Cover

Copyright

Teil 1 ... Die Hundert

...Teil 2 ... Team 98...

Teil 3 ... Die letzten der Hundert

Teil 4 ... Horror fürs Team

Teil 5 ... Kahlyns Neubeginn

Teil 6 ... Kahlyns Wut

 

Der Roman, einschließlich aller seiner Teile, sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung Autorin unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Die Personen und Handlungen in dieser Geschichte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

Impressum: 1. Auflage 2012

Mail: feenwinter@freenet.de

© Cover-Gestaltung: Katja Neumann

© Grafiken: Katja Neumann

Lektorat: Katja Neumann

Layout, Design: Katja Neumann

Letzte Überarbeitung(16.) 29. Mai 2017

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In der Zeit in der sich Jacob und die anderen zurückzogen, kletterte Lyn mit den ersten siebzehn Marken bis ganz nach oben, zum letzten Ast. Dort nahm sie die Marke von Karl, dem Junge mit der Nummer 6 und legte sie an den Ast. Plötzlich glühte ihre Hand auf und als sie diese vom Ast zurückzog, hing die Kette fest in dem Ast verankert herunter. Dies machte sie siebzehnmal. Die ersten Kinder die nicht leben durften, hatten alle beschlossen, sollten auf den höchsten Ast einen Platz bekommen. Der Sonne an nächsten und auf diese Art, am besten vom Wind geschützt. Fertig mit den siebzehn Kindern, kletterte Lyn nach unten, auf den sechsten Ast. Dort, wo eigentlich Keri sitzen sollte, als Letzter auf seinen Ast, genau wie bei den anderen Marken, legte Lyn ihre Hand darauf und verankerte so die Marke im Ast. Der Baum würde die Kinder in sich aufnehmen, erklärte Lyn ihren Freunden. Ihre Freunde würden den Baum stärken und wachsen lassen. Dann kletterte Lyn nach oben, hinauf auf ihrem Ast, fast ganz außen war ihr Platz. Neben ihr saßen nur noch Kami und Erja. Ganz leise und in der Verbindung begann Lyn zu erzählen.

"Keri, und ihr anderen die wir leider gar nicht kannten, endlich haben wir es geschafft, dass ihr für immer in Ruhe schlafen könnt. Ihr liegt ab heute und für immer, an unserem Baum. Seht nach oben in die Krone. Dort sitzen wir, die verblieben "Hundert" und wir bewachen euren Schlaf. Lange hat es gedauert, bis wir von euch Abschied zu nehmen durften. Es tut mir leid, dass ihr so lange ausharren musstet. Nun allerdings, seid ihr ein Teil von uns und wir werden euch nie vergessen. Auch wenn wir siebzehn von euch, kaum kannten, wissen wir doch, dass ihr hier ruhig ungestört schlafen könnt. Von dir Keri, möchte ich aber noch richtig Abschied nehmen, dich kannten ich sehr gut. Du fehlst mir so sehr. Du hattest so viele Talente, die wir vermissen. Ich habe so viel von dir über Strategie und Taktik gelernt. Ich habe so viel von dir bekommen. Auch, wenn ich froh bin, dass deine Schmerzen, die ich immer gespürt habe, endlich vorbei sind, so fehlst du mir. Mir fehlen dein Lachen und deine Späße. Weißt du noch, als mich der Betreuer Simon so zusammengeschlagen hat. Du bist dazwischen gegangen. Wärst du nicht gewesen, wäre ich heute wahrscheinlich tot. Danke Keri, dass du mein Freund warst. Auch euch anderen gehört mein Dank. Ihr werdet immer einen Platz in meinem Herzen haben, solange es schlägt. Ich verspreche euch, für euch alle mit zu leben."

Lyn schluckte schwer an ihren Worten. Sie machten ihr bewusst, wie froh sie war, dass die Schmerzen weg waren. Ihr wurde allerdings auch bewusst, wie sehr sie Keri vermisste. Jedes der Kinder sagte ein paar Sätze zu Keri und zu den Anderen und nahm auf diese Weise, von den Freunden Abschied. Alle Kinder sprachen den Schluss auf dieselbe Weise. Einen Dank an die Freunde und dass sie einen Platz in ihren Herzen haben würde. Vor allem das Versprechen, für sie mit zu leben. Über zwei Stunden brauchten die Kinder, um Abschied zu nehmen. Dann kletterten sie alle wieder nach unten. Erstaunt stellten die Kinder fest, dass alle schon gegangen waren.

"Kommt einfach mit. Ich denke der Doko hat uns bestimmt das Tor zum Flugplatz offen gelassen. In geordneter Formation, Abmarsch", gab Lyn ein Kommando.

Sofort liefen die Kinder los. In Zweierreihe und im Laufschritt, gingen sie nach hinten zum Tor, welches die Betreuer immer Gangway nannten. Das Tor stand wie vermutet offen und so liefen Kinder hinein. Begaben sich auf kürzesten Wege nach unten in den Bereich der Kinder. Wie Lyn vermutet hatte, konnten sie ohne Probleme zurückkehren. Im Raum der Kinder angekommen, saß Jacob, immer noch wartend am Tisch und studierte einige Krankenakten. Als die Tür ging blickte er auf und sah das Kinder den Raum betraten. Er war erleichtert, aber auch erfreut darüber, dass er sich in Lyn nicht getäuscht hatte. Lyn ging zu ihrem Doko und machte wie gewohnt Meldung.

"Sir, alle wieder anwesend, Sir. Auftrag erfolgreich beendet, Sir", tausend kleine Teufel guckten aus ihren Augen, auch wenn Jacob Lyns Augen nicht sehen konnte, wusste er doch, dass dies so war.

"Dann ist es ja gut, schlafen die anderen gut?", wollte er wissen.

Lyn nickte.

"Das ist sehr schön, dann erholt euch noch ein bisschen. Mal sehen, was hier ab morgen wieder los sein wird? Noch nie haben die Betreuer, etwas Gutes aus Berlin mitgebracht. Also nutzt die Zeit, um euch noch etwas zu erholen. Lyn, wenn etwas sein sollte, du erreichst mich über den Notruf, drei Nullen und die Eins."

"Sir, jawohl, Sir."

 Jacob wuschelte Lyn über den Kopf und erhob sich. Er verließ den Kinderraum. Kaum hatte der Arzt den Raum verlassen, ging Lyn hinter in ihr Bett. Wie alle anderen, wollte sie diesen freien Tag nutzen, um zu schlafen. Viel Schlaf hatten die Kinder in den letzten Jahren nicht bekommen. Nur dreimal eine Stunde Schlaf am Tag, war selbst für die "Hundert" auf Dauer viel zu wenig. So ging man zum Alltag über. Nicht ahnend, dass der richtige Horror für die Kinder jetzt erst beginnen sollte.

Mayer kam mit dem Auftrag aus Berlin zurück, die Kinder zu richtigen Einsätzen zu schicken. Die abartigen Kreaturen, hätten jetzt genug Geld gekostet, sie sollten endlich etwas verdienen. Auch wenn die Kinder schon viele sogenannte Übungseinsätze hatte, waren das, immer noch harmlose Einsätze gewesen. Jedenfalls gemessen an dem, was sie in der Zukunft erwarten würde.

Die Einsätze die auf das "Team Hundert" zukamen, wie man es seit einiger Zeit nannte, waren sogenannte Himmelfahrtskommandos. Diese Einsätze brachten der Gruppe Kämpfer sehr schnell eine weitaus bessere Bezeichnung ein. Man nannte sie die Todesschwadron. Es waren durch die Reihe weg Einsätze, in dem sie beweisen sollten, dass sie die besseren Soldaten waren. Diesen Tag zum Schlafen zu nutzen, war eine der besten Entscheidungen, die Lyn fällen konnte. Wie nötig sie diesen Schlaf hatten, würden ihnen die nächsten Wochen, Monate und Jahre beweisen. Dies war für lange Zeit, das letzte Mal, dass die Kinder in einem Bett und vor allem in Ruhe und lange schlafen konnten.

Erinnere dich ...

In der Zeit in der sich Jacob und die anderen zurückzogen, kletterte Lyn mit den ersten siebzehn Marken bis ganz nach oben, zum letzten Ast. Dort nahm sie die Marke von Karl, dem Junge mit der Nummer 6 und legte sie an den Ast. Plötzlich glühte ihre Hand auf und als sie diese vom Ast zurückzog, hing die Kette fest in dem Ast verankert herunter. Dies machte sie siebzehnmal. Die ersten Kinder die nicht leben durften, hatten alle beschlossen, sollten auf den höchsten Ast einen Platz bekommen. Der Sonne an nächsten und auf diese Art, am besten vom Wind geschützt. Fertig mit den siebzehn Kindern, kletterte Lyn nach unten, auf den sechsten Ast. Dort, wo eigentlich Keri sitzen sollte, als Letzter auf seinen Ast, genau wie bei den anderen Marken, legte Lyn ihre Hand darauf und verankerte so die Marke im Ast. Der Baum würde die Kinder in sich aufnehmen, erklärte Lyn ihren Freunden. Ihre Freunde würden den Baum stärken und wachsen lassen. Dann kletterte Lyn nach oben, hinauf auf ihrem Ast, fast ganz außen war ihr Platz. Neben ihr saßen nur noch Kami und Erja. Ganz leise und in der Verbindung begann Lyn zu erzählen.

"Keri, und ihr anderen die wir leider gar nicht kannten, endlich haben wir es geschafft, dass ihr für immer in Ruhe schlafen könnt. Ihr liegt ab heute und für immer, an unserem Baum. Seht nach oben in die Krone. Dort sitzen wir, die verblieben "Hundert" und wir bewachen euren Schlaf. Lange hat es gedauert, bis wir von euch Abschied zu nehmen durften. Es tut mir leid, dass ihr so lange ausharren musstet. Nun allerdings, seid ihr ein Teil von uns und wir werden euch nie vergessen. Auch wenn wir siebzehn von euch, kaum kannten, wissen wir doch, dass ihr hier ruhig ungestört schlafen könnt. Von dir Keri, möchte ich aber noch richtig Abschied nehmen, dich kannten ich sehr gut. Du fehlst mir so sehr. Du hattest so viele Talente, die wir vermissen. Ich habe so viel von dir über Strategie und Taktik gelernt. Ich habe so viel von dir bekommen. Auch, wenn ich froh bin, dass deine Schmerzen, die ich immer gespürt habe, endlich vorbei sind, so fehlst du mir. Mir fehlen dein Lachen und deine Späße. Weißt du noch, als mich der Betreuer Simon so zusammengeschlagen hat. Du bist dazwischen gegangen. Wärst du nicht gewesen, wäre ich heute wahrscheinlich tot. Danke Keri, dass du mein Freund warst. Auch euch anderen gehört mein Dank. Ihr werdet immer einen Platz in meinem Herzen haben, solange es schlägt. Ich verspreche euch, für euch alle mit zu leben."

Lyn schluckte schwer an ihren Worten. Sie machten ihr bewusst, wie froh sie war, dass die Schmerzen weg waren. Ihr wurde allerdings auch bewusst, wie sehr sie Keri vermisste. Jedes der Kinder sagte ein paar Sätze zu Keri und zu den Anderen und nahm auf diese Weise, von den Freunden Abschied. Alle Kinder sprachen den Schluss auf dieselbe Weise. Einen Dank an die Freunde und dass sie einen Platz in ihren Herzen haben würde. Vor allem das Versprechen, für sie mit zu leben. Über zwei Stunden brauchten die Kinder, um Abschied zu nehmen. Dann kletterten sie alle wieder nach unten. Erstaunt stellten die Kinder fest, dass alle schon gegangen waren.

"Kommt einfach mit. Ich denke der Doko hat uns bestimmt das Tor zum Flugplatz offen gelassen. In geordneter Formation, Abmarsch", gab Lyn ein Kommando.

Sofort liefen die Kinder los. In Zweierreihe und im Laufschritt, gingen sie nach hinten zum Tor, welches die Betreuer immer Gangway nannten. Das Tor stand wie vermutet offen und so liefen Kinder hinein. Begaben sich auf kürzesten Wege nach unten in den Bereich der Kinder. Wie Lyn vermutet hatte, konnten sie ohne Probleme zurückkehren. Im Raum der Kinder angekommen, saß Jacob, immer noch wartend am Tisch und studierte einige Krankenakten. Als die Tür ging blickte er auf und sah das Kinder den Raum betraten. Er war erleichtert, aber auch erfreut darüber, dass er sich in Lyn nicht getäuscht hatte. Lyn ging zu ihrem Doko und machte wie gewohnt Meldung.

"Sir, alle wieder anwesend, Sir. Auftrag erfolgreich beendet, Sir", tausend kleine Teufel guckten aus ihren Augen, auch wenn Jacob Lyns Augen nicht sehen konnte, wusste er doch, dass dies so war.

"Dann ist es ja gut, schlafen die anderen gut?", wollte er wissen.

Lyn nickte.

"Das ist sehr schön, dann erholt euch noch ein bisschen. Mal sehen, was hier ab morgen wieder los sein wird? Noch nie haben die Betreuer, etwas Gutes aus Berlin mitgebracht. Also nutzt die Zeit, um euch noch etwas zu erholen. Lyn, wenn etwas sein sollte, du erreichst mich über den Notruf, drei Nullen und die Eins."

"Sir, jawohl, Sir."

 Jacob wuschelte Lyn über den Kopf und erhob sich. Er verließ den Kinderraum. Kaum hatte der Arzt den Raum verlassen, ging Lyn hinter in ihr Bett. Wie alle anderen, wollte sie diesen freien Tag nutzen, um zu schlafen. Viel Schlaf hatten die Kinder in den letzten Jahren nicht bekommen. Nur dreimal eine Stunde Schlaf am Tag, war selbst für die "Hundert" auf Dauer viel zu wenig. So ging man zum Alltag über. Nicht ahnend, dass der richtige Horror für die Kinder jetzt erst beginnen sollte.

Mayer kam mit dem Auftrag aus Berlin zurück, die Kinder zu richtigen Einsätzen zu schicken. Die abartigen Kreaturen, hätten jetzt genug Geld gekostet, sie sollten endlich etwas verdienen. Auch wenn die Kinder schon viele sogenannte Übungseinsätze hatte, waren das, immer noch harmlose Einsätze gewesen. Jedenfalls gemessen an dem, was sie in der Zukunft erwarten würde.

Die Einsätze die auf das "Team Hundert" zukamen, wie man es seit einiger Zeit nannte, waren sogenannte Himmelfahrtskommandos. Diese Einsätze brachten der Gruppe Kämpfer sehr schnell eine weitaus bessere Bezeichnung ein. Man nannte sie die Todesschwadron. Es waren durch die Reihe weg Einsätze, in dem sie beweisen sollten, dass sie die besseren Soldaten waren. Diesen Tag zum Schlafen zu nutzen, war eine der besten Entscheidungen, die Lyn fällen konnte. Wie nötig sie diesen Schlaf hatten, würden ihnen die nächsten Wochen, Monate und Jahre beweisen. Dies war für lange Zeit, das letzte Mal, dass die Kinder in einem Bett und vor allem in Ruhe und lange schlafen konnten.

Kapitel 1

Die Kinder verbrachten einen ruhigen späten Nachmittag und wurden nur kurz geweckt, um zu Abend zu essen. Dann schliefen sie die ganze Nacht durch. Bis kurz vor 5 Uhr am Morgen des nächsten Tages, dem 28. Juli 1963, als Mayer brüllend im Türrahmen des Kinderraumes erschien.

"Hoch mit euch Tieren. Was sielt ihr euch um diese Zeit noch im Bett herum? Raus ein bissel Dalli, wenn ich bitten darf."

Sofort sprangen die Kinder aus dem Bett und zogen im Vorlaufen ihre Overalls an. Keine zwei Minuten später standen alle, in Reih und Glied, am Tisch.

"Geht das nicht etwas schneller, ihr faules Pack", böse sah er die Kinder an.

Mayer hat eine scheiß Wut auf seinen Job und vor allen auf diese Kreaturen. Wegen denen würde er sein geordnetes und ruhiges Leben hier im Projekt, erst einmal aufgeben müssen. Er hatte gestern in Berlin den Befehl bekommen, mit dieser ekelhaften Bagage, quer durch die Welt zu reisen. Das passte dem ewig angetrunkenen Oberstleutnant gar nicht.

"Schnappt euch eure Waffen und dann los, ein bisschen Beeilung", brüllte er wütend herum.

Die Kinder rührten sich nicht. Lyn sah an dem Oberstleutnant vorbei und befahl ihren Kameraden zu bleiben, wo sie waren.

"Was ist los 98? Sprich."

"Sir, entschuldigen sie, Sir. Welche Waffen sollen wir mitnehmen, alle oder spezielle, Sir?"

Der Oberstleutnant stutzte. Ihm wurde bewusst, dass er seinen Befehl nicht exakt formuliert hatte, das brachte ihn zusätzlich in Rage.

"Alle, ihr dämliche Bagage", mit einem bösen Blick musterte er das Mädchen.

Lyn drehte sich wie vorgeschrieben um und lief, wie alle anderen auch, zu ihren Spinten, um sich fertig auszurüsten. Nach nur fünf Minuten standen alle mit Nah- und Fernkampfwaffen bewaffnet, wieder an ihrem Platz.

Diese Zeit nutzte Mayer um zu überlegen, wie er weiter vorgehen sollte. Gestern hatte er besseres vor, als sich darüber Gedanken zu machen. Diese Bagage würde er bei den ersten Einsätzen begleiten müssen, das wurde per Befehl von ihm verlangt. Allerdings würde er nichts tun, um diese Kreaturen auch noch zu unterstützen. 'Sollten sie doch alle verrecken, dann hatte er endlich seine Ruhe und das dämliche Projekt löste sich von selber in Wohlgefallen auf', ging es Mayer durch den Kopf. Er hasste seinen Job nur noch und wollte hier weg. Er konnte diesen Ort und vor allem diese Kreaturen nicht länger ertragen.

"98, hier ist ein Ordner."

Mayer schmiss Lyn diesen einfach zu. Lyn fing ihn gekonnt auf und stellte sich wieder ordentlich in Reih und Glied. "Du Missgeburt, hast die Verantwortung für diesen Einsatz. Dann kann ich dich wenigstens richtig fertig machen, wenn du es in den Sand setzt, du verdammtes kleines Biest. Im Dossier steht alles drin, was ihr wissen müsst. In der Tupolew, könnt ihr das durcharbeiten. Abmarsch."

Innerlich kochend vor Wut drehte sich Mayer um und lief aus dem Raum. Kein Wort darüber verlierend, was die Kinder erwartete. Weder Duschen konnten sie gehen, noch bekamen sie ein Frühstück. Vor allem konnten die Hundert nicht einmal etwas Wasser trinken, dies war bis jetzt noch nie vorgekommen. Verwirrt sahen die Kinder den Oberstleutnant hinterher. Ihnen blieb also nichts anderes übrig, als Mayer zu folgen.

Die Gruppe formierte sich in einer Doppelreihe und lief im Laufschritt hinter Mayer her. Der saß schon auf seinem Multicar und fuhr im schnellen Tempo in Richtung des Rollfeldes. Also legten die Kinder einen Zahn zu, um an dem Vorgesetzten dran zu bleiben, damit dieser nicht noch wütender wurde. Fast zeitgleich mit Mayer, erreichten die Hundert das Flugzeug.

"Rein mit euch und etwas Dalli", brüllte Mayer weiter die Kinder an.

Genervt sah Lyn auf Mayer. "Na super, das kann ja wieder heiter werden. Geht dem sein Gebrülle nicht selber auf die Nerven?", stellte Lyn in der Verbindung zu ihren Freunden sarkastisch fest. "Dem muss doch jeden Abend der Hals weh tun. Vielleicht säuft der deswegen so viel? Oder der hat schon Hornhaut auf den Stimmbändern", stellte Lyn weiter Überlegungen an und fing schallend an zu lachen.

Die anderen stimmten in ihr Gelächter ein. Während sich die Kinder untereinander unterhielten und sich über Mayer lustig machten, stieg die Gruppe in das Flugzeug. Lyn war wie immer die Letzte, die einstieg und setzte sich auf den einzigen freien Platz, vorn in der Maschine und vor ihr Team. Kaum dass sie saßen, schnallten sich alle wie vorgeschrieben an. Mayer verschwand ohne noch ein Wort zu sagen, im Cockpit. Endlich waren die Kinder allein.

"Was wird das denn, wenn es fertig ist?", wollte Ezzo, der Junge mit der Nummer 68, wissen.

Lyn zuckte mit den Achsen und öffnete den Ordner. Gleichzeitig öffnete sie die Verbindung zu denjenigen die bis jetzt noch ausgeschlossen waren. So wie sie es immer handhabten, arbeiteten sie das Dossier gemeinsam durch.

"Ihr müsst mir helfen, lest alle mit", gab sie den Startbefehl, dass sie den Einsatz vorbereiten mussten.

Es war eine haarige Angelegenheit die da auf sie zukam. Dies war allerdings nichts Neues, denn ihre Einsätze waren immer nicht einfach. Lyn war mit ihrem Team auf den Weg nach Prag. Dort wurden sie sehnsüchtig von der Tschechischen Polizei erwartet, um ein Lager Rechtsradikaler ausfindig zu mache.

Seit über einem halben Jahr versuchte die dortige Polizei, das Ausbildungslager der Gruppe Drova aufzuspüren. Vor allem wollte man die dort befindlichen staatsfeindlichen Kräfte endlich festsetzen. Dabei handelte es sich um eine immer stärker werdende Gruppe von Widersachern. Diese Gruppe versuchten die Fehlentscheidungen und die mangelnde Voraussicht in der Führungspolitik der Regierung, zum Stimmungsmache gegen den Staat auszunutzen.

Es war eine heikle Situation, das wurde den "Hundert" sofort klar. Lyn und ihre Kameraden hassten solche Einsätze, aber was blieb ihnen anders übrig, Befehl war Befehl und sich Mayers Anordnungen zu wiedersetzen, war eine gefährliche Angelegenheit, die man schnell mit dem Leben bezahlen konnte. Nicht nur einmal in den letzten Jahren hatten sie das versucht. Nur Lyn war es zu verdanken, dass bis jetzt keiner ihrer Freunde gestorben war. Einige Male konnte sie Lyn gerade noch in letzter Sekunde retten. Also versuchten sie diese Einsätze immer so human wie möglich zu erfüllen. Scheidern tat dies meistens an der nötigen Einsicht ihrer Gegenspieler.

Dass Ziel der Gruppe Drova war ein Mitspracherecht, bei politischen Entscheidungen zu erreichen. Die Gruppe wollte Gerechtigkeit für alle, was ja auch der Name der Gruppe aussagte. Das Wort Drova bedeutete im tschechischen, nichts anderes als Gerechtigkeit. Die jetzigen Machtinhaber wollten mit aller Macht, die stalinistische Führungsspitze erhalten. Sie wollten einfach nicht auf das einfache Volk hören, das nicht mehr bereit war, im absoluten Gehorsam, den Machthabern zu folgen.

Verzweifelt rieb sich Lyn den Nacken.

Dija aus dem Team 5, machte einen Vorschlag den alle sofort zustimmen. "Lyn, macht dich nicht schon wieder so fertig. Lass uns die Gruppe doch erst einmal finden. Erst wenn wir die Gruppe haben, können wir unsere weitere Vorgehensweise planen. Dass du dir jetzt schon wieder Sorgen machst, bringt überhaupt nichts. Wir können sowieso erst weiterplanen, wenn wir wissen, wo die überhaupt stecken. Jetzt zu spekulieren ist sinnlos. Wir machen erst einmal eine Fächersuche und sehen dann weiter. Es wird schon nicht so schlimm werden."

Lyn nickte zustimmend. Dija hatte recht mit ihren Überlegungen und die anderen stimmten ebenfalls zu.

"Was denkt ihr, wo sollen wir mit unserer Spurensuche beginnen? Die können ja überall stecken", fragend sah Lyn in die Runde. Erklärte den Freunden allerdings sofort ihre Sichtweise der Dinge. "Ich würde im Nordwesten beginnen. Dort war allerdings, laut Dossier, die Suche erfolglos. Also denke ich wäre es sinnvoller, wenn wie nördlich von Ritka beginnen. Das liegt nicht weit von unserem geplanten Landplatz. Dort in dem Waldgebiet, gäbe es gute Versteckmöglichkeiten und vielleicht können wir da eine erste Spur finden."

Krein, einer der besten Taktiker aus Lyns Truppe, stimmte ihren Überlegungen zu. "Lyn, das wollte ich auch gerade vorschlagen. Wie wäre es mit einer Fächersuche, über das gesamte Waldgebiet in Doppelreihen. So kann uns keine Spur entgehen. Dann ziehen wir diesen Suchfächer weiter in Richtung Südwesten. Bis runter nach Halouny. Dort verbreitern wir die Reihe, in dem wir aufschließen und die Reihe auseinanderziehen. Falls wir da auch nichts finden, sollten wir uns in Höhe der Linie Velký Chlumec und Dobris teilen, eine Hälfte geht weiter nach Südwesten, die anderen nach Norden, in Richtung Svata. Dort teilt sich die nördliche Gruppe und sucht in zwei Gruppen, das dortige Gebiet ab. In dem sie nach Nordosten und Nordwesten, das dortige Waldgebiet durchkämmen. So finden wir am schnellsten etwas. Falls es dort überhaupt etwas zu finden gibt. Werden wir dort auch nicht fündig, treffen wir uns alle in Skorice. Dann besprechen wir uns weiter. Lyn, anders sehe ich keine effektive Vorgehensweise. Die Tschechische Polizei weiß wie es scheint, überhaupt nicht, wo die Leute stecken. Suchen seit Monaten wahllos mal hier und mal da."

Lyn stimmte mit Kreins Gedanken überein, genauso würden sie es machen. Die gleichen Gedanken kamen ihr beim Durchlesen des Dossiers.

"Ich denke du hast Recht, Krein. Dann haben wir schon einmal ein riesiges Gebiet ausgeschlossen, wo sie nicht sein können. Ich denke mir, dass wir sie am ehesten in der Nähe des Grenzgebietes nach Österreich finden. Da wir das Gebiet Nordwesten ja ausklammern können. Ich vermute ganz stark, dass die sich irgendwo bei Lesna Haje in dem Waldgebiet nahe der Grenze verstecken. Dadurch können sie sich schnell nach Österreich absetzen. Finden wir sie da auch nicht, bleibt uns nur die Möglichkeit weiter im Süden oder Osten zu suchen. Das entscheiden wir aber erst, wenn wir diese beiden Gebiete ausgeschlossen haben."

Krein folgte dem Gedankengängen Lyns und fand, dass sie das richtig analysiert hatte, genau wie Conan und Dija. Alle anderen sahen die vier besten Taktiker der Gruppe an, nickten zustimmt. Auch weil sie den Gedankengängen der Planer oft nicht folgen konnte. Ona, einer der Dolmetscherin aus dem Team 1, sah Lyn völlig verwirrt an, weil sie wieder einmal nichts von dem verstand, was ihre Kameraden da planten. Lyn verdrehte ein wenig die Augen und neckte ihre Freundin.

"Ach Ona, nicht schon wieder dieses Diskussion. Was verstehst du denn wieder nicht?", Lyn konnte sich wie immer ein Feixen nicht verkneifen, da sie ahnte, was jetzt gleich wieder kam.

"Ich verstehe euch einfach nicht Lyn. Ich versuche es ja zu kapieren, aber es ist für mich völlig unlogisch. Warum suchen wir erst dort, wo wir sie nicht vermuten? Das ist völlig ineffektiv. Einfach Zeitverschwendung. Was bringt es uns, mit zweiundachtzig Leuten ein Gebiet von reichlichen sechshundert Quadratkilometern abzusuchen, wenn wir von vornherein wissen, da ist nichts und wir eine Chance von hundert Prozent haben, dort ohne Erfolg zu arbeiten. Das verstehe ich wirklich nicht. Ich will es ja verstehen, aber ich kapiere es nicht", völlig verzweifelt und sich die nicht vorhandenen Haare raufend, sah Ona Lyn an.

Das Mädchen aus der Serie 1, war eine der besten Dolmetscher der Gruppe und ein mathematisches Genie, in Taktik allerdings eine komplette Niete, noch schlimmer als Raiko, der auch aus dieser Serie kam.

"Ach Ona, muss das jetzt wirklich wieder sein. Egal wie oft ich dir das erkläre, du wirst es nicht verstehen."

Ona sah Lyn mit so einem verzweifelten Blick an, dass diese gar nicht anders konnte als es ihr zum tausensten Mal zu erklären, auch wenn alle anderen stöhnten.

"Also gut, noch einmal für dich ganz alleine und ganz einfach erklärt. Ona es ist doch so, du steckst nicht in den Leuten drin. Du weißt also nicht, wie quer diese Leute denken. Deshalb, das hast du auch im Taktik-Unterricht gelernt ... Erinnerst du dich daran? ... sollte man immer erst das Unmögliche ausschließen und dann zum Möglichen übergehen. Denkt einer mal Unmöglich…" Lyn begann schallend zu lachen. "… was ja öfters einmal passiert, um seine Verfolger abzuhängen, dann findest du sie einfach schneller. Außerdem Ona, dauert dass nicht so lange, bei der Menge von Leuten, die wir sind. Das haben wir in knapp zwei Stunden erledigt. Dann konzentrieren wir uns einfach, auf das Sinnvolle. Können dann gezielter vorgehen, ohne jedes Mal im Hinterkopf zu haben, vielleicht sind sie doch dort, wo wir noch nicht gesucht haben."

Ona schüttelte verzweifelt den Kopf. Egal wie oft sie es versuchte, sie verstand es einfach nicht. Allerdings ging es nicht nur Ona so, viele aus dem Team 1 konnten den Taktikern nicht folgen und hatten auch ihre Prüfungen in Taktik alle nur mit Hilfe von Lyn und den Anderen geschafft, sonst wären sie in diesen Prüfungen hoffnungslos durchgefallen. Viele der Theoretiker, wie Lyn die Kinder der Serie 1 nannte, verstand einfach nichts von taktischen Vorgehensweisen. Warum das so war, hat Lyn nie ergründen können. Alle durch die Reihe weg waren gute Mathematiker, wenn es um logische Schlussfolgerungen in der Taktik ging, sahen und begriffen sie das Einfachste nicht.

"Ach Ona, guck doch nicht schon wieder so. Nimm es doch einfach wie es ist. Akzeptiere es einfach. Ich muss das doch auch machen. Stelle dir mal vor, ich würde versuchen Dolmetscher zu werden und müsste eine Sprache erlernen, das wäre genauso unvorstellbar, wie du als Taktikerin. Höre einfach auf es versuchen zu wollen. Du und Taktik das funktioniert einfach nicht, ihr beide passt einfach nicht zusammen. Genau wie für ich und das erlernen einer Sprache, etwas Unmögliches sind", Lyn schaute ihre Freundin breit grinsend an.

Ona winkt lachend ab. "Du hast ja Recht. Ich will es ja verstehen, aber ich denke glaube ich anders als du."

Schallend lachten alle "Hundert". Wie oft hatten die beiden Mädchen, schon dieses Gespräch geführt. Es war einfach hoffnungslos. Ona schaffte es nicht Lyn eine Sprache beizubringen. Lyn nicht egal, was sie auch versuchte, Ona etwas über Strategie und Taktik zu lehren. Es endete immer mit der gleichen Frustration auf beiden Seiten. Irgendwann, würden beiden Mädchen einmal begreifen, dass es nicht funktionierte und hörten auf es erzwingen zu wollen. Dann hatten beide eine Chance, etwas auf diesen Gebieten zu lernen, denn sie wurden in dem Moment offener für diese Dinge. Beide hatten andere Qualitäten und waren auf ihre Weise, wichtig und unersetzlich fürs Team.

Wie oft hatte sich Ona schon über die Sprache von Lyn aufgeregt. Kein normaler Mensch könnte die je verstehen und lernen. Es wäre stets ein Rätselraten und hätte keinerlei logische Aspekte. Diese Sprache wäre einfach ineffektiv und pure Zeitverschwendung. Alle Kinder aus den Teams konnten allerdings die von Lyn entwickelte Sprache sprechen und verstehen. Nur Ona und der Rest des Teams 1 meckerten ständig daran herum und bezeichneten sie als eine Babysprache. Dann begann Lyn jedes Mal damit, breit zu grinsen und zuckte verlegen mit den Schultern. Ihre Begründung war stets die Gleiche.

"Das ist doch auch eine Babysprache. Wir waren damals noch im Inkubator, als ich die mir habe einfallen lassen und sie euch beigebracht habe. Damals wart ihr froh, überhaupt miteinander reden zu können. Außerdem habt ihr die meiste Zeit nur geschlafen und nur geantwortet, wenn ich euch etwas gefragt habe."

Schnell war das Thema dadurch vom Tisch. Lyn lachte in sich hinein und die anderen lachten alle mit. Lyn allerdings wurde schnell wieder ernst und gab einen eindeutigen Befehl.

"Ihr schlaft am besten alle noch etwas. Ich weiß nicht, wie lange wir suchen müssen, dann seid ihr froh, wenn ihr jetzt noch etwas Ruhe hattet."

Die meisten schlossen sofort ihre Augen, denn sie gaben Lyn Recht. Sie hatten einen anstrengenden Einsatz vor sich, der nicht in wenigen Stunden erledigt war. Er konnte sich über Tage hinziehen, in dem sie nicht zum Schlafen kommen würden. Rashida, kam vor zu Lyn und setzte sich neben ihre Freundin.

"Täubchen, soll ich dir beim Schlafen helfen?"

Lyn nickte dankbar. Ohne Rashida hatte sie keine Chance etwas Ruhe zu finden. Sie konnte ohne ihre Freundin nicht schlafen. Lyn fehlte einfach die innere Ruhe, um abschalten zu können. Ohne Rashida war es für Lyn nie möglich erholsam zu schlafen: Ständig war sie auf Alarm geschaltet. Sie hatte ständig Angst, dass sie von einem der Betreuer, aus dem Schlaf geprügelt wurde. Wie oft war das in der Anfangszeit passiert.

Rashida ermahnte Lyn. "Höre auf zu grübeln Täubchen. Komm, höre auf meinen Atem."

Lyn konzentrierte sich auf Rashidas Atemrhythmus, keine zehn Atemzüge später, schlief sie wie alle anderen tief und fest.

 

Unsere Tupolew vom Typ, Tu-114 brachte uns nach einer Zwischenlandung in Berlin, in nur knapp zweieinhalb Stunden nach Prag. Zehn Minuten vor der Landung stürmte Oberstleutnant Mayer aus dem Cockpit, in dem er sich bis eben aufgehalten hatte und flippte total aus, weil alle schliefen.

"Was in drei Teufels Namen geht denn hier los? Wer hat euch eigentlich gestattet zu schlafen? Sind wir auf einer Urlaubsreise oder im Einsatz?", brüllte Mayer sofort in den Passagierraum herum.

Wir setzten uns ordentlich hin.

"Hoch mit dir 98! Was ist hier los? Hattest du nicht die Aufgabe, das Dossier durchzuarbeiten. Sprich du… du missgestalteter Bastard", wutentbrannt schaute der Oberstleutnant mich an.

Ich stellte mich ordentlich in den Gang, die Hände auf den Rücken den Blick gesenkt, so wie wir es gelernt hatten. Nach der Aufforderung zu sprechen, hob ich den Blick, sah wie gewohnt an dem Oberstleutnant vorbei.

"Sir, wir haben das Dossier, durchgearbeitet Genosse Oberstleutnant. Wir haben eine entsprechende Strategie, die uns nützlich und effektiv erscheint ausgearbeitet, Sir. Da wir ein sehr großes Gebiet abzusuchen haben, war ich der Auffassung, dass es gut sei, dass die Truppe noch etwas ruht, Sir. Damit wir dann keine Pause brauchen, Sir. Die Einsatz ist fertig vorbereitet, soweit es uns jetzt schon möglich ist, Sir. Wenn sie möchten, kann ich ihnen erklären, was wir vorhaben, Sir", gab ich mit fester Stimme Auskunft.

Vorsichtshalber spannte ich meine Muskulatur an, da ich auf einen Schlag vom Oberstleutnant wartete. Der Oberstleutnant hatte keine Fahne, das bedeutete sein Alkoholspiegel war tief im Keller. Mayer war also auf Entzug. In diesem Zustand war er noch gereizter und noch schlechter gelaunt, als sonst. Man musste ihm mit höchster Vorsicht entgegentreten.

Wenn wir in den letzten vier Jahren eins gelernt hatten, dann wie wir uns in all seinen Launen, am besten verhalten mussten, um so wenig wie möglich Prügel zu bekommen. Keiner wiedersprach dem Oberstleutnant freiwillig, wenn dieser fast nüchtern war. Na, ich tat dies schon ab und an einmal. Zum einen weil ich meine Wut nicht kontrollieren konnte und zum anderen, um meine Freunde vor seinen Launen zu beschützen. Nur konnte das wirklich lebensgefährlich werden.

"Wie ihr habt eine effektiv erscheinende Strategie? Ihr Bastarde wollt mir doch nicht erzählen, dass ihr in zwei Stunden etwas ausgearbeitet habt, zu dem Taktiker mit zehn Jahren Berufserfahrung Wochen brauchen. Sprich du Missgeburt", böse sah er mich an.

"Sir, entschuldigen sie bitte, Sir. Wir sind zweiundachtzig Leute und auch in punkto Taktik nicht ganz unerfahren, Sir. Dadurch können wir wesentlich schneller Strategische Vorbereitungen treffen, Sir", wagte ich mich sehr weit vor.

Der Oberstleutnant sah mich verwundert an und schüttelte den Kopf. Zum Glück winkte aber nur ab. Ihm schien es nicht sonderlich gut zu gehen, denn er zitterte am ganzen Körper.

"Wehe euch ihr blamiert uns bei dem Tschechischen Kollegen. Macht euch fertig, zum Ausstieg. Keiner von euch spricht ohne meine Erlaubnis. Auch nicht während des Einsatzes, verstanden?"

"Sir, jawohl, Sir", kam die vielstimmige Antwort, die er gar nicht mehr registrierte.

Mayer drehte sich um und ging schwankend zurück ins Cockpit.

"Ach du meine Güte. Das kann ja heiter werden", konnte sich Bekir, der Junge mit der Nummer 69, nicht verkneifen in der Verbindung zu sagen.

Bekir war ein hochgewachsener dunkelhäutiger junger Mann von zweihundertundeinem Zentimetern, aber hundertzwanzig Kilo Lebendgewicht. Er war einer der besten Scharfschützen der Gruppe. Der beste war Cankat. Bekir war einer von den Kindern, die sich immer über den Oberstleutnant wegschmissen vor Lachen. Egal, was dieser mit ihm gerade angestellte. Selbst auf dem Hof, der seit zwei Jahren vom Rest des Parks, durch eine hohe Mauer abgetrennt wurde, verging Bekir das Lachen nie. Egal, was der Oberstleutnant mit ihm dort auch angestellt hatte, er lachte immer. Wie oft hatte ich ihn dafür bewundert.

"Ach Bekir, hoffentlich bekommt der bald etwas zu trinken. Damit er wieder normal wird, dann ist er mir lieber", antwortet ihm Pius, ein Junge aus der Serie 3, mit der Nummer 38, sein bester Freund.

Da musste auch ich lachen. "Vielleicht sollten wir uns angewöhnen etwas selbstgebrannten Schnaps in der Ausrüstung mitzunehmen. Damit wir ihn notversorgen können, wenn der Spiegel zu niedrig ist", konnte ich mir jetzt nicht verkneifen.

"Ach vielleicht brennen wir den einfach selber, wenn es schief geht …" Rashida hörte lieber auf, zu sagen, was ihr da gerade in den Kopf ging. "… nee lieber nicht. Wir wollen doch nicht so werden wie er, oder?", kichernd blickte sie in die Runde.

Ich übernahm erst einmal wieder das Kommando. "Los Leute, macht euch fertig zum Ausstieg, der Oberstleutnant ist megaschlecht drauf. Provozieren wir ihn nicht noch."

Sofort machen sich alle fertig. Zwei Minuten später setzte die Tu-114 zur Landung an. Mayer kam zu uns hinter und verließ vor uns, über die Gangway, das Flugzeug. Wir folgten ihm und stellten uns in Reih und Glied, vor die Tupolew.

 

Mayer ging auf einen Oberst der Státní bezpečnost, des Staatssicherheitsdienstes der Tschechischen Republik zu. Kurz nickte der Oberstleutnant grüßend mit dem Kopf. Sein Blick wanderte über unsere Reihen und er war ausnahmsweise einmal zufrieden mit dem, was er sah. Wir standen wie die Einsen in Reih und Glied, den Blick nach unten auf den Boden gesenkt. Wir atmeten erleichtert auf. Es war nicht nur einmal vorgekommen, dass wir genau in diesem Augenblick, schon unser erstes blaues Wunder erlebten. Er wandte sich wieder, dem vor ihm stehenden Offizier zu und salutierte kurz.

"Genosse Oberst Svoboda, nehm ich an. Team Hundert, steht ihnen zur Verfügung. Oberstleutnant Mayer, meldet sich mit zweiundachtzig Einsatzkräften, zum Dienst", meldete uns Mayer vorschriftsmäßig an.

Oberst Svoboda, ein gut durchtrainierter Mittvierziger, von hundertzweiundachtzig Zentimeter und etwa fünfundachtzig Kilo, sah den Oberstleutnant verwundert an. Im guten Deutsch erkundigte er sich ungehalten bei seinem deutschen Kollegen.

"Genosse Oberstleutnant Mayer, das ist doch nicht ihr Ernst. Das sind doch noch Kinder. Sie können hier nicht mit Kindern auftauchen. Was bitte soll das werden? Wie soll ich denn die Würmchen einsetzten? Der Einsatz hier wird nicht ohne sein", seinen Kopf schüttelnd, sah er an unserer Reihe entlang. "Können diese Kinder nicht die Brillen abnehmen? Was soll das ganze eigentlich? Man hatte mir tatkräftige Unterstützung versprochen und keine Kindergartengruppe."

Insgeheim musste ich lachen. Wenn ich mir vorstellen würde, vor unserer Reihe zu stehen, dann käme ich höchstwahrscheinlich auch auf die Idee, an unserer Ausbildung zweifeln. Wenn ich ehrlich sein sollte, dann sahen wir wirklich alle noch sehr jung aus. Ich wahrscheinlich noch jünger als meine Kameraden. Bei den ganzen Übungseinsätzen im vergangen Jahr, bekam ich mit, dass die anderen Teams alle schon über weit über die fünfundzwanzig Jahre alt waren. Dagegen machten wir wirklich den Eindruck, noch Kinder zu sein. Wenn ich uns mit unseren Betreuern verglich, die alle um die dreißig Jahre alt waren, würde ich uns auf vielleicht dreizehn oder vierzehn Jahre schätzen. Mich vielleicht auf maximal circa zehn, allerhöchstens elf Jahre. Wenn dieser tschechische Oberst wüsste, dass wir erst ungefähr vier Jahre alt waren, dann würde er wahrscheinlich vor Schreck umfallen. Lachend gingen mir diese Gedanken durch den Kopf und meine Freunde lachten mit, denn auch sie dachten ähnliches Es war immer herrlich anzuschauen, wie andere auf uns reagierten. Nur gut, ging es mir durch den Kopf, dass unsere Gedanken keiner der Andere hören konnte. Mit unseren Brillen würden wir wohl noch des Öfteren böse anecken. Die Ausbilder hatten uns immer erklärt, dass das Tragen von Sonnenbrillen im Dienst verboten war. Die meisten waren der Meinung, dass nur Angeber und Großmäuler im Dienst eine Sonnenbrille tragen würden. Deshalb reagierten viele auf unsere Brille, so abweisend.

Interessiert beobachtete ich, wenn auch innerlich angespannt, Oberstleutnant Mayer. Ich fragte mich besorgt, wie sich der Oberstleutnant wohl aus dieser für ihn ungewohnten Lage befreien würde. Unsere Betreuer hatten durch die vielen Übungseinsätze, in dieser Hinsicht schon einige Erfahrungen sammeln können und wussten, wie sie die Gegenseite von unserem wirklichen Können überzeugen konnten und hatten die Einsatzleitern schnell auf ihrer Seite. Der Oberstleutnant der ja erst wenige Einsätze mit uns gemacht hatte, war bis jetzt noch nie auf dieses Problem gestoßen.

Innerlich freuten wir uns alle, dass diesmal der Oberstleutnant, nicht mit offenen Armen empfangen wurde. Wir gönnten Mayer diese unangenehme Situation. Auf diese Weise war unser großer Chef noch nie empfangen wurden. Meistens kannte er die Einsatzleiter persönlich und es gab nur eine kurze freundschaftliche Begrüßung. Diesen Oberst schien er allerdings nicht persönlich zu kennen. Das war ein Problem, dass er wohl lösen konnte. Obwohl, zitterig wie der Oberstleutnant war, wollte er bestimmt nur schnell dorthin, wo es etwas zu trinken gab. Immerhin ging es schon auf 9 Uhr zu und er hatte immer noch nicht sein Level erreicht. Unser Vorgesetzter musste Höllenqualen leiden.

Die Reaktion die Oberst Svoboda von unserem Oberstleutnant bekam, war eine völlig andere, als der Tscheche erwartet hatte. Von Mayers Seite kamen keine entschuldigenden Worte und kein Versuch der Erklärung. Er griff zu einer anderen besseren Methode. Dem Einsatzleiter wurde sofort klar, dass unser Team nur durch Leistungen überzeugen konnte. Deshalb drehte sich Mayer zu uns um.

"98 und 91, gebt eure Waffen den Nebenmann. Ich will hier einen sauberen und ordentlichen Kampf sehen. Zeigt dem Oberst, was ihr könnt. Ein bisschen Dalli, wenn ich bitten darf", forderte er in einem scharfen unfreundlichen Ton.

Also gaben wir unsere Waffen ab und traten einen Schritt vor die Gruppe. Da ich eine Frage hatte und mir sein Befehl nicht klar genug war, sah ich den Oberstleutnant fragend an.

 "Was ist 98? Sprich", wütend blickte er mich an, weil wir nicht sofort mit dem Kampf begannen.

"Sir, wie lange soll der Kampf dauern, Sir? Welchen Kampfstil wünschen sie, Sir?", erkundigte ich mich bei ihm.

Mir war nicht wirklich klar, was wir machen sollten. Auf so etwas, waren wir alle nicht vorbereitet. Mayer trat vor mich, sah mich böse an. Es trennten uns nur noch weniger Zentimeter. Ich sah ihm an, dass er sich nur noch mühsam beherrschen konnte, am liebsten hätte er zugeschlagen.

"Fang einfach an! Ich sage Bescheid, wenn es gut ist, 98. Was ihr macht ist mir egal! Hauptsache ihr kämpft. Und zwar richtig. Los jetzt komme endlich ein bisschen in Bewegung", fauchte er mich an.

Ich nickte, gab jedoch keine Antwort, da er mir das Sprechen nicht erlaubt hatte. Außerdem musste ich mir das Grinsen verkneifen. Sei bitte nett Oberstleutnant und gehe wenigstens einen Schritt zur Seite, sonst tue ich dir noch weh. Mühsam zwang ich meinen Blick nach unten, auf den Boden. Die ganze Truppe fing an zu lachen. So fiel es mir noch schwerer ernst zu bleiben. Mühsam um Beherrschung bemüht, schielte ich zu Rashida, die ebenfalls breit grinste und nicht wusste, was sie machen sollte. Selbst wenn ich wollte, ich konnte nicht mit dem Kampf beginnen, denn Mayer stand mir praktisch im Weg. Wie sollte ich da mit Kämpfen anfangen? Er würde praktisch den ersten Schlag abbekommen. Nicht das es mir leid tun würde: Bestimmt nicht. Das wär einmal eine nette Abwechslung, nicht geschlagen zu werden, sondern ihn zu schlagen. Aber in seinem jetzigen Zustand, wäre das glaube ich Selbstmord.

"Was hast du noch für ein Problem, 98? Sprich."

Ich hob meinen Blick, mühsam um einen ernsten Gesichtsausdruck bemüht und sah ihm einen Augenblick in die Augen, dann sofort wieder an ihm vorbei, um zu antworten.

"Sir, entschuldigen sie bitte Genossen Oberstleutnant. Könnten sie eventuell einen Schritt zur Seite gehen, Sir. Ich möchte sie nicht verletzten, Sir."

Rashida schmiss sich weg vor Lachen. Dann bat sie mich innerhalb der Verbindung. "Lyn, höre auf ihn zu provozieren, dann hast du wieder Schmerzen."

Wie so oft war ich froh die Verbindung zu den anderen zu haben, so konnten wir unsere Späße machen, ohne dass die anderen es merkten. Vor allem konnten wir lachen, ohne dass sie das mitbekamen. Ich grinste breit zurück und konnte mir nicht verkneifen zu antworten.

"Das ist es mir wert Rashida. Er sagt doch immer, wir sollen Befehle zu seine Zufriedenheit ausführen und fragen, wenn wir einen Befehlt nicht deutlich verstanden haben."

In der Zwischenzeit machte der Oberstleutnant einige Schritte Platz und ging auf Svoboda zu. Stellte sich neben den Oberst der Tschechischen Streitkräfte und erklärte ihm wohl einiges.

"Na komm Rashida. Dann lass uns ein bisschen spielen, damit sich der Oberstleutnant wieder beruhigt kann", sagte ich ironisch.

Einen wirklichen Kampf würden wir uns nicht liefern. Dass, was wir hier zeigen würden, war eher ein freundschaftliches Necken. Richtig kämpfen brauchten wir hier nicht, ein bisschen spielen würde reichen, um den Oberst von unserem Können zu überzeugen. Wir nahmen unsere Brillen ab und zogen die Bänder über die Augen, die wir bis jetzt über der Stirn getragen hatten. Die Brillen gaben wir unseren Freunden.

"Los", sagte ich laut.

Ich gab damit das offizielle Zeichen für den Beginn des Kampfes. Rashida begann mich mit einer schnellen Folge von Tritten und Schlägen anzugreifen. Ich ging ihr, die Schläge abwehrend entgegen. Schnell hatten wir Spaß an dem kleinen Kampf, die Bewegung tat uns gut. Wir vergaßen alles um uns herum und spielten etwas mit einander. Dadurch bemerkten wir gar nicht, dass der Oberst erschrocken einen Schritt zurück machte und uns mit entsetztem Blick anschaute. Svoboda konnte nicht fassen in welchen Tempo, wir beiden, so unterschiedlichen Mädchen, uns gegenseitig angriffen. Nur gut, dass er nicht wusste, dass wir uns nur gegenseitig etwas knufften, ein richtiger Kampf sah bei uns ganz anders aus. Viel zu schnell kam das Kommando zum Aufhören für uns, wir hätten gern noch etwas weiter gespielt.

"Schluss jetzt", befahl Mayer.

Auch Rashida hatte es registriert, wir blieben stehen, sahen den Oberstleutnant fragend an.

"Zurück ins Glied", kam schon der nächste Befehl.

Wie gewohnt, drehten wir uns zackig um, gingen zurück in die Reihe und nahmen unsere Waffen und Brillen entgegen. Stellten uns wieder ordentlich hin. Die Beine etwas gespreizt, den Kopf leicht gesenkt, die Hände auf den Rücken.

"Rühren", kam der nächste Befehl vom Oberstleutnant.

Das hieß einfach nur, dass wir bleiben sollten, wo waren. Ein wirkliches rühren war das nicht. Das bedeutete eigentlich nur, dass für einige Zeit keine weiteren Befehle kommen würden und wir warten sollten.

"Genosse Svoboda, hat ihnen der kleine Kampf gereicht oder solle ich mit meinen Leuten zurückfliegen. Diese Leute hier, müssen die Brillen tragen, wegen der lichtempfindlichen Augen", mühsam versuchte Mayer, sich seine Wut nicht anmerken zu lassen.

Svoboda schüttelte den Kopf. "Genosse Mayer, das war der Wahnsinn. Wieso können diese Kinder so gut kämpfen. Ich scheine mich in ihnen getäuscht zu haben. Kommen sie mit ihrer Gruppe mit. Das Einsatzzentrum ist etwas außerhalb von Prag gelegen. Wir müssen ungefähr zwanzig Kilometer fahren. Sie können mit mir fahren. Diese Kinder fahren mit dem Bus. Folgen sie mir bitte."

Oberst Svoboda war immer noch völlig durcheinander, von dem, was er gerade erlebt hatte. Er kämpfte gegen seine Empfindungen an, die ihm sagte, er könne diese Kinder nicht in den Kampf schicken. Auf der anderen Seite schienen diese Kinder wirklich gut zu sein und er konnte alle Hilfe gebrauchen die er bekommen konnten, um seinen Auftrag endlich ausführen zu können. Entschlossen drehte er sich deshalb um und rief einen seiner Untergeben einen Befehl zu.

"Přinášejí poručík Veselý děti na autobus.- Leutnant Vesely bringen sie die Kinder zum Bus."

Raiko, einer unserer Dolmetscher, übersetzte das Gesagte für uns, innerhalb der Verbindung. Ein älterer kompakt wirkender Leutnant, kam auf uns zu und bat mit einer warmen und für uns völlig ungewohnter, freundlicher Bassstimme.

"Následujte mě kamarádi. – Folgt sie mir Genossen."

Diesmal übersetzte Aila für alle. So wie wir das gewohnt waren, drehten wir uns alle zusammen, zeitgleich und zackig in die vorgeschriebene Richtung. Die hintere Hälfte der Leute schloss auf, zu einer Doppelreihe. In ordentlicher Formation, folgten wir dem Leutnant zu dem wartenden Bus. Kaum waren wir eingestiegen, fuhr dieser dem schon abfahrenden Jeep des Obersts hinterher. Der Bus folgte dem mit Blaulicht vorausfahrenden Jeep, im schnellen Tempo. Wir setzten uns einfach in den Gang und auf den Schoss der Freunde, da der Ikarus-Bus für unsere Gruppe viel zu klein war. Da wir aber nur eine kurze Strecke damit fahren mussten, war das kein wirkliches Problem. Wir waren schon wesentlich schlechter transportiert wurden. Ich setzte mich zu Rashida und Jaan, der Rina auf den Schoss hatte. Wie immer setze mich einfach auf Rashidas Beine. Wir saßen ganz hinten auf der letzten Bank und so hatte ich einen guten Überblick, über mein gesamtes Team. Eine knappe halbe Stunde später, bogen wir von der Straße ab und fuhren mit dem Bus auf ein umzäuntes Werksgelände und blieben vor einer riesigen Halle wir stehen.

Oberstleutnant Mayer scheuchte uns aus dem Bus. "Raus mit euch! Ihr wartet vor der Halle", kamen seine Anweisungen.

Ich stieg aus und ging einen Schritt auf Mayer zu. Nicht wie allen anderen, die sich in Reih und Glied aufstellten. Ich schaute Mayer fragend an. Da wir jetzt sowieso Leerlauf hatten, konnten wir uns schon auf den Einsatz vorbereiten. Dies durften wir allerdings nicht ohne Zustimmung unseres Vorgesetzten.

"Sag mal 98, merkst du eigentlich nicht, dass du nervst? Sprich du Bastard", fuhr mich der Oberstleutnant böse an, da er sich alleine vor dem Bus befand und auf Svoboda keine Rücksicht nehmen musste.

"Sir, entschuldigen sie, Sir. Wie lange dauert wird es dauern, bis wir loskönnen, Sir? Ich frage aus folgenden Grund, Sir, könnten wir die Zeit des Wartens nicht nutzen, um uns für den Einsatz warm zu machen, Sir? Dann können wir später ohne Verzögerung los, Sir, und würden eine Menge Zeit sparen, Sir. Ich wollte das nicht ohne ihre Einwilligung machen, Sir. Verzeihen sie meine Unsicherheit, Sir", erkundige ich mich vorsichtig bei ihm.

Oberstleutnant Mayer nickte. "Macht, was ihr wollt, Hauptsache ihr seid leise und macht keinen Ärger. Ihr habt zwei Stunden Zeit, kapiert und wegtreten. Verstanden?", böse funkelten mich seine Augen an.

"Sir, jawohl, Sir", bestätigte ich den Befehl und trat zurück ins Glied, gab ein Kommando in der Verbindung. "Los Leute, machen wir etwas für die Kondition. Ein bisschen Bewegung tut uns allen gut. Da hinten habe ich einen großen Platz entdeckt. Im Block aufstellen, wir machen vier Zyklen Fobnekotar. Vorher fünf Minuten Taiji."

Auf Kommando drehten wir uns um und liefen in geschlossener Formation, zu dem besagten Platz. Jeder stellte sich so, dass er den anderen nicht behinderte. Diese Übungen machten wir sehr oft. Wir wussten daher genau, wie wir uns zu stellen mussten.

Rashida entwickelte das Fobnekotar, eine Übung die uns half die Muskulatur aufzuwärmen. Es war eine sehr gute Übung, die absolute Körperbeherrschung verlangte. Vor allem benötigte sie viel Kraft. Außerdem brachte das Fobnekotar die Energie in den Muskeln zum fließen. Uns halfen diese Übungen Druck abzubauen. Außerdem hatten wir durch die Reihe weg, alle einen sehr großen Bewegungsdrang.

Am Platz angekommen, zogen wir uns zur Verwunderung, der an der Halle stehenden Leute aus. Wir legten unsere Waffen ab und zogen auch unsere Overalls aus. Diese Übung brauchte viel Bewegungsfreiheit und Kleidung war dabei nur störend. So standen wir alle nur in Turnhose und die Mädchen zusätzlich noch im Bustier da. Bevor wir begannen, ging ich mit Aila, auf den Ranghöchsten Offizier den ich erblicken konnte zu. Ich sah ihn fordernd an. Es war schon ein eigenartiger Anblick, wenn ich, kleine Zwecke, neben den anderen stehe. Aila war mit ihren zweihundertsieben Zentimetern eine der größten im Team, ganze einundvierzig Zentimeter größer als ich. Sie hatte ein Gewicht von einhundertfünfunddreißig Kilo und wirkte dadurch noch um einiges größer. Da sie viel kompakter aussah als ich, mit meinen gerade mal achtzig Kilo. Grinsend sah uns der tschechische Major an. Nach einer Weile begriff er, dass wir etwas von ihm wollten. Entsetzt sah er mich an und blickte erschrocken auf die vielen Narben, die meinem Körper zierten. Er sagte allerdings nichts dazu und erkundigte sich nur.

