wieder schüttelte ich den Kopf, weil mir klar wurde, dass ich Dinge für selbstverständlich gehalten hatte, die für meine Freunde nicht vorstellbar waren. Für mein Team und mich aber Normalität darstellte. Wie erklärt man so etwas.

„Gosch ich war nicht tot, wirklich nicht. Oh man, ich weiß nicht, wie ich das euch erklären soll“, verzweifelt sah ich zu Sender, der einzige hier im Raum, der im Moment, wie ich glaubte, wirklich zu mir Vertrauen hatte.

In dem Moment ging die Tür zum Flur auf, Arndt erschien gefolgt von Doko und Dika. Ich sprang auf und lief den Beiden entgegen und fiel meinem Doko einfach um den Hals.

„Doko, Dika cankat“, rief ich.

Doko übersetzte für Dika. „Ich bin glücklich, euch zu sehen.“

Dann nahm ich meinen Doko an die Hand und zog ihn einfach mit zum Sofa. „Bitte Doko, du musst mir helfen, zu erklären, was los ist bitte. Schweige nicht mehr“, flehte ich ihn förmlich an.

Der streichelte mir über die Wange. „Das hätte ich nie getan. Doch du wolltest ja nicht mehr mit mir reden. Wobei soll ich dir helfen, Kahlyn?“

Ich sah ihn an. „Setze dich, ich muss etwas erklären und nur du kannst mir dabei helfen. Weil ich nicht weiß, wie ich das erklären soll. Du weißt, was mit mir gewesen ist.“

Doko sah mich verwundert an, er wusste nicht, was ich meine, das sah ich deutlich. Sender holte für alle Stühle und alle setzten sich um das Sofa von Conny herum.

„Doko, weißt du noch, als ich damals vor elf Jahren, so lange in der Kiste eingesperrt war. Du weißt es waren fast sechsundfünfzig Tage, die ich unter Wasser war. Du hast mich damals gefragt, wie ich das überleben konnte. Weißt du das noch?“

Doko nickte. „Du hast mir damals versucht zu erklären, was geschehen war, aber ich weiß nicht mehr genau, wie du das gemeint hast.“

Meine kluge Dika, wusste es noch. „Schatz, Kahlyn hatte uns damals erklärt, dass sie so eine Art Winterschlaf gemacht hat, um Kraft zu sammeln damit sie aus dieser Kiste heraus konnte. Stimmt das so ungefähr, Kahlyn.“

Ich nickte Dika zu. Genauso hatte ich es damals erklärt. Auch Doko fielen jetzt meine Erklärungen von damals wieder ein.

„Doko, das Krantonak, was ich bei Conny machen musste, hat das letzte bisschen Kraft aus mir herausgeholt. Ich war in diesem Schlaf, es verlangsamt den Herzschlag und die Atmung auf ein Minimum. Auf circa einen Schlag pro Stunde, ich dachte du wusstest das noch, deshalb habe ich das nicht erklärt. Du weißt doch sonst immer noch alles.“

Doko sah mich an, er wusste immer noch nicht, worauf ich hinaus wollte. Gosch ebenfalls nicht, verdammt, ich wusste nicht wie ich mich erklären sollte.

„Doko, Oberst, Gosch, bekanntlich ist man erst tot, wenn das Herz gar nicht mehr schlägt. Aber wenn es noch einmal in der Minute oder Stunde oder am Tag schlägt, ist man doch nicht tot, oder?“, verzweifelt sah ich die drei an, alle nicken.

„Seht ihr, ich habe geschlafen. Gosch, als ich dir das mit der Spritze gesagt habe, was habe ich dir da gesagt?“

Der Pilot überlegte lange, bevor er antwortete. „Das, wenn du nicht mehr zu dir kommen solltest, wir dir die Spritze geben sollen. Wenn das nicht hilft dann sollen wir dich schlafen lassen.“

Ich nickte, aber die drei begriffen es nicht. Genau wie Sender es nicht begriff. Man, wie soll ich das erklären?

„Gosch, die Spritze bewirkt, dass ich aus dem Schlaf schneller aufwache, nicht wie sonst üblich zwei oder drei Tage schlafe, sondern höchstens zwanzig oder dreißig Minuten. Bei euch setze ich die Spritze ein, wenn euer Herz stehen bleiben will, es ist so etwas Ähnliches, wie Adrenalin. Bei uns wirkt es, wie ein starkes Aufputschmittel, was uns schneller munter macht. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll. Als ich bei Conny das Krantonak, gemacht habe, war ich fertig. Ich hatte keine Kraft mehr, musste aber weil die Zeit drängte schnell wieder zu Kräften kommen, also ging ich in das Jawefan, den tiefen Schlaf. Da schläft man in Sekunden, einige Stunden. Ähnlich, wie es bei dem Schlaf der Fall ist, den ich dir gelernt habe, Gosch. Nur, dass der noch um einiges tiefer ist und ich den nur als einzige in meinem Team kann. Meine Freunde aus der Schule, können diesen tiefen Schlaf nur durch meine Hilfe erreichen. Ich bin die Einzige, die das alleine kann, das rettete mir damals das Leben. Das Herz schlägt ganz langsam, man kann es bis auf einen Schlag am Tag verlangsamen, wie damals im See. Das Gleiche ist mit der Atmung, die hört praktisch fast auf. Genauso, Doko wie ich es damals gemacht habe, als der Oberstleutnant mich ertränken wollte. Nur dadurch konnte ich überleben. Verstehst du. Die Spritzen sollten nur bewirken, dass ich nicht so lange schlafe, nur ein halbe Stunde. Verdammt nochmal, jetzt weiß ich wenigstens, warum mir alle Knochen im Körper weh tun. Ihr habt Herzdruckmassage gemacht und mich beatmet. Dadurch habt ihr meinen tiefen Schlaf gestört und alle meine Vitalfunktionen durcheinander gebracht. Deshalb konnte ich mich überhaupt nicht erholen und war völlig desorientiert. Jetzt begreife ich, warum ich so fertig bin“, verzweifelt schüttelte ich den Kopf. Warum war nur alles so kompliziert geworden, warum nur? Fragte ich mich nicht das erste Mal in den letzten Wochen.

Doko schaute mich an, dann schüttelte er den Kopf. „Mein Gott, wir hätten dich mit der Herzdruckmassage, töten können.“

Ich nickte, es stimmte was der Doko sagte. Sie hatten damit meine ganzen Körperfunktionen, die auf das Jawefan eingestellt waren, durcheinander gebracht. Deshalb war ich so furchtbar gereizt und völlig durcheinander. Jetzt verstand ich allmählich, was mit mir los war und immer noch ist.

„Wenn ich jetzt, bei Conny das Krantonak mache“, erklärte ich jetzt lieber. „Werde ich im Anschluss das Jawefan machen. Dann lasst ihr mich einfach schlafen, bitte. Dann kann ich mich auch erholen. Das dauert circa dreißig, vierzig oder vielleicht auch sechzig Minuten, nachdem ich die Spritze bekommen habe, bis ich aufwache“, jetzt raufte ich mir meine Stoppelhaare. „Jetzt weiß ich wenigstens, warum ich die letzten beiden Tage so völlig durch den Wind war, das kenne ich nicht an mir. Ihr habt nicht zugelassen, dass ich mich erholen konnte. Verdammt nochmal. Wer kann denn mit so etwas rechnen?“

Mir wurde auf einmal vieles bewusst, was mich seit Tagen beunruhigt hatte. Diese ungewöhnlich Wut, die ich ihn mir hatte. Die Schmerzen und das heftige Brennen in meinem gesamten Körper, die furchtbare Nervosität die von mir Besitz ergriffen hatte, all diese Symptome konnte man auf die Unterbrechung des Jawefan zurückführen.

„Hätte ich es euch doch nur erklärt, aber ich dachte, ihr wisst das noch", dabei sah ich Gosch und den Doko verzweifelt an. "Ich hab doch gedacht, dass ihr das noch wisst. Ich hab dir extra gesagt, lass mich schlafen im Jawefan. Ach man, warum ist nur alles so kompliziert geworden?“, ich stützte meinen Kopf auf die Hände und blieb einen Moment so sitzen.

Bittend blickte ich Sender an. „Rudi, wo kann ich das Krantonak, machen oder kann ich es hier machen, da müsst ihr nur das Licht ausmachen. Vorher, muss ich mir aber eine Spritze aufziehen, damit ich nicht so lange schlafe. Doko, du spritzt mir das C98, dieses starke Kreislaufmittel."

Jacob stöhnte auf und alle starrten den Arzt an.

Genervt sah ich den Doko an. "Doko ich weiß, die Spritze hat schlimme Nebenwirkungen. Aber es geht nun mal nicht anders. Conny stirbt, wenn ich ihm nicht bald helfe. Verdammt nochmal."

Widerstrebend nickte Doko jetzt, man sah ihm an, dass ihm nicht wohl bei der Sache war.

"Ihr lasst mich nach dem Krantonak solange schlafen, bis ich aus dem Jawefan, von ganz allein erwache. KEINE Herzdruckmassage, KEINE Beatmung, habt ihr das verstanden?", betonte ich das Wort 'keine' besonders stark. "Ich muss mich unbedingt etwas erholen. Ich bin schon seit Monaten weit über dem Limit meiner Leistungsgrenze, bitte gebt mir die Möglichkeit mich zu erholen. Ich muss dann noch einmal das Krantonak machen. Dazu brauche ich einfach etwas Kraft. Bitte vertraut mir nur das eine Mal, nur Conny zu liebe, bitte. Danach müsst ihr mir nie wieder vertrauen.“

Alle nickten. Auch wenn sie ziemlich ängstlich dreinschauten. Ich stand auf und ging zu meinem Spind und holte den Medi-Koffer dazu. Schnell zog ich die Spritzen auf. Zwei A97, was die Sauerstoffversorgung im Blut erhöht, ein N91, für Conny zur Beruhigung, außerdem bereite ich die C98 für mich vor.

„Rudi, können wir das Licht ausmachen bitte“, bat ich meinen Teamleiter, der nickte und ging zum Lichtschalter, machte die Beleuchtung aus.

Ich nahm meine Brille ab und drückte sie dem Oberst in die Hand. Sofort zündete ich den Brenner und bereitete so die Spritzen vor, die N91 und die C98. Legte die fertigen Spritzen in den Ampullenkoffer. Gab mir als erstes eine Injektion A97, im Anschluss Conny ebenfalls, dann gab ich ihm die N91. Fertig damit atmete ich mich tief in mein Qi, diesmal musste ich Conny hinbekommen. Es konnte doch nicht sein, dass sich mein Kollege und Freund überhaupt nicht mehr erholte. Als ich in einem gleichmäßigen Atemrhythmus war, begann ich mit dem Krantonak. Fast fünfzig Minuten brauchte ich, um die letzten Auswirkungen des traumatischen Erlebnisses zu beseitigen. Auf einmal atmete Conny wieder gleichmäßig, das Herz hatte seinen richtigen Rhythmus wieder gefunden.

Ich brach das Krantonak bei Conny ab und stand auf, lief zu dem Teamleiter von Beta-Team. Der saß am Tisch, ich setzte mich einfach auf seinen Schoss. Es war egal, mir würde es sowieso, gleich nicht sonderlich gut gehen, da konnte ich die fünf Minuten bei Schulze auch noch investieren und auf diese Weise einen Menschen helfen, der in seinem Gesicht schwer entstellt war.

„Gosch, komm bitte einmal zu mir“, bat ich meinen Piloten leise.

Mein Drachenflieger stand nur einen halben Meter hinter mir. Ich reichte ihm die Hand, denn Gosch konnte in dem dunklen Raum fast nichts sehen.

„Bitte halte Rony im sicheren Griff. Er darf nicht zappeln“, erklärte ich ihm

Gosch stellte sich hinter Schulze und nahm dessen Kopf in einen Griff, aus dem der Teamchef des Beta-Teams sich alleine nicht befreien konnte. Den ich Gosch schon einige Male gezeigt hatte, weil er mir oft bei der Wundversorgung helfen musste, wenn ich in der Soko war. „Ronny schließe die Augen, es tut nicht weh. Du musst mir nur vertrauen.“

Schulze schloss gehorsam die Augen und Gosch nahm dessen Kopf fest in die Hände. Tief atmete ich einige Male durch und aktivierte meine letzen Reserven. Entschlossen auch meinem neuen und so entstellten Kollegen zu helfen, öffnete ich die Augen. Durch das Krantonak, veränderte ich die vernarbte Hautstruktur und ebnete sie. Erreichte dadurch, dass die schlimme Wölbung der Narbe verschwand. Langsam verbanden sich die beiden getrennten Gewebeteile und ergaben wieder eine glatte Fläche. Es war viel schlimmer, als ich erst dachte. Das Gesicht des Kollegen war schlimmer zerstört, als ich erst vermutet hatte. Fast fünfzehn Minuten brauchte ich, um die Entstellung im Gesicht des Teamleiters zu beseitigen. Diese Narbe war schon sehr verdammt alt, mindestens fünf Jahre. Da war es schwer, die ursprüngliche Struktur wieder herzustellen. Ich verstand einfach nicht, dass die Ärzte solche schlimmen Narben zulassen konnten. Mit einer speziellen Operationstechnik, wäre solch eine Narbenbildung zu verhindern gewesen. Allerdings war ich froh darüber, dass ich noch eine Möglichkeit fand, die Narbe vollständig wegzumachen.

Erschöpft schloss ich meine Augen und schwankte bedächtig. Der Oberst der mich schon die ganze Zeit besorgt beobachtet hatte und sah wie ich stürzte, fing mich auf bevor ich den Boden erreiche. Das bekam ich allerdings gar nicht mehr mit.

Fleischer rief Sender zu. „Licht an.“

Sofort ging das Licht an und der Oberst setzte mir meine Brille auf. Im Anschluss trug er mich mit Goschs Hilfe, zum Sofa auf dem auch Conny lag. Sie legten mich einfach, auf die andere Seite des Sofas. Doko kam und gab mir die Spritze. Nach dem er die Spritze gegeben hatte, stand er da und wusste nicht, was er machen soll. Alles in ihm schrie danach, seinem Mädchen durch Herzdruckmassage zu helfen, obwohl ich ihm extra erklärt hatte, sie sollten mich schlafen lassen.

Die nächsten dreißig Minuten wurden für alle im Raum Anwesenden die pure Hölle, weil keiner genau wusste, bin ich nun tot oder war es das Jawefan? Da ich weder einen spürbaren Herzschlag hatte und sie auch keinerlei Atmung feststellen konnten.

Nach fünfunddreißig Minuten im Jawefan, fing ich für alle an sichtbar zu atmen, kräftig und gleichmäßig. Alle atmeten auf, keiner, wirklich keiner, hatte mehr damit gerechnet. Sender ließ sich auf den nächsten Stuhl fallen. Er zitterte am ganzen Körper, stützte seinen Kopf auf die Hände und fing an zu weinen. Er konnte einfach nicht mehr, er dachte die ganze Zeit, seine Kleene war tot. Doko ging zu ihm und gab ihm eine Injektion mit N12, einem leichten Beruhigungsmittel, weil dieser kurz davor war durchzudrehen.

Nach weiteren zehn Minuten im tiefen Schlaf, wachte ich erholt auf. Ich setzte mich hin, atmete einige Male tief durch. Sah nach Conny, der fest schlief und dann nach Ronny Schulz. Dessen Gesicht wieder wie neu war. Es freute mich, dass ich das noch so gut hinbekommen und vor allem geschafft hatte. Es war nicht gut, wenn Menschen entstellt aussahen. Das hat sich keiner verdient, nicht einmal meinen ärgsten Feinden würde ich solch eine Narbe wünschen. Dann ging ich zu meinem Major, der immer noch zitternd und wie ein Häufchen Unglück, auf dem Stuhl saß. Setzte mich einfach auf dessen Beine und nahm ihn in den Arm, hielt ihn einfach fest.

„Rudi, was ist los? Warum zitterst du so? Es ist doch alles in Ordnung. Conny geht es wieder gut. Von Ronny Schulze das Gesicht ist auch wieder in Ordnung. Komm beruhige dich“, um ihn abzulenken, gab ich ihm einen Kuss auf die Stirn.

Mein Major atmete tief ein. „Kahlyn wenn du so etwas noch einmal machst, bringe ich dich um. Ich dachte du bist tot. Verdammt noch mal“, wütend schaute er mich an.

Aber warum? Ich hatte ihm genau erklärt, dass ich nur schlafe. „Ist schon gut, Rudi. Ich mache so etwas ganz selten. Also rege dich nicht mehr auf“, versuchte ich ihm im ruhigen Ton zu erklären, wandte mich dann aber an die anderen.

„Können wir dann hinter ins Besprechungszimmer gehen? Bitte ich muss mit euch einiges erklären. Es ist wichtig. Rudi, Ronny kommt ihr bitte auch mit“, ich stand auf und ging einfach zu dem Thema über, was mich am meisten beschäftigte.

 

Im Besprechungszimmer angekommen, setzte ich mich auf den Tisch, der vorne an der Tafel stand. Ich musste versuchen, bei dem, was ich meinen Freunden erklären musste, ruhig zu bleiben. Am besten konnte ich das immer noch, wenn ich im Schneidersitz saß, da konnte ich mich besser auf mein Qi konzentrieren.

Es würde mir schwer fallen, alles zu erklären, aber sie mussten es verstehen. Ich schämte mich für das, was ich aus meiner Wut heraus getan hatte. Ich wusste jetzt aber auch, dass ich nicht mehr klar denken konnte. Durch das Unterbrechen des Jawefan, kam es zu einem Stau von Gefühlen. Dadurch war das klare Denken einfach nicht mehr möglich. Trotzdem war das alles keine Entschuldigung, für mein unmögliches Verhalten. Ich neigte ja schnell einmal dazu, etwas über zu reagieren, aber nicht in diesem Ausmaß. Das alles hätte einfach nicht passieren dürfen und um eine Wiederholung zu vermeiden, mussten meine Freunde verstehen können, warum das alles passiert war. Das war nur möglich, wenn sie alle Fakten kannten und wussten, was ihr Verhalten in mir ausgelöst hatte. Ich hoffte nur sehr, dass es meine Freunde verstehen und sie mir dann vielleicht verzeihen konnte.

Der Oberst kam auf mich zu und wollte mit mir reden. Aber ich konnte jetzt nicht mit ihm reden. Ich war einfach nur wütend auf mich. Aber auch auf meine Freunde, weil sie mir nie Vertrauen entgegen brachten. Vor allem hatte ich eine riesige Angst vor dem, was danach kommen und wie sie auf alles reagieren würden.

„Sir, bitte können wir später reden, es fällt mir sowieso schon schwer, über das Geschehene mit euch zu sprechen, Sir“, ich sah ihn offen an.

Der Oberst nickte und holte sich einen Stuhl, setzte sich direkt vor den Tisch. Als alle sich gesetzt hatten, wurde es ruhig im Raum. Auch Conny war gekommen, er sah wieder viel besser aus, wenn auch total übermüdet. Das würde sich nach zwei oder drei Tagen aber wieder geben. Erleichtert begann ich mit dem, was mich so schwer beschäftigte.

„Ich weiß nicht ob ihr mir verzeihen könnt, was ich getan habe. Aber ich möchte wenigstens versuchen, euch zu erklären, warum das alles geschehen ist“, ich rieb mir nervös mein Genick und versuchte mich zu beruhigen. „Als ich Conny gefunden hatte, habt ihr mich wirklich total in die Ecke getrieben, alle wie ihr hier sitzt. Vor allem du Doko, du kennst mich nun schon so lange. Ich dachte immer du vertraust mir. Aber du vertraust mir immer noch nicht und das macht mich total traurig", lange sah ich meinen Doko an. Ich glaube er begriff jetzt, wie sehr mich sein Verhalten verletzt hatte. "Ich weiß jetzt auch, warum ihr mich so in die Ecke gedrängt habt. Ihr habt nicht direkt Schuld an der Situation. Wenn jemand einen Schuld trägt, dann ich. Aber auch mich trifft nicht wirklich eine Schuld, sondern es ist die momentane Situation, die mich zum Teil völlig überfordert. Aber das alles ändert nichts an der Tatsache, dass ich mich die letzten Tage gefühlt habe, wie ein gehetztes Tier. Deshalb habt ihr Reaktionen von mir bekommen, die ihr absolut nicht verstehen konntet und die eigentlich untypisch für mich sind. Ich weiß, dass es nichts gibt, das mein Verhalten entschuldigen kann. Es hätte einfach nicht geschehen dürfen. Trotzdem möchte ich, dass ihr versteht, weshalb das alles passieren konnte, um Wiederholungen solcher Vorfälle in Zukunft zu verhindern“, erklärte ich meinen Freunden und Kollegen offen.

Wieder machte ich eine Pause, sah alle im Raum, auch Ronny, offen an. Keiner verstand so richtig, worauf ich hinaus wollte. Also musste ich alles erklären, mir blieb aber auch nichts erspart.

„Wisst ihr, für mich ist es verdammt schwer, euren Gedankengängen zu folgen. Meine Freunde in der Schule und ich, waren unser ganzes Leben lang miteinander verbunden. Deshalb wussten wir stets, wie der andere sich fühlt oder was in ihm vorgeht. Erst seit dem ich bei euch bin, muss ich über diese Dinge reden. Das habe ich aber nie gelernt. Außerdem kann ich absolut nicht einschätzen, was ihr wisst und was ihr nicht wisst. Was bei euch anders ist als bei mir, wir haben es immer akzeptiert, wie es ist. Woher soll ich das also wissen? Ihr habt immer über eure Gefühle geredet und könnt sagen, bis hierher und nicht weiter. Ich brauchte das nie, meine Freunde spürten, wenn es mir nicht gut ging oder sie mich in die Ecke getrieben haben. Vor allem fehlen mir oft die Worte, um euch Dinge zu erklären, die ihr gar nicht kennt. Es gibt keine Worte in eurer Sprache für diese Begriffe. Das macht die ganze Sache so verdammt kompliziert. An alles kann auch ich nicht denken, obwohl ich mir Mühe gebe es zu tun. Oft weiß ich gar nicht, wie ich all die Dinge in mir erklären soll und das ihr nicht wisst, dass ich etwas kann, was ihr nicht könnt. Für meine Freunde und mich sind diese Sachen, die wir machen oder nicht machen, Normalität. Genau wie für euch das Atmen, Schlucken oder Husten normal ist und es für euch normal ist über Gefühle zu sprechen. Könnt ihr euch vorstellen wie schwierig das oft für mich ist?", ernst blickte ich meine neuen und alten Kollegen an und mein Blick blieb verzweifelt an meiner Dika und dem guten alten Doko hängen.

Beide sahen mich aufmunternd lächelnd an. "Deshalb meine Kleine, sind solche Gespräche wichtig Kahlyn und ich finde es gut, dass du hier so offen redest. Ich weiß, dass dir das sehr schwer fällt", konnte sich der Doko nicht verkneifen zu sagen.

Ich wusste nur zu genau, was er meinte. Solche Gespräche, hatten wir in der Schule oft geführt. Auch wenn Doko nie alles verstanden hatte, was ich ihm erklären wollte in diesen Gesprächen, brachte es uns Stück für Stück näher. In der Schule waren solche Gespräche leichter, denn da waren meine Freunde, die mich unterstützten und eingriffen, wenn mir die Worte fehlten. Hier war ich alleine auf mich gestellt und bekam keinerlei Hilfe. Trotzdem musste ich versuchen es zu erklären.

"Vor drei Tagen, als du mich angerufen hast, Oberst. Brachen bei mir alte Wunden auf. Vor elf Jahren, gab es zwischen dem Oberstleutnant und einigen von uns, Krein, Duira, Sneimy, Riona, Feanu und mir eine böse Auseinandersetzung. Wir bekamen richtig Streit mit ihm, weil er Cankat fast totgeschlagen hatte. Doko du weißt wie Cankat hinterher ausgesehen hatte. Es gab keinen Knochen in dessen Körper der nicht mindestens einmal gebrochen war. So hatte ihn dieses verdammte Dreckschwein zusammengeschlagen. Wir versorgten Cankat, mit deiner Hilfe Doko. Du warst damals so verrückt, dass du den Oberstleutnant umbringen wolltest. Wir hielten dich nur mit Mühe vor diesem Fehler ab. Im Anschluss diskutierten wir in der Gruppe, wie es mit Mayer weitergehen sollte und gingen zu Sechst in das Büro vom Oberstleutnant. Wir wollten es uns nicht mehr gefallen lassen, dass er nur wegen einer verlorenen gegangen Waffe, jemanden von uns fast tot schlägt. Wir gingen hin, um in Ruhe mit ihm zu sprechen. Aber mit diesem Unmenschen kann man nicht reden. Es geht einfach nicht“, mühsam versuchte ich mich zu beruhigen und atmete mich in meine Qi ein, um weitersprechen zu können. „Im Anschluss an das Gespräch wurden wir an die Gestelle im Hof gehängt und ausgepeitscht, so schlimm, wie noch nie zu vor. Rudi, ich habe dir gesagt, dass wir versucht haben, uns gegen den Oberstleutnant zur Wehr zu setzen. Dieses Gespräch ist der Grund, warum wir das nie wieder getan haben. Ich habe es immer verhindert, aus Angst, dass er noch mehr von uns tötet. Vielleicht verstehst du es jetzt besser, warum wir uns von diesem Unmenschen ständig so behandeln ließen. Doko, du weißt, wie wir nach drei Tagen noch aussahen. Die Haut hing uns in Fetzen vom Rücken. Ich versorgte alle, dann kam ich zu dir, um auch die Wunden auf meinem Körper versorgen zu lassen. Du hast geweint damals. Ich werde das nie vergessen und auch nicht die Wut die du damals hattest. Nur mit Mühe konnte ich dich davon abhalten, den Oberstleutnant zur Rechenschaft zu ziehen. Danach bekamen wir, so sagte dir der Oberstleutnant einen Sondereinsatz, nur die sechs die im Hof gehangen hatten. Wir hatten kaum noch Kraft und nur wenige Minuten geschlafen. Wir wurden nach Brandenburg geschickt, in ein riesiges Holzlager. Dort mussten wir jeder eine Kiste bauen, die stabil genug war, um einen Höhenfall von zwanzig Meter auszuhalten. Ich bin handwerklich nicht sonderlich begabt, man kann halt nicht alles können. Darum baute ich wohl neun oder zehn dieser Kisten, bis endlich eine den Sturz überleb hatte. Dann mussten wir die Kisten auf ein Floß legen, das dort am Ufer lag. Die Kisten so weiß ich heute, waren keine Kisten, sondern Särge. Auf dem Floß, mitten im See, bekamen wir unsere eigentliche Strafe. Nur deshalb Rudi, weil wir uns ein einziges Mal gegen den Oberstleutnant zu Wehr gesetzt hatten. Danach haben wir es nie wieder gemacht. Rudi nie wieder haben wir uns gewehrt, nie wieder habe ich zugelassen, dass meine Freunde sich solcher Gefahr ausgesetzt haben. Wir haben danach alles geschluckt und jede Schikane wortlos über uns ergehen lassen. Was blieb uns denn anderes übrig?“, verzweifelt versuchte ich die Bilder der Erinnerung aus dem Kopf zu bekommen. „Wir fuhren mit einem Floß und den Kisten auf den Stechlinsee hinaus. Der ist über vier Quadratkilometer groß bis zur, wie ich heute weiß, an der tiefsten Stelle des Sees, die neunundsechzig Meter misst. Dort mussten wir in die Kisten klettern. Er legte in jede der Kisten große Gewichte hinein, so dass die Kiste noch schwerer wurde und noch schneller nach unten sank. Als wir nicht in die Särge steigen wollten schoss er auf uns. Der Oberstleutnant und einer seiner Mitarbeiter, der Betreuer Reimund, verschlossen die Kisten mit über fünfzig Schrauben und sicherten sie zusätzliche mit Seilen, damit wir nicht aus der Kiste heraus kommen konnten. Dann schoben sie die Kisten einfach vom Floß. Sie gingen durch das enorme Gewicht sofort unter. Ich habe keine Ahnung, wieso meine Kiste abgetrieben ist. Vielleicht lag es daran, weil ich nicht so schwer war wie meine Kameraden. Ich wiege ja ungefähr dreißig bis sechzig Kilo weniger, als alle anderen aus meinem Team. Jedenfalls blieb meine Kiste in etwa fünfundvierzig Meter Tiefe, auf einem kleinen Felsvorsprung hängen. Das rettete mir das Leben und die Tatsache, dass ich das Jawefan kann. Ich bin die einzige die es alleine kann, die anderen benötigen dazu immer meine Hilfe. Nach fast sechsundfünfzig Tagen hatte ich mich soweit erholt und so viel Kraft gesammelt, dass ich mich irgendwie aus meiner Kiste befreien konnte. Ich vermute, die war halt doch nicht so stabil, wie die Kisten die die anderen gebaut hatten. Ich kann so etwas halt nicht besonders gut.“  

Ich starrte hoch an die Decke und rieb mir mein Genick, es war so verdammt schwer darüber zu sprechen, ohne sich an diese schlimme Zeit zu erinnern. Langsam sprach ich weiter.

„Irgendwie hatte ich es jedenfalls geschafft, die Seitenwand der Kiste zu zertreten, in Panik bekommt man wahnsinnige Kräfte. Ich bekam ein Loch in die Wand und kam dadurch frei. Ich schwamm an die Oberfläche des Sees und rang nach Atem und schwamm erst einmal ans Ufer. Dort waren die anderen nicht. Ich hatte damals keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, aber ich wollte wissen ob meine Leute noch leben. Hoffte so, dass sie sich irgendwie ins Jawefan retten konnten und auch überlebt hatten. Ich schwamm zurück an die Position, an der ich vermutete, dass die anderen sind und begann zu tauchen. Ich schaffte es aber nicht. Ich kam nicht zu ihnen hinunter. Nach drei Tagen gab ich auf, sie waren einfach zu tief gesunken, auch konnte ich sie weder fühlen, noch hören. Ich kann ohne Tauchanzug, nur bis in eine Tiefe von fünfzig maximal aber fünfundfünfzig Metern tauchen. Meine Freunde lagen noch um einiges tiefer. Sie waren tot, das wurde mir nach den vielen Tagen auch klar. So lief ich nach Hause, in meine Schule und war die Einzige, die Mayers Gemeinheit überlebt hatte“, ich sah Sender traurig an. „Verstehst du Rudi, warum wir uns nie wieder gewehrt haben. Fünf meiner Leute sind auf die bestialischste Art gestorben, die du dir nur vorstellen kannst: Lebendig begraben und mit in einem See versenkt. Nur weil wir uns ein einziges Mal gegen den Oberstleutnant aufgelehnt haben. Weil wir es uns einmal nicht gefallen lassen wollten, wie er uns behandelt hat. Glaubst du wirklich, dass wir das noch einmal riskiert haben.“

Ich starrte auf meine Finger, die nervös spielten, dann fing ich an zu weinen. Als der Oberst mich trösten wollte, drehte ich mich weg.

„Lass gut sein Oberst, bitte“, presste ich zwischen den Zähnen heraus. Ich konnte keine Nähe ertragen.

Fleischer setzte sich wieder auf seinen Platz, wusste er doch, dass ich, wenn ich so reagiere, kaum ansprechbar war und mich erst beruhigen musste. Tief atmete ich mich in die Taiji-Atmung, um runterzufahren. Ganz leise mehr für mich selber sprach ich weiter.

„Ich brauchte fast drei Tage, um nach Hause zu finden, weil ich ja nicht wusste, wo ich war. Es ist eine Gegend gewesen in der ich noch nie zuvor operiert hatte und mich absolut nicht auskannte. Wenn mich Pepe nicht gefunden hätte, ich hätte nicht gewusst, was ich machen sollte. Ich ging nachdem ich in der Schule ankam gleich zu Doko, wollte nur festgehalten werden. Hatte wahnsinnige Angst, durch zu drehen und in meinem Hass dem Oberstleutnant etwas anzutun. Doko erzählte mir dann, dass wir seit zweiundsechzig Tagen als tot galten, der Oberstleutnant den anderen erzählt hatte, dass wir desertiert wären. Ich wollte zu meinen Kameraden, doch die waren im Einsatz, so hatte ich einige Tage Zeit, um gesund zu werden. Doko und Dika haben sich gut um mich gekümmert und so hatte ich mich wieder beruhigt, als der Oberstleutnant mit den anderen zurück kam. Ich wurde zur Bestrafung, weil ich überlebt hatte und zurück gekommen war, wieder im Hof ausgepeitscht. So hielt der Oberstleutnant seine Geschichte von unserer Flucht aufrecht. Er hat ja bis heute noch keine Ahnung, dass wir auf unsere Art miteinander reden. Danach ging alles wieder wie gewohnt, doch er hat mir nie verziehen, dass ich wieder gekommen bin. Danach wurden die Bestrafungen immer schlimmer. Na egal.“ Ich rieb ich mir das Gesicht und sah zu Conny, der mich entsetzt ansah. „Conny, warum hast du mir das nie erzählt, was Kurt und seine Freunde mit dir gemacht haben. Ich hätte dir viel eher helfen können damit klar zu kommen. Du hättest dich nicht so lange damit quälen müssen.“

Der zuckte mit den Schultern und schenkte mir allerdings sein schönstes Lächeln, das tat so gut.

„Als du verschwunden warst Conny und mich der Oberst so verzweifelt anrief, war mir fast sofort bewusst, dass das irgendwie mit diesem Kurt zusammenhing. Durch das, was du bei dem Einsatz gesagt hast. 'Ich werde jeden Tag daran erinnert, was du mir angetan hast.' Der Satz sagte so viel über eure Beziehung aus und erklärte mir deine überzogene Reaktion, deinem Kollegen gegenüber. Die völlig untypisch für dich war. Ich fragte also den Oberst, warum du schon so lange weißes Haar hast, der erzählte mir dann, was dir passiert ist. Also wurde mir klar, dass sich Kurt ein zweites Mal an dir gerächt hat. Ich fand dich mehr tot als lebendig. Zehn Minuten später, Conny hätte ich nichts mehr für dich tun können“, wieder zwang mich das Rasen meines Herzens dazu, eine Pause zu machen.

Conny wollte etwas sagen, schüttelte ich nur den Kopf.

„Nicht Conny, es fällt mir sowieso schwer über all das zu reden. Ich wendete schon im Heli das Krantonak an, sagte Gosch genau was er machen soll. Bat ihn darum, dass er mir, wenn ich nicht mehr zu mir komme, das C99 spritzen soll und mich dann einfach schlafen zu lassen. Ich war viel zu aufgewühlt, um daran zu denken, dass keiner von euch von meiner Fähigkeit dem Jawefan, eine Ahnung hatte. Ihr kennt das ja nur, wenn ich das mit meinen Leuten mache. Verdammt, es ist alles so kompliziert geworden, ich kann doch auch nicht an alles denken. Ich dachte es reicht, dass ich sage, man soll mich schlafen lassen. Ich habe es euch immer wieder gesagt. Dadurch, dass ihr versucht habt mich zurück zu holen, ist aber keine Erholungsphase möglich gewesen. Ich wachte mit wahnsinnigen Schmerzen auf und fühlte mich völlig zerschlagen. Ich begriff nicht wieso es mir so schlecht ging. Normalerweis wacht man aus dem Jawefan gut erholt auf, ist genauso einsatzbereit, wie vor dem Zusammenbruch. Ich schob das alles auf die schlimmen letzten Wochen. Dann sah ich, dass es dir immer noch so schlecht ging Conny. Dein Herz hatte schlimme Aussetzer, es wäre in den nächsten Stunden einfach stehen geblieben, mein Freund. Was blieb mir also anders übrig, als das Krantonak noch einmal anzuwenden. Aber ich konnte es aber nicht im Hellen machen, meine Augen brannten sowieso schon wie Feuer. Durch das Krantonak, dass ich im Heli gemacht hatte. Deshalb bat ich, dass man dich nach hinten bringt. Wieder wollte keiner von euch auf mich hören. Es war wie immer, ständig muss ich alles bis zum kleinsten Detail erklären. Dazu hatte ich in der Verfassung, in die ihr mich unabsichtlich gebracht hattet, einfach keinen Nerv mehr. Oberst, mir lief die Zeit davon. Ich war seit vielen Monaten schon weit über dem Limit und ihr wollte laufend mit mir diskutieren, über Sachen die einfach getan werden mussten. Verdammt nochmal, ich kann einen Freund nicht einfach sterben lassen. Aber ich hatte einfach keine Kraft mehr, für diese Art von Gesprächen. Ich wollte den Einsatz endlich beenden und schlafen. Verstehst du“, fragend schaute ich zum Oberst.

Der Soko Chef nickte. Er hatte endlich begriffen, in was für einer Zwickmühle ich mich befand.

„Ich konnte mich kaum, auf den Beinen halten, das weiß ich um einiges besser als ihr. Aber da war ein Freund den es richtig schlecht ging und ich bekam statt Hilfe, von euch nur Vorwürfe und Hindernisse in den Weg geräumt. Vor allem wart ihr mir vor, ich würde mit meinem Leben spielen. So einen Quatsch, dachte ich immer wieder bei mir, ich erhole mich so schnell im Jawefan, dass es keiner von Euch begreifen kann. Dann flog ich mit Gosch los. Im Heli machte ich noch einmal das Jawefan, ungestört durch euch und fühlte mich danach um einige besser. Aber es reichte nicht aus, um mich vollständig zu erholen. Nach der Pause und nachdem ich geschlafen hatte, sah ich, dass dein Herz immer noch nicht richtig im Rhythmus war. Ich bat Doko, der ja jetzt da war, mir das C98 zu spritzen, nahm halt an, dass er noch genau wusste, dass man uns danach in Ruhe lassen muss. Wir hatten das in der Schule oft genug verwendet, Doko, so oft haben wir das nach Einsätzen genutzt, woher sollte ich wissen, dass du das nicht mehr weist. Ich hab dir sogar gesagt, du sollst mich schlafen lassen, im tiefen Schlaf. Was sollte ich denn noch machen? Aber wieder habt ihr mich aus dem Jawefan heraus geholt. Mir ging es richtig beschissen. Ich bekam kaum noch Luft und jeder Knochen und Muskel tat mir weh. Dann stelltest du mich vor die Wahl, Conny oder du würdest nie wieder mit mir sprechen. Ich verstand die Welt nicht mehr Doko. Ich riskiere mein Leben, um das Leben von Conny zu retten und du machst mir Vorwürfe. Jeder machte mir Vorwürfe, statt sich zu freuen, dass Conny noch lebt. Keiner ließ zu, dass ich mich erholen konnte und dass ich schlafen konnte. Ich war in einer Welt zwischen Normalität und Wahnsinn gefangen und hatte das Gefühl jeden Moment durchzudrehen. Ich glaube, ich habe zum Schluss gar nicht mehr Kurt gejagt, sondern den Oberstleutnant. Jedenfalls kann ich mich nicht dran erinnern, dass ich Kurt festgesetzt habe. In meiner Erinnerung habe ich den Oberstleutnant gejagt. Der schoss dann mit dem MG auf mich und anschließend, als ich am Boden lag, mit der Pistole und trat mit den Stiefeln auf mich ein. Im ersten Moment, wollte ich für immer schlafen gehen. Ja guckt nicht so, ich konnte einfach nicht mehr. Dann fiel mir Conny ein, sein Herz es schlug immer noch nicht richtig. Es fiel mir ein, dass ich John und dir, Rudi, versprochen hatte, nicht schlafen zu gehen, das holte mich zurück. Ich kämpfte mich wieder zurück und dann fand mich Gosch. Ich schleppte mich zum Heli und versorgte meine Wunden. Suchte einfach weiter nach dem Oberstleutnant. Dann fand ich ihn“, wütend auf mich und dass, was geschehen war, versuchte ich mich zu beruhigen. „Er saß oben auf einen Hochsitz und schlief. Ich legte ihm Handschellen um, warf ihm einfach vom Hochsitz runter, anders hätte ich ihn nicht dort herunter bekommen. Ich hatte Schmerzen, die nicht zum aushalten waren und bekam kaum noch Luft. Meine gesamte Muskulatur war verkrampft, durch das ständige Unterbrechen des Jawefans. Als ich ihn am Boden hatte, nahm ich sein MG in die eine Hand und die Handschelle mit dem er gefesselt war, in die andere und ging einfach in Richtung eines nahegelegenen Feldes, um Gosch zu holen. Dieser verdammte Arsch, fing dann auch noch an zu jammern. Der ganze Hass kam hoch, auf den Oberstleutnant und diesen Kurt, der mit Conny das Schlimmste gemacht hatte, was man einem Menschen antun konnte. Diese Wut, vor allem dieser Hass trieb mich vorwärts und zu einer Tat für die ich mich schäme. Gosch es tut mir leid, wirklich. Ich wollte dich nicht damit reinziehen, echt nicht“, verzweifelt sah ich in seine Richtung, der nickte.

„Das weiß ich Täubchen, ich weiß ja auch gar nicht, was du gemacht hast. Ich dachte du hast ihn seine Schmerzen genommen. Also so schlimm kann das gar nicht gewesen sein.“

Müde schüttelte ich den Kopf. „Gosch es ist schlimm und ich schäme mich dafür. Oberst, ich möchte dann, bei Kurt noch einmal das Krantonak machen, ich muss das, was ich getan habe, rückgängig machen, bitte. Nehmen sie mich dann mit, ich muss es wieder korrigieren“, lange sah ich ihn an.

Der Oberst nickte, weil er mir meine Verzweiflung ansah. „Was hast du getan, Kahlyn, das du so außer dir bist und verzweifelt guckst? So kenne ich dich gar nicht. Was kannst du gemacht haben, dass du so völlig von der Rolle bist?“, er stand auf und setzte sich einfach neben mich auf den Tisch.

Aber in diesem Moment konnte ich seine Nähe nicht ertragen und rutschte weg von ihm. Er schüttelte den Kopf. „So schlimm Kahlyn?“

„Ja, was ich getan habe, ist unverzeihlich Oberst. Ich weiß, dass ihr dann nichts mehr mit mir zu tun haben wollt. Vor allem schäme ich mich für das, was ich getan habe. Aber es tut mir wirklich leid, vor allem, weil ich Gosch da mit reingezogen habe. Als Gosch gelandet ist, wollte er Kurt in den Heli bringen. So wie wir das immer machen. Ich sagte ihm er soll pinkeln gehen oder mir helfen, er könnte es sich aussuchen. Ich wandte bei Kurt Schwarz das Krantonak an.“

Müde und voller innerlichen Hass auf mich selbst, rieb ich mir das Gesicht. Dann stand ich auf, um meine Wut in den Griff zu bekomme. Stellte mich mit den Händen an die Tafel gestützt, versuchte mich zu beruhigen. Aber es fiel mir so schwer. Der ganze Hass auf den Oberstleutnant und Kurt hatte mich voll im Griff. Wieder kamen die ganzen Erinnerungen hoch, von damals im Stechlinsee, diese Panik und diese verdammte Wut. Ich lehnte mich an die Tafel, rutschte einfach daran herunter. Umschlang meine Knie, so als wenn ich mich selber festhalten wollte. Dann legte ich den Kopf in den Nacken, leise aber doch so deutlich, dass alle mich hören konnten, erzählte ich, für was ich mich so schämte.

„Rudi, du weißt man kann mit dem Krantonak, nicht nur heilen oder vorhandene Schäden beseitigen, wie bei dir Ronny. Man kann damit auch töten. Man kann aber auch, Erinnerungen von einem Menschen, auf einen anderen übertragen. Das habe ich gemacht. Es tut mir so leid, es war ein großer Fehler. Ich weiß nicht genau, warum es überhaupt gemacht habe. Ich war einfach nur voller Wut und Hass. Ich wollte, dass der Mistkerl genauso leidet wie wir. Dass er das Gleiche durchleben musste, wie ich und du Conny. Dass er die Gefühle kennenlernt, wenn man in so einer Kiste eingesperrt ist und langsam erstickte und jämmerlich ersoff. Ich weiß dass es falsch war, aber ich kam gegen den Hass nicht an. Der Oberstleutnant sollte genauso leiden, wie meine Freunde und ich gelitten haben und wie du Conny. Er sollte die ganze Angst und Panik spüren die wir gespürt haben. Versteht ihr?“

Ich konnte nicht mehr, leise fange ich an zu weinen, wie noch nie in meinem Leben. Ich schämte mich so. Nach einer ganzen Weile, hatte ich mich wieder beruhigt. Sah hoch zu den anderen, die mich entsetzt ansahen. Ganz leise erzählte ich weiter.

„Dann kamen wir zurück auf den Stützpunkt, bereits als Gosch los flog wurde mir bewusst, dass ich einen Fehler gemacht habe. Aber ich hatte wirklich nicht mehr die Kraft dazu, es zu richten. Ich wollte nur nach Hause, nach Gera zu meinen Freunden. Ich hoffte so, dass es mir dann besser gehen würde. Ich verband mich notdürftig und flog mit Gosch nach Hause. Oh Gott wie traurig du warst Gosch, es tat mir so weh. Aber ich konnte dir nichts sagen. Ich habe mich so gehasst. Ich hatte Angst etwas zu tun, was ich hinterher bereue. Deshalb wollte ich nur raus aus dem Heli und sprang ich schon aus zehn Meter. Du weiß bis zu vierzig Meter, ist das kein Problem für mich. Ich wollte nur weg von dir und dich nicht mehr sehen. Weil ich hoffte, dass ich mich dann besser fühlen würde. Aber ich fühlte mich nicht besser, im Gegenteil. Ich kam in die Wache und ihr wart alle weg, Rudi. Ihr wart einfach alle weg. Ihr hattet mich auch noch alleine gelassen. Alle waren weg, meine Freunde aus der Schule, meine Freunde aus der Soko und nun auch noch meine Freunde aus der Wache in Gera. Dort saßen Leute, die ich nicht kannte. Ich dachte, ich bin jetzt ganz alleine. Schnell wollte ich meine Waffen säubern, ihr wisst dass ich immer erst meine Waffen pflege. Dann stellte ich fest, dass ich meine Tonfa und die Schwerter vergessen hatte. Ich bat also Ines beim Oberst anzurufen, dann ging ich zurück. Du hast mich bedrängt Ronny, du hast mich genau wie die anderen, in die Ecke getrieben. Ich dachte bei mir, können die sich nicht vorstellen, dass ich erst einmal duschen will, bevor ich reden möchte. Einige Male zeigte ich dir, durch wegschieben und durch Kopfschütteln, lasse mich endlich in Ruhe. Aber du wolltest absolut nicht auf mich hören. Es tut mir leid, dass ich dich verprügelt habe. Aber ich wollte doch nur meine Ruhe haben und nachdenken, wie ich aus diesem ganzen Schlamassel wieder heraus komme. In dem mich meine verdammte Wut, gebracht hatte. Verstehst du?“, traurig sah ich auf den Teamleiter des Beta-Teams.

Schulze nickte und schenkte mir ein verzweifeltes Lächeln.

Tränen der Wut liefen über mein Gesicht.

„Kahlyn, ich mache dir keine Vorwürfe, ich hätte wahrscheinlich genauso gehandelt. Wenn es umgedreht gewesen wäre. Nach dem, was du gerade erzählt hast. Hätte ich dich wahrscheinlich gekillt“, versuchte mich Schulze zu besänftigen.

Ich jedoch schüttele den Kopf. „Es hätte nicht passieren dürfen. Aber alles ist so anders auf einmal. Ich komme einfach nicht mehr klar“, wieder fing ich an zu weinen, ich konnte einfach nicht mehr. Nach einer Weile, bekam ich mich wieder in den Griff. „Oberst, ich muss ihn die Erinnerungen wieder wegnehmen, es ist nicht richtig. Ich muss reparieren, was ich kaputt gemacht habe, bitte. Danach braucht ihr nie wieder mit mir zu reden. Ich weiß, dass ich alles kaputt gemacht habe. Ich bin es nicht wert, auf dieser Welt zu sein. Ich bin nicht besser als dieser Kurt und der Oberstleutnant. Rache ist kein gutes Motiv, das weiß ich selber. Zum zweiten Mal habe ich nun schon gegen unser Gesetz verstoßen und das obwohl ich genau wusste dass es falsch war. Ich schäme mich so, wegen dieser Tat. Oberst ich will es wieder in Ordnung bringen, diesmal kann ich es richtigen, es ist noch nicht zu spät, Sir.“

Der Oberst fing sich als erstes. Er stand auf und kam zu mir. „Steh auf Kahlyn, komm mit zu uns. Los ohne Wiederrede“, er zog mich auf die Beine, zum Tisch „Setze dich, Kahlyn“, befahl er kurz.

Gezwungenermaßen setzte ich mich wieder auf den Tisch und stützte den Kopf in die Hände, nur um niemanden ansehen zu müssen. Der Oberst setzte sich neben mich und legte die Hand um meine Schulter. Zum wiederholten Male versuchte mich heraus zu drehen, diesmal jedoch hielt mich der Oberst fest.

„Jetzt ist es aber gut, mit den Selbstvorwürfen. Kahlyn, jetzt reicht es mir! Warum willst du nicht, dass ich dich berühre? Weil du einen Fehler gemacht hast? Du sagst du kannst ihn rückgängig machen, stimmt das?“, er nahm mein Gesicht und zwang mich so ihn anzusehen.

Ich nickte ihm mit nassem Gesicht zu.

„Dann höre mit dem ganzen Theater auf. Verdammt noch mal, du hast in einer völlig außer Kontrolle geratenen Situation, die wir jetzt alle nachvollziehen können, etwas Falsches gemacht. Und du kannst alles wieder in Ordnung bringen. Schluss jetzt mit deinen Selbstvorwürfen. Du hörst mir jetzt einmal genau zu", ernst sah mich der Oberst an und wartete mein Nicken ab. "Jeder von uns, trägt ein Teil der Schuld mit. Wir haben alle nicht begriffen, dass wir dich völlig in die Ecke getrieben haben. Aber Kleines, das sind Fehler aus denen wir lernen müssen. Damit uns das Gleiche nicht wieder geschehen kann. Ein klein wenig Schuld Kahlyn, hast du aber selber. Warum hast du nichts gesagt? Ich verstehe es nicht, warum hast du uns das nicht gesagt? Du hast dich einfach immer weiter in die Ecke treiben lassen. Aus der du nur noch mit einem Angriff, heraus kommen konntest.“

Ich sah ihn traurig an. „Ich habe es doch versucht, aber ihr habt mir wie immer nicht richtig zugehört. Ihr nehmt mich nie für voll und hört nie auf das, was ich sage. Als ich dir erzählt habe Oberst, dass mich der Oberstleutnant fast ertränkt hatte. Habe ich dir doch gesagt, dass ihr mich fast umgebracht habt und mich habt nicht schlafen lassen. Ich habe euch so oft gesagt, dass ihr mich schlafen lassen sollt. Ihr habt es doch nicht gemacht. Ihr wolltet nicht zuhören. Da habe ich irgendwann aufgegeben, weil ich keine Kraft mehr gehabt habe. Ich hab ihnen doch erzählt, was passiert ist, habe sogar versucht ihnen zu sagen, dass ich den Oberstleutnant töten werde. Sie habe gesagt, ich soll ihn auf den Stützpunkt bringen. Das habe ich doch auch gemacht. Ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte. Ihr habt mir nicht zu gehört. Ich habe euch so oft gesagt, ihr sollt mich schlafen lassen. Was hätte ich noch machen sollen?“

Der Oberst zog mich in seine Arme und ließ mich weinen. Immer wieder streichelte er meinen Kopf. Vielleicht konnte er mir doch noch einmal verzeihen. Vielleicht hatte ich ihn doch nicht verloren und die anderen auch nicht. Langsam beruhigte ich mich wieder und sah zu den anderen.

„Kann ich mit dir fliegen Oberst, ich will es doch nur wieder in Ordnung bringen.“

Der schüttelte den Kopf. „Kahlyn, du musst nicht mit zum Stützpunkt kommen. Ich habe auf Rudis Bitten hin, Kurt mitgebracht. Der ist unten in einer der Zellen, hier auf deiner Wache. Du kannst also, wenn du dich beruhigt hast, runtergehen. Gosch, Arndt, Rudi, Ronny ihr vier geht mit Kahlyn. Ihr lasst sie keine Sekunde, mit diesem Typen alleine. Der ist gefährlich, zwei meiner Leute hat er versucht zu töten, als er zum Heli gebracht wurde. Wir mussten ihn ruhigspritzen, damit er keinen Blödsinn im Heli macht. Also seid bitte vorsichtig. Kahlyn, bevor du das Krantonak machst, legst du ihn schlafen, das bissel Kopfweh schadet ihm nicht. Also los, gehe nach unten und bringe das alles wieder in Ordnung. Damit du endlich zur Ruhe kommst“, gab er klare Anweisungen.

Conny meldete sich jetzt zu Wort. „Kahlyn, was wird mit den Erinnerungen, die du Kurt nimmst.“

Verwundert sah ich ihn an und wischte mir mit dem Ärmel des Overalls das Gesicht trocken. „Was soll damit sein?“, fragte ich ihn, weil ich nicht wusste, worauf er hinaus wollte.

„Wo kommen die hin?“

Ach das meinte er. „Die nehme ich bei mir auf. Keine Angst ich komme damit klar, ich habe schon Schlimmeres erlebt. Es ist eine schlechte Erinnerung, die ich mehr habe. Was soll's? Ich kann damit leben, mache dir keine Sorgen, Conny.“

Erleichterung machte sich in mir breit. Es war, als würde ein ganzes Gebirge von meiner Seele fallen. Dieses Mal konnte ich es wieder in Ordnung bringen. „Kommt ihr? Ich will es hinter mich bringen, dann will ich endlich schlafen. Ich bin so verdammt müde.“

Gefolgt von Gosch, Arndt, Rudi und Ronny verließ ich den Raum und lief in den Keller, in dem sich die Arrestzellen befanden. In der dritten Zelle auf der rechten Seite Kurt lag und schlief. Tief atmete ich durch und betrat die Zelle und kniete mich vor dessen Lager. Vorsichtshalber legte ich diesen Unmenschen, noch einmal auf meine Art schlafen, damit er nicht eventuell aufwachte. Sofort begann ich das Krantonak. Zehn Minuten später, hatte ich alles wieder in Ordnung gebracht. Ich fühlte mich ausgelaugt und einfach nur unsagbar müde.

Rudi nahm mich in den Arm. „Kleene, du bist unglaublich. Ich glaube ich muss wirklich einmal über meine Einstellung nachdenken. Ich hätte Kurt nämlich diese Erinnerungen gegönnt. Vielleicht sollte man es einführen, jeden Verbrecher damit zu strafen, dass er weiß wie sich seine Opfer gefühlt haben. Vielleicht gäbe es dann, weniger Verbrechen auf der Welt. Aber ich weiß, dass dies nicht richtig ist, keine Angst meine Kleene. Sag mal, wollen wir beiden jetzt nach Hause fahren oder willst du lieber hier schlafen?“

Erwartungsvoll sah er mich an. Ich zuckte mit den Schultern. Gemeinsam mit den anderen stiegen wir die Treppe nach oben, in den Bereitschaftsraum, wo alle wieder zusammen saßen. Conny kam zu mir, ihm ging es sichtbar besser. Sein Herz schlug wieder gleichmäßig und kräftig. Er nahm mich einfach in den Arm.

„Ich hab dich so verdammt lieb mein Engelchen. Du hast mir wieder einmal das Leben gerettet. Sind wir noch Freunde?“, lächelnd sah er mich an.

Ich nickte nur, weil ich nichts sagen konnte. Ich war so froh, dass sie mich nicht alle verachteten.

Doko kam auf mich zu. „Kahlyn, darf ich mir deinen Rücken einmal ansehen. Du hast doch Schmerzen, wie verrückt. Du läufst ganz schief.“

Ich nickte, vielleicht konnte der Doko etwas machen, gegen diese verdammten Schmerzen. Vorsichtig zog ich das T-Shirt über den Kopf, der Doko nahm den Verband ab. Erschrocken wich er zurück, als er die Entzündungen sah, die sich dort langsam ausbreitete. Karpo hatte auf seine übliche Art operiert, die Wunden nicht versiegelt, dadurch kam der Brand hinein.

„Jens, du hast keinen Kleber benutz?“, konsultierte er deshalb seinen Kollegen.

„Nein Fritz, warum auch, es hält doch auch, wenn man nur näht.“

Jacob stöhnte auf, wieder einmal zeigte sich, dass er zu lange mit den Kindern zusammen gelebt hatte. „Jens, gewöhne dir bitte an, jede, wirklich jede Wunde, mit dem Kleber und Brenner zu behandeln. So ersparst du Kahlyn dadurch viele Schmerzen. Dir mag das bestialisch vorkommen, aber die Schmerzen die Kahlyn jetzt hat, sind um vieles schlimmer, als wenn du die Wunden kurz versiegelst. Schau selber, sie hat in jeder der Wunde den Brand, weil die Wunden nicht versiegelt wurden. Jetzt muss ich alles ausschälen und neu versiegeln. Also bitte immer den Kleber und den Brenner benutzen und anschließend dick Brandsalbe drauf“, erklärte Jacob seinem entsetzt guckenden Kollegen.

„Kahlyn setzt dich“, bat er kurz.

Also setzte ich mich seitlich auf einen der Stühle. Doko kniete sich dahinter und fing an mit dem Skalpell die Wunden zu säubern, zu verkleben und anschließend zu versiegeln. Dann trug er die Brandsalbe auf. Dem Himmel sei Dank, endlich ließ der Schmerz nach.

„So Kahlyn, jetzt müsste es besser sein.“

Ich probierte einige Drehungen mit dem Oberkörper.

„Ja, so ist es besser, danke Doko“, bittend wandte ich mich an Sender. „Rudi, ich möchte gern nach Hause, egal wohin!? Nur möchte ich endlich schlafen, bin so verdammt müde.“

Sender nickte und drehte sich um, ging nach vorn in die Wache. Kaum zwei Minuten später, stand er wieder neben mir.

„In zehn Minuten werden wir abgeholt. Also verabschiede dich von deinen Freunden, dann fahren wir nach Hause.“

Erleichtert verabschiedete ich mich von allen. Vor allen aber von Doko, Dika, Gosch und meinem Oberst. Ganz zum Schluss von Conny. Ich war so verdammt froh, dass sie mir alle meinen Fehler verzeihen konnten. Vor allem aber, dass es Conny endlich wieder besser ging. Er würde die ganze Sache jetzt schnell verarbeiten können.

Erleichtert folgte ich Sender hinaus aus der Wache, an der Tür im Bereitschaftsraum, zeigte die Uhr 1 Uhr 4, als wir zu dem Toniwagen gingen. Völlig übermüdet fuhr ich, das erste Mal in meinem Leben, wirklich nach Hause.

Kapitel 5

So richtig wohl war mir nicht bei der Sache. Aber ich wollte so gern schlafen. Ich war so müde, dass es mir langsam egal war, wo ich schlief. Hauptsache ich hatte eine geschützte Ecke, in der ich mich zusammenrollen und erholen konnte. Rudi saß neben mir und ich lehnte mich einfach an seine Schultern, zog meine Füße auf den Sitz.

„Na meine Kleene, geht es dir jetzt wieder etwas besser?“, fragte er mich leise.

Ich schaute hoch zu ihm. „Ja, aber so etwas, darf mir nicht wieder passieren. Weißt du es macht mir Angst, wenn ich nicht mehr weiß, was ich tue. Beginne ich langsam wahnsinnig zu werden oder was ist los mit mir?“

Rudi legte den Arm um meine Schulter. „Ich glaube nicht, dass du wahnsinnig wirst, meine Kleene. Es war einfach in den letzten zwei Wochen zu viel, was auf dich eingestürmt ist. Du brauchst dringend etwas Ruhe und Erholung. Auch, wenn ich langsam der Meinung bin, dass du gar nicht weißt, was das ist. Aber ich denke, dass es dir gefallen wird. Tim jedenfalls, macht seit dem ich zu Hause bin, nichts anderes, als zu fragen, wann du kommst. Das will schon mal etwas heißen, Kleene. Ich hoffe nur, dass wir dich nicht zu sehr überfordern. Kleene versprichst du mir bitte eins?“

Ich drehte meinen Kopf zu Rudi um. „Was soll ich dir versprechen?“

Rudi lächelt mich an. „Das, wenn du mit etwas nicht klar kommst, sofort zu mir oder Viola, Jenny oder Jo kommst und uns fragst. Ich glaube du hast in den letzten zwei Wochen, genug Probleme gehabt, die du alleine nicht bewältigen konntest. Es müssen nicht noch mehr dazu kommen.“

Tief holte ich Luft, mir drückte der Schuh, den ich nicht anhatte. „Rudi, ich mag diese Viola nicht“, versuchte ich zu erklären, was mir auf der Seele lag.

Rudi schaute mich erschrocken an. „Warum das denn, meine Kleene? Viola ist eine ganz liebe. Die tut dir nichts! Ist es immer noch wegen der Sache mit den Puppen?“, erkundigte sich Sender bei mir.

Keine Ahnung, ich wusste es nicht, konnte mein Problem mit ihr, nicht in Worte fasse. Es war einfach ein Gefühl in meinem Bauch, dass mir sagte, ich soll mich mit ihr nicht einlassen. Obwohl sie ein liebes Gesicht und wunderschöne klare Augen hatte. Genau diese beiden Widersprüche, verunsicherten mich sehr. Ich mochte sie deshalb einfach nicht. Was sollte ich dazu sagen? „Ich weiß nicht genau, warum ich sie nicht mag. Ich habe keine Worte für dieses Gefühl“, gestand ich einfach.

Rudi schob mich etwas von sich weg und sah mir einfach in die Augen. Er sagte etwas, dass ich schon von jemand gehört hatte, dem ich total vertraute, nämlich von John. „Kleene, ich würde ohne mit der Wimper zu zucken, Viola mein Leben anvertrauen. Wenn ich ihr vertraue, kannst du ihr da nicht wenigstens eine klitzekleine Chance geben. Dass sie dir beweisen kann, dass sie ganz anders ist, als du denkst?“

Ich nickte, obwohl mir bei dem Gedanken an sie, ganz schlecht wurde. „Ich werde es versuchen“, erklärte ich kurz entschlossen und blickte ihm dabei offen in die Augen. „Ich werde wirklich versuchen mit ihr auszukommen. Ich bin nur so verdammt müde, Rudi, lass mich erst einmal schlafen“, versuchte ich mich zu erklären.

Rudi streichelte mir über den Kopf und gab mir einen Kuss. „Kleene ich glaube dir gerne, dass du müde bist. Mir geht es nicht anders. Dabei habe ich nur halb so viele und schlimme Dinge, die letzten Tage erlebt, wie du. Also wir gehen einfach hinein und hoch in dein Zimmer. Ich lege mich neben dich und warte solange, bis du eingeschlafen bist. Wollen wir Zwei das so machen, meine Kleene?“

Ich nickte. Mir war es vollkommen egal, wie wir es machen würden. Hauptsache ich konnte endlich in ein Bett. Zwei Minuten später hielten wir vor Runges Haus. Wir liefen durch das Türchen im Zaun und Rudi klingelte. Fast sofort wurden wir herein gebeten. Als Viola uns in die Küche holen wollte, sagte Rudi nur kurz.

„Viola, die Kleene ist total fertig und hat seit drei Tagen nicht geschlafen, sie muss ins Bett. Zeigst du uns, wo sie schlafen kann? Damit sie endlich zur Ruhe kommt. Alles andere klären wir dann.“

Daraufhin ging Viola die Treppe hoch, ganz nach hinten in den Flur. Vorbei an den Zimmern die ich kannte, von Tim, Tom und Jenny und öffnete die letzte Tür. Dort war ein Zimmer, mit einem riesigen Bett, darauf saß eine Puppe. Viola schrak regelrecht zusammen. Sie hatte vergessen die Puppe zu entfernen. Schnell lief sie hin und nahm sie vom Bett, versteckte sie hinter ihrem Rücken.

Allerdings hatte ich die Puppe schon gesehen. Langsam ging ich auf Viola zu und zog die Puppe hinter ihrem Rücken hervor und schaute sie mir an. Sie sah aus wie Jenny. Ich hielt den Kopf etwas schräg und sah Viola an, die ganz weiß war im Gesicht geworden war.

„Die Puppe ist wunderschön. Die sieht aus wie Jenny“, sofort gab ich die Puppe an Viola zurück. „Ich habe keine Angst mehr, vor Jennys Puppen. Aber danke, dass du sie verstecken wolltest. Darf ich schlafen, ich bin so müde?“, bat ich mit einem letzten Blick auf Rudi.

Viola deckte das Bett auf und ich ließ mich so wie ich war in das Bett fallen und war auf der Stelle eingeschlafen. Viola schüttelte den Kopf. Meine Füße waren noch schmutzige und nicht einmal den Overall hatte ich ausgezogen. Rudi schaute seine Freundin an.

„Viola, helf mir sie auszuziehen. Wegen der Füße geht es weiter. Die Kleene ist echt fix und fertig, du kannst die nicht vorstellen, was die seit Samstag durchgemacht hat. Komm, ab morgen werden wir ihr helfen, ein normales Leben zu führen. Heute lassen wir sie erst einmal schlafen. Das hat sie sich mehr, als nur verdient.“

So vorsichtig wie nur möglich, zogen mir die Beiden den Overall aus. Viola erschrak, als sie den schon wieder durchgebluteten Verband sah. Schnell lief sie ins Badezimmer und holte eine neue Binde die sie einfach über die alt wickelte. Dann wusch sie mir die Füße und deckten mich zu. So wie mich die Beiden losließen, rollte ich mich zusammen. Ich merkte noch wie mir jemand einen Kuss gab, dann macht jemand das Licht aus, Rudi zog mir vorsichtig die Brille ab und legte sie auf den Nachttisch, dann schloss er noch die Jalousien und die Vorhänge. Leise verließ Rudi das Zimmer und folgte Viola nach unten in die Küche.

 

Ohne etwas zu Viola zu sagen, holte sich Rudi einen Kaffee und ging hinüber zu seinem Freund Jo, der immer noch über Akten, am Schreibtisch, saß.

„Jo, hast du einen Moment Zeit für mich“, erkundigte sich Rudi, als er eingetreten war.

„Aber immer doch. Was ist los? Ist die Kleene immer noch nicht gekommen?“, erschrocken schaute er den Freund an, der ziemlich fertig aussah.

„Nee Jo, die haben wir gerade ins Bett gebracht. Vielmehr sie ist schon schlafend, ins Bett gefallen. Nicht mal ausgezogen hat sie sich. Veilchen musste ihr sogar die Füße waschen, so fertig war sie. Aber darum geht es mir nicht. Ich wolle dich fragen, wie du mit den Polizeirat in Brandenburg klar kommst.“

Runge sah seinen besten Freund fragend, aber auch verwirrt an. „Warum fragst du? Ich komme super mit ihm klar, warum interessiert dich der Polizeirat von Brandenburg?“

„Jo, du suchst immer noch krampfhaft Beweise gegen Kahlyns Schule und gegen diesen Oberstleutnant Mayer. Keine Ahnung, ob die Spurensicherung nach so einer langen Zeit, noch etwas finden kann. Aber man soll ja die Hoffnung nicht aufgeben. Es gibt fünf Leichen im Stechlinsee, an der tiefsten Stelle müssten heute noch sechs Holzkisten zu finden sein. In fünf dieser Holzkisten oder sollte ich lieber Särge sagen, liegen fünf Kinder aus Kahlyns Schule. Etwas oberhalb davon, müsste eine sechste Kiste liegen, die allerdings kaputt ist. Die Kinder wurden von diesem Oberstleutnant Mayer ermordet. In der kaputten Kiste war Kahlyn eingesperrt. Falls einem Reimund Bär und dem Mayer ermordet. Vielleicht gibt es an dieser Stelle eine winzige Chance, diesem Unmenschen etwas nachzuweisen. In den Kisten sind Gewichte, die dafür sorgen sollten, die Kisten mit den Kindern nach unten zu ziehen. Also, wenn du dich mit dem Polizeirat dort gut verstehst, würde ich dort mal suchen lassen. Vielleicht gibt es noch irgendwelche Spuren.“

Jo starrte Rudi an. Der begann leise zu erzählen, was er vor einigen Stunden von mir erfahren hatte. Jo war entsetzt, konnte nicht glauben, was er da hörte.

„Ich kümmere mich morgen darum. Sag mal, was hat diese Kleene noch alles erlebt. Wenn sie zu euch sagt, es sind halt ein paar schlimme Erinnerungen mehr, die ich habe. Es gibt Schlimmeres. Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen. Von mir aus, hätte sie dem Kurt die Erinnerungen ruhig lassen können. Ich kapiere es einfach nicht. Macht sie sich fertig wegen so etwas. Sag mal, stimmt meine Einstellung zur Gerechtigkeit etwas nicht mehr oder was ist mit mir los, dass ich so denken?“

Rudi reibt sich müde das Gesicht. „Genau dieselben Gedanken, sind mir auch durch den Kopf gegangen. Ach, im Übrigen hat die Kleene dafür gesorgt, dass Ronny wieder normal aussieht. Sie hat einfach mal so, die Narbe aus seinem Gesicht entfernt. Ich glaube Ronny hat das noch gar nicht realisiert. Na ja, ich werde jetzt schlafen gehen. Ich fühle mich im Moment, als wenn mich ein Panzer überfahren hätte. Du solltest auch Schluss machen Jo, es ist gleich 2 Uhr.“

Runge klopfte seinen Freund auf die Schulter. „Nur gut, dass ich diese Woche frei habe. Dann können wir uns gemeinsam, um die Kleene kümmern. Wenn ich ehrlich bin, ist mir ein wenig bange. Ich habe keine Ahnung, wie wir sie in ein normales Leben integrieren können. Aber wir werden sehen. Also schlaf gut Rudi, bis dann.“

Jo stand auf und lief hinter seinem Freund her. In Richtung Obergeschoss. Rudi jedoch lief nach unten, in seine Wohnung und schmiss sich so wie er war aufs Bett. Es dauerte keine zehn Sekunden schon schlief auch Rudi tief und fest, die letzen beiden Wochen hatten ihren Tribut gefordert.

 

Kurz nach 9 Uhr in der Früh, wachte ich auf. Wo war ich? Ich sah mich in dem Raum um, ich kannte das alles nicht. Wie war ich hier her gekommen? Nur einen Augenblick später, fiel es mir wieder ein. Ich war mir Rudi gestern, hierher gefahren, nach dem ich die Wache verlassen hatte. Es war schön hier, das Bett war so bequem, ich rollte mich wieder zusammen. Es tat gut hier zu liegen. Ob ich einfach aufstehen durfte. Ich sah mich um, da lag meine Brille, schnell setzte ich sie auf. Leise stand ich auf, suchte meine Sachen, aber die waren weg. Langsam ging ich zur der Tür, öffnete sie vorsichtig. Lief so wie ich war, nach unten. An der Treppe angekommen, ging ich in Richtung Küche. Dort sah ich alle am Tisch sitzen, Rudi, Jo, Tim und diese Viola. Alle sprachen miteinander. Rudi sah müde aus. Da entdeckte mich Tim, er lachte mich an.

„Dalyn, Mama, da is Dalyn“, rief er zu Viola, die seinem Blick folgte.

„Guten Morgen Kahlyn, komm doch zu uns. Möchtest du etwas essen oder trinken?“, fragte mich Viola.

Vorsichtig sah ich zu Rudi, der nickte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte und nickte deshalb auch.

„Wie viel soll ich dir machen, Kahlyn? Willst du einen Kaffee?“, erneut nickte ich, weil ich nicht wusste, wie ich mich verhalten sollte. Langsam ging ich auf Tim zu und gab ihm einen Kuss.

„Guten Morgen Tim, na wie geht es dir?“

Der kleine Mann musterte mich und dann lachte er mich an. „Dud, madst du dann mit mir pielen Dalyn?“

„Ich weiß nicht, was man da macht Tim. Wenn du mir das erklärst, spiele ich gern mit dir. Darf ich erst noch etwas, trinken und essen. Ich habe nämlich Hunger.“

Tim nickte.

Bestätigte mir so, dass er mit meiner Antwort zufrieden war. Ich setzte mich ein Stückchen von den anderen weg, weil ich mich nicht aufdrängeln wollte.

„Kleene, uns sagst du wohl nicht guten Morgen?“, erkundigte sich Rudi lachend.

Sender konnte sich vorstellen, dass seine Kleene nicht ganz wohl war und wollte ihr mit dem Lächeln zeigen, dass sie hier willkommen war. Also stand ich noch einmal auf, ging zu ihm und gab ihm auch einen Kuss, reichte dem Polizeirat die Hand, dieser Viola auch.

„Kahlyn, du hast mir immer noch nicht gesagt, wie viel Wasser ich nehmen muss und wie viel Pulver. Ich kann dir sonst deinen Brei nicht machen“, bat mich Viola um Hilfe.

Ich ignorierte sie weiter. Ich mochte diese Viola einfach nicht. Wieder setzte ich mich etwas abseits, von den anderen. Ich hatte das Gefühl zu stören und nicht hier her zu gehören. Als, wenn ich etwas zerstören würde, wenn ich näher an sie heran rutschen würde. Außerdem fühlte ich mich nicht wohl, ich war nicht einmal geduscht. Langsam zog ich die Beine auf den Sitz und legte meinen Arme darum. Wieder bekam ich das Gefühl, nur hier weg zu wollen. Am liebsten wollte ich zurück auf meine Wache. Ich starrte auf meine Finger, die anfingen zu spielen. Rudi der merkte, dass etwas nicht stimmte, kam auf mich zu und hockte sich neben meinen Stuhl. Viola jedoch wollte etwas sagen, sie mochte es gar nicht, wenn jemand die Füße auf der Sitzfläche des Stuhles nahm. Aber Jo brachte sie mit einem Kopfschütteln dazu nichts zu sagen.

„Kleene, was ist los? Viola hat dich etwas gefragt, warum antwortest du ihr nicht. Bist du immer noch böse mit ihr? Oder was ist los? Warum setzt du dich so weit weg von uns? Ich verstehe dich nicht, meine Kleene, komm rede mit mir.“

Ich wusste doch selber nicht, was mit mir los war. Ich hatte keine Ahnung, warum ich Viola nicht mochte. Diese Frau war mir unheimlich, sie war ein Widerspruch in sich selbst. Ganz komisch wurde mir ums Herz, wenn ich sie ansah. Was sollte ich dazu also sagen? Langsam fing ich an, auf meinem Stuhl hin und her zu wippen. Ich wollte nur hier weg. Sah hinaus auf die Wiese, wo Tiger am Schwimmbecken hockte.

 „Kahlyn, Kleene, was ist los?“, versuchte Rudi noch einmal in mich einzudringen, weil ich ihm nicht antwortete. Ich schüttelte den Kopf, ich wollte nicht mit ihm reden.

„Viola, gebe Kahlyn erst einmal nur einen Kaffee, so wie ihn John trinkt. Lassen wir ihr etwas Zeit“, mich blickte er traurig an, stand auf und ging auf seinen Platz.

„Kleene, kommst du dann ein bissel mit mir laufen? Ich brauche dringend ein wenig Bewegung. Ich hab aber kein Lust alleine zu laufen.“

Ich nickte, schaute weiter der Katze zu.

Viola stellte mir einen Kaffee hin.

„Mam, danke, Mam“, bedankte ich mich kurz, nahm die Tasse und trank einen Schluck.

Rudi setzte sich wieder auf seinen Platz und zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, was los ist. Seht mich nicht so fragend an. Lasst ihr einfach Zeit. Sie kennt doch hier alles nicht. Viola, Jo, es ist hier alles neu für sie.“

Rudi widmete sich wieder seinem Frühstück. Als er satt war, stand er auf und lief an mir vorbei. „Ich komme gleich wieder, will mich nur umziehen. Ich bringe dir, von mir eine Trainingshose und ein T-Shirt mit. Warte einfach hier“, bat er mich im Vorbeigehen.

Viola und Jo Runge saßen am Tisch und wussten nicht, was sie sagen sollten, so hatten sie sich das alles nicht vorgestellt. Aber es würde schon werden, sie würden halt viel Geduld mit dem Mädchen brauchen. Viola sah traurig zu dem Mädchen, dann zu ihrem Mann. Tim jedoch kam zu mir und guckte mich an.

„Waum bid du daurid?“, wollte er von mir wissen.

Nachdenklich sah ich ihn an und hob ihn auf meine Beine. „Ich bin nicht traurig, Tim. Mir tut nur mein Kopf weh.“

Antwortete ich ihm ohne nachzudenken. Bei ihm war dass alles anders, mit Kindern konnte ich sofort reden und bekam mit ihnen ohne Probleme in Kontakt. Es war wie immer eine gewisse Verbundenheit zwischen ihnen und mir. Egal wie fremd mir die Kinder waren, sie erreichten sofort mein Herz und ich das Ihrige. Er hielt sein Köpfchen schief, dann machte er einen langen Hals und gab mir ein Kuss.

„Danke Tim, für was ist der?“

„Wei du mein Auwa, wed dezaubert had.“

Vorsichtig streichelte ich ihm über den Kopf. „Dann ist es gut. Wenn es wenigstens dir gut geht, darüber freue ich mich ganz sehr.“

Schließlich setzte ich den kleinen Zappelphillip wieder nach unten. Viola sah die ganze Zeit zu mir, man sah ihr an, dass sie mit sich kämpft. Sie traute sich nicht mich anzusprechen. Das war auch besser so, ich mochte nicht mit ihr reden und würde ihr sowieso nicht antworten. Sie sah böse aus, sie hatte verhaltene Wut in sich. Das sah ich zum Teil an ihrer Aura, die enthielt noch mehr negative Gefühle, die sie gegen mich hegten. Ich hatte das Gefühl, sie wollte nicht dass ich hier bin. Ich konnte die innere Abwehr der beiden Menschen förmlich riechen, ebenso ihre Angst, die sie vor mir hatten. Wahrscheinlich hatte ihnen der Oberstleutnant von uns einiges erzählt, als er in der Zelle saß. Seit dem begegnete mir der Polizeirat völlig anders und seit dem Gespräch in Rudis Büro, war seine Ausstrahlung mir gegenüber noch verkrampfter geworden. Zweimal schon war ich dem Polizeirat auf der Wache begegnet und jedes Mal machte dieser einen großen Bogen um mich. Bestimmt hatte er es schon bereut, dass er mich hier aufnehmen wollte. Irgendwie waren meine Gedanken verworren. Ich konnte sie in keine richtige Reihenfolge bringen.

„Kahlyn, darf ich dich etwas fragen?“, wandte sich Viola an mich.

Lustlos zuckte ich mit den Schultern. Eigentlich wollte ich nicht mit ihr reden. Aber ich war hier ein Gast, also musste ich das wohl tun, das sagte der Anstand. Außerdem saß hier mein unmittelbarer Vorgesetzter, was blieben mir also für Alternativen, keine.

„Hast du Schmerzen? Warum tut dein Kopf weh? Soll ich Dr. Karpo anrufen, dass er einmal nach dir sieht?“, stellte sie gleich drei Fragen die ich nicht beantworten würde.

Was sollte ich nur machen? Wie kam ich mit diesen Menschen klar? Im Moment kam ich mir total fehl am Platz vor, würde ich diese Menschen verstehen lernen. Automatisch schüttelte ich meinen den Kopf. Eigentlich wollte ich mit dieser Frau nicht reden, sie war mir fremd, noch fremder als Rudi und die Kollegen auf der Wache. Mir war das alles zu viel, auch weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte und wie ich mich verhalten musste. Mein Herz raste wie verrückt. Außerdem war mir schlecht und mein Kopf brummte wie ein Bienenschwarm. Viola schaute fragend zu ihren Mann. Jo Runge stand auf und nahm sich einen Stuhl, den er zu mir heranzog.

„Kahlyn, was ist los mit dir? Warum redest du nicht mit uns? Haben wir etwas Falsches getan?“

Wiederum schüttelte ich nur den Kopf. „Sir, nein, Sir“, antwortete ich ohne zu zögern.  

Da Runge ja mein Vorgesetzter war, musst ich ihm antworten auch wenn ich es nicht wollte. Warum ließen sie mich nicht einfach in Frieden? Warum musste ich unbedingt mit ihnen reden? Ich wollte doch nur meine Ruhe haben. Konnten die Beiden das denn nicht verstehen. Jo sah mich traurig an und wartete darauf, dass ich ihm erklärte, warum ich nicht reden wollte.

„Kahlyn, es geht nicht an, das du nicht mit uns redest. So geht das wirklich nicht, wie wollen wir klar kommen, wenn du dich so sperrst.“

„Sir, jawohl, Sir“, kam sofort meine Antwort, mehr bekam der Polizeirat nicht von mir zu hören.

Ich brauchte nicht mit ihm reden, da ich nicht im Einsatz war und wollte gar nicht mit ihm und dieser Frau reden. Warum auch? Es bestand keine Notwendigkeit darin. Sie waren weder Geiseln, denen ich helfen musste, noch hatten sie keine spezifischen Befehle für mich, die sie mich zu erledigen zwingen konnten. Das ich mit Tim sprach, war etwas anderes, er war ein Kind. Kinder verstanden die Welt anders und sie gingen mit uns, ganz anders um. Sie nahmen uns so wie wir waren, ohne unsere Andersartigkeit überhaupt wahrzunehmen. Warum begriffen die beiden erwachsenen Menschen nicht einfach, dass ich nur meine Ruhe haben und in meine Wache zurückkehren wollte, in der ich mich auskannte. Da konnte ich wenigstens duschen. Da wusste ich, wo alles war und vor allem, wo ich hin musste und wie ich mich zu verhalten hatte. Vor allem war dort mein Fran, der wusste, was ich gern mochte. Da war mein John, den ich alles fragen konnte. Aber diese Leute hier, kannte ich nicht. Ich mochte fremde Menschen noch nie und tat mich schon immer schwer damit, Kontakte zu schließen. Meine Freunde waren da anders als ich. Auf einmal wurde mir bewusst, dass Fran und John ja auch nicht auf der Wache waren und ich die Leute da auch nicht kannte.

Traurig legte ich den Kopf auf die Knie und fing an zu weinen. Die Runges sahen so ungewohnt aus, gar nicht so, wie ich sie in Erinnerung hatte. Alles in mir wehrte sich gegen diese Leute, ich gehörte nicht hierher. Ich wollte weg, alles war hier wieder anders als ich es auf der Wache gewohnt war. Sie waren nicht ehrlich zu mir, fast könnte man behaupten hinterhältig. Mit Macht wollten sie mich zwingen hier zu bleiben und griffen zu unfairen Mitteln, um ihren Willen durchzusetzen. In dem sie meine Sachen wegnahmen. Die Art der Behandlung, hatte ich schon oft genug erlebt und das machte mir die beiden noch unsympathischer.

Automatisch ging ich dann auf Abwehr. Oft genug hatte der Oberstleutnant mich versucht zu etwas zu zwingen, was ich partout nicht wollte. Selbst er ist dann immer auf massiven Widerstand gestoßen und hat damit meine aktive Gegenwehr provoziert. Einige Male hatte ich mich sogar mit körperlicher Gewalt, gegen Mayer zur Wehr gesetzt, als er mir körperlich zu nahe kam.

Runges holten sich keine Sympathiepunkte bei mir, wenn sie versuchten mich mit Gewalt festzuhalten. Mir meine Anziehsachen wegzunehmen, fand ich sehr befremdend. Dachten die vielleicht wirklich, ich würde nicht auch in Turnhose und Bustier nach Hause laufen. Mit so etwas konnte man mich nicht zwingen hier zu bleiben. Das Schlimmste für mich war allerdings, dass ich ihren Gedankengängen nicht folgen konnte, das war etwas, dass ich absolut nicht mochte. Wie sollte ich dann einschätzen können, was man von mir wollte? Der Polizeirat hätte mir doch einfach befehlen können hier zu bleiben. Dazu musste er nicht meinen Overall verschwinden lassen. So hatte ich ihn gar nicht eingeschätzt. Sie sollten mich einfach in Ruhe lassen, ich würde nicht hier bleiben, bestimmt fand ich einen Weg zu verschwinden. Daran würde der Polizeirat und auch Rudi nichts ändern können.

Ich fand schon eine Gelegenheit, um zurück in meine Wache zu laufen. Dort waren wenigstens noch Oliver, Ines und Felix, na ja auch Ronny war dort. Außerdem hatte ich dort meine Overalls und konnte duschen gehen und mich verbinden. Dort war es um vieles besser als hier. Die Jungs dort verstanden mich wenigstens und dachten so wie ich.

Aber diese Leute hier waren so anders, guckten eigenartig, nur weil ich die Füße auf den Sitz zog und nicht sofort mit ihnen sprach. Sie verstanden mich einfach nicht. Wie denn auch, sie wussten nicht wie man kämpft. Außerdem hatte Sender und John nicht recht, ich würde ihnen nie meinen Rücken zudrehen. Ich traute ihnen einfach nicht. Mein Misstrauen war am richtigen Fleck, das bewies mir die Tatsache, dass sie mich zwangen hier in Unterwäschen vor ihnen zu sitzen. Rudi und John, begingen einen großen Fehler, wenn sie ihnen ihr Leben anvertrauten. Immer heftiger schaukelte ich, um den Druck in mir los zu werden, sonst hätte ich etwas getan, was nicht gut war.

Jo schüttelte den Kopf und raufte sich die Haare, so kompliziert hatte er sich das nicht vorgestellt, mit der Kleenen. Fast eine viertel Stunde wartete er jetzt darauf, dass die Kleen ihm antwortet, statt zu antworten, fing sie immer mehr an zu schaukeln. Er gab auf, stand auf und ging zu seinem Stuhl. Grübelnd stützte den Kopf auf die Hände und starrte auf die Tischplatte. Er verstand einfach nicht, was sie falsch gemacht hatten. In dem Moment, kam Rudi in die Wohnküche und sah wie verzweifelt Jo und auch Viola war, weil sie gar nicht an mich herankamen.

„Kahlyn, sieh mal ob dir das passt, wir müssen dann mal in die Stadt fahren und dir etwas zum Anziehen kaufen. Aber für jetzt, geht das erst einmal.“

Ich nahm dankbar die Sachen von Rudi und zog sie wortlos an. Ich war froh, dass ich nicht mehr halb nackt hier sitzen musste. Die Sachen rochen aber gut und ganz weich waren sie.

„Danke“, sagte ich ganz leise und nur für Rudi bestimmt, der mich intensiv musterte. Er war also auch der Meinung, dass es nicht rechtens von den Runges war, mir meinen Overall weg zunehmen. Vielleicht erkannte er dann auch, dass er sich geirrt hatte in den Beiden. Dass er falsch lag damit ihnen zu vertrauen.

„Na ja, ein wenig groß ist es ja, aber besser als nichts, auf alle Fälle. Komm, wollen wir ein Stückchen laufen?“

Ich nickte, stand auf und ging zur Tür. War froh hier weg zukommen. Rudi ging nach vorn und öffnete die Tür, in dem er sie aufschloss und ließ mich heraus. Sogar eingeschlossen hatten sie mich. Ich würde nicht wieder in dieses Haus gehen, nahm ich mir vor und würde die erst beste Gelegenheit nutzen, um von hier zu fliehen.

Wir fingen an zu laufen, fast vier Stunden liefen wir, quer Feldein, am Fluss entlang, durch einen großen Wald und einen Park. Es war kurz nach halb zwei, als wir wieder bei den Runges ankamen. Beide hatten wir uns ausgepowert. Rudi war wirklich ein guter Läufer, viel besser als beim Training des Teams. Er schaute mich an.

„Na, geht es dir jetzt ein wenig besser.“

Wir gingen in seine Wohnung und von dort aus, weiter nach hinten in den Garten. Setzten uns an das Schwimmbecken.

„Kleene, darf ich dich was fragen?“ Rudi sah mich ernst an.

Ich musterte ihn verwirrt. „Klar darfst du das.“

Tief holte Rudi Luft. „Was ist los mit dir? So verschwiegen bist du ja nicht mal am ersten Tag auf der Wache gewesen. Kannst du mir erklären, was wir falsch gemacht haben, dass du so schweigsam bist. Den ganzen Tag schon, muss ich dir jedes Wort aus der Nase ziehen oder bist du wieder krank?“

Ich schüttelte den Kopf und wusste nicht, wie ich ihm das erklären sollte. Deshalb zuckte ich wieder nur mit den Schultern. Mein Kopf tat weh, mein Herz raste, was aber nicht vom Laufen kam. Immer, wenn ich zu den anderen sah, hatte ich das Gefühl, das Gleich etwas Schreckliches passieren würde. Der Drang einfach wegzulaufen wurde immer stärker. Ich wusste selber nicht, was mit mir los war. Ich wusste nur, dass ich nicht hier bleiben wollte und ahnte, nach dem was mir Rudi unterwegs erzählt hatte, dass dieser nicht mit mir kommen wollte. Dass er diesen Runges hundertprozentig vertraute und mich dazu zwingen wollte dies auch zu tun. Ich war also auf mich alleine angewiesen, konnte nicht mit seiner Hilfe rechnen. Vor allem aber wusste ich nicht, ob mein Vertrauen in ihn, wirklich gerechtfertigt war. Egal was Rudi sagen und machen würde, ich würde von hier weglaufen. Aber ich würde nichts mitnehmen, was nicht mir gehörte.

Anstatt Rudi zu antworten, stand ich auf und zog meine Sachen aus, nur in Bustier und Turnhose begleitet, fing ich an das Fobnekotar zu machen. Es lenkte mich etwas von den seltsamen Gedanken ab, die mir laufend kamen. Gedanken, die ich eigentlich nicht denken wollte. Das Fobnekotar gab den Anderen vor allem, das Gefühl, dass ich hier bleiben würde. Ich konzentrierte mich auf meine Übung. Da Rudi merkte, dass mit mir nicht zu reden war, stand er auf und ging hinein zu den Runges. Er war verwirrt und vor allem ratlos, genau wie seine Freunde.

„Jo, ich habe keine Ahnung, was mit der Kleenen los ist. Wir haben irgendetwas falsch gemacht. Ich habe aber keine Ahnung was. Selbst mir gibt sie keine Antwort mehr. Am liebsten würde ich John anrufen. Aber der ist ein paar Tage weggefahren mit seiner Familie. Er ist mit Ramira wieder einmal im Krankenhaus.“

Jo Runge sah seinen Freund an. „Rudi, keine Ahnung, was mit ihr ist. Mit Tim hat sie sich vorhin ganz normal unterhalten. Aber weder mir, noch Viola gab sie eine Antwort. Ich hab vorhin schon mit Jenny gesprochen, ob sie nicht mal versuchen kann, mit der Kleenen zu reden. Ich bin am Ende mit meinem Latein. Sonst müssen wir sie einfach lassen, bis sie von alleine kommt, meint Viola. Es ist hier einfach alles anders, als sie es gewohnt ist. Weißt du was Viola vermutet?“

Sender schüttelte den Kopf und sah seinen Freund fragend an.

"Vielleicht hätten wir ihr Sachen zum Anziehen hinlegen sollen und ihr erst einmal zeigen sollen wo sie Duschen kann. Vielleicht ist ihr das in die Nase gestiegen. Stell du dir mal an ihre Stelle die Situation vor. Wäre mir auch unangenehm gewesen. Weiß der Teufel, was nun wieder in ihren Kopf vor sich geht. Du weißt ja wie verquer Kahlyn denkt."

Rudi stimmte Jo zu.

Die Männer beobachteten mich durch das Fenster, wie ich ohne auf meine Umwelt zu achten, meine Übung machte. Ich spürte genau ihre Blicke und wollte sie in Sicherheit wiegen. Es ging schon auf die siebende Abendstunde zu, als ich den zehnten Durchlauf beendet hatte. Ich war schweißgebadet, aber ich fühlte mich etwas wohler. An dem Schwimmbecken war eine Dusche, dort ging ich hin und ließ das kalte Wasser, über meinen Körper laufen. Rudi kam, kaum dass ich mit dem Fobnekotar aufgehört hatte, nach draußen.

„Na Kleene, geht es dir jetzt besser?“

Ich ignorierte ihn einfach. 'Warum ließen sie mich nicht einfach in Ruhe, verdammt nochmal. Ich wollte nur meine Ruhe haben. Warum kapierten die das nicht endlich?' Ging es mir durch den Kopf.

Rudi sah mich besorgt an. Er hatte bemerkt wie blutdurchdrängt mein Verband war, auch über dem Verband hinaus, blutete mein Rücken. 'Was ist los mit dir Kleine?' Ging es ihm durch seinen Kopf. 'Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen. Irgendwann gestern Nachmittag, du müsstest doch eigentlich Hunger haben. Noch dazu, weil du dich ausgepowert hast.' Wieder versuchte Rudi mir ein Gespräch aufzudrängeln. „Kahlyn, was ist los mit dir? Haben wir etwas falsch gemacht? Warum blockst du uns so ab? Bitte rede doch mit mir, Kleene.“

Immer wieder, versuchte er mir ein Gespräch aufzudrängen. Je mehr er auf mich einsprach, umso größer wurde meine Wut. Warum ließ mich nicht endlich in Ruhe, verdammt nochmal. Am liebsten hätte ich ihn angeschrien. 'Lass mich doch einfach in Ruhe, ich will doch nur in meine Wache zurück.' Aber ich schrie ihn nicht an, sondern dachte mir den Satz nur.

Gehetzt sah ich mich um. Über die Hecke konnte ich nicht springen, ich wusste nicht was dahinter war, also konnte ich nur über den Zaun des Nachbargrundstückes, dann zwischen den Häusern, über das flache Gebäude laufen. Ja, genauso würde ich es machen. Rudi drehte sich um, weil Viola ihm etwas zugerufen hatte. Jetzt oder nie dachte ich so bei mir.

Ich lief los, ein Sprung über den Zaun, dann hoch auf das Dach, des flachen Gebäudes, auf der anderen Seite herunter. Schon konnte ich zu dem kleinen Wäldchen laufen, von dort aus kannte ich den Weg, keine fünf Minuten später, klingelte ich an meiner Wache, Falko öffnete mir die Tür und ich lief hinein. Ich war Zuhause. Lief an den verdutzt aussehenden Wachtmeister vorbei, hinter in den Bereitschaftsraum. Ging an meinen Spind und zog mich aus.

Endlich heraus aus den Drecksklamotten, die nach Blut und Schweiß rochen. Sofort ging ich duschen, ach tat das Gut. Nach einer guten Stunde fühlte ich mich wohler, vorsichtig band ich den Verband ab, es fing wieder an zu bluten. Ich musste also wieder den Doko holen. Mir blieb nichts erspart, aber am Rücken konnte ich mich nicht selber behandeln. Ich band mir das Badetuch um und ging vor in die Wachstube.

„Falko, kannst du den Doko bitte nochmal fragen, ob er mir beim Verbinden hilft?“, fragte ich den Wachtmeister einfach. „Ach so, bitte sei so lieb und rufe bei den Runges an, dass ich hier bin. Ich bin weggelaufen, damit die mich nicht suchen. Danke dir, bis später“, verlegen dreinschauend drehte ich mich einfach um und ging zurück in den Bereitschaftsraum, der vollkommen leer war. Ohne das sonstige rege Treiben, was die Männer hier immer veranstalteten. Wo waren die Jungs von Ronny eigentlich? Ich setzte mich an den langen Tisch, so nackt wie ich war, nur mit dem Badehandtuch begleitet. Was war nur los mit mir? Ich verstand mich selber nicht mehr. Verdammt ich war so müde, ich wollte nur schlafen. Ich verstand auch nicht wieso ich schon wieder so hohes Fieber hatte, war mein Rücken so schlimm entzündet. Kamen diese komischen Gedanken die mir ständig durch den Kopf gingen vom Fieber? Aber so hoch war es doch gar nicht, es war über 59°C aber, das ist doch kein Delirium, sonst könnte ich doch nicht mehr so klar denken. 'Doko komme bitte bald. Ich möchte endlich ins Bett. Ich bin so müde.' Es dauert gar nicht sehr lange, bis Doko Karpo erschien. Ich freute mich ihn zu sehen, endlich ein Mensch der mich verstand und den ich vollends vertrauen konnte. Erleichtert atmete ich auf.

„Doko, kannst du mir helfen mein Rücken blutet wieder ganz schlimm, ich bekomme die Blutung nicht zum Stillstand alleine und kann sie kaum noch kontrollieren. Mich macht der Blutverlust langsam kaputt. Bitte helf mir. Du kannst mir doch helfen?“, fragte ich ihn sofort.

„Komm mit, ich sehe mir das noch einmal an.“ Jede schnelle Bewegung vermeidend, folgte ich Doko in die Sanistube. Der untersuchte die Wunden noch einmal, schüttelte den Kopf.

„Ich verstehe das nicht Kahlyn, was hast du gemacht? Deine gesamte Haut auf den Rücken löst sich auf, kein Wunder, dass du so blutest. Was hast du gemacht seit gestern Abend?“

Ich zuckte mit den Schultern und überlegte, was es damit auf sich haben könnte. Ich habe nichts gemacht, was das ablösen der Haut verursacht haben könnte.

„Ich weiß nicht. Ich bin mit Rudi zu den Runges gefahren, dort habe ich geschlafen, bis heute früh. Dann hat mir Rudi, Sachen von sich gegeben, weil ich ja nichts hatte. Stell dir mal vor Doko, die haben mir einfach meine Sachen weggenommen dort. Dann war ich mit Rudi gelaufen, dann habe ich das Fobnekotar gemacht, das ist eine Turnübung. Aber, das hat keine Auswirkungen, auf die Narben. Das mache ich sonst auch, selbst bei schlimmeren Verletzungen.“

Doko schüttelte den Kopf. „Kahlyn, wir müssen deinen Doko und die Dika fragen, mir kommt da so eine Idee. Komm mal mit“, gemeinsam verließen wir die Sanistube und ging hinter in Rudis Büro, wählte die Nummer der Jacobs.

„Hier Dr. Karpo, Anna kann ich bitte mal Fritz sprechen, bitte.“ Schwester Anna verneint, „Tut mir leid Jens, Fritz ist nicht da, er ist zu Cankat unterwegs, der hat Probleme die der dortige Arzt nicht lösen kann. Aber vielleicht kann ich helfen.“

Karpo stöhnt, verdammt warum ist eigentlich Fritz nie da, wenn man ihn dringend brauchte. Na hoffentlich weiß Anna einen Rat.

„Anna, kannst du mir sagen, ob du vielleicht weißt, ob Kahlyn gegen Waschmittel oder so was in der Art allergisch ist. Der gesamte Rücken von ihr blutet, ich kann mir nicht erklären, wie das passiert sein kann. Gestern schlief sie bei den Runges, aber sie hat nichts anderes gemacht, hat wohl ein T-Shirt und eine Trainingshose von Rudi angehabt. An den Innenseite der Beine, ist die Haut auch ganz rot.“

Anna überlegte. „Tja, hier geht die Wäsche alles in eine Großwäscherei, ich glaube nicht, dass die mit Weichspülern arbeiten. Das könnte schon möglich sein, hier bei uns auf der Krankenstation haben wir so etwas nicht genutzt. Ich weiß es nicht, Jens. Mache einfach die Brandsalbe drauf, ich glaube nicht, dass die schadet. Ich rufe aber gleich mal Fritz an, vielleicht kann er sich das erklären. Bis gleich.“

Vor Sorge um ihr kleines Mädchen hatte Anna schon aufgelegt. Karpo nahm Kahlyn, die nackt im Büro stand und vor sich hin blutete, wieder mit vor in die Sanistube. Nochmals untersuchte er die Haut, weil ihm das keine Ruhe ließ.

„Sag mal Kahlyn, du hast dort nicht geduscht oder gebadet.“

Ich schaute ihn an. „An dem Schwimmbecken habe ich geduscht, aber Seife oder so etwas habe ich nicht genommen. Außerdem hat mein Rücken, schon vorher geblutet.“

Karpo schüttelte den Kopf, an der Dusche kann es also nicht gelegen haben.

„Kahlyn, sag mal als du heute früh munter geworden bist, hat deine Haut da gebrannt oder gejuckt oder etwas in der Art. Hat die Wäsche nach irgendetwas gerochen?“

Lange überlegte ich, dann fiel mir ein, dass die Sachen die mir Rudi gegeben hatte, nach etwas gerochen haben.

„Die Sachen die mir Rudi gab, rochen nach etwas, aber es hat gut gerochen, gebrannt hat mir nichts, auch nicht gejuckt.“

Karpo setzte sich auf den Stuhl und schüttelte den Kopf, wenn es der Weichspüler gewesen wäre, hätte sie etwas merken müssen.

„Sag mal Kleines, hast du hier bei uns irgendetwas, getrunken oder gegessen, was du sonst nicht zu dir genommen hast.“

Wieder überlegte ich, lange. „Das einzige, was ich anders getrunken habe, ist der Kaffee. Sonst habe ich nichts anderes gemacht.“

Karpo atmete auf, das könnte es sein. „Was hast du mit dem Kaffee anders gemacht, als sonst?“, forschte er nach.

Diesmal musste ich mit den Schultern zucken, ich wusste es nicht. „Doko ich weiß es nicht. John brachte mir vor ein paar Tagen einen Kaffee, der ganz lecker geschmeckt hat. Aber ich weiß nicht, was er da anders gemacht hat, als bei meinem. Aber er schmeckte mir gut und vertragen habe ich den auch. Ich merke ja sofort, wenn ich etwas nicht vertrage.“

Karpo überlegte hin und her, wusste aber im Moment nicht wie John, seinen Kaffee trank. „Kahlyn, warte bitte hier, ich muss mal kurz in der Wachstube vorn fragen, wie John seinen Kaffee trinkt. Das weiß ich nämlich nicht. Ich bin gleich wieder hier.“

Sofort verließ Karpo die Sanistube, lief vor in die Wachstube und erkundigte sich bei Falko. „Sagt mal wisst ihr zufällig, wie John seinen Kaffee trinkt?“

Die Wachtmeister lachten. „Jens, der trinkt keinen Kaffee. John, trinkt Zuckersirup mit Kaffeegeschmack. Der ist so süß, da steht der Löffel drinnen“, gab Falko zur Antwort.

In dem Moment klingelte das Telefon. Falko meldete sich und rief keine halbe Minute später Karpo zu. „Für dich Jens, es ist Doktor Jacob.“

Karpo war erfreut, dass dieser gleich zurück rief. „Fritz, kannst du mir helfen. Sag mal kann es sein, dass Kahlyn gegen Zucker allergisch ist?“

Jacob stöhnte. „Jens, Kahlyn, darf keinen Zucker, in großen Mengen zu sich nehmen, dann löst sich ihre Haut auf.“

Karpo war jetzt ebenfalls am stöhnen. „Falko, geh bitte mal in die Sanistube und frage Kahlyn, wie viele Kaffee sie nach Johns Art getrunken hat, sie soll es so genau wie möglich sagen, beeile dich bitte“, sofort nahm Karpo den Hörer wieder ans Ohr. „Fritz, wir haben glaube ich ein richtiges Problem. Kahlyn trinkt seit einigen Tagen, ihren Kaffee auf Johns Art, mit richtig viel Zucker. Ihr Rücken löst sich regelrecht auf. Was soll ich jetzt machen? Verdammt, das kann doch keiner wissen. Bitte gebe mir eine Liste von Dingen, gegen die Kahlyn allergisch ist. Da müssen wir darauf achtgeben. Nicht, dass wir ihr noch mehr Schaden zufügen.“

Jacob schwieg und ging in Gedanken alle Akten der Kinder durch, aber er hatte keine Ahnung, was er dagegen machen konnte. „Jens, ich habe keine Ahnung, was du da machen kannst. Es ist gefährlich, weil ich nicht weiß, ob die inneren Organe auch davon befallen sind. Erkläre Kahlyn am besten, was los ist, sie soll sich selber einmal richtig durchchecken. Vielleicht hat sie selber eine Idee. Ich rufe Anna an und sage ihr, sie soll die Akten durchsehen, ob wir schon einmal etwas mit einer Überzuckerung hatten. Was ich aber nicht glaube, denn solche wichtigen Sachen merke ich mir eigentlich. Ich rufe auch Zolger an, der soll testen ob und wie die Kinder auf Insulin reagieren, aber das ist nicht in zwei Stunden ausgetestet. Auf alle Fälle, darf Kahlyn keinen Zucker mehr zu sich nehmen, auch keine Toffees. Gegen, was sie sonst noch allergisch ist, kann ich dir nicht sagen, selten haben die Kinder etwas anderes, außer ihrer Spezialnahrung bekommen. Nur ein oder zwei Mal im Jahr einen Toffee von Anna, die wollte die Kinder halt ein wenig verwöhnen. Aber die sind auch speziell angefertigt und keine handelsüblichen.“

In dem Moment kam Falko. „Kahlyn, meinte, es wären bestimmt zwanzig Kaffee gewesen, seit der Sache mit den Puppen. Aber mehr auf keinem Fall.“

„Falko, wie viel Zucker nimmt John, auf einen Kaffee.“

Der Wachtmeister überlegte kurz. „Bestimmt acht oder neun Stücke Würfelzucker.“

Karpo überschlug es, also mindestens einhundertsechzig bis -achtzig Stück Zucker hatte das Mädchen zu sich genommen. Das war der blanke Wahnsinn in der kurzen Zeit.

„Fritz, wie ist es, kann ich Kahlyn Insulin spritzen, damit wir den Zucker herunter bekommen.“  

Jacob überlegte. „Ich weiß es nicht Jens. Zolger muss das erst austesten. Es gibt kaum Medikamente die wir bei ihnen einsetzen können. Wenn es noch akuter wird, mit den Symptomen und eine lebensgefährliche Situation eintritt, wäre es ein Versuch wert, aber es ist ein verdammt hohes Risiko, was du da eingehst. Weil ich leider nicht weiß, wie sie auf Insulin reagiert. Wie gesagt, ich werde gleich Zolger anrufen, damit der das durchtestet, aber das dauert ein paar Stunden, also viel zu lange. Versuche es mit einer wirklich sehr niedrigen Dosierung, also die kleinste Dosis die du spritzen kannst und verabreiche das Insulin über einen Tropf mit 0,3 prozentiger Isotone Kochsalzlösungen und spritze sie nach und nach hoch, so kann ihr das wenigste passieren. Und Kahlyn soll sich ständig selbst kontrollieren, Jens. Das ist der Tropf, den ich dir für das N97 mitgeschickt hab. Der Versuch ist es wert. Tut mir leid, du musst das wirklich ausprobieren, da ich keine Ahnung habe. Jens, die Kinder reagieren auf fast alle Medikamente allergisch, die es auf dem herkömmlichen Arzneimittelmarkt gibt. Also fange mit einer viertel Einheit an, ja nicht höher, lieber noch etwas niedriger. Kahlyn merkt sofort, wenn sie allergisch darauf reagiert, dann müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen. Falls Anna etwas heraus findet, melde ich mich, du sagst mir auf alle Fälle Bescheid, falls das Insulin wirken sollte.“

Jacob legte auf, aber man merkte, dass dem Arzt nicht wohl bei der Sache war.

Karpo ging hinter in die Sanistube.

Ich begann nun auch noch an den Beinen zu bluten.

„Doko, was ist los mit mir?“

Völlig irritiert schaute ich Karpo an, so etwas war mir noch nie passiert.

„Kahlyn, du hast zu viel Zucker zu dir genommen. Kannst du bitte mal deinen Körper durchchecken, ob deine Organen auch betroffen sind?“

Ich schüttelte den Kopf. „Das habe ich schon gemacht. Es ist nur die Haut die betroffen.“

Erleichtert atmete Karpo auf, wenigstens war da nichts. „Kahlyn, ich würde gern etwas versuchen, da Fritz auch nicht weiß, wie wir dir helfen können. Ich würde dir gern Insulin spritzen. Allerdings wissen wir nicht ob es hilft. Vor allem musst du kontrollieren ob du darauf allergisch reagierst. Wir müssen unbedingt deinen Blutzucker herunter bekommen.“

Langsam schloss ich die Augen und ging tief in mich. Nach einer ganzen Weile hörte auf einmal das Bluten der Beine auf und auch am Rücken hört es auf zu bluten. Karpo sah völlig irritiert zu seiner Patientin, als ich die Augen aufmachte.

„Was hast du gemacht Kahlyn?“, wollte Karpo neugierig wie er war, von mir wissen.

„Du hast mir doch gerade erklärt Doko, ich muss den Blutzucker senken. Das kann mein Körper auch selber machen. Da musst du mir nichts spritzen. Aber, warum hab ich so viel Zucker im Blut, ich verstehe das nicht.“

Wieder einmal staunte Karpo, über die so unterschiedliche Physiologie dieser Kinder. „Kahlyn, weißt du Kleines, dein John trinkt keinen Kaffee, sondern Zuckersirup mit Kaffeegeschmack. Du hast viel zu viel Zucker in den letzten Tagen zu dir genommen, zwanzig Tassen Kaffee mit je acht oder neun Stück Zucker, dazu noch die ganzen Toffees. Du darfst in der nächsten Zeit keinen Zucker mehr zu dir nehmen. Das verkraftet dein Körper nicht. So nun machen wir einfach Brandsalbe auf die offenen Wunden, dann heilt das schneller. Nur gut, dass du das alles so kannst. Ich hatte richtigen Bammel, dass wir das nicht in den Griff bekommen.“

Ich nickte, jetzt wusste ich endlich, was mit mir los war. Warum ich solche schlimme Kopfschmerzen hatte. Weshalb ich mich so unwohl gefühlt hatte. Im Moment kam aber auch alles zusammen. Das war ja zum Verrückt werden.

„Na ja, wir haben es ja zum Glück heraus gefunden, danke Doko. Aber schade ist das schon, es hat mir lecker geschmeckt. Aber es darf halt nicht sein.“

Karpo nahm sich Handschuhe aus dem Regal und zog sie an. Vorsichtig rieb er meinen Rücken dick mit Salbe ein, verband mir dann ebenfalls die Beine. „Ach ich denke mal Kahlyn, ab und an, darfst du das ruhig trinken. Nur halt nicht ständig. Sag mal Kleines, weißt du gegen, was du sonst noch allergisch bist, nicht, dass wir noch mehr solche Pannen erleben.“

Ich zuckte mit den Schultern, aber antworte ihm versuchsweise trotzdem. „Doko, ich weiß es nicht, wir bekamen ja nur die Spezialnahrung. Aber langsam denke ich, dass es wohl besser ist, wenn ich nicht noch irgendetwas ausprobiere. Jedes Mal, wenn mir etwas schmeckt, werde ich krank davon. Also werde ich es lieber lassen. Aber es ist nicht so schlimm, dann schaue ich halt einfach nur zu. Danke, dass du mir geholfen hast Doko“, kaum fertig sprang ich von der Liege und gab ihm einen dicken Kuss. „Ich gehe schlafen, ich bin so müde.“  

Karpo streichelte mir ganz lieb über das Gesicht. „Dann schlaf mal schön. Soll ich morgen früh noch einmal nach dir sehen oder kommst du jetzt klar?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein ich komme klar, die Jungs vorn können mir genauso beim Verbinden helfen und die Salbe auf den Rücken machen. Ich bin so froh, dass ich jetzt weiß, was mit mir los war. Es war ganz komisch heute schon den ganzen Tag. Doko…“ druckste ich herum.

„Was ist Kahlyn?“

„…ich…“ Ich wollte dem Doko gern noch etwas sagen, wusste aber nicht, wie ich anfangen sollte.

„Was ist Kahlyn, sag es doch einfach, hier beißt dich doch keiner.“

Tief holte ich Luft. „…ich bin weggelaufen.“

Jetzt sah mich Karpo verwundert an. „Wie weggelaufen?“

Ich starrte zu meinen Füßen. „Von Rudi und den Runges.“

Verwundert hörte Karpo meine Worte. „Warum das?“

Wieder wusste ich keine Antwort darauf, zuckte erst einmal mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Doko, ich wollte da nur weg. Stell dir mal vor, die haben mich eingeschlossen und dann haben sie mir einfach den Overall weggenommen und versteckt, damit ich nicht weggehen kann. Ich musste einfach weglaufen. Es war wie ein Zwang. Ich hatte Herzrasen und diese Viola und der Polizeirat, sahen ganz komisch aus. Ich kann dir nicht mal sagen, warum. Aber ich gehöre da nicht hin. Hier gehöre ich her, auf meine Wache. Aber dort störe ich nur. Ich weiß nicht, was ich dort machen soll. Es war einfach alles so komisch dort.“

Karpo fing an zu lachen, so ganz tief aus dem Herzen. „Kahlyn, Kleines du bist doch nicht etwa ein kleiner Angsthase und fürchtest dich, vor allem was dir Unbekannt ist. Viola und Jo Runge und deren Rasselbande Jenny, Tom und Tim, sind die netteste Familie, die ich kenne. Ohne eine Sekunde nachzudenken, würde ich denen mein Leben anvertrauen und du läufst weg“, er schaute mich mit schief gehaltenem Kopf an.

„Mag ja sein Doko. Ich weiß ja selber nicht, warum. Aber, dass sie mir meine Sachen wegnehmen und die Türen zu schließen ist gemein. Außerdem … es war wie ein Drang, den ich nicht aufhalten konnte. Ich musste einfach dort weg. Selbst wenn ich wollte, könnte ich nie wieder dort hin, ich hab's einfach versaut“, stellte ich Schulterzuckend fest.

„Wieso denkst du so etwas, weil du weg wolltest? Das ist doch Quatsch Kahlyn, komm ich fahre dich wieder hin. Glaube mir, die sind wirklich nett. Die freuen sich, wenn du wieder kommst. Weißt du, dass das alles auch mit dem Zucker zusammen hängen kann. Du wirst so eine Art Zuckerschock gehabt haben, das kann zu Kopfschmerzen, auch zu einer Verwirrtheit, Herzrasen, Angstzustände bis hin zu Halluzinationen führen. Also mach dir da mal keine Sorgen, versuche es doch einfach noch einmal. Geb dir ein paar Tage Zeit. Wenn es gar nicht geht dort, nehme ich dich mit zu meiner Mutti, die hat genug Platz zu Hause und freut sich wenn sie nicht immer alleine ist. Aber ich denke bei Runges wird es dir in ein paar Tagen gefallen. Komm zieh dich an, ich bringe dich nach Hause. Was willst du hier? Es ist schon schlimm genug, hier drei Wochen am Stück zu sein. Also los.“

Ohne Gnade schob er mich in Richtung Spind. Ich nahm mir saubere Wäsche und zog mich an. Diesmal nahm ich allerdings meinen Medi-Koffer mit und zog auch meine Schuhe an.

„Fertig“, sagte ich dann zu Karpo.

Gemeinsam gingen wir nach vorn in die Wachstube, die Uhr über der Tür zeigte 21 Uhr 40. Karpo ließ sich von Falko einen Toniwagen holen, danach fuhren wir zu den Runges. Mir war ganz schlecht vor Angst, weil ich schon wieder weggelaufen war.

„Doko ich habe Angst. Rudi ist bestimmt sauer auf mich.“

Karpo lachte. „Ach, das glaube ich nicht, dass Rudi sauer ist. Er wird froh sein, dass du wieder da bist. Dir reißt keiner den Kopf ab, ich erkläre den Dreien einfach, was los mit dir war. Du gehst am besten gleich schlafen, morgen geht es dir wieder besser. Also mach dich nicht so verrückt.“

Karpo nahm mich in den Arm. Ich rollte mich auf den Sitz zusammen und legte meinen Kopf auf seine Beine. Keine Minute später schlief ich tief und fest. Bekam wieder einmal nicht mit, dass ich ins Bett getragen wurde. Ich war endlich zu Hause angekommen.

Karpo allerdings, erklärte den Runges und Rudi, was los gewesen war. Spät in der Nacht, fuhr auch er dann nach Hause. Mit Jo, Rudi, Viola einer Meinung, dass es nicht so einfach sein würde, mich in das normale Leben einzugliedern. Dass man noch viele, solcher Situationen erleben würde, bis ich mich eingelebt hatte.

 

 

 

Am nächsten Morgen wurde ich wach, es war gerade 5 Uhr in der Früh. Ich nahm meine Brille und sah mich um. Wie war ich hier hergekommen? Fragte ich mich ernsthaft. Es wurde langsam zu einer dummen Angewohnheit, dass ich nicht wusste wie ich ins Bett kam. Ich setzte mich auf das Bett und sah mich um. Ich war wieder bei Runges. Hatte ich dass alles nur geträumt, dass ich weggelaufen war? Ich checkte flüchtig meinen Körper durch. Nein es war wirklich wahr, aber wie war ich hier gekommen. Ach ja, ich bin gestern Abend zusammen mit dem Doko wieder hier hergefahren. Langsam fiel mir alles wieder ein. Ich kontrolliere meinen Körper nochmal, aber diesmal ganz genau. Es war alles wieder in Ordnung. Der Zucker war in dem Bereich, wo er zu sein hatte. Mein Rücken blutete nicht mehr, auch die Kopfschmerzen und das Herzrasen waren weg. Langsam erhob ich mich und verließ das Zimmer. Lief den Flur entlang. Was sollte ich jetzt machen?

Leise und vorsichtig lief ich durch das Haus. Es war so ruhig hier, alle schliefen noch. Behutsam öffnete ich jede Tür, ging die Treppe nach unten, schließlich fand ich das Bad. In der Küche stand mein Medi-Koffer, den holte ich mir. Ich begann im Bad damit, die Binden abzuwickeln. Oh je mein Rücken sah schlimm aus, im Spiegel sah ich, dass er ganz entzündet war. Deshalb ging ich erst einmal duschen und ließ einfach das Wasser über den Rücken laufen. Verdammt es brannte wie Feuer, als das Wasser auf meinen Rücken prasselte. Aber es nutzte nichts, die Salbe muss herunter. Sonst konnte ich nicht sehen, wie schlimm mein Rücken wirklich aussah. Langsam wurde es besser, die Salbe war heraus gespült wurden. Allerdings fing mein Rücken wieder an zu bluten, deshalb ließ ich den Rücken einfach etwas offen. Zog nur das T-Shirt über, ich fand hier nirgends ein Handtuch. Nass wie ich war, ging ich in die Küche, es war keiner da.

Fran hatte mir gesagt, er freute sich, wenn jemand den Tisch an räumen würde, also öffnete ich die Schränke. Sah nach, wo all die Dinge waren, die ich zum Tisch decken brauchte. Nach und nach fand ich alles, Teller, Tassen und Besteck. Alles stellte ich so hin, wie es mir Fran gezeigt hatte. Fand schließlich ich auch Speck und Zwiebeln. Ich schälte sie und schnitt es so, wie es mir unser Koch auf der Wache, gezeigt hatte. Gab den Speck in die Pfanne, aber ich wusste nicht, wie der Herd anging. Der war so ganz anders, als der den Fran benutzte. Also stellte ich nur die Pfanne auf den Herd. Bereitete den Rest vor und schlug das Ei, würzte es schon einmal, so wie Fran es mir gezeigt hatte.

Dann setzte ich mich auf den Stuhl und wartete. Eine halbe Stunde später, hörte ich, dass jemand aufgestanden war. Viola kam die Treppe herunter und sah staunend, dass ich schon auf gestanden war.

"Guten Morgen Kahlyn. Ich hoffe dir geht es wieder besser. Schön hast du den Tisch gedeckt", begrüßte mich Viola Runge. Wenige Augenblicke später, sah sie, dass ich Rührei vorbereitet habe. „Na lecker, du hast ja sogar schon etwas vorbereitet, magst du Rührei?“

Freundlich, aber auch ein bisschen ängstlich, sah sie mich an. Warum hatte ich eigentlich so eine Angst vor ihr gehabt? Ich verstand mich selber nicht mehr. Lag das wirklich daran, dass der Zucker so hoch gewesen war? Hatte ich tatsächlich Halluzinationen? Die mir irgendetwas vorgegaukelt hatten, was nicht den Tatsachen entsprach. Ich legte den Kopf leicht schräg, sah diese Frau an und musterte sie. Sie sah nett aus, fast wie meine Dika. Ich beschloss auf den Doko, Rudi und auch auf John zu vertrauen, zu oft hatte ich in den letzten zwei Wochen falsche Schlussfolgerungen gezogen, ich musst ihr einfach eine Chance geben.

„Mam, guten Morgen, Mam“, grüßte ich deshalb leise. „Mam, ich darf kein Rührei essen, Mam. Aber Fran hat mir gezeigt, wie man das macht, Mam“, beantwortete ich ihre Frage, deshalb genauso leise. „Mam, ich dachte sie würden sich freuen, wenn ich ihnen zur Hand gehen würde, Mam, und wenn sie nicht alles alleine machen müssen, Mam.“

Viola kam langsam auf mich zu. „Darf ich dich drücken, Kahlyn, das mache ich immer, wenn ich mich ganz sehr freue. Ich freue mich so, dass du das gemacht hast und auch weil du heute mit mir sprichst.“

Ich nickte, was hätte ich sonst machen sollen. Viola kam auf mich zu und nahm mich in den Arm, dann drückte sie mich. Leider etwas zu sehr, mein Rücken tat immer noch weh, so zuckte ich zusammen. Viola erschrak, dann noch mehr als sie ihre Arme sah, die ganz blutig waren.

„Habe ich dir weh getan? Entschuldige bitte Kahlyn, was ist mit deinen Rücken?“ Besorgt sah sie mich an. „Wieso blutest du?“

„Mam, es ist nichts weiter, Mam, ich kann nur die Salbe nicht alleine drauf machen, Mam. Ich muss warten bis mir jemand hilft, Rudi oder der Doko kommt, Mam.“

Viola schüttelte den Kopf und lächelte mich an. Holte tief Luft und hoffte stark, dass sie mich nicht gleich wieder verschrecken würde.

„Kahlyn, wenn du mir sagst, was ich machen soll, kann ich dir doch auch helfen. Ich mache das gerne.“

Ungläubig sah ich die Frau an, es würde ihr nicht gefallen, was sie da sah, offen antwortete ich ihr deshalb. „Mam, das ist lieb von ihnen, Mam. Aber mein Rücken sieht nicht sehr schön aus, Mam, ich glaube nicht, dass es gut ist, wenn sie ihn sehen, Mam.“

Viola lächelte mir zu. „Ach Kahlyn, es ist doch nicht schlimm. Ich bin Krankenschwester von Beruf. Ich habe schon viele schlimme Verletzungen gesehen. Auch, wenn ich schon viele Jahre nicht mehr als Krankenschwester arbeite, weil ich mich ja um Jenny, Tom und Tim kümmere, kann ich vieles immer noch machen. Komm, lass uns deinen Rücken verarzten.“

Lächelnd hielt sie mir die Hand hin. Ich nahm sie, was blieb mir auch anderes übrig. War ich doch froh, dass ich mich verbinden konnte. Gemeinsam liefen wir in das Bad, in dem mein Medi-Koffer stand. Ich holte die Brandsalbe und reichte sie Viola, gab ihr auch ein Paar Handschuhe. Die Salbe war für die normale Haut nicht ungefährlich. Vorsichtig zog ich das T-Shirt hoch. Viola japste nach Luft, starrte entsetzt auf meinen Rücken. Sie konnte nicht glauben was sie das erblickte. 'Kein normaler Mensch würde da noch stehen, sondern wirklich jeder würde sich vor Schmerzen am Boden wälzen. Dieses Mädchen stand da, als wenn nichts wäre, obwohl der gesamte Rücken nur rohes Fleisch war. Das noch dazu völlig entzündet war und blutete', ging es Viola durch den Kopf.

„Mam, sie müssen das nicht machen, ich weiß, dass es nicht schön aussieht, Mam. Ich kann warten bis Rudi oder der Doko kommen.“

Viola wollte mir über den Kopf streicheln, den zog ihn automatisch weg. Verwundert sah sie mich an, dann lächelte sie.

„Schon gut Kahlyn, ich war nur etwas erschrocken. Das tut bestimmt weh.“

Ich schüttelte den Kopf, was sollte ich sagen, natürlich tat es weh. Aber das würde ich dieser mir fremden Frau nicht verraten. Mein ganzer Rücken hatte sich fast aufgelöst, die Haut war vollkommen verschwunden und zum Teil auch das bisschen Fleisch, was zwischen Haut und Muskeln war. Klar tat das weh, aber es gab Schlimmeres. Ganz vorsichtig trug sie die Salbe auf. Verwundert sah ich zu ihr hin. Selbst bei Dika, hatte es oft mehr weh getan. Als sie damit fertig war, nahm sie eine Binde aus dem Koffer und wollte mich verbinden. Verneinend schüttelte ich den Kopf. Verbände machte ich lieber selber, denn ich hatte meine eigene Technik für das Wickeln der Binden entwickelt. Die Verbände mussten fest sitzen und durften nicht verrutschen. Schnell und zügig, verband ich die Verletzungen am Rücken. Viola beobachtete mich dabei genau. Auch die Verbände an den Beinwunden wickle ich ab und verband diese neu. Erschrocken sah Viola, wie entzündet meine Beine waren.