"Kamarád, jak jim mohu pomoci? – Meine Freunde, wie kann ich helfen?", verwundert sah er uns an. Aila übersetzte für mich, da ich ihn nicht verstand.

"Sir, würden sie bitte dafür sorgen, dass man uns während unserer Übungen nicht in die Quere kommt, Sir. Sich keiner ihrer Leute an unseren Sachen zu schaffen macht, Sir. Das könnte schmerzhaft, wenn nicht sogar tödlich für die Mitglieder ihres Teams enden, Sir. Wir schalten während dieser Übung vollkommen ab, Sir, bekommen aber trotzdem mit, was um uns geschieht, Sir. Wir agieren bevor wir denken können, es wäre gefährlich sich uns zu nähern, Sir."

Aila übersetzt für mich, auch die Antwort des Majors.

"Budu se ujistěte, že máte klid. – Ich werde dafür sorgen, dass ihr Ruhe habt."

"Sir, danke, Sir."

Wir drehten uns beide um und liefen zu unserem Platz. Grinsend blickte er uns hinterher. Er hatte gerade begriffen, dass ich das Sagen in der Gruppe hatte. Auf mein Kommando hin, fingen wir an uns ins Taiji einzuatmen, machen einige leichte Übungen, um unsere Atmung in einen gleichmäßigen Rhythmus zu bekommen und um uns besser konzentrieren zu können. Nach fünf Minuten Taiji, gab ich das Zeichen des Beginns, unserer Übungen.

Laut und dadurch auch für die anderen hörbar, gab ich das Kommando für den Start. "Zurien, Fobnekotar. – Beginnen wir mit den Fobnekotar."

Langsam führten wir Hände auf den Boden, gingen in den Handstand. Ganz langsam, wie in Zeitlupe. Das war der Trick bei der ganzen Sache, dass man diese Übungen sehr langsam machen musste. Jeder Bewegungsablauf dauerte fast eine Minute. So verbrauchte man die zehnfache Kraft. Es förderte die Körperbeherrschung, schärfte die Sinne und erhöhte den Energiefluss. Im Handstand angekommen, grätschten wir die Beine. Wie gesagt alles in Zeitlupentempo. Beugten dann das Becken, bis die Beine parallel über den Boden schwebten. Schlossen die Grätsche, sodass die Innenseiten unserer Beine, die Außenseiten unserer Arme berührten. Dann öffneten wir die Grätsche wieder, brachten das Becken wieder in eine aufrechte Position. Schlossen die Beine wieder und führten sie wieder zurück in den Handstand. Im Handstand angekommen, beugten wir wieder das Becken, diesmal jedoch mit geschlossenen Füßen. Führten diese zwischen unseren Armen hindurch, bis die Beine wieder parallel zum Boden schwebten. Anschließend verlagerten wir unser Gewicht auf den rechten Arm. Wir beugten diesen ein wenig, um das Gleichgewicht halten zu können. Im Anschluss führten wir die Beine, durch eine Drehbewegung in der Hüfte und der Schulter zur Seite und dann nach hinten. Damit fertig stellten wir den linken Arm wieder auf den Boden und streckten den rechten Arm wieder. Dadurch standen man in einer Art schwebenden Liegestütz. Wir verlagerten den Körperschwerpunkt nach vorn und drückten uns zurück in den Handstand. Wir wiederholten diese Übung, nur das wir das zweitemal, das Gewicht auf den linken Arm verlagerten, sodass beide Seiten gleichmäßig trainiert wurden. Damit war der erste Zyklus fertig. Achtundzwanzig Minuten dauerte ein solcher Zyklus. Meistens machten wir davon zehn bis fünfzehn. Oft sogar mehr, wenn wir einmal Zeit dazu hatten. Heuten blieb uns nicht so viel Zeit. Deshalb würden uns vier Zyklen genügen müssen. Da wir ja nur zwei Stunden zur Verfügung hatten. Wir wiederholen also beide Seiten noch dreimal. Damit fertig, gingen wir wieder aus dem Handstand, in den normalen Stand, atmeten über das Taiji aus.

Erstaunt sahen wir, dass über dreißig Leute, um uns herum standen. Sie schienen uns schon eine ganze Weile zu beobachteten. Kopfschüttelnd sahen uns die Mitglieder des Teams Svoboda an. Sie konnten wie so viele andere Teams nicht begreifen, was wir da gemacht hatten. Von anderen Teams, mit denen wir uns währende der Übungseinsätzen unterhalten durften, wussten wir, dass man dies nicht für machbar hielt. Unsere Betreuer hatten einmal versucht diese Übung nachzumachen und waren kläglich gescheitert. Ich denke, dass es daran lag, dass sie ihre Mitte nicht fanden. Denn nur, wenn man sein inneres Gleichgewicht gefunden hatte, war man in der Lage diese Übungen zu machen. Immer wieder hörten wir deshalb von anderen Teams, dass dies alles nicht gehen würde, obwohl sie es mit eigenen Augen beobachten konnten. Eilig kleideten wir uns an und rüsteten uns wieder aus. Ich war froh, dass diesmal keiner versucht hatte, an unsere Waffen zu kommen. Dies war schon bei einigen Übungseinsätzen passiert. Endete für denjenigen oft auf der Krankenstation. Deshalb war ich trotz des Sprechverbotes, zu dem zuständigen Offizier gegangen, um das zu verhindern. Latif, die Nummer 74, brachte wohl zum Ausdruck, was viele dachten.

"Das möchten die bestimmt auch können", erklärte er uns lachend.

"Klar Latif, dann hätten viel von denen nicht so einen dicken Bauch", meint Jaan schallend lachend und sah dabei seinen Freund an.

Latif der wie Jaan selber, kein Fliegengewicht war, fing schallend an zu lachen. Jaan brachte mit seinen zweihundertsechs Zentimetern, stattliche hundertachtundvierzig Kilo auf die Waage. Er war trotzdem alles andere, aber nicht dick. Genau wie sein Freund Latif. Einer der kleinsten Jungen aus unserem Team, der bei seinen einhundertneunundneunzig Zentimeter, stattliche hundertdreizehn Kilo wog. Beide waren, wie alle aus dem Team, pure Muskelpakete. Einen Bauch hatten wir alle nicht. In der Zeit, in der die beiden rumflachsen, machten wir uns zum Abmarsch bereit und stellten uns wieder ordentlich auf.

"Los Leute, gehen wir wieder vor zum Bus und warten dort auf den Oberstleutnant. Wenn wir nicht da sind, gibt es Stress. Ich glaube nicht, dass der schon etwas getrunken hat. Also los."

Zügig schlossen wir in eine Doppelreihe auf und liefen zurück zu der Stelle, an der wir vor der Übung standen. Sofort stellten wir uns in Reih und Glied auf. Warteten so auf unser Startzeichen. Vorher durften wir uns nicht vom Bus entfernen. Viele Übungseinsätze hatten wir schon gemacht, der Ablauf war immer der Gleiche. Wir hatten Glück und mussten dieses Mal kaum drei Minuten warten. Bei so manchen Übungseinsatz, war es so, dass wir Stunden an ein und derselben Stelle stehen mussten, bis sich endlich jemand an uns erinnerte. Der Oberstleutnant erschien mit Oberst Svoboda vor der Halle.

Mayer befahl mir in einem genervten und bärbeißigen Ton. "98, mitkommen. Erkläre dem Oberst, was ihr vorhabt. Du hast die Teamleitung. Ein bisschen Bewegung, wenn ich bitten darf. Komm bewege deinen dicken Hintern."

Ich wäre am liebsten schon wieder aus dem Anzug gesprungen, warum eigentlich immer ich? Genervt holte ich Luft und ging schweigend auf den Oberstleutnant zu. Wütend folgte ich den beiden Männern in das Gebäude.

"Täubchen, bleibe ruhig bitte", bat mich Rashida, aus Sorge um mich.

Schon einige böse Auseinandersetzungen hatte ich wegen meiner Wut mit den Betreuern, bei Einsätzen. Deshalb reagierte ich auch auf Rashidas Sorge mehr als gereizt.

"Warum eigentlich immer ich? Kann das nicht mal jemand anders machen? Ich werde versuchen ruhig zu bleiben, Rashida. Bloß soll der mich ja nicht wieder anmachen. Ich habe dir schon mal gesagt, dass ich mir von dem Arsch nichts mehr gefallen lasse."

Rashida atmete tief durch. "Lyn bitte, schalte auf Durchzug, bitte mein kleines Täubchen."

"Ja", antworte ich ziemlich genervt, weil mir Mayers Rumgebrülle, nur noch auf die Nerven ging.

Schon war ich durch die Tür der Halle verschwunden. Einen Augenblick später hatte ich meinen Unmut vergessen. Als ich die Halle betrat, blieb mir vor Überraschung die Luft weg. Sprachlos sah ich mich um. Es war der blanke Wahnsinn, was man hier für eine technische Ausrüstung aufgebaut hatte. Für ein provisorisches Einsatzzentrum, war das wirklich erstaunlich. Mich interessiert umsehend, folgte ich den beiden Männern an einen großen Tisch, auf dem eine Karte vom Einsatzgebiet lag.

"98 erkläre bitte, was ihr vorhabt", verlangte der Oberst.

Ich sah an Svoboda vorbei, tat ihm aber nicht den Gefallen, zu einer Erklärung anzusetzen. Er hatte mir nicht erlaubt zu sprechen. Also sah ich in Mayers Richtung, signalisierte dadurch, dass ich reden wollte, aber schwieg.

"Was ist los 98, hast du deine Sprache verloren?", fuhr mich Mayer böse an.

Immer noch schwieg ich. Rashida die wusste, warum ich das machte, warnte mich.

"Täubchen, bitte unterlasse das. Wage dich nicht zu weit vor. Wir fahren auch wieder einmal nach Hause. Das lässt er sich nicht gefallen."

Ich war viel zu wütend, um klar denken zu können. Warum musste er auch immer mich aus der Gruppe ziehen? Anderseits amüsierte ich mich über den Oberstleutnant. Es tat mir immer gut ihn mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Deshalb nutzte ich solche Situationen, zu meinen eigenen Nachteil, oft aus. Mir war schon bewusst, dass ich mich hinterher wieder über mich selber ärgern würde. Aber im Moment, tat mir das mehr als nur gut.

"Was soll´s Rashida. Er hat uns doch extra noch mal darauf hingewiesen, im Flieger, dass wir nur dann sprechen dürfen, wenn er es erlaubt. Ich halte mich nur an seine Befehle. Ich bin doch nicht wahnsinnig und rede ohne Erlaubnis", ich sah bildlich vor mir, wie meine Rashida leicht den Kopf schüttelte. "Rashida, wir können heute sowieso machen, was wir wollen. Es wird nichts richtig sein. Also es ist egal, was ich tue. Dem Oberstleutnant, machst du heute sowieso nichts Recht."

"Hast ja recht Lyn. Aber wage dich nicht zu weit vor."

In der Zeit in der ich mich mit Rashida unterhielt, trat der Oberstleutnant auf mich zu und funkelte mich böse an.

"Sag mal, was soll das 98? Hast du den Verstand verloren oder wie lange sollen wir noch auf eine Antwort warten? Sprich du kleines Miststück."

Oberst Svoboda sah entsetzt zum Oberstleutnant, dann zu mir. So ein Umgangston war er nicht gewohnt. Vor allem begriff er nicht, wieso ich nicht antworte. Diesmal antworte ich sofort.

"Sir, entschuldigen sie, Sir. Ich habe auf den Befehl gewartet, sprechen zu dürfen, Sir. Natürlich geben ich ihnen eine Antwort, Sir."

Sofort trat ich an den Kartentisch, um unsere weitere Vorgehensweise zu erläutern. Ich musste Mayer ja nicht noch mehr reizen. Rashida hatte Recht, es würde mir wieder nur Schmerzen einbringen.

"Sir, wir würden vorschlagen, einen systematischen Ausschluss der Gebiete vorzunehmen, Sir, in der sich diese Gruppe Drova nicht aufhält, Sir. Diese Suche wird hier in der Nähe circa zwei Stunden in Anspruch nehmen, Sir..."

Genau erklärte ich den beiden Haupteinsatzleitern unsere Vorgehensweise, anhand der Karte. Oberst Svoboda nickte anerkennend. Der Oberstleutnant sagte gar nichts dazu. Wie auch, der Oberstleutnant war ein Organisationsgenie, das musste man ihm lassen. Von Taktik jedoch, hatte er noch weniger Ahnung als Ona. Innerlich musste ich grinsen und fuhr fort mit meinen Erklärungen.

"… Sollten wir dort nirgends Spuren dieser Gruppe finden, ziehen wir weiter nach Lesná-Haje. Das ist ungefähr zwanzig bis fünfundzwanzig Kilometer von der Österreichischen Grenze entfernt, Sir", ich zeigte den beiden Offizieren genau das Gebiet, welches wir durchkämmen wollten, auch wies ich auf die besonderen Gegebenheiten hin. "Unserer Meinung nach, haben wir dort die größte Aussicht auf Erfolg, Sir. Dort werden wir eine weitere Flächensuche durchführen. Dauer auf Grund der örtlichen Begebenheiten, würde ich sagen circa sechs Stunden, da es sich nicht wie im ersten Gebiet, um ebenes Terrain handelt. Sollten wir dort fündig werden, je nachdem, welche Bedingungen wir dort vorfinden, werden wir einen sofortigen Zugriff vornehmen oder nochmals mit ihnen Rücksprache halten, Sir", ich blickte kurz zu Oberst Svoboda, dann zu Oberstleutnant Mayer. "Sir wenn wir dort auch nichts finden, werden wir die Suche, erst entlang der österreichischen Grenze, dann weiter in den Süden der Tschechischen Republik verlegen, Sir. In Richtung Nová Pec, wenn wir sie dort auch nicht finden, Sir. Suchen wir weiter entlang der Grenze bis Stožec, Sir. Wenn wir dann dort auch nichts finden, wird es schwierig…", ich rieb mir den Nacken. "... Dann Sir, müssen wir wohl weiter in Richtung Nordosten einen fünften Suchfächer aufmachen, um die Ortschaft Karolinka, Sir. Allerdings denke ich, werden wir die Gruppe dann nicht mehr in der Tschechischen Republik antreffen, sondern eher in Polen, Sir. In dem Fall müssten sie sich um Amtshilfe an die polnischen Kollegen wenden, Sir. Doch denke ich, dass wir bei Lesná-Haje die größte Chance haben. Die anderen Gebiete sind mehr oder weniger gründlich von ihren Einheiten, Genosse Oberst, durchsucht wurden, Sir. Dort war angeblich niemand, Sir. Sonst hätte ich als erstes dort gesucht, dort wäre ich hingegangen, Sir. Dauer des Einsatzes, wenn wir nur bis Lesná-Haje müssen, ungefähr drei Tage, Sir. Müssen wir allerdings bis nach Karolinka, müssen sie mit zehn Tagen rechnen, Sir. Dann würde ich auch darum bitten, dass meine Leute, eine kleine Pause zum Schlafen bekommen, Sir", wagte ich mich verdammt weit vor.

Fertig mit meinen Erklärungen stellte ich mich wieder ordentlich hin, nahm die Hände auf den Rücken, sah schweigend auf den Boden. Warte darauf, dass mir die Einsatzleiter Fragen stellten. Kopfschüttelnd sah mich Svoboda an.

"Genossin, wie wollen sie dieses riesige Gebiet am Anfang, in nur zwei Stunden durchsuchen. Könnten sie mir ihren Namen sagen?", wieder drehte ich meinen Kopf dem Oberstleutnant zu, sah ihn auf die Füße. Eine Geste mit der wir signalisierten, dass wir sprechen wollten. Er wollte diese uneffektive Methode haben, also musste er auch damit leben. Die anderen Betreuer merkten schnell, bei den Übungseinsätzen, dass man so nicht arbeiten konnte. Wir durften deshalb während der Einsätze ohne Erlaubnis sprechen. Zu allem, was den Einsatz betraf, ohne Sprecherlaubnis, unsere Meinung äußern. Beim Oberstleutnant im seinem jetzigen Zustand, wäre das Selbstmord. Dieser war unberechenbar, wenn sein Spiegel nicht hoch genug war. Erlaube mir das Sprechen, sonst schweige ich, ging es mir durch den Kopf. Irgendwie tat mir das gut, diesen Unmenschen mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen.

Oh Manne fiel es mir schwer, meine Wut auf diesen Menschen zu kontrollieren. Auch wenn ich wusste, dass ich im Anschluss wieder Schmerzen bekommen würde. Diese kleine Genugtuung ließ mich alle Vorsicht vergessen. Diesmal jedoch reagierte er sofort und schlug mit voller Wucht zu, genau in dem Magen. Er wusste, dass ich ihn provoziere. Da ich aber meine Muskeln angespannt hatte, tat mir dieser Schlag nicht einmal weh. Ich zuckte nicht einmal mit einer Wimper, bliebe einfach demonstrativ ruhig vor dem Oberstleutnant stehen.

Oberst Svoboda begriff nicht, was hier los ging und fuhr jetzt den deutschen Kollegen böse an. "Warum schlagen sie das Mädchen, Genosse Oberstleutnant? Sie hat doch überhaupt nichts gemacht", kopfschüttelnd sah er zu dem ihm unsympathischen Offizier.

"Eben deswegen. Sie macht nichts, dieses kleine Stück Mist. Sie provoziert mich hier ganz bewusst. Wie ich diese kleine Kröte hasse. 98, der Oberst hat dich etwas gefragt, antworte ihm gefälligst. Sprich du kleiner Bastard."

Innerlich grinsend, antworte ich sofort. "Genosse Oberstleutnant, Sir, ich antworte sofort, wenn sie es mir die Erlaubnis geben zu sprechen, Sir", wies ich den tschechischen Einsatzleiter mit Worten daraufhin, dass ich nicht sprechen durfte. Sofort wandte ich mein Gesicht Svoboda zu. "Glauben sie mir Genosse Oberst, dass wir das erste Gebiet in zwei Stunden durchkämmt haben, Sir. Wir sind genügend Leute, um das zu schaffen, Sir. Wir haben da unsere eigenen Methoden und ganz andere Möglichkeiten, als sie, Sir. Bei den anderen Gebieten ist es nur langwieriger, weil es dort viele Täler mit Verstecken gibt, Sir. Wir können dort nicht sehr schnell laufen, Sir. Auch müssen wir viele Wege doppelt gehen, Sir. Das braucht Zeit, Sir. Man nennt mich 98, Sir."

Antwortete ich ihm und richtete meinen Blick wieder nach unten. Mayer kochte vor Wut. Die Entzugsbeschwerden machten ihm immer mehr zu schaffen und ich kleines Biest fing an, ihm elende auf die Nerven zu gehen. Na gut ich ging Mayer ja sowieso immer auf die Nerven, das war nichts Besonderes. Am meisten ärgerte ihn wahrscheinlich die Tatsache, dass ich im Recht war. Böse blickte er mich an.

"Das diskutieren wir zu Haus aus, du kleines Miststück. Hast du das verstanden. Sprich."

"Sir, jawohl, Sir."

Meine Rashida war in schlimmer Sorge um mich. "Lyn, bitte höre auf ihn zu provozieren. Er hängt dich wieder in den Hof. Bitte Täubchen und wenn du es nur mir zuliebe unterlässt."

"Rashida, das ist es mir wert. Dann weiß ich wenigstens einmal, warum ich nach dem Einsatz Dresche beziehe. Die bekomme ich doch sowieso wieder. Also mache dir also nicht meine Sorgen."

Oberstleutnant Mayer kam ganz dicht an mich heran, sein heißer ekliger Atem traf mein Gesicht.

"Du kleine Kröte, spurst jetzt. Sonst wirst du den Tag bereuen, an dem du geboren bist. Haben ich mich jetzt so ausgedrückt, dass du kleine Mistkröte das verstanden, hast."

Ich hob den Kopf ein wenig, sah an ihm vorbei. Ich blickte genau in das Gesicht von Oberst Svoboda, der nicht fassen konnte, was er hier erlebte. Keine Ahnung, was mich geritten hatte, eigentlich konnte ich mir ausrechnen, was gleich geschehen würde. Aber meine Wut war so groß auf den Oberstleutnant, dass ich alle Vorsicht vergaß.

"Sir, jawohl, Sir", antwortete ich sofort, ohne Erlaubnis zu sprechen.

Mayer reagierte, wie er immer reagierte, instinktiv. So wie er es sich in den letzten vier Jahren angewöhnt hatte. Also genauso, wie ich es wollte.

"Wieso du kleine Mistkröte, sprichst du ohne Erlaubnis?"

Also schwieg ich wieder ganz bewusst. Auf diese Weise konnte ich Svoboda zeigen, warum ich vorher nicht geantwortet hatte. Es kam schon wieder ein Schlag. Diesmal schlug er nicht direkt in den Magen, sondern gezielt an eine Stelle, wo er wusste dass er extremen Schaden anrichtete. Der Oberstleutnant zielte extra etwas höher, genau seitlich in die Rippen.

'Du verdammte Arschloch, ging es mir durch den Kopf, irgendwann töte ich dich', schoss es mir durch den Kopf.

Kaum dass der Schlag getroffen hatte, knackten mindestens zwei meiner Rippen. Ich war ja selber schuld, jetzt half mir auch kein Jammern mehr. Warum hatte ich auf meine Wut gehört? Tief atmete ich durch und blieb ohne zu schwanken stehen. Oberst Svoboda starrte mich entsetzt an, dann zu Mayer. Wunderte sich, dass ich noch stehen blieb. Er hatte genau gehört, dass bei mir Rippen kaputt gegangen waren.

"Dann verschwinde mit deinen Missgeburten und beende den Auftrag so schnell es geht. Ihr bekommt nur maximal vier Tage, verstanden, du kleines Biest? Sprich."

Wütend holte ich Luft. Ich wusste, dass dieser Auftrag kaum in nur vier Tagen, zu erledigen war. Meine Wut aber, konnte ich diesmal nicht mehr ganz verbergen. Im Gegensatz zu den meinen Kameraden, hatte ich viel mehr Probleme meine Emotionen unter Kontrolle zu halten. Auch weil ich wusste, dass der Oberstleutnant diese Zeitbegrenzung nur setzte, weil er sich an mir rächen wollte. Er wollte auf diese Weise erreichen, dass er die Gruppe gegen mich ausspielte. So hatte er die Möglichkeit, die gesamte Gruppe wegen mir zu bestrafen.

"Sir, jawohl, Sir. Darf ich noch eine Frage stellen, Sir?", provozierte ich ihn wütend weiter, es war sowieso zu spät, meine Rippen waren schon kaputt.

Die Strafe die mich in der Schule erwartet, würde schlimmer werden, als sonst. Dann wollte ich wenigstens meine Genugtuung haben. Ich ließ mich von meiner unbändigen Wut auf den Oberstleutnant leiten. Vor allem, wollte ich wissen, warum ich durch die Hölle gehen musste. Ganz leise und ruhig, jedes Wort betonend, sprach der Oberstleutnant mit mir, dies war ein verdammt böses Zeichen. Er zeigte mir auf diese Weise, dass er kurz vor dem durchdrehen war. Ich hatte eine Grenze überschritten, die ich hätte lieber nicht überschreiten sollen. Ich war wütend auf mich selber, weil ich wieder einmal meine Beherrschung verloren hatte.

"Was bitte, ist an diesem Befehl unklar, 98? Sprich."

Ich konnte das jetzt nicht mehr ändern und schon gar keinen Rückzieher mehr machen. Ich würde die Suppe, die ich mir da eingebrockt hatte, sehr wohl alleine auslöffeln müssen. Es war jetzt sowieso alles egal.

"Sir, nach Ablauf der vier Tage, sollen wir den Auftrag dann abbrechen, Sir oder weiter suchen, Sir. Falls wir bis dahin noch nicht fündig geworden sind, Sir?", provozierte ich ihn mit meinen, diesmal wirklich sinnlosen Fragen weiter.

Sinnlos war diese Frage deshalb, da ein Auftrag erst dann als erfüllt galt, das hat man uns in den letzen vier Jahren eingeprügelt, wenn er abgeschlossen war. Ein Abbruch eines Auftrages war indiskutabel. Ich kannte also die Antwort auf diese Frage, wollte jetzt nur noch erreichen, dass der Oberstleutnant sich, vor Oberst Svoboda völlig entblößte und sein wahres Gesicht zeigte. Das geschah zu meinem Unglück dann auch wirklich. Mayer flippte völlig aus. Der Entzug der ihm zu schaffen machte und meine Provokationen, waren für seine überreizten Nerven einfach zu viel. Mit Tritten und Schlägen trieb er mich zum Entsetzen, der in der Halle Anwesenden, zum Rückwärtslaufen zwingend, aus dem Raum. Ich war kurz davor, meine Beherrschung vollständig zu verlieren, wollte zurück zuschlagen.

Rashida die wusste, dass auch ich kurz vorm Durchdrehen war, versuchte mich zu beruhigen. "Lyn, bitte bleibe ruhig, wir sind gleich weg. Wenn du dich jetzt noch anfängst mit dem Oberstleutnant zu prügeln, bekommt die ganze Gruppe Strafe. Das kannst du den Anderen doch nicht antun. Bitte Täubchen, beherrsche dich nur dies eine Mal, nur wegen den Anderen. Die können doch nichts für deine Wut."

Rashida hatte wie immer Recht. Aber es kostete mich alle Kraft, die ich besaß, dass ich nicht zurückschlug. Oft machte das dieser Arsch nicht mehr mit mir, irgendwann töte ich ihn.

"Schon gut, lass mich in Ruhe. Ich habe es ja kapiert", gab ich wütend meiner besten Freundin zur Antwort.

Jedes gebrüllte Wort vom Oberstleutnant, man kann fast sagen jede Silbe, war ein wohl gezielter Schlage und ein Tritt.

"Du kleines verdammtes Biest. Was soll das hier eigentlich? Was ist an den Befehlen, die ich dir gebe, nicht zu verstehen? Schnappe dir deine Missgeburten und mache dich auf die Suche. Ihr habt vier Tage, hast du das jetzt kapiert, du Monstrum. Habt ihr die Gruppe Drova dann nicht, gibt es richtig Ärger. Diesmal bekommt es die ganze Gruppe ab, weil du kleiner verwanzter Bastard es versaust. Hast du das jetzt endlich kapiert?"

Schwer atmend stand er nun draußen vor der Halle und starrte mich mit irren Augen an. Er war am Ende seiner Kraft und seiner Kondition angelangt. Einige letzte wütende Sätze, kamen noch vom Oberstleutnant und ein letztes eindeutiges Kommando, in einem heißeren wütenden Ton.

"Verdammt noch mal. Du machst mich wahnsinnig. Du bist mein schlimmster Alptraum. Du verdammtes kleines Biest. Du kleines Stück Scheiße. Wegtreten. Verschwindet aus meinem Sichtfeld."

 

Mayer drehte sich um und lief in Richtung Halle, ließ den entsetzt dreinblickenden Svoboda einfach stehen und begann wütend gegen die raue Wand zu boxen. Schlug fast zehn Minuten mit seinen Fäusten, im schnellen Tempo, gegen die Wand. Blut lief an der Mauer herunter, da sich Mayer dabei seine Hände aufschlug. Er musste sich erst einmal abreagieren, bevor er hier noch jemanden erschlagen würde. Endlich ließ diese unsagbare Wut nach, die er nur in den Griff bekam, wenn er trank.

Schweratmend drehte sich Mayer schließlich um und ließ sich einfach an der Wand zu Boden rutschen. Mayer saß die Arme auf die Knie gelegt den Kopf in den Nacken gelegt, an der Mauer und atmete rasselnd. Er musste sich erst einmal beruhigen und wieder zu sich selber finden. Diese verdammte Wut brachte ihn noch einmal um. Vor allem diese Wut auf 98, die dafür ja eigentlich gar nichts konnte. Dieses verdammte Ding, wie er 98 immer bei sich nannte, brachte ihm zur Weißglut. Immer wenn er dieses kleine Biest sah, blickte er in das Gesicht seiner Ilka. Mit jedem Gott verfluchten Tag, wurde 98 seiner Tochter ähnliche. Sie hatte das gleiche liebe Gesicht, diese gleichen süßen Grübchen, die sich auch bei seiner Ilka in den Wangen bildeten, wenn sie ihn ansah und lachte.

Von Anfang an hatte er dieses kleine Mädchen geliebt. Wie oft war er unten im Raum der Kinder gewesen. Er hat mit 98 gesungen und gespielt, als sie noch ganz klein war. Er mochte die Kleine von Anfang an mehr, als die anderen Kinder. Auch weil sie so klein, zierlich und verletzlich aussah. Vor allem aber, weil sie gerade das nicht war. 98 war schon immer ein gesundes kräftiges Mädchen. Ganz anders als seine Kleine, die oben in seiner Wohnung im Rollstuhl saß. Viele Dinge nur mühsam oder mit Hilfe bewerkstelligen konnte.

Dann kam genau dieses kleine Mädchen, dass er so vergötterte und machte seine Tochter gesund. Ach wie war Ilka aufgeblüht in den wenigen Wochen. Sie war ein richtiger kleiner Teufel geworden. Dann kam dieser schreckliche Tag, Mayer legte dem Kopf auf seine Knie, versuchte die Gedanken zu verdrängen. Es gelang ihm wie immer nicht. Egal, wenn er 98 sah, kamen all die Bilder vom Tod seiner Tochter wieder in ihm hoch. Dem Tod seiner Tochter, an dem er … nur er selber Schuld trug.

Egal, was er sagte, er war derjenige, der die Schuld trug. Auch wenn er nach außen hin, den Kindern die Schuld an Ilkas Tod gab. Mayer wusste ganz genau, dass nur er durch das Zuschlagen der Tür, den Unfall verursacht hatte. Hätte er doch nur auf Reimund und Jacob gehört, wie oft hatte sie ihm gesagt, dass sie nicht wollen, dass Ilka nach unten zu diesen Kindern ging. Auch hört er immer wieder die Worte von 98, "zu viel Kraft, nicht gut", die sie damals sprach. Doch er … er wusste ja immer alles besser. Das war ja das, was ihn so wütend machte. Keines der Kinder konnte etwas für Ilkas Tod. Nur er war schuld daran.

Jede Nacht holte ihn wieder diese Szene aus dem Kinderraum ein. Immer wieder sah er, wie Ilka sich zu dem Geräusch der knallenden Tür umdrehte. Immer wieder sah er in Zeitlupe wie 56 versuchte den Schlag noch irgendwie abzubremsen. Er hatte es nicht mehr ganz geschafft. Da sein Mädchen noch viel zu schwach war und viel zu wenig Muskulatur hatte, knackte sofort das Genick weg.

Jacob erzählte ihm, als 98 aus dem Koma erwacht war, dass ihre ersten Worte waren. "Ich hätte sie retten können. Warum ließ er das nicht zu?" Warum nur war er auf 98 losgegangen? Das Mädchen war sofort zu Ilka gelaufen und wollte sie retten. Doch er … er brachte seine Kleine ein zweites Mal um. In dem er 98 einfach gegen ein Bettgestell schleuderte. Durch diese seine Tat, hatte er sein Mädchen ein zweites Mal, dieses Mal endgültig getötet.

Mayer hob den Kopf und rieb sich das Gesicht. Langsam bekam er sich wieder ein und wieder richtig zur Besinnung. Immer noch blieb er schweratmend sitzen. Es dauerte fast eine halbe Stunde bis sich Mayer vollständig beruhigen konnte und sich wieder völlig unter Kontrolle hatte.

Er stand auf und ging in die Halle. Er musste Schadensbegrenzung betreiben, das war ihm in den letzten Minuten klar geworden. Deswegen ging Mayer, der völlig blutverschmiert war, nach hinten ins Büro, in das sich Svoboda nach dem Vorfall zurückgezogen hatte. Nach dem das "Team Hundert" vom Gelände verschwunden war, führte Svoboda einige Telefonate, nicht nur mit seinen Vorgesetzten. Gerade hatte er sich bei seinem deutschen Kollegen Hunsinger über Mayers Verhalten beschwert und war dort auf taube Ohren gestoßen. Gerade hatte er den Hörer aufgelegt, als Mayer an die Scheibe klopfte. Der Oberst nickte bejahend und Mayer betrat nach sofort das Büro seines tschechischen Kollegen, um sein Benehmen zu erklären.

"Genosse Svoboda, ich möchte mich für mein unmögliches Benehmen entschuldigen. Es ist einfach zu viel im Moment. Ich bin heute früh erst von einer großen Einsatzbesprechung aus Berlin zurück gekommen, in der es heiß her ging. Diese kleine Kröte, bringt mich zum Wahnsinn."

Svoboda schüttelte den Kopf. "Genosse Mayer, das gibt ihnen aber nicht das Recht, ihrer Untergebenen zu schlagen. Vor allem sind das alles noch Kinder", der Tscheche hatte keinerlei Verständnis für dessen Verhalten.

Mayer kämpfte schon wieder gegen die Wut die in ihm hochstieg. Ihm war klar, dass er dies vor Svoboda nicht zeigen durfte.

"Ich weiß, dass es ein Fehler war. Haben sie bitte Verständnis für mein Verhalten. Dieses so unscheinbare Mädchen, hat vor knapp vier Jahren meine Tochter getötet. Was soll ich machen? Ich kann bei dieser kleinen Kröte, einfach meinen Hass nicht ausschalten. Ich versuche es ja, aber, wenn diese mich dann noch provoziert, geht gar nichts mehr. Dann sehe ich einfach nur noch rot. Genosse Svoboda, ich kann meinen Job nicht einfach hinwerfen. Was denken sie wie oft ich das schon machen wollte. Es hängt zu viel Hintergrundwissen daran. Es ist kein Ersatz da, für meinen Posten. Also muss ich durchhalten. Zu achtzig Prozent gelingt mir das ja auch. Aber dieses Mädchen hat mich vorhin so provoziert, ich konnte einfach nicht mehr. Ich habe vor zweiundfünfzig Stunden das letztemal geschlafen. Ich bin tot müde. Ich habe einfach Überreagiert", entschuldigend sah er Svoboda an, dieser nickte.

"Genosse Mayer, sie sind sich sicher darüber im Klaren, dass ich das so nicht stehen lassen kann. Wissen sie was, ich lasse sie jetzt in die Pension fahren. Legen sich hin und schlafen sich richtig aus. Danach sprechen wir noch einmal miteinander."

Mayer war damit einverstanden.

Svoboda stand auf und ging aus seinem Büro, rief nach seinem Fahrer. Dieser kam sofort heran.

"Marek jízdy naším hostem v mém pokoji. – Marek fahren sie unseren Gast in mein Zimmer", sagte der Oberst laut und deutlich, für alle hörbar.  

Svobodas Fahrer, Marek, lächelte betrübt. Er sagte nichts nickte stillschweigend.

"Prosím, chci ho, vidět příští tři dny. On je z aplikace. Taková věc, nemohu použít tady. – Bitte, ich will ihn hier die nächsten drei Tage nicht sehen. Er ist raus aus dem Einsatz. So etwas kann ich hier nicht gebrauche", setzte er nur für Marek leise hinzu.

Der mit Marek angesprochene, nickte noch einmal kurz. Er wusste wie sehr seinem Chef das Verhalten des deutschen Kollegen zu schaffen machte. Svoboda hatte selber vier Kinder und konnte alles ertragen, aber nicht wenn man Kindern ein Leid antat. Was Mayer mit dem Mädchen abgezogen hatte, würde für den deutschen Kollegen Konsequenzen haben. Dafür würde sein Chef persönlich Sorge tragen. Svoboda fuhr sich mit den Händen übers Gesicht und rieb sich müde den Nacken. Er holte noch einmal tief Luft, um sich zu beruhigen und Mayer gegenüber höflich zu bleiben. Langsam drehte er sich zu dem deutschen Kollegen um. Svoboda versuchte ein freundliches Gesicht zu machen und betrat wieder den Raum.

"Genosse Mayer, mein Fahrer Marek wird sie in eine Pension bringen. In der habe ich auch ein Zimmer. Dort können sie sich aufhalten, bis der Auftrag erledigt ist. Dann sprechen wir miteinander. Bis dahin möchte ich sie nicht mehr hier sehen", erklärte Svoboda dem deutschen Kollegen, in einem keinen Wiederspruch zulassenden Ton.

Mayer wusste selber, dass er hier Bockmist gebaut hatte. Er würde von der Pension aus, sofort Hunsinger über seinen Ausraster informieren. Mayer verließ schweigend das Büro, mit einer unsagbaren Wut auf 98. Er steigerte sich schon wieder in seine Wut, auf das Mädchen, hinein. Mayer konnte einfach nicht mehr anders, sonst würde er durchdrehen. 98 würde dies alles bereuen, nahm er sich vor. In der Schule wurde die kleine Kröte von niemand beschützt, da war sie wieder gänzlich in seiner Gewalt.

Als erstes musste er sich etwas zu trinken besorgen, damit es ihm wieder besser ging. Dieser Gedanke nahm Mayer in Besitz, vor allem damit er wieder klar denken konnte. Mayer war deshalb nicht böse aus dem Einsatz heraus zu sein und sich, um nichts mehr kümmern zu müssen. Ein kleiner Hoffnungsschimmer machte sich in ihm breit. Vielleicht hatte dieser kleine Zwischenfall auch etwas Gutes. Womöglich musste er nicht ständig mit diesen Biestern zu Einsätzen. Mit dem kleinen Anschiss von Hunsinger konnte er leben. Hunsinger unternahm gegen ihn nicht viel. Dieser hatte viel zu viel Angst davor, dass Mayer das Projekt hin schmiss. Dann hatte dieser nämlich ein riesiges Problem, er fand nämlich niemanden mehr, der für ihn die Drecksarbeit machte.

 

Kaum das Mayer von mir abgelassen hatte, drehte ich mich um und lief zurück in die Reihe. Wütend auf mich und machte ich klare Ansagen, in einem nicht geraden freundlichen Ton.

"Lasst uns von hier verschwinden. Der hat sie doch nicht mehr alle, dieser Arsch. In ordentlichere Formation, wenn ich bitten darf. Ich will nicht, dass ihr auch noch Ärger bekommt", gab ich den Startbefehl, zum Aufbruch.

Ich ließ den schwer atmenden Oberstleutnant und die völlig entsetzt dreinblickenden Mitglieder, des Svobodas Teams einfach stehen und lief mit meinen Leuten im leichten Laufschritt in Richtung des Tores. Ich war froh den Launen des Oberstleutnants für einige Tage entronnen zu sein. Bekam jedoch von allen Seiten böse Vorwürfe, dass ich den Oberstleutnant zu sehr provoziert hatte. Gadi, ein Junge aus der Serie 5, die Nummer 59, konnte sich nicht verkneifen mich darauf hinzuweisen.

"Lyn, dir ist schon klar, dass du den Bogen bei weiten überspannt hast. Du weißt, dass wir wieder einmal wegen dir Ärger bekommen werden", stellte er besorgt fest.

Gadi war einer von den Mitgliedern meines Teams, der mit Schmerzen überhaupt nicht klar kam. Es immer vermied bestraft zu werden. Lieber andere aus dem Team auspeitschte, nur um selber straffrei auszugehen.

"Er wird euch schon nicht bestrafen, Gadi. Dafür werde ich schon sorgen. Es ist halt nicht jeder so ein Arschkriecher wie du. Nicht jeder verrät lieber seine Kameraden und lässt seine Freunde auspeitscht, nur um in Ruhe leben zu können. Was machst du dir meine Sorgen? Es sind meine Schmerzen, nicht deine. Das war es mir wert", antwortete ich böse und vor allem trotzig.

Auch weil ich wusste, dass er Recht hatte. Ich war zu weit gegangen. Ich war stink sauer auf mich, weil ich wieder einmal meine Wut nicht kontrollieren konnte. Rashida die neben mir lief, hatte aber ganz andere Sorgen.

"Täubchen, was machen deine Rippen."

Ich winkte ab und wollte nicht darüber reden. Ich war ja selber schuld, vom Jammern wurde es nicht besser.

"Täubchen, ich habe dich was gefragt?"

Rashida gab keine Ruhe. Ich ließ sie stehen und lief im hohen Tempo an den anderen vorbei, nach vorn an die Spitze der Teams. Die anderen ließen sich etwas zurück fallen. Schloss die Verbindung nicht nur zu Rashida, sondern zu allen. Rashidas Sorge und die Vorwürfe der anderen, machten es mir nicht leichter, die Schmerzen unter Kontrolle zu bringen. Vor allem musste ich versuchen die Blutungen zu kontrollieren.

Mayer hatte mir, durch das Brechen der Rippen, die Möglichkeit genommen, die Muskulatur richtig anzuspannen. Das war einfach nicht mehr möglich. Dadurch konnte ich nicht alle Schläge richtig abfedern. Ich hatte einige Blutungen im Körper, die zwar nicht lebensbedrohlich waren, aber ich musste sie zum Stillstand bringen, dazu musste ich mich konzentrieren. Das konnte ich nicht, wenn ich noch von allen Seiten angemacht wurde.

Also lief ich an erster Stelle und zog das Tempo etwas an. Wir, besser gesagt ich, mussten versuchen in vier Tagen diese Gruppe Drova zu finden und vor allem auszuschalten. Wegen meiner Provokationen würde sonst die ganze Gruppe eine Strafe bekommen, wenn wir das vorgegeben Zeitlimit überschritten. Das konnte und würde ich nicht zulassen. Ich musste mich also bemühen in diesem Zeitfenster zu bleiben. So dass wenigstens die Gruppe straffrei ausging. Mit meinen Schmerzen konnte ich leben. Die reichlich sieben Kilometer, die wir bis zum Beginn des Suchgebietes laufen mussten, hatten wir in knapp sechs Minuten hinter uns gebracht, da wir einfach auf der Straße liefen. Es war wenig Verkehr, da es schon kurz vor 12 Uhr am Sonntagmittag war. Die meisten Leute saßen jetzt am Mittagstisch und aßen, hatte mir der Doko einmal erklärt. Der Sonntagmittag war den meisten Menschen heilig. Wieso das so war, das hatte ich nie kapiert. Es brachte für uns heute einen großen Vorteil, wir kamen zügiger ans Ziel.

Am Zielgebiet angekommen, ging ich kurz in die Hocke. Tief ging ich in mich, da ich meine inneren Verletzungen ausheilen musste. So nutzte ich dem Team nichts, da ich auf diese Weise nicht arbeiten konnte. Ich konnte zwar Blutungen eine Weile kontrollieren, nicht aber bei einer anstrengenden Suche von mehreren Tagen. Die Zeit musste ich also investieren, um wieder einigermaßen fit zu werden. Meine Kameraden die das von mir kannten, nutzten diese paar Minuten, um sich etwas auszuruhen. Nach drei Minuten atme ich tief durch. Lange hatte ich gebraucht, um eine Heilung zu erreichen. Sofort gab ich das Signal für den Aufbruch. Besorgte Blicke trafen mich von allen Seiten, nicht nur von Rashida. Alle wussten, dass wenn ich so lange für die Heilung brauchte, die Verletzungen viel schwerer waren, als sie alle vermuteten. Es nutzte nichts, ich hatte es wieder im Griff, nur das war es, das wirklich zählte.

Als Rashida auf mich zukam. "Lyn, kann…" und wieder mit ihrer Sorge um mich anfangen wollte, wurde ich böse.

Ich unterbrach sie einfach. "Rashida, es ist gut! Ich habe es im Griff. Lass uns beginnen. Uns läuft die Zeit weg."

Also ließ sie es bleiben. Nur zu gut wusste sie, wenn ich so reagiere, ging es mir nicht sonderlich gut. Wir begannen in einer Doppelreihe von einem Kilometer Breite, das gesamte Zielgebiet systematisch nach Spuren eines großen Lagers abzusuchen.

Volkmar, einer unserer Betreuer, der uns bei Übungseinsätzen einige Male bei einer solchen Suchaktionen, aus dem Hubschrauber beobachtet hatte, fragte uns, wie wir bei dieser Geschwindigkeit von fünfzig bis siebzig Stundenkilometern, überhaupt Spuren sehen konnten. Volkmar war ein ganz Lieber, einer der wenigen Betreuer, die uns noch nie geschlagen hatten. Der immer nett mit uns sprach, genau wie der Doko. Wir hatten es ihm versucht zu erklären, verstanden hatte er es glaube ich nicht.

Dabei war das Prinzip ein ganz einfaches. Wenn wir in Doppelreihen auf Spurensuche gingen, suchte ein Teil von uns am Boden nach Spuren, der andere Teil etwa einen halben bis anderthalb Meter über den Boden. Jeder dritte allerdings suchte nach thermischen Spuren. So konzentrierten wir uns nur auf einen kleinen Teilbereich. Deshalb gingen die Suche wesentlich schneller vonstatten, war aber genauso gründlich, als wenn wir das ganze Spektrum absuchten. Man übersah einfach weniger. Wir konnten so, je nach der örtlichen Beschaffenheit des Suchgebietes, bis zu achtzig Kilometer in der Stunde absuchen. Das wir hier nur sehr langsam vorwärts kamen, hing damit zusammen, dass der Baumbestand zum Teil sehr dicht war und wir durch das Unterholz ausgebremst wurden. Hier im Suchgebiet war nichts.

In der Höhe von Ritka verbreitern wir die Suchlinie auf zwei Kilometer, bilden zweier und dreier Gruppen, die in Zickzacklinien von zweihundert Metern Breite das Gelände durchsuchen, überschneidend mit den anderen Gruppen. Auf diese Weise, würden wir sogar einen Gegenstand von nur einen halben Zentimeter Durchmesser finden. Wir liefen weiter in Richtung Südwesten, konnten allerdings nirgends eine winzige Spur entdecken. In Höhe von Dobris schickte ich die Hälfte der Leute nach Norden, um das angrenzende Gebiet abzusuchen. Verbreiterte die Suchschleifen, sodass ich mit weniger Leuten auskam, auch dort war nichts. Nach anderthalb Stunden trafen alle, wie abgesprochen in Skorice ein.

Wir machten eine kleine Pause. Atmeten erst einmal tief durch. Das Tempo, welches wir bei solchen Suchen vorlegten, war auch für uns kräftezehrend. In einer Stunde knapp siebzig Kilometer in einem Wald zu laufen und konzentriert nach Spuren zu suchen, würde kein andere schaffen. Dies kostete uns viel Konzentration und Energie. Deshalb gab ich den Befehl zu schlafen, damit meine Leute wieder zur Ruhe kamen. Das Gleiche stand uns gleich noch einmal in einem bedeutend schwierigeren Terrain bevor.

"Die Teams 1 bis 5 schlafen zehn Minuten, im schnellen Schlaf. Teams 6 bis 10 wachen, dann Wechsel", machte ich, schwer atmend, eine konkrete Ansage.

Im schnellen Schlaf zu schlafen, bedeutete in eine Art Tiefschlaf zu gehen, in dem man völlig wehrlos war. Man schlief in kurzer Zeit acht Stunden, erwachte völlig ausgeruht aus diesem Schlaf. Ich brachte es meinen Kameraden, über das Jawefan bei, weil viele bei den Übungseinsätzen nicht richtig schlafen konnten. Somit schnell an ihre Leistungsgrenzen kamen. Mir war niemand von Nutzen, der sich vor Müdigkeit kaum auf den Beinen halten konnte. Es war ähnlich dem Schlaf, der im Jawefan erfolgte, allerdings konnten dies meine Kameraden selber steuern. Er war tiefer, als der normale Schlaf, also sehr erholsam, aber nicht so tief, wie der des Jawefan. Das Jawefan selber, konnte nur ich nutzen oder die anderen, wenn ich sie dort hinführte.

Rashida immer noch besorgt um mich, kam zu mir. "Täubchen, kann ich mir deine Rippen bitte mal ansehen?"

Ich schüttelte den Kopf und reagierte sehr genervt. "Was ändert es, wenn du sie siehst? Hast du eine Binde dabei, Rashida oder kannst mir anderweitig helfen?"

Rashida schüttelte, traurig den Kopf.

"Warum so frage ich dich also, willst du nachsehen? Kannst du etwas ändern? Nein! Also lasse es so wie es ist. Drei sind angebrochen, zwei gebrochen. Den Rest habe ich vorhin in Ordnung gebracht. Geb Ruhe. Du nervst mich damit. Keine Sorge, es ist nichts Dramatisches. Beruhige dich also wieder."

Rashida gab mir einen Kuss auf die Stirn. "Soll ich dir dann beim Schlafen helfen, Täubchen oder bist du immer noch sauer auf mich?"

Ich lächelte meine beste Freundin an, die ja nichts für meine Wut konnte. "Rashida, ich war nie sauer auf dich. Sondern bin es nur auf mich. Aber ich konnte vorhin nicht anders. Ich musste diesem Oberst einfach zeigen, was der Oberstleutnant für ein Arschloch ist. Ach lassen wir das, ich steigere mich schon wieder in meine verdammte Wut rein. Das bekommt mir nie. Warum kann ich nicht so über den Dingen stehen, wie du?", wollte ich von Rashida wissen.

Diese streichelte mir lieb das Gesicht und lächelte mir zu. Ach, wie oft hatte ich meine Freundin schon um ihre Ruhe beneidet. Na ja es gab schlimmeres.

"Täubchen…", versuchte es Rashida noch einmal. Da sie mir unbedingt helfen wollte. Sie wusste, dass ich Schmerzen hatte. Ich unterbrach sie wieder.

"Rashida, geb bitte Ruhe. Du kannst es nichts ändern. Mache es mir nicht noch schwerer, bitte. Ich habe den Kopf voll, ich weiß nicht, wie ich diesen Mist hier hinbekommen soll. Ohne, dass der Arsch euch wegen meiner Blödheit bestraft. Rashida, ich gehe dann ins Jawefan. Passt du auf mich auf?"

Traurig sah ich sie an. Rashida nickte, wusste sie doch wie schwer ich es oft hatte. Da die erste Gruppe, die geschlafen hatte, gerade munter wurde, wechselten wir. Rashida legte sich wie immer hinter mich und nahm mich in ihre Arme, zwei Atemzüge später schliefen wir. Rashida im schnellen Schlaf, ich im Jawefan. Ich musste mich erholen, so konnte ich nicht arbeiten. Da wir uns beschützt von den anderen wussten, die niemals zulassen würden, dass man uns im Schlaf überraschte, tauchten wir völlig ab.

Weiter zehn Minuten später wurden wir munter und standen auf. Sofort liefen wir weiter. Auch in dem Gebiet um Lesná-Haje, gab es keine Spuren. Wir krochen in jede Höhle, in jeden Graben, nirgends waren Spuren der Gruppe zu finden.

Gegen 17 Uhr hatten wir auch dort die Spurensuche erfolglos beendet. Ich war ratlos. Ich hatte wirklich fest damit gerechnet, dass wir hier erste Spuren fanden. Kurz entschlossen berief ich eine Beratung der Taktiker ein. Auch weil ich mir unschlüssig war, wie wir weiter vorgehen sollten. Als erstes jedoch ließ ich meine Leute nochmals kurz schlafen. Meine Schlafpause allerdings, ließ ich ausfallen, weil ich nachdenken musste. So setzte ich mich auf einen Baumstamm, stützte die Ellenbogen auf die Knie, legte meinen Kopf auf die Hände.

Systematisch ging ich nochmals alle mir bekannten Daten durch, die wir in den Dossier gefunden hatten. Ich durchdachte noch einmal alle Details und verglich sie miteinander. Kam dadurch zu einem Entschluss, den ich in einer kurzen Taktik Besprechung, mit dem beiden Taktiker Teams, durchsprechen wollte. Nach zwanzig Minuten stand mein Entscheidung fest. Wenn die anderen damit einverstanden waren, würden wir die Suche abkürzen und so gute achtzehn Stunden Zeit, vor allem aber viel Kraft sparen. Uns lief langsam aber sicher die Zeit weg. Wir hatten jetzt schon über sechs Stunden in Gebieten nach Spuren gesucht, in denen es nichts, rein gar nichts gab.

Also kehrte ich zu meinen ersten Gedanken zurück, die mir beim Lesen des Dossiers kamen. Ein zweites Mal kam mir die Vermutung, dass die Gruppe Drova, einen sehr guten Taktiker ihr Eigen nannte. Dieser schloss in seinen Überlegungen, bewusst normalen Sachen aus. Ich glaube es war schon immer meine Stärke, dass ich es stets schaffte, mich in die Lage desjenigen zu versetzen, den ich suchte. Komischerweise lag ich zu neunzig Prozent richtig mit meinen Vermutungen. Dass ich hier so falsch lag, hing wohl damit zusammen, dass ich mich von den Informationen im Dossier hatte irritieren lassen. Da man darin behauptete, dass die Teams von Oberst Svoboda, das Gebiet um Karolinka schon erfolglos durchsucht hatten. Derjenige der die Aufenthaltsorte für diese Gruppe aussuchte, schien ähnlich zu denken wie ich. Ich würde in diesem Fall versuchen, genau das zu tun, was man von mir nicht erwarten würde, umso meine Spuren zu verwischen. Deshalb vermutete ich stark, dass er sich gegen Osten gewandt hat und irgendwo in der Nähe von Karolinka zu suchen war. Dort hätte ich auch ein Lager aufgeschlagen, wenn ich an seiner Stelle wäre: Weil mich genau da keiner vermuten würde.

Nach dem alle geschlafen hatten, setzte ich mich mit den Jungs und Mädels, aus den Taktiker Teams zusammen. Zeichnete auf dem Boden eine kleine Karte auf und erläuterte meine Gedankengänge. Dann wollte ich ihre Meinung dazu wissen. Von den zwanzig Teammitgliedern, der Teams 5 und 10, waren alle, außer Conan und Fedon, der gleichen Meinung.

Conan und Fedon meinten man sollte die Teams teilen und damit wir die Gebiete im Süden nicht ausschließen sollten. Wir diskutieren deren Vorschläge noch durch und wogen das Für und Wider ab. Am Ende einigten wir uns dann aber darauf, geschlossen in Richtung Karolinka zu laufen. Eine Teilung des Teams, um in zwei Regionen unabhängig voneinander zu suchen, hielten wir alle für uneffektiv. Da die jeweils andere Gruppe, viel zu lange brauchte, um den anderen im Notfall zu Hilfe zueilen. Wir würden uns selber schwächen. Die Suchgebiete lagen mindestens dreihundertfünfzig Kilometer auseinander. Die Wahrscheinlichkeit im Nordosten auf Spuren zu treffen, da waren wir uns jetzt fast sicher, war um Karolinka herum am höchsten.

So brachen wir um 18 Uhr nahe Rozvadov auf, liefen die knapp fünfhundert Kilometer im sehr schnellen Tempo, auf Nebenwegen, immer nach Nordosten in Richtung Karolinka. Da wir auf den Nebenstraßen liefen, konnten wir ein sehr hohes Tempo laufen. Es herrschte dort kaum Verkehr. Unbewusste ließen wir, einige an sich zweifelnde Auto- und Fahrradfahrer zurück.

Dass wir normale Menschen mit unserem Tempo in Verwirrung stürzten, wussten wir gar nicht. Wir kannten das Tempo anderer Menschen ja nicht wirklich. Wir wussten zwar, dass wir schneller laufen konnten, als die Betreuer, dass wir dabei Geschwindigkeiten erreichen, die sich normale Menschen ohne ein Fahrzeug nicht vorstellen konnten, war uns nicht bekannt. Kurz vor Mitternacht erreichten wir circa fünf Kilometer südlich, das Suchgebiet. Wiederum nutzten wir zwanzig Minuten unsere knappbemessenen Zeit, um alle zehn Minuten im schnellen Schlaf zu schlafen, und uns so etwas zu erholen. Mehr Zeit wollte ich nicht verschenken.

Anschließend begannen wir von Karolinka aus, eine breitangelegte Fächersuche in Richtung Nordwesten und wurden vier Kilometer südlich von Bílá fündig. Als erstes fanden wir ein altes Lager, das seit mehr als fünf Wochen verlassen war. Jetzt erklärte sich auch, weshalb die Leute vom Oberst Svoboda hier nichts gefunden hatten. Die letzte Suche war hier, vor reichlichen acht Wochen. Dass es das richtige Lager war vermuteten wir, weil wir einige Flugblätter fanden, aus denen dies deutlich hervor ging.

Den Spuren zu Folge, hatten wir es hier mit einem Lager von ungefähr dreihundert Leuten zu tun. Erleichterung machte sich erst einmal in uns breit. Froh, dass dies nicht unsere größte Angst bestätigte, dass wir es mit einer überlegenen Zahl an Gegnern zu tun bekamen. Diesen Gedanken hatten wir ganz am Anfang, als wir das Dossier durch gearbeitet hatten. Dreihundert Leute, stellten nicht wirklich eine Gefahr für uns dar.

Es war bereits 1 Uhr in der Nacht, wir hatten bis zum Hell werden, also noch gute vier Stunden Zeit. Wir folgten den Spuren nach Norden, etwa nach weiteren zehn Kilometern fanden wir ein neues Lager. Dieses war allerdings um einiges größer, auch schon vor drei Wochen verlassen. Also auch keine ganz frische Spur. Mehr als fünfhundert Leute hatten hier gelagert. Also fast das doppelte vom ersten Lager.

Rashida, aber auch Conan, bestätigten mir meine Gedankengänge. "Ich glaube die sammeln sich zu einem großen Lager. Verdammt, das wird eine haarige Sache. Hoffen wir, dass nicht noch mehr Gruppen dazu stoßen. Wenn die nach Polen gehen, haben wir keine Chance auf einen Sieg, ohne einen großen Kampf."

Das Nicken der anderen bestätigte meine Bedenken. Wir mussten also die Einsatzleitung jetzt schon davon informieren, dass die Wahrscheinlichkeit bestand, dass wir unseren Einsatz nach Polen verlegen mussten. Damit diese sich jetzt schon, mit den polnischen Kollegen in Verbindung setzen konnten. Ich stand auf und ging zu unseren Funkern.

"Kaija, bitte mache mir eine Verbindung zur Einsatzzentrale."

Kaija schaltete das Gerät ein.

Wir ließen den Funk bei solchen Suchaktionen, immer auf Stand-by. Das sparte einfach Strom. Man wusste am Anfang solcher Suchaktionen nie, wie lange man unterwegs war. Bei dem hohen Tempo, dass wir bei solchen Aktionen vorlegten, gestaltet es sich oft schwierig, die Funkgeräte neu aufzuladen oder die Akkus zu tauschen. Da wir die herkömmlichen Standartgeräte nicht nutzen konnten. Diese waren für unsere Ohren nicht geeignet. Unsere Funkgeräte mussten über Akkus betrieben werden, anders ging das leider nicht. Deshalb war das Stromsparen für uns so wichtig. Wir selber brauchten die Funkgeräte eigentlich nur, um mit der Einsatzleitung in Kontakt zu bleiben. Deshalb waren diese für uns nicht zwingend notwendig. Untereinander konnten wir über die Verbindung bis fast neunzig Kilometer in Kontakt bleiben. Bei einzelnen Kämpfern, wie zum Beispiel Rashida und mir waren es sogar fast einhundertfünfzig Kilometer, warum das so unterschiedlich war, wusste ich nicht. Ich vermute, dass die enge Bindung die wir zwei zu einander hatten, einen gewissen Einfluss darauf hatte.

Diese Funkgeräte, die Danko, Raiko, Duira und Kaija für uns entwickelten, waren sehr leicht und arbeiteten sehr effektiv. Durch ihre unglaubliche Reichweite, waren sie besser als die herkömmlichen Geräte. Wie diese allerdings funktionierten, habe ich nie begriffen, das war ein Bereich, den ich nie begriffen hatte. Die Standardgeräte funktionierten nur bis circa hundert Kilometer, unsere dagegen hatten eine Reichweite von tausendzweihundert Kilometer. Als ich die Vier fragte wie sie das gemacht hatten, zuckten sie mit den Schultern, grinsten mich breit an.

"Lyn, das verstehst du sowieso nicht. Bleibe bei dem, was du kannst, wir haben ein bisschen getrickst", lachend sahen mich die Vier damals an.

Oh, wie Recht sie hatten. Ich war zu blöd einen Lichtschalter zu betätigen, sagten alle zu mir. Lachend zuckte ich mit den Schultern, als mir diese Gedanken durch meinen Kopf schossen. Ich besaß halt andere Qualitäten. Das Gute an unseren Funkgeräten allerdings war, dass die vier Bastler, sogar einen Peilsender eingebaut hatten. Dadurch war eine Ortung unserer jeweiligen Position möglich. Wir waren ständig über eine Notruffrequenz erreichbar. Wurden wir darauf angefunkt, zeigte uns das eine Lampe, die im Morsealphabet blinkte.

Kaija unsere Funkerin fuhr also das Gerät hoch. Fünf Minuten später hatte Kaija den entsprechenden Diensthabenden an der Leitung, der sogar deutsch sprach, sodass ich nicht einmal einen Dolmetscher brauchte.

"Sir, hier ist 98, könnten sie mir bitte Oberstleutnant Mayer oder Oberst Svoboda, von der Einsatzleitung, an den Funk holen, Sir", bat ich darum einen der Einsatzleiter sprechen zu können.

"Warte einen Moment. Euer Oberstleutnant wurde weggeschickt. Er ist aus dem Einsatz. Wo der Oberst steckt weiß ich nicht. Ich sehe mal nach. Es dauerte einen Moment."

Ich stöhnte auf. Das konnte ja heiter werden, ging es mir durch den Kopf. Da würde die Wut vom Oberstleutnant noch größer sein, als sie so schon war. Das ließ er sich nicht gefallen. Diesen Gedanken schob ich erst einmal zur Seite. Ich musste mich auf den Einsatz konzentrieren, das war viel wichtiger. Über alles andere konnte ich mir später Sorgen machen. Keine zwei Minuten später war Oberst Svoboda am Funkgerät.

"Wo steckt ihr Kinder? Verdammt noch mal, habe ich mir Sorgen gemacht. Euer Oberstleutnant sagte zwar, ihr habt den Funk nie an, aber hättet ihr euch nicht zwischendurch einmal melden können, verdammt", fuhr er mich an. Svoboda meinte es nicht wirklich böse, das hörte ich an seiner Stimme, die besorgt klang.

"Sir, entschuldigen sie bitte, Sir. Es tut mir leid, während solcher Suchaktionen lassen wir den Funk stets aus, Sir. Es bleibt dafür einfach keine Luft und keine Zeit, Sir. Das weiß der Oberstleutnant eigentlich, Sir. Bitte Sir, lassen sie mich das Problem vortragen, uns läuft die Zeit weg, Sir. Ich habe nur vier Tage, Sir. Sie haben den Oberstleutnant doch gehört, Sir", versuchte ich ihm zu erklären, warum die Zeit drängte.

"Ist schon gut 98, sag mal hast du wirklich keinen Namen, Kleine? Wie geht es dir?", wollte er wissen.

Scheinbar machte er sich Sorgen, wegen meinen angeknacksten Rippen. Auch schien er sich, wie viele nicht wohl dabei zu fühlen, uns mit Zahlen anzusprechen.

"Sir, mein Name ist 98, Sir. Mir geht es gut, machen sie sich keine Sorgen, Sir. Es ist nicht schlimm mit einer Zahl angesprochen zu werden, Sir. Man gewöhnt sich dran, Sir. Bitte Sir, sie müssen sich mit den polnischen Kollegen kurzschließen, es besteht der Verdacht, dass die Gruppe Drova, vielleicht schon in Richtung Polen weiter gezogen ist, Sir. Klären sie mit den zuständigen Stellen ab, ob wir auch auf polnischen Gebiet operieren dürfen, Sir. Sie haben dazu höchstens eine Stunde, sonst verlieren wir kostbare Zeit, Sir. Holen sie sich den Oberstleutnant zu Hilfe, er ist ein Organisationsgenie, der hat gute Beziehungen bei sowas, Sir. Sonst ist der Auftrag nicht zu Ende zu führen, Sir. Dann bekommen wir richtigen Ärger mit dem Oberstleutnant, Sir. Kümmern sie sich bitte umgehend darum, wir sind etwa sechzig Kilometer Nordwestlich von Karolinka in der Nähe von Mosty u Jablunkova auf ein zweites Lager gestoßen, von ungefähr fünfhundert Leuten, Sir. Wir haben das Gefühl, dass diese sich zu einem großen Lager zusammenschließen, Sir. Dann haben wir ein großes Problem, dann geht das nicht ohne viel Blutvergießen ab, Sir. Wir sind denen zahlenmäßig unterlegen, Sir. Ich rechne mit drei bis viertausend Leuten, wenn nicht noch mehr, Sir", erklärte ich so genau wie es ging, am Funk, was los und zu erwarten war.

"Wie seid ihr so schnell bis hinter Karolinka gekommen. Das sind fünfhundert Kilometer, na egal." Unterbrach er sich selber. "Ich kümmere mich darum. 98 wisst ihr schon, was ihr an Material und an Leuten braucht."

"Sir, das kann ich ihnen noch nicht sagen, Sir. Wir haben das Lager ja noch nicht gefunden, Sir. Allerdings glaube ich nicht, dass wir Leute brauchen, wir machen das auf unsere Weise, Sir. Material brauchen wir nur, wenn die Gruppe unter Tage und in Höhlen sind. Sonst haben wir alles dabei, Sir", informierte ich Oberst Svoboda, dass wir alleine klar kamen.

"Ihr…"

"Sir, bitte mir läuft die Zeit weg, Sir. Wenn ich Hilfe brauche, dann sage ich Bescheid, das verspreche ich ihnen, Sir. Das Einzige, was sie im Moment für uns machen könnten, dass sie uns Verbandsmaterial zur Verfügung stellen, falls es Verletzte gibt, Sir. Ein kleiner OP- Bereich für Notoperationen wären nett oder ein kleines Feldlazarett, ohne Verletzte werde ich diesen Auftrag wahrscheinlich nicht ausführen können, Sir. Ich muss meine Leute vor dem Heimflug notversorgen, Sir",

äußerte ich den Wunsch um medizinische Hilfe.

Verdammt ich musste zu Haus unbedingt einmal mit den Doko reden, ob der uns eine Art Verbandskoffer zusammenpacken konnte, damit ich meine Leute, während der Einsätze versorgen konnte. Plötzlich fiel mir noch etwas ein. "Ach, Genosse Oberst, organisieren sie später den Abtransport der Gefangen? Ich denke wir brauchen auch ein Räumungskommando für das Lager. Sie brauchen also LKWs und Helfer, Sir."

Oberst Svoboda stimmt zu. "Ich organisiere das. Wie kommt ihr zurück?"

"Sir, wir laufen und kommen wieder in das Objekt, von wo aus wir los gelaufen sind, Sir. Erwarten sie uns einfach da, Sir. Darf ich noch eine kleine Bitte äußern, Sir?", wagte ich mich sehr weit vor.

Ich hatte komischerweise zu diesem Oberst Vertrauen, auch wenn ich nicht begründen konnte wieso. Der Tscheche reagierte so, wie ich es vermutet hatte.

"Kleines, du kannst mich alles bitten und alles fragen, ohne Angst."

"Sir, wenn wir zurück kommen, wäre es sehr schön, wenn wir jeder einige Flaschen Wasser bekommen könnten. Wir haben seit Samstagabend nichts mehr getrunken, Sir. Wir haben auch unterwegs kein trinkbares Wasser gefunden, Sir. Gestern früh war keine Zeit mehr dazu, Sir. Wir haben alle großen Durst, Sir. Bitte nur Wasser, auf alles andere sind wir allergisch, Sir. Das wäre wirklich nett, Sir."

Stöhnend holte Svoboda Luft. "Was macht dieser…"

Weiter ließ ich den Oberst nicht reden. Es verstrich kostbare Zeit.

"Sir, bitte verraten sie mich nicht beim Oberstleutnant, dann bekomme ich wieder Stress, ich habe schon genug Schmerzen, Sir. Bitte sagen sie uns schnellstens Bescheid, was sie bei den polnischen Kollegen erreicht haben, Sir. Wir lassen den Notruf an, wie sie uns erreichen, sprechen sie bitte mit Nummer 54 ab, das ist unsere Funkerin, Sir. Damit kenne ich mich nicht aus, Sir", beim letzen Wort reichte ich ohne noch eine Antwort abzuwarten, ohne mich auf weitere Diskussionen einzulassen, Kaija den Kopfhörer.

"Kaija, den Rest klärst du, wir müssen weiter."

Ohne weitere Verzögerung jagte ich meine Leute auf und wir setzten die Suche fort. Es war bereits 1 Uhr 30 und ich hatte kostbare Zeit am Funk verschwendet. Unsere Zeit war deshalb kostbar, weil wir nachts unsere Brillen nicht brauchten, dadurch sahen wir wesentlich besser. Da der Funker immer ganz hinten lief, konnte Kaija den Rest auch alleine klären. Ich hörte ja in der Verbindung mit. Wenn noch Fragen kamen, konnte ich ihr in der Verbindung auch noch Anweisungen geben. Also liefen wir weiter unsere Suchschleifen in Zielgebiet. Keine Stunde später, stand fest, dass wir mit unseren Vermutungen Recht behalten hatten. Die Gruppe Drova, schloss sich mit anderen Gruppen zu einem großen Verband zusammen. Oberhalb des kleinen Dörfchens Pisek war ein weiterer Lagerplatz, der erst vor zwei Tagen verlassen wurde. Auf diesem Platz hatten ungefähr eintausendeinhundert Leute gelagert hatten. Von drei Seiten, strömten verschiedene Gruppierungen zusammen und gingen jetzt von diesem Stelle aus geschlossen weiter. Etwas nördlich davon, war der Konvoi, wahrscheinlich in einer Nacht und Nebelaktion und unbemerkt von den polnischen Grenztruppen, heimlich über die Grenze nach Polen gegangen.

Jetzt hieß es für uns warten, bis wir den Bescheid oder besser bis wir die Erlaubnis bekamen, auf polnischer Seite agieren zu dürfen. Ich ordnete an, dass die Mitglieder aller Teams eine Stunde schlafen sollten. Die Ruhe würden wir dringend brauchen, denn uns stand ein großer Kampf bevor.

Es war 2 Uhr 13, als meine Leute in die Bäume gingen. Wir richteten unser Lager oben in den Bäumen ein, das war zwar nicht besonders bequem, aber dafür sicherer als auf der Erde. Vor allem konnten wir alle ohne Wachen schlafen. Nach dem ich mit dem Oberst gesprochen hatte, ihm alle wichtigen Details mitteilte, gab ich Kaija den Funk zurück. Ging dann ebenfalls nach oben in den Baum, in den Rashida schlafen wollte. Legte oder besser gesagt hängte mich in einer Seilschlinge, auch einen Stunde zur Ruhe, wie immer Arm in Arm, mit Rashida.

Ansonsten würden sich meine Gedanken, wie in ein Hamsterrad, ständig im Kreis drehen. Ich hatte keine Chance, auch nur eine Minute abzuschalten. Ohne Rashida würde ich während eines Einsatzes, keine Möglichkeit zur Erholung oder etwas Schlaf finden.

Nur fünfzig Minuten später, also um kurz nach 3 Uhr, hatten wir die Erlaubnis auf polnischer Seite, weiter zu ermitteln. Wir bekamen von den polnischen Behörden, die in solchen Dingen keine Gnade kannte, den Befehl mit allen Mitteln die Gruppe Drova aufzulösen. Das Zusammenrotten in solchen Camps, wurde von der polnischen Regierung und auf deren Territorium nicht geduldet. Die polnische Miliz und das Militär gingen mit unvorstellbarer Gewalt, gegen solche Gruppen vor. So bekamen wir den Auftrag bei Sichtung des Lagers, der zuständigen Milizstelle, ein Zeichen zu geben. Uns wurde deshalb sogar einen Beobachter zur Seite gestellt, der zu uns stoßen würde, sobald wir die Gruppe gefunden hatten. Keine Ahnung, wie die sich das vorstellen, dass uns jemand begleiten sollte. Aber darüber dachte ich noch nicht nach, wir würden das spontan entscheiden müssen. Irgendwie bekamen wir auch das hin.

Myrna, das Mädchen mit der Nummer 95, gab mir einen Denkanstoß. "Lyn, stelle doch einfach jemanden, zu dessen Schutz ab. So können wir unser Tempo laufen und können kämpfen, ohne dass er uns in die Schusslinie läuft."

"Danke Myrna, das ist eine gute Idee."

Ich würde Raiko mit dieser Aufgabe beauftragen. Außenstehende hatten keine Chance, unser Tempo mitzuhalten. Raiko war im Team, der mit Abstand schlechtester Kämpfer, auf ihn konnte ich verzichten. Er war im Kampf sowieso meistens nur hinderlich. Trotzdem war er in der Lage, den Schutz des Beobachters zu übernehmen. Auch wenn er in unseren Augen ein schlechter Kämpfer war, darf man das nicht negativ sehen. Er war besser als jeder andere Kämpfer, mit dem wir bis jetzt zu tun hatten, nur wollte er nicht kämpfen. Raiko hasste das Kämpfen wie die Pest. Er hielt sich immer im Hintergrund und griff nur in einem Kampf ein, wenn alles aus den Rudern lief. Ich hatte im Laufe der Jahre akzeptieren gelernt, dass er das nicht wollte. Er besaß andere Qualitäten, die uns sehr oft von Nutzen waren. Im Notfall jedenfalls, war auf ihm immer Verlass, dann würde er sein Leben für uns geben, um uns zu beschützen.

Myrnas Idee war gut, so würde ich es machen. Sofort informierte ich Raiko von seiner speziellen Aufgabe. Raiko war froh nicht mit in den Kampf zu müssen und übernahm dankbar diesen Part. Also hatten wir dieses Problem auch schon in den Griff bekommen.

Nördlich der Ortschaft Cierne Polesie, gingen wir über die Grenze der VR Polen und folgten der Spur weiter nach Nordwesten, bis zu der Ortschaft Cyrla. Nur knapp zwei Kilometer südöstlich der Ortschaft, fanden wir, dass was wir gesucht hatten. Was wir dort vorfanden, erschreckte selbst uns, dass hatten wir alle nicht erwartet. Ein riesiges Lager hatte die Gruppe Drova hier aufgebaut. Froh die Gruppe gefunden zu haben, rutschte uns allen das Herz in die Hose. Kaija gab unsere Position den polnischen Genossen durch und sprach alles mit der Einsatzleitung ab. Um noch die letzte Dunkelheit zu nutzen, es war jetzt kurz vor 4 Uhr, trommelte ich meine zehn besten Spürnasen zusammen, ging mit Ihnen auf Erkundung.

Einar, Zaida, Cetin, Mila, Ana, Kimi, Kyra, Seida, Dija, Justa begaben sich zusammen mit mir in die Nähe des riesigen Lagers. Wir nutzten die letzte Dunkelheit aus, um das Lager auszukundschaften. Zwei Spürnasen, und zwar Justa und Einar, erkundeten die Lage rund um das Lager. Da die beiden Scharfschützen oft wichtige Details sahen, die uns Nahkämpfern schnell einmal entgingen.

Die Spürnasen im Team waren alles Allrounder, auch wenn alle eine bevorzugte Entfernung hatten. Sie konnten vor allem durch die Reihe weg, alle wirklich sehr gut Spuren lesen. Auch wenn das alle aus dem Teams konnten, gab es einige von uns, die darin richtig gut waren. Die nannten wir spaßeshalber immer, unsere Spürnasen. Die fanden einfach, noch so kleine Details heraus, weil sie eine überdurchschnittliche Beobachtungsgabe besaßen.

Wir anderen, drangen von allen Seiten in das Lager ein und nutzten alle vorhandenen Schatten, um so viele Informationen, wie nur möglich zu bekommen. Wieder einmal stellte ich fest, dass wir die Gabe besaßen uns fast unsichtbar zu machen. Das jahrelange heraus stehlen aus unserem Raum, um unseren Baum zu pflegen, hatte doch etwas Gutes gehabt. Wir hatten gelernt uns zu verbergen. Es fiel uns ein Stein vom Herzen, als wir feststellten, dass die Leute nur mittelmäßig bewaffnet waren. Erleichterung machte sich in uns breit. Scheinbar war dieses kein ausgesprochenes Ausbildungscamp. Wir sammelten alle Informationen, die wir bekommen konnten. Auch wenn die Gruppe Drova nicht sonderlich bewaffnet war, war die Lage das, was man als mehr als beschissen bezeichnen konnte. Im Lager hielten sich viertausend achthundertzweiunddreißig Personen auf, zu achtzig Prozent Männer. Zum Glück waren wenigstens keine Kinder im Lager, das hätte die Lage noch im einiges komplizierter gemacht. Alleine die Tatsache erleichterte uns sehr.

Scheinbar waren aus allen Himmelsrichtungen die Gruppen an dieser Stelle zusammengetroffen. Die Gruppe, die wir von der Tschechischen Republik aus,  bis hierher verfolgt hatten, war eine von vielen Gruppen. Ich hoffte inständig, dass nicht noch mehr Leute hier eintreffen würden. Wie es schien, waren alle vorhandenen Zelte belegt, die Kapazität des Lagers schien ausgeschöpft zu sein. Schweigend saß ich am Rand des Lagers, oberhalb des Bodens in einem Baum und beobachtete die Gruppe aus unmittelbarer Nähe.

Eine böse Ahnung, machte sich in mir breit. Aber es half alles nichts. Ich musste versuchen den Einsatz durch Reden zu beenden. Ein Kampf würde sehr blutig ausgehen und wahrscheinlich aus den Rudern laufen. Das wurde mir mit jeder Sekunde klarer. Den Auftrag abzulehnen und als nicht machbar einzustufen, diese Option hatte ich mir selbst versaut. Durch mein Verhalten dem Oberstleutnant gegenüber, bekäme die ganze Gruppe eine gewaltige Strafe. Ich würde den Vorschlag trotzdem zur Diskussion stellen. Aber das würde mir eine Lehre sein, ich musste mich in Zukunft einfach besser kontrollieren. Meine Kameraden durften nicht wegen meiner Unbeherrschtheit leiden. Egal wie, ich musste versuchen, diesen Auftrag ohne großes Blutvergießen, zu einem guten Ende zu bringen.

Nach Beginn der Morgendämmerung, zogen wir uns vom Lager zurück. Die Gefahr entdeckt zu werden, wurde mit jedem Augenblick größer. Wir richteten unser Lager hoch oben in den Bäumen ein, geschützt vor den Augen der Wachen, die um das Lager herum Kontrollgänge machten. Nun hieß es Geduld zu haben und den richtigen Zeitpunkt abzuwarten.

Wieder einmal war ich froh, dass wir die Verbindung besaßen. Dadurch konnten wir, jeder auf einen anderen Baum sitzend, die Lage auswerten, ohne dabei laut sprechen zu müssen. Dies führte in den letzten Jahren dazu, dass man uns als die "Stille Brigade", die "Stillen Kämpfer" bezeichnete. In Übungseinsätzen wunderte man sich immer, wie wir ohne Funker so harmonisch zusammen arbeiten konnten. Das hatte uns ab und zu, sogar ein Lob eingebracht.

Die Gruppe war sich bis jetzt darüber einig, dass die anderen, nicht alles zu wissen brauchten: Diese Verbindung war unser Geheimnis, dass würden wir so schnell niemanden verraten.

Nach dem wir aller Daten zusammen getragen hatten, stand eins fest: Der Einsatz würde der blanke Horror werden. Wir konnten ihn nur mit viel Glück, zu einem unblutigen Abschluss bringen.

Kurz nach 6 Uhr in der Früh, gab ich den Befehl zum Schlafen. Außerdem informierte ich auch den Oberst von unserem Vorhaben, dass man uns einige Stunden Ruhe lassen sollte. Immer acht Posten würden das Lager beobachten, immer zu zweit Wache schieben. So dass wir alle Veränderungen mitbekamen.

Uns informierten die polnischen Kollegen, dass um 22 Uhr der Verbindungsoffizier, vor Ort sein würde. Wir sollten diesen aus Cyrla abholen. Also schickte ich nach einem ruhigen Tag, zwei meiner Leute los, Raiko und Kyra, um den Genossen abzuholen. Instruierte die Beiden, dass der Genosse sich etwas zu trinken mitbringen sollte und es besser war, wenn er vorher etwas aß. Da man ja nicht wusste, wie lange der Einsatz noch dauern würde.

Kurz nach 23 Uhr kamen die Drei unter unserem Lager an. Jaan und Bela, halfen dem sich wild sträubenden jungen Mann auf einen der Bäume und setzten ihn, in eine der sogenannten Schaukel, die wir für solche Fälle immer dabei hatten. Nur wir konnten ohne Hilfe, nur in den Seilschlingen, über Tage in den Bäumen hängen. Die machten wir uns aus unseren Fangseilen, wie wir die Lassos nannten.

Der polnische Genosse war aufgebracht, über diese Art der Begrüßung und konnte nicht begreifen, was man von ihm wollte. Im Moment musste er allerdings warten, bis ich zu ihm kommen konnte. Da unter uns gerade die Wachen entlang liefen. Da dieser sich lautstark zur Wehr setzen wollte, musste ihm Jaan den Mund zuhalten, dass missfiel dem polnischen Kollegen natürlich. Jaan zeigte mit dem Kopf nach unten und Bela legte den Finger auf die Lippen. Da erst Begriff der Kollege, warum die beiden das alles mit ihm machten und nickte, zog ein entschuldigendes Gesicht. Ich musste warten, bis ich mich, ohne meine Position zu verraten, bewegen konnte. Über die Verbindung informierte ich Kyra und Raiko, dass ich gleich zu ihnen käme. Ging langsam, vor allem leise, die drei Bäume weiter, in dem ich einfach von Baum zu Baum sprang. Begrüßte leise flüsternd den Verbindungsoffizier, der zum Glück fließend deutsch sprach.

"Sir, entschuldigen sie diese Begrüßung, Sir. Hier kommen ständig Wachen entlang, so dass wir oben in den Bäumen bleiben müssen, Sir. Verhalten sie sich bitte ruhig damit, sie unsere Position nicht verraten, Sir", erklärte ich diesem am Ohr flüsternd, da nickte er.

"Mein Name ist Major Novak. Sie können mich aber auch Kacper nennen", antwortete er mir, ebenfalls leise flüsternd.

Ich nickte legte ihm die Hand auf den Mund und zeigte nach unten, dort liefen eine Minute später zwei Wachen auf ihren Rundgang entlang. Aller zwanzig Minuten kamen sie unter unserer Position entlang. Sicherten auf diese Weise, das Gebiet rund um das Lager. Nach etwa drei Minuten ließ ich den Mund von Novak wieder los.

"Sir, verzeihen sie bitte die Behandlung, Sir. Kurz zu ihrer Information, die Lage hat sich noch weiter verschlechtert, Sir. Heute am späten Nachmittag sind noch zwei weiter, allerdings schwer bewaffnete Gruppen eingetroffen, das Lager umfasst jetzt circa sechstausend Leute, Sir. Wie wir aber mitbekommen haben, sollen das wohl die Letzte gewesen sein, Sir."

Major Novak sah mich entsetzt an. "Wie viele Leute braucht ihr für den Zugriff?", wollte er wissen. "So schnell bekomme ich keine Verstärkung", erklärte er mir.

"Genosse Novak, wir brauchen keine Verstärkung, wir bekommen das alleine hin, auf unsere Art, Sir. Bevor hier ein Kampf beginnt, wollte ich sie fragen, ob sie bereit wären ein sehr großes Risiko einzugehen, Sir. Ich will versuchen, das hier ohne großes Blutvergießen zu beenden, Sir. Da sie mir als Beobachter zu Seite gestellt wurden sollten sie, Genosse Novak, auch bei meinen Verhandlungen dabei sein, Sir. Bei denen ich versuchen werde einen Kampf zu vermeiden, Sir."

Major Novak sah mich fragend an.

"Sir, ich werde in das Lager gehen und die Leute dort, davon in Kenntnis setzen, dass sie festgenommen werden sollen, Sir. Sie darauf vorbereiten, dass vieler ihrer Kameraden sterben werden, wenn sie sich auf einen Kampf mit uns einlassen, Sir. Werde mit ihnen wahrscheinlich auch einen kleinen Kampf austragen müssen, Sir. Um ihnen zu zeigen, auf was sie sich bei einem Kampf einlassen, Sir. Leider ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, das darf ich ihnen nicht verschweigen, dass wir dort als Geiseln genommen werden, Sir. Dann müssen wir uns freikämpfen, Sir. Es ist ihre alleinige Entscheidung, Sir."

Novak nickte, er begriff sofort, dass ich einen Kampf um jeden Preis verhindern wollte. Dass hier sonst das große Blutvergießen beginnen würde.

"Darf ich fragen, wie sie heißen, junge Frau?"

Mit Entsetzen wurde mir bewusst, wie unhöflich ich war. Aber ich war so auf den Einsatz konzentriert, dass ich überhaupt nicht dran gedacht hatte, mich vorzustellen. Ich wusste ja wie ich heiße und wer ich bin.

"Sir, entschuldigen sie bitte, mir gehen im Moment so viele Gedanken durch den Kopf. Mein Name ist 98, Sir."

Kopfschüttelnd sah mich Novak an. "Das ist doch kein Name, Mädchen. Sag mal, wie alt bist du eigentlich?", erst jetzt schien er realisiert zu haben, dass ich noch sehr jung aussah. "Wer ist hier eigentlich der Einsatzleiter? Es muss doch hier außer euch Kindern, noch einen Vorgesetzten geben", wies er mich darauf hin, dass er den Zuständigen sprechen wollte.

"Sir, ich bin der Teamleiter. Da ich die meiste Erfahrung in taktischen Sachen und in der Führung eines Teams habe, Sir. Die Einsatzleitung sitzt in einer Halle, in der Nähe von Prag: Mit denen sind wir nur über Funk verbunden, Sir. Wenn sie wollen hole ich ihnen die Funkerin her, damit sie sich vor Ort die Bestätigung holen können, Sir, dass ich bei dem Einsatz vor Ort, das Sagen habe, Sir. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie mir eine Antwort auf meine Frage geben müssen, Sir. Mir läuft die Zeit weg, je länger wir warten, umso gefährlicher wird der Zugriff, Sir, weil die Leute im Lager, dort unten, bestimmt einen Schutz aufbauen, Sir", offen sah ich ihn an.

Als Novak antworten wollte, legte ich ihm die Hand auf den Mund, zeigte mit der anderen nach unten. Novak nickte und schwieg, so gab ich ihm den Mund frei. Kopfschüttelnd sah er mich an. Beobachtete wie die Wachen unter uns entlang gingen und wollte einige Male zum Sprechen ansetzen. Ich schüttelte jedes Mal den Kopf. Die Wachen waren einfach noch zu nah. Erst als die Leute von Drova außer Hörweite waren, nickte ich ihm zu.

"Junge Frau, ich komme mit. Man hatte mich im Vorfeld schon davon informiert, dass das Heute ein ungewöhnlicher Einsatz werden würde. Sagen sie, könnten sie diese verdammte Brille endlich einmal absetzen. Ich sehe den Menschen mit denen ich rede, gern in die Augen."

Ich sah mich um und legte Novak aber vorsichtshalber, bevor ich meine die Brille absetzte, die Hand auf den Mund. Oft kam es vor, dass die Leute unbewusst aufschrien, weil sie sich vor unsere Augen erschraken. Ein Schrei könnte hier katastrophale Folgen haben. Novak fuhr erschrocken zusammen. Zum Glück verhielt er sich aber leise und der Situation entsprechend, als er meine Augen sah. Ich nahm die Hand von seinem Mund. Entsetzt sah mich der polnische Kollege an.

"Was hast du mit deinen Augen gemacht, Mädchen?"

Aus dem ersten Entsetzen in Novaks Augen, wurde als er das Unabänderliche begriff, eine unsagbare Wut. Man merkte, wie schwer er mit sich zu kämpfen hatte.

"Sir, nichts habe ich mit meinen Augen gemacht. Die sind seit meiner Geburt so, Sir. Es ist nicht schlimm, dass wir solche Augen haben, Sir, sie haben auch ihren Vorteil, Sir. Außerdem hat man uns viel Schlimmeres angetan, Sir. Bitte es gibt Wichtigeres zu tun, als eine Diskussion über unsere Augen, die sind halt wie sie sind, Sir", wies ich ihn daraufhin, dass wir kostbare Zeit verschwendeten. Deshalb wandte ich mich wieder dem Thema zu, über das wir dringend sprechen mussten. "Sir, falls wir als Geiseln genommen werden, müssen sie sich immer zwischen uns halten, egal was um sie herum passiert, Sir. Wir werden sie mit unseren Leben beschützen, Sir. Vorher muss ich ihnen allerdings noch einiges erklären, damit sie dann nicht erschrecken und in Panik geraten, Sir. Wir werden, wenn man uns nicht freiwillig abziehen lässt, die Ginos rufen. Wir gehen ja nur mit fünf Leuten in das Lager, sie und vier von uns, Sir. Um uns im Notfall dort heraus holen zu können, müssen sie uns allerdings bedingungslos vertrauen, Sir", ernst sah ich ihn an.

"Dinos? Was soll das denn heißen, 98?", fragte er mich völlig verwirrt, weil er den Begriff falsch verstanden hatte: Ich hatte ja Ginos gesagt.

"Moment, ich erkläre ihnen das Alles gleich", bat ich Novak um einen Augenblick Geduld.

Im gleichen Atemzug rief ich Jaan, Cankat und Rashida zu uns auf den Baum. Schickte gleichzeitig Raiko und Kyra, auf die Plätze der Anderen. Mit Absicht hatte ich mir die Kräftigsten und die Größten aus unserer Gruppe herausgezogen, um den Kontrast zu mir noch größer noch zu steigern. Jaan, mit seinen zweihundertsechs Zentimeter und hundertachtundvierzig Kilo, Cankat mit zweihundertfünf Zentimeter und hundertfünfundvierzig Kilo und Rashida mit ihren zweihundertsieben Zentimeter und hundertachtunddreißig Kilo, ließen mich noch um einiges kleiner und zierlicher wirken, als ich sowieso schon war.

Auf diesen enormen Unterschied in unserer Statur, setzte ich meine ganze Hoffnung, das große Blutvergießen zu vermeiden. Ich wollte erreichen, dass die gewaltige Differenz in unserem Erscheinungsbild den Leuten im Lager die Augen öffneten. Sie sollten nicht nur Angst bekommen, sondern sie vor allem nachdenklich werden. Die Kämpfer im Lager wussten ja nicht, dass ich mit Abstand der beste Nahkämpfer unseres Teams war. Diese Leute ahnten auch nicht, dass ich seit fast zwei Jahren meine Kameraden im Nahkampf ausbildete und ihnen eine eigene Kampftechnik beigebracht hatte. In punkto Nahkampf konnten wir von den Betreuern, seit Ewigkeiten nichts Nennenswertes mehr lernen. Die Techniken die unsere Lehrer uns beigebracht hatten, kannten wir aus dem FF, deshalb versuchten wir eigene Kampfstile zu entwickeln, die uns im Kampf halfen. Bei solchen Einsätzen, wie hier in Karolinka, nutzte ich also den Vorteil so klein zu sein, für meine Zwecke aus. Meine Größe musste mir in meinem Leben ja auch einmal einen Vorteil bringen. Sonst brachte sie mir nichts als Nachteile. Egal wo hin wir kamen und auf uns fremde Menschen stießen, passierte immer das Gleiche: Mir kleinen Zwecke traute im Beisein der Anderen keiner etwas zu. Man unterschätzte nicht nur meine Fähigkeiten völlig, sondern sah in mir nur das kleine unfähige Mädchen, dass man beschützen musste, weil es nichts konnte. Das war oft für mich dermaßen frustrierend, weil ich mir Respekt immer erst verdienen musste und stets hinterher erst Anerkennung bekam. Dieser Fakt erschwerte mir meine Arbeit ungemein.

Es dauerte fast zwei Minuten bis, Rashida, Jaan und Cankat zu uns kamen. Diejenigen aus unserer Gruppe, die ich im Moment brauchte und die ich dem Major vorstellen wollte. Novak sah mich verwundert an, da er den Sinn dieser Aktion nicht wirklich verstand. Vor allem weil er erstaunt war wie leise dieser Stellungswechsel vor sich ging.

"Sir, hätten sie einen Zettel und einen Stift, ich möchte ihnen etwas erklären, Sir."

Novak nickte und zog ohne nach den Sinn zu fragen, einen Notizblock hervor. Er hielt mir diesen hin und sah mich fragend an.

Verneinend schüttelte ich den Kopf, da Novak näher an Jaan saß, als ich. "Sir, geben sie das bitte dem Jungen mit den roten Haaren, Sir. Er kann besser zeichnen als ich, Sir. 23 bitte zeichne für Major …", wieder war ich gezwungen, das leise geführte Gespräch zu unterbrechen.

Da ich gerade die Warnung bekam, dass die Wachen in Hörweite kamen. Ich legte den Zeigefinger auf die Lippen und zeigte nach unten. Diesmal verstand Novak sofort, was ich wollte. Also sprach ich in der Zwischenzeit mit Jaan innerhalb der Verbindung weiter und bat ihn, er möchte für Novak unsere Ginos aufzeichnen. Einen Bären, in den sich Rashida verwandelte. Einem Wolf, in den sich Jaan selber verwandelte, genau wie Cankat. Dann noch einen fast schwarzen Geparden, dem ich ähnlich sah. Novak musste wissen, was auf ihn zukam. Nach dem die Wachen außer Hörweite waren, reichte mir Jaan, das Notizbuch mit den Zeichnungen.

"Sir, das sind wir als Ginos, nicht Dinos wie sie es verstanden hatten, Sir. Ich sagte ja vorhin schon, dass man uns wesentlich Schlimmeres angetan hat, als unsere Augen, Sir. In ausweglosen Situationen oder einem großen Kampf, wie der, der heute auf uns zukommen wird, rufen wir diese Tiergestalten: Die wir selber Ginos nennen, Sir. Diese Ginos werden sie dann beschützen, Sir. Wir haben allerdings als Gino ein riesigen großes Problem, Sir. Wir können in dieser Gestalt mit ihnen weder sprechen, noch können wir sie sehen, Sir. Sie müssen also jetzt genau zuhören, Sir. Wir werden als Ginos, also in den Tiergestalten, um sie herumschleichen, Sir. Na ja, schleichen kann man das eigentlich nicht nennen, eher rennen, Sir. Dabei drängen wir sie schnellstmöglich aus der Gefahrenzonen, Sir. Sie müssen, egal was passiert, immer in unserer Mitte bleiben, Sir. Bekommen sie Panik und brechen aus diesem Kreis aus, könne wir sie von den anderen Personen nicht mehr unterscheiden, Sir. Da wir als Ginos nur thermisch sehen, Sir. Wenn sie in Panik geraten, haben sie die gleiche Farbe wie unsere Feinde, die ja auch Panik vor uns haben, Sir. Nur unsere Freunde haben keine Angst vor uns und bleiben also in einer kalten Temperatur, Sir. Der Herzschlag ist nicht erhöht, sie haben keine Angst und sie kennen uns, Sir. Nur wenn sie keine Angst vor uns haben, können wir sie vor den anderen beschützen, Sir."

Novak sah entsetzt auf die Bilder und dann auf uns. Jaan hatte sich wie immer übertroffen, beim Zeichnen. Jedes noch so kleine Detail hatte er eingezeichnet, selbst die Gesichter konnte man genau erkennen.

"Sag mir Mädchen, dass dies ein böser Scherz ist, bitte. Ihr verwandelt euch nicht wirklich in solche Dinger? Das ist ja wie in einem schlechten Horrorfilm", ganz blass war Novak geworden und sah fassungslos von einem zum anderen. Entschlossen steckte er sein Notizbuch wieder ein und holte tief Luft. Immer noch raufte er sich die Haare und rang um seine Fassung.

"Sir, wenn sie damit nicht klar kommen, ist das nicht schlimm, Sir. Dann bleiben sie hier bei Raiko, der sagt ihnen genau, was ich den Leuten im Lager sage, Sir. Er wird ihnen auch mitteilen, was ich zur Antwort bekomme, Sir. Sie müssen nicht mitkommen, wenn sie das nicht wollen oder können, Sir. Dann gehe ich mit meinen Kameraden alleine ins Lager, das wäre mir sowieso lieber, Sir. Damit ich sie nicht erst in Gefahr bringe, Sir. Denn das Risiko für sie ist verdammt hoch, Sir."

Novak hatte sich in der Zwischenzeit wieder einigermaßen gefangen. "Nein ich komme mit", erklärte er mit fester Stimme, auch wenn ihm nicht wohl bei der ganzen Sache war.

"Also dann los. Es ist jetzt gleich 1 Uhr. Bringen wir den Mist hinter uns", befahl ich Jaan, Cankat und Rashida in der Verbindung.

An Novak gewandt, sagte ich noch einmal das Gleiche, weil ich nicht daran gedacht hatte, dass er mich nicht hören konnte. "Sir, dann gehen wir am besten gleich los, so dass wir den Mist hinter uns haben, Sir", sofort ging ich aus dem Baum, in dem ich einfach nach unten sprang.

Jaan nahm sich Novak einfach auf seinen Rücken und kletterte am Stamm nach unten, auf die Erde. Die andern beiden sprangen genau wie ich, einfach aus der Seilschlinge und auf den Boden. Zur gleichen Zeit, rief ich Rina zu mir. Am Boden zogen wir unsere Overalls aus, bis wir nur noch in T-Shirt und Turnhose bekleidet waren. Novak baten wir ebenfalls darum sich auszuziehen. Vor allem aber seine Waffen abzugeben. Es war nicht gut mit Waffen in so einem Lager zu erscheinen, das würde als Provokationen aufgefasst werden. Rina nahm unsere Waffen, auch die von Novak und packte sie in die Sachen ein. Rina verschwand sofort wieder nach oben, in den Baum.

"Sir, dann gehen wir mal, Sir. Im Lager werden sie nur beobachten, Sir. Sie werden weder sprechen, noch sich auf irgendeine Art einmischen, Sir. Sie hören nur zu, Sir. Ich werde die Verhandlungen in dem Lager auf eine für sie ungewohnte Weise führen, Sir. Auf diese Weise ist es mir schon einige Male gelungen, den großen Kampf zu verhindern, Sir. Geben sie uns einfach eine Chance, es auf unsere Weise zu Ende zu bringen und vertrauen sie uns einfach, Sir."

Ich nahm meine Brille ab und sah Novak offen an. Nach einer ganzen Weile nickte der Mayor, vor allem sah ich an seinen Augen, dass er sich daran halten würde. Der polnische Kollege hatte einen klaren und offenen Blick. Ich war froh, dass ich ihm vertrauen durfte, denn Helden konnte ich in dieser Situation überhaupt nicht gebrauchen. Mit Helden an meiner Seite, lief mir das Ganze aus den Rudern. Sofort setzte ich meine Brille wieder auf, im gleichen Moment überlegte ich es mir anders.

Über uns im Baum saß Erja, diese rief ich zu uns und gab ihr unsere Brillen zur Aufbewahrung, sodass diese nicht kaputt gehen konnten. Kaum hatte sie unsere Brillen in Empfang genommen, verschwand sie wieder im Baum. Bis die nächsten Wachen aufkreuzen würden, dauerte es nicht mehr lange. Die anderen mussten sich weiterhin bedeckt halten, um unseren momentanen Standort nicht zu verraten.

Wir Vier zogen derweilen die Bänder über die Augen, um uns im Lager vor dem Licht zu schützen. Auf diese Weise war das einfach besser möglich. Die Brillen hatte uns der Doko einmal erklärt, war sehr teuer und bei mir gingen sie ständig kaputt. Auch wenn es für Menschen die uns nicht kannten eigenartig aussah, wenn wir mit verbundenen Augen im Lager aufkreuzen würden. Vielleicht konnten wir das sogar zu unserem Vorteil nutzen, indem wir offen zeigten, dass wir anders waren als unser diese Menschen. Dadurch wirkten wir von Anfang an glaubwürdiger.

Nur neun Minuten mussten wir laufen, bis uns die nächste Streife entgegen kam. Verwundert stellten wir fest, dass sich der Wachturnus in den Nachtstunden verändert hatte. Meiner Meinung nach, vergrößerten die Verantwortlichen des Lagers, in den späten Nachtstunden die Runde ums Lager, um Wachen zu sparen, damit so viele Leute wie möglich schlafen konnten. Unsere Posten würden das ganz genau beobachten und mir später die Routen und Zeiten mitteilen. Eigentlich wäre die nächste Wache schon lange überfällig gewesen, wenn sie im gleichen Rhythmus weiter gelaufen wären.

Wir nahmen als wir die Information bekamen, dass die Wachen gesichtet wurden, die Hände hinter den Kopf und liefen so mit erhobenen Händen direkt auf die Streife zu. Signalisierten der Wache auf diese Art, dass wir keine Gefahr darstellten. Novak, der zwischen uns lief, machte es uns einfach nach, was ich mit Erleichterung feststellte. Ich hatte nichts sagen brauchen.

Erschrocken blickten uns die beiden Wachen an und kamen uns entgegen gelaufen.

 

Jaan der ein ungeheures Talent für Sprachen besaß und fast fließend Tschechisch, wie auch Polnisch sprach, sprach die Wachen an. Auch wenn er nicht so gut war, wie die Dolmetscher des Teams 1, sprach er fast akzentfrei diese Sprache. Er bat die Streife darum, uns ins Lager und zum Leiter des Camps zu führen.

Über ein Walky Talky setzte sich die Streife mit ihrem Camp in Verbindung und bekam nach fünf Minuten Unterstützung, von sechs weiteren Kollegen. Die zusätzlichen Kräfte des Lagers, kamen im Laufschritt angerannt. Wir wurden von den acht Mitgliedern, der Gruppe Drova, in die Mitte genommen und ins Lager geführt und direkt in das Zelt gebracht, welches wir als das Stabszelt eingestuft hatten. Wir waren also genau dort, wo wir hin wollten.

Ein etwa fünfunddreißig jähriger dunkelhaariger und sehr schlanker Mann, kam auf uns zu. Er hatte eine Hasenscharte, die ihm beim Sprechen lispeln ließ. Er schien im Lager das Sagen zu haben. Er begrüßte uns mehr oder weniger freundlich, auf Tschechisch.

"Co chcete? Kdo jsi? - Was wollen Sie? Wer sind Sie?", wollte er von uns wissen.

Jaan übersetzte für uns und unseren Beobachter, laut und deutlich, die Worte des Leiters des Camps.

Ich nickte meinem Gegenüber freundlich zu. "Sir, man nennt mich 98, Sir", stellte ich mich als erstes auf Deutsch vor und zeigte während des Vorstellens auf Jaan, Cankat, Rashida und zum Schluss auf Major Novak. "Das hinter mir sind 23, 67, 91 vom Team Hundert, einer international tätigen Spezialeinheit zur Bekämpfung von Terrorismus, Sir. Der Genosse in der Uniform ist Major Novak, er wurde uns von Seiten der polnischen Behörden, als Beobachter zugewiesen, Sir. Wir sind gekommen, um sie aufzufordern, sich kampflos zu ergeben, Sir. Ich möchte unbedingt unnötiges Blutvergießen vermeiden, Sir. Können sie mir sagen, wie sie heißen und ob sie der deutschen Sprache mächtig sind, Sir? Damit ich weiß ob ich meinen Dolmetscher bemühen muss und sie vor allem mit einem Namen ansprechen kann, Sir?", mit Absicht sprach ich deutsch, aus Erfahrung wusste ich, dass viele der Tschechen mehr oder weniger gut Deutsch sprachen.

Deutsch war in den Schulen der tschechischen Republik, so meine letzte Information, ein Pflichtfach, so dass ich davon ausgehen konnte, dass er mich mehr oder weniger gut verstehen konnte. Was immer ein Pflichtfach zu bedeuten hatte, das hatten wir noch nicht so richtig verstanden. Meine Vermutung bestätigte sich, mein Gegenüber hatte mich gut verstanden. Auch wenn er nicht fließend Deutsch sprach, hatten wir keine Verständigungsschwierigkeiten. Das erleichterte meine Arbeit sehr, da ich dadurch alles selber regeln konnte.

"Was gehen sie an meine Name?", wollt er wütend wissen. Der Leiter der Gruppe Drova, ich nahm an dass er das war, kam sich durch meine Vorstellung hinters Licht geführt vor. Wer außer uns hatte schon Zahlen als Namen? "Was sein das Name, 98? Wir keine Terroristen. Was wollen ihr von uns?"

Der bevorstehende Kampf würde die Härte werden, meine Laune sank ins Bodenlose. Mein Gegenüber war nicht bereit kampflos aufzugeben. Ich würde hier all mein Können aufbieten müssen und all meine Diplomatie, gerade darin war ich nicht besonders gut. Tief holte ich Luft und erklärte mich freundlich. Es brachte schließlich nichts unfreundlich zu werden.

"Sir, es tut mir leid, ich habe keinen anderen Namen, Sir. Ich werde schon solange ich lebe 98 gerufen, Sir. Ich kann doch nichts dafür, Sir. Ich gebe ihnen Recht, ihr Name geht mich absolut nichts an. Allerdings rede ich lieber mit Leuten, deren Name ich kenne, Sir", bat ich ihn um Verständnis und erklärte ihm, warum ich seinen Namen wissen wollte.

Verstehend nickte er. "Jacub Sládek. Ich nicht verstehe, was sie wollen?"

Ich konnte mir vorstellen, dass er überfordert war. "Danke Herr Sládek. Sir, wir wurden von der Tschechischen Regierung beauftragt, die Gruppe Drova zu der sie gehören und deren Sprecher sie sind, aufzulösen, Sir. Ich bin allerdings nicht an Gewalt interessiert, Sir. Ich möchte ihnen anbieten, dass sie sich kampflos ergeben, Sir. Sie legen ihre Waffen nieder, Sir, dann geht das hier friedlich über die Bühne. Ich muss meine Hundertschaft nicht einsetzen und wir vermeiden dadurch, dass jemand verletzt wird. Wir werden ihre persönlichen Daten aufnehmen und sie zurück in die Tschechische Republik transportieren und eskortieren, Sir. Dort werden sie den zuständigen Behörden übergeben, ohne dass es zu einem Kampf kommt und es zu einem Kampf gekommen ist, Sir. Ergeben sie sich nicht, werden es viele ihrer Leute mit dem Leben bezahlen, Sir, unterschätzen sie nicht unsere Fähigkeiten und unser Können, Sir. Jeder einzelne von uns ist hundert ihrer Kämpfer wert, denn wir wurden genau dafür ausgebildet, Sir. Wir kämpfen um unsere Gegner zu töten, auch wenn wir das nicht wollen, wir können es nicht anders, Sir. Wir werden dann kurzen Prozess machen, Sir, sie lassen uns dann keine andere Wahl. Dieses Lager hier ist von meiner Hundertschaft umstellt und ihr Camp, wird nach dem Kampf einem blutigen Schlachtfeld gleichen, Sir. Ich denke dreiviertel bis vierfünftel ihrer Leute sind dann nicht mehr am Leben, Sir. Die Überlebenden allerdings, werden durch die Reihe weg, mehr oder weniger schwer verletzt sein, unverletzt bleibt nur wer jetzt sofort geht. Die Leute werden allerdings sofort von meinen Kollegen festgenommen und zum Abtransport vorbereitet, Sir. Den Kampf will ich unbedingt vermeiden, deshalb sind wir hierhergekommen und wollten mit ihnen sprechen, Sir. Sehen sie sich meine drei Kollegen an, der Rest meines Teams hat deren Statur, die Unterschiede sind minimal, Sir. Ich bin mit Abstand die Kleinste und Schwächste, aus unserem Team, Sir. Wenn sie einen Einblick in unseren Kampfstil wollen, können sie gern zwanzig ihrer besten Kämpfer holen und ich zeige ihnen, auf was sie sich bei einem Kampf einlassen würden, Sir. Meine Kollegen und ich möchten unbedingt, das große Blutvergießen vermeiden, Sir. Keiner ihrer Leute hat es sich verdient zu sterben, Sir", ernst und eindringlich, sah ich Sládek an.

Seinem Gesicht nach zu urteilen, war er sich seiner Sache gewiss. Unser Hauptproblem war folgendes: Sládek musste mit seinen fast sechstausend Camp-Insassen und den vielen im Lager befindlichen Kämpfern, keine Angst haben besiegt zu werden. Leider ging er, wie viele andere Kampfeinheiten, von der mathematischen Gleichung aus. Sechstausend Kämpfer waren zweiundachtzig Kämpfer haushoch überlegen, obwohl ich ja nicht einmal erwähnt hatte, dass wir nur zweiundachtzig Kämpfer vor Ort hatten. Theoretisch war er durchaus im Recht, nur wusste der Leiter des Camps nicht, wer wir waren und wie wir kämpfen würden. Genau darin lag unser oder besser mein Problem: Wie erklärte ich ihm unsere Überlegenheit. 'Verdammt nochmal, warum konnte man uns nicht einmal ernst nehmen', ging es mir durch den Kopf.

Sládek musterte mich erstaunt. "Wie? Kampf, von zwanzig gegen dir? Du habe keine Chance, gegen Männer von mir. Du sein doch ein Kind", schallend lachend sah er mich an. Sofort übersetzte er seinen Kameraden, die scheinbar nicht so gut Deutsch sprachen, was ich ihm vorgeschlagen hatte. Bekam von den Anwesenden eine sofortige Antwort.

"Nechte je boj, pak se máme na co smát. - Lass sie kämpfen, dann haben wir etwas zu lachen", meinte einer der voll ausgerüsteten Kämpfer mit einem fetten Grinsen im Gesicht.

In der Verbindung übersetzte mir Jaan dessen Worte, denn Cankat und Rashida verstanden was der Tscheche sagte.

Rashida die Angst um mich hatte, forderte von mir, dass sie den Kampf übernehmen zu wollte. Sie gab mir in der Verbindung zu verstehen. "Täubchen, du kämpfst nicht. Deine Rippen sind schon kaputt, lass es mich machen. Außerdem bin ich viel größer als du, dann bekommen sie gleich Angst."

Ich schüttelte kaum merklich den Kopf. "Rashida, gerade das will ich ja vermeiden, dass sie wissen wie ihr kämpft. Ich hoffe, dass die Kämpfer hier meiner Idee folgen. Da ich nach außen hin, die Zierlichste und die Schwächste darstelle, vermuten sie auch, dass ich die schlechteste Kämpferin bin. Darin besteht meine Hoffnung, den großen Kampf zu vermeiden. Wenn die sehen wie gut ich bin, bekommen sie vielleicht Angst vor euch. Lass es gut sein. Du weißt, dass ich den Kampf ohne Probleme hinbekomme. Du weißt ich bestehe im Training den Kampf alle gegen Lynchen und da war ich schon wesentlich Schlimmer dran", erklärte ich meiner Freundin noch einmal, was ich mit diesem Kampf erreichen wollte.

Sládek sah mich musternd und breit grinsend an. "Okay, du kämpfen, gegen zwanzig von unser Kämpen. Dann entscheiden ich, was sollen wir tun."

Damit war klar, er wollte wissen, wie gut wir waren. Vor allem aber, auf was er sich bei einem Kampf mit uns einließ.

"Sir, dann los, bringen wir es hinter uns, Sir."

Sládek drehte sich zum Eingang und ging auf die offen stehende Plane des Zeltes zu. Er verließ ohne ein weiteres Wort das Zelt, um den Kampf zu organisieren. Für einen Moment blieb ich noch mitten im Raum stehen, um Novak die Situation noch einmal zu erklären. Der unsere Gespräch, die wir innerhalb der Verbindung führten, nicht verfolgen konnte und dadurch nicht wusste, was geplant war.

"Genosse Novak, denken sie daran, während des gesamten Kampfes immer in der Mitte meiner Kameraden zu bleiben, Sir. Falls es hart auf hart kommt, rufen wir die Ginos, nur dann, können wir sie beschützen, Sir. Ich hoffe wir bekommen freien Abzug zugesichert oder die Gelegenheit so zu fliehen, Sir. Auch denke ich, werden wir einen offenen Kampf nur mit sehr viel Glück vermeiden können. Dieser Sládek ist sich seiner Übermacht an Kämpfern durchaus bewusst, Sir. Nur hat er keine Ahnung, dass er hier mit einem mathematischen Vergleich, verraten und verloren ist. Auch wenn auf jedes Mitglied in unserem Team ungefähr 80 Kämpfer der Gruppe Drova kommen, sind wir ihnen immer noch haushoch überlegen. Nur leider können wir dann nicht sanft vorgehen, dann wird es ein blutiger Kampf, der auf Leben und Tod geführt werden muss. Weder sie noch Sládek haben die geringste Vorstellung, worauf die Gruppe Drova sich bei diesem Kampf einlässt, Sir. Mir graut schon vor dem Gedanken, wenn wir diesen Kampf nicht verhindern können. Wir hatten schon einige solcher Kämpfe und führten die ohne Verluste, nur die anderen bezahlten diese Auseinandersetzungen mit ihrem Leben und vor allem ihrer Gesundheit. Deshalb Genosse Major, sie bleiben zu ihrer eigenen Sicherheit, egal was passiert, im Kreis meiner Kollegen. Ich möchte sie nicht ausversehen verletzen, Sir", versuchte ich dem Novak noch einmal klar, dass er genau das machen sollte, was wir mit ihm abgesprochen hatten. An meine Leute gewandt, forderte ich nochmals, deutlich auch für Novaks Ohren, seinen Schutz ein. "Ihr Drei beschützt ihn mit eurem Leben, Verstanden."

Alle drei nickten, sie wussten wie gefährlich diese Situation war. Wir hatten dieses Spiel schon einige Male und es war jedes Mal eine heikle Angelegenheit. Keine drei Minuten später folgten wir Sládek nach draußen, auf den Platz vor dem Zelt.

Es war ein circa zwanzig Meter im Durchmesser freigeräumter Platz, der wahrscheinlich für den Morgenappell diente. Ringsherum, stand die mit viel System aufgebaute Zeltstadt, die in Sektionen eingeteilt war. Vier große Hauptwege von denen wiederum kleinere Nebenwege abgingen, bildeten die Unterkünfte der Lagerinsassen. Neben dem Kommandozelt, gab es noch ein weiteres großes Zelt, das für die Mahlzeiten und die Freizeit eingerichtet wurden war. Dieses Zelt war um diese Zeit gut besucht und aus ihnen strömten eine Menge Zuschauer und Kämpfer heraus, als wir ins Frei traten.

Sládek sah mich lachend an und kam mir entgegen. "Wie wollen haben Kampf?", wollte er von mir wissen.

Ich sah Sládek ernst an, versuchte den Rückzug meiner Kameraden und Novak im Voraus zu planen, soweit das überhaupt möglich war.

"Sir, ihre Kämpfer stellen sich in einem Kreis um mich herum auf, nur Nahkampf Waffen, nicht das ihr eure eigenen Kameraden verletzen oder gar tötet. Dann greifen mich alle gleichzeitig an, Sir. Überlebe ich den Kampf und liegen ihre Kämpfer alle am Boden, geben sie auf oder lassen mich und meine Leute abziehen, Sir. Ich möchte nicht jetzt schon, viele ihrer Leute töten müssen, Sir. Nur um den Schutz des Genossen Novak zu gewährleisten, Sir. Ich muss garantieren, dass er hier heil heraus kommt, Sir. Er ist unser Gast und es obliegt meinem Team, dass ihm nichts geschieht, Sir. Ich halte immer meine Versprechen und dabei ist es mir egal ob ich einen meiner Gegner töten muss, Sir."

Sládek grinste mich frech an, er wollte nicht hören, was ich ihm klar zu machen versuchte. Ich konnte also davon ausgehen, dass er mir meine Fähigkeit absprach, gegen seine Männer zu bestehen. Wir mussten daher abwarten, ob der Kampf, seine Meinung änderte.

"Leute, stellt euch schon einmal drauf ein, die Ginos zu rufen. Bitte leise, wir wollen nicht das gesamte Lager wecken. Ich melde mich in der Verbindung, wenn ich etwas am Plan ändere. Ihr wisst es ist oft eine spontane Entscheidung, wie wir vorgehen. Macht euch auf eine Gegenwehr von Nowak gefasst und greift ihn hart an, wenn er sich wehrt. Ich heile seine Verletzungen, wenn wir hier heil raus sind", bat ich in der Verbindung, drehte mich nochmals zu Novak um. "Sir, sie stellen sich zwischen die Drei und bleiben in deren Mitte, Sir. Egal was passiert, Sir. Wenn es hart auf hart kommt, werden wir die Ginos rufen. Also erschrecken sie dann nicht, wir haben dann keine Zeit ihnen etwas zu erklären. Machen sie einfach das was ihnen meine Kollegen zurufen, Sir."