„Was hast du da gemacht, wieso geht überall die Haut ab. Das ist bestimmt schmerzhaft. Kann ich irgendetwas tun, was dir Linderung verschafft.“

Erstaunt sah ich auf dies Frau, die Tränen in den Augen hatte. Die mir gestern noch richtig Angst gemacht hat. Wieder schüttelte ich den Kopf.

„Mam, nein sie können nichts machen, es geht schon, Mam. Es tut nicht sehr weh. Es gibt schlimmer Verletzungen, Mam.“

Viola glaubte nicht, was sie da hörte. „Schlimmere Verletzungen, das kann ich nicht glauben. Aber Rudi hat mir gesagt, dass du ein guter Arzt bist. Sag einfach, wenn du Hilfe brauchst.“

Ich kniete mich vor dem Medi-Koffer, stellte den Ampullenkoffer daneben und zog mir den Heiler F28 und K11 ein Mittel gegen Fieber auf, weil ich schon wieder Temperatur bekam, durch die riesige offene Wunde am Rücken, wie ich vermutete. Beides spritzte ich mir gewohnter Weise in die Halsschlagader.

„Was spritzt du dir da Kahlyn?“ Viola war neugierig.

Ich schaute sie verwundert an. Nie interessierte sich jemand dafür, was ich mir spritzte. Wieso wollte sie das wissen, was hatte sie davon. Aber ich wollte diese Frau nicht schon wieder vor den Kopf stoßen, also antwortete ich ihr.

„Mam, die erste Spritze ist ein Mittel gegen Fieber, das zweite beschleunigt den Heilungsprozess, Mam“, erklärte ich kurz angebunden.

„Fieber, du hast Fieber? Wie hoch ist es? Dann lege dich bitte hin, nicht, dass du noch richtig krank wirst, bitte Kahlyn.“

Ich schüttelte den Kopf. „Mam, nein ich habe kein richtiges Fieber. Etwas erhöhte Temperatur, das ist aber normal. Es ist eine Abwehrreaktion meines Körpers, Mam. Es ist gut, wenn ich das bekomme, dann geht die Heilung schneller. Ich muss in kein Bett, Mam. Glauben sie mir, ich kenne meinen Körper gut, Mam.“

Setzte ich noch nach, als ich sah wie zweifelnd Viola mich ansah. Daraufhin packte ich den Koffer zusammen und ging aus dem Bad. Das T-Shirt konnte ich nicht mehr anziehen, es war ganz blutig, also hatte ich wieder nur das Bustier und die Turnhose an. Ich wusste auch nicht, wo mein Overall geblieben war.

„Mam, wissen sie wo mein Overall ist. Ich kann ihn nicht finden, Mam. Der andere Overall ist auch verschwunden. Mir ist kalt, Mam“, stellte ich Viola wegen der verschwunden Overalls zur Rede, auch weil ich fror.

„Kahlyn, den habe ich gestern Abend gewaschen, er war total blutig. Die Overalls sind aber beide noch nicht trocken. Warte bitte einen Moment, ich hole dir etwas von mir zum anziehen“, sofort lief sie nach oben und kam keine zwei Minuten später mit einem Pullover und einer Trainingshose zurück.

„Hier probier die Sachen bitte einmal an, ich bin mir nicht sicher, dass sie passen“, sie hielt mir beides hin.

Ich zog den Pullover an, er passt einigermaßen, auch wenn er im Kreuz etwas eng war. Die Trainingshose allerdings war viel zu klein.

„Oh…“ Viola sah mich verwirrt an. „... die ist doch zu eng. Da muss ich mal bei Rudi gucken, ob ich eine finde, die ihm zu klein ist. Warte ich muss noch mal in die Waschküche.“ Noch einmal flitzte sie los und kam einige Zeit später, mit einer anderen Hose zurück. „Probier die bitte mal an“, zum Glück passte die Hose einigermaßen.

„Danke, Mam“, sagte ich leise.

Viola grinste mich an. „Na, das wird schwer werden, für dich passende Sachen zu bekommen“, meinte sie lächelnd.

Ich nickte, das wusste ich selber nur zu gut. „Mam, ich weiß. Ich bin einfach zu breit, für meine Größe, Mam.“

Jetzt fing Viola an schallend zu lachen. „Na ja, dann musst du halt auf die Streckbank. Aber kürzer können wir Hosen schnell machen. Wir werden schon etwas finden. Trainingsanzüge auf alle Fälle, bei denen ist es nicht so wichtig, wenn sie etwas zu lang sind. Nur mit zivilen Sachen wird es schwierig werden.“

Wieder verstand ich nicht, was sie meinte, hielt meinen Kopf schräg und sah sie fragend an. Zog dabei meine Füße auf den Sitz, ich fühlte mich irgendwie total unsicher.

„Mam, was heißt das zivile Sachen, Mam? Was ist das, Mam?“

Erkundigte ich mich einfach. Immer wusste ich nicht, was alles ist? Das machte mich langsam aber sicher ganz verrückt. Ich hatte mich immer, für nicht ganz dumm gehalten, aber hier bekam ich irgendwie das Gefühl, als wäre ich strohdumm. Viola sah mich lange an. Ach Kleines, du weißt so vieles nicht über das Leben hier draußen, wie erkläre ich dir das nur.

„Kahlyn, du kannst doch nicht immer, mit dem Overall rumlaufen. Deshalb trägt man hier, halt zivile Kleidung, so wie ich sie an habe oder wie sie Rudi und Jo an haben, wenn sie zu Hause sind. Oder, wie du sie jetzt gerade trägst.“

Ich verstand es nicht. Konnte einfach nicht begreifen, warum man so etwas machte. „Mam, warum kann ich nicht immer Overalls tragen. Die Overalls sind doch bequem. Ich mag sie sehr. Die sind besser als die Uniformen, die sind unbequem, Mam.“

Viola lächelte. „Was habt ihr angehabt, wenn ihr mal nicht im Dienst wart?“, wollte sie einfach von mir wissen.

Ich schaute sie verwundert an und dachte lange nach. Aber ich kannte nichts anderes. „Mam, wir haben immer Overalls angehabt. Nur wenn wir zu Veranstaltungen gingen, mussten wir die Gala anziehen oder die Showsachen, Mam. Die Showsachen waren schön. Aber die Gala habe ich nie gemocht, weil sie einfach unbequem sind. Die Uniform hat überall gezwickt und man konnte sich kaum darin bewegen, Mam“, irritiert sah ich Viola an.

Die schüttelte den Kopf. „Ach Kahlyn, ich vergesse immer, dass du aus einer ganz anderen Welt kommst, entschuldige bitte. Sag mal möchtest du das Rührei fertig machen oder soll ich das machen?“, wollte sie mich vom Thema ablenkend.

„Mam, ich weiß nicht wie das Kochgerät angeht, ich wollte ihn nicht kaputt machen, Mam“, erklärte ich deshalb.

Verlegen sah ich auf meine Finger, die ganz von alleine anfingen zu spielen.

Viola nickte. „Komm her, ich erkläre dir, wie das geht. Schau, du musst hier auf den Knopf drücken, dann den Anzünder an machen, schon ist das Gas an. Du musst aber genau darauf Acht geben, das immer eine Flamme da ist, sonst fliegt das Haus in die Luft.“

Ich nickte und sah zu wie Viola die Gasflamme anmachte. Vorsichtig ging ich mit dem Finger darüber, das war ganz schön heiß, fast so heiß wie der Brenner vom Doko im Labor.

Viola schüttelte den Kopf, was kannte das kleine Mädchen noch alles nicht. Es war viel schlimmer als sie sich das vorgestellt hatte. 'Na ja, wir werden schon lernen, mit der Kleinen klar zu kommen. Vor allem ihr all die Unbekannten Dinge zu erklären', schoss es Veilchen durch den Kopf. 'Gemeinsam werden wir bestimmt eine Lösung finden. Wenn Kahlyn etwas Vertrauen aufgebaut hat, würde alles leichter werden', hoffte sie sehr.

In dem Moment als Viola diese Gedanken durch den Kopf gingen, kamen Jenny und Tom, die Treppe herunter gelaufen.

„Guten Morgen Mutti“, rief Jenny freudestrahlend, dann stutzte sie und lächelnd sie sah sie mich an. „Guten Morgen Kahlyn, schön das du hier bist.“

Tom dagegen brummelt. „Morgen allerseits.“

Viola gab ihren Kindern einen Kuss. „Na Tom, hast wohl nicht ausgeschlafen, Großer?“, neckte Viola ihren Sohn, der gestern Abend wieder viel zu lange gelesen hatte.

„Guten Morgen“, begrüße ich die Beiden.

Wie gestern setzte ich mich wieder ans andere Ende des Tisches. Wieder kam dieses Gefühl in mir hoch, dass ich hier etwas zerstöre, dass ich einfach hier nicht hingehöre. Vorsichtig zog ich meine Füße auf den Stuhl, fing an hin und her zu wippen. Das Gefühl einfach weglaufen zu müssen, holte mich ein. Viola, die es wie die Pest hasste, wenn jemand so auf den Stuhl saß, war kurz davor etwas zu sagen. Allerdings spürte sie sehr genau, dass ich mich schon wieder zurück zog. Deshalb kam sie zu mir und hockte sich vor meinem Stuhl hin.

„Kahlyn, was ist denn los? Warum setzt du dich so weit weg von uns? Komm vor zu uns, bitte. Du gehörst doch jetzt zu uns. Du musst dich nicht von uns fern halten.“

Ich schüttelte den Kopf. Es war nicht richtig, dass ich hier saß, das wusste ich genau. Das sagte ich ihr auch so.

„Mam, ich weiß nicht, Mam. Ich gehöre nicht hier her, Mam. Ich sollte nicht hier sein, Mam“, traurig schaute ich auf meine Finger, die langsame Spiele machten.

„Kahlyn, doch du gehörst hier her. Auch wenn du noch etwas fremd bist. Wir mögen dich alle. Wenn du uns und dir ein bisschen Zeit gibst, können wir dich richtig kennen lernen und du uns auch. Dann fühlst du dich bestimmt hier wohl.“

Ich schüttelte den Kopf. Bei meinen Freunden gehörte ich hin, aber nicht hier her. Ich legte die Stirn auf die Knie und fing an zu weinen. Seit Tagen schon, hatte ich mich nicht mehr so einsam gefühlt. Was sollte ich nur machen?

Ich drang hier in eine Welt ein, die nicht zu mir gehörte. Ich bekam Angst, dass ich Jenny, Tom und Tim etwas wegnahm. Etwas, dass nur den Kindern gehörte und nicht mir. Hier, war einfach alles ungewohnt, alles war anders, als ich es gewohnt war. So völlig anders. Wenn ich sah wie Viola mit Tom und Jenny sprach, so hatte noch nie jemand mit uns gesprochen. Waren wir so schlecht, dass man uns so schlecht behandeln musste. Oder war das alles falsch, was man all die Jahre mit uns gemacht hatte. So wie Tim, Tom und Jenny behandelt wurden so hatte man uns nie behandelt. Obwohl das nicht ganz stimmte, Doko und Dika hatten uns auch ähnlich behandelt, trotzdem aber nicht so.

„Ach Kahlyn, sei doch nicht so traurig“, versuchte Viola mich zu beruhigen.

Wieso wusste sie, dass ich traurig bin? Fragte ich mich. Ich hob den Kopf und sah sie an.

„Komm Mädel, setzt dich hier zu mir. Komm, ich beiß dich doch nicht.“

Sie stand auf und hielt mir ihre Hand hin. Was sollte ich machen? Ich stand auf und ging mit nach vorn, wo die anderen saßen. Viola drückte mich auf den Stuhl auf dem gestern Jo gesessen hatte.

„So ihr beiden, macht hin, dass ihr fertig werdet, ihr müsst in die Schule“, sagte Viola zu ihren beiden großen Kindern.

Warum schickt sie die beiden in die Schule? Das ist überhaupt nicht gut und ich dachte gerade sie wäre nett. Jetzt schickt sie die beiden, in die Hölle. 

„Mam, bitte schicken sie die beiden nicht dorthin, bitte Mam.“

Verwundert sahen mich die drei an.

„Warum nicht?“, fragte mich Viola ganz irritiert.

„Mam, es ist nicht gut, wenn sie dorthin gehen. Dort werden sie bestraft, bitte Mam. Schicken sie die beiden bitte nicht dort hin, bitte Mam“, flehte ich Viola an.

Viola verstand die Welt nicht mehr. Jedes Kind musste in die Schule gehen, das war halt mal so. „Los ihr beiden, ihr kommt noch zu spät, ab mit euch durch die Mitte“, gab sie das Kommando zum Aufbruch für die beiden, die zum Bus mussten. Beide standen auf und gingen in den Flur. Ich unternahm noch einen Versuch

„Mam, bitte Mam, schicken sie die beiden nicht in die Schule, das ist nicht gut, bitte Mam. Das ist gar nicht gut.“

Viola die gerade gedacht hatte, dass sie hätte einen Zugang zu mir gefunden, gab ihren Kindern ein Zeichen, dass sie gehen soll. Sie vermutete richtig, dass ich gleich Stress machen würde. Ich stand auf und ging zur Tür, wollte auf diese Weise verhindern, dass die Beiden das Haus verließen. Stellte mich so, dass die Zwei nicht vorbeikamen an mir.

„Mam, es ist nicht richtig, die Beiden dorthin zu schicken. Sie werden dort bestraft, bitte Mam“, flehte ich die Frau an, der ich gerade ein wenig begann zu vertrauen.

Die aber ihre Kinder in die Hölle und zum Oberstleutnant schickte. Der sie auspeitschen und schlagen würde. Das konnte ich nicht zulassen, ich musste die beiden beschützen. Diese Frau tat so, als wenn es das normalste der Welt wäre, dass ihre Kinder durch diese Hölle gehen mussten. Wie konnte ich nur denken, dass ich ihr vertrauen konnte? Wie konnte ich nur so dumm sein? Auf ihr schönes Gerede hereinzufallen. Ich musste den Beiden helfen. Auf einmal begriff Viola wohl, was ich dachte. Sie ging zu Jenny und flüsterte ihr etwas ins Ohr, die fasste ihren Bruder an die Hand und ging nach unten.

 „Kahlyn, Jenny und Tom gehen nicht in deine Schule, hier wird niemand bestraft. Du musst dir keine Sorgen, um die Beiden machen. Die Schule, macht vielleicht nicht immer Spaß, aber es tut den beiden dort keiner etwas, das verspreche ich dir.“

Ich hätte an die Tür unten bei Rudi denken müssen und ich hasste mich dafür, dass ich nicht ordentlich meine Arbeit gemacht hatte. Ich sah aus dem Fenster. Sah die beiden, wie sie nach dem Bus liefen. Viola hatte mich ausgetrickst. Ich war wütend auf mich und böse mit ihr.

„Nein“, schrie ich auf und rüttelte an der Tür die aus dem Haus herausführte. Aber die war zugeschlossen und dadurch konnte ich nicht hinter den Kindern herlaufen.

Viola kam auf mich zu, um mich zu beruhigen.

Ich sah sie böse an. Sie schickte einfach die Kinder in die Schule. Sie war eine böse Frau. Als sie mich anfasste wollte, fauchte ich sie an und drehte mich weg von ihr. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich lief nach hinten in die Wohnküche, ganz hinter in eine Ecke, wo es dunkel war und hockte mich dort hin. Ich musste überlegen, was ich tun konnte. Wie sollte ich Tom und Jenny finden, ich wusste doch gar nicht, wo sie hin gegangen waren. Ich würde meinem Bauch folgen müssen, damit ich sie schnellstens fand. Dazu musste ich aber hier weg.

Ich legte meinen Kopf auf die Knie und weinte. Sah so mein Schutz für Tom und Jenny aus. Ich mochte die Frau nicht mehr sehen, sie war bösartig und hinterhältig. Ich hatte mich nicht in ihr getäuscht, gestern. Sie schickte ihre Kinder zum Oberstleutnant, sie war eine gemeine Frau. Ich würde nie wieder mit ihr reden. Viola verstand nicht, was sie falsch gemacht hatte, wollte wieder mit mir reden. Verzweifelt saß ich in der Ecke, hatte meine Knie umschlungen und schaukelte hin und her. Ich verstand es einfach nicht, gerade dachte ich, sie wäre nett, aber ich wurde völlig getäuscht von ihr. Warum nur war sie so? Warum schickte sie ihre Kinder in diese Hölle? Wieso ließ ich mich ständig von ihr derart täuschen?

Jo kam in die Küche, reichlich müde sah er aus und ging zu seiner Frau, die nach zwanzig Minuten aufgegeben hatte, in mich einzudringen. Viola saß am Tisch und weinte.

„Was ist los Veilchen, warum weinst du, gab es Zoff mit den Kindern?“ Jo gab seiner Frau einen Kuss. Die schüttelte den Kopf und zeigte in die Ecke, in die ich mich verkrochen hatte.

„Sie war so gut drauf, schau mal, wie schön sie die Tisch gedeckt hat und ich habe mich so nett mit ihr unterhalten. Jetzt hat sie wieder völlig dicht gemacht und ich weiß nicht mehr, was ich tun soll…“ leise, mit viel Tränen erzählte sie Jo, was vorgefallen war.

Runge raufte sich verzweifelt die Haare, dachte bei sich: 'Oh man so schlimm hatte ich mir das nicht vorgestellt. Aber egal, wir werden es schon hinbekommen. Wir wussten, dass es schwer werden wird.' Langsam kam er auf mich zu. Setzte sich einfach auf die Lehne des Sessels.

„Guten Morgen Kahlyn, wie geht es dir?“, fragte er mich.

Ich zuckte mit den Schultern. Ich wollte nicht mit ihm reden.

„Kahlyn, Viola sagte mir gerade, du wolltest Jenny und Tom beschützen, stimmt das?“

Ich nickte, dann sprudelte die ganze Wut auf Viola aus mir heraus. „Sir, sie schickt sie einfach zum Oberstleutnant, sie schickt sie einfach in die Schule, Sir. Sie ist eine böse Frau, dort werden die beiden geschlagen, Sir. Die beiden könnten sich doch gar nicht verteidigen, Sir. Sie darf das nicht machen, Sir. Aber sie hat mich ausgetrickst, Sir. Ich konnte die beiden nicht beschützen, Sir“, brachte ich mühsam hervor und sah ihn böse an.

Wieder fing ich an zu weinen, es durfte nicht sein, dass man sie schlug. Ich sollte die beiden beschützen, vor dieser bösen Frau. Warum nur konnte ich das nicht? Ich war wütend auf mich, weil ich vertrauensselig gewesen war und mich dadurch hatte ablenken lassen. Jo sah mich traurig an. 'Ach Kleene. Veilchen ist nicht böse, du denkst nur in deiner Welt. Aber es gibt auch noch etwas anderes, dort draußen.'

„Kahlyn, rutsche bitte mal ein bissel, ich würde mich gern zu dir setzen. Ich will auch mit Viola böse sein“, dabei sah er mich mit einem ganz komischen Gesichtsausdruck an.

Ich rutschte ein wenig zur Seite, so dass er auch in die Ecke passt.

„Kahlyn, sag mal, hab ich dich schon einmal angelogen?“

Ich sah Runge in die Augen und dachte eine Weile nach. Dann schüttelte ich den Kopf. „Sir, nein Sir, das haben sie noch nicht gemacht, Sir.“

Erleichtert atmete Jo auf. „Da bin ich aber froh, dass du das so siehst. Könntest du mir dann vertrauen und mir glauben, wenn ich dir etwas erkläre, meine Kleene.“

Ich sah ihn lange an und nickte dann zögerlich. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich ihm glauben sollte. Aber ich hatte mich schon zweimal in ihm getäuscht und ihm schlimme Sachen unterstellt. Ich musste also versuchen ihm zu trauen.

„Das höre ich gern.“

Dabei legte er seinen Arm, um meine Schulter. Ich lehnte mich an ihn, irgendwie erinnerte er mich, an meinen dicken alten Doko, der hatte auch so einen runden Bauch. Ich drehte mich mit dem Gesicht zur Wand, legte meinen Kopf einfach auf seinen kugelrunden Bauch. Jo streichelte über meinen Kopf.

„Kahlyn, weißt du, ich glaube du musst endlich begreifen lernen, dass viele Dinge, hier in dieser Welt in der wir leben, den gleichen Begriff haben, wie in der Welt aus der du kommst. Kannst du das verstehen meine Kleene?“

Ich schüttelte den Kopf, sah ihn aber fragend an, weil ich wissen wollte, wie er das meinte und hoffte, dass er mir erklären würde, was ich nicht verstand. Schließlich war er der Polizeirat und er wusste bestimmt vieles, was ich nicht wusste. Sonst wäre er ja nicht der größte Chef im Polizeiapparat hier in Gera. Der Mann der hier das Sagen hatte.

„Sir, ich weiß nicht, wie sie das meinen, Sir“, erklärte ich ihm offen und ehrlich.

„Kleene, Begriffe wie Schule, Lehrer, Gehorsam gibt es überall. Die gab es in deiner Welt und die gibt es bei uns auch. Aber wir verstehen unter Schule nicht, dass unsere Kinder geschlagen, ausgepeitscht, ertränkt werden. Sondern sie lernen wie du in deiner Schule alles, was man zum Leben braucht. Zum Beispiel lernen unsere Kinder rechnen, schreiben, malen, sogar das singen und turnen. Wenn einer der Lehrer auch nur ein einziges Mal die Hand gegen eins der Kinder erheben würde, bekäme er richtig Ärger und das nicht nur von mir. Das, was man mit euch dort in der Schule gemacht hat, ist dem Himmel sei Dank, eine absolute Ausnahme gewesen. Glaube mir eins mein Kleene, kein Kind, wird hier in der Schule verprügelt, das kannst du mir wirklich glauben. Das schwöre ich dir bei meinem Leben.“

Ich schüttelte den Kopf, ich konnte mir das nicht vorstellen. „Sir, der Oberstleutnant hat immer gesagt, alle Kinder werden so erzogen. Jedes Kind lernt nur, wenn es weiß, was Schmerzen sind, Sir“, erklärte ich Jo.

Runge schüttelte wütend den Kopf. „Pass auf meine Kleene. Wir fahren jetzt in Jennys und Toms Schule. Du wirst sehen, dass dort niemand geschlagen wird. Geb mir bitte fünf Minuten, dass ich das mit der Schule regeln kann. Es ist zum Haare ausreißen, was dieser Mensch euch angetan hat.“

Vorsichtig schob er mich von seinem Bauch und stand ächzend auf, reichte mir die Hand und zog mich aus der dunklen Ecke.

„Komm setz dich und trinke wenigstens einen Kaffee, bis ich mit dem Telefonieren fertig bin“, behutsam schob er mich zum Tisch und drückte mich auf einen Stuhl.

„Veilchen, geb bitte der Kleenen einen Kaffee, aber ohne Zucker bitte, lass sie einfach in Ruhe. Wir klären das auf eine andere Art, damit Kahlyn es wirklich begreifen kann. Ich muss mal kurz telefonieren, bin in meinem Büro.“

Immer noch wütend schnaubend ließ er mich mit dieser unmöglichen Frau alleine. Wieder zog ich die Füße auf den Sitz und sah ihren bösen Blick, aber es war mir egal.

Runge allerdings ging hinüber in sein Büro, wählte die Nummer der Schule.

„Hier ist Polizeirat Runge, kann ich bitte einmal Direktor Lux sprechen? Es ist sehr wichtig“, meldete er sich am Telefon. Die Sekretärin, verband ihn sofort.

„Lux am Apparat. Was kann ich für sie tun, Genosse Polizeirat? Wo drückt denn der Schuh?“

Jo erzählte ihn grob umrissen, was er für ein Anliegen hatte. Lux konnte nicht glauben, was er da erfuhr. Er willigte allerdings sofort ein, dem Polizeirat zu helfen. Keine fünf Minuten später, kam Jo wieder in die Küche und sah wie ich auf meinem Stuhl saß und hin und her schaukelte. Leise ging er zu Veilchen.

„Viola, sie ist nicht wirklich böse auf dich, sie kann nur nicht verstehen, dass du unsere Kinder zu diesem Teufel schickst. Viola, sie kennt doch nichts anderes. Sei nicht böse mit ihr. Ich fahre mit ihr mal in die Schule und zeige ihr, wie eine Schule in der normalen Welt funktioniert. Sonst kann sie es gar nicht begreifen. Geb ihr etwas Zeit, es wird uns noch öfters passieren, dass wir in solche Situationen kommen. Am besten du gewöhnst dich dran“, aufmuntert lächelnd gab er ihr einen Kuss auf die Stirn und wandte sich an mich.

„Kleene, komm, wir beide gehen Tom und Jenny retten. Wenn das denn nötig sein würde.“

Zielstrebig ging Runge in Richtung Tür. Ich stand auf und folgte ihm. Ich war froh, dass wenigstens er lieb zu seinen Kindern war. Runge stieg in seinen Wolga und öffnete die Beifahrertür. Sofort fuhren wir los, keine zwanzig Minuten später, kamen wir vor der Schule an. Wir fuhren auf einen großen Hof. Dort stellte er das Auto ab und stiegen aus.

„Komm Kleene, wir gehen erst einmal zum Direktor.“

Runge hielt mir die Hand hin. Wir gingen durch eine große Tür, dann viele Stufen hinauf, nochmals kam eine Tür, mit zwei Flügeln. Dann betraten wir einen großen Korridor. Rechts und links gingen Türen ab, hinter denen Kinder sprachen. Ich hatte so etwas nur ab und an einmal bei Einsätzen gesehen. Aber da waren nie Kinder in den Gebäuden, die standen dann immer leer.

An einer Tür blieb ich stehen, dort sangen Kinder. Ich sah Jo an, der winkte mir zu kommen. Schnell lief ich ihm nach. Er ging noch zwei Treppenabsätze hinauf. Das Gebäude war riesig, so viele Kinder waren hier. Ich verstand nicht, was hier los ging. Wieder waren wir in einem großen Flur, wo rechts und links Türen waren. Als ich an der ersten Tür vorbei kam, höre ich viele Kinder lachen. Wieso lachten die, fragte ich mich. Wir durften nie lachen. Jo winkte mir, ich sollte zu ihm kommen. Er stand vor einer Tür die neben der nächsten Treppe war. Da stand groß Direktor dran. Dort klopfte Jo. Von innen ertönte ein lautes.

„Herein.“

Darauf hin öffnet Jo die Tür und wir betrat ein riesengroßes Zimmer in dem ein großer Tisch stand, dahinter ein Schreibtisch. Dort saß ein etwa fünfundsechzig Jahre alter Mann, mit lichtem weißem Haar.

„Guten Morgen, Genosse Polizeirat. Wir haben uns ja lange nicht mehr gesehen. Wie geht es ihnen?“, begrüßte Lux Jo von seinem Schreibtisch aus, dann sah er auf mich.

„Hallo, du musst Kahlyn sein. Kommt rein und setzt euch bitte“, bot er uns Platz an.

Lux zeigte lächelnd auf den langen Tisch. Er stand auf und nahm uns gegenüber, ebenfalls daran Platz. Jo war der Blick nicht entgangen, als er mit mir den Raum betrat, musterte der Direktor meine Aufmachung. Na ja, ganz passte es halt nicht. Der Pullover von Viola war ganz schön eng, die Trainingshose von Rudi viel zu groß, hatte sogar einige Farbflecke.

„Ja Herr Lux, wir hatten leider noch keine Zeit, Kahlyn einzukleiden, sie ist erst einige Tage in Gera. Es ist auch nicht so einfach mit ihr, da können wir nicht einfach einkaufen gehen. Kahlyn ist schnell überfordert, es ist schwer zu erklären, sie braucht etwas Zeit. Was sie anhat, hat meine Frau aus unseren Beständen zusammen gesucht. Aber für Sender und meine Sachen ist sie zu klein, für die meiner Tochter und Frau zu groß und zu breit. Ihre Dienstoveralls sind alle in der Wäsche, die waren blutig. Sehen sie einfach darüber hinweg, ich wollte sie nicht nackig, hierher bringen. Es ist aber wichtig, ihr eine richtige Schule zu zeigen“, laut ließ er seine dunkle Lache ertönen.

Jetzt fing auch Lux an zu lachen. „Sag mal Kahlyn, wie alt bist du eigentlich?“

Ich mochte nicht mit dem Fremden reden, deshalb schielte ich zu Jo, der lächelte mich an.

„Herr Lux, das tut jetzt hier nichts zur Sache, es ist eine lange Geschichte, die nicht sehr schön ist. Es ist so, dieses Mädchen hier ist in einer Schule aufgewachsen, in der die Prügelstrafe zur Tagesordnung gehörte. Jetzt wollte sie heute früh Tom und Jenny nicht in die Schule lassen. Weil sie Angst hat, dass sie hier ebenfalls so behandelt werden. Können wir ihr nicht mal einige Klassen zeigen, dass sie sich davon überzeugen kann, dass das hier anders ist und vor allem niemand geschlagen wird. Meine Kinder hätten heute früh fast den Bus verpasst. Ich weiß aber, dass Kahlyn sie nur beschützen möchte. Aber ich denke, sie sollte auch lernen, dass es hier anders zugeht als in ihrer Schule.“

Der Direktor nickte, musterte mich aber immer noch. „Sagen sie Herr Runge, kann sie nicht wenigstens die Brille absetzen, mich regt es auf, wenn hier Leute mit Sonnenbrillen herumlaufen.“

Jo lachte, dann sah er mich an. „Kahlyn, komme bitte mal zu mir. Sei so nett und zeige dem Herrn Direktor, bitte einmal deine Augen. Weißt du, manchmal tust du mir richtig leid. Es ist zum Heulen. Ständig hast du dieses Problem mit der Brille.“

Ich stand auf, ging zu Jo und lehnte mich an ihn. Sah den Direktor an und nahm meine Brille ab. Der erschrak und griff sich ans Herz.

„Um Himmels Willen, was ist mit deinen Augen Kahlyn.“

Ich drückte mich an Jo und suchte Halt bei ihm. Ich mochte nicht mit dem Mann reden. Er erinnerte mich irgendwie an den Oberstleutnant. Jo der merkte, dass ich begann dicht zu machen, streichelte mit sanft über den Rücken.

"Kahlyn, Kleene, der Direx hier ist ein netter Mann. Herr Lux, die Kleene hier ist das Ergebnis von Genmanipulationen, sie kann doch nichts für ihr Aussehen. Das Licht tut ihren Augen weh, deshalb muss sie die Brille tragen."

Lux hatte sich wieder gefangen. „Nee, ist schon gut Kahlyn, lass die Brille auf. Dann kommt mal mit, wir schauen uns einiges an. Nicht das Kahlyn, Jenny und Tom nicht mehr in die Schule gehen lässt. Das wäre nämlich sehr schaden, die beiden sind verdammt gut in der Schule.“

Uns aufmunternd zunicken, stand er auf und ging auf die Tür zu. Jo erhob sich ebenfalls. Allerding mochte ich nicht mitgehen. Ich hatte einfach Angst vor dem, was ich gleich sehen würde. Jo, der wohl begriff, dass ich mich davor fürchtete, zusehen, dass man Jenny und Tom etwas antun könnte, nahm mich in den Arm.

„Kahlyn, kannst du dir vorstellen, dass ich zu lasse, dass Jenny und Tom ein Leid angetan wird“, fragend schaute er mich an.

Im Moment wusste ich nicht mehr, was ich denken sollte. Seit Tagen war in meinem Kopf alles durcheinander geraten, nichts war mehr so wie ich es kannte. Das machte mich völlig fertig, weil ich die Gefahrenlage dadurch nicht mehr einschätzen konnte. Jahrelang war ich es gewohnt mich in einem Umfeld zu bewegen, dass ich genau analysieren konnte und auf einmal stimmten alle meine Sinneswahrnehmungen nicht mehr mit dem überein, was ich seit sechszehn Jahren kannte und immer richtig eingeschätzt hatte. Ich fuhr mit meinen Händen durch meine Haare und sah Runge verzweifelt an.  Ich zuckte mit den Schultern, weil ich ihn seine Frage nicht beantworten konnte.

„Komm Kleene, du machst doch gern Sport oder?“ 

„Sir, ja, Sir.“

Durch meine Antwort bestärkt, wandte er sich Lux zu. „Vielleicht sollten wir mit der Turnhalle anfangen. Ich glaube Tom hat jetzt Sport.“

Der Direktor nickte, hatte er sich gerade erkundigt, was Runges Kinder für Unterricht hatten. Jenny hatte Zeichenunterricht.

„Wir gehen erst einmal hinter zu Jenny, da sie gleich im Nachbarzimmer ist. Dann können wir runter in die Turnhalle gehen. Tom hat zwei Stunden Sport, dort haben wir also mehr Zeit. Also komm Kahlyn, du musst keine Angst haben, hier tut dich keiner schlagen.“

Der Direktor ging einfach aus der Tür und bog den Flur nach links ab, zur hintersten Tür. Dort klopfte er an, ohne auf eine Antwort zu warten, trat er ein. Jo nahm mich an den Schultern und schob mich einfach den Flur entlang, in Richtung Tür.

„Hallo Frau Schwarz, hallo Kinder, kann euch einmal kurz stören?“, bat der Direktor seine Lehrerin, die gerade dabei war, die Proportionen eines Menschens zu erklären.

„Ja natürlich Herr Direktor. Was ist?“

Lux schaute sich nach Jenny um, die ganz hinten in der Klasse saß. „Ich wollte euch eine Freundin, von Jenny vorstellen. Kahlyn, komme doch bitte mal zu mir. Das hier, ist die Klasse in der Jenny unterrichtet wird.“

Jenny winkte mir lachend zu.

„Die Kinder hier haben gerade Zeichenunterricht, magst du gerne zeichnen, Kahlyn?“, fragte mich der Direktor.

Ich sah verunsichert zu Jo. Wir hatten so etwas in der Schule nie gelernt. Alles, was wir lernten hatten irgendwie mit dem Kampf zu tun. Neugierig schaute ich mir das Bild an der Tafel an, dann schüttelte ich den Kopf. Das Gesicht stimmt nicht. Fragend sah ich zu Jo, der nickte aufmunternd zu. Wusste aber nicht, was ich genau wollte. Langsam ging ich zu der Tafel, nahm den Lappen und korrigierte die Zeichnung, damit das Gesicht richtig war.

Die Lehrerin stutzte und sah mich begeistert an. „Genau, ich wusste irgendetwas stimmt heute nicht an dem Bild, danke“, sie lachte in die Klasse und die Klasse lachte mit.

„Jetzt muss ich wohl zu dir, in die Zeichenstunde kommen.“

Ich schüttelte nur den Kopf und sah auf Jenny die mich lachend ansah. Eine Weile, schauten wir dem Unterricht zu. Es war so ganz anders, als ich das kannte. Keiner wurde hier angeschrien und vor allem sahen die Kinder alle nicht danach aus, dass sie sich verstellen würden. Ich hätte das gesehen. Nicht alle guckten glücklich, aber keiner sah so aus, als hätte er Angst. Nach einer Weile fragte der Direktor, ob wir nicht auch mal nach Tom sehen wollten. Jo nickte und beugte sich zu mir herunter.

„Bist du jetzt beruhigt, dass es Jenny gut geht, meine Kleene?“

Ich zuckte mit den Schultern, nickte dann aber, bei Jenny schien alles in Ordnung zu sein.

„Na dann komm mal mit. Jetzt schauen wir nach, ob es auch unserem Tom gut geht“, vorsichtig schob Runge mich aus dem Zimmer.

Direktor Lux, sah mich einen Moment lang verwundert an. „Sag mal Kahlyn, woher kannst du so gut zeichnen? Ich male selber ein wenig, aber mir ist nicht aufgefallen, das etwas an der Zeichnung von Frau Schwarz, falsch war.“

Ich schielte zu Jo. „Sir, ich kann nicht gut zeichnen, das kann nur Jaan, Sir.“ Antwortete ich leise „Aber die Nase, war einfach zu groß für das Gesicht, das hat nicht gepasst, Sir.“

Der Direktor überlegte eine Weile, dann nickte er. „Stimmt, jetzt wo du es sagst, fällt mir das auch auf. Du hast recht, Kahlyn. Die Nase war wirklich zu groß. Na dann kommt, gehen wir in die Turnhalle und schauen nach, wie es dem Tom geht. Sag mal Kahlyn, denkst du, dass Jenny hier in der Schule sicher ist?“, erkundigte Lux sich ganz direkt bei mir.

Vorsichtig drehte ich mich nach Jo um, der etwas hinter mir lief. Der sah, dass ich unsicher war, das zu sagen, was ich dachte.

„Sag ruhig, was du denkst Kleene. Der Herr Direktor, wird nicht mit dir schimpfen, schon gar nicht wird er dich schlagen. Kleene das würde ich gar nicht zulassen.“

Tief atmete ich durch. „Sir, ich weiß nicht, Sir. Wenn zu uns in die Schule Fremde gekommen sind, Sir. Haben uns die Lehrer auch immer nett behandelt, Sir. Wenn man uns gefragt hat, wie es uns geht, Sir. Mussten wir immer sagen, es geht uns gut und es würde uns hier gefallen, Sir. Deshalb weiß ich nicht, ob es Jenny gut geht, Sir“, sagte ich einfach das, was ich dachte.

Genauso lief es bei uns immer ab. Wenn Inspektionen kamen, mussten wir immer tun, als wenn es uns sehr gut gehen würde. Davor bekamen wir immer, viel zu essen und konnten schlafen. Aber ich dachte bei mir, es ging Jenny hier bestimmt gut, sie sah glücklich aus. Vielleicht, machte ich mir nur zu viel Sorgen und es stimmte was der Polizeirat mir erklärt hatte. Dass hier wirklich alles anders war, als in unserer Schule. Auf der Wache war ja auch alles anders als bei uns.

Mit Schrecken wurde mir bewusst, dass ich dieser Viola dann schon wieder Unrecht getan hatte. Jo Runge und Direktor Lux schüttelten verzweifelt ihre Köpfe, beide konnten und wollten nicht glauben, was ich da gerade gesagt hatte. Runge noch mehr als der Direktor der Schule, da er meine Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit bewunderte. Er verstand auf einmal, was ihn Rudi vor ein paar Tagen erklärt hatte, dass Kahlyn nicht lügen könnte. An dieser Antwort hatte man das gerade gemerkt.

Wir verließen gerade das Schulgebäude, als Runge diese Gedanken durch den Kopf gingen. Verwundert sah ich zu Jo. Wieso verließen wir das Gebäude? Wir wollten doch noch nach Tom sehen. Ich drehte mich um zu dem Gebäude, was wir gerade verlassen hatten. Jo verstand, was in mir vorging.

„Kahlyn, Sport machen die Kinder in der Turnhalle, da müssen wir über den Hof, das ist in dem Gebäude da hinten“, Jo zeigte auf ein flaches abseits gelegenes Gebäude.

Ich schaute mich interessiert um. Hier standen zwei uralte Kastanien, ich bleibe wie angewurzelt stehen und überlegte ob ich einfach tun konnte, was ich vorhatte. Lange Zeit sah ich auf die Bäume, drehte mich dann kurzentschlossen zu Jo um und sah ihn fragend an. Ohne seine Zustimmung, wagte ich mir nicht einfach loszulaufen. Der Polizeirat lächelte mich an und nickte mir aufmunternd zu. Kurzentschlossen ging ich einfach weg von den Männern und rannte auf die Kastanien zu. Für den Direktor völlig unerwartet, nahm ich Anlauf und ging in den Baum. Auf dem ersten Baum hingen keine Ketten. Ich sprang zum nächsten und auch auf den anderen Baum waren keine einzige Kette zu sehen. Ich sprang einfach wieder nach unten. Erleichtert lief ich zurück zu Jo und dem Direktor, der immer noch erschrocken guckte.

„Herr Lux, keine Angst, der Kleenen passiert nichts, die kann aus solchen Höhen springen, ohne das sie Schaden nimmt. Aber sag mal Kleene, was sollte das eben? Warum bist du auf den Baum gesprungen?“

Was sollte ich ihm darauf sagen, die Wahrheit, würden sie doch nicht verstehen. Ich zuckte mit den Schultern. Ich war heil froh, dass dort keine Ketten hingen, aber wie sollte ich das Erklären.

„Ist nicht schlimm, wenn du es nicht sagen willst“, meinte der Direktor, der mich eigenartig ansah. „Ich war nur erschrocken, wie schnell du, auf den Baum warst.“

Jo lächelte, ihm fiel gerade ein, was ihm Rudi erzählt hatte. „Kahlyn, du hast nachgesehen, ob auf dem Baum Ketten hängen, stimmt's meine Kleene?“

Mit schief gehaltenen Kopf, sah ich Jo an, woher wusste er das?

„Kleene, Rudi hat mir von eurem Traumbaum erzählt.“

Jetzt nickte ich. Es stimmte ich hatte Sender davon erzählt, dass wir dort unsere Toten gegraben hatten. „Sir, ja, Sir, aber hier hängen keine, Sir. Das ist gut, Sir. Das beruhigt mich sehr, Sir.“

Der Direktor schaute fragend, von mir zu Jo und wieder zurück zu mir. Lux verstand einfach nicht, um was es ging. "Ketten auf einem Baum?", wandte er sich dann doch an Runge.

„Herr Lux, es ist folgendes. In der Schule von Kahlyn, gab es einige uralte Kastanien, einer dieser Kastanien, ist der Friedhof dieser Kinder. Dort hängten sie ihre Marken auf, von den toten Kameraden. Immer, wenn einer von ihnen starb, gingen sie, wenn sie mal Zeit hatten, zu diesem Baum, erzählten das Leben desjenigen und hängten seine Marke dort auf. Es muss schlimm sein, diesen Baum zu sehen. Wenn ich ehrlich bin, möchte ich diesen Baum nicht wirklich sehen. Ich denke die Kleene hat jetzt einfach nachgesehen, ob hier Marken hängen. Stimmt’s Kahlyn?“

Interessiert sah mich Jo an. Ich nickte nochmal. Ich war total froh, dass es hier keine solchen Marken gab.

Der Direktor sah Jo jetzt völlig entsetzt an. „Das ist nicht ihr Ernst Genosse Polizeirat oder sie wollen mich doch auf die Schippe nehmen. Die Kleine ist doch nicht älter als zwanzig Jahre, wie kann sie so etwas denken.“

Jo klopfte den Direktor beruhigend auf die Schulter. „Glauben sie mir Herr Lux, das wollen sie nicht genauer wissen. Wir können schon seit dem 1. September nicht mehr richtig schlafen, weil wir nur vom Zuhören, Albträume haben. Ich weiß nicht, wie die Kleene das ausgehalten hat. Ich selber hätte kein halbes Jahr dort überlebt, ohne wahnsinnig zu werden. Alles, was für uns Normalität bedeutet, ist für die Kleene hier fremd. Es muss zurzeit, der blanke Horror für sie sein“, mit dieser Erklärung war für Jo Runge, das Thema vom Tisch.

Endlich kamen wir, an der Turnhalle an. Der Direktor schloss mit einem speziellen Schlüssel, die Tür auf und ließ uns hinein, schloss gleich wieder ab. Jo sah, dass mir das gar nicht gefiel, deshalb erklärte er mir, warum das notwendig war.

„Kahlyn, hier wird niemand eingeschlossen, keine Angst. Geh mal hin, du kannst an der Klinke die Tür öffnen. Es ist nur so, ab und an, hatten wir hier schon Fremde in der Halle, die einfach Sachen von den Kindern weggenommen haben, seit dem schließen wir einfach ab.“

Er schob mich zur Tür und nickte zur Klinke. Ich drückte sie nach unten und atme erleichtert auf, sie ließ sich wirklich öffnen. Wir liefen hinter dem Direktor her, der schon mit der Lehrerin sprach. Die kam uns entgegen, um uns zu begrüßen.

„Guten Tag Kahlyn, ich bin Fräulein Eisenstein. Der Herr Direktor hat mir gerade erklärt, du möchtest hier bei uns einmal nach dem Rechten sehen. Dann komm mal mit, wenn du magst, kannst du gerne mit machen.“

Ich sah zu Jo, weil ich nicht wusste, ob ich das durfte. Der nickte mir lächelnd zu, wusste er doch von Rudi, wie sehr mir Bewegung fehlte.

„Klar kannst du mitmachen.“

Erfreut sah ich ihn an. Ging mit der Lehrerin mit. Die meinte allerdings.

„Du musst die Schuhe ausziehen, wenn du die Halle betreten willst“, als sie zu meinen Füßen sah, musste die Lehrerin lachen. „Du hast ja gar keine an.“

Jetzt bemerkten es auch Jo und der Direktor. Ich allerdings überlegte, ob ich als wir bei den Runges losgingen überhaupt welche an hatte. Nein, ich war die ganze Zeit barfuß. Hatte seit dem ich von dem Einsatz beim Oberst zurück war, gar keine mehr angehabt, oder doch? Erleichtert atmete ich auf, ich dachte schon ich habe wieder ein Paar verloren.

Jo musste schallend lachen. „Kahlyn, kann das sein, dass du schon wieder deine Schuhe verloren hast.“

Ich schüttelte den Kopf und zuckte dann mit den Schultern, weil ich mir nicht ganz sicher war. „Sir, ich weiß nicht genau, Sir. Ich habe glaube ich seit dem ich vom Oberst gekommen bin, keine mehr gehabt. Die liegen glaube ich noch in Schwerin, Sir. Oder besser gesagt, die hat noch die Geisel an, glaube ich jedenfalls, Sir. Ach nee, ach ich weiß es nicht mehr, Sir.“

Jetzt musste Jo noch mehr lachen. „Ist egal, dann gibt dir der Tony halt ein paar neue. Es gibt schlimmeres Kleene. Herr Lux sie müssen wissen, Kahlyn verliert ständig ihre Schuhe. Ich glaub sie hat seit dem 1. September schon drei Paar eingebüßt.“

Ich schüttelte den Kopf, weil das nicht stimmte. „Sir, nein, Sir. Es sind schon vier Paar, Sir. Aber ein Paar hab ich nicht verloren, die hat noch Katrin an. Ich konnte die Geisel doch nicht mit ihren kaputten Füßen barfuß laufen lassen, Sir.“

Kopfschüttelnd hörte Runge und alle mussten noch mehr lachen. „Ach Kleene, du bist wie immer ehrlich. Dafür liebe ich dich. Na los, power dich ein wenig aus.“

Der Direktor ging mit Jo eine Treppe hoch und sah oben von einer Balustrade aus zu. Ich ging mit der netten Frau in die Halle, als Tom mich sah, kam er einfach auf mich zu gelaufen. Verwundert sah ich die Lehrerin an, die Tom nicht anschrie und zurechtwies, dass er sich einfach aus der Reihe entfernt hatte. So etwas hätte es bei uns nie gegeben. Wir hätten dafür eine richtige Strafe bekommen.

„Hallo Kahlyn, machst mit uns Sport“, sprach Tom mich unaufgefordert an.

Ich nickte völlig irritiert. Lief zu einer Bank und zog die Trainingshose und den Pullover aus, um mich besser bewegen zu können. Vor allem, um mich in die Reihe einzugliedern. Erschrocken sah die Lehrerin die Verbände und wollte mich darauf ansprechen.

Jo rief von der Balustrade herunter. „Fräulein Eisenstein, das ist nicht schlimm mit den Verletzungen und das hat keinen Einfluss auf Kahlyns Leistungen. Sie ist das gewohnt“, zum Direktor gewandt, erklärte er leise. „Leider. Kahlyn, machte neulich mit einer meiner Truppen einen schweren Einsatz mit sechs kaputten Rippen und hohen Fieber, meinen Jungs ist der Unterkiefer herunter gefallen. Erst nach dem Einsatz bekamen wir alle mit, dass sie hochfiebrig und krank war. Die Kleene ist sagenhaft. Sie hatte diese Verletzungen, durch ihren ehemaligen Vorgesetzten, der sie in unserer Wache einer leichten Bestrafung unterworfen hatte. Deshalb wollte sie ja meine Kinder nicht hier in die Schule lassen, weil sie Angst hatte, dass die beiden hier auch misshandelt werden. Ihre jetzigen Verletzungen, kann ich nicht so genau erklären. Ich weiß nur, dass Kahlyns gesamte Haut auf dem Rücken weg ist, durch eine Allergie auf unsere Nahrungsmittel, auch dort, wo sie an den Beinen Verbände trägt, hat sich ihre Haut einfach aufgelöst. Sie hat vorgestern bei einem Einsatz zwölf Kugeln abbekommen, drei davon im Rücken, die unser Arzt rausholen musste. Aber lassen sie sich von ihr mal überraschen, sie wird nicht einen Mucks sagen oder sich anmerken lassen, dass sie verletzt ist. Ihr Schularzt, im Übrigen ein sehr netten Mensch, berichtete mir, dass sie selbst mit einem Lungenschuss noch schneller läuft, als mancher Leistungssportler.“  

Lux schüttelte ungläubig den Kopf und starrte den Polizeirat fassungslos an. Er konnte nicht verstehen, wie dieser so etwas zulassen konnte. Runge zuckte verlegen mit den Schultern und zeigte nach unten, denn Fräulein Eisenschmidt nahm den Unterricht wieder auf. Er konnte dem Direx, sowieso nicht viel mehr erklären, denn eigentlich hatte er schon viel zu viel erzählt. Lux verstand wohl in welcher Lage sich der Polizeirat befand und fragte deshalb nicht nach. Daraufhin beobachten die beiden Männer mich genau. Die Lehrerin erklärte, wie man ein Rad macht. Ich stand da und hielt den Kopf etwas schräg, hörte genau zu. Mehrmals zeigte sie, wie man dieses Rad schlagen sollte. Ach so ging das, ich hatte die Bewegungsabläufe verstanden. Nach einander versuchten die Kinder ein Rad zu schlagen, dann fragte mich die Lehrerin, ob ich es auch einmal versuchen wollte. Ich nickte, natürlich wollte ich es einmal ausprobieren. Diesen Bewegungsablauf hatte ich bis jetzt noch nicht gekonnt. Wir hatten in unserer Schule, nie ein Rad gelernt. So genau wie irgend möglich, imitierte die Bewegungsabläufe der Lehrerin, schlug ein Rad.

Die Lehrerin sah mich an. „Du kannst das gut, seit wann machst du das?“

Ich schüttelte den Kopf. „Mam, ich konnte das nicht, Mam. Wir haben so etwas in unserer Schule nicht gelernt, Mam. Aber sie haben es gut erklärt, jetzt weiß ich wie man das Rad schlägt, Mam.“

Erstaunt sah sie mich an. Tom kam schon wieder ohne um Erlaubnis zu fragen, einfach zu mir gelaufen. Etwas was bei uns undenkbar gewesen wäre und vor allem hart bestraft wurden wäre. Wären wir nur einen Zentimeter aus der Reihe gelaufen ohne den Befehl dazu zu bekommen, hätten uns die Betreuer und die Lehrer halbtotgeschlagen. Fassungslos sah ich Tom an und dann zur Lehrerin. Die Tom lächelnd zusah, wie er zu mir gelaufen kam.

Sollte ich mich wirklich dermaßen geirrt haben? War das hier eine ganz andere Art von Schule? Genau beobachtete ich die Lehrerin. Ihre Augen sahen freundlich aus, ohne jegliche Art von Verstellung blickte sie zu Tom, der mich etwas fragen wollte.

„Du Kahlyn, zeigst du mal dem Fräulein Eisenstein, was du gestern bei uns im Garten gemacht hast? Die glaubt mir das nämlich nicht, dass das geht. Sie denkt, ich habe mir das ausgedacht.“

Ich sah irritiert Tom an und wusste im ersten Moment gar nicht, was er meinte. Dann fiel mir ein, dass ich das Fobnekotar gemacht hatte. Ich blickte mich suchend um.

Fräulein Eisenstein kam auf mich zu. „Was suchst du Kahlyn?“, fragte sie mich.

„Mam, ich suche ein Band oder ein Tuch, Mam“, antwortete ich leise.

„Warum?“ Irritiert sah sie mich an.

„Mam, das Licht tut meinen Augen weh, Mam. Bei dieser Übung die ich ihnen zeigen soll, verliere ich meine Brille immer, Mam.“

Die Lehrerin nickte kurz und ging nach draußen. Kam kurze Zeit später mit einem Band zurück und reichte es mir.

„Danke, Mam“, sagte ich leise und nahm meine Brille ab und band mir das Tuch, um die Augen. "Bitte Mam, fassen sie mich während der Übung nicht an, Mam, und lassen sie es auch nicht die Kinder tun, Mam. Ich möchte niemanden verletzen, Mam", bat ich darum dass man mich in Ruhe lies.

Ich hockte mich kurz hin und atmete mich tief in mein Qi. Das dauerte ungefähr eine Minute. Ging aus der Hocke in den Handstand und machte ein Zyklus des Fobnekotar. Nach achtundzwanzig Minuten beendete ich die Vorführung, mit einem tiefen Atemzug.

Fräulein Eisenschmidt schüttelte den Kopf. „Das geht doch gar nicht, was du da machst. Weißt du wie schwer das ist? Ich habe schon Mühe, langsam aus einem Handstand, heraus zu kommen. Das ist absolute Körperbeherrschung.“

Immer noch schüttelte die Lehrerin ungläubig den Kopf, obwohl sie ja genau gesehen hat, dass es sehr wohl geht, diese Übung zu machen. Jo stand auf und kam die Treppe herunter, rief mich aus der Tür heraus.

„Kahlyn, komm bitte mal her.“

Eilig lief ich auf ihn zu und sah ihn fragend an. „Sir, was ist, Sir.“

„Kahlyn, kannst du ihnen hier irgendwo, das Wandlaufen zeigen? Das wäre etwas, was bestimmt interessant für die Kinder wäre. Wenn ich ehrlich bin, würde ich das auch gern einmal sehen.“

Suchend sah ich mich in der Halle um, weil ich eine geeignete Stelle finden musste, denn ich hatte meine Handschuhe ja nicht dabei. Dann nickte ich und zeigte auf eine Ecke, in der das problemlos vorzuführen war. Jo ging einfach auf die Lehrerin zu, flüsterte ihr etwas ins Ohr. Wieder schüttelte diese ungläubig den Kopf und sah mich komisch an. Ich sah zu Jo, der nickte.

Ich nahm Anlauf und sprang in die Ecke und lief dort bis nach oben unter die Decke. Dort angekommen sprang ich an die Träger, die nur zehn Meter entfernt waren, um zu den Ringen zu kommen. Drückte mich nach oben auf den Träger und lief einige Meter auf den Träger entlang. Sprang dann aus reichlich zehn Meter Entfernung in die Ringe. Machte mit den Händen die Ringe erfassend einige Schwingungen und landete ich über einen Salto, federnd auf meinen Ballen. Wieder schüttelte die Lehrerin den Kopf.

„Wahnsinn, das geht doch gar nicht.“

Ich sah Jo an, weil ich mir nicht traute etwas zu sagen.

„Kahlyn, du kannst hier reden wie in der Wache“, er lächelte mir aufmunternd zu.

„Mam, es gehört viel Körperbeherrschung dazu, um so etwas zu machen. Aber es geht, Mam. Man kann es mit viel Mühe lernen, Mam. Ein Freund von mir, hat es auch gelernt, allerdings hat er fast drei Jahre dazu gebraucht, Mam. Wir lernten das, als kleine Kinder, Mam. Es ist uns in Fleisch und Blut übergegangen, Mam.“

Entschlossen ging ich zu meinen Sachen, zog mich wieder an und setzte meine Brille wieder auf. Ich glaubte jetzt, dass den Kindern hier nichts passiert. Nachdem ich angezogen war, lief ich zu Tom und gab ihm ein Kuss auf die Stirn. Gab auch Fräulein Eisenstein ihr Tuch zurück.

„Mam, danke, Mam. Das ich mir das hier alles einmal angucken durfte, Mam“, bittend wandte ich mich zu Jo. „Sir, ich möchte bitte nach Hause, Sir.“

Runge lächelte und schaute mich genau an. „Ist jetzt alles in Ordnung Kleene, glaubst du Viola und mir jetzt, dass den Kindern hier nichts passiert?“

Ich nickte. „Sir, ja, Sir. Ich glaube ich muss mich bei dieser Viola entschuldigen, Sir.“

Der Polizeirat lachte donnernd. „Ach das musst du nicht machen. Ich finde es schön, dass du unsere Kinder beschützen wolltest. Dann komm lass uns nach Hause fahren. Vielen Dank Herr Lux, dass wir euch besuchen durften, viel Spaß noch Kinder und danke Fräulein Eisenstein.“

Auch der Direktor war jetzt von oben gekommen. „Na dann kommt, lassen wir die Kinder, den Sport weitermachen, denen tut die Bewegung gut.“

Lux führte uns zu unserem Auto und wünschte uns noch einen schönen Tag. Lief Kopfschüttelnd zu der großen Tür und verschwand in dem Gebäude.

„Na komm lass uns nach Hause fahren, ich habe Hunger.“

Runge stieg ein, öffnete mir von innen die Tür und wir fuhren nach Hause. Gleich nach dem ich das Haus betreten hatte, ging ich zu Viola, die mit Rudi zusammen am Küchentisch saß.

„Mam, ich glaube ich muss mich bei ihnen entschuldigen, Mam“, sagte ich einfach.

Viola aber schüttelte den Kopf. „Kahlyn, das musst du nicht. Ich finde es schön, dass du unsere Kinder beschützen willst. Ich glaube Rudi kennt dich schon sehr gut. Es tut mir leid, aber ich konnte deine Reaktion vorhin, einfach nicht verstehen. Kahlyn, versuche mir doch etwas zu vertrauen. Ich würde nie zulassen, dass euch irgendetwas passiert. Weder dir, noch meinen Kindern, noch Rudi oder Jo. Glaube mir das bitte. Könne wir nicht doch Freunde werden. Es tut mir weh, dass du mir so überhaupt nicht vertraust.“

Ich sah von Rudi zu Jo, dann weiter zu Tim und schließlich zu Viola. „Mam, es wird schon werden, Mam. Aber es ist alles so fremd hier, Mam. Alles ist so anders, als ich das kenne, Mam. Ich verstehe das alles nicht und ziehe ständig falsche Schlussfolgerungen, Mam. Es tut mir wirklich leid, Mam.“

Erleichtert das ich Viola meinen Irrtum erklären konnte, setzte ich mich auf den letzten Stuhl am Tisch. Eigentlich war ich müde, wollte so gern schlafen gehen. Mein Kopf hämmerte, aber ich traute mich nicht.

Rudi stand auf. „Sag mal Kleene, bekomme ich von dir keinen Guten Morgen Kuss und warum setzt du dich so weit weg. Da muss man ja schreien. Komm gib deinem Rudi einen Kuss, sonst schmeckt mir das Frühstück nicht.“

Neben Rudi schrie Tim. „Mir au einen duss deben, dons smed mir au dad Fühdid nis.“

Ohne dass ich etwas dagegen unternehmen konnte, war ich nun erst einmal zum Küssen verdammt und alle lachten. Mir allerdings, war nicht nach frühstücken zu Mute.

Viola sah mich fragend an. „Wie viel Brei soll ich dir machen?“

Ich schüttelte den Kopf, ich hatte keinen Hunger. „Mam, ich habe keinen Hunger, Mam. Ich würde mich gern hinlegen, Mam.“

Rudi, Jo und Viola sahen mich besorgt an. Rudi zog mich auf seinen Schoss.

„Was ist los Kleene? Du musst doch Hunger haben, soviel ich weiß hast du vor vier Tagen, beim Oberst das Letzte gegessen. Was ist los? Komm Kleene rede mit mir“, drang Rudi in mich ein.

Ich wollte nicht reden. Ich wollte nur meine Ruhe habe. „Nein, ich habe doch in der Wache etwas gegessen. Ich bin einfach nur müde Rudi, bitte ich mag jetzt nicht reden. Vielleicht später, bitte“, flehend sah ich ihn an.

Rudi merkte an meiner ganzen Körperhaltung, dass etwas nicht stimmte. Er griff nach meinem Kopf und erschrak. Ich war glühend heiß.

„Kleene, du hast doch schon wieder hohes Fieber. Hast du dir das N91 heute schon gespritzt.“

Ich schüttelte den Kopf, antworte ihn aber. „Rudi, ich spritze es mir gleich, ich möchte wirklich nur ein bisschen schlafen.“

Der nickte. „Dann lege dich hin. Schlaf gut. Soll ich dir beim Einschlafen helfen?“

Ich schüttelte den Kopf und atmete erleichtert auf. Gab dem kleinen Tim ein Küsschen auf die Stirn. Müde nahm ich ohne ein weiteres Wort zu sagen, meinem Medi-Koffer und lief die Treppe hoch in das Zimmer, in dem ich schon zweimal geschlafen hatte. Zog schnell eine Spritze N91 auf, erhitzte sie und injizierte sie mir, auf gewohnte Weise. Völlig fertig legte ich mich ins Bett und rollte mich zusammen. Im Moment war mir alles zu viel, mein Kopf schmerzte und komische Gedanken gingen mir durch den Kopf. Trotzdem fiel ich schnell in einen tiefen Schlaf.

 

Jo, Viola, Rudi und Tim saßen unten am Frühstückstisch. Tim bekam die Schnitte geschmiert, aber den drei Erwachsenen, war der Appetit vergangen. Rudi saß mit der Tasse in der Hand am Tisch und grübelte, was mit seiner Kleinen, schon wieder los war. Warum hatte sie schon wieder so hohes Fieber? Kam das von der Entzündung oder war es wieder ein Anfall? Viola sprach wohl dass aus, was alle drei dachten.

„Ich glaube, es ist ihr einfach alles zu viel. Rudi, Jo, überlegt mal, egal was ist, die einfachsten Sachen, nichts stimmt mehr in ihrem Kopf. Selbst die einfachsten Dinge, haben sich verändert. Kein Wunder, dass sie krank wird. Aber ich habe keine Ahnung, wie wir ihr das Leben erleichtern können.“

Traurig starrte Viola, auf ihre bereits geschmierte Schnitte und schob das Brettchen weg, ihr war der Hunger grad vergangen. Jo allerdings, nahm das Brettchen und schob es seiner Frau wieder zu.

„Verdammt nochmal es nützt doch der Kleenen nichts, wenn wir jetzt hier aufhören zu essen. Gerade weil es ihr nicht gut geht, müssen wir darauf achten, dass wir gesund bleiben. Wenn wir krank werden, hat die Kleene niemanden mehr. Im Gegenteil, Rudi, Veilchen ihr wisst doch wie es bei ihr läuft. Sie würde sich, obwohl es ihr schlecht geht, für uns aufopfern. Überlegt mal, was sie abgezogen hat, als es ihr so dreckig ging, hat sie Tim, John und Bienchen gerettet. Also jetzt wird erst einmal gefrühstückt“, sprach er in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ. „Dann sehen wir nach ihr“, auch wenn er wie die anderen beiden, keinen Hunger hatte, nahm Runge sich eine Schnitte und aß etwas, wenn auch nicht viel. Trank seine Tasse aus, ging einfach zum täglichen Leben über. Rudi und Veilchen dagegen, taten sich schwerer.

„Rudi, wenn die Kleene dann aufwacht, würde ich sagen, gehen wir mit ihr ins Centrum Warenhaus. Auch auf die Gefahr hin, dass wir sie damit überfordern. Wir müssen ihr dringend ein paar Sachen kaufen. Veilchen, bitte sei nicht böse, lasse uns Männer mit ihr fahren, das geht einfach schneller. Ich glaube nicht, dass die Kleene schon in der Lage ist, mit euch Weibern jobben zu gehen. Das könnt ihr mal machen, wenn sie sich etwas eingelebt hat. Wir kaufen ihr nur das, was sie wirklich dringend braucht. Veilchen schreibe mir bitte auf, an was ich alles denken muss. Du weißt Klamotten kaufen, gehört nicht zu meinen Hobbys. Ein paar T-Shirts, ein paar Trainingshosen und eine Jacke. So weit reicht es noch beim mir. Was braucht sie sonst? Bitte mach mir eine Liste. Ich würde sie ja ganz hier lassen, aber einiges muss sie ja anprobieren, also muss sie mit. Wenn wir alles haben, kommen wir sofort zurück, nicht dass es der Kleenen wieder zu viel wird. Schuhe kann sie die von der Wache anziehen, an die ist sie gewöhnt.“

Veilchen sah Jo an und nickte wenn auch traurig. Sie hatte sich doch darauf gefreut, mit Kahlyn einkaufen zu gehen. Aber Jo hatte bestimmt recht, sie war auch der Meinung, dass Kahlyn das im Moment noch nicht schaffen würde. Ohne langes Federlesen wurde eine Liste erstellt und festgelegt, was Kahlyn am dringendsten brauchte. Lange besprachen sich die drei, was sie machen konnten, damit ihre Kleine nicht noch mehr solcher Schocks erlebt. In einer Sache waren sich alle einig, dass Kahlyn endlich zur Ruhe kommen musste.

Jo zog sich kurz nach 12 Uhr in sein Büro zurück, um mit dem Polizeirat von Brandenburg, über den Stechlinsee zu sprechen. Der versprach Runge, sich darum zu kümmern. Jenny und Tom kamen kurz nach 14 Uhr aus der Schule und es wurde zu Mittag gegessen. Die beiden großen Kinder gingen in ihre Zimmer und kümmerten sich um ihre Hausaufgaben. Tim ging nach oben spielen. Da Rudi und Viola etwas Ruhe hatten, saßen sie in der Küche und debattieren über verschiedene Möglichkeiten, die Eingliederung von Kahlyn in ein normales Leben, in eine Bahn zu lenken, in der man die Kleine nicht ständig überforderte.

Kurz nach 15 Uhr ertönte ein markerschütternder Schrei und brachte das ganze Haus in Aufruhr. Rudi sprang auf und rannte so schnell es ging, nach oben in Kahlyns Zimmer. Seine Kleene saß in Schweiß gebadet, am ganzen Körper zitternd und schreiend auf ihrem Bett saß.

„Kleene, beruhige dich! Komm du hast nur geträumt“, versuchte Rudi, das völlig desorientierte Mädchen zu beruhigen.

Neko, nikyta andus, Jenny. Asödoah nikyta, krös raiko. - Jenny wurde angegriffen, meine Augen haben es gesehen. Ich muss meine Freundin retten vor dem Oberstleutnant“, brachte Kahlyn stoßweise atmend hervor.

Rudi ging vorsichtig auf sie zu. „Rashida, nikyta. - Beruhige dich meine Kleene“, sprach er zu ihr, Conny hatte ihm diese beiden Wörter gesagt. Er meinte, er sollte sie sagen, wenn Kahlyn aufgeregt und desorientiert wäre.

„Beruhige dich, meine Kleene.“

Rudi drang nicht bis zu dem Mädchen vor, seine Kleine atmete schwer, wiederholt immer wieder

Neko, nikyta andus, Jenny. Asödoah nikyta, krös raiko. - Jenny wurde angegriffen, meine Augen haben es gesehen. Ich muss meine Freundin retten vor dem Oberstleutnant.“

Rudi wusste nicht, was das heißen sollte, immer panischer wurde Kahlyn, er beschloss sie in den Arm zu nehmen, so wie es John gemacht hatte. Auch auf die Gefahr hin, dass er Schläge von ihr abbekam. Leise schloss er die Tür und ging jetzt ganz zu Kahlyn.

„Rashida, nikyta“, sprach er während dessen, immer wieder. Setzte sich auf das Bett und zog sie einfach in seine Arm. Kahlyn wehrte sich, fing an zu schreien.

„Rashida, nikyta.“ Rudi fing an, seine Kleine zu schaukeln. „Beruhige dich doch, meine Kleene. Du hast nur geträumt. Rashida, nikyta. Beruhige dich doch, es ist doch vorbei.“

Langsam durch das schaukeln und die ruhige Stimme von Rudi, beruhigte sich Kahlyn. Atmete nicht mehr so schwer, langsam kam sie zu sich, völlig desorientiert sah sie Rudi an. Am ganzen Körper zitternd sagte sie.

Neko, nikyta andus, Jenny. Asödoah nikyta, krös raiko. - Jenny wurde angegriffen, meine Augen haben es gesehen. Ich muss meine Freundin retten vor dem Oberstleutnant.“ Rudi konnte nicht verstehen was sie sagte. „Kleene, ich verstehe doch deine Sprache nicht. Was erzählst du mir denn da?“

Kahlyn sah ihn an, völlig von der Rolle. „Er hat sie angegriffen, ich habe es gesehen, er hat Jenny angegriffen“, wieder fing sie stoßweise an zu atmen. „Wir müssen los, sie retten vor dem Oberstleutnant, keine Angst ich werde sie rette“, wie Espenlaub zitternd, hielt sie sich an ihm fest.

Rudi schaukelte sie hin und her. „Kleene, niemand hat Jenny angegriffen, wirklich niemand, du hast schlecht geträumt. Komm Kleene, werder erst einmal richtig munter.“

Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn und zog sie auf seinen Schoss und richtig in seine Arme. Kahlyn kam langsam zu sich, rollte sich zusammen.

„Ist doch gut meine Kleene, du hast nur schlecht geträumt. Es ist alles gut. Keiner hat Jenny etwas getan, wirklich keiner. Das würde ich nie zulassen.“

Ungläubig schaute Kahlyn zu Rudi.

„Soll ich dir sie holen? Sie ist nur im Nachbarzimmer.“

In dem Moment ging die Tür auf. Viola sah vorsichtig ins Zimmer.

„Viola hole bitte schnell mal Jenny, bitte“, sprach Rudi leise zu ihr.

Viola lief sofort los und war eine Minute später mit Jenny im Zimmer. Schweißgebadet lag Kahlyn in Rudis Arm, am ganzen Körper zitternd.

„Kleene, guck hier ist Jenny. Mit ihr ist alles in Ordnung. Frag sie selber, wenn du mir nicht glaubst.“

Schwer atmend, immer noch zitternd, sah Kahlyn auf Jenny, die jetzt an das Bett kam und sich einfach darauf setzte. Vorsichtig streichelte Jenny, das zitternde Mädchen. Kahlyn fing an zu weinen, Tränen liefen aus ihren Augen.

„Ich hab es doch gesehen, er hat dich ausgepeitscht“, brachte sie mit Mühe hervor.

Jenny kniete sich auf das große Bett, nahm das Mädchen einfach in den Arm, Rudi ließ sie los. Kahlyn rollte sich zusammen, weinte völlig aufgelöst.

„Ich hab es doch gesehen.“

Jenny legte sich einfach neben Kahlyn, legte den Arm um sie. Kahlyn drehte sich so, dass sie Jenny sah.

„Kahlyn, keiner hat mich geschlagen, wirklich nicht. Du hattest einen bösen Traum. Ist schon gut“, ohne zu zögern nahm Jenny Kahlyn wieder in den Arm, streichelte ihr den Rücken. Langsam konnte Kahlyn sich beruhigen.

„Kahlyn, du musst keine Angst haben, hier haut uns niemand, wirklich nicht“, flüsterte Jenny Kahlyn zu.

Ihr tat dieses Mädchen so leid. Erst die Sache mit den Puppen und nun träumte das Mädchen auch noch so schlimme Sachen. Langsam hörte das Zittern auf.

„Wirklich nicht, hat dich wirklich der Oberstleutnant nicht geschlagen?“, erkundigte Kahlyn genauso leise, bei dem Mädchen.

„Nein wirklich nicht, wenn er es machen würde, dann komme ich ganz schnell zu dir. Versprochen“, flüsterte Jenny Kahlyn zu.  

„Kahlyn, du bist ja ganz heiß, hast du Fieber?“, Jenny war erschrocken, da sie Kahlyn einen Kuss auf die Stirn gegeben hat.

Kahlyn nickte müde.

„Mutti, Kahlyn hat Fieber, kein Wunder das sie Albträume hat. Kannst du ihr nicht etwas geben?“, wandte sich Jenny hilfesuchend an ihre Mutti.

„Kahlyn, soll ich dir den Medi-Koffer holen?“

Erkundigte sich Viola, die sich nun auch auf das Bett gesetzt hatte. Kahlyn konnte immer noch nicht ganz klar denken, war noch völlig durcheinander.

Rudi aber nickte Viola zu. „Ja, mach das bitte mal. Ich würde ihn ja selber holen. Aber ich traue mir nicht, die Kleene jetzt alleine zu lassen“, an Kahlyn gewandt. „Kahlyn soll ich den Doko holen lassen, oder bekommst du das alleine hin?“

Kahlyn schüttelte den Kopf. Rudi wusste nicht, für welche der beiden Fragen das Kopfschütteln bestimmt war.

„Kahlyn, bekommst du das alleine hin?“, fragte er deshalb lieber nach.

Kahlyn nickte, sie hatte sich beruhigt und setzte sich langsam auf das Bett. „Es tut mir leid, immer mache ich Ärger.“

Rudi, wie auch Jenny, die beide gleichzeitig anfingen zu sprechen.

„Ach…“ dann sprach Rudi weiter. „Ach Kleene, das machst du nicht, das ist nicht schlimm. Aber du musst mir unbedingt deine Sprache beibringen, es ist schlimm, wenn ich nicht verstehe, was du erzählst. Ich kann dir dann gar nicht helfen.“ Vorsichtig zog er das immer noch zitternde Mädchen, in seinen Arm. „Kahlyn, kann Jenny wieder gehen, die muss noch Hausaufgaben machen. Oder soll sie noch hier bleiben?“

Kahlyn sah zu Jenny, die streichelte ihr das Gesicht, was immer noch nass war von den Tränen. Da nahm Jenny ein Taschentuch aus ihrer Hose und wischte die Tränen einfach weg.

„Ist schon gut, es passiert mir schon nichts, Kahlyn“, versicherte Jenny ganz lieb.

Kahlyn nickte. In dem Moment kam Viola, mit Jo doch ohne den Koffer.

„Kahlyn, meine Kleene, was hast du?“

Jo, hatte erst von Viola erfahren, was los war. Er sah entsetzt auf die völlig aufgelöste Kahlyn. Da er im Büro war, das am anderen Ende des Hauses lag, konnte er den Schrei Kahlyns nicht hören. Da seine Bürotür eine Lärmschutzpolsterung hatte. Nicht alle Telefonate die er führte, waren für Kinderohren geeignet. Deshalb wunderte er sich, dass Viola Kahlyns Medi-Koffer verzweifelt suchte und nirgends finden konnte. Erschrocken sah Runge in das blasse Gesicht des Mädchens.

„Jo, lasst es gut sein, bitte. Viola der Koffer steht hier, entschuldige, das habe ich nicht gesehen. Ich glaube der Kleenen, ist das schon wieder alles zu viel. Sie muss erst einmal zur Ruhe kommen und wieder richtig zu sich kommen. Wir reden dann“, sorgte Rudi dafür, dass seine Kleine nicht wieder in die Ecke getrieben wurde. Das war es, was gerade passiert. Es brachte nichts, wenn alle auf die Kleine einsprachen. „Lasst uns mal bitte kurz alleine“, setzte er noch nach.

Runge verstand was Rudi meinte und nahm seine Frau und seine Tochter, verließ ohne weitere Debatten das Zimmer. Rudi ließ Kahlyn auf das Bett gleiten und legte sich einfach neben sie. Langsam aber sicher, beruhigte sich Kahlyn.

„Rudi, warum träume ich so etwas? Werde ich jetzt doch wahnsinnig?“, wandte sie sich hilfesuchend an ihren Freund.

„Nein Kahlyn, du wirst nicht wahnsinnig. Nur hast du wieder hohes Fieber und deine Angst von vorhin, hat sich mit deinen Albträumen vermischt. Das ist aber nicht schlimm, es war nur ein böser Traum.“

Erleichtert atmete Kahlyn aus. Rudi streichelte ihr Gesicht, so schlief sie noch einmal ein und fand endlich etwas Ruhe.

 

Keine halbe Stunde später wachte ich auf, kuschelte mich an Rudi an. „Es tut mir leid, Rudi, es war so real. Ich dachte, er hat sie ausgepeitscht.“

Rudi streichelte mein Gesicht und freute sich, dass es mir wieder besser ging. Er lächelte mich an. „Kleene, ist doch nicht so schlimm, mach dir deshalb keine Sorgen, so etwas passiert schon mal. Es ist einfach alles zu viel für dich, im Moment. Aber sag mal wie hoch ist dein Fieber eigentlich. Soll ich nicht doch lieber mal nach Jens schicken? Wieso hast du eigentlich schon wieder Fieber?“

Ich checkte mich durch. „Rudi es geht, es ist nur noch 52,3°C. Warum ich Fieber habe weiß ich nicht genau. Ich denke es kommt von der Entzündung im Rücken, der tut verdammt weh. Aber es heilt schon. Ich glaube ich habe vorhin, wieder einen Anfall gehabt. Da war es bei 59,9°C, aber es geht langsam runter. Ich kann das Fieber wieder kontrollieren. Ich habe die letzten Tage vergessen, mir das N91 zu spritzen. Es war einfach alles zu viel, die Sache mit Conny und diesem Schwarz. Ich hab es einfach vergessen. Tut mir leid. Aber ich spritze mir das jetzt wieder, versprochen“, offen sah ich Rudi in die Augen.

„Ach Kleene, das ist doch verständlich. Nach dem, was die letzten Tage bei dir los war. Es kommt einfach zu viel, für dich im Moment zusammen. Wenn ich dir nur helfen könnte“, müde streichelte er mir über den Kopf. „Weißt du Kleene, mich macht es einfach fertig, dich so leiden zu sehen. Vor allem, weil dir niemand dabei helfen kann. Ich darf gar nicht darüber nachdenken, was dich noch so alles aus der Bahn werfen könnte. Ich hab richtig Angst davor, dich wieder zu überfordern. Aber ich denke es hilft dir nicht, wenn wir alles von dir fern halten. Aber es ist so verdammt schwer, sich in dich hineinzudenken, weil du uns ja nicht erzählst, was los ist mit dir, verstehst du? Wie sollen wir dir also richtig helfen? Wir kennen doch dein Leben nicht.“

Ich sah lange ihn an. Verdammt er leidet. Aber warum? Ich verstand das nicht, es konnte ihm doch egal sein, wie es mir ging. Rudi merkte, dass mich etwas beschäftigte und dass ich dieses Etwas, in meinen Kopf hin und her rollte.

„Kleene was ist los?“, ermutigte er mich zum reden. „Dich beschäftigt doch etwas, komm raus mit der Sprache. Weißt du, nur, wenn wir solche Gespräche führen, können wir lernen, was dich durcheinander bringt. Vor allem aber, wie wir dir helfen können“, auffordernd sah er mich an und drehte sich auf die Seite, so dass er mich richtig sah.

Ich wusste nicht wie ich mich ihm erklären sollte. Es war so ungewohnt für mich, über Gefühle zu reden. Lange schwieg ich, aber ich gab Rudi recht. Nur dann, wenn wir über so etwas sprachen, konnte er lernen mich verstehen und ich ihn. Vielleicht würde es dadurch ja mit der Zeit besser und einfacher für mich.

„Warum interessiert es dich überhaupt wie es mir geht? Noch nie hat das einen meiner Vorgesetzten interessiert. Es kann dir doch egal sein“, sagte ich einfach das, was mich beschäftigt. War aber bereit mich sofort dafür zu entschuldigen.

Rudi schüttelte den Kopf. 'Oh nein, das kann doch nicht wahr sein', ging es ihm durch den Kopf. 'Wie sollte das nur weiter gehen mit dir und mir. Es ist doch normal, dass ich mich um dich sorge. Du bist doch meine Freundin. Auch dann, wenn ich dein Vorgesetzter bin. Verdammt noch mal, war es schwer sich in dich hinein zu denken', ging es Sender durch den Kopf.

„Kleene, darf ich dich mal etwas fragen, nur damit ich verstehe, wie du denkst. Wenn du in deinem alten Team gewesen bist, hat es dich dann nicht auch interessiert wie es den anderen geht?“

Erstaunt sah ich ihn an. „Natürlich hat mich das interessiert, Rudi, das waren meine Freund gewesen und sind es immer noch.“

Rudi grinste mich breit an. „Siehst du. Es ist doch so, du bist meine Freundin, auch, wenn ich noch lange nicht dein Freund bin. So bist du doch meine kleine Freundin und die von Jo, Viola, John, Fran, Wolle und all den anderen aus dem Team auch. Eine Freundin, die es verdammt schwer im Leben hatte und wir wollen, dass es dir jetzt gut geht. Deshalb machen wir uns Sorgen um dich und genau deshalb, machen wir uns Gedanken, wie wir dir helfen können? Genauso, wie du es dir um deine Freunde gemacht hast und wie du es immer noch machst. Ist das schlimm?“, traurig sah er mich an. „Warum begreifst du nur nicht, dass wir deine Freunde sein wollen. Nur, weil wir die Augen deiner Erzieher haben. Nur, weil wir anders funktionieren, wie deine Freunde? Meine Kleene, wir sind deshalb doch nicht deine Feinde“, Rudi sah mich traurig an. Richtig wütend hatte er sich geredet, weil ich das nicht verstand.

Ich drehte mich auf den Rücken und starrte hoch an die Decke. Konnte es sein, dass es wahr war, was Rudi da gerade gesagt hatte. Dass ich ihnen nicht vertraute, weil sie die Augen von den anderen hatten. Von den Menschen, die uns jahrelang gequält und erniedrigt hatten. Aber Dika und Doko hatten auch solche Augen, genau wie Gosch, Conny, der Oberst und die anderen. Aber die kannte ich schon viele Jahre. Wie war das ganz am Anfang gewesen? Verdammt wie war das damals, das war so lange her, daran konnte ich mich kaum noch erinnern. Aber Rudi hatte Recht. Damals hatte ich ihnen auch nicht getraut. Ich hatte ihnen überhaupt nichts geglaubt. Es hatte Jahre gedauert, bis Doko erreicht hatte, dass ich ihm einigermaßen vertraut hatte und der kleinste Zwischenfall hatte gereicht, das bisschen Vertrauen was ich zu ihm hatte, wieder zu zerstören. Bei der Dika war das irgendwie anders, der vertraute ich eigentlich schon immer. Warum eigentlich? Ich wusste es nicht mehr. Die Dika war immer gut zu mir, schon als wir noch in den Inkubatoren lagen, hatte sie für mich gesorgt und war fast immer da. Sie war anders als die anderen Schwestern aus dem Projekt, aber ich könnte auch heute noch nicht sagen, warum sie anders war. Wie oft hatte ich sie vor den Inkubatoren weinen gehört. Sie hatte immer zu mir gesprochen und hatte mich regelrecht angefleht zu wachsen. Ich hatte nie begriffen, warum sie das machte. Damals war sie immer nur ein Schatten, aber ich konnte ihren Duft riechen und dieser, hatte mich auf sie geprägt.

Wie war das eigentlich mit Heiko und Chris? Denen hatte ich auch nie richtig getraut, bis zu dem Tag, als der Oberstleutnant sie wegen uns fast getötet hatte. Trotzdem hatten sie uns, so oft geholfen. Beim Oberst war das irgendwie anders und bei Conny, den Beiden hatte ich fast sofort getraut. Nicht ganz, aber ich traue niemanden ganz, nicht dem Doko, nicht der Dika und nicht den Anderen. Nur meinen Freunden vertraute ich zu hundert Prozent. Warum eigentlich? Weil die mit den anderen Augen, uns so oft getäuscht hatten und so oft verrieten? Ich glaube ja, ich glaube daran liegt es. Ich traue niemanden der einen schwarzen Punkt in den Augen hatte. Rudi ließ mir die Zeit zum nachdenken, die ich brauchte. Auf einmal kniete ich mich hin.

„Rudi, ich glaube du hast Recht. Damals als ich zum Oberst kam, habe ich den auch nicht wirklich vertraut, damals ging es mir genauso, wie jetzt. Ich wusste nie, was auf mich zukommt. Weißt du Rudi, damals war es anders, ich war immer nur kurze Zeit dort, dann ging ich wieder nach Hause. Jetzt ist alles so kompliziert, ich weiß einfach nicht mehr, wie ich klar kommen soll. Ich möchte gern wieder auf meine Wache. Da weiß ich wenigstens, was los ist. Verstehst du, hier komme ich nicht klar, alles macht mir Angst. Ich habe nicht … ach ich weiß nicht wie ich das sagen soll“, verzweifelt rieb ich mir meinen Nacken und fing an hin und her zu schaukeln, einfach um mich selber zu beruhigen.

Rudi zog mich in seine Arme. „Ganz ruhig Kleene, schön einen Schritt nach dem anderen. Beruhige dich bitte.“

Mühsam fuhr ich wieder herunter, die Panik die mich grade erfasst hatte, ließ etwas nach. „Es ist einfach nichts mehr, wie ich es kenne. Rudi, ich möchte das ja lernen, aber alles ist falsch, was ich denke und fühle. Immer mache ich alles falsch“, wieder fing ich an zu schaukel. Ich hatte das Gefühl gleich durchzudrehen. Am liebsten würde ich ganz laut schreien. Das sagte ich ihm auch. „Rudi, am liebsten würde ich jetzt ganz laut schreien. Es ist wie ein Zwang, einfach um mir Luft zu machen, um diesen verdammten Druck in mir loszuwerden. Ich bin nicht ausgelastet, ich hab zu viel Energie und alles ist zu viel. Ich habe das Gefühl, dass ich gleich platze und weiß nicht warum. Es ist einfach alles falsch.“

Rudi hielt mich fest in den Arm. „Ach Kleene, es wird eine Weile dauern, bis du dich daran gewöhnt hast, dass es bei uns ruhiger zu geht. Aber ich weiß, dass du es lernen wirst. Mache deine Fobnekotar, wenn es dir hilft von mir aus acht Stunden am Tag. Aber vergiss darüber bitte nicht, dass es noch etwas anderes gibt, was Spaß macht. Es gibt dem Himmel sei Dank, nicht nur den Kampf. Weißt du was, wir drei jetzt machen, Jo, du und ich. Wir fahren jetzt in die Stadt und kaufen dir ein paar Anziehsachen. Ich weiß, dass es für dich, ganz schlimm werden wird. Aber ich denke auch, dass es eine Erfahrung sein wird, die dir hilft, dich hier etwas einzugliedern. Pass auf ich versuche dir mal zu erklären, was auf dich zukommt…“

Langsam und so genau wie möglich, schilderte mir Rudi mit einfachen Worten, was ich zu erwarten hatte, wenn wir in die Stadt fuhren. Ich setzte mich wieder auf meine Fersen, um ihm besser zuhören zu können. Nach reichlichen zwanzig Minuten, war er der Meinung, dass er mich auf alles, so gut wie möglich vorbereitet hatte. Deshalb fragte er mich. „... Was denkst du Kleene, wollen wir es einfach einmal versuchen?“

Ich hatte keine Ahnung, aber ich nahm mir vor, ruhig zu bleiben, einfach Rudi zu vertrauen. „Ja ich möchte es versuchen, aber, was ist, wenn ich es nicht schaffe?“

Rudi lächelte und sah mich von unten an, dann stützte er sich auf einen Ellenbogen und mit der Hand fasste er in mein Genick. Lächelnd zog er mich zu sich herunter, gab mir einfach einen Kuss auf die Stirn.

„Dann meine Kleene fahren wir nach Hause. Du sagst einfach, wenn du nicht mehr kannst und wenn es schon nach fünf Minuten ist, dann ist es auch nicht schlimm. Wir versuchen es dann einfach in ein paar Tagen nochmal. Wir fahren einfach zu Tony und holen dir noch ein paar Overalls. Das passt dann schon. In Ordnung?“

Erleichtert atmete ich auf. Damit konnte ich leben. Rudi sah sich suchend nach meinem Medi-Koffer um, als er in gefunden hatte, griff er ihn sich und stellte ihn mir aufs Bett.

„Dann spritze dich mal und ich warte unten in der Küche auf dich. Bis gleich also.“

„Warte Rudi“, rief ich ihm nach.

Mein Major blieb stehen. „Was ist Kleene?“, fragend sah er mich an.

„Komm bitte nochmal zu mir. Ich glaube du hast Recht, du musst meine Sprache können. Es ist nicht gut, wenn mich hier keiner versteht. Aber halte mich dann, in den Arm bitte. Ich habe nicht viel Kraft im Moment. Ich habe ständig das Gefühl, in eine bodenlose Tiefe zu stürzen. Bitte halte mich danach, einfach nur fest, Rudi.“

Sender schaute mich verwundert an, kam aber und setzte sich wieder auf das Bett. Ich nahm sein Gesicht, rutschte ganz nah an ihn heran. Tief atmete ich mich in mein Qi und legte meine Brille auf das Bett. Begann bei Rudi das Krantonak zu machen und gab ihm auf diese Weise meinen gesamten Wortschatz. So konnte er ab sofort verstehen, was ich in der Schulsprache sagte. Ich nahm mir vor, das auch bei John zu machen. Nach reichlichen zehn Minuten brach ich das Krantonak ab. Legte mich einfach auf Rudis Beine. Ich war fertig. Es war einfach alles zu viel im Moment.

Etries. - Lass mich schlafen“, bat ich ihn nur.

Rudi schaute mich an. „Ja schlaf Kleene, bis es dir wieder gut geht. - Kahlyn, etries bionde“, sprach er zu seiner eigenen Verwunderung in meiner und seiner Sprache.

Nach zehn Minuten tiefen Schlafs, wachte ich etwas erholter auf. Ich lächelte ihn an und gab ihm einen Kuss auf die Stirn, nachdem ich mich hingekniet hatte. Er erwiderte den Kuss, dann verließ er den Raum. Ich glaube er wusste, dass ich einen Moment allein sein wollte. Er war ein guter Freund, ich glaube, ich konnte ihn vertrauen. Vor allem mochte ich ihn wirklich sehr. Ich würde einfach das beherzigen, was er mir gesagt hat.

Langsam öffnete ich den Medi-Koffer, mache mir dreißig Spritzen vom N91 fertig, so dass ich nicht jedes Mal ins Dunkle musste. Eine Spritze machte ich für gleich zurecht. Spritzte mir gleich eine dreifache Dosis, ich musste das mit den Anfällen endlich in den Griff bekommen. Langsam fing es an zu nerven. Die anderen legte ich in eine Schachtel. Schloss die Augen und checkte mich noch einmal durch. Der Zucker war wieder viel zu hoch, auch mein Rücken war immer noch sehr entzündet. Also würde ich noch einmal duschen gehen und danach die Verbände wechseln. Ich spritzte mir auch noch etwas gegen das Fieber, in dem ich K99 auf eine Spritze aufzog. Dann räumte ich meine Medi-Koffer ein, nahm die Schachtel mit den N91 in die eine, den Medi-Koffer in die andere Hand und ging nach unten in die Küche. Dort sah ich Viola, Jo und Rudi sitzen, die miteinander sprachen. Einer inneren Eingebung folgend, ging ich auf die Drei zu und gab erst Rudi, dann Jo und zum Schluss auch Viola einen Kuss auf die Stirn. Wandte mich dann an Viola, weil ich ihr ja am meisten Unrecht getan hatte und ihr beweisen wollte, dass ich ihr etwas mehr vertraute.

„Mam, ich möchte, wenn ich darf, bitte noch einmal duschen gehen, könnten sie mir dann mit der Salbe noch einmal helfen, Mam?“, bat ich ganz Leise.

Ein Strahlen ging in ihrem Gesicht auf. Ich glaube ich hatte die richtigen Worte gefunden. Viola lächelte glücklich. An Rudi gewandte und ihm die Schachtel mit dem N91 hinhaltend.

„Rudi, ich habe hier 30 Spritzen mit N91 vorbereitet, wenn ich wieder einmal einen Anfall bekomme, habt ihr etwas da, Viola ist Krankenschwester, hat sie mir gesagt, sie kann also spritzen. Wenn möglich in die Halsschlagader, da wirkt es besser bis maximal drei Einheiten, könnt ihr immer spritzen, das schadet nicht. Ich lasse den Koffer offen, mache den Code nicht rein, so dass ihr jederzeit Zugriff habt.“ Ich legte die Schachtel in den Medi-Koffer.

Rudi holte erleichtert Luft. „Geht klar Kleene, da wissen wir Bescheid.“

Viola sah mich an und lächelte ebenfalls. „Natürlich mache ich das. Kahlyn, nun geh duschen, lass dir Zeit, ich komme in einer Viertelstunde und bringe dir auch Handtücher mit. Ich sehe mal, ob ich noch etwas zum Anziehen finde, was dir passt, damit du aus den verschwitzten und blutigen Sachen heraus kommst, der Pullover ist hinten ganz blutig. Also lasse dir ruhig Zeit. Ich weiß du genießt das duschen immer. Bis gleich dann.“

Ich freute mich und nahm meinen Medi-Koffer, lief hinunter in die Dusche. Schnell zog ich mich aus, legte die Sachen auf den Deckel der Toilette, wickelte die Verbände ab und stellte mich unter die Dusche. Ich genoss einfach nur, das heiße Wasser. Es war gar nicht so schlecht hier. Rudi hatte Recht. Ich musste es nur wollen, dann fühlte ich mich hier, vielleicht auch nach einer Weile, genauso wohl wie in der Wache. Die Tür ging auf und Viola kam herein. Sie griff nach meiner Brille.

„Kahlyn, darf ich dir die Brille geben, ich brauche doch Licht“, erklärte sie mir leise, um mich nicht zu erschrecken.

Ich drehte das Wasser ab und nahm ihr die Brille ab, setzte sie sofort auf. „Mam, sie können das Licht anmachen, Mam“, sagte ich zu ihr.

Viola knipste das Licht an. „Oh Kahlyn, dein Rücken sieht noch viel schlimmer aus als heut früh“, gab sie mir erschrocken zu verstehen.

Ich sah in den Spiegel, sie hatte recht, warum war er so schlimm geworden. Ich stützte mich mit den Händen an die Fliesen und schloss die Augen, checkte meinen gesamten Körper durch. Der Zucker und das Vitamin B3 waren wieder viel zu hoch. Den Zucker konnte ich senken, aber wieso war der Anteil an Vitamin B3 so hoch. Ich musste den Doko mal anrufen, vielleicht konnte der mir das erklären. Ich musste das in den Griff bekommen, die Niacin oder die Nicotinsäure, wie das Vitamin B3 auch genannt wird, zerstörte genau so meine Haut, wie der Zucker.

„Mam, kann ich dann Doko Jacob bitte anrufen. Ich glaube ich weiß, warum mein Rücken so schlimm ist. Aber ich weiß nicht, warum das so ist, Mam?“

Viola schaute mich verwundert an und nickte aber sofort. „Lass uns erst einmal die Verbände erneuern und dann rufst du deinen Doko an.“

Ich nickte, ganz vorsichtig trug Viola die Salbe auf meinen Rücken, noch vorsichtiger als heute früh. Dankbar sah ich sie an, es tat furchtbar weh. Anschließend verband ich meinen Rücken, in der Zwischenzeit behandelte sie auch meine Beinwunden mit der Salbe. Auch die verband ich wieder, die jetzt schon bis zu den Knien offen waren. Ich verstand es nicht. Wie so ging die Haut immer mehr ab. Ich hatte doch keinen Zucker mehr, zu mir genommen. Sofort zog ich die sauberen Sachen an und folgte Viola hoch in die Küche, dort angekommen, sagte sie zu ihrem Mann.

„Jo, Kahlyn muss sofort mit Dr. Jacob telefonieren. Hast du dessen Telefonnummer? Jo, der Rücken und die Beine von Kahlyn werden immer schlimmer.“

Jo stand sofort auf. „Komm Kahlyn, wir rufen Fritz gleich an.“

Runge eilte in Richtung Büro davon und ich folgte ihm sofort. Ich machte mir wirklich langsam Sorgen. Ich musste das alles in den Griff bekommen. Im Büro nahm Jo sofort den Hörer und wählte die Nummer vom Doko.

„Fritz, hier ist Jo Runge, wir haben ein großes Problem. Kahlyns Rücken und auch die Beine werden immer schlimmer, ich geb sie dir mal. Sie will dich sprechen“, sofort reichte er mir den Hörer.

„Doko, ich weiß nicht, was ich machen soll. Die Haut geht immer mehr ab. Ich hab mich gerade durchgecheckt. Der Zucker war wieder viel zu hoch, obwohl ich keinen Zucker mehr zu mir genommen habe. Aber auch das Niacin ist zu hoch, ich weiß aber nicht, wie das kommt. Kannst du mir sagen, was ich machen soll. Doko es tut so weh, es soll aufhören, bitte Doko. Ich habe auch wieder hohes Fieber, es ist schon wieder weit über 58°C, obwohl ich mir gerade K99 gespritzt habe. Ich habe kaum noch eine Möglichkeit das Fieber zu steuern. Ich weiß mir keinen Rat mehr.“

Fritz stöhnte. „Kahlyn, warte einen Moment, ich muss etwas nachsehen. Keine Angst, wir bekommen das schon hin.“

Man hörte genau wie Jacob den Hörer auf den Schreibtisch legte, ein Buch aus dem Regal nahm und darin blätterte. Nach einer Weile nahm er den Hörer wieder auf.

„Kahlyn, hast du Saft getrunken oder Eier gegessen.“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein Doko, das einzige, was ich getrunken habe ist Kaffee.“

In diesem Moment fiel es Jacob wie Schuppen von den Augen. Er hatte ein ähnliches Problem schon bei Jaan gehabt, der hatte schlimmen Durchfall, der nicht mehr weggehen wollte. Cankat hatte am ganzen Körper Ausschlag, der immer schlimmer und blutig wurde. Alles haben sie überprüft das Wasser die Nahrung und sogar, auf Typhus hat er Jaan und Cankat auf Krätze hin untersucht. Dann erst kam er auf die Idee das, die Jungs vielleicht viel zu viel Kaffee getrunken haben könnten. Er überprüfte daraufhin dessen Blut auf B3 und schon stand fest, dass der Kaffee die Ursache war. Die Kinder reagierten ja unterschiedlich auf solche Überdosierungen. Er musste dies noch einmal nachlesen.

„Kleinen Moment“, bat er deshalb Kahlyn zu warten.

Schnell lief er noch einmal zu seinem Schreibtisch, begann zu suchen. Dass sich davon die Haut auflösen könnte, daran hatte er mit keiner Silbe gedacht. Schnell fand er die Unterlagen die er gesucht hatte und sah noch einmal nach. Ja verdammt, wie konnte er das Vergessen. Walter Zolger, sein Chefwissenschaftler und ein brillanter Genetiker, hatte genau dies vorausgesehen. Auf solche Prognosen von ihm konnte man sich hundertprozentig verlassen. Traurig griff er wieder zum Telefon.

„Kahlyn, sag mal wie viel Kaffee hast du denn so getrunken am Tag.“

Ich überlegte, ging gedanklich die ganzen Tage durch. „Ich denke fünf oder sechs Tassen waren es durchschnittlich jeden Tag. Während der Einsätze vielleicht nur ein oder zwei, an anderen Tagen dafür acht oder neun. Aus Langerweile und weil ich Durst hatte. Warum?“, fragte ich meinen lieben Doko.

Jacob stöhnte, es tat ihm immer so leid, wenn er den Kindern wieder einmal sagen musste, dass sie auf normale Nahrung allergisch reagierten. Oft war es so, dass die Kinder sich freuten, einmal etwas anderes als nur Wasser und ihre Spezialnahrung zu sich nehmen zu können. Aber scheinbar reagierten ihre Körper auf alles allergisch.

„Kahlyn, meine Kleine, es tut mir so leid, aber du darfst in der nächsten Zeit keinen Kaffee mehr trinken. Im Kaffee ist ein, für euch, sehr hoher Niacin-Anteil mit 2,1 mg/100 g, ich habe gerade nachgeschlagen. Ich weiß, dass eine Tasse Kaffee, ihr trinkt ja immer die großen Pötte, also mindestens 4 mg enthält. Wenn du jetzt sagst, du hast fünf bis sechs Tassen getrunken, sind das 20 bis 24 mg am Tag, ab einer Menge von 12 mg, meine Kleine, ist das für dich schädlich.“

Ich atmete erleichtert auf. „Geht klar Doko und was mache ich jetzt aber. Ich habe keine Ahnung wie ich das in den Griff bekommen soll. Den Blutzucker kann ich senken, aber das Niacin nicht.“

Jacob überlegte und begann mir einen Lösungsvorschlag zu machen, mit dem ich gut leben konnte. „Kahlyn, das kannst du nicht senken, das geht von alleine wieder runter. So leid es mir tut, du musst eine Weile hungern. Dadurch wird dein Stoffwechsel, das, was zu viel ist abbauen“, wie aus heiterem Himmel fiel Jacob noch etwas anders ein, was die Ursache sein konnte. Es war schlimm, die Kinder taten Jacob so oft leid. „Warte mal, Kahlyn. Mir fällt da gerade noch etwas ein, überlege selber mal mit. Weißt du, was auch eine Ursache sein kann. Ich hab ähnliche Probleme auch bei den anderen aus deinem Team. Kahlyn, ihr habt ja jetzt immer viel gegessen, in der Nahrung ist doch auch Niacin in hoher Meng enthalten. Oh mein Gott. Kleine, du musst unbedingt mit deiner Ernährung aufpassen, dass du nicht zu viel isst. Du reagierst ja auf solche Sachen oft noch schlimmer als deine Kameraden. Sonst passiert das immer wieder.“

Jetzt war es an mir zu stöhnen. Wie sollte ich das nur Rudi beibringen und Fran, die dachten ja jetzt schon immer, dass ich gleich verhungerte.

„Doko, wie soll ich das machen. Rudi, Fran und die Anderen gehen doch jetzt schon an die Decke, weil ich denen viel zu wenig esse und der Oberst auch. Die glauben mir das nie im Leben. Die denken gleich wieder ich bin krank. Ich wollte ja nie so viel essen, die haben mich ja immer gezwungen. Doko, ich brauche nicht noch mehr Stress, bitte! Ich habe davon genug im Moment.“

Mir wurde ganz schlecht bei dem Gedanken daran, den anderen zu erklären, dass ich nichts essen durfte. Verzweifelt rieb ich mir den Nacken, das bedeutet wieder Stress, davon hatte weiß Gott schon genug und brauchte nicht noch mehr.

„Bleib mal ganz ruhig, Kahlyn, du bist doch bei Rudi, gebe ihn mir mal, wenn ich ihm das erkläre, dann versteht er das schon.“

Erleichtert legte ich den Hörer hin und lief vor zu Rudi.

„Rudi, kannst du bitte mal kommen, der Doko will dir etwas erklären, bitte“, verzweifelt sah ich ihn an.

Rudi stand sofort auf, folgte mir nach hinten in Jos Büro und nahm sich den Hörer auf. „Sender am Apparat, Fritz was ist?“ Er hörte Jacob aufmerksam, jedoch fassungslos zu. Er sagte nichts weiter als. „Oh nein“, stöhnte er noch „Die Arme.“

Mein Major raufte sich das Haar und ließ sich in Runges Bürostuhl fallen. Sender wurde ganz blass im Gesicht. Ständig sah er zu mir und rieb sich das Genick. Seine Augen wurden immer trauriger und er schüttelte ständig den Kopf. Plötzlich straften sich seine Schultern und er nickte.

„Ja, Fritz, macht dir keine Sorgen. Das bekommen wir schon hin. Es nutzt ja nichts. Ja, versprochen, ich passe da auch mit auf. Geht klar. Willst du die Kleene noch mal haben… Ok ich geb sie dir“, traurig reichte er mir den Hörer noch einmal.

„Doko, ich bin wieder dran“, meldete ich mich und beobachte den Kampf den Rudi mit sich kämpfte. Hörte aber meinem Doko genau zu.

„Kahlyn, wir versuchen das so, du isst heute und morgen einmal gar nichts. Übermorgen, fängst du Frühs mit fünfzig Gramm an, das machst du drei Tage lang, nur Frühs die eine Mahlzeit. Dann musst du sehen. Ob dein Rücken ausgeheilt ist. Ist er zu und auch die Beine sind in Ordnung, isst du weiter früh die fünfzig Gramm und nimmst aber abends noch eine Mahlzeit mit fünfzig Gramm Nahrung dazu. Sollte dann dein Rücken noch zu sein, keine neuen offenen Stellen nach drei Tagen auftreten, kannst du mittags auch noch fünfzig Gramm essen. Das machst du dann einen ganzen Monat. Ist dann noch alles in Ordnung, kannst du ruhig die Portionen nach und nach erhöhen. Du kennst deinen Nahrungsbedarf besser als ich, mein Kleines. Wenn du allerdings im Einsatz bist, kannst du da ruhig auch mal auf zweihundertfünfzig Gramm erhöhen. Aber tu mir bitte ein Gefallen, trinke Kaffee nicht für den Durst. Dafür ist Wasser genauso gut geeignet. Kahlyn, frage die Frau von Jo mal, ob sie dir Kamillentee kocht, der schmeckt gut und der schadet dir nicht. Den hast du immer bei uns getrunken. Fran kocht dir den bestimmt auch gern. Experimentiere jetzt erst einmal nicht mehr mit dem Essen und Trinken herum. Dein Körper hat im Moment genug Stress, noch mehr als deine Kameraden haben. Wenn du aber müde bist, Kahlyn oder im Einsatz, kannst du bestimmt auch einmal einen Kaffee trinken. Kleines aber in kleinen Mengen, bitte. Verstehst du das.“

Ich nickte, klar würde ich das so machen. Ich wollte ja, dass die Schmerzen endlich aufhörten. Die wurden immer schlimmer, vor allem musste ich dieses verdammte Fieber in den Griff bekommen, denn das machte mich langsam aber sicher kaputt. Ich war froh, dass mir mein guter alter Doko wieder einmal helfen konnte.

„Danke Doko, ich werde mich danach richten. Sagst du bitte den anderen auch Bescheid, dass die aufpassen. Nicht dass die auch alle noch krank werden. Kannst du das mit dem Tee dem Rudi noch erklären und mit dem Essen oder hast du ihm das schon gesagt?“ Fragte ich vorsichtshalber einfach nach.

„Nein, meine Kleine, Rudi weiß das schon. Er wird dir auch dabei helfen, es Fran zu erklären. Den Oberst und Conny rufe ich persönlich an und gebe ihnen genaue Anweisungen. Ich weiß die geben dir sowieso immer viel zu viel Nahrung. Also mache dir deshalb keinen Kopf. Deine Freunde rufe ich an, mach dir keine Sorgen. Die Schmerzen spritze dir einfach mit B32 weg, die Dosierung weißt du besser als ich.“

Erleichtert atmete ich auf. Hoffte sehr, dass es bald besser werden würde. „Danke Doko, ich lege dann mal auf, grüße mir die Dika von mir, ja?“

„Mache ich, versprochen. Hab dich lieb meine Kleine. Bis bald mal und gute Besserung“, Doko legte auf.

Erleichtert zu wissen, warum das alles so war, sah ich Rudi an. Der saß immer noch total bedrückt und durcheinander, auf dem Stuhl von Jo. „Ist nicht schlimm Rudi, ich sterbe nicht gleich, wenn ich mal ein paar Tage weniger esse. Wirklich nicht, du musst nicht so traurig gucken“, ich lächelte ihn an. Ich glaube sogar er merkte, dass ich lächelte.

Jedenfalls lächelte er zurück. „Komm Kleene, das müssen wir jetzt erst einmal der Viola beibringen. Der wird das gar nicht gefallen. Die denkt eh schon, du bist kurz vorm Verhungern. Also komm, bringen wir es hinter uns.“

Rudi stand auf und umfasst ganz vorsichtig meine Schulter, aus Angst mir weh zu tun und schob mich langsam in Richtung Küche. Er setzt sich auf seinen Platz und zog mich einfach auf seinen Schoss.

Viola guckte uns traurig an. „Rudi, was ist nun, wie können wir Kahlyn helfen, wegen ihrem Rücken. Es sieht wirklich schlimm aus, das tut bestimmt elende weh.“

Rudi nickte, das glaubt er gerne. Er sah ja selber, dass ich ganz gerade lief und versuchte mich so wenig wie möglich, zu bewegen.

„Viola, Kahlyn hat eine schlimme Nahrungsmittelallergie, hat mir der Doko gerade erklärt und deshalb darf sie ein paar Tage nichts essen. Ja guckt nicht so“, als er das entsetzte Gesicht seiner Freundin sah. „Kahlyns Körper muss erst einmal, die zu vielen Vitamine abbauen, das geht nun mal nur, wenn sie nichts isst. Dann darf sie wie folgt essen…“ genau erklärte er Viola, was mir gerade auch der Doko erklärt hatte. Ich war ihm dankbar dafür, ich glaube nicht, dass Viola mir das geglaubt hätte. „… so Kaffee darf Kahlyn keinen mehr trinken, aber Kamillentee. Wir sollen erst einmal keine Experimente mehr machen. Der Körper von Kahlyn, muss sich erst einmal wieder richtig erholen. Dann, so hat mir der Doko gesagt, können wir gern mal verschieden Sachen ausprobieren. Aber jetzt solange noch irgendwo, an Kahlyns Körper eine offene Stelle ist. Nur noch ihre Spezialnahrung, Wasser und Kamillentee.“

Viola schaute mich ganz komisch an. „Tut mir leid für dich Kahlyn.“

Ich winkte ab. „Ist nicht schlimm, Viola, da gibt es schlimmeres“, beruhigte ich sie einfach. Vergaß sogar das Mam zu sagen.

Viola strahlte sofort wieder und lachte mich an. „Dann ist es ja gut.“

Rudi drehte sich zu seinen Freund Jo um.

„Na Jo, gehen wir drei jetzt mal mit der Kleenen einkaufen? Das nächste Mal sind dann die Frauen an der Reihe.“ Rudi ließ sein Lachen ertönen und Jo stimmte ein.

„Klar machen wir das, komm Kleene bringen wir das hinter uns.“ Runge stand auf und drehte sich zu Viola um.

„Aber dafür bekommen wir heute Abend Schnitzel mit Bratkartoffeln, das haben wir uns dann verdient“, grinste Jo seine Frau an.

Viola schüttelte den Kopf und meinte auf seinen gewaltigen Bauch zeigend. „Der ist schon dick genug.“

Da stellte sich Jo hin und zog ein ganz komisches Gesicht, das sah so lustig aus, dass ich anfangen musste zu lachen. So sehr, dass mir sogar die Tränen aus den Augen liefen und ich nicht mehr aufhören konnte. Wie damals mit dem Brei, den mir Fran gemacht hatte. Ich hielt mir die Rippen, weil es beim Lachen weh tat. Viola kam zu mir, hielt mir die Nase und den Mund zu, damit ich aufhören konnte. Erschöpft ließ ich mich auf den nächsten Stuhl fallen und japste nach Luft. Die Drei guckten mich an und schüttelten den Kopf.  

„Mensch Kleene, du kannst ja sogar herzhaft lachen, was war denn jetzt so komisch?“, erkundigte sich Jo, der immer noch nicht glauben konnte, was er da gerade erlebt hatte.

Ich zuckte mit den Schultern und versuche etwas zu sagen, aber fing gleich wieder an zu lachen. Ich schüttelte nur den Kopf. Da fingen auch die anderen an zu lachen.

„Jo, du hast so ein dummes Gesicht gemacht, da muss sogar Kahlyn lachen“, meinte Viola, als sie sich einigermaßen beruhigt hatte. Dann drehte sie sich zu mir um und gab mir einfach einen Kuss auf die Stirn. „Schön, dass du lachen kannst. Das ist ein wunderbares Geschenk, dann kann ich auch damit leben, dass du ein paar Tagen hungern musst. Ich hab dich lieb mein Kind“, drehte sie sich um und ging hinaus in den Garten.

Erschrocken sah ich zu Rudi. „Was habe ich jetzt falsch gemacht, warum weint Viola jetzt.“ Ich hatte genau gesehen, dass sie weinte.

„Kleene, Viola weint nicht weil sie traurig ist, sondern weil sie glücklich ist, so wie ich damals im Büro. Lass sie, die bekommt sich schon wieder ein. Kommt Leute wir müssen los, wir haben nur noch anderthalb Stunden. Also, wenn wir für Kahlyn noch etwas einkaufen wollen, sollten wir langsam hin machen.“

 

Rudi ging zur Tür und hielt sie mir auf. Runge folgte mir und Rudi. Schnell waren wir mit dem Wolga von Jo, in die Stadt und auf der Sorge, der Einkaufstraße der Stadt Gera. Da Runge mit seinem Dienstwagen gefahren war, ließen wir diesen einfach auf der Sorge stehen. Obwohl das eigentlich verboten war. Nur bekam man um diese Zeit, kaum in der Nähe des Kaufhauses, einen Parkplatz. Rudi der das nicht gern sah, sagte zu Jo, den er gern bei solchen Sachen einmal neckte.

„Na na, Herr Polizeirat.“

Ich verstand ihn nicht ganz, deshalb erklärte mir Rudi.

„Kahlyn, eigentlich dürfen wir hier nicht parken.“

Jo lachte sein schönes dunkles Lachen. „Ich weiß, aber einen Vorteil muss es ja haben, dass ich Polizeirat bin, Rudi oder? Außerdem, ist es für einen guten Zweck, so ersparen wir der Kleenen langes Barfußlaufen, in der Stadt.“

Da lachte auch Rudi. Wir stiegen aus. Ich schaute mich um, hier waren so viele Menschen. So viele Menschen hatte ich noch nie gesehen. Eilig liefen sie die Straße hoch und runter. Viele Frauen mit Kindern, aber auch Männer mit Kindern und Frauen mit Männern oder alleine, alle liefen sie eilig in ein großes Gebäude.

„Kahlyn, weißt du, gucken kannst du dann noch. Ich würde gern erst einmal ein paar Sachen für dich holen. Geht das.“

Ich nickte und ließ mich von Rudi und Jo, in die Richtung des Gebäudes schieben, in dem die ganzen Menschen verschwanden. Ich sah auf einmal, dass auch wieder welche heraus kamen. Rudi beugte sich zu mir.

„Komm Kahlyn, keine Angst. Ich passe auf dich auf, ich lasse es nicht zu, dass dir etwas geschieht.“

Ich folgte den beiden Männern. Wir gingen durch einen großen Durchgang ohne Tür, rechts und links führte ein Gang weiter, zu einer großen Doppelschwingtür in der Ecke. Dort gingen wir hindurch. Was ich dann sah, erschreckte mich total. Ich machte einen Schritt zurück, Rudi jedoch stand hinter mir und flüsterte mir leise ins Ohr.

„Keine Angst meine Kleene, dir passiert hier nichts. Ich passe doch auf dich auf. Lauf einfach weiter“, vorsichtig schob er mich weiter vorwärts.

Mir blieb die Luft weg. Es waren so viele Menschen hier, wie können so viele Menschen, auf so wenig Platz sein. Auch war es so laut hier, das tat meinen Ohren weh. Ich hielt mir die Ohren zu und sah mich um. Rudi beobachtete mich genau, darauf gefasst, dass ich ausflippen würde, um mich sofort nach draußen zu bringen.

„Warum sind hier so viele Leute, Rudi?“

Er schob mich ein Stück weiter, weil wir den Eingang versperrten.

„Kahlyn, die andern wollen auch etwas einkaufen.“

Ich sah zu ihm hoch. „Was ist einkaufen?“

Ich hatte gedacht, wir gingen in eine Asservaten oder Kleiderkammer. Ich hatte so etwas noch nie gesehen. Fest drückte ich meine Hände auf die Ohren. Warum war es so laut hier? Warum wollten diese Menschen alle Sachen holen? Die hatten doch Sachen zum Anziehen. Ich sah die Leute erschrocken an. Panik kam in mir hoch, es machte mir Angst was ich hier sah. Es fiel mir immer schwerer zu atmen. Hier war alles ganz anders. Warum nur war hier alles so kompliziert geworden? Vorsichtig, immer auf die anderen Leute achtend, schob mich Rudi vorwärts. Ich wollte hier wieder raus und drehte mich um, einfach, um wieder rauszulaufen, ganz weit fort von hier.

Allerdings hielt mich Rudi fest und schob mich einfach weiter, hinein in dieses Gewühl. Er konnte sich schon denken, was in seinem Schützling vor sich ging. Heute war aber auch wieder viel Betrieb hier. Normalerweise, war um diese Uhrzeit ganz wenig los. War wieder einmal ein Feiertag, er überlegte krampfhaft. Dann fiel ihm ein dass ja Schulanfang war und viele noch Dinge nachkaufen mussten, die für die Schule fehlten. Daran hatte er nicht gedacht. Aber da mussten sie jetzt durch. Traurig sah er zu seiner Kleenen, es muss der Horror für dich hier sein. Deshalb versuchte er mich zu beruhigen.

„Ich erkläre dir gleich alles, lass uns erst einmal richtig rein gehen. Es wird gleich besser oben sind nicht so viele Leute, komm halte noch einen Augenblick durch. Kleene. Ich pass doch auf dich auf“, flüsterte er mir zu und folgte Jo.

Also drehte ich mich wieder um und lief weiter Wir kamen an eine Treppe, die sich bewegte. Ich hatte so etwas noch nicht gesehen. Kurzerhand, nahm mich Rudi einfach hoch, da ich ja auch keine Schuhe anhatte. Betrat die Treppe. Mir wurde ganz bange, auf einmal fuhren wir die Treppe nach oben.

„Was ist das?“ Ich sah verunsichert hinter Rudi.

„Das ist eine Rolltreppe, keine Angst, Kleene ich hab dich nur hochgenommen, weil du ja keine Schuhe an hast. Ich habe Angst, dass du dir die Füße auf dem Teil verletzt.“

Kaum waren wir oben angekommen, ließ er mich wieder herunter. Hier oben waren ganz viele Sachen zum anziehen. Ich staunte, so viele Sachen habe ich noch nie gesehen. Verschiedene Farben und Muster hatten diese Sachen. Auf einmal kam eine Frau auf uns zu.

„Hallo Jo, Tag Rudi, na wie geht’s euch beiden. Du bist doch bestimmt Kahlyn?“, sprach sie mich an.

Scheu sah ich zu Rudi, der lächelte.

„Du musst dich nicht fürchten. Kahlyn, das ist die Frau von unseren Max aus der Wache. Sie heißt Tina. Hallo Tina, schön, dass du Dienst hast, kannst du uns helfen. Wir brauchen für Kahlyn dringend Anziehsachen, die hat ja nur Dienstkleidung. Bitte Tina, ganz einfach Sachen, Trainingsanzüge für zu Hause, Schlafanzug, T-Shirts, vielleicht eine Hose oder Overall und eine Jacke. Kannst du uns helfen. Viola meinte, wenn es zu lang ist kein Problem. Bloß so sollte es einigermaßen passen. Sie kann die Hosen kürzen. Ohne großes Anprobieren, ich glaube das schafft Kahlyn noch nicht. Bloß wir brauchen dringend Kleidung. Die Kleene kann doch nicht immer im Dienstoverall rumlaufen“, erklärte Rudi, zur Frau seines Kollegen.

„Ja klar, komm gehen wir gucken, ob wir etwas finden“, Tina winkte uns zu ihr zu folgen.

Rudi sah besorgt auf mich. Mir fiel es immer schwerer ruhig zu atmen. Mir war so schlecht und ich wurde ganz weiß im Gesicht.

„Kleene was ist los?“

Ich konnte nicht antworten, sonst hätte ich mich erbrochen und das genau vor seinen Füßen.

Tina sah, dass es mir gar nicht so gut ging. „Rudi, komm hinter in mein Büro, das ist der Kleinen doch alles zu viele hier. Komm schnell.“

Ich war der Frau dankbar, mein Herz raste, wieder fing ich an zu zittern. Rudi führte mich mit Jo zusammen, in das Büro von Tina. Kaum waren wir dort angekommen, ließ ich mich einfach, an der Wand herunterrutschen. Mir war speiübel. Warum kam nur dieses Monster wieder, es war doch schlimm. Mühsam versuchte ich mich zu beruhigen. Rudi hockte sich vor mich hin.

„Kleene, es ist nicht schlimm. Wenn es nicht geht, sag es doch einfach. Ich dachte nur nicht, dass du so überfordert sein würdest. Ich dachte, ich hab dich darauf vorbereitet. Aber es ist doch anders, als du es dir vorgestellt hast.“

Mit geschlossenen Augen nickte ich. Verdammt ich musste das unbedingt in den Griff bekommen. „Es geht gleich wieder, Rudi. Es tut mir leid. Es ist so laut.“

Langsam bekam ich mich wiederein. Tina telefonierte gerade und Jo stand in ihrer Nähe. Endlich ging es wieder. Es kotzte mich an, aber ich konnte es nicht steuern und hatte keinerlei Einfluss, auf diese Reaktionen meines Körpers. 

„Na Kahlyn, geht es wieder?“ Tina musterte mich. „Mein Max ist ja voll am Schwärmen von dir, da kann ich richtig eifersüchtig sein. Weißt du das er dich ganz sehr mag.“

Verwundert sah ich zu Tina auf. „Mam, Max mag mich doch gar nicht mehr, seit dem letzten Einsatz, Mam“, stellte ich trocken fest, atmete mehrmals tief ein und aus.

„Na langsam bekommst du wieder Farbe, Kahlyn. Doch glaub mir, Max mag dich ganz sehr. Er war fix und fertig, weil er sich bei dir nicht entschuldigen konnte. Weil du zu einem Einsatz musstest. Er hat mir zwar nicht gesagt warum, er meinte nur, er hätte dir Unrecht getan. Aber ich denke, wenn er dich das nächste Mal sieht, wird er dir das bestimmt sagen.“

Ich schaute zu dieser Tina hoch und sah sie lange an. „Mam, sie können ihn sagen, er hat mir nicht Unrecht getan, Mam. Er hatte mit allem recht, was er dachte, Mam. Die einzige Sache, wo er im Unrecht war, Mam, ist, das er dachte ich töte gern, Mam. Ich verachte mich für das, was ich tun musste, genauso, wie mich Max verachtet, aber einer musste es tun, Mam. Wenn ich es nicht getan hätte, hätte es Rudi, John, oder Max machen müssen, Mam. Dann hätten sie damit leben müssen, so muss nur ich es tun, Mam. Ich bin daran gewöhnt, Mam. Max muss sich bei mir nicht entschuldigen, Mam.“

Entsetzt und mit einem schneeweißen Gesicht, sah mich Tina an.

Ich sah zu Rudi und dann sah ich Jo an. „Hab ich etwas Falsches gesagt Rudi?“, blickte die beiden verwirrt an.

Der schüttelte den Kopf. „Nein Kahlyn, nur weißt du, wir sprechen zu Hause selten über unsere Arbeit. Meistens wissen unsere Frauen gar nicht, dass wir mit dem Tod zu kämpfen haben. Sie wissen nicht, wie oft wir den Tod sehen“, erklärte mir Rudi.

Jo der ebenfalls erschrocken war, hatte sich gerade gefangen, versuchte mir zu erklären was los ist. „Tina war geschockt, das du so über den Tod redest, meine Kleene. In ihren Augen, bist du nichts anderes als Jenny, ein Kind. Aber das kannst du nicht verstehen, für dich ist das, was hier geschieht, genauso unvorstellbar, wie für Tina deine Worte die du eben gesagt hast. Es liegen Welten zwischen uns Kleene. Weder können wir deine Welt verstehen, noch du unsere.“

Runge ging er auf Tina zu. Rudi stand ebenfalls auf und ging zu Tina die am ganzen Körper zitterte und immer noch blass im Gesicht war. „Tina, komm setz dich. Du fällst ja gleich um. Kahlyn musst du wissen, kämpft seit dreizehn Jahren. Sie sieht aus wie ein Kind, in allem was das normale Leben angeht, ist sie allerdings ein Baby. Aber im Kampf, ist sie älter als dein Mann, Jo, John und alle vom Team zusammen. Es ist schwer zu verstehen, aber es ist leider so. Komm beruhige dich.“

Tina hatte sich wieder gefangen. „Kahlyn, das ist schrecklich, was du da erzählst. Max hat vorige Nacht im Schlaf geschrien wie am Spieß, klitschnass ist er aufgewacht. Da hat er mir von dem Einsatz erzählt. Er hat geweint, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Aber er hat nicht gesagt, dass du derjenige warst, welche diese Menschen getötet hat. Er hat es nicht gesagt. Aber ich verstehe jetzt, warum er es nicht gesagt hat.“ Tina rieb sich das Gesicht. „Jo, Rudi, wir kennen uns schon so lange. Ihr wisst beide, dass Max mir viel von den Einsätzen erzählt. Er muss es tun, sonst würde er kaputt gehen. Kahlyn, unsere Tochter Sandra ist so alt wie du. Sie ist sechszehn Jahre alt, deswegen war ich so erschrocken. Kind ich habe mir vorgestellt, wenn Sandra an deiner Stelle wäre. Sie schreit schon wie am Spieß, wenn sie sich nur mal in den Finger schneidet. Wenn sie eine Fliege erschlägt, dann heult sie drei Tage. Wie kannst du damit leben?“

Verwirrt sah ich zu Rudi, was sollte ich darauf sagen. Als er für mich antworten will, schüttelte ich den Kopf. „Mam, ich kann damit nicht leben, Mam. Ich versuche es zu vergessen, aber es klappt nicht immer, Mam. Ich kenne doch nichts anderes, Mam. Aber ich muss ja damit leben, was bleibt mir anderes übrig. Aber…“ Ich drehte meinen Kopf in Richtung Tür. „… damit komme ich nicht klar, Mam. Mir wird ganz schlecht, mein Herz rast und ich habe das Gefühl mein Kopf zerspringt, Mam. Das da draußen macht mir Angst, Mam. Ich weiß nicht, wie ich lernen soll damit zu leben, Mam. Ich weiß wie man tötet, ob laut oder leise, aber ich verstehe nicht, was ihr hier von mir wollt, ich verstehe es einfach nicht, Mam.“

Plötzlich fing ich an zu weinen. Ich schämte mich dafür, dass ich nicht klar kam, in dieser Welt. Rudi kam zu mir und zog mich auf die Füße. Führte mich zu einem Stuhl, er setzte sich hin und nahm mich einfach auf den Schoss, hielt mich fest im Arm. Langsam beruhigte ich mich. Unter Tränen, immer wieder von Pausen unterbrochen in den ich nichts sagen konnte, erklärte ich ihm leise.