Novak sah mich immer blasser werdend an. Und nicht nur deshalb, weil ich gerade dabei war, mein T-Shirt auszuziehen, um weniger Angriffsfläche zu haben. Er sah die vielen Narben auf meinem Körper. Allerdings sahen mich auch meine Leute erschrocken an, da meine gesamte rechte Seite war schwarz verfärbt war. Nämlich genau da, wo mich der Schlag vom Oberstleutnant getroffen hatte. Sie wussten, dass die Verletzungen die ich hatte, nicht so harmlos waren, wie sie erst angenommen hatten.

Rashida wollte wieder eine Diskussion mit mir anfangen. "Lyn…"

Weiter ließ ich sie nicht sprechen. "Rashida, es ist nichts. Die inneren Verletzungen habe ich ausgeheilt, es sieht schlimmer aus, als es ist. Ende der Diskussion, helfe mir lieber in die Taiji-Atmung. Ich muss runter fahren, damit ich kämpfen kann. Ich will die Leute hier nicht mehr verletzen, als es unbedingt sein muss. Das wäre wirklich nützlicher und würde mir helfen."

Rashida nickte und verkniff sich alle weiteren Bemerkungen. Sie nahm mich einfach in ihre Arme. Sie wusste nur zu genau, wie angespannt ich in dieser Situation war. Von dem Ergebnis dieses Kampfes hing es ab, ob hier in Kürze das große Blutvergießen beginnen würde. Ruhig und tief atmend, half sie mir so herunter zu fahren und mein inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Schnell kam ich in ihren Atemrhythmus und dadurch wesentlich schneller in die tiefe Taijiatmung. Durch diese Atemtechnik konnte ich mich besser konzentrieren. Eine Minute später hatte ich die Atmung, die ich für den Kampf brauchte.

Sládek und seine Männer atmeten erschrocken aus und konnten nicht glauben, was sie da sahen. In der Zeit, in der ich mich ins Taiji atmete, sah die Gruppe Drova nur meinen Rücken. Zugegebenermaßen sah der noch einiges schlimmer aus, als mein Brustkorb. Das sahen meine Leute und Novak, aber erst, als ich mich zu den Kämpfern herum drehte. Ich ging auf Sládek zu, sah ihn offen an.

"Sir, wir können, Sir", gab ich das Startsignal.

Tief atmend konzentrierte ich mich auf meine Mitte und schaltete um mich herum, alle Reize aus. Ich war sozusagen im Kampfmodus. Dadurch waren alle meine Sinne, nur noch auf den Kampf konzentriert, so wie ich das immer im Kampf machte. Dies war bei mir keine ungefährliche Situation. Denn ich reagierte ab diesem Moment, nur noch auf Berührungen. Das war bei mir sehr gefährlich, weil ich nicht mehr sah, gegen wen sich meine Aggression richtete. Sondern agierte nur noch, aus einem antrainierten Reflex heraus. Einer Berührung, folgte der Angriff, dann der Tod. So hatten wir es von klein auf beigebracht bekommen. Bis vor knappen zwei Jahren, war ich in diesen Zustand, kaum mehr zu Bremsen. Erst, wenn sich wirklich alle von mir zurückzogen und keine Angriffe mehr kamen, konnte ich wieder in den Normalzustand zurückkehren. Heute ging das um vieles einfacher. Aber damals hatte ich oft, auch meine eigenen Kameraden, bei solchen Übungskämpfen verletzt. Weil ich einfach in einer Art Blutrausch gefallen war. Heute konnte ich einen Unterschied im Kampf machen, ob es Training oder Ernst war. Bei dem Kampf gegen Sládeks Männer, stellte mich hier auf eine Trainingssituation ein, würde also keinen der Kämpfer absichtlich töten. Dies konnte ich heute zum Glück kontrollieren. Um mich herum hatten sich in der Zwischenzeit zwanzig Kämpfer aufgestellt und vierzig oder fünfzig Leute hatten sich um sie herum versammelt, um sich dieses Spektakel anzusehen.

Auf den Befehl Sládeks hin. "Chci vítězství pro nás. – Ich will einen Sieg für uns", gab er das Startsignal und feuerte seine Leute an.

Es vergingen keine fünf Sekunden und ich wurde von den Kämpfern angegriffen. Sládeks Leute waren nicht schlecht, allerdings gegen meine Kämpfer, blutige Anfänger. Sie bewegten sich einfach viel zu langsam, kämpften zu ungenau und kamen gegen unsere schnellen Reflexe und unsere Kraft nicht an.

Das Problem bei solch einem Kampf war, dass sie wirklich alle gleichzeitig angriffen. Diejenigen, die das noch nie gemacht hatten, brauchten eine Weile, um hinter den Zweck der Übung zu kommen. Ohne jegliche Absprache, war solch ein Kampf einfach nicht möglich, man behinderte sich selbst gegenseitig im Kampf. Erst nach ein oder zwei Minuten begriffen die Kämpfer, dass sie nur mit Verstand gegen mich kleine Kröte gewinnen konnten. Organisierten sich durch Zurufe, die mir Jaan übersetzen konnte. Erst dann griffen sie in geordneter Formation an. Diese Anfangszeit konnte ich nutzen, um schon etwas aufzuräumen, wie ich das immer nannte. Ich hatte also die Möglichkeit, schon einige von ihnen aus den Kampf zu nehmen. Das war zwar etwas gemein, denn ich nutze deren Unwissenheit, zu meinem Vorteil. Mir war klar, dass das nicht fair war: Allerdings ist ein Kampf zwanzig gegen einen, nun mal alles andere als fair.

Den ersten Kämpfer der mich berührte, zog ich mit einem schnellen Griff ans Handgelenk, zu mir heran. Griff ihm in die Nackenmuskulatur und schickte ihn mit einem kurzer Dreher schlafend auf den Boden.

Auf Grund unserer antrainierten Kraft, die wir auch in den Händen hatten, war es uns möglich, jemanden gezielt in die Bewusstlosigkeit zu schicken. Das erreichten wir, durch einen Griff in die Nackenmuskulatur. Es gab in diesem Bereich einen, ich nannte es immer einen Knotenpunkt, von dem aus viele Signale im ganzen Körper verteilt wurden: So auch der Schmerz. Griff man in diesen Knotenpunkt, schaltete das Gehirn einfach ab. Die Schmerzen waren unvorstellbar groß und man fiel einfach in Ohnmacht. Oder wie wir es nannten, gingen die Leute schlafen. Blieben auf diese Weise, für eine gewisse Zeit kampfunfähig. Dieser Zustand hielt ungefähr zehn bis zwölf Minuten an. Je nach dem, über wie viel Kraft, der ausführende Kämpfer verfügte.

In dem Moment, als der erste Kämpfer fiel, war schon der zweite durch gebrochen und kam auf mich zu. Ein kurzer linker Haken gegen die Leber und ein Griff in den Nacken und er lag bei seinem Kollegen. In diesem Moment versucht der dritte mir die Hand wegzuschlagen. Dabei schlug er sich meine Hand selber gegen den Kehlkopf, da ich mich unter den Schlag weggeduckt hatte. Auch er sank bewusstlos zu Boden. So ging es Schlag auf Schlag, nach einer Minute, waren weitere fünf der zwanzig Leute kampfunfähig. Die anderen wurden vorsichtiger und trauten sich nicht mehr an mich heran. Mir blieb also nichts anderes übrig, als selber zum Angriff überzugehen. Zur Täuschung der Kämpfer ging ich auf einen der Kämpfer los, kurz bevor ich bei ihm war, machte ich einen gedrehten Salto zurück und griff genau den ihm gegenüber stehenden Kämpfer an. Der hatte seine Deckung vollkommen vernachlässigte und deshalb konnte ich ihn ungeschützt gegen den Magen schlagen. Ein Griff in die Nackenmuskulatur und auch er ging zu Boden. So schaltete ich nacheinander noch weitere fünf Gegner aus. Von Sládeks zwanzig Kämpfern, waren nur noch sechs übrig. Langsam wurde es übersichtlicher und für die Kämpfer war mehr Platz. Endlich begriffen sie, dass sie zusammenarbeiten mussten, wenn sie mich besiegen wollten.

Ich blieb keuchend in der Mitte stehen, ohne mich zu bewegen. Schwer holte ich Luft, denn ich hatte einige schmerzhafte Schläge kassiert. Die Jungs waren nicht schlecht. Anerkennend musste ich zugeben, dass die Gruppe Drova sehr gute Kämpfer besaß. Das vierzehn ihrer Leute am Boden lagen, war normal. Sie hatten einen großen Fehler gemacht, sie nahmen mich nicht für voll. Sie hatten mich einfach unterschätzt. Ein Fehler, der von vielen gemacht wurde, sie hatten meine Größe und mein junges Aussehen, gleichgesetzt mit Unfähigkeit. Sie gingen davon aus, dass ich über keinerlei Kampferfahrungen verfügte. Dies war ein tödlicher Fehler, den man niemals machen sollte. Jetzt jedoch hatten sie begriffen, dass sie es mit einem ernsthaften Gegner zu tun hatten und griffen mit Bedacht und System an.

Der Kampf begann mir Spaß zu machen, denn er forderte mich. Einer der Kämpfer, schlug nach meinen kaputten Rippen. Ich fing seine Hand mit der rechten Hand ab, justierte so die schlagende Hand, am Handgelenk, griff mit der Linken an seinen Ellenbogen. Die rechte Hand ließ das Handgelenk los, ein kurzer kraftvoller Schlag gegen den Kehlkopf, schon kippte er bewusstlos zu Boden. Das dauerte genau eine Sekunde. Fast im gleichen Moment, kam die nächste Faust auf mich zu geflogen. Diesmal fing ich mit links dessen Handgelenk, hob da der Gegner wesentlich größer war wie ich, meinen rechten Ellenbogen nach oben und drehte mich in den Schlag hinein. Dabei stieß ich mit den Ellenbogen zu. Sofort sackte der Kämpfer bewusstlos zu Boden. Fast im gleichen Augenblick bekam ich von hinten einen Luftzug mit, der einen Schlag ankündigte. Drehte mich weiter, in den nächsten Schlag hinein und rammte meinem Gegenüber mit einem harten Schlag, den linken Ellenbogen in den Plexus, schon ging auch er zu Boden. Duckte mich in eine Rolle, um von unten den nächsten Gegner der auf mich zu kam, die Faust in seine heiligsten Teile zu schlagen. Damit war Numero Vier ausgeschaltet. Lag wimmernd und zusammen gerollt, wie ein Häufchen Unglück, vor allem aber bewegungsunfähig da. Nun waren es nur noch zwei Gegner, mit denen ich es zu tun hatte. Es kam langsam Ordnung in die Sache. Ohne Pause griff mich der nächste alleine an. Er war wütend darüber, dass nun schon so vieler seiner Kameraden am Boden lagen. Er wollte mit geballter Kraft gegen mich vorgehen. Mit einem Sprung in die Höhe, ließ ich ihn ins Leere schlagen und sprang über seine Schulter. Im Flug drehte ich mich so, dass ich von hinten an seinen Hals griff und ließ die Hand in die Nackenmuskulatur rutschen. Im gleichen Augenblick ging er in die Knie.

In einem richtigen Kampf, wäre er jetzt tot, denn dann hätte ich ihm sein Genick gebrochen. Jetzt wollte ich den Kämpfern nur zeigen, auf was sie sich in einem richtigen Kampf einließen. Ich wollte sie nicht töten, sondern nur ausschalten. Selbst davon würden sie einige Problem behalten, denn ohne üble Kopfschmerzen, würden die Schläfer nicht davon kommen. Zum Glück konnte ich heute die Kontrolle im Kampf behalten und ließ mich nicht mehr vom Rausch leiten, sondern vom Verstand.

Nach dem Schlag, drehte ich mich in den Schlag des letzten Kämpfers hinein. Indem ich mich unter seinem Arm hindurch duckte und ihm das Handgelenk nach hinten auf den Rücken drehte. Ich nutzte den Schwung und legte ihn mit einer Rolle auf den Boden. Völlig überrascht von meiner Attacke, war er nicht in der Lage zu reagieren und ich griff ihm von hinten in die Augenhöhlen. Dabei zog ich seinen Kopf in den Nacken. Schwer atmend, wandte ich mich fragend an Sládek und hielt den Kämpfer in dieser Stellung fest. Dieser schrie wie am Spieß, denn dieser Griff verursachte höllische Schmerzen.

"Sir, … habe ich ... den Kampf … gewonnen ... können wir ... jetzt … vernünftig ... reden, … Sir?", versuchte ich, völlig außer Atem, zu sprechen.

Sládek sah mich kopfschüttelnd an und dann endlich nickte er. Ich ließ den immer noch wie am Spieß schreienden Kämpfer langsam los, war aber auf dessen Gegenwehr gefasst. Allerdings war der Arme, durch das Greifen in die Augenhöhlen völlig mit sich selber beschäftigt, da er schlimme Schmerzen hatte. Dass er einfach nur aufs Gesicht fiel und erst einmal liegen blieb, wo er lag.

Trotzdem hatte ich alle meine Sinne auf Alarm gestellt. Ich lief offen auf Sládek zu und rief Jaan zu mir. Ich bat ihn darum, dass er das, was ich sagen wollte, für die fassungslos um den Kampfplatz stehenden Männer und Frauen, übersetzt. Wir wollten den Zuschauern, die dem Kampf beigewohnt hatten, die gleiche Entscheidungsgewalt zugestehen, wie Sládek.

"Sir, was denken sie jetzt über meinen Vorschlag, kampflos aufzugeben, Sir. Glauben sie mir nun, dass es besser ist es auf keinen Kampf ankommen zu lassen, Sir", fragte ich ihn, immer noch schwer atmend. Trotzdem versuchte ich ruhig und klar zu sprechen, was mir nur teilweise gelang. "Sir, ich habe keinen ihrer Männer einen bleibenden Schaden zugefügt, Sir. Wenn man den Stolz, der verletzt wurde ausklammert, Sir. In einer Kampfsituation wären aller ihre Männer jetzt tot, Sir. Ich habe mit ihren Leuten ein wenig gespielt, wie wir es nennen. Auf diese Weise trainiere ich meine Kameraden, Sir. Also nehmen sie die Chance wahr und retten ihre Leute oder wollen sie wirklich einen Kampf auf Leben und Tod, Sir?"

Sládek starrte mich an wie einen Alien. Der Tscheche konnte nicht fassen, was ich mit seinen Kämpfern in nur knapp drei Minuten gemacht hatte. Viel länger hatte der Kampf nicht gedauert.

"Mädchen, wir nicht zu verlieren haben", war das dümmste Argument, das Sládek vorbringen konnte.

Ich schüttelte traurig den Kopf. "Sir, sie haben eine Menge mehr zu verlieren, als ihren Stolz und ihre Freiheit, Sir. Nämlich ihr Leben, davon haben sie nur eins, Sir", mit schräg gehaltenem Kopf sah ich ihn an. "Sir, das was sie hier gesehen haben, ist eine Aufwärmübung für uns, Sir. Ich bin, wie sie sehr wohl sehen, tüchtig angeschlagen, Sir. Ich habe zwei gebrochene und drei angebrochene Rippen, Sir. Stellen sie sich meinen Kampf mit zweiundachtzig Kämpfern vor, Sir. Von Leuten, die richtig in Wut geraten, Sir. Ich kann mich im Kampf kontrollieren, das können aber nicht alle meiner Kollegen. Dann bleibt von ihren Freunden, Kampfgefährten oder Kameraden nur noch roter Brei übrig, Sir. Wollen sie, dass die Mütter ihrer Kämpfer, morgen ihre Kinder beweinen, Sir? Ist das die ganze Sache wirklich wert, Sir? Lohnt es sich dafür auch nur ein Leben zu opfern oder sogar sechstausend, Sir?", ernst sah ich ihm an. Zum Beweis unserer Andersartigkeit, zog ich meine Augenbinde von den Augen, um sie ihm zu zeigen. "Sir bitte, sie wissen überhaupt nicht, auf was sie sich bei einem Kampf mit uns einlassen, Sir. Ich will diesen Kampf nicht, Sir. Ich will nicht schon wieder jemanden Töten müssen, Sir. Verhindern sie, dass wir ihre Kameraden töten müssen, Sir", tief Luft holend sah ich Sládek einen kurzen Moment an. "Sir, wir können nicht einfach sagen, wir lassen sie laufen. Uns bleibt nur zwei Optionen, sie zu überzeugen mit uns zu kommen oder sie zur Aufgabe zu zwingen. Ob wir wollen oder nicht, Sir. Wir müssen unseren Auftrag erfüllen, sonst werden wir bestraft, Sir. Sehen sie sich meine rechte Seite an, Sir. Die Behandlung bekam ich nur, weil ich einmal zum falschen Zeitpunkt ‚Sir, jawohl, Sir‘ gesagt habe, Sir. Denken sie wir lassen uns totschlagen, nur damit sie in Ruhe weiter gegen den Staat arbeiten können. Ich lasse mich für meine Kameraden gern totschlagen, aber nicht für die Gruppe Drova, Sir. Schon gar nicht lasse ich zu, dass man meine Kameraden bestraft, damit sie straffrei ausgehen, Sir. Das kann ich wirklich nicht zulassen, Sir. Sie gehen vielleicht ein paar Monate ins Gefängnis, aber sie können weiterleben, Sir. Lassen sie sich auf einen Kampf gegen uns ein, sind mindestens dreiviertel ihrer Leute tot, wenn nicht noch mehr. Weil wir dann auf Leben und Tod miteinander kämpfen müssen, Sir", wieder sah ich ihn lange schweigend an, in der Hoffnung, dass er zur Besinnung kam.

Dem war aber nicht so. An Sládeks gesamter Körperhaltung, sah ich seine Antwort im Voraus. Er dachte keine Sekunde daran aufzugeben. Der Kampf hatte nichts gebracht. Ich hoffte nur, dass einige seiner Mitstreiter klarer denken konnte und ihn zur Vernunft brachten. Deshalb gab ich ihm etwas Bedenkzeit, damit er sich mit seinen Leuten beratschlagen konnte.

"Sir, ich mache ihnen einen Vorschlag, Sir. Ich gehe mit meinen Leuten zurück in unser Lager und gebe ihnen einige Stunden Bedenkzeit, Sir. Reden sie in Ruhe mit ihren Kameraden und beratschlagen sie sich gut mit ihnen, vor allem fragen sie ihre Leute ob sie den morgigen Tag überleben wollen, Sir. Gegen Mittag komme ich alleine wieder und hole mir ihre Antwort, Sir. Das ist ein fairer Vorschlag, Sir?"

Ich zog das Band wieder über die Augen und bat Jaan zurück in den Kreis zu gehen, um Major Novak schützen zu können. Begab mich selber in den Kreis. Sládek brauchte durch das Erlebte einige Sekunden, um klarer denken zu können. Er war völlig aus der Spur geworfen und reagierte wie viele anderen in seiner Lage unschlüssig.

"Geht, kommen Mittag zurück, ich sage Antwort."

Ich gab das Signal zu gehen. Mir war klar, dass dieses Zögern nur Sekunden dauern würde. Dann würde Sládek es sich anders überlegen. Diese Zeit wollte ich nutzen, um ungesehen zu entkommen.

Ich ging in die Verbindung. "Jaan, du nimmst Novak auf den Rücken. Sobald wir aus dem Lager sind, rennt ihr in die Bäume, um keine Spuren zu hinterlassen."

Jaan nickte und ich ging in den Kreis zu Novak.

"Genosse Major, der Junge mit den roten Haaren, wird sie gleich auf seinen Rücken nehmen. Sie können nicht so schnell laufen und vor allem nicht so hoch springen wie wir. Also erschrecken sie nicht, egal was passiert. Schweigen sie, sonst verraten sie unser Lager, Sir", flüsterte ich ihm leise zu.

Novak nickte zögerlich, man merkte ihm an, dass ihm bei der ganzen Sache nicht wohl war. Kaum dass ich ausgesprochen hatte, ging ich aus dem Kreis und wieder in die Verbindung.

"Ihr verschwindet sofort. Ich übernehme es, euch den Rücken zu decken. Los."

Cankat und Rashida liefen sofort los. Jaan griff sich Novak, in dem er den Major einfach unter den Achseln packte und sich den achtzig Kilo Mann, im Loslaufen auf den Rücken hob.

Keine fünf Sekunden später kam Sládek zu sich. Er gab das von mir erwartete Kommando, um seine Kameraden aufzurütteln.

"Musíme vzít jako rukojmí. Zastavte je. – Wir müssen sie als Geiseln nehmen. Haltet sie auf."

Allerdings war es in diesem Moment schon zu spät. Novak und meine drei Freunde, waren schon aus dem Lager. Nur ich hielt mich noch hier auf. Die anderen waren bereits im Wald verschwunden und über alle Berge. Schnell näherten sich mir einige Kämpfer von Sládek. Ich gab ein böses Knurren von mir und ging noch tiefer in die Taijiatmung, in der ich zum Glück immer noch war. Das Kämpfen würde mir nicht erspart bleiben, denn ich wollte und musste meinen Leuten Zeit verschaffen.

Zum Schrecken der Gruppe Drova, ließ ich mich plötzlich und ohne erkennbaren Grund auf die Knie fallen und fing laut an zu schreien. Auf diese Weise ging ich in die bewusste schnelle Verwandlung und rief meinen Gino, etwas dass zurzeit nur ich beherrschte. Das Schreien konnte ich zwar unterbinden, in jetzigen Augenblick nutzte ich es, um alle Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Ich musste und wollte der Gruppe Drova unbedingt zeigen, auf was sie sich einließen, wenn es zu einem richtigen Kampf kommen würde. Ich wollte ihnen auch Angst einjagen. Denn genau das würde geschehen, wenn ich urplötzlich als Gino vor ihnen stehen würde.

Innerhalb von nur zehn Sekunden, hatte ich mich unter höllischen Schmerzen, in einen Gino verwandelt. Etwas, was ich hasste wie die Pest. Hier musste ich es tun, sonst würde ich zulassen, dass es zu einem großen Kampf kam. Ich wollte auf diese Weise den Leuten hier bewusst zeigen, was auf sie zukam, wenn sie sich auf einen Kampf mit uns einließen. Panik machte sich um mich herum breit. Die Leute wichen ängstlich vor mir zurück. Die Schreie der Anwesenden weckten das gesamte Lager auf, wodurch noch mehr Menschen auf dem Platz erschienen. Die Gruppe Drova sah entsetzt auf einen schwarzen Gepard, dem ich als Gino ähnlicher sah, als einem Menschen.

Fauchend, ging ich auf die Leute los und schlug mit meinen Krallen, nach einem Zelt. Dieses flog zerfetzt nach der Seite weg. Einige Männer der Gruppe Drova kamen mit Stöcken auf mich zu. Jetzt sah ich nur noch die Wut und die Angst, die diese Leute beherrschte. Sie glühten allesamt dunkelrot. Einem Prankenhieb später, liefen alle Kämpfer vor mir weg. Ich drehte mich um und rannte aus dem Lager. Im Anschluss drehte ich noch einige Runden im hohen Tempo, um das Lager. Weil ich meinen Leuten, genügend Zeit zum Verschwinden, verschaffen wollte. Versuchte auf diese Weise zu verhindern, dass jemand das Lager verließ, was mir auch gelang. Denn ich hatte die Leute richtig erschreckt. Nach einigen Minuten lief ich in Richtung Norden davon. Weit weg von unserem eigentlichen Lager.

Erst in reichlich zwanzig Kilometern Entfernung, ging ich aus der Verwandlung. Sah mich als erstes um, aber es war mir keiner bis hier her gefolgt. Dies wäre auch nur mit einem Motorrad möglich gewesen, hier im Wald. Vorsichtig auf jedes Geräusch horchend, lief ich auf Umwegen zurück, immer darauf achtgebend, keine Spuren zu hinterlassen. Deshalb ging ich kurz vor unserem Baumlager, in die Bäume. In der Nähe unseres Lagers sah schon von Weiten, wie Sládeks Suchtrupps systematisch die Gegend absuchten. Egal wie intensive sie auch suchen würden, nirgends wäre eine noch so winzige Spur zu finden. Meine Leute waren viel zu gut, als dass sie Spuren auf der Erde hinterlassen würden. Kaum, dass ich wieder in unserem Baumlager war, huschte ich zu dem Baum, auf den Jaan, Rashida und Novak saßen. In der Verbindung bat ich Rashida, mich in den Arm zu nehmen.

"Bitte Rashida, ich muss schlafen. Mir geht es nicht so gut. Jaan sorge dafür, dass Novak sich ruhig verhält."

Beide wussten nur zu genau, wie schwer mir eine solche extrem schnelle Verwandlung zu schaffen machte. Die Schmerzen die ich danach hatte, waren kaum auszuhalten. Rashida zog mich in ihre Arme und hielt mich einfach fest. Sie zwang mich wie immer, durch ihr ruhiges Atmen, in den Schlaf. Den ich jetzt nötig hatte, um mich etwas zu erholen. Bei der Rückverwandlung verlor ich stets die Taijiatmung und bekam dadurch Gefühl zu ersticken. Ich durfte hier in den Bäumen, allerdings nicht röcheln, sonst würde ich unsere Position verraten. Deshalb ging ich ins Jawefan. Darin war ich aber völlig wehrlos und konnte das nur, wenn ich mich wie bei Rashida, bewacht fühlte. Fast zwanzig Minuten brauchte ich im Jawefan, um mich zu beruhigen und um wieder normal atmen zu können. Langsam kam ich aus den Jawefan zurück und fiel in den schnellen Schlaf. Jaan und Rashida hatten alle Hände voll zu tun, um Novak zu beruhigen. Da dieser dachte, ich wäre tot. Blutig wie ich war, konnte die beiden das gut verstehen.

"Sir, das Mädchen schläft nur, bitte Sir. Sie gefährden die ganze Gruppe, verhalten sie sich bitte ruhig, Sir."

Novak versuchte seine immer wieder aufsteigende Panik, um mich, in den Griff zu bekommen, aber das fiel ihm mit jeder Minute schwerer. Das Blut stammte von keiner schlimmen Verletzung, sondern nur von meinen Händen. Rashida wickelte einfach meinen Overall darum, damit kein Blut nach unten tropfte und wir dadurch unsere Position verriet. Nach zwanzig Minuten im Jawefan, beruhigte sich Novak etwas. Da er jetzt sah, dass ich atmete. Meine Leute ließen mich schlafen, das war das Einzige, was mir wirklich half mit meinen Schmerzen klar zu kommen. Es war kurz nach 6 Uhr, als es unter uns langsam wieder ruhiger wurde. Es kehrte Normalität in Sládeks Lager ein. Man hatte die Suche nach uns aufgegeben, da man keine Spuren gefunden hatte.

Wie alle Spurensucher, die wir bisher kennengelernt hatten, suchen sie bis maximal zwei Meter Höhe nach Spuren: Nicht aber in vier oder fünf Metern. Erst in dieser Höhe würden sie einige Spuren des Baumspringens finden. Kurz nach 8 Uhr in der Früh, war im Lager wieder vollkommene Ruhe eingekehrt. Sládeks Leute hatten sich ins Camp zurückgezogen, um zu schlafen. Wir bekamen wieder den normalen Wachrhythmus von zwanzig Minuten. Etwa zur gleichen Zeit, nach über vier Stunden im schnellen Schlaf, wachte ich wieder auf. Rashida war froh, dass es mir wieder besser ging.

"Täubchen, ist alles in Ordnung mit dir? So lange hast du lange nicht geschlafen. Ich bin in Sorge."

Zärtlich streichelte sie mein blutunterlaufenes Gesicht. Ich schloss die Augen, kontrollierte meinen Körper. Ich nickte. Es war alles in Ordnung. Schnell stellte ich meine Fingernägel wieder her und versuchte so gut es ging, die Hämatome aus meinem Gesicht zu entfernen. Sah Rashida an, die nickte mir grinsend zu. Wie immer schien es mir nicht ganz gelungen zu sein. Sie holte einen kleinen Spiegel aus ihrer Overalltasche, den sie einmal von Dika Anna geschenkt bekam und zeigte mir mein Gesicht. Noch einmal schloss ich die Augen, endlich hatte ich es geschafft. Ich sah wieder wie ein normaler Mensch aus. Nur gut, dass ich das konnte, dachte ich jedes Mal, sonst wäre ich wohl die Hälfte meines Lebens mit einem blauen Gesicht herumgelaufen und die andere Hälfte mit einem kunterbunten. Rashida die wie immer Teil meiner Gedanken war, fing an zu lachen.

"Ja mein Täubchen, da hast du wohl recht."

Vorsichtig half sie mir beim Anziehen und dem Anlegen der Waffen. Das war in den Seilen gar nicht so einfach. Dann wandte ich mich unserem Gast zu. Ich konnte mich leise mit Novak unterhalten. Auch gab ich Kaija den Auftrag, sich mit den Oberst in Verbindung zu setzen. Svoboda musste wissen, dass diese Sache noch nicht in abgeschlossen war. Ich einfach noch etwas Zeit brauchte, um ein Blutbad zu vermeiden. Wir hatten immer noch über zwei Tage, um diese Sache unblutig zu einem guten Ende zu bringen.

Novak allerdings war völlig verstört. Obwohl wir ihn auf die Ginos vorbereitet hatten, war er nicht darauf gefasst, mich als Gino zu sehen. Ich war einige Male, unterhalb unseres Lagers, vorbeigelaufen. Fassungslos, sah er mich an, auch weil ich nun nicht nur auf der rechten Seite, sondern am gesamten Körper blauschwarz verfärbt war.

"Sir, wie geht es ihnen, Sir? Sind sie verletzt?", wollte ich als erstes von ihm wissen.

"Mädchen, du fragst mich, wie mir es geht? Bitte sage mir, wie es dir geht. Verdammt, ich dachte du bist tot", das blanke Entsetzen stand in seinem Gesicht geschrieben. Seine Stimme zitterte wie Espenlaub, genau wie der ganze Major.

"Sir, bitte nicht so laut, Sir", warne ich ihn. Er war bei den letzten Sätzen verdammt laut geworden. Flüsternd entschuldigt er sich.

"Tut mir leid. Ich bin so glaube ich, gerade einmal durch die Hölle gegangen."

Verzweifelt rieb er sich das Gesicht und sah zu Jaan. Der hielt Novak den Mund zu, zeigte mit den Augen nach unten, dieser nickte und schwieg. Mir berichtete Jaan allerdings, dass Novak ihn fast erwürgt hatte, als er mit ihm in die Bäume gesprungen war.

"Lyn, ich dacht er bringt mich um, so hat er sich an mich geklammert."

Nickend gab ich ihm recht und musste mir das Grinsen verkneifen. Ich hatte mir gerade vorgestellt, wie ich reagieren würde, wenn mit mir jemand in die Bäume springen würde und ich keinen blassen Schimmer davon hätte, dass dies überhaupt möglich ist. Die Betreuer, die das von uns gesehen hatten, sagten dass dies nicht ginge. Für uns allerdings war das völlig normal.

"Jaan, stell dir mal vor, du weißt nicht das wir das können, sitzt plötzlich bei jemanden auf den Rücken und der springt in die Bäume. Würdest du dich dann nicht auch krampfhaft festhalten. Novak hat doch keine Ahnung davon, was wir alles können. Weißt du wie der sich zurzeit fühlen muss, der Arme. Er tut mir einfach leid."

Jaan nickte, soweit hatte er vorhin nicht gedacht. Schweigend warteten wir, bis die Patrouille durch war. Dann bat ich mein Team, da wir ja nicht alleine waren, dass wir uns ein Stück vom Lager entfernten. Jaan würde unseren Gast wieder auf den Rücken nehmen und tragen. Diesmal jedoch, warnten wir ihn vor, damit er sich nicht wieder erschreckte.

"Sir, sie halten sich einfach an den Schultern von 23 fest, keine Angst, er lässt sie nicht fallen, Sir. Wir müssen uns ein Stück entfernen, damit sie an der Einsatzbesprechung teilnehmen können, Sir. Bitte seien sie leise, Sir."

Novak nickte nur. Er war nicht in der Lage auch nur ein Wort zu sprechen, so sehr stand er noch unter Schock. Jaan nahm ihn vorsichtig auf seinen Rücken, nach dem unsere Wachen das Zeichen gab, dass die Luft rein war. Sprangen wir aus den Bäumen und liefen am Boden dreißig Kilometer in Richtung Süden. Dort hatten wir vorgestern eine Lichtung entdeckt. Auf der Lichtung setzten wir uns in einen Kreis, um uns laut zu beraten, wie wir weiter vorgehen würden. Mit den ständigen Unterbrechungen, durch das Erscheinen der Wachen, war keine vernünftiges Gespräch möglich. Normalerweise brauchten wir ja nicht sprechen. Durch die Anwesenheit des Beobachters jedoch, waren wir gezwungen laut zu sprechen, sonst konnte dieser unsere Vorgehensweise nicht verstehen. Oder ich müsste ihm im Nachhinein noch einmal alles erklären, das war einfach nicht effektiv. Deshalb hatten wir im Team beschlossen, uns vom Lager zu entfernen. Nur sechzehn Leute blieben in der Nähe des Lagers, um uns alle noch so kleinen Veränderungen im Lager mitzuteilen. So waren wir trotz der Entfernung, auf dem neusten Stand. Die zurückgeblieben Kameraden, konnten durch die Verbindung an den Gesprächen teilnehmen, als wenn sie ebenfalls auf der Lichtung anwesend wären. Sie würden ihre Fragen, durch eine Vertrauensperson stellen, die von ihnen selbst ausgewählte wurde.

Kaum dass wir auf der Lichtung angekommen waren, ließ Jaan Novak auf den Boden gleiten. Schwankend stand er da, starrte Jaan an.

"Wie schnell lauft ihr Kinder eigentlich? Wo sind wir jetzt?", wollte er immer noch geschockt wissen.

Wir zuckten verlegen mit den Schultern. Jaan antwortet für alle und tausend kleine Teufel guckten aus seinem Gesicht.

"Sir, schneller als sie sich das vorstellen könnt, Sir. Wir sind etwa dreißig Kilometer südlich des Lagers, Sir."

Novak schüttelte den Kopf. "Das glaubt mir keiner, wenn ich das erzähle."

Ich zuckte mit den Schultern. "Sir, dann sagen sie es einfach keinem, Sir."

Ich sah, dass Novak sich wieder einigermaßen beruhigt hatte und war darüber verdammt froh. Deshalb gab ich an meine Leute klare Anweisungen.

"Setzt euch, wir müssen unsere weitere Vorgehensweise beraten. Sir, setzen sie sich bitte auch, Sir", wandte ich mich wieder Novak zu. Bevor wir anfangen wollten, interessierten mich allerdings noch einige andere Dinge. Wir hatten heute einmal den Luxus, uns etwas zu unterhalten. Ohne das Beisein, von Betreuern und konnten dadurch, andere Menschen näher kennen lernen. Vor allem musste ich mich bei Novak entschuldigen.

 

"Sir, tut mir leid, dass wir sie vorhin so überfordert haben, als wir im Lager waren, Sir. An alles denke ich auch nicht, Sir. Ich hoffe sie haben sich nicht allzu sehr erschrocken, Sir."

Novak winkte ab, zu einer normalen Unterhaltung war er im Moment noch gar nicht in der Lage. Er war viel zu sehr durch den Wind, durch das Erlebte in den vergangen Stunden. Da wir massig Zeit hatten, es waren noch gute vier Stunden, bis ich wieder ins Lager musste, konnten wir ruhig auf seine Fragen eingehen. Diese halfen auch uns, die uns fremden Menschen besser zu verstehen. Für uns war es oft genauso schwierig, mit den Fremden umzugehen, wie umgekehrt. Wir hatten die letzten viereinhalb Jahre, kaum Kontakt mit anderen Menschen. Kannten nur, das, was die Betreuer uns von sich gezeigt hatten. Die waren allerdings ganz anders, als die Menschen, die wir bei den Übungseinsätzen kennen gelernt durften. Deshalb bemühten wir uns auch, diese Menschen kennen und vor allem, verstehen zu lernen. Die so ganz anders waren, als die Betreuer und der Oberstleutnant. Die fast so waren, wie der Doko, die Dika und einige andere, wie Heiko und Chris, zum Beispiel. Deshalb sah ich Novak jetzt an, stellte ihn wohl eine Frage, die ihn verwirrte.

"Sir, was halten sie von uns, sind wir Menschen oder Tiere, Sir", wollte ich seine ehrliche Meinung wissen.

"Wieso fragst du so etwas, Mädchen? Ihr seid Menschen genau wie wir."

Das Kopfschütteln meiner Kameraden auf der Lichtung, zeigte ihm, dass wir das wirklich wissen wollten.

"Warum solltet ihr Tiere sein? Kleines, du hast zwar ausgesehen wie ein Tier, gehandelt hast du wie ein Mensch. Das ist doch das winzige Wesensmerkmal, der uns Menschen von den Tieren unterscheidet. Dass wir nicht Instinkt getrieben handeln, sondern uns Gedanken machen. Was wir tun sollten und was nicht."

Ich nickte, so hatte es mir einmal der Doko erklärt, nach einem schlimmen Ginobusanfall, in dem ich viele der Wachleute verletzte, weil sie mich auf den Befehl vom Oberstleutnant, völlig in die Ecke gedrängt hatten. Ich bezeichnete mich damals selber als Tier. Da waren Doko und Dika richtiggehend böse geworden.

"Sir, da haben sie vielleicht recht, Sir. Darf ich sie noch etwas fragen, Sir", wagte ich mich noch ein Stück vor.

Novak sah mich verwundert an. "Mädchen, du darfst mich alles fragen."

"Sir, was ging ihnen vorhin durch den Kopf, Sir? Als sie mit Jaan geflohen sind und als sie mich als Gino sahen, Sir."

Ein bisschen Angst hatte ich vor dessen Antwort, aber ich wollte wissen, was in den Menschen vor sich ging, wenn sie uns das erste Mal als Gino sahen. Dadurch dass ich das verstand, konnte ich das nächste Mal besser auf die Gefühle dieser Menschen achten und ersparte ihnen, einen allzu großen Schock. Es war jedes Mal unterschiedlich, wie unsere Tiergestalt angenommen wurde. Novak setzte sich in den Schneidersitz und nahm seine Hände in den Nacken. Eine ganze Weile starrte er in den Himmel. Als wenn er dort eine Antwort auf meine Frage finden würde. Plötzlich holte er ganz tief Luft und sah mich traurig an.

"Mädchen, bitte nicht böse sein, aber ich denke du willst die Wahrheit hören, oder?"

Ich nickte, genau wie meine Kameraden.

"Weißt du, als der Junge mich hochgehoben hatte, wie so ein kleines Schlenkerpüppchen, dachte ich. Um Gottes Willen, auf was hast du dich da nur eingelassen", traurig sah er Jaan an, der ihm mit schräggehaltenen Kopf ansah. "Ich bekam panische Angst. Nicht nur davor, von seinen Rücken zu fallen, sondern vor ihm selber."

Novak sah glaube ich, an meiner ganzen Haltung und auch an der Haltung der Anderen, dass wir nicht verstanden, was er meinte. Oft hatte ich das Gefühl, das zwischen uns und den anderen Welten lagen.

"Kinder, es ist doch so, ich wiege knapp neunzig Kilo. Ich bin ja mit meinen eins-zweiundneunzig auch nicht gerade klein. Der Junge nahm mich hoch, als wenn ich eine Puppe wäre. Er muss unvorstellbare Kraft haben. Dann sprang er mit mir auf dem Rücken an einem Baum hoch. Gute fünf Meter über den Boden. Ich weiß nicht, wie viel du wiegst Junge, aber hundert Kilo hast du bestimmt auch oder?"

Jaan schüttelte den Kopf. "Sir, nein, Sir. Ich wiege einhundertachtundvierzig Kilo, Sir", gab Jaan sofort Auskunft.

Ungläubig sah Novak Jaan an. "Na, so schwer, hätte ich dich nicht geschätzt. Aber überleg mal, das sind zweihundertachtunddreißig Kilo, die du fünf Meter in die Luft geschleudert hast. Es ist unvorstellbar."

Ich schüttelte den Kopf. "Sir, fünf Meter sind für uns keine große Höhe, Sir. Wir springen aus dem Stand, circa zwanzig Meter in voller Ausrüstung, Sir. Die wiegt zwischen siebzig bis achtzig Kilo, je nach dem, was wir dabei haben, Sir. Was sind Schlenkerpüppchen und Puppen, Sir?", wollte ich jetzt doch wissen, weil ich diese Ausdrücke noch nie gehört hatte.

Abermals konnte Novak nicht begreifen, was er da hörte. Ihn beschäftigte noch etwas anders, deshalb überhörte meine Frage, weil einfach zu konzentriert auf das war, was ihn beschäftigte.

"Weißt du Mädchen, ihr habt mir zwar dieses Bild gemalt von …" Novak überlegte, wie wir diese Tiergestalten genannt hatten, kam aber nicht mehr auf den Begriff, da er viel zu aufgeregt war.

"Sir, sie meinen bestimmt die Ginos, Sir."

Da nickte dieser. "Ja, die Ginos meine ich. Aber als ich dich dort unter dem Baum habe lang laufen sehen…" Er raufte sich die Haare, sah zu Jaan. "…nur gut, dass mir der Junge den Mund zugehalten hat. Ich hätte sonst vor Panik angefangen zu schreien. Es war erschreckend und faszinierend zugleich. Ich wusste nicht, ob ich mich ekeln sollte oder ob ich wütend sein wollte oder ob ich zu dir hinunterspringen und dich streicheln wollte. Ich war völlig durcheinander. Aber ich glaube eher, dass ich unheimlich wütend auf die Leute war, die dir das angetan haben. Ich hab an dich gedacht, du bist so ein hübsches Mädchen. Meine kleine Schwester, ist fast genauso alt wie du. Viel älter als vierzehn bist du doch nicht oder? Aber diese Kreatur, entschuldige den Ausdruck, mir fällt einfach kein anderes Wort dazu ein, hat etwas Abstoßendes. Sie versetzte mich einerseits einfach nur in Panik und zog mich im gleichen Maße an. Trotzdem wäre ich am liebsten weggelaufen, wenn ich es gekonnt hätte", entschuldigend sah er mich an. "Ich kann dir die Gefühle gar nicht beschreiben, war völlig durcheinander. Sag mal, wer hat euch das angetan? Mädchen, warum hast du so geschrien? Wieso warst du so blutig? Wieso so blau im Gesicht? Wieso war das dann weg?"

Die Fragen purzelten nur so aus ihm heraus, als wenn sie ihn befreit hätten von eine großen Last, atmete er plötzlich ganz anders, viel befreiter. Es war als wäre aller Druck von ihm abgefallen. Als hätten ihn die Fragen wie eine schwere Last auf den Schultern gelegen.

"Sir, das kann ich nicht sagen, Sir. Vieles wissen und verstehen wir selbst nicht, Sir. Glauben sie uns, es ist besser, dass wir nicht wissen, wer uns das angetan hat, Sir. Wir kämen sonst in die Versuchung, uns zu rächen, Sir. Doch wissen wir auch, das Rachen kein gutes Motiv ist, Sir. Das sehen sie ja an diesen Menschen, die wir ständig bekämpfen müssen, Sir", lange sah ich ihn an, entschied mich offen mit ihm zu sprechen. "Sir, ich kann gut verstehen, dass sie sich erschrocken haben, Sir. Glauben sie uns, als wir uns das erste Mal in Ginos verwandelt haben, waren wir nicht weniger geschockt, Sir. Oft fragen wir uns, ob wir nicht vielleicht wirklich nur Tiere sind, Sir. Oft genug bezeichnet man uns so, oder als Monster, Bastarde, abartige Kreaturen, Sir. Wir hören seit unserer Geburt vor ungefähr vier Jahren nichts anders, Sir. Wir können aber nichts dafür, wir haben das, was sie mit uns gemacht haben, doch nicht gewollt, Sir. Wir müssen nur damit leben, damit klar kommen, Sir. Wir versuchen das Beste draus zu machen, Sir."

Hin und her gerissen sah ich Novak an und wusste nicht ob es richtig war so offen zu sein. Im Endeffekt spielte es keine Rolle, was ich tat. Wenn dieser Einsatz vorbei war, bekam ich sowieso eine Strafe, für mein freches Verhalten dem Oberstleutnant gegenüber. Dann konnte ich es auch riskieren, offen zu sein.

"Sir, glauben sie eins, es ist nicht immer leicht, unser Leben zu leben, Sir. Oft ist es unwahrscheinlich schwer, diese Wut, die in uns ist, zu kontrollieren, Sir. Warum ich so geschrien habe, wollen sie wissen, Sir?"

Wiederum musterte ich Novak lange und hielt diesmal Rücksprache mit meinen Kameraden. Auch die wollten mehr von dem uns so fremden Menschen erfahren, wollten mehr wissen. Also mussten wir ihnen vertrauen. Das Risiko mussten wir eingehen, um dazu lernen zu können, ob wir wollten oder nicht.

"Sir, es gibt unterschiedliche Arten, wie die Ginos kommen, Sir. Einmal kann das passieren, wenn wir wütend sind und in die Ecke getrieben werden und uns nicht mehr anders zu helfen wissen, Sir. Dann brechen die Tiergestalten einfach durch, ohne dass wir das beeinflussen können, Sir. Gino müssen sie wissen, heißt nichts anderes als genetisch instabile Organismen. Die Verwandlung in einen Gino ist mit unglaublichen Schmerzen verbunden und die sind kaum kontrollierbar, Sir. Bei der spontanen Verwandlung, sind sie allerdings zum Aushalten, Sir. Die zweite Möglichkeit ist, dass wir sie ganz normal rufen können, Sir. Das dauert ungefähr zwei bis drei Minuten, je nachdem wie schnell wir die Ginos brauchen, Sir. Dabei haben wir kaum Schmerzen, wir könne sie kontrolliert kommen lassen, Sir. Dann kann es aber sein, dass wir sie ganz schnell rufen müssen, wie vorhin im Lager, als ich für eure Flucht eine Ablenkung brauchte, Sir. Da dauerte es nur zehn bis fünfzehn Sekunden, Sir. Dann sind die Schmerzen kaum zum Aushalten, Sir. Wissen sie, es fühlt sich ungefähr so an, als ob sich alle Knochen mit einmal neu ordnen müssen, sie bekommen kaum noch Luft und haben das Gefühl, dass der gesamte Körper verkrampft, Sir. Unser Doktor hat uns einmal erklärt, als ich ihm diese Schmerzen gezeigt habe, es wäre das Gefühl, als wenn der gesamte Körper einen Wadenkrampf hätte, Sir. Das Schreien können sie dabei einfach nicht verhindern, Sir. Brauchen wir dann ja auch nicht, wir wollen ja die Aufmerksamkeit des Gegners auf uns ziehen, Sir. Es dient in diesem Moment dazu, den Gegner von irgendetwas, wie vorhin von eurer Flucht, abzulenken, Sir. Warum ich blutet habe, ist einfach, Sir. Meine Krallen die dabei aus den Fingern kommen, drücken einfach die Fingernägel weg, Sir", entschuldigend sah ich Novak an und rieb mir mein Gesicht. Einen kleinen Moment schwieg ich und erklärte dann weiter. "Sir, warum ich so blau werde, ich weiß nicht, Sir. Bei den anderen ist das nicht so, nur bei mir, Sir", verlegen zuckte ich mit den Schultern. "Vielleicht liegt es daran, dass ich so klein bin, Sir. Vielleicht haben dadurch meine Knochen nicht so viel Platz, wie bei den Großen, ich kann es nicht erklären, Sir."

Aufmerksam hörte mir Novak zu. Sein ganzes Verhalten änderte sich, durch unsere Offenheit. Liebevoll lächelte er uns zu.

"Warum das dann wieder weg war, Sir. Ich kann das bei mir weg machen, Sir. Allerdings nur im Gesicht und an den Armen und Beine, Sir. Am Körper geht das leider nicht, Sir. Das ist auch gut so…" Ich fing im Stillen an zu kichern und die anderen auch. "…sonst wäre ich wohl mein ganzes Leben lang mit einem blauen oder bunten Gesicht herumgelaufen, Sir. Ich bin froh, dass ich das machen kann, Sir."

Jetzt muss auch Novak lachen. "Das glaube ich dir gerne, Mädchen."

Der Major sah mich mit einem ungewohnten Blick an, so wie es oft die Dika tat. Ich entschloss mich jetzt zum eigentlichen Thema zurück zukehren, denn wir mussten einen Entschluss fassen, wie wir weiter vorgehen würden.

"Sir, ich denke wir sollten jetzt wieder auf den Einsatz konzentrieren, Sir. Danke das sie so offen zu uns waren, Sir", in der Verbindung, fragte ich die anderen, ob ich Novak meinen Namen sagen durfte. Alle waren einverstanden, also entschloss ich mich ihm ganz zu vertrauen. "Sir, ich habe eine Bitte an sie, Sir. Ich möchte ihnen vertrauen. Wenn sie außerhalb der Gruppe mit mir sprechen, reden sie mich bitte weiterhin mit 98 an, Sir. In der Gruppe werde ich Lyn genannt, was in unserer Sprache die Winzige heißt, Sir. Es soll ihnen ein Beweis sein, dass ich ihnen meinen Namen verrate, dass wir ihnen vertrauen, Sir."

Ernst sah ich ihn dabei an. Urplötzlich passierte etwas, mit dem ich gar nicht rechnet hatte. Novak sprang auf und lief auf mich zu. Er wollte mich in den Arm nehmen. Ich war von seiner Reaktion so überrascht, dass ich auf Abwehr ging. Ich schaffte es nie, diese Abwehr völlig abzuschalten. Zu oft war ich von den Betreuern, ohne erkennbaren Grund zusammengeschlagen wurden. Kaum, dass mich Novak berührte, lag er schon auf dem Boden. Zum Glück saß Rashida neben mir, die mich nur zu genau kannte. Sonst hätte ich Novak aus der Bewegung heraus getötet. Ich war immer noch auf Kampf eingestellt, wir waren ja mitten in einem Einsatz, da konnte immer von irgendwoher ein Angriff kommen.

Rashida fing meine Hand mitten im Schlag ab und drehte mir diese auf den Rücken. Dadurch kam es zu einem kurzen, jedoch heftigen Kampf, zwischen uns beiden. Rashida war mir zwar kräftemäßig überlegen, hatte trotzdem Schwierigkeiten mich zu bändigen. Miles, Kantu und Mila kamen ihr zu Hilfe. Zu Viert schafften sie es, mich zu Boden zu ringen, in dem mir Kantu die Brille von der Nase schlug. Diesen kurzen heftigen Schmerz, der durch das Blenden des Sonnenlichtes entstand, nutzten Miles und Mila, um mich zu Fall bringen. Rashida griff mir, mit einem speziellen Griff in die Augenhöhlen und zog meinen Kopf nach hinten. Sie hielt mich in dieser einen Stellung fest, aus der ich mich nicht befreien konnte, ohne mir selber das Genick zu brechen. Fast eine viertel Stunde tobte ich fest am Boden fixiert. Solange musste mich Rashida in dieser Stellung halten, bis ich mich beruhigt hatte.

Es war schlimm mit mir, aber ich konnte das immer noch nicht steuern. Wenn man mich auf diese Weise überraschte, schaltete ich automatisch auf Gefahr und war kaum mehr zu beherrschen. Immer noch hatte ich nicht gelernt, so etwas einfach wegzustecken. Auch, wenn es seine guten Seiten hatte. Denn seit über zwei Jahren, griff mich keiner der Betreuer mehr von hinten an oder versuchte meine Reaktionen zu testen. Erschrecken hieß für mich tödliche Gefahr und war gleich gestellt mit einem Überlebenskampf. Ich konnte das einfach nicht mehr abschalten. Langsam kam ich wieder zu mir. Rashida redete ständig beruhigend auf mich ein.

"Lyn, komm beruhige dich. Komm mein Täubchen, du warst nur erschrocken. Ich möchte dich los lassen. Ich möchte dir nicht länger weh tun. Es ist alles wieder in Ordnung."

Miles hielt Rashida meine Brille hin. Sie wusste, wie alle anderen auch, dass es endlich vorbei war.

"Ja, lass los. Ich habe mich beruhigt. Habe ich jemanden verletzt?", war meine erste Frage. Bei einem ähnlichen Zwischenfall, hatte ich Jaan fast getötet.

"Täubchen, ich weiß es nicht. Lass uns nachsehen. Ich hatte alle Hände voll mit dir zu tun."

Meine Freundin hatte mich losgelassen und hielt mir meine Brille hin. Ich schob sie mir auf die Nase. Rashida nahm mich erst einmal in den Arme und ich fing an zu weinen. Nach solch einer brenzligen Situation, brauchte ich immer einige Minuten bis ich mich wieder beruhigt hatte.

Novak saß völlig durcheinander, immer noch dort, wohin er gefallen war. Er wusste gar nicht, was eigentlich geschehen war. Jaan kümmerte sich um den verstörten Mann, der sich gar keiner Schuld bewusst war. Novak verstand überhaupt, warum ich angegriffen hatte. Gerade in dem Augenblick, als er dachte ich vertraue ihm. Als Jaan es Novak erklären wollte, bat ihn Rashida in der Verbindung.

"Jaan, lass Lyn das selber erklären."

Da nickte Jaan und versuchte nur beruhigend auf Novak einzureden.

"Was habe ich ihr getan, Junge? Warum schlägt sie nach mir? Warum wollte sie mich, töten? Mein Gott hat das Mädchen Reflexe."

Ich ärgerte mich über mich selber. Das hatte ich prima hinbekommen. Gerade hatte sich Novak beruhigt und war uns gegenüber offener geworden, schon hatte ich ihn wieder völlig durcheinander gebracht.

Jaan schaffte es kaum, den Major zu beruhigen. "Sir, Lyn wollte ihnen nichts tun, Sir. Lassen sie Lyn es selber erklären, bitte Sir. Man nennt mich Jaan, Sir."

Novak sah abwechselnd zu Rashida und mir. Es war schon ein seltsames Bild, wie die um einundvierzig Zentimeter größere, achtundfünfzig Kilo schwere Rashida mich in den Arm hielt, um mich zu trösten. Ich reichte ihr nicht mal ganz, bis unter die Achseln. Selbst Novak sah, dass ich weinte, da mein ganzer Körper zitterte. Langsam schaffte es Rashida, dass ich mich beruhigte. Ich hatte mich gerade zu tote erschrocken.

"Geht es wieder Lyn?", fragt Rashida mich laut, sodass es auch Novak hörte.

Ich nickte, ging auf den Major zu und hockte mich vor ihn. "Sir, bitte entschuldigen sie, Sir. Sie haben mich total erschreckt, so etwas dürfen sie bei mir nicht machen, Sir. Bitte verzeihen sie mir, habe ich sie verletzt, Sir?", erkundigte ich mich und sah mir seinen Körper genau an.

Novak schüttelte den Kopf. "Nein Lyn, du hast mich nicht verletzt. Na ja meinen Stolz schon. Ich verstehe nur nicht, warum du mich angreifst. Ich wollte dich doch nur drücken, kleines Mädchen. Ich habe mich so gefreut, dass du mir deinen Namen verraten hast. Ich weiß, wenn ich ehrlich sein soll, überhaupt nicht, mit was ich dich so erschrocken habe, Lyn?"

Vorsichtig hob er seine Hand, um mein Gesicht zu streicheln. Ich ließ es geschehen. Fast hätte ich ihn aus Versehen getötet. Wir setzten uns wieder in den Kreis, wobei ich mich neben Novak setzte.

 "Sir, ich weiß nicht genau, wie ich es ihnen erklären soll, Sir. Wir sind von klein auf, solange wir denken können, ständig angegriffen worden, Sir. Von unseren Betreuern, Sir. Mit der Zeit gewöhnten wir uns an, auf alle ungewöhnlichen Bewegungen sofort mit Abwehr zu agieren, Sir. Es ist einfach gesünder gewesen, Sir. Ich hatte nicht mit ihrer schnelle Bewegung gerechnet, also einfach agiert, ohne zu denken, Sir. Bewegung heißt für uns Schmerz, Sir. Verstehen sie, Sir."

Novak wurde klar, was passiert war. "Aber, warum hast du mit deiner Freundin gekämpft? Das Mädchen, was dich in den Armen gehalten hat, ist doch deine Freundin oder?"

Ich nickte, wusste aber nicht wie ich das erklären sollte. Hilfesuchend sah ich zu Rashida. Die wusste auch nicht, wie sie das, was danach geschehen war, in Worte fassen sollte.

Raiko kam uns zu Hilfe. "Sir, dadurch das …" Er fragte Rashida in der Verbindung, ob er die Zahl oder den Namen verwenden sollte, Rashida erlaubte den Namen. "… Lyns Freundin Rashida ihre Hand abfing, dachte Lyn es würde ein größerer Kampf werden, Sir, mit mehreren Gegnern, Sir. Lyn ist unsere beste Kämpferin. Sir. Viele von uns haben Lyn ihr Leben zu verdanken. Durch ihre schnelle Reaktion, hat sie schon viel Unheil verhindert, Sir. Nur, wenn sie im Kampf ist, fällt es ihr schwer aufzuhören, Sir. Erst wenn man sie ruhig stellt, so wie Rashida es getan hat oder wir uns alle zurückziehen, findet Lyn Ruhe, um sich wieder zu beruhigen, Sir."

Ich nickte, so war es wirklich.

"Sir, man nennt mich Raiko, Sir", ergänzte er noch.

Novak sah mich an und schüttelte ungläubig den Kopf. "Sir, es ist schwer zu erklären, Sir. Sie haben jetzt gesehen, wie schnell wir wirklich kämpfen, Sir. Doch gerade diese Geschwindigkeit, die eigentlich ein Vorteil in großen Kämpfen ist, hat eine Gefahr, Sir. Man erliegt einer gewissen Art von Rausch, Sir. Ich nenne es den Blutrausch, Sir. Das Blut fließt schneller, das Herz rast, man kämpft nicht mehr bewusst, kann sich selber nicht mehr steuern und vor allem, wird man immer schneller, Sir. Reagiert nur noch mit einer Abwehr und einem Angriff. Bis nichts mehr da ist, was man angreifen kann oder wie es meine Freunde es gemacht haben, bis man am Boden liegt und sich nicht mehr wehren kann, Sir."

Jetzt begriff Novak. "Lyn, du wusstest in dem Moment gar nicht, dass ich dich umarmen wollte?"

Ich sah betrübt auf meine Hände. "Sir, ja, Sir. Etwas, was nicht sein sollte, berührte mich plötzlich. Ich wehrte nur einen Bewegung ab, Sir. So, wie man uns das beigebracht hatte, versuchte ich den Gegner zu töten, Sir. Hätte Rashida nicht meine Hand abgefangen, wären sie jetzt Tod, Sir. Es tut mir wirklich leid, Sir."

Ich drehte mich zu Rashida um und fing wieder an zu weinen. Verdammt, warum passierte mir das nur immer. Keiner der anderen hatte solche Probleme, nur ich.

"Täubchen, beruhige dich doch, es ist doch nichts passiert. Keiner ist verletzt."

Ich nickte. Rashida hatte Recht. Deshalb straffe ich meine Haltung, schob meine Brille nach oben und rieb mir das Gesicht.

Novak sah mich an. "Lyn, darf ich dich mal drücken, kleines Mädchen", er drehte sich zu mir um, nahm mich ganz vorsichtig in den Arm. "Ich wollte dich nicht erschrecken, wirklich nicht. Du musst dich nicht entschuldigen."

Damit schob er mich von sich und streichelte mir das Gesicht. Das tat so gut. Tief holte ich Luft. Wir mussten zum Thema zurück kommen. Da ich in knapp zwei Stunden in das Lager der Gruppe Drova wollte. Allerdings brauchte ich noch eine halbe Stunde Zeit zur Vorbereitung.

"Sir, können wir bitte zum Thema zurück kommen, wegen dem wir hier sind, Sir."

Dieser setzte sich auf seinen Platz. "Lyn, du hast recht. Sag mir Mädchen, wie willst du diese Lage in den Griff bekommen? Mir wird ganz bange, wenn ich nur daran denke, wie viele Leute dieser Sládek in seinem Lager hat."

Tja das war eine gute Frage, angespannt rieb ich mir den Nacken. "Sir, ich weiß es wenn ich ehrlich sein soll nicht, Sir. Ich will keinen Kampf. Den Kampf muss ich unbedingt verhindern. Dafür werde ich alles in meiner Macht stehende tun, Sir. Sie können sich jetzt vielleicht vorstellen, was während eines Kampfes im Lager vor sich geht würde, Sir. Hier haben ich die Kontrolle noch nicht ganz verloren, da ich mich im Schutz meiner Freunde befunden habe, Sir. Nur kommt es in diesem Lager zu einem Kampf, Sir. Dann bekommen wir alle den Blutrausch, Sir. Es wird grausam, Sir. Wenn ich ehrlich bin, möchte ich über diese Möglichkeit gar nicht nachdenken, Sir. Deshalb gehe ich gegen Mittag noch einmal ins Lager. Diesmal aber alleine, Sir. Raiko wird ihnen soweit wie möglich alles erklären, was im Lager vor sich geht, Sir. Sie noch einmal mitzunehmen, ist viel zu riskant, Sir. Ich hoffe sie vertrauen mir einigermaßen, Sir."

Novak war aufgebracht. "Lyn, du kannst nicht noch einmal dort hinein gehen. Noch dazu ganz alleine. Die bringen dich einfach um", versuchte er mir die Gefahren aufzuzeigen.

"Genosse Novak, um mich umzubringen, müssen die mich erst einmal gefangen nehmen, Sir. Das, was sie vorhin erlebt haben, ist nur ein Teil unseres Könnens, Sir. Noch dazu sehr eingeschränkt, da ich immer noch eine Restkontrolle hatte, Sir. In dem Lager, bin ich auf Kampf programmiert. Also auch aufs töten, Sir. Hier war ich beschützt und habe nur agiert, auf eine Bewegung, eine Gegenbewegung gemacht, Sir. Das hat nichts mit einem richtigen Kampf zu tun, Sir. Deshalb werde ich hier etwas später los gehen, als sie und der Rest meiner Kameraden. Ich muss dafür Sorge tragen, dass ich die Kontrolle behalte, im Kampf, Sir. Es ist niemand da, der mich dann aufhält, wie gerade eben, Sir. Vertrauen sie mir einfach, Sir."

Novak sah mich entsetzt an. "Lyn, das was ich gerade gesehen habe, hat mein Herz fast zum stillstehen gebracht. Ich dachte du bringst deine Freunde um."

Alle schüttelten den Kopf. Jiro, die Nummer 72, einer meiner besten Nahkämpfer, antwortete für mich. "Sir, man nennt mich Jiro…", nannte er wie alle anderen erst einmal seinen Namen. "Wenn Lyn, hier einen richtigen Kampf gemacht hätte, Sir. Wären wir alle tot, Sir. Selbst wir können uns ganz schwer, gegen diesen Zwerg verteidigen, Sir. Was denken sie, warum wir vorhin vier Leute gebraucht haben, um Lyn zu bändigen, Sir. Lyn ist seit zwei Jahren unser Trainer, weil uns die Lehrer nichts mehr beibringen konnten, Sir."

Novak konnte nicht glauben, was Jiro ihm da erzählte. Das Nicken der anderen bestätigte seine Worte.

"Sir, glauben sie mir, ich kämpfe nicht für umsonst darum, nicht kämpfen zu müssen, Sir. Ich will nur verhindern, dass dort unten Tausende Leute ihr Leben lassen, weil einer den großen Kämpfer spielen will, Sir. Die wissen überhaupt nicht, auf was sie sich einlassen, Sir. Ihr ahnt nicht einmal, was geschieht, wenn der große Kampf los geht. Genosse Novak, sie können sich das nicht vorstellen, dann kommt es zu einem Blutbad, Sir. Nur wir wissen, zu was wir in der Lage sind, Sir. Wenn wir den Kampf nicht verhindern können, gibt es ein schlimmes Gemetzel, Sir. Sie können sich diesen Alp nicht vorstellen. Sie wissen nicht wie schlimm es sein wird, Sir. Wir schon, wir haben das schon einige Male gesehen, Sir. Es ist so schlimm, dass wir den Ort des Geschehens, immer selber aufräumen mussten, Sir. Weil kein anderer dazu in der Lage war, Sir."

Mit Verzweiflung die mir im Gesicht geschrieben stand, drehte ich Novak mein Antlitz zu, im Kreis nickten alle und bestätigten damit meine Worte. Einige Male hatten wir, bei diesen sogenannten Übungseinsätzen, die eigentlich immer Himmelfahrtkommandos waren, ähnliche Situationen.

"Sir, wir haben genau noch zwei Versuche, um das zu verhindern, Sir. Gegen Mittag gehe ich ins Lager und hole mir die Antwort von Sládek, Sir. Wollen sie dann immer noch nicht hören, werden wir ihnen eine kleine Kostprobe dessen geben, was sie im letzten Kampf erwarten wird, Sir. Sie bleiben egal was passiert, mit Raiko zusammen oben in dem Baum, Sir. Jaan bringt sie an eine Stelle, von wo aus, sie das Geschehen genau beobachten können, Sir. Raiko bringt sie, wenn der Kampf ausufern und wir alle sterben sollten, im Laufe des morgigen Tages von hier weg, Sir. Also sobald sich die Lage etwas beruhigt hat, Sir. Aber davor brauchen sie keine Angst haben, dann muss schon alles schief gehen, was schiefgehen kann, Sir. So sind sie in Sicherheit, ohne, dass sie verletzt werden, Sir. Läuft es gut, dann ist das sowieso egal. Dann gehen sie einfach, wenn wir hier fertig sind, zu ihren Leuten, Sir. Vertrauen sie mir einfach, ich lasse nicht zu, dass ihnen etwas geschieht, Sir."

Novak begriff was ich meinte. Auch, weil es ihm Jaan vorhin im Baum erklärt hatte, dass ich alles für seinen Schutz tun würde. Nach einer kurzen Besprechung, klärten wir noch den Ablauf dessen, was als nächstes auf uns zukam

Es war eine beschlossene Sache, dass ich mit Rashida, Jaan, Rafik, Helaku, Latif, gegen Mittag zum Lager ging. Allerdings würde ich die Einzige sein, die ins Lager ging. Da ich mich auf diese Weise unbeobachtet anschleichen konnte. Die anderen warteten in einem genügend großen Abstand auf meinen Befehl und griffen nur im Notfall ein. Falls ich in schlimme Schwierigkeiten kam und sorgten so für eine gewisse Ablenkung, die mir ein Entkommen sichern sollte. Ansonsten hielten sich die Fünf bedeckt und im Hintergrund. So dass ich völlig alleine agieren konnte. Am Lager angekommen, würde ich mich in das Stabszelt begeben und nochmals mit Sládek sprechen. Hatte ich mit diesem Gespräch wieder keinen Erfolg, würden wir gegen 20 Uhr eine erste Angriffswelle starten. Diesen Angriff würden wir nur als Scheinangriff unternehmen, um Sládeks Leuten zu zeigen, auf was sie sich einließen, wenn es zu einem richtigen Kampf kam. Wir hofften sehr, dass es keine zweite und damit richtige Angriffwelle geben musste. Eins war allen klar geworden, nach Rücksprache mit den Posten am Lager. Dass wir das Gesetz, bei einem zweiten Angriff freigeben mussten. Sonst hatten wir keine Chance, diesen Kampf überleben.

Das Gesetzt freigeben, hieß bei uns nichts anderes, als einen Kampf auf Leben und Tod zu führen. Wir würden in diesem Kampf ohne Rücksicht töten, was uns angriff. Wieder einmal bekam ich mich mit Gadi, dem Jungen mit der Nummer 59, in die Haare. Der schon einige Male, böse gegen die Gruppe agiert hatte, nur um möglichst keinen Schmerzen ausgesetzt zu werden.

"Lyn, kann ich nicht in den Bäumen bleiben, euch mit dem Gewehr beschützen?", wollte er mehrmals wissen.

Obwohl ich ihm mehrmals erklärt hatte, dass ich jedem Mann bei diesem Einsatz brauchen würde. Vor allem, dass schon Raiko in der Gruppe fehlte. Selbst Novak war der Meinung, er würde auch alleine im Schutz der Bäume bleiben können. Das ging allerdings nicht, da mindestens einer zu seinem Schutz vor Ort bleiben musste. Alleine würde Novak gar nicht aus der Schaukel kommen, wenn der Kampf vorüber war. Gadi war ein sehr guter und zuverlässiger Nahkämpfer, ich konnte und wollte nicht, nur weil er Angst vor der Verwandlung hatte, auf ihn verzichten.

"Gadi, wir mögen die Verwandlung alle nicht. Denkst du, uns macht das Spaß. Bei diesem Einsatz brauchen wir mit keinen Heckenschützen zu rechnen, wir haben es mit einem reinen Bodenkampf zu tun. Gadi, du weißt ganz genau, ich bitte dich nie darum den Gino zu rufen, wenn es eine andere Möglichkeit gibt und es nicht wirklich sein muss. Diesmal geht es wirklich nicht anders. Höre auf, dich vor den Schmerzen zu drücken. Da musst du diesmal durch. Passe lieber auf, dass du nicht wie schon so oft, die Kontrolle über deinen Gino verlierst. Darüber solltest du dir ernsthaft Sorgen machen und nicht über das bisschen Schmerzen. Du weißt sehr genau, verlierst du wie so oft die Kontrolle, dann bist du nämlich nicht nur für unsere Gegner eine Gefahr, sondern auch für uns. Du weißt, dass ich dich dann töten werde, lasse das nicht zu Gadi, bitte."

Die anderen gaben mir durch zustimmendes Nicken, in allem Recht, was ich zu Gadi sagte. Bei einigen der letzten Einsätze hatten wir wirklich Mühe, Gadi zum Schluss zu bändigen und ihn wieder zurück aus der Verwandlung zu holen. Egal wie gern ich Gadi entgegen kommen würde, ich konnte es mir nicht leisten, alle diejenigen auszuklammern, die Wackelkandidaten waren, oder Angst vor dem Rufen der Ginos hatten. Dann hatte ich nur noch dreißig Leute für die Angriffswelle. Das ging einfach nicht.

"Gadi, sag mir bitte, wie soll ich diesen Einsatz zu einem guten Enden für uns bringen, wenn ich alle außen vorlasse, die Angst vor dem Rufen der Ginos haben. Wie soll ich das da unten, in den Griff bekommen, wenn ich nur mit den dreißig Ginos da rein gehe. Nämlich denjenigen, die ihre Ginos richtig kontrollieren können. Wenn du eine bessere Idee hast, dann heraus mit der Sprache. Sage mir das bitte, jetzt wäre genau der richtige Zeitpunkt darüber zu reden."

Gadi druckste herum. "Lyn, verzeihe mir bitte. Du hast ja recht. Lyn, du hast den Gino im Griff. Ich nicht. Ich habe so eine fürchterliche Angst, dass ich wi…", entschuldigend sah er mich an.

Ich unterbrach ihn einfach. Es wurde nicht besser vom Reden. "Gadi, ich mag die Ginos auch nicht rufen, glaube mir. Ich habe davor genauso viel Angst, wie du. Aber manchmal geht es nicht anders. Sag mir, wie ich mit einundachtzig Leuten, das da im Lager schaffen soll, ohne die Ginos? Gadi, dann sind mindestens vierzig unserer Leute tot, der Rest ist schwer verletzt. Die Leute aber ziehen fröhlich pfeifend weiter und nur weil du Angst vor den Schmerzen hast. Verdammt nochmal reiß dich jetzt zusammen. Aus mit der Diskussion."

Er wusste, dass ich keinen anderen Weg sah, denn sonst würde ich diesen riskanten Weg nicht gehen. Auch wusste er, wie schlimm es bei mir immer war. Ich war die einzige die jedes Mal blutete und auch die einzige die danach am gesamten Körper blauschwarz verfärbt war. Mit dem Ende Diskussion, war unsere Vorgehensweise klar. Der erste Angriff sollte nur dem Erschrecken der Leute im Lager dienen, keiner von meinen Kameraden würde jemanden angreifen oder töten. Verletzte würde die Gruppe Drova dann schon haben, das konnten wir nicht verhindern. Tode sollte es zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht geben. Solange man uns nicht sofort, in einen aggressiven Kampf verwickelte. Im Stillen hoffe ich so, dass dies nicht geschah. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies geschah, war allerdings verdammt hoch. Das teilte ich Novak auch mit.

"Sir, sie sind sich bewusst, dass wir ein sehr hohes Risiko eingehen, Sir. Ich habe keine Ahnung, was passiert, wenn wir dort schon bei dem Scheinangriff angegriffen werden, Sir. Ich kann ihnen nicht versprechen, dass dieser nicht in einen sofortigen Kampf ausufert und aus den Fugen gerät, Sir. Alles was geschieht, kann auch ich nicht vorhersehen, auch nicht die Reaktionen meiner Kameraden, Sir."

Novak wurde durch die heftige Diskussion bewusst, wie hoch das eigentliche Risiko wirklich war. Dankbar sah er mich an.

"Lyn, ich bewundere deine Ehrlichkeit. Ich finde es toll, dass ihr mir hier auch die Risiken aufzeigt. Vor allem, dass ihr Reaktionen zeigen könnte, die ihr nicht fähig seid, vorherzusagen. Die meisten würden so tun, als ob alles planbar wäre. Mädchen, wollen wir nicht doch, lieber Verstärkung anfordern?"

Ich schüttelte den Kopf. "Sir, was würde das denn nutzen, Sir? Wenn wir Verstärkung anfordern, wie läuft das dann, Sir? Sie wissen doch besser als ich, wie die polnische Regierung ohne uns dieses Problem löst, Sir? Es wird ein Regiment, also ungefähr viertausendachthundert Mann, hier hergeschickt. Mit schwerer Bewaffnung oder ein paar Kampfjets, die einen Bombenteppich legen. Dann gibt es hier einen Krieg, Sir. Nur, dass dann die Verluste, auf beiden Seiten hoch sein werden, Sir."

Novak war dies klar, denn dies wurde bei der Einsatzbesprechung schon beschlossen, falls die Hundert scheiterten.

"Sir, wenn wir es auf unsere Weise versuchen, dann haben wir eine geringe Chance, es unblutig zu Ende zu führen, Sir. Wenn Sládek mitspielt, Sir. Wenn es ausufert, werden wir nur hohe Verluste auf der anderen Seite haben, die zwar tragisch sind und die ich unbedingt verhindern will, Sir. Aber besser bei der Gruppe Drova, als auf der Seite der Polizei oder Armee, Sir. Die müssen, genau wie wir gehorche, Sir. Ob sie es nun wollen oder nicht, Sir. Die anderen haben sich freiwillig für diesen Weg entschieden, wir nicht, Sir."

Novak sah mich verzweifelt an. "Lyn, du weißt aber, wie hoch das Risiko für deine Leute ist?"

Ich rieb mir verzweifelt das Genick und nickte schließlich. Genau wie alle anderen im Kreis auch.

"Sir, wir wissen genau, auf was wir uns einlassen, Sir. Wir haben schon einige solcher Übungseinsätze hinter uns gebracht, Sir. Wir sind den Leuten eins zu vierundsiebzig unterlegen, Sir. Aber ich mache mir um meine Leute die wenigsten Sorgen, Sir. Solange die über die Ginos die Kontrolle behalten, besteht kein Risiko, Sir. Gefährlich wird es nur, wenn jemand die Kontrolle verliert, Sir. Dann wird es aber nur für mich schlimm, im schlimmsten Fall, muss ich denjenigen töten, der seinen Gino nicht mehr kontrollieren kann, Sir. Sie wissen nicht, zu was die Ginos wirklich fähig sind, ich kann keinen der wilden Ginos, einfach laufen lassen, Sir. Das kann ich und will ich einfach nicht verantworten, Sir."

Entsetzt sah mich Novak an. "Wie, du musst deine eigenen Leute töten?", dem die ganze Tragweite des Geschehens immer noch nicht völlig klar war.

Oh Manne, mir blieb heute aber auch gar nichts erspart. Wie konnte ich, das jemanden erklären, der überhaupt nicht wusste, wie ein Gino reagierte. Hilfesuchend sah ich in den Kreis und hoffte inständig, dass mir einer von denjenigen half das zu erklären, die eben damit Probleme hatten.

Dakil sah mich an und fuhr sich nervös über den Kopf. Er war einer der ruhigsten, meiner Kameraden. Er war einer aus dem Team der wirklich selten etwas sagte. Dakil, war der Junge mit der Nummer 43. Dieses eine Mal wollte er mir unbedingt helfen. Denn er wusste nur zu genau, dass ich nie richtig verstehen konnte, wieso manch einer in der Gruppe, seinen Gino nicht unter Kontrolle bringen konnte. Ich hatte damit überhaupt keine Problem, für mich war der Gino wie ein, sagen wir mal Freund, denn ich zwar nicht besonders mochte, aber den ich gut verstand. Anders konnte ich das nicht beschreiben.

"Sir, man nennt mich Dakil, dass bedeutet in unsere Sprache der Schweigsame, Sir. Diesmal breche ich das Schweigen, ich denke sie sollten genau verstehen, was auf sie zukommt, Sir."

Novak sah Dakil lächelnd an. "Das ist lieb von dir, Dakil. Ich möchte es wirklich verstehen."

Dakil rieb sich nervös den Nacken. "Sir, Lyn kann ihnen das nicht richtig erklären, weil sie es nicht versteht. Sie kontrolliert ihren Gino ständig, Sir. Ich dagegen, habe damit extreme Probleme, Sir. Haben sie schon einmal eine Situation gehabt, in der sie richtig wütend waren, Sir? So wütend, dass sie bereit waren, jemanden ohne darüber nachzudenken, zu töten, Sir?", wollte er von Novak wissen.

Auf einmal sah der Major völlig geknickt und unwahrscheinlich wütend aus. Urplötzlich glühte in seinen Augen der pure Hass und er kämpfte heftig gegen seine Emotionen. Novak sprang auf und lief einige Male, mit hinterm Nacken verschränkten Armen, hin und her. Genauso unerwartet blieb er stehen und atmete einige Male tief durch, bevor er sich wieder setzte. Immer noch gegen seine Emotionen ankämpfend, die ihn scheinbar gerade überrollt hatten. Tief atmend und seine innere Ruhe kämpfend, blickte er lange zu dem Junge, der ihn gerade dermaßen aus dem Konzept gebracht, nach seiner Wut gefragte hatte und damit unschöne Erinnerungen wachrief.

"Oh ja! Und ob ich das kenne. Dakil, deshalb bin ich zur Polizei gegangen. Mein Vater, musst du wissen war ein Dreckschwein, er hat meine Mutter geschlagen und meine Schwestern vergewaltigt, wenn er wieder einmal besoffen war. Irgendwann war das Maß voll und kam er endlich in den Knast. Wir, meine Mutter und meine Geschwister, zogen in eine andere Stadt, damit er uns nie wieder finden konnte. Eines Tages allerdings, ich war damals schon auf der Polizeischule und war gerade zu Besuch nach Hause gekommen, stand er wieder bei meiner Mutter an der Tür. Er schlug vor meinen Augen meine Mutter tot. Damals bin ich ausgetickt und habe meinen Vater fast umgebracht. Dieser Arsch hatte nur Glück, dass mein Nachbar, ebenfalls ein Polizist, gerade nach Hause kam und mich mit seinem Sohn zusammen, von ihm runterzog. Ich habe noch stundenlang danach getobt. Ich weiß, was du meinst", verlegen sah Novak mich an und zuckte mit den Schultern.

Dakil konnte sich dessen Wut gut vorstellen, auch wenn er, wie wir alle, nicht alle Zusammenhänge verstand. "Sir, stellen sie sich dieses Gefühl noch einmal vor, dass sie damals empfunden haben und dann um ein vielfacheres heftiger. Diesen vielfachen Hass kombiniert, mit einer um ein vielfaches verstärkten Wut, ist eine Mischung die sie kaum kontrollieren können, Sir? Wenn sie dazu in der Lage sind, sich das vorzustellen, dann haben sie ein ungefähres Bild dessen, wie wir uns als Ginos fühlen, Sir. Wissen sie, wir sind als Ginos, also in diesen Tiergestalten, völlig bei Bewusstsein. Wir wissen genau was wir tun. Zu diesem Bewusstsein kommen allerdings noch der tierische Instinkt und der unbrechbare Wille zum Überleben, Sir. Ich kann das nicht so genau erklären, Sir. Dieser Instinkt, kämpft gegen unseren Verstand, Sir. Sie haben das Gefühl, wahnsinnig zu werden, Sir. Sehen sie, Sir …" Dakil hielt sich seine zitternde Hand vor die Augen. "… das hier ist meine Hand, so wie sie normal aussieht, Sir. Wenn ich ein Gino bin, ist das hier eine Tatze mit rasiermesserscharfen Krallen, von einem Tier, Sir. Ich sehe meine Hand nicht mehr und ich sehe auch keine Tatze, Sir. Ich kann nicht mehr normal laufen, sondern muss mich auf allen vieren bewegen, wie ein Tier, Sir. Ich sehe nur noch in grauen oder bunten Farbnuancen und nehme die Welt völlig anders wahr, Sir. Ich höre um ein vielfaches besser und rieche noch besser als jetzt. Aber irgendwo in diesem ekligen Tier, bin auch ich noch vorhanden. Ich will aber nicht so sein, Sir. Ich hasse es so zu sein, Sir. Dieses Tier in mir ist aber unwahrscheinlich stark, es will nur noch töten, Sir. Ich will aber nicht töten, ich will beschützen, Sir. Manchmal gelingt es mir, diesen Drang zu unterdrücken, ein anderes Mal bin ich einfach zu schwach, Sir. Dann ist das Tier in mir so stark, dass es nur noch überleben will, Sir. Es will nicht mehr verschwinden, es erstickt mich, Sir. Es lässt keinerlei Kontrolle mehr zu und will nur noch töten, Sir. Alle diejenigen, die nicht so sind wie ich, die keine Ginos sind wie wir, sollen für immer tot sein, Sir. Der Hass auf das, was man mit uns gemacht hat, was man uns seit Jahren antut, nimmt dann eine Stärke an, die sie sich nicht vorstellen können, Sir. Bis jetzt, hat es Lyn immer irgendwie geschafft, uns zurück zu holen, Sir. Sie hat uns allen versprochen, wenn wir nicht mehr zurückfinden, Sir. Wenn wir nur noch Tiere sind, die alles töten wollen, Sir. Dann wird sie uns töten, Sir. Weil auch, wenn das Tier in uns siegt, wir immer noch bei Verstand sind, Sir. Wir verstehen jedes ihrer Worte, können trotzdem nicht mehr denken wie Menschen, Sir. Wir können unser Handeln nicht mehr bewusst steuern. Wir bekommen aber sehr wohl mit, dass wir Unrecht tun, Sir. Wir sind dann nur noch wie ein tollwütiger Hund, der einfach alles beißt, was sich bewegt, Sir."

Dakil fing an zu weinen, Conan der neben ihm saß, zog den am ganzen Körper zitternden Jungen einfach in seinen Arm. Er wusste nur zu gut, das Dakil bei jedem Ruf des Ginos, gerade davor Angst hatte. Ich sprach für Dakil weiter, der nicht mehr in der Lage war zu reden und sah Novak traurig an.

"Sir, ich denke, Dakil hat das ganz gut beschrieben. Die gleichen Gefühle habe ich auch, Sir. Nur kann ich das Tier in mir bändigen, das scheint Dakil nicht zu können, Sir. Ich habe für mich einen Weg gefunden, dieses Tier zu lenken und zu steuern, ihm zu sagen, dass darfst du tun und das nicht, Sir. Dazu gehört viel Kraft und eine eiserne Disziplin, Sir. Wenn diese Kontrolle allerdings weg ist, gehen die Ginos auf die Jagd, Sir. Sie jagen dann alles, was sich bewegt. Dabei spielt es keine Rolle, ob Mensch, ob Tier, ob Vogel oder Fahrzeug, Sir. Alles, was sich bewegt, im Weg steht wird angegriffen und völlig zerstört, Sir. Die Ginos sind pure Wut, purer Hass, pure Zerstörung, Sir. Deshalb muss ich diejenigen, die außer Kontrolle sind, zerstören oder besser gesagt töten, Sir. Ob es mir gefällt oder nicht, ich muss meine Freunde töten, um alle anderen vor ihnen zu beschützen, Sir. Der Gino würde erst aufhören mit seiner Zerstörungswut, wenn er selber tot ist oder verhungert ist, Sir. Verhungern Sir, können die Ginos erst nach sechs bis acht Wochen, Sir. Ein Gino in Rage, läuft in der Stunden zweihundertfünfzig bis dreihundert Kilometer weit, je nach Terrain und tötet im Laufen alles, was ihm vor die Krallen kommt, Sir. Wenn irgendwann der Hunger kommt, wird er noch wütender, Sir. Die Ginos beginnen nach einem halben Tag zu hungern, denn sie verbrauchen wahnsinnig viel Energie, Sir. Da sie absolut nichts an normaler Nahrung fressen können, werden sie immer wütender, Sir. Können sie sich vorstellen, was in dieser Zeit alles passieren kann, Sir. Deshalb können wir einen wilden Gino, so bezeichnen wir die unkontrollierten, nicht einfach ziehen lassen, Sir. Wir müssen sie töten, Sir. Außer mir und Rashida, ist keiner meiner Freunde dazu in der Lage, Sir. Nur wir beiden beherrschen die Ginos zu hundert Prozent, Sir. Deshalb haben Gadi, Dakil und die anderen Angst davor, nicht nur wegen der damit verbunden Schmerzen, Sir."  

Jetzt erst schien Novak das Risiko wirklich zu verstehen, dass wir bereit waren einzugehen. "Lyn, trotzdem wollt ihr die Ginos rufen? Das ist doch Wahnsinn, Mädchen."

Alle nickten, auch Gadi und Dakil. Wir wussten alle nur zu genau, dass wir anders keine Chance hatten.

"Sir, was sollen wir denn machen, Sir. Überlegen sie doch selber, Sir. Die Entscheidung fällt ihnen leicht, Sir. Das Risiko eingehen, das vielleicht zwanzig meiner Leute, von mir getötet werden müssen, Sir. Gegen den Tod von hundert oder hundertfünfzig, vielleicht sogar noch mehr Polizisten, Sir. Es ist eine einfache Rechenaufgabe, Sir. Wir kennen das Risiko, deshalb reden wir vor jedem Einsatz offen darüber, Sir. Wir stimmen deshalb darüber ab, Sir."

Ich sah meine Freunde an und holte tief Luft. Müde und abgespannt rieb ich mir den Nacken. Für mich war es immer genau so schwer, wie für die anderen. Denn mit der Entscheidung die Ginos zu rufen, trug ich die alleinige Verantwortung der Kontrolle. Rashida war nur bedingt dazu in der Lage, sie konnte mir nur bis zu einem gewissen Grad helfen, die außer Kontrolle geraden Ginos zu besänftigen. Nur ich hatte die Möglichkeit diese zurück zu bringen. Warum das so war, hatten wir in der ganzen Zeit noch nicht heraus finden können. Bei mir war halt einiges anders. Wenn ich ehrlich zu mir selber war, hatte ich genauso viel Angst wie die anderen. Nur durfte ich die Angst niemanden zeigen, um meine Kameraden nicht noch mehr zu verunsichern. Meine Angst galt weder dem Rufen, noch der Kontrolle meines eigenen Ginos. Sondern ich hatte davor Angst, dass wirklich einmal jemand eben diese Kontrolle völlig verlor und ich einen meiner Kameraden töten musste. Das war mein schlimmster Alptraum. Bis jetzt blieb mir das zum Glück immer erspart. Aber mir war auch klar, dass dies nur noch eine Frage der Zeit war, dass das einmal passierte. Ich hoffte bei jedem Einsatz, dass es genau an diesem Tag nicht der Fall sein würde.

"Jeder der bereit ist den Gino zu rufen, hebt seine Hand", wirklich alle hoben die Hand, auch die sechzehn, die Wache in der Nähe des Lagers hielten.

Es stimmten alle mit Ja. Also war es eine beschlossene Sache. Novak verstand jetzt, wie wir dachten und warum wir das taten. Vor allem, wurde dem Major im Laufe des Gespräches klar, warum ich so darum kämpfte, diesen Kampf zu verhindern. Dass wir einfach, das kleinere Risiko wählten. Auch wenn es bedeutete, dass ein Teil von uns sterben musste. Wir wollten einfach verhindern, dass zu viele Menschen starben. Dass das Endergebnis des Kampfes, einzig und alleine von der Reaktion Sládeks abhing und wie sich die ganze Situation im Lager weiterentwickeln würde. Dass wir darauf keinen Einfluss hatten und nehmen konnten.

"Lyn, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Das, was ihr da bereit seid zu tun, um andere zu schützen…", er suchte nach Worten, fand aber scheinbar keine.

"Sir, lassen sie es einfach. Es ist nur wichtig, dass sie begriffen haben, dass wir alles zum Schutz der Leute im Lager tun werden, Sir. Aber nicht alles verhindern können, Sir. Informieren sie ihre Dienstelle über das, was wir hier besprochen haben, Sir. Bitte halten sie unsere Namen heraus und benutzen sie nur unsere Nummern, Sir. Ich brauche schnellsten eine Entscheidung ihrer Dienststelle, ob wir so vorgehen können, Sir? Mir läuft langsam aber sicher die Zeit weg, Sir. Es ist jetzt 9 Uhr 45, Sir. Um zwölf Uhr, will ich im Lager von Sládek sein, Sir", ernst sah ich Novak an.

"Kaija, du stellst sofort eine Verbindung zu Novaks Dienststelle her."

Kaija kam auf uns zu und übernahm es, sich um Novak zu kümmern. Die anderen bat ich sich zum Fobnekotar aufzustellen. Wir zogen uns aus und stellten uns im Block auf. Als erstes begannen wir damit, uns ins Taiji einzuatmen und anschließend mit den Fobnekotar, das uns zur Aufwärmung der Muskulatur diente. Wir hatten festgestellt, dass wenn die Muskeln warm waren, die Schmerzen beim Rufen der Ginos, nicht ganz so schlimm waren. Kaija hat den Auftrag übernommen, uns darüber zu unterrichten, wenn Novak eine Entscheidung seiner Dienststelle hatte. Kurz vor Ende des dritten Zyklus, rief uns Kaija ein "Semro. – Ende." zu. Wir beenden den Zyklus und atmeten uns über das Taiji aus. Novak hatte unsere weitere Vorgehensweise mit der zuständigen Dienststelle abgesprochen.

Seine Vorgesetzten waren froh, diese Sache nicht selber bereinigen zu müssen und hatten deshalb den Vorschlag dankend angenommen. Ich bekam hundertprozentige Handlungsfreiheit, egal wie Sládeks Entscheidung ausfiel. Auch, wenn diese bedeutete, dass viele der Gruppe Drova sterben mussten. Man hatte verstanden, dass das nur geschah, wenn ich es nicht verhindern konnte. Nach diesem ersten Angriff, würde ich nochmals mit Sládek versuchen, zu verhandeln. Die Gruppe Drova, hatten dann schon massig Verletzte und begriff, so hoffte ich, dass sie gegen uns keine Chancen hatten. Traurig sah ich Novak an und stellte die Frage, die mir am meisten zu schaffen machte.

"Warum Sir, können diese Menschen nicht einfach aufgeben, Sir? Warum muss bei solchen Sachen, immer erst Blut fließen? Können diese Menschen nicht schon eher begreifen, dass wir es nur gut meinen, mit ihnen, Sir. Ich verstehe es nicht, wirklich nicht, Sir. Ich würde nie etwas machen, dass meine Kameraden in unnötige Gefahr bringt, Sir. Wir sind erst ungefähr vier Jahre alt. Wenn wir begreifen können, wenn wir verloren haben, Sir. Warum können das nicht auch die andere begreifen, Sir?" Versuchte ich ihm meine Verwirrtheit zu erklären.

Novak zuckte mit den Schultern. "Ich kann dir diese Frage leider auch nicht beantworten, Lyn. Diese kranken Menschen wollen Macht. Macht bringt Menschen dazu, blind und dumm zu reagieren, denke ich oft. Sie vergessen darüber hinaus, dass sie Verantwortung tragen, für ihre Freunde."

An diesen Gedanken konnte etwas Wahres dran sein. Ich musste darüber noch einmal in Ruhe nachdenken.

"Genosse Novak, geht es wieder? Haben sie sich von ihrem Stress erholt, Sir? Kaija sagte mir, ihnen ging es vorhin nicht so gut."

Unser Beobachter nickte, obwohl er nicht verstand, woher ich das wusste. Da ich nicht alleine mit Kaija gesprochen hatte. Allerdings war der Major, vorhin am Funk, fast zusammen gebrochen. Novak hatte einige Male so gezittert, dass Kaija ihn in den Arm nehmen musste, damit er am Funk weiterreden konnte. Bei manchen Fakten, die er seinem Vorgesetzten erklären musste, traten dem Major Tränen in die Augen.

"Ja, das habe ich. Es war verdammt schwer, meinen Vorgesetzen zu erklären, was ich hier erlebt habe. Eins muss man dir und deinen Freunden, aber lassen. Ihr seid gute Menschen, Lyn. Ihr seid alles, aber keine Tiere. Wer das von euch sagt, ist selbst ein Tier. Jaan, dir muss ich sagen, du kannst fantastisch zeichnen. Deine Freundin, sieht genauso aus, wie auf dem Bild. Darf ich diese Zeichnungen als Erinnerungen an euch behalten oder wollt ihr, dass ich die wegwerfe?", fragend sah er uns an.

"Sir, sie können sie gern behalten, Sir. Jaan kann ihnen dann, wenn sie im Baum warten, noch einige Bilder zeichnen. Wenn sie das wollen, Sir. Ihr habt ja noch genug Zeit, Sir."

Novak lächelte mir zu. Er war froh die Bilder behalten zu dürfen. "Eure Art zu kämpfen, möchte ich gern lernen. Schade, dass wir dafür nicht die Zeit haben", erklärte er mir gezwungen lächelnd.

Ich erinnerte alle an die Zeit. "Leute, ihr müsst zurück, ins Lager. Es ist jetzt 10 Uhr 55. Ihr geht alleine, ich brauche eine halbe Stunde für mich alleine. Rashida, Jaan, Rafik, Helaku, und Latif, ihr erwartet mich an den angegebenen Positionen, um 12 Uhr. Also macht hin, dass ihr zurück kommt. Keiner von euch greift ohne meinen Befehl ein. Ihr bleibt bedeckt, bis ich das Kommando gebe. Habt ihr das verstanden?"

Alle nickten.

An Novak gewandt. "Sir, sie bleiben in der Schaukel, egal, was passiert und sie verhalten sie ruhig, Sir. Davon hängt ihr Leben und das von Raiko ab, Sir. Sie sind nur zum Beobachten hier und nicht zum Kämpfen, Sir. Raiko wird sie mit seinem Leben beschützen. Er lässt nicht zu, dass ihnen etwas geschieht, Sir."

"Ich weiß Lyn, mache dir keine Sorge um mich. Ich habe verstanden, auf was es ankommt. Viel Glück euch."

Ich gab Jaan ein Zeichen und dieser nahm Novak, wieder auf seinen Rücken. Im schnellen Tempo, verschwand die Gruppe im Wald. Ich dagegen ging tief ins Taiji. Fing mit den leichteren Übungen an und ging dann über zu den schweren Übungen, um meine Mitte zu finden. Bei diesem Einsatz, würde ich meine ganze Konzentration benötigen. Solche Fehler, wie vorhin mit Novak, durften mir dann nicht mehr unterlaufen. Dies könnte nicht nur für mich, sondern für alle meine Kameraden und für Novak tödlich enden. Nach fünfundvierzig Minuten im Taiji, lief ich im lockeren Tempo zum Lager. Ging kurz vor dem Lager in die Bäume und sprang zu dem Baum, in dem es sich Novak und Raiko, so bequem wie möglich gemacht hatten. Es war ein sehr guter Platz, den Raiko auswählte, von hier aus hatte Novak einen guten Beobachtungsposten, ohne dass die Gefahr bestand entdeckt zu werden. Als Novak etwas sagen wollte, schüttelte ich den Kopf und zeigte nach unten, die nächste Patrouille kam gerade in unsere Nähe. Es war Zeit zum Aufbruch, es war kurz vor 11 Uhr 45. Nach dem die Wache vorbei gezogen waren, rief ich in der Verbindung meinen Leuten zu, auf Position zu gehen. Da wir alle gingen, würden wir in den Bäumen laufen, wie wir das Baumspringen nannten. Hoch oben, etwa fünf bis sechs Meter über der Erde und für keinen normalen Menschen hörbar, sprangen wir von Baumstamm zu Baumstamm. In dieser Zeit, sprachen wir nochmals unsere weitere Vorgehensweise ab. Bereiteten uns schon auf den Kampf vor. Indem wir die Waffen, Brillen und die Overalls in den Bäumen sicherten. So dass wir im Notfall, sofort reagieren konnten.

Raiko blieb bei Novak und kümmerte sich in unserer Abwesenheit, um den Beobachter. Der Major, der mit Raiko zusammen im Baum saß, war sichtlich nervös. Raiko würde Novak berichten, was im Lager geschah, in dem er einfach, dass was er über die Verbindung hörte, an diesen weiter gab. Wir nutzten, um unsere Verbindung geheim zu halten, einen kleinen Trick. Derjenigen, der dem Außenstehenden berichten musste, bekam einfach eins unserer Reservefunkgeräte und setzte einen Kopfhörer auf. So sah es aus, als wenn er mit uns über Funk, in Verbindung stand. Wenn derjenige den Kopfhörer selber haben wollte, um zu hören, was wir sprachen, gaben wir ihm diesen. Die Funkerin sprach dann ganz leise ins Mikrofon des Funkgerätes, sodass die meisten Menschen nur einen Hauch von Sprache hörten, allerdings kein einziges Worte verstanden. Mit der Erklärung, dass wir um das zehnfache besser hörten, als die normalen Menschen, dies spezielle für uns angefertigte Kopfhörer waren, gaben sich fast alle zufrieden. Das hatte schon einige Male, recht gut funktioniert.

Novak vertraute uns in dieser Hinsicht vollkommen, er fragte nicht nach den Kopfhörern und akzeptierte das Raiko ihm alles erzählte. Nach fünf Minuten waren alle auf ihrer Position. Rashida, Jaan, Rafik, Helaku, und Latif gingen mit mir auf zehn Meter ans Lager heran und hängten sich hoch oben versteckt in die Bäume. Dadurch waren sie in der Lage, sofort ins Lager zu springen, wenn ich in Schwierigkeiten geriet. Die anderen, die nur im absoluten Notfall eingreifen sollten, wenn wir alle sechs in großen Schwierigkeiten gerieten, hingen sich ebenfalls oben in den Bäumen. Allerdings mit einen Abstand von guten fünfzig Metern zum Lager.

"Rashida, du hast ab sofort die Befehlsgewalt. Denke daran, was wir besprochen haben. Haltet euch so lange es geht bedeckt. Davon hängt ab, ob es zu einem Blutbad kommt. Ich schreie nach Hilfe, wenn ich sie brauche. Vorher will ich niemanden von euch zu Gesicht bekommen. Verstanden."

Rashida lächelte mir zu. "Täubchen, du weißt doch, ich höre aufs Wort. Bitte passe auf dich auf ja."

Ich gab ihr einen Kuss. "Bis dann Rashida, wünsche mir Glück."  

 

Sofort ließ ich mich aus dem Baum fallen und ging in den Schatten. In den Schatten gehen, hieß nichts anderes, als jede Deckung zu nutzen, um ungesehen irgendwo hinzu gelangen. Ich fragte meine Freunde oben in den Bäumen besorgt, ob der Weg den wir geplant hatten frei war. Diese dirigieren mich auf Umwegen, zum Stabszelt. Ich nutzte jeden Schatten der sich mir bot, um ungesehen in dieses Zelt zu kommen. Vorsichtig auf jedes Geräusch achtend, bewegte ich mich vorwärts. Es war für die Mittagszeit verdammt viel los. Da war etwas im Busch, was mir gar nicht gefiel. In der Verbindung, bat ich die Dolmetscher mitzuhören, was um mich herum gesprochen wurde. Ich verstand ja keine Silbe von dem, was diese Leute sagten. Nach einer Weile kristallisierte sich heraus, dass man beschlossen hatte, das Lager nochmals zu verlegen. So ein Quatsch. Es würde Sinn machen, das gesamte Lager aufzulösen, dann würden wir uns totsuchen. Das Lager zu verlegen, nach dem wir es gefunden hatten, war doch sinnlose Mühe. Wir bräuchten der Spur der über sechstausend Leute doch nur folgen und schon hätten wir das Lager an seiner nächsten Basis wieder. Kopfschüttelnd ging mir das durch den Kopf. Worin bestand der Sinn des Umzuges? Ich verstand ja, dass durch unser Eindringen, Sládek das Lager als nicht mehr sicher ansah, aber das war es ab jetzt nirgends mehr. Wir hatten eine Witterung und würden dieser überallhin folgen. Eins allerdings gefiel mir gar nicht, man plante morgen in der Früh, das Lager abzubrechen. Die Lage hier war für uns von Vorteil, ob der nächste Standort genauso günstig war, blieb abzuwarten. Wir mussten also zügig handeln. Sonst gingen uns zu viele Leute verloren, denn einige wollten heute schon los, ihnen war diese Sache hier nicht mehr sicher genug. Wir mussten dann die einzelnen Gruppen suchen, das war ein zeitaufwendiger Kraftakt. Ich bat Kaija und Raiko, unter Beachtung aller Vorsichtsmaßnahmen, mit Novak abzusprechen, dass wir den Einsatz vorverlegen konnten. Ich überlegte nämlich hin und her, es war eine Erfahrung, dass die ersten schon in einigen Stunden das Lager verlassen würden. Mit einem Schlag, brannte uns die Zeit unter den Nägeln. Etwas was ich gar nicht mochte. Trotzdem würde ich diesen letzen Versuch unternehmen, um diese Sache zu einem guten und unblutigen Ende zu bringen.  

Vorsichtig kroch ich unter der Plane, in das Innere des Stabszeltes und blieb einige Zeit im Schatten stehen. Hier fand wie es schien, gerade eine Versammlung, aller Gruppenleiter statt. Die Dolmetscher unterrichteten mich darüber, dass diese in polnischer, wie auch in tschechischer Sprache durchgeführt wurden. Man diskutierte über den Zeitpunkt des Aufbruches. Dieser sollte bereits in zwei Stunden beginnen. Es stand also noch schlimmer als ich erst dachte, um unseren Plan. Die gesamte Sache glitt uns aus den Fingern, uns wurde ein anderer Zeitplan aufgedrückt. Ich bat Kaija, die Einsatzleitung über die Zeitverschiebung zu informieren und jagte meine Leute von den Bäumen. Sie sollten sich in zehn Kilometer Entfernung schon verwandeln. Ich würde, wenn es nicht anders möglich war, die Verwandlung hier im Lager vollziehen. Etwas, dass mir überhaupt nicht gefiel. Denn Hektik lag mir bei solchen Einsätzen überhaupt nicht, die gingen meistens nach hinten los und brachten nichts als Unheil. Allerdings blieb uns nichts anderes übrig. Ich musste dies machen, um nicht die Hälfte der Leute entkommen zu lassen. Wenn die einzelnen Gruppen ungeordnet flohen, hatten wir wochenlange Suchaktionen vor uns und würden die Hälfte der Leute nicht mehr finden. Das hieße der Einsatz, wäre gescheitert. Eine gewisse Zeit, hörte ich der Übersetzung meiner Dolmetscher zu und beschloss, mit dem Einverständnis von unserem Beobachter, mich zu zeigen. Unerwartet für die Gruppe Drova trat ich aus dem Schatten der Regale und stand so direkt hinter Sládek. Dort bliebe ich ruhig und abwartend stehen. Dabei beobachtete ich die im Zelt Anwesenden, die erst nach einer Weile begriffen, dass sich ein Fremder in ihrer Runde aufhielt. Einer der Gruppenleiter machte Sládek auf mich aufmerksam, der erschrocken herumfuhr.

"Guten Tag Herr Sládek. Ich bin wie versprochen gekommen, um mir ihre Antwort abzuholen, Sir."

Wütend starrte er mich an. "Kde jsou stráže? – Wo sind die Wachen?", brüllte er zum Zeltausgang.

Raiko übersetzte mir das Gesagte.

"Sir, die Wachen können nichts dafür, Sir. Wenn ich nicht gesehen werden will, sieht mich auch niemand, Sir. Können sie mir sagen, was wir jetzt mit dieser ausweglosen Situation machen wollen, Sir? Eine Umsiedlung des Lagers bringt ihnen doch nichts, Sir. Wir finden sie jetzt immer wieder, denn wir haben ihre Spur, Sir. Sie wissen, dass ich sie nicht gehen lassen kann, Sir. Also lassen sie uns das hier friedlich und für alle unbeschadet beenden", unterrichtete ich Sládek davon, dass ich wusste, dass man aufbrechen wollte.

Sládek wurde immer wütender. Er verstand nicht, wieso ich darüber unterrichtet war. "Ich nicht zulasse, meine Freunde Gefängnis gehe."

Diesmal reagierte ich genervt. "Sir, das heißt also, sie schicken ihre Freunde lieber in den Tod, Sir?", fassungslos schüttelte ich den Kopf über ihn. "Übersetzen sie bitte, dass was ich ihnen gerade gesagt habe, für ihre Freunde, Sir. Fragen sie diese, ob sie sterben oder leben wollen, Sir."

Sládek schüttelte den Kopf. "Nichts ich mache, verschwinden."

"Sir, ich kann nicht verschwinden, Sir."

Da Sládek nicht übersetzen wollte, wandte ich mich Hilfesuchend an die anderen im Zelt, in der Hoffnung, dass diese mich verstanden.

"Meine Herren, ich habe ein großes Problem. Ich spreche weder Polnisch, noch Tschechisch, wer von ihnen würde für mich übersetzen?"

Ein älterer Herr von etwa sechzig Jahren stand auf und kam auf mich zu. Ich nickte kurz zur Begrüßung.

"Guten Tag Sir, mein Name ist 98, Sir. Ich bin von einer Spezialeinheit, die dieses Lager umstellt hat, Sir. Wie Herr Sládek seit gestern Abend weiß, werden wir sie hier nicht mehr weg lassen, Sir. Ich möchte sie deshalb ein letztes Mal auffordern, dass sie alle ihre Waffen niederlegen, um unnötiges Blutvergießen zu vermeiden, Sir. Darf ich fragen, wer sie sind, Sir?"

"Guten Tag, ich heiße Pavel. Habe ich richtig verstanden ihren Namen? Sie heißen 98, Mädchen?"

Ich bestätigte durch nicken, die Richtigkeit, schwieg aber.

Pavel drehte sich zu den im Zelt Anwesenden herum und übersetzte meine Worte richtig, wie mir Raiko bestätigte.

"Sir Pavel, bitte ich bin noch einmal gekommen, um zu erreichen, das hier niemand verletzt oder getötet wird, Sir. Helfen sie mir bitte zu verhindern, das hier unnötig Blut fließt, Sir."

Versuchte ich noch einmal einen Weg zu gehen, der ohne Kampf auskam Die Stimmung im Zelt war am Überkochen. So wie mir Raiko mitteilte, wollte man an mir ein Exempel statuieren. Die Leitung des Camps Drova wollte ihren Mitgliedern an einem abschreckenden Beispiel zeigen, was es bedeutete, wenn man sich gegen diese Gruppe stellte. Es wurde Zeit für mich hier zu verschwinden. Es hatte keinen Zweck mehr hier zu verhandeln.

Pavel drehte sich zu mir um und sah mich lange an. "Wie alt bist du Mädchen?", wollte er wissen. "Sind der Regierung, die Polizisten ausgegangen, dass sie uns jetzt Kinder schicken?"

"Sir, mein Alter tut nichts zur Sache, wie auch mein junges Aussehen nicht, Sir", ich nahm das Band von meinen Augen. "Sir, wissen sie, ich kann doch nichts, für das, was man mit uns gemacht hat, Sir. Wir wurden genetisch verändert, Sir. Wir wurden seit unserer Geburt für den Kampfeinsatz ausgebildet. Sie haben keine Chance gegen uns, Sir. Wir sind wesentlich schneller als sie und verfügen über bedeutend mehr Kraft als sie sich in ihren kühnsten Träumen vorstellen können, Sir. Das, was sie heute früh gesehen haben, diese Tiergestalt, nennen wir Ginos, Sir. Wenn wir so kämpfen, sind wir praktisch unbesiegbar, Sir. Wir können uns dann nur noch, gegenseitig töten, Sir. Ich werde, wenn sie die Waffen nicht niederlegen, mit einundachtzig solcher Tiergestalten hier ins Lager einbrechen und sie angreifen, Sir. Eines dieser Geschöpfe steht hier vor ihnen, achtzig weitere warten nur auf meinen Befehl für den Angriff, Sir. Ich weiß, dass ich vorhin einige von ihnen verletzt habe, Sir. Allerdings, war ich sehr vorsichtig, Sir. Es waren bestimmt nur leichte Verletzungen, die diese Leute abbekamen und das auch nur, weil sie mich angegriffen haben, Sir. Können sie sich vorstellen, was passiert, wenn einundachtzig von uns wütend werden? Vor allem, wütend durch ihr Lager rasen, Sir? Dann bleibt von ihren Freunden, nicht mehr viel übrig, Sir. Teilen sie das ihren Kameraden mit, Sir. Herr Sládek hat beschlossen, es darauf ankommen zu lassen, Sir. Ich will hier aber nicht, fast sechstausend Tode haben, nur weil einer beschlossen hat ein Held zu sein, Sir. Weil Herr Sládek beschlossen hat, sie alle für eine aussichtslose Sache zu opfern, Sir. Helfen sie mir ihren Freunden das Leben zu retten und einen Kampf zu verhindern, den wir nicht wollen, Sir."

Lange sah ich Pavel schweigend an. Mehr hatte ich nicht mehr zu sagen, ich hatte alles Wichtige gesagt. Pavel übersetzte für die anderen, was ich gesagt hatte. Entsetzt sahen mich die im Zelt befindlichen an. Ich schien wenigsten Einige von ihnen erreicht zu haben und appellierte nochmals an ihr Gewissen.

"Sir, diejenigen von ihnen die nicht sterben wollen, sollen sich einfach auf den Boden legen, Sir. Dort bleiben sie still und regungslos liegen. Egal, was um sie herum passiert, Sir. So haben sie die beste Chance zu überleben, Sir. Sagen sie das einfach allen Leuten in ihren Gruppen, Sir. Soll jeder für sich selber entscheiden, was er tun will, Sir. Ich werde jetzt gehen, Sir. Also wenn sie überleben wollen, legen sie sich einfach alle auf den Boden, Sir. Dann wissen wir, dass sie nicht kämpfen wollen, Sir. Diejenigen die kämpfen, werden sterben, Sir. Das ist mein letztes Angebot an sie, Sir", beim letzten Wort drehte ich mich um und ging sofort in den Schatten, dadurch wurde ich für die anderen völlig unsichtbar. Verwundert, begannen die Männer das Zelt zu durchsuchen.

Allerdings sahen sie nicht auf den hohen Regalen nach. Das war ein Sprung von zwei Metern und war für uns, wie für normale Menschen das betreten eines Teppichs. Man würde mich nur finden, wenn ich das selber wollte.

Viel wurde diskutiert und leider musste ich begreifen, dass alles für umsonst war. Sládek hatte seine Leute gut im Griff. Uns blieb der Kampf leider nicht erspart, damit war meine Mission gescheitert. Ich hoffte nur, dass sich einige der Leute an meine Worte erinnerten, wenn der Kampf losging. Sie hatten nur noch eine kleine Chance zu überleben, wenn sie sich auf den Boden legten. In einem günstigen Moment, sprang ich vom Regal und verließ das Zelt auf den gleichen Weg, auf dem ich es betreten hatte. Sprang, eh mir jemand folgen konnte, in den nächsten Baum. Lief in den Bäumen zu Novak und Raiko. Flüsternd wollte ich von Novak das Einverständnis, für den Zugriff.

"Lyn, du hast alles versucht, mehr konntest du nicht machen. Bringe es zu Ende. Es hat keinen Zweck mehr, du kannst Sládek nicht vom Gegenteil überzeugen. Ich nehme es auf meine Verantwortung."

Novak sah mich verzweifelt an. Ihm wurde angst und bange, bei dem Gedanken, was jetzt gleich losgehen würde. Er hatte sich leise mit Raiko unterhalten, als ich bei Sládek im Zelt war, um vollends zu verstehen, was geschehen würde. Wenn ich mit meiner Mission scheiterte. Erst in diesem Augenblick wurde Novak vollends bewusst, dass es hier gleich zu einem unvorstellbaren Blutbad kam. Ich nahm seinen Befehl an und nickte. Mir war nicht nach reden zu Mute, jetzt nicht mehr. Ich hatte auf ganzer Linie versagt, es war genau das eingetreten, was ich so krampfhaft hatte zu verhindern. Eilig entfernte ich mich von den Beiden, um deren Position nicht zu verraten und ging in einer sicheren Entfernung von etwa zehn Kilometer in die Verwandlung. Wie zuvor abgesprochen, hatten die Ginos einen Ring, um das Lager gebildet, um niemanden entkommen zu lassen. Ich gab das Signal zur ersten Angriffswelle, in dem ich den anderen, in der Sprache der Ginos, den Befehl dazu gab.

Es war schwer zu beschreiben, was jetzt geschah. Es waren keine Worte, die ich rief, sondern klang eher wie ein wildes Fauchen. Dies hörte man über eine große Entfernung. Doko, der uns bei einigen Übungseinsätzen begleitet hatte, meinte, er hätte es in einer Entfernung von über zwanzig Kilometer noch gehört. Ihm wäre es eiskalt über den Rücken gelaufen. Es wäre ein solch furchtbares Geheule gewesen, dass allein das ihn dazu bewogen hätte, sich auf den Boden zulegen und sich nie wieder zu rühren. Als Antwort, bekam ich ein anders klingendes Fauchen zurück. Als Ginos liefen wir im gemütlichen Tempo hundertachtzig bis zweihundert Kilometer in der Stunde. Die zehn Kilometer, die wir vom Lager entfernt waren, konnte man deshalb als Katzensprung bezeichnen. Nach drei Minuten standen wir gleichmäßig, um das Lager verteilt. Es war ein gruseliges Bild, das wir darboten. Dreiundzwanzig Bären, elf Geparden, dreiundzwanzig Wölfe und vierundzwanzig Panther, wir bildeten eine bunt durcheinander gemischte Gruppe. Wobei die Geparden, Wölfe und die Panther die Größe der Bären hatten und sich nichts im Gewicht nahmen. Nur ich war auch als Gino wesentlich kleiner, als die Anderen. Erreichte, wie auch in menschlicher Gestalt, nicht die schockierende Größe meiner Kameraden. Nicht nur durch meine geringe Größe, sondern auch durch meine fast schwarze Farbe und die braunen Flecken unterschied ich mich von den anderen Geparden der Gruppe.

Vorsichtig drangen wir in das Lager ein und ich gab immer wieder in der Sprache der Ginos die Anweisungen nur anzugreifen, wenn wir bedroht wurden. Die Leute rannten schreiend durcheinander und wussten nicht, was sie machen sollten. So war es jedes Mal. Wir drängten die Leute immer mehr zusammen, dann ließen wir von ihnen ab und zogen uns wieder etwas zurück. Alle blieben in der Verwandlung, nur ich ging ein letztes Mal heraus. Versuchte gar nicht erst mein Gesicht wiederherzustellen und ging noch einmal in das Lager. Versuchte noch ein letztes Mal, die Mitglieder der Gruppe Drova zu retten. Direkt lief ich auf das Stabszelt zu, in dem ich Sládek und seinen Stab vermutete. Es musste ein schlimmes Bild sein, wie ich nur im zerrissenen Bustier und Turnhose bekleidet, blutverschmiert und am ganzen Körper, im Gesicht mit Hämatomen übersät, durchs Lager lief. Es half nichts, wenn ich diese Leute wirklich retten wollte, musste ich es noch einmal versuchen. Sládek hielt sich vor dem Zelt auf und ich lief direkt auf ihn zu.