„Ich möchte es ja lernen, aber es ist so laut. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Ich verstehe einfach nicht, was man von mir verlangt, was man von mir erwartet. Dinge die ich verstehe, machen mir keine Angst. Aber das hier, verstehe ich nicht und begreife es nicht“, flüsterte ich an Rudi gewandt.

Tina stand auf und lief in eine Ecke, an ein Waschbecken und wusch sich das Gesicht. Dann atmete sie ein paar Mal tief durch. Kurz sah sie an die Uhr, es war gerade 18 Uhr geworden. Entschlossen griff sie zum Telefon und wählte eine Nummer.

„Inge, kannst du bitte einmal schnell zu mir ins Büro kommen? Ich brauche dringend deine Hilfe und deine Genehmigung, etwas zu machen. Es ist wichtig und Inge, es geht hier um ein Kind, das Hilfe braucht… Ja, danke ich warte“, tief durchatmend legte sie auf. Nochmals wählte sie eine Nummer.

„Joschka, hier ist Tina. Bitte sei so lieb, schließe, wenn der letzte Kunde raus ist, alle Pforten. Lass aber bitte im gesamten Haus das Licht an. Ich sage dir Bescheid, wenn ich das Licht nicht mehr brauche… Ja Joschka, ich spreche das mit Inge ab, die ist auf dem Weg zu mir. Danke schon mal, es ist wichtig, es geht um die Hilfe, für ein Kind“, erleichtert das alles schnell geregelt zu haben, legte Tina auf.

„So, jetzt zu dir Kahlyn, wir werden noch einen halbe Stunde warten. Spätestens dann, sind hier alle Kunden aus dem Haus. Dann werden wir mit dir, ganz in Ruhe einkaufen gehen. Ohne den Lärm der Kunden. Du kannst dir alles in Ruhe an sehen. Wir suchen dir ein paar schöne Sachen aus. Würde dir das gefallen?“

Ich sah diese Frau an, unsicher schielte ich zu Jo und Rudi. Beide nickten mir aufmuntern zu.

Rudi drückte mich an sich und wandte sich der Frau seines Kollegen zu. „Tina, das ist eine gute Idee“, anschließend wandte er sich an mich, streichelte mir lieb über das nasse Gesicht. „Kahlyn, du guckst dir alles an und fragst uns einfach, was du nicht verstehst. Kleene, wenn es dir zu viel wird, sagst du es einfach Bescheid.“

Wieder schaute ich von einem zum anderen, dann nickte ich. Es klopfte an der Bürotür.

Tina rief laut. „Herein.“

Eine ältere mürrisch aussehende Frau, betrat den Raum. Ich versteifte mich. Die Frau kam mir nicht geheuer vor, auch weil sie so böse guckte. Gleich würde sie anfangen zu schreien.

„Kahlyn, ganz ruhig“, flüsterte mir Rudi zu.

Ich versuchte es ja, aber ich konnte das im Moment nicht steuern. Wieder fing ich an stoßweise zu atmen. Es war, als wenn mir jemand den Brustkorb zusammen presste und verhindern wollte, dass ich Luft bekam. Verdammt, warum passiert das nur laufend, ich war doch sonst nie so gewesen.

„Guten Abend Inge“, begrüßte Tina lächelt die Frau.

„Guten Abend Tina, was hast du für ein Problem? Was machen die Leute hier. Du weißt ich will dann Feierabend machen“, wies sie diese in einem genervten Ton zurecht.

Tina lächelte Inge zu.

Schließlich kannte sie ihre Schwiegermutter und wusste von deren guten Herz. Nach außen hin wirkte Inge oft grobschlächtig, aber sie hatte innen einen weichen Kern. Allerdings war heute ein Horrortag für sie, es ging drunter und drüber. Sie sagte ihr schon vor vier Stunden, dass sie den Feierabend herbeisehnte, wie lange nicht mehr. Sie würde sich gleich beruhigen. Denn Inge Schröter liebte Kinder über alles. Deshalb machte sich Tina da keine großen Sorgen.

„Inge, ich möchte dir ein paar liebe Freunde vorstellen. Das hier ist Polizeirat Runge, also Max sein großer Chef. Rudi Sender, den kennst du ja schon und das hier Inge, ist unser Sorgenkind, um dass es geht. Sie ist eine Kollegin von deinem Sohn. Das ist die Kahlyn. Inge wir brauchen deine Hilfe, bitte…“, kurz schilderte Tina, Inge ihr Anliegen und mein Problem. Dann sah sie ihre Schwiegermutter fragend an. Die musterte den Polizeirat, dann Rudi, ganz zum Schluss bleibt ihr Blick auf mir hängen.

„Tina, du willst mich verarschen oder? Das ist doch noch ein Kind. Die ist doch höchstens so alt, wie unsere Sandra“, auf einmal war ihr mürrischer Gesichtsausdruck verschwunden. „Wie kann sie eine Kollegin von Max sein?“

Tina ging auf ihre Schwiegermutter zu und legte ihr eine Hand, auf die Schulter. „Inge, das ist eine lange Geschichte, die erzählen wir dir mal, wenn du zu uns zum Essen kommst. Aber wir müssen der Kleinen helfen. Ich denke du bist diejenige, die das am besten kann. Kahlyn, versteht nicht, wie das hier alles funktioniert. Sie hat vom Leben hier, keine Ahnung und weiß absolut nichts von dieser Welt. So ungefähr, als wenn sie vom Mond kommen würde. Die Brille Inge, trägt sie, weil sie Augen hat, die nicht mal das Licht hier vertragen. Max hat mir einiges erzählt und es ist schrecklich. Inge, die Kleine war noch nie einkaufen. Vorhin ist sie uns fast zusammengebrochen, weil sie da draußen nicht klar gekommen ist. Ich möchte ihr so gern die Angst vor alledem nehmen. Aber ich weiß leider nicht wie?“

Diese Inge sah mich auf einmal, mit einem ganz anderen Gesicht an. „Warum hast du hier Angst?“

Automatisch lehnte ich mich mehr an Rudi, als wenn ich Schutz suchen würde bei ihm.

„Schon gut meine Kleene, Inge tut dir nichts.“

Ich versuchte ja ruhig zu bleiben, aber ich schaffte es einfach nicht, wieder kam diese verdammte Panik in mir hoch. Die Augen geschlossen haltend, versuchte ich mich zu beruhigen und meinen Atem zu beruhigen. Verdammt nochmal, ich musste das unbedingt in den Griff bekommen. Ich konnte doch nicht jedes Mal Zustände bekommen, wenn mir ein fremder Mensch begegnete. Langsam ging es wieder, ich öffnete die Augen. Die Frau hatte sich vor Rudi gehockt und schaute zu mir hoch.

 „Kahlyn, ich tue dir nichts. Kannst du mir sagen, warum du Angst hier hast?“

Ich schüttelte den Kopf. „Mam, ich weiß es nicht, Mam. Ich kenne so etwas nicht, Mam“, erklärte ich ganz leise.

„Weißt du, was wir da machen. Wir schauen uns das mal ganz in Ruhe an. Kommst du mal mit?“

Ich schüttelte den Kopf und sah hilfesuchend zu Rudi, dann zu Jo, dann sogar zu Tina. Alle nickten mir zu.

Rudi flüsterte mir ins Ohr. „Hab Vertrauen zu Inge, sie ist ganz lieb.“

Inge hielt mir ihre Hand hin. Ich gab mir einen Ruck und ergriff sie einfach. Komischerweise fühlt sich die Hand gut an.

„Kleine, vielleicht solltest du, bevor ihr los geht, Inge deine Augen zeigen. Ich denke sie wird genauso erschrecken, wie jeder andere. Inge du musst wissen, Kahlyn hat wunderschöne Augen. Aber sie sehen ganz anders aus, als unsere. Möchtest du die mal sehen?“, fragte Tina ihre Mutter.

Woher wusste sie das? Fragend sah ich Tina an.

Die lächelte mir zu. „Kahlyn ich hab dir doch gesagt, dass der Max von dir schwärmt. Er beschreibt deine Augen, wie zwei untergehende Sonnen.“

Ich nickte, so hat Dika auch meine Augen immer genannt. Ich sah zu der Frau, als die auch nickten, nahm ich meine Brille ab. Erschrocken atmeten beide aus. Obwohl Tina ja wusste, wie meine Augen aussahen, war sie erschrocken. Aber nach dem ersten Schreck, meinte sie.

„Kahlyn, setze deine Brille wieder auf. Jetzt weiß ich, was Max meinte und er hat recht, du hast wunderschöne Augen.“

Inge atmete tief durch. Dann hielt sie mir wieder die Hand hin.

„Rudi, kannst du mitkommen, bitte“, flehte ich ihn an.

Der lächelte mir zu und nickte. Er konnte sich vorstellen, dass seine Kleine nicht ganz alleine, mitgehen wollte. „Ich halte mich etwas im Hintergrund, Kleene. Bin aber immer in deiner Nähe. Ich passe auf dich auf meine Kleene, keine Angst. Ich lasse nicht zu, dass dir etwas passiert.“

Mit diesem Versprechen konnte ich sehr gut leben. Ich wusste, dass Rudi nicht zuließ, dass mir etwas geschehen würde. Er hatte mich schon einmal beschützt, sogar vor dem Oberstleutnant. Inge ging mit mir an der Hand, aus der Tür. Verwundert sah ich mich um. Es war auf einmal ganz ruhig hier. Inge drehte sich um, zu der hinter mir stehenden Tina.

„Tina, sei so gut und rufe Heinz schnell mal an. Er soll sich sein Abendbrot nehmen, es wird bei mir heute später“, teilte sie in einem ganz anderen Ton ihrer Schwiegertochter mit. Als die ersten Sätze, die sie im Büro gesprochen hatte.

„Komm Kahlyn, ich erkläre dir alles, damit du hier nie wieder Angst haben musst. Vor allem dich hier nicht mehr fürchtest.“

Zielstrebig ging sie mit mir zu der Rolltreppe und nahm einen Schlüssel und hielt diese an. Lief mit mir ganz normal die Treppe hinunter. Als wir in Parterre angekommen waren, begann sie mir alles zu erklären. Es war interessant, was Inge mir alles erzählte. Auch wenn ich nicht alles verstand. Ich durfte sogar alles anfassen und an allen riechen. Eine Abteilung gab es hier, mit lauter Flaschen in denen Parfüm war und Duschgel, aber auch Dosen mit Creme. Es roch hier alles durcheinander, so sehr dass ich ständig niesen musste. Wir gingen weiter, zu einer Abteilung, dort gab es ganz viele Stifte. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Viele waren mit Bildern und es gab verschieden Farben, auch die Minen waren nicht alle schwarze. Das interessierte mich sehr und ich konnte mich daran gar nicht satt sehen. Buntstifte nannte Inge, einen Teil dieser Stifte. Bei den Zeichenblöcken blieb ich stehen.

„Malst du gerne?“ Neugierig sah mich Inge an.

„Mam, ja, Mam“, gab ich zur Antwort. Es war auf einmal, gar nicht mehr schlimm, dass ich die Frau nicht kannte. „Soll ich sie malen Mam, es dauert nicht lange.“

Inge blieb stehen und bückte sich. Drauf hin reichte sie mir einen Block und einen Stift. Ich malte sie ganz schnell, beeilte mich sehr, damit sie nicht so lange warten musste. Fertig mit Zeichnen reichte ich ihr den Block.

„Mein Gott, kannst du gut malen. Das Bild ist wunderschön. Kann ich das behalten?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Mama, natürlich, warum auch nicht. Ich hab das Bild ja extra für sie gemalt, Mam“, klärte ich sie leise auf.

Inge holte zwei Blocks und eine Reihe von Stiften aus einem Regal und legte sie auf einen Tisch.

„Danke Kahlyn, das wird sicher Heinz gefallen. Komm gehen wir weiter.“

Kurz bevor wir weiter gingen, kam Rudi auf uns zu, flüsterte Inge etwas ins Ohr, die erschrak, nickte dann aber.

„Rudi, was braucht das Mäuschen speziell an Sachen? Schuhe auf alle Fälle und sonst“, erkundigte sie sich mit einem Blick auf meine Füße.

Verlegen sah ich an mir herunter. Dann schaute ich sie an. „Mam, Schuhe brauche ich keine, Mam. Die verliere ich ständig, es ist schlimm mit mir, ich bin das Barfußlaufen gewohnt, Mam.“

Inge sah mich erschrocken an. „Wieso verlierst du deine Schuhe?“, wollte sie von mir wissen.

Ich zuckte mit den Schultern. „Mam, wenn ich in die Bäume oder in die Wand gehe, da stören die mich nur, da ziehe ich sie aus und werfe sie weg. Weiß aber meistens nicht mehr, wo ich sie hin geworfen haben. Schuhe lohnen sich nicht für mich Mam. Wirklich nicht, Mam.“

Jetzt fing Inge an zu lachen, sah mich an und gab mir einfach einen Kuss auf die Stirn. Ich ließ es mir gefallen. Die Frau war ganz lieb, dachte ich bei mir. Wir gingen weiter, plötzlich blieb Inge stehen.

„Kahlyn, Rudi sagt mir vorhin gerade, du kennst keine Spielsachen und dass du dich ganz schrecklich vor Puppen gefürchtet hast. Ich würde trotzdem gern, mit dir in die Spielzeugabteilung gehen. Wenn es dir aber zu viel ist, dann sagst du es mir. Versprichst du mir das?“

Ich sah sie an und nickte. Wir liefen weiter, auf einmal begriff ich, was mir John gesagt hatte. Ich blieb wie angewurzelt stehen und hockte mich hin. Wieder einmal, kamen diese schrecklichen Bilder aus Rumänien in mir hoch. Rudi kam sofort und nahm mich in den Arm, wollte mich wegziehen. Aber ich schüttelte den Kopf.

„Lass mich“, brachte ich mit Mühe hervor. Ich verstand auf einmal, was John meinte, mit „Du musst lernen dich meiner Angst vor Puppen zu stellen.“ In den Regalen vor mir, standen hunderte von Puppen, in allen Größen. Bis hin zu der Größe, welche die Kinder in Rumänien hatten. Ich setzte mich auf den Boden, umschlang meine Knie, versuchte mich zu beruhigen. Rudi wollte mich in den Arm nehmen, weil er merkte, dass ich in Panik verfiel, aber ich wollte es alleine schaffen. Ich stieß ihn weg, wieder sagte ich nur. „Lass mich.“

Ich musste es alleine schaffen, wollte alleine meine Angst überwinden. Nicht immer war jemand da, der mich beschützen konnte. Ich schloss die Augen und sah auf meine Füße, fing an tief zu atmen, langsam ging es wieder. Vorsichtig öffnete ich die Augen und hob meinen Blick. Immer wieder sagte ich mir. „Sehe hin Kahlyn, sie haben keine Knochen, es sind nur Puppen. Es sind keine toten Kinder, sieh hin, Kahlyn“ Machte mir dadurch selber Mut, gar nicht ahnend, dass ich laut gesprochen habe. Langsam stand ich auf, schwankend und nach Luft ringend, zwang ich mich auf die Puppen zu zugehen. Mehrmals unternahm ich den Versuch, die Puppen anzufassen. Beim achten oder neunten Versuch, gelang es mir. Sie fassten sich komisch an, ich nahm eine aus dem Regal. Sah sie mir ganz genau an, es war wie bei Jennys Puppen, sie hatten keine Knochen. Ich stellte die Puppe vorsichtig ins Regal zurück.

Inge kam auf mich zu. „Kahlyn, Kind du bist ja schneeweiß im Gesicht. Komm lass uns weiter gehen.“

Ich schüttelte den Kopf, jetzt musste ich hier durch, wollte endlich diese Angst überwinden. Wenn es so viele Puppen hier gab, dann hatte John recht. Wenn er sagte, es werden mir überall Puppen begegnen, dann erschrecke ich immer wieder davor. Ich musste meine Angst überwinden. Wieder nahm ich eine Puppe aus dem Regal, so wie ich diese heraus nahm, schrie diese laut auf. Ich erstarre regelrecht. Rudi war da, jetzt nahm er mich doch in den Arm.

„Kahlyn, keine Angst, die Puppe lebt nicht. Wenn du die hin und her wackelst, schreit die auf. Es ist nur ein Mechanismus. Geb sie mir mal“, schon nahm Rudi sie mir aus der Hand.

Ich zitterte am ganzen Körper, ging wieder in die Knie und hatte mich zu Tode erschrocken. Vorsichtig die Puppe vor mein Gesicht haltend ließ er die Puppe schreien. Dann hielt er sie mir hin.

„Versuche es selber einmal“, Rudi merkte genau, dass ich es nicht sofort machen konnte.

Ich zitterte so sehr, dass ich die Puppe gar nicht fest halten konnte.

„Lass dir Zeit“, bat Inge mich.

Beide zogen sich zurück, dafür war ich ihnen dankbar. Mühsam gegen meine Panik ankämpfend, sah ich mir die Puppe an, sie hat keine Knochen. Ich stupste sie an, da schrie sie. Nahm sie dann mit zitternden Händen hoch und ließ sie schreien. Immer wieder ließ ich sie schreien, auf einmal musste ich lachen. Das war lustig, was die Puppe machte. Es klang wie Mama. Warum nur hatte ich solch eine Angst gehabt, es war kein Kind. Ich hatte es geschafft. Ich stand auf und lief zu diesem Regal. Jede einzelne Puppe nahm ich in die Hand. Es war bei allen das Gleiche, sie hatten keine Knochen. Es gab sogar Puppen in diesem Regal, deren Augen auf und zu gingen. Ich fand das total lustig. Ich drehte mich um. Nicht weit von mir entfernt, standen Jo und Rudi, beide lachten. Jo kam auf mich zu und nahm mich in den Arm. Auf einmal hob er mich hoch und gab mir einen Kuss. Ich schlang meine Arme um seine Hals und drückte ihn. Er hielt mich fest, dann flüsterte er mir ins Ohr.

„Ich bin so stolz auf dich, meine Kleene. Ich kann mir vorstellen, wie schwer das jetzt eben für dich gewesen sein muss, ich bin so stolz auf dich. Wenn ich dem John das erzähle, wird der auch stolz auf dich sein. Du bist gerade so tapfer gewesen. Ich weiß nicht, ob ich so viel Kraft wie du gehabt hätte. Jetzt weiß ich, dass du alles schaffst“, erleichtert setzte er mich wieder auf die Füße.

Ich war auch froh, ich sah mich um, auf einmal lachten mir alle Puppen zu. Ich hatte keine Angst mehr, überhaupt keine. Etwas weiter hinten war ein Regal mit lauter Tieren, dort ging ich jetzt hin. Auch die hatten keine Knochen.

„Jo?“ Drehte ich mich fragend um.

„Was ist meine Kleene?“ Verlegen sah ich auf meine Hände.

„Der Hund den Tim hat, der ist auch nicht tot? Der ist so, wie die Tiere hier, oder?“ Den Kopf etwas schräg haltend, sah ich ihn an.

Da grinste Jo breit. „Ja Kahlyn, der Hund ist so wie diese Tiere hier.“

Jetzt war ich erleichtert und sagte ihm das auch. „Da bin ich aber froh.“

Wieder sah ich mir die Tiere an, fast jedes, nahm ich in die Hand. Sie waren alle wunderschön. Ein Bär hatte es mir besonders angetan. Er war blau und hatte eine rote Nase und einen weißen Bauch und haselnussbraune Augen. Ganz weich fühlte er sich an. Ich setzte ihn wieder in das Regal, schaute mir alles andere, was es hier gab an. Vieles von dem, was ich hier entdeckte, verstand ich nicht. Aber bestimmt würde ich es, irgendwann verstehen. Zum Schluss ging ich wieder zu dem Regal mit dem Bären. Ich musste ihn einfach noch einmal streicheln

Lyn, rafik. Etries, nisön. - Kleiner Freund. Schlaf gut mein Freund“, sagte ich leise zu ihm.

Dann ging ich zu den anderen. Schweren Herzens ließ ich den Bären dort im Regal zurück. Wir liefen weiter, immer wieder muss ich mich umdrehen. Bitter schluckte ich daran, ihn zurück zu lassen. Aber er gehörte mir ja nicht. Jo blieb ein wenig zurück und Rudi ebenfalls. Inge ging mit mir weiter und suchte Schlafsachen, T-Shirts, Unterwäsche, Trainingsanzüge für mich heraus. Das Einzige, was ich anprobieren musste, war ein Blouson und zwei Hosen. Alles passte ganz genau. Dann marschierten wir hoch zu Tina. Ich war müde und völlig geschafft. Ich hatte so viel gesehen. Als wir in das Büro kamen, drehte ich mich zu Inge um.

Andus, nikyta mön Inge. Andus mön. - Mein Augen, habe gelernt wie deine zu sehen. Danke Inge“, dankte ich ihr und nahm sie ganz lieb in den Arm, gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

Inge drückte mich ebenfalls und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Ich verstehe nicht, was du sagst Kleines.“

Wieder einmal war mir nicht aufgefallen, dass ich in meiner Sprache gesprochen hatte. „Ich habe es mit deinen Augen sehen gelernt, danke Inge. Jetzt habe ich keine Angst mehr, vor den vielen Dingen.“

Inge drückte mich an sich. „Das freut mich aber Kahlyn. Dann kommst du mich hier mal besuchen?“

Ich nickte. „Aber ich mag nicht alleine kommen, darf ich Rudi mitbringen. Ich finde den Weg nicht, hierher. Ich hab doch nicht auf den Weg geachtet.“

Da lachten alle.

„Klar bringe alle mit. Ich freue mich auf deinen Besuch.“

Dann drehte ich mich zu Rudi und Jo um. „Rudi, Jo, ich möchte gern nach Hause, mir tut mein Kopf weh und ich bin müde“, bat ich die Beiden, die nickten.

Konnten sie sich vorstellen, wie anstrengend das alles für mich gewesen sein musste. Rudi und Jo baten mich noch einen Moment hier zu warten. Sie wollten schnell das Auto, mit all meinen Sachen beladen. So blieb ich bei Inge.

„Kahlyn, sagst du mir bitte mal, was hast du vorhin zu dem Bären gesagt in der Spielzeugabteilung. Ich konnte das auch nicht verstehen.“

Ich sah Inge an, dann lächle ich verlegen. „Ich hab mich nur von ihm verabschiedet und hab gesagt: Kleiner Liebling, schlafe schön mein Freund. Er sah so traurig aus in dem Regal.“

Da lachte Inge. „Du bist mir eine Maus.“

Ich sah sie verwirrt an. „Wieso bin ich eine Maus, ich hab doch keine Schnurrhaare und piepse auch nicht.“

Dadurch musste Inge noch mehr lachen. „Das sagt man nur so, Kahlyn. Es ist ein Kosename, den man Menschen gibt, die man lieb hat.“

Wieder einmal verstand ich nicht, was man von mir wollte. „Warum hast du mich lieb, Inge? Du kennst mich doch gar nicht“, stellte ich fest.

Inge jedoch lachte mich an. „Doch ein kleines bisschen, habe ich dich heute kennen gelernt und das, was ich gesehen haben, hat mir gut gefallen. Du bist ein mutiges Mädchen und ganz ehrlich.“

Rudi und Jo kamen in das Büro, um mich abzuholen. Ich verabschiede mich von Inge, wie von einer alten Freundin, dann von Tina. Ging mit Rudi und Jo, auf der anderen Seite aus dem Kaufhaus. Da vorne, so erklärten mir die Beiden, schon alles zu geschlossen war. Es war bereits kurz nach 22 Uhr. Runge fuhr nach Hause, nach einer halben Stunde Fahrt, kamen wir zu Hause an.

Rudi der sah, dass ich mich kaum noch munter halten konnte und brachte mich sofort nach oben, dort fiel ich wieder einmal, ungewaschen ins Bett. Diesmal sagte nicht mal Viola etwas: Sie sah wie fertig ich war.

 

Zu Rudi und Jo jedoch sagt sie. „War das mal schnell, was für Kahlyn kaufen? Könnt ihr euch eigentlich vorstellen, dass ich mir wahnsinnige Sorgen gemacht habe?“

Jo nickte verlegen lächelnd, gab seiner Frau einen Kuss und schob sie aus dem Zimmer. Schnell wurden noch die ganzen Sachen von Kahlyn, aus dem Auto ins Büro von Jo gebracht. Damit man sie dort morgen sortieren und danach oben bei Kahlyn, in die leeren Schränke räumen konnte. Auch Rudi und Jo ließen sich erschöpft auf die Stühle am Küchentisch fallen. Gerade wollten die beiden Männer anfangen, Viola alles zu erzählen, als es kurz vor 23 Uhr klingelte. Inge die noch viele Fragen hatte, stand mit Tina in der Tür.

„Entschuldigung, dass wir jetzt noch klingeln, aber wir habe noch so viele Fragen, die uns nicht schlafen lassen würden. Außerdem haben wir noch etwas beschlossen. Leider fanden wir das, was wir mitbringen wollten nicht mehr, aber etwas ähnliches.“

Verwundert sahen die beiden Männer und Viola, Inge und Tina an. Die holten einen roten Bären, mit weißer Nase, blauen Bauch und schwarzen Augen aus der Tasche. Da fing Jo an zu lachen, er konnte sich nicht mehr beruhigen. Als er bei Joschka den Großeinkauf bezahlt hatte, fiel ihm der Bär ein. Er ging ihn noch schnell holen. Er sollte eine Überraschung für Kahlyn sein. Er lief in sein Büro, in dem die Sachen von Kahlyn standen und holte den Bären dazu. Jetzt lachten, auch Inge und Tina. Rudi dagegen sagte mit ernster Stimme.

„Das ist nicht so schlimm, der rote Bär ist für die Arbeit, der blaue Bär bleibt zu Hause. So muss sie ihn nicht dauernd mit hin und herschleppen.“

So war es beschlossene Sache, das Kahlyn auf einmal stolze Besitzerin, von zwei Teddybären war. Ganz leise gingen die fünf Erwachsenen in das Zimmer von Kahlyn, die zusammen gerollt in ihrem Bett lag. Vorsichtig legten sie die beiden, beinah gleichen Teddys, zu Kahlyn ins Bett. Rudi nahm Kahlyns Arm und legte ihn vorsichtig um die Teddys herum. Zog dem schlafenden Mädchen die Brille von Gesicht, schloss die Jalousien und die Vorhänge und gab ihr einen Kuss. Leise folgte er, den anderen hinterher in die Küche. Lange noch saßen die Fünf zusammen. Jo und Rudi, erklärten den beiden Frauen, warum Kahlyn in der Spielzeugabteilung, so viele Schwierigkeiten hatte. Erzählen Viola, wie sich Kahlyn ihrer Angst gestellt hatte. Inge und Tina, konnten nicht fassen, was sie da zu hören bekamen. Waren gleich noch einmal so froh, dass sie der Kleinen den Teddy gebracht hatten. Tina die ja schon einiges von Max erfuhr, war entsetzt und nahm sich vor, mit Sandra einmal die Runges zu besuchen, damit Kahlyn auch Kontakt zu gleichaltrigen bekam. So wenigstens, ein bisschen lernte Kind zu sein. Kurz nach 1 Uhr in der Früh, verabschiedeten sich die beiden Frauen, sie mussten endlich nach Hause. Mit Entsetzen stellten Jo, Rudi und auch Viola fest, dass man noch nicht mal Abendbrot gegessen hat. Jo lachte in seinem schönen dunklen Bass.

„Veilchen, dann haben wir uns morgen aber wenigstens ein Schnitzel mit Bratkartoffeln verdient, schließlich haben wir die Kalorien heute eingespart.“

Viola lachte ihr immer hungriger Gatte an, er hatte Recht. „In Ordnung morgen gibt’s Schnitzel“

Erschöpft fielen Jo und Viola ins Bett. Rudi sah noch einmal nach Kahlyn. Guckte vorsichtig nach seiner kleinen Kollegin, die schlief unruhig. Vorsichtig fasste er nach ihrer Stirn, die immer noch glühend heiß war. Er überlegte, ob er wieder Wickel machen sollte? Allerdings hatte Doktor Jacob ihm immer wieder erklärt, dass es unnütz wäre. Das Fieber würde auch von alleine weggehen, sobald Kahlyn Ruhe fand. Er setzte sich auf das Bett und zog Kahlyn in den Arm. Nach kurzer Zeit beruhigte sich die Kleine und schlief tief und fest, vor allem aber ruhig. Leise stand Rudi auf und deckte die Kleine zu. Na, dann schlaf mal schön. Freudig stellte er fest, dass Kahlyn ihre beiden Teddys immer noch fest im Arm hielt. Völlig geschafft ging auch er nach unten, um endlich zu schlafen.

 

Kurz nach 9 Uhr erwachte ich, aus einem erholsamen Schlaf. Ich erschrak, als ich feststellte, dass ich zwei Bären aus der Spielzeugabteilung in den Arm hielt. Wie waren die hierher gekommen? Ich war völlig durcheinander. Ich konnte mich nicht daran erinnern, sie mit genommen zu haben. Verwirrt überlegte ich, was ich gestern gemacht hatte, nach dem ich hier angekommen war. Ich bin schlafen gegangen, aber wie kamen die Bären hierher? Ich nahm meine Brille und setzte sie auf. Sah mich um, holte meinen Medi-Koffer, spritzte mir N91 und K99. Da ich immer noch sehr hohes Fieber hatte. Ich verstand nicht, warum das Fieber nicht runter ging. Selbst mit meiner inneren Fieberkontrolle konnte ich es nicht dauerhaft herunter drücken. Eigentlich müsste es weg sein. Egal, das hatte Zeit. Ich musste erst einmal zu Rudi und das mit den Bären klären. Schnell lief ich nach unten, dort saßen Jo, Viola, Tim und Rudi am Frühstückstisch. Alle Vier lachten mich an, als sie mich mit den beiden Bären im Arm sahen.

„Rudi, ich hab sie nicht genommen, ich weiß nicht, wie die in mein Bett gekommen sind, wirklich nicht“, rief ich Rudi schon von der Treppe aus panisch zu.

Mühsam unterdrückte ich das Monster, was sich in meinem Körper breit machte, hielt meinem Vorgesetzen und Freund, die beiden Bären hin.

„Ich hab sie nicht genommen, wirklich nicht. Ich weiß nicht, wie sie zu mir gekommen sind. Wir müssen sie zurück bringen. Inge wird sie schon vermissen. Es ist Unrecht, sie gehören mir doch nicht“, verwirrt schaute ich zu den Dreien, die mich lachend ansahen.

Rudi jedoch wurde auf einmal klar, dass ich wirklich total in Panik und völlig überfordert war. „Kahlyn, komm mal zu mir, beruhige dich. Komm her meine Kleene“, an Jo und Viola gewandt. „Hört auf zu lachen, das ist verdammt ernst.“

Ich ging auf Rudi zu, er zog mich auf seinen Schoss. „Kleene, komm beruhige dich erst einmal. Du hast nichts unrechtes gemacht. Ganz ruhig.“

Er hielt mich im Arm und schaukelt mich hin und her. Da wurde auch Jo und Viola klar, dass sie mich wieder einmal überforderten.

„Rudi, ich hab sie wirklich nicht mitgenommen. Ich weiß nicht, wo sie herkommen, wirklich nicht“, flüstere ich ihm verzweifelt zu.

„Kleene, das weiß ich, komm beruhige dich erst einmal. Wenn du dich beruhigt hast, erkläre ich dir alles. Komm, versuche ruhig zu atmen, komm meine Kleene. Ach es ist immer so schwer mit dir. Das wollten wir nicht. Wir wollten dich nicht erschrecken. Rashida, nikyta, raschida.“

Erstaunt sah ich zu Rudi. Langsam beruhigte ich mich, immer wieder sagt er in meiner Sprache, dass ich mich beruhigen soll. Es dauert fast fünf Minuten, bis mein Atem ruhiger wurde und vor allem sich dieses grässliche Monster in meinem Körper beruhigt hatte.

„So ist es gut Kleene, so ist es gut. Schau mich mal an. Du musst nicht immer gleich Panik bekommen, wenn du etwas nicht verstehst. Du hast nichts gemacht, was falsch ist. Nur wir aus Unwissenheit. Keiner weder Viola, Jo, Tina, Inge, noch ich hätten uns träumen lassen, dass wir dich wieder in eine Situation bringen, die dich aus der Bahn wirft.“

Er drückte mich immer noch an sich, langsam ließ das Zittern nach. Ich stöhnte kurz auf. Rudi drückte zu sehr auf meinen Rücke, das tat furchtbar weh. Tränen schossen in meine Augen, die unter meiner Brille hervor liefen. Erschrocken ließ er los, sofort wurde es besser mit den Schmerzen.

„Kleene, entschuldige dein Rücken. Geht’s wieder?“

„Nicht schlimm Rudi du hattest nur eine schlimme Stelle erwischt“, beruhigte ich ihn, da er erschrocken guckte und gab ihn einen Kuss.

„Kahlyn, meine Kleene, du musst keine Panik bekommen. Du hast nichts falsch gemachte. Aber du hattest gestern so mit diesen Teddys geliebäugelt. Der Blaue hatte es dir besonders angetan, deshalb hat Jo ihn dir gekauft. Als du schon geschlafen hast, kamen Tina und Inge, noch einmal vorbei und brachten dir den Roten, weil sie den Blauen ja nicht mehr finden konnten. Wir wollten dir eine kleine Überraschung machen. Damit du auch einmal eine Freude hast, wenn du früh aufwachst. Wir konnten doch nicht ahnen, dass du dich so erschreckst. Es tut mir leid meine Kleene.“

Verwirrt schaute ich Rudi an. „Rudi, ich verstehe die Worte die du sprichst. Aber ich verstehe nicht, was du sagst.“

Rudi raufte sich die Haare, Jo schüttelte den Kopf und Viola aber lächelte mir zu.

„Kahlyn, die beiden Teddys, gehören dir. Der Blaue ist ein Geschenk von Jo, Rudi und mir und der Rote ein Geschenk von Tina und Inge. Die Beiden gehören jetzt dir. Sie gehören dir ganz alleine.“

Ich sah von einem zum anderen, dann sah ich auf die beiden Bären, dann wieder zu den Dreien.

„Sie gehören mir? Mir ganz alleine.“

Die Drei nickten und lächelten mir aufmuntert zu.

Ich stand auf und lief in die Ecke, in der ich gestern schon einmal gesessen hatte. Ich musste alleine sein. Rudi der mir hinterher laufen wollte, wurde von Viola zurückgehalten.

„Rudi, lass sie bitte. Das muss sie erst einmal verkraften. Ich glaube die Kleine, hat noch nie in ihrem Leben, etwas geschenkt bekommen. Lass sie eine Weile“, flüsterte sie Rudi zu und drückte ihn wieder auf seinen Stuhl. 

In meiner Ecke lehnte ich mich an die Wand, sah die beiden an. Sie gehörten mir, ich konnte sie für immer behalten. Noch nie hatte ich so ein schönes Gefühl in meinen Körper. Es war, als ob ich ganz satt wäre und das, obwohl ich mächtigen Hunger hatte. Es war ein so schönes Gefühl, so etwas hatte ich noch nie erlebt. Wieso machten diese Menschen das? Ich hatte ihnen so viel Ärger gemacht und sie gaben mir so etwas Schönes. Ich verstand es nicht. Eigentlich müssten sie doch böse mit mir sein und mich verachten, weil ich ihnen ständig Schwierigkeiten bereitete und ihr gesamtes Leben durcheinander brachte. Ich schielte zu den drei Menschen, denen ich schon so oft Problem bereitet hatte. Die Drei sahen traurig aus, aber trotzdem lächelten sie. Warum war nur alles so anders geworden? War das hier alles falsch? Oder war das, was mein Leben bis jetzt ausgemacht hatte, völlig verkehrt? In der Schule hatten wir nie etwas bekommen. In China damals, bekamen wir Schwerter geschenkt, aber das bezahlten drei meiner Freunde mit ihrem Leben. Was war nur los hier? Lange betrachtete ich die Bären. Sie waren so schön, noch nie zuvor, hatte ich so etwas Schönes gesehen. Wieder schielte ich nach vorn zu den drei. Rudi vertraute ich voll und ganz, ging es mir durch den Kopf. Er würde nicht zulassen, dass es mir schlecht ging. Das hatte er mir oft genug gesagt. Immer, wenn etwas mit mir war, sah er traurig aus. Sollte ich ihnen vertrauen und es so nehmen, wie es war? Oder sollte ich die Bären nicht annehmen. Aber ich wollte die beiden so gern behalten. Durfte ich es mir wagen sie anzunehmen. Durfte ich so egoistisch sein? Die beiden Bären taten mir so gut. Sie fühlten sich so warm an, so weich und strahlten so viel Ruhe aus. Eine Ruhe, die ich so sehr brauchte. Vorsichtig streichelte ich den blauen und dann den roten Bären. Dann drückte ich sie an mich. Ganz leise sagte ich zu ihnen.

„Lyn, Nikyta, krös kahlyn.“

Was nichts anderes hieß, als dass ich die beiden beschützen würde. Ich drückte sie fest an mich und musst plötzlich anfangen zu weinen. Warum heulte ich nur laufend? Früher hatte ich nie geweint und jetzt passierte mir das laufend. Ich verstand mich selber nicht, aber das Weinen tat mir irgendwie gut. Es war, als wenn eine schwere Last von mir fallen würde. Ich glaubte durch die Bären begriff ich erst richtig, dass mir hier keiner etwas tun würde, jedenfalls nicht mit Absicht. Immer wieder schielte ich zu den drei, mir so fremden Menschen und dann auf die Bären. Ganze zehn Minuten brauchte ich, bis ich begriff, dass die beiden Bären, jetzt immer behalten durfte und es mit guten Gewissen auch konnte. Ich stand auf und ging vor an den Tisch und gab Viola, Jo, Rudi und Tim einen Kuss auf die Stirn.

„Danke.“

Mehr konnte ich nicht sagen. Dann setzte ich mich einfach auf das Sofa und starrte auf die beiden Bären. Ich rollte mich darauf zusammen und war im Nu wieder eingeschlafen. Viola stand auf, nahm die Decke und deckte mich zu. Als sie an den Tisch zurück kam, hatte sie Tränen in den Augen.

„Schau mal Rudi, so ruhig hat sie noch nie geschlafen. Ich glaube, sie ist hier angekommen“, mit ihrer Beobachtung hatte Viola Recht.

Ganze zwei Stunden später wachte ich auf, diesmal hatte ich kein Fieber mehr, es war einfach weg. Mir ging es richtig gut. Rudi der am Tisch saß, sah dass ich munter wurde.

„Guten Morgen meine Kleene, na hast du ausgeschlafen?“

Ich nickte und sah zu Viola, dann zu Rudi.

„Wie geht es dir, meine Kleene?“

Ich checkte mich durch. „Ich denke gut. Ich fühle mich wohl wie lange nicht mehr. Danke für die Bären, die sind so schön“, glücklich sah ich die Beiden an.

Viola unterbrach ihre Arbeit und kam langsam auf mich zu. „Na haben die Beiden schon einen Namen?“, erkundigte sie sich lachend.

Ich schüttelte den Kopf, überlegte warum sollten die einen Namen bekommen. Fragend sah ich Viola an. Dabei dachte ich, warum hatte ich eigentlich so eine Angst vor ihr gehabt, die war doch ganz lieb.

„Warum brauchen die einen Namen, Viola?“

Diese zuckte mit den Schultern und lachte ganz mich lieb an. „Du hast doch auch einen Namen. Die Bären wollen auch einen, frag Tim. Der kann dir das genau erklären. Alle Puppen von Jenny haben einen Namen. Das ist halt mal so“, lächelnd schaute sie die beiden Bären an. Sie tippt auf den Blauen. „Der sieht aus, wie eine Blaubeere“, sprach sie lachend.

Ich schüttelte jedoch den Kopf.

„Nein?“ wollte Viola wissen. „Wie sieht er denn dann aus?“

Ich grinste sie breit an. „Wie ein Ruvijo, sieht er aus und der wie eine Inti“, sprach ich einfach zu ihr, ohne die Hemmungen die ich sonst immer hatte. Und ohne diese komische Gefühl etwas Falsches zu machen. In dem ich die Namen von denen genommen hatte, die mir die Bären schenkten.

„Was heißt das Kahlyn?“, bat mich Rudi jetzt verdutzt, die Wörter passten nicht in den Wortschatz meiner Sprache.

„Ganz einfach den Blauen habe ich von euch also von Rudi, Viola, Jo. Also Ruvijo und der Rote ist von Inge und von Tina, also Inti. Das ist doch einfach, oder?“

Jetzt fingen alle an zu lachen. Rudi stand auf und kam auf das Sofa. Er setzte sich neben mich und nahm mich in den Arm, wuschelte meinen Kopf.

„So gefällst du mir meine Kleene. Sag mal, du hast doch gar keine Fieber mehr. Vorhin warst du noch ganz heiß, jetzt aber fühlst du dich richtig normal an. Geht es dir wieder besser?“

„Ja mir geht es richtig gut. Es wäre schön, wenn es immer so bleiben würde, Rudi. Kannst du nicht machen, dass es immer so bleibt?“, bat ich ihn leise.

„Kleene, das würde ich nur zu gern machen, wenn ich das könnte. Na wir hoffen auch, dass es so bleibt. Damit du endlich mal zur Ruhe kommst.“

Ich lehnte mich an seine Schulter. Das tat so gut. Ein Gefühl, dass ich noch nie hatte, kam in mir hoch, auf einmal liefen mir Tränen aus den Augen. Keine Ahnung warum das so war. Rudi nahm mich einfach in den Arm und ließ mich weinen.

„Schon gut meine Kleene, weine nur, das tut dir auch mal gut.“

Eine ganze Weile blieb ich noch so sitzen. Es tat so gut, obwohl ich nichts zu tun hatte, fühlte ich mich richtig wohl. Dann fiel mir plötzlich ein, dass ich mich noch nicht einmal gewaschen hatte.

„Rudi, ich möchte gern duschen gehen. Kannst du mir dann beim Verbinden helfen, bitte.“

Rudi streichelte mir über das Gesicht. Ach wie ich das liebte. „Klar mache ich das, husch, husch ab mit dir unter die Dusch“, sprach er lachend.

Ich stand auf, drücke Rudi die beiden Bären in die Hand. Lief hoch in das Zimmer, um den Medi-Koffer zu holen, dann weiter, um zu duschen. Dort angekommen zog ich mich aus und stellte mich unter die Dusche, genoss es einfach zu entspannen. Dabei checkte ich meinen Körper durch. Der Zucker war normal und der Niacinwert war auch fast im normalen Bereich, das Fieber war völlig weg. Ich hatte das erste Mal seit dem ich in Gera war, kein Fieber mehr und nur noch 41,8°C Temperatur. Endlich ging es mir einmal richtig gut. Hoffentlich blieb es so. Mir gingen so viele Fragen durch den Kopf, als Rudi anklopfte. Ich wusch mich schnell und setzte die Brille auf, rief währenddessen. 

„Herein.“

Im gleichen Moment machte Rudi das Licht an. Mein Major erschrak als er meinen Rücken sah, aber der sah schon viel besser aus. Circa ein Sechstel kleiner war die Wunde schon und vor allem tat es bis auf ein zwei schlimme Stellen, gar nicht mehr so weh. Auch an meinen Beinen, heilten die Wunden langsam zu. Ich hatte es in den Griff bekommen. Vorsichtig trug Rudi die Salbe auf, dann half er mir beim Verbinden. Ich musste unbedingt meinen Koffer auffüllen lassen.

„Rudi, kann ich bald den Koffer auffüllen lassen? Das Verbandsmaterial ist fast alle. Ich brauche einfach zu viel davon, im Moment.“

Der nickte, er hat das ja auch gerade festgestellt. „Wir fahren dann mal zu Jens, dann siehst du gleich einmal, wo dein Doko arbeitet und kannst dir seine Praxis einmal ansehen. Sag mal Kahlyn, hast du Lust heute mit mir in den Tierpark zu gehen. Das könnten wir im Anschluss machen. Ich frage nur in der Wache nach, ob etwas anliegt.“

Ich zuckte mit den Schultern und nickte anschließend, weil ich nicht wusste, was ein Tierpark ist.

„Ach im Übrigen deine Schuhe sind nicht weg Kleene, die standen oben neben deinem Bett. Du hast sie also nicht verloren.“

Jetzt musste ich auch lachen, genau wie Rudi. Er hielt mir die Schuhe hin. „Da hab ich ja Glück gehabt, Rudi. Es ist schlimm mit mir. Aber ich kann wirklich nichts dafür. Wir haben in der Schule nie Schuhe getragen, nur bei Inspektionen.“

Rudi wuschelte mir über dem Kopf. Reichte mir Sachen die ich nicht kannte. Unterwäsche wie ich sie noch nie getragen hatten. Die waren ganz weich. Ein T-Shirt, eine Hose, Socken, eine Jacke. So eingekleidet erschienen wir zusammen in die Küche. Erstaunt sahen mich Viola und Jo an.

„Mensch siehst du schick aus, Kleene. Wenn du so in der Wache erscheinst, lassen die dich gar nicht erst rein. Die erkennen dich gar nicht mehr wieder“, erklärte mir Jo lachend.

Viola kam zu mir und drehte mich einfach. „Das stimmt, du siehst ganz anders aus. Jetzt nur noch ein bisschen längeres Haar und du schaust aus wie ein richtiges Mädchen“, lachte Viola mich an.

Verwirrt sah ich Rudi an. „Komm mal mit Kleene, schau selber einmal“, Rudi schob mich zum Spiegel im Flur und wollte mir etwas zeigen.

Ich konnte nicht glauben, was ich dort sah, eine ganz andere Kahlyn, eine die ich noch nie gesehen hatte, stand da. Gekleidet mit einer schwarzen Hose, einem roten T-Shirt, einer weißen Jacke. Es war ein ungewohnter Anblick. Aber mir gefiel, was ich da erblickte.

„Das sieht schön aus. Ist das auch von Inge?“

Rudi wuschelte mir durchs Haar. „Ja, es steht dir gut. Na, dann komm, gehen wir einmal die Wachtmeister schocken, die erkennen dich bestimmt nicht wieder.“

 

Mit einem breiten Grinsen im Gesicht, schob mich Rudi aus der Tür und stieg in seinen Trabi, öffnete die Beifahrertür und fuhr mit mir zur Wache. Kaum waren wir dort angekommen, liefen wir nach hinten in den Bereitschaftsraum. Die Jungs pfiffen als sie uns sahen. Ronny sprang auf, kam auf mich zugelaufen und wollte mich hochheben. Allerdings war ich so erschrocken, dass ich reflexartig mit der linken Hand unter die rechte Achse seines Armes fasste, mich sofort nach links drehte, mit der rechten Hand von hinten in seinen Overall ergriff und ihn so in einem Hane-maki-komi, einen Springdrehwurf, auf die Matte legte.

Erschrocken stand ich da und Rudi fing schallend an zu lachen. Auch der am Boden liegende Ronny, bekam sich vor Lachen nicht mehr ein. Dann fingen auch noch alle anderen im Raum an zu lachen. Ich stand da, wie ein begossener Pudel.

Ronny rappelte sich auf. „Kahlyn, nun lach schon mit. Mein Gott hast du Reflexe.“

Ich stand immer noch da, wie zur Salzsäure erstarrt. „Tut mir leid… echt tut mir wirklich leid… ich… ich wollte das nicht“, brachte ich mühsam hervor.

Ronny lachte immer noch, wischte sich die Lachtränen aus den Augen. „So jetzt darf ich dich anfassen, ohne dass du mich legst?“, bat er mich vorsichtig.

Ich nickte, immer noch zu keiner gescheiten Reaktion fähig. So nahm mich Ronny einfach hoch und gab mir einen Kuss.

„Für was ist der?“, wollte ich wissen.

Der schüttelte den Kopf. „Sieh mich an Kahlyn, dann weißt du es.“

Ich sah ihn an und wusste es trotzdem nicht. Ich zuckte mit den Schultern, manchmal waren die Leute hier schon komisch. Ging einfach auf meinen gewohnten Platz und setzte mich einfach hin.

„Rudi, sie weiß es nicht oder?“, wandte sich Ronny jetzt hilfesuchend an Rudi.

Mein Major nickte und kam lachend auf mich zu, zog sich einen Stuhl heran.

„Kahlyn, ich denke Ronny wollte dir damit sagen, dass er dir dankt, dass du seine Narbe weggemacht hast.“

Ich sah Ronny an, dann die anderen und zum Schluss Rudi. „Warum sagt es das dann nicht einfach, muss er mich so erschrecken?“, verwirrt schüttelte ich den Kopf.

Alle fingen noch mehr an zu lachen, Ronny kam aber auf mich zu. „Danke liebe Kahlyn, dass du mir die Narbe weggemacht hast. Weißt du, dass ich das erst am nächsten Morgen gemerkt habe. Ich hab gar nicht begriffen, dass du das mit mir gemacht hast. Erst als ich mich am nächsten Morgen rasieren wollte, merkte ich dass die Narbe weg war. Ich hab in den Spiegel geguckt und mich selber nicht erkannt. Seit dem will ich dich erreichen. Leider habe dich nie erreichen können. Aber jetzt möchte ich dir danken, das war so lieb von dir.“

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich bin doch Ärztin, die müssen so etwas doch tun. Aber ich bin froh, dass du dich darüber freust. Es ist nicht gut, wenn man so schlimme Narben hat, das sieht nicht schön aus. Das erschreckt die Leute. Ich hab das gern gemacht“, stellte ich einfach fest.

Ronny schaute mich lachend an. „Aber das nächste Mal, fällst du nicht wieder halb tot um. Ich hätte lieber mit der Narbe gelebt, als dass du gestorben wärst. Das hätte ich mir nie verziehen. Aber sag mal wie geht es dir, du siehst heute ganz anders aus.“

Ich sah hilfesuchend zu Rudi.

„Ronny, ich glaube Kahlyn weiß nicht, was sie sagen soll. Ich würde sagen, der Kleenen geht es richtig gut. Aber wir wollen weiter, sag mal liegt heute etwas an. Ich will mit der Kleenen mal hoch in den Tierpark. Kann ich mir das leisten oder braucht ihr mein Team heute noch?“, wollte Rudi wissen.

Da Ronny ja der diensthabende Offizier war und über die geplanten Einsätze genau Bescheid wusste. Im Tierpark waren wir nicht erreichbar.

„Nein Rudi, geplant liegt heute nichts an. Aber, wenn du auf Nummer sicher gehen willst, nehm dir ein Funkgerät mit, dann können wir euch anfunken“, an mich gewandt. „Dann viel Spaß. Ich hoffe dir gefällt unser Tierpark.“

Wieder sah ich verwirrt, von einem zum anderen. „Tut mir leid, ich weiß nicht, was ein Tierpark ist. Was hat ein Park mit Tieren zu tun? Da gibt es doch nur Bäume und Blumen“, hilfesuchend sah ich zu Rudi. Ach es war schrecklich, nie wusste ich, was man von mir wollte.

„Ach Kleene, das wirst du gleich sehen. Gucke doch nicht gleich wieder so gehetzt. Ich denke es wird dir sehr gut gefallen. Ronny bist du so lieb und lässt den Koffer von Jens auffüllen, wir kommen nach dem Tierpark, noch einmal her und holen ihn bei Jens ab. So sparen wir etwas Zeit und Jens kann ihn in der Zwischenzeit auffüllen. Komm meine Kleene, wir gehen schon mal los. Ronny, ich lass mein Auto hier im Hof stehen, ist ja nicht weit zu laufen.“

Ronny lächelte uns zu und nickte, ohne etwas dazu zu sagen.

„Na komm Kleene, schauen wir uns den Tierpark einmal an. Dir wird es bestimmt gefallen“, sprach Rudi bestimmt und wandte sich der Tür zu. An der Tür angekommen winkte er mir zu, ich stand auf und lief ihm hinterher. Rudi betrat als erste die Wachstube. „Hallo Bernd, gibst du mir ein Funkgerät mit. Ich will mit Kahlyn mal hoch in den Tierpark, bin dort ja sonst nicht zu erreichen.“

Wachtmeister Bernd Schuster, der für die Funkausrüstung in der Wache zuständige Wachtmeister, lief hinter ins Lager holte ein Funkgerät und drei Akkus.

„Hier Rudi. Reichen dir drei Akkus oder willst du lieber vier mitnehmen?“

Rudi überschlug die Zeit. „Na ja ich denke drei Akkus reichen, das sind neun Stunden oder was meinst du Kleene.“

Ich wusste es nicht, aber ich sage. „Ach Rudi, neun Stunden denke ich, werden reichen.“

Rudi lächelte, weil er merkte, dass ich das einfach nur so sage. „Na, dann komm mal.“

Breit grinste mich Rudi an und wir verließen die Wache und gingen links an der Wache die Straße entlang, kamen nach zehn Minuten Fußmarsch, an eine große Abzweigung. Liefen an einem wunderschönen Park vorbei. Ich blieb stehen und sah über den Zaun.

Rudi beobachtete mich. „Kleene, das ist der Dahlien-Garten. Das ist ein wunderschöner Park, da gehen wir einen anderen Tag mal hin. Komm wir gehen erst einmal zu den Tieren. Ich glaube das gefällt dir noch viel mehr.“

Er lief weiter und ich ihm zügig hinter her. Keine zwei Minuten später bogen wir nach rechts ab. Auf einmal standen wir mitten in einem Wald. Ich blieb verwundert stehen, da war ein Hirsch. Aber er war eingesperrt, da noch einer. Ich sah Rudi entsetzt an.

„Warum hat man die armen Tiere eingesperrt? Das tut man nicht. Das ist gar nicht gut. Rudi, das darf man nicht tun, die armen Tiere. Wir müssen die Tiere wieder frei lassen.“

Ich ging an den Zaun, bückte mich und nahm mir ein Grashalm. Leise ganz vorsichtig blattelte ich den Ton der Kitzen nach. Beim blatteln wurden die Fieplaute des weiblichen Hirsches oder des Kitzes durch blasen eines an die Lippen geführten frischen Laubblattes oder Grashalms nachgeahmt. Rudi sah mich ganz eigenartig an und beobachtete einen Hirsch, der immer näher kam, je öfter ich ihn rief. Auf einmal stand er ganz nah am Zaun und antwortete mir. Rudi wollte etwas sagen. Ich schüttelte den Kopf, gab wieder einige fiepende Töne von mir, immer mehr Hirschkühe kamen an den Zaun gelaufen. Sie fiepten zurück, ich antwortete ihnen, so ging das eine ganze Weile. Vorsichtig griff ich dann über den Zaun und graulte den Kopf des Hirsches. Im Seitenblick sah ich wie Rudi den Kopf schüttelte.

„Was ist Rudi? Du kannst den Hirsch ruhig auch streicheln, er hat keine Angst vor dir. Ich habe ihm gesagt, dass wir ihm nichts tun“, wieder nahm ich das Blatt und gab einige Fieplaute von mir.

Griff einfach nach Rudis Hand und führte sie zum Kopf des Hirsches. Dieser ließ es sich gefallen, dass Rudi ihn streichelte. Dann schröckte ich die Tiere in dem ich ein Art heißeres Bellen imitierte, das verjagte die Tiere und ließ sie fluchtartig das Weite suchen.

Rudi lachte. „Kleene, wie machst du das nur, kannst du mit den Tieren reden.“

Verlegen sah ich Rudi an und zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Genau verstehe ich nicht, was die Tiere sagen. Aber ich weiß schon so ungefähr, was sie meinen. Ich kann die Laute gut nachmachen. Weißt du, wenn wir Einsätze hatten, mussten wir oft an Tieren vorbei. Da verrieten die oft dem Gegner unsere Position, also mussten wir eine Möglichkeit finden, unauffällig an den Tieren vorbei zukommen. Dadurch haben wir die Tiere beobachten müssen. Nur so war es uns möglich, an Herden vorbeischleichen, ohne diese auf zu scheuchen. Da lernt man das schon. Es macht Spaß, fast immer erreiche ich, was ich will“, verlegend lächelnd sah ich ihn an. „Sie haben mir gesagt, es geht ihnen hier gut. Auch wenn sie eingesperrt sind, gefällt es ihnen hier, das ist gut. Wir brauchen sie also nicht befreien“, erklärte ich zu Rudi, der immer noch am Kopf schütteln war.

„Kleene wir müssen mal mit Jo, Viola und den Kindern hierher gehen. Das glauben die mir nie im Leben, wenn ich denen das erzähle. Sonst sehen wir die Hirsche, immer nur von weitem. Tim ist immer ganz traurig, weil die Hirsche nicht herkommen.“

Verwundert sah ich ihn an, dann nickte ich. „Das können wir gern machen. Die Hirsche freuen sich bestimmt, wenn wir wieder kommen. Aber, dann müssen wir so rote Stangen mitbringen, die mögen sie ganz besonders.“

„Was für rote Stangen meinst du?“ Rudi schaute mich verwundert an.

Ich zeigte ins Gehege, wo an einer Futterkrippe rote Stangen lagen. Auf einmal musste Rudi lachen, der meinem Blick gefolgt war.

„Du meinst Möhren. Klar nehmen wir da welche mit. Na komm Kleene, gehen wir weiter. Es gibt noch viel zu sehen hier.“

Wir liefen den Weg weiter, immer den Berg hinauf. Es gab so viel zu sehen. Ich staunte, alle Tiere fühlten sich hier wohl. Rudi schüttelte immer wieder den Kopf und verstand nicht, dass die Tiere alle zu mir kamen. Die Zeit verging wie im Fluge, wir sahen uns Wildschweine, Pferde, Bisons, Füchse, Wölfe, ein großes Voliere voller Geier und Adler an.

Ich fand es wunderschön hier. „Rudi?“

„Was ist meinen Kleene?“

„Können wir wieder mal hier her gehen, es ist so schön hier. So etwas habe ich noch nie gesehen“, verträumt sah ich mich um.

Rudi nahm mich in den Arm und drückte mich vorsichtig an sich. „So oft es unsere Zeit erlaubt, meine Kleene.“

Strahlend sah ich ihn an. Ich genoss einfach die Ruhe hier, die frische Luft und die Tiere. Wenn wir Einsatz hatten, war es auch immer so, dass wir einfach die Natur genossen: So gut und solange es halt ging. Meistens waren wir in Zeitdruck, aber hatten wir mal etwas Zeit, dann unterhielten wir uns mit den Tieren. Tiere egal welcher Rasse sie angehörten, hatten uns nie verraten. Im Gegenteil, oft halfen sie uns auch. Es war oft so, dass wir ewig nicht geschlafen hatten, dann sagten wir den Vögeln sie sollten uns warnen, wenn Menschen kamen oder Hunde. So konnten wir alle schlafen und sparten uns dadurch viel Zeit. Wenn wir durch Sümpfe mussten, fragten wir oft auch die Tiere um Hilfe und die zeigten sie uns die sicheren Pfade. So dass wir schneller vorwärts kamen. Das alles erzählte ich Rudi, der kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Immer weiter gingen wir, vorbei an einem Gehege mit ganz kleinen Schweinchen. Solche Schweinchen hatte ich noch nie gesehen. Rudi erklärte mir, dass es Meerschweinchen wären und viele Kinder solch ein Tier zu Hause hatten. Als Haustier, um zu lernen Verantwortung für ein Lebewesen zu übernehmen. Dann kamen wir an eine Voliere mit lauter Sittichen, die einen furchtbaren Krach machten. Dort erzählte mir Rudi, dass er einen Freund hatte der diesen Vögeln sogar das Sprechen beigebracht hätte. Das glaubte ich ihm gern, denn Sittiche sind sehr gelehrige Tiere, genau wie Katzen oder Hunde. Die konnte man gut dressieren. Oder Pferde, mit denen konnte man viel Spaß haben. Ich erzählte Rudi von einem Einsatz in Bulgarien, als wir uns mit einer Herde Pferde anfreundeten und statt zu Fuß hoch zu Ross unsere Gegner verfolgt hatten. Dass war damals ein Spaß. Hinterher bekamen wir richtig Ärger mit dem Oberstleutnant, weil wir ohne Erlaubnis, die Pferde geritten sind. Danach haben wir das nie wieder gemacht, aber es war einer der schönsten Einsätze die wir je hatten, weil uns das Reiten wahnsinnigen Spaß gemacht hatte.

Nach den Pferden kamen wir zu einem großen Gehege voller Affen, die fand ich total süß. Vor allem waren die frech wie Oskar, zankten und stritten sich. Ich imitierte die Geräusche die die Affen machten und auf einmal kam ein niedliches noch ganz kleines Affenjunges an das Gitter und nuckelte an meinem Finger. Ich graulte ihm das Köpfchen. Der Kleine war wie weggetreten. Ganz verzaubert war ich von deren Treiben. Lachend sah mir Rudi zu und nach dem ich ihm gesagt habe, er kann den Affen ruhig auch anfassen, streichelte er das Äffchen. Ganz tief versunken waren wir in das Streicheln, bekamen nicht mehr mit, was um uns herum geschah.

 

 

Kapitel 6

Erschrocken fuhren wir hoch, auf einmal fing Rudis Funkgerät an zu piepsen. Wir wurden angefunkt. Uns blieb vor Schreck beiden fast das Herz stehen. So vertieft waren wir darin, den kleinen Affenjungen zu streicheln. Wir sahen uns an, fingen beiden an zu lachen. Rudi holte das Funkgerät aus seiner Jacke und meldete sich.

„Sender, was gibt’s?“, erkundigte er sich.

Es war Wachtmeister Schuster, der in der Funkzentrale Dienst hatte. „Rudi, ihr müsst dringend in die Wache kommen, hier gibt es einen Notfall.“

Rudi bestätigt, dass er verstanden hatte. Sofort liefen wir los und waren nicht ganz zehn Minuten später in der Wache. Wir hatten einen Sprint eingelegt und waren die ganze Strecke im hohen Tempo gelaufen. Kaum, dass wir an der Wache klingelten, wurde uns die Tür geöffnet. Wachtmeister Schuster kam uns schon entgegen gelaufen. Rudi rief ihm entgegen.

 „Bernd, hole bitte sofort den Koffer von Kahlyn, der ist oben bei Jens und bringe ihn hinter zu uns und das dalli“, ohne Zwischenstopp in der Wachstube, liefen wir nach hinten in den Bereitschaftsraum, da wir ja nicht wussten, wann wir los fahren mussten. Die Uhr an der Tür zeigte 18 Uhr 29 an, als wir den Raum betraten, in dem uns Ronny schon erwartete.

„Rudi, entschuldige dass ich euren Tierparkbesuch unterbrochen habe. Aber nach allem, was ihr uns von Kahlyn erzählt habt, könnten wir sie gut gebrauchen. Es geht um einen kleinen Jungen von fünf Jahren. Der wird seit fast fünfzig Stunden vermisst. Ich habe die Akte vor zwei Stunden rein bekommen. Die Kripo und die Bereitschaftspolizei finden ihn nicht und haben auch keinerlei Spuren. Sie wissen nicht mehr weiter und vor allem wissen sie nicht, wo sie noch nach den Buben suchen sollen. Vielleicht kann ihn Kahlyn finden. Nach dem, was uns Conny erzählt hat und der Oberst, dachte ich, wir fragen sie einfach mal, bevor noch mehr wertvolle Zeit verloren geht. Ich mache mir große Sorgen, um den Jungen. Rudi, es ist nachts schon böse kalt, noch eine Nacht wird der Bub da draußen kaum überleben. Sonst würde ich Kahlyn nicht fragen. Wie sieht es aus, könntest du vielleicht auf Suche gehen, um den Buben endlich zu finden? Ich glaube, wenn überhaupt jemand eine Chance hat, den Buben schnell zu finden, dann bist du es“, voller Hoffnung sah mich Ronny an.

Ich nickte und lief zu meinem Spind und zog mir schnell andere Sachen an. Rüstete mich für solch einen Fall aus. Overall, den Nahkampfgürtel für den Notfall. Nahm aber sonst keine Waffen mit. Sondern steckte stattdessen, Seil und Spaten ein. Dann ging ich vor zu Ronny und den anderen. War schon vollkommen auf den Einsatz konzentriert, merkte überhaupt nicht, dass ich das Kommando übernahm, ohne meine sonstigen Hemmungen. So ging es mir bei jedem Einsatz, wichtig war nur das Ziel, nicht der Weg dorthin.

„Was habt ihr an Informationen? Wo haben die von der Kripo und der Bereitschaftspolizei schon gesucht? Kann ich mit den Eltern reden? Vor allem die Stelle sehen, wo er verschwunden ist?“, stellte ich die Fragen die mich am meisten interessieren.

Ronny holte das Dossier und legte es mir hin. „Rudi, kann ich etwas zu trinken bekommen?“, bat ich meinen Major einfach.

Vertiefte mich sofort in das Dossier. Nach fünfzehn Minuten, schüttelte ich den Kopf. Irgendetwas stimmte bei den ganzen Informationen nicht. Die Aussagen im Dossier wiedersprachen sich einfach in sich selbst.

„Ronny, ich muss mit den Eltern sprechen und zwar sofort.“

Der Teamleiter des Beta-Teams sah mich ernst an. „Komm fahren wir hin“, befahl er mir, ohne lange über das Wenn und Aber zu diskutieren. Etwas Ungewohntes für mich.

Rudi hielt mir ein Glas Wasser hin. Verwundert sah ich ihn an.

„Du wolltest etwas trinken, Kleene.“

Ich nickte, das war mir schon entfallen, dankbar trank ich das Glas leer. „Rudi, du kannst nach Hause fahren, das dauert. Ich finde den Buben nicht in zwei Stunden. Ich muss ja erst einmal verwertbare Spuren finden“, erklärte ich ihm traurig. „Das ist hier nicht mal so nebenbei zu erledigen. Ronny bringt mich dann zu euch.“

Als Rudi besorgt guckte.

„Ist schon in Ordnung, ich komme klar. Keine Angst, ich passe auf mich auf.“

Rudi holte tief Luft und nickte mir besorgt drein schauend zu. Ich dagegen lief hinter Ronny her in die Wachstube. Schulze ließ sich einen Toniwagen rufen. Wachtmeister Schuster drückte mir den Medi-Koffer in die Hand und wir gingen nach draußen, um auf den Toniwagen zu warten. Nach nicht einmal zwei Minuten kamen die Kollegen vorgefahren und nahm uns auf. Erst einmal fuhren wir quer durch Gera, ans andere Ende der Stadt. Wir kamen an lauter hohen Häuserblöcken vorbei, die in einer Reihe standen. Verwundert sah ich mich um. Ich zählte die Stockwerke, dreizehn Etagen hatte jedes der Häuser. Hier wohnten bestimmt viele Menschen, dachte ich so bei mir. Vor solch einem Haus hielt der Wagen und wir stiegen aus. Ronny klingelte bei der Familie Pösiger.

Eine verweinte Frauenstimme meldete sich „Ja, hier bei Pösiger! Habt ihr den Buben?“

Ronny antwortete. „Frau Pösiger, könnten sie uns bitte herein lassen. Wir müssen uns kurz unterhalten. Hier ist Oberleutnant Schulze und Leutnant Kahlyn vom SEK der Wache 61. Wir wollen die zuständigen Kollegen, bei der Suche nach ihrem Sohn unterstützen.“

Der Summer ertönte und wir betraten das Haus. Ronny lief die acht Etagen eilig nach oben, ich folgte ihm. In der achten Etage angekommen, stand eine verweinte dickliche Frau auf den Flur, deren Alter man schwer schätzen konnte. Ich nahm an sie war Mitte zwanzig. Sie schaute uns erschrocken an.

„Wieso kommt das SEK? Was ist ein SEK? Ist etwas mit meinem Jim? Bitte sagen sie mir die Wahrheit bitte“, flehte sie uns an.

„Frau Pösiger, ich weiß nicht, was mit Jim ist. Deshalb bin ich ja hier. Ich muss alles über das Verschwinden von Jim wissen. Erzählen sie mir alles, was geschehen ist, bevor Jim verschwunden ist. Sonst kann ich ihn nicht finden. Das SEK, also das Sondereinsatzkommando, hat mit der Sache nichts zu tun. Man hat mich nur darum gebeten, bei der Suche zu helfen. Weil ich darin ziemlich gut bin. Machen sie sich keine Sorgen, wenn sie mir alles erzählen, kann ich Jim auch finden“, versuchte ich die Frau zu beruhigen, die musterte mich verwirrt, schaute immer wieder auf meine schwarze Brille. „Frau Pösiger, ich habe empfindliche Augen, deshalb trage ich diese Brille, meine Augen sind sehr lichtempfindlich. Haben sie keine Angst, ich sehe auch durch die Brille sehr gut“, versuchte ich sie zu beruhigen.

Es war oft zum Verzweifeln, wie oft meine Brille missverstanden wurde. Ich wollte die Frau, die sowieso schon aufgeregt genug war, nicht noch mit meinen Augen schockieren und ließ deshalb lieber meine Brille auf. In bestimmten Situationen, wie dieser hier, war es besser meine Augen nicht zu zeigen.

„Bitte Frau Pösiger, es ist Zeit die uns bei der Suche nach ihrem Jungen verloren geht. Bitte erzählen sie uns wirklich alles, damit meine ich auch die unwichtigen Dinge die vor Jims Verschwinden gesehen sind. Mit jeder Stunde wird die Chance für Jim geringer, dass wir ihn noch finden können. Er ist jetzt schon seit neunundvierzig Stunden verschwunden. Er muss bald etwas Essen, vor allem etwas trinken. Bedenken sie, die Nächte sind schon verdammt kalt, für so einen kleinen Burschen.“

Versuchte Frau Pösiger durch das Aufzählen von Tatsachen zur Mitarbeit zu animieren, in dem ich ihr das Schicksal ihres Kindes vor Augen hielt.

Das rüttelte sie wach und hob endlich die Starre auf, in der sie verharrt war. Die verständlich war, uns jedoch viel Zeit kostete.

„Kommen sie bitte herein“, bat sie uns endlich und machte einen Schritt zur Seite, so dass wir die Wohnung betreten konnten.

Wir betraten eine sehr saubere, allerdings sehr sparsam eingerichtete Wohnung, mit zwei Kinderzimmern, in dessen Türen noch drei weitere Kinder standen.

„Hallo“, begrüßte ich die drei Kinder, die schätzungsweise zwei, sieben und neun Jahren alt waren.

Die drei Kleinen sahen uns mit so viel Angst in den Augen an, dass mir ein böser Verdacht kam. Zügig folgten wir der Frau in ein Wohnzimmer. Dort setzen wir uns, auf ein Sofa.

„Frau Pösiger, ich bin Kahlyn, sagen sie einfach Kahlyn zu mir. Ich bin spezialisiert auf Spurensuche, beim SEK. Würden sie mir vielleicht sagen, wie sie mit Vornamen heißen? Bitte erzählen sie mir genau, was vor dem Verschwinden von Jim passiert ist. So genau wie irgend möglich, auch die Details, die ihnen unwichtig erscheint.“

Die Frau sah mich ungläubig an.

„Frau Pösiger, wollen sie, dass der Jim gefunden wird oder wollen sie warten bis ihm etwas zustößt. Die Zeit arbeitet gegen den Jungen, bitte sie müssen mir vertrauen. Ich habe wirklich viel Erfahrung, bei der Suche nach vermissten Personen. Auch, wenn ich noch sehr jung aussehe. Lassen sie sich nicht von meinem jungen Aussehen irritieren. Sie können meinen Kollegen fragen. Er hätte mich nicht gebeten ihnen zu helfen, wenn er mir nicht vertrauen würde“, erklärte ich der Frau und versuchte sie davon zu überzeugen, mit mir zusammen zu arbeiten.

Ronny bestätigte meine Worte. „Frau Pösiger, Kahlyn ist die Beste die wir haben! Sie hat in den letzten drei Wochen, zwei Fälle erfolgreich gelöst, die andere Abteilungen nicht lösen konnten. In alle beiden Fällen, wurden die Entführten, erfolgreich gerettet. Also vertrauen sie ihr bitte. Uns läuft wirklich die Zeit davon, vor allem ihrem Jim“, diese Worte Ronnys halfen, die Frau endgültig aus ihrer Starre zu lösen.

Jetzt nickte sie. „Mein Name ist Maria", stellte sie sich erst mal vor. "ich war mit meinen Kindern, Ines, Jim, Günter, Carla auf dem Spielplatz, als mein Mann kam und nach mir rief. Ich hab die Vier wirklich nur zehn Minuten alleine gelassen. Als ich wieder kam, war Jim weg. Ich dachte erst er ist weggelaufen. Brachte Günter, Carola und Ines zu einer Freundin und habe ihn gesucht. Aber ich konnte ihn nicht finden, nirgends. Kahlyn, ich weiß nicht, was passiert ist, wirklich nicht.“

Ich sah Maria an, sie sagte mir nicht die ganze Wahrheit. „Darf ich mit ihren Kindern sprechen, bitte“, bat ich ohne großes Drumherum Gerede.

Maria, sah mich ängstlich an und nickte zögerlich. Das bestätigte meine Meinung, dass die Frau mir etwas Wichtiges verschwieg.

„Bleibt hier und lasst mich alleine mit den Kindern reden. Die öffnen sich mir eher, als euch“, forderte ich, die Anderen zum hier bleiben auf und ging hinaus in den Flur und in das erste Zimmer.

Dort waren zwei Mädchen, ungefähr zwei und neun Jahre alt. Beim Eintreten zogen diese sich, in die hinterste Ecke des Raumes zurück, zwischen einen Schrank und eine Wand. Ein typisches Zeichen dafür, dass diese Kinder oft geschlagen wurden. 'Alles war hier nicht so heile, wie die Frau es vorgab', kam es mir in den Sinn. Mein erster Eindruck hatte mich also nicht getäuscht. Ich konnte die Angst der Kinder förmlich riechen.

„Hallo ihr Zwei. Ich bin die Kahlyn. Keine Angst ihr Beiden, ich tue euch nichts. Ich bin nur hier, weil ich den Jim finden will.“

Langsam ging ich auf die beiden wie Espenlaub zitternden Mädchen zu. Die Zwei drückten sich förmlich in die Wand vor Angst. Hier lief einiges mehr schief, als ich dachte.

„Kannst du mir sagen, wie du heißt?“, wandte ich mich an das größere der beiden Mädchen, das schützend den Arm um das kleinere Mädchen legt hatte. „Keine Angst, ich schlage dich nicht. Ich weiß wie weh das tut. Ich bin selber, oft genug geschlagen wurden. Ich lasse nicht zu, dass euch jemand etwas tut. Aber ich will dem Jim helfen, bitte“, flehte ich das große Mädchen an. „Ich will nicht, dass ihm etwas passiert. Du glaubst mir nicht, dass ich weiß wie schlimm es ist, geschlagen zu werden. Pass auf, ich zeige dir jetzt meinen Rücken, damit du mir glaubst. Ich weiß, wirklich wie schlimm es ist, Schläge zu bekommen.“

Kurz entschlossen öffnete ich meinen Overall, zog das Oberteil von den Schultern und das T-Shirt aus. Drehte mich so, dass sie die Narben auf meinen Rücken sehen kann. Die man auch über den Verband noch erkennen konnte.

Ein leises Stöhnen, konnte das große Mädchen sich nicht verkneifen. „Oh, das hat bestimmt weh getan“, flüsterte das große Mädchen und ein aufschluchzen kam von dem Kleinen.

Ich zog mich wieder an. „Ja, aber das ist jetzt nicht wichtig, ihr Zwei. Ich möchte nur wissen, was ihr vom Verschwinden des Jungen mitbekommen habt. Kannst du mir sagen, wie ihr heißt?“

Fragend sah ich das größere der beiden Mädchen an. Ich spürte genau, dass das Eis gebrochen war und sie mir jetzt ein klein wenig vertrauten. Wir waren sozusagen Leidensgenossen und die halfen sich.

Leise antwortet das größere Mädchen. „Ich heiße Carla und meine Schwester heißt Ines. Ich hab mit Ines gespielt, als Jim weggelaufen ist. Aber ich kann dir zeigen, in welche Richtung er gerannt ist“, erklärte sie mir leise.

Erleichtert atmete ich auf. „Carla, vor wem ist er weggelaufen, kannst du mir das sagen?“

Ängstlich sah mich Carla an, schüttelte den Kopf.

„Carla, wenn du mir das nicht sagst, passiert das immer wieder, dass Jim vor Angst wegläuft. Immer bin ich nicht da, um ihn suchen zu können. Er ist jetzt schon über zwei Tage, alleine dort draußen. Und es war verdammt kalt in der Nacht. Weißt du, was der Jim für eine Angst hat. Vor allem wird der Jim bestimmt sehr frieren. Stelle dir vor, du wärst da draußen ganz alleine. Das ist doch nicht schön oder?“

Carla fing an zu weinen, vorsichtig nahm ich sie in den Arm.

„Sag es mir ins Ohr, ganz leise. Dann hört es außer mir keiner.“

„Vor dem Papa, ist Jim weggelaufen. Der hatte rausbekommen, dass Jim ins Bett gebullert hat. Er wollte ihn wieder hauen.“

Ich streichelte dem Mädchen über den Kopf. Was sie mir da erzählte, bestätigte meine Vermutung. Das hatte die Kleine viel Mut gekostet. Nur zu gut konnte ich mich in misshandelte Kinder hinein versetzen.

„Ist schon gut, meine Kleine. Ich werde ihn hoffentlich bald finden. Hast du eine Ahnung, ob der anderer Junge etwas gesehen hat, was du nicht weißt?“, wandte ich mich an Carla.

Die Kleine zuckte mit den Schultern.

Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Carla vertraust du mir ein bisschen?“, wollte ich von dem Mädchen wissen.

Einen schweren Kampf mit sich selber führend, sah sie mich lange an. Wie oft wohl wurden diese Kinder schon enttäuscht. Wut stieg in mir auf, weil ich nicht begriff, warum man immer zu Kindern so gemein war. Nach langem Zögern nickte sie schließlich, sie wollte mir vertrauen.

„Pass mal auf, ich würde gern etwas mit dir machen, aber das sieht komisch aus. Es tut gar nicht weh, das kann ich dir versprechen. Aber es hilft euch, dass ihr nicht mehr so eine Angst habt. Wäre das etwas, was dir gefällt?“

Das Mädchen sah mich zögernd an, dann nickte sie wortlos ein weiteres Mal. Als ich etwa einen Monat alt war, erklärte mir Dika Anna einmal, dass ich Feenaugen hätte. Als ich frage, was eine Fee ist, erklärte sie mir. Eine Fee, ist eine gute Frau die durch Zauberei alles Böse in etwas Gutes verwandeln würde und die sehnlichsten Wünsche von Kindern erfüllen würde. Das fiel mir in solchen Situationen immer wieder ein. Wenn schon zu uns nie eine Fee gekommen war, dann sollte sie wenigstens zu anderen schwergeprüften Kindern kommen und ihnen etwas Gutes bringen.

„Schau, ich habe Zauberaugen, ich bin so etwas wie eine Fee. Ich kann vieles machen, was Kinder sich wünschen. Vor allem aber, kann ich mit dem roten Licht, das aus meinen Augen kommt, Angst wegzaubern. Soll ich dir das mal zeigen, bei dem kleinen Mädchen?“

Carla schüttelte schnell mit dem Kopf, sie vertraute mir also noch nicht zu hundert Prozent. Aber das war normal.

„Aber bei dir darf ich das machen?“

Tief holte die Kleine Luft und nickte schließlich. „Das tut bestimmt nicht weh?“ Carla sah mich ängstlich an.

„Nein, großes Feen Ehrenwort.“

Wieder nickte sie und ließ ihre Schwester los.

„Schau mal, meine Augen sind wirklich die einer Fee.“

Obwohl es draußen noch hell war, das Licht meinen Augen weh tat, setzte ich die Brille ab. Das Mädchen schaute interessiert. Es war immer eigenartig, Kinder erschraken fast nie vor unseren Augen, die fanden sie schön, mochten auch solche Augen haben. Ich drückte sie auf den Boden und legte ihren Kopf auf meine Knie. Zärtlich nahm ihr Gesicht in meine Hände und hielt sie in einem sicheren Griff, ohne ihr weh zu tun. Gezielt machte ich das Krantonak, um ihren Lebenswillen zu stärken. Auch um ihr Selbstbewusstsein, das völlig zerstört war, zu stärken. Verstärkte ihren Gerechtigkeitssinn und das Wahrheitsempfinden, denn die Kleine wurde ständig belogen und betrogen. Gab ihr vor allem die Fähigkeit zu schlafen. Das kleine Mädchen schlief schon eine Ewigkeit sehr schlecht und hatte furchtbare Angst. Auch nutzte die Möglichkeit, um mir ihre Erinnerungen an das Verschwinden von Jim anzusehen. Nach gut zwei Minuten war ich fertig. Bei Kindern ging diese Umstellung wesentlich besser, vor allem schneller. Da man mit wesentlich weniger Widerstand rechnen musste. Bei der Kleinen gab es gar keinen Widerstand, gegen das was ich tat. Das war ein Zeichen dafür, dass sie alles Vertrauen in die Erwachsenen verloren hatte.

„Na, war es schlimm, Carla? Geht es dir jetzt besser?“

Erkundige ich mich bei ihr, schaute sie mit schräg gehaltenem Kopf an. Eine Weile war Ruhe, die Kleine schien etwas in sich zu suchen. Plötzlich atmete sie auf und nickte wie erlöst.

„Darf ich das mit dem kleinen Mädchen hier auch machen? Würdest du sie, für mich in den Arm nehmen? Damit sie keine Angst hat.“

Carla nickte und nahm das kleine Mädchen in den Arm. So konnte ich mir auch bei Ines durch das Krantonak die Erinnerungen ansehen und dem kleinen verängstigten Mädchen helfen. So würde es allen bald etwas besser gehen. Nach zwei kurzen Minuten war ich bei ihr fertig damit.

„Kannst du den Jungen bitte her holen.“

Carla stand auf. Das Krantonak hatte geholfen, sie bewegte sich schon jetzt ganz anders und ging selbstsicher und aufrecht aus dem Zimmer hinüber in den anderen Raum, um den kleinen Jungen zu holen. Der betrat völlig verängstigt das Zimmer und zitterte wie zuvor Carla und Ines, am ganzen Körper.

„Das ist Günter“, stellte sie mir den Buben vor.

Mit einer Sicherheit in der Stimme, die vor wenigen Minuten noch nicht denkbar war. Ich freute mich, dass das Krantonak so gut geholfen hatte. Es ist oft erstaunlich, was ich für eine Wesensänderung in kurzer Zeit durch die Stärkung des Selbstbewusstseins erreicht. Das war schon immer bei meinen Freunden so.

„Günter, das ist die Fee Kahlyn. Die ist ganz lieb, seitdem sie hier ist, habe ich gar keine Angst mehr. Du kannst ihr Vertrauen, die weiß wie schlimm es ist Haue zu bekommen. Sie will uns beschützen und hilft uns keine Angst mehr zu haben. Lass dir auch von ihr helfen“, ohne zu zögern, schob Carla ihren Bruder zu mir.

„Hallo Günter. Du brauchst keine Angst haben. Ich tue dir nicht weh“, ich schaute ihn offen in die Augen. Interessiert trat der Junge näher und schaute sich meine Augen genau an.

„Wenn du magst, kann ich auch machen, dass du keine Angst mehr hast. Vor allem, dass du besser schlafen kannst. Möchtest du das?“

Lange schaute ich ihn an und er mich. Günter kämpfte den gleichen Kampf, wie zu vor Carla. Nach einem Blick zu den beiden Mädchen, die ihn anlächelten, nickte er schließlich ganz zögerlich.

„Carla, kannst du den Jungen auch in den Arm nehmen? Damit er sich sicherer fühlt“, wandte ich mich wieder an Carla.

Die Kleine kam sofort zu mir und nickte, zog den Buben zu sich hinunter auf den Schoss. Sofort machte ich das Krantonak. Auch der Bub hielt ganz still, ohne den kleinsten Versuch sich zu wehren. Diese Kinder mussten viel gelitten haben, in ihrem jungen Leben. Normaler Weise ließen sich auch Kinder nicht so einfach behandeln, ein ganz kleines bisschen Gegenwehr bekam ich immer. Ich musste unbedingt mit Ronny darüber reden. Als ich auch bei Günter fertig war, setzte ich die Brille wieder auf.

„Günter, kannst du mir sagen, was Jim vorhatte, als er weggelaufen ist?“, erkundigte ich mich bei dem Jungen. Der mir jetzt sofort und ganz offen antwortete.

„Er wollte zu einem Freund laufen, am anderen Ende der Straße. Aber dort ist er nicht angekommen. Ich bin ihm nachgelaufen“, erklärte er mir traurig.

„Kannst du mir den Weg zeigen Günter, den er immer gelaufen ist?“

Günter nickte und stand sofort auf.

„Warte hier bei den Mädchen. Ich möchte, dass ihr bis ich Jim gefunden habe, immer alle drei zusammen bleibt. Wenn der Mann kommt und euch trennen will, schreit ihr alle drei, wie am Spieß. Dann kommt die Polizei und beschützt euch. Ich sage meinen Kollegen Bescheid, dass sie auf euch aufpassen sollen. Versprecht ihr mir das?“

Nacheinander sah ich die drei Kinder an. Ich hatte ein ganz ungutes Gefühl, wenn ich an den Mann dachte. Ich wuschelte den drei Kindern über den Kopf und stand auf. Ging zurück zu Ronny und Maria. Im Flur blieb ich einen Moment stehen, mir war schwindlig, das Krantonak hatte mich viel Kraft gekostet. Im Hellen, war es um vieles anstrengender als im Dunklen, weil zu dem Kraftentzug, auch noch der Schmerz in den Augen kamen. Ich atmete einige Male tief durch, um nicht beim Laufen zu schwanken. So betrat ich das Wohnzimmer, auf der Uhr an der Wand ist es 19 Uhr 35. Wütend, ging ich auf Maria zu. Ronny der nicht wusste was los war, wollte dazwischen gehen. Fast eine halbe Stunde hatte es mich gekostet, weil Maria Pösiger mir nicht die Wahrheit gesagt hatte.

„Ronny, halte dich da raus, bitte. Sonst breche ich den Einsatz ab“, schnauzte ich meinen Kollegen wütend an.

Der gar nicht wusste warum. Verwundert hielt er sich zurück. Dankbar nickte ich ihm kurz zu. Und wandte mich an Frau Pösiger, in einem eisigen und nicht sehr freundlich klingenden Ton.

„Maria, ich habe ihnen vorhin mehrmals, mehr als deutlich zu verstehen gegeben, dass ich den Jungen nur helfen kann, wenn sie die Wahrheit sagen. Warum lügen sie mich also ganz frech an? Ist es ihnen egal, was aus den Kindern hier wird?“ Ich wurde mit jedem Wort lauter und ungehaltener.

Maria schreckte zurück. „Ich habe die Wahrheit gesagt“, versuchte sie sich erneut herauszureden und log mir ohne rot zu werden einfach ins Gesicht. Etwas dass mich auf die Palme brachte, wenn ich das herausfand.

„Nein Maria, sie lügen mir frech ins Gesicht. Entweder rücken sie jetzt sofort, mit der Wahrheit heraus oder ich lasse sie sofort festnehmen, wegen Beihilfe zum Mord. Wenn ich ehrlich sein soll, glaube ich nicht, dass ihr Sohn noch lebt. Das, was ich von ihren Kindern erfahren habe, ist schlimm genug, sie wegen Gefährdung von Kindeswohl und Misshandlung Schutzbefohlener einsperren zu lassen. Sie haben jetzt genau fünf Minuten Zeit, sich zu entscheiden. Sagen sie mir die Wahrheit oder ich gehe.“

Demonstrativ setzte ich mich auf den Sessel und lehnte mich zurück. Ich versuchte meine ganze angestaute Wut, in den Griff zu bekommen. Ich hatte den Kindern, durch das Krantonak nicht nur geholfen, sondern mir auch einige ihrer Erinnerungen angesehen. Das, was ich da sah, war alles andere als schön. Ich wusste aber auch, dass ich gerade sehr gemein zu Maria gewesen war. Die arme Frau hatte keine Chance gegen den brutalen Mann, der nicht besser war als der Oberstleutnant. Kein Mensch, vor allem kein Kind sollte so etwas erleben. Diese Kinder wurden nicht nur ständig verprügelt, belogen, betrogen, sondern auch missbraucht, von dem brutalen Mann. Ich wusste jetzt genau, was passiert war. Das war es, was mich so wütend machte. Auf die Frau, die aus lauter Angst vor den alkoholsüchtigen Mann, das Leben ihrer Kinder gefährdete. Die Uhr an der Wand zeigte an, dass jetzt zehn Minuten vergangen waren, immer noch konnte sich Maria nicht entschließen, mit mir offen und ehrlich zu reden. Ich hatte mich von dem Krantonak soweit erholt, dass ich wieder genug Kraft hatte, um auf die Suche nach Jim zu gehen.

„Maria, sie wollen also weiter zulassen, dass der Mann die Kinder und sie schlägt und missbraucht. Ist in Ordnung“, böse sah ich Frau Pösiger an und wandte mich an meinen Kollegen. Hoffte darauf, dass Ronny mir ohne zu hinterfragen was los war, folgte. "Ronny, funke sofort die Leitstelle an. Ich will schnellstmöglich zwei unserer Einsatzfahrzeuge hier vor dem Haus haben. Einer der die Kinder in ein Krankenhaus bringt und einer, der Maria in die U-Haft verfrachtet. Dort gehört sie nämlich hin.“

Wütend stand ich auf. Ich bluffte nur, ich wusste, dass ich damit nicht durchkam. Es gab keinen begründeten Verdacht einer Straftat, die gegen die Mutter der Kinder vorlag. Das aber konnte Maria nicht wissen. Dem Himmel sei Dank, reagierte Ronny richtig, er stand ebenfalls auf und nahm sein Funkgerät in die Hand und stellte es an.

Maria stand die blanke Panik ins Gesicht geschrieben. „Ich sage ihn alles, was ich weiß. Aber bitte nehmen sie mir die Kinder nicht weg. Ich liebe sie doch. Ich habe ihnen nie etwas getan. Bitte glauben sie mir Kahlyn“, flehte sie mich weinend an.

Ich sah sie lange an, dann setzte ich mich wieder. Ronny stellte das Funkgerät wieder aus und setzte sich auch noch einmal.

„Dann los und diesmal die Wahrheit. Es ist alles Zeit, die gegen Jim arbeitet.“

Beim letzten Wort verschränkte ich die Arme hinter den Kopf, um besser atmen zu können. Mein Herz schlug bis hoch in den Kopf. Maria stützte den Kopf in ihre Hände, fing noch mehr an zu weinen. Nach einer Weile begann sie uns unter Tränen, ihre Geschichte zu erzählen, so wie sie sich wirklich zugetragen hatte. Man spürte in ihrer Stimme die wahnsinnige Angst, die sie vor diesem Schläger hatte.

„Mein Mann kam wieder einmal besoffen von der Arbeit. Ich hatte die Zeit verpasst und war noch mit den Kindern auf dem Spielplatz. Das kann ich immer nur machen, wenn er nicht da ist. Mein Mann mag das nicht besonders, wenn die Kinder mit anderen spielen. Sie könnten ja etwas erzählen und unser Geheimnis ausversehen ausplaudern", bitter lachte Maria auf. "Vor allem könnte heraus kommen, dass der feine Herr Abteilungsleiter uns nicht so gut behandelt wie er es ständig vorgibt. Dass er uns mehrmals in der Woche halb todschlägt. Auf Arbeit erzählt er immer allen, wie lieb und nett er doch wäre und was er für seine Frau und seine Kinder alles tut. Der Arsch hat sogar eine zweite Wohnung die aufs feinste eingerichtet ist und die wir nur betreten dürfen, wenn er uns vorzeigen möchte und Gäste einlädt. Sonst müssen wir hier leben und bekommen nur das Nötigste vom nötigen, damit wir überleben können. Ich darf nichts ohne seine Zustimmung machen, er hält uns hier wie Sklaven fest. Sie müssen wissen, Kahlyn, oft kann ich nicht raus gehen. Meistens habe ich blaue Augen, weil er mich wieder einmal halb todgeschlagen hat. In der Nacht von Dienstag zum Mittwoch, hatte Jim ins Bett gebullert. Weil ihn sein Vater am Dienstagabend, wieder einmal nach Strich und Faden verdroschen hatte. Er wollte seine Schnitte nicht essen, weil da Blutwurst drauf war. Jim mag keine Blutwurst essen, er hasst sie und erbricht sich regelmäßig danach. Ist ja auch kein Wunder, wenn er die Schnitte nur mit Widerwillen isst. Dresche hätte er also so oder so bezogen, deshalb weigerte er sich lieber, da blieb ihm wenigstens das Erbrechen erspart. Mittwoch früh habe ich deshalb sein Bett neu bezogen und sein Vater hatte das komischerweise mitbekommen. Ich weiß nicht einmal warum. Ich habe extra die gleiche Bettwäsche drauf gezogen, die vorher schon drauf war. Ich kann doch den Buben nicht, in einem wieder getrockneten vollgepissten Bett schlafen lassen. Das geht doch nicht“, entschuldigend, sah mich die Frau an. „Er kam runter auf den Spielplatz und nahm mich zur Seite. Ich flüsterte Jim zu, als ich meinen Mann kommen sah, er soll zu seinem Freund laufen und sich verstecken. Mein Mann befahl mir mit nach oben zu kommen. Dort sagte er mir richtig die Meinung, halt auf seine Weise. Als Holger mit mir fertig war, ging er auf den Spielplatz zurück und wollte Jim holen, um mit ihm hoch in die Wohnung zu gehen und auch ihm seine Meinung zu sagen. Zum Glück war Jim schon weg. Holger ging ihn daraufhin suchen. Nach neun Stunden kam der Arsch wieder nach Hause und war so wütend, wie lange nicht mehr. Ich hatte die Mädchen und Günter, schon vorher zu meiner Freundin gebracht und sie gebeten, dass sie über Nacht dort bleiben können. Meine Freundin weiß wie bei uns die Post abgeht, wenn Holger so wütend ist und irgendetwas nicht so läuft wie er sich das vorstellt. Karin, meine Freundin, beschützte die Kleinen dann immer für mich, weil ich gegen den Arsch keine Chance habe. Auf diese Weise beschütze ich meine Kinder wenigsten ein bisschen vor dem Vater und bekomme nur alleine seine ganze Wut ab. Nach dem er fertig damit war, mir seine Meinung zu sagen, dass ich eine verfluchte Schlampe wäre, nahm er sich eine Flasche Goldkrone, ging ins Schlafzimmer und soff sie aus. Schlief dort ganz gemütlich seinen Rausch aus.

Kahlyn habe Jim die ganze Nacht gesucht, trotz der gebrochenen Rippen. Am nächsten Morgen ging Holger auf Arbeit, als wenn nichts wäre. Es störte ihn nicht, dass Jim die ganze Nacht weg war. Ich bat ihn die Polizei zu verständigen, aber er tat so, als wenn es nicht schlimm wäre, dass Jim nicht mehr da war. Verabreichte mir eine Tracht Prügel zum Abschied und ging auf Arbeit. Da rief ich aus lauter Angst die Polizei an und meldete das Verschwinden von dem Kleinen. Mehr weiß ich wirklich nicht, ehrlich.“

Ich nickte Maria wissend zu. Genauso hatte es sich abgespielt. Das bestätigten mir die Erinnerungen der Kinder, die bis auf die Details die Prügel Maria betreffend, mit dem Gesagten übereinstimmte. Vorhin als ich mir die Erinnerungen der Kinder sah, wusste ich nicht, was dieses Gepolter sein konnte, dass den Kindern solche Angst gemacht hatte. Jetzt begriff ich, dass die Kinder ahnten, was Holger Pösiger mit der Frau in der Wohnung über ihnen anstellte. Maria hatte also schon mehrmals solche Prügelaktionen erlebt. Kein Wunder dass sie niemanden mehr Vertrauen endgegenbracht.

„Warum haben sie uns das nicht gleich gesagt, Maria. Darf ich ehrlich zu ihnen sein?“

Maria nickte, sie ahnte Schlimmes und sah mich ängstlich an. Ich glaube sie ahnte was ich ihr sagen wollte.

„Ich glaube nicht Maria, dass ihr Jim noch lebt. Ich fühle es immer, wenn ein Vermisster oder eine Geisel noch am Leben sind, wenn ich auf Suche gehe. Da ist aber nichts mehr. Ich denke der Mann, hat den Jungen etwas angetan, noch bevor sie ihn als vermisst gemeldet haben. Bitte, sie müssen das begreifen. Es ist wichtig, dass sie sich darauf einstellen, dass ich Jim nur noch Tod finden werde. Die Chance, dass ich ihren Jungen noch lebend finden kann, liegt bei unter einem Prozent. Vor achtundvierzig Stunden, hätte ich noch eine Chance gesehen, jetzt leider nicht mehr. Sie hätten den Jungen sofort als vermisst melden müssen. Mir ist natürlich klar, dass auch dann die Chance ihn lebend zu finden, sehr gering gewesen wäre. Machen sie sich also keine Vorwürfe. Eins verspreche ich ihnen, ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um diesen Mann zu finden. Ihre Mitarbeit ist trotzdem nötig. Ich muss sie bitten, mit den beiden großen Kindern, noch einmal mit nach unten auf den Spielplatz zu kommen. Können sie die kleine Ines zu ihrer Freundin bringen? Die sollte ins Bett und irgendwo beschützt schlafen. Die war vorhin schon total übermüdet.“

Wieder Maria nickte, ohne etwas zu sagen und kämpfte gegen die Tränen an. Nach einigen Minuten, die ich ihr auch lassen musste, hatte sie sich gefangen und konnte wieder etwas klarer denken.

„Kommen sie“, forderte Maria uns gegen die Tränen ankämpfend auf ihr zu folgen.

Sie stand auf und ging ins Kinderzimmer, um die Kinder zu holen. Ein Stockwerk unter der Wohnung von Maria, klingelte sie an der Tür einer Familie Fuchsbacher.

„Guten Abend Karin“, grüßte Maria nun doch wieder weinend.

„Mein Gott, Kleene haben sie Jim immer noch nicht gefunden.“

Maria fing an zu schluchzen und war nicht in der Lage zu sprechen, deshalb übernahm ich den Part, des Erklärens. Ronny blieb weiter stiller Beobachter, der nur eingriff, wenn ich alleine nicht klar kam. Dafür war ich ihm dankbar, denn ich mochte es nicht, wenn man sich in meine Arbeit einmischte.

„Bitte Frau Fuchsbacher, ich bin Leutnant Kahlyn, das ist mein Kollege Oberleutnant Schulze, wir sind beide vom SEK61. Könnten sie sich um Ines kümmern? Wenn ich dann Maria nicht mehr brauche und die beiden anderen Kinder, könnten sie ihnen heute Nacht Unterschlupf gewähren? Ich möchte nicht, dass sie oben in die Wohnung gehen, bevor ich Herrn Pösiger dingfest gemacht habe. Wäre das bitte möglich? Es ist zur Sicherheit von den Kindern und Maria notwendig! Sonst müsste ich sie auf die Wache bringen lassen. Hier kann ich nicht für ihre Sicherheit bürgen. Ich denke bei ihnen sind die Vier, genauso sicher wie auf der Wache, aber sie kennen alles. Wenn dieser Holger Pösiger hierher kommen sollte, rufen sie sofort den Notruf an oder auf der Wache direkt, mein Kollege gibt ihnen die direkte Durchwahl“, ich blickte kurz zu Ronny, der nickte kurz, dass er verstanden hatte. Frau Fuchsberger sah mich entsetzt an, holte tief Luft und nickte. 

„Natürlich, ihr kommt alle runter zu mir. Solang bis der Arsch festgenommen ist. Der hat dich gestern Nacht wieder genug verprügelt.“

Ich sah dankbar zu Frau Fuchsberger, die so unkompliziert half.

„Das ist nett von Ihnen. Also kommen sie Maria. Komm Carla und auch du Günter, ihr zeigt mir jetzt, wo der Jim hingelaufen ist, dann geht ihr wieder hierher zu der netten Frau. Bei ihr müsst ihr keine Angst mehr haben. Denkt dran, was ich euch vorhin gesagt habe. Ihr bleibt alle drei zusammen, bis ich den bösen Mann festgenommen habe. Sollte er vorher zu euch kommen, schreit ihr so laut ihr könnt und ruft um Hilfe“, ernst sah ich die beiden Kinder an, die beide mit dem Kopf nickten. "Ihr beschützt beide die kleine Ines. Versprecht mir das", wieder bekam ich ein Nicken. "Na dann kommt."

Ich hielt den beiden die Hände hin, die griffen sofort zu. Gemeinsam liefen wir die restlichen Stockwerke nach unten und aus dem Haus heraus. Stoppten erst auf den Spielplatz. Ronny kam uns hinterher gelaufen, da er noch einiges mit Frau Fuchsberger besprechen musste. Carla und Günter zeigten mir, wo Jim lang gelaufen sein konnte. Ich dankte den beiden.

„Ronny, ich brauche dringend ein Funkgerät. Du bringst die drei hoch zur Frau Fuchsberger und sorgst am besten dafür, dass sich hier ständig in der Nähe ein Streifenwagen aufhält. Ich will, dass für die Sicherheit der Kinder und Maria gesorgt wird und auch für die Frau Fuchsberger, steht Gefahr im Verzug. Ich habe ein verdammt schlechtes Gefühl im Bauch, was diesen Holger Pösiger angeht. In einer halben Stunde, kommst du noch einmal hierher und bringst mir den Medi-Koffer, zwei volle Akkus, zwei Peilsender und eine Umgebungskarte mit. Ich sehe mir hier erst einmal das nähere Umfeld an, ob ich vielleicht schon Spuren finden kann. Da ich mich hier, aber gar nicht auskenne, brauche ich unbedingt eine genaue Karte.“

Ronny sah mich erschrocken an. „Du willst alleine los.“

Ich winkte ab. „Ronny, ich arbeite in solchen Fällen, immer erst alleine. Deshalb ja der Peilsender und das Funkgerät. Ich kann nicht arbeiten, wenn ich ständig abgelenkt bin, bitte. Lasse diese Diskusionen, mit jeder Minute die wir hier reden, wird die sowieso schon kleine Chance für Jim noch geringer.“

Der nickte schaute auf die Uhr. „Es ist jetzt 19 Uhr 59, Kleines. Ich bin um 20 Uhr 30 mit allem, was du haben willst, wieder hier beim Spielplatz.“

Ich nickte und ging einfach los, ohne auf die entsetzten Gesichter der Kollegen zu achten. Wie auch, ich war mitten in einem Einsatz, in dem es um Leben und Tod ging, noch dazu um das Leben eines Kindes. Langsame Schleifen ziehend, lief ich in die Richtung, die mir die Kinder gewiesen hatten. Fand einige abgebrochene Äste und Fußabdrücke. Aber alles in einer Höhe und in einer Größe, die nicht von Jim stammen konnten. Nach fünfundzwanzig Minuten, kehrte ich zum Spielplatz zurück. Dort stand ein Toniwagen, von der Wache. Ronny, sowie die beiden Fahrer standen diskutierend am Fahrzeug.

„Seht ihr, ich habe euch gesagt, es ist nicht schlimm, dass Kahlyn keine Uhr dabei hat. Sie wird schon wissen, was sie sagt“, begrüßte mich Ronny.

Ich lächelte ihn an. Klar wusste ich, was ich sage. Meine innere Uhr, war genauer als jede Armbanduhr. Solange ich nicht total übermüdet, krank oder schwer verletzt war, funktioniert die tadellos. Selbst dann wusste ich wie lang dreißig Minuten sind, auch wenn ich die genaue Uhrzeit dann nicht wusste.

„Hast du alles?“, fragte ich ihn kurz angebunden.

Ich wollte weiter, denn Zeit war bei solch einer Suche mehr als kostbar. Ronny ging zum Kofferraum und öffnete ihn. Ich holte alles, was ich brauchte heraus.

„Kahlyn, ich habe dir noch etwas zu trinken mitgebracht.“

Dankbar nahm ich die Flasche Wasser und trank sie mit einem Zug leer. Schnallte mir den Medi-Koffer um. Vorn auf der Motorhaube, breitete ich die Karte aus. Intensiv studierte ich die Umgebungskarte und den Stadtplan der Stadt Gera. Sah mir viele Details an, prägte mir diese Karten bis aufs letzte Detail ein. Kaum damit fertig, faltete ich die Karte zusammen und steckte sie einfach in die Innentasche des Overalls.

„Ronny, ich glaube nicht, dass ich noch eine Chance haben, den Jungen lebend zu finden. Mein Bauch sagt mir, dass der Kleine schon nicht mehr lebt und der irrt sich nur ganz selten. Deshalb informiere bitte die Spurensicherung davon, dass wir sie heute Nacht höchstwahrscheinlich noch brauchen werden, sie sollen ein Team auf Bereitschaft setzen. Wie weit könnt ihr mich verfolgen, mit dem Peilgerät, ich kenne diesen Gerätetyp nicht, mit dem habe ich noch nie gearbeitet?“

Ronny kratzte sich den Kopf. „Kahlyn ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung. Das hat mich noch niemand gefragt. Deshalb weiß ich das nicht genau. Eigentlich müssten wir dich hier in der Umgebung ständig in der Peilung haben. Jedenfalls solange du innerhalb der Stadtgrenze Geras bleibst. Müssten wir dein Signal ständig verfolgen können und in der Peilung haben. Nur dann, wenn du aus Gera raus gehst, also ins Umland hinein, dann schätze ich die Entfernung auf maximal zwanzig Kilometer. Kleine etwas Genaueres kann ich dir leider nicht sagen, weil wir eigentlich nie mit Peilsendern arbeiten.“

Also, war es wie bei den Peilgeräten vom Oberst. Aus meinen Fehlern der vergangenen Wochen lernend, erklärte ich dieses Mal genau, was auf die Kollegen zukam.

„Also pass auf und höre mir jetzt genau zu, Ronny. Ich lasse immer, wirklich immer das Funkgerät aus. Ich hasse diese Dinger wie die Pest, weil sie meinen Ohren ganz schlimme Schmerzen zufügen. Also bekomme keine Panik, wenn ich mich nicht gleich melde. Wenn ich euch brauche, signalisiere ich euch das, mit dem Peilgerät. Ich schalte es mehrmals an und aus. Achtet also auf das Peilsignal, nach zehn Minuten, schalte ich das Funkgerät dann an, so könnt ihr mich erreichen. Bitte brüllt nicht in die Funkgeräte, sondern sprecht so leise wie möglich. Ich höre unter normalen Umständen sechsmal so gut wie ihr. Wenn ich mich auf meine Ohren konzentriere, sogar zehnmal besser als ihr. Du kannst dir also vorstellen, wie weh mir diese Geräte tun. Also am Funk bitte leise sprechen. Ansonsten haltet ihr absolute Funkstille, solange ich mich nicht melde. Ihr funkt mich nie an, sondern wartet immer bis ich mich bei euch melde. Hast du das verstanden, Ronny. Das ist wichtig, denn ihr wisst ja nicht, was ich gerade mache. Durch das plötzliche anfunken, könnten ihr mich und vor allem die Geisel, in eine missliche Lage bringen“, erklärte ich dem mir fremden Kollegen so genau wie möglich meine Vorgehensweise.

Ronny nickte verständnisvoll.

„Drückt mir mal die Daumen, für den kleinen Jim.“

Ich drehte mich um und lief zurück, um weiter nach Spuren zu suchen. Ich war fast in dem Hain verschwunden, als Ronny mich noch einmal rief.

„Kahlyn, du brauchst eine Taschenlampe. Es wird gleich dunkel.“

Ich schüttelte den Kopf und zeigte auf meine Brille. Wieder einmal wurde mir bewusst, dass ich nicht daran gedacht, alles zu erklären. Aber das waren unwichtige Details, die konnten wir hinterher noch durch diskutieren. Ohne ein weiteres Wort und ohne noch mehr Zeit zu verschwenden, drehte ich mich um und lief einfach weiter.

Ließ wieder einmal drei verwirrte Kollegen an ihrem Fahrzeug stehen, die meine Geste gar nicht verstehen oder deuten konnten. Wie oft würde es mir noch passieren, dass ich Dinge voraussetze, die für uns normal waren und die die Männer in Gera und alle mit uns zusammenarbeitenden Kollegen, gar nicht wissen konnten. Woher sollte Ronny wissen, dass ich im Dunklen besser sehen konnte, als im Hellen.

Langsam wurde es dunkel und ich setzte erleichtert meine Brille ab. Jetzt konnte ich endlich alles sehen. Fast zwei Stunden noch suchte ich nach Spuren. Nicht nur einmal, war ich kurz davor aufzugeben. Zu viele Leute waren hier lang gelaufen und hatten schon nach Jim gesucht. Die wenigen Spuren, die es vielleicht gegeben hatte, waren dadurch alle zerstört wurden. Warum hatte man mich nur nicht schon eher geholt, dann könnte der Junge schon längst zu Hause sein. Ich war froh, dass sich Ronny so schnell dazu entschlossen hatte, nach mir zu rufen. Vielleicht konnte ich das Blatt noch wenden. Deshalb beschleunigte ich meine Spurensuche noch mehr.

Endlich fand ich eine Spur, weit abseits von den Stellen, an denen die Suchtrupps der Bereitschaftspolizei gesucht hatten. Diese Spur führte hinaus aus Gera. Immer weiter und vor allem schneller werdend, folgte ich der Spur und kam an einen Fluss. Das glaube war die Elster, wenn ich den Stadtplan richtig im Kopf behalten hatte, der Fluss an dem wir immer entlang liefen, um zum Stadion und den Hallen zu kommen. Ich lief immer weiter, erhöhte noch etwas das Tempo denn die Spur war schon sechsunddreißig Stunden alt. Über vier Kilometer lief ich der Spur hinter, als diese auf einmal abbog. Sie führte in einen Bereich, in dem lauter kleine Felder waren. So etwas hatte ich schon einmal vor Jahren gesehen. Ich musste hier höllisch aufpassen, denn hier waren viele Menschen.

Vorsichtig, um die Spur nicht wieder zu verlieren und wesentlich langsamer, verfolgte ich der kaum noch sichtbaren Spur weiter. Immer darauf achtend, ob mir andere Menschen begegneten. Das Glück war mir hold. Die Menschen hier schienen alle schon zu schlafen. Heute war es wirklich schon sehr kalt, von daher saß niemand vor den Häuschen und nur in den wenigsten Häusern brannte noch Licht. Immer wieder vermischte sich die Spur, mit den vielen anderen Spuren. Es war schwer sie nicht zu verlieren. Auf diesen Wegen waren heut zahllose Menschen hin und her gelaufen. Zweimal musste ich zurück gehen, um die Spur wieder zu finden. Spät in der Nacht, kam ich an ein Tor, was ich nicht öffnen konnte, also sprang ich über den nicht sehr hohen Zaun und ging noch ein kleines Stück weiter. Was ich dann zu sehe bekam, brach mir das Herz und ließ mich innerlich aufstöhnen.

Ein frisch ausgehobenes Grab. Ich brauchte den Buben selber nicht mehr ausgraben, das ließ ich die Spurensicherung selber machen. Er war mindestens schon zweiundzwanzig Stunden tot. Ich sah kaum noch Wärmeschatten. Es gab keine Chance mehr, ihn zurück zu holen. Ich setzte mich an sein Grab. Mein Bauch hatte sich also nicht getäuscht. Der Kleine war schon lange bevor ich mit der Spurensuche angefangen hatte, getötet wurden.

„Ach Kleiner, warum hat man mich nicht schon eher geholt? Dann hättest du noch eine Chance gehabt. Es tut mir wirklich leid für dich. Aber ich verspreche dir eins, ich werde deinen Mörder finden und dafür sorgen, dass die anderen Kinder nicht auch so leiden müssen wie du“, schwor ich Jim.

Traurig sah ich auf das Grab, markiere mit dem Spaten den Bereich, wo die Spurensicherung graben musste und stelle den Peilsender in die Mitte. Schalte ihn zehn Mal ein und aus. Stellte gleich mein Funkgerät an, fast sofort meldete sich Ronny.

„Kahlyn, was ist? Hast du ihn gefunden?“

Ich holte tief Luft, um ruhig sprechen zu können. „Tut mir leid, Ronny, der Bub ist schon lange tot, mindestens seit zweiundzwanzig Stunden. Hast du die Koordinaten, von dem Peilgerät. Ich würde gern weiter gehen und diesen verdammten Kerl finden, um ihn dingfest zu machen.“

Ronny schwieg. „Ronny hast du mich gehört“, wieder dauerte es einen Moment. "Ronn...", der Kollege unterbrach mich.

„Entschuldige Kahlyn, das musste ich erst einmal verarbeiten. Ja, wir haben deine Position und geben sie weiter, an die Spurensicherung. Soll ich dir helfen kommen, bei der Suche?“

„Nein Ronny, brauchst du nicht. Ich habe nur ein Problem, ich habe keine Handschellen dabei, die habe ich vergessen einzustecken. Aber, das ist nicht schlimm ich bringe ihn auch so zur Raison. Sag der Spurensicherung, ich habe das Grab markiert. Das Peilgerät, steht genau in der Mitte des Grabes. Ich mache los, ich melde mich wieder.“

Gegen meine Emotionen ankämpfend, machte ich das Funkgerät wieder aus. Ich konnte und wollte jetzt mit niemanden reden. In solchen Situationen brauchte auch ich immer einige Momente Zeit, um die Wut auf den Mörder wegzustecken und wieder klar denken zu können. Fast zehn Minuten brauchte ich, um wieder arbeiten zu können. Begann von neuen mit der Suche nach verwertbaren Spuren des Mörders eines erst fünf Jahre alten Jungen.

Keine viertel Stunde später, entdeckte ich die Abdrücke der Schuhe von Holger Pösiger, die ich sofort wiedererkannte. Der linke Schuh war in der Mitte des Ballens gebrochen. Da der Riss nicht gerade war, sondern wie ein V geformt war, konnte ich ihn gut erkennen. Er ging einmal quer über den Schuh und das dadurch entstehende V neigte sich etwas nach rechts. Genau dieses besondere Merkmal hatte es mir möglich gemacht, die Spur Pösigers immer wiederzufinden. Oft war es so, dass man ein solches spezifisches Merkmal in den Spuren eines Fußabdruckes finden konnte. Ich machte mir dann sozusagen ein Foto von diesem Merkmal, dass ich immer wieder auf die verfolgende Spur legen konnte, wie so eine Art Schablone. Diese Schablonen waren für mich genauso einmalig, wie ein Fingerabdruck oder eine vergleichende Genanalyse. Nur musste man sich die Zeit nehmen und die Spur wirklich genau analysieren. Solche Details waren es, die ich immer bemerkte und die mich, wie mich Oberst Fleischer immer sagte, zu einem einzigartigen Spurensucher machte, genauso wie mein Verbrechermagnet der in meinem Bauch saß.

Immer weiter führte mich die Spur durch diese Ansammlung von kleinen Feldern, während mir diese Gedanken durch den Kopf gingen. Die Spur führte mich bis zu einem weit entfernten Gartengrundstück. An der Grenze des umzäunten Geländes, mit den winzigen Häusern und Feldern, fand ich den Mörder von Jim Pösiger. Er lag schlafend, besoffen und völlig vollgekotzt, in seinem eigenen Urin und war so besoffen, dass er nicht einmal mitbekam wie ich ihn fest nahm. Aus Ermanglung von Handfesseln schnitt ich ihm kurzerhand beide Hosenbeine, seiner Hose ab und fertigte daraus eine geflochtene Fessel. Diese selbstgebaute Fessel band sie ihm, um die Handgelenke und nahm ihn fest, las ihn auch seine Rechte vor, obwohl er sie bestimmt nicht wahr nahm. Mehrmals schaltete den Peilsender ein und aus, und danach das Funkgerät ein, um mich bei meinen Kollegen zu melden. 

„Kahlyn, was ist?“, meldete Ronny sich sofort.

„Sir, Einsatz mit der Festnahme des Mörders, von Jim Pösiger erfolgreich beendet, Sir“, meldete ich ordnungsgemäß. „Ronny, wo kann eine Streife den Gefangenen aufnehmen. Ich möchte Maria selber die Nachricht vom Tod ihres Sohnes überbringen. Das handhabe ich immer so.“

Ronny erklärte mir, wo ich auf die Streifenwagen treffen würde. „Kahlyn, wenn du den Weg weitergehst in Richtung Westen, kommst du genau vorn, auf der Hauptstraße heraus.“

Ohne zu Antworten schaltete ich das Funkgerät wieder aus und zerrte Holger Pösiger hoch auf die Beine. So besoffen wie er war, ließ er sich hinter mir her schleifen. Nach drei Minuten, hatten wir einen der Ausgänge, aus dem Gelände mit den kleinen Feldern gefunden und trafen dort auf die Streifenwagen. Die Kollegen nahmen sich Holger Pösigers an und legten ihn ordentliche Handschellen um. Setzten ihn in den Wagen und fuhren ab, in Richtung Untersuchungsgefängnis.

Ich dagegen, setzte mich erst einmal neben den zweiten Toniwagen, auf die Erde. Ich brauchte einige Minuten der Ruhe. Vor allem musste ich erst einmal herunterfahren, denn ich musste Maria und den Kindern, eine schlechte Nachricht überbringen.

Ronny wollte auf mich einreden. "Kahl...", fing er an und wurde von mir unterbrochen.

„Ronny bitte nicht“, bat ich ihn nur.

Nach fünf Minuten, hatte ich mich soweit beruhigt, dass wir losfahren konnten, aber ich brauchte noch einen Moment.

„Ronny, wie lange fahren wir, zu den Pösigers?“

Der Fahrer antwortete mir sofort. „Reichlich fünfzehn Minuten Kahlyn. Du bist ganz schön weit weg gewesen.“

Müde rieb ich mir das Gesicht. „Ronny, lass mich erst einmal runterfahren bitte. Ich müsste zehn Minuten schlafen. Kannst du mich, in den Arm nehmen, sonst kann ich nicht schlafen“, bat ich ihn um Hilfe.

Ronny nickte. Endlich hatte ich mal einen Kollegen, der nicht stundenlang mit mir diskutieren wollte. Dankbar schielte ich zu ihm hoch und lehnte mich an seine Schulter. Ich musste einfach ein paar Minuten schlafen. Es ging aber nicht, das Fieber kam schon wieder. Ich musste das unbedingt in den Griff bekommen. Dieses verdammte Fieber machte mich völlig kaputt. Ich nahm den Medi-Koffer aus dem Rucksack, öffnete ihn und spritzte mir drei Einheiten K99, gegen das Fieber, dann auch noch zwei Einheiten N91. Nochmals atmete ich einige Male, tief durch.

„Ronny, hast du für mich noch etwas zu trinken, bitte.“

Ronny hatte nur die eine Flasche mit. Na egal, dann würde ich auf der Wache etwas trinken. Ich stand auf und stellte meine Medi-Koffer in den Fußraum, setzte mich auf den Rücksitz.

„Fahren wir, bitte lass mich einen Moment schlafen, Ronny mir geht es nicht so besonders gut.“

Ronny sah mich besorgt an, da ich rotfleckig im Gesicht war und schwer atmete.

„Ist nicht Schlimmes, Ronny. Mein verdammtes Fieber kommt nur schon wieder. Ich kann es kaum noch bändigen. Bitte ich bin einfach nur fertig, solche Einsätze mag ich überhaupt nicht.“

Das verstand der Kollege nur zu gut. Wer mochte schon solche Einsätze? Er stieg ebenfalls ein und zog mich in seinen Arm, er fühlte sich warm an. Das gab mir eine gewisse Sicherheit.

„Kahlyn, du glühst ja, wie hoch ist dein Fieber schon wieder?“, fragte mich Ronny besorgt.

„Ich weiß nicht, lass mich einfach schlafen. Bitte, Ronny“, bat ich ihn leise.

Ich fühlte mich sicher bei ihm, wenn auch nicht so, wie bei Rudi oder John. Aber besser als alleine, den ich kannte ihn ja noch nicht so genau. Fast drei Minuten brauchte ich, um einschlafen zu können, langsam erholte ich mich, aber ich war fix und fertig. Nur ganze fünf Minuten schlief ich, irgendetwas hatte mich aus dem Schlaf geholt. Ich kontrollierte meine Körper. Verdammt der Zucker war schon wieder oben. Warum nur? Ich verstand das alles nicht. Langsam senkte ich den Zucker wieder, auch meine Temperatur war weit über den normalen Wert 59,8°C. Ich kapierte einfach nicht, was mit mir los war. Nach der Spritze, müsste es eigentlich runter gehen. Mühsam versuchte ich das Fieber zu senken. Aber es ging nur etwas herunter 57,7°C, es war immer noch viel zu hoch. Ich musste unbedingt etwas Ruhe bekommen.

Nur ein paar Tage richtig schlafen, damit sich mein Körper einmal erholen konnte. Jedes Mal wenn ich dachte, ich habe das Fieber im Griff, schoss es wieder nach oben. Langsam setzte sich ein Gedanke in mir fest: Ich lief nicht mehr nur am Limit, ich war schon meilenweit darüber hinausgeschossen. Die letzten Wochen, waren einfach zu viel. Irgendwann, konnte auch ich nicht mehr. Einige Male hatte ich solche Situationen schon in der Schule erlebt, damals nach der Sache in Chile, war ich in einem ähnlichen schlechten seelischen und körperlichen Zustand. Wenn ich so weiter machte wie bisher, ging es mir durch den Kopf, würde ich irgendwann ganz zusammenbrechen oder ich würde wahnsinnig werden. Keine Ahnung, warum mir das durch den Kopf ging, aber dieser Gedanke, kam mir in letzter Zeit häufiger. Seit dem ich meine Freunde nicht mehr hatte, schossen mir immer wieder einmal, diese komischen Gedanken durch den Kopf. Tief holte ich Luft. Na ja, ich würde das schon hinbekommen, ich bekam ja immer alles hin.

„Kahlyn, wir sind gleich da“, wollte mich Ronny wecken.

Ich setzte mich auf und rieb mir müde mein Gesicht. Da hielt der Toniwagen schon an dem Haus, der Pösigers. Ich stieg aus und nahm meinen Medi-Koffer und ging auf das Haus zu. Klingelte bei der Familie Fuchsbacher. Ronny folgte mir wortlos.

„Guten Abend Frau Fuchsbacher, hier ist Leutnant Kahlyn und Oberleutnant Schulze. Können wir kurz hochkommen, bitte.“

Im gleichen Moment ging der Summer. Ich drückte die Tür auf und lief eilig die Treppe hoch. Ich wollte das alles nur schnell hinter mich bringen. Im siebenten Stock angekommen, stand Frau Fuchsbacher schon auf dem Treppenabsatz, sah mich fragend an. Ich schüttelte müde den Kopf. Erschrocken schlug sich die Frau vor den Mund, um einen Aufschrei zu vermeiden.

„Ist Maria noch bei ihnen?“, erkundigte ich mich bei ihr und bekam ein stummes Nicken zur Antwort.

Tief atmete Frau Fuchsberger durch, um sich zu beruhigen. „Kommen sie bitte“, wurden wir zum Eintreten aufgefordert.

Ronny betrat gleich nach mir, die Wohnung. Maria saß auf dem Sofa und sah mich mit angsterfüllten Augen an. Wie ich das hasste, solche Nachrichten zu überbringen. Ich setzte mich zu ihr auf das Sofa und nahm sie einfach in den Arm.

„Tut mir leid Maria, ich konnte nichts mehr, für Jim tun. Er war schon fast einen Tag tot.“

Maria schrie auf, wie wild gebärdete sie sich und wollte zu ihrem Jungen. Allerdings konnte sie momentan nicht zu ihm, er musste erst in die Gerichtsmedizin, da ging kein Weg dran vorbei.