"Sir, bitte geben sie auf. Sie haben gerade erlebt, was sie erwartet, Sir", bat ich ohne Vorrede, um das was ich von ihm wollte. Dieser starrte mich entsetzt an. "Sir, ja, Sir. So sehen wir aus, wenn wir uns in Ginos verwandeln, Sir. Es sind Schmerzen, die sie sich nicht vorstellen können, Sir. Damit sie überleben, habe ich diese Schmerzen jetzt schon zweimal auf mich genommen, Sir. Ein drittes Mal, gehe ich nur durch diese Hölle, wenn sie mich dazu zwingen zu kämpfen, Sir. Dann allerdings sind sie alle tot, Sir. Meine Freunde sind wütend, weil sie nicht auf mich hören wollen und wegen der Schmerzen, die sie leiden müssen, Sir. Lassen sie uns zurückkehren ohne Kampf, wir wollen das, zu was sie uns zwingen, nicht tun, bitte Sir."

Sládek schüttelte den Kopf. "Mädchen, wir nichts zu verlieren haben."

"Sir, sie haben viel mehr zu verlieren, als sie glauben. Denken sie ich würde sonst so darum kämpfen, dass sie aufgeben, Sir. Sie werden das Wertvollste, was sie haben verlieren, Sir. Ihr Leben, bitte zwingen sie uns nicht zum Kampf, Sir. Bitte, sie haben doch gegen uns keine Chance, Sir."

Ich stand weinend vor ihm und schämte mich meiner Tränen nicht. Konnte einfach nicht begreifen, wieso er seine Freunde, für seine Machtgier opferte. Für nichts in der Welt lohnte es sich zu sterben, nur wenn man damit das Leben eines Freundes rettete. Warum begriff er das nicht.

"Vzít do zajetí. – Nehmt sie Gefangen", brüllte Sládek plötzlich.

Von allen Seiten kamen Kämpfer auf mich zugelaufen. Er ließ mir keine andere Wahl. Sládek wollte also den offenen Kampf. Ich gab das Signal zum Angriff und gab gleichzeitig das Gesetz frei. Was blieb mir auch anderes übrig. Sládek hatte hier im Lager über fünftausend gut ausgebildete Kämpfer und wir waren nur zweiundachtzig. Also holte ich tief Luft und sprang in die Höhe, kurz bevor mich die Kämpfer des Camps erreichten. Unter einem markerschütternden Schrei verwandelte ich mich in einen Gino und landete auf allen Vieren. Der Kampf begann. Wir hatten besprochen, von außen die Menschen zusammenzutreiben und zu versuchen, so wenig wie möglich zu kämpfen. Die Mitglieder der Gruppe Drova, ließen uns keine Wahl. Statt aufzugeben, bekamen wir schweren Widerstand und mussten also, ob wir wollten oder nicht kämpfen. Der Kampf lief nach und nach aus dem Ruder, uns hatte der Rausch erfasst. Das Blut in unseren Adern kochte hoch. Die Wut über das, was hier geschah, hatte alle erfasst. Nach einer knappen halben Stunde, ließ der Widerstand nach. Die Kämpfer hatten endlich begriffen, dass sie keine Chance hatten.

Allerdings war es zu spät. Nicht alle aus meinem Team zogen sich, auf meinen Befehl hin, zurück. Einige von uns drangen immer weiter in das Camp vor. Ich musste die Kämpfer des Lagers, vor den wütenden Ginos beschützen. Dadurch geriet ich zwischen die Fronten. Rashida kam an meine Seite und versuchte mit mir zusammen, die acht außer Kontrolle geratenen Ginos zurück zu drängen. Alle Bemühungen die Kameraden zurückzuholen, war vergebens. Die Wut über diesen sinnlosen Kampf, hatte sie blind gemacht, für alles, was um sie herum geschah. Es war genau das Geschehen, vor dem ich immer die meiste Angst hatte. Vergeblich versuchten wir sie immer wieder zurück zutreiben. Sie waren nicht mehr zu bremsen. Sie töten nur noch, des töten Willens. Sie konnten den Blutrausch nicht mehr kontrollieren. Ich begann mit aller Gewalt, gegen meine eigenen Leute zu kämpfen, um zu retten, was zu retten war. Nach über zwei Stunde, waren nicht nur die Leute im Lager, sondern auch acht meiner Freunde tot. Es war grauenvoll, nichts im Lager lebte mehr. Die außer Kontrolle geratenen Ginos, hatten alle getötet, bevor ich sie aufhalten konnte. Ich ging aus der Verwandlung und stand fassungslos mitten in dem Lager.

Vor Verzweiflung schreiend fiel ich dort, wo ich gerade stand auf die Knie. Den Kopf in den Nacken gelegt, das Gesicht zum Himmel gerichtet, schrie ich mir meine Wut von der Seele. Anders würde ich mich sofort wieder, in einen Gino verwandeln. Nach über einer halben Stunde, brach ich völlig erschöpft und bewusstlos zusammen. Ich war am Ende meiner Kraft angelangt.

 

Raiko half Novak aus dem Baum. Er brachte den fassungslos und entsetzt dreinschauenden Beobachter, des polnischen Militärs, auf den Boden. Novak der Lyn in Mitten der Leichen und im Blut liegen sah, wollte zu ihr laufen. Allerdings wurde er von Raiko zurück gehalten. Der sonst um Worte nie verlegen Junge, kämpfte um jedes Wort. Er hatte schon einige schreckliche Kämpfe miterlebt, aber das hier war das Schlimmste, was er in seinem kurzen Leben erlebt hatte. Nur dabei zuzusehen und nicht helfen zu können, machte den, sowieso zartbesaiteten Raiko völlig fertig.

"Sir, bitte nicht, Sir. Es ist noch lange nicht vorbei, Sir. Wir müssen vorsichtig sein, Sir", versuchte er dem, am ganzen Körper zitternden Novak zu erklären.

Nach und nach kamen alle Kämpfer des "Teams Hundert", zurück ins Lager. Sie waren völlig am Boden zerstört und sahen, was die acht, nun toten Kameraden, für eine Verwüstung angerichtet hatten. Zu Novaks Entsetzen, begannen die Kinder damit, die Leichen aus dem Lager, an den Rand des Waldes zu tragen. Vorsichtig, fast liebevoll betten sie die Toten am Waldrand auf. Sie sahen auf diese Weise nach, ob vielleicht doch jemand überlebt hatte. Novak der nur ganz langsam wieder zu sich kam, verstand die Welt nicht mehr. Nicht nur, dass diese Kämpfer den schlimmsten Alptraum überlebt hatten, den er sich als Soldat vorstellen konnte, jetzt räumten sie auch noch das Schlachtfeld auf. Denn anders, konnte man diese Lichtung nicht bezeichnen. Der Major stand am ganzen Körper zitternd und sich die Haare raufend, an einen Baum gelehnt und musste sich erst einmal übergeben. Das Bild, das sich ihm hier bot, ließ ihm an seinen Verstand zweifeln. Immer wieder zog es seinen Blick zu Lyn, die mitten im Lager lag und sich nicht mehr regte. So zittrig wie Novaks Körper war, so zittrig war auch seine Stimme, als er mehr hauchte als sprach.

"Warum, haben die anderen Lyn alleine gelassen? Raiko ist sie tot?"

Raiko schüttelte stumm den Kopf. Schließlich entschloss er sich Novak zu erklären, was los war. Obwohl ihm nicht nach reden zumute war.

"Sir, Lyn ist nicht tot, sie schläft nur, Sir. Dass die anderen weggegangen sind hat den Grund, dass Lyn sie weggeschickt hat, Sir. Sie wollte nur die da haben, die sie bekämpfen musste, Sir. Als Ginos, können wir nur thermisch sehen, Sir. Das haben wir ihnen doch erklärt, Sir. Lyn kann nur Farben sehen. Die Ginos, haben andere Farben als die Menschen, sie sind nur graue Schatten, Sir. Je wütender sie werden, umso dunkler werden die Schatten, umso schwere kann man sie sehen, Sir. Lyn ist die einzige, die von uns in der Lage ist, einen Gino, als Gino zu finden, Sir. Rashida hört nur auf ihre Anweisung und treibt die Ginos Lyn in die Arme, Sir."

Entsetzt sah Novak den Buben an, den er tief in sein Herz geschlossen hat. Tränen liefen Raiko über das Gesicht, er ließ Novak einfach stehen. Es bestand keine Gefahr mehr, dass ihm etwas passieren konnte. Raiko wusste, er musste den anderen helfen. Seine Kameraden und er wollten hier nur noch weg.

Schweigend sah Novak diesen eigenartigen Kindern eine Weil zu. Immer wieder musste er sich übergeben. Irgendwann konnte er wieder einigermaßen normal denken und schämte sich für sein Verhalten. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und begann einfach mit anzufassen. Half auf diese Weise, die Leichen an den Rand der Lichtung zu tragen. Vor allem aber, nach Überlebenden und Verletzten zu suchen. Die Hundert gingen bei dieser, wie sollte man das alles nennen, Aufräumaktion vielleicht, ganz systematisch vor, als hätten sie das Gebiet in Sektionen eingeteilt. Alle Kämpfer aus Lyns Team, machten einen großen Bogen, um Lyn. Sie vermieden es förmlich in ihre Nähe zu kommen. Ordentlich legten die Kämpfer, die Leichen Reihe für Reihe ab. Immer fünfzig neben einander und dann begannen sie eine neue Reihe. Das Zeltlager der Gruppe Drova, wurde einfach abgerissen und die Bestandteile in einer extra Ecke, weit entfernt von den Toten, ordentlich gestapelt und abgelegt. Auf diese Weise, konnte man zehn Reihen untereinander legen und anschließend wurde ein neuer Block begonnen. Immer wieder blieb Novak stehen und wandte sich an Raiko, der Einzige der Gruppe, der im Moment mit ihm sprach.

"Raiko, warum holt niemand Lyn aus dem Blut?"

Novak verstand nicht, warum sich niemand um Lyn kümmerte. Raiko fuhr sich müde mit den Händen über den Kopf, den Nacken und das Gesicht, und verschmierte so dass Blut der Toten, mit dem Dreck des blutigen Schlammes, in dem er und Novak mittlerweile standen. Raiko und den anderen aus dem Team war anzusehen, dass sie sich nur noch mit Mühe auf den Beinen hielten und die angefangene Arbeit nur noch beenden wollten. Novak selbst war nach zehn Minuten, kurz vor dem zusammenklappen, nicht nur körperlich, sondern seelisch. Seine ganze Sorge galt der immer noch im Dreck liegenden Lyn.

"Sir, bevor Lyn nicht von alleine zu sich kommt, ist es gefährlich sich ihr zu nähern, Sir. Bitte ich möchte nicht reden, Sir", flüsterte er mehr, als das er sprach.

Wieder ließ Raiko Novak einfach stehen. Ging wie alle anderen den Aufräumungsarbeiten nach. Fast zwei Stunden dauerte es noch, bis Lyn endlich wieder zu sich kam und sich das erste Mal bewegte. Erleichtert atmete Novak auf. Langsam erhob sich das kleine Mädchen und fing ebenfalls schweigend an, die Leichen zu bergen und mit System am Rand des Waldes abzulegen. Immer zwei, trugen eine gemeinsam ein Leiche. Über acht Stunden liefen oder besser gesagt schwanken, die Kinder jetzt durch das Lager. Immer noch fanden sie toten und zerstückelte Leichen. Immer noch, waren nicht alle, Mitglieder der Gruppe Drova, geborgen. Novak saß schon eine ganze Weile am Rand des Waldes, den Kopf auf die Knie gelegt und weinte: Aus Wut, aber auch, weil er am Ende seiner physischen, wie psychischen Kräfte war.

Nach über drei Stunden Bergungsarbeiten, war er einfach mitten in dieser Blutoase zusammengebrochen und liegen geblieben. Cankat hatte ihn wie ein Kind auf die Arme genommen und hier her getragen. Er war zu nichts mehr in der Lage. Novak konnte sich kaum noch bewegen. Mittlerweile lief man in dem Lager, durch einen Sumpf aus blutigem Schlamm, in den man bis zu den Knien einsank. Jeder noch so kleiner Schritt kostete unwahrscheinliche Kraft. Nur drei Verletzte konnten bis jetzt geborgen werden. Alle anderen Mitglieder der Gruppe Drova waren tot. Zum Teil waren die Toten so schwer verstümmelt, dass es schwer werden würde, eine Identifizierung vorzunehmen. Keiner der Kinder sprach mehr mit Novak, alle hatten sich verschlossen. Anders konnte er es nicht bezeichnen. Das was diese Kämpfer hier machten, war mehr als ein erwachsener Mensch ertragen konnte. Obwohl diese Kinder hart im Nehmen waren, kamen sie damit scheinbar nicht klar.

Kurz nach 13 Uhr hatte der Kampf begonnen. Jetzt war es bereits 21 Uhr 35 und die letzten Leichenteile wurden abgelegt. Alle setzten sich um Novak, der von Cankat hier hergebracht wurde. Genau auf die entgegengesetzte Seite der Lichtung und ließen sich dort, wo sie gerade noch gestanden hatten einfach fallen. Rollten sich auf der Stelle zusammen und waren zu nichts mehr in der Lage.

Lyn allerdings, ging die Reihen der Leichen noch einmal ab. Plötzlich kniete sich Lyn nieder und untersuchte einen der Körper. Wie durch Zauberhand standen zwei der Kinder auf und brachten den Verletzten auf die andere Seite der Lichtung. Dorthin, wo noch Leben war. Zwei weiter Kinder betteten einen anderen Leichnam an den Platz des Überlebenden, so dass der Block wieder vollständig war. Dieser eine Körper, schienen noch etwas Leben in sich zu haben, was Lyns Kameraden übersehen hatten. All die Toten, wurden auf die gleiche Weise noch einmal von Lyn auf das Genauste untersucht. Erst dann wandte sie sich den Lebenden zu.

Sie schleppte sich zu den sechs Verletzen und begann diese zu untersuchen. Plötzlich glühten Lyns Hände sichtbar auf. Novak beobachtet Lyn und die Verletzten genau. Diese schienen auf einmal kräftiger zu atmen. Ein Verletzter hatte eine Schlimme Wunde am Gesicht, diesem legte sie die Hände auf. Nachdem Lyn diese wieder weg nahm, war die Verletzung verschwunden. Erst nach dem sie die Mitglieder der Gruppe Drova versorgt hatte, wandte sie sich ihren Freunden zu. Ging zu jedem Einzelnen hin und schien alle genau, wie die Toten zu untersuchen. Bei einigen legte sie die Hand auf die Wunde oder beseitigte eine Verletzungen im Gesicht. Völlig fertig sah sie aus, mit dunklen, fast schwarzen Augenringen, die man unter dem Augenband und trotz der Hämatome in ihrem Gesicht sah. Nach dem sie den letzten ihrer Kameraden untersucht hatte, kontrollierte sie auch Novak auf Verletzungen. Fertig damit, brach Lyn dort zusammen, wo sie gerade gestanden hatte und blieb dort liegen. Keiner der Kinder rührte sich mehr. Als Novak Lyn in die Arme nehmen wollte, hielt ihn einer der Jungs am Arm fest und schüttelte den Kopf. Er hätte später nicht mehr sagen können, wer es gewesen war. Also setzte sich der Major wieder hin und wusste nicht, was er machen sollte. Er wollte so gern Hilfe für diese Kinder holen. Eine ganze Weile grübelte der polnische Offizier darüber nach, was er machen sollte und wie er den Kindern helfen konnte. Novak hatte jegliches Zeitgefühl verloren und konnte einfach nicht mehr klar denken. Nach einer Weile durchlief seinen Körper ein Ruck und er beschloss nach Cyrla zu laufen, um von dort aus Hilfe anzufordern.

Im gleichen Augenblick, als sich der Major erheben wollte, kam Lyn wieder zu sich. Sie stand schweigend auf, lief auf eins der Mädchen zu, um diese zu wecken. Genauso schweigend stand diese auf und lief in Richtung der Bäume, in denen sie vorhin gehangen haben. Es war grausig dieses Schweigen, dass sich über die Lichtung gelegt hatte, die dem Offizier so zu schaffen machte. Diese Ruhe ging Novak durch Mark und Bein. Nur drei Minuten dauerte es, bis das Mädchen zurück kam, mit einem Funkgerät in der Hand. Kurze Zeit später sprach Lyn am Funk. Novak erschrak sich furchtbar. Die Stimme Lyns klang gebrochen und schleppend, wie die einer verbitterten alten Frau, als sie sich am Funk meldete.

"Sir, 98 ist am Funk, Sir. Kann ich den Oberstleutnant oder den Oberst von der Einsatzleitung sprechen, Sir?", verlangte sie nach dem, was sie haben wollte.

"Kleinen Moment, der Oberst steht neben mir."

Es dauerte keine zehn Sekunden, bis sich Oberst Svoboda meldete. Er schien dem Funker die Kopfhörer regelrecht aus der Hand gerissen zu haben. Dessen dunkle angenehme Stimme erklang bis zu Novak. Lyn riss sich die Kopfhörer vom Kopf, so brüllte dieser panisch ins Mikro.

"98 endlich, ich werde hier noch verrückt vor Sorge. Ist bei euch alles in Ordnung, meine Kleine?", besorgt klang dessen Stimmen.

Lyn antwortete ihm mit müder und schleppender Stimme. "Sir, bitte brüllen sie nicht so, Sir. Einsatz um 14 Uhr 23 beendet, Sir. Es müsste jetzt 23 Uhr 43 sein, wenn mich mein Zeitgefühl nicht ganz verlassen hat, Sir. Einsatz mit dem Beräumen des Einsatzortes erfolgreich abgeschlossen, Sir. Die Gruppe Drova, wurde wie befohlen aufgelöst, Sir. Ich habe hier vor Ort niemanden den ich …" Lyn brach zusammen. Die Funkerin kniete sich neben das kleine Mädchen, nahm diese einfach in den Arm.

"Sir, Moment, Sir", sprach die Funkerin ganz leise. Nach einer Minute, hatte sich Lyn wieder einigermaßen gefangen. Am Funk hörte man ein ständiges Rufen.

"98 ... mein Gott ... Kleines ... melde dich doch ... 98 ... kannst du mich hören ... Hallo ... Was ist denn los? ... Melde dich 98"

Schwer nach Luft ringend meldete sich Lyn wieder. "… Sir entschuldigen sie, Sir, mir geht es nicht so gut, Sir. Ich habe hier vor Ort keinen Einsatzleiter, könnten sie für uns bitte den Einsatz abnehmen, Sir. Wir möchten nur noch nach Hause, Sir. Vor Ort werden sie sechstausendzweihundertzwölf Mitglieder der Gruppe Drova vorfinden, leider sind sie alle Tod, Sir. Ich konnte es nicht verhindern, Sir. Sechs Schwerverletzte, bringen wir mit ins Basislager, Sir. Auch acht von meinen Leuten haben es nicht geschafft, Sir. Wir können die Verletzten nicht einfach hier zurück lassen, Sir. Den Verbindungsoffizier bringen wir ebenfalls mit, Sir. Wir haben keine Kraft mehr, noch bis nach Cyrla zu laufen, Sir. Könnten sie eventuell dafür sorgen, Sir. Dass wir uns duschen können, Sir. Wir sehen aus wie die Schweine, Sir", Lyn schwankte verdächtig und atmete einige Mal schwer durch. "Sir, die Leichen haben wir aufgebahrt, Sir. Diese können sie, bitte abholen lassen, Sir. Wir haben den Einsatzort komplett beräumt, Sir. Das Hab und Gut der Gruppe Drova wurde gesichert und ordentlich gelagert, Sir. Wir markieren die Lichtung, mit einem Peilsender, Sir. Wir kommen jetzt zurück, Sir."

Die Antwort die Lyn auf ihre Meldung bekam, klang hektisch und völlig von der Rolle. "98, ihr bleibt wo ihr seid. Wir holen euch ab. Hast du das verstanden, mein kleines Mädchen."

Lyn schluckt schwer, musste sich immer mehr dazu zwingen laut und deutlich zu sprechen. "Sir, wir wollen hier nur noch weg, Sir. Es macht uns nichts aus, zurück zulaufen, Sir. Die Bewegung tut uns gut, Sir, und hilft uns einen klaren Kopf zu bekommen, Sir", bat sie darum, den Einsatzort verlassen zu dürfen.

"Ist gut 98, dann kommt nach Hause. Um die Leichen kümmert sich ein Räumkommando, mach dir keine Sorgen."

"Sir, danke, Sir."

Lyn ließ einfach die Kopfhörer fallen, die Funkerin fing diese geschickt auf. Lyn lief im gleichen Moment in den Wald und übergab sich, eine kleine Ewigkeit. Es dauerte fast eine Viertelstunde, bis sie zurückkam. Lange sah das kleine Mädchen, schweigend ihre Kameraden an. Dann erinnerte sie sich an Novak und bat ihre Kameraden hörbar für den Major, darum aufzustehen. Alle gingen in die Bäume, holen ihre Overalls und Waffen. Schnell kleideten sich die Kämpfer an und rüsteten sich aus. Aus den Resten des Zeltlagers bauten die Kinder vierzehn Tragen. Lyn kam auf Novak zugelaufen und hielt sich schwankend am Baum fest, an den der Major lehnte. Als dieser sofort aufstehen wollte, hielt Lyn ihn zurück.

"Sir, es tut mir leid, Sir. Ich habe das was geschehen ist, nicht verhindern können, Sir. Bitte uns fehlt die Kraft, sie erst nach Cyrla zubringen, Sir. Wir nehmen sie mit in das Basislager, in dem sich die Einsatzzentrale befindet, Sir. Der Genosse Svoboda ist ein wirklich netter Offizier, der wird dafür sorgen, dass sie schnellstmöglich nach Hause gebracht werden, Sir. Sonst müsste ich sie hier lassen und das kann ich ihnen nicht antun, Sir."

Als Novak etwas sagen wollte, schüttelte Lyn den Kopf, mit so viel Leid im Gesicht, das Novak lieber schwieg. Die sechs Verletzten, aber auch die acht toten Kameraden, wurden auf die Tragen gelegt und so gesichert, dass sie nicht ausversehen herabstürzen konnten. Immer zwei der Kinder, nahmen eine der Trage. Kurz nach Mitternacht war es, als Jaan auf Novak zukam und ihn wortlos auf seinen Rücken zog. Schweigend liefen die Kinder los, in einer Ordnung die Novak entsetzte. Im exakt gleichen Abstand liefen sie immer in Paaren nebeneinander her. So etwas hatte Novak noch nie erlebt. Vielleicht einmal auf dem Exerzierplatz, aber nicht in der freien Natur, wo Bäume und Strauchwerk, dies eigentlich gar nicht zuließen. Nach einer Weile wurde eine kurze Pause gemacht und die Träger der Tragen, aber auch Jaan wurden abgelöst. Cankat nahm Novak jetzt auf seinen Rücken. Als dieser protestieren wollte und behauptete, er könne selber Laufen, schüttelten die Kinder nur mit dem Kopf. Keines der Kinder wollte noch reden, deshalb hielt auch Novak den Mund. Am liebsten würde er über alles reden, er hatte das Gefühl gleich zu platzen, aber er merkte auch, dass die Kinder Ruhe brauchten. Sie waren wahrscheinlich nicht gewohnt über ihren Kummer zu reden. Novak wurde auch ganz schnell abgelenkt und begriff, wieso die Kinder den Kopf geschüttelt hatten. Das Tempo der Gruppe im Wald war langsam, aber gleichmäßig. Selbst dieses Tempo musste sich Novak eingestehen, hätte er keine zwei Stunden durchgehalten. Durch die Tragen konnten die Kinder dort einfach nicht schnell laufen. Als sie nach dem ersten Wechseln der Tragen und Novaks, den Wald verließen, kam man auf eine Nebenstraße. Das Tempo, was die Kinder jetzt liefen, wurde Novak sofort klar, hätte er nicht laufen können. Novak war schleierhaft, wie man dabei noch eine Trage transportieren konnte. Diese Kinder allerdings liefen in einem so gleichmäßigen Rhythmus, dass die Verletzen kaum Erschütterungen spüren konnten. Ihr Lauf war locker und federnd zugleich. Exakt eine Stunde liefen die Kinder, dann wechselten die Träger. Schnell bekam Novak auch mit, wieso man Lyn in das Befördern der Verletzten nicht mit einbezog. Auch beim Transport der Leichen, ließ man sie außen vor. Lyn besaß einen völlig anderen Laufrhythmus, als der Rest der Gruppe. Dadurch, dass sie um so vieles kleiner war, schien sie eine ganz andere Lauftechnik zu haben. Novak gestand sich ein, dass er keine Ahnung mehr hatte, wo er sich befand. Allerdings wurde es langsam wieder hell. Seine Armbanduhr zeigte ihm, dass es bereits 5 Uhr 23 war. Plötzlich bogen die Läufer nach rechts ab und liefen in ein Werkgelände hinein. Kaum, dass sie dieses betreten hatten, kamen ihnen schon einig der Mitglieder des Státní bezpečnost, des Staatssicherheitsdienstes der Tschechischen Republik entgegen. Cankat der Novak gerate trug, ließ diesen herunter und hielt sich stark schwankend an Jaan fest, der neben ihm stehen geblieben war.

Ein Oberst kam auf die Gruppe und Novak zugerannt. Kopfschüttelnd sah er die Kinder an. Lyn trat vor die Gruppe, griff nach dem Handgelenk des Obersts.

"Genosse Svoboda, Einsatz mit Rückkehr des Teams Hundert, um 5 Uhr 25 beendet, Sir. Leichte bis mittelschwere Verletzungen bei allen Teammitgliedern, acht Tote, Sir. Bitte sorgen sie dafür, dass die sechs Überlebenden der Gruppe Drova, ärztlich versorgt und in einen dementsprechenden Raum gebracht werden, Sir. Die Verletzten sind stabil, aber sind zum Teil sehr schwer verletzt, Sir. Können Sie mir bitte sagen, wo Oberstleutnant Mayer ist, damit ich auch bei ihm Meldung machen kann, Sir. Wir möchten gern duschen gehen, Sir."

Der Oberst sah Lyn und dann die anderen Kinder entsetzt an. Es war ein furchtbarer Anblick, alle waren blutverschmiert. Alle hatten tiefe schwarze Augenringe, die man trotz der dunklen Brillen sah und konnten sich kaum noch auf den Beinen halten. Die "Hundert" stützten sich gegenseitig. Noch schlimmer als das Aussehen der Kämpfer des Teams, war deren Haltung. Die zeigte einem an, dass die Gruppe an der Grenze des Ertragbaren angekommen war. Deshalb gab Svoboda einen kurzen und klaren Befehl, an seine Mitarbeiter.

"Ukažte jim, kde se mohou osprchovat. – Zeigt ihnen, wo sie duschen können."

Einer seiner Männer kam auf die Gruppe zugelaufen und winkte dem Team ihm zu folgen.

"98, folgt Marek einfach."

Lyn schüttelte den Kopf.

"Sir, ich muss erst Meldung beim Oberstleutnant machen, Sir. Vorher dürfen wir nicht duschen gehen, wir bekommen sonst Ärger, Sir."

Svoboda holte tief Luft und sah Lyn und ihre Kameraden ernst an. "98, ihr geht sofort Duschen, das ist ein Befehl. Hast du das verstanden?"

"Sir, jawohl, Sir", erleichtert nickte Lyn.

Wie alle in der Gruppe war sie froh, sich endlich waschen zu können und lief, gefolgt von den anderen des Teams in geordneter Formation hinter Marek her. Drei Minuten später kamen sie vor der Halle an. Svoboda hatte dort, eine provisorische Duschanlage aufgebaut lassen. Es lagen auf den in der Nähe aufgestellten Bänken Seife und Handtücher. Vor allem aber saubere Overalls. Dankbar sah Lyn zu dem tschechischen Oberst. Sofort zogen sich alle aus und liefen unter die Duschen. Ein eigenartiges Bild entstand, da nirgends eine Wand war, an die sich die Kinder stützen konnten, stellten sie sich Hand an Hand gestützt unter die Dusche. Die waren zwar kalt, aber es war ein schwüler und warmer Sommertag. Alle schienen das Wasser zu genießen. Fast eine halbe Stunde standen Lyn und ihre Freunde unter der Dusche.  

 

Jetzt erst sah Novak, der ebenfalls duschen gegangen war, dass viele aus meiner Gruppe, zum Teil schwer verletzt waren. Den Hundert schien es überhaupt nicht auszumache. Keiner verlangte nach einem Arzt und niemanden jammerte. Nach einer kleinen Ewigkeit, kam plötzlich kam Bewegung in die Gruppe. Alle begannen sich zu waschen.

Keines der Kinder trocknete sich jedoch ab und keiner zog einen der sauberen Overalls an. Dazu kam es nicht mehr. Ohne vorherige Ankündigung, stand auf einmal ein Oberstleutnant vor den Duschen. Er begann wütend vor den Kindern herum zu brüllen.

"Wer in Teufels Namen, hat euch erlaubt zu Duschen?", wollte er geifernd wissen. "98, vortreten, aber ein bissel Dalli. Seit wann geht ihr vor dem Rapport zum Duschen? Sprich du kleines Biest."

Kopfschüttelnd, wollte sich Novak zwischen mich und dem Oberstleutnant stellen. Allerdings konnte der Pole nicht nach vorn gehen, da er von hinten festgehalten wurde. Jaan stand unmittelbar hinter dem Major und schüttelte fast unmerklich den Kopf.

"Sir, Einsatz erfolgreich beendet, Sir. Oberst Svoboda, hat uns befohlen duschen zu gehen, weil wir ausgesehen haben, wie die Schweine, Sir. Verzeihen sie bitte, wenn dies falsch war, Sir. Ich dachte da er der Ranghöhere Offizier ist, muss ich ihn Folge leisten, Sir", machte ich mit fester, aber leiser Stimme Meldung.

Böse sah mich der Oberstleutnant an. Svoboda der sich zwischen meiner Truppe durch schlängeln wollte, um den tobenden Oberstleutnant zur Räson zu bringen, wurde von Cankat aufgehalten. Der den Oberst einfach von hinten am Overall festhielt, genauso wie es Jaan vorhin bei Novak gemacht hatte. Er schüttelte als sich Svoboda zu im umdrehte kaum merklich den Kopf, um die Aufmerksamkeit des Oberstleutnant nicht auf sich zu lenken. Beide wollten damit verhindern, dass diese Sache außer Kontrolle geriet.

Oberstleutnant Mayer jedoch, war in einem desolaten Zustand und hatte völlig die Kontrolle über sein Handeln verloren. Das zweite Mal seit dem er in Prag war, flippte der Oberstleutnant völlig aus. Svoboda konnte nicht fassen, was er mit dem deutschen Kollegen schon wieder erlebte. Der Grund weshalb Mayer so ausflippte, war die Tatsache, dass er gerade erfahren hatte, dass acht meiner Leute tot waren.

"Was bitte du kleine Schlampe, frage ich dich, war an diesen Auftrag so schwer gewesen? Dass du dabei acht deiner Leute umgebracht hast, sprich du kleines Biest", sein Blick sprach Bände. Denn die Tatsache, dass es acht Tode gegeben hatte, bedeutet viel Schreibarbeit für ihn und vor allem würde er eine Menge Ärger mit dem Institut bekommen.

"Sir, es tut mir leid, Sir. Ich konnte es nicht verhindern, Sir. Wir waren einfach Zahlenmäßig unterlegen, Sir. Ich habe wirklich alles versucht, Sir."

Versuchte ich ihm, meine Wut unterdrückend, zu erklären. Dieser Unmensch verstand einfach nicht, wann er seine Schnauze halten sollte und er einen Punkt erreicht hatte, an dem Schluss war. Mayer musste mich immer weiter provozieren, vor allem in die Ecke drängen. Wenn dieser Arsch wüsste, wie recht er damit hatte, dass ich meine Kameraden umgebracht hatte. Seine Worte fachten die in mir verbliebene restliche Wut, die vom Rufen der Ginos immer zurück blieb, noch mehr an. Diese Wut verhinderte, dass ich klar und logisch denken konnte und vernünftige Entscheidungen traf. Warum verstand dieser Mensch eigentlich nicht, dass ich auch erst einmal etwas Ruhe brauchte, nach so einem Horroreinsatz? Musste er immer wieder in die gleiche Wunde stechen?

"98, könntest du mir meine Frage bitte klar beantworten. Was bitte, war an diesem Auftrag so schwer, dass du acht deine Leute getötet hast? Sprich du kleines Biest."

Tief holte ich Luft und wollte gerade antworten, als Raiko auf den Oberstleutnant zu ging und diesen ansah.

"Was ist los 7? Sprich", forderte der Oberstleutnant seinen Liebling auf.

Ich bat Raiko, in der Verbindung sich zurückzuhalten. Es war ja lieb von ihm gemeint, wenn er mir helfen wollte, allerdings macht er es für mich nicht besser.

"Sir, bitte 98 kann nichts dafür, Sir. Der Einsatz war der Horror bitte, Sir. Können sie uns nicht erst einmal verbinden und schlafen lassen, Sir."

Verdammt Raiko muss das sein, ging es mir durch den Kopf. Das würde sich Mayer nicht gefallen lassen. Schon gar nicht vor zwei fremden Offizieren, von dem einer unter ihm im Rang stand. Genau wie ich es vermutete, hart und unerbittlich, schlug der Oberstleutnant zu. Dieses verdammte Schwein, konnte einfach nicht mehr aus seiner Haut. Jaan und Cankat hielten, nur mit Mühe Novak und Svoboda zurück, die sich einmischen wollten. Die beiden bekamen Hilfe von Teja und Andi, die in ihrer unmittelbaren Nähe standen. So nahm jeder einen Arm der Offiziere und justierten sie mit hartem Griff in ihrer Mitte. Meine anderen Kameraden griffen sich Leute aus Svobodas Team, die geschlossen gegen Mayer vorgehen wollten, um Raiko vor den Schlägen des Oberstleutnants zu schützen und ein weiteres Schlagen durch den Deutschen zu verhindern. Dadurch standen nur Raiko und ich, dem Oberstleutnant gegenüber. Wir konnten uns gegen diesen Unmenschen wehren. Vor allem konnten wir es nicht zulassen, dass sich andere gegen den Oberstleutnant stellen wollten. Wir wären diejenigen, die es in der Schule dann ausbaden mussten. Zuhause würde uns dann keiner von ihnen beschützen. Deshalb zogen wir es vor, den Oberstleutnant gleich hier vor Ort toben zu lassen, bis dieser sich wieder beruhigt hatte. Mayer schlug nochmals zu, traf Raiko dieses Mal schwer. Rashida stand hinter mir und hielt mich jetzt ebenfalls von hinten umklammert, um mich vor Dummheiten zu beschützen. Mayer allerdings schlug immer wütender und mit voller Wut auf Raiko ein, der schon lange am Boden lag. Blitzschnell drehte ich mich aus Rashidas Griff heraus und eilte Raiko zu Hilfe. Bevor der Oberstleutnant nochmals zuschlagen konnte. Ich musste verhindern, dass Raiko noch schlimmer verletzt wurde und stellte mich deshalb den Kampf. Diesmal war ich schneller und Mayer merkte glaube ich, dass er einen Fehler gemacht hatte. Meine Wut auf den Oberstleutnant, die Wut der Ginos die ich immer noch in mir hatte, trafen aufeinander. Dies war eine absolut tödliche Kombination und schaltet bei mir, alles normale Denken vollkommen aus.

Es geschah etwas, dass Novak, Svoboda und sein Team nicht für möglich gehalten hatten. Mit denen meine Kameraden allerdings rechnen mussten, nach dem sich Raiko in die Sache eingemischt hatte. Ich flippte vollkommen aus. Die Schläge, die mir der Oberstleutnant vor drei Tagen verpasst hatte. Diese unmenschliche Behandlung, die dieser Mensch uns ständig zukommen ließ, kombiniert, mit der unsagbaren Wut der Ginos, war eine absolut ungesunde Mischung. Ich stellte mich wütend, zwischen Raiko und den Oberstleutnant.

Mayer trat meinem am Boden liegenden Kameraden, jetzt mit den Füßen und verpasste ihm schwere Tritte in die inneren Organe. Einer gefährlicher als der andere. Etwas mit dem der Oberstleutnant ebenfalls nicht gerechnet hatte und noch nie passiert war, geschah. Er bekam das erste Mal in seinem Leben, von mir eine deftige Lektion verpasst, die er so schnell nicht vergessen würde. Bis jetzt war ich immer nur mit Worten dazwischen gegangen, aber diesmal war das Maß voll.

Ich begann mit schnellen Schlägen und Tritten, Mayer von Raiko wegzutreiben. Als er in einem genügend großen Abstand zu Raiko war, ließ ich ihn einfach stehen und ging zu meinem Kameraden. Der mir gerade helfen wollte und jetzt selber schwer verletzt am Boden lag. Der Oberstleutnant war in seiner Wut, nun ebenfalls nicht mehr kontrollierbar und konnte sich vor allem nicht mehr beherrschen. So, tat er etwas, was er lieber nicht hätte machen sollen. Er kam wieder auf mich zu, wollte mich und vor allem Raiko erneut schlagen. Er machte den Fehler und griff mich von hinten an. In der Verfassung in der ich gerade war, hätte er keinen größeren Fehler begehen können. Diesmal trieb ich den Oberstleutnant nicht nur mit leichten und vorsichtigen Schlägen von Raiko weg. Sondern ging mit gezielt und für Mayer verdammt schmerzhaften Schlägen und Tritten, gegen meine Vorgesetzten los.

Für Svoboda und Novak, war dies ein grausiges Bild, wie ich ohne einen Ton zu sagen, ohne ein Geräusch von mir zu geben, auf meinen Vorgesetzen einschlug. Nur die Geräusche der Schläge waren zu hören, die auf den Körper von Mayer trafen. Bis dieser am Boden lag, erst dann ließ ich von ihm ab und lief zurück zu Raiko.

Ich kümmerte mich erst einmal um ihn, das war wesentlich wichtiger. Raiko lag bewusstlos am Boden und konnte, also die Blutungen im Körper nicht stillen. Eine seiner gebrochenen Rippen, steckte in der Lunge. Ich sah mich nach Svoboda um und entdeckte ihn neben Cankat.

"Sir, ich brauche eine Möglichkeit Nummer 7 zu operieren, Sir. Er erstickt sonst an seinem Blut, Sir. Haben sie ein Skalpell oder ein Messer, Sir?", bat ich einfach, ohne die Erlaubnis zu sprechen, um Hilfe. Da dies, ein Notfall war.

"Komm", befahl Svoboda sofort.

Der Oberstleutnant hatte sich schon wieder aufgerappelt und kam erneut mit voller Wut auf uns zu. Schon wieder fing er an, auf mich einzuschlagen. Jetzt reichte es mir wirklich. Ich verlor die Geduld und aber auch die Kontrolle über mich. Zeigte dem Oberstleutnant einmal, wie es war, völlig wehrlos zusammen geschlagen zu werden. Gegen meine Kameraden und mich, war dieser alkoholsüchtige Möchtegernkämpfer, wehrlos. Er hatte stets nur das Glück, dass unser Respekt vor einem Vorgesetzten größer war, als unsere Wut. Diesmal erlebte der Oberstleutnant wie es ist, wenn diese Verhältnisse sich umkehren und die Wut größer wurde als der Respekt und die Achtung vor einem Vorgesetzten. Mayer, hatte der schnellen Folge meiner Schläge und deren Härte, nichts entgegen zu setzen. Wie eine Maschinengewehrsalve kamen die Schläge und Tritte im Sekundentakt. Mayer hatte keine Möglichkeit diesen Schlägen und Tritten auszuweichen, schon gar nicht diese abzufedern oder gar abzuwehren. Schläge und Tritte, die ihn diesmal schwer verletzten. Er hatte erreicht, was er wollte, ich war mit meiner Geduld am Ende. Seine Reflexe, die durch den Alkoholkonsum gelähmt wurden, waren viel langsamer als die unsrigen. Dadurch konnte er keine Möglichkeit ergreifen, um sich zu verteidigen. Nach fünfundvierzig Sekunden lag er bewusstlos am Boden. Ich ließ ihn liegen, wo er lag, es war mir gelinde gesagt egal, ob er starb. Würde er sterben, hätten wir alle ein gelöstes Problem und eine Sorge weniger.

Ich lief Sina nach, die Raiko in der Zwischenzeit hochgehoben und in das Feldlazarett gebracht hatte. Sie war dem Oberst hinterhergelaufen, der in der Zwischenzeit einen Arzt verständigen ließ. In der Verbindung sagte mir Sina, wo ich hinkommen musste. Raiko ging es gar nicht gut. Er drohte an seinem eigenem Blut zu ersticken. Im Notlazarett angekommen, griff ich sofort nach dem dort vorhandenen Skalpell und versuchte meinem Kameraden das Leben zu retten. Dem Arzt der kurz nach mir in den Raum kam, um zu helfen, blieb vor Schreck fast das Herz stehen. Er wurde von Sina zurückgehalten, als er tschechisch sprechend, auf mich zukommen wollte. Dies wäre ihm nicht gut bekommen. Ich war immer noch wütend und vor allem auf Raiko konzentriert, hätte er mich berührt, hätte ich ihn ohne zu zögern getötet. Außerdem konnte ich ihn sowieso nicht verstehen und hatte völlig andere Sorgen. Es ging hier um Sekunden, die darüber entschieden, ob Raiko die Schläge des Oberstleutnants überlebte oder nicht. Acht tote Kameraden an einem Tag waren genug. Ich wollte nicht auch noch Raiko verlieren. Nicht wenn ich das verhindern konnte. Für lange Erklärungen hatte ich keine Zeit und auch nicht die Nerven. Außerdem hatte ich keinen Dolmetscher zur Hand, der hätte übersetzen können. Svoboda, der jetzt ebenfalls im Raum war, sprach beruhigend auf den Arzt ein. Nach dreißig Sekunden, hatte ich die Arterie gefunden, die kaputt gegangen war und sah mich im Raum um. Leider fand ich nichts, was ich kannte und was ich bei uns verwenden konnte. Deshalb wandte ich mich an den Oberst.

"Sir rauchen sie?", wollte ich wissen. Svoboda nickte verwirrt. "Feuer? Schachtel", lauteten meine nächsten Befehle, in einem sehr harschen Ton.

Automatisch griff Svoboda in seine Hosentasche und warf mir das Feuerzeug und eine Schachtel F6 zu. Ich ging an den Medikamentenschrank, holte mir, einer der Flaschen mit reinem Alkohol. In dem ich einen Trichter, aus dem Silberpapier der Zigarettenschachtel drehte, schüttete ich den Alkohol punktgenau auf die kaputte Arterie und versiegelte diese nach und nach, auf diese Weise provisorisch. Fünf Versuche brauchte ich, bis das Blut aufhörte, in Raikos Körper zu fließen. Dann schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf meine Hände. Diese begannen zu glühen und mit Hilfe dieser heilenden Energie, versiegelte ich die kaputte Arterie ganz. Stellte sie wieder so her, wie sie einmal war. Im Anschluss verschloss ich noch die Wunde ebenfalls nur provisorisch und verband Raiko.

"Sir, sorgen sie dafür das Nummer 7, so wenig wie möglich bewegt wird, Sir. Ich muss ihn in der Schule nachoperieren, Sir."

Über den Oberst, wies der Arzt die Einlieferung von Raiko in eine Klinik an, was mir einer der Dolmetscher meines Teams übersetzte. Ich hatte keine Nerven mehr für lange Diskussionen, ich wollte nur noch nach Hause und im Flieger etwas schlafen. Ich war am Ende meiner Geduld und meine Kraft und konnte einfach nichts mehr wegstecken. Mühsam und um einen einigermaßen anständigen Ton bemüht, bat ich den Oberst, der sich uns gegenüber sehr korrekt verhalten hatte, um Verständnis und Hilfe.

"Genosse Svoboda, in einem Krankenhaus, würde man Nummer 7 nur umbringen. Wir sind anders als sie und normale Menschen, Sir. Nur in der Schule kann er ordentlich versorgt werden, Sir. Er ist stabil. Organisieren sie einfach den Abflug meiner Kameraden, Sir. Ich denke der Oberstleutnant, wird dazu heute nicht mehr in der Lage sein, Sir. Ich habe ihn glaube ich, schwer verletzt, Sir. Tut mir leid, das wollte ich nicht, Sir. Bitte ich möchte meine Freunde erst noch verbinden und versorgen, Sir. Sorgen sie dafür, dass alle herkommen, Sir", völlig fertig sah ich ihn an. "Wenn ich mit meinen Freunden fertig bin, sollten sie mir auch Oberstleutnant Mayer zur Untersuchung bringen, Sir. Es wäre aber gut, wenn sie jemanden zur Bewachung mitschicken, Sir. Dieser ist außer Kontrolle, ich glaube der hatte sein Limit heute schon weit überschritten, Sir. Damit er nicht wieder durchdreht, Sir."

Svoboda gab entsprechende Anweisungen an seine Leute. So konnte ich wenigstens noch alle verbinden und die zum Teil schweren Verletzungen nähen. Den Rest musste dann der Doko in der Schule erledigen. Der Blick des immer noch anwesenden Arztes wurde immer entsetzter. Er unterhielt sich wütend mit Svoboda auf Tschechisch. Als einer der Dolmetscher es mir übersetzen wollte, bat ich sie um Ruhe. Ich musste mich auf meine Arbeit konzentrieren. Sinngemäß erklärten mir meine Freunde kurz, war er erbost darüber, dass ich keinen meiner Kämpfer betäubte. Dass ich alle notwendigen Operationen bei vollem Bewusstsein durchführte. Vor allem, konnte der Arzt nicht begreifen, dass keines der Kinder ein Ton sagte. Er bezeichnete mich, so meinen Dolmetschern zu folge, nicht nur einmal, als einen Barbaren. Was immer er damit ausdrücken wollte. Zum Schluss, brachte man mir den Oberstleutnant. Immer noch halb bewusstlos, wurde er auf den OP-Tisch gelegt und begann, als er mich sah, schon wieder zu zedern. Ich machte kurzen Prozess mit Mayer und legte ihn schlafen. Bei ihm hätte ich sowieso eine Narkose machen müssen, denn er hätte sich sonst nicht operieren lassen. Durch das Schlafenlegen, war er komplett ausgeschaltet und ich konnte in Ruhe arbeiten. Auf diese Weise richtete ich die Schäden, die ich bei ihm verursacht hatte. Mayer hatte es richtig erwischt. Irgendwo tat er mir sogar leid. Als erstes richtete ich die kaputten Rippen, vier waren gebrochen, fünf angebrochen, dann den Jochbeinbruch. Noch einmal musste ich ihn schlafen legen, um auch noch den Bruch des Unterkiefers und der Hüfte zu richten. Nach einem dritten Schlafenlegen, war er, soweit das hier möglich war, wieder fit. Er würde nur einige Wochen brauchen, ehe alles verheilt war. Im Gegensatz zu uns, besaß er nicht die Möglichkeit der Selbstheilung, durch die wir in wenigen Stunden wieder auf den Beinen waren. Ich würde den Oberstleutnant, von dem anwesenden Arzt auf die Krankenstation bringen lassen. Dieser stand immer noch fassungslos neben Svoboda, er hatte meine Operationsmethoden beobachtet und war erstaunt wie schnell und exakt ich operiert hatte. Deshalb sah er mich jetzt nicht mehr so böse an. Ich wies den tschechischen Arzt, mit Hilfe Svobodas darauf hin, dass der Oberstleutnant Alkoholiker war. So dass er diesen entsprechend versorgt werden konnte. Svoboda der dies gar nicht mitbekommen hatte, denn Mayer verstand dies eigentlich gut zu verbergen, sah mich entgeistert an.

"Mädchen, wie der Oberstleutnant ist Alkoholiker?"

Ich ging nach dem ich mir einen Kolben und eine Kanüle aus dem Arzneischrank genommen hatte, nochmals auf den immer noch schlafenden Oberstleutnant zu und nahm ihm Blut ab. Den Kolben mit dem Blut drückte ich dem Arzt in die Hand.

"Sir, messen sie den Alkoholspiegel, des Patienten, Sir. Er hat mindestens 3,2 Promille im Blut, Sir. Sonst wäre er vorhin nicht so ausgeflippt, Sir. Er ist weit über seinem normalen Limit, Sir."

Svoboda übersetzte für mich das Gesagte, der Arzt nickte. Dann wollte er mich ärztlich versorgen. Ich schüttelte den Kopf und verband mich so gut es ging.

"Sir, unser Doko, in der Schule wird das machen, Sir. Wenn er her kommt, Sir. Sie würden mehr Schaden bei mir anrichten, als helfen, Sir. Der letzte Arzt der mich behandelt hat, hätte ich mich fast getötet, Sir. Seit dem lasse ich das nur noch den Doko machen, Sir. Das sind nur kleine Kratzer, es ist nichts Schlimmes, Sir."

Kopfschüttelnd hörte der Arzt, den Übersetzungen Svobodas zu. Mir war egal, was der Arzt dachte. Ich musste meine Leute nach Haus bringen, die mussten endlich zur Ruhe kommen.

"Sir, wann können meine Leute nach Hause fliegen, Sir. Meinen Leuten geht es nicht besonders gut, Sir? Einige von ihnen bekommen Fieber, Sir."

Svoboda sah mich irritiert an. "Mädchen, ihr fliegt in einer Stunde, das Flugzeug muss nur noch betankt werden. Wieso deine Leute, ihr fliegt doch alle oder?"

Ich schüttelte den Kopf. "Sir, ich denke ich sollte hier bleiben, Sir. Da ich meinen Vorgesetzten tätlich angegriffen habe, werden sie mich hier wohl festsetzen und vor ein Militärtribunal stellen, Sir."

Svoboda schüttelte fassungslos den Kopf. "Kleines, du hast nur dich und deinen Kameraden verteidigt. Mayer ist doch selber schuld, das was dieser Unmensch hier mit euch abgezogen hat, gehört in meinen Land, vor ein Kriegsgericht. Kein Offizier hat seine Untergeben so zu behandeln. Du fliegst mit deinen Kameraden nach Hause. Sag mal, was wird mit euren Toten? Wollt ihr die hier beisetzen oder mit nach Hause nehmen?"

Jetzt war es an mir fassungslos Svoboda anzustarren. Ich begriff nicht, dass ich nicht hier bleiben musste. Da ich fest damit rechnete, dass ich verhaftet wurde, sobald ich meine Kameraden versorgt hatte. Wieso interessierte er sich dafür, was aus meinen toten Freunden wurde. Ich verstand mit einem Schlag die Welt nicht mehr.

"Sir, es gibt bei uns ein unveränderbares Gesetz, Sir. Wenn irgend möglich, kommen wir alle nach Hause, Sir. Das haben wir uns geschworen, Sir. Meine Kameraden, kommen mit uns zurück in die Schule, sie schlafen dann unter unserem Baum, Sir."

Oberst Svoboda kam langsam auf mich zu, legte mir den Arm, um die Schulter.

"Kleines, komm mal zu mir und sieh mich mal an. Keiner auf dieser Welt, hat das Recht euch so zu behandeln. Ich werde dafür sorgen, dass dieser Unmensch, das nie wieder tut. Das verspreche ich dir."

Entsetzt blickte ich hoch zu Svoboda und schüttelte den Kopf. "Sir, bitte mischen sie sich da nicht ein, Sir. Dann wird es für uns noch schlimmer, Sir. Wir kommen schon klar, wir sind an so eine Behandlung, durch den Oberstleutnant gewöhnt, Sir. Wenn sie sich da einmischen, machen sie die Strafe die uns erwartet, weil wir versagt haben, nur noch schlimmer, Sir. Der Doko in der Schule, hat das auch lernen müssen, Sir. Er musste uns hinterher, immer wieder zusammenflicken, Sir. Bitte tun sie mir einen Gefallen und mischen sie sich nicht in unsere Angelegenheiten, Sir. Mit der Bestrafung, die wir bekommen können wir leben, Sir. Bitte Sir, geben sie meinen Kameraden und mir etwas zu trinken, wir haben alle schlimmen Durst, Sir. Der Kampf war der Horror und wir haben alle seit vier Tagen kein Wasser mehr getrunken, Sir", bat ich einfach, um etwas zu trinken.

Wir waren alle völlig erschöpft und viele meiner Freunde bekamen auf einmal hohes Fieber. Sie mussten unbedingt etwas trinken. Ich verstand nur nicht, woher diese hohe Temperatur auf einmal kam. Hoffentlich wurde das Fieber nicht noch schlimmer.

"Wie ihr habt seit vier Tagen nichts getrunken?", entsetzt sah mich Svoboda an. "Komm", befahl er sofort.

Der Oberst lief vor mir her, zu einem großen Versorgungszelt und befahl den darin befindlichen Soldaten, sofort Wasserflaschen an meine Kameraden zu verteilen.

"Kleines, was wollt ihr Essen?", wollte er noch besorgt wissen.

"Sir, die Sachen die sie essen, sind für uns ungeeignet, Sir. Wir bekommen Spezialnahrung in der Schule, Sir. Der Hunger ist nicht so schlimm, viel schlimmer ist der Durst, Sir. Das Wasser unterwegs war nicht trinkbar, Sir. Das Wasser was wir fanden, enthielt Zusatzstoffe, die für uns nicht gut sind, Sir. Ich hab noch eine Bitte, Sir. Sorgen sie dafür, dass die Leute von der Gruppe Drova, eine ordentliche Beerdigung bekommen, Sir. Die Menschen dort hatten es sich nicht verdient, so zu sterben, Sir. Darf ich dann zu meinen Leuten, Sir? Ich muss mich um sie kümmern, den meisten geht es gerade nicht so gut, Sir."

Svoboda starrte mich wie ein Alien an, weil ich mich um die Beerdigung der Drova Gruppe sorgte. Dann huschte ein Lächeln über sein müdes Gesicht und er nickte mir aufmunternd zu.

"Ich kümmere mich darum, das verspreche ich dir. Geh zu deinen Kameraden", befahl er mir.

Dankbar sah ich ihn an, nickte Svoboda kurz. Im Anschluss machte eine zackige Drehung und lief auf meine Leute zu. Rashida reichte mir sofort eine Flasche Wasser und sah mich besorgt an. Gierig stürzte ich das Wasser herunter. Eine dreiviertel Stunde später, kam Svoboda mit Novak zusammen, auf uns zu.

"Kleine, ich möchte dir und deinen Leuten danken. Der Genosse Novak hat mir gerade einiges von dem erzählt, was du versucht hast, um diesen Wahnsinn zu vermeiden. Du bist unglaublich. Könnte ich euch kurz sprechen?"

"Sir, jawohl, Sir", antwortete ich sofort "Achtung", gab ich den Befehl, sich in eine Reih und Glied aufzustellen.

Zwei Minuten später, standen wir alle ordentlich in Reih und Glied. Alle, außer Raiko, der immer noch bewusstlos auf der Trage lag. Er atmet gleichmäßig und tief, also musste ich mir keine großen Sorgen um ihn machen, er war im Heilschlaf. Sollte er sich nur in Ruhe erholen, er hatte es sich verdient. Svoboda trat mit Novak zusammen vor die Gruppe und wusste gar nicht wie er sich uns ansprechen sollte. Immer noch hatte er mit unseren Zahlen, als Namen, Probleme.

"Ich möchte euch, für das, was ihr getan habt danken. Genosse Novak hat mir im Groben erzählt, was bei diesem Einsatz passiert ist. Kinder, dass was ihr dort geleistet habt, war einfach unglaublich. Das was passiert ist, solltet ihr alle wissen, ist nicht eure Schuld. Ihr habt gerettet, was zu retten war. Die sechs Überlebenden, sind in der Uniklinik gut versorgt. Sie werden alle sechs, danke euch, überleben und scheinen auch keine bleibenden Schäden zurück zu behalten. Das acht eurer Kameraden ihr Leben lassen mussten, tut mir in der Seele weh. Aber ihr habt, glaube ich, allen meinen Männern hier das Leben gerettet. Dafür möchte ich euch danken. Ich wünsche euch, einen guten Heimflug. Passt gut auf euch auf."

Damit salutieren Svoboda und Novak vor uns. Zollten uns, denjenigen die sonst nur mit den Füßen getreten wurden, ihren Respekt.

"Bitte steigt in die Busse, wir haben diesmal drei, damit ihr wenigstens alle bequem sitzen könnt. Die Fahrer bringen euch auf den Flugplatz. Dort steht schon eure Maschine bereit. Also alles Gute."

Bei den letzten Worten kamen Svoboda und Novak auf uns zu und gaben jeden von uns die Hand. Verabschieden sich von jeden einzelnen persönlich und bedankten sich durch ein persönliches Wort. Als diese fertig waren drehten wir uns um und marschierten zu den drei Bussen. Verwundert sahen wir uns an, als wir feststellten, das auf jeden der Plätze stand eine große Flasche Wasser stand. Raiko wurde in einen extra angeforderten Krankenwagen gelegt und so schonend, zum Flughafen gefahren. Unsere acht toten Kameraden, fuhren auf einen LKW hinter uns her. Eine halbe Stunde später, erreichten wir auf das Rollfeld und konnten endlich nach Hause. Endlich war dieser Horroreinsatz vorbei.

Kapitel 2

Wir waren noch nicht einmal richtig in den Flieger gestiegen, da informierte Oberst Svoboda die Projektleitung schon davon, dass alle Mitglieder des Teams Hundert in einem schlechten gesundheitlichen, sowie psychischen Zustand wären und dringend medizinische Versorgen benötigten. Ebenfalls wurde darum gebeten, den in Abwesenheit Mayers zuständige Leiter des Projektes, Doktor Jacob davon in Kenntnis gesetzt, das Oberstleutnant Mayer für mindestens ein halbes Jahr ausfallen würde. Da dieser nicht nur seine Verletzungen auskurieren musste, sondern zusätzlich, von dem zuständigen tschechischen Stabsarzt, dazu gezwungen würde eine Entziehungskur zu mache. Ob Oberstleutnant Mayer danach noch in der Lage sein wäre das Projekt zu leiten, bliebe bis aufs weitere fraglich. Dies wäre nach Auskunft des Stabsarztes davon abhängen, wie Mayer sich psychisch stabilisieren konnte. Im seinem jetzigen Zustand, stelle er für sich und seine Umwelt eine Gefahr dar. Mayer wäre eine tickende Zeitbombe.

Der diensthabende Stabsarzt, stellte bei der Untersuchung des Blutes fest, das Mayer einen Alkoholspiegel, von sage und schreibe, 4,2 Promille hatte. Dies würde seine Taten aber nicht entschuldigen. Der Arzt teilte der Projektleitung mit, dass Mayer im Zustand völliger Trunkenheit, einen seine Untergebenen ohne jeglichen Grund zusammengeschlagen hatte. Das nur dem beherzten Eingreifen des Teamleiters, des "Teams Hundert" zu verdanken war, dass es bei diesem Einsatz nicht noch einen zusätzlichen Toden gab.

Desweiteren informierte Svoboda die zuständige Projektleitung, nämlich Hunsinger, davon, dass acht der Kinder bei diesem furchtbaren Einsatz, ihr Leben verloren hatten und das an dem Tod der Kämpfer, der kommandierende Offizier eine große Mitschuld tragen würde. Mayer habe das "Team Hundert" unter einen enormen Zeitdruck gesetzt und mit rigorosen Bestrafungen gedroht, wenn Nummer 98 diesen Zeitplan nicht einhalten würde. Svoboda immer noch wütend und fassungslos über das Erlebte, bat deshalb darum, den Kindern moralischen Beistand zu geben. Informierte die Projektleitung auch darüber, dass er mit dem zuständigen Schularzt und dem stellvertretenden Projektleiter, Kontakt aufnehmen würde.

Der tschechische Oberst war der Meinung, dass die Kinder mit dem Tod der Gruppe Drova und dem Tod ihrer Kameraden nicht klar kamen. Svoboda, der ein sehr langes und intensives Gespräch mit Hunsinger führte, wurde nicht nur einmal sehr unfreundlich und direkt. Er versuchte alles, um den verantwortlichen Projektleiter wachzurütteln, was sich als sehr schwierig herausstellte. Hunsinger fielen immer neue Ausflüchte ein, weshalb Mayers Verhalten korrekt wäre. Svoboda berichtete dem deutschen Kollegen, auf welche unmenschliche Art und Weise Mayer mit den ihm anvertrauten Schützlingen umgegangen war. Erst als der Tscheche, der Leiter eines Spezialkommandos war, richtig böse am Telefon wurde und mit rechtlichen Konsequenzen drohte, lenkte Hunsinger etwas ein, um den Oberst zu beschwichtigen. Um Beruhigend auf den tschechischen Kollegen einzuwirken, versprach Hunsinger sich darum zu kümmern. Verwies Svoboda allerdings im gleichen Atemzug an Jacob, den zuständigen Schularzt, der sich eigentlich um diese Probleme kümmern sollte, da er der Chefarzt dieses Projekts und damit für diese Kreaturen die Verantwortung tragen würde. Er könnte sich schließlich, auf Grund der Entfernung, nicht um jede Bagatelle kümmern und müsste Verantwortung abgeben.

Kaum dass Svoboda das Gespräch mit Hunsinger beendet hatte, rief dieser beim Chefarzt des Projektes an und unterhielt sich mit Jacob über zweieinhalb Stunden sehr ausführlich, über dieses menschenverachtende Projekt. Am Anfang des Gespräches, war der Oberst sehr ungehalten und wies dem dort stationierten Arzt, alle Schuld an diesen unwürdigen Behandlungen zu. Da ihn Hunsinger davon informiert hatte, dass der Chefarzt diese zulassen würde. Dass es im Aufgabenbereichs des Chefarztes läge, die Sicherstellung des gesunden Aufwachsens der Kinder zu übernehmen hätte. Im Laufe des Gespräches begriff Svoboda immer mehr, dass Jacob alles für das Wohl seiner Kinder tat, oft sogar mehr als in seiner Macht stand. Dass dem Arzt auf Grund der Handlungsweise von Mayer und Hunsinger, die Hände gebunden waren. Daraufhin entließ Svoboda den engagierten Arzt aus seiner Verantwortung und bat ihm, alles in seiner Kraft stehende zu tun, um diesen armen Kindern zu helfen. Sie hätten in den Augen des Obersts genug gelitten. Auch unterrichtete Svoboda den Arzt darüber, dass Mayer ein akutes Alkoholproblem hatte. Damit berichtete er Jacob nichts neues, dies hatte der Arzt der Projektleitung schon mehr als einmal, persönlich, telefonisch und sogar schriftlich mitgeteilt. Nur wurde der Projektarzt, ständig ignoriert.

Nach diesem Gespräch mit Jacob, führte der tschechische Offizier nochmals ein intensives Gespräch mit Hunsinger, in dem er diesen ordentlich die Meinung sagte. Wies diesen darauf hin, dass er ab sofort das Leben der Kinder auf das Genaueste beobachten würde. Sollte er nochmals mitbekommen, dass man die Kinder auf diese Weise misshandelt oder sogar foltert, würde er über seine Regierung gegen Hunsinger und die seiner Verantwortung unterstehenden Mitarbeiter vorgehen. Dass alleine die Züchtung dieser Kinder schon Grund genug wäre, um ihn und seines Gleichen, vor ein Militärgericht zu stellen. Er sollte wenigstens dafür Sorge tragen, dass seine Mitarbeiter die Kinder, wie Menschen behandeln.

Verdammt böse war Svoboda am Telefon geworden und zum Schluss sogar richtig laut, etwas das seine Mitarbeiter von ihrem Chef gar nicht kannten. Er konnte mit der Ignoranz dieses deutschen Offiziers nicht umgehen. Wutentbrannt schmiss Svoboda, zum Schluss des Gespräches den Hörer auf die Gabel. Er konnte einfach nicht glauben, was dieser Hunsinger für ein Mensch war.

Allerdings musste er dieses Problem erst einmal zur Seite schieben, und durchatmen. Er hatte genug eigene Probleme und musste sich erst einmal um seine Mitarbeiter kümmern. Svoboda bekam kurz nach Abflug des Teams Hundert und während seines Gespräches mit Hunsinger, vom seinem Räumungskommando in Polen, einen ungewohnten Hilferuf. Deshalb begab sich Svoboda mit seiner Einheit, zu dem Einsatzort des Teams Hundert. Als er am Einsatzort ankam, war er bestürzt und brauchte lange Zeit ehe er seine Fassung wieder fand.

 

 

 

 

Svoboda stand auf der Lichtung und dachte, er wäre in einem Alp gefangen. Was er dort sah, was er dort vorfand, ließ ihm an seinem Verstand zweifeln. Alles hatte er erwartet, aber nicht diesen Horror.

Die Teamleiterin der Hundert, hatte ihm zwar gesagt, dass es bei diesem Einsatz sechstausendzweihundertzwölf Tode gab und er hatte dies auch mit Entsetzen registriert, aber dies war nur eine Zahl. Auch hatte der Oberst am Funk sehr wohl verstanden, dass die Kleine ihm sagte, dass ihr Team den Einsatzort beräumt hätten. Aber dies waren nur Informationen aus der Ferne. Es war eine unvorstellbar große Zahl, dies war ihm klar, aber diese vielen toten Menschen erblicken zu müssen, war ein Schock. Ein unvorstellbarer Schock.

Svoboda raufte sich verzweifelt die Haare und starrte wie betäubt auf die Lichtung. Wie in Gottes Namen, sollten die Kinder damit klar kommen? Fragte sich Svoboda ernsthaft. Wenn ihm beim Anblick dessen, was er hier sah, das Gefühl erfasste, wahnsinnig zu werden. Dem Oberst wurde schlecht. Er drehte sich um und ging zu dem nächsten Baum, um sich zu übergeben. Rutschte danach einfach am Baum nach herunter und fing hemmungslos an zu weinen. Seinen Kollegen vom Räumungskommando, dass er nach Polen geschickt hatte, erging es nicht anders. Diese eigentlich hart gesottenen Männer, waren schon seit Stunden hier und saßen genauso wie er, halb betäubt und weinend am Waldrand. Die Leute waren zu nichts mehr in der Lage. Sie konnten die Lichtung einfach nicht betreten. Es war ein grauenvolles Bild, was Svoboda darbot.

Ordentlich in einen Block zu je fünfhundert Leichen, lagen die Toten aufgebahrt. Als ihm das kleine Mädchen sagte, man habe die Toden aufgebahrt, keine Ahnung, was er sich darunter vorgestellt hatte. Jedenfalls nicht das, was er hier erblickte. Die zum Teil schwer verstümmelten Leichen, lagen alle mit dem Gesicht zum Himmel und auf den Rücken. Die abgetrennten Gliedmaßen, wurden dort hingelegt, wo sie hingehörten. Also zu dem jeweiligen Toten. Die Kinder mussten Stunden dazu gebraucht haben, um diese zuzuordnen. Jetzt erst wurde dem Offizier klar, wieso der Genosse Novak sagte, er konnte ab einen bestimmten Zeitpunkt, einfach nicht mehr helfen. Er war nicht dazu fähig gewesen, das zu tun, was diese Kinder taten. Diese Lichtung war jetzt kein Schlachtfeld mehr, sondern ein riesiger Friedhof, in dessen Mitte sich einem Moor aus Blut und Schlamm befand.

Nach über einer Stunde, solange brauchte Svoboda, um wieder zu sich selber zu finden, zwang sich dieser wieder aufzustehen. Er ging zu den völlig unter Schock stehenden Genossen des Räumungstrupps und sprach leise und beruhigend auf diese ein. Bat sie ebenfalls aufzustehen und dieses Horrorszenarium zu verlassen. Sie sollten sich ein Stück von der Lichtung entfernen. Auf diese Weise sorgte Svoboda dafür, dass sie diesen Anblick nicht mehr sehen mussten. Die Männer waren wie gelähmt. Sie brauchten etwas Ruhe und Luft zum Atmen. Ohne Erbarmen scheuchte er seine Männer auf und zwang sie dazu, die Lichtung zu verlassen, egal wie schlecht es ihnen ging. Sie brauchten, genau wie der Oberst, einen gewissen Abstand zu diesem Ort. Als sich alle etwas beruhigt hatten, setzte er sich ebenfalls zu ihnen, an den Weg, der zum Rand des Waldes führte.

Vierzig erwachsene Männer saßen, völlig am Boden zerstört, da und waren das erste Mal völlig überfordert. Sie waren in ihrem schlimmsten Alp gefangen. Svoboda war das erste Mal in seinem Leben ratlos, wusste einfach nicht, was er machen sollte. Grübelnd, den Kopf auf die Knie gelegt saß er da, suchte krampfhaft nach einer Lösung, für dieses Problem. Er konnte sich nicht vorstellen, mit diesen Leuten die gesamte Lichtung zu beräumen, das würde Tage dauern. Nach fast einer Stunde erhob sich Svoboda und orderte über Funk Leichensäcke, um die Toten überhaupt abzutransportieren zu können. Er forderte über Funk außerdem zusätzliche Hilfskräfte, vom Katastrophenschutz, vor allem aber Seelsorger an. Denn alle hier auf der Lichtung tätigen, würden nach diesem Tag einen seelischen Beistand brauchen.

Je schneller man hier fertig war mit Aufräumen, umso schneller war dieser Horror beendet. Nach drei Stunden kamen vierhundert Hilfskräfte, vom tschechischen aber auch polnischen Katastrophenschutz, die beim Beräumen der Lichtung helfen würden. Vor dem Betreten der Lichtung wurde jeder einzelne von Svoboda auf das vorbereitet, was ihnen bevorstand. Auch die zwanzig Seelsorger hatte Oberst Svoboda genauestens instruiert und verlangte, dass sie mit auf die Lichtung kamen, damit sie begriffen, warum sie den Menschen helfen mussten, mit diesem Irrsinn klarzukommen.

Nach drei Stunden war der Alp vor Ort vorbei. Die Leichen waren aufgeladen und konnten so wie es 98 erbeten hatte, ein ordentliches Begräbnis bekommen. Immer wieder waren viele der Männer zusammengeklappt und trotzdem hatten sie es irgendwie geschafft, diese grauenvolle Arbeit zu Ende zu bringen. Svoboda der die gesamte Zeit mit angefasst hatte, fragte sich ernsthaft, wie die Kinder damit klar kommen sollten und konnte. Er hörte in seiner Erinnerung, ständig die müde klingende und fast verzweifelte Stimme, als ihm 98 erklärte. "Sir, bitte wir wollen hier nur noch weg, bitte Sir. Es macht uns nichts aus zurück zulaufen. Die Bewegung tut uns gut, Sir." Jetzt konnte er sich vorstellen, wieso diese Kinder lieber fast fünfhundert Kilometer zu Fuß gelaufen waren, als hier auf Abholung zu warten. Seit fast einer Stunde waren die Männer des Räumungskommandos fertig und schon lange auf dem Weg nach Hause, um sich von diesem Alp zu erholen.

Svoboda hatte allen Männern für eine Woche frei gegeben, damit sie sich erst einmal wieder fangen konnten. Der Oberst allerdings, stand immer noch auf der Lichtung und konnte sich nicht entschließen zu gehen. Er musste erst einmal mit seinen Gedanken ins Reine kommen. Svoboda sah nicht besser aus als die Kinder, als sie in der Einsatzzentrale ankamen. Blutverschmiert, dreckig und mit tiefen Augenringen. Müde rieb er sich das Gesicht und drehte sich um. Sich jeden Schritt mühsam erkämpfend, ging er schwankend auf das wartende Einsatzfahrzeug zu und ließ sich wortlos auf den Sitz fallen. Auch der Fahrer, der ebenfalls bei der Beräumen der Lichtung geholfen hatte, sagte kein Wort. Stillschweigend verging die Fahrt zum Hubschrauber, der den Tschechen nach Hause flog. Svoboda konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Er war physisch wie auch psychisch an seiner Leistungsgrenze angekommen. In Prag auf den Flugplatz erwartete ihn Marek und fuhr ihm in die Einsatzzentrale. Als Marek sich mit ihm unterhalten wollte, wie er es sonst immer machte, schüttelte Svoboda nur mit dem Kopf. Er konnte und wollte mit niemanden reden, er war dazu einfach nicht mehr in der Lage.

Im Stützpunkt angekommen, ging er wie alle anderen, erst einmal duschen. Fast eine Stunde ließ er das heiße Wasser über sich laufen. Ihm kam beim Duschen plötzlich der Gedanke, was er selber für ein Verbrechen an den Kindern begangen hatte. Er schämte sich für sein gedankenloses Verhalten, da er nicht einmal für heißes Wasser gesorgt hatte. Obwohl er durch das Aufbauen der provisorischen Duschanlage, nur erreichen wollte, dass alle gleichzeitig unter die Dusche konnten. Es war ein sehr warmer Tag und er dachte, es wäre deshalb eine sehr gute Lösung. Ihm wurde jetzt erst richtig bewusst, dass es eine Fehlentscheidung war. Nach fast einer Stunde unter dem heißen, fast kochenden Wasser, hatte Svoboda immer noch das Gefühl dreckig zu sein und nach dem Tod zu stinken. Wie mochten sich da wohl die Kinder gefühlt haben? Die nicht nur das Blut der Toten, sondern auch das des Kampfes an sich hatten.

Immer verzweifelter rieb sich der Oberst das Gesicht, ihm war schlecht, jeder Knochen im Körper tat ihm weh und er hatte das Gefühl, dass sein Kopf gleich platzen würde. Mühsam schleppte er sich zu einen der Betten und fiel genauso müde, wie seine Männer hinein. Wie alle die beim Beräumen der Blutlichtung, wie Svoboda diese getauft hatte, halfen, war auch er zu nichts mehr zu gebrauchen. Die Männer sanken in einen Schlaf, der keinerlei Erholung brachte. Denn mit dem Schlaf, kam der Alp zurück. Indem er wieder auf dieser Lichtung stand und die ganzen Toten sah. Dazwischen standen allerdings diesmal die Kinder, mit ihren ausdruckslosen und blutverschmierten Gesichtern, die völlig gebrochen waren. Am darauffolgenden Morgen, wachte Svoboda wie zerschlagen auf. Er bedankte sich bei seinen Männern, für ihren Einsatz und bat die Techniker die provisorische Einsatzzentrale abzubauen. Auch seine auf der Blutlichtung anwesenden Männer, bekamen eine Woche frei. Seine Männer wie auch er selber, waren nicht mehr Einsatzfähig.

Im Anschluss fuhr Svoboda nach Hause zu seiner Familie und zu seinen Kindern. Dort angekommen, ging Svoboda wortlos ins Bett und weinte sich alles von der Seele. Seine Frau und seine Kinder, waren erschrocken. So etwas hatten sie noch nie von ihm erlebt. Erst nach drei Tagen war der Oberst wieder in der Lage, normal zu denken. An diesem Abend sprach er das erste Mal über seine Erlebnisse mit diesen fremdartigen Kindern und das, was er erlebt in den letzten Tagen erlebt hatte, mit seiner Frau. Diese begriff sehr schnell, dass Svoboda diese Kinder mit den seinen auf eine Stufe stellte. Das ihm dieser Einsatz, deshalb so fertig machte. Das Gespräch tat Svoboda gut und es half ihm etwas dabei, diesen Alptraum zu verarbeiten. Es würde allerdings noch Wochen dauern, bis er mit diesem Einsatz klar kam. Auch führte das Gespräch mit seiner Frau, zu einem Entschluss, den er fassen musste, um mit diesem Einsatz abschließen zu können. Svoboda musste in dieses Projekt fahren, um nach den Kindern zu sehen, vorher würde er keine Ruhe mehr finden. Seine Frau bestärkte ihn darin, diesen Entschluss schnellstmöglich, umzusetzen.

Deshalb rief Svoboda, einer Woche nach diesem schlimmen Einsatz, nochmals im Projekt Dalinow an, um mit Jacob einen Besuchstermin auszumachen. Was er da erfuhr, bestätigte seine ärgsten Ängste. Er vereinbarte mit Jacob, dass dieser ihm Bescheid gab, wenn es den Kindern wieder besser ging und er diese endlich besuchen konnte.

Der Oberst hatte in seinen fast achtzehn Dienstjahren schon viele schlimme Dinge erlebt und tun müssen, vor allem aber, schon viele schlimme Dinge gesehen. Dieser Einsatz hatte das Maß des Ertragbaren überschritten. Der Oberst musste sich unbedingt selbst davon überzeugen, dass es den Kindern gut ging. Vor allem wollte er dafür sorgen, dass diese ordentlich psychologisch betreut wurden. Diese Sache ließ ihm einfach keine Ruhe.

  

Kaum dass die Busse in Prag auf dem Flugplatz angekommen waren, stiegen vierundsiebzig Kinder aus den Bussen. Sechsunddreißig von ihnen, liefen zu dem Krankenwagen und dem LKW, die den Bussen gefolgt waren. Immer vier der Kinder nahmen sich eine Trage und brachten sie in die Maschine. Die acht Tragen, mit den toten Kameraden, wurden in der ersten Klasse, unmittelbar hinter dem Cockpit, auf den Sitzreihen abgelegt. Die Trage mit Raiko jedoch stellten die Kinder in den Gang, dort wo Lyn ihren Platz hatte. Lyn selber setzte sich so, dass sie Raiko beobachten konnte, der immer noch in tiefer Bewusstlosigkeit lag. Die anderen Mitglieder des Teams Hundert, rollten sich bereits auf ihren Sitzen zusammen. Es war ein eisiges Schweigen in der Kabine, das richtig weh tat. Der Copilot, der von der Zentrale davon informiert wurde war, dass es den Kindern nach diesem Einsatz, nicht sehr gut ging, wurde gebeten ab und zu nach den Kindern zu schauen. Allerdings bekam er auf seine Fragen keinerlei Reaktion und zog sich deshalb, wieder ins Cockpit zurück. Knappe zweieinhalb Stunden später, landete die Tupolew im "Projekt Dalinow".

Dort wurden die Kinder schon voller Sorge von Fritz und Anna Jacob erwartet. Die beiden erschraken sichtlich. Oft sahen die Kinder nach einem Einsatz schlimm aus, allerdings hatten sie noch niemals so schlimm ausgesehen. Die acht toten Kameraden wurden mit den Multicars abgeholt und in die Kühlhalle gefahren. Alle anderen Mitglieder des Teams kamen erst einmal nach oben auf die 6/rot und wurden dort von Doko und Lyn, richtig ärztlich versorgt. Jacob musste wieder einmal eine heiße Diskussion mit Lyn führte, da diese sich selber kaum noch auf den Beinen halten konnte, aber ihre Kameraden selber versorgen wollte. Dieses Gespräch schaukelte sich so hoch, dass Lyn zum Schluss Jacob nur noch wütend anbrüllte. Jacob der diese Reaktion eigentlich hätte ahnen können, akzeptierte Lyns Entscheidung schließlich. Da sein kleines Mädchen in manchen Sachen einfach stur war.

"Doko, verdammt nochmal, hören sie auf mit mir zu diskutieren, Sir", daraufhin holte sie tief Luft und rieb sich müde das Gesicht, sie zwang dazu leise und ruhig zu sprechen. "Sir, in der Zeit, wo wir hier sinnlos diskutieren, hätten wir schon zwei meine Leute versorgen können, Sir. Bitte lassen sie uns anfangen, wir wollen alle nur ins Bett, Sir", sprach Lyn betont ruhig und mit sehr leiser Stimme.

Das leise und betont ruhige sprechen, war bei ihr kein gutes Zeichen. Da man ihr, wenn man sie gut kannte, genau dann ihre unsagbare Wut anmerkte. Also gab Jacob nach, Lyn hatte ja Recht. Jacob begriff, dass sie die Behandlungen selber machen wollte. Wahrscheinlicher war es sogar, dass sie es machen musste. Einfach, um sicher zu wissen, dass es allen den Umständen entsprechend gut ging. Sie hatte ja auch Recht, bei ihr gingen die Behandlungen einfach schneller. Jacob ließ deshalb zu, dass alle von Lyn versorgt wurden und Jacob bei der Behandlung, wieder einmal nur Handlanger spielen konnte. So wie es seit zwei Jahren immer war. Besorgt stellte Jacob fest, dass viele der Kinder bereits sehr hohes Fieber hatte und bei den Anderen ebenfalls Temperatur langsam stieg. Auf seine Frage nach dem warum?

Reagierte Lyn nur kurz und gereizt, mit den Worten. "Kein Wunder."

Mehr bekam Jacob, aus seinem Mädchen nicht heraus. So wie es immer war, kamen Lyns Verletzungen, als letztes an die Reihe. Auch Lyn hatte hohes Fieber. Sie reagierte, aber auf all seine Fragen sehr abweisend. So dass es Jacob aufgab, in sie einzudringen. Er hatte Angst, dass er sie in einen der Ginobusanfälle hineinmanövrierte und ließ es einfach auf sich beruhen. Alle ihre Kinder gingen, sobald ihre Behandlung abgeschlossen war, wortlos nach unten in ihr Zimmer. Dort erwartete Anna sie schon mit dem vorbereiten Brei. Die wenigsten der Kinder nahmen die Mahlzeit an, diejenigen die etwas aßen, ließen ungewohnter Weise über die Hälfte auf den Tellern. Fast alle verschwanden sofort und wortlos in ihren Betten und krochen in die äußerste Ecke. Niemand kam mehr an die Kinder heran.

Die Jacobs waren völlig verzweifelt und konnten sich nicht richtig erklären, was die Kinder so aus den Bahnen geworfen hatte. Sie wussten durch das Gespräch mit Svoboda, was bei dem Einsatz los war. Ja der Einsatz war hart, aber es war nichts geschehen, was die Kinder so schockiert haben könnte. Die Jacob verstanden einfach nicht, dass die Kinder damit nicht klar kamen. Diese hatten schon einige, solcher schlimmen Horroreinsätzen gehabt. Das alleine konnte es nicht gewesen sein, was ihnen solch ein Problem bereitete.

Viele Kinder auf der 6/blau fingen in der Nacht an zu schreien und krampften. Am nächsten Morgen hatten alle durch die Reihe weg hohes Fieber und krümmten sich vor Schmerzen in ihren Bett. Die Jacobs waren hilflos und wussten nicht, wie sie den Kindern helfen sollten. Sie versuchten mit kühlen Umschlägen, das Fieber zu senken. Nicht einmal die Medikamente, die Lyn mit den Jacobs zusammen, gegen das Fieber entwickelt hatte, halfen. Sie hatten Problem, dass zum Teil, lebensgefährlich hohe Fieber zu senken. Viele der im Projekt tätigen, opferten ihre Freizeit, um den kranken Kindern zu helfen. Sei es nur, indem sie ihnen kalte Umschläge auflegten oder die Lippen befeuchteten oder wenn denn möglich, ihnen vorsichtig Wasser einflößten. Einige Male stand es so schlimm, um die Kinder, dass man aufgeben wollte. Die Schreie, unten aus dem Kinderraum, waren im ganzen Projekt zu hören. Es war einfach nur schrecklich. Jacob verstand nicht, wieso die Kinder so schrien und bat in seiner Verzweiflung, Zolger darum ins Projekt zu kommen. Er brauchte dringend fachmännische Hilfe. Er war mit seiner Frau Anna alleine für die Pflege von vierundsiebzig schwer kranken Kindern zuständig. Auch wenn er Hilfe von Seiten der Mitarbeiter bekam, war das nicht zu schaffen. Er konnte nicht nebenbei, auch noch Ursachenforschung betreiben. Jacob war am Ende mit seinem Latein und wusste sich keinen Rat mehr.

Erschreckend stellte Zolger fest, das bei allen Kindern ein bis jetzt unbekanntes Enzym vorhanden war. Da dieses bis jetzt noch nie festgestellt wurde, war es demnach, viel zu hoch und konnte der Grund für das Fieber sein. Aber wo kam es plötzlich her? Außerdem wurde noch ein zweites Enzym, durch das Fieber aktiviert. Etwas, dass sich Zolger nicht erklären konnte. Eins stand innerhalb von wenigen Stunden fest, es gab nichts, dass sie für die Kinder tun konnten. Es blieb nur die Hoffnung, dass die Kinder es alleine schafften und das Fieber alleine in den Griff bekamen. Fast zwei Wochen gingen ins Land und brachten Jacob und seine Helfer an den Rand der Verzweiflung. Endlich schienen sich die Ersten, ein wenig von diesem schlimmen Einsatz zu erholen.

Wieder einmal standen die Jacobs vor dem Problem, dass keines von den Kindern mehr sprach. Alle zogen sich vollkommen in sich selbst zurück. Eine weitere Woche verging, in dem die Kinder nichts aßen. So als wenn sie alle beschlossen hätten zu sterben.

Drei Wochen nach diesem Einsatz, saß Jacob hinten bei Lyn. Sie war die Einzige, die immer noch nicht bei Bewusstsein war. Müde und ausgelaugt fühlte sich der Chefarzt. Er hatte seit Wochen kaum geschlafen. Zu seiner Erleichterung schrie Lyn seit gestern nicht mehr. Diese Schreie, die scheinbar von den Schmerzen der Kinder zeugten, waren in den letzten Tagen, kaum noch zum Aushalten. Es war unmenschlich und brachte die gesamte Belegschaft, an die Grenzen des Ertragbaren. Jetzt schienen alle Kinder in einem tiefen, wenn auch sehr unruhigen Schlaf gefallen zu sein: Denn sie atmeten alle, ruhiger und gleichmäßiger.

Lyns Atmung allerdings war ungleichmäßig, man konnte fast meinen röchelnd. Vor allem schien sie keine Ruhe zu finden. Rashida lag seit ihrer Rückkehr, von ihrer Freundin getrennt. Das hatte es noch nie gegeben. Sie hatte sich vollkommen von Lyn zurückgezogen. Die beiden Mädchen, die sonst unzertrennlich gewesen waren, hatten sich wie es schien entzweit. Jedes von ihnen, lag in seinem Bett. Jacob verstand die Welt nicht mehr. Rashida die munter war und zitternd im Bett lag, war nicht bereit mit ihm zu sprechen. Er wusste nicht mehr, was er machen sollte. Nur Rashida war immer in der Lage gewesen, Lyn zu beruhigen. Diese fand oft ohne Rashida, in keinen normalen Atemrhythmus. Was zum Teufel, war bei diesem verdammten Einsatz nur passiert?

"Lyn wach doch auf, meine Kleine. Bitte wache auf."

Jacob beugte sich über das Mädchen und streichelte ihr ganz lieb die Wange. Kurzentschlossen legte er sich auf das Bett und zog sich das röchelnde Mädchen einfach in seine Arme. So wie er es immer von Rashida gesehen hatte. Für Jacob war es die letzte Hoffnung Lyn etwas zu helfen. Es schien zu wirken. Die Wärme die von Jacob ausging, schien seinem Mädchen zu helfen. Ihr röchelnder Atem wurde ruhiger und der Atemrhythmus gleichmäßiger. Sie schien endlich zu schlafen können. Das erste Mal seit Wochen, schien sie ruhig zu schlafen.

Anna kam gerade wieder nach unten in den Raum. Jacob hatte sie ins Bett geschickt und sah sich suchend nach Jacob um. Als sie ihn sah, lief nach hinten zu Lyns Bett. Flüsternd bat Jacob zu seiner Frau. "Anna, versuche mal Rashida in den Arm zu nehmen, vielleicht hilft das bei ihr auch. Sieh mal, Lyn schläft auf einmal, ganz ruhig."

Anna lächelte erleichtert, als sie Lyn beobachtete. Ohne lange zu überlegen, ging sie zu der am ganzen Körper zitternden Freundin Lyns und legte sich einfach dazu. Anna legte sich vor das, um so vieles größere Mädchen und legte sich einfach in ihre Arme. Als wenn Annas ruhiger Atem half, wurde Rashidas Atmung, um vieles besser und gleichmäßiger. Sie atmete nicht mehr so gehetzt. Es half also auch Rashida und sie fiel endlich in einen ruhigen und vor allem erholsamen Schlaf. Die Jacobs hatten endlich ein Medikament gefunden, das gegen das Fieber und das seelische Leiden der Kinder half. Das preiswerteste und doch schönste Medikament, das man kranken Kindern geben konnte. Die körperliche Nähe von Menschen die sie liebten. Nach einer Stunde versuchte Jacob aufzustehen, da Lyn fest schlief. Sobald sie alleine lag, kam Lyn wieder aus dem Rhythmus. Anna jedoch, konnte Rashida alleine lassen. Deshalb stand sie auf und ging zu Erja, dem nächsten Mädchen der Gruppe. Schnell bemerkten die anderen Helfer, dass nur das in den Arm nehmen der Kinder mehr half, als alle Umschläge und alles Gerede. So fanden sich viele Helfer, die den Kindern in einem genesenden Schlaf halfen. Endlich war in dem Raum etwas Friede eingekehrt. Die meisten der Kinder fanden in einen ruhigeren Schlaf. Nur Lyn nicht. Sobald sie alleine war, verlor sie sofort wieder ihren Rhythmus. Lyn schien nicht in der Lage zu sein, diesen alleine zu halten. Also wechselten sich alle Helfer ab und jeder legte sich einige Stunden zu Lyn. Zwei Tage später, wachte auch Lyn auf. Sie lag in den Armen von Anna und drehte ihr den Kopf zu.

"Dika Anna, Rashida?", war ihre erste Frage, die diese mehr hauchte, als sprach.

"In ihrem Bett", tröstete sie Anna. "Deine Freundin schläft, mach dir keine Sorgen."

Lyn versucht aufzustehen. Sie war durch das Fieber viel zu geschwächt, sie schaffte es einfach nicht. Stöhnend ließ sie sich zurück auf die Liege fallen. Ihr fehlte die Kraft zum Aufstehen. Anna rief nach ihrem Mann, denn sie konnte Lyn nicht helfen.

"Fritz, komm helfe mir bitte mal."

Jacob der gerade vorn bei Nummer 16 war, die immer noch hohes Fieber hatte, kam nach hinten geeilt.

"Was ist Engelchen?", da erst sah er, dass Lyn munter war. "Oh mein Gott. Mein kleines Mädchen, endlich bis du wieder aufgewacht. Wie geht es dir?"

Jacob setzte sich zu Lyn und streichelte ihr ganz lieb das Gesicht. Lyn wollte nur zu ihrer Rashida. Sie wollte wissen, wie es ihr ging. Da sie wie alle anderen Kinder, die Verbindung zu ihren Freunden abgebrochen hatte. Ihre Freundin nicht mehr zu spüren, ließ das kleine Mädchen völlig verrückt werden. Diese innere Unruhe wurde deshalb noch schlimmer. Lyn konnte nicht anders, sie musste die Verbindung zu ihren Freunden schließen, da diese sonst all ihre Schmerzen abbekommen hätten. Die Schmerzen waren auch der Grund, weshalb Lyn so lange ohne Bewusstsein geblieben war. Was die Jacobs und ihre Helfer nämlich nicht ahnten, war die Tatsache, dass die Kinder nur dann schrien, wenn sie sich irgendwo im Nirgendwo waren. Dies war der Bereich, der zwischen Bewusstsein und Bewusstlosigkeit lag. Nur in diesem Bereich war es ihnen nicht möglich, das Schreien zu unterbinden. Waren die Kinder bei Bewusstsein, schrien sie nicht und waren sie bewusstlos, unterband das Unterbewusstsein, das Schreien. Nur im Niemandsland, den Bereich dazwischen, konnten sie die Schreie nicht unterdrücken.

"Rashida", hauchte Lyn.

Lyns ganze Haltung drückte Verzweiflung aus. Sie hatte panische Angst um ihre Freundin. Jacob nahm sein kleines Mädchen auf den Arm und trug sie hinüber zu Rashida. Diese schlief tief und fest. Jacob legte Lyn einfach daneben. So wie es die Mädchen schon ihr ganzes Leben lang handhabten, kroch Lyn zu Rashida und legte sich einfach, vor das große Mädchen. Sie drehte ihren Kopf etwas und küsste sie auf die Nase. Dann kuschelte sie sich fest an ihre beste Freundin. Man merkte ihr die Erleichterung an. Rashida spürte selbst jetzt, obwohl sie fest schlief, ihre kleine Freundin. Sie legte instinktiv ihre Arme beschützend um sie und schlief einfach weiter. Eigenartig war allerdings, dass beide Märchen, mit einem Schlag völlig anders atmeten. Ihre Atmung war ruhiger und wesentlich entspannter. Erleichtert atmeten auch die Jacobs auf, sie hofften so sehr, dass die Kinder es jetzt geschafft hatten. Jacob ging zu Jaan, dem Jungen, der ihm die ganze Zeit immer Vertrauen geschenkt hatte. Der Bub lag am ganzen Körper zitternd und zusammengerollt, wie ein kleines scheues Reh, in seinem Bett. Aber er schlief nicht, sondern schaute Jacob an, als dieser zu ihm trat.

"Jaan, du müsstest mir helfen. Ich weiß mein Junge, dir geht es selber nicht gut, aber Sina geht es noch viel schlechter, als dir. Kannst du mit zu Sina kommen, ihr geht es richtig dreckig. Ich glaube, sie braucht dringend einen guten Freund", folgte Jacob einer inneren Eingebung. Jaan versuchte ein Nicken. Er würde Sina gern helfen und versuchte auch sich aufzurichten. Ihm fehlte genau wie Lyn einfach die Kraft dazu. Das Fieber hatte ihn vollkommen ausgelaugt.

"Ich brauche hier mal tatkräftige Hilfe", rief Jacob in den Raum. Lyn konnte er gerade noch so tragen, aber Jaan wog fast das Doppelte von Lyn, dass schaffte selbst der gut durchtrainierte Arzt nicht alleine. Dazu brauchte er starke Unterstützung. Sofort kam Heiko Corsten angerannt, der gerade vorn bei Raiko im Bett saß und versuchte den Buben zu beruhigen. Der Wachmann würde Jacob helfen Jaan zu Sina zu bringen.

"Fritz, was ist?"

"Heiko, helf mir mal schnell. Ich möchte Jaan vor zu Sina bringen. Der Kleinen geht es überhaupt nicht gut. Ich bin mir fast sicher, dass es im Moment die einzige Möglichkeit ist, wie wir den Kindern auf Dauer helfen können. Sie brauchen einander, um gesund zu werden."

Corsten und Jacob setzten sich auf Jaans Bett und halfen dem Buben beim Aufsetzen. Dann zogen sie sich jeder einen Arm von Jaan, über die Schulter. Gemeinsam halfen sie völlig geschwächten Jungen auf und nach vorn auf die Pritsche von Nummer 16. Vorsichtig setzten sie ihn auf das Bett und halfen ihm beim Hinlegen. Sobald Jaan lag, zog er sich die hochfiebrige und immer wieder wegdriftende Sina in seine Arme. Im ersten Moment wehrte sich das Mädchen, in dem sie heftig um sich schlug. Nach nur zwei Minuten hatte es Jaan geschafft Sina zu beruhigen. Keine fünf Minuten später atmete das hochfiebrige Mädchen tief und gleichmäßig. Jaan gab ihr nur durch seine Anwesenheit und Körperwärme, die Ruhe, die Sina brauchte, um sich endlich etwas zu erholen. Kurzentschlossen gab Jacob die Bitte an seine Helfer weiter, alle Kinder paarweise in die Betten zu legen, sodass diese sich geborgen fühlten, durch die Nähe eines Kameraden. Endlich konnten sich die Kinder etwas erholen. Den ganzen nächsten Tag verschliefen die Kinder noch und am darauffolgenden Morgen wachte Lyn als eine der ersten auf. Das erste was sie spürte, war die Nähe und die Arme von ihrer Rashida. Auch ihre Freundin war munter und sie sahen vor sich Jacob sitzen, der seine Mädchen beobachtete.

"Doko?", flüsterte Lyn ganz leise.

Jacob zog Lyn aus Rashidas Armen, in die seinigen. "Was ist Lyn? Geht es dir etwas besser?"

Lyn schüttelte den Kopf und legte schweigend den Kopf an Jacobs Schulter. So als wenn sie sich, Ruhe und Kraft holen wollte, von ihrem Arzt. Nach einer ganzen Weile, flüsterte Lyn.

"Doko … müssen Freunde … zum Baum schaffen … erst kommen … zur Ruhe ... Helf uns … alleine … nicht … schaffen", versuchte Lyn Jacob mit vielen Pausen und schwer atmend zu erklären.

Es war mehr ein Hauchen, als das es ein Sprechen war. Jacob konnte kaum verstehen, was sie da von sich gab. Viele ihrer Worte, konnte Jacob nur erahnen. Allerdings begriff er sehr wohl, was sie ihm sagen wollte. Vorsichtig streichelte er ihr Gesicht. Traurig lächelte er und nickte dann.

"Natürlich helfen wir euch Lyn. Aber erst einmal, müsst ihr gesund werden."

Lyn schüttelte den Kopf und atmete immer heftig, vor allem stoßweise. "Erst … Freunde … schlafen … dann … gesund", brachte sie noch mühsam hervor.

Jacob sah verzweifelt zu Rashida, diese hielt ihre Arme in Lyns Richtung. Also legte der Arzt die völlig aufgelöste Lyn zurück, in die Arme ihrer Freundin. Rashida hatte große Mühe, die Kleine zu beruhigen. Fast zehn Minuten brauchte Rashida, um Lyn wieder in einen normalen Atemrhythmus zu bringen. Nach einigen weiteren tiefen Atemzügen, schliefen die beiden Mädchen wieder ein. Der Chefarzt stand vorsichtig auf, um die beiden nicht zu wecken und ging nach vorn zu Anna. Diese kümmerte sich gerade um Nummer 2, die immer wieder aus dem Schlaf aufschreckte und völlig desorientiert war. Mit Raiko zusammen, schafften sie endlich, auch dieses Mädchen wieder zu beruhigen. Als die beiden eingeschlafen waren, gingen die Jacobs nach vorn in die Mensa, um wenigstens eine Mahlzeit einzunehmen. Beide waren schon seit Tagen nicht mehr dazu gekommen, in Ruhe etwas zu essen, weil ständig mit den Kindern etwas war. Auf der 6/blau waren im Moment genug Leute und die Kinder schliefen alle, so dass sie sich eine Stunde Zeit gönnen konnten und auch mussten. Beide brauchten eine kleine Atempause. Trotzdem drehten sich immer noch alle Gedanken um ihre Kinder.

"Anna, Lyn sagte mir gerade, dass die Kinder erst Ruhe finden werden, wenn ihre Freunde unter ihren Baum schlafen. Ich denke wir sollten auf Lyn hören. Noch nie hat sie mit solchen Dingen falsch gelegen. Aber ich weiß nicht wie wir das bewerkstelligen sollen. Die Kleinen sind doch fix und alle."

Anna sah bekümmert zu Fritz. "Ich glaube, du hast recht. Ich organisiere das dann gleich. Es sind genug Leute hier, die uns helfen können, die Kinder zum Baum zu bringen. Alle wollen doch das Gleiche. Das es den Kleinen, wieder besser geht."

Kaum zurück aus der Mensa, übernahm Anna die Organisation des Begräbnisses.

  

Am nächsten Morgen wachte ich auf, es war kurz vor 5 Uhr. Meine Rashida lag hinter mir und ich war heil froh darüber, dass mein schlimmster Alptraum nicht wahr war. Vorsichtig drehte ich mich zu ihr um und legte meine Arme um sie. Ich kuschelte mich noch einmal an sie. Auch Rashida kuschelte mit mir. Ein Leben ohne meine beste Freundin, könnte ich mir nicht vorstellen.

"Wie geht es dir, Rashida?"

Weinend und völlig aufgelöst, sah mich Rashida an. So hatte ich sie noch nicht erlebt. Ich zog sie in meine Arme und tröstete sie. Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis sie sich wieder beruhigt hatte und mir zuhören konnte.

"Rashida wir müssen unbedingt, die Anderen zum Baum bringen. Vorher finden wir keine Ruhe. Hilfst du mir die anderen, zu wecken. Alleine schaffe ich das nicht. Mache die Verbindung auf, wir müssen reden."

Mühsam stand ich auf und schwankte mehr als dass ich lief, auf Kamis Bett zu. Liebe voll und ganz vorsichtig streichelte ich ihr Gesicht. Kami öffnete nur unter großen Anstrengungen ihre Augen und sah mich mit einer Traurigkeit an, die mir tief im Herzen weh tat. Rashida stand ebenfalls auf und lief zu Erja. Weckte sie, genauso liebevoll und vorsichtig, wie ich die anderen, Kami lief zu Riona, ich zu Myrina, Rashida zu Saida, Erja zu Bian. So wurden nach einander alle geweckt. Allen Mitgliedern unseres Teams ging es nicht gut. Egal was wir tun würden in der Zukunft, wir mussten jetzt damit anfangen, es nutzte niemanden etwas sich hängen zu lassen. Das Leben für uns, die am Leben waren, musste weiter gehen. Nacheinander öffneten alle die Verbindung und alle weinten wir. Die Traurigkeit die uns Erfüllte, war unendlich groß. Wir saßen zusammengekuschelt auf meinem Bett und hielten uns gegenseitig in den Armen. Der Schmerz der unsere Herzen so fest im Griff hatte, dass er uns krank machte, wollte uns nicht mehr verlassen. Trotzdem suchte mein Blick nach Raiko und ich fand ihn schließlich. Er hielt Danko in den Armen.

"Raiko wie geht es dir?"

Dieser schüttelte den Kopf. Er wollte nicht mit mir reden. Also musste ich aufstehen und zu ihm gehen, obwohl es mir selber nicht gut ging. Aber ich musste wissen, wie es wirklich um ihn stand, dazu musste ich ihn untersuchen. Der Oberstleutnant, hatte bei Raiko vieles mehr kaputt gemacht, als ich erst dachte. Es war nicht nur die Arterie in der Lunge. Erleichtert atmete ich auf, es war alles wieder in Ordnung. Ich gab ihm einen Kuss auf die Stirn und setzte mich wieder zu meiner Rashida.

"Freunde, hört mir zu. Ich weiß, ihr seid genauso traurig wie ich. Es ist schlimm, was in Polen passiert ist. Es tut mir so leid. Glaubt mir bitte, ich hatte keine andere Wahl. Ich hoffe sehr, dass ihr das wisst", weinend drehte ich mich zu Rashida um.

Bela sah mich lange an. "Lyn, das wissen wir. Sag, was du willst."

Die anderen nickten und viele sahen mich weinend an.

Kimi brachte wohl laut zum Ausdruck, was viele dachten. "Warum lässt du uns nicht einfach in Ruhe, Lyn? Warum lässt du uns nicht in unseren Betten liegen?", dabei funkelte sie mich böse an.

"Kimi, ich lasse euch in Ruhe, wenn wir unser Versprechen, eingelöst haben. Würdest du nicht auch wollen, dass wir dich unter unseren Baum bringen? Wir haben es uns einmal fest versprochen. Außerdem muss das Leben weitergehen. Wir haben uns ebenfalls versprochen, dass diejenigen, die am Leben sind, für unsere toten Freunde, mit leben werden. Habt ihr das wirklich alle vergessen. Wir können nicht einfach aufgeben und sterben. Dann würden wir unseren Eid brechen", antwortete ich ihr unter Tränen.

Meine Freunde erschraken sich sehr. Sie gaben mir durch nicken Recht und sahen mich ernst an. Kimi sah beschämt auf ihre Hände, dann hoch zu mir.

"Lyn, du hast Recht, wie konnte ich das vergessen. Entschuldige, aber ich bin völlig durcheinander. Wir müssen unsere Versprechen halten."

Lange saßen wir schweigend zusammen und fingen immer wieder an zu weinen. Wir versuchten uns zu beruhigen, aber es fiel uns sehr schwer. Fast eine halbe Stunde brauchten wir, bis wir unsere Fassung wieder gewonnen hatten und einigermaßen klar denken konnten. Wir versuchten gemeinsam einen Weg zu finden, um mit unseren Schmerzen, die wir in den Herzen trugen, um zugehen. Auf einmal erschienen Doko und Dika in den Raum. Sie freuten sich uns auf den Beinen zu sehen und kamen zu uns gelaufen.

"Mein Gott."

Mehr bekam unser Doko nicht heraus, aber wir ahnten, was er sagen wollte. Wir wussten, dass er sich um uns große Sorgen gemacht hatte. Auch sahen wir, dass unser Doko an. Er sah sehr schlecht aus. Dünn war er geworden, genau wie die Dika und beide hatten dunkle Schatten unter ihren Augen. Sie hatten bestimmt lange nicht richtig geschlafen. Wie lange wusste ich nicht. Denn ich hatte keinerlei Zeitgefühl mehr. Wir waren lange krank gewesen, sonst wäre das nicht passiert. Nach einigen Augenblicken hatte sich der Doko gefangen und setzte sich einfach zu den anderen, auf den Boden.

"Ich bin froh, dass es euch ein kleines bisschen besser geht. Wollt ihr etwas essen?"

Alle schüttelten den Kopf.

Ich sah unseren Doko an. "Bitte Doko, wir wollen unsere Freunde nur zum Baum bringen, mehr nicht. Dann wollen wir schlafen."

Ich ließ alle Anstandsregeln außer Acht, dazu fehlte mir einfach die Kraft. Es kostete mich schon große Mühe laut zu sprechen, denn der Doko konnte ja nicht in der Verbindung hören. Doko drehte sich sofort zur Dika um und rief ihr zu.

"Anna, rufe bitte die Zentrale an. Die sollen die abgesprochen Durchsage machen."

Anna griff nach dem Telefon und wählte die 0001.

"Ma…"

Weiter ließ sie Chris Martin nicht reden. "Chris, hier ist Anna, kannst du wie besprochen, mit den Multicars kommen, die Kinder wollen zum Baum. Rufst du Zimmermann an?"

"Anna, ich kümmer mich darum. Eine halbe Stunde, dauert es aber. Die Jungs bringen erst die toten Kinder hin, dann holen wir die anderen. Zimmermann informiere ich mit."

Anna legte auf und kam mit einem Rollwagen hinter zu uns. "Lyn, es dauert einen Moment. Bitte seid lieb trinkt wenigstens einen Tee", müde schüttelte ich den Kopf und rollte mich einfach da, wo ich saß, zusammen, wie die meisten anderen auch. Uns war schon wieder alles zu viel. Besorgt sah Jacob, was da passierte. Alle Kinder, legten sich hin.

"Doko, es ist nichts", flüsterte ich noch.

Fast im gleichen Augenblick schlief ich, in Rashidas Armen tief und fest. Eine halbe Stunde später, kamen viele Helfer. Sahen besorgt, auf die auf dem Boden liegenden Kinder. Leise unterhielten die Helfer sich mit den Jacobs. Überlegten, was sie machen sollten. Von diesem leisen Gemurmel wurde ich munter und weckte meine Freunde.

Langsam kamen alle zu sich. Mühsam versuchten wir uns zu erheben. Die meisten schafften wir es nicht ohne Hilfe, das Fieber hatte uns alle zu sehr geschwächt. Die Helfer kamen auf uns zu und griffen uns einfach unter die Arme. Halfen uns auf diese Weise, hoch auf die Multicars. Zusammen fuhren wir zu unserem Baum. Die Helfer liefen neben den Fahrzeugen her. Sie waren besorgt um uns, weil wir uns kaum auf den Sitzen halten konnten. Halfen uns beim Absteigen und fuhren zurück, um die anderen Kinder zu holen. Lange mussten wir auf die anderen warten, da auf jedem Multicar nur zwölf Leute passten. Es aber nur vier Fahrzeuge mit Sitzen gab. Traurig legten wir uns, zu unseren toten Kameraden. Weinend zog ich, den kalten Körper meiner und Rashidas Freundin, in den Arm. Ich hielt Aila, die ich genauso geliebt hatte, wie Rashida, fest umschlungen. Fing an zu schaukeln, so wie es die meisten, von uns machten. Rashida zog mich und Aila in ihre Arme und hielt uns auf diese Weise beide fest.

Zwanzig Minuten später, kam die zweite Gruppe und brachte die restlichen Kinder zum Baum. In dieser Zeit hatten wir uns wieder etwas gefangen. Wir standen schwankend auf, fingen an mit unserem traurigen Werk. Begannen damit unsere Freunde zu begraben. Als die Helfer mit anfassen wollten, schüttelten wir den Kopf. Leise sagte ich. "Geht, lasst uns alleine."

Traurig sahen uns alle an. Jacob bat alle zu gehen. Er wollte damit verhindern, dass man uns in die Ecke trieb, mit gutgemeinter Fürsorge. Also ließ man uns mit unseren Toten alleine.

Lange dauerte es diesmal, bis wir unsere Toten begraben hatten. Oft brachen wir zusammen, blieben einfach eine Weile liegen. Schöpften etwas Kraft, um weiter zu machen. Weinend häuften wir die Erde, um und auf unsere Freunde, nahmen ihnen die Ketten ab. Fast zwölf Stunden benötigten wir, um unser trauriges Werk zu vollenden. Mühsam kletterten wir hinauf, auf unseren Baum, in dem wir so viele Jahre zusammen saßen. So viel gelacht, aber auch so viel geweint hatten. Ich ging zum Ast des Teams 1, um die Kette von Aila auf den fünften Platz zu hängen, der nun für immer leer blieb. Klettere weiter zum Ast, des Teams 2, nach ganz außen. Auf dem immer die Nummer 20, unsere Freundin Caia saß. Weiter kletterte ich auf den Ast des Teams 4 auf Zaidas Platz, ging hinüber zu Team 5 auf den Platz unsers Freundes Dakil. Dem schweigsamen Jungen, der Novak erklärte, was passieren könnte. Weiter zu Team 6 zum Platz von Gadi, dem Jungen der stets solche Angst vor den Rufen der Ginos bekam. Mit jeder Kette, die ich auf unserem Baum verankere, wurde die Schuld, die in mir war, größer. Es fiel mir immer schwerer, weiter zu machen. Auf dem Ast des Teams 8  ging ich auf den vorletzten Platz den von Riley, dann weiter zu Team 9 auf den Platz von Eurio, von dort auf meinen Ast den des Teams 10 auf den Platz von Joyce. Weinend setzte ich mich auf meinen Platz. Ich wollte nur noch sterben.

Ich konnte und durfte nicht einfach aufgeben und sterben, es wäre so einfach gewesen. Hier auf unseren Baum, saßen vierundsiebzig meiner Kameraden die Hilfe brauchten, die ohne mich einfach aufgeben würden. Alle hatten sie genau wie ich, bei diesem Einsatz, gute Freunde verloren. Auch wenn sie keine Schuld an deren Tod trugen, war es für sie genauso schwer wie für mich zu begreifen, dass diese Freunde durch meine Schuld starben. Also musste ich, ob ich wollte oder nicht, allen begreiflich machen, dass dies ohne unsere Schuld passiert war.

Ich fing deswegen in der Verbindung an zu sprechen, versuchte es ihnen zu erklären. "Wir sitzen heute, hier oben auf unseren Baum. Unsere Herzen sind schwer, meins noch schwerer als eure. Denn ich trage die Schuld an dem Tod unserer Kameraden, nur ich alleine. Freunde, es war ein Kampf, der nie wieder geschehen darf. Ich verspreche euch heute und hier, ich lasse nie wieder zu, dass wir jemanden verlieren, weil er seinen Gino nicht kontrollieren kann. Glaubt mir, ich war es, der die Acht töten musste. Verzeiht mir bitte…"

Ich konnte nicht weitersprechen, Tränen der Wut liefen mir übers Gesicht. Lange saßen wir weinend, auf unseren Baum konnten nichts mehr sagen. Es war schon lange Dunkel, wir saßen immer noch schweigend auf unseren Baum. Einigemal schon sahen wir, Doko am Rande der Lichtung, er ließ uns die Zeit, die wir brauchen um Abschied zu nehmen. Die Wut in uns war so groß und plötzlich brach sie aus uns heraus. Wir schrieen uns unsere Wut einfach von der Seele. Wir wollten nur, dass es aufhörte weh zu tun, wir konnten es nicht mehr steuern. Jacob, der mit vielen aus dem Projekt, zum Baum gelaufen kam, erschrak. Als er uns, unter unserem Baum sah. Panisch sahen viele Jacob an, die meisten hatten uns noch nie in der Gestalt von Ginos gesehen. Die Jacobs trieb alle zurück in die Mensa, um ihnen zu erklären, was dies alles zu bedeuten hatte. Er ließ nur Martin und Corsten, am Rand der Lichtung zurück, damit diese Acht gaben, dass wir nicht ausbrachen. Doch wir wollten das gar nicht, auch hätte uns dazu die Kraft gefehlt. Alle hatten wir uns in Ginos verwandelt, schrien uns unseren Kummer von der Seele. Wir waren vierundsiebzig Ginos, die sich versammelt hatten, um zu trauern. Über vier Stunden dauerte das Geheule der Ginos, danach kam ein vielstimmiges Wimmern. Die Ruhe die danach eintrat, war schrecklicher, als das Gebrüll vorher. Diese Ruhe, tat richtig weh. Wir hatten uns wieder zurück verwandelt und lagen da, wo wir zusammen gebrochen waren, unter dem Baum. Wir krochen mit einer letzten Kraftanstrengung, aufeinander zu und lagen uns nur noch weinend in den Armen. Jacob lief gefolgt von den Helfern, zu unserem Baum. Entsetzen machte sich auf allen Gesichtern breit. Die Mitarbeiter aus dem Projekt waren geschockt und wussten nicht, was sie tun sollten. Wir Kinder lagen aneinander gekrallt, unter dem Baum und weinten. Vorsichtig näherte sich Doko, lief auf mich zu und hockte sich einfach vor Rashida und mich hin.

"Können wir euch irgendwie helfen?", wollte er von uns wissen. Traurig und völlig fertig, sah unser Doko aus.

Lange musterte ich ihn. "Doko, helft. Betten, schlafen, Sir", hauchte ich mehr, als das ich sprach. Vorsichtig streichelte er mein Gesicht, drehte sich zu den Anderen um.

"Helft den Kindern in ihre Betten. Chris, Heiko holt die Multicars."

Die Beiden liefen sofort los. Fast alle Mitarbeiter, ließen ihre Arbeiten liegen und standen nochmals auf oder wurden von Chris und Heiko geweckt. Alle liefen zu dem Baum, um uns Kindern zu helfen. Keiner von uns war mehr in der Lage zu laufen oder auch aufzustehen. Diese Trauer unter unseren Baum, hatte viele von uns, an die Grenzen ihres Lebenswillen gebracht. Das wochenlange Fieber, das damit verbundene Hungern, hatte uns den Rest gegeben.

Vorsichtig wurden wir erst auf Tragen, dann auf die Multicars gelegt und immer zu zweit in unseren Raum gebracht. Dort legte man uns, immer paarweise in die Betten. Das erstmals seit der Rückkehr aus Prag, schliefen wir einem Schlaf, in dem wir uns erholen konnten. Wir hatten mit dem Tod unserer Kameraden abgeschlossen und konnten endlich gesund werden. Erst am übernächsten Morgen, wurden wir wach. Man half uns aus den Betten und an den Tisch. Dort aßen wir das erste Mal seit vier Wochen etwas und vor allem tranken wir uns satt. Mit der Nahrung und durch die Zuwendung der Helfer, kam auch der Lebenswille wieder. Es dauerte noch fast vier Wochen, ehe es uns wieder so gut ging, dass wir mit dem Training beginnen konnten. Dieser Einsatz hatte uns an die Grenze des Ertragbaren gebracht. Fast hätte er uns zerstört. Viele Gespräche führte Doko mit uns, über das, was uns bewegte. Über das, was uns so fertig gemacht hatte. Er half uns zu verarbeiten, was wir erlebt hatten und zeigte uns Wege, wie wir damit klar kommen konnten.

Schnell schälte sich unserer größtes Probleme heraus. Nicht nur das Sterben der vielen Menschen dort, was wir hatten nicht verhindern können, bereitete uns Schwierigkeiten. Am meisten machte uns der Tod unserer Kameraden zu schaffen. Er machte uns bewusst, dass auch wir sterblich waren. Obwohl wir dadurch, dass schon Keri und die anderen von uns schon gestorben waren, dies eigentlich wissen sollten. Trotzdem war das etwas anders gewesen. Diese Achtzehn wurden schlafen geschickt oder hatten sich dies gewünscht. Sie starben in unseren Augen nicht. Der Tod der acht Freunde, beim Prager Einsatz, machte uns klar, dass auch wir nicht ewig leben konnten. Dass wir auch so sterben konnten, ohne dass wir das wollten. Das war den meisten von uns scheinbar nicht bewusst. Man quälte uns, hat uns sogar gefoltert und all das hatten wir überlebten. Nur diesen einen Einsatz nicht.