„Ronny, mach bitte meinen Koffer auf. Darin findest du eine Schachtel, mit lauter Spritzen. Gib mir bitte eine davon. Die Kanülen sind im Kofferdeckel, ganz oben auf der rechten Seite, in einer Klappe“, gab ich ihm konkrete Anweisungen.

Ronny öffnete den Koffer und reichte mir das Gewünschte. Ich nahm Maria, in einen sicheren Griff, aus dem sie sich nicht herauswinden konnte und spritze ihr eine doppelte Dosis N91. Langsam beruhigte sich die Frau und atmet gleichmäßiger.

„Maria, ich weiß, dass es schrecklich ist für sie. Aber sie haben noch vier Kinder, die leben. Sie können es sich nicht leisten, sich gehen zu lassen.“

Maria wurde böse auf mich. Ich war diejenige, welche die schlechte Nachricht überbracht hatte. „Was weißt du junges Ding schon vom Tod?“, schrie sie mich wütend an.

Ronny wollte etwas sagen, mit dem Kopf schüttelnd bat ich ihn zu schweigen. „Ich weiß mehr vom Tod, als sie sich vorstellen können, Mam. Ich hab den öfter in die Augen gesehen, als sie denken können. Habe einundneunzig meiner Kameraden sterben sehen, in den letzen sechzehn Jahren, genauso alt bin ich nämlich, Mam. Glauben sie mir, ich weiß wie weh das tut, aber das Leben geht weiter. Lernen sie einfach, ihre Kinder zu schützen. Lassen sie nie wieder zu, dass ein Mann sie so behandelt. Das haben ihre vier noch lebenden Kinder nicht verdient.“

Fragend sah mich Frau Fuchsberger an.

„Maria ist schwanger“, erklärte ich, der verwundert drein schauenden Frau. „Maria, ich werde ihnen jetzt helfen, Mam. Damit sie das alles besser verkraften können. Bitte erschrecken sie nicht. Es tut gar nicht weh. Nur sieht es etwas komisch aus. Aber danach geht es ihnen gleich besser. Darf ich das noch für sie machen, Mam?“

Ich sah Maria lange an. Eigentlich wollte ich hier nur noch weg. Am liebsten würde ich diese Frau hassen, die zugelassen hat, dass man ihr anvertrauten Kindern solche schlimme Misshandlungen an tun konnte. Da sie aber selber mehr als genug misshandelt wurde, konnte ich sie nicht hassen. Allerdings fiel es mir schwer Mitleid mit ihr zu haben. Hätte sie sich von dem Mann getrennt, könnte Jim noch leben. Ich wollte nach Hause zu Rudi, Jo, Viola und den Kindern und wollte endlich schlafen.

Maria sah mich an. „Woher wissen sie das?“, fragte mich Maria, dann nickt sie, die Spritze zeigte ihre Wirkung.

"Was soll ich wissen, Mam?", irritiert sah ich sie an, weil ich viel weiter in meinen Gedanken war, als Maria.

"Das ich schwanger bin", erklärte sie mir verwundert. Endlich fand sie wieder zu sich selbst, da das Medikament wirkte.

„Ich sehe vieles, Maria“, gab ich ihr zur Antwort, wohl wissend dass die Antwort sie nicht befriedigen würde.

Bittend wandte ich mich an meinen Kollegen.

„Ronny, machst du bitte kurz das Licht aus“, Ronny ging ohne nachzufragen an den Lichtschalter und bewegte den Schalter.

„Maria, erschrecken sie jetzt bitte nicht. Ich habe andere Augen als normale Menschen. Ihren Kindern habe ich gesagt, dass ich Feenaugen habe, die ihnen die Angst nimmt. Das mache ich jetzt auch bei ihnen. Erschrecken sie also nicht, wenn rotes Licht aus meinen Augen kommt. Es tut nicht weh, sondern sieht nur komisch aus. Allerdings wird es ihnen helfen, besser mit den schlimmen Ereignissen klar zu kommen. Vertrauen sie mir einfach einen kleinen Moment. Ich möchte ihnen nur helfen.“

Vorsichtig um die Frau nicht zu erschrecken, nahm ich Marias Kopf in die Hände und hielt sie so fest, dass sie sich nicht herauswinden konnte und begann mit dem Krantonak. Verstärkte ihr Selbstbewusstsein, ihren Lebenswillen und Lebensmut, den Willen für Gerechtigkeit zu kämpfen und für die Wahrheit einzutreten, vor allem aber die Fähigkeit des Schlafens können. Nach reichlichen fünf Minuten war ich fertig.

Maria sah mich an, ganz leise kam. „Danke.“

Ich streichelte ihre Schulter und nickte ihr wissend zu. "Schon in Ordnung, Mam. Ich weiß selber nur zu gut, wie schwer das ist, sich gegen solche Menschen zu wehren. Sind die Kinder noch auf oder schlafen sie schon?“, fragte ich Maria. „Die Kleinen schlafen schon, aber Carla ist bestimmt noch munter, sie kann nicht schlafen. Sie wartet immer noch auf Jim.“

„Wo ist sie? Ich will es ihr selber sagen“, erkundigte ich mich bei Maria, öffnete den Ampullenkoffer und zog zwei Einheiten N1 auf, das war ein leichtes Beruhigungsmittel kombiniert mit einem Schlafmittel, damit die Kleine schlafen konnte. Diese steckte ich mir in die Tasche meines Overalls und ging hinter Frau Fuchsbacher her. Im Zimmer von Carla angekommen, sah ich sie im Bett sitzen und weinen. Sie hatte also gelauscht. Ich schloss die Tür hinter mir und setzte mich zu der Kleine aufs Bett.

„Du hast es also schon gehört, Carla“, stellte ich ganz leise fest, dass ich wusste, dass Carla gelauscht hatte.

Carla nickte und sah mich mit tränennassem Gesicht an.

„Es tut mir wirklich leid, Carla. Aber er war schon zu lange tot, als ich ihn gefunden habe. Ich konnte nichts mehr für den Jungen tun. Es war einfach zu spät. Aber, weißt du, jetzt tut ihm nichts mehr weh und niemand wird ihm jemals wieder Schmerzen zufügen.“

Carla sah mich lange an. Ich glaube die Kleine erkannte, dass auch ich schon Freunde verloren hatte. Auf einmal lehnte sich an mich und ließ ihren Gefühlen freien Lauf. Carla fing schluchzend an zu weinen.

„Weißt du Carla, ich möchte dass du etwas schläfst. Morgen meine Kleine, sieht die Welt schon wieder anders aus. Ich gebe dir jetzt eine Spritze. Das tut gar nicht weh, das verspreche ich dir. Dann kannst du wenigstens schlafen.“

Carla nickte wieder nur, also nahm ich die Spritze und setzte die Kanüle darauf und spritzte das weinende Mädchen: Zwei Einheiten N1. So dass sie mindestens zwölf Stunden durchschlafen konnte. Ich nahm sie auf den Schoss und hielt sie einfach in meinen Armen. Nach kaum fünf Minuten schlief die Kleine ruhig und fest. Ich kehrte zurück ins Wohnzimmer und räumte meinen Medi-Koffer auf. Ging nochmals auf Maria zu.

„Maria, tun sie mir einen Gefallen.“

Diese nickte und wirkte müde, dass N91 tat seine Wirkung.

„Bitte passen sie auf ihre anderen drei Kinder und das Baby besser auf, ja.“ Maria genau musternd reichte ich ihr die Hand. „Ich sage nicht auf Wiedersehen. Denn ich hoffe sehr, dass dies nie geschieht. Wenn ich irgendwo hinkomme, bedeutet das nie etwas Gutes. Aber ich wünsche ihnen alles Liebe, in ihrem neuen Leben. Tun sie sich und den Kindern einen Gefallen, zeigen sie Holger Pösiger endlich an und zeigen sie ihm so seine Grenzen auf. Auch die Körperverletzungen, Misshandlungen und die Vergewaltigungen, die der Mann an ihnen begangen hat. Dadurch bekommt er seine gerechte Strafe, so dass er nie wieder aus dem Knast heraus kommt. Sie können dann endlich in Ruhe leben. Erziehen sie ihre Kinder zu ehrlichen und aufrichtigen Menschen, die für Gerechtigkeit auf dieser Welt sorgen.“

Maria nickte nur, ich glaube sie schlief schon halb.

An Frau Fuchsbacher gewandt. „Danke für ihre Hilfe, Frau Fuchsberger. Es kann sein, dass Maria zwei Tage durchschläft. Das Medikament, das ich ihr gegeben habe, ist ziemlich stark und hat eine Langzeitwirkung. Keine Angst dem Baby schadet das Medikament nicht. Carla wird auch mindestens zwölf Stunden schlafen, ihr habe ich auch ein leichtes Beruhigungsmittel gespritzt. Kümmern sie sich bitte um Maria und die Kinder. Die brauchen Hilfe um das alles zu verarbeiten. Danke noch mal, dass sie geholfen haben. Bitte ich muss gehen, ich bin völlig fertig. Das sind die schlimmsten Einsätze, die sie sich vorstellen können. Die gehen an uns auch nicht spurlos vorbei. Alles Gute ihnen auch“, verabschiedete ich mich, von Marias Freundin.

Ohne mich nach meinen Kollegen umzudrehen, verließ ich die Wohnung der Fuchsbergers und überließ ihm den Rest der Arbeit. So wie ich es ihn diesen Fällen immer machte. Die Kollegen aus der Soko Tiranus wussten, dass ich mit den nachfolgenden Formalitäten überhaupt nicht vertraut war. Da das alle Arbeiten waren, die im Anschluss der jeweilige Einsatzleiter für uns übernommen hatten. Wir hatten gar keine Ahnung davon, was für ein Rattenschwanz an Arbeit eine Festnahme nach sich zog und welche Behörden im Anschluss einzuschalten waren. Während unserer Ausbildung hatten wir das zwar einmal gehört und wussten es theoretisch auch, hatten dieses Wissen aber nie in der Praxis angewandt.

Also ließ ich meinen Kollegen den Rest der Arbeit erledigen. Ronny klärte noch mit den Frauen ab, dass morgen die zuständigen Kollegen kommen würden, wegen der Anzeige, dann verließ auch er die Wohnung der Fuchsbergers und die beiden Frauen.

Kapitel 7

Sobald Ronny im Toniwagen Platz genommen hatte, gab er den Befehl zu fahren. Eine viertel Stunde fuhren wir quer durch Gera, obwohl nur wenig Verkehr war.

Kaum, dass wir an der Wache hielten, verließ ich den Wagen und lief hinein in die Wache. Ich wollte nur duschen und nach Hause. Am Bereitschaftsraum vorbei ging ich hinter zu den Spinden, räumte meine Waffen auf und zog mich aus.

Plötzlich wurde mir schwarz vor den Augen. Ich ging in die Knie. Nur im Bustier und Turnhose begleitet, kniete ich vor meinem Spind und japste krampfhaft nach Luft. Verdammt, was war nur los mit mir, das Fieber war schon wieder so weit oben 60,7°C.

Ronny der erschrocken sah, wie ich zusammenklappte, kam auf mich zugeeilt und wollte mir auf die Beine helfen, um mich in die Sanistube zu bringen. Ich drückte ihn weg. Der Teamchef des Beta-Teams wollte mir unbedingt helfen, begriff nicht, dass ich keine Hilfe brauchte, nur etwas Ruhe.

„Kahlyn, komm ich helfe dir ins Bett.“

Etries. Lass mich in Ruhe“, flüstere ich leise, aber er nahm es nicht wahr.

Immer wieder versuchte er mich hoch zu heben, jedes Mal, schob ich ihn wieder weg. Warum nur begriff er nicht, dass er mich in Ruhe lassen sollte. Immer wieder flüsterte ich, zu mehr war ich nicht in der Lage.

„Kahlyn, bitte“, flehte er mich an und fasste wieder unter meine Achseln, um mich hoch zu heben.

Etries. - Lass mich in Ruhe.

„Kahlyn, ich will dir doch nur helfen“, beschwor er mich zum Schluss, seine Hilfe anzunehmen.

Ich brauchte keine Hilfe, sondern nur ein paar Minuten Ruhe. Nach fünf Minuten, rastete ich aus völlig aus, fing an nach dem Störenfried, der mir meinen letzten Nerv raubte, zu schlagen und zu treten und schrie ihn böse an.

Raiko, etries. Nisön, granima. - Du bist böse, lass mich in Ruhe. Du kannst mir nicht helfen.“

In dem Moment kam Rudi, der bei Doko Karpo auf mich gewartet hatte und durch die Wachstube informiert wurde, in den Bereitschaftsraum.

Er rief erschrocken seinem Kollegen zu. „Ronny, höre auf, lass Kahlyn in Ruhe. Du treibst sie in die Ecke.“ 

Raiko, etries. Nisön, granima. - Du bist böse, lass mich in Ruhe. Du kannst mir nicht helfen“, brüllte ich ihn wieder an.

Jedes Wort folgte ein Tritt und ein Schlag, in einer kaum vorstellbaren Geschwindigkeit, schlug ich auf den Kollegen ein. Ronny blieb erschrocken stehen. Versuchte den Tritten und Schlägen auszuweichen, was bei diesem Tempo, aber kaum möglich war.

„Ronny, raus mit dir! Los raus aus dem Raum! Geh! Lass sie in Ruhe! Bevor sie dich schwer verletzt.“

Ronny versuchte sich zurückzuziehen, was gar nicht so einfach war.

„Rashida, Nikyta, rashida“, versuchte Rudi mich zu beruhigen.

Endlich ließ ich von Ronny ab, weil ich merkte, dass er sich von mir zurückzog. Ich lief an meinen Spind, setzte ich mich einfach auf die Erde, schaukelte hin und her. Ich versuchte mich krampfhaft zu beruhigen und legte den Kopf in den Nacken.

Ronny kam wieder vorsichtig in den Raum zurück.

„Rudi, was war das denn? Ich wollte sie doch nur in die Sanistube bringen. Was hat sie gesagt? Verdammt, schlägt die zu“, Ronny rieb sich die Rippen.

„Ronny, wie oft soll ich dir noch sagen, du sollst Kahlyn in Ruhe lasse. Sie sagt, wenn sie Hilfe braucht. Auf diese Weise treibst du sie in die Ecke. Nach Einsätzen lasse Kahlyn erst Duschen gehen, wenn sie reden will, verdammt noch mal, redet sie von alleine mit dir. Aber so bekommst du nichts als Schmerzen.“

Ronny nickt immer noch schwer nach Luft ringend. „Tut mir leid. Sie ist zusammen gebrochen. Ich wollte ihr doch nur helfen.“

Rudi verdrehte die Augen. Er wusste ja selber, wie schwer das oft mit mir war.

„Was hat sie da gebrüllt? Was ist das für eine Sprache?“

„Ronny, die Kinder von Kahlyns Schule, haben eine eigenen Sprache entwickelt. Sie hat, wenn ich das jetzt richtig verstanden habe gesagt. „Lass mich in Ruhe, höre auf mich zu zwingen. Du kannst mir nicht helfen, lass los.“ Ronny du musst Kahlyn in Ruhe lassen, die Kleene ist im Moment total fertig. Mensch ihr ging’s vorhin grad mal wieder gut. Was ist mit dem Buben?“, stellte Rudi jetzt die Frage, die ihm am meisten beschäftigte.

„Der war schon zweiundzwanzig Stunden Tod, als ihn Kahlyn fand.“

Rudi raufte sich die Haare. „Verdammt. Kein Wunder, dass sie so schlecht drauf ist.“

Da sah er, wie ich aufstand und schwankend mich am Spind festhielt. Ich zog mich fertig aus und ging duschen. Es war kurz vor 1 Uhr. Ganze fünfzig Minuten später, so lange stand ich unter der Dusche, damit ich wieder klar denken konnte, kam ich heraus.

„Rudi, kannst du mir helfen, bitte“, wandte ich mich an meinen Freund.

Alle anderen ignorierte ich. Rudi kam sofort auf mich zu. Er erschrak als er meinen Rücken sah, dieser war wieder schlimmer geworden, fast dunkelrot hatte er sich verfärbt. Er verstand es nicht. Vorsichtig rieb er meinen Rücken ein.

„Rudi nehm bitte mehr Salbe, trag sie großzügiger auf.“

Er half mir beim Verbinden, ich schmierte noch meine Beine ein, ich verstand nicht, dass es so entzündet war. Aber ich war einfach zu müde. Im Anschluss verband ich auch noch meine Beine. Sofort zog ich mich an, damit fertig nahm ich meinen Koffer und ging auf Ronny zu. Der ziemlich zerbeult am Tisch saß und sich die Rippen rieb.

„Tut mir leid Ronny, das wollte ich nicht. Bitte lasse mich nach einem Einsatz einfach in Ruhe. Ich habe dir das doch gesagt. Ich hab dich immer wieder weg geschoben, was soll ich denn sonst noch machen. Verdammt, wenn ich Hilfe brauche, sage ich euch das. Los zieh dich aus, ich will gucken, ob ich dir etwas kaputt gemacht habe.“

Ronny wollte diskutieren, da brüllte ich ihn an. „Verdammt noch mal, Ronny. Mir geht es beschissen. Höre endlich auf zu diskutieren. Ich will ins Bett, ausziehen jetzt und zwar sofort.“

Ronny sah mich erschrocken an, machte seinen Overall auf und zog ihn herunter. Vorsichtig untersuchte ich ihn, Gott sei Dank war nichts Schlimmes passiert. Er hatte tüchtige Prellungen, eine Rippe war angeknackst. Verdammt, warum musste er mich auch so in die Ecke drücken. Ich nahm eine spezielle Salbe aus meinen Koffer, damit rieb ich ihm die Prellungen ein. Dann schnitt ich eine Tyronplatte zu, fixierte sie über der angebrochenen Rippe, nach dem ich sie eingeweicht hatte und machte einen Verband darum. Zog drei Einheiten B23 auf.

„Rudi, mach das Licht aus“, befahl ich kurz angebunden.

Fast sofort war das Licht aus. Ich erhitzte die Spritze und wartete ab bis sie soweit ausgekühlt war, so dass ich sie spitzen konnte.

„Du kannst wieder anmachen“, gab ich Bescheid. Gab gleichzeitig Ronny die Spritze.

„Ronny, tut mir leid, eine Rippe hab ich dir angebrochen. Ich lasse dir die Salbe da. Sven soll dir dreimal am Tag, die Blutergüsse damit einreiben und wieder die Binde drauf machen, die Tyronplatte soll er lassen, wo sie fixiert ist. Duschen kannst du damit. Wenn du Schmerzen bekommst, soll dir Doko Karpo B32 und A13 spritzen. Wenn du einen Einsatz hast, soll er dir 10 Spritzen von beiden mitgeben, die kann dir Sven intravenös spritzen. Das nächste Mal, lässt du mich einfach in Ruhe, dann passiert sowas nicht.“

Damit zog ich noch eine Spritze mit B32 dem Schmerzmittel und eine A13 auf, damit er besser Luft bekam. Spritzte es wie gewohnt in die Halsschlagader.

„Gute Besserung, tut mir echt leid.“

An Rudi gewandt. „Bitte Rudi, können wir heimfahren, ich will einfach nur schlafen. Mir geht es total beschissen.“

Rudi nickte. „Komm“, meinte er kurz und nahm mir meinen Medi-Koffer aus der Hand. Als er gerade losgehen wollte, zog es mir einfach die Beine weg. Krampfhaft versuchte ich mich am Stuhl festzuhalten, ging aber dann doch in die Knie. Mühsam holte ich Luft. Ich konnte kaum atmen.

Rudi hockte sich neben mich. „Soll ich Jens holen Kleene.“

Ich schüttelte den Kopf. „Drö, Junufu. Halt mich, ich bekomme keine Luft.“

Rudi sah mich erschrocken an. „Wieso kannst du nicht atmen, Kleene?“

Wie sollte ich ihm das erklären, wenn ich keine Luft bekam. „Jawefan“, hauchte ich mehr, als das ich sprach.

Schon klappte ich zusammen. Rudi wollte sofort beatmen, als ihn Ronny zurück hielt. Wenigstens er hatte aufgepasst.

„Rudi, das ist doch das, was sie nach der Sache mit Conny gemacht hatte. Lass sie.“

Kaum drei Minuten später, hatte ich mich wieder unter Kontrolle. Das Jawefan, hatte mir über die Atemnot hinweg geholfen. Ich musste unbedingt zur Ruhe kommen. Ich lief weit übern Limit. Langsam öffnete ich die Augen.

„Tut mir leid Rudi“, hauchte ich, als ich seinen entsetzen Blick sah.

„Schon gut, ich war nur so erschrocken. Geht es wieder Kleene. Du musst endlich Ruhe haben. Ronny für die Kleene keine Einsätze mehr, in den nächsten Tagen.“

Ronny nickte. Vorsichtig halfen Rudi und Ronny mir auf die Beine. „Ronny, holt bitte einen Toniwagen, mein Auto hole ich morgen. Komm Kleene, schön langsam.“

Er fasst mich um meine Taille und zog den Arm über seine Schulter. Führte mich so stützend in Richtung Wachstube, hinaus aus der Wache. Kaum, dass wir die Stufen der Wache, hinunter gelaufen waren, kam schon ein Toniwagen angefahren. Rudi half mir in den Wagen und setzte sich auf die andere Seite.

„Jungs, bitte gebt Gas, macht einfach das Blaulicht und die Sirene bis kurz vor die Siedlung an. Die Kleene muss schnellstmöglich ins Bett, der geht es gar nicht gut.“

Sofort fuhr der Fahrer los. Keine neun Minuten später, stiegen wir vor Runges Haus aus. Jo von der Wache informiert, stand draußen am Zaun und half mir in dem er mich einfach auf den Arm nahm, ins Haus. Er trug mich die Treppen hoch ins Bett. Nur mit Hilfe schaffte ich es noch die Schuhe, Jacke, T-Shirt und Hose auszuziehen, schon lag ich im Bett, mühsam nach Luft ringend. Ich war so verdammt müde. Verdammt das Fieber stieg immer mehr. Ich musste unbedingt schlafen, ging es mir durch den Kopf. Rudi nahm mir die Brille ab und deckte mich zu.

„Ich bleibe bei Kahlyn, kannst du mir einen Kaffee hochbringen bitte“, bat er seinen Freund Jo, der nickte.

Ich tastete nach Rudis Hand. Ich brauchte etwas, woran ich mich festhalten konnte. Ich bekam eine Panik wie noch nie in meinem Leben. Das stimmte nicht so ganz, einmal hatte ich schon solche Angst. Diese Angst ins Bodenlose zu fallen kannte ich. Vor fast sechszehn Jahren, hatte mich der Doko mal ausversehen vergiftet, damals ging es mir genauso schlecht.

Rudi setzte sich aufs Bett und zog mich einfach in den Arm. Das beruhigte mich etwas, langsam bekam ich wieder besser Luft, ich wurde ruhiger und schlief ein. Tiefe kräftige Atemzüge, hörte man nach einer halben Stunde. Rudi atmete erleichtert auf. Ihm war gerade Himmel angst und bange geworden, genau wie mir. Ich musste das unbedingt in den Griff bekommen, so ging das nicht weiter. Es war halb drei Uhr in der Früh, als ich in einen erholsamen Schlaf fiel. Um 3 Uhr ließ mich Rudi langsam ins Bett rutschen. Leise zog er seine Schuhe, seine Hose und die Jacke aus. Aus der Betttruhe holte er sich eine zweite Decke und legte sich einfach neben mich. Er hatte Angst mich alleine zu lassen. So bekam er wenigstens mit, wenn etwas mit mir war.

 

 

 

Am nächsten Morgen gegen 9 Uhr wachte Rudi auf, neben ihn lag ich immer noch tief und festschlafende. Vorsichtig fühlte er den Puls und die Temperatur. Beides empfand er als viel zu hoch. Leise stand er auf, zog sich an und lief hinunter in die Küche. Viola, Jo und Tim waren beim Frühstücken.

„Guten Morgen ihr Drei“, grüßte Rudi und lief weiter nach hinten in Jos Büro. Kurz entschlossen griff nach dem Hörer.

„Jens, hier ist Rudi, sag mal hast du dann mal Zeit, nach der Kleenen zu sehen? Ihr ging es gestern nach dem Einsatz total schlecht. Ich bin erst beruhigt, wenn du mir sagst das alles in Ordnung ist, bitte“, bat er flehend am Telefon. „Ich hatte eine Heidenangst, um die Kleene gehabt. Kahlyn hat kaum noch Luft bekommen, ich dachte sie stirbt mir unter der Hand weg. Sogar ins Jawefan ist sie gegangen.“

Karpo raufte sich die Haare, am anderen Ende der Leitung „Verdammt, kommt die Kleine nicht endlich mal zur Ruhe. Ich komme gleich mal vorbei.“

Rudi atmete erleichtert auf. „Jens, guckst du dann bitte auch mal nach Ronny, der hat die Kleene gestern in die Ecke getrieben, hat tüchtig Prügel bezogen. Aber er war selber schuld.“

Karpo lachte. „Hab ich heute früh schon beim Frühstück erfahren. Ihm geht es aber gut, selbst die Rippen tun kaum noch weh. Kahlyn hat das gut hinbekommen, mache dir keine Sorgen.“

Erleichtert legte Rudi auf und verließ das Büro von Jo. Lief tief Luft holend vor zu seinen Freunden. Gab Tim erst einmal einen dicken Kuss und nahm sich eine Tasse Kaffee.

„Ich bin oben bei der Kleenen, wenn Jens kommt, bringe ihn gleich hoch. Ich habe erst Ruhe, wenn der mir Entwarnung gibt.“

Schon war er an der Treppe und kam wieder hoch zu mir. Im Zimmer stellte er erleichtert fest, dass ich immer noch tief und fest schlief. Kaum zwanzig Minuten später kam Karpo in das Zimmer, begleitet von Jo. Karpo kam sofort an mein Bett und untersuchte mich gründlich. Ich hatte extrem hohes Fieber 60,9 °C auch Blutdruck und Puls 255/195 waren viel zu hoch.

„Jens ihr Rücken und die Beine sind glaube ich, wieder schlimmer geworden, schaust du dir das auch mal an.“ Karpo stöhnte.

„Da müsst ihr mir helfen, stütz sie einfach, damit ich den Verband abwickeln kann.“ So vorsichtig wie möglich, wickelte er die Verbände ab, der Rücken sah um einiges besser aus.

„Jens gestern Abend war der dunkelrot, jetzt sieht das viel besser aus.“

Karpo nahm das nickend zur Kenntnis. Vorsichtig trug er mit einem Spachtel die Salbe auf und verband den Rücken neu. Dann legten die Männer mich ins Bett, vorsichtig wurden jetzt auch die Beine neu verbunden, auch dort waren die offenen Wunden am heilen. Nichts reinweg gar nichts, hatte ich mitbekommen, schlief einfach weiter.

„Rudi, wann hat sich Kahlyn das letzte Mal N91 gespritzt.“

Rudi überlegte, er wusste es nicht genau. „Ich glaube gestern Nacht, nach dem Einsatz. Seit dem sie hier ist, auf alle Fälle nicht mehr.“

Karpo war sich unschlüssig, deshalb entschloss er sich Jacob anzurufen. „Jo, sag mal, kann ich Fritz mal anrufen, ich bin mir immer noch nicht sicher, mit den hohen Temperaturen bei der Kleinen, die machen mich immer ganz wirr im Kopf.“

Runge zeigte auf die Tür. „Komm, rufen wir ihn an.“

Gemeinsam verließen die beiden den Raum. Ich drehte mich zusammengerollt auf die andere Seite und schlief einfach weiter. Es dauerte keine zehn Minuten da erschien Karpo wieder im Zimmer.

„Rudi, ich habe gerade mit Fritz gesprochen. Er ist der Meinung, wir sollen gar nichts machen. Nichts spritzen, keine Umschläge, wir sollen die Kleine einfach in Ruhe lassen. Sollen nur dafür sorgen, dass Kahlyn endlich einmal richtig schlafen kann. Er ist der gleichen Meinung, wie wir auch, dass Kahlyn am Limit läuft. Das einfach ein Punkt erreicht ist, wo sie einmal richtig erholen muss. Der Körper richtet das, was nicht in Ordnung ist, von ganz allein. Die Entzündung am Rücken, die du gestern gesehen hast, ist ein Heilprozess. Das muss so sein. Das Fieber kommt von der Heilung, der zu hohe Blutdruck und der Puls, kann von der Überbelastung kommen. Das gibt sich in ein paar Tagen. Es kann sein, dass sie eine ganze Woche durchschläft. Wir sollen bedenken, was sie die letzten fünf Monate durchgemacht hat. Eventuell könnte es passieren, dass sie mal kurz munter wird, aber dann gleich weiterschläft. Vielleicht nur, um etwas zu trinken. Wir sollen ihr Wasser nebens Bett stellen. Aber Sorgen, müssten wir uns nicht machen, wenn sie so ruhig schläft. Also Entwarnung auf der ganzen Ebene, lassen wir sie einfach schlafen.“

Erleichtert atmete Rudi auf. Dem Himmel sei Dank, vielleicht kommst du jetzt endlich etwas zur Ruhe. Vorsichtig deckte er mich noch einmal zu und legte mir die beiden Teddys in den Arm.

„Na dann, lassen wir sie mal schlafen“, gab er erleichtert die Anweisung das Zimmer zu verlassen und drehte sich, um lief zur Tür.

Mit einem letzten Blick auf mich, verschwanden Rudi und Karpo ebenfalls aus dem Zimmer. Ich jedoch schlief mich richtig gesund, mein Körper hatte sich wieder einmal die notwendige Ruhe eingefordert, die er zur Genesung brauchte, richtige Ruhe. Ich verschlief den ganzen Tag, auch die nächsten drei Tage ändert sich nichts daran. In einem tiefen, festen und traumlosen Schlaf, lag ich im Bett und erholte mich endlich etwas.

Rudi jedoch wurde immer unruhiger, dann auch Jo, zum Schluss wurde sogar Viola unruhig, drängte Rudi dazu Karpo anzurufen. Ich schlief jetzt schon seit vier ganzen Tagen. Am Morgen des 23. September saßen Rudi, Jo und Viola schon sehr früh nämlich um 7 Uhr 30 am Frühstückstisch. Jenny und Tom waren gerade in die Schule gefahren, Tim schlief noch, aber Kahlyn auch.  

„Rudi, ich mache mir jetzt auch langsam Sorgen, ich war gerade oben bei Kahlyn, sie schläft immer noch tief und fest. Das Mädchen hat jetzt seit acht Tagen nichts gegessen und ewig nichts mehr getrunken. Das ist doch nicht normal, auch wenn bei ihr alles anders ist. Wollen wir nicht doch noch einmal Jens anrufen?“

Viola schaute besorgt, zu den beiden Männern. Rudi sprang sofort auf und lief hinter in Jos Büro, wählte die Nummer von seinem Truppenarzt.

„Wehrkreiskommando Gera II, Oberstleutnant Doktor Karpo, Schwester Silvia am Apparat, was kann ich für sie tun?“, meldete sich die Sprechstundengehilfin von Karpo, ordnungsgemäß.

„Silvia, kannst du mich bitte mit Jens verbinden, hier ist Rudi von der Wache“, antwortet Rudi sofort.

„Hallo Rudi, ja mach ich sofort. Ist etwas passiert?“ Daraufhin hielt sie die Sprechmuschel zu, rief laut.

„Jens, kommst du bitte mal, Rudi will etwas von dir.“

„Silvia, die Kleine schläft jetzt seit über vier Tagen, das ist doch nicht normal“, erklärt Rudi besorgt.

Er wollte gestern oder besser gesagt vorgestern schon anrufen, aber Viola meinte Jenny hätte auch mal drei Tage am Stück geschlafen, als sie krank war.

„Rudi was ist los?“ Meldete sich Karpo plötzlich.

„Dem Himmel sei Dank, Jens, bitte kannst du schnell noch einmal her kommen. Bitte, wir machen uns wirklich Sorgen, um Kahlyn, sie schläft immer noch. Das ist doch nicht normal. Auch, wenn Fritz gesagt hat. Das es schon mal sein kann“, informierte Rudi Karpo mit besorgt klingender Stimme.

Karpo war entsetzt. „Wie sie schläft immer noch?“ Karpo war völlig verwirrt. „Sie ist noch nicht aufgewacht?“

Rudi erzählte ihm, dass sie jetzt schon fast vier Tage am Stück schläft, ohne etwas getrunken zu haben oder gegessen zu haben. Karpo schüttelte den Kopf. „Rudi, ich komme gleich mal vorbei, ich rufe aber vorher Fritz an. Er hat mir gesagt, dass das schon mal passieren kann, so fertig wie die Kleine war. Könnte das schon fast verständlich sein. Aber ich frage ihn einfach noch einmal. Bis gleich dann.“

Beunruhigt legte Karpo auf. Der Truppenarzt wählte sofort, die Nummer von seinem Kollegen Jacob. Er kannte dessen Rufnummer jetzt schon aus dem Kopf, sooft hatte er in letzter Zeit bei den Jacobs angerufen, dass er diese Nummer nie wieder vergessen würde. Kaum hatte er die letzte Zahl gewählt, meldete sich die Stimme von Anna.

„Bei Doktor Jacob“, kam eine freundliche Rückmeldung.

„Anna, hier ist Jens Karpo, kann ich Fritz bitte mal kurz bekommen“, bat Karpo im ebenso freundlichen Ton.

„Jens, ist etwas mit Kahlyn?“ Kam die erschrocken Frage von Anna. Bevor Karpo antworten konnte, rief sie schon laut. „Fritz, komm schnell ans Telefon, Jens ist am Apparat.“

Karpo antwortete. „Anna, das weiß ich nicht, wir kennen Kahlyn doch nicht so genau wie ihr, ich wollte mich nur rückversichern, nicht, dass ich etwas falsch mache.“

„Ach so“, erleichtert atmet Anna auf.

„Jacob. Jens, was ist mit der Kleinen“, wollte Jacob sofort wissen.

„Fritz, ich weiß nicht ob etwas mit der Kleinen ist. Rudi rief mich gerade ganz aus der Spur an, die Kleine schläft jetzt seit Freitag. Früh um 2 Uhr 30, da hatte sie Rudi ins Bett gebracht. Nachdem sie mehrmals nach einem Einsatz zusammengebrochen war. Sogar das Jawefan hat sie angewendet, weil es ihr so schlecht ging. Ich hatte dich ja um 10 Uhr angerufen. Fritz, die Kleine schläft immer noch, hat noch nichts getrunken und nichts gegessen, seit dem Morgen. Sie schläft einfach nur, das ist doch nicht normal. Wir haben jetzt Dienstag, das sind über vier Tage“, schilderte Karpo sein Problem.

Das schöne Lachen von Jacob, ertönte im Telefon, sogleich war Karpo beruhigt. „Jens, keine Angst, Kahlyn verdurstet erst nach drei Wochen, auch dann, wenn sie hochfiebrig ist. Sie schläft sich gesund. Wenn sie so lange schläft, vor allem so fest, dann vertraut sie euch. Endlich ist sie bei euch zu Hause angekommen. Macht euch keine Sorgen, sie schläft sich einfach gesund. Aber, wenn es dich beruhigt, messe Fieber, Blutdruck und Puls. Verbinde sie einfach noch einmal. Wenn du damit fertig bist, rufst du mich noch mal an. Dann sage ich dir, wie lange sie ungefähr noch schläft“, macht er seinem Kollegen den Vorschlag.

Der war jetzt einigermaßen beruhigt. „Das mache ich. Ich fahre gleich zu Rudi und sehe nach ihr. Ach das ist so schlimm mit der Kleinen, nichts ist bei ihr so, wie ich es kenne, einfach schlimm. Jedes Mal Fritz bekomme ich Panik. Sei mir nicht böse.“

Wieder ertönte das schöne warme Lachen, von Jacob. „Jens, glaube mir, ich bin dir nicht böse. Ich weiß doch nur zu genau, wie es dir geht. Was denkst du, wie oft ich bei den Kindern in Panik geraden bin. Nur hatte ich das Glück, dass ich Kahlyn oder Rashida in der Nähe hatte, die mich dann immer beruhigt hatten. Sie sagten dann immer zu mir. „Keine Angst Doko, da ist nichts, die müssen nur mal richtig schlafen, beruhige dich.“ Zwei Wochen später standen die Kinder urplötzlich, mit dem schönsten Lächeln, was wir je gesehen hatten auf. Streckten sich einmal richtig und gingen wieder zu den anderen und in den nächsten Kampf. Das sind nun mal andere Kinder, als wir sie kenne. Geh und untersuche sie. Du wirst sehen, es ist alles in Ordnung. Ihr Körper braucht einfach mal Ruhe.“

Karpo glaubte seinem Kollegen jedes Wort, was dieser ihm sagte. So oft, wie die beiden in den letzen Wochen telefoniert hatten, kannte er Jacob schon sehr genau. Er wusste, dass dieser sich keinerlei Sorgen, um seinen Schützling machte. Denn tat er das, hörte man das sofort an seiner Stimme.

„Dann bis später Fritz, ich rufe dich von den Runges aus an. Grüße an Anna bitte“, bat Karpo noch und legte er auf.

Wandte sich an Silvia. „Silvia bitte, den ersten Termin, habe ich um 10 Uhr, sorge bitte dafür, dass die warten. Ich beeile mich.“ Seine Sprechstundenhilfe nickte. „Geht klar Jens, ich sage denen, es ist ein Notfall. Geht es der Kleinen wieder schlechter?“, hakte Silvia besorgt.

Karpo lachte. „Nein, ich denke nicht, nur schläft sie jetzt schon so lange. Ich werde ja sehen. Wenn du es genau nimmst, ist es ja auch ein Notfall“, fügte Karpo noch dazu.

Er nahm seine Tasche und lief hinunter zu seinem Dienstwagen, fuhr eilig zu den Runges. Rudi stand schon draußen vor dem Tor und wartete auf ihn.

„Danke Jens, ich mache mir wirklich langsam Sorgen.“

Karpo klopfte den Freund beruhigend auf die Schulter. „Sie schläft sich bestimmt nur aus.“

Lächelnd folgte er Rudi ins Haus, der führte den Truppenarzt sofort hoch in mein Zimmer. Gründlich untersuchte er mich, stellte fest, dass ich immer noch etwas Fieber hatte 49,7°C, Blutdruck und Puls aber, waren fast normal 95/55. Dann wickelte er mit Rudis Hilfe die Verbände ab. Bis auf eine kleine Stelle, war mein Rücken abgeheilt. Dort trug er noch einmal dick Salbe auf, verband es noch einmal. Auch die Schussverletzungen im Brust und Bauchbereich, auch am Rücken waren abgeheilt. Zum Schluss sah er noch einmal, nach den offenen Stellen an den Beinen. Die waren komplett abgeheilt. Er war voll und ganz zufrieden. Vorsichtig, deckten die beiden Männer mich wieder zu. Ich rollte mich wieder zusammen und schlief mit meinen Teddys in den Armen einfach weiter. Ruhig und tief atmend. Karpo räumte die Verbände zusammen und nahm seine Tasche, gab Rudi ein Zeichen ihm zu folgen. Kaum aus der Tür meinte er.

 „Rudi, ich möchte Fritz noch einmal kurz anrufen, dann erkläre ich euch alles.“

Sender führte den Freund nach unten in das Büro und ließ ihn allein, kehrte zurück zu Viola und Jo. Gemeinsam warteten sie auf Karpo. Der kam keine zwei Minuten später, vor Freude strahlend zu den drei besorgten Freunden.

„Nun schaut nicht gleich wieder so ängstlich. Sie schläft sich gesund. Fritz ist voll und ganz zufrieden, mit den Vitalwerten, auch mit der Wundheilung. Ich soll euch ausrichten. Die Kleine ist bei euch angekommen, ihr hättet es geschafft, sie fühlt sich bei euch sicher und wohl. Er denkt morgen über den Tag, aber spätestens übermorgen, wird sie munter werden und nach Euch rufen. In ein oder zwei Tagen, ist sie wieder ganz auf den Posten. Wenn sie munter wird, hat sie nur das Problem, dass sie nicht eventuell zu schwach zum Laufen ist. Viola, du sollt ihr auf alle Fälle den ersten Tag, nur dreißig Gramm Nahrung geben und das viermal, aller vier Stunden. Wenn du hast Kamillentee, den trinkt sie gern und das schmeckt besser als Wasser. Den darauf folgenden Tag fünfzig Gramm Nahrung dreimal täglich. Also hat sie es jetzt geschafft. Ich denke jetzt wird es ruhiger, um die Kleine.“

Erleichterung stand auf allen Gesichtern.

„So, wenn ihr jetzt noch einen Kaffee habt, den trinke ich noch, dann muss ich los, ich habe Termine in der Praxis“, erklärte Karpo, auch sichtlich erleichtert, dass es seinem Sorgenkind endlich einmal etwas besser ging.

Dass es mir besser ging, sah er schon an meiner Hautfarbe, Fritz hatte es ihm einmal versucht zu erklären. Aber hatte er es nie verstanden. Jetzt wusste er aber, was dieser meinte. Ich habe normalerweise einen schönen milchkaffeefarbenen Teint, was er nie glauben konnte. Aber jetzt sah man das gut, auch wenn ich noch etwas blass um die Nase war. Die natürliche Hautfarbe, kam langsam aber sicher hervor. Ein schönes Gefühl dachte Karpo bei sich. Er überlegte gerade, wie viele Stunden er die letzten Tage, über meinen Akten zugebracht hatte. Nur um eine Möglichkeit zu finden, mir endlich zu helfen. Langsam aber sicher verstand er, warum Jacob damals diesen Job angenommen hatte. Es war eine echte Herausforderung und Forschungsarbeit ohne Ende. Durch die Unterlagen von Jacob inspiriert, hatte er sich jetzt ein kleine Labor eingerichtet, um einiges, was Jacob an Vorarbeit geleistet hatte, weiter zu entwickeln, es machte einen riesen Spaß. Er knobelte zu Zeit an einer Möglichkeit, für meine Kameraden und mich eine Notration zu entwickeln, etwas das Jacob schon vor Jahren aufgegeben hatte. Karpos Kenntnisse, im Bereich der fortgeschrittenen Ernährungswissenschaften, waren sehr viel umfangreicher als die von Jacob. Ihm kamen da einige Ideen, die er schon mit Jacob durchgesprochen hatte. Der fand zwei davon sehr interessant, deshalb würde er die Versuche weiterführen. Karpo schickte Jacob schon die dementsprechenden Unterlagen zu. So dass der Arzt unabhängig von Karpo, die Möglichkeiten nutzen konnte weiter zu forschen. Jacob hatte ja wesentlich mehr Zeit, als Karpo. Vielleicht gelang es ihnen ja gemeinsam, diese harte Nuss zu knacken und so dafür zu sorgen, dass wir unterwegs nicht immer hungern mussten.

  

Den ganzen Tag über schauten Jo, Viola, Rudi und auch Jenny ständig in mein Zimmer, ob ich aufgewacht war, doch ich schlief einfach weiter. Auch am darauf folgenden Tag, schauten alle in regelmäßigen Abständen, nach mir. Am späten Nachmittag, kurz vor halb sechs Uhr, schaute Jenny wieder einmal nach mir. Als die Tür sich öffnete, drehte ich meinen Kopf in die Richtung des Geräusches, was mich geweckt hatte. Jenny die meine Bewegung sah, kam erfreut zum Bett.

„Guten Abend Kahlyn, schön das du munter bist. Hast du Durst?“, fragte sie mich leise und streichelte dabei ganz lieb mein Gesicht.

Verschlafen sah ich sie an, drehte mich auf den Rücken und setzte mich hin. Sofort musste ich mich wieder hinlegen, das war zu schnell. Mir wurde schwindlig. Schnell schloss ich die Augen, allerdings antwortete ich.

„Hallo Jenny, wie geht es dir?“, wollte ich leise, von ihr wissen. „Ja, ich habe schrecklichen Durst“, beantwortete ich ihr Frage.

Langsam hatte sich mein Kreislauf beruhigt, ich öffnete die Augen und sah Jenny an.

„Kahlyn, was willst du gerne trinken Wasser oder Kamillentee?“

Einen Moment überlegte ich. „Tee, wäre schön.“

Jenny nahm ein Kissen von einer Truhe und half mir beim Aufsetzen. Stopfte es so hinter meinen Rücken, dass ich etwas aufrechter lag. Griff auf den Nachtisch und holte eine Tasse, half mir beim Trinken. Ach tat das gut. Ich hatte so einen Durst.

„Danke.“

Jenny stellte die Tasse zurück. Setzte sich einfach im Schneidersitz neben mich auf das Bett. „Geht es dir wieder besser Kahlyn? Ich habe mir große Sorgen gemacht.“ Neugierig griff sie nach Ruvijo und schaute ihn sich an. Fing an zu lachen, bevor ich antworten konnte, sagte sie noch. „Der ist aber süß.“

Ich nickte, suchte nach Inti, die noch unter der Decke lag, holte auch den zweiten Teddy hervor. „Mir geht es wieder besser. Guck mal, hier ist noch einer“, zeigte ich Jenny den anderen Bären und hielt ihr Inti hin.

Jetzt musste Jenny, noch mehr lachen. „Die sehen aus, wie Zwillinge.“

Sie nahm den Bären am Kopf und tat so, als wenn er den Kopf bewegen würde. Das sah total lustig aus. Der Bär hielt auf einmal den Kopf ganz schief und sah den anderen Bären an. Dann verstellte Jenny die Stimme, fragte mit einem Tiefen Ton.

„Wer bist du?“

Verwundert sah ich Jenny an.

Die lachte noch mehr. „Kahlyn, dein Teddy, muss jetzt antworten und sagen wie er heißt.“

Verwirrt schaute ich Jenny an, weil ich nicht wusste, was sie von mir wollte. Kurz entschlossen, nahm Jenny, Inti in die andere Hand. Verstellte ihre Stimme wieder in eine andere Tonlage, hielt auch von Inti den Kopf etwas schräg.

„Ich bin der Erdbeerbär und wer bist du?“

Ich schüttelte den Kopf, aber ich verstand jetzt, was Jenny meinte. Nahm ihr Ruvijo aus der Hand, schüttelte dessen Kopf, in dem ich ihn hin und her bewege.

„Du heißt nicht Erdbeerbär“, wies ich Inti zurecht, den dunklen Ton von Jenny imitierend. „Du heißt Frau Inti, vergesse das doch nicht immer.“

Jenny lachte mit ihrem Bären. „Und wer bist du, der Blaubeerbär?“

Wieder schüttelte Ruvijo den Kopf. „Ich bin Herr Ruvijo, ach bist du aber vergesslich, das weißt du doch.“

Dabei musste ich anfangen zu lachen, Jenny stimmte in mein Lachen ein. Ich fand das total lustig, was sie mit den Bären machte, so etwas kannte ich gar nicht. Jenny nahm mich in den Arm und gab mir einen Kuss.

„Für was ist der?“, wollte ich von ihr wisse. Ich war total irritiert, weil ich nicht dahinter kam, für was sie mir den Kuss gab.

„Weil du grade so schön gelacht hast. Es ist nicht schön, wenn du nie lachst.“

Ich sah sie an, streichelte ihr schönes Gesicht, vor allem ihr langes schwarzes Haar. Es sah schön aus.

„Du hast fast das gleiche Haar, wie ich“, hielt eine Locke ihres langen Haares an meine Stoppeln. „Na, wenn du dein Haar so lang hast wie ich, sind wir dann Zwillinge“, antwortete Jenny lachend. „Dann kaufen wir uns alle Sachen gleich und keiner weiß mehr, wer Jenny und wer Kahlyn ist“, spann sie kichernd, ihren Gedanken weiter.

Jetzt musste ich wieder lachen. „Jenny, ich bin doch viel dicker als du, uns wird nie jemand verwechseln“, gab ich lachend zur Antwort.

Jenny setzte sich hin und rieb nachdenklich ihr Kinn. „Dann muss ich so dick werden wie du.“

Da schüttelte ich verneinend den Kopf. „Oh nein lieber nicht, dann passt dir nie etwas. Ich bin immer zu klein, für meine Breite.“

Da ließ sich Jenny auf den Rücken fallen, sie bekam sich nicht mehr ein vor Lachen. Nachdem sie sich beruhigt hatte, setzte sie sich wieder auf.

„Jetzt glaube ich dir, dass es dir wieder besser geht. Du bist lustig, weißt du das“, Jenny musterte mich nachdenklich. „Sag mal Kahlyn, kannst du mir das beibringen, was du im Garten gemacht hast. An dem Tag, als du weggelaufen bist. Das sah total gut aus. Das ist bestimmt anstrengend. Aber ich finde, wenn man das kann, ist man im Turnen bestimmt gut. Ich bin nämlich ganz schlecht im Turnen.“

Ich sah Jenny erstaunt an. „Warum bist du schlecht im Turnen?“

Jenny zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich nicht Kahlyn, ich kann das einfach nicht.“

Ich zog, die traurig guckende Jenny in meine Arme. „Bald bist du darin richtig gut. Ich lerne dir das. Aber nicht heute, so gut geht es mir noch nicht. Sag mal Jenny, hilfst mir runter ins Bad? Ich würde so gerne duschen, ich fühle mich irgendwie schmutzig und verschwitzt.“

Jenny lachte mich an. „Aber ganz langsam, vorhin warst du schon wieder ganz weiß im Gesicht, weil du zu schnell gemacht hast.“

Zustimmend lächelte ich Jenny an. Ich glaubte, ich mochte sie. „Ja ich mache ganz langsam. Kann ich noch einen Schluck Tee bekommen, bitte“, bat ich Jenny, weil die Tasse so weit weg stand.

Jenny ging auf die Knie, krabbelte zum Nachtisch und reichte mir die Tasse.

„Danke Jenny.“ Durstig trank ich die ganze Tasse leer. „Kannst du mir sagen, wie lange ich geschlafen habe“, fragte ich nachdenklich. Weil ich absolut kein Zeitgefühl mehr hatte. Das verwirrte mich total.

„Kahlyn, du hast über sechs Tage geschlafen. Wir hatten richtige Angst, um dich gehabt, weil du nicht mehr munter werden wolltest. Aber jetzt ist alles wieder gut. Du siehst jedenfalls aus, als ob du wieder gesund bist. Da wird Onkel Rudi sich aber freuen, der hat sich nämlich totale Sorgen gemacht, genau wie Mutti und Vati.“

Entsetzt sah ich Jenny an. „Was sechs Tage? Keine Wunder, dass es mir so schlecht ging. Na ja, jetzt ist es wieder gut. Tut mir leid ich wollte euch keine Sorgen machen. Ich habe jedenfalls kein Fieber mehr, vor allem aber nicht mehr diese wahnsinnigen Kopfschmerzen, die waren einfach nur noch die Hölle. Komm hilf mir bitte, ich möchte nach unter die Dusche.“

Diesmal ganz langsam, setzte ich mich auf und blieb einen Moment sitzen, griff nach meiner Brille. Achtete genau auf meinen Kreislauf. Wenn ich so lange geschlafen habe, war der Belastung gar nicht mehr gewohnt. Ich musste also, bei allem erst einmal sehr vorsichtig sein. Langsam nahm ich die Beine aus dem Bett, wieder blieb ich einen Moment sitzen. Dann stand ich auf. Buha, war ich zittrig. Mich hatte es doch ganz schön erwischt. Vorsichtshalber, setzte ich mich noch einmal aufs Bett. Jenny sah mich erschrocken an.

„Keine Angst Jenny, es ist nichts. Ich bin nur etwas wackelig, das geht gleich wieder.“

Jenny musterte mich ernst. „Soll ich Paps oder Onkel Rudi holen.“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, lass mal, ich will das alleine schaffen. Zur Not mit mehreren Pausen. Es nutzt mir nichts, wenn man mich trägt. Der Kreislauf, muss wieder in Schwung kommen und das geht nur wenn ich mich selber bewege. Es dauert nur ein bisschen. Wenn du keine Zeit hast, ich schaffe es auch allein“, sprach ich beruhigend, zu Jenny.

Die jedoch grinste mich frech an. „Ich habe Zeit bis morgen früh um 7 Uhr, dann muss ich in die Schu...“, erschrocken hielt sie die Hand, auf den Mund.

„Warum erschrickst du so, Jenny?“, erkundigte ich mich verwundert.

„Weil… na weil… na weil ich das mit der Schule gesagt habe“, erklärte sie mir stotternd.

Jetzt musste ich lachen. „Ach Jenny, ich weiß doch jetzt, dass dir in deiner Schule nichts geschieht. Ich mache jeden Fehler nur einmal. Aber weißt du, bei euch hier ist alles anders. Manchmal denke ich, dass das was ich kenne gelernt habe, irgendwie alles verkehrt war. Ich glaube, deshalb habe ich auch ständig Kopfweh. Vor allem, weil ich nicht verstehe, was ihr von mir wollt. Es ist schlimm. Ich dachte immer, ich war gut in der Schule und nicht gerade dumm. Aber ich verstehe oft nicht, was ihr mir sagen wollt. Ich verstehe zwar die Worte, aber ich kann einfach den Sinn nicht verstehen. Verstehst du was ich meine?“

Irgendwie war es ganz einfach mit Jenny darüber zu reden, so wie mit meinen Freunden aus der Schule. Jenny verstand irgendwie, was in mir vor ging und ich hatte nie Angst bei ihr etwas Falsches zu sagen. Fragend sah ich Jenny an, die zwinkerte mir zu.

„Ach Kahlyn das wird schon. Du fragst mich einfach, wenn du etwas nicht verstehst. Wenn ich es dir nicht erklären kann, dann der Paps oder Mutti oder Onkel Rudi. Na komm, versuchen wir es einfach mal“, bat sie mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „Die werden staunen, wenn wir beide die Treppe runter kommen.“

Jenny hielt mir die Hand hin. Ganz langsam stand ich auf und legte meinen Arm, um ihre Schultern, machte den ersten Schritt. Es ging, der zweite, der dritte. Ganz langsam liefen wir zur Tür und dann den Gang entlang. An der Treppe angekommen, musste ich Pause machen. Wir setzten uns beide, auf die oberste Stufe. Ich sah mir noch einmal die Fotos an.

„Du Jenny, wer hat die schönen Fotos gemacht?“, erkundigte ich mich einfach, weil ich etwas Zeit brauchte, um wieder Luft zu bekommen.

„Die hat Onkel John gemacht, der kann gut fotografieren.“

Verwirrt sah ich Jenny an.

„Na du warst doch hier mit Onkel John, als du das Bienchen geheilt hast.“

Mein John kann so schöne Fotos machen, das hätte ich nicht gedacht. Traurig sah ich auf meine Finger. Wie sehr ich ihn vermisste.

„Warum bist du traurig Kahlyn? Weil John nicht hier ist?“

Ich nickte verlegen. „Ja ich vermisse ihn“, erklärte ich ihr leise.

Jenny drückte mich. „Das glaube ich dir gerne. Nur kann der wegen Ramira nicht so oft hier her kommen, wie er gern möchte. Du musst wissen, ihr geht es nicht so gut. Aber ich glaube, am Samstag also übermorgen, kommen die Drei. Mutti und Paps haben die Geburtstagsfeier extra wegen den Dreien verschoben, weil Ramira ins Krankenhaus musste.“

Entsetzt schaute ich zu Jenny. „Was ist mit dieser Ramira? Wer ist das überhaupt?“ Ich sah Jenny verlegen, aber auch verwirrt an.

„Na Ramira ist doch die Tochter von John. Hat er dir nichts von ihr erzählt?“, stellte mir Jenny jetzt ganz verwirrt die Frage.

„Nein, hat er nicht. Aber Jenny mir ging es ja auch nicht so gut. War immer dann, wenn es mir einigermaßen gut ging im Einsatz. Er ist bestimmt nicht dazu gekommen. Aber, was ist mit dieser Ramira, dass sie in ein Krankenhaus muss. Vielleicht kann ich ihr auch helfen, wie dem Tim“, erkundigte ich mich bei meiner kleinen Freundin.

Innerlich kochte ich und war total wütend, weil mir niemand gesagt hatte, dass die Tochter, was immer das ist, von John, Hilfe brauchte. Musste ich eigentlich immer alles alleine heraus bekommen.

„Oh je“, rutschte es Jenny heraus und blickte mich entsetzt an. „Jetzt bekomme ich bestimmt Ärger. Das sollst du bestimmt nicht wissen. Bitte verrate mich bloß nicht. Ich wusste doch nicht, dass du das nicht weißt. Ramira hat vor zwei Jahren, einen schweren Unfall gehabt. Ich glaube mit einem Fahrrad. Seitdem ist sie blind. Sie kommt damit einfach nicht klar. Sobald etwas anders ist, als sie es kennt, wird sie hysterisch, fängt an zu schreien. Deshalb kann John nur, wenn es ihr wirklich gut geht, ab und an mal mit ihr hier her kommen.“

Mit einem Schlag wurde mir vieles klar. Ich begriff, warum John sich so oft, in mich hinein denken konnte. Er hatte das alles, bei dieser Ramira schon erlebt. Aber, warum hat er mir das nie gesagt? Ich überlegte, ob er schon einmal den Namen Ramira erwähnt hatte. Da fiel mir ein, damals wo es ums Spielen ging, da sagte er etwas über eine Ramira. Was sagte er damals nur? Plötzlich erinnerte ich mich. Er sagte. „Wenn ich dich besuchen komme, bringe ich dir Ramira mit. Auch wenn ihr nicht spielen könnt, sie ist aber eine ganz liebe.“ Deshalb kann sie nicht spielen. Ich muss unbedingt mit John schimpfen. Ich hätte ihr schon lange helfen können. Wenn nicht das gesamte Sehzentrum zerstört ist, kann ich alles wieder herstellen. Auch wenn es schwer werden würde, aber es ist bis zu einem bestimmten Grad wieder machbar. Vielleicht würde es nicht wieder so werden, wie vor der Blindheit, aber sie würde auf alle Fälle wieder sehen können. Jenny tippte mich an, sie schien mir etwas gesagt zu haben.

„Entschuldige Jenny, ich war gerade ganz in Gedanken. Ich habe dir nicht zugehört.“

Jenny schüttelte den Kopf. „Kahlyn, du kannst Ramira nicht helfen. Das kann niemand.“

Nachsichtig, streichelte ich Jenny über den Kopf. Ach was weißt du schon, über mich und meine Fähigkeiten. Die kennt ja nicht einmal unser Doko wirklich und der kennt mich schon solange ich existiere.

„Wir werden sehen. Auf die paar Tage, kommt es jetzt auch nicht mehr an. Aber, wenn sie am Samstag kommen, schaue ich mir diese Ramira einmal ganz genau an. Dann bekommst du auch keinen Ärger, Jenny. Weil so etwas, können sie vor mir nicht geheim halten. Bis dahin habe ich mich soweit erholt, dass ich ihr helfen kann. Kein Sorge, das bekomme ich genauso hin, wie das mit Tims Herzen.“

Jenny sah mich verwundert an. „Mit Tims Herzen? Das kann man nicht in Ordnung bringen, hat mir Mutti immer erklärt. Aber du hast recht. Seit dem du da warst, geht es Tim um vieles besser. Du hast ihn gesund gemacht? Du hast ihn wirklich gesund gemacht! Ich glaub es nicht. Na da wird der Doktor ja morgen staunen, Tim muss morgen zu einer Untersuchung“, staunend sah das Mädchen mich an. Auf einmal lächelte sie mich wissend an.

„Na komm Jenny“, antwortete ich stattdessen. „Gehen wir weiter. Sonst komme ich nie unter in der Dusche an. Es geht mir wieder gut.“

Jenny stand auf und ging eine Stufe nach unten. Vorsichtig zog ich mich am Geländer hoch, doch es ging nicht. Sofort setzte ich mich wieder, es war doch zu viel.

„Jenny kannst du, vielleicht doch lieber Rudi oder deinen Paps holen, die Treppe schaffe ich nicht ohne starke Hilfe“, bat ich jetzt meine kleine Freundin darum, Hilfe zu holen.

Ich hatte Angst die zierliche Jenny, bei einem Sturz, die Treppe hinunter zu reißen. Ich konnte mich abfangen, aber Jenny konnte das bestimmt nicht. Jenny nickte und lief sofort los. In der Küche saßen Jo, Rudi und Viola, bei einem Glas Wein.

„Onkel Rudi, kannst du bitte mal Kahlyn helfen. Wir sind bis zur Treppe gekommen. Aber die Treppe schafft Kahlyn nicht ohne Hilfe. Ihr ist schwindlig“, sagte sie schuldbewusst.

Rudi sprang sofort auf und lief zur Treppe. Dort sah mich oben sitzen. „Na meine Kleene, bist wohl doch noch nicht so fit, wie du dachtest“, neckte er mich lachend, kam hoch zu mir und setzte sich neben mich.

„Hallo Rudi. Na ja, du hast nicht ganz Recht. Ich hab nur Angst, wenn ich falle, dass ich Jenny verletzten könnte. Die ist doch nicht, so stark wie du.“

Da lachte Rudi schallend. „Na du erst wieder. Du verletzt dich nicht oder?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich kann fallen. Ich habe das ja schließlich einmal gelernt. Aber Jenny kann das nicht“, mit schiefgehaltenen Kopf, sah ich ihn an.

„Jetzt lachst du mich aus oder?“, fragte er immer noch lachend.

Da nickte ich einfach, das brachte mir ein Knuffer in die Seite ein. Rudi stand auf und zog mich auf die Beine. Wacklig stand ich da. Ich schloss schnell die Augen, verdammt, das war zu schnell.

„Rudi, ich muss mich noch mal setzen bitte“, schnaufte ich verlegen.

Rudi ließ mich wieder hinsetzen und hielt mich aber vorsichtshalber fest. Ich schwankte verdächtig hin und her. Ich hielt die Augen geschlossen und konzentrierte mich auf meine Atmung, langsam ging das Schwindelgefühl weg.

„Rudi, bitte nicht so schnell. Das verkraftet mein Kreislauf noch nicht.“

Diesmal schön langsam, half mir Rudi auf die Beine. Stufe für Stufe stieg ich die Treppe hinunter und gingen dann weiter nach hinten ins Bad. Dort setzte ich mich erst einmal auf den Hocker, der hier stand. Langsam zog ich mich mit Rudis Hilfe aus. Als sich mein Herzschlag beruhigt hatte, stand ich vorsichtig auf und ging in die Dusche.

„Danke Rudi, lass mich ein paar Minuten duschen bitte“, bat ich ihn leise und drehte die Dusche auf eine normale Temperatur und dann ganz langsam auf heiß. Vorsichtig wickelte ich den Verband ab, diesmal war alles in Ordnung. Oh tat das Duschen gut, jeder einzelne Muskel, war durch das lange Liegen verspannt. Langsam aber sicher, kam auch mein Kreislauf in Schwung. Auch wenn ich da noch ein paar Tage Schwierigkeiten haben würde, ging es mir richtig gut. Ich checkte, mit den Händen an der Wand stehend, meinen Körper durch. Alles war im grünen Bereich. Ich hatte kein Fieber mehr, das erste Mal seit Wochen, dass ich völlig Fieberfrei war. Meine Verletzungen waren alle vollständig abgeheilt. Es gab keine offenen Stellen mehr. Auch alle anderen Funktionen und Werte waren in den Bereichen, wo sie sein sollten. Ich war zufrieden. Das mein Kreislauf im Moment etwas ärgerte, war völlig normal. Wenn ich reichliche sechs Tage geschlafen hatten, durfte der das sogar. Innerlich lachte ich mich weg. Hilfe ich rede jetzt schon, mit mir selber. Na ja, vielleicht ist das normal, wenn man sich nicht mit anderen unterhalten konnte. Es klopfte, ich setzte die Brille auf.

„Herein.“

Rudi kam ins Bad. „Na Kleene fertig mit duschen? Du stehst jetzt schon, eine dreiviertel Stunde unter der Dusche. Langsam solltest du rauskommen, sonst haben die anderen dann kein Wasser mehr“, neckte er mich lachend.

Schnell seifte ich mich ein und spülte mich ab. Mich vorsichtig bewegend, kam ich aus der Dusche und nahm mir das Handtuch, das mir Rudi reicht. Trocknete mich ab und zog die Sachen an, die mir Rudi hingelegt hatte. Zusammen gingen wir in die Küche, Viola schaute mich lachend an, genau wie Jo. Ich glaube die beiden waren froh, dass ich wieder munter war. Wahrscheinlich waren sie es nicht gewohnt, dass jemand so lange schlief. Jedenfalls war es bei Doko und Dika immer so. Die bekamen immer richtige Panik, wenn von uns jemand so lange geschlafen hatte.

„Hallo Kahlyn, na hast du endlich ausgeschlafen, wir dachten schon, du machst Winterschlaf“, meinte Jo, mit seinem dunklen Lachen.

Sehnsüchtig, sah ich auf das Sofa. Rudi folgte meinem Blick und half mir das Stück noch, bis ich mich darauf setzen konnte. Ich war froh, dass ich wieder saß. So fit wie ich dachte, war ich doch noch nicht.

„Na, das duschen war wohl anstrengend, meine Kleene“, wollte Rudi wissen.

Ich nickte und rollte mich auf dem Sofa zusammen. „Ja.“ kam ziemlich kleinlaut, von meiner Seite.

„Dann ruh dich noch ein bisschen aus. Wir essen in einer halben Stunde, dann legst du dich oben wieder hin. Morgen geht das bestimmt schon besser“, machte Viola mir einen Vorschlag, den ich bestimmt nicht ablehnen würde. Sie kam zu mir und legte mir eine Decke über, gab mir einen Kuss auf die Stirn. „Ich bin so froh, dass du wieder auf den Beinen bist, Mädel. Ich habe mir langsam richtige Sorgen gemacht, weil du so lange geschlafen hast. Aber es hat dir gut getan. So strahlend, habe ich dich noch nie gesehen“, aufatmend ging sie zu der Anrichte und begann das Abendessen vorzubereiten.

„Viola, kann ich dann bitte, noch etwas zu trinken bekommen? Ich habe so einen Durst“, bat ich vorsichtig, bereit mich sofort zu entschuldigen.

Viola reichte Rudi eine Tasse Tee. Langsam setzte ich mich noch einmal hin und er drückte sie mir lachend in die Hand.

„Na, das ist kein Wunder, immer trinke meine Kleene.“

Gierig trank ich die ganze Tasse leer und reichte sie zurück, legte mich wieder hin. Jenny lachte mir zu und ging ihrer Mutti dabei zur Hand. Jo, Rudi und Tom halfen beim Tisch Anräumen und Tim kam zu mir aufs Sofa. Er legte sich zu mir und krabbelte unter meine Decke. Ich nahm ihn in den Arm, seine kleinen Hände wollen mir die Brille vom Gesicht ziehen.

„Tim, bitte nicht, das Licht tut meinen Augen ganz toll weh, dann bekomme ich wieder Kopfschmerzen.“

Sofort zog er sein Händchen zurück. „Dalyn, wa um had du so lane deslafen?“ Kuschelte sich ganz sehr an mich. „Is hab dis vermisst“, fügte er noch dazu.

Ganz lieb, streichelte ich ihm sein Gesicht. Es war schön zu sehen, dass es ihm wesentlich besser ging. Nur ganz war sein Herz noch nicht in Ordnung. Das musste ich irgendwann einmal noch machen.

„Tim, es ging mir nicht so gut. Ich war krank. Da wollte mein Körper einfach, ganz viel Schlaf haben, damit er gesund wird. Aber sag mal, wie geht es dir? Kannst du jetzt besser schlafen?“

Erkundigte ich mich bei dem kleinen Kerl, um ihn von dem Thema abzulenken, was er noch gar nicht verstehen konnte. Dika und Doko hatten mir erklärt, dass Kinder, die so groß sind wie Tim, ungefähr dem Alter entsprechen, in dem wir mit zwei Wochen alt waren, also war er noch richtig klein.

„Is slafe dut, tut au ga nimmer, weh beim slafen“, erklärte er mir mit einem ernsten

Gesicht. Etwas, dass mich dazu brachte zu lächeln. „Dann ist es gut, da haben wir zwei ja alles richtig gemacht.“

Tim drehte sich auf die Seite und schlang seinen Arm, um meine Taille, kuschelte sich ganz sehr an mich. Ach war das ein schönes Gefühl, so müsste es immer bleiben. Auf einmal hörte ich ein tiefes, ruhiges Atmen. Tim war eingeschlafen. Jo kam lächelnd zu uns.

„Kahlyn, ich bringe ihn hoch in sein Bettchen. Er hat schon Abendbrot gegessen. Er wollte nur warten, bis du kommst, als er hörte dass du aufgestanden bist. Normalerweise, liegt er schon lange im Bett.“

Jo nahm den festschlafenden Jungen, auf seinen Arm und trug ihn nach oben in sein Bett. Viola schaute den beiden kopfschüttelnd und ungläubig schauend, nach.

„Das ist einfach wie in einem Traum, Kahlyn. Es ist immer noch unvorstellbar für uns, dass so etwas bei dem Buben überhaupt möglich ist. Dass wir Tim irgendwo hinzubringen können, während er schläft. Vor reichlichen zwei Wochen, wäre das undenkbar gewesen. Anschließend hätte Tim stundenlang geschrien, als würden wir in umbringen wollen und hätte keinen Schlaf und keine Ruhe mehr gefunden“, erklärte mir Viola.

„Das glaube ich dir gern, Viola. Er hatte bei jeder Bewegung, die er versuchen wollte, wahnsinnige Schmerzen gehabt. Wenn ihr ihn so hättet nach oben getragen, wie es Jo jetzt gemacht hat, wäre er durch die Hölle gegangen. Im Anschluss hätte er über Stunden, schlimme Kopfschmerzen gehabt. Ich verstehe einfach nicht, dass kein Arzt je festgestellt hat, dass Tim eine Fehlhaltung des Kopfes hatte. Er hat den Kopf ganz schief gehalten. Dazu musste ich ihn, gar nicht untersuchen.“

Viola überlegte lange Zeit und suchte in ihren Erinnerungen. „Stimmt Kahlyn, wenn du das jetzt so sagst: Tim hat wirklich immer, solange er auf der Welt war seinem Kopf, etwas schief gehalten. Aber aufgefallen ist mir das nie. Na ich bin gespannt, was morgen bei der Untersuchung herauskommt.“

Jetzt lachte ich Viola an. Selbst die mit mir unerfahrene

Viola bekam mit, das mir der Schalk aus den Augen guckt. „Was ist Kahlyn, was guckst du so komisch?“

Verlegen schaute ich auf meine Hände, legte mich auf den Rücken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Der wird morgen sagen, dass ein Wunder geschehen ist und der Herzfehler sich verwachsen hätte. Er wäre sprachlos. So etwas hätte er noch nie erlebt, in seiner gesamten Zeit als Arzt. Dass er das nicht begreifen könne und er dafür keinerlei vernünftige Erklärung hätte. Aber es ist egal, als was er es bezeichnet. Hauptsache ist doch, dass es Tim wieder gut geht.“

Da nickte Viola lachend. „Rudi helf Kahlyn, mal bitte an den Tisch oder willst du lieber auf dem Sofa essen, Kahlyn?“, fragte sie mich dann.

Ich schüttle den Kopf. „Es wird schon gehen. Am Tisch isst es sich einfach besser.“ Vorsichtig setzte ich mich auf, immer noch war mir schwindlig. Eine ganze Weile, blieb ich noch sitzen, Rudi sah mich beobachtend an.

„Na Kleene, übernehme dich nicht gleich wieder“, meinte er besorgt.

Ich schüttelte den Kopf und hielt ihm meine Hand hin und zog mich langsam nach oben. Mich an Rudi festhaltend, lief ich die zwei Meter an den Tisch und war froh, sofort wieder sitzen zu können.

„Ich glaube es reicht für heute, ich möchte gern wieder ins Bett, dann nach dem Essen“, flüsterte ich Rudi zu.

„Das glaube ich dir gerne. Hoch ins Bett trage ich dich dann. Sonst hast du dich gleich wieder, überanstrengt.“

Ich nickte. Vor allem musste ich ehrlich zugeben, dass ich mir schon Sorgen gemacht hatte, wie ich wieder ins Bett hoch kommen sollte. Aus eigener Kraft, würde ich das nicht mehr schaffen.

„Danke Rudi.“ sagte ich ganz leise.

Viola stellte mir den Brei hin. 'Oh man hatte ich einen Hunger', ging es mir durch den Kopf. 'Wann hatte ich eigentlich, das letzte Mal etwas gegessen.' Das war an dem Tag, an dem ich vom Oberst zurück gekommen war. Das war schon ewig her. Genüsslich machte ich mich über die kleine Menge Brei her und hatte aber große Mühe, den Brei ganz aufzuessen. Da mein Magen, durch das hohe Fieber, was ich die ganze Zeit hatte, sehr gereizt war. Also ließ ich das, was ich nicht mehr mochte, einfach auf dem Teller.

„Danke Viola. Nicht böse sein, ich mag nicht mehr. Bevor ich dann alles wieder ausbreche, höre ich lieber auf“, erklärte ich ihr, weil sie schon wieder so besorgt aussah.

Da nickte sie. „Ist in Ordnung, das leuchtet mir ein. Aber in Ordnung bist du? Du siehst wieder so blass aus“, konnte sie sich nicht verkneifen zu fragen.

„Ja es ist alles in Ordnung. Es ist nur … ich weiß nicht wie ich es erklären soll… Ich bin fertig, als wenn ich einen schweren Einsatz hinter mir hätte“, gestand ich leise.

Rudi stand auf und kam um den Tisch herum. „Ach meine Kleene, das ist doch normal, du bist richtig krank gewesen. Da strengt das, was du grad gemacht hast, halt tüchtig an. Komm ich bringe dich nach oben. Da kannst du schlafen.“

Er griff mir unter die Achseln und nahm er mich einfach hoch, so dass ich meine Beine, um seine Hüften legen und die Arme, um sein Genick schlingen konnte. Trug mich wie einen Klammeraffen die Treppe hoch. In meinem Zimmer angekommen, setzte er mich aufs Bett.

„So meine Kleene, ich bringe dir gleich noch etwas zu trinken hoch, das stelle ich dir auf das Nachtischchel. Schlaf mal schön. Ich hoffe so sehr, dass du nun endlich zur Ruhe kommst. Guten Nacht meine Kleene.“

Rudi gab mir einen Kuss auf die Stirn. Ich legte mich hin und Rudi deckte mich zu und drückte mir die beiden Teddys in den Arm.

„Gute Nacht Rudi, danke für alles, ihr seid so lieb“, flüsterte ich.

„Guten Nacht ihr Drei, süße Träume“, sagte Rudi im Rausgehen, schon war die Tür zu.

Fast Augenblicklich schlief ich ein. Ein Gedanke ging mir noch durch den Kopf. Es war schön hier. Dann schlief ich wieder einen langen, Gesundheit bringenden Schlaf, der nur kurz unterbrochen wurde. Kurz nach 23 Uhr, sah Rudi noch einmal nach mir, verwundert stellte er fest, dass ich munter war.

„Na Kleene, schon ausgeschlafen?“, wandte er sich verwundert an mich.

Ich lächelte ihn an. Langsam setzte ich mich auf mein Bett, streckte ihm die Arme entgegen. Rudi setzte sich auch aufs Bett und ich lehnte mich an ihn.

„Nein Rudi, ich bin immer noch müde. Ich bin gerade munter geworden und kann aber nicht wieder einschlafen. Ich habe Hunger, der lässt mich nicht schlafen“, verlegen sah ich auf meine Hände.

„Na das ist doch schön. Warte einfach hier“, Rudi stand auf und ging nach unten in die Küche.

„Viola, Kahlyn ist wach und sie hat Hunger. Kannst du ihr etwas zu essen machen. Aber ich denke, sie sollte oben essen, sonst übernimmt sie sich gleich wieder.“

Viola stimmte Rudi zu. „Geh hoch zu ihr, ich bringe ihr den Brei ans Bett. Du hast recht, es strengt sie zu sehr an, wenn sie erst runter kommt.“

Nach der Dose mit dem Brei greifend, ging sie zum Herd. Begann Wasser zum erhitzen, um den Brei vorzubereiten. Rudi ging sofort wieder hoch, zu mir ins Zimmer. Er setzte sich auf mein Bett, wuschelte mir die Haare.

„Wie geht es dir heute?“, sah mich dabei musternd an.

„Viel besser als vor ein paar Stunden“, ich drehte mich nach der Tasse mit Tee um, Rudi war allerdings schneller.

„Hier meine Kleene“, reichte mir Rudi die Tasse. „Du siehst viel besser aus. Einen richtig gesunden Teint, hast du auf einmal. Das freut mich.“

Langsam trank ich den Tee aus und reichte Rudi die Tasse. „Mir geht es auch wieder viel besser, vor allem sind diese schlimmen Schmerzen weg. Rudi, es war nicht mehr zum Aushalten. Als ich von dem Einsatz von Jim wieder kam, dachte ich wirklich, ich muss sterben. So schlimm war es mit den Schmerzen. So etwas ist mir noch nie passiert, ich verstehe das alles nicht. Was ist nur los mit mir?“, verlegen sah ich den Freund an.

Rudi der die Tasse in der Zwischenzeit abgestellt hatte, zog mich in den Arm. „Ach Kleene, guck mal, das ist doch normal. Alles um die herum hat sich geändert, so viele Dinge sind nicht mehr so, wie du sie kennst. Ist es verwunderlich, dass du da irgendwann nicht mehr kannst. Wenn ich ehrlich zu dir bin. Ich glaube, ich hätte schon viel eher schlapp gemacht, als du. Nicht erst nach reichlich drei Wochen. Mach dir da mal keinen Kopf.“

Er streichelte mir über das Gesicht. Oh wie ich diese Geste mochte. Dika und Doko hatten das oft gemacht, sie hätten nie aufhören brauchen damit. Nie hätte ich gedacht, dass es noch andere Menschen geben würde, die das mit mir machen würden. Seitdem ich hier bin, machen das so viele Leute mit mir. Es war ungewohnt, aber total schön.

„Rudi“, begann ich leise.

„Was ist, meine Kleene?“, lächelnd traf mich sein Blick.

„Es ist schön hier. Kann es wirklich sein, dass es vorbei ist?“ Hoffnungsvoll blickte ich zu ihm hoch. Ich hatte mich auf seine Beine gelegt, so wie ich es oft bei meinen Freunden machte.

„Kleene, es ist vorbei. Der Mayer wird dich nie mehr schlagen. Das verspreche ich dir. Auch den anderen wird nie wieder jemand, ein Leid antun. Glaube es mir, es ist kein Traum. Es ist vorbei“, er zog mich hoch zu sich, so dass ich ihn in die Augen sehen konnte. „Kleene, du musst keine Angst mehr haben. Du darfst bei uns lachen und weinen. Du darfst bei uns sogar wütend werden. Sei einfach du selbst und vor allem sei endlich glücklich.“

Rudi drückte mich an sich und hielt mich einfach fest. Langsam legte ich meine Arme, um seinen Hals, drückte ihn ebenfalls ganz fest. Es war ein eigenartiges Gefühl, aber es war wunderschön.

Plötzlich ging die Tür auf und Viola stand mit meinem Essen da. „Dann lass es dir mal schmecken, Kahlyn. Ich hab dir aber nur eine kleine Menge gemacht. Doko meinte dreißig Gramm wären genug. Ich hoffe es reicht dir, sonst mache ich dir noch etwas nach.“

Schnell setzte ich mich auf und nahm ihr den Teller aus der Hand.

„Danke, du bist so liebe Viola, die Menge reicht vollkommen.“

Sofort fing ich an zu futtern, ich hatte richtiggehend Hunger. Es dauerte nicht lange, bis ich alles aufgegessen hatte. Das tat so gut. Endlich hatte ich nicht mehr, das riesige Loch im Magen. Ein warmes schönes Gefühl, durchzog meinen Körper. Viola stand auf und wollte meinen Teller nehmen, da ergriff ich spontan nach ihrer Hand. Zog sie zu mir aufs Bett, lege meine Arme, um ihren Hals und gab ihr einen dicken Kuss.

„Tut mir leid, dass ich dich erst nicht gemocht habe. Ich verstehe jetzt nicht mehr, warum das so war. Ich denke es war eine Art Zuckerschock. Du hast immer so komisch ausgesehen und so böse. Es tut mir leid wirklich“, flüsterte ich ihr ins Ohr.

Viola reichte den Teller Rudi zum Halten. „Ist schon gut meine Kleine. Du hast es aber auch schwer im Moment. Das ist auch gar nicht schlimm. Schließlich ist nur eins wichtig, dass es dir jetzt besser geht und du dich wohl fühlst. Wir werden uns schon noch, aneinander gewöhnen“, nickend und mit einem schönen Lächeln im Gesicht, gab sie mir einen Kuss auf die Stirn. „Dann schlaf noch ein bisschen, gute Besserung meine Kleine. Du bist ganz lieb.“ Immer noch lächelnd, stand sie auf und nahm den Teller.

„Rudi, lass sie noch etwas schlafen. Dann ist sie bald wieder richtig fit.“

Viola ging zur Tür und machte sie auf. Ich legte mich hin, rollte mich zusammen und zog die Decke über mich, schon schlief ich wieder tief und fest.

  

Den ganzen nächsten Tag verschlief ich. Samstagmorgen kurz vor 10 Uhr, wachte ich erholt auf. Noch im Liegen checkte ich mich durch, stellte erfreut fest, dass ich wieder ganz gesund war. Langsam setzte ich mich auf. Auch mein Kreislauf war wieder in Ordnung, das Essen vorgestern Abend hatte es gerichtet. Ich griff nach meiner Brille, die auf dem Schränkchen neben dem Bett lag und setze sie auf. Lief vorsichtig, die ersten Schritte in Richtung Tür. Mir ging es gut, so gut wie ewig nicht mehr. Eins irritierte mich etwas, ich wusste nicht wie spät es war. Das passiert mir nur sehr selten. Normaler Weise konnte ich mich gut auf meine innere Uhr verlassen. Aber die schien irgendwie durcheinander geraten zu sein. Das war aber nicht so schlimm, die bekam ich schnell wieder in den Griff. Zügig lief ich nach unten in Richtung Bad. Unten an der Treppe angekommen, sah ich Jenny und winkte ihr zu. Im Bad angekommen zog ich mich aus und stellte mich unter die Dusche. Ich genoss es zu duschen, es war immer wieder schön. Ich glaubte manchmal, es war das schönste hier in Gera. Das ich duschen zu konnte, ohne Zeitdruck. Geblendet schloss ich die Augen.

Viola kam ins Bad. „Guten Morgen du Schlafmütze. Ich lege dir mal neue Sachen her, damit du etwas Schickes zum Anziehen hast. Bis gleich.“

Sofort verließ sie wieder das Bad. Kein Wort, das ich zu lange geduscht hatte. Trotzdem wusch ich mich schnell, trocknete mich ab und zog mich an. Im Spiegel sah ich, dass meine Haare schon ganz schön lang waren. Ich musste mit Rudi mal reden, wo ich hier zum Haareschneiden hingehen musste. Verdammt ging es mir durch den Kopf, wo waren wieder meine Schuhe? Ich glaube oben im Zimmer, also lief ich noch einmal nach oben. Verwundert sah ich, dass schon jemand mein Bett gebaut hatte. Lachend sah ich auf das Bett, die beiden Bären lagen auf einem Kissen und sie waren mit einem zweiten Kissen zugedeckt. So, als wenn sie schlafen würden. Lustig sah das aus, kam es mir in den Sinn, das waren wirklich Schlafbären. Auf einmal musste ich lachen. Es war so schön hier, vielleicht durfte ich ja doch hier bleiben. Ach da standen meine Schuhe, ich schlüpfte hinein und band sie zu. Dann lief ich nach unten in die Küche. Ich kam gerade um die Ecke gelaufen, als ich einen Freudeschrei ausstieß, den glaube ich keiner von mir erwartet hätte.

„John.“

Ich lief los, John drehte sich zu mir um und sah mich angerannt kommen und hielt die Arme auf. Ich fiel ihn um den Hals. Mein John war da, mein lieber John, ach wie sehr hatte ich ihn vermisst. John hob mich einfach hoch, auf seine Hüften. Ich umklammerte mit den Beinen seine Taille und gab ihm einen Kuss. Erschrocken sah ich, dass eine dunkelhäutige Frau, meinem Tun mit einem ganz bösen Blick folgte.

John folgte meinem Blick. „Ach Carmen, schau nicht so böse. Das ist Kahlyn. Mäuschen, das ist meine Frau Carmen.“ Kurzentschlossen setzte er mich wieder auf die Beine.

„Entschuldigen sie Mam, ich hab mich nur so gefreut, als ich John gesehen habe. Ich hab ihn so lange nicht gesehen und total vermisst“, entschuldigte ich mich, die Frau sah mich immer noch ganz böse an.

Irritiert blickte ich zu Rudi, Jo und Viola. Aber die Lachten, alle.

„Carmen, du wirst doch nicht auf die Kleene eifersüchtig sein“, sagte Jo mit seinem dunklen Bass.

Da erst erwachte Carmen aus der Starre. Ich glaubte, ich hatte sie mit meinem Verhalten total schockiert. Das wollte ich nicht.

Auf einmal lächelte sie. „Nein, oh mein Gott, um Gottes Willen, nein ich bin nicht eifersüchtig auf Kahlyn. Ich war nur erschrocken, was die junge Frau mit meinem John macht“, auf einmal kam sie auf mich zu, instinktiv machte ich einen Schritt zurück und suchte Schutz in Johns Nähe. Weil sie gerade noch so böse geguckt hatte. Ich konnte die Frau nicht richtig einschätzen.

John legte den Arm um mich. „Mäuschen, vor Carmen brauchst du dich nicht fürchten. Sie ist ganz lieb, du hast sie nur erschreckt. Die hat nicht damit gerechnet, dass du so stürmisch sein kannst“, erklärte er lachend.

Vorsichtig, schielte ich zu John hoch.

Carmen hielt mir ihre Hand hin. „Guten Morgen Kahlyn, schön, dass ich dich endlich mal kennen lerne. John hat schon so viel von dir erzählt.“

Von einem zum anderen blickend, war ich mir nicht schlüssig, ob ich die Hand nehmen sollte.

John beugte sich zu mir herunter. „Du kannst sie ruhig nehmen, Carmen ist ganz lieb, glaube mir“, flüsterte er mir ins Ohr.

Da nahm ich Carmens Hand einfach. Ganz kalt war deren Hand, ich glaube sie war genauso unsicher und durcheinander, wie ich. Lange sah ich der Frau in die Augen und ins Gesicht, sie war bestimmt lieb. John mochte sie, dann hatte sie sich eine Chance verdient. Da fiel mir ein, dass ich mit John schimpfen wollte, wegen Ramira. So ließ ich die Hand los und drehte mich zu John um.

„John? Kann ich mal mit dir alleine reden, bitte“, sah ihn dabei ernst an.

Mein großer Freund nickte verwundert, weil er nicht wusste, was ich vorhatte. Ich nahm seine Hand und zog ihn einfach in den Garten und zum Schwimmbecken.

„Was ist den Mäuschen?“ John schaute mich erstaunt an, weil er keine Erklärung für mein Benehmen wusste.

„John, warum hast du mir nicht gesagt, dass diese Ramira so schlimm krank ist. Ich kann ihr vielleicht helfen. Sie hätte in kein Krankenhaus gemusst.“

John setzte sich auf die Kante vom Schwimmbecken. „Ach Mäuschen, du warst mehr tot als lebendig in den letzten Tagen. Wann hätte ich dir das denn sagen sollen. Du konntest dich kaum noch auf den Beinen halten. Dann ständig diese Anfälle und außerdem war doch gar keine Zeit dazu. Dann, als es dir etwas besser ging, wollte ich es dir nicht sagen. Weil ich genau wusste, dass du wie bei Tim, sofort hättest los gewollt, um ihr zu helfen. Aber Ramira kannst du nicht helfen. Die Sehnerven sind kaputt, die lassen sich nicht mehr reparieren“, erklärte er mir sein Verhalten.

Ich schüttelte den Kopf. „John, du sprichst immer davon, dass ich zu dir Vertrauen haben soll. Stimmt das?“ Ich sah ihn ernst und bitterböse an.

John nickte. „Ja Mäuschen, das sage ich immer.“

Wütend blickte ich zu ihm. „Warum aber, hast du dann kein Vertrauen zu mir? Das macht mich verdammt traurig und vor allem verdammt wütend. Vor allem, weil es um jemanden geht der dir wichtig ist. Verdammt nochmal, ich kann ihr helfen. Kein Kind sollte blind sein. John, ich weiß wie schlimm es ist, nichts zu sehen. Wenn ich diese verfluchte Brille abnehme muss, am Tag oder wenn irgendwo Licht an ist, bin ich völlig blind. Ich sehe nichts mehr, außer schmerzhaftem Licht. Glaubst du nicht, dass ich weiß, wie sich die arme Ramira fühlt. Denkst du wirklich, ich würde Ramira Hoffnung machen, wenn es keine geben würde. Nur, wenn ihr ganzes Sehzentrum im Gehirn vollständig zerstört ist, kann ich ihr nicht helfen. Sehnerven, kann ich rekonstruieren, auch wenn das für dich nicht vorstellbar sein kann, ist es so. Selbst wenn das Sehzentrum vollständig zerstört wäre gäbe es irgendeine Möglichkeit ihr zu helfen. Vielleicht wird sie nicht mehr so gut sehen, wie vor dem Unfall. Aber sie wird etwas sehen können. Alles was besser ist als blind, ist doch gut oder?“ Fordernd sah ich den Freund an.

Der glaubte mir nicht und blickte mich traurig an. „Kahlyn, wir waren gerade in Berlin in der Charité, dort sind Augenspezialisten, die sich Ramira angesehen haben. Es gibt keine Möglichkeit ihr auf irgendeine Art und Weise zu helfen.“

Wütend fuhr ich jetzt John an. „Verdammt John, vertraust du mir nun oder nicht“, brüllte ich ihn jetzt an.

So sehr, das Rudi und Jo, in den Garten kamen, um zu sehen, was los war. Weshalb ich mich so aufregte. Rudi wollte etwas sagen, ich jedoch gab ihn zu verstehen ruhig zu sein.

„Ich will wissen, ob du mir vertraust John. Du verlangst immer, dass ich zu dir Vertrauen haben soll. Aber du, traust mir nicht einen einzigen Millimeter über den Weg. Das macht mich verdammt wütend“, brüllte ich ihn jetzt richtig an.

John stützte das Gesicht mit den Händen und starrte auf seine Füße. „Mäuschen, ich vertraue dir doch“, erklärte er mehr zu seinen Füßen, als zu mir. „Aber es ist doch so, ich will Ramira keine falschen Hoffnungen mehr machen. Jedes Mal ist sie dann hinterher noch enttäuschter.“

Krampfhaft versuchte ich meine Wut zu kontrollieren, aber konnte sie kaum beherrschen. Vertrauen war für mich eine wichtige Sache. Vertraute man mir nicht, konnte ich mit diesen Menschen nicht zusammen kämpfen. Ich verstand einfach nicht, dass John das nicht begriff.

„Verdammt nochmal John, hörst du mir eigentlich nicht zu. Es geht hier nicht um diese Ramira, sondern um dich und mich. Es geht darum… ooob… duuu… miiir… veeertraauust... Nur darum geht es, um nichts anderes“, sprach ich ganz leise zu ihm.

Ich hockte mich vor John hin und nahm sein Kinn hoch. Zwang ihn so mir in die Augen zu sehen. Ich hatte extra meine Brille abgenommen. Ich wollte jetzt von ihm eine ehrliche Antwort. Aber ich sah in seinen Augen, dass er mir diese nicht geben würde. Nicht auf die Weise, die ich mir vorstellte. Das stimmte mich sehr traurig und er zwang mich Dinge zu tun, die ich nicht tun wollte.

„Setze die Brille wieder auf Mäuschen, deine Augen“, er sah mir dabei fest in die Augen, traurig sah er aus, vor allem müde.

„John bitte, vertraue mir doch“, bat ich ihn ganz leise.

„Ich vertraue dir doch“, antwortete er mit fester Stimme.

Sofort setzte ich die Brille wieder auf. „Dann bringe mir diese Ramira hoch in mein Zimmer und zwar sofort, ohne lange Diskussionen, sofort“, ordnete ich an.

Als Rudi etwas sagen wollte, holte ich nur genervt Luft. „

Rudi, bitte nicht. Ich habe es ehrlich gesagt satt, mir ständig sagen zu lassen, was ich tun und was ich nicht tun soll. Ich bin alt genug, um zu wissen, wo meine Grenzen liegen. Ich will keine Diskussion darüber haben.“

Demonstrativ ließ ich die verdutzten Männer stehen, die gar nicht wussten, um was es ging. Lief auch in der Küche an allen vorbei und verschwand nach oben in mein Zimmer. Ich würde so lange hier oben bleiben, bis man mir diese Ramira gebracht hat. Vorher so nahm ich mir fest vor, würde ich diesen Raum nicht mehr verlassen. Ich würde nichts mehr essen und nichts mehr trinken. Oft, so hatte ich es in meinem Leben erfahren, musste man diese Menschen zwingen, ihr Glück zuzulassen. Die kannten mich noch lange nicht, dachte ich so bei mir. Die wussten noch nicht mal annähernd, wie stur ich sein konnte und zu was ich fähig war. Ich hatte es einfach satt, mich ständig erklären zu müssen. Konnte man mich nicht einfach einmal so akzeptieren, wie ich war. Verdammt noch mal, ich war halt anders, was konnte ich dafür. Aber, wenn ich nun mal diese einzigartigen Fähigkeiten hatte, dann sollte ich sie auch nutzen, um anderen zu helfen. Fast eine Stunde saß ich in meinem Raum und wartete.

Als es an meine Tür klopfte und Jenny herein kam. „Kahlyn, kommst du bitte runter, wir wollen essen.“

Ich schüttelte meinen Kopf. „Nein Jenny, ich komme erst nach unten, wenn John mir diese Ramira hier hoch gebracht hat. Vorher werde ich diesen Raum, nicht mehr verlassen. Tut mir leid. Lasst es euch schmecken.“

Diesmal würde ich nicht nachgeben und ich legte mich auf das Bett und starrte nach oben an die Decke. Sie wollten also ein Kräftemessen. Schade! Ich dachte, sie vertrauten mir. Jenny tat mir leid, weil das Mädchen zwischen die Fronten geraten war. Sie wusste nicht, was sie machen sollte und kam zu mir ans Bett.

„Kahlyn, lass uns doch erst einmal essen.“

Ich schüttelte den Kopf, setzte mich hin und nahm sie in den Arm. „Jenny, ich hab dich lieb und dieser Kräftekampf hat nichts mit dir zu tun. Jeder in meinem Umfeld will immer, dass ich Vertrauen zu jeden habe soll. Aber zu mir hat nie jemand Vertrauen. Das ärgert mich. Verstehst du das“, fragte ich Jenny.

Traurig sah mich Jenny an. „Ich verstehe dich ja, Kahlyn. Aber, du kannst nichts machen, wirklich nicht“, erklärte sie traurig.

„Verdammt, Jenny ich kann euch nicht sagen, ob ich etwas machen kann. Dazu muss ich diese Ramira erst einmal sehen. Dann kann ich sagen, ob ich ihr helfen kann. Bei Tim habt ihr auch alle gesagt, ich kann nichts machen und was ist jetzt? Ihr habt doch gar keine Ahnung, was ich alles kann. Ihr kennt mich alle gar nicht. Nicht einmal der Doko, weiß alles über meine Fähigkeiten und mich.“ Wütend hatte ich ihr das erklärt. „Jeder will, dass ich Vertrauen habe, aber zu mir habt ihr keins. Lasst mich doch einfach alle in Ruhe.“

Verdrossen drehte ich mich auf den Bauch und weinte still in mich hinein. Es machte mich so verdammt wütend, dass keiner mir etwas zutraut und dass man mich ständig auf meine sechszehn Jahre reduzierte. Warum muss ich immer jemanden dazu zwingen, gesund zu werden? Bei Tim war es doch das Gleiche gewesen. John hatte mich nur hierher gebracht, weil ich sonst auf allen Vieren hier gekrochen wäre. Er müsste es wissen, dass ich jetzt nicht mehr aufgeben würde, bis man mir diese Ramira brachte.

Jenny stand traurig auf. „Ich sag es denen da unten, dass du weinst. Die können was erleben“, erklärte sie mir wütend und ging aus dem Zimmer.

Wütend boxte ich meine Bären. Auf einmal taten sie mir leid. Die Beiden konnte nichts dafür, dass diese Menschen dort unten so uneinsichtig waren. Eine gute Stunde später, kam Rudi ins Zimmer.

„Kleene, was ist los? Warum bockst du so?“, fragte er mich.

Ich bockte nicht. Ich wollte John nur zwingen, seiner Ramira eine reelle Chance zu geben. Die ihm nicht mehr Mühe kostete, als den Weg von der Küche nach hier oben, aber das verstanden die alle nicht. Deshalb sagte ich gar nichts, zu Rudi. Was hätte ich sagen sollen? Sie wussten doch alle, um was es ging.

„Kleene komm rede mit mir.“

Verneinend schüttelte ich den Kopf und wollte nicht mehr mit ihm reden. Mein einziges Ziel war es, dieser Ramira zu helfen. Was war daran so schlimm zu verstehen? Warum musste ich mich immer wiederholen?

„Kahlyn, erkläre mir bitte, was los ist. Bitte Kleene. John sagt nichts! Du sagst nicht! Was soll das alles? Warum habt ihr euch so gestritten?“ Ratlos sah er mich an.

Hatte Rudi wirklich nicht mitbekommen, um was es ging? „Ich habe John gesagt, er soll mir Ramira hier hoch bringen, damit ich ihr helfen kann. Rudi, ihr verlangt immer, dass ich euch vertrauen soll, ihr habt allerding niemals Vertrauen zu mir. Ich sage dir jetzt noch einen Satz. Ich werde diesen Raum erst verlassen, wenn ich Ramira gesehen habe.“

Um dies zu bekräftigen drehte ich mich weg von Rudi und legte mich auf das Bett, rollte mich wütend zusammen. Nicht bereit noch einen Ton zu sprechen. Ich war so verdammt wütend und zornig. Wie sollte ich dann Ramira behandeln, wenn ich so wütend war, konnte das keiner verstehen. Mühsam zwang ich mich, zum herunterfahren. Rudi der merkte, dass ich zu keinem Gespräch mehr bereit war und niemand mehr an mich ranlassen würde, bis ich mein Ziel erreicht hatte, gab auf. Als er mir über den Kopf streicheln wollte, zog ich den einfach weg. Ich war viel zu wütend auf die da unten, um mich streicheln zu lassen. Rudi verließ meinen Raum und lief wütend nach unten. Was war nur wieder los mit der Kleinen, warum blockte sie wieder alles ab. In der Küche angekommen, rief er John zu.

„John, komm mit ins Büro.“

Ohne Zwischenstopp verschwand Rudi in Jos Büro. John verdrehte die Augen und folgte seinem Freund aber sofort. Kaum, dass er das Büro betreten hatte, polterte ihn Rudi auch schon an.

„Verdammt nochmal, was war mit dir und der Kleenen, da draußen im Garten los? Warum blockt die jetzt wieder? Ihr ging es gerade mal richtig gut. Es macht mich wahnsinnig. Rede wenigstens du mit mir“, fauchte er John an.

„Rudi, die Kleene will unbedingt Ramira untersuchen. Verdammt die ist gerade wieder auf den Beinen, ich kann doch nicht zulassen, dass sie wieder krank wird. Das kann sie doch auch noch in vierzehn Tagen oder drei Wochen machen, warum muss das jetzt sein?“, teilte er Rudi in einem beruhigenden Ton mit, der richtig aufgebracht war.

„Du fragst, warum das jetzt sein muss? Weil die Kleene mir gerade gesagt hat, dass sie erst wieder hier runter kommt, wenn sie die Möglichkeit bekommen hat, sich Ramira mal anzusehen. Deshalb muss das jetzt und sofort sein“, pulverte Rudi los.

„Rudi, du weißt doch, dass es nicht so einfach ist mit Ramira. Sie kennt Kahlyn nicht. Du weißt doch, wie hysterisch sie wird.“

Klar wusste Rudi wie schlimm es mit Ramira seit dem Unfall war. Aber Kahlyn war genauso schwierig. Um sich zu beruhigen stand Rudi auf und lief hin und her.

„Dann gehe hoch und erkläre es der Kleenen, falls du noch einen Zugang zu ihr findest. Die hat nämlich dicht gemacht“, erklärte er John in einem leiseren, verzweifelten Ton.

John nickte, stand auf und kam nach oben in meine Zimmer. Aber bereits an der Tür, sah er, dass ich nicht mit ihm reden wollte.

„Mäuschen, kannst du kurz mit mir reden, bitte“, fragte er mich, doch ich schüttelte den Kopf. „Bitte, dann höre mir wenigstens zu. Mit Ramira ist es nicht so einfach, die hat Angst vor allem, was neu ist und was sie nicht kennt. Ich kann sie nicht einfach hier hoch bringen. Sie fängt dann an zu schreien, weil sie Panik bekommt. Du weißt doch selber wie schlimm so etwas ist, du kennst das doch.“

Wütend hörte ich zu, doch das was John sagte, konnte ich mir schon vorstellen. „Warum sagst du mir das dann nicht so? Hast du so wenig Vertrauen zu mir? Dann finden wir einen anderen Weg, aber zu sagen, ich kann ihr nicht helfen, finde ich unfair“, wies ich leise meinem Freund darauf hin, dass er sich einfach unkameradschaftlich verhält, wenn er mir unterstellt ich könnte nicht helfen, obwohl er das gar nicht einschätzen konnte.

Erleichtert atmete John auf. „Komm mal zu mir Mäuschen, es ist doch nicht so, dass ich nicht will, dass du ihr hilfst. Es ist nur so, dass wenn ich ihr jetzt sage, dass du ihr vielleicht helfen kannst und es dann nicht klappt, dann ist sie wieder enttäuscht. Wir haben sie gerade wieder einigermaßen beruhigt. Carmens Eltern passen heute einmal auf sie auf, weil wir sie nicht mal mit hier her nehmen konnten. Verstehst du? Sie kommt einfach nicht mehr zurecht, seit dem sie blind ist. Ihr geht es so wie dir. Alles, was sie nicht kennt, macht ihr, höllische Angst. Wie soll ich ihr das erklären?“, fragend sah er mich an.

„Du musst ihr nicht erklären, lass es mich doch einfach erklären, ich kann mit Kindern gut umgehen. Die vertrauen mir eher, als ihr Erwachsenen. Vertraue mir doch einfach. Es tut mir weh wenn du mir nicht vertraust. Wie soll ich mit dir kämpfen, wenn du schon bei solchen Dingen kein Vertrauen zu mir hast. Ich weiß doch, was ich tue“, sagte ich traurig.

Es regte mich so auf, dass ich mich immer beweisen musste. Nur weil ich noch so jung war, musste ich immer um jeden Millimeter Vertrauen kämpfen. Es kotzte mich einfach nur noch an.

„In Ordnung dann komme mit, wir fahren zu Carmens Mutti, komm.“

Auch wenn es John schwer fiel, ich sah es ihm an, hielt er mir die Hand hin. Ich war froh, dass er mir endlich vertraute. Stand sofort auf und fiel ihm um den Hals.

„Danke John, dass du mir vertraust. Es macht mich einfach nur krank. Immer muss ich darum kämpfen, dass man mir Vertrauen schenkt. Es ist wie bei den Einsätzen. Hinterher, sind sie dann alle schlauer.“

John hielt mich einfach fest und ging mit mir den Flur entlang, die Treppe hinunter. Am Durchgang zur Küche, machte er einen kleinen Stopp.

„Rudi, ich brauche dich, komm“, sagte er kurz angebunden, ohne seiner Frau etwas zu erklären, die ihn fragend an sah.

„Carmen vertraue mir einfach“, war die einzige Erklärung, die sie von John bekam.

Rudi stand auf und kam auf uns beide zu. „Rudi, fahr uns bitte mal, zu Carmens Mutti. Ich bin ohne Auto da, das ist in der Werkstatt.“

Rudi nickte und nahm seinen Autoschlüssel vom Haken, wir folgten ihm hinaus, John trug mich immer noch, obwohl ich hätte laufen können. Ich fand das aber gar nicht schlimm, sondern legte einfach meinen Kopf auf seine Schulter. Seine Nähe tat mir so gut. Ich kletterte hinten in den Trabi von Rudi, da fiel mir ein, ich hatte den Medi-Koffer oben im Zimmer vergessen.

„John, ich brauche meinen Koffer, der steht oben bei mir im Zimmer, neben dem Bett.“

Rudi drehte sich um und lief zurück zum Haus. Kaum zwei Minuten später, kam er mit dem Koffer ans Auto und legte ihn hinten in den Kofferraum. Sofort fuhren wir los, über eine halbe Stunde durchquerten wir die Stadt. Wieder kamen wir in eine Siedlung mit lauter Einfamilienhäusern, ähnlich der in der die Runges wohnten. An einem wunderschönen Haus, mit einem schönen Garten hielten wir an. John stieg aus, Rudi holte meinen Koffer und ich sah mich um. Es war herrlich hier. Wir betraten das Grundstück durch ein grünes Türchen, was nicht höher war als dreißig Zentimeter und man bequem einfach darüber hinweg steigen könnte. Es war noch schöner, als bei den Runges. Auf einmal kam ein kleiner Hund angerannt, ganz wuscheliges weiß-schwarzes Fell hatte er und lange Hängeohren. Ich hockte mich hin, streichelte ihn und er schnuffelte sofort an mir herum. Er roch bestimmt, dass ich anders bin als andere Menschen. Hunde rochen das sofort. Dann lief er den Weg zurück, den er gekommen war und hinter das Haus. Der kleine Kerl war so süß, ich hatte mich sofort in ihn verliebt.

„Der ist aber niedlich“, wandte ich mich an John.

Die Männer lachten beide vergnügt.

„Sag mal Mäuschen, du kannst wohl mit allen Tieren, egal, was für eine Sorte, sofort Freundschaft schließen“, fragte mich John verwundert.

„Warum?“, antwortete ich mit einer Gegenfragen.

„Na Streuner bellt normalerweise, jeden Fremden weg. Man hat keine Chance sich dem Grundstück von Carmens Eltern zu nähern, ohne lautstark angebellt zu werden.“

Verlegen zuckte ich mit den Schultern. „Die Tiere wissen halt, dass ich lieb bin und dass sie mir vertrauen können. Im Gegensatz zu den Menschen, denen muss ich das leider immer wieder beweisen“, erklärte ich den beiden lachenden Männern.

Eine Frau erschien in der Zwischenzeit an der Tür, die ins Haus führte. „Wen haben wir denn da? Hat mein Streuner seine Stimme verloren oder warum hat er euch nicht angemeldet“, wollte sie lachend von John wissen und setzte dann dazu.

„John, Ramira geht es gut. Du kannst ruhig noch etwas bleiben, die spielt hinten mit Streuner“, in diesem Moment entdeckte sie uns erst. „Oh, du bringst Besuch mit. Hallo Rudi, na wie geht es dir? Wer bist du denn?“, fragte sie mich.

„Danke Sophia, mir geht es gut. Das hier ist Kahlyn, eine neue Kollegin von uns.“

Sophia Probst schüttelte den Kopf. „Gehen euch die Leute aus oder warum habt ihr jetzt schon Kinder bei euch? Der Job ist doch viel zu gefährlich, schon für einen Mann, erst recht für ein so kleines Mädchen. Hallo Kahlyn.“

Die blanke Wut kam in mir hoch.

John der schnell merkte, dass ich mit jedem Wort seiner Schwiegermutter wütender wurde, reagierte sofort. „Mutti, urteile nicht über Kahlyn, bevor du sie kennst. Sie sieht zwar noch jung aus, aber hat mehr auf den Kasten, als die ganzen drei Teams von Rudi zusammen. Ich erkläre dir das mal in Ruhe. Jetzt wollen wir Kahlyn schnell mal zu Ramira bringen, sonst redet die Gute nie wieder, auch nur ein einziges Wort mit mir. Das hat sie mir wenigstens angedroht und dass sie nicht eher etwas essen und trinken würde, bis wir sie zu Ramira gebracht hätten. Glaube mir, das würde mir das Herz brechen, ich hänge an dem Mäuschen.“

Daraufhin musterte sie erst mich, dann John, ich sah ihn verwundert an, weil ich nicht wusste, was er von mir wollte. John grinste mich an und versuchte es mir zu erklären, in dem er mit seiner Schwiegermutter sprach.

„Mutti, Kahlyn war total traurig, weil wir Ramira nicht mitgebracht haben.“

Sophia sah mich prüfend an, dann winkte sie uns zu. „Na dann kommt mal herein, Ramira ist mit dem Opa und Streuner hinten auf der Terrasse.“

Endlich trat sie zur Seite und ließ uns eintreten. Ganz anders sah es hier aus, als bei den Runges. Neugierig sah ich mir alles an. Im Haus war es auch schön, aber bei den Runges gefiel es mir wesentlich besser. Hier hingen lauter Geweihe. Irritiert sah ich zu John. Vorsichtig ging ich auf eins zu und berührte es.

„Warum, haben sie diese armen Tiere getötet, John?“, verwundert blickte ich zu den Geweihen. „Die haben doch niemanden etwas getan.“

John streichelte mir das Gesicht, konnte er sich doch vorstellen, dass mir das nicht gefiel. „Mäuschen, mein Schwiegervater ist Förster, der muss diese Tiere ab und zu schießen, weil sie krank oder zu alt sind. Das ist leider mal so. Wenn ihn ein Geweih gefällt, dann hängt er es hier her, um sich immer an das Tier zu erinnern“, erklärte er mir.

Na ja, ganz so stimmt das zwar nicht, aber ich fand es süß, dass er mich schonen wollte. Aber ganz so dumm war ich nun auch wieder nicht. Ich wusste, dass es Menschen gab, die aus lauter Spaß am Töten jagten. Ich fand es grässlich, aber das konnten wir ein anderes Mal klären, jetzt interessierte mich erst einmal nur Ramira. Ich wollte wissen, warum sie blind war. Langsam ging ich dieser Sophia hinterher und kam in ein großes geräumiges Zimmer. Ähnlich der Wohnküche in Runges Haus. Von dort aus konnte man die Terrasse betreten. Dort saß ein schlanker durchtrainierter Mann, daneben einem ängstlich wirkenden zierlichen Mädchen, mit goldblondem Haar. Einen krassen Kontrast zu dem Haar, stellte die schokoladenfarbene Haut dar. Einen eigenartigen Anblick bot dieses Mädchen, aber ich fand sie war wunderschön. Mir fiel ein, dass auch Carmen dunkelhäutig war. Dies war eigenartig? Doko hatte uns erklärt, als wir die Physiologie der Menschen durchgenommen hatten, dass die Eltern für die Hautfarbe der Kinder verantwortlich waren. Weil wir uns gewundert hatten, dass es auch schwarzhäutige Menschen gab, die aber heller häutige Kinder hatten. Aber die beiden waren weiß. Wieso war Carmen dunkelhäutig? Das interessierte mich sehr. Aber auch das konnte ich später klären. Jetzt interessiert mich erst einmal diese Ramira. Langsam ging ich auf das Mädchen zu und setzte mich einfach vor sie hin. Lange schaute ich sie mir an. Als John etwas sagen wollte, gab ich ihm das Zeichen für Ruhe, er verstand mich sofort. Sophia die mir scheinbar nicht vertraute, beobachtet mich genau, setzte ebenfalls dazu an, etwas zu sagen.

Mein lieber John flüstert ihr zu. „Mutti, lass sie. Kahlyn, ist eine ganz liebe, sie tut Ramira nichts.“

Fast zwanzig Minuten schaute ich mir das Mädchen an. Es würde eine schwierige Sache werden. Vor kurzen wurde Ramira operiert, allerdings wurde dabei mehr zerstört, als ganz gemacht. Leise erhob ich mich und ging auf John zu.

„Komm bitte mal mit John“, sprach ich leise zu ihm.

Er und Sophia, folgten mir hinein in das Zimmer.

„Bitte mache dir Tür zu, ich muss euch etwas erklären. Im Endeffekt, ist es alleine deine Entscheidung, John. Ohne deine Erlaubnis, vor allem ohne dein vollstes Vertrauen, kann ich Ramira nicht helfen.“

John sah mich fragend an und zog mich zum Sofa. „Kahlyn, kannst du ihr helfen?“

Hoffnung schwang in Johns Stimme mit. Man merkte ihm an, dass er diese schon lange aufgegeben hatte. Es war schwer diese Frage mit Ja oder Nein zu beantworten.

„John, hättest du mich vor zwei Wochen gefragt, bevor ihr diese sinnlose Operation habt machen lassen, hätte ich ohne zu zögern, mit Ja geantwortet“, angespannt rieb ich mir den Nacken, wie erklärte ich das jemand, der von Medizin nur wenig Ahnung hat. „John, die haben bei der Operation mehr kaputt, als ganz gemacht. Es ist immer traurig zu sehen, wie wenig manche Ärzte wissen. Manche, sollte man einfach nicht auf die Menschheit los lassen. Ich kann Ramira helfen, das ja. Aber ich weiß nicht, wie gut das Ergebnis wird. Das kann ich dir erst nach der Operation sagen. Vorher geht leider keine genaue Aussage. Ich kann eine wesentliche Verbesserung erzielen, das Ja. Das kann ich dir in die Hand versprechen. Aber ob es so wird, wie vor dem Unfall, kann ich dir nicht sagen. Was ich dir auch versprechen kann, ist dass sie wieder sehen wird, wenn ich sie operiere. Ich denke, dass es genau das ist, was zählt. Vor allem John, brauche ich dein bedingungsloses Vertrauen. Du musst mir bei der Operation zur Hand gehen. Du weißt, ich operiere immer bei vollem Bewusstsein. Es ist deine Entscheidung.“

John sah mich entsetzt an. „Du kannst…“, fing er an.

„John, willst du, dass es dieser Ramira besser geht, ja oder nein?“ John holte tief Luft und nickte.

„Dann vertraue mir! Nur dieses eine Mal. Danach musst du mir nie wieder vertrauen. Nur dieser Ramira zu liebe, die du doch sehr magst.“

Damit zog ich die Beine aufs Sofa, fing an mich in mein Qi zu atmen. John hatte somit Zeit sich zu entscheiden. Ich hoffte sehr, dass er mir vertraute würde. In ein oder zwei Operationen konnte ich Ramira nicht mehr helfen, zu viel wurde schon zerstört. John stand auf und lief hin und her. Seine Schwiegermutter redete auf ihn ein, aber er schüttelte den Kopf. Er setzte sich wieder neben mich.

„Darf ich dich noch etwas fragen, Mäuschen?“

Ich ahnte was jetzt kam. "Ja!?"

„Kann bei der Operation, Ramira etwas geschehen?“, verzweifelt sah er mich an.

„John, bei jeder Operation kann etwas schief gehen. Wenn ich dir aber sage, dass die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, würdest du mir glauben?“

John schloss die Augen. „Dann mach es! Ich will dir vertrauen. Vor allem will ich, dass es meiner Süßen, endlich wieder besser geht. Aber, wo willst du operieren. Wollen wir in die Sanistube fahren?“, interessierte ihn jetzt meine weitere Vorgehensweise.

Ich stand auf und sah mich um. „Dort auf dem Tisch. Sophia soll mit dem Mann, eine Stunde spazieren gehen. Ich will während der Operation nicht gestört werden, durch niemanden.“

Sophia schüttelte den Kopf. „Ich lasse sie nicht meine Enkeltochter operieren. Sie sind doch noch ein Kind, vor allem ist hier nichts steril.“

John wollte mir helfen, aber ich gebot ihm Ruhe. „John, sei ruhig. Wollen sie, dass es ihrer Enkeltochter wieder besser geht, ja oder nein? Denken sie, dass ich bei Einsätzen, in einer sterilen Umgebung arbeite? Da liegen meine Patienten meistens im blutgetränkten Schlamm. Das hat bis jetzt noch keinem, das Leben gekostet. Gegen meine sonstigen Arbeitsplätze, ist es bei ihnen steriler als in jedem Operationssaal. Wollen sie nun das es Ramira besser geht oder nicht?“, fragte ich diese Frau einfach.

Sophia Probst war entsetzt. „John, du kannst das doch nicht wirklich zulassen.“

John raufte sich die Haare, er war in einer verdammten Zwickmühle. Deshalb wandte ich mich einfach an Rudi.

„Rudi, sei so lieb und fahre die beiden Menschen zu Johns Frau, so heißt das doch oder?“ Fragend sah ich Rudi an, der nickte. „Also fahre die beiden zu Carmen. Dort wartet ihr, bis wir Euch anrufen und du mich abholen sollst. Sorge dafür, dass mich hier keiner stört. Frau Sophia, ich operiere seit dreizehn Jahren, meine Kameraden. Ich bin wirklich gut in diesen Dingen und kann vieles richten, was andere Ärzte nicht mehr hinbekommen. Ich habe sehr viel Erfahrungen im operieren. Keiner wirklich keiner, ist bei mir bis jetzt gestorben. Sogar der alte dicke Doko kann wieder laufen, obwohl ihn alle Ärzte gesagt haben, er wird den Rest seines Lebens im Rollstuhl verbringen. Tim geht es auch wieder gut. Verdammt nochmal, ich kann doch nichts dazu, dass bei mir vieles anders ist, als bei euch. Aber ich weiß, dass ich Ramira helfen kann. Ist es nicht das, was zählt. Ist es ihnen egal, dass Ramira den Rest ihres Lebens blind sein wird, wenn ich ihr nicht helfe. Mir ist das nicht egal, denn ich weiß wie es sich anfühlt blind zu sein.“

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und schwieg. John führte seine Schwiegermutter hinaus, zu Rudis Trabi. Ging zu dem Mann und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der stand auf und folgte mit Streuner der Frau, danach war Ruhe. Endlich konnte ich mich um Ramira kümmern. Tief holte ich Luft, um mich zu beruhigen. Langsam ging ich auf Ramira zu und sprach sie an.

„Hallo Ramira, ich bin Kahlyn, wie geht es dir?“

Vorsichtig berührte ich ihre Hand. Es war immer eigenartig, dass Kinder mir so schnell vertrauten. Nie wirklich nie, hatte ich Probleme, Kontakt zu Kindern zu finden. Auch, wenn die sonst niemanden, an sich heran ließen. Ich konnte mich ihnen immer nähern und mich immer mit ihnen unterhalten.

„Mir geht es gut. Aber dich kenne ich nicht.“ Ramira tastete nach mir und legte den Kopf ein bisschen schräg.

„Ramira, ich bin eine Freundin von John. Ich habe erfahren, dass du einen Unfall hattest. Ich würde dich gern einmal richtig ansehen, nur hab ich leider ein Problem. Ich kann das hier draußen nicht machen. Weißt du, ich habe andere Augen, wie alle anderen Leute, das Licht tut mir ganz tolle weh. Ich würde gern nach drinnen gehen und alles dunkel machen, so wie du jetzt die Welt siehst, dann kann ich nämlich besser sehen. Dann sehe ich, ob ich dir helfen kann, das Licht in deiner Welt wieder anzumachen. Kommst du mal mit mir rein.“

Ramira nickte. Vorsichtig half ich ihr auf. Zu meinem Entsetze sah ich, dass man bei der Operation, sogar das Gleichgewicht des Mädchens kaputt gemacht hatte. Es war einfach schlimm, was dieser Arzt dem Mädchen angetan hatte. Aber auch das, konnte ich wahrscheinlich wieder reparieren. Zusammen liefen wir in das große Zimmer.

„John, machst du bitte alles Dunkel“, wandte ich mich, um Hilfe an ihn.

„Ramira, ich setze dich jetzt mal auf den Tisch. Hab keine Angst.“

Vorsichtig, um die Kleine nicht zu erschrecken, nahm ich sie in der Taille und setzte sie auf den Tisch. John hatte in der Zwischenzeit, das Zimmer fast vollständig Dunkel bekommen, das war gut. Ich setzte meine Brille ab und sah mir Ramira noch einmal im Dunklen genau an.

„John, kommst du bitte mal zu Ramira. Ich muss meinen Koffer holen.“

Hilfe gebend reichte ich John die Hand, der ja in der Dunkelheit nichts sehen konnte. Führte ihn so zu seiner Ramira. Der nahm sie in den Arm, sogleich ging ich meinen Koffer holen und stellte ihn ebenfalls auf den Tisch und öffnete ihn.

„John, ich habe ein Problem und zwar ein riesengroßes, weil ich weiß, dass du mir immer noch nicht vertraust. Höre erst zu, bevor du aus dem Anzug springst. Ich versuche es dir, so genau es geht, zu erklären. Schalte jetzt einmal alle unwichtigen Gedanken aus und höre mir genau zu. Die Operation selbst, ist das kleinste Problem. Die dauert nicht lange, vielleicht sieben bis acht Minuten. Die Dauer der Operation hängt davon ab, was alles kaputt gemacht wurde und welche Schäden ich bei der Operation selbst noch entdecke. Danach werde ich Ramira eine Injektion gegen die Kopfschmerzen geben. Ich muss sie schlafen legen, kann sie nicht, wie meine Kameraden, bei vollem Bewusstsein operieren. Wenn ich mit der Operation fertig bin, John, muss ich das Krantonak machen. Bitte diskutiere nicht schon wieder mit mir, dazu habe ich einfach keinen Nerv. Ob es dir gefällt oder nicht John, ich werde beim Krantonak, weit über meine Grenzen gehen müssen. Mir bleibt nichts anderes übrig John, wenn ich all das reparieren will, was diese Ärzte kaputt gemacht haben und die kleine Ramira wieder etwas sehen soll.“

John wollte mich unterbrechen, ich schnitt ihm das Wort ab und sah ihn böse an.

„Nein John, du hörst mir jetzt ganz genau zu, bitte. Ich weiß, was ich mache und was ich kann. Du musst mir jetzt allerdings ganz genau zuhören. Sonst passiert es wieder, dass ihr mich in die Ecke drängt und mich fast umbringt, wie vor einer Woche. Also höre mir genau zu. Versprich es mir, das ist lebenswichtig für mich“, ich sah meinen Freund lange und intensive an.

John war hin und her gerissen, dann endlich nickte er.

„Also John, nachdem ich das Krantonak, bei deiner Tochter beendet habe, kümmerst du dich erst einmal nur um sie. Ramira muss nach der Operation unbedingt, noch eine halbe Stunde, besser eine Stunde ganz ruhig liegen bleiben. John ich kann mich in dieser Zeit, nicht um sie kümmern. Diesen Part der Operation musst du übernehmen. Wenn ich es noch schaffen sollte, werde ich Ramira selber noch spritzen. Wenn ich das nicht mehr schaffe, musst du diesen Part übernehmen. Ich ziehe dir gleich noch eine Spritze mit N67 auf, das ist ein Beruhigungs- und Schlafmedikament. Das spritzt du Ramira intravenös. Ich werde, wenn ich mit dem Krantonak fertig bin, wie immer einfach zusammenbrechen. John, das passiert jedes Mal, ich habe darauf keinen Einfluss. Also bekomme keinen Schrecken, du kümmerst dich als erstes um Ramira, verspreche mir das", ich wartete ab, bis John nickte. "Mich John, lässt du da LIEGEN, wo ich umgefallen bin. Du machst KEINE Herzdruckmassage, KEINE Beatmung. Auch, wenn du denkst, ich bin tot. John, ich bin es NICHT TOD. Sondern ICH SCHLAFE NUR im JAWEFAN, das ist der tiefe Schlaf, den ich im Bus gemacht habe, als du mich geschlagen hast. Bitte störe meinen Schlaf nicht. Ich muss mich nach der Operation erst einmal erholen. Der Oberst hat mich vorige Woche fast umgebracht. Noch einmal, halte ich das nicht aus. Also lasse mich liegen, wo ich liege. Von mir aus decke mich zu, wenn du dich dabei wohler fühlst. Noch etwas wichtiges, höre genau zu. Ich mache mir eine Spritze zurecht, die injizierst du mir, über die Halsschlagader. Das WICHTIGE ist, diese Spritze musst du ganz LANGSAM geben. Du musst den Inhalt der Spritze über zwei Minuten verteilt spritzen. Lieber zu langsam als zu schnell. Spritz du das Medikament zu schnell, bringt es mich um. Also sehe dabei auf die Uhr, für die Spritze benötigst du mindestens ZWEI MINUTEN und John unbedingt in die HALSSCHLAGADER. Du spritz mich erst, nach dem du dich um deine Tochter gekümmert hast. Meine Spritze bewirkt nur, dass ich schneller aus dem tiefen Schlaf erwache. Hast du das alles verstanden.“

John sah mich entsetzt an, nickte aber.

„Dann wiederhole es für mich“, bat ich ihn. Dieses Mal wollte ich sicher gehen, dass mein Kollegen wirklich alles verstanden hatte und mich nicht wieder in Lebensgefahr brachte.

John sah mich an, wie wenn ich von ihm verlangt hätte, dass er mich umbringen sollte. Lange musterte er mich und atmete tief durch. Immer wieder sah er zu Ramira und streichelte ihr liebevoll das Gesicht. Dann blickte er mich an, auf eine Weise an, die mir klar machte, welcher schwere Kampf in seinem Kopf stattfand. John wollte dass es Ramira wieder gut ging, aber er hatte auch Angst um mich. Nach fast zehn Minuten hatte er sich endlich zu einem Entschluss durchgerungen. Er war bereit, mir zu hundert Prozent zu vertrauen. Tief durchatmend erklärte er mir, was er machen sollte. Wohl war ihm dabei nicht, das merkte man ihm an.

„Ich soll mich erst um Ramira kümmern, wenn du es nicht mehr schaffst, ihr N67 intravenös spritzen. Dich soll ich liegen lassen, wo du liegst. Dir, wenn ich fertig mit Ramira bin, soll ich dir die andere Spritze geben und zwar ganz langsam, über zwei Minuten verteilt, in die Halsschlagader geben, keine Herzdruckmassage, keine Beatmung.“

Ich holte erleichtert Luft. Er hatte es wirklich verstanden und vor allem verinnerlicht. Auch wenn ihm nicht wohl dabei war, würde John sich daran halten, das wusste ich genau. Ich bereite die Spritzen vor und erhitzte sie und legte sie zum Abkühlen in den Ampullenkoffer. Im Anschluss daran, begann ich mit der Vorbereitung, für diese kleine OP. Ich brauchte von Ramira noch einige Informationen, um ihre Verletzungen genau einschätzen zu können. Verwundert hatte ich nämlich festgestellt, dass Ramira unserem Gespräch aufmerksam lauschte. Sie folgte mit ihren Blicken unserem Gespräch. Richtete sie ihren Blick schon automatisch, in die Richtung des Sprechers? Oder nahm sie noch Konturen wahr, fragte ich mich.

„John der Plastekolben ist für Ramira, die Glaskolben ist für mich."

John bestätigte das Gehörte, in dem er es wiederholte. Also konnte ich mit den letzten Vorbereitungen beginnen.

"Ramira, darf ich dich etwas fragen?“

Als das Mädchen nickte, stellte ich die Frage, die mich am meisten interessierte. „Sag mal, kannst du, wenn du in die Sonne siehst, etwas erahnen oder in eine helle Lampe.“

Die Kleine schüttelte den Kopf.

„Danke, das war ganz wichtig, wenn du noch einen Rest Schattensicht hast, muss ich etwas anderes versuchen.“

Ramira schaute mich an, sobald sie meine Stimme hörte. Folgte sie nun meiner Stimme oder sah sie doch noch etwas. Verwundert wandte ich mich John zu, flüsterte ihm ganz leise ins Ohr.

„John, geh bitte mal einige Schritte, um den Tisch herum, so leise es geht.“

John, bewegte sich tastend ganz leise vorwärts. Ramira folgte ihm mit ihrem Blick. Ich nahm meine Hand und hielt sie vor ihren Blick, da schob sie zielgenau meine Hand weg. Meine Vermutung bestätigte sich, Ramira besaß also noch eine Schattensicht. Das bedeutete sie konnte unbewusst, noch ganz kleine Unterschiede von hell und dunkel sehen. Auch wenn es fast stockdunkel war, nahm sie die Konturen von John und meiner Hand war. Wahrscheinlich mehr instinktiv als bewusst.

Die meisten Menschen dachten immer, dass Blinde gar nichts mehr sehen würden, das stimmt nur bedingt. Immer wieder gab es blinde Menschen, die noch dunkle Schatten wahrnahmen. Das war kein richtiges Sehen mehr, sondern mehr ein Ahnen. Als, wenn auf einen schwarzen Hintergrund, dunkelgraue Flecken darstellen würde. Es war nicht viel, was man dann noch sah, aber es reichte, um zu erahnen, dass da etwas war. Erblindete Kinder nahmen diese Schatten deutlicher war, als Erwachsene, wenn oft auch unbewusst. Das war gut, dann war doch nicht so viel kaputt, wie ich erst vermutet hatte. Das sah ich allerdings wirklich erst, wenn ich operieren würde.

„So meine Kleine, jetzt möchte ich, dass du dich hier auf den Tisch legst. Ich weiß, der Tisch ist etwas unbequem, aber es geht leider nicht anders.“

Zu Johns Verwunderung legte sich Ramira ohne ein Widerwort zu sagen, einfach auf den Tisch. Kopfschüttelnd sah John mich an, er begriff nicht, dass Ramira mir so bedingungslos folgte.

Genau sah ich mir den Kopf des Mädchens an. Ich sah jetzt genau, wo ich bei der Operation Hand anlegen musste. Den Schnitt den ich machen musste, um Ramiras Kopf zu öffnen, würde ich in den letzten Operationsbereich legen. So konnte ich das noch fast offene alte Operationsfenster nutzen, ohne neue Verletzungen zu verursachen. Davon hatte Ramira wirklich schon genug.

Vorsichtig fuhr ich Ramira über das Gesicht, den Hals entlang, an den Nacken und legte sie gezielt schlafen. Entschlossen drehte ich Ramira auf den Bauch und zog den Medi-Koffer heran. Wie ich erfreut feststellte, sah mir John genau auf die Finger. Gezielt entfernte ich, mit wenigen Handgriffen die gerade nachwachsenden Haare. Nahm ohne zu zögern das Skalpell und schnitt. Fünf kleine Knochensplitter, holte ich mit Hilfe einer Pinzette und durch freischneiten mit dem Skalpell, noch aus Ramiras Kopf, die auf Nervenenden drückten. Hob im Anschluss die Schädelplatte ein wenig an und fixierte sie mit Kleber gegen das Verrutschen. Auch die durch die Operateure herausgenommene Schädelplatte, hatte den Sehnerv blockiert. Klebte und nähte die Wunde an der Kopfhaut. Danach spritzte ich ihr B97, ein Mittel mit Langzeitwirkung, gegen die durch das Schlafenlegen entstehenden Kopfschmerzen. Vorsichtig drehte ich das Mädchen auf den Rücken.

„John, bitte halte ihren Kopf fest. Denke daran, wenn ich falle lass mich einfach liegen. Es kann gut zwei bis drei Stunden dauern, bis ich wieder zu mir komme, bitte mache nichts.“

Ernst sah ich ihn an. John nickte, so begann ich mit dem Krantonak, fast zwei Stunden brauchte ich, um zu richten, was kaputt gegangen war und vor allem kaputt gemacht wurde. Dann beseitigte ich noch den Schaden, am rechten Ohr, der zu dem Gleichgewichtsproblem führte. Nach reichlich zwei Stunden, beendete ich das Krantonak, spritzte Ramira sogar noch das N67, damit sie bis morgen in der Früh, ruhig und fest schlief.

Anschließend ließ mich einfach am Tisch herunterrutschen. Fast sofort, fiel ich in das Jawefan. Über dreieinhalb Stunden blieb ich im Jawefan, John hatte aus lauter Aufregung vergessen, mir gleich nach dem er sich um Ramira gekümmert hatte, das C98 zu spritzen. Erst eine ganze Stunde später fiel ihm ein, dass er das machen sollte. Aber das war nicht schlimm, umso erholter, erwachte ich aus dem Jawefan.

Kurz nach halb 9 Uhr am Abend war es, die Sonne war gerade am untergehen, als ich wieder zu mir kam. Ramira lag auf dem Sofa, tief und fest schlafend. John saß weinend bei mir und hielt mich festgeklammert in den Armen. Warum weinte er, ich hatte ihm alles bis ins letzte Detail erklärt, was passieren konnte. Was sollte ich denn noch machen, damit er nicht in Aufregung verfiel. John konnte sich überhaupt nicht mehr beruhigen.

Ich sah ihn an, ganz leise fragte ich ihn. „Was ist los John?“

Ganz langsam stieg es in sein Bewusstsein, dass ich gesprochen hatte und er begriff, dass ich wieder munter war. Erstaunt, glücklich und trotzallem völlig desorientiert sah er mich an, wie ein Alien.

„Ich dachte du bist tot. Kahlyn, ich hab die Spritze vergessen, es tut mir so leid“, gestand er mir verzweifelt.

Ich sah ihn kopfschüttelnd an. „Ach John, ich bin nicht tot. Ich war im tiefen Schlaf, im Jawefan. Selbst wenn du mir die Spritze gar nicht gegeben hättest, dann hätte das auch nichts gemacht. Mit der Spritze, komme ich nur schneller wieder zu mir. Komm beruhige dich. Wie geht es Ramira?“, wollte ich von ihm wissen, um ihn abzulenken. Ganz vorsichtig, zog ich mich an ihm hoch.

„Sie schläft, tief und fest.“

Erleichtert atmete ich auf. „John, morgen früh, wird sie aufwachen und wieder sehen können. Lasst sie heute auf keinen Fall alleine schlafen. Das Mädchen könnte sich zu Tode erschrecken.“

Ich versuchte aufzustehen. John hielt mich allerdings so fest in seinen Armen, dass ich mich nicht rühren konnte.

„Willst du jetzt für immer, hier unten auf den Boden sitzen bleiben?“, neckte ich ihn lachend.

Da erst bekam er mit, dass er mich immer noch, wie verrückt festhält. Jetzt lachte er wieder. Sofort ließ er mich los.

„Helf mir auf. Ich bin noch wackelig, auf den Beinen, bitte“, sagte ich zu meinem großen Freund.

John zog mich auf die Beine und half mir zu einen der Stühle die am Tisch standen. Tiefatmend, blieb ich ein paar Minuten sitzen, um wieder ganz zu mir zu kommen. Als sich mein Puls beruhigt hatte, ging ich zu Ramira, um noch einmal nach ihr zu sehen. Alles war so, wie es sein sollte. Da hatte die Kleine, aber verdammtes Glück gehabt. Einiges konnte ich grade noch so in Ordnung bringen. Aber egal, wichtig war nur, dass es wieder in Ordnung war. Wacklig auf den Beinen, wankte ich wieder zu dem Stuhl am Tisch, stützte meinen Kopf auf die Hände. So sprach ich mehr zur Tischplatte, als zu John.

„John, deine Ramira wird in einigen Tagen, wieder fast normal sehen können. Allerdings, wird sie eine Brille brauchen, das rechte Auge habe ich nicht ganz hinbekommen. Aber es wird nur kleine Einschränkung sein. Nichts, was sie in ihrem Leben behindern wird. Wenn sie älter ist, kann sie das locker mit Kontaktlinsen ausgleichen. Weißt du, dass sie verdammtest Glück gehabt hatte. Noch eine Operation von diesem Arzt, dann hätte ich nichts mehr für sie tun können. Es war ganz schön knapp.“

John zog mich von meinem Stuhl hoch und in seine Arme. Er gab mir einen Kuss.

„Du bist ein Engel. Conny hat voll und ganz recht, dass er dich Engelchen nennt. Danke Mäuschen, vielen lieben Dank. Es tut mir leid, dass ich dir nicht vertraut habe. Ich werde versuchen, dir jetzt immer zu vertrauen. Wirklich“, gestand er mir ehrlichen Herzens. Ernst sah er mich an.

„Bitte John, lass mich wieder setzen. Mir geht es im Moment nicht so gut. Sei so lieb und rufe bitte Rudi an, dass er mich holen kommt. Ich möchte ins Bett. Ich bin total geschafft. Man merkte, dass ich noch nicht ganz auf den Posten bin. Ich möchte einfach nur schlafen. Wenn deine Frau da ist, bringt ihr Ramira hoch in ihr Zimmer. Lasst sie aber nicht alleine schlafen. Vor allem macht es in dem Zimmer dunkel. Wenn Ramira aufwacht, wird ihr das Licht die ersten paar Tage in den Augen weh tun. Das Beste wird sein, Ramira setzt wie ich ein paar Tage lang eine Sonnenbrille auf, damit sie sich langsam an die Helligkeit gewöhnen kann. Sag ihr wenn sie aufwacht, einen lieben Gruß von mir.“

John nickte wortlos, er war immer noch völlig durcheinander. Auf meine Bitte hin griff er zum Telefon und rief bei den Runges an, um Rudi zu holen. Jo meinte, Rudi könne im Moment nicht fahren, deshalb käme er selber. Keine halbe Stunde später trafen Sophia und Heinz Probst und Johns Frau Carmen zusammen mit Jo ein.

Carmen stürmte an John vorbei, zu ihrer Tochter. Die Blicke die Carmen John zuwarf sprachen Bände. Am liebsten hätte sie ihn getötet. Ohne eine Frage zu stellen und ohne zu wissen, was passiert war verurteilte sie meinen Freund für sein Verhalten. Etwas dass ich nicht gut heißen wollte. Ihre Worte die sie sprach waren hasserfüllt und sollten John vernichten. „Du bist ein Mörder. Hast du nicht mehr alle Tassen im Schrank? Wie konntest du zulassen, dass dieses Monstrum meine Tochter operiert?“, fauchte sie ihn richtig böse an.

Bevor John darauf reagieren konnte, der seine Frau erst einmal sprachlos ansah, antwortete ich für ihn. Versuchte der aufgebrachten Frau einiges zu erklären.

„Mam, John hat Vertrauen in mich. Er weiß, dass ich Dinge richten kann, die andere nicht richten können. Sie dürfen nicht nach meinem jungen Aussehen gehen, Mam. Ich habe schon schwerere Operationen durchgeführt, da war Ramira noch nicht einmal geboren. Bevor sie Streit mit ihrem John anfangen, warten sie doch erst einmal bis morgen Früh. Wenn sie dann mit dem Ergebnis nicht zufrieden sind, können sie immer noch mit John schimpfen, Mam“, sprach ich in einem ruhigen, sehr leisen Ton, den ich immer dann benutze, wenn ich sehr wütend war. „Mam bis jetzt hat sich noch keiner beschwert, dass ich etwas falsch gemacht habe, Mam. Vertrauen sie mir, nur dieses eine Mal, Mam", die Frau war viel zu wütend, als dass sie meine Worte erreichen würden. Deshalb wandte ich mich an meinen großen Freund. "John bringe Ramira irgendwo hin, wo es nicht so laut ist und sie in Ruhe schlafen kann. Hier ist es einfach zu viel Unruhe und das ist nicht gut für sie. Vor allem, sollten wir wieder für Licht sorgen, ihr könnt nicht im Dunkeln sehen, wie ich.“

John nickte und nahm seine Tochter auf den Arm. „Carmen komm“, forderte er seiner Frau auf und ging nach hinten zu einer Treppe. Wütend auf ihren Mann einredend und mich beschimpfend, lief Carmen John nach und verschwand aus dem Zimmer.

Jo zog mit Herrn Probst zusammen die Jalousien nach oben und Frau Probst sorgte dafür, dass das Licht im Raum angemacht wurde. Mit bösen Worten begann Frau Probst mich zu beschimpfen und es dauerte nicht lange, bis Herr Probst ebenfalls böse gegen mich vorging. Er drohte mir mich wegen schwerer Körperverletzung anzuzeigen, wenn nicht sogar wegen Mordes. Wenn seiner Enkeltochter etwas zustoßen sollte, würde er mich persönlich töten und mir vorher bei lebendigem Leibe die Haut abziehen. Ohne irgendeine Erklärung abzuwarten, beschimpften sie mich als unreifes Miststück, als Monster und als Kindermörderin. Irgendwann schaltete ich gewohnheitsgemäß mein Gehör auf Durchzug, weil ich diese Art von Beschimpfungen, nur zu gut aus meiner Schule kannte. Verzweifelt sah ich zu Runge und wusste nicht, was ich von der ganzen Sache halten sollte. Vor allem aber nicht, wie ich auf diese reagieren und wie ich mich verhalten sollte. Tief holte ich deshalb Luft und ließ die schlimmen Worte an mir abprallen, wie einen Prellball an der Wand.

Der Polizeirat allerdings stand sprachlos im Flur und war gar nicht imstande gegen die Beschimpfungen der Probsts vorzugehen. Das erste Mal erlebte der Polizeirat selbst, wie man mit mir umging und zu welchen verletzenden Worten, erwachsenen Menschen griffen, um ein wehrloses Kind zu beschimpfen. Wehrlos war ich deshalb, weil ich mich nicht traute, gegen diese bösartigen Beschimpfungen vorzugehen. Ich war hier ein Gast, der einem Kind geholfen hatte gesund zu werden. Statt Dankesworte bekam ich Beleidigungen, statt ein Glas Wasser, für das ich dankbar gewesen wäre, bekam ich Prügel und schlimmeres angedroht. Fassungslos starrte Runge die Eltern von Carmen an und konnte nicht begreifen, was mit dem, sonst eigentlich immer freundlichen, Ehepaar los war.

Nach zwanzig Minuten kam John wieder. „Carmen, schläft bei Ramira, bis sie morgen aufwacht. Mäuschen, kann ich dir noch etwas Gutes tun. Einen Kaffee vielleicht?“ John sah mich fragend an.

Jetzt erst bemerkte John die eisige Stimmung die hier im Raum herrschte. Verwirrt sah er erst Runge und dann mich an. Bemüht meine Wut nicht an John auszulassen, war ich bemüht ihm den Sachverhalt in wenigen Worten zu erklären.

„Nein John, ich möchte einfach nur nach Hause. Mir geht es nicht so besonders. Außerdem habe ich mir für heute genug Vorwürfe und Beleidigungen anhören müssen. Ich habe es einfach nur satt, mich beleidigen zu lassen. Jedes Mal, muss ich mir mein Alter vorwerfen lassen, das kotzt mich so an. Statt das man erst einmal das Ergebnis abwartet, werde ich beschuldigt Dinge getan zu haben, die so nicht stimmen. Ich habe es satt, mich von diesen beiden Menschen hier ständig beschimpfen und beleidigen zu lassen. Die mich nicht ein bisschen kennen. Hinterher, sind alle dann ganz still, keiner sagt mehr was. Jo können wir bitte fahren“, bat ich sehr verbittert.

John sah erst Carmens Eltern entsetzt an und dann mich. Als er etwas dazusagen wollte, schüttelte Runge den Kopf. Deshalb schwieg er lieber. Das war auch gut so, sonst wäre ich wahrscheinlich aus dem Anzug gesprungen.

Selbst Jo, dem es irgendwann gereicht hatte und der mir helfen wollte, wurde nur angemotzt und beleidigt. Es war zum Verrückt werden. Ich war nur noch müde und genervt. Bevor ich etwas sage, was ich im Nachhinein bereuen würde, wollte ich lieber gehen. Jo sah mich mitleidig an und verstand meine Wut sehr wohl.

„Komm Kleene, das musst du dir nicht länger bieten lassen. Wir bringen dich jetzt nach Hause und ins Bett. Du siehst schon wieder schlimm aus.“

Ich erhob mich und nahm meinen Medi-Koffer, um dieses Haus schnellst möglichst zu verlassen. Zum Abschied gab ich John noch einen Kuss auf die Stirn, der konnte ja nichts für diese Menschen. Sofort wollte ich Jo folgen, allerdings musste ich einen Moment, mich an die Wand stützend stehen bleiben, weil meine Beine damit drohten nachzugeben. John der das mitbekam, nahm mich kurzerhand hoch und trug mich zu Jos Auto.

„Tut mir wirklich leid. Die meine das nicht so, Mäuschen“, entschuldigte sich John für das Benehmen der Probsts, als er mich auf den Beifahrersitz gesetzt hatte.

„Ich weiß, John. Aber es nervt mich halt, dass nie jemand Vertrauen zu mir hat.“

John wuschelte mir durchs Haar. „Mäuschen, das kann ich mir vorstellen. Na dann schlaf mal schön. Hoffentlich, hast du dich nicht wieder übernommen.“

Ich schüttelte müde den Kopf und rollte mich einfach auf den Sitz zusammen. Ich wollte nur meine Ruhe.

John gab mir noch einen Kuss. „Bis die Tage ihr beiden, danke noch mal, mein Mäuschen.“

Endlich fuhr Jo los. Ich war so froh, von diesem Haus weg zu können. Die beiden hatten mich richtig wütend gemacht. Sie kannten mich überhaupt nicht und verurteilten mich aber. Jo merkte, dass ich immer noch richtig gehend wütend war.

„Kleene, du bist mit Recht wütend. Ich fand gemein, was die beiden da mit dir abgezogen haben. Aber weißt du, morgen tut es den beiden bestimmt leid.“

Ich holte tief Luft. „Es ist immer, das gleiche Jo. Ich hab das alles so satt. Warum lässt man mir nicht erst einmal Zeit mich zu erklären? Warum denkt nur jeder, dass er das Recht hat mich zu beleidigen und ich von nichts keine Ahnung hätte? Nur weil ich so jung aussehe? Weißt du, was ich mich immer wieder Frage?“

Jo blickte kurz zu mir herüber. „Was denn meine Kleene?“

Wie konnte ich das nur am besten formulieren? Ging es mir durch den Kopf.

„Warum man uns so etwas angetan hat? Jeder normal denkende Mensch, kann sich an seinen fünf Fingern abzählen, dass dieses Experiment in die Hose gehen musste. Warum hat man es trotzdem probiert? Nur, um zu beweisen, dass es nicht funktioniert, hat man einundneunzig Kinder sterben lassen und neun schickt man täglich in die gleiche Hölle. Es hört doch nicht auf. Es wird niemals aufhören. Egal, wo wir hinkommen, es ist immer das Gleiche. Ständig müssen wir uns beweisen.“

Müde schob ich die Brille auf die Stirn und rieb mir die Augen. Dann ließ ich mein Genick knacken, durch rechts und links drehen und setzte die Brille wieder auf.

„Ach Kleene, ich verstehe das auch nicht. Es sind kranke Menschen, die solche Sachen machen. Kein normaler Mensch, hätte euch das angetan. Aber sag mal, ist das wirklich nur Hölle?“

Traurig blickte er zu mir herüber. Ich schüttelte den Kopf, doch dann zuckte ich mit den Schultern.

„Jo, du weißt nicht, wie das ist, so wie ich zu sein. Bei den anderen weiß ich, ist es nicht so schlimm. Aber bei mir ist es oft nicht zum aushalten. Ich weiß von Rashida, das die meine Gefühle oft nicht versteht. Sie hat mir einmal erklärt, dass die Gruppe oft nur durch mich Gefühle empfunden hat. Die anderen kennen keine Wut und keine Panik. Das kenne nur ich. Weißt du Jo, manchmal denke ich, dass dieses Experiment doch gelungen ist. Die anderen hätten oft Befehlen gehorcht, ohne darüber nachzudenken. Nur konnte ich sie oft daran hintern. Raiko und Rina, sind die beiden, die am wenigsten Gefühle hatten. Deshalb waren sie auch immer die Lieblinge vom Oberstleutnant. Raiko, weil er ohne zu denken, alles machte, was der Oberstleutnant angeordnet hat. Selbst wenn es darum ging, mich auszupeitschen. Rina, weil sie mit dem Oberstleutnant ins Bett ist, ohne darüber nachzudenken“, erschrocken hielt ich inne.

Jo schrie auf einmal ganz laut. „Was?“

„Wie was?“, fragte ich zurück.

„Mayer, ist mit Rina im Bett gewesen?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Mit allen Mädchen und auch mit den Jungs, ist Mayer ins Bett gegangen, außer mit mir. Ich hab mich immer gewehrt. Versucht hatte er es mehr als einmal, nur ist es ihm das nie sonderlich gut gelungen. Vor allem aber nicht sehr gut bekommen. Ich mag ihn nicht, mich hatte es immer geekelt, wenn er mich auch nur angefasst hat. Lieber habe ich mich auspeitschen lassen, als mit ihm zusammen, in einem Bett zu liegen.“

Jo fuhr rechts ran. Er konnte nicht weiterfahren, sondern musste sich erst einmal beruhigen. Er atmete schwer, bekam kaum Luft.

„Was ist Jo?“ Erschrocken sah ich Jo an.

„Ich fasse es nicht, er hat euch sexuell missbraucht. Wieso erzählst du uns, das nicht? Dafür geht er hinter Gitter“, erklärte mir Jo wütend.

„Was ist da schlimmes dran. Der darf das doch Jo. Du weißt, dass er gesagt hat, dass wir keine Menschen sind. Er hat das, die ganzen letzten fünfzehn Jahre mit uns gemacht, er darf das mit uns machen, hat er uns immer wieder gesagt.“

Jo starrte mich an. „Kleene, niemand darf jemanden zwingen, zu sowas. Weiß das dein Doko?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, das habe ich ihm nie erzählt. Doko hatte sich eh immer so aufgeregt. Ist doch auch egal. Es lässt sich jetzt sowieso nicht mehr ändern. Außerdem, bekam es dem Arsch nicht wenn er sich an mir vergreifen wollte. Es gibt schon immer Sachen bei denen ich mich verweigert habe. Lieber ließ ich mich auspeitschen. Deshalb hat der Oberstleutnant das beizeiten gelassen. Das war ihm zu schmerzhaft, denn ich habe zugebissen, wenn er mir sein Teil in den Mund gesteckt hatte. Nur Rashida tat mir immer leid, die hat dann hinterher, immer tagelang gebrochen. Na ja, jetzt passiert das alles ja nicht mehr. Jetzt sind sie alle, vor ihm in Sicherheit. Aber weißt du Jo, für sowas waren wir alt genug, aber sonst traut uns keiner, etwas zu“, kam ich auf das ursprüngliche Thema zurück. „Na ja, vielleicht wird es besser, wenn wir etwas älter sind. Wie lange fahren wir noch, Jo, ich möchte gern schlafen. Ich bin so müde“, erkundigte ich mich bei Jo.

„Ja Kleene, ich fahre schon. In drei bis vier Minuten sind wir zu Hause, dann kannst du dich gleich hinlegen. Willst du noch was essen?“ 

Ich schüttelte den Kopf. „Vielleicht etwas trinken. Aber ich glaube selbst dazu, bin ich zu müde. Ich werde gleich schlafen gehen. Es war anstrengend, es war viel kaputt bei dieser Ramira.“

Jo fuhr in die Auffahrt, sofort stieg ich aus.

„Na dann, ab mit dir ins Bett“, meinte Jo, nachdem er mir die Haustür aufgeschlossen hatte. Eigentlich wollte ich noch duschen gehen, aber das ließ ich ausfallen. Lief sofort die Treppe hoch, in das Zimmer in dem ich jetzt die ganze Zeit geschlafen hatte. Ich zog mich aus und legte die Sachen ordentlich auf den Stuhl. Setzte mich aufs Bett und ließ mich nach hinten fallen. Sofort rollte ich mich zusammen. Keine zwei Minute nach mir, betrat Jo das Zimmer, da schlief ich schon tief und fest. Jo stellte die Tasse mit dem Tee auf das Nachttischchen. Zog unter mir, vorsichtig die Decke hervor und deckte mich zu.

„Schlaf schön du Engel und wunderschöne Träume.“

Er nahm mir die Brille ab und legte sie neben die Tasse. Er zog die Vorhänge zu und ließ die Jalousien herunter. Dann verließ er tastend das Zimmer. Ging nach unten zu Rudi und Viola. Fragend sah Viola ihren Mann an, sie merkt sofort, dass Jo am kochen war.

„Was ist los?“, erkundigte sie sich.

Wütend erzählte Jo den Beiden alles, was er von John erfahren hatte und was er bei Johns Schwiegereltern selbst erlebt hatte. Vor allem, was ich ihm im Auto unbewusster Weise erzählt hatte. Wieder einmal, begriff keiner, wie man das Kindern antun konnte. Rudi jedoch, regte etwas ganz anderes auf. Etwas, dass ihm mehr bewegte, als die Vergangenheit. Etwas, dass ihm mehr aufregte, als das, was dieser Mayer getan hatte.

„Jo, weißt du, was mich viel wütender macht, als das was dieser Mayer gemacht hat, der ist kein Mensch. Das ist das Verhalten, von Carmen und ihrer Eltern, statt das sie dankbar sind für das Geschenk, was die Kleene ihrer Enkeltochter gegeben hat. Beschuldigen sie diese und beschimpfen sie sogar. Ich verstehe das nicht. Die Kleene opfert sich auf, gerade das sie sich etwas erholt hat. Und als Dank dafür wird sie beschimpft. Die konnten von Glück reden, dass ich nicht da war“, wütend, sah er Jo an.

„Beruhig dich mal, morgen kommen die bestimmt und entschuldigen sich.“

Viola legte Rudi, beruhigend die Hand auf die Schulter. „Rudi, zu meiner Schande muss ich gestehen, ich habe bei Tim damals, genauso reagiert. Ich kann die beiden schon irgendwie verstehen. Die Großeltern waren in Sorge um ihre Ramira. Aber sie kennen Kahlyn, doch gar nicht. Würde heute Kahlyn etwas Ähnliches, nochmal mit unseren Kindern machen. Glaube mir, ich würde nie wieder an ihr zweifeln. Aber damals, war es einfach unvorstellbar für mich.“

Rudi war einfach zu wütend und konnte und wollte sich nicht so einfach beruhigen. „Ich geh dann schlafen, sonst sage ich noch Dinge, die mir dann wieder leidtun. Guten nach ihr Beiden.“

Schnell stand er auf und verließ fluchtartig die Küche. Stieg allerdings noch einmal die Treppe hoch, um sich davon zu überzeugen, dass es mir gut ging. Zufrieden sah er, dass ich tief und fest schlief. Er nahm die Beiden Bären, die neben das Bett gefallen waren und drückte sie mir in die Arme.

„Guten Nacht meine Kleene“, er gab mir noch einen Kuss und verließ den Raum. Sah auch noch einmal nach seinen drei Patenkindern, ob da alles in Ordnung war.  

„Nacht Jenny, schlaf schön“, sagte er, als er den Kopf zur Tür rein steckte. Jenny schenkte ihm ihr schönstes Lächeln.

„Ist mit Kahlyn alles in Ordnung?“, erkundigte diese sich gleich ängstlich.

„Keine Angst die schläft tief und ruhig. Du solltest auch schlafen, es ist schon spät“, er betrat doch noch einmal den Raum und gab auch Jenny einen Gutennachtkuss. Dann schaute er bei Tom vorbei, der schlief wieder einmal mit einem Buch in der Hand. Also legte er es auf den Schreibtisch und deckte Tom zu. Weiter ging es zu Tim. Ach wie schön das war, dachte Rudi, vor einigen Wochen war es nicht möglich, einen Schritt in Tims Zimmer zu setzen, ohne dass der Bub, sofort munter wurde. Heute konnte man ihn sogar zudecken und er schlief einfach weiter. Jetzt war er zufrieden und verschwand nach unten in seine Wohnung, ging duschen und dann sofort ins Bett. Viele Gedanken gingen ihn durch den Kopf, aber immer wieder blieben sie bei Kahlyn hängen. Mit einen Lächeln im Gesicht schlief er ein.

 

Kapitel 8

Am nächsten Morgen, kurz vor halb 8 Uhr wachte ich auf. Gut erholt, ausgeschlafen und voller Energie. So gut, hatte ich mich lange nicht gefühlt. Ich sprang aus dem Bett, baute es gleich. Damit nicht wieder jemand anderes, meine Arbeit machen musste. Nahm ich meine Sachen von gestern und lief nach unten in die Dusche. Wusch mich und stellte wieder einmal erschrocken fest, dass meine Haare viel zu lang waren. Es hatte den Oberstleutnant immer aufgeregt, dass meine Haare so schnell wuchsen. Es war noch keine vier Wochen her, als man uns die Haar auf drei Millimeter geschoren hatte. Jetzt erreichten sie bestimmt schon wieder eine Länge von drei Zentimetern. Wenn ich nicht bald zum Friseur kam, waren meine Haare bald so lang wie Jennys, ging es mir lachend durch den Kopf. Dann mache ich, wie Mario halt einen Pferdeschwanz.

Ich glaube Mario, war der einzige Polizist den ich kannte der lange Haar hatte, sie reichten ihn bis in den halben Rücken. Aber der Oberst, hatte es ihm erlaubt. Mario war in einem Verein, der die Kultur der Indianer nachlebte. Dort war er mit ganzem Herzen dabei und sehr engagiert. Er opferte denen jede freie Minute, was immer das bedeutete. Tja der Oberst, ließ halt vieles durchgehen, was in anderen Dienststellen nicht denkbar wäre. Ach ich schweifte ab, in meinen Gedanken, aber es war nicht schlimm, ich musste mich ja auf keine anderen Sachen konzentrieren. Es war mal schön, einfach nur so herum zu stromern, in Gedanken. Wie es wohl Conny ging? Ob er sich wieder ganz erholt hatte. Bestimmt, sein Herz jedenfalls war wieder in Ordnung. Ich machte mir da keine großen Gedanken darüber. Er war schon einmal mit so einer Sache klar gekommen. Also, würde er es jetzt auch wieder schaffen. Hör auf dir Sorgen zu machen, ermahnte ich mich. Schnell wusch ich mich und zog mich an. Lief dann vor in die Küche, Viola war auch schon auf, freudig ging ich auf sie zu. Gab ihr einfach einen Kuss. Es war schön hier zu sein, das sagte ich ihr auch.

„Guten Morgen Viola, ich freue mich, dass ich hier sein darf“, ich legte meinen Kopf etwas schief und sah sie fragend an. „Kann ich dir helfen?“, bot ich ihr meine Hilfe an.

Viola lächelte, richtig glücklich sah sie aus. „Gern, wenn du magst kannst du den Tisch decken. Ich freue mich auch, dass du da bist.“

Sie gab mir die Teller, Tassen und Besteck. Dann eine Platte mit Schnitten, eine mit Käse und eine mit Wurst. Alles stellte ich so, wie mir es Fran gezeigt hatte auf den Tisch. Damit fertig erkundigte ich mich bei Viola, ob ich Rührei machen sollte.

„Gern, wenn du Lust hast, die Männer werden sie freuen. Die essen das immer gern. Aber die sagen, meins schmeckt nicht, vielleicht schmeckt ihnen deins ja besser.“

Da ich ja diesmal wusste, wo alles war, holte ich mir Speck und Zwiebeln. Schälte die Zwiebeln und schnitt den Speck und die Zwiebeln klein. Nur bei dem Herd, musste mir Viola wieder helfen. Ich war halt ein technisches Genie. Ich konnte viele Dinge, aber mit Technik, hatte ich nichts am Hut. Na ja, man konnte halt nicht alles können. Viola schickte Tom, der gerade gekommen war, los um alle zu wecken. Unterdessen begann ich mit dem anbraten des Specks und gab die Zwiebeln dazu. Dann bereitete ich die Eier vor, in dem ich sie schlug und würzte, etwas Ketchup und Senf dazu gab und auch einige klein geschnittenen Würfel Käse, Salz, Pfeffer. Wieder bekam ich offene Stellen, wo ich den Käse berührt hatte. Bei den Käsewürfen musste ich sehr aufpassen, die taten mir an den Fingern weh. Fast sofort löste sich meine Haut auf und meine Fingerspitzen begannen zu bluten. Das nächste Mal würde ich Viola fragen, ob sie mir den schneiden konnte. Schnell wusch ich mir die Finger und stellte die Haut noch unterm Wasser wieder her, damit es Viola nicht er sah. Dann kam noch Frans Geheimniszutat hinzu, etwas Muskatnuss und eine Prise Zimt.

Viola schielte immer zu mir.

„Was guckst du so, Viola?“, verwundert sah ich sie an.

Viola kam zu mir und flüsterte mir leise ins Ohr. „Kahlyn, ich gucke nur, wie du das Rührei machst. Die Kinder haben von deinem Rührei geschwärmt, es würde so gut schmecken“, dabei lachte sie mich fröhlich an.

Ich freute mich, dass es allen geschmeckt hatte und vor allem, dass Viola sich für mein Kochen interessierte, obwohl ich das ja gar nicht wirklich konnte. Ich konnte bis jetzt nur Rührei machen, aber Fran hatte mir versprochen, mir noch mehr beizubringen. Lachen sah ich sie an und erklärte ihr genau wie ich das machte. Viola freute sich darüber, dass ich dieses Mal so offen war. Wir lachten viel dabei. Ach es war so schön hier. Als alle am Tisch waren, gab ich die Masse zu den angebratenen Zwiebeln und dem Speck, rührte es so lange bis es fest war. Ich machte den Herd aus, gab das Ei in eine Schüssel und stellte alles auf den Tisch. Jo und Rudi, schnüffelten. Rudi meinte lachend.

„Bin ich auf Arbeit? So ein leckeres Rührei, macht sonst nur der Fran. Wo habt ihr den Fran versteckt?“

Damit schaute er unter den Tisch. Verwundert sah ich Rudi an. Auch Tim schaute unter den Tisch.

„Da is deiner“, stellte der Bub trocken fest.

Alle fingen an zu lachen. Viola die sah, dass ich nicht wusste, um was es ging, erklärte es mir.

„Kahlyn, das ist ein Kompliment. Das soll heißen, dein Rührei ist ganz lecker.“

Immer noch begriff ich nicht, was das sollte. „Warum, sagt ihr dann nicht einfach, es schmeckt“, stellte ich trocken fest.

Jetzt lachten alle noch mehr.

„Ach ihr seid alle albern“, ich winkte einfach ab.

Kurzentschlossen widmete ich mich meinem Brei. Eine große Portion, denn auch ich hatte Hunger. Irgendwann musste ich mal kosten, damit ich wusste, ob das und vor allem wie das schmeckte, nahm ich mir vor. Irgendwie roch das lecker. Aber nach der Sache mit dem Kaffee, traute ich mich das eigentlich nicht mehr so richtig, an das Essen der Anderen heran. Die Schmerzen waren schon heftig gewesen, das musste ich mir nicht unbedingt, gleich noch einmal antun. Nachdem wir alle aufgegessen hatten, meinte Rudi zu mir.

„Kleene, kommst du mal raus zu mir, in den Garten.“

Jo schaute ihn böse an. Oh je, jetzt bekam ich bestimmt meinen Anpfiff, wegen gestern Nachmittag und weil ich mich so daneben benommen hatte. Na egal, da musste ich jetzt durch, ging es mir durch den Kopf. So schlimm würde es schon nicht werden, Rudi würde mich bestimmt nicht auspeitschen oder schlagen, so gut kannte ich ihn schon. Ich wollte noch beim Tisch abräumen helfen.

Viola gab mir zu verstehen, dass ich ruhig schon raus gehen konnte. „Geh nur, wir sind genug“, sie schenkte mir ein schönes Lächeln, fast wie das von Rashida.

Ich folgte Rudi in den Garten, er setzte sich auf den Rand vom Schwimmbecken. „Was ist Rudi?“ Ich wollte es hinter mich bringen.

„Sag mal meine Kleene, was sollte das gestern? Du kannst es wohl nicht haben, dass es dir mal richtig gut geht.“

Ich setzte mich einfach neben Rudi, auf die Kante des Beckens. „Doch schon, aber Rudi ich kann doch nicht zulassen, dass John sich so quält. Hat er denn nicht schon mit mir genug Sorgen? Muss er die auch noch mit dieser Ramira haben? Hast du gesehen, wie müde John aussieht? So kann er doch nicht arbeiten“, erklärte ich Rudi stattdessen.

„Na klar habe ich das gesehen. Aber musst du dich deshalb gleich wieder halb umbringen. Hätte das nicht noch zwei oder drei Wochen warten können.“

Böse sah ich zu Rudi. „Wenn ich das vor drei Wochen gerichtet hätte, bräuchte die Kleine nicht mal mehr eine Brille. Aber jetzt ist es zu spät. Jetzt muss sie eine Brille haben. Aber lieber eine Brille als blind. Außerdem wäre es, dann viel einfacher gegangen und hätte mich nicht so viel Kraft gekostet. Aber die letzte Operation, hätte nicht sein müssen, Rudi. Wir hätten Ramira viel Leid erspart. Die Operation hätte ich verhindern können, wenn ihr mal etwas sagen hättet. Aber zu mir, hat nie jemand Vertrauen. Immer muss ich es zu euch haben. Das finde ich einfach nicht fair“, richtig hinein gesteigert hatte ich mich jetzt in meine Wut.

„Na, werde doch nicht gleich böse mit mir. Du hast ja irgendwie recht. Aber trotzdem Kleene, du musst endlich einmal anfangen, dich ein bisschen schonen. Ich mache mir wirklich Gedanken, um dich. Da geht es dir mal etwas besser, schon wieder machst du dich so fertig, dass du stundenlang wie tot da liegst. Das ist doch nicht normal. Irgendwann meine Kleene, wachst du dann mal nicht mehr auf.“

Ich zuckte mit den Schultern. „Rudi ich bin verzichtbar, dann gibt es eine Sorge weniger auf der Welt“, sagte ich trocken.

Diesen Spruch hatte man mir so oft gesagt. Rudi jedoch flippte fast aus. Er zog mich auf die Beine und zwang mich dazu, mich vor ihn zu hocken. Dann sah er mir lange in die Augen. Ganz traurig waren seine. 'Warum nur?', ging es mir durch den Kopf.

„Kleene, du bist verdammt nochmal nicht verzichtbar. Außerdem ist es mir nicht egal, wenn du stirbst. Dann weiß ich nicht, was ich tun soll. Ich mag dich nämlich, mir zerreißt es jedes Mal das Herz, wenn du so daliegst. Kannst du nicht verstehen, dass mir das wehtut“, lange sah er mir in die Augen.

Was sollte ich darauf sagen? „Rudi, ich verstehe das nicht, es kann dir doch egal sein, was aus mir wird. Ich bin nicht, wie ihr. Da spielt es doch keine Rolle, ob es mir schlecht oder gut geht. Ob ich tot oder lebendig bin. Es ist halt, wie es ist. Auf unserem Baum, hängen einundneunzig Ketten Rudi, es hat bis jetzt noch niemanden gestört oder interessiert, ob die dort hängen. Es hat sich bis jetzt noch nie jemand gefragt, was das für Menschen gewesen sind? Was sie alles konnten? Warum sie gestorben sind? Nicht einmal, wie sie heißen hat jemanden interessiert. Auf unseren Akten, stehen immer noch nur Nummern. Selbst meine Akte, hat nur die Nummer 98. Selbst mein Team hieß nicht Team Kahlyn, sondern nur Team 98. Es hat und wird nie jemanden interessieren, was mit uns ist. Wir sind verzichtbar, das ist halt mal so. Was regst du dich also auf? Es stört doch niemanden. Niemanden außer uns, meine Freunde und mich. Es war halt wieder einmal, einer weniger der isst, der Sachen braucht, Munition, oder Verbände. Warum soll das jetzt auf einmal anders sein? Ich versteh das nicht“, versuchte ich ihm meine Gedanken zu erklären.

Rudi schaute mich an. „Kahlyn, mich interessiert es aber, was mit dir ist. Jo, Viola, Jenny, Tom, sogar den kleinen Tim, ist es nicht egal, ob du lebst oder nicht. Warum kannst du nicht verstehen, dass wir dich mögen? Dir ist es doch auch nicht egal gewesen, wenn wieder eine Kette mehr, auf eurem Baum hing.“

Ich zuckte mit den Schultern und schüttelte dann den Kopf. So einfach wie mein Major sich das vorstellte, war das nicht.

„Rudi, glaube mir eins, so einfach ist das nicht, wie du dir das denkst. Weißt du für uns ist der Baum, ein Zeichen von Ruhe, der Tot ist für uns nichts schlimmes, eher das Leben. Der Tot ist eine Erlösung von dem Leid, dem Elend, dass wir jeden Tag sehen und erleben müssen. Was denkst du, warum von uns so viele freiwillig schlafen gegangen sind. Ich habe den Tot so oft gesehen und besiegt Rudi, er hat für mich all sein Schrecken verloren.“

Ich setzte mich auf meine Fersen und rieb mir den Nacken. Lange sah ich Rudi an. Meinen Major, den ich gerade einmal vier Wochen kannte. Der mir lieb geworden war, wie meine Freunde aus der Schule. Dem ich genauso sehr vertraute. Ganz leise, mehr zu mir selber, als zu Rudi, erklärte ich ihm die Tatsachen die er noch nicht begriffen hatte.

„Weißt du eigentlich, wie oft ich mir gewünscht habe, meine Freunde würden meine Kette, an unseren Baum hängen. Wenn mich der Oberstleutnant wieder einmal behandelt hat. Wenn ich mich vor Schmerzen, gekrümmt hatte im Fieber. Tausende Male, hatte ich mir gewünscht, dass meine Freunde meine Kette dort aufhängen sollen. Einmal hat sie sogar sechs Wochen auf dem Baum gehangen. Glaube mir ich habe mir seit dem nicht nur einmal gewünscht, sie würde noch oder besser wieder dort hängen. Aber dieser Wunsch ist nicht in Erfüllung gegangen. Wie oft hatte ich deshalb geweint, als ich wieder zu Bewusstsein kam.“

Wieder machte ich eine Pause. Rudi wollte etwas sagen, doch ich schüttelte den Kopf, ich war noch nicht fertig, kämpfte nur mit meinen Emotionen, die wieder einmal hoch schlugen und in meinem Inneren tobten.

„Aber seit vier Wochen, denke ich, obwohl es die Hölle war. Dass es gut ist, wenn meine Kette auf dem Baum dort hängen würde, hätte ich euch nicht kennen lernen können. Aber es macht die Sache nicht einfacher. Jetzt wird das Sterben schwerer. Keine Ahnung, ob du das verstehen kannst. Manchmal denke ich, weder du kannst mich verstehen, noch ich kann dich verstehen. Ob wir jemals lernen können, in einer Sprache zu sprechen, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass es mir das Herz brechen würde, wenn dir, John, Jo, Viola, Jenny, Tom, Tim oder Ramira etwas passieren würde. Ich könnte nicht zulassen, dass einer von euch leiden soll oder jemand aus den Teams. Nur weil es mir, im Anschluss einmal ein paar Stunden nicht so gut geht. Lieber hängt meine Kette an dem Baum, als das ihr leidet. Was ist da so schlimmes dran?“

Verdammt weit, hatte ich mich jetzt vorgewagt. Hatte eigentlich viel zu viel von meinen Gefühlen preis gegeben und mehr als gut war von meinem Wesen gezeigt. Ich hoffte sehr, dass ich das nicht eines Tages bereuen würde. Aber, wenn Rudi, John und Jo mich verrieten, dann musste ich ehrlich sagen, hatte ich keine Lust mehr zu leben. Dann konnte ich auch für immer schlafen gehen. Es war der Tag, an dem es für immer vorbei war.

Rudi schaute mich lange an. Er sagte nicht zu meinen Erklärungen. Aber das was er zeigte, war glaube ich viel mehr wert, als Worte hätten ausdrücken können. Tränen liefen ihn aus den Augen, er weinte. Dann zog er mich an sich und hielt mich einfach in den Arm. Lange saßen wir so da, es tat einfach nur gut. Auf einmal ließ er mich los und hielt mich ganz fest, aber auf Distanz.

„Kleene, irgendwie schaffe ich es nie, dich richtig einzuschätzen. Aber ich werde dir mal eins sagen. Keine Ahnung, ob du das überhaupt verstehen kannst. Du bist für mich wie eine Tochter, du weißt ich habe keine eigene Familie, die Runges sind meine Familie. Aber seit vier Wochen, habe ich eine Tochter, die ich mir immer gewünscht habe. Bitte passe auf dich auf, wenn du stirbst meine Kleene, bricht es mir das Herz.“

Rudi gab mir einen Kuss, auf die Stirn. Ich wollte ihn auch einen geben, aber irgendwie, war ich wohl zu stürmisch. Jedenfalls landeten wir beide im Schwimmbecken, Rudi hatte das Gleichgewicht verloren und mich vor Schreck mit ins Wasser gezogen. Dort planschten wir noch eine Weile im Wasser herum. Nass waren wir ja sowieso. Lachend wurden wir von Jo, Viola, Jenny, Tom und Tim beobachtet, die in der Terrassentür standen.

Als es auf einmal klingelte. Lachend zogen wir uns im Garten aus, um nicht das ganze Haus voll zu tropfen. Die Schuhe hängten wir, so tropfnass wie sie waren, verkehrt herum auf die Stöcke, die vor der Terrasse standen, die eigentlich für die Gummistiefel bestimmt waren. Unsere Sachen nahm Viola gleich mit runter in die Waschküche. So liefen Rudi und ich, nur in Unterwäsche begleitet und pitschnass durchs Haus. Als uns Jo, John, Carmen, deren Eltern und Ramira entgegen kamen.

„Was ist denn hier los?“ wollte John übers ganze Gesicht grinsend, von uns wissen, als er sah wie nass wir waren. „Seid ihr ins Wasser gefallen?“

Ich nickte und Rudi auch, der sich immer noch nicht, vor Lachen ein bekam. „Ja, sind wir“, brachte er mühsam, zwischen zwei Lachanfällen hervor.

Ich konnte ihm gar nicht Antworten vor Lachen und nickte nur.

„Wie denn das?“ John musste nun ebenfalls lachen.

Viola griff jetzt ein und ging dazwischen. „Erst ziehen die Beiden, was Trockenes an. Dann könnt ihr reden“, befahl sie in einem Ton, der einem General, alle Ehre gemacht hätte.

Deshalb lief ich schnell nach oben und Rudi nach unten, um uns etwas Trockenes anzuziehen.

„Kahlyn, im Schrank auf der rechten Seite, liegen deine Sachen“, rief mir Viola nach.

„Danke“, antwortete ich und flitzte schnell weiter nach oben.

Jo aber, bat die Fünf erst einmal in die Wohnküche. Keine drei Minuten später, erschien ich einem Grünen Trainingsanzug und einen blauen T-Shirt, wieder in der Küche.

Viola verdrehte die Augen. „Oh je Kahlyn, an deinem Modeempfinden, müssen wir unbedingt noch arbeiten“, brachte sie lachend hervor.

„Warum?“, wollte ich wissen, weil ich nicht verstand, was das sollte. Ich hatte doch etwas an, verwundert sah ich zu Jo und John, alle beide zuckten nur mit den Schultern.

„Ist doch in Ordnung, was die Kleene anhat, oder?“, griente Jo seine Frau an, die gut genug kannte, um zu wissen, dass da irgendetwas nicht zusammenpasste.

„Männer und Mode, das passt auch nicht zusammen. Aber ich lasse nicht zu, dass ihr mir die Kahlyn versaut“, gab sie ihm Kontra.

Ich schaute zwischen Viola, Jo, John und nun auch Rudi, hin und her. Verstand aber nur Bahnhof, aber nicht, was man von mir wollte. Deshalb winkte ich ab und setzte mich einfach auf das Sofa. Am Tisch war kein Platz mehr. Rudi winkte mich zu sich.

„Komm zu mir, Kleene, auf meinen Beinen ist noch Platz, für eine einsame Lady“, scherzte er lachend.

Also machte ich ihm die Freude und setzte mich mit an den Tisch und auf seine Beine. Ich sah mir erst einmal aufmerksam Ramira an. Sie war wie ausgewechselt, gerade wollte John etwas sagen, als das Telefon klingelte.

„Moment“, bat Jo und stand auf, ging an den Apparat.

  

„Alarm, ihr müsst sofort in die Wache, los ich fahre euch.“

Sofort sprangen John, Rudi und ich auf und liefen los. Ich musste noch einmal hoch ins Zimmer, um meinen Koffer zu holen. Rannte sofort hinaus zum Auto, vor dem Jo schon wartete. Der macht die Sirene an und die Rundumleuchte aufs Dach, schon ging es im schnellen Tempo los. Nur neun Minute später hielt Jo, vor der Wache. Rudi sprang aus dem Auto und ich hinterher und John folgte uns sofort. Gemeinsam, eilten wir hoch in die Wache. Hinter in den Bereitschaftsraum, dort wurden wir schon von Ronny Schulze erwartet.

„Rudi es ist Großalarm! Ich habe alle erreichen können. Alle sind auf den Weg hierher. Arno kommt nach, der braucht etwas länger. Kommt aber direkt zum Flugplatz. Der Rest trifft in zehn Minuten, bis einer viertel Stunde hier ein“, erstattete er Rudi Bericht, dann wandte er sich an mich.

„Kahlyn, du sollst dich sofort fertig machen. Gosch holt dich in zwanzig Minuten ab. Die Streifen sperrt die Kreuzung, zwei Minuten vor Ankunft des Helis. Der Oberst will dich schon eher da haben“, kurz holte Ronny Luft und erklärte den anderen den weiteren Ablauf. „Unsere drei Teams werden vom Flugplatz, in ca. zwei Stunden abgeholt. Oberst Fleischer schickt uns eine Antonow AN-26 T. Auch das Delta-Team wurde angefordert. Die sind auch alle auf den Weg. Conny und seine drei Teams, sind ebenfalls unterwegs. Keine Ahnung, was los ist? Aber es muss schlimm sein“, informierte Ronny seinen Vorgesetzten, aber auch John und die anderen, die gerade eingetroffen waren.

„Ronny, hat der Oberst gesagt, was ich für eine Ausrüstung brauche?“

Ronny schüttelte den Kopf. "Nein, ich habe keine Informationen dazu bekommen. Er war verdammt kurz angebunden und Mega schlecht drauf."

Tief holte ich Luft. Das hieß nichts Gutes. Na ja, in Ordnung, diesmal würde ich halt alles mitnehmen. Aber das ging nicht, wenn ich aufspringen sollte.

„John, ich kann nicht mit meiner kompletten Ausrüstung aufspringen. Das kann Gosch nicht gegenhalten. Bist du so gut und nimmst mein Gewehr und den Medi-Koffer mit?“ John nickte, wollte mir noch etwas sagen. "John nur wenn es etwas mit dem Einsatz zu tun hat, alles andere hat Zeit", schob ich einen Riegel vor.

Private Sachen, konnten wir später klären. Ich musste mich anziehen und für den Aufsprung vorbereiten. Die Zeit war sowieso schon viel zu knapp.

„Rudi, ich gehe schnell duschen“, informierte ich ihn, mit einer keine Diskussion zulassenden Stimme. Stürmte hinter zu den Spinden und zog mich aus.

Ronny kam hinter mir her und erschrak. „Kahlyn, was ist…“

Ich unterbrach ihn, dazu war jetzt keine Zeit. Wenn der Oberst mich gesondert holen ließ, dann war Not am Mann. Jede Minute Verzögerung, war da fehl am Platz.

„Kahlyn…“

"Gibt Ruhe Ronny, es ist keine Zeit für Diskusionen oder musst du mir noch etwas zum Einsatz sagen", befahl ich ihm, sich auf das dienstliche zu beschränken.

Der Teamleiter des Beta-Teams ergab sich seinem Schicksal. „Ich soll dir vom Oberst ausrichten, Schuhe hätte er da“, verlegen schaute ich auf meine Füße.

 „Danke“, erwiderte ich lachend.

  

Ich lief dabei aber schon, nach hinten in die Dusche. Plötzlich fiel mir noch etwas ein und ich drehte mich noch einmal um. Kehrte an meinen Spind zurück und nahm meine Lediros-Creme aus dem Medi-Koffer.

„Ronny, bitte lass ihn auffüllen und gebe ihn John. Er soll ihn dann mitbringen, ich brauche ihn ja erst später. Ich hab genug Gepäck.“

Ich schob den Medi-Koffer einfach vor zu meinen Kollegen. In der Hoffnung, dass sie verstehen würden, was ich mit dieser Handlung meinte. Wieder einmal vermisste ich die Verbindung, mehr als mir lieb war. Im Seitenblick sah ich, wie Rudi sich den Medi-Koffer schnappt und nach vorn in die Wachstube lief. Das Team hier war einfach spitze. Anders konnte ich es nicht bezeichnen. Obwohl ich noch nicht lange hier war, wussten sie sofort, was ich von ihnen erwartete, obwohl sie mich noch gar nicht lange kannten. Dies hätte ich meinen Freunden in der Schule über die Verbindung immer erst befehlen müssen. Von sich aus, hätten sie das ohne korrekte Ansage nicht gemacht. Dankbar sah ich kurz zurück und war sofort in der Dusche verschwunden.

Verdammt, ich musste dringend einmal mit Doko Jacob sprechen, dass er mir einen zweiten oder besser sogar noch, zwei oder drei Medi-Koffer zuschickte. In der Schule standen über siebzig solcher Koffer herum und hier gab es ständig Stress deswegen. Auch meinen Freunden sollte der Doko Reserve Medi-Koffer zuschicken.

Endlich hatte ich alles Notwendige geklärt und konnte mich mit ruhigen Gewissen zehn Minuten unter die Dusche stellen, um etwas zu entspannen und mich selbst, moralisch auf den Einsatz vorzubereiten. Das Duschen war deshalb so notwendig, weil ich meine Haut durchwärmen musste. Auf diese Weise konnte ich die Lediros Creme leichter auftragen und sie zog besser ein. Der zweite Grund war, dass meine Muskeln auf diese Weise schon richtig warm wurden. Fertig mit duschen, lief ich so nass ich war, nach vorn an meinen Spind, nahm die Lediros-Creme heraus und cremte mich ein. Zog meine Nahkampschuhe an und den neuen Nahkampf-Anzug, der dank Tony in meinem Schrank lag und band mir die Messerhalfter um. Darüber kam um die Taille das Fangseil. Schnallte anschließend den mit kleinen Haken versehen und dadurch kombinierbaren Nahkampfgürtel um. Der entweder einen Waffenhalfter für die beiden Pistolen hatte oder nur für den Nahkampf notwendige Ausrüstung enthielt. Den ich allerdings auch mit Utensilien kombinieren konnte, die ich für Sucheinsätze brauchte, wie zum Beispiel Seile, Haken, Picke, Beil und Schaufel. Dieser bot mir auch eine Befestigungsmöglichkeit für die Shuriken, die Taiji-Schwerter, den Tonfa, das Mejo und die Sais. Von beiden Schultern, führte eine Scherbe zum Gürtel, die am Halfter befestigt waren, in den ich meine Shuriken-Messer stecken konnte. Ohne Verzögerung rüstete ich mich komplett aus. Anschließend packte ich alles in meinen Rucksack, was ich eventuell bei diesem Einsatz gebrauchen könnte. Ich war verdammt froh, dass John meinen Medi-Koffer später mitbringen würde, denn so sparte ich mir fast dreißig Kilo Gewicht. Fertig angezogen, zog ich noch die Sturmhaube über. Die Mütze schob nach hinten wie eine Kapuze und zog mir ein Band über die Stirn. Zwei weitere Bänder legte ich in die Gürteltasche und diesmal nahm ich vorsichtshalber auch die Handschuhe mit. Besser war es auf alle Fälle, denn dadurch war ich auf alle Eventualitäten vorbereitet.

Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich noch sechs Minuten Zeit hatte, bis Gosch eintreffen würde. Ich schnappte mir die Kiste mit meinem Gewehr und meinen Rucksack, und lief nach vorn in den Bereitschaftsraum. Drückte John den Kasten mit meinem Gewehr einfach in die Hand. Flitzte weiter nach vorn, zu der einzigen Stelle, wo noch etwas Platz war, stellte den Rucksack ab und begann damit, einige Taiji und Atemübungen zu machen. Langsam, stimmte ich mich auf mein Qi ein. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich noch vier Minuten Zeit hatte, bis zur Ankunft des Helis. John der zu mir gekommen war, wollte mir den Rucksack geben und erschrak.

"Was hast du denn hier drin?"

Erkundigte er sich, bei mir, weil er den Rucksack kaum anheben konnte. Er war einfach nicht auf solch ein Gewicht gefasst. Darauf konnte ich jetzt nicht eingehen, dazu war später Zeit. Ich wusste wie schwer er war. Wenn ich wie jetzt fast alles mitnahm, wog er über sechzig Kilo. Ich grinste ihn an und schüttelte nur leicht den Kopf. Ich konnte und wollte ihm das jetzt nicht erklären. Nahm John den Rucksack einfach aus der Hand und schnallte ihn mir auf dem Rücken, sicherte ihn zusätzlich mit einem Brustgurt vor dem Verrutschen. Ein Verrutschen, während des Aufsprunges konnte verheerende Folgen haben. Die Kreuzung vor der Wache, war sehr gefährlich. Da sie durch die Häuserfronten und die Bäume, rechts und links, kaum Spielraum für den Heli zuließ.

Wie gefährlich das Verrutschen des Rucksackes war, hatte ich schon einige Male schmerzhaft zu spüren bekommen. Nicht nur, dass ich mir deshalb die Schultern ausgekugelt hatte, das war in den Anfangszeiten nicht nur einmal passiert. Mehrmals wären wir mit dem Helikopter fast abgestürzt, da er dadurch ins Trudeln geriet. Es kann zusätzlich, zu dem normalen Seitenschlag, den es beim Aufsprung immer gab, zu einem unkontrollierbaren Schwingen von über sechzig Kilo Gewicht. Deshalb sicherten wir unsere Ausrüstung schon seit vielen Jahren mit einem zusätzlichen Gurt, vor der Brust. Tief atmete ich noch einmal durch und verschwand nach vorn in die Wachstube.

„Guten Morgen“, grüßte ich kurz zu den Wachtmeistern. „Wann kommt der Heli?“

Oliver, der das Spiel ja schon kannte, schaute zu Felix, der rief ihm zu. „In drei Minuten.“

„Sagt mir Bescheid“, damit sprang ich auf den Tresen und ging tief in mein Qi.

Beachtete gar nicht den jungen Mann, der vor dem Tresen stand. Der nun völlig irritiert durch mein Benehmen, nach mir schaute. Oliver lächelte dem jungen Mann zu.

„Keine Angst, junger Mann. Unsere Kahlyn, sieht gefährlicher aus, als sie ist. Nööö, eigentlich ist sie so gefährlich, wie sie ausschaut. Aber keine Angst, die Kleine tut ihnen nichts", Oliver grinste den jungen Mann an. "Sie können allerdings gleich etwas Einzigartiges sehen. Dann kümmere ich mich sofort, um ihr Anliegen.“

Der nickte völlig verwirrt und war so schockiert über mein Verhalten, dass er gar nicht wusste wie er sich verhalten sollte. Vor allem, was er dazu sagen sollte, deshalb schwieg er lieber. Kurze Zeit später, bekam Felix die Meldung herein, dass Gosch über der Kreuzung war.

„Kahlyn, Gosch ist da. Viel Glück und pass auf dich auf, Mädel.“

Ich sprang einfach vom Tresen, ohne ein Wort zu sagen und lief aus der Wachstube. Raus aus der Wache und hinaus auf die Straße. Zeigte kurz hinter mich, damit Gosch meinen Rucksack in mein Gewicht einkalkulieren konnte. Gosch wackelte kurz mit dem Heli, er hatte also meinen Rucksack gesehen, also nahm ich Anlauf und sprang in gewohnter Weise auf. In dem Moment, als ich die Kufe berührte, zog Gosch auch schon an. Ich kletterte in den Hubschrauber und schloss die Tür. Ließ mich auf den Sitz des Co-Piloten fallen.

„Hallo Gosch, wie geht es dir?“, kam meine gewohnte Frage, wie immer bekam ich erst einige Zeit später, die Antwort.

„Gut und dir? Lass dich anschauen. Gut schaust aus“, stellte Gosch lächelnd und zu mir blickend fest.

„Bekommt dein Gosch, heute keinen Kuss?“, forderte er ihn sich lachend ein, weil er froh war, dass ich wieder besser gelaunt war, als beim letzten Mal.

Lachend beugte ich mich zu ihm. „Klar bekommst du einen. Sogar noch einen zweiten, den schulde ich dir noch vom letzen Mal“, gab ich ihn angrinsend zur Antwort.

„Na das ist doch mal eine schöne Überraschung. Hab ich mir da nicht auch Zinsen verdient?“

Jetzt musste ich noch mehr lachen. „Du bist ganz schön frech Gosch. Aber mal etwas anderes, was ist los? Wieso ist Großalarm? Das hatten wir schon Ewigkeiten nicht mehr“, erklärte ich wieder ernst werdend meinem Piloten und gab ihm aber noch einen Kuss, damit er seine Zinsen bekam.

„Täubchen hinten liegt das Dosier, schau rein. Ich habe keine Ahnung, was los ist. Eigentlich habe ich ja frei, aber der Oberst hat nicht nur mich aus dem Urlaub geholt, sondern alle Teammitglieder. Es muss schon etwas verdammt Ernstes sein, wenn er alle Leute von uns holt, die drei Teams von Sender und von Conny, zu unseren Leuten dazu holt. Das sind alleine von uns neunzig Leute für einen Einsatz. Frage mich bitte nicht nach meiner Meinung. Mir ist jetzt schon kotz übel, ich habe ein sehr schlechtes Gefühl im Bauch. Dabei kann nichts Gutes heraus kommen, vor allem weil er dich vor der Truppe holen lässt. So einen großen Einsatz, hatten wir lange nicht mehr“, meinte Gosch und hatte einen Gesichtsausdruck, der mir ein noch schlimmeres Gefühl in den Bauch zauberte. Zielsicher griff ich hinten mich, nahm meine Schwerter und die Tonfa aus dem Halfter und legte sie hinten auf den Sitz. Mit einem mehr als unguten Gefühl, holte ich mir das Dossier auf den Schoss und schnallte mich erst einmal an.

Als ich mich in die Fakten und Zahlen vertiefte, wurde mir mit jeder Zeile und jeder Seite die ich las schlechter. Nach einer dreiviertel Stunde, ich musste das Dossier zweimal lesen, weil ich nicht glauben konnte, was ich da gerade erfahren hatte. Wusste ich, warum der Oberst so viele Leute angefordert hatte. Es würden bestimmt noch mindestens, zwei komplette Einheiten vor Ort sein. Also waren Minimum einhundertfünfzig Einsatzkräfte in diesen Einsatz involviert. Das hatte es bisher nur zweimal gegeben. Dieser Einsatz würde die Hölle, um vieles Schlimmer, als der Einsatz von Conny. Hoffentlich war der wieder fit, alleine konnte ich diesen Einsatz nicht bewältigen. Am liebsten würde ich den Oberst fragen, ob er nicht alle meine Leute anfordern konnte. Alle außer Raiko. Gosch der sah, dass ich grübelte, sprach mich vorsichtig an.  

„Was ist los Täubchen? Was schwirrt dir durch den Kopf? So schlimm?“, fragte er mich gleich drei Sachen.

Ich legte meinen Kopf in den Nacken und holte tief Luft. „Weißt du, am liebsten würde ich den Oberst fragen, ob ich meine Leute bekommen kann. Sonst sind die Verluste viel zu hoch, ich bekomme euch dort nicht durch. Aber die Einsatzleitung hat nicht der Oberst, sondern ein Generalmajor Hunsinger. Der Name sagt mir irgendetwas. Ich glaube ich kenne den. Hoffentlich ist das nicht der, den ich meine. Dann gibt es richtiges Problem, der kann mich für den Tod nicht leiden und ich mag den genauso gern wie der mich. Der ist ein Freund vom Oberstleutnant Mayer und genauso ein großes Arschloch. Die Chance, dass dieser Hunsinger auf mich hört, ist genauso hoch, als wenn du einen Eimer Leitungswasser ins Meer schüttest und hoffst, dass das Meer dann nicht mehr salzig ist. Wenn wir so vorgehen wie es hier drinnen steht, dann fange an zu beten, würde der Oberst sagen. Gosch, dann werden viele Witwen weinen“, müde lehnte ich mich zurück. „Wie lange fliegen wir noch, Gosch?“

Der Pilot sah auf seine Anzeigen. „Knappe vierzig Minuten, Täubchen. Schlaf noch ein bisschen, du kommst dann bestimmt nicht mehr dazu. Das hört sich für mich nach einem schlimmen Einsatz an.“

Traurig schaute ich zu Gosch. „Gosch, das wird kein schlimmer Einsatz, das wird die Hölle. Ich habe keine Ahnung, wie ich euch ohne meine Leute da durchbringen soll.“ Nachdenklich starrte ich aus dem Fenster.  „Sag mal Gosch, dich brauche ich doch nicht für den Einsatz, würdest du mir zu liebe, deinen Job riskieren?“

Gosch blickte verwundert zu mir herüber. „Wie meist du das Täubchen?“

Unschlüssig sah ich ihn an.

„Komm rücke raus mit der Sprache, Täubchen, du fragst mich doch so etwas nicht, wenn du nicht eine Idee hast, die dich nicht mehr los lässt.“

Ich rieb mir verzweifelt den Nacken. „Würdest du dich über gegebene Befehle hinwegsetzen, Gosch und mir meine Leute einsammeln? Den Doko Jacob und den Doko Karpo auch. Ich kann nicht hundertfünfzig Leute medizinisch betreuen, kämpfen und gegen eine Taktik arbeiten, die so nicht funktioniert. Keine Ahnung, wer diese gequirlte Scheiße ausgearbeitet hat! Die könnte glatt weg von Raiko stammen. Der würde auch so einen Mist zusammen schreiben. Die Taktik stimmt hinten und vorne nicht. Gosch, ich kann doch nicht an drei Stellen gleichzeitig sein, da bin sogar ich überfordert. Selbst wenn ich Conny und den Oberst dazu nehme, funktioniert das nicht. Ich brauche meine Leute schnellst möglich vor Ort. Keine Angst, ich rede mit dem Oberst. Aber wenn der Nein sagt, fliegst du trotzdem, meine Leute holen bitte. Ich will nicht, dass jemand von euch stirbt. Aber ich kann euch nicht alle beschützen, wenn ich alleine bin. Dazu brauche ich meine Leute und deine Hilfe“, flehentlich sah ich meinen Piloten an.

Ich bekam richtige Panik, wenn ich an diesen Einsatz dachte. Über die Hälfte der Leute würden sterben, wenn wir so vorgehen würden wie im Dosier beschrieben. Das konnte ich doch nicht zulassen. Gosch sagte lange nichts und grübelte vor sich hin. Ich konnte mir schon vorstellen, wie es in ihm aussah. Er war ein Mensch, der sich stets an Befehle hielt und niemals von einem vorbereiteten Weg abweichen würde und schon mal gar nicht, gegebene Befehle hinterging. Nur, wenn ich ihm damit drohe, das Funkgerät wegzuschmeißen, dann machte er das. Allerdings wusste der Drachenflieger auch, dass ich ihn niemals darum bitten würde, wenn ich eine andere Möglichkeit sehen würde, meine Leute zu schützen.

„Kahlyn, rede erst einmal mit dem Oberst, wenn alle Stränge reißen, hole ich dir die beiden Ärzte und deine Leute, auch ohne eindeutigen Befehl vom Oberst.“

Erleichtert atmete ich auf. „Gosch damit, hast du dir noch einen Kuss verdient. Dann geht es mir gleich ein wenig besser.“

Tief holte ich Luft, dann hatten wir noch eine kleine Chance, auch wenn ich wahrscheinlich nicht alle retten konnte. So doch wenigstens meine Freunde. Zufrieden rollte ich mich zusammen. Ich konnte nicht schlafen, zu viele Gedanken an den bevorstehenden Einsatz, gingen mir durch den Kopf.

„Kannst du nicht schlafen, Täubchen?“, sprach mich Gosch an.

Er hatte Recht. Ich setzte mich wieder normal hin.

„Mir geht der Einsatz nicht aus dem Kopf. Ich werde erst schlafen können, wenn ich mit dem Oberst gesprochen habe. Sag mal Gosch, wann denkst du, werden die anderen da sein?“

Gosch überlegte und überschlug die Geschwindigkeit der Antonow und die Entfernung zur Basis.

„Täubchen, ich denke etwa zwei bis zweieinhalb Stunden nach dir. Warum willst du das wissen Täubchen?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Einfach so, da bleibt mir ja kaum Zeit eine andere Taktik auszuarbeiten. Aber ich bekomme das schon hin. Wir fliegen dann ja noch einmal, gut eine Stunden bis zum Einsatzort. Mir wird schon etwas einfallen. Gosch legte dich dann noch ein wenig hin. Gleich, wenn wir ankommen, damit du dann fit bist. Ich glaube zwar nicht, dass ich dich brauche. Aber auch, wenn du nicht von mir vor Ort gebraucht wirst, brauche ich dich doch, um die anderen zu holen.“

Gosch nickte, er musste einmal quer durch die Republik fliegen, wenn er alle einsammeln sollte. Hoffentlich, so ging es ihm durch den Kopf, gab der Oberst seine Genehmigung dazu. Ganz wohl, war ihm nicht dabei. Aber er gab seinem Täubchen recht und das würde er auch Willy sagen, sie konnte sich nicht auch noch, um die ganzen Verwundeten kümmern. Um von dem Thema abzulenken, fragte er mich

„Sag mal Täubchen, wie geht es dir eigentlich? Hast du dich schon etwas eingelebt.“

Jetzt musste ich lachen. Ich wusste, dass er mir beim runterfahren helfen wollte. Das würde ihm allerdings nicht gelingen. Wenn ich mich einmal, an einem Problem festgebissen hatte, brachte mich nichts davon ab, es zu lösen.

„Ach Gosch, mir geht es gut, wie lange nicht mehr. Es ist richtig schön in Gera, ihr habt mal wieder alle Recht gehabt. Ich musste den Jungs dort, nur eine Chance geben. Aber mal etwas anderes. Hast du mal etwas von Conny gehört, wie kommt er mit dem Erlebten klar?“, erkundigte ich mich direkt bei Gosch.

Ich brauchte einen Conny der fit war. Er half mir nicht, wenn er wie ein nasser Sack durchhängen würde. Dann ließ ich ihn lieber zu Hause, dann war die Gefahr viel zu groß, dass ihm etwas passieren könnte. Gosch schielte zu mir herüber, ihm gingen bestimmt die gleichen Gedanken durch den Kopf.

„Ich würde sagen, er ist noch nicht wieder der Alte. Er ist schnell gereizt und obenauf. Aber im Großen und Ganzen, denke ich, hat er die ganze Sache besser verkraftet, als wir erst dachten. Nur hat er auch noch mit seinem Team Probleme. Die Sache ist ja auch erst vor vierzehn Tagen passiert, man darf da auch nicht zu viel erwarten. Er hat vom Oberst jetzt vier neue Leute bekommen, die sich wohl etwas schwer tun, mit der Eingewöhnung und seinem Führungsstil. Aber das bekommt der schon hin. Ich hab ein paarmal mit ihm telefoniert, also auf mich macht er einen guten stabilen Eindruck. Auch den letzten Auftrag, hat er super gemeistert vor fünf Tagen. Mach dir keine Sorgen, Täubchen, wenn es hart auf hart kommt, ist er wieder voll da.“

Erleichter hörte ich meinem Gosch zu. Das Gehörte beruhigt mich etwas. Wir kamen schon in eine mir bekannte Gegend. In fünf Minuten würden wir auf dem Gelände der Soko landen. Ich nahm die Arme hinter den Kopf und lehnte mich an die Tür des Helis, schaute meinen Gosch an.

„Weißt du, wie sehr ich dich vermisst habe. Ich dachte neulich ich sehe dich nie wieder“, gestand ich ihm einfach einer inneren Eingebung folgend.

Gosch grinste mich frech an, wollte noch etwas sagen. „Schön dass du mich vermisst hast. Du weißt …“, Gosch sah er auf meine Füße und fing lacht lauthals los. „ … Ich glaub es nicht … Täubchen, wo sind deine Schuhe?“

Jetzt musste ich auch lachen. „Gosch, die sind nicht weg wie du vielleicht denkst. Die hängen zum Trocken, im Garten von Jo und Viola. Ich bin mit Rudi in das Schwimmbecken gefallen, zehn Minuten bevor der Alarm losging. Ich hab doch nur ein Paar Schuhe. Aber ich habe sie nicht verloren, wirklich nicht. Du kannst Rudi fragen“, setzte ich mit ernster Miene nach.

Gosch musste noch mehr lachen. „Täubchen, wie soll ich landen, wenn ich lachen muss. Du weißt doch, ich mach beim Lachen immer die Augen zu. Na du bist mir eine, wieso seid ihr ins Schwimmbecken gefallen?“, wollte er jetzt von mir wissen, versuchte sich krampfhaft zu beruhigen.

„Das ganz einfach. Wir saßen im Garten bei den Runges, auf dem Rand vom Schwimmbecken. Rudi hat mit mir geschimpft, weil ich Ramira geholfen habe. Na ja, dann hatte er eingesehen, dass es sein musste. Daraufhin hat er mir dann einen Versöhnungskuss gegeben. Ich wollte ihm ein Kuss zurück geben, war wohl etwas zu stürmisch“, lachend zuckte ich mit den Schultern. „Dann ging alles ganz schnell, Rudi kippte nach hinten und da er sich an mir festhalten wollte, zog er mich mit ins Wasser. Da wir einmal nass waren, haben wir uns noch ein wenig im Wasser gebalgt. Aber ich hatte ausnahmsweise Mal Schuhe an, nun sind sie halt nass“, erklärte ich mit einer Stimme, der man anmerkte, dass ich mir das Lachen kaum noch verkneifen konnte.

„Das sah bestimmt lustig aus, Täubchen.“

„Klar“, gab ich zur Antwort. Das war ja auch lustig. „Wir haben uns halb tot gelacht. Vor allem, weil in es in dem Moment klingelte und John mit seiner Familie gerade zu Besuch kam. Wir pitschnass, nur noch in Unterwäsche, durchs Haus marschierten und nur am lachen waren. Das war bestimmt ein komischer Anblick, jedenfalls haben John, seine Frau und deren … Eltern? ... oder wie das heißt, ganz schön dumm geguckt.“

Gosch wischte sich bei meiner Schilderung, immer wieder die Tränen aus den Augen. „Das glaube ich dir gerne Täubchen. Na ja dann werde ich mal versuchen zu landen“, immer noch lachend.

Ich griente ihn an. „Aber bitte keine Bruchlandung, wir brauchen den Drachen noch.“

Gosch drohte mir mit der Faust. „Dann höre auf, mich abzulenken, Täubchen. Aber dir geht es wirklich gut, das merkt man.“

Der Pilot wurde ernst und konzentrierte sich auf die Landung. Ich griff nach hinten, holte die Schwerter und den Tonfa, steckte alles in die dafür vorgesehen Halterung am Gürtel und an dem Halfter, schnappte mir das Dossier. Kaum hatte der Drache den Boden berührt, stieg ich schon aus und holte mir auch meinen Rucksack. Tief gebeugt, um den Rotorblättern aus dem Weg zu gehen, lief ich los in Richtung Besprechungszimmer. Kaum zwei Minuten später klopfte ich an.

Ein sofortiges lautes. „Herein.“

  

Zeigte mir an, dass der Oberst mich schon sehnsüchtig erwartet hatte. Kaum, dass ich das Zimmer betreten hatte, kam er auf mich zugestürmt.

„Gott sei Dank, dass du schon da bist, Kahlyn. Ich drehe hier gleich durch, bitte habe eine Lösung für mich.“

Er war so von der Rolle, dass er mich nicht einmal richtig begrüßt.

„Sir, Leutnant Kahlyn meldet sich zum Dienst, Sir. Keine Angst ich habe mir schon Gedanken gemacht und habe auch einige gute Ideen. Die müssen sie aber absegnen Genosse Oberst, alleine kann ich das diesmal nicht entscheiden, Sir“, bat ich gleich, um das was ich wollte. Aber erst einmal nahm er mich in den Arm, dann folgte die obligatorische Frage.

„Wie geht es dir meine Kleine? Gut schaust du aus. Wann hast du das letztemal geschlafen und gegessen?“

Ich glaube das war so eingespielt bei uns, diese beiden Fragen würden wohl immer kommen, auch wenn sie jetzt nicht mehr von Nöten waren. Denn der Oberst wusste, dass ich in Gera schlafen konnte und auch genügend zu essen bekam.

„Sir, mir geht es richtig gut, geschlafen bis gegen 8 Uhr, danach gegessen, Sir.“

Fleischer musterte mich genau, sogar einmal komplett um mich selbst drehte er mich.

„Du siehst wirklich gut aus, Kahlyn. Bist du endlich angekommen und hast dich eingelebt.“

Ich nickte, doch ich wollte nicht über mich reden, sondern den Einsatz. „Sir, wir können alles Unwichtige nach dem Einsatz bereden, bitte der Einsatz wird die Hölle. Wenn wir nicht wollen, dass die Hälfte unserer Leute dabei drauf geht, müssen sie mir helfen. Vor allem müssen sie mich unterstützen, Sir. Ich kenne diese Generalmajor Hunsinger glaube ich. Wenn das der ist, den ich kenne, wird es die Hölle. Der akzeptiert meine Vorschläge nie und nimmer. Wenn ich ehrlich bin, habe ich im Moment einfach keine Lust, mich erst wieder gegen hundertfünfzig mir fremde Leute durch zusetzten.“

Der Oberst gab mir einen Kuss auf die Stirn.

„Für was ist der? Ich hab bis jetzt noch nichts gemacht.“

Er lächelte mich an. „Weil dir immer etwas einfällt, uns aus dem Schlamassel zu holen, in den uns andere schicken. Dafür liebe ich dich ja so, meine Kleine. Schieß los, was brauchst du?“ Er zog mich an den Tisch, auf dem Kartenmaterial vom Einsatzort lagen.

„Oberst, ich brauche folgende Leute. Doko Jacob, Doko Karpo, dann Teja, Rafik, Sina, Jaan, Andi, Cankat und Rashida. Ohne meine Leute, Oberst habe ich keine Chance, euch da heil durch zu bringen. Dann sind nach dem Einsatz, über die Hälfte der Leute tot, der Rest ist schwer verletzt. Entschuldigung, wenn ich das so sage. Aber anders geht es nicht, Sir. Dann wird der Einsatz nicht die Hölle, sondern ein Super-Hyper-Gau.“

Der Oberst wurde bei jedem Wort, das ich sagte, blasser und sah mich erschrocken an.

„Kahlyn, das ist nicht dein Ernst. Wie soll ich die so schnell hier her bekommen? Wir fliegen in zwei Stunden los, das schaffe ich nie im Leben“, verzweifelt sah er mich an.

„Oberst, die können doch direkt zum Einsatzort geflogen werden. Aber, wenn Gosch das allein machen muss, dauert das den ganzen Tag. Er muss einmal durch die ganze Republik fliegen. Das Beste wäre, wenn sie alle drei Helis los schicken würden und vielleicht noch ein oder zwei andere dazu holen, dann ist das ein Klacks. Die können alle gleich zum Einsatzort, nach Himmelpfort bringen. So sind meine Leute, spätestens nach der ersten Angriffswelle da. Ich hoffe, dass danach der Generalmajor, einfach offener für meine Vorschläge ist. Es wird bei dem ersten Angriff schon massig Tode geben. Ich hoffe wenigstens, dass es keinen von unseren Leuten trifft. Verletzte werden wir aber dann schon genug haben. Deswegen will ich die beiden Ärzte da haben, aber das heilt alles wieder. Oberst ich kann nicht hundertfünfzig Leute ärztlich versorgen und kämpfen und gegen diesen Generalmajor kämpfen. Da bin sogar ich überfordert. Wer in Himmels Namen, hat diesen Mist hier eigentlich verzapft. Der gehört an die Wand gestellt. Das ist doch unmöglich.“

Wütend knallte ich mit der Faust auf den Tisch. Mich regte es maßlos auf, dass man die Vorbereitung eines solch großen Einsatzes so in den Sand setzte. Erschrocken sah mich der Oberst an, weil er solch eine Reaktion von mir nicht gewohnt war.

„Kahlyn die Einsatzplanung, hat einer von deinen Leuten gemacht. Ich glaube Raiko heißt derjenige. Der wurde extra, weil er so gut sein soll, laut den Aussagen vom Oberstleutnant Mayer, zum Stab des Generalmajors geschickt.“

Jetzt gingen die Pferde völlig mit mir durch. Im ersten Moment starrte ich den Oberst an und im zweiten Moment brüllte ich ihn an, wie ich ihn noch nie angebrüllt hatte. Jedes Wort betonte ich und meine Stimme überschlug sich fast.

„Wer in Himmels Namen, hat behauptet das Raiko ein guter Taktiker ist. Raiko ist eine absolute Null. Dass einzige, wovon Raiko wirklich Ahnung hat, ist von Sprachen. Er ist ein absolutes Sprachgenie und versteht etwas von Diplomatie und er kann wunderschön Singen. Aber er hat weniger Ahnung von Taktik, wie ein Elefant der forzt. Im Kämpfen ist er schlechter als ihr schlechtester Kämpfer und wenn er gut ist, trifft er bei zwölf Schuss, vielleicht zweimal die äußere zehn. Verdammt nochmal, da schießt sogar John besser und der ist wirklich nicht gut im Schießen. Er ist eine Niete, in allem, was den Kampf angeht. Er hat bei uns immer nur den Packesel gespielt und alles getragen, was uns beim Kampf behindert hat. Was denkst du, warum ich ihn vorhin nicht mit erwähnt habe. Er ist im Kampf, einfach nur eine Katastrophe“, wütend sah ich den Oberst an, so wütend hatte der mich noch nie erlebt.

„Verdammt Kahlyn, da kann ich doch nichts dafür. Da traue ich mir ja gar nicht zu sagen, was noch auf dich zukommt, bei diesem Einsatz. Wenn du schon jetzt so an die Decke gehst.“

Jetzt war es an mir, den Oberst anzustarren. „Was bitte, kann noch schlimmer sein, als Raiko als Taktiker?“

Entsetzt schaute ich den Oberst an. Mir kam gerade ein schrecklicher Gedanke, bei den letzten Worten die ich ausgesprochen hatte.

„Doch meine Kleine, ich glaube du hattest gerade, den richtigen Gedanken. Der zweite Einsatzleiter bei diesem Einsatz, ist Oberstleutnant Mayer, der ist Generalmajor Hunsinger direkt unterstellt. Raiko arbeitet in der Abteilung von Mayer.“

Buha, das zog mir jetzt erst einmal die Füße weg. Das musste ich jetzt erst einmal verkraften. Jetzt wurde mir einiges klar.

„Das kann doch wohl nicht wahr sein. Oberst, hast du Sender Truppe angefordert oder der Mayer? Wie so ist dieses Arschloch schon wieder auf freien Fuß? Rudi hat den doch eingesperrt und Jo hat mir versprochen, dass der nie wieder frei kommt.“

Der Oberst schüttelte den Kopf. „Nein Kahlyn, ich habe euch angefordert, weil mir beim Durchlesen des Dossiers klar wurde, dass wir das ohne dich nicht hinbekommen. Aber die wissen noch nicht, dass du mitkommst. Nur, dass ich noch sechs zusätzliche Teams mitbringe. Die wollten das mit drei Einheiten durchziehen. Wieso der Mayer wieder auf freien Fuß ist, kann ich dir nicht sagen. Kahlyn, das ist mir selber ein Rätsel, dass ich lösen werde, sobald ich diesen Einsatz hinter mir habe und ich den überlebt habe.“

Ich stützte den Kopf auf die Hände und schüttelte nur den Kopf. „Lass, mich alleine Oberst. Sorge dafür, dass die neun Leute schnellst möglich, zum Einsatzort gebracht werden. Ich versuche uns da heil rauszuholen, wenn ich auch noch nicht weiß, wie ich das hinbekommen soll. Vielleicht fällt mir noch etwas ein. Wann kommen die anderen hier an?“

Der Oberst sah auf die Uhr. „In fünfunddreißig Minuten müsste Conny mit seiner Truppe da sein. In circa fünfundvierzig Minuten deine Leute.“

„Danke, lass mich bitte alleine, ich muss arbeiten. Wenn Conny da ist, will ich ihn sofort sprechen. Und wenn ich sofort sage, meine ich auch SOFORT. Für die anderen Teamleiter ist in fünfzig Minuten eine erste Einsatzbesprechung. Bitte Oberst, sorge dafür, dass ich mir nicht wieder erst Respekt, erkämpfen muss. Uns läuft die Zeit weg.“

Mir die Haare raufend, vertiefte ich mich in das Kartenmaterial und die Unterlagen. Aber auch die Fotografien vom Zielgebiet. Hoch konzentriert ging ich Schritt für Schritt meine Möglichkeiten durch. Trotzdem wurde mir mit jeder Minute schlechter. Ich musste versuchen, den ersten Angriff nur als Bluff zu machen. Damit so wenig Leute, wie möglich verletzt wurden und es hoffentlich noch keine Toten geben würde. Wenn der Generalmajor, allerdings so war wie ich ihn in Erinnerung hatte, dann hatten wir ein großes Problem. Wie der Oberstleutnant, würde er alle von mir kommenden Vorschläge, aus Prinzip ablehnen. Wenn das der Fall war, würden für die beiden anderen Teams, die Karten in diesen Moment verdammt schlecht aussehen. Die hätten dann schon die ersten Tode zu beklagen, aber ich würde das nicht so einfach zu lassen. Ich musste irgendwie versuchen, auch diese Leute zu schützen. Ich nahm Papier und Stift, zeichnete erste Skizzen. Machte Vorschläge für die beiden anderen Einheiten, damit auch sie, nicht so hohe Verluste hatten und zeigte ihnen auf, wie sie anders vorgehen konnten. Nach einer halben Stunde hatte ich sechs Teamanweisungen, in zwei Dossiers zusammen gestellt. Hoffentlich schauten die Beiden anderen Teamchefs wenigstens einmal hinein. Dann würde ihnen schnell klar werden, dass diese Vorgehensweise besser war. Vielleicht half es ihnen ja dabei, wenn sie merkten, dass die andere Taktik Mist war. Vor allem konnten sie dann aus der Situation heraus, noch einigermaßen gegen steuern. Auf diese Weise würden auch diese Teams, kaum Verluste haben.

Raiko hatte ich mir vorgenommen, würde von mir einen Anschiss bekommen, der sich gewaschen hatte. Der konnte sich warm anziehen, sobald ich ihn sah. Wie oft hatte ich ihm gesagt, er sollte die Finger von taktischen Sachen lassen, weil er einfach nichts davon verstand. Er war eine absolute Spitzenkraft in punkto Sprachen. Er lernte innerhalb von drei Stunden eine Sprache, in Schrift und Aussprache, war unschlagbar bei allem was diplomatische Korrespondenzen betraf. Vor allem sein Auftreten und alles was Diplomatie zu tun hatte, war immer vorbildlich. Auch im Musikalischen Bereich war er einzigartig. Aber in allen praktischen Kämpfen, war er ein absoluter Versager. Ich war total wütende, als es an der Tür klopft. Genauso wütend wie ich war, kam auch das „Herein“, aus meinem Mund. Erschrocken sah mich der eintretende Conny an. Ich sprang auf, lief zu ihm und fiel ihm einfach um den Hals.

„Na wenigstens ein Lichtblick, den ich heute habe. Wie geht es dir Conny? Wage dir nicht zu sagen schlecht“, grinste ich ihn frech an.

„Na Engelchen, wenn ich so barsch herein gerufen werde, kann es mir doch nur schlecht gehen. Aber nach der netten Begrüßung, geht es mir doch gleich wieder besser“, neckte er mich strahlend.

Intensive betrachtete ich Conny. Gesundheitlich ging es ihm wieder gut, das sah ich sofort. Er hatte keine Augenringe mehr, eine gesunde Gesichtsfarbe, auch sein Herz schlug kräftig und gleichmäßig. Aber ganz gut, ging es ihn noch nicht, das fühlte ich instinktiv.

„Conny, ich will wissen, wie es dir wirklich geht. Bitte die Wahrheit, Conny. Was ist mit deiner Angst, vor engen Räumen“, forschte ich daher nochmals nach. Wir mussten unter die Erde, das hieß in Gänge und auch in Schächte. Genau beobachtete ich seine Atmung, seine Reaktion war genauso, wie ich sie befürchtet hatten. Sein Herzschlag erhöhte sich schon nur bei den Gedanken an Enge, was ja nach dem Erlebten verständlich war. Also blieb mir nichts erspart heute. Bevor er mir antworten konnte, sagte ich in einem Ton, der keinen Wiederspruch zuließ.

„Setz dich, Conny. Du musst mir nicht antworten. Die Antwort habe ich gerade gesehen. Bitte fange nicht an, mit mir zu diskutieren. Mein Bedarf an solchen Diskusionen, ist für die nächsten hundert Jahre gedeckt. Setzte dich, das ist ein Befehl.“

Conny der genau wusste, dass ich ausrasten würde, wenn er jetzt mit mir eine Diskussion anfing, setzte sich ohne ein Wort. Ich ging zum Fenster und zog die Vorhänge zu, um wenigstens etwas weniger Licht zu haben.

„Schau mich an und wehre dich nicht gegen das, was ich jetzt mache“, bat ich ihn in einem strengen, aber freundlichen Ton.

Ohne zu Zögern, nahm ich meine Brille ab und begann das Krantonak. Nach reichlichen acht Minuten, hatte ich das Zentrum der Platzangst so blockiert, dass es sich nur noch durch einen bestimmten Befehl öffnen ließ. Außerdem hatte ich Conny noch die Fähigkeit, zum schnellen Schlafen gegeben. Er konnte jetzt so wie Gosch und ich, in zehn Minuten so schlafen, als wenn er acht Stunden am Stück geschlafen hätte. Er schlief schlecht, das sah ich an seinen Vitalwerten. Damit fertig, setzte ich mich hin. Ihm würde es gleich besser gehen, ich brauchte ihn fit.

„Conny, halte mich zehn Minuten bitte, ich muss unbedingt ins Jawefan und etwas schlafen.“

Drei Atemzüge später, ich hatte keine Antwort von ihm abgewartet, war ich ins Jawefan abgetaucht. Ich wusste, dass Conny mich halten würde, egal was passiert. Ich tauchte völlig ab, um alles zu richten, was bei mir schief lief. Schlief ein paar Minuten, tief und fest. Erholte mich so, von dem anstrengenden Krantonak.

Conny sah mich besorgt an. 'Engelchen, was ist mit dir los? Du siehst nicht gut aus?' Vorsichtig, um mich nicht zu wecken, fühlte er meine Stirn. Aufmerksam beobachtete er mich und sah in mein rotfleckiges Gesicht. Ein Zeichen dafür, dass ich sehr hohes Fieber hatte. 'Wieso bist du wieder so heiß?', überlegte Conny. 'Hast du dich schon wieder übernommen, mit dem Krantonak? Du sahst gerade noch gut aus, als ich herein gekommen bin. Und jetzt geht es dir schon wieder nicht gut. Mich kannst du nicht täuschen. Ich spüre, dass es dir schlecht geht!'

Nach drei Minuten verblasten die Flecken und auch meine Temperatur wurde weniger. Ich hatte im Jawefan das verdammte Fieber wieder in den Griff bekommen. Ich verstand einfach nicht, wieso ich schon wieder Fieber hatte. Aber es war auch egal, darüber konnte ich später nach denken. Ich würde nach dem Einsatz mit Doko reden. So ging das nicht weiter mit mir. Bei diesem Einsatz musste ich mit, egal wie. Ich würde mir das Fieber einfach wegspritzen. Nach elf Minuten, war das Fieber wieder völlig verschwunden. Erleichterung macht sich in mir breit. Vorsichtshalber schlief ich noch zwei Minuten im Jawefan, um mich ganz zu erholen.

'Na Gott sei Dank, das Fieber ist weg. Wie immer hat das Schlafen dir geholfen', ging es Conny durch den Kopf. Erleichtert atmete auch er auf. In dem Moment, erwachte ich wieder. Conny wollte mich wegen meines Fiebers ausfragen und ermahnen, dass ich nicht mit zum Einsatz gehen sollte. Das übliche Palaver halt, dass alle immer machten, wenn sie merkten, dass etwas mit mir nicht stimmte. Ich ließ ihn jedoch nicht zu Wort kommen. Ich ahnte, was er wollte, schließlich kannten wir uns ziemlich gut und vor allen, schon sehr lange. Nur hatte ich wirklich, überhaupt keine Zeit, für solche sinnlosen Diskussionen, mir lief sowieso schon die Zeit unter den Fingern weg und ich hatte schon wieder zweiundzwanzig Minuten vergeudet, von einer Zeit die ich nicht hatte. Na vergeudet war die Zeit nicht, dafür bekam ich einen fitten Conny, aber ich hatten noch viele andere Sachen zu tun, der Einsatzplan war noch nicht fertig.

„Engel…“

Ich unterbrach ihn einfach und fuhr ihn böse an. Conny erschrak, denn so fuhr ich ihn wirklich nur an, wenn ich nicht mehr wusste, wo hinten und vorn war.

„Komm mit.“ Sofort stand ich auf und zeigte in eine Ecke. „Setze dich dort hin“, befahl ich ihm in einen Ton, dem er lieber nicht wiedersprach. Dazu wusste er nur zu genau, was passieren würde, wenn er das jetzt tat. Auf Schmerzen, durch eine Tracht Prügel, war er nicht scharf. Also folgte er lieber wortlos und setzte sich an den von mir bestimmten Platz. Kaum hatte sich Conny gesetzt, gab ich ihn Anweisungen zu schlafen.

„Conny, schließe die Augen. Atme tief und gleichmäßig, sage dir innerlich, ich schlafe jetzt zehn Minuten tief und fest.“

Er kam in keinen ruhigen Atemrhythmus.

„Conny, höre auf meinen Atem.“

Langsam beruhigt er sich, gleichmäßig und tiefe Atemzüge erhielt ich nach einer Minute, er schlief. Ich lief wieder zu meinen Unterlagen, fing an für die anderen neun Teamleiter, je eine Einsatzplanung vorzubereiten. Da ich die Skizzen schon fertig gemacht hatte, war ich nach zehn Minuten fertig und heftete alles zusammen. Schrieb auf jeden Plan einen Nummer, so dass ich sie dann, dem jeweiligen Team zuordnen konnte. Kaum dass ich fertig war, wurde Conny munter. Ich sah auf die Uhr, wo blieben die Anderen nur. Conny kam auf mich zu und gab mir einen Kuss.

„Engelchen, was hast du mit mir gemacht, ich fühle mich als, wenn ich acht Stunden geschlafen hätte.“

Ich lächelte ihn an. „Das hast du auch gerade.“

Verwundert schaute Conny auf die Uhr.

„Conny, es gibt immer noch Sachen, die du von mir nicht weißt. Bitte da hinten steht eine Kiste, klettere rein. Du wirst sehen, du hast keine Angst mehr vor der Enge. Das hätte ich dir damals schon wegmachen können, wenn du mit mir gesprochen hättest. Aber ihr habt ja nie Vertrauen zu mir. Wie also soll ich Euch da helfen? Schlafen kannst du jetzt immer so. Wenn du nicht klar kommst, rede mit Gosch, der kann das auch. Conny, komm mach los! Sehe bitte mal nach, wo die anderen bleiben, verdammt uns läuft die Zeit weg.“

Damit gab mir Conny noch einen Kuss auf die Stirn und wollte nach draußen gehen, um nach den anderen zu sehen.

„Ach Conny, bitte sorge dafür, dass ich bei deinen Teamleitern nicht wieder erst, einen Machtkampf führen muss, dazu haben wir diesmal einfach keine Zeit.“

Der nickte wortlos. Wusste er doch, wenn ich solch einen Stress machte, dass die Zeit wirklich brannte. Zehn Minuten später, kamen die Teamleiter ins Besprechungszimmer und setzten sich um den Tisch. Oberst Fleischer, entschuldigte die Verspätung.

„Kahlyn, das Flugzeug bekam eben erst die Landeerlaubnis. Tut mir leid, auf die Landefreigabe habe ich keinen Einfluss. Die Helis, sind unterwegs, um die Verstärkung einzusammeln“, erklärte er mir entschuldigend. Aber er lächelte mich an. Denn er hatte ja auch noch eine gute Nachricht für mich.

„Ich sage dir das war jetzt ein Kampf, ich musste alle Beziehungen spielen lassen, die ich hatte. Sina, soll ich dir ausrichten, ist leicht angeschlagen. Sie wurde gestern bei einem schweren Einsatz verletzt. Aber Doko Jacob sagt, er bekommt sie hin.“

Erleichtert atmete ich auf und rieb mir müde das Gesicht. Dann wandte ich mich wieder dem Oberst zu und setzte mich zu den anderen an den Tisch.

„Kahlyn, du brauchst dich gar nicht erst zu setzen“, kam sofort seine Anweisung. „So Leute, die meisten von euch, kennen Leutnant Kahlyn schon. Für diejenigen unter uns, die sie noch nicht kennen. Das hier, ist die beste Kämpferin die wir seit Jahren haben, eine brillante Taktikerin, eine der besten Ärztinnen die ich kenne. Jeder der sich mit ihr anlegt, bekommt Ärger mit mir. Bei diesem Einsatz, geht es um Leben und Tod. Jeder der nicht bereit ist, nach ihrer Taktik vorzugehen, ist raus aus dem Einsatz, ich lasse nicht zu, dass ihr euer Leben und das Leben eurer Leute wegschmeißt. So meine Kleine, nun fang mal an.“

Ich sah schon, dass einige von den Teamleitern, nicht mit den Worten des Obersts konform gingen. Deshalb machte ich Schocktherapie mit denen. Ich hatte einfach keine Zeit, für so einen Scheiß.

„Alle auf stehen, sofort“, befahl ich, in einem harten Ton, den mir keiner zutraute.

Entschlossen zeigte ich auf die große freie Fläche, wo normalerweise die Stühle, für die Einsatzbesprechung standen, die aber zurzeit unten im Bereitschaftsraum waren. Die wurde nur mit hoch gebracht, wenn man sie benötigte. Verwundert sahen mich alle an. Ich schnallte die Gurte ab, auch das Fangseil, legte alles auf den Tisch. Der Oberst und Conny wussten, was das bedeutete. Ich hatte das schon einige Male gemacht, wenn die Zeit drängte.

„Ihr seid der Meinung, ich bin zu jung, zu dumm und zu unerfahren, um euch zu sagen, was auf euch zukommt. Dann werden wir jetzt folgendes machen! Ihr versucht mich, auf den Boden zu bekommen oder versucht wenigstens mich festzuhalten oder wenn das nicht klappt zu berühren. Ihr habt genau drei Minuten, wenn ihr das nicht schafft, hört ihr mir zu.“

Nach meinen letzten Worten, atmete ich mich tief in mein Qi, bereit jedem Angriff durch die Bewegung im Schwerttanz auszuweichen. Der Oberst und Conny griffen mich als erste an. Zum Angriff ermutigt, fingen auch die anderen an, mich anzugreifen. Versuchten mich, zu fassen oder mich irgendwie in den Griff zu bekommen. Es waren einige sehr gute Kämpfer dabei. Vor allem die Teamleiter von Conny waren nicht schlecht, aber auch Ronny und Rudi, waren beide ausgezeichneter Nahkämpfer. Nach drei Minuten, sagte der Oberst.

„Die Zeit ist um.“

Verwundert sahen mich die neuen Leute an. Sie begriffen nicht, dass sie keine Chance hatten, mich auch nur zu berühren.

Rudi sah mich an. „Kleene, du bist noch besser als ich dachte. Du zeigst wohl nur Scheibchenweise, was du kannst?“

Lachend sah er mich an. Ich grinste ihn auf meine Art an. Oft halfen solche Vorführungen mehr, als stundenlanges Reden. Es zeigte den Leuten, dass ich etwas vom Kampf verstand, es war schwer zehn Kämpfern gleichzeitig auszuweichen.

„Du bist verdammt gut Mädel“, meinte einer der Teamleiter von Conny, ein breitschultriger untersetzter Typ mit lockigem schwarzem Haar.

„Ich weiß, aber es gibt Schlimmeres“, gab ich trocken zur Antwort.

„Hab ich jetzt eure Aufmerksamkeit“, wollte ich jetzt wissen. Fragend sah ich in die Runde und ging nach vorn zur Tafel. „Leute, bitte es nutzt mir nichts, wenn ihr mich nicht akzeptiert. Dieser Einsatz wird die Hölle. Ich habe schon viele schlimme Einsätze gehabt. Aber nur zwei oder drei, die so schlimm waren, wie dieser hier werden wird. Den einen, könnte ich fast mit dem vergleichen. Damals sind mir nach dem Einsatz, von meinen neunundzwanzig Leuten, neunzehn gestorben. Wenn ihr mir hier nicht vertraut, werdet ihr euch nach dem Einsatz, ebenfalls viele neue Leute holen müssen. Keine Ahnung, ob euch die Witwen das verzeihen werden. Ich sage euch das so deshalb so direkt, weil, wenn ihr euch nicht an den abgeänderten Plan haltet, wir nicht nur Verletzte, sondern vor allem viele Tote haben werden.“

Conny, Rudi, Detlef, der Oberst nickten, die anderen guckten sehr skeptisch. Verdammt, warum war das immer so kompliziert. Wütend zog ich das Oberteil meines Anzuges aus, ebenfalls das T-Shirt. Ich spürte den Blick von Rudi, aber auch dem des Obersts, als sie meine Haut am Rücken sahen. Diese war feuerrot und begann sich schon an einer Stelle wieder aufzulösen. Aber sie sagten Beide nichts dazu, sie wussten beide wie sehr wir in Zeitdruck waren.

„Glaubt ihr wirklich, dass ich die Narben vom spielen mit Puppen bekommen habe. Ich haben dreizehn Jahre Kampferfahrung, habe Kämpfe überlebt, die kein anderer überlebt hätte. Ich gebe euch jetzt fünf Minuten, dann will ich wissen, ob ihr mir vertraut. Conny, komm, hilf mir“, sagte ich, drehte mich um und ging nach hinten in die Ecke.

Ich zog beim Laufen mein T-Shirt wieder an und auch das Oberteil. Conny folgte mir wortlos, setzte sich sofort neben mich und nahm mich einfach in den Arm. Ich sah in dankbar an. Langsam beruhigte ich mich und konnte runterfahren, meine Atmung wurde wieder ruhiger. Schloss einfach die Augen.

„Weckt mich, wenn die das ausdiskutiert haben.“ Keine zwei Atemzüge später schlief ich. Ich musste unbedingt etwas runterfahren, obwohl ich das Fieber unter Kontrolle hatte, stieg es schon wieder. Es war nicht sehr hoch aber es war schon wieder da. Ich begriff einfach nicht, warum? Klar ich hatte hundertfünfzig Gramm Nahrung zu mir genommen, doch das war nach der langen Zeit, in der ich nichts gegessen hatte, keine zu große Mengen. Ich verstand auch nicht wieso mein Zucker schon wieder so hoch war und vor allem nicht die Höhe, des Vitamin B3 in meinen Körper. Meine Haut brannte wie Feuer und mir war kotz übel. Am liebsten würde ich vor dem Einsatz nichts mehr essen. Denn langsam kam mir der Gedanke, dass ich meine Nahrung nicht mehr vertrug. Aber ich brauchte vor dem Einsatz dringend noch etwas Nahrung. Dieser Einsatz würde die Härte werden, fast so schlimm wie der ihn Chelm oder in Cuba, vor ein paar Wochen. Ohne mich hatten die keine Chance dort durch zu kommen.

Eine heiße Diskussion brach am Tisch los, der Oberst, Rudi, Detlef, sagten den anderen ziemlich die Meinung. Nach sieben Minuten war die Sache soweit geklärt, dass man mir vertrauen wollte. Der Oberst kam zu uns hinter in die Ecke, in der Conny und ich saßen, und weckte mich.

Frido, Nikyta, frido. - Wach auf meine Kleine, wach auf“, sagte er nur einmal kurz und streichelte mir übers Gesicht. Sofort war ich munter.

„Habt ihr es klären können? Kann ich jetzt endlich anfangen, Oberst?“, fragte ich ihn verbittert.

Es nervte mich nur noch, dass mir keiner vertraute. Ich hatte es einfach satt, mit solchen sinnlosen Diskussionen, unsere wertvolle Zeit zu verplempern. Der Oberst lächelte, mich traurig an, konnte er doch nachvollziehen wie sehr mich das nervte. Vor allem, weil er ja selber wusste wie sehr die Zeit drängte.

„Kahlyn, was i…“, ich winkte ab und unterbrach ihn einfach, wir mussten anfangen.

„Oberst bitte, wir haben keine Zeit für sinnlose Diskussionen, uns läuft die Zeit weg. Ich muss mit. Ich habe keine Nerven mehr für lange Debatten.“

Darauf hin, hielt er mir und Conny die Hand hin, um uns beim Aufstehen zu helfen, ohne noch ein Wort zu sagen. Sofort lief ich zur Tafel und fing an zu erklären, was auf uns zukam. Erklärte den Teamleitern, warum die Taktik so nicht funktionieren konnte.

„Es ist schön, dass ihr mir jetzt zuhört. Also als Erstes, bei mir zählen keine Ränge, keine Sternchen, auch keine Streifchen. Im Einsatz sind bei mir alle gleich. Es gibt kein Sir, kein Mam, kein Sie. Ich duze alle. Bitte jeder der spricht, nennt kurz seinen Namen. Kurz zu mir, ich bin Kahlyn, einfach nur Kahlyn, bin sechszehn Jahre, aber seit dreizehn Jahren ständig in Kampfeinsätzen. Ich bin das, was man einen Allrounder nennt, bin im Nahkampf, Fernkampf genauso gut, wie beim Springen aus Flugzeugen oder als Pilot. In allem, was das Kämpfen anbelangt, bin ich nicht schlecht.“

Conny fing schallend an zu lachen, bekam von mir einen bösen Blick.

„Conny, bitte nicht, uns rennt wirklich die Zeit weg. Wenn ich euch sage, wenn wir nach der Taktik in Dossier vorgehen, werden achtzig Prozent unserer Leute, nach dem Einsatz, nie wieder kämpfen können, dann könnt ihr mir das glauben. Dieser Einsatz ist deshalb so gefährlich, weil wir immer einen Zweifrontenkampf führen müssen. Diese Gebäude“, ich ging auf die Tafel mit den Fotografien zu. „Sind unterirdisch miteinander verbunden.“

Sogleich kam die Frage, von einem der Teamleiter aus Connys Truppe. „Woher willst du das wissen? Kennst du das Gelände?“

Ich schüttelte den Kopf. „Wie heißt du? Bitte nennt kurz euren Namen, ich kenne euch nicht“, bat ich nochmals kurz, im genervten Ton. 

„Sebastian, kannst mich aber Basti nennen“, stellte er sich schnell noch vor.

„Basti komm mal her? Schau dir die Bilder mal an.“

Der Teamleiter trat näher und sah sich die Bilder an, zuckte allerdings mit den Schultern.

„Sehe bitte mal hier, der Typ mit der roten Lederjacke, der geht im Westen in das eine Gebäude. Stimmt’s? Was denkst du, wie viele Leute solche rote Lederjacken tragen. Deshalb fiel mir das sofort auf“, zeigte und erklärte ich ihm.

Basti nickte wortlos.

„Jetzt guck mal, hier im Süden, der Typ.“

Basti ging ganz nah an das Foto, dann schüttelte er den Kopf.

„Das hätte ich nie gesehen, das ist der Gleiche. Keine zehn Minuten später“, äußerte erstaunt der Teamleiter.

Ich nickte und rieb mir den Nacken. „Genau das, lässt mich vermuten, dass diese Anlage unterirdisch, miteinander verbunden sind. Es gibt noch mehrere Personen, die auf der einen Seite reingehen, auf der anderen Seite heraus kommen. Aber sonst auf dem Gelände nirgendwo zu sehen sind. Das heißt wir müssen damit rechnen, dass es unterhalb dieser Hallen ein großes Labyrinth gibt, was wir sichern müssen. Was denkt ihr, was passiert, wenn wir diese Hallen mit je fünfundzwanzig Leuten stürmen?“, fragend sah ich in die Runde.

Alle nickten, also hatten sie begriffen, wie ernst die Lage war.

„Ich habe mir die Mühe gemacht, alle Fotos anzusehen, die im Dossier waren, es sind nicht alle Fotos die gemacht wurden. Laut der Nummern auf der Rückseite fehlen dreiundvierzig Fotos. Ich bin auf zweihundertsiebenundfünfzig Leute gekommen, die die verschieden Gebäude betreten haben. Verlassen haben die Gebäude, aber nur dreizehn Leute. Was glaubt ihr, wo die anderen geblieben sind. Glaubt ihr die Hallen waren leer, als die zweihundertsiebenundfünfzig Leute, dort rein gegangen sind?“

Wieder sah ich mir die Teamleiter an, einige von ihnen waren ganz blass geworden. Rudi raufte sich die Haare.

„Leute, diese Gruppe Romanik sind ausgebildete Elitesoldaten. Die Kämpfer dieser Einheit waren schon immer äußerst gefährlich gewesen. Bei uns hatten sie den Spitznamen. „Der leise Tod“. Den bekamen sie, weil sie überall, wo sie lang liefen, eine Spur des Todes und des Grauen hinter sich hergezogen haben. Sie sind jetzt noch gefährlicher, als vor fünfzehn Jahren. Da man ihnen gesagt hat, dass man sie nicht mehr braucht und ihnen mitgeteilt hat, dass sie abgeschossen werden sollen. Man hat sie ausgebildet, um zu töten und hat jetzt auf einmal beschlossen, sie als gefährlich eingestuft werden müssen. Sie haben nichts, absolut nichts mehr, zu verlieren. Die geben nicht kampflos auf und lassen sich wegsperren nur, weil die Regierung auf einmal gemerkt hat, dass man sie nicht mehr kontrollieren kann. Sie haben Spaß daran gefunden, andere Menschen zu töten.

Vom Leiter und Chefausbilder dieser Einheit, dem Generalmajor Friedrich, sind meine Leute und auch ich ausgebildet wurden, in den ersten fünf Jahren unseres Lebens. Wir sind durch dessen harte Schule gegangen. Sorry Rudi, wenn ich das jetzt vor den Leuten hier einfach einmal so sage. Ich habe noch nicht viele Trainingseinheiten, bei euch mitgemacht, aber danach wart ihr alle fix und fertig. Nach dem Training von Friedrich, wärt ihr über Wochen nicht wieder auf die Füße gekommen, wenn ihr die erste Trainingseinheit überhaupt überlebt hättet. Der trainierte seine Leute schon immer am Limit und ihm war es egal, ob bei seinem Training jemand drauf ging und das hat sich bestimmt nicht geändert. Auch, wenn er jetzt zehn Jahre älter ist. Glaubt mir, es sind Leute vor denen, ihr euch fürchten solltet. Oberst du weißt wie ich kämpfe. Die Leute von Friedrich sind genauso gut, wenn auch nicht ganz so schnell wie wir. Diese Leute kämpfen ohne Skrupel, mit einer Schnitte in der einen Hand und in der anderen Hand das Messer. Sie Pfeifen ein fröhliches Lied und schneiden die euch dabei die Kehle durch und essen dann einfach weiter. Die wischen sich das Blut von den Lippen, stecken das Messer weg und trinken ein Schluck Bier, ohne sich die Hände sauber zu machen. Denen ist es egal ob sie Blut an den Händen habe. Denen macht das Morden Spaß und die singen dabei noch ein schmutziges Liedchen. Diese Eliteeinheit besteht seit fast dreißig Jahren“, ernst sah ich die Teamleiter an, die bei jedem Wort, das ich sagte blasser wurden. Mit jedem meiner Worte wurde ihnen klarer, was da wirklich auf uns zukam.

„Diese Gruppe von Kämpfern, wurde kurz nach dem Krieg gegründet, um Staatsfeinde aufzuspüren und zu beseitigen. Der Generalmajor, hat uns immer von seinen Jungs vorgeschwärmt, wie gut die doch wären, wie schlecht wir doch sind. Ich hab ihn mal gefragt. Wie viele Kämpfer er hätte. Als erstes bekam ich dafür eine Tracht Prügel, als zweites hat er mich ausgepeitscht, als drittes hat er gegen mich gekämpft und mich dabei, mit Nägelstöcken halb totgeprügelt. Erst dann gab er mir eine Antwort. Wir waren damals noch sechsundsiebzig Leute? Seine Antwort, war wie folgt. „Auf jeden von euch, kommen dreißig meiner Jungs, ihr hättet keine Chance.“ ", ernst sah ich in die Runde. "Nun rechnet das mal hoch, das wären zweitausendzweihundertachtzig Elitesoldaten. Auch, wenn es jetzt, elf Jahre her ist und selbst, wenn einige von denen aufgehört haben und einige von denen tot sind. Glaubt mir, es sind bestimmt noch tausendfünfhundert gut ausgebildete Elitesoldaten, gegen die wir kämpfen müssen. Deren zu Hause, eben diese Einheit ist, die dort unten auf uns warten. Könnt ihr euch das bitte mal bewusst machen. Ihr habt mich gerade erlebt, Friedrichs Leute sind genauso gut. Begreift das endlich. Bei Friedrich hieß es immer, deine Braut ist der Kampf, dein Tod ist verkraftbar. Die Leute sind eine Familie. Keiner von denen hat Kinder oder einen Partner. Die leben, um zu kämpfen und das ohne jeglichen Skrupel“, erklärte ich voller Bitterkeit in der Stimme.

Das Entsetzen, das die Teamleiter erfasst hatte als ich die Zahlen der Gegner nannte, stand deutlich in ihrem Gesicht. Jetzt in diesem Augenblick wurde ihnen bewusst, was dem Oberst und mir schon beim kurzen Durchsehen der Unterlagen klar wurde. Dieser Einsatz, war ein sogenanntes Todeskommando. Wenn das wahr war, was ich ihnen erklärt hatte, konnten sie alle wie sie waren ihr Testament machen.

Fassungsloses Kopfschütteln war die erste Reaktion die ich bekam, die zweite ein Aufstöhnen. Aber ich sprach weiter, ich konnte den Teamleitern keine Zeit zum Nachdenken lassen, denn diese Zeit hatten wir nicht mehr.

„Deshalb müssen wir unsere Taktik, komplett umstellen. Wir bilden aus jedem Team fünf Gruppen. Immer ein Nahkämpfer und ein Schütze, müssen zusammen kämpfen. Ich denke wir werden, wenn wir die Unterirdische Anlage betreten, viele Brücken und Querstege haben. Von denen aus wir beschossen werden. Das heißt, wir haben ständig, den Nah- und den Fernkampf beisammen. Auch dann, wenn ein Teil vielleicht nur durch Gänge marschieren muss. Werden wir zum Schluss in einen großen Kampf verwickelt, den ihr euch alle nicht vorstellen könnt. Jeder Fernkämpfer, beschützt seinen Nahkämpfer und umgedreht, und kann ihm so die Schützen vom Hals halten. Ich mache euch deshalb folgenden Vorschlag. Egal, was dieser Generalmajor Hunsinger und dieser Oberstleutnant Mayer auch sagen, wir halten uns an unsere eigene Taktik.“

Basti fragte wieder nach. „Basti, Team Beta von Conny Lange. Was wird aus den anderen Teams, die jetzt hier nicht vertreten sind. Die laufen doch ins offene Messer.“

Ich nickte und war dankbar dafür, dass er das ansprach. „Ich kann denen nicht befehlen, meiner Taktik zu folgen. Habe aber für jedes dieser Teams, einen Einsatzplan vorbereitet. Wenn ich kann, werde ich jedem einen Einsatzplan geben. Umsetzten müssen die das dann leider alleine. Wenn mich Hunsinger nicht ernst nimmt. Der Oberstleutnant nimmt mich sowieso nicht ernst, er war sechszehn Jahre lang mein unmittelbarer Vorgesetzter und er hasst mich mehr als die Pest. Aber ich glaube nicht, dass Hunsinger auf mich hören wird, denn das wird Mayer zu verhindern wissen. Schon allein deshalb, um mir dann die Schuld an eurem Tod zu geben. Wenn der Generalmajor, der Hunsinger ist, den ich kenne, ist er verbockt und selbstverliebt, wenn es um seine Taktiken geht. Vor allem wird er mir nicht zuhören. Vielleicht habt ihr Gelegenheit euch mit den anderen Teams oder sogar mit den Teamleitern zu unterhalten, Dann helft mir, in denen ihr ihnen helft. Leute, mir läuft die Zeit weg. Ich kann nicht noch gegen sechzig fremde Kämpfer anfangen mich durchsetzen zu wollen. Ihr vertraut mir nicht, wie sollen mir dann diese Leute vertrauen? Die bestimmt sobald mich der Oberstleutnant sieht, gegen mich aufgehetzt werden.“

Basti nickte, ihm wurde klar wie schwierig das werden würde. Er fuhr sich durch die Haare, aber man sah ihm an, dass er mich verstanden hatte. Ich hatte mir seine Unterstützung und auch die der anderen Teamleiter sicher sein konnte.

Erleichtert, nun die Aufmerksam aller zu haben, begann ich meine Taktik zu erklären, ging Schritt für Schritt jede Eventualität durch, die sich ergeben könnte und die ich voraussehen oder besser vorausahnen konnte. Ich war mir nicht sicher, dass ich alles beachtet hatte. Es waren einfach zu viele Fragezeichen, die ich nicht beantworten konnte und auf den Fotos nicht sah. Nach einer Stunde waren wir uns einig, den ersten Angriff, wirklich nur als Scheinangriff zu machen. Dass wir uns nach einer Stunde zurück ziehen würden und wenn nötig, auch eher. Bei dieser Angriffswelle, aber so viele Informationen wie irgendmöglich zu sammeln. Ich war froh, dass ich auf so offene Ohren gestoßen war. Jetzt konnte ich ein kleinen wenig entspannter dem Einsatz entgegen sehen. Weil ich wusste, dass keiner beim ersten Angriff getötet wurde.

„Sollte und das ist meine größte Angst, jemand in eine Falle tappen, es gibt da verschiedene Möglichkeiten. Bitte bleibt dort, wo ihr seid. Es bringt nichts zu versuchen auf Krampf dort heraus zu kommen. Spätestens nach siebzig Minuten, also zehn Minuten nach Beendigung der ersten Angriffswelle, werde ich euer Verschwinden bemerken und komme Euch zu Hilfe. Die Gruppe, die am gefährdetsten ist, wird deine Gruppe sein Detlef. Ich kann dir nicht einmal genau sagen, warum? Es ist einfach so ein Gefühl. Aber ich habe halt, so ein verdammt dummes Gefühl, bei eurem Zugang. Er führt unter einer Wasserzuleitung durch und ist deshalb nicht so einfach. Es könnte also sein, dass ihr durch eine Schleuse müsst oder so etwas in der Art. Falls da irgendetwas klemmen sollte, verhaltet euch einfach ruhig. Ich habe solche Einsätze schon gehabt, je mehr ihr unternehmt, umso weniger Sauerstoff habt ihr zum Schluss. Wenn dort ein Einschluss passieren sollte, setzt euch hin und wartet einfach. Jede Bewegung, kostet zusätzlichen Sauerstoff.“

Detlef sah mich irritiert an. „Detlef, Team Delta von Sender. Kleene wie kommst du denn da drauf, ich denke du kennst die Anlage nicht.“

Ich zuckte mit den Schultern, konnte ihm dies einfach nicht genau erklären. Nur leider war es meist so, dass ich mit solchen Vorahnungen recht behielt. Da ich meine Leute nicht hatte, die solche Fallen im Vorfeld erkannten, musste ich die Jungs darauf vorbereiten.

„Das kann ich dir nicht genau sagen, Detlef. Aber ich kenne ähnliche Anlagen. Habe mit meinen Leuten, schon oft in solchen unterirdischen Anlagen Einsätze gehabt. Wir erkennen solche Fallen im Vorfeld, wir sind darauf trainiert. Ich glaube aber nicht, dass ihr diese Vorzeichen erkennt. Tut mir leid dass dies jetzt überheblich klingt, aber wir sind dort einige Male hineingetappt und es kam zu Einschlüssen. Dadurch sorgen wir da vor und können dagegen angehen. Aber ihr habt diese Erfahrungen nicht, in dieser Art der Kämpfe. Diese Einschlüsse haben verschieden Ursachen. Einmal durch technisches Versagen oder weil man den Zugang als Falle benutzt. Deshalb, bereitet eure Leute bitte jetzt schon seelisch auf solche Eventualitäten vor, das ist einfacher als in der entsprechenden Situation, damit dann niemand in Panik gerät und durchdreht. Das ist wichtig, ich sage es auch dann im Transporter bei der Einsatzbesprechung noch einmal. Bitte, noch einmal an euch als Teamleiter. Sorgt dafür, dass ich nachher im Transporter, nicht erst wieder darum kämpfen muss, dass man mir zuhört. Wir haben wirklich wichtigere Dinge zu tun, als einen Machtkampf, um die Einsatzleitung durchzuführen. Das war es erst einmal von meiner Seite, wenn ihr keine Fragen mehr habt, würde ich sagen, geht jeder zu seinem Team. Unterrichtet die Leute darüber, dass ich die Einsatzleitung habe, klärt die Bereitschaft ab, mich als Einsatzleiter anzunehmen. Wer dazu nicht bereit ist, bleibt hier. Das ist ein Befehl. Oberst, wann sagtest du werden wir abgeholt, jetzt ist es 14 Uhr 32.“

Der Oberst holte tief Luft. „Um 15 Uhr kommt der Flieger, ich hoffe pünktlich, dann auftanken, ich denke 15 Uhr 45 sollten wir so weit sein, dass wir losfliegen können.“  

„In Ordnung, dann habt ihr exakt dreiundsiebzig Minuten, um eure Leute davon zu überzeugen, mir zu zuhören. Ich bin nicht mehr ansprechbar. Bitte, lasst mir diese eine Stunde Zeit, damit auch ich mich auf den Kampf vorbereiten kann, es ist nicht gerade viel. Bis später dann, damit seid ihr erst einmal entlassen. Vergesst eure Unterlage nicht“, gestresst sah ich den Oberst an.

 „Oberst, brauchst du mich noch?“

Der schüttelte den Kopf. Sofort wollte ich den Raum verlassen und ging in Richtung Tür. In rückwärts laufen, ich hatte mich noch einmal zum Oberst umgedreht, bat ich ihn.

„Ach Oberst, ich brauche bitte ein paar Schuhe“, sagte ich grinsend. „Frag Rudi warum? Ich hab sie nicht verloren. Ach, nimmst du bitte auch die Dossiers für die sechs anderen Teams an dich? Ich habe genug eigenes Gepäck.“

Schon war ich aus dem Raum. Hinter mir hörte ich das Lachten von Sender, Serow und Schulze, aber auch das von Conny. Sollten sie lachen, damit wurde die Stimmung etwas lockere. Allen war bewusst geworden, was auf sie zukam. Im Bereitschaftsraum angekommen, stellte ich mit Entsetzen fest, dass die Bude zum Brechen voll war. Aber egal, wie sagte Gosch immer so schön, Platz wäre in der kleinsten Hütte. Ich suchte zwischen den vielen unbekannten Gesichtern, nach welchen die ich kannte.

Ganz hinten in der Ecke hatte ich eine der Personen entdeckt, die ich so dringend suchte. John stand mit einigen aus dem anderen Teams zusammen und lachte. Auf ihn lief ich zu.

„John, kann ich dich kurz stören.“

Der nickte grinsend.

„Nimmst du bitte, meine Waffen an dich, ich mag die nicht rumliegen lassen, wenn so viele Leute hier sind. Bitte, lass nicht zu, dass jemand die Schwerter anfasst, die sind mit Gift gedrängt, das bekommt niemanden. Ich habe zwar ein Gegenmittel dabei, aber es ist sehr schmerzhaft, wenn auch nicht tödlich.“

John nickte wieder und sah mich traurig an. „Na Mäuschen, du sieht ziemlich fertig und vor allem nicht gut aus. Ist alles in Ordnung? Willst du ein bissel schlafen“, forschte er nach.

„Nein John, dazu habe ich leider wirklich keine Zeit, obwohl ich es gern machen würde.“

Damit drückte ich ihn einfach, auf den nächsten Stuhl und begann mich auszuziehen. Verwirrt guckte John mich an.

„John, ich muss mich abreagieren. Du hast doch keine Ahnung, was da drinnen los war. Bitte.“

John wusste langsam, wenn ich so reagierte, sollte man mich in Ruhe lassen.

„Ach, hast du mein Gewehr mit und den Medi-Koffer?“ Suchend sah ich mich um, weil mir das gerade einfiel.

„Klar Mäuschen. Dein Zeug ist hinten beim Oberst im Büro.“

Das war gut, ging es mir durch den Kopf. „Ok, sorgst du dafür, dass mir keiner auf die Pelle rückt, ich muss runterfahren, sonst explodiere ich“, erklärte ich verlegen dreinschauend.

John nickte.

Suchend sah ich mich um, da entdeckte ich Mario. „Mario“, rief ich laut, der kam sofort zu mir. „Sei bitte so lieb und sag dem Piloten Bescheid, der Doko Jacob abholt, er soll alle Medi-Koffer mitbringen, die noch in der Schule sind, wir werden alle brauchen. Nehmt auch eure alle mit.“

Damit ging ich auf den kleinen freien Platz, der im Zimmer noch war und begann mit der Taiji-Atmung. Nach fünf Minuten begann ich zu meiner Freude, zusammen mit dem Oberst, Conny, Mario, Gosch, Walter und vielen aus dem Team vom Oberst, mit dem Fobnekotar. Es war immer wieder schön zu sehen, wie prima die Jungs das jetzt schon konnten. Wenn auch noch mit einigen Fehlern, aber das war nicht so schlimm. Es nicht einfach, alle Bewegungen exakt im gleichen Tempo durchzuführen, selbst wir hatten dazu fast zwei Jahre gebraucht. Schnell waren die anderen zurück getreten, um uns ausreichend Platz zu machen und sahen uns bei Fobnekotar zu. Kurz vor der Beendigung des zweiten Zyklus, sagte ich.

Semro. - Wir machen Schluss.“

Die Bewegungen beendend, gaben wir uns noch drei Minuten für die Taiji-Atmung, um die Atmung zu beruhigen. Dann zogen wir uns wieder an. Die anderen waren schweißgebadet. Ich ging auf John zu, zog mich wieder an.

„Wieso schwitzt du nicht wie die anderen, Mäuschen?“, fragte er mich staunend.

Verwundert sah ich John an. „Warum soll ich schwitzen, John? Das waren doch nur zwei Durchläufe gewesen. Ich bin gesund, da schwitze ich vielleicht, wenn ich den achten oder neunten Durchlauf gemacht habe.“

John schüttelte den Kopf, auch weil er sah, dass ich alles aber nicht gesund war. Trotzdem schwieg er, dafür war ich ihm dankbar.

„Du bringst mir das, aber noch bei.“

Ich nickte lächelnd. „Aber nicht heute.“ Grinste ich John an, da handelte ich mir einen Knuffer ein. „Auwa“, sagte ich und verstellte mich weinend. „Du kannst mich doch nicht hauen, das petze ich dem Oberst, dann bekommst du Haue von ihm. Der mag das gar nicht, wenn jemand mich verhaut.“, stampfte dabei trotzig mit dem Fuß auf.

John fing schallend an zu lachen. „Du bist ja heute gut drauf, Mäuschen.“

Na ja, was sollte ich auch sonst machen? Ich musste mich etwas von diesem Einsatz ablenken, mir war nach schreien zu Mute. In vier Stunden würde hier in diesem Raum, keiner mehr gut drauf sein. Dann verging allen anderen auch das Lachen. Also sollten sie jetzt ruhig noch etwas Spaß haben.

John musterte mich genau. „So nachdenklich?“

Ich schüttelte schnell den Kopf. Ich wollte die Stimmung nicht jetzt schon herunter ziehen. Deshalb lenkte ich vom Thema ab und zog mich dabei wieder an. John sah dabei meinen Rücken, weil ich mich bücken musste, mein Overall lag unter Stuhl.

„Mäus…“, weiter ließ ich ihn nicht reden.

„Nix Mäuschen“, unterband ich das, was er sagen wollte. „Wie geht es Ramira? Haben sich deine Frau und deren Eltern wieder beruhigt“, lenkte ich ihn ab, statt auf seine Frage und seine begonnen Bemerkung einzugehen.

„Warum lenkst du ab? So schlimm.“

„Kannst du einmal auf eine meine Fragen antworten“, fuhr ich ihn böse an.

Ich wollte darüber nicht reden, begriff er das denn nicht? Erschrocken zuckte John zurück und gab mir die gewünschte Antwort.

„Ramira geht es gut, sie wachte heute früh auf und schrie wie am Spieß. „Mama, ich kann was sehen, ich kann sehen, Mama.“ Wir konnten sie kaum beruhigen. Die Kleine ist vollkommen glücklich. Kahlyn, sie sieht auf beiden Augen gut, ich glaube nicht, dass sie eine Brille braucht. Sie kann die kleinste Schrift lesen. Sieht genau so weit, wie ich. Du bist ein unglaublicher Engel. Es tut mir wirklich leid, dass ich dir nicht vertraut habe, wirklich. Ab gestern, werde ich dir immer vertrauen.“

John nahm mich in den Arm und hob mich nach oben, so dass ich auf seinen Hüften saß. Schließlich gab er mir einen Kuss auf die Stirn.

„Das freut mich aber. Ganz sicher, war ich mir mit dem rechten Auge nicht. Hauptsache Ramira, geht es wieder gut. Aber gemein habe ich das gefunden, was Carmen und die anderen Beiden, mir gestern so alles an den Kopf geschmissen haben. Das war ganz schön heftig, von den Dreien. Sie kennen mich nicht und unterstellen mir böse Absichten. Das tat ganz schön weh.“

John streichelte mir übers Gesicht. „Das habe ich den beiden auch gesagt. Aber Mäuschen, die kennen dich doch überhaupt nicht. Die hatten wirklich nur Angst um Ramira. Sag mal ist mit dir alles in Ordnung Mäuschen?“

Ich zuckte mit den Achsen, klar verstand ich das schon. Weh tat es mir trotzdem. Auf seine Frage ging ich nicht ein. Was nutzte es darüber zu reden?

  

„Egal. Wir müssen los. Der Oberst gibt das Zeichen für den Aufbruch“, lenkte ich einfach von der Frage ab.

Ich griff nach meinem Gewehr, den Medi-Koffer, beides hielt mir der Oberst hin und schnallte meinen Rucksack um. So bewaffnet ging ich, wie alle anderen auf die Hubschrauber vom Typ Mil Mi-8 zu. Mit Schrecken stellte ich fest, dass wir auf drei Hubschrauber aufgeteilt wurden. Soweit hatte ich vorhin nicht gedacht. Ich pfiff ganz laut und winkte dem Oberst und Conny zu, bat sie zu mir zu kommen.

„Oberst, wie soll ich auf dem Flug, die Einweisung machen, wenn ich nicht alle Leute zusammen habe. Das geht doch gar nicht“, erklärte ich ihm, mit Entsetzen in der Stimme.

Bei uns war das nie ein Problem, wir waren seit Jahren immer in ein Flugzeug gegangen und wenn nicht war das auch nicht schlimm. Wir hatten die Besprechungen ja sowieso immer in der Verbindung gemacht.

„Kahlyn, wir reden getrennt von dir mit den Leuten, erklären alles, weisen auf Eventualitäten hin, wir wissen ja auch, um was es geht. Wenn wir gelandet sind, hast du noch genug Zeit, um eine gemeinsame Einsatzbesprechung zu machen. Tut mir leid, Kahlyn, soweit habe ich jetzt auch nicht gedacht. Ist mit dir alles in Ordnung?“, fragte er mich besorgt.

Ich winkte ab, es war egal und sowieso nicht mehr zu ändern. „Welches Team bekomme ich?“ Ich ignorierte die Frage nach meinem Aussehen wieder einmal.

„Du nimmst meine Jungs, die kennen dich, machen die wenigsten Schwierigkeiten. Achte auf Steven, der ist noch neu und manchmal etwas vorlaut. Aber sonst ganz nett. Mario hat die Instruktion von mir bekommen, ihn zur Raison zu bringen, wenn er dich ärgert. Warum ignorierst du meine Frage?“

Ich nickte und atme dann genervt durch. Das fängt ja schon super an. „Geht klar Oberst, lass dich von der Sender-Truppe nicht ärgern. Dort ist Raphi derjenige, der die große Klappe hat, aber der meint es nicht so“, gab ich dem Oberst lachend den Ratschlag.

Ignoriere seine Frage einfach. Ich wollte darauf nicht antworten und stieg in die zugewiesen Maschine. Setzte mich nach vorn, da ich dort den besten Überblick hatte. Schnell erklärte ich die Sachlage, das für und wider, dieses Einsatzes. Beantworte gestellte Fragen, wies jeden darauf hin auf alle Kleinigkeiten zu achten. Denn jeder noch so kleine Hinweis konnte lebensrettend sein, bei der zweiten, diesmal richtigen Angriffswelle. Nach reichlich einer Stunde landeten wir auf einem Feld, etwas nördlich von Bredereiche, unweit des aufgeschlagenen Basislagers, etwa sechs Kilometer vom Zielgebiet entfernt. Dort war ein richtige Zeltlager auf geschlagen wurden.

Ich wäre schon wieder am liebsten an die Decke gegangen, wie konnte man so nah, am Zielgebiet operieren. Da konnte ich denen ja gleich zurufen. „Hallo, wir kommen.“ Na ja, das war jetzt nicht mehr zu ändern. Wir mussten uns also, auf richtig massiven Widerstand einstellen. Schon durch die Hubschrauber, waren die bestimmt auf uns aufmerksam geworden. Jedes der Teams, hatte ein eigenes Zelt, aber es gab ein großes Zelt für die Einsatzbesprechung. Dort lotste ich alle hin. Ich wollte das durch haben, bevor der Generalmajor seine Rede hielt. Genau fünf Minuten nach der Landung, saßen alle neunzig Teammitglieder von uns im Zelt. Wir sprachen alles noch einmal durch. Ich gab auch noch einmal den Hinweis, dass es passieren konnte, das Fallen in diesen Gebäuden installiert waren. Wie man sich in dem Moment, verhalten sollte. Ich hoffte sehr, dass die Jungs alles berücksichtigen würden. Nach vierzig Minuten, hatte ich die Einsatzbesprechung beendet. Lief mit den anderen in Richtung Versorgungszelt, um einen Kaffee zu trinken. John blieb immer an meiner Seite, genau wie Raphi. John flüsterte ich zu.

„John, lass mich bitte mal kurz mit Raphi alleine, ich muss mit ihm etwas klären.“

Der nickte, begab sich hinüber zu Rudi und den anderen. „Raphi, kommst du bitte einmal mit mir mit“, sprach ich ihn direkt an.

Mir war aufgefallen, dass es Raphael überhaupt nicht gut ging. Ich musste wissen, was da los war. Wir zogen zurück und gingen etwas von den Zelten weg. Schließlich setzten wir uns auf einen Stapel Baumstämme, die am Rand eines kleinen Waldes lagen.

„Raphi, was ist los mit dir?“, fragte ich ihn direkt.

Raphael sah mich erstaunt an. „Nichts.“

Langsam wurde ich wütend. Ständig musste ich mich gegen meine eigenen Leute durchsetzen. „Raphi, mach mir nichts vor. Du hast jetzt zwei Möglichkeiten, du redest mit mir oder du bist raus aus dem Einsatz. Weißt du, ich mag noch jung sein, aber ich bin lange genug Teamleiter, um Erfahrung in der Teamführung zu haben. Glaube mir, ich merke genau, wenn mit einem meiner Leute etwas nicht stimmt. Du hast ein Problem, mit dem du nicht klar kommst. Raus mit der Sprache oder du bleibst im Lager. Das ist mein letztes Wort.“

Genervt legte ich den Kopf in den Nacken und sah hinauf zu den Wolken. Es kam mir in den Sinn, dass es später bestimmt noch regnen würde. Na ja, was soll's, dann wurden wir wenigstens gleich sauber gewaschen. Ich warte bestimmt zehn Minuten, Raphi kämpfte immer noch mit sich, er konnte sich nicht entschließen mir zu vertrauen.

„In Ordnung Raphi, du bleibst im Lager, das ist ein Befehl.“

Wütend stand ich auf und gab ihm damit zu verstehen, dass ich nicht mehr reden wollte. Raphael, sprang auf.

„Warte bitte Kahlyn, es ist nicht so einfach zu erklären.“

Wütend schüttelte ich den Kopf. „Dann fange endlich an, Raphi. Verdammt, wir haben kaum noch Zeit, in circa dreißig Minuten ist die Einsatzbesprechung. Also komm in die Buschen. Vor allem hätte ich auch gern einen Kaffee getrunken“, fuhr ich ihn böse an.

„Ich hab seit einiger Zeit Probleme beim Schlafen. Eigentlich seit dem du nach der Puppensache zusammengebrochen bist. Jede Nacht, kommen diese verdammten Albträume wieder. Ich hab ja versucht, es in den Griff zu bekommen, aber ich schaffe es nicht. Ich kann doch nicht ständig Schlaftabletten nehmen, verstehst du.“

Ich nickte, denn seine Argumente waren nachvollziehbar. „Aber warum hast du Albträume?“, erkundigte ich mich bei ihm. Legte meinen Kopf schief und sah ihn lange an.

„Tut das etwas zur Sache?“, antwortete er mir, mit einer Gegenfrage.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, aber es wäre gut, wenn ich wüsste, weshalb das so ist. Dann kann ich dir vielleicht helfen.“

Genervt holte Raphael Luft. „Muss ich jetzt alles erzählen.“

Verneinend sagte ich. „Nein, nur grob umreisen.“

Raphi rieb sich den Nacken. „Es ist so, Kahlyn. Dass, als ich gehört habe was mit dir los ist, bei mir alte Wunden aufgegangen sind. Meine ganze beschissene Kindheit kam wieder hoch. Mein Vater, ist nämlich auch so ein netter Mensch, wie dein Oberstleutnant gewesen. Er hat mich ständig geschlagen und so. Das macht mir halt im Moment ganz schlimm zu schaffen. Tut mir leid Kahlyn, ich kann das nicht so gut wegstecken, wie du“, verlegen sah er zu seinen Füßen.

Ich griff ihn unters Kinn und hob seinen Kopf. „Komm mit, Beeilung bitte“, befahl ich kurz angebunden.

Ich griff nach seinem Handgelenk und zog ihn einfach hinter mir her, in den Wald. Dort, wo es etwas dunkler war und zwang ihn sich hinzusetzen.

„Setze dich und halte still.“

Energisch griff ich jetzt durch. Als erstes schnappte ich mir sein Handgelenk und sah auf seine Uhr. Mein Zeitempfinden war immer noch nicht wieder ganz in Ordnung. Es war 17 Uhr 32, also konnte er noch etwas schlafen. Ich nahm die Sonnenbrille ab, dachte aber nicht daran, dass Raphael meine Augen noch nie gesehen hatte. Der Kollege schreckte förmlich vor mir zurück.

„Mensch, habe dich nicht so. Halte einfach still Raphi, uns läuft die Zeit weg. Ich brauche dich dann fit und nicht ausgelaugt, wie ein alter Turnschuh“, sprach ich eindringlich auf ihn ein.

Er nickte und hatte sich von dem Schreck erholt.

„Halte still bitte. Es werden jetzt rote Strahlen aus meinen Augen kommen, das sieht komisch aus, tut aber nicht weh.“

Sofort fing ich an, das Krantonak zu machen und blockierte seine Erinnerungen, die richtig heftig waren. Kein Wunder, dass er nicht richtig schlafen konnte. Stärkte sein Selbstvertrauen, seine Selbstkontrolle, seine Fähigkeit zu schlafen. Genauso, wie ich es schon bei Gosch und Conny gemacht hatte. Nach vierzehn Minuten war ich fertig, setzte meine Brille wieder auf. Na zehn Minuten kann er nicht schlafen, wir brauchen fünf Minuten bis zum Zelt, aber acht Minuten reichten auch und waren besser als gar nichts.

„Lege dich so, dass du an mir lehnst.“

Raphael wollte mit mir diskutieren.

„Verdammt nochmal, das ist ein Befehl. Setze dich so, dass du dich an mich lehnst“, brüllte ich ihn an.

Raphael war so erschrocken, dass er es widerspruchslos machte.

„Jetzt achte auf meine Atmung, versuche in meinen Rhythmus zu kommen“, nach nur fünf Atemzügen, war er in meinem Atemrhythmus. „Jetzt schließe bitte deine Augen und sage, ich schlafe jetzt acht Minuten tief und fest.“

Zwei Atemzüge später, schlief er ruhig. Ich lehnte meinen Kopf an den Baum und schloss ebenfalls die Augen. Kam sofort in Raphaels Atemrhythmus und schlief auch acht Minuten. Fast zeitgleich wurden wir munter.

Raphael, drehte sich fragend zu mir um. „Was hast du mit mir gemacht?“, erstaunlicherweise fühlte er sich ausgeschlafen. Er stand auf, reichte mir die Hand. Zum Glück sah mein Kollege wesentlich besser aus, auch seine Vitalfunktionen waren wieder normal.

„Geht es dir jetzt besser?“, antwortete ich diesmal mit einer Gegenfrage.

„Ja sehr viel besser.“

Ich sah ihn grinsend an und hielt den Kopf eine wenig schräg. „Ich hab etwas gezaubert. Du kannst jetzt immer so schlafen. Finde den Rhythmus, sage dir wie lange du schlafen willst. Egal ob zehn Minuten oder drei Stunden und sage dir ich schlafe tief und fest. Dann bist du ausgeschlafen. Komm wir müssen los, noch drei Minuten, dann fängt die Einsatzbesprechung an. Wir müssen laufen.“

Mit diesen Worten lief ich los. Raphael war ein sehr guter Läufer, stellte ich nebenher fest. Ich konnte das Tempo, ganz schön anziehen und er hielt locker mit. So waren wir nicht einmal die Letzten die im Zelt ankamen. John hatte uns sogar, zwei Plätze frei gehalten.

„Na Raphi, du siehst ja wieder besser aus“, stellte John fest.

Raphael lachte John an. „Klar, dein Mäuschen hat gezaubert. Du Kahlyn, hat dir schon einmal jemand gesagt, dass du wunderschöne Augen hast.“

Jetzt musste auch ich lachen. „Ja, du eben.“ Ich setzte mich auf den Stuhl, zog die Füße auf die Sitzfläche und lehnte mich an John, flüsterte ihm zu. „Kannst du mich noch fünf oder zehn Minuten halten? Die fangen doch eh nicht pünktlich an, wenn der Mayer dabei ist. Da geht es eh erst ein Viertelstunde später los.“

John nickte, also atmete ich noch einmal durch, schlief noch einmal zwanzig Minuten, dann erst dann flüsterte mir John zu.

Frido, Kahlyn. - Wache auf Kahlyn“, streichelte mir dabei das Gesicht.

Etwas erholter wachte ich auf und war froh, dass ich noch ein paar Minuten Ruhe gefunden hatte. Mir ging es gar nicht gut, aber das musste ich jetzt erst einmal ignoriere, der Einsatz ging jetzt erst einmal vor. Gut, dass ich noch etwas schlafen konnte, das würde nicht so schnell wieder passieren.

„Na ja, dann wollen wir uns mal den Mist anhören, den die da verzapfen. Haltet mich fest, sonst gehe ich an die Decke“, lachend sah ich zu John. Obwohl mir eigentlich zum Heulen zumute war.

Der grinste zurück.

„Soll ich dir Hand und Fußfesseln dran machen“, Raphael fiel vor Lachen fast vom Stuhl. „Das wäre doch mal was. Kahlyn in Fesseln, dann verhaut sie uns wenigstens nicht“, gab er einen lockeren Spruch, von sich. Seine Teamkollegen drehten sich verwundert um. So locker war Raphael schon seit einiger Zeit nicht mehr drauf.

  

„Ruhe“, kam von vorn ein Brüller, von Oberstleutnant Mayer.

Die Einsatzbesprechung fing an. Tief atmend, versuchte ich mich zu beruhigen. Alleine die Stimme von Oberstleutnant Mayer, brachte die ganze aufgestaute Wut in mir hoch. Ich sage mir immer wieder, bleibe ruhig Kahlyn. Es nutzt niemanden etwas, wenn du hier ohne Grund abdrehst. Die meisten wussten doch gar nicht, was zwischen dir und Mayer vorgefallen war. Der Oberst sah mich fragend an. Er gab Raphael, der neben mir saß zu verstehen, dass er die Plätze tauschen wollte. Der machte dem Oberst sofort Platz. Das lenkte mich von meiner Wut etwas ab, endlich konnte ich die Frage los werden, die mich seit Stunden beschäftigte. Leise flüsternd, wandte ich mich an ihn.

„Oberst, wann kommt die Verstärkung? Weißt du ob Mario, den Piloten erreicht hat, der Doko Jacob abholt, wegen der Medi-Koffer?“

Genauso leise kam die Antwort. „Kahlyn, tut mir leid, vor 22 Uhr 30 kann keiner da sein, Doko Jacob bringt alle Koffer mit.“

Erleichtert atmete ich auf, dann war wenigstens nach der ersten Angriffswelle, Hilfe da. Ich würde nicht alle allein verarzten versorgen müssen, vor allem würde auch ich, Hilfe brauchen.

„Kahlyn, beruhigst du dich jetzt wieder? Ich weiß, dass du kochst wie lange nicht mehr, wegen dem Mayer. Aber es bringt niemanden etwas, wenn du ausrastest. Du bist schon schneeweiß im Gesicht, komm beruhige dich.“

Ich atmete tief durch. „Ich versuche ja ruhig zu bleiben, aber das ist so verdammt schwer. Ich hasse diesen Menschen schon so lange. Aber seit dem ich in Gera bin, noch mehr. Ich weiß jetzt, dass es nicht normal war, was der die ganzen Jahre mit uns gemacht hat. Können sie sich vorstellen wie, wütend ich bin.“

Vor erst brach ich die Unterhaltung ab, wir wurden schon beobachtet. Der Oberstleutnant schaute ständig zu uns, er hatte mich also entdeckt. Ruhig versuchte ich mir den gequirlten Mist, den der Generalmajor da vorne zum Besten gab, anzuhören. Aber mit jedem Wort wurde ich wütender. Ich schüttelte den Kopf, fing an meine Fingerspiele zu machen. Der Oberst legte mir beruhigend die Hand auf die Schulter, zum Schluss allerdings saß ich den Kopf in die Hände gestützt da und versuchte mich krampfhaft zu beruhigen und herunterzufahren. Nach vierzig Minuten konnte ich mir diesen ganzen Scheiß nicht mehr länger anhören. Sehr laut und sehr wütend, sah ich auf und sagte in Richtung Hunsinger.

„Sir, sie glauben den Mist doch nicht etwa, den sie hier erzählen oder doch, Sir?“

Generalmajor Hunsinger, sah entsetzt zu mir. „Leutnant, wie meinen sie das? Hätten sie die Güte die Brille abzunehmen“, wies mich Hunsinger drauf hin, dass dies eigentlich untersagt war. Er hatte mich also nicht erkannt. Verdammt, es war immer das gleiche mit mir. Aber egal, jetzt hörten wenigstens alle zu. Ich stand auf und nahm die Brille ab. Alle die mich nicht kannten, zuckten erst einmal zusammen und erschraken vor meinen Augen.

„Sir, darf ich die Brille bitte wieder aufsetzen, das Licht tut meinen Augen weh, Sir“, bat ich immer noch mit sehr viel Wut in der Stimme.

Hunsinger nickte, deshalb setzte ich meine Brille wieder auf.

„Sir, können sie mir verraten, wer sich diesen Scheiß ausgedacht hat, Sir. Wenn sie so vorgehen, sind nach der ersten Angriffswelle, die Hälfte der Leute tot, Sir“, sagte ich voller Wut.

Oberstleutnant Mayer ging auf seinen Vorgesetzten zu und sagte ihn etwas leise ins Ohr. „Ach ja, jetzt erkenne ich sie. Sie sind Leutnant Kahlyn, informierte mich gerade der Genosse Mayer. Diejenige von den Hundert, die ständig dafür sorgte, dass ihre Kameraden starben?“

Jetzt reichte es, es reichte wirklich. Der Oberst versuchte mich fest zu halten, als ich mit einem Sprung, aus der Mitte der Reihe auf den Gang sprang. Allerdings hatte er da nicht die geringste Chance. Wenn ich am Ausrasten war, hielten mich nicht einmal meine Freunde auf und die waren wesentlich schneller als der Oberst.

„Sir, ich habe was gemacht, Sir? Ich glaube ich habe mich gerade verhört, Sir“, wollte ich im Vorlaufen in Richtung der Bühne von ihm wissen. „Sir, für was habe ich gesorgt, Sir? Dafür, dass meine Kameraden gestorben sind, Sir?“, wütend, baute ich mich vor dem Generalmajor auf. Schaute ihn direkt an.

Generalmajor Hunsinger, sah mich ebenfalls böse an. „Was haben sie eigentlich für ein Benehmen, Leutnant Kahlyn, sie stören hier eine Einsatzbesprechung. Von der abhängig ist…“

Weiter ließ ich ihn nicht sprechen. „Sir, glauben sie mir eins, Sir“, erklärte ich in einen verdammt leisen und ruhigen Ton. „Wenn diese Einsatzbesprechung, etwas bringen würde, hätte ich keinen Ton gesagt, Sir. Aber, was sie hier erzählen, ist mit Verlaub gesagt, gequirlte Scheiße, Sir. Wenn sie nach dieser Taktik vorgehen, Sir. Dann können sie die Hälfte der Leute die hier sitzen im Anschluss beerdigen, Sir. Warum ziehen sie nicht gleich ihre Waffe und erschießen ihre Leute selber, SIR.“

Im Seitenblick, sah ich Oberstleutnant Mayer auf mich gestürmt kam. Ich hatte genau das erreicht, was ich erreichen wollte, er zeigte sein wahres Gesicht.

„Leutnant Kahlyn, wie können sie sich wagen, eine von mir erstellte Taktik, als gequirlten Scheiß zu bezeichnen“, brüllte er mich an.

Im gleichen Augenblick schlug er mit ungeheurer Gewalt zu. Dagegen war der Schlag den ich in Gera abbekam eine zärtliche Streicheleinheit. Im Gegensatz zu sonst, blieb ich nicht stehen, sondern wich dem Schlag aus, griff mit der rechten Hand nach seiner linken zuschlagenden Faust, mit der linken Hand nach dem rechten Ärmel. Zog die linke Hand über meine rechte Schulter und legte ihn so mit einem Sode-tsuri-komi-goshi, einem sogenannten, Ärmel Hebehüftzug, auf den Boden. Drehte den Arm weiter nach hinten und zwang ihn so auf den Bauch. Ich wandte mich an Hunsinger.

„Sir, ist es in ihrer Abteilung üblich, Untergebene zu schlagen, Sir? Das, was sie eben gesehen haben, war ist nicht das erste Mal geschehen, Sir. Sie können Major Sender gern fragen, er war anwesend, als mir Oberstleutnant Mayer am 2. September, ohne Grund sechs Rippen gebrochen und dabei sogar Major Sender schwer verletzte, Sir“, berichtete ich sachlich und im leisen Ton, den man jedoch die verhaltene Wut anmerkte.

Wütend sah ich auf den, am Boden liegenden Oberstleutnant. Dieser schrie, wie am Spieß, denn der Griff tat richtig weh und mir ging das, wenn ich ehrlich war, am Arsch vorbei, ob er Schmerzen hatte oder nicht.

„Genosse Oberstleutnant, wenn sie sich beruhigt haben, lasse ich sie los, Sir“, wies ich mit sehr ruhigem Ton, meinem ehemaligen Vorgesetzen darauf hin, dass es nur an ihm selber lag, wie lange ich ihn festhalten musste. Langsam lockerte ich den Griff, darauf gefasst, sofort wieder angegriffen zu werden. Mit schmerzverzerrtem Gesicht, stand der Oberstleutnant auf und sah mich böse an.

„Das hat ein Nachspiel, 98“, schrie er mich an.

Bevor ich etwas sagen konnte, antwortete Hunsinger jedoch für mich. „Genosse Mayer und ob das ein Nachspiel hat. Was in aller Welt ist in sie gefahren, dass sie Leutnant Kahlyn hier angreifen. Sie hat seit dreizehn Jahren einen Namen. Sind sie nicht mehr bei Trost? Kahlyn hat doch nichts gemacht. Sie hat sich nur verteidigt“, wütend hatte Hunsinger gesprochen und sah er auf seinen Untergebenen.

„Leutnant Kahlyn, was heißt das? Es wäre nicht das erste Mal.“

Beunruhigt sah er mich an. Mühsam meine angestaute Wut herunter schluckend und im leisen sachlichen Ton antwortete ich.

„Sir, ich werde ihn einmal etwas zeigen, Sir. Sie wissen wahrscheinlich nicht einmal, Sir, wie der Oberstleutnant uns die ganzen Jahre im Projekt behandelt hat, Sir.“

Tief Luft holend, um mich zu beruhigen, schnallte ich meinen Halfter ab und legte ihn auf den Boden. Zog mir das Oberteil, meines Nahkampfanzuges von den Schultern und auch die Hose zog ich bis zu den Knien herunter. Ebenfalls zog ich das T-Shirt aus.

„Sir, diese ganzen Narben, auf meinem Oberkörper, auch die auf den Oberschenkeln, sind vom Oberleutnant Mayer, Sir. Von seiner zärtlichen Behandlung, nach Einsätzen, die dieser keine zehn Minuten überlebt hätte, Sir. Als Strafe für mich, weil ich nicht verhindern konnten, das im Kampf von 1:50 meine Leute verletzt wurden, Sir. Nach dem auspeitschen, bekam ich stets eine extra liebe Sonderbehandlung, nämlich eine Wäsche mit hochkonzentriertem Salzwasser, Sir. Glauben sie wirklich, dass ich meine Freunde in den Tod geschickt habe, Sir. Dieser …“ ich wollte das böse Wort mit A nicht sagen, atme heftig ein und aus, um mich zu beruhigen. „Dieser Mensch, Genosse Generalmajor, verbot mir stets, meine Leute vor dem Rapport zu versorgen, Sir, deshalb starben die meisten, Sir. Auch, weil er auf eben genähte Wunden schlug, so dass diese wieder aufbrachen, Sir. Genauso, wie sie es eben gesehen haben, Sir. Ich habe mich heute, das erste Mal in meinem Leben, gegen seine Behandlung gewehrt. Weil ich in Gera auf meiner neuen Dienststelle eins begriffen habe, Sir. Das ich mir das nicht gefallen lassen muss, Sir.“

Ich ging in die Knie und versuchte mich zu beruhigen, langsam bekam ich meine Atmung in den Griff und konnte wieder Luft holen. Ich stand wieder auf und sah Hunsinger direkt an.

„Sir, derjenige, der diese Taktik ausgearbeitet hat, gehört eingesperrt, Sir. Er ist ein Verbrecher, Sir. Er schickt diese Leute, die hier sitzen in den sicheren Tod, Sir.“

Innerlich gegen meine Wut ankämpfend, zeigte ich auf die im Zelt sitzenden Kämpfer.

„Leutnant Kahlyn, der bester Taktiker aus ihrem alten Team, hat diese Strategie ausgearbeitet, nämlich Leutnant Raiko.“

Jetzt lachte ich laut auf. „Raiko Genossen Generalmajor, sollte Diplomat werden, Dolmetscher oder Musiker, zu mehr taugt er nicht. Der trifft nicht mal eine Zielscheibe zwölfmal, wenn er nur fünf Meter davor steht. Er ist in allem, was das Kämpfen anbelangt eine absolute Null, Sir. Das einzige, wo er gut ist, Sir, ist im Bett vom Oberstleutnant und im singen, Sir. Wer hat gesagt, dass der ein guter Taktiker ist, Sir. Der da, Sir.“ Ungläubig zeigte ich auf den Oberstleutnant, der wütend auf mich herab sah. „Sir dieser Mensch, hat uns mehr als tausendmal, in den Tod geschickt, Sir. Wir haben nicht für umsonst, den Ruf eines Todeskommandos, Sir. Ich habe uns da immer, irgendwie wieder heraus geholt, Sir. Der ist in Taktik eine genauso große Lusche, wie Raiko, Sir“, wieder versuchte ich mich zu beruhigen. Ich war mit jedem Wort lauter geworden. „Sir, wenn sie nach dieser Taktik die Leute in den Kampf schicken, werde ich mich weigern, an diesem Einsatz teilzunehmen, Sir. Ich sehe nämlich nicht dabei zu, dass die Leute abgeknallt werden, wie die Fliegen, Sir“, gerade sah ich Hunsinger in die Augen, dann zog ich mich wieder an. Schnallte den Halfter um.

„Leutnant Kahlyn, dann können sie nicht hierbleiben.“

Ich glaubte es nicht. Kopfschüttelnd starrte ich den Generalmajor an. Hatte es nichts genutzt, dass ich ihm klar gemacht hatte, dass es so nicht funktioniert.

„Sir, das ist jetzt nicht ihr Ernst, Sir“, wandte ich mich ganz leise an Hunsinger.

„Doch Leutnant Kahlyn, das ist mein Ernst. Ich habe keine andere Taktik, muss also so vorgehen.“

Ich schüttelte den Kopf. „Doch Sir, sie haben eine andere Taktik. Ich habe eine bessere Vorgehensweise, für alle Teams vorbereitet, Sir. Die habe ich fertig ausgearbeitet in meinem Gepäck liegen.“

Hoffnungsvoll sah ich zu Hunsinger auf. Dieser war so auf seine Taktik eingeschossen, so in sich selbst verliebt, dass er keine andere Meinung gelten ließ. Es war genau so, wie ich es vermutet hatte. Ich rannte gegen Wände. Verdammt, sah er wirklich nicht, was hier los war.

„Sir…“, wollte ich ihn überzeugen und wurde einfach von ihm unterbrochen.

„Leutnant Kahlyn, verlassen sie das Zelt, sofort“, befahl mir der Generalmajor. Dadurch hatte er das Todesurteil, für die Leute hier unterschrieben.

„Sir, mit Verlaub, sie sind ein Mörder, Sir“, brüllte ich ihn völlig außer mir, vor Wut an. Ich griff in meinen Overall und nach meinem Dienstausweis und schmiss diesen dem Generalmajor vor die Füße.

„Ich kündige“, waren die letzten beiden Worte, die ich sagte.

Ich drehte mich um und ging zu John. Nahm meine Waffen auf und den Koffer, verließ wütend das Zelt. Draußen sah ich mich um, ich wusste nicht wohin, also ging ich zum Versorgungszelt, setzte mich an einen der langen Tische. Mein Kopf brummte, kalte und heiße Wellen, stürmten durch meinen Körper. Verdammt ich hatte schon wieder hohes Fieber. Warum eigentlich? Missmutig schob ich das Problem, erst einmal zur Seite. Ich hatte ein viel schlimmeres und vor allem wichtigeres Problem. Ich ärgerte mich über mich selber. Ich hatte es total versaut. Jetzt würde keiner mehr auf mich hören. Verdammt, was machte ich bloß, ich würde an den Einsatz trotzdem teilnehmen. Sonst starben zu viele Freunde und Kameraden, der mir bekannten Teams. Das konnte ich nicht zulassen. Müde stützte ich meinen schmerzenden Kopf, auf die Hände. Starrte auf die Tischplatte, als ich angesprochen wurde. Oberst Fleischer, war mir aus dem Zelt gefolgt.

„Kahlyn, du bist zu weit gegangen, das weißt du hoffentlich.“

Ich nickte, aber es änderte nichts an der Tatsache, dass es falsch war, was die dort machen wollten. „Was soll ich denn noch machen, Oberst? Diese selbstverliebten Arschlöcher, sind ja nicht da draußen und müssen sich abknallen lassen. Verdammt nochmal, warum nimmt mich nur niemand ernst. Wenn ich fünfzigjähriger Mann wäre, weiße Haare hätte und einen dicken Bauch, dann hätten die alle auf mich gehört. Nur weil ich so ein junges Mädchen bin, nimmt man mich nicht ernst. Es kotzt mich so an, Sir. Es macht mich verrückt, Sir.“

Völlig aufgelöst lehnte ich mich an seine Schulter, fing an zu weinen. Aus Wut auf mich selber, weil ich es versaut hatte.

„Kahlyn, aber mit dem Auftritt eben, hast du dir selber keinen Gefallen getan. Denkst du vielleicht, dir hört jetzt noch jemand zu. Sag mal Kahlyn, hast du schon wieder Fieber, du bist glühend heiß.“

Das wusste ich doch alles selber. „Lass mich doch einfach in Ruhe, Oberst. Denkst du, ich weiß nicht selber, dass ich gerade alles versaut habe. Das brauchst du mir nicht noch unter die Nase schmieren. Ach lass mich einfach in Ruhe.“

Völlig aufgebracht, stand ich auf und knallte die Taiji Schwerter, den Tonfa, das Gewehr auf den Tisch und zog den Pistolenhalfter aus. Stelle den Medi-Koffer dazu. Ließ den Oberst, einfach sitzen. Ich musste weg hier und ein Stück laufen. Sonst würde ich durch drehen und tat vor Wut etwas, dass ich hinterher bereuen würde. Ich hatte so die Schnauzte voll, von dem ganzen Theater hier. Raiko, konnte froh sein, wenn ich ihn jetzt nicht fand. Der würde etwas erleben. Ich hätte diesen bescheuerten Kerl schon viel eher zur Räson bringen sollen. Wie konnte der sich anmaßen, von sich zu behaupten ein guter Taktiker zu sein. Raiko hatte alleine schon Probleme damit, eine Waffe zu laden. Er war ja kein schlechter Kerl, das würde ich nie von ihm behaupten, nur taugte er einfach nicht für den Kampf. Verdammt ich musste Raiko unbedingt finden, nur so hatte ich eine Chance, dass man auf mich hören würde. Langsam beruhigte ich mich etwas. Ich hatte wieder ein Ziel vor den Augen, dass ich erreichen wollte. So war das immer mit mir, hatte ich ein Ziel, ging ich dem sofort ohne zu Zögern nach. Ich lief zurück, zum Versorgungszelt. Der Oberst war verschwunden, hatte sogar meine Waffen mit genommen, das war nett von ihm. Ich ging zielstrebig auf die Leuten der Versorgungseinheit zu.

„Guten Abend, Genossen. Könnt ihr mir sagen, welches der Zelte, das vom Oberstleutnant Mayer ist?“, bat ich um Auskunft, indem ich aufs Gradewohl nach dem fragte, was ich suchte.

Ich wusste, dass der Oberstleutnant sein Essen immer gesondert zu sich nahm, er mochte es nicht mit dem gemeinen Soldaten zu speisen, außerdem trank er gern zum Essen etwas. Ein Unterleutnant der Versorgungskompanie, zeigte in Richtung Süden des Lagers.

„Genossin Leutnant, das dritte Zelt auf der rechten Seite, ist das vom Oberstleutnant Mayer. Ich habe seinem Adjutanten Raiko, vor ungefähr vier Stunden etwas zu Essen hingebracht, dem ging es nicht so gut.“

Verwundert sah ich ihn an. „Danke Genosse“, sagte ich kurz und drehte ich mich um, lief sofort in die gezeigte Richtung.

Am dritten Zelt angekommen, horchte ich auf. Ein schweres und röchelndes Atmen drang von drinnen, nach außen. Ich entschloss mich, einfach in das Zelt einzutreten, bereitete mich aber darauf vor, angegriffen zu werden. Ich schlug die Plane am Eingang zur Seite und schaute mich verwundert um. Ich sah niemanden im Zelt. Das war eigenartig, denn ich hörte schwere Atemgeräusche. Neugierig lief ich diesen Geräuschen nach. Nur gut, dass ich solch ein gutes Gehör hatte. Ganz hinten in der Ecke, verdeckt von aufgestapelten Kisten, stand ein Bett. Was ich in dem Bett zu sehen bekam, ließ mich meine ganze aufgestaute Wut auf Raiko vergessen. Mein ehemaliges Teammitglied lag zusammengerollt, grün und blaugeschlagen, und völlig blutverschmiert in der Ecke und konnte kaum noch atmen. Raiko war völlig weggedreht, zum Glück war er aber noch bei Bewusstsein. Ich drehte mich sofort um und rannte in hoher Geschwindigkeit, zurück in das Zelt, in dem die Einsatzbesprechung stattfand. Ohne auf Hunsinger zu achten, dieser Mann war mir völlig egal. Lief eilig nach vorn und hockte mich zu Oberst Fleischer.

„Oberst, wo ist mein Koffer? Du kommst sofort mit, das ist ein Befehl. Du musst dir das selber ansehen, sonst glaubst du mir das nicht.“

Sofort erhob ich mich wieder, im Rücken spürte ich die Blicke von Oberstleutnant Mayer und Generalmajor Hunsinger. Das interessierte mich im Moment nicht und für Diskussionen hatte ich auch gar keine Zeit. Schnell griff nach meinem Medi-Koffer, den mir John zuschob und verließ das Zelt, gefolgt von Oberst Fleischer. Im Laufschritt, rannte ich zum Versorgungszelt und stellte dort meine Koffer ab. Dann weiter nach hinten, zum Zelt in dem Raiko zusammengeschlagen lag. Der Oberst hatte Mühe meinem Tempo zu folgen. Darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen und es war mir in diesen Moment auch egal. Kaum im Zelt angekommen, gab Oberst Fleischer einen unterdrückten Schrei von sich.

„Helf mir, hier kann ich Raiko nicht versorgen. Wir müssen ihn in das Versorgungszelt bringen. Ich brauche dringend Wasser“, befahl ich meinem Oberst.

Ich fasste Raiko unter die Achseln und der Oberst nahm dessen Beine, gemeinsam trugen wir den Schwerverletzten in das Versorgungszelt. Dort legten wir ihn auf den ersten Tisch, die davorstehende Bank schmiss ich kurzerhand hinter mich. Mit Hilfe vom Oberst, zog ich Raiko aus, der kaum noch bei Bewusstsein war.

„Ich brauche sauberes Wasser und ein Glas Wasser, zum Trinken“, gab ich dem Oberst Anweisung.

Der sofort loslief, um das Gewünschte zu holen. Er bekam sofort alles von der Versorgungseinheit ausgehändigt, die meine Anweisungen ebenfalls gehört hatten. Eine halbe Stunde später, hatte ich Raiko einigermaßen stabilisiert, die gebrochenen Rippen gerichtet, die kaputte Lunge ebenfalls. Erst einmal spritzte ich Raiko fünf Einheiten A13, diese Injektion half gegen die Atemnot, dann fünfzehn Einheiten B32, ein Schmerzmittel. Als dieser langsam wieder zu sich kam. Es gab keinen Knochen, der bei Raiko nicht verletzt war, er musste wahnsinnige Schmerzen haben. Mayer, dieses verdammte Arschloch, wollte ihn nicht nur grün und blau geschlagen, sondern dieses Schwein wollte ihn töten. Ich mochte Raiko nicht sonderlich, weil er sich immer bei Mayer eingeschleimt hatte. Aber so etwas, hatte sich nicht einmal, mein ärgster Feind verdient. Raiko tat mir nur leid. Mayer hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht und nachgesehen, wie schwer er seinen Untergebenen verletzt hatte. Sondern hatte diesen einfach in seinem eigenen Blut liegen lassen.

Ich wusste, warum Raiko so aussah. Diese Art von Prügel, hatte ich nicht nur einmal abbekommen. Ich wusste, was Raiko jetzt für Schmerzen hatte. So vorsichtig wie möglich, schiente ich Raikos Beine, dann seine Arme, versorgte noch die zerschlagene Nase. So gut es halt ging, den Rest musste dann Doko Jacob machen, wenn er ankam, dazu fehlten mir jetzt einfach die Ruhe und die Zeit.

„Oberst, wenn Doko Jacob dann kommt, soll er Raiko richtig versorgen. Im Moment kann ich nicht mehr, ohne langwierige Operationen, für ihn tun. Das soll der Doko dann machen, wenn wir zum zweiten Angriff losgehen. Da hat er genug Zeit.“

Der Oberst sah fassungslos auf Raiko. „Ich sag es ihm. Was machen wir jetzt mit Raiko. Den können wir doch nicht wieder, in das Zelt vom Oberstleutnant schicken“, erklärte er mir.

„Das müssen wir auch nicht“, sagte ich zu ihm.

Raiko starrte mich ängstlich an. „Bitte schicke mich nicht wieder, zu ihm zurück, bitte Kahlyn“, sprach er in Gedanken zu mir.

„Warum hat er dich so zusammen geschlagen?“, wollte ich von ihm, auf dem gleichen Weg wissen.

Der Oberst schaute mich an, weil ich nichts sagte. Ich winkte ab. Raiko war jetzt erst einmal wichtiger. Mein ehemaliges Teammitglied war allerdings noch nicht in der Lage, laut zu sprechen, zu schlimm waren seine Schmerzen. Noch einmal zog ich fünfzehn Einheiten B32 auf und spritzte ihn nach.

„Kahlyn, ich habe ihm immer wieder gesagt, dass die Taktik nicht funktioniert. Ich habe mich heute früh, in eins der Gebäude eingeschlichen, um mich etwas umzusehen. Sprach auch mit mehreren Leuten dort unten. Es gibt wie damals in Albanien, eine unterirdische Verbindung, das habe ich nicht beachtet, Kahlyn. Wenn ihr so vorgeht, wie ich es erst vorgeschlagen habe, dann sterben alle. Es sind mindestens tausenddreihundert Leute, da unten“, Raiko regte sich viel zu sehr auf, dadurch wurde seine Atmung, noch schlechter.

„Beruhige dich Raiko, ich weiß das schon lange. Könntest du mir helfen, bitte. Ich sorge dafür, dass du, wo anders hinkommst, ganz weit weg vom Oberstleutnant. Aber du musst mir helfen. Ich stehe immer alleine gegen ihn“, bittend sah ich ihn an.

Raiko nickte, vorsichtig versuchte er aufzustehen, aber es ging einfach nicht.

„Oberst, kannst du bitte mit anfassen? Alleine schafft Raiko den Weg bis zum Zelt nicht. Wir müssen zu Hunsinger, bevor es zu spät ist“, sofort griff der Oberst, nach meinem Handgelenk, so dass sich Raiko, auf unsere Hände setzen konnte. Ich zog seinen Arm um meine Schulter.

„Oberst, du musst Raiko festhalten, ich habe noch den Koffer“, befahl ich Fleischer.

Wir liefen gemeinsam zum Zelt. Betraten es und ginge auf den Generalmajor zu, der uns entsetzt ansah. John sah mich und stand auf, kam mir entgegen, wollte mir helfen. Ich schüttelte den Kopf. Drückte ihn nur meinen Medi-Koffer in die Hand, sodass ich nach Raikos Arm anfassen konnte. Vorn angekommen, sah mich der Generalmajor böse an.

„Wieso stören sie schon wieder, die Einsatzbesprechung, Leutnant Kahlyn? Was haben sie mit Leutnant Raiko gemacht?“, kamen gleich zwei Fragen auf einmal.

Einer der in der ersten Reihe sitzenden, stand auf und brachte uns seinen Stuhl. So konnten wir Raiko hinsetzen, der mehr schwankte, als saß.

„Warum ich störe? Fragen sie mich, Sir. Ich fand Raiko gerade, in diesem Zustand, im Zelt des Oberstleutnants, Sir. Ich dachte, sie sollten das vielleicht wissen, Sir. Was ich mit Raiko gemacht habe, Sir? Fragen sie Oberst Fleischer, Sir. Ich habe ihm gerade das Leben gerettet, keine halbe Stunde später, wäre er tot gewesen, an seinem eigenen Blut erstickt, Sir. Warum müssen sie Raiko oder den Oberstleutnant fragen, Sir? Das kann ich ihnen nicht sagen, Sir“, besorgt hockte ich mich vor Raiko hin. In Gedanken sprach ich beruhigend auf ihn ein. „Raiko, es kann nur zu Ende sein, wenn du es beendest. Sage dem Generalmajor, was und warum dieses Schwein das alles mit dir gemacht hat, sonst macht er es immer wieder. Ich bin nicht immer da, um dich zu retten. Bitte Raiko sei nur einmal mutig. Nur dieses eine Mal, beweise, dass du einer von uns bist“, lange sah ich Raiko an, der nickte.

In der Zwischenzeit, hatte sich der Oberstleutnant wieder gefangen. „Leutnant Kahlyn, was fällt ihnen ein, hier solche Lügen über mich in die Welt zu setzen. Sie haben Raiko auf die brutalste Art und Weise zusammengeschlagen, die man sich vorstellen kann und schieben mir jetzt die Schuld in die Schuhe. Schämen sie sich eigentlich gar nicht.“

Mir reichte es! Langsam stand ich auf. Stoßweise atmend, weil mich meine Wut voll im Griff hatte. Noch langsamer ging ich auf Mayer zu und fasste blitzschnell, nach dessen Händen. Ich griff mit voller Kraft zu, so dass er vor Schmerzen, in die Knie ging und dadurch vor mir niederkniete.

„Genossen Generalmajor, würden sie mal zu mir kommen, Sir. Sehen sie sich bitte einmal die Hände vom Genossen Oberstleutnant an, Sir. Sehen sie hier die Knöchel, an seinen Händen, sind vollkommen aufgeschlagen und blutunterlaufen, Sir. Sehen sie nur einmal hin, Sir.“

Hunsinger kam auf mich zu und sah sich genau die Hände des Oberstleutnants an. Beide Hände waren vollkommen aufgeschlagen, zum Teil bis in den halben Handrücken blutunterlaufen. Als er sich dessen Hände genug angesehen hatte, ließ ich den Oberstleutnant los, drehte mich um zu Hunsinger und hielt ihn meine Hände hin. Anschließend öffnete ich den Overall, von Raiko und zeigte Hunsinger, den blutunterlaufenen Oberkörper, mit den frisch genähten Operationswunden, die ich mit Absicht nicht verbunden hatte.

Hunsinger war entsetzt. „Wer hat ihnen das angetan und warum, sprechen sie, Raiko?“, wollte er wissen, mit leiser Stimme auf den Verletzten einredend.

Raiko sah auf Hunsinger. Sah anschließend ängstlich zu mir und begann am ganzen Körper zu zittern. Ich konnte ihm die Angst so gut nachfühlen, aber da musste er durch. Gedanklich wandte ich mich an ihn.

„Raiko, du entscheidest jetzt, ob es ein Ende hat oder ob du noch öfter, solch eine Prügel beziehst. Du kannst das nur für dich selber entscheiden. Ich kann dir das nicht abnehmen. Mich schlägt er jedenfalls, nie wieder.“

Aufmunternd sah ich Raiko an und drückte ihn vorsichtig die Schulter. Endlich entschloss er sich zu sprechen. Er zeigte das erste Mal in seinem Leben Mut und dass er einer von uns war.

„Sir, Oberstleutnant Mayer, hat mich heute Mittag zusammengeschlagen, als ich vom Ausspionieren des Lagers zurück gekommen war, Sir. Ich hatte ihn gesagt, dass ich bei der Taktik einen schwerwiegenden Fehler gemacht habe, Sir. Dass es unter den Gebäuden, eine Verbindung gibt, Sir. Da sind mindestens tausenddreihundert Leute dort unten, wir haben keine Chance, Sir, wenn wir nach dem Plan vorgehen, den ich selber geschrieben habe, Sir. Vor der Einsatzbesprechung eben, wollte ich ihn noch einmal bitten, es ihnen zu sagen, dass die Taktik ein großer Fehler ist, Sir. Da schlug er mich das Zweitemal zusammen, Sir“, erklärte Raiko schwer atmend und fing an zu husten. „Sir, es tut mir leid, Sir. Ich bin nicht gut in Taktik, das war ich noch nie. Das habe ich dem Oberstleutnant immer wieder gesagt, in den letzten Wochen, Sir. Kahlyn ist die Beste, wenn es um Taktik geht, Sir. In Punkto Taktik, finden sie niemanden der schneller einen wirklich funktionierten Einsatzplan zustanden bekommt als sie, Sir. Fragen sie am Besten sie, Sir. Kahlyn macht ihnen in zwanzig Minuten einen neuen Plan, der auch funktioniert, Sir. Ich brauche dazu, bestimmt drei Wochen, Sir.“

Plötzlich fing Raiko heftig an zu husten. Er hustete und spuckte Unmengen an Blut. Schnell zog ich ihn vom Stuhl und legte ihn flach hin.

Oberst Medi lödein kandulu. - Oberst, ich brauch den Medi-Koffer schnell.“

John war aber schon auf den Weg und brachte mir den Koffer. Es half nichts, ich riss die Brille runter und machte ohne Vorwarnung, das Krantonak. Blut füllte die Lunge von Raiko. Eine Verletzung hatte ich übersehen hatte oder die durch das Husten wieder aufgerissen war. Fast fünfzig Minuten kämpfte ich, um Raikos Leben. Die Männer und Hunsinger standen fassungslos um mich herum. In der letzen Sekunde konnte ich es verhindern, dass Raiko an seinem eigenen Blut erstickte. Nochmals zehn Minuten brauchte ich, um Raiko einigermaßen zu stabilisieren. Damit fertig, klappte ich einfach zusammen und sah den Oberst an. Zeige mit letzter Kraft auf sein Hemd. Fleischer wusste sofort, was ich wollte.

Sofort gab er mir den Stift und den Kalender, ich kämpfte darum nicht das Bewusstsein zu verlieren und schrieb krakelig C99 darauf. Sofort ging ich ins Jawefan. Ich war am Ende mit meiner Kraft, musste mich unbedingt etwas erholen. Der Oberst jedoch, der sich mit diesen Dingen nicht sonderlich auskannte rief.

„Conny, sofort zu mir. Geb Kahlyn, eine C99.“

Conny wusste, wie man die Injektionen aufzog und vor allem auch, wie man all diese Injektionen spritzen musste. Conny machte in aller Ruhe eine Spritze fertig und gab sie mir langsam in die Halsschlagader. Dann hieß es warten, fünfundzwanzig Minuten dauerte es, bis ich wieder zu mir kam. Schwankend stand ich auf und ging aus dem Zelt. Conny folgte mir wortlos. Ich setzte mich unweit des Zeltes einfach an einen Baum. Conny nahm mich in den Arm und ließ mich eine weitere halbe Stunde im Jawefan schlafen. Danach ging es mir etwas besser, aber noch lange nicht gut.

„Engelchen, musste das jetzt sein, wie willst du den Einsatz, dann noch schaffen.“

Traurig sah ich ihn an. „Er wäre gestorben, Conny.“

Mehr konnte und wollte ich, dazu nicht sagen. „So schlimm war es? Ich bringe diesen Mayer um, wenn er noch einmal, jemanden von euch anfasst“, gab Conny wütend von sich.

Plötzlich wurde es sehr laut im Zelt. Ich hörte jemanden brüllen wie am Spieß. Dann war Ruhe.

„Helf mir hoch Conny. Du musst wieder rein und ich muss noch einmal, nach Raiko sehen. Er muss irgendwohin, wo er Ruhe hat und vor allem in Sicherheit ist, vor diesem Arschloch.“

Conny half mir auf die Bein, immer noch schwankend, lief ich auf das Zelt zu. Dort drinnen war die Hölle los. Mayer wurde von vier bewaffneten, extra angeforderten Polizeikräften abgeführt und war schon wieder nur am Brüllen. Ich ging nach vorn zu Raiko, hockte mich hin. Er war stabil, der Rest heilte von alleine.

„Sir, kann man Raiko, irgendwo hinschaffen, wo er in Ruhe schlafen kann, Sir. Bitte so wenige Erschütterungen wie möglich, Sir. Könnten sie eventuell dafür sorgen, Sir. Das Raiko in eine andere Abteilung versetzt wird, Sir. Noch ein paar dieser Behandlungen, wird er nicht überleben, Sir. Ich auch nicht, Sir. Es war verdammt knapp, Sir“, gerade sah ich Hunsinger in die Augen.

„Kahlyn, Mayer wird nie wieder, jemanden auf diese Weise behandeln. Es tut mir leid, dass ich dir nicht geglaubt habe. Was hast du da vorhin gemacht? Wieso warst du tot? Wieso lebst du jetzt wieder?“, fragte er mich gleich mehrere Sachen.

„Sir, ich habe das Krantonak mit Raiko gemacht. Es ist eine Behandlungsmethode, die nur ich beherrsche. Allerdings kostet mich diese Art von Hilfe, alle meine Kraft, Sir. Ich musste mich danach, einfach erholen. Also bin ich in das Jawefan, den tiefen Schlaf gegangen. Ich muss fit sein, für den Einsatz, Sir. Ohne mich habt ihr noch weniger Chancen, diesen ganzen Mist zu überleben, Sir“, sagte ich müde.

  

Hunsinger griff in seine Uniformjacke und reichte mir meinen Dienstausweis zurück. „Kahlyn, könntest du dir die Kündigung noch einmal überlegen?“, bat er mich vorsichtig.

Ich sah ihn lange an, dann nickte ich. „Sir, natürlich werde ich mir das noch einmal überlegen, Sir. Ich war vorhin nur so verdammt wütend, auf sie, Sir. Nie glaubt mir jemand, Sir, nur weil ich so jung aussehe, Sir. Aber glauben sie mir, ich weiß von was ich spreche, Sir. Fragen sie den Oberst, Sir. Der kennt mich schon elf Jahre, ich bringe fast immer alle, heil nach Hause, Sir. Keiner meiner Kameraden, ist wegen mir gestorben, Sir. Wirklich nicht, Sir“, wütend sah ich auf meine Hände.

Hunsinger nahm mein Kinn und hob es so, dass ich ihm, ins Gesicht sehen muss. „Kahlyn, das glaube ich dir jetzt. Was ich gerade erlebt habe, kann ich ehrlich nicht glauben. Es tut mir leid, ich habe Oberstleutnant Mayer immer vertraut. Es war ein Fehler, wie ich gerade begreifen musste. Sei so lieb erkläre uns, wie du vorgehen würdest. Dann entscheide ich, wessen Taktik wir nehmen.“

Ich schüttelte den Kopf. Ich würde mich nicht hinstellen, meine Taktik aus lauter Langerweile erläutern, nur um dann gesagt zu bekommen, wir nehmen doch die Taktik, die nicht funktionieren konnte. Das sagte ich Hunsinger auch sehr direkt.

„Sir, entweder sie vertrauen mir jetzt oder sie lassen es ganz bleiben, Sir. Ich stelle ihnen meine Taktik nicht aus purer Langeweil vor, dazu haben wir keine Zeit, Sir. Wenn sie mir vertrauen, dann wird es so sein, das zwar viele verletzt, aber so hoffe ich, alle lebendig aus dem Einsatz heraus kommen, Sir. Wenn sie mir nicht vertrauen, dann müssen sie Raikos Taktik verwenden. Seien sie sich aber darüber im Klaren, Sir, dass sie die Leute dadurch in den sicheren Tod schicken, Sir. Deshalb bin ich vorhin ja auch so ausgerastet, Sir. Wie würden sie sich entscheiden, wenn ich ein fünfzigjähriger, weißhaariger Mann wäre, Sir. Würden sie mir dann vertrauen, Sir?“, gerade heraus, schaute ich ihn an.

Hunsinger fing an zu lachen, eine schöne angenehme Lache. „Du erst noch, was hat das damit zu tun?“ Er schüttelte immer noch lachend den Kopf.

„Sir, viel, Sir. Wenn ich nämlich aussehen würde wie der Polizeirat Runge zum Beispiel, dann würden sie mir meine Erfahrung im Kampf zutrauen, Sir. Sie vergessen durch meine Größe und mein Alter immer dass ich schon sehr lange kämpfe, Sir. Sähe ich so aus wie der Polizeirat, würden sie nicht an mir zweifeln, Sir. Es liegt nur an meinem Aussehen, Sir. Sie reduzieren mich auf mein Aussehen, Sir. Das lässt sie immer wieder vergessen, dass ich dreizehn Jahre Kampferfahrung habe, Sir. Mehr, als so mancher der Männer die hier unten im Zelt sitzen, Sir. Ich habe fast tausendneunhundert Einsätze geleitet, denken sie nicht, dass ich weiß, von was ich spreche, Sir. Vor allem, habe ich eine hundertprozentige Erfolgsquote, Sir. Spricht das nicht alleine für mich und die Qualitäten die ich habe, Sir“, müde schob ich die Brille nach oben und rieb mir mein Gesicht. Dann sah ich ihn einfach ohne Brille an.

Hunsinger nahm meine Brille und schob sie wieder nach unten, auf die Nase. „In Ordnung Kahlyn. Wir werden nach deiner Taktik vorgehen, du hast die Einsatzleitung.“

Erleichtert atmete ich auf. „Sir, ich glaube, sie werden es nicht bereuen, Sir. Ich würde sie bitten, den Leuten eine kleine Pause einzuräumen, um eine Zigarette zu rauchen, einen Kaffee zu trinken, Sir. Die Leute müssen zur Ruhe kommen, Sir. So aufgeregt wie alle sind, können sie in keinen Kampf ziehen, Sir. Es ist jetzt …“ Ich griff nach seinem Handgelenkt und sah auf seine Armbanduhr. „… 21 Uhr 43, in einer reichlichen halben Stunde, sind spätestens meine Leute da, der Rest der Hundert, Sir. Dann erkläre ich ihnen, wie wir ohne große Verluste, durch diesen verdammten Einsatz kommen, Sir. Und zwar bei der ersten Angriffswelle. Danach glauben sie mir hoffentlich, dass ich keinen meiner Kameraden, habe sterben lassen und erst recht niemanden, in den Tod geschickt habe, Sir“, offen sah ich ihn an.

Hunsinger holte tief Luft. Laut und gut hörbar für alle, rief er in das unruhige Zelt hinein. „Ruhe! Alle setzen sich noch einmal hin und Ruhe dann im Zelt.“

Eine Minute später, saßen alle wieder auf ihren Platz, es war Ruhe im Zelt eingetreten.

„So Leute, es war eben etwas turbulent. Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich so etwas noch nie erlebt. Aber irgendwann ist immer das erste Mal. Deshalb werde ich heute noch einmal einen Schritt wagen, den ich noch nie gewagt habe. Ich werde unserer kleinen Freundin hier vertrauen, die so engagiert versucht hat, mich vor einem großen Fehler zu bewahren. Den ihr durch die Reihe weg, teuer zu bezahlt hättet. Leider vertraut man oft den falschen Leuten, wie ich gerade begriffen habe. Das, was der Genosse Mayer hier gezeigt hat, ist einfach unfassbar. Ich übergebe hiermit die Einsatzleitung, an Leutnant Kahlyn. Ich denke nachdem, was sie bis jetzt gezeigt hat, kann man ihr Vertrauen.“

Für Hunsinger unerwartet, standen neun der fünfzehn Teams auf und klatschten Beifall. Ich stimmte ein und drehte mich sogar zu Hunsinger um. Verwirrt sahen die anderen Teams auf die Männer. Es dauerte eine Weile, bis die sechs anderen Teams begriffen, was hier vor sich ging. Schließlich standen auch die anderen auf, sie hatten begriffen, dass der Applaus Hunsinger galt. Dieser Applaus bedeutete, ein Dankeschön an ihn, weil er den richtigen Weg gewählt hatte. So wurde die Chance heil aus dem Einsatz heraus zu kommen, einfach um vieles größer.

„Danke Genosse Generalmajor, für ihr Vertrauen. Ich hoffe sehr, dass ich euch alle unbeschadet, durch diesen Einsatz bringen kann. Einige kurze Informationen zur weiteren Vorgehensweise, ab dem jetzigen Zeitpunkt. Folgendes wird in der nächsten Zeit geschehen. Zwischen 22 Uhr 15 und 22 Uhr 30, erwarte ich noch sieben Leute zur Verstärkung. Deshalb werden wir jetzt eine kleine Pause machen, die ihr nutzen solltet, um euch wieder zu beruhigen. Nach der ganzen Aufregung, denke ich haben wir uns die kurze Auszeit auch verdient. Nutzt diese Pause, um ein bisschen zu relaxen, aber bitte bleibt in der Nähe des Versorgungszeltes, sobald meine Leute eingetroffen sind, würde ich gern mit Euch die Teameinteilung durchsprechen. Bitte ich möchte alle Teamleiter, noch drei Minuten sprechen, die anderen können gehen“, beendete ich diese ungewöhnliche Einsatzbesprechung. Sofort kamen die fünfzehn Teamleiter, der Oberst und Hunsinger zu mir.

„Bitte, damit wir dann keine Probleme miteinander bekommen, denn uns rennt wirklich langsam aber sicher die Zeit weg. Schreibt mir alle einen Zettel mit Namen, dahinter, wer was kann. Nahkampf, Fernkampf und bei den Allroundern, bitte die bevorzugte Kampftechnik. Dann muss ich drei Teams aufteilen. Wir brauchen nur sechs Teams. Welche Teams wären freiwillig dazu bereit?“ fragend schaute ich in die Runde. Rudi wollte sich melden. „Rudi, du bitte nicht, weil ich Euch kenne und wir den schwersten Abschnitt übernehmen müssen. Dürfte ich einen Wunsch äußern?“, ich sah auf die sechs Teams, die ich gar nicht kannte. Die Teamleiter sahen mich an, nicken mir aufmunternd zu. „ Ich würde gern die Teams, die ich persönlich kenne, das heißt die Teams von Rudi und dem Oberst zusammenlassen, weil ich weiß, was die können. Eure Teams …“ Damit sah ich die Teamleiter vom der Einheit Mayer und Hunsinger an. „… würde ich gern, einem mir bekannten Team zuordnen. Conny deine Teams, würde ich gern komplett aufteilen, in sechs Gruppen. Aus dem einfachen Grund, weil ich weiß, dass deine Leute alle teamfähig sind. Du Conny sagst mir, wen ich wo dazu nehmen kann, ich vertraue dir in dieser Hinsicht voll und ganz. Seid ihr damit einverstanden?“, wieder sah ich in der Runde der Teamleiter und bekam keinen Wiederspruch.

Die Teamleiter überreichten mir die gewünschte Liste, die sie in der Zwischenzeit geschrieben haben.

„Danke für das schnelle Zuarbeiten. Dann noch etwas wichtiges, die Teamleitung werden meine Leute für alle Teams übernehmen. Also ist es wichtig, dass ihr, wenn die Einsatzbesprechung vorbei ist, mit dem Teamleiter eventuelle Probleme klärt. Wenn einer Höhenangst oder Platzangst hat, schlecht im Nahkampf oder Schießen ist, egal was es ist. Wie bei Raphi, das Temperament beispielsweise. Einfach die Teamleiter darauf hinweisen, die berücksichtigen das. Es hat nichts mit Abwertung der Person zu tun, nur mit der Sicherheit des Teams. Wir haben einfach nicht mehr genug Zeit, um uns noch ausgiebig zu beschnuppern und kennenzulernen. Ich komme dann noch einmal zu den einzelnen Teams und kläre Probleme, die eventuell auftreten sollten. Unstimmigkeiten in den Gruppen können wir uns bei diesem Einsatz, absolut nicht leisten. Gibt es noch Fragen oder Probleme, die ich berücksichtigen muss?“

Alle schüttelten den Kopf.

„Dann ab mit euch in die Pause. Rudi, kannst du Fran mal kurz zu mir schicken. Er soll mir bitte einen Kaffee mitbringen, aber ohne Zucker.“

Ohne eine Antwort abzuwarten drehte ich mich um und zeichnete Skizzen an die Tafel, nutzte Fotografien, um das Terrain besser erklären zu können. Fran erschien keine zehn Minuten später, mit einer großen Tasse Kaffee.

„Hier Täubchen, ist kein Zucker drin“, erklärte er mir.

Dankend nahm ich ihn die Tasse ab. „Fran, wie viel Nahrung hast du von mir mit?“

Fran sah mich irritiert an. „Eine fast volle Dose.“

Ich war erleichtert. „Fran, machst du bitte, um 1 Uhr 25, für meine Leute und mich acht Portionen fertig, á zweihundertfünfzig Gramm. Dann frage Hunsinger, wo man Raiko hingebracht hat? Sehe bitte mal nach ihm und mache ihn bitte nur fünfzig Gramm. Wenn ihm das bekommt, um 1 Uhr 25 noch einmal fünfzig Gramm. Ansonsten, wenn er schläft, lasse ihn schlafen.“

Fran lächelte mir zu und nickte, verschwand wortlos aus dem Zelt.

„Danke Fran“, rief ich ihm noch hinterher.

Erleichtert widmete ich mich wieder meinen Vorbereitungen. Schrieb alle Anweisungen neu, ordnete die Leute dem jeweiligen Team zu. Endlich um 22 Uhr 10 war ich mit allem, soweit es möglich war, fertig. Konnte also auch eine kleine Pause mache. Müde ging ich in Richtung Versorgungszelt und holte mir noch eine Tasse Kaffee. Erschöpft setzte ich mich an einen der Pfeiler, die Bänke an den Tischen waren alle besetzt, und schloss kurz meine Augen. Als sich auf einmal, jemand zu mir setzte.

„Komm Engelchen, schlaf ein paar Minuten.“

Conny, zog mich einfach in seine Arme und nahm mir die Tasse aus der Hand. Fast sofort schlief ich ein, dankbar dafür, dass er auf mich aufpasste. Eine kleine Ewigkeit später, die nur fünf Minuten dauerte, weckte er mich.

Frido, nikyta. - Wach auf Engelchen.“

Tief atmete ich durch und rieb mir das Gesicht. Ließ mich von Conny auf die Füße ziehen. In dem Moment sah ich meine Rashida. Alle Müdigkeit fiel mit einem Schlag von mir ab. Ich lief los und sprang ihr in den Arm. Sie fing mich auf und drehte sich mit mir im Kreis. Die Männer sahen uns an und begannen zu lachen. Es sah schon eigenartig aus, wenn ich so zwischen den anderen stand. Da wirkte ich noch jünger und noch zerbrechlicher. Alle waren über dreißig Zentimeter größer als ich und mindestens fünfundzwanzig Kilo schwerer. Kein Wunder, dass die Männer lachten. Mir jedoch war nicht nach Lachen zumute. Ich klammerte mich an Rashida fest, wie eine Ertrinkende und fing hemmungslos an zu weinen. Meine Freundin ging in die Hocke und setzte sich einfach mit mir zusammen, im Schneidersitz auf den Boden. Hielt mich in den Armen und schaukelte mich hin und her.

„Hör auf zu weinen. Täubchen, höre bitte auf. Du brichst mir das Herz, wenn du so weinst. Komm beruhige dich Täubchen. Du hast ja hohes Fieber, wie willst du da arbeiten.“

Ganze zehn Minuten brauchte ich, bis ich mich endlich beruhigt hatte. In der Zwischenzeit waren auch die anderen herangekommen. Alle hockten sich, um uns beide und bildeten einen Kreis. So wie wir das schon all die Jahre immer getan hatten. Dann schilderte ich, was heute passiert war und erzähle ihnen, was der Oberstleutnant mit Raiko gemacht hatte. Alle waren fassungslos und die Wut kochte in uns hoch. Alle hatten sie Tränen in den Augen, zum Teil aus Freude, zum Teil aber auch aus Wut. Wie sehr hatten wir uns vermisst. Uns blieb keine Zeit zum Reden. Verwundert sahen uns die Männer an, wie wir am Boden hockten und nichts absolut nichts sagten. Woher sollten sie auch wissen, dass wir nicht reden mussten, um uns zu hören? Endlich hatte ich mich beruhigt und konnte wieder normal denken. Ich stand auf und sah mich suchend um.

„Fran“, rief ich. Weil ich unseren Koch zwischen all den Männern nicht finden konnte.

„Was ist Täubchen?“

„Wo ist Raiko, kannst du uns schnell zu ihm bringen. Conny, sorgst du bitte dafür, dass alle reingehen. In fünf Minuten will ich anfangen, bitte bringe mir noch einen Kaffee mit.“

Zusammen folgten wir Fran, zu Raiko.

Der sah schlecht aus, ihm ging es immer noch nicht gut. Aber mehr konnte ich für ihn, im Moment nicht tun. Der Besuch seiner Freunde, tat ihm aber gut.

„Raiko, Doko Jacob kümmert sich gleich um dich. Bei ihm ist Doko Karpo, ihm kannst du vertrauen. Leute, bitte wir müssen los.“

Es dauerte nicht langen und wir beendeten unseren kurzen Besuch, bei Raiko und liefen nach vorn ins Besprechungszelt. Auf dem Weg zur Einsatzbesprechung, gab ich meinen Freunden schon eine erste Einweisung. Im Zelt angekommen freute ich mich, dass alle schon da waren. Ging gleich mit meinen Freunden nach vorn auf die Bühne, dort stellten sich meine Freund in gewohnter Manier hin. In einer exakten Reihe, mit dem gleichen Abstand zueinander und mit den Händen auf den Rücken, gesenkten Blick und etwas gespreizten Beinen. Ohne Worte funktionierte mein altes Team so, wie es immer funktioniert hatte.

„So guten Abend meine Herren. Ich hoffe sehr, wir schaffen es durch gute Zusammenarbeit, diesen scheußlichen Einsatz zu einem guten Ende zu bringen. Als Erstes eine Bitte an die beiden Ärzte, Doko Jacob, Doko Karpo, wenn ihr aus dem Zelt hier heraus geht, nach rechts abbiegt und in das vierte Zelt auf der rechten Seite geht, das ist das Sanitätszelt. Dort befindet sich euer erster Patient. Raiko ist schwer verletzt. Ich habe ihn vorhin mit ach und krach zurück geholt. Bitte kümmert ihr euch sofort um ihn. Doko, machst du mir, bevor du hinter gehst, eine Spritze fertig mit fünf Einheiten K99, dieses verdammte Fieber bringt mich um, ich muss das unbedingt in den Griff bekommen, so kann ich nicht in den Einsatz gehen.“

Als Doko Jacob etwas sagen wollte, schüttelte ich nur den Kopf.

"Doko, ich habe wirklich absolut keine Zeit für Diskusionen. Ich muss mit zu dem Einsatz. Also weiter im Plan. Kurz vor Ende der Einweisung hier im Zelt, schicke ich euch Sina nach hinten. Auch sie ist verletzt, Doko, mache sie fit, egal wie! Das wird hier ein Hölleneinsatz und ich brauche alle verfügbaren Kräfte. Stellt euch auch darauf ein, dass in drei spätestens vier Stunden die ersten Verletzen hier eintreffen werden. Ich möchte, dass ihr auf alles vorbereitet seid, weil ich nicht weiß, ob ich alle versorgen kann. Habt ihr das verstanden!?“, wandte ich mich an die beiden Ärzte, diese nickten.

Doko Jacob reichte mir wortlos die Injektion, die ich mir sofort spritzte. Anschließend gab ich ihm die leere Spritze zurück. Kurze Zeit später, verließen die beiden Ärzte das Zelt.

„So jetzt zu uns und weiter im Text. Ich möchte euch hier, kurz meine Arbeitsweise erklären. Bei mir zählen während eines Einsatzes keine Titel, Rangabzeichen oder Streifen, es gibt kein Sir, kein Mam, kein Sie. Alle werden von mir mit du angesprochen, wenn jemand etwas zu sagen hat, in folgender Form. Name, dann Frage. Habt ihr das verstanden!?“ Weil ich wusste, dass das oft nicht verstanden wurde, sagte ich zu Sina in der Verbindung. „Bitte stelle mir irgendeine eine Frage.“

Sofort, machte sie den Leuten klar, was ich meinte. „Sina, vom deinem alten Team 98, kannst du bitte berücksichtigen Kahlyn, dass ich nicht ganz auf dem Damm bin. Ich müssten dann noch etwas, gegen die Schmerzen bekommen, vor dem Kampf.“

Ich sah sie dankbar an. „Das ist in Ordnung Sina, du gehst dann noch zu Doko. Ist jetzt klar, wie ich das meine?“, aufmerksam ließ ich meinen Blick schweifen und sah mich im Zelt um. Es schienen alle verstanden zu haben.

Alle Kämpfer im Zelt zeigten mir durch ein Nicken an, dass sie mich verstanden hatten.

„So nun zu unserem Einsatz. Folgende Einteilung nehme ich vor. Ich beginne mit Team 1. Das Alphateam von Rudi. Also Rudi, Ali, Wolle, Andi, Fran, Sep, Max, Tom, John, Cankat und ich, dann von Connys Team Mario, Werner, Conny, Oliver, Felix. Dazu das Alphateam von der Einheit Mayer. Rolf, Sigi, Torsten. Alfred, Arthur, Bodo, Carl, Dirk, Falk, Heinz. Team 2…“ so teilte ich alle Teams ein. Erklärte die weitere Vorgehensweise. Nach fünfundfünfzig Minuten, wussten alle im Groben, soweit ich das vorplanen konnte, über ihren Einsatz Bescheid.

„So Sina, du gehst bitte sofort, hinter zu Doko Jacob, lässt dich fit machen. Auch wenn du mit Jaan in einer Gruppe bist, braucht er deinen vollen Einsatz. Du hörst ja mit, musst nicht unbedingt hier bleiben. Gibt es noch Fragen? Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, die zu stellen.“

Als keine Fragen mehr kommen, nickte ich

„So Leute bitte hört genau zu. Es gibt noch einige Besonderheiten, von meinen Freunden und mir. Wir brauchen keine Funkgeräte, wir stehen so in Verbindung. Deshalb, wenn euch meine Freunde sagen, Kahlyn, hat diese oder jene Anweisung gegeben. Ist diese Aussage richtig. Ihr habt es vorhin gesehen, wir brauchen keine Sprache, um miteinander zu sprechen, wir verständigen uns ohne Worte. Desweiteren, sind wir fähig Dinge zu tun, die ihr euch nicht einmal im Traum, vorstellen könnt. Akzeptiert einfach, das was euch die Teamleiter sagen. Wenn sie euch sagen, ihr wartet hier, ich schalten in fünfzig Metern Tiefe, erst einmal die Posten aus, dann meinte er das auch. Wir springen gut vorbereitet, bis zu siebzig Meter in die Tiefe, ohne uns zu verletzen. Wir können aus dem Stand bis zu zwanzig Meter Höhenunterschiede überwinden, mit Anlauf sogar dreißig Meter, mit Anlauf und Fangseil vierzig Meter. Wir laufen in den Wänden, an den Ecken und an den Decken. Also Leute, akzeptiert einfach alles, was man euch sagt und das ohne Diskussion. Wir haben einfach keine Zeit, euch alles zu erklären, vor allem auch keine Luft. Verhaltet euch vor allem immer ruhig, keine Aufschreie, keine lauten Diskusionen. Wir sind anders als ihr, akzeptiert das einfach. Gleich, wenn Sina zurück ist, werdet ihr einen ersten Einblick von unserer Andersartigkeit bekommen und von unserem Können. Dann werdet ihr das Jawefan kennen lernen, es dauert circa zehn bis zwanzig Minuten. Gern könnt ihr dabei zusehen, unterbrecht uns bitte nicht, fasst uns nicht an und stört unseren Kreis nicht. Ansonsten, legt euch, wenn ihr gegessen habt, einfach bis 1 Uhr 20 hin und ruht euch etwas noch aus. Der Einsatz wird die Härte werden und ich brauche euch alle fit. Der Einsatz beginnt, pünktlich um 1 Uhr 30 bis später. Danke für eure Disziplin. Hoffen wir auf gutes Gelingen“, mit diesen Worten, beendete ich die Einsatzbesprechung.

„Ach Conny, wir machen dann das Fobnekotar. Wenn jemand mitmachen will, seid ihr gern dazu eingeladen, in circa zwölf Minuten, fangen wir an.“

Sina kam freudestrahlend zurück, ihr ging es sichtbar besser. Ohne zu zögern, räumten wir die Stühle im Zelt einfach zur Seite und zogen unser Anzüge aus. Wir setzten uns auf den Boden, in einen Kreis und fassten uns an den Händen. Wir begannen tief zu atmen und gingen in unser Qi. Langsam brachte ich die Gruppe ins Jawefan, in den tiefen Schlaf. Begann den Austausch von Kräften, den Ausgleich von Kraft und Energie. Es begann die Verteilung von Fieber und Schmerzen.

Doko Jacob, der uns mehr als einmal dabei beobachtet hatte, sagte mir einmal, es sähe eigenartig aus. Unsere Hände würden anfangen zu leuchten. Es begann immer bei mir und dann wanderte das Licht weiter im Kreis, von einem zum anderen. Am Ende des Jawefan, glühte der gesamte Kreis. Es wäre wie eine Art Feuerlauf. Erst unterschiedlich stark, dann immer gleichmäßiger. Am Ende wäre es, ein warmes orangenes Leuchten, was von Hand zu ginge, ein jeden Körper war dann völlig davon erfasst. Erst wenn dieses Leuchten, eine einheitliche Stärke hatte, dann klang es aus und erlosch. Er nannte es ein wunderschönes Schauspiel.

Ganze siebzehn Minuten dauerte es diesmal, bis ich den Austausch vollendet hatte. Alle fühlen sich gut, also beendete ich das Jawefan, mit einigen tiefen Atemzügen. Langsam erwachten, auch die anderen aus ihrer Starre und atmen tief durch. Ich sah Conny stehen und gab ihm das Zeichen, dass wir jetzt mit den Fobnekotar anfangen würden.

„Bindet euch die Tücher um“, gab ich meinen Leuten die Anweisung. „Wir beginnen jetzt mit dem Fobnekotar.“

Aus dem Sitzen heraus, drückten wir uns in den Handstand, liefen auf unsere Plätze. Gingen so in eine Position, in der wir uns nicht gegenseitig behinderten. Zu meiner Freude, machen auch die Leute von Conny, aber auch die vom Oberst mit, die das Fobnekotar schon einigermaßen beherrschten. Es sah bestimmt gut, aus, wenn wir das mit siebenundzwanzig Leuten machten. Jedenfalls sahen uns viele zu und schüttelten verwundert den Kopf. Wir machten drei ganze Zyklen, zu mehr blieb leider keine Zeit.

Kurz vor der Beendigung, des dritten Zykluses sagte ich „Semro. - Wir machen Schluss“, damit alle wussten, dass wir zum Schluss kommen mussten.

Nach Beendigung des Fobnekotar, atmeten wir uns aus und zogen uns an. Ich hatte Mühe, meinen enganliegenden Kampfanzug, wieder anzuziehen. Rashida musterte mich besorgt. Ich war schweißgebadet, trotz des Jawefan, das war kein gutes Zeichen.

„Täubchen, was ist los mit dir, wieso schwitzt du so? Du bist doch krank“, stellte sie mit Entsetzen fest. „Du machst den Einsatz nicht mit! Hast du mich verstanden! Ich verpetze dich beim Doko“, versuchte sie mich zu Vernunft bringen.

„Rashida, ich muss mit! Es geht schon. Keine Angst ich schaffe das schon. Ich habe keine Ahnung, was mit mir los ist? Ich hatte das Fieber auf einem vernünftigen Niveau. Aber es steigt schon wieder. Lass es gut sein, bitte, ich bekomme das schon irgendwie hin. Das habe ich dich immer hinbekommen. Bitte Rashi, ich brauche keinen zusätzlichen Stress, mir geht es beschissen genug. Ich spritze mich dann einfach runter. Ich muss mit, Rashida. Alleine bekommt ihr das nicht hin. Der Einsatz wir genauso schlimm, wie der in Albanien. Ich verspreche dir, wenn es noch schlimmer wird, sage ich dir Bescheid und gehe zurück.“

Ernst sah mich Rashida an, dann nickte sie. Klopfte mir beruhigt auf die Schulter und gab mir ein Kuss auf die Stirn. Half mir beim Anziehen. Dadurch, dass diese Anzüge so eng waren, ging das schlecht, wenn man klitschnass geschwitzt war, bekam man die einfach nicht angezogen. Kaum dass wir uns ausgerüstet hatten gingen wir hinüber zum Versorgungszelt, in dem schon unser Essen wartete. Wie so oft, sahen wir gerümpfte Nasen, aber für Erklärungen war dieses Mal, einfach keine Zeit mehr. Wir schlangen mehr, als das wir aßen, denn wir mussten endlich los.

  

Draußen vor dem Zelt standen drei LKWs vom Typ Robur, die uns die sechs Kilometer, bis kurz vor den Einsatzort fuhren. Kaum, dass wir auf dem Lkw saßen, öffnete ich die Medi-Koffer und zog mir elf volle Spritzen mit K99 auf. Zehn davon steckte ich in das Brillenfach, dazu die entsprechenden Kanülen, das waren fünfundfünfzig Einheiten. Die elfte gab ich mir sofort. John musterte mich ernst.

„Bitte John, fange nicht jetzt auch noch eine Diskussion an, das hat Rashida schon versucht. Ich muss mit, wenn ihr da heil raus kommen wollt. Ich kann mich fit spritzen. Ich habe schon mit wesentlich schlimmeren Beschwerden gearbeitet.“

John nickte, nahm mich nach dem ich den Medi-Koffer zusammengeräumt hatte, wieder in den Arm.

„Fran?“ Ich schaute mich suchend um, da entdeckte ich ihn.

„Was ist los Kahlyn?“

„Nimmst du bitte dann den Medi-Koffer an dich, für mich ist er nur Ballast, bitte.“

Fran nickte wortlos.

Sofort schloss ich die Augen, versuchte das Fieber das in meinem Körper tobte, herunter zudrücken, aber es ging nicht. Es war immer noch weit über der 59 °C. Ich verstand das einfach nicht. Normalerweise müsste ich bei der hohen Dosierung mit K99, fieberfrei sein. Na egal, der Doko musste dann mal gucken, was mit mir los war. Aber das hat Zeit bis nach dem Einsatz. Ich versuchte mich noch etwas zu entspannen, genoss einfach nur Johns Nähe. Gedanklich ging ich den Einsatz noch einmal durch, ich konnte keinen Fehler in meiner Planung erkennen.

„Täubchen, du hast alles gut vorbereitet. Wir schaffen das schon. Mach dich nicht so verrückt Täubchen“, erklärte mir Rashida die auf einen anderen LKW saß als ich.

Rashida schenkte mir ihr schönstes Lächeln, da ging es mir doch gleich besser. Ach wie hatte mir das gefehlt, es war so schön meine Rashida wieder zu hören. Vor allem ihre Ruhe zu spüren. Das tat mir immer so verdammt gut, vor solchen Horroreinsätzen. Sie hatte einfach die Ruhe, die mir fehlte. Ich gab ihr mein schönstes Lächeln zurück.

„Du hast mir so gefehlt, deine Ruhe tut mir so gut, Rashida. Du hast wie immer Recht, aber mir wird ganz schlecht, wenn ich an den Einsatz denke, Rashida“, sprach ich in Gedanken zu ihr.

„Du bekommst das schon hin. Wir sind doch auch noch da, Täubchen entspanne dich“, sie hatte ja so Recht.

Dank Raiko, der uns vom Krankenbett aus, noch mit wichtigen Informationen versorgt hatte, wusste ich, wo wir die LKWs ungesehen abstellen konnten. Mit den Robur LKWs konnten wir, da es geländetaugliche Fahrzeuge waren, fast bis an das Terrain heran fahren. Dort ließen wir die Fahrer zurück. Den restlichen halben Kilometern, näherten wir uns in je zwei Teams aus drei Richtungen. Eine Gruppe näherte sich vom Norden den Hallen, eine vom Südosten und eine vom Südwesten. Kurz vor den Gebäuden, trennten sich die Gruppen in zwei Teams, die je eine der Halle betreten würden. Jetzt musste jeder Teamleiter, mit seinem Team gesondert vorgehen. Jedes Team hat mit circa zweihundert bis zweihundertfünfzig Gegnern oder vielleicht sogar mit noch mehr, zu rechnen. Wir kämpften also wieder einmal, im Verhältnis 1:10. Es würde ein sehr ungleicher Kampf werden.

Leise und so unauffällig wie möglich, näherte wir uns mit dem Team 1 dem Östlichsten der sechs Gebäude. Dessen Zugang nur, über eine weithin einsehbare, ebene Fläche zu erreichen war. Den einzigen Vorteil den ich hatte, war, dass ich Cankat an meiner Seite wusste. Wir hatten unsere Gruppe so eingeteilt, dass Cankat mit den Scharfschützen unterwegs war und ich mit den Nahkämpfern. Cankat sah genau wie ich, auf eine Entfernung von fünfhundert Metern eine Stecknadelkuppe auf den Boden liegen. Als Scharfschütze, hatte er aber eine andere Sichtweise der Dinge. Geschult auf Sachen zu achten, die mir manchmal entgingen. Ich war halt mehr ein Nahkämpfer. Auch wenn ich ein ziemlich guter Schütze war, hatte ich nicht die Sichtweise eines Scharfschützen. Deshalb wollte ich ihn in meinem Team haben. Da wir nur so gewährleisten konnten, das offene Terrain gut und vor allem schadlos zu überwinden, ohne vorzeitigen Alarm bei der Einheit Friedrichs auszulösen.

Cankat, machte mich auch prompt auf einen Posten, oberhalb des Einganges aufmerksam, der sehr gut versteckt lag, den ich fast übersehen hätte. Oft war es so, dass Cankat in dieser Hinsicht mehr sah als ich. Ich achtete da mehr auf die Bodennähe. Ich dankte ihn und gab den Männern das Zeichen für Stopp, informierte Conny und Rudi von meinen Absichten. Cankat, gab ich den Befehl, den Posten genau im Schuss zu halten. Sollte er die Absicht haben zu schießen, dann sollte er ihn sofort töten. Wir konnten es uns nicht erlauben, jetzt schon auf uns aufmerksam zu machen. Jeden Schatten nutzen, schlich ich mich an das Gebäude. Zwei Minuten brauchte ich, um ungesehen auf das Dach zu kommen. Aus dem Lauf heraus, schmiss ich meine Schuhe ab und sprang die achtzehn Meter in die Höhe, ergriff die Dachkante und zog mich leise mit dem letzten Schwung nach oben.

Schnell legte ich den ahnungslosen Posten schlafen. Einen Knebel in den Mund, Fuß- Handschellen darum, dann zog ich ihn zu einer Dachluke, die angelehnt war. Diese öffnete ich vorsichtig, keiner war zu sehen. Leise ließ ich den Posten hinunter gleiten und sprang ebenfalls nach unten, leise auf den Ballen landend. Dann zog ich die Wache in eine Ecke mit einem dicken Pfeiler. Dort zerschnitt ich die Handfesseln noch einmal und legte ihn noch einmal die Hände nach hinten, neue Fesseln an. Jetzt aber um den Pfeiler. So war er gegen wegkriechen gesichert. Drückte den Knebel nach und ging vorsichtig weiter. Mit Cankat sprach ich ab, das ich erst einmal die Lage im Gebäude sondieren wollte.

„Sage den anderen, was ich vorhabe, damit die nicht nervös werden. Du musst Dolmetscher spielen, die hören mich ja nicht“, informierte ich ihn lachend.

Obwohl mir gar nicht danach war. Schnell nahm ich mir eine Spritze, aus der Tasche injizierte sie mir, mein Fieber war schon wieder über 60 °C gestiegen. Verdammt was war das nur? Einen Moment blieb ich sitzen, es ging wieder. Also stand ich auf und lief weiter. Vorsichtig und völlig lautlos stieg ich die Treppe nach unten. Hier standen nur drei Posten, einen konnte ich sofort ausschalten, er stand genau vor mir. Ein Griff in den Nacken und er schlief. Ich trug ihn nach oben zu dem anderen Posten, justierte ihn ebenfalls an einem Pfeiler, einen Knebel in den Mund. Zurück zu den anderen übrig gebliebenen Posten.

Cankat musste herkommen, beide Posten schaffte ich nicht zeitgleich, ohne sie zu töten. Cankat war innerhalb von einer Minute zu mir aufgeschlossen, da er ja auf niemanden mehr achten musste. Ich erklärte ihm, wie ich vorgehen wollte. Er hatte allerdings eine bessere Idee. Deshalb gingen wir in die Wand und hinauf auf die Dachbalken. Direkt über den beiden Posten, ließen wir uns zeitgleich fallen. Konnten auf diese Weise, ohne gesehen zu werden, beide Posten gleichzeitig ausschalten. Cankat justierte seinen Posten, als Paket an der Nordwand.

Als Paket, das bedeutete auf den Bauch liegend, in einer Ecke, so fixiert, das Hände und Füße auf den Rücken zusammengebunden waren. Das war für den Posten sehr schmerzhaft und vor allem unbequem. Auf diese Weise verhinderten wir aber, dass die Gefangenen weglaufen, kriechen oder rutschen konnten. Ich justierte meinen Gefangenen dagegen stehend, mit Händen und Füßen, an der Westwand in einem Raum, voller festgeschraubter Regale.

Cankat ging in der Zwischenzeit die anderen Teams holen.

Ich dagegen sondierte das Gelände, suchte den Eingang zu dem unterirdischen Labyrinth. Im Laufschritt kamen die anderen auf mich zu. Nach fast drei Minuten intensiven Suchens, hatte ich endlich den Eingang gefunden. Der war gut versteckt, hinter einem drehbar gelagerten Regal.

Wir warteten auf die Meldung meiner anderen Teamleiter, dass sie ebenfalls den Eingang gefunden hatten. Teja vom Team 4 meldet sich, dann Andi vom Team 5. Sina und Jaan hatten Schwierigkeiten, waren aber trotzdem mit dem Team 2 in Position. Rafik meldete, dass er einen Verletzten hatte, auch er war mit Team 3 auf Startposition, brauchte aber noch zwei Minuten, für die Wundversorgung. Ich sollte mir keine Sorgen machen, es wäre nichts Schlimmes. Verdammt, wo blieb Rashida? Endlich meldete auch meine große Freundin, das Team 6 auf Position wäre.

„Täubchen, tut mir leid, hier war gerade ein Wachwechsel, den wollte ich noch durchlassen. Ich denke bei dir sind die schon durch, die abzulösenden Wachen fragten, wieso sie so spät abgelöst wurden? Bekamen zur Antwort, sie wären die letzten. Also denke ich haben wir, mindestens zwei Stunden Ruhe.“

Erleichtert atmete ich auf. „Dann weiter! Geht vorsichtig vor. Ihr kennt das Terrain nicht. Vorzeitiger Alarm bringt viele Tode. Denkt dran Leute, lieber auf Nummer sicher gehen. Wir wissen nicht, wie viele uns hier drinnen wirklich erwarten. Wir sind nur alleine. Von den anderen könnt ihr nicht so viel verlangen, wie von euch. Passt also auf euch auf“, gab ich meinen Freunden zu verstehen. Laut sagte ich zu den anderen. „Es sind alle auf Position. Cankat, Conny zu mir! Die anderen bleiben in sicherer Entfernung. Rudi und Wolle, John und Max, Mario und Werner gehen an der Spitze, die anderen laufen wie besprochen. Also los, bringen wir diesen verdammten Mist hinter uns“, zu meinen Freunden, sagte ich nur kurz.

Lözi, kri. - Zugriff.“

  

Gleichzeitig gingen wir in das unterirdische Labyrinth. Was ich da zu sehen bekam, erschreckte nicht nur mich, genauso wie den Rest meiner Leute. Wenn ich erwartet hatte, dass wir durch Gänge nach unten geführt zu wurden, so schockierte mich die Wahrheit noch mehr. Wir standen sofort, mitten in einer riesigen unterirdischen Halle. In der es nur lauter Brücken und Plattformen gab. Raiko meinte wir würden über Gänge in diese Halle kommen. Verdammt, wie sollte ich meine Leute ungesehen hier durch bekommen.

„Cankat...“, rief ich ihn zu mir. „...habe eine gute Idee für mich. Ich weiß nicht, wie ich mit den Anderen hier durchkommen soll. Wir beide schaffen das! Aber die anderen haben keine Chance.“

Cankat stöhnte genau wie ich.

Ich ging leise zurück. „Rudi, Conny ihr beiden sorgt dafür, dass hier absolute Ruhe ist. Es wird nicht gesprochen oder geflüstert. Ihr bleibt hier in Deckung bis ich euch hole. Ich bekomme euch hier nicht durch. Bleibt, wo ihr seid egal, was passiert. Es bringt euch nichts, ins offene Messer zu laufen. Wir brauchen euch unten, für den großen Kampf. Die hintersten sollen euch den Rücken decken.“

Cankat gab mir Recht. Wir mussten hier erst einmal alles leer räumen. Raiko hatte Recht damit, dass wir den schwersten Zugang hatten. Ich war froh auf ihn gehört zu haben, mir den besten Schützen mitzunehmen. Kurz fragte ich noch bei den anderen, die liefen in Gängen nach unten. Na wenigstens hatten die anderen Teams etwas mehr Glück.

„Cankat, du rastest das Gewehr ein oder vertraue es Conny an, wir gehen leise vor, nur die Sai. Kurz und bündig“, gab ich Cankat die letzten Anweisungen.

Ich begab mich auf einen Querträger löste das Fangseil. Nickte Cankat kurz zu, zeigte auf den hintersten der fünf Posten. Er musste also auf den Träger dreißig Meter weiter laufen. Ich zog die beide Sais aus der Halterung und sprang die dreißig Meter, zum nächsten Posten landete zielgenau, genau hinter ihm, ein Strich mit der Saiklinge am Hals. Er lag, der nächste Posten hatte nichts mitbekommen. Ein kurzer Sprint, auch der Posten fiel durch die Saiklinge getötet zum Boden. Noch ein Sprint und auch der dritte Posten kippte ums. Cankat hatte seinen Posten ebenfalls gelegt und auch den zweiten Posten lautlos bewältigt. Ein Wurf mit dem Fangseil nach oben, an den nächsten Träger. Daran nach oben geklettert, noch ein Wurf, schon waren wir wieder oben auf der Plattform. Bei Rudi und Conny angekommen, übernahmen wir unsere Waffen, drehten die Schalldämpfer auf.

„Cankat, du nimmst die Vier ganz hinten, bitte ohne zeitliche Verzögerung, ich nehme die Vier vorn. Hoffen wir, dass sie alle liegen bleiben.

Ich legte das Gewehr an und nahm den ersten, mir am nächsten stehenden Posten, ins Visier. Der saß nur ungefähr hundert Meter von mir weg war, an eine Wand gelehnt. Zielte und schoss, ohne einen Ton zu sagen, kippte er nach hinten um und bleibt liegen, als wenn er schlafen würde. Das machte ich noch genau dreimal, wir hatten Glück, keiner von den acht Posten stürzte in die Tiefe.

„Wir gehen weiter, bitte leise und immer in Zweiergruppen.“

„Warum?“, fragte mich Oli ganz leise. „Weil je mehr Leute, hier oben lang laufen, umso lauter hallt es. Also lauft bitte leise“, erklärte ich ziemlich genervt. Oli nickte. Immer zwei Leute schickte ich Cankat hinterher, auf die nächste Plattform. Ich war froh, wirklich alle liefen fast lautlos. John drückte ich mein Gewehr in die Hand, bevor er auf die andere Seite ging. So jetzt waren alle drüben.

„Cankat, ich gehe zu dem Mittelträger, gehe daran nach unten in die nächste Ebene und sehe mir das erst einmal an. Bleibe bei den Leuten. Höre vor allem auf die Geräusche. Cankat, bitte denke daran, die fünfundzwanzig Leute haben nie gelernt, leise zu laufen“, gab ich meinem Scharfschützen genaue Anweisungen.

Im gleichen Moment sprang ich wieder auf den Träger, machte einen Salto auf den Nächsten, dann mit dem Fangseil auf den Mittelträger und lief auf diesen ein ganzes Stück in die Halle hinein.

„Cankat, sehe bitte einmal direkt unter dich. Dort sitzt eine Wache, die schläft“, wies ich meinem Freund ein. Cankat legte sich auf der Plattform auf den Bauch und entsicherte das Gewehr. Vorsichtig und völlig lautlos rutschte er nach vorn und sicherte sich mit den Beinen an der Brüstung ab. Ließ sich vorsichtig nach unten kippen. Zielen, einen Schuss, schon kippte die Wache zur Seite.

„Danke.“

Ich lief an der Säule nach unten, warf mein Seil und landete genau neben den Posten und setzte ihn wieder auf. Zügig lief ich auf der Brücke weiter, zu dem anderen Posten. Der in entgegen gesetzte Richtung sah, ein Zug mit der Sai und schon saß auch er schlafend da, genau wie sein Freund.

„Cankat, kommt her, hier geht eine Treppe hinunter“, leise lief ich weiter, froh keine Schuhe an zu haben. Verdammt, wann hatte ich die schon wieder ausgezogen? Fragte ich mich. Aber so wie ich den Gedanken gedacht hatte, war der auch schon wieder verschwunden. Der Rest des Teams kamen mir nach, bemüht keinen Lärm zu machen, was ihnen auch ganz gut gelang.

„Cankat, oben auf der Plattform bleiben, hier unten sind…“, ich zähle durch. „Insgesamt fünfzehn Wachen, verdammt…“ Ich klebe mich unter die Brücke, beinah wäre ich in zwei der Wachen, hinein gelaufen. Ich ließ sie unter mir hindurch laufen und nahm die Sais in die Hände. Dachte bei mir, es tut mir leid, aber es geht nicht anders.

„Cankat, ich brauche eure Hilfe. Bringt die Wachen nach oben, auf die Plattform.“ So vorsichtig wie möglich lief ich weiter. Hinter der Treppe, ging es in einen Raum, in dem nur eine Wache saß.

„Cankat komm runter“, gab ich kurz den Befehl.

Lief in den Raum und griff zu. Die Wache schlief mit Hand und Fußfesseln justiert und mit einem Knebel im Mund. Es waren, aber immer noch zwölf Wachen, die auf den Brücken patrollierten.

„Was machen wir? Verdammt ich wusste das es schwer wird. Aber ich bräuchte euch eigentlich alle hier“, verzweifelt überlegte ich eine Möglichkeit, nicht alle töten zu müssen. Aber das würde ich nicht verhindern können.

„Täubchen, warum nutzt du nicht das Kuckucksnest?“, brachte mich Rashida auf eine Idee.

Das war es, genauso könnte es gehen. „Rashida, du bist mein rettender Engel.“

Sofort lief ich mit Cankat zurück. Legte die Wache noch einmal schlafen, zog sie aus und fesselte sie nochmals, diesmal nur in Unterwäsche. Das war eine der wenigen Male, in den ich mich dazu beglückwünsche, dass ich kleiner war, als die anderen. Mir passten die Sachen immer. Meist waren sie ein bisschen weit, aber das hielt der Gürtel zusammen. So angezogen spazierte ich völlig ungeschützt und offen auf die erste Wache zu, legte sie schlafen, dann die nächste, die übernächste. Schon waren es wieder drei weniger ausgeschaltet. Mit Hilfe der Anderen, trugen wir sie in die Wachstube, fesselten und knebelten sie. Wir justierten alle vier so, dass wir sie zusammen banden. Auf diese Weise konnten sie sich nicht bewegen. Die Füße und Hände waren so aneinander gekettet, dass sie kniend warten mussten, bis sie hier abgeholt wurden. Rudi und der Rest des Teams, setzten sich an die Wand, um zu warten.

„Cankat, du gehst über die Träger, auf die andere Seite, sehe zu, dass du den ganz hinten, mit einem Schuss tötest. Ich nehme mir die anderen sieben vor. Du solltest ihn so treffen, dass er nicht in die Tiefe stürzt, bitte Cankat.“

Der lachte mich an. „Mache ich doch glatt, für dich.“

Ich zog die Sachen von der Wache wieder aus, die brauchte ich nicht mehr. Ich holte mir eine Injektion und gab sie mir. Ich hatte schon wieder hohes Fieber. Langsam machte mich das Fieber fertig. Aber es nutzte alles nichts, ich musste durchhalten. Tief durch atmend, zog ich meine Schwerter und lief in die Gruppe der Wachen hinein, schon lagen sie gefallen durch den Schwerttanz am Boden. Auf der Plattform von Cankat, blieb der Posten liegen. Meine Posten zogen wir etwas aus dem Sichtbereich. Wir mussten unbedingt weiter. Ich winkte Rudi heran, gemeinsam liefen wir zur nächsten Leiter und eine weiter Etage nach unten. Keine Posten. Eine weitere Treppe, führte auf die nächste tiefere Etage, auch dort waren keine Posten. Langsam wurde ich unruhig, wieso waren hier keine Wachen, ich verstand das nicht. Ich gab das Signal für Halt, die geschlossene Faust und gab mir eine weitere Injektion.

„Cankat, kannst du drei Minuten auf mich aufpassen, ich muss ins Jawefan, bitte.“

Cankat sah mich besorgt an und nahm mich in den Arm. Ich ließ mich für drei Minuten fallen. Cankat fühlte meine Stirn, die glühend heiß war. Nach drei Minuten im Jawefan, fühlte sie sich wieder fast normal an. Beruhigt atmete er auf, er bekam die besorgten Blicke, der anderen mit.

„Es ist wieder alles in Ordnung. Ihr müsst euch keine Sorgen mache.“

Im gleichen Moment erwachte ich aus dem Jawefan. Einige tiefe Atemzüge später, war ich wieder auf den Beinen.

„Danke“, sagte ich kurz. „Wir müssen weiter.“

Ohne zu warten lief ich los, alle geflüsterten Bemerkungen wurden gekonnt von mir ignoriert. Noch eine Etage tiefer, keine Wachen, bis wir unten angekommen waren, trafen wir auf niemanden mehr.

„Kann es sein, dass die sich hier so sicher fühlen, dass die nur die ersten beiden Etagen gesichert haben. Ich kann das wirklich nicht glauben. Das wäre untypisch für den Generalmajor, der immer so, auf Sicherheit fixiert war. Wie sieht es bei euch aus. Team 2 bis 6?“, fragte ich die andere Teams.

Bei den anderen, war es genauso.

„Na hoffentlich laufen wir in keine Falle“, nervös sah ich mich um. „Ich hab ein Scheißgefühl. Es erinnert mich alles, immer mehr an Albanien“, ich schluckte trocken.

Rashida lachte schallend auf und versuchte mich zu beruhigen. „Du alter Pessimist. Nicht immer muss ein Einsatz gleich so schlimm sein wie der von Albanien. Vielleicht schlafen die nur, weil sie mit keinem Angriff rechnen.“

„Na wollen wir es hoffen.“

Wir gingen weiter zügig in Richtung Haupthalle. Zeitgleich kamen alle sechs Teams, auf der unteren Ebene an. Bis jetzt hatten wir keine schweren Verletzungen. Sollte uns das Glück, wirklich holt sein? Ich konnte es nicht glauben. Allerdings wurde mir ganz anders, als wir an der Haupthalle angekommen waren. Mir blieb regelrecht die Luft weg. Es sah hier aus, wie in einem Heerlager. Ich schaute mich genau um.

„Bitte bleibt erst einmal alle, wo ihr seid“, gab ich meinen Freunden zu verstehen. Mir kam da eine verrückte Idee. „Könnt ihr euch noch daran erinnern, was ich damals in Albanien versucht habe. Was denkt ihr, ob das hier auch funktionieren könnte? Verdammt nochmal, ich habe einfach zu wenige Informationen, um sichere Entscheidungen treffen zu können. Also, was haltet ihr von der Idee zu provozieren.“

Meine Freunde stöhnten auf. Sie wussten nur zu gut, wie hoch das Risiko war.

Rashida brachte es, wie immer auf den Punkt. „Täubchen du weißt schon, was für ein Risiko du da eingehst“, wies sie mich extra noch einmal drauf hin.

„Klar weiß ich das Rashida. Ich mache das nicht das erste Mal. Aber sagt mir, was haben wir für eine andere Option? Ich will nicht das große Blutvergießen wie in Albanien oder Prag bekommen. Lasst es mich einfach probieren. Wir versuchen es einfach! Ich habe hier einen riesigen Vorteil, der Generalmajor kennt mich. Vielleicht hilft es ja.“

Nochmals schaute ich mir das Terrain an. Soweit ich es aus meiner Ecke überblicken konnte. In der Zwischenzeit beratschlagten sich meine Freunde. Ich bekam grünes Licht von ihnen. „Also wir machen es wie folgt. Ich geh hoch zu ihm und ihr bleibt derweilen in Deckung. Sollte es zu einer Ausschreitung kommen, ist das euer Signal für den Zugriff. Vielleicht kann ich es ohne das große Töten beenden. Habt ihr verstanden?“, ich bekam von allen die Rückmeldung, dass sie es verstanden hatten. Mit einem sehr unguten Gefühl wandte ich mich, an die drei Teamleiter und Cankat. Ein Gedanken kam mir, wenn ich hier keine große Diskussion bekommen wollte, blieb mir nur eins übrig, ich musste sie vor vollendete Tatsachen stellen.

  

„Hört mir jetzt genau zu. Conny, du weißt bestimmt, was ich meine. Ich werde etwas versuchen, auch wenn es riskant ist. Ich hatte damit schon einige Male, in ähnlichen Situationen Glück gehabt und konnte dadurch, solche Einsätze zu einem unblutigen Ende bringen. Bitte keine Diskussion, es ist mit den anderen Teams, bereits beschlossen. Wir gehen wie folgt vor. Ihr bleibt erst einmal hier in Deckung, Cankat, du weißt wie wir in Albanien vorgegangen sind. Genauso, werden wir hier vorgehen. Ich kenne den Generalmajor, der sitzt oben in seinem Loch. Friedrich lässt es sich bestimmt mit einer seiner Soldatinnen gut gehen. Ich werde ihn zu einem Zweikampf herausfordern“, erklärte ich es Cankat noch einmal. Die anderen bekamen nichts, von unserem internen Gespräch mit. Aber sie mussten auch wissen, worum es ging. „Sollte er sich widererwarten, nicht auf diesen Kampf einlassen und es zu einer großen Ausschreitung kommt, dann greift ihr ein. Ich gebe euch dann das Signal für den Zugriff. Cankat, bitte wartet lieber zwei Minuten zu lange, als dass ihr zu früh eingreift.“

Cankat nickte, Rudi wollte etwas fragen.

„Was ist Rudi?“, fragte ich ihn, weil ich merkte dass er unschlüssig war.

„Was verstehst du unter Ausschreitung?“

Genervt holte ich Luft. „Rudi, hab Vertrauen zu mir. Du wirst das dann schon sehen. Ich habe einfach keinen Bock, mir von dir eine Stunden lang einen Vortrag anzuhören, was ich nicht machen kann. Ich habe das in ähnlichen Situationen, schon öfter gemacht. Ich will diesen verdammten Mist einfach nur hinter mich bringen. Rudi mir geht es nicht besonders gut. Ich will hier nur schnellstmöglich raus und zwar ohne das große Blutvergießen, was wir sonst hier bekommen. Lass mich einfach machen und vertraue mir. Cankat, du hast ab jetzt, hier die Befehlsgewalt. Bitte, auch das ist ein Befehl von mir, bleibt immer an den Wänden. Wenn wir anfangen zu kämpfen, achten wir nicht mehr darauf, gegen wen wir kämpfen. Sondern gehen gegen alles vor, was sich bewegt“, ich schaute das gesamte Team an. „Alle wirklich alle von euch, außer Cankat und Conny, bleiben mit dem Rücken an der Wand. Kommt mir ja nicht in die Nähe meiner Klingen. Ich will euch nicht verletzen. Conny, auch du ziehst dich, so weit wie möglich an die Wand zurück. Am liebsten wäre es mir, wenn auch du an der Wand bleibst. Du bist zwar gut, aber nicht so schnell wie wir. Verstanden?“

Ohne auf weitere Diskussionen einzugehen, drehte ich mich um und ging auf Fran zu. Nahm mir den Medi-Koffer und zog mir noch zwei Spritzen mit K99 auf und gab sie mir sofort. Sagte in der Zeit, in der ich mich spritzte, in den Gedanken den anderen auch noch einmal, dass sie ihre Teams auch an die Wand drücken sollten. Fertig mit dem spritzen stand ich auf und atme einige Male tief durch. Nochmals ging ich in die Hocke, zog mir zwei Injektionen auf und dosierte mich somit, an der höchsten möglichen Grenze, um mein Fieber für eine Weile in den Griff zu bekommen. So hochfiebrig konnte ich einfach nicht arbeiten.

Conny, John und Rudi wollten etwas sagen, ich schüttelte leicht den Kopf. Legte nur den Finger auf den Mund, zeigte mit der anderen Hand ins Lager. Es war einfach keine Zeit für Diskussionen. In der Zwischenzeit legte ich meinen Nahkampfgürtel, den Pistolenhalfter mit den Schwertern und den Tonfa ab. Entledigte mich auch der Messerhalfter an den Armen und Beinen, sowie des Fangseil. Ich war jetzt also vollständig unbewaffnet. Zur Verwunderung des Teams, setzte mich einfach auf den Boden und ging tief in mein Qi, um mich auf den bevorstehenden Kampf vorzubereiten. Dann brauchte ich mich, nur wieder kurz einatmen.

Nach zwei Minuten erhob ich mich und ging offen in die Halle hinein. Cankat hatte Mühe, Rudi zurück zu halten, Conny redete beruhigend auf ihn ein. Er hatte schon einige solcher Einsätze erlebt, in denen ich ebenfalls, so vorgegangen war. Langsam und die Hände offen von mir haltend, lief ich in die Halle.

  

„Cankat, wenn es zum Kampf kommt, schmeiße mir die Schwerter zu“, bat ich meinen Freund noch.

„Geht klar Kahlyn, pass auf dich auf.“

Ich schenkte ihm mein schönstes Lächeln. Nebenher zählte ich die Leute, die hier zum Teil schliefen, aber auch herumsaßen. Mir wurde immer schlechter. Wenn hier alle versammelt waren, dann hatten wir es mit eintausend sechshundertneunundneunzig Leuten zu tun. Ich gab die Zahlen an meine Leute weiter, damit meine Freunde ebenfalls wussten, worauf wir uns hier wieder einmal einließen.

„Ich gebe hiermit das Gesetzt frei“, sage ich traurig.

Aber es half nichts. Die Entscheidung wer sterben sollte fiel mir nicht leicht. Allerdings würde ich mich immer für meine Kameraden entscheiden, denn wir hatten keine Wahl. Wir bekamen nur die Befehle, die Drecksarbeit zu machen, von ganz oben und hatten keine Möglichkeit uns dagegen zu wehren. Die mussten sich ja nicht die Finger schmutzig machen und ihr Leben riskieren. Das Gesetzt freizugeben, bedeutet für uns nichts anderes, als das wir zum letzen Mittel griffen, und dass es zum großen töten kommen würde. Solange wir es irgendwie verhindern konnten, würden wir immer human vorgehen.

„Es werden nur die Schwerter benutzt. Nur mit den Messern oder den Sais kommen wir hier nicht heil heraus. Wir müssen unsere Teams beschützen. Oder wir müssen sie alle Mann zurückschicken. Leute so lange halte ich nicht mehr durch, ich kann das Fieber kaum noch kontrollieren ob wohl ich zwanzig Einheiten K99 intus habe. Der Kampf würde Tage dauern, das schaffe ich nicht. Drückt mir einfach die Daumen, dass ich es ohne Kampf beenden kann.“

Fast drei Minuten lief ich jetzt schon durch die riesige Halle. Ich war schon fast an den Tischen angekommen, als einige auf mich aufmerksam wurden. Ein grobschlächtiger Mann, Ende vierzig kam auf mich zu.

„Wo kommst du denn her? Wie bist du denn hier runter gekommen? Wieso hat dich keiner gemeldet? Was willst du hier? Du gehörst doch nicht zu uns?“, stellte er mir gleich viele Fragen.

„Cankat, sagt den andern, um was es geht, bei unserer Unterhaltung, ihr anderen auch“, instruierte ich meine Leute noch.

„Sir, du hast Recht, ich gehöre nicht zu euch. Ich wollte zu Generalmajor Friedrich, Sir. Kannst du mich zu ihm bringen? Ich bin Kahlyn und er war mein Ausbilder, Sir“, sagte ich einfach.

Der fing an schallend zu lachen. „Der General hat schon seit Jahren, keine Leute mehr ausgebildet. Schon gar nicht Kinder“, sagte der ruppige Kerl.

„Aber Sir, das hat er! Vor sechszehn Jahren hat er uns ausgebildet, Sir. Er hat mich und meine Freunde fünf Jahre lang unter seinen Fittischen gehabt, Sir. Das war verdammt hart, das können sie mir ruhig glauben, Sir. Aber die Schule gibt es nicht mehr, ich weiß nicht, wo ich hin soll, Sir. Da dachte ich mir so, suche deinen alten Lehrmeister, Sir. Vielleicht will der dich noch haben, Sir. Ich bin ja nicht ganz schlecht, Sir.“

Unschuldig schaute ich ihn an. Der grobschlächtige Kerl musterte mich, dann grinste er und wollte mich greifen. Ich jedoch wich ihm aus und ließ ihn einfach an mir vorbei laufen. Hielt den Kopf etwas schräg und grinste ihn an.

„Sir, wo willst du so schnell hin, Sir“, erkundigte ich mich bei ihm. Stellte mich jünger und dümmer dar, ich als ich wirklich war.

Der Bulle jedoch schüttelte den Kopf. „Du scheinst wirklich von ihm ausgebildet worden zu sein! Bist du eine von den Hundert? Von der Truppe hat er immer geschwärmt. Ihr hättet so gute Reflexe.“

Ich nickte und dachte so bei mir, damit war die erste Hürde gemeistert, so war es auch.

„Dann komme mal mit“, er ging weiter, in Richtung eines Containers, der auf einer der Plattformen stand. Er stieg die Treppe hoch und dreht sich zu mir um. „Warte hier“, forderte er mich auf.

Ich setzte mich auf die Treppe, so dass ich mit dem Rücken in Richtung Felswand, aber auch am Geländer saß. So hatte ich die Möglichkeit, die gesamte Treppe zu beobachten.

„Kahlyn, du sollst reinkommen“, rief er mich und lief die Treppe hinunter.

Ich stand auf und stieg sie hinauf. Oben an der Tür, klopfte ich an und trat sofort ein. „Sir, guten Abend Sir“, grüßte ich meinen ehemaligen Lehrer, den Schlimmsten den wir je hatten, außer dem Oberstleutnant.

„Na Kahlyn, was führt dich denn hier her? Du bist ja immer noch, am Leben und immer noch so ein Zwerglein“, provozierte er mich, feist grinsend.

Ich fiel gleich mit der Tür ins Haus. Warum sollte ich auch erst lange rumlabern, ich wollte den Mist hinter mich bringen.

„Sir, ich möchte sie davon überzeugen aufzugeben, ich stehe draußen mit fünfzehn Teams, um sie auszuräuchern, Sir. Ich würde diesen Einsatz gern schnell und vor allem unblutig zu Ende bringen, Sir.“

Jetzt fing Friedrich an schallend zu lachen. Er konnte sich ewig nicht beruhigen. Lachtränen liefen aus seinen Augen. Dann starrte er mich an, wie einer der durchgedreht war.

„Kahlyn, das meinst du doch nicht wirklich ernst. So dumm bist du doch schon vor Jahren nicht gewesen. Oder hast du zu viele Schläge auf den Kopf bekommen. Was ist los mit dir? Willst du mich verarsche oder was? Du glaubst doch nicht etwa, dass ich darauf eingehen.“

Ich schüttelte den Kopf. „Sir, ich glaube nicht, dass sie das machen werden, aber ich wollte es wenigstens versucht haben, Sir. Sie wissen doch, Sir. Wie sehr ich es hasse, zu töten, Sir. Daran hat sich bis heute nichts geändert, Sir.“

Friedrich lachte mich regelrecht aus. „Du bist der Meinung, du kannst hier unbewaffnet hereinspazieren und von mir verlangen, dass ich meine Männer in den Knast schicke. Nur weil die Regierung auf einmal der Meinung ist, uns nicht mehr zu brauchen und uns als gefährlich einstuft hat.“

Wieder schüttelte ich den Kopf. „Sir, nein Sir, aber ich hoffte das ihnen das Leben ihrer Männer so viel wert wäre, dass sie sich dafür einsetzen, dass sie am Leben bleiben, Sir.“

Friedrich fing noch mehr an zu lachen. „Kahlyn, du glaubst doch nicht etwa, dass du gegen eintausendneunhundert Leute ankommst?“ 

„Sir, gegen eintausendneunhundert nicht, aber es sind nur eintausendsechshundertneunundneunzig. Mit ihnen also eintausendsiebenhundert, Sir. Die anderen sind schon Tod oder liegen irgendwo, unterwegs geknebelt und gefesselt da. Die Armen verstehen bestimmt die Welt nicht mehr, Sir. Die restlichen eintausendsechshundertneunundneunzig dürften wir, gerade mal so schaffen. Aber nur, wenn wir zum letzten Mitten dem Tod, greifen, Sir. Ich habe das Gesetz freigegeben, das heißt meinen Freunden ist es erlaubt zu töten, Sir. Sie wissen doch, Sir, wie sehr wir es hassen zu töten, Sir. Deshalb wollte ich es versuchen, eine Möglichkeit zu finden, diesen Kampf unblutig zu Ende zu bringen, Sir“, mit schiefgehaltenen Kopf sah ich ihn an.

„Kahlyn, das ist jetzt nicht dein Ernst, du denkst das jetzt nicht wirklich oder? Du bist in zwei Sekunden auf der Matte, daran hat sich nichts geändert.“

Schweigend sah ich ihn an und sagte lange Zeit gar nichts zu ihm. Aber zu meinen Freunden machte ich doch eine Bemerkung.

„Der ist ganz schön überheblich geworden. Denkt der vielleicht, wir hätten uns in den letzten elf Jahren nicht auch eigene Kampfstile angeeignet. Während der Ausbildung konnte er uns das vielleicht verbieten, aber er ist seit elf Jahren nicht mehr da. Auch er wird sich doch weiter entwickelt haben“, provozierend wandte ich mich wieder Friedrich zu. „Sir, ich denke schon, dass ich ein bisschen besser geworden bin, Sir. Vor allem, habe ich auch ein paar kleine Kampferfahrungen gehabt, so ganz schlecht bin ich nicht, Sir. Vielleicht machen wir einen Deal, wenn ich sie bezwinge, dann legen alle die Waffen nieder, Sir, wenn ich verliere, dann kämpfen wir einen blutigen Kampf, Sir. Bis aller ihre Leute tot sind oder am Boden liegen, Sir. Aber ich sage ihnen eins, die meisten ihrer Männer sind dann tot, Sir. Das wäre nicht so gut, glaube ich jedenfalls, Sir.“

Provozierend lehnte ich mich an den Rahmen der Tür und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich wusste, dass ich ihn hatte, das sah ich an seinen Augen. Aber ich wusste auch, dass er nicht selber kämpfen würde. Keine Ahnung, warum er einen Kampf mit mir nicht eingehen wollte. Früher war er nicht so, da hatte er jede Gelegenheit genutzt, um mir zu beweisen, dass ich zu nichts fähig war. Das war doch sonst nicht seine Art, hatte der Generalmajor etwa Angst vor mir? Das konnte ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Na gut er ging mit riesigen Schritten auf die sechzig zu, aber er schien immer noch so gut durchtrainiert zu sein wie vor elf Jahren. Vielleicht wollte er sich nur vor seinen Männern keine Blöße geben. In der Verbindung informierte ich meine Kameraden, über das, was mir durch den Kopf ging. Denn nicht alle waren Teil meiner Gedanken.

„Friedrich wird auf den Kampf eingehen. Aber er wird diesen Kampf nach eigenem Ermessen gestalten. Ich denke es wird ein sehr ungleicher Kampf werden, den ich gegen mehrere Gegner führen muss. Bitte greift in diesen Kampf nicht ein. Ihr bleibt alle wie ihr seid, auf euren Positionen. Ihr bleibt dort ohne euch zu rühren, bis zu dem Zeitpunkt an dem ich euch rufe. Cankat, sorge bitte dafür, dass John und auch Rudi auf ihren Positionen bleiben. Die kennen diese Art von Kampf von mir noch nicht. Rede mit Conny und bitte ihn um Hilfe, der wird dir bestehen. Im schlimmsten Fall müsst ihr die Beiden schlafen legen, zur ihrer eigenen Sicherheit. Wenn die zu zeitig eingreifen, haben wir keine Chance, das hier unblutig zu einem Abschluss zu bringen. Die Chance ist sowieso nur minimal. Aber ich denke zusammen mit Conny schaffst du es die beiden ruhig zu halten. Die sind genau wie Conny Profis. Conny kennt diese Art des Kampfes von mir und war mit mir schon einige Male, in ähnlichen Situationen. Er weiß, dass ich das ohne Probleme schaffe. Conny weiß genau, zu was ich fähig bin. Die Truppe aus Gera weiß das leider noch nicht. Drückt mir die Daumen“, damit brachte ich meine Gedanken wieder zurück ins Büro des Generalmajors. Friedrich kämpfte immer noch sichtbar mit sich.

„Sir, haben sie doch nicht etwa Angst, vor einem Kampf mit mir oder weshalb zögern sie so lange, Sir?“, provoziere ich Friedrich weiter.

„Kahlyn, das glaubst du doch nicht wirklich“, wiedersprach mir mein ehemaliger Lehrer.

Ich zuckte provokativ mit den Schultern und nickte dann. „Sir, na ja ich denke schon, irgendwie jedenfalls, Sir, sonst würden sie nicht so lange zögern, Sir“, gab ich ihm die nächste Spitze.

In den längeren Pausen, wandte ich mich noch einmal an meine Freund, um ihnen genauere Anweisungen zu geben. „Wenn ich kämpfe, ziehe ich erst einmal alle Kräfte auf mich. Einer von Euch, müsste hoch auf die Träger und in meiner Nähe kommen, um mir dann, für den großen Kampf den es leider geben wird, die Schwerter zu zuwerfen. Ohne sie bin ich nicht in der Lage euch richtig zu helfen. Sina, am besten gehst du zu Cankat. Jaan ist ja noch für euer Team da. Du gehst nach draußen, vor eure Halle und läufst außen lang zu unserer Halle. Das geht am Schnellsten. Wenn du da bist, übernimmst du das Team 1 und Cankat geht hoch auf die Träger. Cankat, du bewaffnest dich mit deinem und meinem Gewehr und der dazu gehörigen Munition. Dann kannst du von den Trägern aus immer dann eingreifen, wenn jemand in Gefahr gerät, am besten mit Streckschüssen. Kannst den Kollegen beistehen die in Gefahr geraten und sie durch einen gezielten Schuss retten. Sina, du bringst Cankat deine und Jaans Munition mit. Ihr braucht die ja nicht“, gab ich letzte Anweisungen.

„Kahlyn, warum soll ich dein Gewehr mitnehmen, es reicht doch, wenn ich deine Munition mitnehme“, fragte Cankat verwirrt nach.

„Was ist, wenn dir wieder das Gewehr weggeschossen wird. Cankat, dann bist du froh, wenn du ein zweites hast.“

Cankat lachte. „Na du erst wieder, Kahlyn, aber vielleicht hast du Recht, in Albanien war das ja auch der Fall. Also viel Glück. Sag Bescheid, wann du deine Schwerter haben willst. Ich werfe sie dir runter.“

„Danke! Jetzt geht es mir gleich besser“, lachte ich mit ihm.

Friedrich kam mit seinen Überlegungen nicht wirklich weiter, also musste ich ihn weiter provozieren. „Sir, sie habe ja wirklich Angst vor mir. Sind ihre Leute so schlimm eingerostet, dass sie sich nicht mehr trauen können, sie gegen ein kleines Mädchen wie mich kämpfen zu lassen? Wenn sie sich das schon nicht selber trauen, gegen mich zu kämpfen, Sir“, machte ich dem Generalmajor sogar noch den Vorschlag, für einen Kampf mehrere seiner Kämpfer gegen mich.

„Du willst den Kampf wirklich Kahlyn?“

Ich schwieg eine Weile. Sah ihn lachend mit schief gehaltenen Kopf an und nickte noch einmal. Etwas dass unsere Lehrer, in der Schule, immer zur Weißglut brachte.

„Sir, ich will einfach nicht über die Hälfte ihrer, tausendsiebenhundert Leute töten müssen, Sir. Wenn ich es irgendwie verhindern kann, Sir Es muss nicht zum großen Blutvergießen kommen, wenn ich es verhindern kann“, erklärte ich ihm die Wahrheit.

Endlich löste sich Friedrich aus seiner Starre. „Na dann komm mal mit. Sehen wir mal wie gut du wirklich bist.“

Endlich hatte ich erreicht, was ich wollte. Friedrich ging auf meinen Vorschlag ein und stand auf. Er kam hinter seinem Schreibtisch hervor und jetzt sah ich auch, warum er nicht selber kämpfen wollte. Er hat nur noch ein Bein, das zweite war kurz oberhalb des Knies amputiert.

„Sir, das hätten sie mir gleich sagen können, dass sie nicht mehr selber kämpfen können. Das ist doch keine Schande, Sir. Wie ist das denn passiert, Sir?“, brachte ich ihn weiter in Rage, in dem ich auf seine Versehrtheit anspielte.

Ihm schien es viel auszumachen nicht mehr selber kämpfen zu können. Es machte mir richtigen Spaß ihn zu provozieren, wie oft hatte ich mir das, in meiner Ausbildung gewünscht. Nur damals hätte ich mir das nie im Leben getraut. Das wäre ein tödlicher Fehler gewesen, geradezu Selbstmord. Dass ich dazu einmal Gelegenheit bekommen würde, das ungestraft zu tun, hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausmalen können.

„Macht wohl Spaß Täubchen, den Killerfriedel zu provozieren? Trau dich nicht zu weit vor“, riet mir Rashida.

„Nein, keine Angst, das mache ich nicht, Rashida. Ich will ihn nur unaufmerksam machen. Also muss ich dafür sorgen, dass er sich auf mich konzentriert“ antwortete ich, meiner Freundin, lachend.

Friedrich fühlte sich sehr angegriffen und musste etwas mit seinem Können prahlen. Die ganze Sache ging ihm sehr viel mehr an die Seele, als er zugeben wollte.

„Kahlyn denke ja nicht, dass ich dich nicht mehr besiegen kann“, pulverte mich Friedrich an.

„Sir, ja klar Sir, auf nur einem Bein hopsend, haben sie, glaube ich sehr schlechte Karten, gegen mich. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass sie mich auf diese Weise zu fassen zu bekommen, Sir.“

Immer wütender wurde der Generalmajor auf mich und humpelte zur Tür. Friedrich riss die Tür auf und stieg mühsam die Treppe hinunter.

„Na komm Kahlyn, oder bekommst du es jetzt doch mit der Angst zu tun“, rief er die Treppe hoch.

Ich war oben stehen geblieben und wollte erst einmal einen Überblick haben, was auf mich zukam. Friedrich orderte erst einmal einige Kämpfer zu sich, die gegen mich antreten sollten.

„Sergje, du holst sofort Alexander, Ivan, Tobias, Roland, Igor, Achim, Ulf, Jonny, Hannes, Willy und Wolfi. Ich hab einen Kampf für euch, der zum Totlachen ist. Ihr anderen räumt hier mal die Tische weg“, brüllte er, in einem uns nur zu gut bekannten Ton, in die Runde.

Schon lief der grobschlächtige Kerl von vorhin los, um einige seiner Kameraden zu wecken. In der Zwischenzeit atmete mich schon langsam in mein Qi, wenn ich untern war, würde ich keine Zeit mehr dazu haben. 'Buha, das wird ein harter Kampf. Er hat die kräftigsten seiner Jungs ausgesucht. Na ja, aber die waren langsamer, als schlanke Kämpfer. Damit glichen sich Kraft, gegen Geschwindigkeit aus. Ach je, auf was hatte ich mich da wieder einmal eingelassen. Dies würde ein harter Kampf werden', ging es mir durch den Kopf, als ich die Kämpfer sah. Jetzt wurden alle anderen auch munter. Zum Teil durch ihre Kameraden geweckt, zum Teil aber auch durch den Lärm, der in der Halle entstanden war. Es kamen nach und nach alle zu der Kampfarena, die jetzt entstand war. In denen man die Tische unter die Treppe stapelte. 'Prima, das ist nett von euch, dass ihr aufräumt. Da haben wir dann gleich mehr Platz zum Kämpfen. Und müssen uns beim großen Kampf nicht erst selber Platz schaffen. Besser kann es doch gar nicht sein. Vor allem haben wir auf diese Weise gleich alle zusammen.' Rashida die Teil meiner Gedanken war, fing an schallend zu lachen.

"Na du erst noch. Dir scheint die ganze Sache ja richtig Spaß zu machen", konnte sie sich nicht verkneifen, mich etwas zu necken. Sie spürte wie angespannt ich war. Tief holte ich noch einmal Luft und lief langsam die Treppe herunter. Unten angekommen, ging ich auf Friedrich zu und stellte mich neben ihn. Verschränkte provokativ die Arme vor der Brust und fing an zu grinsen.

„Sir, wieso schlafen ihre Kämpfer eigentlich schon? Die sind wohl schon zu alt, um die Nächte durchzufeiern, Sir? Oder sind die noch so klein, dass die schon in ihren Bettchen liegen müssen, die kleinen Jungs und Mädchen, Sir“, stocherte ich weiter, in seiner Ego Wunde herum.

Langsam nahm ich meine Brille ab und steckte sie in den Kampfanzug. Zog das Band von der Stirn über meine Augen, um sie vor Licht zu schützen. Unbemerkt machte ich einen Schritt rückwärts um hinter Friedrich zu kommen, so dass ich ihn im Auge behalten konnte. Im gleichen Augenblick meldete sich Cankat, der endlich auf Position war.

„Kahlyn, ich bin exakt über dir. Soll ich dir ein Messer herunter werfen“, meldete sich Cankat, der wie Rashida und meine anderen Freunde, Angst um mich hatte.

„Hört auf euch Sorgen zu machen. Ich schaffe dass schon. Das ist nicht das erste Mal, dass ich solche Kämpfe durchführe. Haltet aber die anderen aus den Teams ruhig. Nicht dass die ausbrechen und den Kampf zu früh beginnen. Noch haben wir eine geringe Chance, es unblutig zu beenden. Cankat, ich brauche keine Messer. Lass das mal lieber sein, das bekomme ich auch so hin. Ich will, dass du deine Position geheim hältst, solange es irgend geht. Verhalte dich also ruhig“, gab ich ihm die Anweisung, still liegen zu bleiben.

„Sina, bist du beim Team 1? Achte auf John und Rudi, das die bei dir bleiben und nicht ausbrechen. Nicht das die etwas Unüberlegtes tun. Im Schlimmsten Fall, lege die beiden schlafen. Nehme dir Conny zu Hilfe, der hat mit mir schon einige solches Situationen erlebt. Er weiß, dass ich das locker schaffe. Es sind ja nur zehn Kämpfer. Der Killerfriedel, ist ganz schön von sich eingenommen.“

Ich machte eine kleine Pause, um die herankommenden Kämpfer zu beobachten. „Ist bei dir alles in Ordnung, Sina?“, fragte ich jetzt nach.

„Ja, hier ist alles in Ordnung.“

Erleichtert atmete ich auf. „Dann wünscht mir Glück.“

Ich konzentrierte mich auf meine Atmung. Die zehn von Friedrich bestimmten Kämpfer, kamen jetzt auf mich zu. Alle waren sie mit Messern bewaffnet und schauten grimmig drein. Als ob mir das Angst machen würde, ich lief in deren Mitte und stellte mich ruhig hin. Immer näher rückten sie mir auf die Pelle. Vorsichtig musterte ich die Kämpfer. Von der Bewegung her, würde ich von dem langsamsten, zum schnellsten wechseln. Das war zwar der gefährlichere Weg, für mich allerdings der Einfachere. Der langsamste Kämpfer, stand mir am nächsten. Diesmal würde ich nicht wie üblich, die Technik des Judos verwenden. Diese hatte uns Friedrich ja selber beigebracht. Ich würde auf eine andere Technik zurück greifen. Es war eine Abgewandelte Form des Kung-Fus, die ich selber entwickelt habe.

Sie war für mich, eine der besten Nahkampftechniken überhaupt. Die Idee war es, einen größeren und stärkeren Gegner, in kürzester Zeit zu besiegen. Dazu wurde zusätzlich, zu der eigenen aufgebauten Energie, also der eigenen Kraft und Schnelligkeit, die Energie des Gegners, zum eigenen Vorteil genutzt. Da ich in neunzig Prozent der Fälle, immer kleiner war, als meine Gegner, hatte mir diese Technik, schon sehr oft geholfen. Vor allem, hatte ich durch meine schnellen Reflexe, einen noch größeren Vorteil. Die Tatsache, dass diese Technik kaum bekannt war, erhöhte meine Chancen ungemein.

Der Erste kam auf mich zu und versuchte mich mit dem, in der rechten Hand gehaltenen Messer zu verletzen. Ich blockte das Messer ab, in dem ich mit der linken Hand, sein Handgelenk ergriff. Mit der rechten Handkante, schlug ich von vorn hart gegen den Kehlkopf meines Gegners. So zertrümmerte ich diesen vollständig. Bewusstlos und röchelnd ging er in die Knie. Im gleichen Augenblick, stach der nächste Kämpfer zu und traf erst einmal seinen Freund, der noch im Fallen war. Der Nächste schlug mit der rechten Faust nach mir, ich drehte mich aus dem Schlag heraus. Fing mit der rechten Hand, seine Faust und griff über unsere Arme nach seiner linken Schulter. Zog mit einem Ruck seine recht Hand zu mir und drückte ihn mit meinem linken Unterarm nach hinten. Legte ihn so mit dem Rücken auf die Matte. Mit einem gezielten kräftigen Schlag auf den Plexus, töte ich ihn. So leid es mir tat, human konnte ich hier nicht vorgehen. Bei diesem Kampf stand mein Leben, gegen das der anderen. Zwei Gegner hatte ich jetzt schon ausgeschaltet. Der nächste, ein ziemlich schneller Kämpfer, versuchte mich mit dem Messer zu erwischen. Ich griff mit der rechten Hand, sein rechtes Handgelenk, nach dem ich dem Messerstreich abgelenkt hatte, umfasste mit der linken Hand, seinen rechten Ellenbogen und trat mit dem linken Bein schnell und kräftig, von der Seite in sein rechtes Knie. Ein unschönes Knacken, das vom Brechen seines Knies herrührte, folgte ein furchtbarer Schrei. Das hatte weh getan. Der Kämpfer ging brüllend zu Boden und blieb dort wimmernd liegen. Ein Schritt nach rechts, schon hatte ich die nächste Hand und zog sie an meinem Körper vorbei. Gleichzeitig rammte ich den Kämpfer, das linke Knie in die Nieren. Mein linker Ellenbogen, zertrümmerte während ich mich drehte, mit voller Kraft seinen Kehlkopf, er ging bewusstlos zu Boden. Aus dieser Drehung heraus, einen Schritt nach vorn machend, ging ich auf den nächsten Gegner zu. So dass ich etwas links von ihm stand und fasste nach der waffenführende rechte Hand, knallte ihm dabei das linke Knie in die Nieren. Fasste von hinten, nach vorn, an seinem Hals vorbei an sein Genick, rutschte mit meiner Hand am Unterkiefer entlang, zu seinem Kinn und fasste zu. Ein kräftiger Ruck, das krachende Geräusch zeugte davon, dass der Wirbel gebrochen war. Er ging tot zu Boden. Ich drehte mich weiter, von links kam ein Messer auf mich zu, dem ich gerade noch ausweichen konnte. Reflexartig griff ich nach dem Handgelenk, fasste mit der zweiten Hand zu und trat mit dem rechten Fuß, seitlich in das Knie. Zog den Kämpfer zu mir heran und stellte mich kurz, mit einem Ruck auf dessen Knie. Ein Krachen, ein Schrei und der Kämpfer lag winselnd vor Schmerz am Boden. Er hielt sich, sein rechtwinklig zur Seite stehendes Knie und schrie vor Schmerzen. Von rechts kam schon wieder ein Messer, der gleiche Ablauf. Das Handgelenk erfasst, die zweite Hand half beim Verdrehen des Armes, ein Tritt in das Knie. Allerdings rutschte ich diesmal ab und brach dem Kämpfer auch noch den Ellenbogen, da ich viel zu viel Kraft in den Tritt platzierte und so auch noch auf die Elle knallte. Den schreienden und sich vor Schmerz windenden Kämpfer, ließ ich los und liegen, wo er hinfiel. Das nächste Messer kam, geführt von der Hand des Kämpfers, gegen meine rechte Schulter, ich ergriff sie und drückte mit der linken Hand, gegen seinen Ellenbogen, drehte ihm den rechten Arm hinter den Körper. Fasste den nach hinten schlagenden linken Arm und ließ den rechten Arm los, erfasste mit der rechten Hand, sein Kinn ein Ruck, sein Genick war gebrochen. Schon hatte ich den nächsten Arm erfasst und drehte ihn nach hinten. Griff mit meinem linken Arm über seinen linken und fasste nach dem rechten Arm, so dass ich beide Arme im festen Griff hatte. Von hinten krallte ich meine Finger in seine Augenhöhlen, ein kräftiger Ruck seines Kopfes nach hinten und brach ihm sofort, in dem ich gleichzeitig mit dem Knie im Rücken gegenhielt, das Genick nach hinten weg. Auch dieser Kämpfer sackte tot zu Boden. Der letzte noch stehende Kämpfer, kam wütend auf mich zu und versuchte mir das Messer in die Brust zu rammen. Ich führte, mit meiner linken Hand, seine rechte Hand, an meinem Körper vorbei. Fasste über seinen rechten Arm, einfach seinen Kehlkopf, ein kurzer Dreher mit dem Handgelenk und auch er sackte tot zu Boden.

Atemlos stand ich da, brauchte einige Sekunden, um wieder zu Luft zu kommen. Ich sah in die fassungslosen Gesichter seiner Kameraden. Vor allem aber, in das von Generalmajor Friedrich. Der nicht glauben konnte, was ich mit seinen Kämpfern, in nur knapp zwei Minuten gemacht hatte. Länger hatte ich bestimmt nicht gebraucht. Völlig außer Atem war ich, erst einmal nicht in der Lage, ein Wort zu sagen.

„Verdammt Leute, seid bloß vorsichtig. Die sind schnell und verdammt gut. Ich hatte echt Probleme, beim Kampf eben. Warnt die anderen Teams, sie solle vorsichtig sein. Immer zu zweit kämpfen und Rücken an Rücken, alleine schaffen die, das niemals“, informierte ich meinen Freunde.

Ich war völlig geschafft, von dem kurzen aber heftigen Kampf, gegen Friedrichs Leute. Langsam beruhigte sich mein Atem. Ich sah Friedrich an.

„Sir, wie sieht es nun aus, überlegen sie sich meinen Vorschlag, Sir. Oder wollen sie zulassen, das in einer Stunde, all ihre Kämpfer so am Boden liegen, Sir?“, wollte ich immer noch atemlos von ihm wissen. „Sir, glauben sie mir nun, dass ihre Leute keine Chance gegen uns haben. Sie haben keine Möglichkeit, hier lebend heraus zu kommen, Sir?“

Friedrich kam wütend, auf mich zu gehumpelt und wollte mich angreifen. Sein Gesicht war zu einer hässlichen Fratze verzerrt, so wütend war er auf mich. Dieses Gesicht kannte ich nur zu gut und konnte mir vorstellen, was jetzt auf mich zukam. Ich ließ ihn einfach ins Leere laufen und wisch ihm aus.

„Sir, ich schlage keine Krüppel. Es wäre unfair gegen sie zu kämpfen, Sir“, provozierte ich ihn weiter.

Mir wurde mit jeder Sekunde klarer, dass er nicht verhandeln würde. Schade für diese Jungs und Mädchen. Diese Art zu sterben, hatten sie sich trotzdem nicht verdient. Deshalb versuchte ich jetzt an deren Verstand zu appellieren. Denn bei Friedrich hatte es keinen Zweck mehr. Laut und deutlich, sprach ich deshalb zu den Männern und Frauen.

„Wir haben sie umstellt. Wie sie gerade gesehen haben, sind wir ziemlich gut im Kampf. Wenn sie den Zugriff überleben wollen, dann legen sie ihre Waffen nieder und ergeben sie sich. Sollten sie kämpfen, kann ich ihnen nicht für ihr Leben garantieren. Ich möchte niemanden mehr töten. Ihre zehn Kameraden, die ich in den Kampf gerade schwer verletzt und getötet habe, sind genau zehn zu viel. Also ergeben sie sich einfach.“

Ich sah in die Runde, einige der Jungs, rechneten sich gerade ihre Überlebenschance aus. Deshalb, gab ich ihn noch mehr zum Nachdenken. „Ich bin mit fünfzehn Teams hier. Glauben sie wirklich, dass sie gegen uns eine Chance haben? Meine Leute sind alle so gut wie ich, also legen sie bitte die Waffen nieder und ergeben sie sich. Keiner hat etwas davon, wenn sie heute hier sterben.“

Noch immer, kam keiner Reaktion von den fassungslosen Männern.  

„Cankat, bereite dich darauf vor, mir meine Waffen zu zuwerfen. An den Rest euch, es wird gleich zur Ausschreitung kommen. Alle die nicht zu den Hundert gehören, kämpfen Rücken an Rücken und an der Wand. Das ist ein Befehl. Es wird immer in Zweiergruppen gekämpft, so wie wir es besprochen haben, Schütze und Nahkämpfer. Ihr bleibt alle an der Wand. Auch Conny kämpft an der Wand“, gab ich die letzten Instruktionen. Bereitet so die Teams auf den letzten Kampf vor. Den großen und so sinnlosen Kampf, den ich so krampfhaft hatte vermeiden wollen. Friedrich hatte sich von seinem Schrecken erholt. Er kam wütend auf mich zu. Ihm wurde in diesem Moment bewusst, dass er mich völlig unterschätzt hatte. Allerdings war es jetzt zu spät. Er war viel zu egoistisch, um sich diesen Fehler einzugestehen. Vor allem war ihm sein Ego wichtiger, als das Leben seiner Kämpfer.

„Cankat, wie viele Meter sind es bis zu dir hoch? Ich kann nicht hochsehen, sonst verrate ich deine Position.“

„Kahlyn, es sind circa achtzehn Meter bis zum Träger, das müsstest du schaffen. Warum?“, erkundigte er sich besorgt.

„Halte mir meine Schwerter, in den Scheiden eingerastet nach unten. Ich springe hoch und hole sie mir aus den Scheiden, das ist der sicherste Weg. Du legst sie mir in die Hand. Weißt du so wie wir es, in Chelm gemacht hatten. Weißt du das noch?“, erinnerte ich ihn, an einen der letzten Kämpfe und an eine ähnliche Situation.

„Geht klar, du musst nur nach oben springen. Ich bin direkt über dir und habe beide Schwerter fest in der Hand.“

In diesem Moment brüllte Friedrich los. „Was steht ihr noch rum? Angriff! Verteidigung, bis in den Tod.“

Im gleichen Augenblick, gingen alle auf mich los. Ich sprang aus dem Stand nach oben. Cankat schlug mir die Schwerter in die Hand. Ein Ruck und ich fiel wieder in die Tiefe. Landete genau auf den Schultern von einem der Kämpfer, der zu mir gerannt war, um den Tod seines Kollegen zu rächen. Der Kämpfer wunderte sich wahrscheinlich gerade, dass er mich nicht mehr vorgefunden hatte. Der große und so sinnlose Das große Töten begann, ich signalisierte durch einen lauten, unmenschlich klingenden Schrei, den Beginn des Kampfes und band dadurch die Kämpfer Friedrichs an mich.

Der Kampf entglitt mir schnell und artete in einen großen Rausch aus. Etwas, dass ich hasste wie die Pest. Ich mochte es absolut nicht, wenn ich nicht mehr sah, wen ich tötete oder gegen wen ich kämpfte musste. Ständig war ich in Angst, einen meiner Teammitglieder vor der Klinge zu haben und ihn ausversehen zu töten.

Cankat der auf einer sehr günstigen Position lag und half durch gezielte Schüsse, den Kämpfern die in Gefahr geraten waren. Meine Freunde, Sina, Andi, Jaan, Rafik, Teja und Rashida, kämpften sich in nur wenigen Augenblicken, mit roher Gewalt zu mir durch. Alle wussten, dass ich in diesem Moment in höchster Lebensgefahr schwebte. Nicht nur weil ich durch mein hohes Fieber nicht voll einsatzfähig war, sondern ich alleine bei so vielen Gegnern keine Rückendeckung hatte. Bei zehn bis zwanzig Gegnern war das kein Problem, hier waren es allerdings hunderte Kämpfer die gleichzeitig auf mich losstürmten. Bei der Anzahl der Gegner würde ich nicht lange durchhalten.

Die Mitglieder der fünfzehn Teams verteilten sich, wie abgesprochen, gleichmäßig an den Wänden der großen Höhle, wie mir Cankat in der Verbindung zeigte, um ein Ausbrechen der Eliteeinheit zu verhindern. Schnell bekamen wir mit, dass nur das Team 1 stark von Friedrichs Leuten bedrängt wurde, die anderen hatten nur gelegentlich Angriff abzuwehren. Die Kämpfer standen zum Teil bewegungslos erstarrt an der Wand und sahen fassungslos unserem Kampf zu. Nur ab und an versuchte ein Kämpfer von Friedrich auszubrechen. Der wurde dann von unseren Teams zur Raison gebracht, sogar seinen eigenen Kameraden gingen brutal gegen die Ausbrecher vor. Überleben, so machte es der Anschein, war für die Kämpfer von Friedrich nicht angesagt. Das stimmte mich traurig.

Die Kämpfer meines alten Teams benötigten nur wenige Sekunden, um mich zu erreichen. Schnell standen wir, so wie wir es seit Jahre machten als Verbund da. Bildeten einen Kreis mit gerade so viel Abstand zwischen uns, dass wir uns nicht selber verletzten, aber so eng, dass ein Kämpfer zwischen uns hindurch schlüpfen konnte und uns dadurch hätte in den Rücken fallen können. Durch den Kampf im Kreis, gaben wir uns gegenseitig Deckung und sorgten für unseren Schutz. Wir kämpften wir gegen Friedrichs Leute, in dem wir die Kämpfer an uns banden und rückten im Verbund gegen die Eliteeinheit vor. Nach wenigen Minuten waren wir jedoch von den Kämpfern eingeschlossen. Der Ehrgeiz von Friedrichs Einheit war so groß, dass sie versuchen wollten uns zu töten, egal wie hoch ihre Verluste dabei sein würden. Friedrich trieb uns seine Leute regelrecht in die Arme und dadurch direkt vor unsere Klingen. Wüste Beschimpfungen mussten sich Friedrichs Kämpfer gefallen lassen, weil sie uns nicht zu fassen bekamen. Durch Friedrichs zurufe angetrieben, kreisten uns die Kämpfer regelrecht ein. So wie einer der Kämpfer fiel, rutschte ein neuer Kämpfer nach. Wir mussten und nicht mehr bewegen sondern nur noch im Kreis stehenbleiben. Dieser Kampf war selbst für uns schlimm, denn normalerweise gaben die solche Gruppen nach wenigen Minuten auf. Bei Friedrichs Kämpfern war das anders, sie wollten uns bezwingen, um jeden Preis.

Sieben Kämpfer gegen eintausendsechshundertneunzig Kämpfer die einfach nicht aufgeben wollten und diesen sinnlosen Kampf, mit ihren Leben bezahlen würden. Nur wenige hundert Kämpfer gingen gegen die an der Wand stehenden Teams vor, die paarweise und mit vereinten Kräften, gegen ihre Gegner vorgingen.

Ungleich war dieser Kampf gegen vierzehn wütende Taiji Schwerter deshalb, weil die Kämpfer wirklich keine Chance hatten, den Klingen auszuweichen oder durch die sich ständig bewegenden Klingen in den Kreis einzubrechen. Wir hatten ein Systementwickelt, das dieses Durchbrechen durch den Schwertkreis unterband. Immer eine Klinge war zwischen uns, so dass man den Kreis nicht unterlaufen konnte. Fast eine Stunde dauerte unser Kampf als mit einem Schlag auf einmal Ruhe war. Es rückten keine Kämpfer mehr nach. Eine schmerzhafte Ruhe breitete sich in der Höhle aus, als der Kampf war vorbei.

Wir Sieben, ließen uns da fallen, wo wir standen. Fielen halb ohnmächtig zwischen die Leichen unserer Gegner, in einen See aus Blut und konnten erst einmal nichts dagegen tun. Wir hatten einfach keine Kraft mehr, um wieder aufzustehen. Conny, Rudi, John, Raphael, Detlef, Mario, Max und all die anderen, kamen kopfschüttelnd auf uns zu und starrten uns erschüttert an. Langsam kamen wir aus dem Rausch heraus und wieder zu Atem. Langsam setzte das normale Denken wieder ein und wir kamen zur Besinnung.

„Steht auf ... bleibt nicht in ihrem Blut liegen ... hoch mit euch“, gab ich laute klare Kommandos, mit kurzen Pausen, sobald ich wieder einigermaßen, denken konnte. Ich wollte, dass die anderen Teams meine Ansagen hören konnten, die ja nicht in unserer Verbindung waren.

Ich half meinen Freunden auf die Beine. Cankat kam von oben herunter gesprungen und half mir dabei, unsere Leute wieder auf die Beine zu stellen. Wir zogen sie, gemeinsam mit Rashida, die sich immer als eine der Erste fing, weg von den vielen Leichen. Brachte unsere Freunde hinüber zu einer Wand, an die sie sich setzen konnten, ohne im Blut zu sitzen zu müssen. Als meine Freunde an der Wand saßen, ging ich erst einmal in die Knie.

„Cankat, sag den anderen Teams, sie sollen uns in Ruhe lassen, wenigstens ein paar Minuten“, bat ich den einzigen Menschen, der mich in der Verbindung hören konnte.

Mit den Rücken an die Wand gelehnt, den Kopf in den Nacken und völlig außer Atem, saßen wir alle da und mussten das Schreckliche, was wir gerade getan hatten, erst einmal verarbeiten. Krampfhaft versuchten wir wieder Luft zu bekommen. Wir fühlten uns völlig ausgelaugt. Nichts war schlimmer, als wenn man dabei Hilfe bekam. So lieb wie das auch gemeint war. Aber nach so einem Kampf, brauchte man einfach nur Ruhe, für sich selber, um sich wieder zu beruhigen. Ganze fünf Minuten, saß ich so da und atmete mich in das Taiji. Das alleine half mir herunter zu fahren. Langsam beruhigte sich mein Atem. Meine Sinne normalisierten sich soweit, dass ich wieder klarer denken konnte. Ich atmete wieder tief ein und aus. Irgendwann legte ich meine Arme auf die Knie, meinen Kopf darauf und fing an zu weinen. Ich hasste mich dafür, so etwas getan zu haben. Ich hasste es so sehr zu töten. Rashida, diejenige von uns, die mit solchen Kämpfen, immer fast sofort klar kam, stand auf und kam zu mir. Zog mich einfach in ihren Arm und ließ mich weinen.

Alle anderen einhundert neunundvierzig Kämpfer, der fünfzehn Teams, standen um uns herum und waren fassungslos. Was sie von diesen Kindern, die wir bis vor kurzen in ihren Augen waren, gesehen hatten. Fassungslos, dass bei diesem Kampf, keiner von ihnen den Tod gefunden hatte. Fast zehn Minuten, dauert es, bis ich soweit war, dass ich aufstehen konnte. Rashida half mir auf dabei, wieder auf die Füße zu kommen.

„Fran, Conny, Mario die Medi-Koffer bitte“, brachte ich mühsam hervor, an Cankat gewandt. „Sorge dafür, dass ich alle Medi-Koffer bekomme, meiner wird nicht reichen. Suche bitte meine anderen Waffen, meine Nahkampfgurt, die Halfter. Rashida helfe mir bitte, zu einem Tisch, bitte“, bat ich schwach.

Mir war schlecht und ich hatte schon wieder hohes Fieber. Während des Kampfes konnte ich das Fieber ignorieren, jetzt ging das leider nicht mehr. Am Tisch angekommen, setzte ich mich auf den Tisch, atme mich tief in mein Qi, fast fünf Minuten brauchte ich, um meine Hände zu beruhigen. Rashida und Cankat, sortierten in der Zwischenzeit, alle nach dem Grad der Verletzungen. Die anderen bleiben einfach an der Wand sitzen. Sie waren noch zu nichts fähig. Rashida nahm die mittelschweren Verletzungen, Cankat übernahm die leichten. Zu mir kamen wie immer die Schwerverletzten. Zum Glück waren es nicht viele. Als erstes, zog ich mir nochmals zwei Spritzen K99 auf und gab sie mir. Mit solch hohen Fieber konnte ich nicht arbeiten. Dann widmete ich mich den Verletzten. Nach zwanzig Minuten, waren alle Kämpfer aus den fünfzehn Teams versorgt. Knapp gab ich die Anweisungen, die Verletzten der Gruppe Romanik zu bringen. Zuvor kontrolliere ich Teja, Sina, Andi, Jaan, Rafik, Cankat, Rashida auf Verletzungen. Alle hatten kleiner, aber keine schwerwiegende Verletzungen. Das beruhigte mich sehr. Keiner in den Teams würde ausfallen, vor allem hatten wir keine Toten.

„Hört alle genau zu! Bei der Versorgung der Gruppe Romanik, wird nur Notversorgung gemacht. Den Rest, können die Notärzte machen. Alle machen mit, um so eher kommen wir hier raus“, alle aus meinem alten Team, gaben mir Recht.

Deshalb fassten meine Freunde mit an, auch wenn es ihnen selber nicht gut ging. Ich bekam, wie immer die schweren Fälle, die anderen wurden von den weniger erfahrenen Ärzten behandelt.

„Gute Arbeit habt ihr heute geleistet. Ich danke euch. Ohne euch hätte ich das nie geschafft“, sagte ich in Gedanken zu meinen Leuten, als wir fast fertig waren, mit der Versorgung der Verletzten. Laut sagte ich zu dem mir bekannten Kollegen. „Max, melde der Einsatzleitung, wir haben den Einsatz hiermit, erfolgreich beendet. Sag denen Bescheid, es gibt viele Verletzte und noch mehr Tode. Die sollen ein Aufräumkommando schicken. Es ist...“, ich griff nach dem Arm von Max. „… 3 Uhr 56, der Einsatz ist damit beendet. Also los, ich will hier raus.“ Innerhalb der Verbindung, also nur für meine Freunde bestimmt, bat ich, um die Erlaubnis zu gehen. „Cankat, kannst du, wenn wir mit den Verletzten fertig sind, übernehmen? Ich muss hier unbedingt raus. Mir ist schlecht.“

Nach einer weiteren halben Stunde, waren alle Verletzten versorgt. Vierhundertzweiunddreißig Verwundete der Gruppe Romanik gab es. Alle saßen oder lagen an den Wänden und wurden von den Mitgliedern der anderen Teams mit Achtern fixiert. Keine Viertelstunde später, kamen die ersten Mitglieder der Bereitschaftspolizei, um die Verhafteten abzuführen. Ich übergab, die Verantwortung, an deren Einsatzleiter. Müde ging ich, den mir von Sina gewiesen Weg, nach oben in Richtung LKW. Ohne ein Wort zu sagen, ohne nach rechts und links zu gucken. Cankat übernahm den Rest und regelte die Formalitäten mit der Bereitschaftspolizei. Ich konnte einfach nicht mehr. An der frischen Luft angekommen, setzte ich mich, trotz des strömenden Regens, einfach an die Wand der Halle und schloss die Augen. Fast anderthalb Stunden dauerte es, bis alle auf dem LKW waren, Jaan kam zu mir, als alle aufgesessen waren.

„Kahlyn, wollen wir nicht nach Hause fahren, es sind alle da. Wir warten nur noch auf dich.“

Ich schüttelte den Kopf. Ich war noch nicht so weit. „Jaan, fahrt los. Es sind nur sechs Kilometer, die kann ich laufen. Ich komme nach, lasse mir noch etwas Zeit. Du weißt, ich kann nicht so schnell runterfahren, wie ihr. Cankat, du hast die Einsatzleitung. Im Basislager, schicke alle einen Kaffee trinken. Ich bin in einer halben Stunde da. Ich lasse die Verbindung offen. Bitte“, flehte ich meine Freunde an.

„Geht klar, Kahlyn, du machst aber keine Dummheiten? Soll Rashida kommen?“, forschte Jaan nach.

Ich schüttelte den Kopf. Jaan stand auf, ging zu dem LKW, vom Team 1 und sagte dem Fahrer Bescheid, dass er fahren konnte. Alle LKWs fuhren los und zurück zum Basislager. Nach über einer halben Stunde, hatte ich mich so weit gefangen, dass ich wieder ansprechbar war. Langsam stand ich auf und orientierte mich und lief dann in Richtung Südwesten, in Richtung Bredereiche. Nur zehn Minuten später, erreichte ich das Basislager, da ich querfeldein gelaufen war. Erleichterung, sah ich bei meinem Eintreffen, in Connys, Rudis, Johns Gesicht. Aber auch der Oberst war froh mich zu sehen. Ich holte mir einen Kaffee und ging auf den Oberst zu.

„Oberst, ich möchte den Einsatz beenden. Sorgen sie dafür, das alle in zehn Minuten, ins Besprechungszelt kommen, Sir.“

Der Oberst nickte. Ich ließ alle stehen. Lief erst einmal nach hinten, in das Sanitätszelt, um nach Raiko zu sehen. Der schlief jedoch tief und fest.  

„Wie geht es Raiko Doko?“, erkundigte ich mich, bevor Jacob etwas sagen konnte.

„Es geht ihm soweit ganz gut. Er wird eine bis zwei Wochen, etwas angeschlagen sein, aber dann ist er wieder der Alte. Du musst dir keine Sorgen machen“, Doko Jacob sah mich besorgt an. „Kahlyn, wann kann ich dich versorgen?“, fragte er, mit besorgter Mine.

„Wenn ich geduscht bin, Doko. Ich will erst den Dreck weg haben. Doko, ich habe nichts Schlimmes. Es ist nur Blut von den anderen. Aber bitte geb mir ein N91. Ich bekomme schon wieder hohes Fieber. Ich habe mir schon über vierzig Einheiten K99 gespritzt. Ich bekomme, dieses scheiß Fieber, nicht in den Griff.“

Doko Jacob maß Fieber, erschrocken sah er mich an, 60,8 °C. „Kahlyn, seit wann hast du das Fieber?“ Erkundigte er sich besorgt.

Ich war viel zu müde zum denken. „Ich weiß nicht Doko. Seit ich hier bin im Lager, glaube ich“, müde rieb ich mir das Gesicht und lehnte schwer atmend an der Untersuchungspritsche.

Doko Jacob gab mir gleich zwei Injektionen, N91 und K99.

„Danke Doko. Kommt ihr mit dem Ampullenkoffer mit vor in das Besprechungszelt, ich brauche euch dort. Ziehe neunzig Spritzen mit dem N99 auf. Das ist ein Beruhigungsmittel mit einer Langzeitwirkung von sieben Tagen“, erklärte ich Karpo, der mich verwundert ansah. „Ich will dass jeder, wirklich jeder, drei Einheit bekommt, bevor er das Zelt verlässt“, erklärte ich müde und ging nach vorn in das Besprechungszelt.

Dort saßen schon alle Teams und warteten auf mich. Im Vorbeigehen, drückte ich John meine Tasse in die Hand und lief nach vorn, zu Generalmajor Hunsinger und salutierte.

„Sir, Einsatz erfolgreich beendet, Sir. Auf unsere Seite, keine nennenswerte Verluste, nur leichte bis mittelschwer Verletzungen, die in den nächsten Tagen ausheilen, Sir. Alle sind medizinisch versorgt und weiterhin voll einsatzfähig, Sir“, drehte mich sofort zu den Kämpfern der Teams um. „Meine Herren, meine Damen, ich danke ihnen für ihre Disziplin, für ihren Mut und für ihren Einsatz. Gern wieder, ich wünsche ihnen alles Gute. Keiner von ihnen verlässt dieses Zelt, bevor er einen Injektion von Doko Jacob, bekommen hat. Sina, Cankat, Andi, Jaan, Rafik, Teja und Rashida, ihr helft bitte Doko Jacob und Doko Karpo dabei. Damit ist dieser Einsatz beendet. Euch allen eine guter Heimreise und den Verletzten, eine gute Besserung. Verlasst das Basislager bitte ordentlich. Wenn jeder seinen eigenen Mist aufräumt, haben die Räumungskommandos weniger zu tun. An mein altes Team, danke dass ihr da wart und mir geholfen habt. Ich hoffe wir sehen uns bald wieder. Auch euch eine gute Heimreise. Allen Verletzten eine gute Besserung. Bis bald.“

Ich salutierte, vor der gesamten Mannschaft, um ihnen meinen Respekt zu zollen. Wollte darauf hin, das Zelt verlassen. Als mich Hunsinger, von hinten am Ärmel zurückhielt. Völlig in Gedanken versunken, wie ich es war, reagierte ich wieder einmal instinktiv. Ich fasste nach seinem Handgelenk, zog dieses über meinen Nacken, auf die gegenüberliegende Schulter, fasste in seinen Schritt und legte ihn mit dem Kata-guruma, dem Schulterrad auf die Matte. Kaum das der Generalmajor lag, kam ich zu mir. Starrte ihn an, wusste nicht, was ich machen sollte. Oberst Fleischer, fasste sich als erstes und kam nach vorn, legte mir die Hand auf die Schulter und sprach beruhigend auf mich ein. Ich glaube das pur Entsetzen stand mir ins Gesicht geschrieben.

„Beruhig dich Kahlyn. Komm ganz ruhig, es ist nichts Schlimmes passiert. Es ist wirklich nichts passiert.“

Er winkte Conny zu sich heran, der mich eigentlich immer beruhigen konnte und schob mich in dessen Arme. Ich stand da, wie zur Salzsäule erstarrt. Konnte nicht fassen, was ich eben getan hatte. Der Oberst, ging zu Generalmajor Hunsinger, der total geschockt auf dem Boden lag und reichte ihm die Hand. Half ihm dadurch auf die Beine. Sprach leise mit ihm, auf einmal fing er schallend an zu lachen. Conny hielt mich im Arm, versuchte eine Reaktion, von mir zu bekommen. Wie oft war mir das schon passiert? Nur heute war es einfach zu viel, ich konnte einfach nicht mehr. Hunsinger, kam lachend auf mich zu. Ich lief regelrecht vor ihm weg. Drängte Conny, immer weiter zurück, der ließ mich los, weil er merkte, dass er mich einengte. Ließ mich einfach gehen. Rashida versuchte auf mich einzureden,

„Täubchen was ist los? Es ist doch nichts passiert.“

Ich reagierte nicht mehr, wollte nur noch weg hier. Ich drehte mich um und lief einfach los. Rashida lief mir hinterher, sie drängte mich mit Absicht in die Ecke. Sie wusste, sonst würde ich irgendwelche Dummheiten machen. Lieber ging sie das Risiko ein, mit mir einen Kampf auszufechten, als das ich vielleicht einen Unschuldigen verletzte.

„Halikon, Nikyta, rashida. Wopurn, Kahlyn.“

Der Oberst übersetzte für Hunsinger. „Höre auf Täubchen, beruhige dich, es ist doch nichts passiert.“

Immer wieder sagte Rashida zu mir das Gleich, die einzige Möglichkeit in so einem Zustand, zu mir vorzudringen. 

„Halikon, Nikyta, rashida. Wopurn, Kahlyn.“

Langsam beruhigte ich mich. Rashida hatte es, bis jetzt immer geschafft, mich aufzufangen. Am Zelteingang, hockte ich mich hin, am ganzen Körper zitternd.

„Zurien, krisin, Kahlyn“, stotterte ich leise.

„Ich wollte das nicht, er hat mich erschreckt“, übersetzte der Oberst.

Hunsinger, kam lachend auf mich zu. „Kahlyn ich wollte dich nicht erschrecken. Bitte komme noch einmal nach vorn, bitte. Es war nicht deine Schuld, komm Mädel“, er reichte mir seine Hand und half mir beim Aufstehen.

„Sir, es tut mir leid, Sir. Ich kann nicht dafür, wirklich, Sir“, entschuldigte ich mich bei ihm und ging noch einmal nach vorn.

Rashida, kehrte zurück zu ihrem Platz, neben dem Oberst. „Genosse Oberst, Kahlyn hat hohes Fieber. Das sollten sie vielleicht wissen. Doko Jacob war vorhin erschrocken, es ist 60,8 °C. Sie braucht unbedingt Ruhe, Sir.“

Der Oberst schaute Rashida, entsetzt an. „Seit wann?“

„Sir, seit dem sie hier im Lager ist, Sir. Sie hat sich schon über vierzig Einheiten K99 gespritzt. Aber ich glaube, es steigt trotz der Spritze. Sie ist glühend heiß, sie sollte ins Bett, Sir.“

Der Oberst nickte und stand auf, ging vor zu Hunsinger. Sagte ihm kurz etwas in Ohr.

Hunsinger nickte und wandte sich an mich. „Kahlyn, seit wann hast du das hohe Fieber?“

Müde sah ich ihn an. Ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten, zuckte nur mit den Schultern.

„In Ordnung. Ich glaube, ich sollte dich ins Bett schicken. Wir klären das, was ich mit dir noch klären wollte, ein anderes Mal. Gute Besserung Kahlyn. Von mir auch noch einmal Danke, für diese großartige Leistung. Damit ist der Einsatz beendet. Gute Heimfahrt.“

Endlich war ich entlassen. Erleichtert ging ich auf den nächsten Stuhl zu und setzte mich hin. Den Kopf in die Hände gestützt, wartete ich auf das Signal zum Aufbruch. Doko Jacob und Doko Karpo spritzten allen N99, so dass die Nachwirkungen, des Geschehenen nicht gar so schlimm waren. Die meisten, würden erst in einigen Stunden realisieren, was geschehen war. Dann erst würden die meisten der Kämpfer massiven Beschwerden bekommen. Die Spritze verhindert, dass die Beschwerden zu schlimm wurden und die Kämpfer einfach zusammen klappten. Es schwächte die physischen und psysischen Reaktionen des Körpers etwas ab. Leider gab es solch eine Spritze nicht für mich. Ich allerdings, war im Moment zu nichts mehr zu gebrauchen. Nach einer Weile, kam John auf mich zu.

„Mäuschen, kommst du mit zum Heli, wir wollen nach Hause fliegen. Deine Waffen, den Medi-Koffer hat Fran. Komm, das du ins Bett kommst.“

Ich stand wie eine Marionette auf und ging einfach mit, viel zu müde, um zu wiedersprechen. Im Heli setzte ich mich auf den Boden, mit dem Rücken an die Cockpitwand. Ich schloss die Augen und versuchte krampfhaft, meine Atmung zu beruhigen. Vor allem, das verdammte Fieber, das mich schon wieder erwischt hatte, in den Griff zu bekommen. Rashida die in unseren Heli gestiegen war, kam zu mir, setzte sich neben mich und nahm mich in den Arm.

„Drö, etries, Kahlyn“, sagte sie leise zu mir.

Conny übersetzte für die anderen. „Ich helfe dir beim Einschlafen, beruhige dich“, leise in unserer Sprache und in Gedanken sagte sie zu mir. „Wieso bist du krank Kahlyn? Rudi sagte mir, dass es dir gut ging, als du gestern früh aufgestanden bist.“

Müde lehnte ich mich an Rashidas Schulter und kuschelte mich an meine beste Freundin. „Ich weiß nicht. Das passiert jedes Mal, habe ich das Gefühl, wenn ich Nahrung zu mir nehme. Jedes Mal bekomme ich danach hohes Fieber. Ich mag schon nichts mehr essen. Heute früh ging es mir wirklich gut. Nach dem Frühstück fing die Temperatur ganz langsam an zu steigen. Nach dem Essen, vor dem Einsatz stieg sie hoch auf über 59°C. Ich habe dafür keine Erklärung. Ich habe mir schon über fünfundvierzig Einheiten K99 gespritzt. Aber dieses verdammte Fieber geht nicht runter. Rashida, ich bin zu kaputt, um zu reden. Bitte, ich habe das Gefühl, mein Kopf zerspringt gleich in tausend Stücke. Ich möchte ein wenig schlafen, vielleicht geht es mir dann wieder besser.“

Rashida nickte und hielt mich einfach fest. Atmete tief und gleichmäßig.

  

„Achte auf meine Atmung, komm ich helfe dir, beim runterfahren.“ Langsam und bewusst, atmete Rashida mich in den Schlaf. Wie ich sie, dafür liebte. So war es früher nach jedem Kampf. Sie half mir nach solchen Einsätzen, immer beim Schlafen. Alleine brauchte ich da oft Stunden, bis ich in der Lage war, erholsam zu schlafen. In der Soko angekommen, nahm mich Rashida einfach auf den Arm. Gegen Rashida, war ich ein kleines zierliches Püppchen, mit ihren zweihundertsieben Zentimeter und hundertachtunddreißig Kilo, war sie eine der größten in meinem Team. Es war für sie keine große Anstrengung, mich zu tragen. War ich doch fast sechzig Kilo leichter, als sie. Außerdem, verfügte sie über wahnsinnige Kräfte. So trug sie mich schlafend, hinein in den Bereitschaftsraum und nach hinten in eins der Betten. Dort rollte ich mich einfach zusammen und schlief fast zwei Stunden tief und fest. Rashida ging allerdings nach zwei Stunden, vor zu Doko Jacob.

„Doko, kann es sein, das mit Kahlyns Nahrung, etwas nicht stimmt?“, wandte sie sich, um Hilfe an unseren ehemaligen Schularzt.

„Wie kommst denn du darauf Rashida?“

Genau erklärte Rashida, Doko Jacob, was ich ihr vorhin halbschlafende erzählt hatte.

„Eigentlich kann das nicht sein, aber ich prüfe das gleich einmal.“

Nachdenklich ging Jacob, auf den Oberst zu, der mit Rudi und John in einer heißen Diskussion verstrickt war.

„Kann ich euch bitte mal kurz unterbrechen. Es ist wichtig. Rashida machte mich gerade auf etwas aufmerksam, was ich unbedingt einmal nachprüfen möchte. Rudi, John, wann kamen die Fieberanfälle bei Kahlyn immer?“

Unterbrach Jacob einfach die Diskussion der andern, fragte die beiden Personen, die den meisten Kontakt mit mir hatten. Rudi und John, sahen Jacob irritiert an.

„Wie meinst du das, Fritz?“, stellte Rudi verwundert eine Gegenfrage.

„Hatte Kahlyn, vor dem Essen immer schon hohes Fieber?“

John schüttelte den Kopf. „Nein, meistens bekam sie es drei bis vier Stunden, manchmal noch später, nach dem Essen. Warum?“ Jacob war total in seinem Gedankengang vertieft. „Willi, hast du eine neue Büchse mit der Nahrung, von Kahlyn da?“

Der nickte und rief nach seinem Koch. „Walter, hole bitte mal eine neue Dose, mit Kahlyn’s Nahrung“, machte er eine klare Ansage.

„Wo steckt Fran?“, wandte sich Jacob, jetzt an Rudi.

Der sah sich um, sah seinen Koch jedoch nicht gleich. John, der etwas größer war als Rudi, sah ihn eher und winkte ihn zu sich heran.

„Fran, sag mal, die Büchse mit der Nahrung, die du für Kahlyn bekommen hast, war die versiegelt.“

Fran sah Jacob verwundert an. „Wie versiegelt?“

Im selben Moment kam Walter mit einer Büchse Nahrung, zu der Gruppe. Jacob nahm sie ihm einfach aus der Hand und öffnete den Deckel. Zeigte so Fran, was er meinte. Auf der Büchse, unter dem Deckel, war eine Versieglungsfolie.

„Fritz, die Büchsen die ich habe, sind alle offen. Da war nirgends so eine Folie drauf.“

Wütend schnaufte Jacob.

Erschrocken trat Fran, einen Schritt zurück. „Fritz, ich kann doch nichts dafür. Die sind nun mal alle offen gewesen. Ich weiß doch nicht, dass die versiegelt sein müssen.“

Jacob jedoch war in Fahrt und achtet nicht auf Frans Worte, sondern polterte sofort los. „Fran, bringe mir die Büchse, die du hast und zwar sofort.“

Nun schauten ihn auch der Oberst, Rudi, John, Walter verwirrt an. „Warum schnauzt du eigentlich Fran so an, der hat doch gar nichts gemacht“, versucht Rudi, seinen Koch in Schutz zu nehmen.

In dem Moment erst wurde Jacob bewusst, dass er den falschen angemotzt hatte. Fran der mit Kahlyns Nahrungsdose kam, sah den Arzt völlig irritiert an. Er war sich keine Schuld bewusst, etwas falsche gemacht zu haben.

„Fran, entschuldige, ich wollte dich nicht anmotzen. Ich war in Gedanken und bin total wütend. Das hat nichts, mit dir zu tun. Mir fiel nur gerade, etwas ein, was eigentlich nicht wahr sein kann. Ich muss das erst einmal überprüfen. Mayer, brachte mich damals auf die Idee, als letztes zu Kahlyn zu fahren. Dadurch bekäme ich mehr Zeit, die ich mit ihr verbringen könnte. Er half mir sogar, die Nahrung ins Auto zu tragen, etwas Ungewöhnliches bei ihm. Dass er sich Sorgen, um die Kinder machte. Ich hatte den keinerlei Bedeutung zu gemessen, bis eben. Ich habe mir wirklich nichts Böses dabei gedacht. Aber er brachte, genau die Menge Nahrung an mein Auto, die für Kahlyn bestimmt war. Danach verschwand er sofort wieder. Rashida sagte mir eben, dass Kahlyn ihr gesagt hätte, dass sie immer nach dem Essen Fieber bekam. Das sie schon nicht mehr essen mag. Da fiel mir das gerade ein. Willi, ihr habt doch hier ein Labor, kann ich das mal kurz nutzen, bitte. Ich möchte zwei Proben untersuchen, die von Gera und die von Euch. Sagt mal, habt ihr noch eine angebrochenen Dose da“, erkundigte er sich bei Walter. Der Koch der Soko ging in seine Küche und holte die angefangene Dose. Mit beiden Dosen in den Armen, ging Jacob mit dem Oberst nach oben ins Labor. Kaum fünfzehn Minuten später, kam er wütend zurück. Er lief, sich die Haar raufend, auf den Oberst zu.

„Ich bringe dieses verdammte Schwein um. Diesmal bringe ich ihn wirklich um“, mehr brachte Jacob nicht mehr heraus, so wütend war er. Verzweifelt ließ der Arzt sich auf das nächste Sofa fallen. Der Oberst, setzte sich neben Jacob und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Beruhige dich erst einmal Fritz! Wen willst du und warum umbringen?“

Wütend schnaubte der Schularzt vor sich hin und stützte den Kopf auf die Hände. „Den Mayer, Willy. Weißt du, was dieser Arsch gemacht hat? Der hat die Nahrung von Kahlyn, mit Antibiotika, nämlich Penicillium chrysogenum vermischt. In einer Dosierung, die tödlich wäre, wenn Kahlyn regelmäßig gegessen hätte. Kein Wunder, dass die Kleine nicht zur Ruhe gekommen ist. Zu dem Nervenfieber, bekam sie ständig Fieber, durch die Einnahme von hohen Mengen, von Antibiotika.“

Verwirrt sahen ihn die Männer an.

Karpo der sich zu der Gruppe gesellt hatte, fragte verwundert. „Antibiotika, ist doch gut, wenn sie Fieber hat, Fritz. Ich verstehe nicht, was daran schlecht ist.“

Wütend blickte Jacob Karpo an. Er hatte seinem Kollegen, schon mehrmals darauf hingewiesen, das Antibiotika für Kahlyn tödlich war. „Verdammt Jens, hörst du mir eigentlich nie zu. Für Kahlyn und alle anderen Kinder aus der Schule, ist Antibiotika absolut tödlich. Es ist pures Gift! In den Mengen, die in der Nahrung enthalten ist, wäre bei einer regelmäßigen Nahrungsaufnahme, von nur fünf Tagen, der Tod eingetreten. Es wirkt ungefähr so, wie bei uns Arsen. Es potenziert sich! Erst bei einer bestimmten Menge, die aufgenommen wird, zeigen sich Symptome. Blutende Haut, hoher Blutzucker, hohes Fieber, innere Blutungen, starke Kopfschmerzen. Verdammt, der offene Rücken von Kahlyn, kam gar nicht von dem Zucker, sondern von der Antibiotika. Deshalb ging der Zucker auch ständig wieder hoch, obwohl sie keinen Zucker mehr gegessen hat. Dieses gottverfluchte dreckige Stück Scheiße, ich bringe ihn um. Mayer wollte Kahlyn töten. Oberst, Rudi ihr müsst eine Anzeige, wegen versuchten Mordes, gegen Mayer machen. Schickt die ganze Nahrung von Kahlyn, zur Staatsanwaltschaft. Ich sage gegen Mayer aus. Meine Frau bestimmt auch. Sie war dabei, als Mayer uns die Nahrung brachte.“

Wütend sah Jacob auf seine Füße. Die Männer konnten nicht glauben, was sie da eben gehört hatten. John stellte wohl die Frage, die alle am meisten interessiert.

„Was passiert jetzt mit Kahlyn? Wird sie wieder gesund? Verdammt, ihr ging es gerade einmal etwas besser.“

Jacob sah John an und zuckte mit den Schultern. „Ich kann dir das nicht sagen John. Kahlyn ist jung und stark. Ich denke ihr Körper, wird das abbauen können. Nur heißt es wieder, für die Kleine, das sie tagelang hungern muss. Der Körper baut das nur ab, wenn er dazu gezwungen wird, an seine Fettreserven zu gehen. Dann scheidet er, diese Giftstoffe mit aus.“

Rashida kam auf die Gruppe, wütend dreinschauender Männer zu. „Doko, was ist mit Kahlyn los? Warum ist sie wieder so krank? Das ist doch nicht normal. So schlimm, war sie nicht mal in der Schule drauf.“

Jacob, zog Rashida zu sich aufs Sofa. „Rashida, ihr könnt doch dieses Jawefan machen? Kann man dabei auch Gifte auf die anderen verteilen, nicht nur Schmerzen und Fieber?“, folgte der Arzt einer inneren Eingebung.

Rashida zuckte mit den Schultern. „Doko, wir können das Jawefan nicht. Das kann nur Kahlyn machen. Da musst du sie fragen. Sie ist gerade munter geworden. Aber Doko sie hat richtig hohes Fieber, es ist schon wieder bei 61,8 °C. Wenn wir das nicht in den Griff bekommen, stirbt sie. Ich mache mir solche Sorgen um sie. Sie krümmt sich vor Schmerzen und fantasiert. Bitte helfe ihr! Ich habe ihr schon zweimal zehn Einheiten K99 gespritzt. Das Fieber steigt immer höher. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll.“

Jacob sprang auf und lief hinter zu mir. Ich lag mich vor Schmerzen krümmend, im Bett. Rashida war Doko gefolgt. „Rashida, du musst mir helfen, ich glaube nicht, dass ich Kahlyn noch erreichen kann. Versuche du es. Bitte!“, flehentlich sah Jacob, meine beste Freundin an, die noch fast immer einen Zugang, zu mir gefunden hatte.

Rashida nickte weinend. „Was willst du von ihr wissen Doko?“ Brachte sie nur mit Mühe hervor.

„Frage Kahlyn, ob man Gifte aus ihrem Körper, auf euch alle verteilen könnte, im Jawefan. Rashida, der Oberstleutnant, hat versucht Kahlyn zu töten. Kahlyn nimmt seit Wochen Nahrung zu sich, die mit hochdossierter Antibiotika versetzt ist. Frage deine Freunde, ob sie ihr davon etwas abnehmen können, sonst stirbt Kahlyn. Wir müssen die Antibiotika, auf euch alle verteilen. Dann müsst ihr alle zwei Wochen hungern, dann ist das aus eurem Körper heraus“, erklärte Jacob Rashida.

Meine Freundin zwang mich, trotz der Schmerzen die ich durch das Fieber hatte, zuzuhören. Ich versuchte mich zu beruhigen, eine wahnsinnige Panik hatte von mir Besitz ergriffen. Nur einmal im Leben hatte ich so eine Panik. Das war schon fast sechszehn Jahre her, damals ging es mir auch so schlecht. Ich versuchte auf das zu hören, was mir Rashida sagte. Ich hörte ihre Worte, aber sie kamen nicht bei mir an. Immer wieder versuchte Rashida zu mir durch zu dringen. Sprach nur noch mit einzelnen Worten, da ich Sätze gar nicht mehr wahrnahm und verstand. Ich war viel zu weit weg. Doko Jacob begann Fieber zu messen bei mir, was er da feststellte machte ihm höllische Angst, denn das Fieber war schon bei 62,8°C.

„Rashida, du musst zu ihr durchdringen, deine Freundin stirbt, wenn wir das Fieber nicht in den Griff bekommen“, flehte Jacob Rashida an.

Nikyta, lina. Jawefan. Lina … Jawefan … Lina … Jawefan. - Täubchen du musst das Gift verteilen. Gift … Jawefan … Gift … Jawefan“, Rashida fing immer mehr an zu weinen. Sie hatte solch eine Angst um mich. Immer wieder erklärte sie es mir. Auf einmal wurde sie böse und schlug mir kräftig ins Gesicht.

Nikyta, mako lina, Jawefan. - Täubchen, du hast ein Problem. Du wurdest vergiftet, mache das Jawefan“, jedes Schlag ein Wort. Die Schmerzen der Schläge brachten mich etwas zurück. Ich bekam nur einzelne Worte mit die aber hängen blieben. Lina. Gift und Jawefan. Wechseltauschkreis.

Drö, worpurm, Jawefan. - Helf mir, alleine nicht mehr können, Jawefan“, brachte ich mühsam und kaum verständlich hervor. Rashida aber verstand, was ich meinte. Sie spürte, dass ich kaum noch da war und informierte Jacob, der nickte.

Drö, John, Conny. - Wer soll helfen, John oder Conny?“, fragte mich Rashida.

Sie beugte sich über mich und nahm mich auf ihre Arme. Krampfhaft versuchte ich, nicht wieder das Bewusstsein zu verlieren.

„John“, brachte ich noch mühsam in der Verbindung hervor.

Dann tauchte ich wieder weg und fing an, mich schreiend in Rashidas Armen zu winden. Mühsam trug sie mich weiter nach vorn, in Richtung der freien Fläche. Sie konnte mich nicht mehr halten und legte mich im Flur auf den Boden, versuchte mich mühsam zurückzurufen. Unsere Freunde kamen heran, allarmiert von meinem irren Geschrei. Sie fragten Rashida, was los sei. Die sagte nur laut, ein Wort.

„Doko.“

Sie hatte keine Zeit etwas zu erklären sie musste mich zurückholen. Ich lag mich windend vor Schmerzen, mit dunkelroten Fieberflecken im Gesicht, auf den Boden. So hatten mich meine Freunde noch nie gesehen. Ich wollte nicht mehr. Es tat so weh. Ich wollte, dass es aufhört und würde so gern für immer schlafen. Irgendwie schaffte es Rashida noch einmal, drang wieder zu mir durch und holte mich nochmals zurück. Denn nur ich konnte das Jawefan machen. Doko erklärte meinem alten Team, was passiert war. Meine Freunde waren sofort bereit mir zu helfen, denn sie sahen, dass ich nicht mehr konnte. Was waren schon zwei Wochen, Hunger für uns. Danach konnten wir alle wieder Essen.

Rashida nahm mich wieder auf die Arme, nach dem ich wieder bei Bewusstsein war und trug mich weiter nach vorn. Im Bereitschaftsraum angekommen, lief sie mit mir auf den Arm, auf John zu. Der mich erschrocken ansah. Schneeweiß war ich im Gesicht und hatte dunkelrote Flecke darauf und war in Schweiß gebadet. Hatte schwarze Augenringe unter den Augen, die man sogar trotz der Brille sah.

„John! Helf! Sie stirbt! Keine Zeit für Erklärungen. Oberst brauchen Platz für einen Kreis. Jawefan. Kahlyn stirbt!“, Rashidas nahm das Kommando in die Hand, ohne auf die Etikette zu achten, denn dazu war keine Zeit mehr.

Der Oberst, sorgte dafür, dass die Leute an die Wand gingen und dass zweite Mal in nur vierundzwanzig Stunden, wurden die Leute Zeuge des Jawefan.

„John, setzen! Kahlyn halten. Zu schwach. Kann nicht sitzen. Mache nichts, halte sie nur fest. Falls Schmerzen kommen, halte sie. Kahlyn kann nichts steuern. Spätester, alles erkläre. Keine Zeit. Sie stirbt!“

John sah Rashida entsetzt an. Er nickte. Er sah, wie bescheiden es mir ging. Sofort setzte er sich hin, Rashida legte mich einfach in seine Arme. John zog mich so auf seinen Schoss, so dass ich sitzen konnte. Rashida und Cankat, griffen nach meinen Händen. Zeitgleich setzten sich auch die anderen hin und atmeten sich ins Taiji. Fassten sich fest an den Händen.

„John, du musst in unseren Atemrhythmus kommen. Sonst störst du den Fluss, des Jawefan. Schnell“, bat Rashida ihm eindringlich.

Tief atmend, passte John seinen Atemrhythmus den anderen an. Er beherrschte die Taiji Atmung besser, als Conny. Deshalb hatte ich ihn gewählt. Nach nicht ganz zwei Minuten, atmen wir alle Neun gleichmäßig. Mit letzter Kraft, begann ich das Jawefan, versuchte nicht wieder wegzukippen. Meine Wahl mit John war gut. Er war offen für das Jawefan. Sofort floss der Strom, des Jawefan durch seinen Körper. Sobald er davon erfasst wurde, stöhnt er auf und fing keine Sekunde später an zu schreien. Er wollte sich los reißen, doch Rashida und Cankat hielten seine Hände fest. Denn er durfte nicht loslassen, er würde sich dabei töten, wenn er das Jawefan unterbrach. Er fing an seine Atmung zu verlieren und presste vor Schmerzen. Denn er bekam ungebremst, mein volles Schmerzvolumen ab.

„John ... bleib ... Atemrhythmus ... nehme ... Schmerz ... Kreis ... schließen“, sprach ich stockend in Gedanken zu ihm.

Zu mehr war ich in diesen Moment nicht in der Lage. John der im Moment ein Teil unserer Verbindung war, konnte dadurch hören, was wir sagten und fühlten, was wir dachten. Teilte seine Schmerzen, mit unseren Schmerzen, seine Gedanken, mit unseren Gedanken. Ich spürte, wie er lockerer wurde und seine Gedanken in die Verbindung einfließen ließ. Die Wahl von John war gut, er war ein gutes Medium. Langsam floss der Feuerstrom von einem zu anderen, der Kreis schloss sich.

„Was machst du, Kahlyn? Kannst du die Antibiotika nicht alle zu mir schicken? Mir macht die doch nichts aus“, fragte John mich in Gedanken, als er sich an den Schmerz gewöhnt hatte und der erste Schock etwas nachgelassen hatte. Er kam wieder in unseren Atemrhythmus und hörte auf zu schreien.

„Das geht nicht John, ich kann das nur gleichmäßig streuen“, konzentrierte mich weiter auf den Strom.

Langsam wurde mir besser. Ich nahm die Schmerzen fast vollständig von John, der sichtlich erleichtert war. Nachdem sich der Kreis geschlossen hatte, verteilte ich das Fieber, das Gift in alle neun Körper. Mit jedem Atemzug ging es mir besser, mit jedem Atemzug sank das Fieber, das in meinem Körper brannte. Nach über einer Stunde, war die Temperatur aller um 2°C gestiegen. John hatte jetzt hohes Fieber. Er nahm viel mehr von dem Fieber auf, als die andern. Ich hatte keine Ahnung, woran das lag. Aber das würde, durch die Antibiotika in seinen Körper, schnell wieder sinken, Doko konnte ihm dann etwas spritzen. Meine Temperatur war auf 43,8 °C gesunken. Vor allem waren diese schlimmen Schmerzen weg. Erleichterung, machte sich breit.

„Danke Freunde. Ihr habt mir glaube ich gerade das Leben gerettet. Ich konnte das Fieber nicht mehr eingrenzen. Ich verstehe das einfach nicht. Aber dank euch habe ich es in den Griff bekommen“, bedankte ich mich bei allen, bekam ein freundliches Lächeln von allen zurück.

Langsam ging ich aus dem Jawefan. Noch viel langsamer als sonst. John war nicht an das Jawefan gewöhnt, er brauchte viel länger, um seinen eigenen Energiefluss wieder zu finden. Ich half John in den eigenen Fluss zukommen, dann atmeten wir alle tief ein und aus. Waren nach fast zwei Stunden wieder alleine.

„Danke, für alles. Ich habe euch alle lieb“, sprach ich noch einmal in Gedanken zu meinen Freunden. Von allen, bekam ich ein herzhaftes Lachen.

Komischer Weise, aber auch noch von John. Er war in der Verbindung geblieben, das war eigenartig. Aber es war ein schönes Gefühl. Ich würde nie mehr, ganz alleine sein. War die Verbindung nämlich einmal gefestigt, blieb sie ein Leben lang bestehen. Langsam stand ich auf und drehte mich um, sah meinen John an. Sprach nur in Gedanken zu ihm.

„Danke John, komm stehe auf“, verwundert sah mich John an, er sah, dass ich nichts gesagt hatte. Trotzdem konnte er mich hören. Das erschreckte ihn.

„John, durch irgendeinen Umstand, bist du jetzt Teil unserer Verbindung geblieben. Du kannst mich jetzt immer hören, auch, wenn ich nicht mit dem Mund rede. Wenn es dich stört, zeige ich dir, wie du dich aus der Verbindung ausschalten kannst.“

Der nickte mir irritiert zu und ergriff die dargebotene Hand. Ließ sich so von mir auf die Beine ziehen. Die anderen, redeten lachend und waren so erleichtert, dass es mir wieder gut ging. Sie hatten richtig Angst um mich. Alle sprachen durcheinander auf John ein. Sie waren so voller Dankbarkeit und wollte ihm das sagen. Sie waren genau wie ich überrascht, dass er noch in der Verbindung war.

„Ruhe, bitte er ist es nicht gewohnt, ihr bringt ihn doch, völlig durcheinander“, sagte ich lachend zu meinen Freunden. John fing an zu lachen, weil er begriff, dass er unsere Gedanken hörte.

„Jetzt weiß ich, wieso dir das so gefehlt hat. Jetzt begreife ich, warum du Fieber bekommen hast. Mäuschen, du warst wirklich taub“, freudig nahm er mich in den Arm, drückt mich.

„Danke“, flüsterte er mir ins Ohr.

Verwundert sah ich ihn an und schenkte ihn mein schönstes Lächeln. „Für was, bekomme ich einen Dank von dir? Ich muss mich doch bei dir bedanken“, wollte ich lachend von ihm wissen.

Meine Freunde traten auf uns zu. Alle lachten sie vor Freunde, weil es mir wieder besser ginge.

„Mäuschen, für dieses wunderschöne Geschenk, jetzt weiß ich, dass du viel öfter lachst, als ich mir vorstellen konnte. Deine Freunde sind lustig. Ich wusste gar nicht, dass ihr so viel lacht.“

Rudi tritt auf uns zu und war verwundert, dass John so gar nichts sagte. „Na alles in Ordnung mit dir John? Warum hast du so geschrien? Kahlyn, du siehst wieder besser aus“, sprach er einfach drauf los.

„Ja mir geht es dank meinen Freunden und John, auch wieder besser. Doko, kannst du John, etwas gegen das Fieber geben? Ich konnte ihn nicht ausschließen, aus der Verbindung. Doko hat Raiko, etwas von meiner Nahrung gegessen? Dann hat er auch, Antibiotika zu sich genommen.“

Doko Jacob ging zu seinem Koffer, holte eine Spritze und zog K11 auf. Das gegen leichtes Fieber war. Er maß bei John Fieber, der 40,2°C hatte. Dann spritzte er John das Mittel.

„Kahlyn, das weiß ich nicht. Ich frage ihn dann gleich. Keine Sorge, ihm macht das nicht so viel aus. Wenn dann war es nur eine kleine Menge“, erklärte mir Doko Jacob.

Nach zehn Minuten prüfte er die Temperatur von John noch einmal, das Fieber war auf 36,9 °C gefallen. Zufrieden gab er Entwarnung.

„Genosse Oberst, darf ich erst einmal meine Waffen pflegen und dann duschen gehen, bitte. Ich habe kein Pflegesetz dabei, Sir“, wandte ich mich an den Oberst, der lächelte mich an.

„Mario, hole mein Pflegeset aus dem Büro. Walter, gebe Kahlyn und ihren Freunden, einige Eimer mit Wasser und Lappen. Jungs, macht den Tisch mal bitte frei. Reinigt eure Waffen. Dann Kahlyn ab mit dir unter die Dusche“, damit ließ ich alle stehen und lief auf Fran zu, holte mir meine Waffen. Nach fünfunddreißig Minuten hatte ich alles Blut aus den Schwertern entfernt, auch meine Freunde reinigten gleich ihre Waffen, wir ölen die Waffen ein, säuberten auch die Scheiden der Schwerter, von dem darin befindlichen Blut. Nahmen, die Essenz mit dem Gift, rieben einer nach den anderen, die Schwerter damit ein. Das war eines der Geheimnisse unserer Schwerter, sie töteten nicht nur, sondern sollte jemand nicht getötet wurden, durch den Hieb der Waffe, blieb er im Krampf liegen. Auf den Schwertern war eine hochgiftige pflanzliche Substanz, die dafür sorgte, dass der Verletzte starke Schmerzen hatte und so über Stunden außer Gefecht gesetzt wurde. Dadurch also keine Gefahr im Kampf, mehr für uns und andere darstellte. Da er sich vor Schmerzen und Krämpfen nicht mehr bewegen konnte. Cankat reinigte auch mein Gewehr, wofür ich ihn dankbar war.

„Kahlyn, wenn du fertig bist, verschwinde unter die Dusche, wir räumen hier auf“, sagte Sina zu mir. Erleichtert, endlich das viele Blut von meinem Körper zu bekommen, wollte ich hinter zu den Duschen laufen. Der Oberst hielt mich am Arm zurück und zog mich in sein Büro. Dort drückte er mir einen ganzen, vor allem sauberen Anzug, neue saubere Unterwäsche in die Hand. Dafür hatte er sich einen Kuss verdient, lachend schaute er mich an.

„Für was ist der, Kahlyn?“, erkundigte er sich.

„Für die sauberen Sachen, Oberst.“

Lachend verschwand ich aus dem Büro und wurde fast eine Stunde nicht gesehen. Ich stand unter der Dusche, spülte meine Wunden aus und entspannte meine Muskulatur, die von den Fieberkrämpfen völlig verkrampft war. Fertig mit Duschen lief ich so nackt wie ich war in die Umkleide.

„Rashida, kannst du mir den Doko hinter schicken, für die Wundversorgung?“

„Klar mache ich, wird ja auch langsam Zeit, Täubchen“, hielt sie mir wie so oft vor, dass ich so lange Zeit vergehen ließ.

Sie ging den Doko holen, der ebenfalls froh war, mich endlich versorgen zu können. Einige ziemlich tiefe Stichverletzungen hatte ich abbekommen. Das war alles nichts, was in drei oder vier Tagen, verheilt war. Doko Jacob klebte und nähte all diese leichten Verletzungen. Zum Schluss, spritzte er mir noch, den Heiler F28 und J12, was die Blutregeneration beschleunigte. Auch kontrollierte noch einmal Fieber, 48,9°C. Es war zwar leicht gestiegen, aber in einem Bereich der kontrollierbar war. Jacob war zufrieden, damit konnte er und auch ich leben. Auf alles trug er im Anschluss die Brandsalbe auf, damit nicht erst der Brand hineinkam und verband mich. Auch erklärte mir der Doko, was der Auslöser von dem Fieber war. Ich war richtig wütend und wollte von ihm wissen.

„Doko, warum hasst mich der Oberstleutnant so. Was habe ich diesen Menschen eigentlich getan, dass er mich immer noch töten will?“

Doko zuckte mit den Schultern. Er konnte es mir auch nicht erklären. „Kahlyn, diesmal ist er zu weit gegangen. Ich glaube, diesmal bekommt er auch keine Unterstützung mehr von Hunsinger. Du kannst dir gar nicht vorstellen wie wütend der auf Mayer war. Nach der Sache mit Raiko. Wir, der Oberst und ich, kümmern uns um die Anzeige wegen deiner Nahrung. Keine Angst, ich denke jetzt hast du Ruhe.“

„Das hoffe ich, Doko. Ich weiß langsam nicht mehr, wem ich trauen soll. Noch einmal stehe ich das nicht durch. Ich wollte vorhin schlafen gehen. Rashida hat es gerade noch geschafft, mich zurück zu holen.“

Doko nickte, sagte gar nichts mehr. Was hätte er auch sagen sollen? Es brachte doch nichts, jetzt mit mir zu schimpfen. Er konnte mich schon irgendwo verstehen, dass sah ich an seinen traurigen Augen. In der Zeit in der wir uns unterhielten zog ich mich wieder an und ging nach vorn zu den Anderen. Es wurde Zeit für meine Freunde, zurück in ihre Dienststellen zu fahren. Sie war schon fast einen Tag fort und wurden dort sicher gebraucht, sagten sie mir. Traurig nahm ich Abschied, von ihnen.

„Täubchen, wir sehen uns bestimmt bald wieder. Du hast doch jetzt John, du bist nicht mehr alleine“, tröstete mich Rashida, als ich anfing zu weinen.

Sie hatte ja recht. John war aber nicht meine Rashida. Sie würde mir wieder so fehlen. Traurig nahm sie mich in den Arm, denn ich würde ihr auch sehr fehlen. John kam auf mich zu.

„Warum weinst du Mäuschen? Wenn wir frei haben, besuchen wir Rashida einfach mal, wenn sie dir so fehlt. Rudi macht das bestimmt gern. Wenn er keine Zeit hat, dann fahre ich mal mit dir und Ramira, zu ihr.“

„Wirklich, wir fahren wirklich mal zu Rashida?“

Ungläubig sah ich ihn an. John jedoch nickte mir lächelnd zu. Sofort, hörte ich auf zu weinen. Ich wusste jetzt, dass ich meine Rashida irgendwann wiedersehen würde. Da hatte ich etwas, worauf ich mich freuen konnte. Gab meiner besten Freundin ein Kuss und nahm alle noch einmal in den Arm.

„Auf Wiedersehen. Danke noch einmal, dass ihr mir bei diesem Einsatz geholfen habt und vor allem auch mir. Ohne euch, wäre die Hälfte der Männer jetzt tot und ich auch. Passt auf euch auf, versprochen“, bat ich noch einmal alle.

Sie lächelten mir alle zu und liefen zu den Hubschraubern die sie zurück zu ihren Dienststellen brachten. Auch Doko Jacob, verabschiedete sich von mir.

„Kahlyn, jetzt wirst du dich bald ganz erholen meine Kleine. Dann geht es dir endlich einmal richtig gut. Nur darauf, dass der Mayer dir deine Nahrung vergiftet hatte, Kahlyn. Darauf bin ich beim besten Willen nicht gekommen. Mit keinen Gedanken hätte ich damit gerechnet, dass diese Mistkerl soweit gehen würde“, machte sich mein guter alter Doko immer noch Vorwürfe.

„Doko, darauf kann doch keiner kommen. Schau nicht mal mir, ist das wirklich aufgefallen. Erst heute mit den hohen Fieber, kam mir von ganz weit weg auf einmal diese Idee. Ich kann dir nicht mal sagen wie ich darauf gekommen bin. Auf einmal war dieser Gedanke da. Mache dir keine Vorwürfe, dass dieser Unmensch, mich sogar jetzt noch verfolgt, hätte ich mir nicht träumen lasse. Hört das eigentlich nie auf. Was habe ihm eigentlich getan, das er mich so hasst? Was lässt der sich noch einfallen, um mich zu töten?“, fragte ich meinen Doko, mit Verzweiflung in der Stimme.

Doko sagt etwas, was mir schon der Oberst, einmal vor einigen Wochen gesagt hat. „Kahlyn, ich glaube, er hasst dich deshalb so, weil du es immer wieder geschafft hast, deine Leute heil aus dem Kampf nach Hause zu bringen. Deshalb verbot er dir, dein Leute zu versorgen bevor sie beim Rapport waren. Hast du sie aber vorher versorgt, schlug er extra auf die Wunden ein. Er ist ein Schwein, das größte auf dieser Welt existierende Charakterschwein, dass ich kennengelernt habe. Aber diesmal, ist er zu weit gegangen, diesmal ist er echt zu weit gegangen. Der Oberst informiert gerade Hunsinger darüber, er macht eine Anzeige wegen versuchten Mordes fertig. Diesmal kommt er nicht ungestraft davon“, skeptisch guckte ich Doko an.

„Hoffen wir's! Es wäre zu schön, um wahr zu sein. Wenn ich vor diesem Untier endlich einmal Ruhe hätte. Doko ich weiß nicht, wie lange ich noch im Stande bin, mich zu beherrschen. Irgendwann tue ich ihm etwas an. Irgendwann bringe ich ihn um.“

Doko sah mich böse an. „Kahlyn, das wirst du nicht tun, damit versaust du dir doch dein eigenes Leben.“

Ich zuckte mit den Schultern. „Na und“, gab ich trotzig zur Antwort. "Doko, so macht das Leben doch auch keinen Spaß mehr. Du hast doch keine Ahnung, was der alles mit uns gemacht hat. Wenn du das wüsstest Doko, würdest selbst du zum Mörder wären. Ach lassen wir das, ich bekomme schon wieder diese verdammt Wut und das tut mir gar nicht gut.“

Böse sah ich auf meine Füße und versuchte meine Wut auf den Oberstleutnant in den Griff zu bekommen. Doko schob mein Kinn nach oben und gab mir einen Kuss. Er nahm mich einfach in den Arm. Ich drückte mich an seinen dicken Bauch und genoss einfach seine Nähe. Die tat mir immer gut. Dann fiel mir aber ein, dass ich den Doko noch fragen wollte, wegen eines zweiten Medi-Koffers.

„Doko, aber mal etwas anderes. Könntest du mir, einen zweiten Medi-Koffer, da lassen. Es ist oft knapp mit nur einem Koffer, außerdem reicht oft die Zeit nicht, den aufzufüllen. Es ist zwar selten, dass das einmal passiert. Aber es ist jetzt schon zweimal vorgekommen, dass ich nur zwei Minuten hatte, den Koffer auffüllen zu lassen. Bin also mit einem angerissenen Koffer los. Du weißt das mag ich überhaupt nicht. Vor allem stehen sie in der Schule nur sinnlos rum.“

Doko lachte mich an. „Doko Karpo bekommt noch fünf Koffer von mir. Für jedes Team in Gera einen und zwei Reservekoffer. Da hast du dort dann sechs Koffer. Den anderen habe ich auch schon für jedes Team und einen Reservekoffer gegeben, nur bei dir hatte ich das jedes Mal vergessen. Es war bei dir ja immer Stress.“

Jetzt musste ich auch lachen. „Aber Doko, ich bin froh, dass ich jetzt endlich weiß, was mit mir los war. Ich kam selber nicht mehr klar mit mir. Ständig diese Anfälle und das ohne Grund, das hat mich richtig verrückt gemacht. Ich dachte schon ich werde wahnsinnig“, damit gab ich meinem Doko einen Kuss. „Grüße mir die Dika von mir. Ich werde dich vermissen“, rief ich ihm nach.

Doko drehte sich noch einmal um und stieg in den Tiger zu Arnd. Dann flogen er und meine Freunde weg. Ich konnte nicht anders, ich setzte mich auf den Boden und weinte. Es war schlimm mit mir. Bald würde sie wieder da sein diese unendliche Leere in mir. Dann fiel mir zum Glück John ein. Ich stand auf und lief einfach zu ihm. Er kam mir entgegen und lächelte mir zu. Meine Gedanken stimmten nicht, ich war ja nie wieder ganz alleine.

Kapitel 9

John stellte sich neben mich und hörte mit mir zusammen, die Stimme leiser und leiser werden. Redete, scherzte und lachte, wie ich bis zum Schluss mit meinen Freunden. Bis es auf einmal ganz ruhig war. Traurig sah er mich an. Irgendwann meinte er, in Gedanken zum mir und seine Stimme klang traurig.

„Mäuschen, jetzt verstehe ich erst richtig, warum dir deine Freunde so gefehlt haben. Es ist so verdammt ruhig. Es tut richtig weh.“

Bekümmert blickte ich zu ihm auf. „Ja John, kannst du dir vorstellen, wie schlimm das für mich war. Ich hatte die Stimmen, mein ganzes Leben lang, schon lange vor meiner Geburt. Nur, wenn ich hier in der Soko war, dann hatte ich die nicht. Aber das fiel nicht so auf, hier war ich immer in Stress. Außerdem wusste ich stets, zu Hausse sind sie alle wieder da.“

Tröstend nahm John mich in den Arm. Ich fing an zu weinen, weil ich meine Rashida, nun wieder nicht mehr hören konnte.

„Mäuschen, aber jetzt bist du nicht mehr ganz alleine. Du hast mich ja jetzt.“

Trotzdem ich weinte, kam ein verschobenes Lächeln von mir.

John lachte von ganzem Herzen. „Mäuschen, da bekommt der Satz, mit einen lachenden und einen weinenden Auge, eine neue Bedeutung“, foppte er mich.

Jetzt musste ich auch lachen. Zusammen gingen wir wieder rein zu den anderen, auch wir mussten nach Hause. Auch vom Oberst, Conny, Mario und den anderen verabschiedete ich mich. Bekam vom Oberst einen extra dicken Kuss.

„Wofür ist der?“

Der lachte mich glücklich an. „Dafür, dass es dich gibt und weil es dir wieder gut geht. Vor allem, dass du uns hier alle, heil durchgebracht hast. Also mach es gut, bis bald mal“, sagte er traurig zu mir.

Auch ich gab ihm einen Kuss, schon huschte ein Lächeln auf sein Gesicht. Ich freute mich darauf, nach Gera zurück zu kommen. Zurück zu meiner Familie, zu den Runges. Dort warteten Jo, Viola, Jenny, Tom und Tim auf mich, aber auch Carmen und Ramira. Gemeinsam mit den drei Teams aus Gera, liefen wir zur Antonow, die uns zurück nach Gera fliegen sollte.

„Sag dem Gosch, einen lieben Gruß von mir. Ich konnte mich gar nicht von ihm verabschieden“, rief ich dem Oberst noch zu, bevor ich in den Flieger stieg. John setzte sich im Flieger neben mich und nahm mich in den Arm.

„Weißt du wie lange wir fliegen John?“, fragte ich ihn in Gedanken.

„Fast zwei Stunden Mäuschen, du kannst also etwas schlafen.“

Ich rutschte nach unten und rollte mich so zusammen, dass mein Kopf auf seinen Beinen lag und war fast sofort eingeschlafen. Kurz bevor wir zur Landung ansetzten, weckte mich John, etwas erholter setzte ich mich wieder hin. In Gera angekommen, fuhr Fran unser Team zur die Dienststelle zurück, dort zogen wir unsere zivilen Sachen wieder an. Fran drückte Rudi eine Dose, mit meiner Nahrung in die Hand, nach dem er kontrolliert hatte, ob diese auch versiegelt war. Der Oberst hat ihm extra sechs Dosen Nahrung für mich mit gegeben und hatte Fran auch versprochen, sobald er nur noch eine hatte, sofort neue zu bestellen. Fran brauchte nur anzurufen, das beruhigte ihn sehr. Er vertraute der Nahrung aus der Schule einfach nicht mehr und wollte auf Nummer sicher gehen.

Jo, der von der Wache informiert wurde, dass wir zurückkamen, wartete schon auf uns. Brachte John, Rudi und mich nach Hause. Bei den Runges stellte ich erstaunt fest, dass immer noch Ramira, Carmen und ihre Eltern da waren. Die hatten bei den Runges geschlafen hatten, da sie unbedingt auf uns warten wollten. Kaum, dass Jos Auto hielt und wir ausgestiegen waren, kam Ramira auf ihren Vati zugelaufen. Selbstsicher, voller Energie und voller Tatendrang. Grinsend, sagte ich zu John, dessen Gedanken ich ja jetzt hörte, also genau wusste wie glücklich er war.

„Das hättest du schon vor vier Wochen haben können, wenn du nur etwas Vertrauen zu mir gehabt hättest.“

Grinsend aber überglücklich, gab er mir zur Antwort. „Egal, wenn auch spät, so hab ich es doch noch erlebt, dass meine Tochter und meine beste kleine Freundin glücklich sind. Was will ein Mann mehr!?“

John nahm mich an der Schulter und seine Tochter auf den Arm, gemeinsam liefen wir hinein, in das Haus der Runges. Kaum hatte ich die Wohnküche betreten, lief auch schon Carmen auf mich zu. Verlegen sah sie mich an, dann sagte sie ganz leise zu mir.

„Danke Kahlyn, für das, was du mit Ramira getan hast. Entschuldigung für das, was ich dir gesagt habe, aber ich war so erschrocken, als ich Ramira auf der Couch liegen sah. Bitte verzeih mir, ich war so gemein zu dir.“

Carmen wollte mich in den Arm nehmen, um mich zu drücken. So schnell konnte ich das nicht zu lassen. Ich drehte mich weg und John, fing seine Frau auf.

„Carmen, lass Kahlyn bitte etwas Zeit, so schnell vertraut sie niemanden. Langsam verstehe ich auch, warum. Nach dem, was dieses Mäuschen ständig erlebt, ist es kein Wunder, dass sie so misstrauisch ist. Ich würde niemanden mehr trauen.“

Ich ging zu Jo und Viola und gab beiden einen Kuss. Die anderen ignorierte ich völlig. Zu weh hatten mir diese Leute getan, so schnell konnte ich ihnen nicht verzeihen, dass sie mir böse Absichten unterstellt hatten. Ramira war wieder nach draußen in den Garten gelaufen. Leise für die anderen kaum hörbar, sage ich zu Jo.

„Ist es schlimm, wenn ich mich hinlege, Jo. Das war ein Horror Einsatz und mir geht es nicht sonderlich gut. Ich möchte einfach nur beschützt schlafen, bitte.“

Jo wuschelte mir durchs Haar. „Dann ab mit dir, in die Koje. John und Rudi können mir erzählen, was da wieder einmal los war. Du siehst verdammt müde aus meine Kleene.“

Ich nickte, gab ihm und Viola noch einen Kuss, Rudi, John, Tim, Ramira auch. Denn Tim und Ramira kamen, gerade von draußen herein. Die anderen im Zimmer ignorierte ich einfach. Sofort lief ich nach oben, zog mich aus und nahm Inti und Ruvijo in den Arm und schlief auf der Stelle ein. Irgendwie gaben die beiden Bären mir eine wahnsinnige Ruhe, die ich sonst nur bei Rashida fand. Keine Ahnung, warum das so war. Dazu kam der Gedanke, dass ich mir sicher sein konnte, hier beschützt zu werden.

Unten in der Küche saßen drei Leute die vollkommen am Boden zerstört waren. Weil ich so gar nicht, auf sie eingegangen war. John versuchte, ihnen mein Verhalten zu erklären. Trotzdem es sie schwer getroffen hatte, dass ich so völlig ignorierte, verstanden sie, dass ich ihnen nicht so schnell verzeihen konnte. John, wusste jetzt auch warum, denn er war Teil meiner Gedanken und Gefühle. Er erfuhr dadurch, was seine Schwiegereltern mir nach Ramiras Operation alles an den Kopf geschmissen hatten, in ihrer verständlichen Wut, dass ein Kind ihre Enkeltochter operiert hatte. Die Zurückgebliebenen diskutierten darüber wie sie sich bei mir entschuldigen konnten und das kaputte Vertrauen wieder aufbauen konnten. John wurde mit der Zeit immer ruhiger und beteiligte sich nicht mehr an der Unterhaltung. Schwer hatte er mit seinen Emotionen zu kämpfen, denn ich hatte einen großen Fehler gemacht. Dieser Fehler drückte John völlig aus der Spur.

 

Mit dem Schlaf kamen meine Träume. Träume die jetzt auch John sah. Er spürte die Angst, die in mir hoch kam, der Alp der mich verfolgte. Urplötzlich für alle unfassbar, keine fing John unten in der Küche an zu weinen und schluchzte wie ein Kind. Es waren nur reichliche zehn Minuten vergangen, nachdem ich die Küche verlassen hatte. Von seinem Weinen wurde ich munter, kaum, dass ich eingeschlafen war. Erschrocken fragte ich ihn, warum er weinen würde. John konnte mir nicht einmal in Gedanken antworten. Deshalb lief ich nur in Unterwäsche begleitet, nach unten und sah nach meinem Freund, der völlig aufgelöst war.

„Was ist los mit ihm?“, bat ich Jo um eine Erklärung.

Runge zuckte mit den Schultern. „Ich kann dir das nicht sagen, Kleene. John fing urplötzlich an zu weinen. Wir können ihn nicht beruhigen Kahlyn. Aber, woher weißt du das?“

Erschrocken sah ich ihn an. „Durch die Verbindung! Oh nein“, ich stöhnte laut auf. „Es tut mir leid John. Ich habe nicht dran gedacht. Ich hätte die Verbindung trennen müssen. Es tut mir so leid. Bitte höre auf zu weinen, bitte. Ich bin es nicht gewohnt die Verbindung zu trennen. Meine Freunde und ich haben ja alle das Gleiche erlebt, John. Wir brauchen unsere Träume nicht zu verstecken. Aber ich zeige dir, wie du die Verbindung trennen kannst. Höre auf zu weinen bitte, John“, bat ich meinen großen Freund, in seinen Gedanken.

John jedoch konnte sich nicht beruhigen.

„Jo, bitte mache es hier dunkel, ich muss John helfen. Bitte, es ist meine Schuld, dass er so weint. Bitte, er ist es nicht gewohnt in der Verbindung zu sein. Bitte Jo.“

Runge verstand zwar nicht warum John weinte, aber das, was ich wollte. Mit Viola zusammen zog er die Vorhänge zu und ließ die Jalousien nach unten.

„Rudi, helf mir, bitte mal. Halte seinen Kopf.“

Kurz entschlossen zog ich Rudi, hinter den Stuhl von John. Er sah ja kaum etwas und setzte mich auf Johns Schoss, begann das Krantonak. Brachte John meine Sprache bei und erklärte ihm, wie man die Tür zur Verbindung öffnen und schließen konnte. So dass ich nur ein Teil seiner Gedanken war, wenn er es selber wollte. Auf diese Weise konnte mich John aus seinem Kopf herausstoßen, wann immer er alleine sein wollte. Ab und an, musste man auch einmal für sich alleine sein. Dann schwächte ich die schlimmen Bilder in seinem Kopf ab, soweit das halt möglich war, die er durch meine Unachtsamkeit gesehen hatte. Gab ihm auch die Fähigkeit des schnellen Schlafes. John hatte wegen mir genug Nächte kaum geschlafen, das musste ein Ende haben. Langsam beruhigte sich mein Freund wieder und ich beendete das Krantonak. Lehnte mich erschöpft gegen seine Schulter. Nach drei Minuten ging es mir wieder besser und sah zu John. Beobachtete ihn noch eine Weile, es war wieder gut.

„John, es tut mir so leid, ich habe wirklich nicht dran gedacht, ich war so müde. Bitte verzeih mir, ich wollte dich nicht verletzten. Wirklich ich habe nicht dran gedacht, dass du dich noch nicht ausschalten kannst. Es tut mir so leid, John wirklich. Das wollte ich nicht“, verzweifelt sah ich John an.

Der nahm mich einfach in den Arm und hielt mich noch einige Minuten fest. Dann erst konnte er wieder reden. „Mäuschen, ich wusste ja nicht, dass es so schlimm ist. Du tust mir so leid.“

Ich schüttelte den Kopf. „John, das hätte nicht passieren dürfen. Aber ich bin es nicht gewohnt, auf so etwas zu achten. Meine Träume, kann ich leider nicht steuern. Bitte verzeih mir, ich wollte nicht, dass so etwas passiert.“

Jo und die anderen, verstanden nicht, was los war. Der Polizeirat musterte mich ernst. „Kahlyn, was war mit John los. Ich habe ihn noch nie so weinen sehen.“

Ich setzte meine Brille wieder auf und hielt mich einen Moment schwankend an John fest. Ich musste den anderen erst erklären, was geschehen war, bevor ich weiterschlafen konnte.

„Jo, ihr könnt wieder aufziehen. Es ist alles meine Schuld, es tut mir so leid. Aber ich habe wirklich nicht an die Verbindung gedacht. Nach dem Einsatz heute, ging es mir nicht sehr gut.“

„Nicht sehr gut.“ John und Rudi, gingen beide an die Decke. „Du bist…“ fingen beide gleichzeitig an.

Rudi fuhr dann fort. „…fast gestorben, Kahlyn. Viel hätte nicht mehr gefehlt, dann hätte dieser Mayer erreicht, was er wollte…“

Ich unterbrach ihn einfach. „Rudi, ist doch egal, wie man es bezeichnet, mir ging es nicht so gut. Wir haben das Jawefan gemacht, den tiefen Schlaf. In diesem Schlaf kann ich Fieber, Schmerzen, aber auch Gifte verteilen. Halt alles, was einen nicht so gut tut, auf alle verteilen die im Kreis sitzen und am Jawefan teilnehmen. Der Oberstleutnant, hat mich seit Wochen systematisch vergiftet, weil er in meine Nahrung, Antibiotika gemischt hat. Ich hatte wirklich sehr hohes Fieber, 62,2°C wenn es weit über 60°C steigt, sterbe ich. Zum Schluss, war es schon 62,8 °C. Ich war zu schwach und kaum noch bei Bewusstsein, um selber zu sitzen zu können, fehlte mir einfach die Kraft. Aber meine Freunde, können mich im Kreis nicht selber halten oder stützen. Das kann nur ein Außenstehender machen, sonst wird das Jawefan unterbrochen. Wir brauchten also Hilfe von außen, deshalb hat mir John geholfen, indem er mich fest hielt und so verhinderte, dass ich einfach wegkippte. Dadurch kam er ebenfalls in die Verbindung, wurde in das Jawefan eingeschlossen. Normalerweise trennt sich die Verbindung nach Beendigung des Jawefan, das ist aber aus irgendeinem Grund nicht geschehen. So dass sie immer noch besteht.“

Ich streichelte John lieb das Gesicht, langsam gefiel er mir wieder besser. Entschuldigend sah ich zu Jo, aber auch zu Carmen die besorgt auf ihren John sah und zuckte mit den Schultern.

„Na ja, es ist so, nach dem ich jetzt eingeschlafen bin, hat John also meine Träume gesehen. Die sind nicht sehr schön, es sind keine schlimmen Träume für mich, aber für John schon. Deshalb hat er geweint. Ich habe nicht daran gedacht, die Verbindung zu schließen. Meine Freude und ich, haben ja die gleichen Träume. Ich habe ihn jetzt über das Krantonak gelernt, wie er sich dort heraus schalten kann. Wie er die Verbindung trennen kann. Das wird nie wieder passieren. Tut mir leid John, wirklich. Ich wollte dir das nicht antun, wirklich nicht. Ich wollte nicht, dass du das siehst. Aber meine Träume kann ich doch nicht steuern, wirklich nicht.“

Verzweifelt sah ich John an, wieder fing ich an zu weinen, weil ich meinen Freund verletzt hatte. Ich war viel zu fertig, um das noch irgendwie abzufedern. Ich war so verdammt müde. Auch wenn ich ihn nicht körperlich verletzt hatte, so doch seelisch. John nahm mich in den Arm und drückte mich ganz fest.

„Mäuschen, das weiß ich doch. Nur, was ich da eben gesehen habe, war so schockierend. Wie kannst du mit so etwas leben? Wie kannst du sagen, dass es keine schlimmen Sachen sind. Mäuschen, ich würde wahnsinnig werden, wirklich.“

Immer wieder, streichelte ich seinen Kopf, er tat mir so leid. Aber ich konnte ihm diese Erinnerungen nicht nehmen. Ich konnte es nicht wie bei Kurt aus seinem Gedächtnis löschen. Er bekam sie nicht von mir eingepflanzt. Traurig sah ich John an. Auf einmal fiel mir eine Lösung ein, die Akzeptapel für John wäre. Ich könnte diese Erinnerungen blockieren. Allerdings hatte dies für mich einen großen Nachteil, ich würde auch die Verbindung zu John blockieren. War ich zu egoistisch, wenn ich meinen Freund nicht wieder gehen lassen wollte. Ich weinte aus Verzweiflung, kämpfte mit mir einen schweren Kampf. John, der ja jetzt hörte, dass ich weinte, fragte mich.

„Warum weinst du Mäuschen, was geht in deinen Kopf vor? Welche Gedanken verbirgst du vor mir? Mäuschen, bitte sag mir, was los ist.“

Ich sah ihn lange schweigend an. „John, ich könnte dir diese Bilder wieder nehmen. Aber damit zerstöre ich die Verbindung. Ach es ist egal, Hauptsache es geht dir wieder gut.“

Im gleichen Atemzug setzte ich, trotz des hellen Lichtes die Brille ab und wollte das Krantonak machen. John hielt seine Hand auf meine Augen.

„Nein! Ich verbiete dir da“, sagte er mit fester Stimme. „Du wirst diese Verbindung nicht zerstören, das lasse ich nicht zu. Ich habe in den wenigen Stunden, verstanden, dass du diese Verbindung brauchst wie die Luft zum Atmen. Kahlyn, es gibt einen Grund, weshalb nach Beendigung, des…“ er überlegte „…des Jawefan, so hast du es genannt, die Verbindung nicht abgebrochen wurde. Ich komme mit den Bildern schon klar. Ich denke, wenn du es geschafft hast, dann schaffe ich das auch“, lächelnd drückte mir John einen Kuss auf die Stirn. „Nun gehe schlafen. Ich schalte die Verbindung jetzt ab. Dann hast du auch Ruhe und kannst besser schlafen. Ist schon in Ordnung Mäuschen.“

Lange sah ich ihn an, forsche in seinen Gedanken, ob er es wirklich ernst meinte. Er wollte es wirklich, also ließ ich es so wie es war und war darüber glücklich.

„Danke John“, sagte ich leise und wahnsinnig erleichtert.

Ich stand auf und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Jo und Viola auch. Carmen und ihre Eltern sah ich lange an, dann reichte ich ihnen die Hand. Wer mit John gut auskam, den musste ich einfach vertrauen. Missverständnisse gab es immer wieder einmal. Dass, was John gerate getan hat, war für mich mehr wert, als alles Gold der Welt zusammen. Carmen und ihre Eltern, nahmen verwundert meine Hand. Carmens Vater, hielt meine Hand fest, sah mir fest in die Augen und fragte mich.

„Mit was, haben wir uns das jetzt verdient? Vorhin hast du uns nicht einmal angesehen, Kahlyn?“

Ich sah John an, der nickte mir aufmunternd zu. „Sir, dass ich ihnen die Hand gegeben habe, hat nichts mit ihnen zu tun, Sir. Sondern das mache ich nur John zu liebe. Was John eben für mich getan hat, bedeutet mir mehr, als sie sich vorstellen können, Sir. Sie haben mich vor zwei Tagen sehr verletzt. Sie haben mir böse Absichten unterstellt, obwohl sie mich gar nicht kennen. Aber John mag sie, Sir. Er ist bereit, mit meinen nicht sehr schönen Träumen zu leben. Dann kann ich auch, mit ihren bösen Worten leben, Sir.“

Ohne abzuwarten, zog ich meine Hand aus seiner, drehte mich um und wollte zur Treppe gehen, als mir Carmens Vater hinterher rief.

„Warte Kahlyn, bitte.“

Ich bleib stehen und sah ihn an.

„Bitte komm noch einmal her und setzte dich zu mir auf Sofa, bitte.“

Heinz Probst zeigte auf das Sofa. Ich sah zu Rudi, Jo, Viola, dann zu John, alle nickten. So ging ich hin und setzte mich in die äußerste Ecke. Ich zog die Beine an meinen Körper und legte die Arme darum. Presste mich, so weit wie möglich, in die Ecke. Weg von diesem Mann, der aus Lust tötete. Mir aber eine böse Absicht unterstellte.

„Kahlyn, bitte ich möchte dir versuchen zu erklären, was geschehen ist vor drei Tagen, bitte“, erklärte er mir.

„Sir, sie müssen mir nichts erklären. Ich möchte einfach nur schlafen. Im Gegensatz zu ihnen, Sir, töte ich nämlich nicht gerne. Das Töten macht mich kaputt, es zerstört mich. Ich habe heute früh, hunderte Menschen töten müssen, weil solch ein Mensch wie sie, Spaß am töten hat. Mich interessiert im Moment nicht, was sie mir erklären wollen. Ich möchte nur etwas Ruhe finden, Sir. Ich habe immer noch sehr hohes Fieber und möchte nur beschützt schlafen, Sir“, unterbrach ich Probst einfach und sah ihm dabei aber offen ins Gesicht.

„Das weiß ich Kahlyn, aber ich möchte es trotzdem, versuchen. Als wir unsere Wohnung betreten haben, unsere Enkeltochter dort liegen sahen, bekamen wir einen riesen Schreck, wir…“ Plötzlich unterbrach er sich selber. Ihm wurde mit einem Schlag bewusst, was ich ihm gerade gesagt hatte. Erschrocken sah er mich an. „…Wieso, um Gottes Willen, denkst du, dass ich gerne töte? Kahlyn, wie kannst du so etwas denken? Wieso, hast du hunderte von Menschen getötet?“

Das blanke Entsetzen stand auf seinem Gesicht. Immer noch sah ich ihn offen an, warum verstand er nicht, was ich ihm sagte.

„Sir, sie töten Hirsche, aus purer Langerweile. Nur, um ihre Geweihe an die Wand zu hängen. Das tun nur Menschen, die gerne töten und das aus Spaß machen, Sir. Warum ich diese ganzen Menschen getötet habe, fragen sie? Weil da ein Mensch war, wie sie, Sir, der das töten aus Spaß betreibt. Dem es nichts ausmacht, wenn andere ihr Leben lassen müssen. Es blieb mir keine andere Wahl, Sir. Ich hab es ja versucht, zu verhindern. Aber Menschen wie sie, kann man nicht vom Töten abhalten. Bitte, Sir, mir geht es nicht sonderlich gut, Sir. Ich möchte jetzt schlafen gehen, Sir“, zu keinem Wort mehr fähig, nickte Carmens Vater bloß, um überhaupt etwas zu tun und eine Reaktion zu zeigen.

Ich stand auf und lief zur Treppe. Weder John, noch Rudi hielten mich zurück. Keiner von Beiden hätte gewusst, wie er mir meine falsche Interpretation der Fakten erklären sollte, jedenfalls nicht im Moment.

Auch sie waren noch gezeichnet vom Kampf in Himmelspforte. Also ließen sie mich schlafen gehen, das empfanden Beide, als den richtigeren Weg. Rudi, weil er sah wie müde ich war. John weil er wusste, wie schlimm der Tag für mich heute wirklich war. Schnell lief ich nach oben und legte mich ins Bett, nahm meine beiden kleinen Freunde, Inti und Ruvijo, in den Arm und schlief diesmal sofort ein.

 

Unten in der Küche, ließ ich nicht nur einen total verwirrten Heinz zurück, sondern auch die anderen, die nicht bei dem Einsatz dabei waren.

Heinz Probst, der mit meiner Antwort überhaupt nicht klar kam, meinte. „John, glaubt Kahlyn wirklich, dass ich gerne töte?“, fragte er seinen Schwiegersohn. „Wieso hat dieses junge Mädchen, heute hunderte Menschen getötet? Mein Gott, die Kleine ist so alt, wie Jenny“, entsetzt sah er seinen Schwiegersohn an.

John, der zu Hause nie über seine Arbeit sprach, stützte verzweifelt seinen Kopf auf die Hände. Starrte auf die Tischplatte und suchte nach den richtigen Worten. Er wusste, wie viele Menschen seinen Beruf verachteten, wenn sie zu hören bekamen, dass man da auch ab und zu einmal einen Menschen töten musste. Er hatte bis jetzt immer Glück gehabt, dass es andere Möglichkeiten gab. Aber dieses Mal, kam er einfach nicht um das Töten herum.

Auch John hatte bei diesem Einsatz mehrere Menschen töten müssen. Sobald er die Augen schloss, sah er deren Gesichter. Obwohl er geduscht hatte, roch er immer noch das Blut und kam sich dreckig vor. Es war das erste Mal, dass er es nicht verhindern konnte, jemanden zu töten. Man ließ ihm einfach keine andere Wahl. Er oder sein Gegner, es konnte nur einer überleben. Diese Kämpfer aus der Gruppe Romanik, genossen es Menschen zu töten. Sie hatten beim Kampf ein hämisches Grinsen auf dem Gesicht und genossen es ihren Gegenüber Angst zu machen. Dieser Kampf in Himmelpfort, war ein Kampf auf Leben und Tod. Er hatte heute begriffen, was Kahlyn ihnen vor reichlichen zwei Wochen versucht hatte, zu erklären. Dass man ein anderer Mensch war, wenn man das erste Mal getötet hat. Er hatte es jetzt verstanden. Wie sollte er das erklären, vor allem Menschen die dieses beschissene Gefühl nicht kannte.

„Heinz, müssen wir da jetzt darüber reden. Bitte sei nicht böse, es war ein Horror Einsatz, lasst uns erst einmal schlafen gehen. Der schlimmste Einsatz den ich je erlebt habe“, wieder schwieg er eine Weile.

Heinz stand auf und setzte sich auf den Stuhl, neben John. „Junge, was war los? So kenne ich dich gar nicht. Wir kennen uns jetzt seit dreizehn Jahren. Aber noch nie warst du so durch den Wind. Was soll das? Vor allem, will ich wissen, was ihr mit diesem kleinen Mädchen da oben gemacht habt, dass die solche Gedanken hat.“

Das waren die völlig falschen Worte, die Heinz gewählt hatte. Rudi ging jetzt an die Decke, noch ehe John, auf seinen Freund einwirken konnte. Auch bei Rudi vibrierten die Nerven, der Einsatz hatte ihn an die Grenzen des Ertragbaren gebracht. Der temperamentvolle Sender, konnte nicht mehr und ging massiv gegen Johns Schwiegervater los.

„Heinz, was denkst du wohl, was wir mit der Kleenen gemacht haben? Verdammt nochmal. Was denkst du, machen mir mit so einem kleinen Mädchen? Du hast doch keine Ahnung, was los war. Selbst, wenn wir dir alles erzählen würden, wirst du es nicht begreifen. Was wir mit der Kleenen gemacht haben, willst du wissen? “, brüllte Rudi Heinz nun doch an, obwohl er am Anfang versucht hatte leise und ruhig zu sprechen. „Wir haben gar nichts, mit der Kleenen gemacht, Heinz. Wir nicht. Verdammt, nochmal!“

Krampfhaft versuchte Rudi sich zu beruhigen. Auch weil er wusste, dass er weit übers Ziel hinaus schoss. Die Vorwürfe von Heinz, regten ihn auf. Sie machten ihn wahnsinnig, weil sie ungerecht waren. Rudi versuchte ganz leise zu sprechen, man merkte ihn an wie schwer ihn das fiel.

„Dieses kleine Mädchen da oben, hat versucht, in dem sie ihr Leben riskiert hat, hunderten von Leuten das Leben zu retten“, wütend schaute er Heinz an und rang krampfhaft nach Luft. Wieder, versuchte er ruhig weiter zusprechen, aber mit jedem Wort fiel ihm das schwerer. „Wenn diese Kleene nicht gewesen wäre, Heinz, wäre deine Tochter, heute eine Witwe. Würden weder John noch ich jetzt hier sitzen. Wir wären jetzt beide tot.“

Rudi schlug mit der Faust auf den Tisch, Jo, Viola, Carmen, Sophia und auch Heinz, starrten ihn entsetzt an. Wutentbrannt sprang Rudi auf und lief wie ein gehetztes Tier, hin und her. Er nahm die Hände hinter den Kopf, um besser atmen zu können. Rudi konnte sich aber nicht beruhigen. Schließlich ging an die nächste Wand und stützte sich mit den Händen dagegen, als wenn er sich halten wollte. John stand auf, ihm wurde bewusst, dass Rudi jetzt in diesen Augenblick realisiert hatte, was geschehen war. Das dieser bis jetzt, in einer Art Schockzustand gefangen war. So wie es wahrscheinlich, zurzeit noch viele von den einhundertneunundvierzig Leuten waren. Hilfe, ging es ihm durch den Kopf, wie schlimm wäre es erst ohne die Spritze die Kahlyn, jeden von ihnen hatte geben lassen. Wenn Rudi jetzt schon so ausflippte. Viele würden erst in den nächsten Tagen wirklich realisieren, was sie erlebt hatten.

„Rudi, komm bitte fahre runter. Bitte beruhige dich“, versuchte John besänftigend auf ihn einzureden.

Rudi konnte sich nicht beruhigen. Er fing am ganzen Körper an zu zittern, begann zu würgen und schnappte krampfhaft nach Luft, als wenn er jeden Moment ersticken würde. Johns Freund und Vorgesetzten ging es gar nicht gut. Besorgt sah John seinen Kollegen und Teamleiter an, so hatte er Rudi noch nie erlebt. Schon einige schlimme Einsätze hatten die beiden hinter sich gebracht. Viele seiner Kollegen hatte Rudi sterben sehen, aber so heftig war er noch nie drauf gewesen.

„Jo, sei so lieb und gehe in Kahlyns Medi-Koffer, darin befindet sich ein Etui mit Spritzen, bitte hole mir das, sofort“, bat John, der merkte, dass Rudi kurz vor dem Durchdrehen war.

Jo rannte nach vorn in den Flur, holte den Medi-Koffer. John gab ihm die Zahlenkombinationen, die er seit der Verbindung auch kannte. Jo öffnete den Koffer, holte eine Spritze aus dem Etui und reichte sie John.

„Jo, bitte halte Rudi fest, ich kann keine Abwehrreaktion von ihm gebrauchen. Rudi setze dich bitte. Ich gebe dir jetzt eine Spritze, bitte halte still.“

Rudi war wie weggetreten, hörte und reagierte auf gar nichts mehr. Er sah seinen Freund an wie einen Fremden. Jo ging langsam auf seinen Freund zu und hielt ihm einfach den Kopf fest. John stach in die Halsschlagader und spritzte eine Einheit N91, das Mittel zur Nervenberuhigung. Reichte Jo die Spritze und sprach beruhigend auf Rudi ein. Nach drei langen Minuten, beruhigte sich dessen Atem langsam und er kam etwas zur Ruhe.

„Jo, bitte helfe mir, Rudi nach unten zu bringen. Er muss sofort ins Bett. Er braucht, wie wir alle unbedingt etwas Ruhe.“

Jo fasste seinen schon fast schlafenden Freund, unter die Arme und zog sich dessen Arm über die Schulter, genau wie es John tat. Gemeinsam brachten sie Rudi hinunter in seine Wohnung und legten ihn so wie er war ins Bett. Sofort schlief Rudi, tief und fest.

„Jo, ich hoffe ich habe jetzt das Richtige gemacht, mir ist nur gerade nichts anderes eingefallen. Rudi war kurz vorm durchdrehen. Frage bitte Kahlyn morgen, ob das Richtig war, ich habe Rudi eine Einheit N91 gespritzt. Ich weiß, dass Jens das bei Kurt nach der Puppensache auch gemacht hatte. Aber Kahlyn hat uns heute allen nach den Einsatz, von Fritz schon irgendwas spritzen lassen. Ich glaube sie wusste, dass einige durchdrehen würden. Hoffentlich war das jetzt nicht verkehrt.“

Jo starrte den Paten seiner Kinder entsetzt an. „John, bitte erkläre mir, was bei dem Einsatz los war. So habe ich Rudi noch nie erlebt. Außer nach dem Gespräch mit Kahlyn. Was war das für ein Horror, der Rudi so aus der Bahn wirft. Aber selbst damals, war es nicht so heftig.“

John schüttelte erst den Kopf, dann nickte er. Ihm wurde bewusst, dass alle wissen wollten, was los war. Auf diese Weise war Rudi noch nie abgedreht, jedenfalls nicht hier zu Hause.

„Komm mit hoch zu den anderen. Bitte, sonst muss ich das auch noch zweimal erzählen. Das schaffe ich heute nicht“, bat John leise.

Müde ging John hoch in die Küche. Er sah aus, wie ein gebrochener Mann, dem jeder Schritt schwerfiel, den er machen musste. Er betrat die Wohnküche der Runges, gefolgt von Jo, der die Welt nicht mehr verstand.

„Viola, kann ich einen Schnaps bekommen, am besten stellst du die Flasche und Gläser, dann gleich auf den Tisch. Ich glaube, ihr braucht dann auch einen“, sagte John, der sonst strikt jeden Alkohol ablehnte und nicht einmal Bier trank. Heinz sah seinen Schwiegersohn schockiert an, fragte ihn.

„John, was war so schlimm, dass du sogar einen Schnaps willst?“

John stützte seinen Kopf auf die Hände, wartete bis er einen Schnaps bekam und stürzte diesen, zum Entsetzen seiner Frau und deren Eltern, mit einen Zug hinter.

„Ihr habt doch keine Ahnung“, sprach er mehr zu sich selbst.

Eine ganze Weile schüttelte John sich. Nicht nur wegen des Schnapses, sondern weil die Bilder des Kampfes, wieder in ihm hoch kamen. Die die er selber erlebt hat und die er gerade in Kahlyns Traum gesehen hatte. Er hatte durch diesen Traum erfahren, wie Kahlyn diesen Kampf erlebt hatte, aus ihrer Perspektive. Es war einfach Horror. Er fragte sich wie Kahlyn, mit solchen Bildern leben konnte. Nach fünf Minuten, ging sein Atem wieder etwas ruhiger, mit müder Stimme begann er zu erzählen, mehr zu der Tischplatte, als zu den Personen in dem Raum. Er mochte niemanden dabei ansehen.

John berichtete vom Kampf Kahlyns gegen Hunsinger. Von dem Verhalten dieses Oberleutnants Mayer. Vom Kampf Kahlyns gegen diese totbringende Taktik, die wahrscheinlich nicht nur sechzig Prozent, sondern allen Teammitgliedern, das Leben gekostet hätte. Er fragte sich die ganze Zeit wie sie diesen Einsatz, ohne die Hilfe von Kahlyn und ihren Freunden, überlebt hätten. Dann erzählt er allen, wie Kahlyn krampfhaft versucht hatte, diesen Kampf zu verhindern. Dass Friedrich, sich nicht darauf eingelassen hatte. Von den Kampf, in dem Kahlyn alleine gegen zehn dieser Elitesoldaten unbewaffnet kämpfte. Wie die acht erst sechzehnjährigen Kinder, durch ihren Einsatz und dem Kampf mit dem Schwert und dem Gewehr, das Leben von einhundertneunundvierzig Teamkollegen, gerettet hatten. Als er nach einer reichlichen Stunde fertig war, legte er die Arme auf den Tisch und weinte. John weinte genauso schluchzend, wie nach dem Traum von Kahlyn. Viola gab jetzt jeden der noch Anwesenden einen Schnaps, den brauchte sie alle. Das Gehörte, machte wirklich allen zu schaffen. Nach reichlichen fünf Minuten, beruhigte sich John langsam wieder. Schaute mit tiefen Augenringen, seinen Schwiegervater an.

„Heinz, verstehst du nun, was Kahlyn für ein Mensch ist. Sie riskiert ihr Leben, geht unbewaffnet und schwerkrank in ein Lager von eintausendsiebenhundert durch geknallten Kämpfern, um zu verhindern, dass diese getötet werden“, verzweifelt, mit Tränen in den Augen, sah er Heinz an. Leise kaum noch hörbar, berichtete er weiter. „Der Einsatzleiter, von der Bereitschaftpolizei sagte mir, als ich nach dem Kampf, verzweifelt nach Kahlyn suchte. „Was in Herr Gottes Namen, habt ihr hier veranstaltet? Hattet ihr hier einen Krieg? Ich habe hier eintausend dreihundertachtzehn Leichen und fünfhundertachtundneunzig zum Teil schwer Verletzte. Wo sind die anderen Einheiten geblieben? Wieso ist hier ein Ring aus Leichen?“ Er konnte nicht glauben, dass wir nur mit fünf kompletten Einheiten hier waren, er fragte mich dann noch. „Was hat dieses Kind hier verloren?“ Er hatte so ein hämisches Grinsen im Gesicht. Am liebsten hätte ich ihm, eine mitten auf die Zwölf gegeben. Ich fragte ihn welches Kind? Da meinte er „Das kleine schwarzhaarige Dickerchen.“ Ich hätte ihn fast erschlagen, er meinte Kahlyn“, John raufte sich die Haare, versuchte sich krampfhaft zu beruhigen. „Ihr wisst ja gar nicht, wie schlimm das war. Es war die Hölle, der blanke Horror. Es ging dort unten, um das nackte Überleben. Entweder wir werden getötet oder wir töten die anderen. Man ließ uns keine Wahl, diese Leute von dem Friedrich, töten aus purem Spaß. Sie denken sie sind unbesiegbar“, wieder stützte John den Kopf auf die Hände, Tränen fielen auf den Tisch.

Sein Atem ging rasselnd, mühsam versuchte er in einen normalen Atemrhythmus zu finden. Nur langsam, konnte er sich beruhigen. Die anderen starrten ihn an, zu nichts in der Lage. Allein die Anzahl der Verletzten und Toden hatte sie in eine Art Schockzustand versetzt. Sie waren nicht in der Lage auf John zu zugehen und ihm beruhigend die Hand auf die Schulter zu legen. Vielleicht war das auch gut so. Er hätte dies wahrscheinlich gar nicht zugelassen. Sich zum leise sprechen zwingend, berichtete John weiter.

„Diese Kinder, müsst ihr wissen, standen nach dem Kampf vor einem Wall aus Leichen, dahinter sammelte sich das Blut, bis fast zum Knie standen sie darin. Wir waren zu nichts in der Lage, starrten die Kinder nur an und konnten nicht glauben, dass wir noch am Leben waren. Als der Kampf vorbei war, gingen sie einfach in die Knie, fielen in diesen See aus Blut. Sie konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten. Sie waren völlig erschöpft, leer und kraftlos und bekamen keine Luft mehr. Heinz, so fertig waren diese Kinder“, mit Tränen in den Augen und dem blanken Grauen in dem Gesicht, sah er seinen Schwiegervater an. „Nach einigen Augenblicken, sagte Kahlyn zu ihren Kameraden. „Bleibt nicht in ihrem Blut liegen.“ Sie stand schwankend auf und half denen die es alleine nicht schafften. Mit Cankats und Rashidas Hilfe brachte sie ihre Kameraden dazu aufzustehen. Keiner von uns war in der Lage, diesen Kindern zu helfen. Wir standen fassungslos da, konnten nicht glauben, was wir eben erlebt hatten. Kahlyn, Cankat und Rashida, führten ihre Kameraden aus diesem See voller Blut und über den Wall, der sich aus Leichen vor ihnen gebildet hatte. Hinüber an eine Wand, an der sie sich ausruhen konnten. Dort blieben die meisten von ihnen über eine halbe Stunde sitzen, zu nichts mehr fähig. Erbrachen sich und zitterten am ganzem Körper. Die meisten bekamen kaum noch Luft, genau wie Rudi vorhin und auch Cankat, Kahlyn und Rashida ging es nicht besser. Nur die Drei, konnten sich irgendwie schneller wieder fangen oder hatten sich besser unter Kontrolle. Oder sie zwangen sich einfach dazu, ich weiß es nicht. Nach zehn Minuten allerdings, zwang sich Kahlyn auf zu stehen und ging in die Taiji Atmung. Versorgte, zusammen mit Cankat und Rashida alle Verletzten, nicht nur die von unseren Teams, Heinz. Sie versorgte auch die, von der Gruppe Romanik, die diesen Kampf überlebt hatten. Der Elitesoldaten, die sie zu diesem furchtbaren Kampf, gezwungen hatten. Als sie damit fertig war, ging sie einfach weg. Ich hab sie fast eine Stunde gesucht. Sie saß abseits, von allem an einer Wand. Zitterte und war überhaupt nicht mehr ansprechbar. Im Einsatzlager angekommen, dachte sie als erstes an die anderen. Sie ordnete an, dass jeder von uns ein Medikament bekam, mit Langzeitwirkung. Damit wir nicht so, unter den Folgen dieses Einsatz leiden mussten. Erst als wir in der Soko ankamen, erfuhren wir von ihrer Freundin Rashida, das sie wären des gesamten Einsatzes, hohes Fieber hatte. Ihre Verletzungen Heinz, hat Doko Jacob erst sechs Stunden später versorgen können. Das ist das Mädchen, die du als Hure, als Missgeburt und eklige kleine Kröte beschimpft hast“, er sah Heinz an, mit einen Ausdruck in den Augen, der eine Mischung aus Hochachtung und Verzweiflung war. „Das Mäuschen hasst es zu töten, das weiß ich schon lange. Muss sie es tun, um andere zu schützen, um zu verhindern, dass Rudi und ich sterben, dann zerbricht sie daran. Ohne Kahlyn und ihre Kameraden, hätten wir da unten keine Chance gehabt, absolut keine. Deine Tochter, wäre jetzt eine Witwe, deine Enkeltochter eine Halbwaise. Wir wären ins offene Messer gelaufen, wenn wir der Taktik dieses Hunsinger gefolgt wären. Wenn Kahlyn, nicht mit allen Mitteln versucht hätte, das zu verhindern“, verzweifelt rieb sich John das Genick. Seine Schwiegereltern ansehend, dann seine Frau und sprach dann sehr leise weiter. „Als wir zu euch nach Hause kamen, sah sie die ganzen Geweihe an der Wand hängen. Sie sah mich entsetzt an, mit einen Zittern in der Stimme, sagte das Mäuschen zu mir. „Warum, haben sie die armen Tiere getötet, John? Die haben doch niemanden etwas getan.“ Heinz sie konnte nicht begreifen, dass jemand unschuldige Tiere tötet, um die Geweihe an die Wand zu hängen“, Wut stand in Johns Augen. „Das Mäuschen, was stets verhindern will, das Unschuldige sterben, sah die vielen toten unschuldigen Tiere, bei dir an der Wand hängen. Tiere, die dir nichts getan hatten. Kannst du dir vorstellen, was das Mäuschen von dir gehalten hat. In ihren Augen, bist du ein Mörder von Wesen, die keine Chance haben sich zu verteidigen. In ihren Augen bist du nicht besser, als dieser Friedrich, der seine Soldaten aus purem Egoismus, in den Tod schickt. Weil er nicht aufgeben will, weil er beweisen wollte, das er der Stärkere ist“, John fiel es immer schwerer ruhig zu atmen, er steigerte sich immer mehr, in seine Wut hinein. „Aber das reichte noch nicht Heinz, um dem Fass die Krone aufzusetzen, habt ihr sie dann noch beschimpft. Als Mörderin, als Barbarin, als Schlächterin und weiß der Teufel, welche schlimmen Worte ihr noch gebraucht habt. Habt sie als Irre bezeichnet, als unzurechnungsfähiges, verantwortungsloses und wahnsinniges Balg, der du bei lebendigem Leibe die Haut abziehen willst. Habt sie beschimpft auf eine der gemeinsten Arten, die ich je in meinem Leben gehört habe und erleben musste. Was verlangt ihr eigentlich, von diesem kleinen Mäuschen, die in dieser Welt überhaupt nicht klar kommt“, wütend schaute John, seinen Schwiegereltern und seine Frau an. Auch, wenn er wusste, dass es den Falschen traf, er musste seiner Wut irgendwie Luft machen. „Das sie Euch, dann doch noch die Hand gegeben hat, Heinz, das grenzt an ein Wunder. Auch das zeugt von ihrem großen Herzen, von ihrer Fähigkeit etwas für andere zu tun. Die gab sie dir nur, um mir zu danken. Ich mag euch und dadurch habt ihr euch etwas Vertrauen verdient, nur deshalb hat sie euch die Hand gegeben.“

Schwer atmend hielt sich John am Tisch fest. Er saß schwankend da und versuchte sich wieder zu beruhigen. Diesmal jedoch wollte es ihm nicht mehr gelingen. John war alles zu viel. Auch bei John forderte jetzt der Einsatz seinen Tribut. Er wurde ausgeknockt.

„Viola, ich glaube, ich brauche jetzt auch eine Spritze. Es ist schon schlimm es zu erleben, darüber zu sprechen ist die Hölle. Ich glaube, sonst drehe ich heute noch durch und tue etwas, dass ich hinterher bereue“, bat er auf einmal ganz leise um Hilfe.

John war schneeweiß im Gesicht und begann zu würgen, hatte schlimme Atemnot. Er fing genau wie Rudi, am ganzen Körper zu zittern an. Jo holte das Etui, nochmals aus dem Koffer und reichte seiner Frau die Spritze, Viola spritzte wie John vorhin bei Rudi, das Mittel in die Halsschlagader. John versuchte auf zustehen. Es ging nicht mehr. Jo half ihm zusammen mit Viola, so schwankte er mehr, als das er ging, zum Sofa. Dort ließ sich John einfach fallen und drehte sich zur Lehne um, er wollte niemanden mehr sehen. Krämpfe schüttelten seinen Körper und das Zittern wurde immer schlimmer. Erst nach reichlichen acht Minuten, so lange hatten ihn die Krämpfe fest im Griff, erreichte ihn endlich der erlösende Schlaf. Die Spritze hatte endlich ihre Wirkung getan. Fassungslos sah Carmen, zu ihren Mann, dann zu den anderen.

 

Jo, rieb sich müde das Gesicht. „Was willst du jetzt von mir hören, Carmen?“, er sah zur Frau seines Freundes. „Das nichts von dem, was John erzählt hat, wahr ist? Den Gefallen kann und will ich dir nicht tun. Ich denke es ist alles wahr, jedes einzelne Wort. Ich denke aber auch, dass John vieles weg gelassen hat, was er uns überhaupt nicht erzählen konnte. Weil es noch schlimmer ist, als das bereits gehörte. Carmen, eins weiß ich, aus meiner eigenen Erfahrung, dass es richtig war es zu sagen, sonst dreht man irgendwann durch. Auch John, braucht mal ein Ventil. Heinz, die Wut die John auf dich hatte, war nicht persönlich gemeint, er musste sich nur einmal richtig Luft machen. Nehm es deinen Schwiegersohn nicht übel“, er sah sein Veilchen an, die genau wusste, was er meinte.

„Carmen, auch dein Mann, kann die Last dieses Berufes, nicht auf Dauer allein tragen“, erklärte Viola der Patentante ihrer Kinder. „Er hat dich seit über zwei Jahren aus allem heraus gehalten. Weil du es mit Ramira, schon schwer genug hattest. Aber jetzt braucht er deine Hilfe. Jetzt musst du, für ihn da sein. Jo, hat auch einige schlimme Einsätze, hinter sich gebracht. Aber keiner, war so schlimm wie der über den John gerade gesprochen hat. Ich habe Jo damals genauso auffangen müssen. Jetzt musst du John auffangen, lass ihn in Ruhe, wenn er seine Ruhe haben will. Aber sei für ihn da, wenn er weint“, rät sie, der immer noch entsetzen Carmen.

Jo, der sich schon denken konnte, was in Carmen vor sich ging, versuchte sie daran zu erinnern, wen sie geheiratet hatte. „Carmen, was dachtest du, was dein Mann macht? Du hast keinen Bäcker oder Schlosser geheiratet. Du wusstest, was auf dich zukommt. Als dein Mann sich, vor acht Jahren beim SEK beworben hatte. Spätestens nach der Ausbildung, konntest du ahnen, was auf ihn zukam. Carmen, du bist nun mal, mit einem Polizisten verheiratet. Wir haben fast täglich, mit solchen Dingen zu tun. Glaubst du etwa, der Tot ist neu für John. Wir gehen jeden Tag mit dem Tod zusammen auf Streife. Wir haben nicht nur einen Kollegen sterben sehen. Johns Freund Charly ist nicht an Altersschwäche gestorben, Carmen, er starb in den Armen, seines besten Freundes, nämlich in denen von John. Weißt du, wie fertig John danach war, dass er Charly nicht retten konnte. Das war schon schlimm genug. Dem Himmel sei Dank, werden wir nicht jeden Tag dazu gezwungen, selber zu töten. Es ist immer noch, das letzte Mittel. So wie bei diesem schrecklichen Einsatz. Bei dem es, so denke ich mir, nachdem, was John erzählt hat, ums blanke Überleben ging. Aber, wenn wir es tun müssen, dann macht es uns fertig. Wir wollen Leben beschützen. Wir wollen alle nicht töten.“

Endlich konnte sich Carmen, aus ihrer Starre lösen. Sie nickte und stand auf, ging zu ihrem John. Setzte sich einfach zu ihm. Zog ihn zu sich und nahm John in ihre Arme.

„Mutti, nehmt ihr Ramira mit zu Euch? Ich möchte hier warten, bis John von alleine aufwacht“, endlich, hatten sich auch Sophia und Heinz gefangen.

Sophia sah traurig zu ihrer Tochter. „Natürlich Carmen, nehmen wir Ramira mit zu uns. Sie ist ja noch krankgeschrieben, muss also noch nicht in die Schule. Kommt erst einmal, mit euch klar“, erklärte sie bestätigend.

Heinz musste sich nach dem Gehörten, erst einmal Luft machen. „Jo, wie kann die Kleine, da noch normal sein? Ich dachte gerade, ich drehe durch und habe das nur gehört. Wie soll John, damit klar kommen? Wie kann ich ein kleines Mädchen, das so viel Grausames erlebt hat, wie Kahlyn, davon überzeugen dass ich nicht, wie dieser Friedrich bin. Das ich nicht gerne töte. Jetzt kann ich verstehen, warum sie mich so verachtet“, müde stützte, der leidenschaftliche Förster und Jäger, seinen Kopf mit den Händen ab. „Ich verstehe die Welt nicht mehr“, setzte er noch müde nach.

Jo, stand auf und ging zum Schweigervater seines Freundes. Setzte sich auf den Stuhl, auf dem vor kurzem noch John gesessen hatte. „Heinz, die Kleene war heute zu nichts mehr zu gebrauchen. Ich glaube nicht, dass sie dich wirklich verachtet. Aber, bedenke in was für einen Zustand sie war. Sie wurde seit Wochen, systematisch vergiftet. Sie läuft seit Wochen am Limit. Ist von einem Horror, in den nächsten gekommen. Kahlyn hatte seit dem sie in Gera ist, ständig hohes Fieber, auch gestern, als sie diesen Horroreinsatz leitete. Lass sie schlafen, ich rede noch einmal mit ihr. Sie ist immer offen für Erklärungen. Aber nicht heute, da würdest du auch von der Kleenen zu viel verlangen. Sie ist einfach nur fertig. Kannst du dir vorstellen, wenn Rudi und John, schon so aus dem Latschen kippen, wie es in der Kleenen zurzeit aussehen muss? Glaube mir eins, wir sind hier mit ihr durch die Hölle gegangen, die ersten Tage. Du kannst dir nicht vorstellen, was hier abgegangen ist, als sie Jennys Puppensammlung sah. Die Kleene hat Dinge erlebt, dagegen ist der Einsatz gestern, einfach ein Spaziergang gewesen. Er war bestimmt nicht schön, aber nichts gegen das, was die Kleen schon alles erleben musste. Sie sagt nicht für umsonst, das sind keine schlimmen Träume. Wir dachten die letzten Wochen, nicht nur einmal, dass wir wahnsinnig werden. Diese Kinder kennen nichts als Kampf, Tot, Schmerz und Grauen. Wenn du sie mit normalen Sachen konfrontierst, bekommen sie Panik, weil sie nicht verstehen, wie es funktioniert. Dagegen sind die hysterischen Anfälle, von Ramira, nur lachhaft. Kahlyn, hat nicht nur einmal die Männer aus Rudis Team mit Schreikrämpfen und Ausrastern an den Rand, des Aushaltbaren gebracht. Wir wollten mit Kahlyn, ein paar zivile Sachen kaufen, sie hat doch nur ihre die Dienstbekleidung…“, Jo erzählte, was im Kaufhaus und danach passierte. Berichtete von der Panik, die Kahlyn am nächsten Tag erfasst hatte, nur weil man ihr zwei Teddys ins Bett gelegt hatte, um ihr eine kleine Freude zu machen.

„Heinz kannst du verstehen, dass die Kleene, einfach nur etwas Zeit braucht. Lasst ihr Zeit sich an euch zu gewöhnen. Dann wird sie auch verstehen, dass du nicht aus lauter Lust mordest. Sie braucht einfach mehr Zeit.“

Heinz, Sophia und auch Carmen nickten. Jo, hat recht. Man würde Kahlyn, einfach die Zeit lassen, die sie brauchte, um alle drei in Ruhe kennen zu lernen.

„Glaubt mir, sie wird es lernen. Vor drei Wochen hätten wir von ihr, auch keinen Kuss bekommen. Sie hätte sich mit uns nicht mal unterhalten. Viola, die immer schnell Zugang zu Kindern findet, hat sie überhaupt nicht an sich heran gelassen. Rudi, John und mich, dagegen fast sofort, weil wir eine Sprache sprechen, die sie kennt. Sie hat uns, genauso ignoriert wie euch. Das wird schon“, beruhigte Jo die Drei. Dann kam ein Lächeln, in sein Gesicht. „Zu John allerdings, hatte sie vom ersten Tag an Vertrauen gehabt. Keine Ahnung warum? Die beiden haben von Anfang an, ein freundschaftliches Verhältnis. Er war oft der Einzige, der Kahlyn beruhigen konnte. Der Einzige, den sie überhaupt noch an sich heran lies. Der sie während der Anfälle beruhigen oder wenigstens halten konnte. Ich glaube, sie sieht in ihn so etwas wie einen großen Bruder, der sie beschützt. Ich glaube, schon wegen John, habt ihr eine gute Chance. Macht euch also nicht verrückt.“

Lange noch diskutierten die Fünf. Über das, was John, Rudi und Kahlyn wohl erlebt hatten. Kurz vor halb 7 Uhr am Abend, setzten Jo und Heinz, John, der fest schlief, auf einen Stuhl und hielten ihren schlafenden Freund fest. Während die Frauen und Jenny, das Sofa auszogen, damit Carmen und John dort schlafen konnte. John, der das alles überhaupt nicht mitbekam, wurde dann wieder in das gemacht Bett gelegt. Kurze Zeit später, fuhr Ramira mit ihren Großeltern nach Hause. Die Drei wollten nicht bei den Runges zu Abend essen. Carmen dagegen aß mit den Runges und ihren Kindern Abendbrot. Im Anschluss, nach dem die Kinder in ihren Zimmern verschwunden waren, unterhielten die drei Erwachsenen noch über viele Dinge, die sie mit Kahlyn in den letzten Wochen erlebt hatten.

Kurz vor 23 Uhr, lagen alle, müde und zerschlagen im Bett. Schliefen mehr oder weniger schnell ein. Alle Drei hatten einen unruhigen und nicht sehr erholsamen Schlaf. Das Gehörte, beschäftigte sie selbst in ihren Träumen noch.

 

In den frühen Morgenstunden, es wurde schon langsam hell, erwachte ich. Völlig desorientiert, schweißgebadet und am ganzen Körper zitternd, sah ich mich um. Erfreut stellte ich fest, dass ich Inti und Ruvijo in den Armen hielt. Ich war also zu Hause, bei den Runges. Erleichtert atmete ich auf. Ich war froh, dass es nur ein schlimmer Traum war, der mich geweckt hatte. Langsam stand ich auf, nahm meine Brille und lief nach unten in die Küche. Verdammt hatte ich schlimmen Durst. Erstaunt sah ich, dass dort John und Carmen schliefen. Da ich mich nicht traute in der Küche zu sitzen zu bleiben, nahm ich mir eine Tasse Wasser und ging hinaus in den Garten. Dort jedoch war es kalt und windig. Deshalb sah ich mich nach einer windgeschützten Ecke um und schloss leise die Tür. Ganz hinten auf der Terrasse entdeckte ich eine Ecke, in der es fast windstill war. An diesen Platz setzte ich mich geschützt und fast vollständig verdeckt hin, um Ruhe zu finden. Ich wollte nicht wieder, nach oben gehen ins Bett. Im Zimmer würde ich nur wieder anfangen zu grübeln. Hier draußen hatte ich wenigstens genügend Ablenkung, konnte die Vögel beobachten und auch die Katze. Ich wollte einfach nur die Ruhe genießen und die frische Luft, eine Luft, die nicht nach Blut und nach Tod roch. Frierend zog ich die Beine an den Körper und umschlang sie mit den Armen und legte mein Kinn drauf. Vor mich hin grinsend, beobachtete Tiger beim Toben auf der Wiese. Der rannte, wie von einer Herde Hunde gescheucht, immerzu hin und her.

Auf einmal entdeckte mich Tiger und kam zu mir gelaufen. Er umschlich mich und rieb sich an meinen Beinen. Dann begann er mich zu stupsen, als wenn er mir sagen wollte, mach mal Platz für mich. Ich tat ihm also nach einer Weile den Gefallen und lehnte mich mit den Rücken an die Wand. Genau in die Ecke hinein. Kaum dass ich mich an die Wand gelehnt hatte, legte er sich auf meinen Schoss und rollte sich dort zusammen. Es war so ein schönes Gefühl mit der Katze zu schmusen. Tiger schmiegte sich an mich und legte seinen Kopf auf sein Pfötchen und sah mich an. Gedankenverloren streichelte ich Tiger und graulte ihn hinter den Ohren. Sein Schnurren beruhigte meine immer noch überreizten Nerven. Trotzdem sein ganzer Körper beim Schnurren vibrierte, ließ gerade dadurch das Zittern bei mir nach. Das war komisch je mehr Tiger schnurrte und je mehr er vibrierte, umso ruhiger wurde ich. Dieses Schnurren löste die Verspannungen in mir und das Zittern hörte nach einer Weile völlig auf und nicht nur deshalb, weil Tiger mich wärmte. Seine Ruhe tat mir gut und ich schlief noch einmal ein. Kurz nach 6 Uhr 30, fing es an zu regnen, das bekam ich allerdings nicht mehr mit. Die Ruhe und die Wärme der Katze, vor allem deren Schnurren, ließen mich die ersehnte Ruhe und vor allem den erholsamen Schlaf finden.

Viola die kurz nach 6 Uhr in die Küche gekommen war, machte den Kindern ganz leise ihr Frühstück. Kurze Zeit später wurden auch Carmen und Jo munter und standen auf. Sie setzen sich an den Frühstückstisch und begannen mit dem Frühstück. Rudi und John wachten erst kurz nach 9 Uhr auf. Rudi ging, bevor er etwas anderes machte, hoch in das Zimmer in dem ich immer schlief. Fand dieses allerdings leer vor. Er ging zurück in die Küche.

„Guten Morgen“, grüßte er.

Erleichtert stellten Jo und Viola fest, dass es ihm wieder besser ging, als gestern Abend, ebenso wie John.

„Wo ist die Kleene? Sagt bloß, die duscht schon wieder?“, fragte Rudi lachend.

An den erschrockenen Gesichtern der Freunde sah er, dass diese nicht der Fall war.

„Ist die Kleene denn nicht oben im Bett?“, erwiderte Jo verwundert.

Rudi jedoch schüttelte den Kopf. „Nein, da war ich gerade, ihr Bett ist leer.“

Erschrocken wurde das ganze Haus durchsucht. Man lief auch hinaus auf die Terrasse und den Garten, doch mich übersah man. Zusammengerollt lag ich verdeckt von einem großen Blumentopf voller Fuchsie, die buschig bis zur Erde hingen und auch von Tiger, der immer noch bei mir lag und ebenso fest schlief wie ich. Dadurch lag ich fast vollständig verdeckt in einer Ecke, in der man mich nicht sehen konnte. Nichts ahnend, dass ich von allen gesucht wurde und wieder einmal alle in Aufruhr versetze, schlief ich seelenruhig bis gegen 16 Uhr.

Erholt wachte ich auf, von einem Lachen geweckt. Verschlafen, sah ich in die Richtung, aus dem das Lachen kam. John hockte vor mir und schüttelte den Kopf. Hinter ihm standen Jo, Carmen, Rudi und Viola. Alle starrten mich entgeistert an.

Ich setzte mich auf. „Was ist?“, fragte ich ganz verschlafen.

John hielt mir die Hand hin und half mir auf. „Komm erst einmal rein, Mäuschen. Hier draußen ist es doch kalt“, meinte er immer noch den Kopf schüttelnd.

„Was ist?“, wollte ich noch einmal von ihm wissen, diesmal jedoch in Gedanken.

John hat die Verbindung wieder aufgemacht. Wir gingen alle in die Küche. Viola holte mir eine Tasse heißen Tee und reichte den anderen einen Kaffee. Ich verstand gar nicht, warum mich alle so anstarrten. Ja klar, ich war nur in Bustier und Turnhose, aber das war ich doch oft.

„Warum gucken, alle so komisch?“, fragte ich John jetzt noch einmal.

In Gedanken fing er an zu lachen. Es war ein richtig tiefes von innen kommendes, ein befreiendes Lachen. Immer verwirrter wurde ich.

„Verdammt, was guckt ihr alle so“, entfuhr ich diesmal laut.

Rudi zog mich auf seine Knie, nahm mich in den Arm und drückte mich einfach. Sagte dann ganz leise. „Kleene, du schaffst es immer wieder, uns in Panik zu versetzen.“

Erschrocken sah ich ihn an. „Ich habe doch gar nichts gemacht.“

Jetzt lachte auch Rudi.

„Ihr seid albern, ich gehe jetzt duschen, mir ist kalt“, brummte ich und wollte aufstehen.

Rudi hielt mich fest und lachte einfach weiter. Viola stand auf und legte mir eine Decke um die Schulter.

„Kleene, weißt du, dass wir dich jetzt seit sieben Stunden suchen. Alle Toniwagen in Gera halten nach dir Ausschau.“

Ich schüttelte den Kopf. „Ich war doch gar nicht weg. Ich konnte nur nicht mehr schlafen, weil ich einen schlechten Traum hatte. Außerdem hatte ich Durst. Da bin ich in die Küche gegangen und habe mir etwas zu trinken geholt. Da lagen John und Carmen. Ich wollte die nicht stören, da bin ich auf die Terrasse. Aber es war so windig und kalt, also hab ich mir eine geschützte Ecke gesucht“, erklärte ich. „Dann kam Tiger, hat mit mir geschmust und mir ein Lied gesungen. Tut mir leid, ich bin noch einmal eingeschlafen. Tut mir wirklich leid“, entschuldigte ich mich jetzt.

John schüttelte den Kopf. „Du musst dich nicht entschuldigen, Mäuschen. Langsam müssten wir doch wissen, dass du immer in irgendeiner der Ecke schläfst. Die Verbindung hat mich dann zu dir geführt. Das ist eine gute Sache, nur ist mir das wirklich, eben erst eingefallen. Du bist echt eine Maus.“

Ich zuckte mit den Schultern. „Ihr wisst doch, dass ich nicht weglaufe. Wenn dann gehe ich höchstens zur Wache. Wo soll ich aus sonst hin?“, fragte ich verwundert. „Ich kenne doch niemanden und in die Schule, will ich nicht mehr“, erklärte ich trotzig.

Rudi wuschelte mir den Kopf. „Ach Kleene du bis mir schon eine, wann lerne ich es endlich, wie du zu denken. Ich hab wirklich gedacht du bist weggelaufen.“

Böse sah ich ihn an.

„Kleene, schau mich doch nicht gleich wieder so böse an.“

Ich war aber böse, vor allem wütend auf Rudi. „Wann lernt ihr endlich, mir zu vertrauen?“, fragte ich aufgebracht, die Wut trieb mir Tränen in die Augen. „Nie habt ihr Vertrauen zu mir, das nervt mich langsam“, setzte ich noch wütender hinterher.

Beim letzten Wort stand ich auf und ließ die Decke einfach auf den Boden fallen. Als mich Rudi festhalten wollte, drehe ich mich blitzschnell aus seiner Reichweite und ging nach unten in die Dusche. Dann hoch in mein Zimmer, zog mich an und setzte mich auf das bereits gemachte Bett. Ich war wütend auf die da unten, weil sie mir unterstellen wegzulaufen. Ich hatte doch gar keinen Grund. Was konnte ich dafür, dass ich noch einmal eingeschlafen war? Was war da Schlimmes dran? Auf einmal klopfte es leise, die Tür ging einem Spalt auf und Rudi steckte seinen Kopf herein.

„Darf ich reinkommen?“, erkundigte er sich vorsichtig.

„Warum nicht?“, antwortete ich Schulterzuckend.

Lachend kam er an mein Bett und setzte sich einfach zu mir. „Kleene, warum bist du gleich wieder so sauer?“, er nahm mich in den Arm.

„Ich bin nicht sauer, Rudi. Nur wütend“, schaute ihn dabei an.

„Warum denn, Kleene?“

„Weil ihr mir einfach nicht vertraut. Warum soll ich weglaufen? Ich bin einfach nur eingeschlafen“, wütend sah ich ihn an.

Rudi schaute mich lächelnd, vor allem entschuldigend an. „Es ist aber auch schwer mit dir. Kein normaler Mensch kann dort schlafen, wo du schläfst. Wie sollen wir darauf kommen, dass du in irgendeiner Ecke liegst? Guck mal meine Kleene. Du warst nirgends im Haus zu finden. Was hättest du, an unserer Stelle gedacht?“, fragend sah er mich an mit einem Blick, dass ich lachen musste und so kuschelte ich mich an Rudi.

„Du hast ja recht, aber warum soll ich weglaufen? Mir geht es doch gut hier, vor allem, wo soll ich hin?“

Jetzt lachte auch Rudi. „Hast ja recht meine Kleene, aber mal was anderes. Sag mal wie geht es dir, wieder besser?“

Ich schielte zu ihm hoch. „Es geht so. Langsam geht das Fieber runter. Darf ich dich mal etwas fragen Rudi?“, lenkte ich ab, weil ich nicht darüber reden wollte.

Rudi sah mich an. „Kleene du kannst mich immer alles fragen, das weißt du doch.“

Einen schweren Kampf kämpfte ich mit mir, ich wusste nicht wie ich das formulieren konnte, was mich seit Stunden oder besser gesagt seit Tagen, schwer beschäftigte. Dann beschloss ich einfach zu sagen, was mir so auf die Seele drückte.

„Rudi, darf ich für immer bei euch bleiben. Ich möchte nicht mehr weg hier, bitte“, bat ich ihn, den Tränen nahe. Ich fühlte mich das erste Mal in meinem Leben wohl und hatte wirklich das Gefühl geliebt zu werden. Rudi sah mich mit einem Blick an, den ich so noch nie gesehen hatte. 

„Natürlich, du kannst wenn du willst für immer hier bleiben, meine Kleene. Das ist jetzt dein Zuhause. Egal, was passiert, hier wirst du immer eine Familie, vor allem ein Zuhause haben. Genau wie ich“, zufrieden kuschelte ich mich an ihn. Das war schön, dann wusste ich wenigstens, wo ich hin gehöre.

„Rudi, geht es dir eigentlich wieder gut. Was war auf einmal los, gestern Abend?“, fragte ich, weil mir die Gedanken von John durch den Kopf gingen, der die Verbindung, wieder hergestellt hatte.

„Wie gestern Abend?“ Irritiert musterte mich Rudi.

„Na John, musste dir doch eine Spritze geben. Warum? Was war denn los mit dir?“

Rudi wurde ganz blass. „Woher weißt du das Kleene?“

Verwundert sah ich ihn an. „Na durch die Verbindung, die ich jetzt mit John habe. Daher weiß ich, dass du gestern fast durchgedreht wärst und John auch. Ich verstehe nur nicht warum?“

Rudi zog mich hoch in seine Arme, so dass ich ihn ansehen musste. „Kleene, wir sind noch nie bei so einen Kampf gewesen. Als ich mich mit Johns Schwiegervater gestritten haben, ist mir auf einmal klar geworden, was ich getan habe. Weißt du, was komisch ist?“

Nickend antworte ich ihn. „Ich glaube ich weiß, was du denkst Rudi und was du gefühlt hast. Dir wurde auf einmal klar, dass du nicht diese Leute hasst, sondern die Schuld bei dir suchst. Weil diese Leute dich gezwungen haben zu töten. Dass du dich dafür hasst, was du tun musstest, um dich selber und deine Kameraden zu schützen. Weil du keinen anderen Weg gefunden hast, diese Menschen, vor sich selber zu schützen.“

Rudi starrt mich an. „Ja genau, woher…?“

Ich unterbrach ihn. „Rudi, das ist der Grund, warum ich bei Conny damals so ausgerastet bin. Das ist der Grund, weshalb ich meine Ruhe, nach solchen Einsätzen brauche. Es geht nicht nur dir so, sondern allen, auch mir. Ich hasse solche Einsätze. Vor allem, hasse ich mich dafür, dass ich diese ganzen Menschen nicht retten konnte. Was denkst du, warum ich dieses hohe Risiko eingegangen bin, um mit Friedrich zu verhandeln. Weißt du eigentlich, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass man bei solchen Provokationen getötet wird."

Rudi starte mich an und wollte es wahrscheinlich gar nicht wissen.

"Die Wahrscheinlichkeit Rudi liegt bei fast achtzig Prozent. Aber ich wollte es wenigstens probieren. Obwohl ich wusste, das Friedrich sich nicht darauf einlassen würde. Ich kenne Friedrich sehr gut und ich wusste wie Friedrich tickt. Rudi, er hat fast fünf Jahre versucht, uns seine Denkweise einzuprügeln. Deshalb wollten Rashida und meine Freunde nicht, dass ich das mache. Sie hatten mir alle davon abgeraten. Trotzdem wollte ich es versucht. Weil ich so wenigstens weiß, dass es keine Alternative mehr dazu gab. Dass dies der einzig gangbare Weg gewesen war.“

Ich rieb mir den Nacken. Der Kampf war für mich noch lange nicht vorbei, die Bilder würden mich noch lange verfolgen. Dem Himmel sei Dank, hatten wir nicht häufig, solche extrem schlimmen Einsätze. Ich würde dran kaputt gehen. Noch immer verfolgte mich Prag, Albanien, oder der Horror von Chile, der erst reichliche zwei Jahre her war. Der Kampf gestern, war nicht viel besser. So vermischen sich mit die neuen Bildern von gestern, mit den alten Bildern, von den vergangen schlimmen Kämpfen. Es kamen Erinnerungen wieder hoch, die noch schlimmer waren, als das gestern Erlebte. Rudi beobachtete mich von der Seite, weil ich nervös mit meinen Fingern anfing zu spielen. Auch weil ich einfach nicht weiter sprach.

„Was ist los Kleene, ein Königreich für deine Gedanken.“

Verwirrt schaute ich, zu ihm auf.

„Auf welcher Wolke, warst du jetzt, meine Kleene?“, lachte er mich an.

Traurig sah ich auf meine nervös spielenden Finger. „Das willst du gar nicht wissen, Rudi. Lieber nicht“, flüsterte ich mehr als das ich, das laut sage. Um von dem Thema abzulenken, sage ich stattdessen. „Kannst du dir jetzt vielleicht vorstellen, wie schlimm es für mich war. Als ich mich dann, für das, was ich getan habe, vor Max und den anderem im Team noch rechtfertigen musste. Damals nach dem Einsatz bei Conny. Erklären zu müssen, warum ich das getan habe, was ich tun musste. Du hast bestimmt gedacht, die macht nur Probleme und klappt ständig ab. Aber glaube mir, man kann das nicht begründen. Könntest du erklären, warum du gestern all die Menschen töten musstest? Ohne dabei zusammenzubrechen. Ich kann das nicht, Rudi. Wirklich nicht“, müde rieb ich mir das Gesicht und den schmerzenden Nacken. „Es ist schon schlimm, Rudi, jede Nacht davon zu träumen. Aber ich mag nicht darüber reden. Auch deshalb bin ich das hohe Risiko eingegangen. Vor allem auch deshalb, um mir nicht wieder vorwerfen zu lassen, ich hätte Spaß am Töten. Die Worte von Max haben mich sehr verletzt. Deshalb bat ich Cankat und die Anderen, sie sollen euch mitzuteilen, was ich Friedrich sage und was, er mir antwortet. Damit es nicht wieder heißt, ich töte gerne. Mir würde das töten nichts ausmachen. Aber ich glaube, nicht nur du hast jetzt begriffen, wie furchtbar es ist, so etwas zu tun zu müssen.“

Rudi streichelte mir das Gesicht. „Du hast Recht meine Kleene. Ich denke wir haben es alle begriffen. Nun komm noch ein bisschen mit nach unten, es tut dir doch nicht gut, hier oben alleine zu sitzen und zu grübeln.“

Ich schüttelte den Kopf. „Rudi bitte, mir ist absolut nicht nach Gesellschaft. Ich möchte gern alleine sein. Ich muss erst einmal mit mir selber klar kommen. Sonst passiert das Gleiche, was gestern passiert ist. Ich tue Menschen Unrecht. Denkst du ich weiß nicht, wie sehr ich Heinz Unrecht getan habe, mit meinen Worten“, traurig sah ich Rudi an, als dieser etwas sagen wolle, schüttelte ich wieder den Kopf. „Rudi, ich weiß, dass ich böse Worte gegen ihn gesagt habe. Gegen einen Menschen, den ich nicht einmal kenne. Ich habe genau das gemacht, was ich ihm vorgeworfen habe. Nur Rudi, ich konnte mit ihm nicht reden. Nicht gestern und nicht mit der verdammten Wut die ich in meinem Bauch nach solchen Einsätzen habe. Verstehe das bitte. Ich kenne ihn doch überhaupt nicht. Du weißt wie schwer es mir fällt, mich an neue Leute zu gewöhnen. Seit vier Wochen, musste ich mich ständig auf neue Leute einstellen. Rudi ich bin das nicht gewöhnt. Ich habe seit dem 1. September, mehr neuen Leuten vertrauen müssen, als in den ganzen letzten sechszehn Jahren. Ich kann einfach nicht mehr. Bitte ich brauche etwas mehr Zeit, um mich hier an dieses Leben zu gewöhnen“, flehentlich sah ich ihn an. „Gebt mir einfach etwas mehr Zeit, bitte. Rudi ich bin wirklich nur hundemüde und ich fühle mich völlig ausgelaugt. Könnte permanent nur schreien vor Wut, auf diese Leute die ich nicht retten konnte. Vor Wut auf mich selber, weil ich keine Möglichkeit gefunden habe, über tausendzweihundert Leuten das Leben zu erhalten. Aus Wut darüber, weil ich genau das Gleiche mit diesem Heinz gemacht habe, wie er mit mir. Aus Wut das alles, was um mich herum plötzlich so ganz anders ist wie ich es kenne. Aus Verzweiflung, weil ich nichts davon verstehe, was hier los ist. Ich habe eine scheiß Angst davor, verrückt zu werden“, brach es aus mir heraus.

Ich legte meine Arme auf meine angezogen Knie und fing für Rudi hörbar an zu weinen und laut an schluchzen. Ich konnte einfach nicht mehr. Rudi zog mich in seinen Arm und streichelte mir den Rücken.

„Komm beruhig die meine Kleene. Glaube mir, du wirst nicht verrückt. Hab ein bisschen Geduld mit uns, wir lernen das schon. Nimm dir alle Zeit die du brauchst“, sprach Rudi beruhigend auf mich ein.

Langsam hörte das Schluchzen auf. Ich genoss einfach seine Nähe und das Festgehalten zu werden. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich ganz beruhigt hatte.

„Rudi, ich habe manchmal das Gefühl, ich falle ins Bodenlose. Mir tut deine und Johns Nähe einfach gut. Sie gibt mir Sicherheit und einen gewissen Halt. Aber glaube mir, ich sehne mich nicht nach Gesellschaft und vor allem nicht nach Gesprächen, mit Menschen die ich nicht kenne. Das Einzige nach dem ich mich wirklich sehne, ist jemanden der mich festhält, wie eine Art Rettungsanker. Der mir das Gefühl gibt, nicht alleine zu sein und der mich davor beschützt wahnsinnig zu werden. Das Gefühl habe ich nämlich im Moment. Weißt du“, versuchte ich Rudi zu erklären. „In der Schule, hatten wir kaum Zeit, zur Erholung gehabt. Seit dem ich in Gera bin, denke ich oft, das war gut so. Mir macht diese Ruhe zu schaffen Rudi.“

Verwundert musterte mich Rudi. „Wieso das? Sei doch froh das du mal etwas Ruhe hast.“

Ich schüttelte müde den Kopf. „Rudi, überlege bitte mal, wie bis jetzt mein Leben aussah. Wir sind von einem Kampf in den nächsten gekommen. Hatten oft nicht einmal so viel Zeit, dass wir schlafen konnten. Wir waren oft so müde, dass wir nicht mehr klar denken konnten. Wenn du aber, von einem Kampf in den nächsten getrieben wirst. Hast du keine Zeit über das, was war Nachdenken. Was war, ist vorbei und vor allem hast du auch gar keine Kraft mehr dazu. Du kämpfst schon, ums nächste Überleben, kurz nach dem der letzte Kampf vorbei war. Glaube mir, das ist besser so. Wenn du keine Zeit, zum Nachdenken über das Vergangen hast. Du denkst, dass der Kampf gestern schlimm war. Das war er nicht, wir haben viel schlimmere erlebt.“ Wieder rieb ich mir mein müdes Gesicht, rollte mich einfach zusammen und angelte nach Inti und Ruvijo, die mir irgendwie eine gewisse Sicherheit gaben. „Mein Hauptproblem Rudi im Moment ist, dass ich einfach zu viel Zeit habe. Rudi, Zeit, in der ich über das Geschehen nachdenken kann. In der ich nach Möglichkeiten suche und nach Varianten, wie ich den Tod dieser Menschen hätte verhindern können. Ich habe Angst eine Variante zu finden, die diese Menschen hätte retten können. Wie soll ich damit umgehen? Es macht mich verrückt, aber ich weiß nicht, wie ich das verhindern kann. Früher habe ich diese Kämpfe einfach vergessen können, weil der nächste mich schon wieder in Anspruch nahm. Weil ich schon wieder versuchen musste, meine Leute heil aus einer aussichtslosen Situation heraus zubringen. Verstehst du Rudi, jetzt ist das anders. Dadurch dass ich kaum Zeit hatte, kamen diese schlimmen Träume nur, wenn ich krank war oder hohes Fieber hatte, jetzt kommen sie jedes Mal, wenn ich mich schlafen lege. Rudi, sie kommen jede verdammte Nacht. Ich weiß nicht, wie ich damit leben soll. Es macht mir einfach nur Angst. Ich bin auf die Terrasse gegangen, weil es dort kalt war. Der Wind hat diese schlimme Ruhe zerstört, weil ich dort Ablenkung hatte. Weil ich hier keine Ruhe mehr fand. Meine schlimmen Taten verfolgen mich und die Toten verfolgen mich. Sie lassen nicht zu, dass ich zur Ruhe komme“, verzweifelt schielte ich zu Rudi hoch. „Geb mir eine Chance, zu mir selber zu finden. Geb mir eine Chance, für mich selber einen Weg zu finden, wie ich mit diesem Mist, klar kommen kann. Sonst drehe ich eines Tages noch durch. Ich weiß, dass ich einen Weg finde, aber ich brauche einfach mehr Zeit. Ich brauche etwas Halt. Weißt du, was ich manchmal denke“, wieder schaute ich zu ihm hoch, er sah mich fragend an.

„Was ist los, meine Kleene?“ Rudi sah mich voller Angst an.

„Manchmal denke ich, dass dadurch, dass wir anders sind als ihr, wir keine Ruhe gebrauchen können. Dass es besser wäre, dass ich keine Bereitschaft und kein Frei hätte, egal was das ist. Dass ich einfach immer arbeiten sollte. Vielleicht ginge es mir dann wieder endlich etwas besser. Ich sehne mich nach der Arbeit, glaube mir. Lieber falle ich von einem Horror in den nächsten, als hier so ruhig zu liegen und zu grübeln. Verstehst du?“

Rudi nickte und streichelte mein Gesicht, wollte noch etwas sagen.

Ich schüttelte den Kopf. „Lass mich einfach schlafen Rudi, mir geht es immer noch nicht so besonders. Ich bin einfach nur todmüde. Auch habe ich schon wieder hohes Fieber. Wenn du ein bisschen Zeit hast, halte mich ein wenig in den Arm. Das tut mir so gut. Ich möchte einfach nur schlafen, ohne zu träumen.“

Rudi schob mich ein wenig zur Seite und schlüpfte aus den Schuhen. Lächelnd legte er sich neben mich und hielt mir seine Arme hin. Ich rollte mich in seinen Armen zusammen. Fühlte mich das erste Mal, seit langem völlig sicher. Vier tiefe Atemzüge, ich schlief tief und fest. Einen Schlaf durchwoben von vielen Träumen. Einen Schlaf der keine richtige Erholung brache, der die schlimme Dinge, einfach immer wieder vor meine inneren Augen erschienen ließ. Obwohl, ich sie nicht mehr sehen wollte. Durch das Gefühl der Geborgenheit, das mir Rudi gab, dem Gefühl des Beschütztseins, dem Gefühl einer Wärme, die ich nur selten in meinem Leben gespürt hatte, entspannte ich mich langsam. Es war ein wunderschönes Gefühl, geliebt zu werden, eine Familie zu haben und eine Zukunft.

 

Rudi hielt Kahlyn, über eine Stunde schlafend in seinen Armen. In dieser Zeit durchliefen immer wieder Wellen, des Zitterns den Körper des Mädchens. Auch wurde der Atem ständig wieder schneller und ging in ein rasselndes Geräusch über. Rudi hielt sie einfach fest, gab ihr das Gefühl der Sicherheit. Das Gefühl, dass sie nicht alleine war. Endlich wurden die Abstände, zwischen den Wellen größer. Als, wenn sie ausliefen und sie einen Weg gefunden hatte, von dem tiefen mit Albträumen durchwobenen Schlaf, in einen ruhigeren noch tieferen und traumlosen Schlaf zu kommen. Einen Schlaf der Erholung brachte, ohne Albträume und Grauen. Mit jedem Atemzug, wurde Kahlyn ruhiger. Nach einer weiteren halben Stunde schlief das Mädchen ruhig und ohne jegliche Regung. Gleichmäßige ruhige Atemzüge zeugten davon, dass sie endlich Ruhe gefunden hatte.

Ganz vorsichtig, ließ Rudi das schlafende Mädchen los und blieb noch eine ganze Weile beobachtend, an ihrem Bett sitzen. Er beobachtete jede Reaktion von Kahlyns Körper. Erst als er ganz sicher war, dass sie wirklich Ruhe gefunden hatte und von keiner neuen Welle erfasst wurde, erst dann stand er leise auf und deckte sie zu. Rudi nahm seine Schuhe in die Hand und verließ auf leisen Sohlen, das Zimmer. Er war erleichtert, dass seine kleine Freundin nun endlich in Ruhe schlafen konnte. Das sie vielleicht endlich einmal, etwas Erholung fand und hoffte, dass sie endlich gesunden konnte. Langsam lief er den Flur nach vorn, tief in Gedanken versunken, setzte er sich auf die oberste Stufe der Treppe. Er gönnte ihr die Ruhe, von ganzem Herzen.

Seit dem gestrigen Tag wusste er, was in diesem Mädchen vor sich ging. Er selber hatte gestern erlebe müssen, wie schmal der Grat, zwischen der Normalität und dem Wahnsinn war. Er stützte den Kopf auf die Hände und grübelte vor sich hin. Gestern Abend, als er sich mit Heinz in die Haare bekam, hatte er genau dieses Gefühl, was Kahlyn ihm vorhin beschrieben hatte. Er dachte er fällt ins Bodenlose und dass er nirgends Halt finden konnte. Je mehr er sich Mühe gab, sich zu beruhigen, umso mehr hatte er das Gefühl zu fallen. Er rang nach Atem und hatte das Gefühl zu ersticken. Keine Ahnung, was ihm davor bewahrt hatte wahnsinnig zu werden. Aber egal was es war, er war dankbar dafür. Heute war es nicht mehr so schlimm, darüber nachzudenken. Gestern allerdings, wurde ihm innerhalb weniger Sekunden bewusst, was er getan hatte. Es war die Hölle. Vieles, was Kahlyn ihnen in den letzten vier Wochen erzählte, sah er heute aus einem anderen Blickwinkel. Es hatte alles auf einmal, eine ganz andere Bedeutung. Wieso fragte er sich auf der Treppe sitzend, hatte sich innerhalb von wenigen Sekunden, sein Blickwinkel derart verändert? Er fragte sich plötzlich, was er diesen kleinen Mädchen eigentlich zugemutet hatte, als er sie um die Auswertung, dieses schlimmen Einsatzes bei Conny bat. Wenn er sich nur vorstellte, er müsste über den gestrigen Tag vor der Truppe reden und sich dafür rechtfertigen, warum er all die Menschen getötet hatte, packte ihm die blanke Wut. Rudi schüttelte sich. Es war unvorstellbar. Er dachte darüber nach, wie er wohl auf die Vorwürfe von Max reagiert hätte. Ehrlich musste er sich eingestehen, er hätte nicht diese Ruhe gehabt wie Kahlyn. Er hätte ihm wohl tätlich angegriffen, auf alle Fälle hätte er ihn wohl tüchtig angeschrien. Die Achtung vor Kahlyn, wurde mit diesem Eingeständnis noch größer. Sie war wirklich eine Bereicherung des Teams. Egal wie jung sie war, sie hat Größe. Entschlossen, sich von dem Erlebten nicht wieder herunterziehen zu lassen, stand Rudi auf. Strafte seine ganze Haltung und beschloss für sich, das Leben zu genießen. Es war etwas Wunderschönes. Mit einem Lächeln, ging er nach unten in die Wohnküche und zu seinen Freunden, die besorgt zu ihm sahen. Erleichtert aufatmen, als sie das Lächeln in seinem Gesicht sahen.

Jo musterte seinen besten Freund, eindringlich. „Na alles in Ordnung, mit dir Rudi?“, er traut dem Lächeln Rudis, nicht richtig über den Weg.

„Ja Jo, es ist wieder alles in Ordnung. Dank Kahlyn, ist wieder alles in Ordnung. Aber eine oder besser, gesagt zwei Fragen habe ich doch an Euch. Wem und vor allem was habe ich zu verdanken, dass ich gestern nicht durchgedreht bin? Und habt ihr die Wache angerufen, dass Kahlyn gar nicht weg war?“, stellte er gleich noch eine weitere Frage.

Jo, lachte sein schönes warmes Lachen, man hörte die Erleichterung heraus. „John hast du es zu verdanken und seiner schnellen Reaktion. Er hat dir N91 gespritzt, aus lauter Verzweiflung. Aber wie ich sehe, hat es dir geholfen. Die Wache weiß Bescheid, keine Angst Rudi. Ich hab sie schon vor zwei Stunden angerufen.“

Rudi lächelte Jo an und sah John dankend an. „Danke John, du hast bei mir etwas gut. Aber wisst ihr was, ich habe gerade ein wunderschönes Gespräch mit Kahlyn gehabt. Sie hat mir gerade so viel von sich preisgegeben und viel von ihren Gefühlen erzählt“, verwundert sah er John an.

Dieser lächelte. „Rudi, ich weiß. Ich hatte Kahlyn gefragt, ob es in Ordnung ist eurem Gespräch, beizuwohnen. Ich weiß, was sie dir erzählt hat. Ich bin froh, dass sie endlich einmal so offen zu uns war. Das gibt uns eine Möglichkeit, besser auf sie einzuwirken. Vor allem, mache ich mir jetzt wegen Heinz und Sophia nicht mehr solche Sorgen.“

Rudi begriff nicht, woher John das wusste, zu ungewohnt war diese Verbindung noch.

„Rudi, ich bin mit Kahlyn verbunden, seit der Sache mit dem Jawefan. Was Kahlyn hört, höre ich auch. Was Kahlyn sagt höre ich, sogar das, was sie denkt. Wisst ihr, was ich jetzt endlich begriffen habe?“, wandte er sich an Viola, Jo, Carmen und Rudi.

„Nein, aber du wirst es uns bestimmt gleich erklären“, sagte Viola lachend.

„Wisst ihr, warum Kahlyn so absolut ehrlich ist?“

Die Freunde schüttelten den Kopf.

„Kahlyn, kann gar nicht lügen. Nicht ohne das alle die in der Verbindung sind, es merken würden. Sie musste immer sagen, was sie denkt, weil die anderen ja ihre Gedanken hören, genau wie ich jetzt. Nur Vorgesetzten gegenüber, wie dem Mayer, log sie, aus einer Schutzhaltung heraus. Die wohl jeder von uns, heute begreifen kann. Aber ihre Freunde würde sie nie anlügen“, erleichter lachte John auf. „Es geht nicht, rot zu sagen und schwarz zu denken. Aber es ist ein ungewohntes Gefühl. Heute kann ich mir vorstellen, wie grausam es für Kahlyn gewesen sein muss, ohne diese Verbindung zu leben. Ich kenne das jetzt erst zwei Tage. Aber als sie vorhin schlafen wollte, hat sie die Verbindung getrennt, damit ich ihre Träume nicht wieder sehe. Jetzt ist eine absolute Leere in mir, so als wenn ich taub wäre. Es muss die Hölle für das Mäuschen gewesen sein. Kein Wunder also, das sie ständig diese Zusammenbrüche hatte.“

Carmen sah traurig auf ihren John.

„Carmen, es ist nicht das, was du gerade denkst. Es hat nichts mit Gefühlen zu tun, die du dir gerade vorstellst. Solche Gefühle, kennt sie gar nicht. Kahlyn, ist doch noch ein Kind. Es ist wirklich nur, als wenn man ein Teil des Hörens abgeschaltet hat. Ich werde mit Kahlyn reden müssen, wenn sie ausgeschlafen ist. Das wir diese Verbindung, nur während des Dienstes und der Einsätze nutzen, oder in Notfällen. Weil ich ehrlich sein muss, mir ist das zu viel. Aber es ist ein schönes Gefühl zu wissen, das Kahlyn ein kleiner Schelm ist. Sie viel öfter lacht, als wir uns gedacht haben. Es ist schön zu wissen, dass sie genauso viel lacht, wie wir.“

Erleichtert sah er Rudi an, weil er wusste, dass es nicht nur ihm, sondern auch Rudi besser ging. Neben der Unterhaltung, die Kahlyn mit Rudi geführt hatte, gab sie ihm auch noch einige Ratschläge. Es war ihm, immer noch unbegreiflich, wie ein Kind in Jennys Alter, ihm der schon so viele Kämpfe überlebt hatte und immer, um das töten herum gekommen war, Ratschläge geben konnte wie er mit dem Tot klar kam. Wie er mit seinem Gewissen klar kommen konnte, eigentlich müsste es anders herum sein. Vor allem, war ihm nicht klar, wie Kahlyn mit dieser Gedankenvielfalt klar kam. Das lag wahrscheinlich dran, dass sie damit groß geworden war. Ihm wurde das alles zu viel. Aber er würde sich von Kahlyn noch einmal erklären lassen, wie das mit dem Schließen richtig funktioniert. Von ihm aus, konnte Kahlyn seine Gedanken ruhig immer hören, nur er würde sich nicht immer, in ihre Gedanken einschalten können. Das war er die letzten beiden Tage, über Kahlyn erfahren musste, war einfach mehr, als er ertragen konnte. Er wusste ja, dass diese kleine Maus, viel durch gemacht hatte, aber er wusste nicht, dass es so schlimm war. Das konnte sich, so war er der Meinung, kein normal denkender Mensch vorstellen. Bewundernswert fand John an Kahlyn, deren Großherzigkeit. Was Heinz mit ihr abgezogen hatte, würde er selber seinem Schwiegervater nie verzeihen. Kahlyn hatte das bereits getan. Wollte sich sogar für ihr Verhalten, so teilte sie ihm in Gedanken mit, bei Heinz entschuldigen. Sie hatte sich in ihren Augen, völlig daneben benommen, so etwas hätte nicht passieren dürfen.

John, Rudi, Jo, Viola und sogar Carmen waren froh, dass Kahlyn nun erst einmal Ruhe gefunden hatte. Sie sprachen noch eine ganze Weile darüber, wie sie mit all dem klar kommen würde. Carmen machte von sich aus den Vorschlag, Kahlyn zu sich einzuladen. Sie wollte, dass Kahlyn in den drei Freiwochen mit ihr, John und Ramira ein paar Tage einen Ausflug macht, einfach um ihr die Möglichkeit zu geben, mit John zusammen zu sein und vor allem, auch dessen Familie besser kennenzulernen. Vielleicht, so hatte sie vorgeschlagen, würden sie auf den Zeltplatz fahren, der ihren Eltern gehörte. Da konnte Kahlyn, die Natur genießen und würde dort vor allem Ruhe finden. Erleichtert stellte Jo fest, dass alle wieder lachen konnten. So verabschiedeten sich John und Carmen, am späten Abend, es war schon kurz nach 22 Uhr 30. Die Beiden fuhren zu Carmens Eltern und anschließend nach Hause. Eine Stunde später, gingen auch die Runges schlafen.

Rudi legte sich in sein Bett und schloss die Augen. Er fiel nach einigen Minuten in einen erholsamen Schlaf. Durch das Gespräch mit dem Freunden, hatte er ein Teil des Alps verarbeiten können. Die Bilder waren nicht mehr ganz so schrecklich. Es war noch nicht vorbei. Dieser Einsatz würde ihm noch lange anhängen, aber es tat nicht mehr so verdammt weh. Was gäbe er darum so eine Tochter wie Kahlyn zu haben.

In diesem letzten Momenten vor dem Einschlafen, setzte sich eine Idee in seinem Kopf fest, die er schon eine Weile mit sich herum trug. Langsam nahm sie scharfe Konturen an. Die Idee Kahlyn zu adoptieren, dann hatte sie wirklich eine Familie und er auch. Er musste unbedingt mit Jo und Viola darüber sprechen. Mit diesem glücklichen Gedanken, schlief er ein. Durch diese Idee abgelenkt, schaffte er es völlig abzuschalten und konnte sich so richtig erholen. In Gedanken hielt er seine kleine Freundin im Arm und fand bei ihr die Ruhe, die er selber brauchte, um erholsam schlafen zu können.

 

Am nächsten Morgen kurz vor 10 Uhr wachte ich gut erholt auf. Ich fühlte mich nicht zerschlagen, sondern richtig ausgeschlafen. Dies passierte selten, kurz nach solchen Einsätzen. Das Fieber war weiter gesunken, vor allem hatte dieses innerliche Zittern aufgehört, was ich seit Wochen hatte. Wie lange, mochte Rudi, wohl bei mir gelegen haben? Fragte ich mich allem Ernstes. Denn ich wusste von Rashida, dass sie oft über Stunden bei mir lag, bevor ich diese innerliche Ruhe, für einen erholsamen Schlaf finden konnte. Ich war ihm so dankbar, diesen Schlaf hatte ich so dringend gebraucht.

Sofort nach dem aufstehen, holte ich mir neue saubere Sachen aus dem Schrank. Ich lief nach unten, um zu duschen und zog mich an. Lief strahlend wie lange nicht mehr, nach vorn in die Küche. Allerdings waren nur Rudi und Viola da.

„Guten Morgen, wo sind denn die anderen alle?“, begrüßte ich die Beiden verwundert.

„Guten Morgen meine Kleene.“

„Guten Morgen Kahlyn“, wurde ich von Viola begrüßt.

„Jo ist arbeiten, Tom und Jenny sind in der Schule und Tim im Kindergarten. Du musst schon mit uns beiden vorlieb nehmen“, erklärte mir Rudi lachend.

Verwirrt schaute ich Rudi an. „Was ist denn ein Kindergarten, schon wieder?“, überlegte ich laut, weil ich den Begriff nicht kannte.

„Kleene, das ist so etwas Ähnliches, wie eine Schule, da sind ganz viele Kinder, in Tims Alter und die können zusammen spielen.“

Ich zuckte mit den Schultern, weil ich mir das nicht vorstellen konnte. Aber es war ja auch egal.

„Kahlyn, wie viel Brei soll ich dir machen? Kleine, du hast seit zwei Tagen nichts gegessen.“

Dankbar sah ich Rudi an, der mir die Erklärung abnahm, wohl ahnend, dass Viola bei mir wieder Probleme gemacht hätte. „Viola, Doko Jacob hat Kahlyn auf Nulldiät gesetzt. Erst muss das gesamte Antibiotikum, aus Kahlyns Körper heraus. Das geht nur, wenn sie hungert. So schlimm das ist, aber es geht nicht anders. Sonst wird die Kleene, ihr Fieber nie wieder los. Mach ihr einen Tee, so hat sie wenigstens etwas Warmes im Bauch. Oder darfst du den auch nicht trinken?“ Erkundigte sich Rudi unsicher.

„Klar Tee kann ich trinken, das tut bestimmt gut.“

Viola sah mich zweifelnd an.

„Viola es ist wirklich so. Unsere Körper funktionieren etwas anders als eure. Mit Hungern werden bei uns nicht nur die Fettreserven abgebaut, sondern auch die Gifte ausgeschieden, die sich in unserem Körper befinden. Das hat uns schon einige Male, das Leben gerettet. Mach dir nicht schon wieder Sorgen um mich. Es ist zwar nicht besonders schön, aber ich verhungere erst nach mehr als achtzig Tagen und auch nur dann, wenn ich genauso lange nichts trinken kann. Also keine Angst, die vierzehn Tage machen mich nicht krank. Das ist eher so etwas, was die Tibetischen Mönche, als Heilfasten bezeichnen.“

Viola gab sich mit der Erklärung zufrieden. „Wie geht es dir meine Kleine? Warum hast du eigentlich einen Schlafanzug angezogen? Du hast doch genügend Trainingsanzüge im Schrank, die du anziehen kannst oder normale Straßenbegleitung.“

Verwirrt sah ich Viola an. „Was ist da der Unterschied, Viola?“, fragte ich sie verunsichert. „Mir gefällt, was ich an hab, das sieht hübsch aus.“

Rudi lachte, konnte er sich doch vorstellen, dass ich das wirklich nicht wusste. „Kleene, das, was du jetzt an hast, zieht man nur zum Schlafen an. Die Trainingssachen sind für zu Hause oder für den Sport. Die anderen Sachen, wenn man sich schick machen will, auf die Straße.“

Ich verstand das alles nicht. Das, was ich an hatte gefiel sehr gut mir, deshalb hatte ich es mir ja ausgesucht. Ich würde damit sogar auf die Straße gehen. Das war alles so kompliziert hier. Rudi der merkte, dass ich überhaupt nicht wusste, was man von mir wollte und erklärte mir deshalb.

„Komm mal mit Kleene. Ich erkläre dir das oben noch einmal.“

Wir stiegen die Treppe nach oben und Rudi zeigte mir genau, was ich, wo anziehen sollte. Also zog ich den Schlafanzug aus und einen Trainingsanzug an. Fertig damit gingen wir beide stolz, auf das was wir ausgesucht hatten, wieder nach unten. Viola verdrehte die Augen. Ich hätte das gar nicht mitbekommen. Rudi allerdings erkundigte sich bei ihr.

„Viola, warum verdrehst du die Augen? Ich hab die Kleene doch schick gemacht oder?“

Diese musterte mich lachend. „Na ja, grün und violett, das ist schon mal nicht so nett. Aber um vieles besser als der Schlafanzug. Ihr Männer habt halt keinen Geschmack. Ihr werdet mir die Kleine noch ganz versauen.“

Ich zuckte mit den Schultern und ging in den Flur, wo der große Spiegel hing. Drehte mich einmal um dreihundertsechzig Grad, um mich von allen Seiten zu betrachten, mir gefiel was ich anhatte. Zurück in der Küche, sagte ich das auch.

„Mir gefällt was ich anhabe“, sagte ich trotzig.

Rudi lachte schallend und Viola stimmte mit in das Lachen ein. So setzten wir uns an den Tisch und tranken Kaffee und Tee.

„Manne, immer lacht ihr mich aus“, sagte ich trotzig und zog die Füße auf den Stuhl.

Viola lachte mich an, obwohl sie das, was ich machte, absolut nicht leiden konnte. „Ach wir lachen dich doch nicht aus, Kahlyn. Schätzchen, wir finden es nur immer bewundernswert, wie ehrlich du bist. Aber, du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet. Wie geht es dir?“

Ich hielt den Kopf etwas schräg und sah Viola lange an. Dann lächelte ich ihr zu. Ich glaube sie meinte, was sie sagt.

„Mir geht es gut“, antwortete ich kurz angebunden.

„Na das klingt, aber nicht sehr überzeugend“, meinte Viola ehrlich zu mir.

„Was soll ich sonst sagen, Viola?“

Jetzt war es an ihr, mich verwundert anzusehen. „Die Wahrheit, mein Schatz.“

Lange, starrte ich auf meine Finger und kämpfte mit mir, ob ich das, was mich bewegte, sagen sollte.

„Kleene, du kannst alles sagen, was dir durch den Kopf geht. Weißt du, das hilft uns, dich kennen zu lernen.“

Unschlüssig, was ich tun sollte, gab ich mir dann einen Ruck. Vielleicht hat Rudi, ja Recht. Ich musste endlich lernen Vertrauen zu haben. Zu Rashida hatte ich das immer, mit ihr konnte ich stets, über alles sprechen. Aber die kannte ich mein Leben lang. Zu Raiko, den ich auch mein Leben lang kannte, hätte nie solch ein Vertrauen aufbauen können. Ganz leise begann ich zu erzählen.

„Es geht mir noch nicht so gut. Aber das ist immer so, nach solchen Einsätzen. Ich habe immer nach solchen Kämpfen, schlimme Probleme“, verlegen sah ich erst Rudi, dann Viola an. „Ich habe mich, auch nach dreizehn Jahren des Kämpfens, noch nicht daran gewöhnen können. Die anderen können das alles besser wegstecken, wie ich. Rashida, meine beste Freundin, sagte immer zu mir, ich wäre zu sehr Emotionsgebunden. Deshalb hätte ich ständig diese argen Probleme, um diese Kämpfe zu verarbeiten. Wisst ihr, mir tun einfach diese vielen Menschen leid. Doko Jacob hat mir einmal erklärt, dass viele von dem Menschen, die wir töten zu Hause Frauen und Kinder haben. Ich konnte mir, darunter immer nichts vorstellen. Wie denn auch“, verlegen sah ich nach oben. „Ich kannte das ja nicht. Ich wusste nicht, was es bedeutet ein Zuhause zu haben. Er hat mir zwar erklärt was das heißt, aber wisst ihr Worte sind nicht das, was man hier drinnen fühlt", ich klopfte auf meine Brust. "Ich verstand einfach nicht, was das bedeutet. Wenn diese Menschen nicht nach Hause kommen würden, dass die Frauen und Kinder dann weinen. Jetzt verstehe ich aber, warum. Weißt du, manchmal denke ich, es ist nicht gut, dass ich das weiß. Weil es jetzt noch schwerer wird, in den Kämpfen", ich schielte zu Rudi. "Bei dem Kampf dort unten in der Höhle bei Friedrich, stellte ich mir auf einmal vor, wenn dir Rudi etwas passiert würde oder John. Ich wusste auf einmal das Viola, Jo, Jenny, Tom und Tim ganz furchtbar weinen würden. Es war besonders schlimm für mich, mit diesem Wissen kämpfen zu müssen. Ständig habe ich auf dich und John geachtet. Nicht nur einmal, habe ich Cankat zugerufen, dass ihr in Gefahr seid. Bin dadurch selber, mehr als einmal in ziemliche Bedrängnis gekommen. Rashida hat mit mir geschimpft, weil ich mich ständig vom Kampf habe ablenken lassen, das ist gefährlich bei so vielen Gegnern“, verlegen sah ich die Beiden an und zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Ich kann dagegen nichts machen. Deshalb hab ich auch mehr abbekommen, als die anderen. Aber ich konnte es nicht verhindern. Es war bei jedem Einsatz so, wo Conny dabei war. Weil ich ständig Angst hatte, dass ihm etwas passieren könnte. Jetzt sind es so viele, die ich kenne. Rudi, es sind so viele auf die ich achtgeben will und denen nichts geschehen darf, weil ich deren Familien kenne. Verstehst du", Tränen liefen über mein Gesicht. "Es darf euch, doch nichts geschehen. Ich würde mir nie verzeihen. Wenn einer von euch sterben würde, damit würde ich nicht klar kommen. Genauso wenig wie ich damit klar komme, das so viel meines Teams sterben mussten“, versuchte ich meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen und wischte mit dem Ärmel mein Gesicht trocken.

Rudi sah mich lange an. Dann sagte er etwas, dass mir Rashida schon mehr, als einmal gesagt hatte. Was ich aber nicht glauben wollte, weil wir ja besser ausgebildet waren, wie die anderen und schnellere Reflexe hatten.

„Meine Kleene, denkst du wirklich, wir können nicht auf uns selber aufpassen. Wir sind auch sehr gut ausgebildet in der Selbstverteidigung. Deshalb können wir uns alle selber beschützen. Du kannst nicht, auf einhundertneunundvierzig Leute gleichzeitig aufpassen.“

Ich zuckte mit den Schultern. „Das kann ich nicht, Rudi. Das weiß ich selber. Aber ich würde es gern. Das ist und war schon immer mein Problem. Dass ich immer versuchen will, alle zu beschützen“, wieder kamen die Bilder des Kampfes in mir hoch, mühsam versuchte ich sie zu unterdrücken. „Ich weiß ja, dass ich nicht alle beschützen kann. Aber es ist so verdammt schwer, dieses nicht Können zu akzeptieren. Meistens mache ich es schon so, dass ich ganz vorne laufe, damit ihr nicht in zu große Gefahr geratet. Aber wie vorgestern, da ging das halt nicht. Weißt du Rudi, wir sind schneller als ihr, wir können vielen Hieben und Kugeln, ausweichen. Ihr könnt das nicht. Aber eins verspreche ich euch, ich werde euch lernen besser zu werden. Erst dann habe ich im Kampf mehr Ruhe“, teilte ich ihm entschlossen mit.

Rudi lachte mich an. „Das werden wir bestimmt. Weißt du, was ich zu gern lernen möchte?“

Ich schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht“, antwortete ich ihm.

„Dieses Fobnekotar, das sieht so schwer aus, aber ich denke es ist, einfach nur Körperbeherrschung.“

Jetzt strahlte ich ihn an. Das würde ich schnellstmöglich allen drei Teams beibringen. „Das werdet ihr alle lernen und zwar schon bald. Ich habe mir auch schon überlegt wie, das am schnellsten geht. Aber ich weiß nicht, ob das wirklich auf diese Art funktioniert. Ich werde versuchen, euch die Bewegungsabläufe, über das Jawefan beizubringen. Dann ist es nur eine Frage, der Kraft, bis ihr das lernt. Aber ein bisschen müssen wir damit noch warten. Es muss mir erst wieder richtig gut gehen, sonst lernt ihr meine Schmerzen kennen. Wenn ihr John fragt, der wird euch sagen, dass es ganz schön heftig war. Ich kann die Schmerzen nicht steuern im Jawefan, sie verteilen sich einfach im Kreis, darauf habe ich keinen Einfluss. Aber das Fobnekotar ist eine gute Übung, für die Reflexe, dann könnt ihr schneller reagieren, wenn ihr in Gefahr seid“, erklärte ich ihm, mit einem Strahlen im Gesicht.

„Da scheinen wir ja etwas gefunden zu haben, was dich richtig begeistert. Aber meine Kleene, ich glaube wir sollten jetzt, Viola mal beim Mittagessen helfen. Jo hat nicht so viel Zeit, er muss dann zurück auf Arbeit.“

Ich erschrak und sah Viola an.„Was soll ich machen?“

Sofort wurde ich für das Kartoffelschälen eingeteilt. Viola zeigte mir wie ich das machen muss. Rudi musste die Möhren schälen und Viola bereitete, den Gulasch zu. So war das alles schnell erledigt. Dann räumten wir den Tisch an, kaum dass wir fertig waren, ging auch schon die Haustür auf. Jo kam in Begleitung seines Jüngsten ins Haus.

Tim sah mich und kam auf mich zugerannt. „Dahlyn, meine Dahlyn is da“, schrie er aufgeregt.

Im gleichen Augenblick, als ich ihn auffing, bekam ich einen dicken nassen Kuss ins Gesicht gedrückt. Von einem kleinen Jungen, dem es sichtbar besser ging. Mir fiel ein, dass irgendjemand erzählt hatte, dass Tim zu einer Untersuchung gewesen war. Deshalb fragte ich jetzt nach, als alle am Tisch saßen und aßen. Ich bekam eine große Tasse Tee.

„Was ist eigentlich, bei Tims Untersuchung herausgekommen.“

Jo lächelte, als er Viola ansah. „Kahlyn, der Doktor meinte, es wäre ein Wunder geschehen. Er hätte so etwas noch nie erlebt, in seiner Praxis. Auch wäre er nicht in der Lage es zu erklären. Tims Herz, wäre auf einmal fast in Ordnung. Ein ganz kleiner, wirklich unbedeutender Herzklappenfehler, wäre noch vorhanden. Aber mit dem, könnte unser Bub ohne Einschränkungen leben. Tim könnte, so die Prognose des Doktors, ohne Probleme hundert Jahre alt werden. Deshalb darf Tim ja jetzt endlich, in den Kindergarten. Er war immer ganz traurig, dass er dort nicht hin durfte.“

Das beruhigte mich. „Na ja, dann werde ich dafür sorgen, das Tim hundertzwanzig Jahre alt wird“, gab ich locker Paroli. „In den nächsten Tagen, werde ich den kleinen Schaden, den Tim noch hat, ganz weg machen. Dann hat er nie wieder Probleme mit seinem Herzen. Das kann ich mal machen, wenn er abends schläft. Es freut mich, dass es doch besser geklappt hat als ich erst dachte. Hauptsache ist doch, dass es Tim wieder gut geht“, erklärte ich den Dreien.

Genüsslich widmete ich mich meiner Tasse Tee. Versuchte nicht an den mörderischen Hunger zu denken, den ich hatte. Na ja noch elf Tage, dann konnte ich auch etwas Essen, vielleicht ja auch etwas eher. Ich würde es sehen. Ich versuchte die Gedanken, die mir in den Kopf kamen zu sortieren. Seit einigen Tagen kämpfte ich schon mit mir. Ich wollte Jo etwas fragen, allerdings traute ich mich das nicht richtig. Nicht aus Angst vor dem Konsequenzen, sondern aus Angst davor, all die schlimmen Dinge noch einmal erzählen zu müssen. Auch, wenn ich Jahre darauf gehofft hatte, dass dieser Tag einmal kommen sollte. Aber ich wusste, wenn ich es nicht endlich hinter mich brachte, würde ich nie einen Abschluss finden. Ich hatte mich auch vor drei Tagen schon, mit Rashida und den anderen beraten. Sie waren der gleichen Meinung, dass ich dafür sorgen sollte, dass man diese armen Kinder, endlich beerdigen konnte. Vielleicht, gestattete man uns ja sogar, der Beerdigung der Kinder beizuwohnen. In meinem inneren tobte ein mächtiger Kampf, den ich gegen mich selbst und die in mir wohnende Angst führte. Deshalb bemerkte ich gar nicht, dass ich meine Tasse schief hielt. Jo nahm mir die Tasse aus der Hand und beobachtete mich eine Weile.

„Sag mal Kleene, wo bist du mit deinen Gedanken? So weit weg...“, interessiert, es ihn schließlich.

Als ich nicht reagierte, rief Jo mich.

Rief er mich noch einmal. „... Kahlyn! Huhu! Bist du noch hier?“

Erstaunt sah ich ihn an. „Entschuldige, ich habe nicht zugehört“, versuchte ich zu erklären, warum ich nicht auf ihn reagiert hatte.

„Das haben wir gemerkt, Kleene. Was ist los? Was hast du für ein Problem? Was wälzt du in deinem Kopf hin und her, das ist doch nichts Gutes.“

Ich zuckte mit den Schultern, weil ich nicht wusste, wie ich anfangen soll.

„Komm rücke schon raus, mit der Sprache“, Jo sah mich offen an und lächelte.

Tief holte ich Luft und nahm meinen ganzen Mut zusammen. „Jo, ich … ich… ich wollte diese Selbstanzeige machen, schon seit Tagen, will ich dich darum bitten“, platzte es aus mir heraus. „Vor drei Tagen, habe ich mit meinen Freunden gesprochen, die sind damit einverstanden und würden sich mir anschließen. Jo, wir möchten, dass man die Kinder endlich beerdigt. Vielleicht gestatten uns die Rumänen ja sogar, bei der Beerdigung dabei zu sein. Damit wir uns auf unsere Weise, von ihnen verabschieden können. Ich weiß ja nicht, ob das geht. Aber wir wollen endlich einen Abschluss haben, egal, was wir für eine Strafe dafür bekommen“, ernst sah ich ihn an,

Jo stöhnte auf. „Kahlyn erhole dich doch erst einmal ein wenig. Ich glaube dir gern, dass ihr einen Abschluss haben wollt. Nach all den Jahren, habt ihr euch das auch verdient. Aber du bist immer noch krank. Wegen der Strafe braucht ihr keine Angst zu haben, ihr werdet keine Strafe bekommen. Ich habe schon mit Staatsanwalt Phillips gesprochen, der für solche Fälle zuständig ist. Phillips hat sich mit den rumänischen Behörden kurz geschlossen und ihnen den Fall geschildert. Der zuständige rumänische Staatsanwalt, wusste sofort, um was für einen Fall es sich dabei handelte. Urplötzlich, so sein Kommentar, hörte vor zehn Jahren das Verschwinden der Kinder auf. Man war froh, endlich zu wissen, warum das so war. Man hatte die ganzen Jahre immer Angst, dass dieses Verschwinden wieder von vorn anfangen würde. Nur leider hat bis jetzt niemand diese Höhle gefunden. Ich glaube fast Kahlyn, dass ihr den rumänischen Behörden genauere Angaben machen müsst. Die Kollegen dort vor Ort, suchen jetzt schon seit drei Wochen, das gesamte Bergwerk ab. Finden aber, den Eingang der Höhle nicht.“

Ich nickte wissend. „Das glaube ich gerne, wir haben den Eingang versiegelt. Das ist eine spezielle Sprengung die wir entwickelt haben, um uns in Sicherheit bringen zu können. Versiegeln heißt bei uns, dass wir den Stollen so sprengen, dass man im Anschluss, den Eingang nicht mehr als Einsturz erkennen kann. Aber ich kann dir Skizzen machen, damit die Kollegen den Gang finden können. Sie müssen bis zum Eingang in den Stollen, acht bis zehn Meter graben, so tief sprengen wir solche Tunnel. Wenn sie es dann immer noch nicht finden, muss ich einmal dort hinfahren und ihnen helfen den Eingang wieder freizulegen. Auch wenn mir das schwer fallen würde.“

Jo sah mich entgeistert an. „Nach zehn Jahren, kannst du davon noch Skizzen machen.“

Ernst sah ich Jo an. „Natürlich, kann ich das noch. Ich kann dir von jedem Objekt in dem ich je gewesen bin, eine Detailgenaue Skizze machen, vom damaligen Zeitpunkt. Ich habe ein sehr gutes Gedächtnis für solche Dinge. Ich würde fast behaupten, es ist eine Art fotografisches Gedächtnis für so etwas. Einer der Vorteile, die meine genetische Veränderung mit sich bringt. Deshalb, konnte ich mich ja auch, an die Kanalisation, in diesem Entführungsfall noch so gut erinnern. Wann können wir das machen? Ich möchte es endlich hinter mich bringen“, wandte ich mich noch einmal, an Jo. „Es wird nicht besser, wenn ich es noch länger vor mir herschiebe“, ergänzte ich das Gesagte.

"Willst du das wirklich heute machen? Dir geht es doch immer noch nicht gut."

"Jo, dann habe ich es hinter mir. Mir geht es sowieso nicht gut, dann kommt es auch nicht drauf an, wenn es mir noch etwas schlechter geht. Dafür kann ich mich dann, umso besser erholen. Dann habe ich das Schlimmste hinter mir."

Jo lächelte mich an und stand auf, da er fertig mit Essen war und ging hinter in sein Büro. Nach nur fünf Minuten, kam er zurück. „Kahlyn, wenn du magst, können wir gleich zum Staatsanwalt fahren. Möchtest du, dass Rudi mitkommt?“

Ich sah Jo fassungslos an und konnte nicht glauben, dass ich es jetzt sofort hinter mich bringen konnte. Dann sah ich zu Rudi. Schüttelte aber fast sofort meinen Kopf.

„Nein, das muss sich Rudi nicht alles anhören. Aber bleibst du bitte bei mir?“, verlegen, sah ich auf meine Füße, die schon wieder auf die Sitzfläche gewandert waren. „Du weißt, dass ich Probleme mit Fremden habe. Lass mich bitte nicht mit ihm alleine, bitte“, meine ganze Körperhaltung flehte ihn um Beistand an.

Jo schüttelte den Kopf. „Kleene keine Angst, ich lasse dich nicht alleine, das würde ich dir nicht antun. Das habe ich auch mit Phillips schon so abgesprochen. Du gehst jetzt gleich mit Viola nach oben in dein Zimmer und ziehst dich straßentauglich an, dann fahren wir. Ich rufe in der Zwischenzeit schnell noch Inge an, das ist meine Sekretärin und sage ihr, wo ich erreichbar bin. Im Anschluss können wir, gleich losfahren.“

Ich nickte und stand sofort auf. Merkte, dass Rudi mich besorgt ansah. „Keine Angst Rudi, ich schaffe das schon. Du musst dir nicht schon wieder Sorgen machen. Vielleicht bekomme ich dann einen Abschluss und mir geht es endlich besser. Ich breche nicht zusammen, ich hab doch Jo mit, der passt auf mich auf“, erklärte ich ihm mit fester Stimme, auch wenn mir ein wenig bange war.

Mir war klar, dass das nicht einfach werden würde. Allerdings wusste ich auch genau, dass ich das machen musste, um endlich mit der ganzen Sache abschließen zu können. Meinen ganzen Mut zusammennehmend, ging ich nach oben. Folgte Viola die schon vorgegangen war, um mir Anziehsachen herauszulegen, die auch zusammen passten. Keine fünf Minuten später, war ich wieder unten in der Küche, wo die Männer mich pfeifend begrüßen.

„Was ist los?“ Wunderte ich mich.

„Das ist jetzt nicht meine Kleene oder?“, fragte Rudi mich, aber auch Viola sah mich ganz komisch an.

„Natürlich ich bin das“, antwortete ich sofort, weil ich nicht wusste, was das sollte.

Wieso sollte ich denn nicht ich sein? Jetzt lachten alle Drei, sogar Tim stimmte in das Lachen ein.

„Ihr seid einfach albern. Immer lacht ihr mich aus.“

Rudi kam und nahm mich in den Arm. „Nein, meine Kleene, wir lachen dich nicht aus. Aber komm selber mal mit, das bist doch nicht du oder?“

Lachend schob er mich, zum Spiegel. Er hatte recht, da stand jemanden, den ich noch nie gesehen hatte. Mir gefiel aber, was ich da erblickte. Ich sah fast wie Carmen oder Viola aus, nicht mehr wie eine Polizistin. Durch die kurzen, aber nicht mehr geschorenen Haare, sah ich sogar aus wie ein Mädchen, würde Dika Anna sagen. Ich hatte eine rote Hose aus Cord an, eine weiße Bluse mit Rüschen an den Ärmeln, die am Dekolleté bestickt war. Sie gab meine Schultern frei. Auch wenn man meine Narben sah, sah es wunderschön aus. Jetzt wusste ich, was die Drei meinten und musste selber lachen.

„Ja ist ja in Ordnung. Ihr habt ja Recht. Das bin nicht ich. Die kenne ich auch nicht, aber sie gefällt mir“, meinte ich, jetzt auch lachend.

Mit diesen Bemerkungen war die Sache für mich vom Tisch, so würde es jedenfalls der Doko bezeichnen. Jo kam auf mich zu und drückte mir die Jacke in die Hand.

"Na komm meine Kleene, wollen wir diese Sache zum Abschluss bringen. Damit du endlich einmal zur Ruhe kommst.“

Jo hielt mir die Tür auf und ich ging hinaus. Nicht ohne noch einmal, zu Rudi zu gucken und zu Viola. Beide lächelten mir zu, also machte ich das Richtige.

 

Ich folgte Jo, der an mir vorbei gegangen war, ins Auto. Kaum dass ich mich angeschnallt hatte, fuhren wir los. Wenn ich ehrlich zu mir selber sein wollte, war ich froh, dass ich keine Zeit zum Nachdenken bekam und wir die Selbstanzeige sofort machen konnten. So ersparte ich mir lange Grübeleien, ob dieser Schritt wirklich richtig war. Ich hatte keine Angst um mich, sondern um meine Freunde, die ich in diese Sache ja mit hinein gezogen hatte.

Wir fuhren einmal quer durch die Innenstadt Geras. Fast fünfzehn Minuten dauerte die Fahrt und wir kamen ohne nennenswerte Zwischenstopps, auf der Amthorstraße an. Dort sollte das Treffen mit Staatsanwalt Phillips stattfinden. Kaum hatten wir das Gebäude des Amtsgerichts betreten, kam uns ein ernst dreinschauender, älterer Staatsanwalt entgegen. Ich schätze ihn auf Mitte oder Ende fünfzig. Mit seiner Glatze und seiner wahrscheinlich schlanken Figur, machte er keinen großen Eindruck auf mich. Was mich bei diesem Mann verunsicherte, war sein stechender und durchdringender Blick, der einen bis ins innerer der Seele durchleuchtete. Seine hellen, eisblauen Augen kamen mir so bekannt vor. Sie erinnerten mich sehr an Oberstleutnant Mayer. Sein Blick änderte sich auch nicht dadurch, dass dieser durch die Nickelbrille, etwas abgeschwächt wurde. Dieser Blick jagte mir eine Gänsehaut über den Rück und ließ mich wie angewurzelt stehen bleiben. Die schwarze Robe die er trug, verschleierte seine wahre Größe und seine Figur vollkommen. Man konnte diesen Mann einfach nicht einschätzen. Etwas, dass ich gar nicht mochte. Freundlich sah der Staatsanwalt Jo an und nickte ihm freundlich zu. Mich jedoch musterte er mit einem strengen, abwertenden und taxierenden Blick. In mir sträubte sich alles.

Sofort bereute ich es, dass ich mich zu diesem Schritt durchgerungen hatte. Jo, der meine Schulter umfasst hielt, merkte sofort wie ich in eine Abwehrhaltung ging, wie sich alles in mir versteifte und ich auf Distanz ging. Er musste mich regelrecht vorwärtsschieben, denn ich war wie angewurzelt stehen geblieben. Nicht bereit, nur noch einen Schritt vorwärts zu gehen. Ich wollte diesen Menschen nicht folgen. Dieser Mann war mir völlig suspekt.

„Kahlyn, keine Angst. Hans ist ein sehr netter Mann. Lass dich von seinen Augen nicht täuschen. Wenn du ihn, etwas näher kennen gelernt hast, magst du ihn bestimmt.“

Ich schüttelte den Kopf, das konnte ich mir nicht vorstellen. Er war mir nicht geheuer. Sein Blick verhieß nichts Gutes, ich kannte diese Blicke nur zu gut.

„Hans, das hier ist Kahlyn. Kahlyn, das hier, ist Staatsanwalt Phillips, mit ihm werden wir jetzt reden“, stellte er mir den mir fremden Mann vor.

Ich schüttelte den Kopf, ich konnte und wollte nicht mit diesen Menschen reden. Nicht über die Dinge, über die ich reden sollte und musste. Dazu brauchte ich etwas Vertrauen, diesen Menschen hier vertraute ich nicht. Aber, was blieb mir übrig, jetzt hatte ich gesagt, ich werde es machen, also musste ich es auch tun. Widerstrebend, lief ich mit den beiden Männern mit. Krampfhaft versuchte ich einen Ausweg zu finden und mich etwas zu beruhigen. Leider wollte es mir nicht wirklich gelingen.

Wir folgen Phillips, nach oben in das zweite Stockwerk und gingen in eins der Besprechungszimmer. Eine Frau saß dort und wartet auf uns. Ebenfalls begleitet, mit einer schwarzen Robe, die sie als Mitarbeiterin des Gerichtes auswies.

„Kahlyn, das ist Antje Riemenschneider, meine Sekretärin. Sie wird alles protokollieren, was du mir erzählst.“

Nervös sah ich Jo an, der drückte mir beruhigend die Schulter.

„Bleib ganz ruhig meine Kleene, dir tut hier niemand etwas“, versuchte er mich zu beruhigen.

Jo hatte gut reden, der musste ja hier nicht über Dinge reden, die ihm nicht gut taten. Jo führte mich zu einem langen Tisch und zog einen Stuhl heran, so dass er direkt neben mir saß. Dann setzten wir uns alle hin, Der Staatsanwalt und Antje saßen uns gegen über, auf der anderen Tischseite. Phillips ergriff das Wort.

„Kahlyn, ich brauche als Erstes, deine persönlichen Daten.“

Verunsichert sah ich Jo an und ich wusste nicht, was er von mir wollte. Deshalb schwieg ich. Was sollte ich sagen, wenn ich nicht wusste, was er von mir wollte. Phillips interpretierte mein Schweigen falsch, dachte ich wollte nichts sagen.

„Kahlyn, du musst hier schon mitmachen, sonst bringt das doch alles nichts“, pulverte er mich genervt an. „Junge Frau, das ist hier meine Zeit, die du mir hier stiehlst.“

Ich zog mich völlig zurück und die Füße auf den Stuhl. So, wie ich es immer machte, wenn ich mich unsicher fühlte. Das brachte mir die nächste Rüge von Seiten Phillips ein.

„Könntest du die Füße vom Stuhl nehmen. Was ist das für ein Benehmen und nehme die…“

Da kam mir Jo zu Hilfe. „Hans, bitte brülle die Kleene nicht an. Die Brille bleibt, wo sie ist. Das Licht ist nicht gut für Kahlyns Augen. Bitte, sehe über ihr Verhalten hinweg. Die Kleene ist verunsichert, sie kennt dich nicht. Mit deinem Vorgehen, überforderst du die Kleene total. Die macht völlig dicht, wenn du sie auf diese Weise ins Verhör nimmst. Dann erreichen wir gar nichts“, wütend sah der Polizeirat seinen Kollegen an, mit dem er schon so oft über mich gesprochen hatte und ihm auch schon oft erklärt hatte, dass man mich vorsichtig in die richtige Richtung lenken musste. „Hans bitte. Lass es mich mal versuchen, höre einfach zu“, bittend sah er seinen Kollegen an, mit dem er schon so viele schwere Fälle, gelöst hat.

„Kleene, guck mich bitte mal an. Es ist für Hans schwer, schau er kennt dich doch nicht. Versuche doch einfach, ihm etwas entgegen zu kommen. Komm meine Kleene.“

Jo nahm mich in den Arm und zog den Stuhl etwas näher an seinen heran, so dass ich mich an ihn lehnen konnte. Ganz leise, nur für Jo bestimmt, erklärte ich.

„Jo ich weiß nicht, was er von mir will.“

Jo schaut mich verwundert an. „Was verstehst du nicht Kahlyn?“, wunderte sich selbst Jo.

„Ich weiß nicht, was ich da sagen soll, Jo. Ich habe so etwas nicht, persönlichen Daten“, flüsterte ich leise, in seine Richtung und schielte zu ihm hoch.

Auf einmal wurde Jo bewusst, was ich meinte. „Oh mein Gott. Hans höre bitte jetzt genau zu. Entschuldige Kahlyn, soweit habe ich jetzt nicht gedacht. Ja klar, weißt du nicht, was er von dir will“, seinen Kollegen ansehend, erklärte er Phillips, was los ist und warum ich nicht antworten konnte. „Hans, die Kleene weiß doch nichts, über sich. Das weiß ich doch nicht einmal. Das steht nicht einmal, in dem geschlossenen Dossier von ihr, drin", an mich gewandt fuhr er fort. „Kahlyn, der Staatsanwalt muss aus deinen Mund hören, wie du heißt, das ist Vorschrift, wo du wohnst, wo und wann du geboren bist und gebe ihm bitte deinen Dienstausweis.“

Ich zuckte verlegen mit den Schultern. „Warum sagt er mir das dann nicht so? Dann verstehe ich auch, was er von mir will“, Flüsterte ich leise. An Phillips gewandt sagte ich. „Sir, ich heiße Kahlyn. Wohnen tue ich bei den Runges zurzeit. Wenn ich nicht in der Wache bin, Sir. Wo das genau ist, weiß ich noch nicht, da müssen sie Jo fragen, Sir. Wir hatten noch keine Zeit, darüber zu sprechen. Geboren wurde ich in der Schule. Wann ich geboren bin, weiß ich nicht. Das steht glaube ich, aber in meiner medizinischen Akte, die hat aber der Doko Jacob. Meinen Dienstausweis, habe ich in der Wache. Tut mir leid, der liegt in meinem Spind, Sir“, sagte ich ganz leise, damit dieser immer wütender dreinschauende Mann, meinen guten Willen sah.

„Wie du weißt nicht, wann du geboren bist, wie alt bist du?“, fragte er mich dann weiter.

„Sir, ich weiß das ich ungefähr sechszehn Jahre alt bin. Glaube ich jedenfalls, Sir“, antwortete ich genauso leise.

„Jo, so geht das nicht. Sie muss schon mit machen. Jeder Mensch weiß, wann er geboren ist und vor allem, wo. Kein Mensch, wird in einer Schule geboren, was soll das Jo?“

Jo raufte sich die Haare, so kompliziert hatte er sich das nicht vorgestellt. Soweit, hatte er wirklich nicht gedacht, sonst hätte er das alles schon vorher mit Jacob abklären können.

„Hans, die Kleene weiß das wirklich nicht. Kahlyn, ist wirklich in einer Schule geboren, im Projekt Dalinow. Das war Kahlyns Zuhause bis zum 31. August diesen Jahres. Das ist alles sehr kompliziert. Können wir das morgen klären“, völlig von der Rolle machte Jo eine Pause.

„Sir, ich bin kein Mensch, Sir. Deshalb weiß ich das nicht, Sir“, sagte ich leise und unendlich wütend, auf die Vorwürfe dieses Staatsanwaltes reagierend.

Jetzt wurde auch noch Jo böse auf mich. Wütend sah er mich an. „Kahlyn, ich habe dir schon einmal erklärt, dass du ein Mensch bist. Egal, was dieser Mayer zu euch gesagt hat. Du bist ein Mensch, verdammt nochmal.“

Jetzt schüttelte ich den Kopf und sah offen zu ihm hoch. „Jo, er hat es doch auch gerade gesagt, Jo. Es ist nicht schlimm, dass ich kein Mensch bin. Das weiß ich doch schon lange. Er hat gesagt, jeder Mensch weiß, wann und wo er geboren ist. Da ich das nicht weiß, zeigt es dir wieder einmal nur, dass es stimmt was Oberstleutnant Mayer immer gesagt hat. Ich bin halt kein Mensch bin. Schluss aus und Basta“, setzte ich leise nach.

Phillips sah mich entsetzt an. So hatte der Staatsanwalt das nicht gemeint. „Kahlyn, was bitte bist du, wenn du kein Mensch bist. So habe ich das doch gar nicht gemeint.“

Mich an das erinnernd, was damals in Rudis Büro passierte. „Sir, das wollen sie nicht wissen. Sonst regen sie sich auch so auf, wie Rudi, Jo und John, Sir“, gab ich ihm ausweichend zur Antwort.

Phillips, sah Jo fragend an, der wollte mir aber die Antwort nicht ersparen.

„Kleene sag es ihm ruhig. Als was euch der Mayer bezeichnet hat, Kahlyn. Damit er dir, nicht noch einmal so etwas unterstellt“, ermutigte mich Jo, ihm die Wahrheit zu sagen.

„Sir, Oberstleutnant Mayer hat immer zu uns gesagt. Wir wären ungebildete verwahrloste Tiere. Menschen würden von Müttern geboren und nicht von Maschinen, Sir“, erklärte ich ganz leise und sah auf meine Füße.

Phillips stand auf und kam um den Tisch herum und auf mich zu. Dann machte er etwas, was ich schon einige Male bei Rudi erlebt hatte. Er hockte sich vor mich hin und zog mir die Brille von der Nase. Erschrocken hielt er die Luft an, als er meine Augen sah. Er merkte sofort wie ich, durch das helle Neonlicht gezwungen, die Augen zusammenkniff, weil es wie Feuer in meinen Augen brannte. Sofort schob er mir die Brille wieder auf die Nase.

„Entschuldige Kahlyn, ich habe nicht an deine Augen gedacht. Hör zu Mädchen, du bist ein Mensch. Keiner, wirklich keiner, hat das Recht euch als Tiere zu bezeichnen. Wegen der Daten, das ist nicht schlimm, das bekommen wir schon noch irgendwie heraus. Jo kann bei deinen Doko anrufen, dann sagt er dir, wann du geboren bist, damit du das auch einmal weißt. Jo ihr müsst für Kahlyn unbedingt einen Personalausweis beantragen. Das könnt ihr über die Wache machen. Es tut mir leid, Kahlyn, ich habe mich glaube bei dir völlig unbeliebt gemacht. Weißt du auch für mich ist das manchmal ziemlich schwer, alles richtig zu machen. Ich vergesse einfach manchmal, dadurch, dass ich so viel mit Verbrechern zu tun habe, dass es auch Menschen gibt, die ungewollt in solch eine Situation kommen, in dem sie ein Verbrechen begehen. Versuchen wir einfach, noch einmal von vorn anzufangen. Es tut mir wirklich leid. Entschuldige bitte“, mich offen ansehend, hielt er mir die Hand hin.

Ich sah zu Jo auf, der nickte mir lächelnd zu. Also ergriff ich dessen Hand, er hatte einen Fehler gemacht und diesen eingesehen. Es gehörte immer viel Mut dazu, so etwas zu zugeben und noch mehr Mut braucht man, um sich zu entschuldigen. Ich wollte ihm eine zweite Chance geben. Vielleicht hatte er ja eingesehen, dass ich kein wirkliches Verbrechen begangen hatte. Sondern nur einmal, in einer Ausnahmesituation eine falsche Entscheidung getroffen hatte. Ich verstand ja seine Wut. Er wusste schließlich, weswegen ich zu ihm gekommen war. Vielleicht hatte er Recht, dass wir wirklich nur einen falschen Start hingelegt hatten. Phillips stand auf und ging an seinen Platz zurück.

„Also Kahlyn, mein Mädchen mit den schönen Augen. Bitte, erzähle mir so genau wie möglich, was dich dazu bewogen hat, mich darum zu bitten eine Selbstanzeige zu machen. Vor allem, was du dir vorwirfst“, fragte er jetzt, in einen ganz anderen Ton.

Verwundert sah ich zu Jo, der sagte gar nichts, sondern legte einfach seinen Arm um mich und hielt mich fest. Als ich zögerte, sagte er zu mir.

„Hab Mut meine Kleene, erzähle Hans einfach das, was du mir erzählt hast. Wenn der Staatsanwalt, noch etwas wissen will, wird er dich fragen“, instinktiv, zog ich wieder die Füße auf den Stuhl, das gab mir eine gewisse Sicherheit.

Als Phillips etwas sagen wollte, schüttelt Jo den Kopf. "Lass sie."

„Sir vor ungefähr zehn Jahren, ich kann ihnen das Datum nicht sagen, es war irgendwann im Sommer 1965. Das hat mir Rashida, meine beste Freundin, vor einen paar Tagen gesagt. Da haben meine Kameraden und ich in Rumänien, einen Mann getötet, Sir. Wir haben ihn in einen Behälter mit Formaldehyd gelegt, den Deckel verschlossen und die Höhle gesprengt. Selbst, wenn er sich aus dem Behälter hätte befreien können. Ist er dort drinnen, verhungert oder verdurstet. Er hätte sich aus dieser Höhle, aus eigener Kraft nicht mehr befreien können. Wir sind Mörder, Sir. Aber meine Kameraden können nichts dazu. Ich gab den Befehl dazu, Sir. Ich war der kommandierende Offizier, während dieses Einsatzes, Sir.“

Tränen der Wut liefen aus meinen Augen und Tränen der Scham. Ich schäme mich immer noch, diesen Befehl damals gegeben zu haben. Auch, wenn wir damals alle zusammen beschlossen hatten, es zu tun. Trug nur ich dafür die Verantwortung.

„Kahlyn, warum habt ihr diesen Mann getötet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr das ohne Grund gemacht habt“, fragte Phillips nach.

„Sir, es war so schlimm gewesen damals. Aber es ist keine Entschuldigung. Wir wussten schon kurz nach der Sprengung des Stollens, dass es falsch gewesen war. Aber wir hatten keine Kraft mehr. Vor allem hatten wir einen Auftrag zu erledigen, von denen viele Leben abhingen. Damals war alles einfach schlimm gelaufen, Sir.“

Ich lehnte mich an Jo und fing an zu weinen. Ich wollte darüber nicht reden. Aber ich wusste, dass ich es tun musste, sonst würde ich nie Ruhe finden. Jo nahm mich in den Arm und hielt mich einfach nur fest. Phillips kam um den Tisch herum und nahm sich einen Stuhl. Konnte so näher an mich heran gerutscht. Die Frau kam auch und setzte sich auf unsere Seite des Tisches.

„Kahlyn, lasse dir so viel Zeit, wie du brauchst. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach ist darüber zu reden. Aber Kahlyn, es ist wichtig, dass du mir alles erzählst. Wirklich alles und das so genau es dir nach der langen Zeit noch möglich ist.“

Ich schaute ihn verzweifelt an. Krampfhaft versuchte ich mich zu beruhigen. „Antje, sei bitte mal so lieb und hole ein Glas Wasser, für das Mädchen.“

Die Frau stand auf und verschwand im Nachbarzimmer. Kam kurz darauf mit einer Karaffe Wasser wieder und schüttete mir ein Glas ein. Dankbar nahm ich es und trank einen Schluck. Dann setzte ich mich aufrecht hin und atmete tief durch. Was nutzte es zu weinen. Es war nun einmal geschehen und ich war hierhergekommen, um endlich einen Schlussstrich dahinter zu setzen. Also musste ich es erzählen, vielleicht hörten die Träume dann endlich auf und ich kam zur Ruhe.

„Jo nimmst du, mich in den Arm bitte und hältst mich fest“, flehend sah ich ihn an.

Runge nahm mich einfach in seinen Arm und ich lehnte mich an seinen dicken Bauch. Das gab mir die Sicherheit, die ich jetzt brauchte, um über all das zu reden. Ganz leise fing ich an zu erzählen.

„Bei diesem Einsatz in Rumänien vor zehn Jahren kamen wir in eine Höhle….“ So genau wie möglich und tief ins Detail gehend, erzählte ich Phillips, was damals vorgefallen war. Was wir in dieser Höhle vorfanden, was diese Kinder machten. Was dieser Mann mit dem kleinen Mädchen, machen wollte und warum ich danach derartig durchdreht war. „…Sir, wir wollten nur das er aufhört, Sir. Er sollte keine Kinder mehr töten. Nicht auf so eine bestialische Art und Weise. Als wir die Sprengung, der Höhle durchgeführt hatten. Wurde uns fast augenblicklich bewusst, dass wir einen großen Fehler begangen hatten. Wir wollten das auch eigentlich, gleich korrigieren. Aber uns fiel der eigentliche Einsatz wieder ein, den hatten wir fast vergessen. Nach dem Einsatz, ging es uns nicht so gut. Wir waren alle schwer bis sehr schwer verletzt und konnten uns kaum noch auf den Beinen halten. Als wir dann wieder in der Schule waren, bekamen wir hohes Fieber. Wir lagen alle neun Wochen lang mit weit über 57°C in den Betten. Vier meiner Kameraden gaben in dieser Zeit einfach auf und starben, Sir. Danach wollten wir einfach, nie wieder darüber sprechen, Sir. Wir haben es einfach verdrängt. Nur wenn wir hohes Fieber bekamen, dann kamen die Bilder wieder und erinnerten uns an diese böse Tat, Sir.“

Ich brauchte eine Pause, mein Atem ging rasselnd und eine Krampfwelle nach der anderen zog durch meinen Körper. Ich zitterte so sehr, dass ich das Glas mit Wasser nicht halten konnte. Jo sah mich ängstlich an und half mir beim Trinken. Langsam bekam ich mich wieder ein, schloss die Augen und atmete mich tief ins Taiji, um besser Luft zu bekommen. Ich beruhigte mich wieder und bekam wieder besser Luft. Einige Minuten noch blieb ich tief atmend sitzen, bevor ich weitersprechen konnte. Ich sah Jo traurig an, in dem ich zu ihm hochblickte, dann sah ich wieder auf meine spielenden Finger.

„Sir, aber als ich vor drei Wochen das erste Mal bei den Runges war. Sah ich alles wieder, als ich in Jennys Zimmer kam. Ich dachte, ich bin wieder in dieser Höhle, Sir. Ich dachte wirklich, Jo würde seine Kinder, mit toten Kindern und Tieren spielen lassen. Ich glaubte wirklich, dass Jenny mit mumifizierten toten Kindern spielt würde. Ich wusste doch nicht, dass es Puppen gibt. Da kamen die ganzen Bilder wieder hoch. Die Kinder sagen mir seit dem jede Nacht im Schlaf, ich soll sie endlich befreien. Das möchte ich mit dieser Selbstanzeige erreichen, Sir. Das diese armen Kinder endlich ihre Ruhe finden und beerdigt werden können. Nur das wollen wir erreichen. Es ist uns egal, was man mit uns danach macht. Wir haben die Todesstrafe verdient. Wir sind nicht besser, als dieser Mensch dort in der Höhle. Bitte, wenn es vielleicht ginge, Sir. Würden wir gern bei der Beerdigung der Kinder dabei sein. Wir wollen uns bei den Kindern entschuldigen. Dass sie so lange warten mussten, Sir“, beende ich meine Erzählung, die fast vier Stunden gedauert hat.

Erleichtert, dass es nun vorbei war, sah ich Phillips an. Blickte in ein entsetztes Gesicht. Dann blickte ich zu Jo, auch er war entsetzt. Er hatte bis jetzt noch nicht alles gehört. Alle im Raum waren fassungslos, über das erzählte. Jo fing sich als erstes.

„Kahlyn, warum hast du uns das damals, nicht schon alles erzählt. Dann hätte ich dir das heute, nicht zugemutet. Dann hätten wir eine andere Möglichkeit gefunden. Kleene, wie kannst du damit klar kommen?“, fragend sah ich ihn an.

„Jo, ich konnte das nicht. Ich kannte euch doch kaum. Es fällt mir so schwer darüber zu reden. Aber ich will, dass es endlich aufhört. Es soll doch nur aufhören. Ich komme damit nicht klar, Jo. Wir sind nie damit klar gekommen. Es verfolgt uns jede freie Minute“, jetzt fing ich an zu weinen, drehte mich einfach weg von Phillips.

Lehnte mich an den dicken Bauch von Jo und umschlang ihn Halt suchend mit meinen Armen. Weinte einfach die ganze Wut, aus mir heraus. Nach über zwanzig Minuten hatte ich mich etwas beruhigt. Jo, der mir den Rücken streichelte, ließ mich einfach in Ruhe. Er wusste, dass ich diese Zeit brauchte. Aber auch Phillips und Antje, brauchten diese Zeit, um sich zu beruhigen. Endlich hatte auch Phillips, seine Sprache wieder gefunden und erinnerte sich, weshalb wir hier waren.

„Kahlyn, ich muss dich trotzdem, noch um Hilfe bitten, könntest du mir auf einer Karte zeigen, wo diese Höhle genau sein soll. Die Polizeikollegen in Rumänien, kämmen seit drei Wochen, diese Stollen durch, aber sie finden diese Höhle nicht.“

Ich nickte, setze mich auf und wollte mir mit dem Ärmel das Gesicht trocken wischen, als mir Phillips ein Taschentuch hinhielt. Dankend nahm ich es und wischte mir das Gesicht trocken. Dann ging ich zu der Karte. „Sir, das ist nicht die richtige Karte, Sir. Aber, wenn sie wollen, kann ich ihnen das gesamte Bergwerk aufzeichnen und die Stelle mit der Höhle drin markieren, Sir“, machte ich Phillips einen Vorschlag.

Ich war froh, dass ich helfen konnte, die Kinder endlich zu befreien.

Phillips sah mich verwundert an. „Antje haben wir ein großes Blatt Papier da, wo Kahlyn, das alles aufzeichnen kann.“

Antje stand auf und verließ das Zimmer, nach einer ganzen Weile kam sie mit einer großen Rolle Papier wieder.

„Geht das?“, fragte sie ihren Chef.

Der nickte, rollte das Papier auf und gab mir einen Bleistift. So genau wie nur irgend möglich, zeichnete ich als erstes die Karte vom Zielgebiet auf. Danach die Karte vom jeden einzelnen Stollen. In diese Karte zeichnete ich den versiegelten Gang ein und die dicke des zu erwartenden Durchbruches. Aber auch die dahinter befindlichen Höhlen. Die mit den Kindern, die mit den Leichen, aber auch die mit den Behältern und die Wohnhöhle. Zeichnete die Karte weiter bis zu dem Tunnel, den wir dann gruben, um in das Laufkraftwerk zu kommen. Das Zeichnen dauert eine ganze Weile, nach fast anderthalb Stunden, war ich damit fertig. Kontrollierte noch einmal alles, in dem ich mit den Fingern den Weg nachvollzog, den wir damals nahmen. Es stimmte alles, bis ins kleinste Detail. Ich gab Phillips diese Zeichnungen.

„Kahlyn, wie kannst du das, noch so genau wissen. Das ist doch schon ewig lange her“, fragte er mich schockiert.

„Sir, ich hab für so etwas, ein gutes Gedächtnis. Ich kann ihnen die Karten von jedem Einsatzgebiet, der letzten dreizehn Jahren aufzeichnen. Wenn ich einmal eine Karte oder einen Ort gesehen habe, dann weiß ich das für immer, Sir“, offen sah ich ihm in die Augen. „Sir, können sie meine Freunde bitte heraus halten. Ich nehme alle Schuld auf mich, Bitte Sir.“

Phillips schüttelte den Kopf. „Kahlyn, euch passiert nichts. Du musst keine Angst haben. Es war falsch, was ihr getan habt, aber es ist auch verständlich. Mache dir da mal keine Sorgen.“

Erleichtert atmete ich auf. Es war meine größte Angst, dass meinen Freunden, deshalb etwas passieren könnte. „Sir, darf ich sie noch etwas fragen, Sir“, wandte ich mich noch einmal an Phillips.

„Natürlich Kahlyn, du kannst mich alles fragen.“

Ich sah Jo fragend an, der nickte mir zu, auch wenn er nicht wusste, worauf ich hinaus will.

„Sir, Jo, Rudi und John haben mir alle gesagt, dass uns Oberstleutnant Mayer, unmenschlich behandelt hat. Als wir vorgestern beim Einsatz waren, hat er Raiko fast tot geschlagen. Ich konnte im letzen Moment verhindern, dass er stirbt. Sir, ich will, dass es endlich aufhört. Es muss doch auch für uns einmal ein Ende haben. Der Oberstleutnant hat mich, seit ich in Gera bin, systematisch vergiftet. Er hat mich mehr als einmal, fast tot geschlagen. Das ist doch nicht gerecht. Kann ich gegen ihn eine Anzeige machen, wegen…“, ich sah Jo fragend an, weil mir in meiner Aufregung, der Begriff nicht einfiel.

„Misshandlung Schutzbefohlener, meinst du Kleene“, sagte er mir vor.

„... ja genau, eine Anzeige wegen Misshandlung Schutzbefohlener und wegen mehrfachen Mordes machen, Sir“, nervös sah ich Phillips an, weil ich nicht wusste wie er darauf reagieren würde.

Der Staatsanwalt schaute mich entsetzt an. Das waren verdammt schwere Vorwürfe, die ich da gegen den Oberstleutnant vorbrachte. Ich stand auf und begann mich zu entkleiden. Verwundert, schauten mir Phillips und Antje zu. Jo begriff sofort, was ich vor hatte und half mir sogar beim Ausziehen. Als ich Phillips meinen Körper zeigte, die ganzen Narben, die vom Auspeitschen zurück geblieben waren, nicht nur am Rücken sondern auch an den Beinen und auf der Brust. Schüttelte er verzweifelt den Kopf.

„Kahlyn, wer hat das gemacht?“

Ich zog mich erst wieder an, weil ich etwas Zeit brauchte, um mich zu sammeln und vor allem, um mich wieder zu beruhigen.

„Sir, das waren Oberstleutnant Mayer, der Betreuer Reimund Bär und Raiko. Raiko hat das aber nur gemacht, weil Oberstleutnant Mayer sonst auch ihn ausgepeitscht hätte. Ich habe ihm gesagt, er soll es tun, so blieb wenigstens ihm die Strafe erspart.“

Phillips konnte nicht fassen, was er da hörte.

„Sir, es sind nicht die einzigen Strafen die der Oberstleutnant hatte….“ Wieder erzählte ich ihm so genau, wie nur irgend möglich, was der Oberstleutnant alles mit uns gemacht hatte. Von den Missbrauch, den Bestrafungen. Berichte von dem Tod der Kameraden, die er im Laufe der Zeit auf seine bestialische Art hingerichtet hatte. Von den ertrunkenen Kameraden im Stechlinsee. Von der unmenschlichen Behandlung, die wir in der Schule bekamen. Von den Schlägen, die Doko Jacob und Dika, von ihm bekamen und die anderen aus dem Projekt. Dass er sogar Heiko Corstens einen der Wachleute fast erschossen hätte, nur weil dieser Danko helfen wollte. Der vom Oberstleutnant aussortiert wurde, weil er einen kleinen Finger verlor. Von der Vergiftung des Dokos. Aber auch, von dem Vorfall in der Wache in Gera. Dem Vergiften meiner Nahrung und dem sinnlosen Zusammenschlagen Raikos beim Einsatz in Himmelpfort. Nach über drei Stunden, war ich auch damit fertig. Ich fühlte mich, irgendwie, das erste Mal richtig frei. Es hatte gut getan, dafür zu sorgen, dass der Oberstleutnant auch einmal merken würde, dass er nicht alles mit uns machen durfte.

Fassungslos sah mich Phillips an. „Kahlyn, ich werde dafür sorgen, dass dieser Unmensch eine gerechte Strafe bekommt, das verspreche ich dir.“

Dankbar, wenn auch ungläubig, sah ich Phillips an. „Sir, es wäre zu schön, um wahr zu sein, wenn es für uns auch so etwas wie Gerechtigkeit geben würde, Sir“, meinte ich mehr als skeptisch.

Alle drei konnten nach dem eben gehörten verstehen, wieso ich mir da nicht so sicher war.

„Wir werden sehen, Kahlyn. Aber eins kannst du mir glauben, dass ich alles versuchen werde, dass ihr endlich Gerechtigkeit bekommt. Dein Rücken alleine ist Beweis genug“, Phillips erhob sich. „Kahlyn, ich denke wir sollten Schluss machen für heute. Du kannst ja kaum noch, aus den Augen gucken vor Müdigkeit. Wenn ich ehrlich sein soll, mehr kann ich heute, auch nicht mehr ertragen.“

Das glaubte ich ihm gerne. Jo erhob sich ebenfalls. Gemeinsam mit Phillips, Antje und Jo verließen wir das Gebäude. Auf dem Parkplatz angekommen, verabschiedete sich Phillips von mir freundlich und in einen ganz anderen Ton, als die Begrüßung gewesen war.

„Auf Wiedersehen, Kahlyn, ich hoffe sehr, dass ich dir helfen kann. Ich werde auf alle Fälle mit den Behörden in Rumänien reden, dass man euch zu der Beerdigung der Kinder einlädt. Das habt ihr euch verdient.“  

An Jo gewandt. „Jo, die Protokolle schicke ich dir über die Amtswege zu. Lasse sie bitte von Kahlyn, durchlesen und korrigieren, wenn etwas falsch ist. Sende sie mir unterschrieben zurück. Auch die Anklageschrift, gegen Mayer, lest bitte Korrektur“, müde gab Phillips uns die Hand, verabschiedete sich und drehte sich um. Lief sofort zu seinem Auto. Antje gab mir auch die Hand und lief ihrem Chef hinterher. Jo aber blickte mich an, nahm mich in den Arm und gab mir einen Kuss.

„Für was ist der, Jo?“ 

„Dafür, dass du das heute gemacht hast. Meine Kleene, ich weiß wie schwer dir das heute gefallen ist. Komm lass uns nach Hause fahren. Du kannst dich doch kaum noch, auf den Beinen halten vor Müdigkeit.“

Ich nickte nur, war viel zu müde zum Reden. Eigentlich wollte ich nur noch ins Bett. Wir fuhren, zurück zu den Runges.

 

Es war der 30. September 1975, als wir kurz vor 22 Uhr dort ankamen. Rudi, Viola und auch Jenny saßen noch in der Küche. Ich freute mich Jenny zu sehen. Seit Tagen hatte ich sie schon nicht mehr zu Gesicht bekommen. Freudig lief ich hinein und gab allen einen Kuss. Dann setzte ich mich, einfach auf den Stuhl neben Rudi. Dieses Gefühl, hier nicht her zu gehören, war auf einmal weg. Jo setzte sich auf seinen Platz. Viola allerdings, gab Jo erst einmal einen Kaffee und mir einen Tee. Rudi streichelte mir über das Gesicht.

„Na meine Kleene, das war wohl anstrengend, siehst ziemlich blass um die Nase aus. Hast du es hinter dich gebracht?“

Ich nickte, sagte aber nichts. Ich hatte heute genug geredet. Trank und genoss einfach meinen Tee. Diese Ruhe und dieses schöne Gefühl der Geborgenheit nahm mich völlig gefangen.

„Hast wohl heute keine Lust mehr zum reden, meine Kleene. Das kann ich verstehen. Aber, eins verrätst du mir bitte noch. Geht es dir wenigstens ein bissel besser?“

Verlegen zuckte ich erst mit den Schultern, dann aber nickte ich. „Ich weiß nicht genau. Aber ich glaube es geht mir besser“, erklärte ich ganz leise. Aber ich schenkte Rudi mein schönstes Lächeln.

„Na dann, hat es sich doch wenigstens gelohnt.“

Rudi drehte sich zu mir um und nahm mich in den Arm, gab mir ein Kuss auf die Stirn.

Jenny allerdings blickte mich fragend an. „Kahlyn, hast du Lust mit mir ein bissel zu reden, oben bei dir im Zimmer. Dann kannst du dich hinlegen und bist nicht so alleine.“

Erfreut sah ich Jenny an. Nie hätte ich gedacht, dass sie mit mir reden wollte. „Oh ja, das wäre schön. Wir können aber auch, in dein Zimmer gehen. Dann kannst du mir mal, deine anderen Puppen zeigen und ich kann das Bienchen fragen, wie es ihr geht“, antworte ich einfach so, ohne lange darüber nachzudenken.

Jenny sah mich erfreut an. Viola sagte jedoch, sie bekam Angst, zu frisch ist noch die Erinnerung an das Erlebte.

„Kahlyn, nicht, dass es dir dann wieder schlecht geht.“

Tief holte ich Luft. „Viola, ich glaube nicht, dass es mir wieder schlecht geht. Ich weiß ja jetzt, dass es nur Puppen sind. Habe es doch jetzt verstanden.“

Erleichtert lächelten Jo, Rudi und Viola.

„Dann ab mit euch. Aber Jenny, um 23 Uhr ist Schluss, du hast morgen Schule.“

Jenny stand auf und nahm meine Hand. Sie zog mich einfach hinter sich her, zur Treppe. So stiegen wir nach oben und in Jennys Zimmer. Dort erzählte mir meine kleine Freundin, über jede ihrer Puppen eine kleine Geschichte. Ich fand sie alle total schön. Eine, hatte es mir besonders angetan, sie erinnerte mich an Rashida, dass sage ich Jenny auch.

„Weißt du, die Ute sieht irgendwie aus wie meine Freundin Rashida, als sie noch ganz klein war“, traurig sah ich die Puppe an.

Ich vermisse Rashida so. Sie war immer meine beste Freundin. Jenny kam zu mir und nahm mich in den Arm. „Sei doch nicht so traurig, Kahlyn. Du hast doch jetzt uns.“

Verlegen sah ich zu ihr hoch. „Du hast recht Jenny. Aber ich vermisse sie schon.“

Zögernd gab ich die Puppe Jenny zurück. Kurz vor 23 Uhr, sagte ich dann zu Jenny.

„Jenny, wir sollten jetzt duschen gehen, du musst in die Schule morgen. Wir sehen uns, ja morgen wieder. Guten Nacht.“

Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und verließ das Zimmer. Nebenan, zog ich meinen Schlafanzug an und legte mich ins Bett. Das Duschen ließ ich einfach ausfallen. Ich war viel zu müde dazu.

Das erste Mal seit Jahren, verfolgten mich die Bilder aus Rumänien nicht, wenn ich meine Augen schloss. Es war, als wenn die Kinder begriffen hätten, dass sie bald befreit und beerdigt würden. Fasst traumlos, schlief ich die ganze Nacht durch, erwachte am Morgen erholt und ausgeschlafen, wie lange nicht. War es vorbei? War es endlich vorbei? …

.

Leise und von ganz weit entfernt, hörte ich es rufen. Im ersten Moment konnte ich die Stimme gar nicht einordnen, dann allerdings erkannte ich sie. Mühsam kämpfte ich mich aus dem Schlaf hinaus. Es tat so gut traumlos zu schlafen, eigentlich wollte ich gar nicht erwachen. Wieder erklang die Stimme.

"Kahlyn, wache auf meine Kleene."

Völlig Verschlafen sah ich auf. Rudi saß auf meinem Bett und streichelte mir das Gesicht.

"Was ist?", fragte ich verschlafen. "Ist Alarm?"

Rudi lächelte mich an und zog mich in seine Arme. "Nein meine Kleene, es ist kein Alarm. Aber es ist gleich Mittag und ich dachte du solltest langsam mal aufstehen. Vor allem, ist heute ein wunderschöner Tag. Ich wollte mit dir noch einmal in den Tierpark gehen. Hast du Lust dazu? Wir haben doch noch gar nicht alles gesehen. Viele so schöne Tage, wie heute, wird es nicht mehr geben. Es ist doch schon Oktober und es wird langsam aber sicher kalt. Also, wie sieht es aus, hast du Lust?"

Mit einem Schlag wurde ich munter. Rudi wollte mit mir noch einmal in den Tierpark gehen, freudig lächelte ich ihn an.

"Natürlich, habe ich Lust. Ich beeile mich. Ich gehe nur schnell duschen. Sag mal, kannst du mir etwas zum Anziehen ins Bad bringen, sonst lacht Viola mich wieder aus."

Rudi fing schallend an zu lachen. Er konnte sich vorstellen, dass seine Kleene gar nicht wusste, was sie da anziehen sollte.

"Geht klar, aber ich habe da auch keine Ahnung. Ich sage Viola einfach Bescheid, sie soll dich schmuck machen. Also ab mit dir."

Immer noch lachend gab er mir einen Kuss auf die Stirn und zog mir die Decke weg. Schnell sprang ich aus dem Bett und griff nach meiner Brille. Eilig lief ich nach unten ins Bad, um unter die Dusche zu gehen. Ach wie schön war es hier. Am liebsten würde ich singen, aber das ließ ich lieber. Schließlich wollte ich niemanden vertreiben. Es dauerte keine zehn Minuten, als es an die Tür klopfte. Ich setzte meine Brille auf und rief laut.

"Herein."

Viola kam mit meinen Anziehsachen herein. "Hallo Kahlyn, na hat dich Rudi endlich munter bekommen? Wir dachten schon du wolltest nie wieder munter werden."

Verwundert sah ich Viola an. "Wieso das denn? Habe ich schon wieder, so lange geschlafen?"

Viola kicherte und sah mich dabei allerdings freundlich an. Ich musterte sie irritiert.

"Kahlyn, heute ist Freitag. Du hast den ganzen Mittwoch und Donnerstag, verschlafen."

"Oh nein", rutschte es mir heraus.

"Doch Kahlyn und jetzt ist es gleich 12 Uhr, deshalb hat dich ja Rudi versucht zu wecken", wieder ließ Viola, ihr schönes Lachen erklingen. "Du bist eine kleine Schlafmütze. Es tat dir aber gut. Du siehst viel besser aus mein Mädel. Heute ist so ein schöner Tag, komm sieh selber."

Sie gab mir einfach einen Kuss auf die Stirn und half sie mir beim Anziehen. Mit Erschrecken stellte ich fest, dass mein Haar viel zu lang geworden war. Auch Viola stellte das fest und neckte mich ein wenig.

"Hilfe Kahlyn, du siehst aus um die Haare, als hättest du in eine Steckdose gefasst. Du musst unbedingt zum Friseur. Deine Haare, sehen schlimm aus. So kannst du nicht mehr herumlaufen. Die stehen ja nach allen Seiten weg. Also komm, ich rufe gleich einmal meinen Bruder an, der macht dir einen schönen Schnitt. Das könnt ihr machen, bevor ihr in den Tierpark geht, das dauert ja nicht so lange", grinsend schob sie mich aus dem Bad und weiter in die Küche.

Ich schaute Viola an und begriff einfach nicht, was sie meinte. Wer griff denn schon freiwillig in eine Steckdose, das war äußerst ungesund. Aber egal, ich musste ja nicht alles verstehen. Ich jedenfalls hatte in keine Steckdose gegriffen und würde das auch nie tun, meine Haare waren einfach nur zu lang.

"Rudi, bevor ihr irgendwo hingeht, fährst du mal bei Paule vorbei. Ich rufe gleich bei ihm an. Kahlyns Haare sehen aus wie die von Struwwelpeter oder wenn sie gerade in eine Steckdose gefasst hätte. So kann sie nicht rumlaufen. Da muss einfach mal, ein ordentlicher Schnitt gemacht werden, so geht das absolut nicht."

Rudi nickte, der Gedanke war ihm auch schon gekommen. "Kahlyn, was denkst du, wollen wir schnell dein Haar schneiden gehen?"

Klar wollte ich das. Ich sah ja selber wie schlimm ich um die Haare aussah. Ich war es nicht gewohnt so lange Haar zu haben. "Gern Rudi, ich hab mich nur nicht getraut zu fragen", verlegen sah ich zu ihm.

"Na du erst noch, Kleene. Wann lernst du endlich, dass du mich alles fragen kannst. Also komm mal mit, wir wollen los", an Viola gewandt, die gerade aus Jos Büro kam. "Viola, wenn die Wache anrufen sollte, wir sind bei Paule. Dann melde ich mich in der Wache."

Viola lächelte, sie kannte diese Abmelde Prozedur in den Bereitschaftswochen. Es war immer schlimm, meistens wenn sich Rudi so abmeldete, kamen Einsätze dazwischen. Sie spielte dann immer Vermittler. Aber so war das nun einmal. Bei zwei Polizisten im Haushalt gewöhnte man sich irgendwann daran.

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Impressum

Tag der Veröffentlichung: 15.10.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meiner Kahlyn einem Mädchen aus einer Geschichte in das ich mich verliebt habe und allen die gern lesen.

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