Meine Freunde allerdings begriffen mit der Zeit, dass es für mich, noch um vieles schwerer war. Durch die vielen Gespräche mit dem Doko begriffen sie, dass es in meiner Macht gelegen hatte, unsere Freunde am Leben zu lassen. Dass ich aber nicht zulassen konnte, dass sie weiter wüteten. Ihnen wurde bewusst, dass ich mir schlimme Vorwürf machte, eins unserer Gesetze gebrochen zu haben. Weil ich zu lange damit zögerte, sie zu töten und unsere Freunde zu lange am Leben ließ. Dadurch, dass ich nicht gleich gehandelt hatte, nicht gleich das tat, was ich zum Schluss dann doch tun musste, waren so viele Menschen gestorben. Ich war mir bewusst, dass ich den Tod vieler Unschuldiger verursacht hatte. Nur weil ich versuchen wollte, unsere Freunde zu retten. Ich versprach auch meinen Freunden, das, wenn ich wieder einmal in eine solche Situation kam, ich wesentlich schneller etwas gegen die wilden Ginos unternehmen würde. Noch einmal, dürften nicht so viele Menschen, wegen uns sterben.

Eine Woche nach der Beerdigung unsere Freunde, bekamen wir Besuch von Oberst Svoboda, dem es gelungen war eine Genehmigung von Hunsinger zu bekommen. In seiner Begleitung war Major Novak, der immer wieder den Oberst anrief, um sich nach unserem Befinden zu erkundigen. Svoboda und Novak wurden von dem Chefarzt vorsichtig darauf vorbereitet, was sie in unseren Raum erwarten würde. Trotzdem waren sie entsetzt über unser Aussehen. Immer noch hatten viele von uns hohes Fieber und krümmten sich oft vor Schmerzen in ihren Betten. Unsere Gesichter waren eingefallen und wir hatten alle, tiefe dunkle Augenringe. Da die meisten von uns kaum schlafen konnten. Sobald wir die Augen schlossen, holte uns wieder der Alp, den wir auf der Lichtung erlebten ein. Oberst Svoboda setzte sich zu mir auf das Bett und versuchte mit mir zu reden.

"Kleines Mädchen, weiß du ich verstehe, dass ihr Probleme habt damit klar zu kommen. Auch ich habe Problem mit dem, was ich auf der Blutlichtung gesehen habe. Auch mich verfolgt es jede Nacht. Aber wir können es nicht ändern, es ist nun einmal geschehen. Major Novak hat mir erzählt, was du alles versucht hast, um diese Menschen zu retten. Du musst dir keine Vorwürfe machen, auch nicht wegen deiner Leute. Deine Freunde so hat mir Kacper erzählt, wussten genau, auf was sie sich einließen. Sie kannten alle Risiken. Sie kannten die Gefahren, des wilden Ginos. Meine Kleine, du hast dadurch, dass du sie getötet hast, schlimmeres verhindert, stimmt das?"

Lange sah ich Svoboda an und fing an zu weinen. Rashida zog mich in den Arm und hielt mich einfach fest. Nach einer langen Minute, hatte ich mich beruhigt und schüttelte traurig den Kopf.

"Sir, ich hätte meine Freunde gleich töten müssen, Sir. Ich wusste, dass sie nicht mehr zurück finden, Sir. Ich kann sehen, wenn es zu spät ist, Sir. Ich wollte nur, dass sie den Weg zurück doch noch finden und gehen, Sir. Ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben, Sir. ..."

Schluchzend versuchte ich zu erklären, was passiert war. Es fiel mir so schwer darüber zu sprechen, da ich mir meiner Schuld bewusst war. Ich steigerte mich unbewusst, wieder in diese verdammte Wut. Eine Wut, die ich nur auf mich selber bekam. Ich wollte aber Svoboda, der immer nett zu uns war, erklären, warum ich so wütend auf mich war. Trotzdem fiel es mir immer schwerer, diese Wut zu kontrollieren. Ich vergaß alle Anstandsregeln und versuchte mühsam, meine Wut in den Griff zu bekommen.

"... hätte ich sie gleich getötet, könnten mindestens zweitausend Leute der Gruppe Drova leben. Aber ich war egoistisch. Ich wollte meine Freunde nicht töten, um die anderen zu retten. Ich wollte doch nur dass sie zurück finden. Mir waren in dem Moment die Anderen egal. Ich ... wollte ... nur ... meine ... Freunde ... ret… Geht ..."

Immer mühsamer fiel mir das Sprechen, immer schwerer das Atmen. Mühsam versuchte ich wieder die Kontrolle über mich zu bekommen, aber es gelang mir nicht. Rashida die mich sehr gut kannte, merkte was mit mir los war. Bei dem Wort "Geht", das eigentlich ein Befehl war, der schlimmeres verhindern sollte, sprang sie sofort auf und trieb alle zurück. Ich schaffte es nicht, die Kontrolle über mich zurück zu gewinnen. Der Gino war zu stark, die Wut auf das, was ich getan hatte und tun musste, auf meine falschen Entscheidungen in einem wichtigen Moment, zu groß. Ich verlor die komplette Kontrolle. Zum Glück reagierten meine Freunde richtig und trieben alle, ans andere Ende des Raumes, in Richtung der Tür. So konnte ich mich, in meiner Ecke abreagieren. Novak, der mich schon als Gino gesehen und erlebt hatte, bekam es richtig mit der Angst zu tun. Er wusste und hatte hautnah miterlebt, was durch einen wilden Gino passieren konnte. Svoboda, der dies alles nur vom Hörensagen kannte, erschrak sich fast zu Tode. Er wurde von Rashida und Jaan beruhigt. Sina und Cankat kümmerten sich um Novak, der jetzt ebenfalls Panik bekam. Als er sah, dass ich innerhalb von Sekunden, die Betten und Schränke hinten in meiner Ecke zerlegte. Damit war nicht gemeint, dass ich alles zerbeulen würden oder zu zerschlagen. Nein die Einrichtung wurde mit ihrem gesamten Inhalt zerlegt, da ich diese mit meinen Krallen zerriss und in kleine Stücke zerteilte. Novak wurde in diesem Moment bewusst, dass er es für übertrieben gehalten hatte, als ich ihm erklärte, dass die wilden Ginos alles jagen würden, was sich bewegt. Dass es dabei keine Rolle spielte, ob es sich dabei um Menschen, Tiere oder Fahrzeuge handelte. Dass ein Gino alles in einem Bruchteil von Sekunden zerstören würde. Ihm wurde dadurch umso mehr bewusst, wie richtig die Entscheidung war, meine Kameraden zu töten. Vorsichtig und so leise wie möglich, zogen sich alle aus dem Raum zurück, um mich nicht noch weiter zu reizen. Draußen setzten sich alle auf dem Gang und machten es sich so gut es ging bequem. Erst dort, konnten sie den beiden völlig verstörten Männern erklären, dass nicht eine Sekunde für sie eine Gefahr bestand hatte. Rashida übernahm es, zu erklären, was passiert war.

"Sir, sie brauchen keine Angst haben. Lyn, hat den Gino besser unter Kontrolle, als wir alle zusammen, Sir. Sie ist wütend, Sir. Nicht wütend auf uns, Sir. Sondern nur auf sich, Sir. Weil all die vielen Menschen, dadurch gestorben sind, Sir. Weil sie gezögert hat unsere Freunde zu töten, Sir. Ihr wird mit jedem Tag bewusster, dass sie verantwortlich ist für all die Toten, Sir. Nur weil sie ihre Freunde retten wollte, Sir. Deshalb ist sie so wütend und zerschlägt die Schränke und Betten, Sir. Für uns besteht in keiner Sekunde eine Gefahr, Sir. Solange wir sie in Ruhe lassen, Sir."

Traurig sah Rashida auf Novak und Svoboda herunter, rieb sich müde das Gesicht. Svoboda starrte Rashida an, konnte nicht glauben, was diese ihm erzählt.

"Sagst du mir wie du heißt, Mädchen."

Rashida sah die anderen an und holte sich deren Zustimmung. "Sir, man nennt mich 91. Hier in der Gruppe heiße ich Rashida, Sir."

"Rashida, das ist doch Wahnsinn. Heißt 98, Lyn?", wollte er jetzt wissen.

Erschrocken sah Rashida unsere Freunde an, da sie unbewusst meinen Namen verraten hatte. Aber alle nickten. Svoboda blickte Rashida lange an, dann rieb er sich das Gesicht. Ganz leise versuchte er meinen Freunden klar zu machen, was er dachte. "Rashida, Lyn trifft keine Schuld. Wirklich nicht. Jeder von uns, auch ich, hätte an Lyns Stelle genauso gehandelt. Wir alle hätten erst einmal versucht, unsere Leute zu retten. Rashida, das ist doch normal. Es sind doch eure Freunde, die anderen haben doch diesen Weg eingeschlagen, sie hat doch niemand dazu gezwungen sich gegen die Regierung zu stellen. Es war ihre freie Entscheidung. Ihr habt alles versucht, was möglich war, um den Kampf zu verhindern. Ihr wurdet von denen zum Kampf gezwungen."

Alle Mitglieder des Teams Hundert, schüttelten den Kopf. Raiko der immer schon mit Worten besser umgehen konnte, als die anderen aus der Gruppe, meldete sich zu Wort und sah den Oberst lange an.

"Was ist Nummer 7?"

Erstaunt darüber, dass Svoboda noch seinen Namen wusste, sah Raiko den Oberst an.

"Sir, man nennt mich hier in der Gruppe Raiko, Sir. So einfach wie sie das hier darstellen, ist das nicht, Sir. Im Kampf hat man immer die Aufgabe, die Schwächeren vor Gefahren zu schützen, Sir. Das ist eins unserer Gesetze, Sir. Beschützte die, die sich nicht selber schützen können, heißt es, Sir. Dadurch das Lyn zögerte und nicht gleich gehandelt hat, als sie sah das unsere Freunde nicht mehr zurück finden, Sir. Hat sie sich in unseren Augen und vor unserem Gesetz, schuldig gemacht, Sir. Schuldig, an den Tod der vielen Menschen, Sir. Sie hat die Schwachen nicht vor den Starken beschützt, Sir. Sie hätte die Menschen, vor den Ginos schützen müssen, Sir. Dies wäre ihre Pflicht gewesen, denn sie ist die Einzige, die das kann, Sir. Weder ich noch jemand anderes im Team, kann das, Sir. Wir können andere Ginos nicht sehen, Sir. Auch, wenn wir alle sehr gut verstehen, warum sie das tat, Sir. War es nicht richtig, was Lyn tat, Sir. Ich kann verstehen, wie sie sich fühlt, Sir. Lyn war es nämlich, die diese Gesetze für uns schuf, Sir. Damit wir immer genau wissen, wie wir zu kämpfen haben, Sir. Am Anfang war es uns nämlich egal, da töteten die meisten von uns, ohne nachzudenken, Sir. Erst als Lyn diese Gesetze schuf, uns erklärte, warum das so wichtig ist, sie einzuhalten, Sir, erst dann begriffen wir, dass wir einen Fehler gemacht haben, Sir. Seit dem halten wir uns strikt an unsere Gesetze, Sir. Schütze die anderen mit deinem Leben, Sir. Verhindere das Unschuldige sterben, Sir. Viele von denen auf der Lichtung, die getötet wurden, lagen schon auf dem Boden und hatten sich ergeben, Sir. Sie hatten uns so signalisiert, Sir, wir haben aufgegeben, Sir. Die wilden Ginos, haben sie nur des töten Willens getötet, Sir. Lyn, hätte das verhindern können und vor allem müssen, Sir. Sie ist die Einzige die das kann, Sir."

Traurig sah Raiko den Oberst und den Major an. Die konnten nicht begreifen, was der Junge da sagte. Novak der mich in sein Herz geschlossen hatte, bekam das alles in den falschen Hals und ging deshalb gegen Raikos Worte böse vor und brüllte ihn wütend an.

"Sag mal Raiko, schämst du dich gar nicht? Lyn hat dir das Leben gerettet und du beschimpfst sie hier als eine Mörderin. Was soll das?"

Raiko zog sich erschrocken zurück, weil er von Novak derart angebrüllt wurde. Unser Doko allerding konnte Novaks Reaktion durchaus verstehen und trat auf Raiko zu.

"Raiko, sei dem Major nicht böse. Er kennt euch nicht und kann deshalb auch nicht verstehen, wie ihr denkt."

Raiko beruhigte sich wieder. Er glaubte dem Doko, denn dieser hatte uns noch nie belogen. Fast im gleichen Moment entdeckten mich Doko an der Tür. Blutverschmiert stand ich schwankend an dem Türrahmen gelehnt und konnte mich kaum noch auf den Beinen halten.

"Sir, Raiko hat mit allem was er gesagt hat Recht, Sir. Er hat ihnen nur unsere Gesetze erklärt, Sir. Schreien sie meine Leute nicht an, das haben sie sich nicht verdient, Sir", wies ich den Offizier in die Schranken.

Böse sah ich zu Novak. Der absolut nicht begreifen konnte, warum ich jetzt mit ihm böse war. Er wollte mich nur in Schutz nehmen und hat mich gegen Raiko verteidigt. Unsicher, mich an der Wand abstützend, lief zu Rashida, die wie alle anderen, am Boden saß und nahm einfach vor ihr Platz.

Ich brauchte deren Ruhe, um nicht schon wieder in einen neuen Anfall hinein zu rutschen. Diese Anfälle machten mir im Moment noch mehr zu schaffen, als sonst. Es ging mir schon schlecht genug, auch ohne diese ständigen Anfälle, die mich zusätzliche Kraft kosteten. Rashida zog mich in ihre Arme und zwang mich durch ihre Ruhe, in einen vernünftigen Atemrhythmus, der einen solchen Anfall verhinderte. Als Novak etwas sagen wollte, schüttelten alle den Kopf. Also schwieg er. Sie wussten, dass ich erst einmal zur Ruhe kommen musste. Sonst war der nächste Anfall vorprogrammiert. Zu oft hatten sie das bei mir schon erlebt, nicht nur in den letzten Wochen. Langsam beruhigte ich mich sah Novak traurig an.

"Sir, schreien sie uns nicht an bitte, Sir. Das haben wir uns nicht verdient, Sir. Raiko hat mit dem, was er erklärt hat Recht, Sir. Es war ein Fehler, so lange zu warten, Sir. Diesen Fehler, das habe ich meinen Freunden unter dem Baum versprochen, Sir. Werde ich nie wieder machen, Sir. Entschuldigen sie Genosse Oberst, dass ich es nicht verhindern konnte, so sehen wir als Ginos aus, Sir. Ich war so in Wut über mich, allerdings kann ich den Gino immer kontrollieren, Sir. Wir können doch nichts dafür, wir wollten nicht, dass man uns das antut, Sir."

Oberst Svoboda stand auf und kam langsam auf mich zu. Er hockte sich vor mich hin. Lange sah er mich an. Dann setzt er sich einfach direkt vor mir auf den Boden.

"Darf ich Lyn zu dir sagen?"

Ich nickte.

"Lyn, du hast Recht mit diesen Gesetzen. Es sind gute Gesetze. Du darfst aber eins nicht vergessen, auf dieser Lichtung, geriet alles außer Kontrolle. Nicht durch deine Schuld, sondern weil Sládek nicht zugelassen hast, dass du seine Leute beschützt. Lyn, du wirst nie alle beschützen können. Du hast dein Bestes getan, mehr getan Kleines, als jeder andere von uns Erwachsenen bereit gewesen wäre, zu tun. Du hast Schmerzen und Leid auf dich genommen, um das zu verhindern. Das, was dann geschehen ist, geht auf das Konto Sládeks, weil er uneinsichtig war. Ich finde es sagenhaft, dass du dir solche Gedanken machst. Bitte Lyn, du musst eins lernen, nicht jeden deiner Freunde wirst du beschützen können, noch weniger das Leben deiner Feinde. Ich gebe dir Recht, jeder Tote, ist genau einer zu viel. Oft lässt man uns allerdings keine andere Wahl, weil man unserer Hilfe nicht annimmt. Jeder der sich dieser Gruppe Drova anschloss, wusste dass es riskant war. Sie hatten diesen Weg gewählt. Ob er richtig oder falsch war, bleibt dahin gestellt. Hätten sie deine Vorschläge, die du immer wieder gemacht hast, ordentlich abgewogen. Einfach einmal darüber nachgedacht, wäre es nicht zu diesem Unglück gekommen. Das musst du dir vor Augen halten. Lyn, sonst zerstört dich dein Beruf." Ernst sah er mich an und streichelte mir vorsichtig mein fast schwarzes Gesicht. "Lyn, sehe dir Kacper an, er war bei dem Kampf dabei und auch ich war auf der Lichtung und habe dem Räumungskommando geholfen aufzuräumen. Wir wissen beide oder besser gesagt ahnen, durch welche Hölle ihr gegangen seid und noch geht. Diesen einen Einsatz der völlig schief gelaufen ist, könnt ihr leider nicht mehr ändern. Allerdings gibt es bestimmt auch Einsätze, die gut ausgehen. Wo ihr eine Geisel retten konntet oder viel Schlimmeres verhindert habt?" Lange forschte er in meinem Gesicht, ob mich seine Worte erreicht hatten.

Ich nickte.

"Siehst du, an diese Einsätze musst du denken und dir dieses Gefühl merken. Dadurch lernst du, solche Horroreinsätze, schneller zu akzeptieren. Diese Einsätze sind es, die unsere Arbeit schön machen."

Der Oberst hielt mir seine Arme hin.

Ich sah zu Doko, da dieser mir zulächelte, wandte ich mich Svoboda zu. Rashida gab mir einen kleinen Schups und ich landete in Svobodas Armen. Lange hielt mich der Offizier fest, der so anders war, als die Offiziere die ich kannte. Es tat gut zu sehen, dass nicht alle so waren, wie der Oberstleutnant. Wenn dieser wiederkam, würde ich noch richtigen Ärger bekommen. Aber darüber wollte ich jetzt noch nicht nachdenken. Ich genoss einfach die Nähe von Menschen, die uns helfen wollten mit diesem Alptraum, den wir erlebt hatten fertig zu werden. Viele Stunden saßen wir noch zusammen, draußen auf den Gang, einfach auf dem Boden und erzählten und tauschten Gedanken aus. Svoboda, aber auch Novak erklärten uns, wie sie mit solchen Dinge umgingen. Vor allem aber, wie sie solche Dinge verarbeiteten konnten, um dann von diesem Punkt aus weiter machen zu können. Svoboda zeigte uns Bilder von seiner Familie. Der Oberst erzählte uns von seinen Kindern. Auch wenn wir vieles nicht verstanden, von dem was er uns erzählte und uns erst recht nicht trauten nachzufragen. Das meiste kannten wir gar nicht. So tat es uns gut. Es war eine Ablenkung und gab uns anderen Stoff zum Nachdenken. In der Zeit, in der wir über diese Dinge sprachen, hatten die Leute vom Hausmeisterteam unser Zimmer wieder in Ordnung gebracht.  

Zimmermann kam auf mich zu. "Lyn, ihr könnt wieder rein. Mäuschen. Oft dürft ihr das nimmer machen, mir gehen langsam die Schränke und Pritschen aus", versuchte er zu scherzen, obwohl ihm nicht danach zu Mute war. Als ich aufstehen wollte, hockte er sich vor mich hin und streichelte mir das Gesicht. "Bleib sitzen Lyn. Dir geht’s doch nicht gut. Also dann, schlaft mal schön. Vor allem erholt euch endlich", er gab mir einen Kuss auf die Stirn, stand auf und verließ unseren Bereich.

Zimmermann hatte nur wegen uns seine Arbeit unterbrochen, musste allerdings noch einige dringende Reparaturen erledigen. Svoboda und auch Novak erhoben sich und halfen uns allen auf. Dann nahmen die Offiziere jeden von uns noch einmal in den Arm, um sich zu verabschieden.

"Tut mir leid Kinder, länger können wir nicht bleiben. Die Arbeit ruft, auch uns zurück. Lyn, noch eins wollte ich dir sagen. Entschuldigt bitte, dass wir euch kein warmes Wasser zum Duschen gegeben haben. Aber wir dachten, weil es so warm war, reichte das kalte Wasser voll und ganz. Das war ein großer Fehler. Dass wurde mir aber erst viel zu spät klar. Aber versprochen, das nächste Mal, bekommt ihr heißes Wasser und auch etwas zu Essen. Euer Doko, hat mir extra zehn Büchsen mitgegeben. Die halten ja fünfzehn Jahre. Bestimmt sehen wir uns noch einmal wieder. Also danke nochmal, dass ihr meinen Leuten, durch euren Einsatz das Leben gerettet habt. Wahrscheinlich wär jetzt die Hälfte meiner Männer tot. Kinder, bitte passt auf euch auf. Vor allem, werdet bald wieder gesund."

Svoboda gab mir noch einen Kuss, einmal rechts und einmal links auf die Wagen, so wie er es schon mit den anderen gemacht hatte. Auch Novak nahm von uns allen Abschied. Bei Jaan angekommen, holte er aus seiner Tasche einige Blocks und Bleistifte und übergab sie den Jungen, zu dem er die meiste Bindung aufgebaut hatte. Strahlend und dankbar nahm Jaan diesen Schatz entgegen.

"Jaan, du zeichnest doch gern. Weißt du ich wollte dir eine kleine Freude machen. Deine Bilder habe ich in meinem Büro in Rahmen an der Wand hängen. So denke ich immer an euch. Bitte werdet bald gesund", dann nahm Novak auch mich noch mal in den Arm. "Lyn, danke das du mich beschützt hast, du und Raiko. Alleine wäre ich, das ist mir aber erst nach Tagen bewusst geworden, heute nicht mehr am Leben. Pass gut auf dich und deine Leute auf. Ihr seid ganz liebe Menschen."

Der Pole drehte er sich um und lief Svoboda hinterher, in Richtung der Gangway. Wie wir den Ausgang, zum Flugplatz immer nannten. Diese Gespräche, mit Svoboda und Novak, hatten uns allen gut getan. Es half uns glaube ich mehr, als die Gespräche mit dem Doko, da diese beiden Männer, auch oft durch die gleiche Hölle gingen, wie wir. Sie wussten dadurch selber, wie schwer das nach manchen Kämpfen war. Doko, selber war noch nie in so einer Situation und konnte dadurch nicht auf eigene Erfahrungen zurück greifen. Dass diese beiden Männer uns von einer Schuld frei gesprochen hatten, war glaube ich genau das, was wir gebraucht hatten. An diesem Abend, schmeckte uns das erstmals wieder unser Brei und wir gingen, um einiges erleichtert in unsere Betten. Endlich waren wir auf dem Weg der Besserung, jedenfalls die meisten von uns. Auch wenn ich den Tod meiner Kameraden akzeptieren gelernt hatte, als etwas, dass ich tun musste, um schlimmeres zu verhindern, macht mir diese ganze Sache immer noch zu schaffen und würde mir noch lange Zeit nachhängen.

Ein viertel Jahr nach unserer Rückkehr aus Prag, ging es fast allen wieder gut. Doko stellte auf mein Bitten hin, für alle Koffer zusammen, die ein kleines Notlazarett enthielten. Vom Skalpell, über Spritzen, Kanülen, Verbandmaterial bis hin zu einem von mir entwickelten Ampullenkoffer. Aber auch einen speziell für unsere Augen nutzbaren Spiegel, Kleber für die Wunden und einen Brenner. Damit wir verhindern, dass der Wundbrandt in die Wunden kam. Oft operierten wir danach, mitten im Schlamm, auf einen Schlachtfeld, da war es nicht möglich ein steriles Umfeld zu schaffen. Während des Kampfes ging es um Sekunden, in dem man einen Freund das Leben retten konnte oder er starb. Durch die Medi-Koffer war die Rettung endlich möglich. Der Ampullenkoffer wurde so konzipiert, dass auch diejenigen die nicht so gut in medizinischen Dingen waren, den anderen helfen konnten. Es gab für jedes Medikament eine Schablone, auf der ersichtlich war, in welcher Menge, welcher Reihenfolge, er was aufziehen musste. Auf welche Temperatur die Injektionen zu erhitzen waren oder ob es nicht erhitz werden muss und für wen dieses Medikament verwendbar war.

  

Erleichtert, dass ich ab jetzt alle Teammitglieder sofort versorgen konnte, widmete ich mich dem nächsten Problem. Diesem unerklärbaren Fieber, was alle hatten. Die Einzige die immer noch hohes Fieber hatte war ich. Warum das so war, fanden Doko und ich erst eine Woche später durch puren Zufall heraus. Als wir die Blutproben der getöteten Kameraden untersuchten, um herauszufinden, weshalb diese den Weg nicht mehr zurückfanden. Geistesgegenwärtig wie der Doko oft war, hatte er alle möglichen Gewebeproben, Blutproben sicher gestellt, um spätere Untersuchungen durchführen zu können. Um das durchbrechen der wilden Ginos, bei den anderen nie wieder zuzulassen. Bei diesem Vergleich stellten wir fest, dass durch das Rufen der Ginos, ein Enzym in unserem Körper freigesetzt wurde. Dieses Enzym war dafür verantwortlich, dass wir die Ginos steuern konnten. Wir nannten es einfach das Ginoenzym. Beim Vergleichen der Proben von den vierundsiebzig lebenden, mit den acht toten Kindern, stellten wir fest, dass unsere toten Kameraden dieses Enzym nicht hatten. Keiner der acht wilden Ginos, hatte auch nur ein Nanogramm dieses Enzyms im Körper. Bei mir dagegen, fanden wir dreißig Prozent mehr dieses Enzym im Blut, als bei allen anderen. Dies schien der Hauptgrund zu sein, dass ich meinen Gino so gut kontrollieren konnte. Es schien aber auch der Grund zu sein, weshalb ich immer noch so hohes Fieber hatte. Auf dieser Basis entwickelte ich ein Mittel, welches uns in naher Zukunft helfen würde, die Ginos besser zu kontrollieren. Auch das zweite Enzym konnten, wir nach intensiven Untersuchungen entschlüsseln. Es trat auf, wenn wir zu großer nervlicher Anspannungen unterlagen. Die nervlichen Belastungen waren mitverantwortlich, dass wir so hohes Fieber bekamen. Es handelte sich also um eine Art Nervenfieber. Wir fanden bei all diesen Untersuchungen auch ein Mittel, um das Ausbrechen der Ginos vollständig zu unterdrücken. Das G24, war ein Genblocker, der das Gino-Gen, das wir alle in uns hatten, unterdrücke. Allerdings verwarfen wir dieses Mittel schnell wieder, da es viel zu gefährlich war. Die Risiken rechtfertigten den Einsatz des G24 nicht. Sie waren einfach zu hoch. Es führte zu Wahnvorstellungen und irreparablen Hirnschäden. Bis hin zum Verlust des gesamten Intellekts. Wir würden dieses Mittel nur in Allerhöchster Notfall einsetzten oder bei unmittelbarer Gefahr einsetzen, damit wir nie wieder einen wilden Gino töten mussten. Nur wenige Stunden später, fanden wir eine viel bessere Lösung. Das N47, konnten wir viel besser nutzen, um die Ginos zu kontrollieren. Aber nicht nur wir, sondern auch der Doko, lernten schnell dieses Mittel zu hassen. Es führte, wenn man es zu schnell spritzte, zu inneren Blutungen. Wenn wir uns dieses Mittel spritzten, litten wir höllische Schmerzen, aber es nutzte nichts. Mit den Schmerzen konnten wir leben, die waren tausend Mal besser, als noch einmal einen wilden Gino bändigen zu müssen und noch einmal zu erleben, wie einer der Ginos wütete. Darüber waren wir uns alle einig. Lieber lebten wir mit dem Risiko und diesen Qualen, als noch einmal gegen unsere eigenen Leute zu kämpfen. Nie wieder wollten wir zulassen, dass durch uns so viele Menschen sinnlos starben. Wir waren uns einig, dass wir hätten viele der Gruppe Drova hätten retten können, wenn die Acht nicht außer Kontrolle geraten wären. Das dritte Mittel das wir entwickelten, um endlich dieses verdammte Fieber in den Griff zu bekommen, was uns nun schon über drei Monate fest im Griff hatte, brachte endlich die gewünschte Genesung. Das N91 war ein humanes Mittel, bei dem wir keinerlei Schmerzen bekamen, wenn man es langsam spritzte. Endlich konnten wir uns wieder erholen. Wir kamen zu neuen Kräften und konnten endlich wieder mit dem Training beginnen.

  

Vier Monate nach unserer Rückkehr in die Schule, kam leider auch der Oberstleutnant zurück. Genesen von seinen Verletzungen, allerdings mit einer unvorstellbaren Wut, die keiner im "Projekt Dalinow" begreifen konnte. Die ungerecht war und sich wie immer gegen die Falschen richteten, nämlich uns. Denn Oberst Svoboda und Novak hatten, vielen im Projekt erzählt, wie Mayer mit uns umgegangen war und konnte nicht glauben, als er hörte, dass dies hier im Projekt tagtägliche Realität wäre und nicht nur die Kinder geschlagen wurde. Beide Offiziere begriffen nicht, dass die Mitarbeiter trotzdem blieben. Die Begründung der Leute konnten sie allerdings verstehen und auch akzeptieren, denn die meisten blieben wegen den Jacobs und den Kindern hier, um diese zu unterstützen und zu schützen.

Jacob konnte allerdings nicht verstehen, dass man den Oberstleutnant als geheilt entlassen hatte. Er konnte das absolut nicht nachvollziehen. Doko Jacob, der ein sehr intensives Gespräch mit Mayer führte, erreichte nur, dass man die Gruppe für mein Verhalten in Prag nicht bestrafte. Mir jedoch blieb eine Strafe nicht erspart. Eine Strafe wie sie hätte schlimmer nicht sein können.

Kaum, dass Mayer zurück im Projekt war, sperrte er mich für eine Woche in einer Lichtbox ein. Das war eine der Strafen, die er sich in der Psychiatrischen-Klinik für uns ausgedacht hatte. Die schlimmste Strafe, die er uns Kindern antun konnte. Diese Boxen waren im Innenraum anderthalb mal anderthalb Meter groß und genauso hoch. Darin konnte selbst ich mich, als Kleinste meines Teams, kaum bewegen. Noch schlimmer als die Größe war, dass er das Innere der Lichtbox, aus Panzerglas und mit flächendeckenden, nebeneinander liegenden Neonröhren ausgestattet hatte. Dass Mayer wusste was er uns damit antat, zeigte die Tatsache, dass die Lichtbox ein schallisoliertes Gehäuse bekam. Denn er wusste genau, dass durch die Neoröhren, der gesamte Innenraum der Box, hell ausgeleuchtet wurde, so dass es für uns keinerlei Schatten und Schutz gab, und welche Schmerzen uns Licht zufügte. In dieser Box sperrte mich der Oberstleutnant kurz nach seiner Rückkehr im Projekt ein und nahm mir meine Brille weg. Er hatte in den vergangen Jahren schon viele grausame Strafen an mir ausprobiert, aber diese Strafe war die Hölle. Unsere Augen waren ohne die Brillen äußerst lichtempfindlich. Egal, was unser Doko auch versuchte, um dem Oberstleutnant klar zu machen, dass Mayer mit dieser Strafe meine Augen irrreparabel beschädigen würde, er konnte es nicht verhindern. Mayer ließ von dieser Strafe nicht ab. Als er dann über Hunsinger und später sogar über Svoboda versuchte Hilfe zu bekommen, wurde Mayer richtig böse. Der Oberstleutnant drohte damit, alle Mitglieder meines Teams in diese Boxen zu sperren. Auf mein Bitten hin akzeptierte Jacob, dass er nichts tun konnte und hoffte nur, dass der Schaden an meinen Augen, nicht allzu schlimm sein würde. Was hätte er auch tun sollen, alle Anrufe bei Hunsinger und alles Bitten ihn zurück zurufen, blieben ohne Erfolg. Oberst Svoboda, konnte er nirgends erreichen und allein kam er gegen Mayer nichts an, ohne auch noch die anderen Kinder zu gefährden.

Die Schmerzen die ich in dieser Box erlitt, waren unvorstellbar. Ich hatte das Gefühl, mir brannte jemand langsam die Augen aus. Diese Schmerzen brachten mich fast um meinen Verstand. Da ich Schmerzen gewohnt war, dachte ich bis zu dem Zeitpunkt, es gäbe keine Steigerung mehr für mich und ich hätte das höchste Level in punkto Schmerzen schon erreicht und seit der Erkrankung meiner Freunde hinter mir gelassen. Die Qualen die ich jetzt ertragen musste, übertrafen die des Fieberschmerzen der letzten Wochen, um einiges. Obwohl ich während unserer Erkrankung, den gesamten Fieberschmerz der Gruppe ertragen musste und damals oft dachte, ich würde gleich sterben, litt ich in der Lichtbox, um ein vielfaches. Mayer hatte etwas gefunden, mit dem er meinen Willen brechen konnte. Nie wieder wollte ich in diese Box. Ich würde ab jetzt alles tun, was er von mir verlangen würde, um mir diese Hölle zu ersparen.

Bereits nach zwei Minuten versuchte ich mich in das Jawefan zu flüchten, um diesem wahnsinnigen Schmerzen zu entkommen. Selbst im Jawefan waren die Schmerzen nicht mehr zum Aushalten. Ich kam mit jeder Minute meines Aufenthaltes dem Wahnsinn ein Schritt näher. Alsbald wusste ich nicht mehr, was Realität war oder Trugbild. Ich wurde von Wahnvorstellungen gefangen gehalten und verlor schon nach wenigen Minuten, jegliches Gefühl für Raum und Zeit. Es war schwer zu beschreiben, was in dieser Box mit mir passierte. Wenn man sich in einem normalen Umfeld aufhielt, umgaben einen Geräusche, die man kannte. Die man bewusst oder unbewusst hörte. Das Ticken einer Uhr, Geräusche wie Knarren von Türen, schlurfende Schritte, Stimmen von Personen und die Gedanken meiner Kameraden. In dieser Box war alles anders.

Als Mayer mich darin einsperrte, tat mir am Anfang alles weh. Ich konnte mich nicht bewegen, da die Box viel zu klein für mich war. Also lag ich dort zusammengerollt und versuchte eine Stellung zu finden, in der ich meinen Körper in einer Position brachte, in der ich liegen konnte. Ich dachte er wollte mich damit bestrafen, so zusammengekauert daliegen zu müssen. Auf einmal begann ein unerträgliches Summen und dann ging plötzlich dieses Licht an. Meine Augen fingen sofort an zu brennen und ein Schmerz durchfuhr meinen Körper, als wenn man diese ausstechen wollte. Dadurch war ich gezwungen, um meinen Freunden keine Schmerzen zu bereiten, die Verbindung zu allen zu schließen. Ich war in der Box vollkommen allein, nicht nur mit meinem Schmerzen, sondern auch mit meiner Verzweiflung. Ich konnte mich nicht einmal, durch meine Kameraden ablenken lassen. Wenn ich die Verbindung geöffnet hätte, würden meine Freunde die gleichen Schmerzen fühlen, wie ich. Nur bis zu einem gewissen Grad konnte ich meine Schmerzen zurückhalten. Diese Schmerzen allerdings, konnte ich nicht beeinflussen, denn sie vereinnahmten mich komplett. Sie beherrschten jede Faser in meinem Körper und alle meine Gedanken. Ich konnte sie nicht ausblenden.

Sekunde kamen mir vor wie Stunden, Minuten wie Tage, Tage wie Jahre. Ich fing an mich tastend im Raum zu bewegen, weil ich irgendeinen Halt brauchte. Stattdessen bekam ich das Gefühl, ins Bodenlose zu stürzen und nirgends konnte ich mich halten. Bald schon hatte mich dieses gleißenden, schmerzende Licht gefangen. Das Tasten nach Halt, nutzte nichts. Man bekam das Gefühl, obwohl man einen Gegendruck spürte, immer weiter zu kriechen und damit immer tiefer zu fallen. Irgendwann hörte ich auf in der Box herumzutasten und rollte mich zusammen. Krampfhaft versuchte ich mit meinem Körper Schatten zu erzeugen und so die Qualen wenigstens etwas zu lindern. Am liebsten hätte ich mir selbst die Augen auskratzen, aber ich wusste, das würde meine Todesurteil sein. Man würde mich aussortieren. Das konnte ich meinen Kameraden nicht antun, die brauchten mich.

Nur der Gedanke an meine Freunde verhinderte, dass ich aufgab und hielt mich am Leben. Nur sie ließen mich weiter kämpfen. Trotzdem die Lichtbox, Schallisoliert war, hörte ich plötzlich Geräusche, die ich noch nie in meinem Leben gehört hatte und gar nicht zuordnen konnte. Es war das Röcheln meines Atems, das Schlagen meines eigenen Herzens, aber auch Geräusche, die meine Därme machen, in einer Lautstärke, die sich kein normaler Mensch vorstellen konnte. Nach einer Weile fingen meine Sinne an, mir Wahnbilder zu suggerieren. Mein Gehirn brauchte Reize, um tätig zu sein. Im Licht konnte ich nichts sehen, ich war praktisch blind. Ich sah auf einmal dunkle Flecken die sich bewegten und bedrohliche Schatten, die sich auf mich zu bewegten und fing an, wie wild um mich zu schlagen und zu treten. Irgendwann kam dann dieses Gefühl, das etwas über mich krabbelte und das etwas, mit mir in der Box war. Ich kroch in die äußerste Ecke dieser Box und schrie mir die Seele aus dem Leib, nicht nur aus Schmerz, sondern auch vor Angst. Ich war kurz davor den Verstand zu verlieren. Das Licht und der damit verbunden Schmerz, trieb mich langsam aber sicher in den Wahnsinn, es brachte mich an den Rand des Ertragbaren.

Als der Oberstleutnant mich nach einer Woche aus dieser Box heraus holte, war ich mehr tot, als lebendig. Mitten in der Nacht, öffnete er die Tür der Box. Das erste was ich roch, war seine Fahne, aber das wurde mir erst später bewusst. Mayer ließ mich von Reimund aus der Box holen und dieser warf mich wie einen nassen Sack in unseren Raum. Seit Prag betrat Mayer diesen nicht mehr, denn er traute sich nicht mehr in unsere Nähe.

Als mich die Dunkelheit umgab, wusste ich nicht, was ich davon halten sollte. Diese wahnsinnigen Schmerzen, ließen zwar etwas nach oder die Verkrampfungen in mir, lockerten sich etwas. Ich wusste es nicht genau zu sagen. Vielleicht spürte ich aber auch, dass ich auf einmal nicht mehr allein und in Sicherheit war. Trotzdem schrie ich mir die Schmerzen einfach von der Seele. Jaan rief über den Notruf, den Doko nach unten. Allerdings war dieser, schon durch mein Geschrei alarmiert und geweckt wurde und auf den Weg in unseren Raum. Rashida und die anderen, versuchten mich zu bändigen und vor allem zu fangen. Sie wollten mir helfen. Ich ließ niemanden an mich heran. Durch die Möglichkeit zu fliehen, nutzte ich diese auch. Blind und panisch wie ich war, reagierte ich auf alles, was mich berührte. Ich schlug und trat nach allem, was in meine Nähe kam. Ich war wie von Sinnen. Das hohe Fieber, verursacht durch die nervliche Anspannung und die unerträglichen Schmerzen, ließ nicht zu, dass ich normal denken konnte. Zu den Fieberschmerzen, kamen die Schmerzen die das Licht immer noch in mir auslösten, auch wenn es jetzt um mich herum, wieder dunkel war. Ich wusste nicht mehr, wo ich bin und was mit mir geschah. Ich hatte nur einen Wunsch, dieser Schmerz sollte endlich aufhören.

Fast alle im Raum, versuchten mich zu fangen und mich zu halten. Meine Panik jedoch, kombiniert mit dem Schmerz und der Blindheit, machten mich rasend. Fast drei Stunden tobte ich in unserem Raum. Genauso lange brauchten meine Freunde, um mich in einen sicheren Griff zu bekommen, in dem sie mich festhalten konnten. Dabei verletze ich viele meiner Freunde schwer. Trotzdem halfen alle weiter so gut es ging, um mich zu beruhigen. Ich erkannte die Stimmen meiner Freunde nicht und wusste nicht, was mich da anfasste. Alles in mir, war nur noch auf Gegenwehr und auf Verteidigung programmiert. Rashida und Jaan fingen mich ein und hielten mich mit eisernen Griff fest, so dass ich mir helfen lasse musste, weil ich mich daraus nicht mehr befreien konnte. Ich war wie von Sinnen vor Angst und am Ende meiner Kräfte. Nach dem mich die beiden am Boden fixiert hatte und fünf meiner Freunde Jaan und Rashida zu Hilfe eilten, gab ich auf.

Man hatte mich eingefangen und fest am Boden justiert. Doko und Dika konnten mir endlich helfen. Endlich kam der Doko an mich heran. Als erstes gab mir Jacob etwas Wasser zu trinken und jemand legte kühlende Tücher auf meine Augen. Endlich begriff ich, dass ich irgendwo war, wo man mir helfen wollte. Meine Gegenwehr ließ etwas nach. Doko und Dika versorgten meine Augen so gut es ging und spritzten mir hochdosiert das N91 und ebenfalls sehr hochdosiert B32, ein starkes Schmerzmittel, um mir etwas Linderung zu verschaffen und das lebensgefährlich hohe  Fieber zu senken. Langsam wurde ich etwas ruhiger, hörte auf mich zu wehren. Vor allem hörte ich auf wie eine Irre zu schreien.

Rashida und die anderen waren schweißgebadet, genau wie Doko und Dika. Rashida entließ mich vorsichtig aus dem sicheren Griff und nahm mich zärtlich in ihre Arme. Versuchte mich, so wie sie es immer machte, in eine entspannte Atmung zu bringen. Versuchte in meine Verbindung zu kommen. Allerdings hatte ich alle Türen fest verschlossen, um meinen Freunden Schmerzen zu ersparen. Dadurch kam niemand an mich heran. Fast fünf Stunden brauchte Rashida, bis ich wieder einigermaßen normal atmen konnte und auf sie reagierte. Erleichterung machte sich breit. Alle waren froh, dass ich wieder ruhig war. Doko und Dika versorgten in dieser Zeit erst einmal meine verletzten Freunde.

Endlich konnte man es wagen mich zu transportieren und schaffte mich etwas an die Seite, denn ich lag mitten im Raum. Dika holte Zimmermann mit seinem Team, die unseren Raum wieder herrichten mussten. Das Zimmer war durch mein Toben vollkommen verwüstet. Alle saßen vorn an der Tür im Zimmer und versuchten durch ihre Körper die restlichen wenigen Lichtstrahlen abzudunkeln, um so eine vollkommen dunkle Umgebung zu schaffen. Da das Hausmeisterteam und seine Helfer, Licht zum arbeiten brauchte. Man baute ein Gestell aus Brettern und bedeckte diese mit lichtundurchlässigen Planen. Damit ja kein Licht zu mir kam, aus Angst davor, dass ich wieder anfangen könnte zu toben. Allerdings schlief, völlig erschöpft in den Armen meiner Rashida. Als ich sie spürte, wusste ich bin in Sicherheit und konnte ohne Angst, tief und fest schlafen. Denn ich wurde von meiner Rashida und meinen Freunden beschützt. Endlich kam ich in einen erholsamen Schlaf. Das Team von Zimmermann stellte in Rekordzeit unser Zimmer wieder her. Sie wussten, dass ich in mein Bett musste, um Ruhe zu finden. Selbst einige der Wachleute waren gekommen, um zu helfen. So arbeitete das Team Zimmermanns, mit unseren Handwerkern und den Wachleuten zusammen, dadurch war schnell alles Zerstörte repariert oder ersetzt. Bereits nach einer Stunde war alles fertig, die meisten verließen sofort den Raum, damit wieder Ruhe einkehrte. Eine ganze Weile noch, beobachtete mich der Doko und fasste mich immer wieder an. Erst als ich nicht mehr auf seine Berührungen reagierte und gleichmäßige und ruhige Atemzüge zu hören waren, bat er Rashida mich ins Bett zu bringen. Doko ließ mich in unserem Raum. Hier brauchte er keine Angst zu haben, dass mich einer der Betreuer oder Mayer bedrohten würden. In diesem Raum, war ich sicher beschützt, von meinen Kameraden und der Dunkelheit.

Als Jacob sicher war, dass er mich ohne Sorgen alleine lassen konnte, ging er zu Zimmermann. Mit dem Leiter des Hausmeisterteams besprach sich Jacob und bat ihn darum, den Lichtschalter mit einem Codeleser zu koppeln. Für den es nur drei zugelassen Karten gab. Von denen Zimmermann eine bekam, die Dika und der Doko. Damit weder Mayer noch die Betreuer, in diesem Raum, je wieder Licht anmachen konnten. Er erklärte Zimmermann, dass er ab und an, auch in diesem Raum Licht brauchte. Sei es nur deshalb, dass wieder einmal alle krank Kinder wären. Ansonsten hätte er einfach die Leitungen zerschnitten, was ihm allerdings eine Rüge des Hausmeisters einbrachte. Zimmermann grinste von einem Ohr zum anderen und war begeistert von Jacobs Idee. Er verflucht wie viele im "Projekt Dalinow", die Art und Weise wie der Oberstleutnant mit den Kindern umging. Deshalb baute Zimmermann innerhalb nur einer Stunde, ein solches Gerät aus Ersatzteilen zusammen und ließ alle andere Arbeit im Projekt liegen. Nur um auf diese Weise für uns einen sicheren Ort zu schaffen. Die Codes allerdings, würde nur Jacob mit einem speziellen Gerät ändern können und sorgte so für Sicherheit in diesem unserem Raum.

Als Mayer, vier Tage später davon Wind bekam, zitierte er Zimmermann zu sich ins Büro und verpasste seinem Hausmeister, eine gehörige Tracht Prügel. Einen größeren Fehler, hätte er nicht machen können. Damit schuf er sich seinen größten Feind. Zimmermann der bis jetzt noch niemals Prügel bezog hatte, ließ sich das nicht ohne Gegenwehr gefallen. Der Hausmeister und seine Mitarbeiter, das wusste jeder normaldenkender Mensch, waren und sind, die guten Seelen eines solch großen Projektes. Mit diesen sollte man es ich nie verscherzen. Denn dieser sorgte mit seinem Team dafür, dass alles lief. Mit Zimmermann und seinem Team stand und fiel, vieles im Projekt. Auch war er nicht ersetzbar und sich sehr wohl, seiner Macht bewusst. Viele der technischen Einrichtungen im "Projekt Dalinow" waren empfindlich und sehr kompliziert. Vor allem, herrschte ein akuter Mangel an Ersatzteilen, da fast alle in Russland bestellt werden mussten. Deshalb konnte man ihn nicht einfach feuern. Zimmermann war ein Bastler und hatte noch dazu goldene Hände. Er reparierte alles, auch wenn im Moment keine Ersatzteile vorhanden waren. Es gab viele Geräte hier rund ums Projekt, die er selbst gebaut hatte, um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. Von diesen existierten keine niedergeschriebenen Pläne, da der Hausmeister dies gar nicht konnte, diese waren nur in Zimmermanns Kopf. Er war ein unbezahlbares Genie, das seinen Beruf liebte und darin völlig aufging. Seine Genialität war Gold wert, bei so einem riesigen Projekt, wie diesem. Das Mayer sich ihm zum Feind gemacht hatte, war sein größter Fehler gewesen. Den er im Laufe der Zeit noch oft bereuen würde. Denn Zimmermann würde Mayer noch sehr oft warten lassen, vor allem dann, wenn der Projektleiter in seinem Suff wieder einmal alles kurz und klein geschlagen hatte. Diese Behandlung würde der Hausmeister sich so nicht gefallen lassen. Vor allem auch deshalb, weil Zimmermann diese eigenartigen Kinder liebte, wie seine eigenen, die er nie hatte. Er war ihnen dankbar dafür, dass sie ihn oft zur Hand gingen, bei Sachen bei denen er sonst Spezialfahrzeuge ordern müsste.

Wütend auf das, was Mayer mit ihm gemacht hatte, kam Zimmermann nachdem er vom Doko behandelt wurde, noch einmal in unseren Raum. An diesem Tag trug er dafür Sorge, dass wir eine Stelle bekamen, wo wir uns absolut sicher fühlen konnten. Wo, wenn wir das nicht selber wollten, keiner mehr hinein kam. Er brachte im Inneren unseres Raumes eine kleine aber feine Vorrichtung an. Diese ermöglichte es uns, das Zimmer von innen hermetisch abzuriegeln.

"So meine Lieben, das war's für Mayer. Jetzt seid ihr hier drinnen ganz sicher. Ihr braucht nur den Riegel herunter zu drehen. Dann kommen hier nur noch die rein, die ihr herein lassen wollt. Dieser Arsch übertreibt es ganz schön. Erst vergreift er sich an der Kleinsten hier im Raum. Dann verprügelt er mich auch noch. Der Arsch merkt doch nichts mehr. Er soll sich nicht mit mir anlegen. Jetzt gehe ich noch hoch zu eurem Doko und wechsele die Tür, dann bekommt der Doko, auch noch so einen Riegel", wütend sah Zimmermann aus.

Nach dem er fertig war, die zwei Winkel und den drehbaren über die ganze Tür gehenden Riegel zu montieren, kam er hinter zu meinen Bett. Breit grinsend und mit tausend Teufeln im Gesicht, setzte er sich auf mein Bett. Zimmermann beugte sich zu mir herunter und streichelte mir lieb die Wange.

"So meine kleine Lyn, das hat er nun davon. Jetzt soll er mal versuchen, hier rein zu kommen. Da bricht er sich alle Knochen, der Arsch. Die Tür hat einen Kern aus Panzerstahl."

Zimmermann drehte seinen Kopf und grinsend zu Rashida. Dann wandte er sich wieder an mich. "Ach meine Kleine. Es tut mir so leid, was dir passiert ist. Ich glaube ich bin schuld an deinem Leid. Ich wusste nicht für, was er diese Teile brauchte. Sonst hätte ich mich geweigert, dies zu bauen. Er hat nur die Einzelteile bei mir bestellt. Mädchen, es tut mir so leid, was er dir angetan hat."

Zärtlich mit sorgenvollem Gesicht streichelte er mir immer wieder über meine Wange. Ich tastete nach seiner Hand und drückte sie lieb. Rashida, antwortete für mich, da ich immer noch nicht wieder in der Lage war zu sprechen. Sie ahnte wohl, was ich bei dessen Worten mir dachte. Sie kannte mich halt sehr genau.

"Sir, ich denke Lyn weiß, dass sie nichts dafür können, Sir. Der Oberstleutnant ist ein schlechter Mensch, Sir. Hätten sie es nicht gebaut, dann hätte es jemand anders gemacht, Sir. So sind ihnen wenigstens die Schmerzen erspart geblieben, Sir."

Traurig schüttelte Zimmermann den Kopf und öffnete seinen Overall. Wütend schnaubte Rashida und schüttelte den Kopf.

"Schon gut Rashida, das heilt wieder. Dann hätte ich lieber die Schmerzen gehabt. Was er mit Lyn gemacht hat, Rashida ist unmenschlich. Jeder hier im Projekt weiß, dass euch Licht in den Augen weh tut. Warum macht er das, ich verstehe diesen Mensch nicht. Wieso hat er nach vier Jahren, immer noch nicht gelernt zu verzeihen?", böse sah Zimmermann aus. Er hatte eine unsagbare Wut im Bauch, er riss sich zusammen. "Gute Besserung meine Kleine. Wenn ich irgendetwas für dich tun kann, sage es mir."

Ich bekam seine Worte schon gar nicht mehr mit, geschweige denn konnte ich darauf reagieren. Ich war schon wieder viel zu weit weg, als dass ich noch hörte, was er sprach. Traurig stand er auf und nahm sein Werkzeug. Fuhr nach oben zu den Jacobs, um auch für den Dika und den Doko eine sichere Zone zu schaffen. In die der Oberstleutnant nie wieder eindringen konnte. Das erfuhr ich allerdings erst zwei Tage später, als ich das nächste Mal kurz zu mir kam.

Rashida legte sich wieder hinter mich, um mir dadurch mehr Sicherheit zu geben. Dadurch bekam ich auch die Möglichkeit für eine schnellere Erholung. Noch weitere drei Tage Ruhe bekam ich. Nur eine Woche nach dem mich Mayer aus der Lichtbox heraus gelassen hatte, mussten wir zum nächsten Einsatz. Mayer war es egal, dass ich fast blind war und mich kaum auf den Beinen halten konnte. Der Oberstleutnant ging einfach zum normalen Tagesablauf über und nahm keine Rücksicht darauf, dass ich praktisch wehrlos war. Dank meiner Kameraden, überstand ich diese Wochen schadlos. Diese schützten mich mit ihrem Leben. Die Zeit verging wie im Flug und ein Einsatz jagte den nächsten. Wir bekamen kaum eine Möglichkeit, zum verschnaufen. Nach vier Wochen war meine Sehkraft wieder vollständig hergestellt. Etwas, dass der Doko nicht für möglich gehalten hatte und absolut nicht verstehen konnte. Eigentlich hätte ich nach dieser Behandlung, für den Rest meines Lebens blind sein müssen.

Auf Grund meiner speziellen Fähigkeiten, des Jawefan, konnte ich zum Glück vieles richten. Einfach durch die Konzentration auf die kranken Organe, eine Art Selbstheilung aktivieren. Auf diese Weise schaffte ich es immer wieder, in kürzester Zeit wieder zu genesen. Egal, was der Oberstleutnant mir antat. Immer wieder kam ich dadurch, schnell auf die Beine. Den Oberstleutnant ärgerte das ständig, dass er mit nichts erreichte, dass ich aussortiert und schlafen geschickt wurde. Alle waren wir uns einig, dass dies seine Absicht war. Immer wieder fragte ich mich, was ich getan hatte, dass er mich so hasste. Ich kam einfach nicht dahinter. Es machte mich immer traurig, dass es so war. Denn es gab Zeiten, da hatte ich ihn sehr gemocht.

Eins war mir aber bewusst, dass Mayer sich verdammt ärgern würde, wenn er wüsste, wie nahe er diesmal seinem Ziel gekommen war. Nur zwei Tage länger in der Lichtbox und ich hätte nichts mehr tun können und wäre für den Rest meines Lebens bind gewesen. Knapp war es diesmal, verdammt knapp.

Seit unserer Rückkehr aus Prag und nach meiner Bestrafung, wurde unser Leben wesentlich ruhiger und erträglicher. Zwar waren alle Einsätze, zu denen wir geschickt wurden, schwer. Seit Prag jedoch, kam der Oberstleutnant nur noch selten mit zu Einsätzen. Meistens schickte er den Betreuer Volkmar oder aber Doko mit. Das erleichterte vieles und machte unser Leben vor allem angenehmer. Die wenige Zeit die wir im Projekt verbrachten, tat uns der Oberstleutnant nicht wirklich weh. Da schliefen wir mehr tot als lebendig, in unserem Zimmer. Dort waren wir dank des Hausmeisters jetzt sicher und konnten versuchen, uns wenigstens etwas zu erholen.

Der Oberstleutnant erschien meistens nur, wenn der nächste Einsatz angekündigt wurde. Dann wurden wir zwar von dessen Gebrüll geweckt. Dies war allerdings ein gutes Zeichen, dass wir ihm wieder für einige Stunden, Tage oder Wochen entkommen waren. Wir konnten seinen Launen also für einige Zeit entfliehen. Auch wenn Mayer seit Prag, nur noch selten und wesentlich weniger trank, war seine Laune, um nichts besser geworden. Allerdings blieben die Mitarbeiter im Projekt, fast immer verschont. Nur wenn sie uns zu Hilfe eilten, wie der Doko es oft tat oder Zimmermann und sein Team, dann setzte es Schläge. Die meisten versuchten, deshalb unauffällig zu helfen, um einfach ruhiger leben zu können und weniger Schmerzen zu haben. Was man, wenn man öfters von Mayer Schläge abkam, verstehen konnte.

Wir waren so froh, dass einige im Projekt zu uns hielten und so wurde unser Leben wenigstens etwas erträglicher. Wir waren deshalb auch nicht wirklich böse, wenn er nicht mit zu den Einsätzen kam. Unser Leben war ohne ihn, um so vieles ruhiger und schöner. Vor allem hatten wir das Gefühl, richtige Menschen zu sein. Wir wurden nicht beschimpft und nicht misshandelt. Es war schön so zu leben.

Kapitel 3

Es war 4 Uhr 30 in der Früh, als die Antonow An-24 im Projekt landete. Wir kamen müde und völlig geschafft von einem langen und anstrengenden Einsatz im Hafen von Rostock zurück. Diesmal hatten wir den Einsatz mit der Soko Tiranus hinter uns gebracht. Müde liefen wir die Gangway, wie wir den Ausgang zum Flugplatz immer nannten, hinunter in Richtung unseres Raumes.

Dort wurden wir schon von Mayer erwartet, der sich mit vier Leuten aus der Wachkompanie umgeben hatte. Böse sah er uns an. Verdammt noch mal, ging es mir durch den Kopf, warum war der eigentlich schon wieder derart sauer auf uns. Es war keiner schwer verletzt und niemand war gestorben oder würde für längere Zeit ausfallen. Der Einsatz war erfolgreich zu Ende geführt. Warum konnte dieser Mensch nicht wenigstens einmal strahlen? Uns einmal nur zeigen, dass wir etwas gut gemacht hatten. Oberst Fleischer von der Soko Tiranus, war voller Lob und hier? Wurden wir wieder nur runtergeputzt. Ich verstand es einfach nicht. Rashida die wie immer Teil meiner Gedanken war, zu ihr ließ ich stets die Verbindung offen, versuchte mich zu beruhigen.

"Täubchen, lass ihn. Du weißt doch wie er ist. Ich würde mir an deiner Stelle eher Gedanken machen, wenn er dir auf die Schulter klopft und sagt, das habt ihr gut gemacht."

Da musste selbst ich lachen, obwohl mir gerade mehr nach heulen zumute war. Ich versuchte mir diese Szene vorzustellen. Einen Oberstleutnant Mayer, der mir zufrieden auf die Schulter klopft und mich lobt. Dies war etwas, dass mir bei aller Fantasie nicht gelingen wollte, egal wie sehr ich es versuchte und wie intensiv ich dies auch tat. Meine Fantasie reichte dazu einfach nicht.

"Lass das mal Täubchen, geb dir keine Mühe mehr. Das ist etwas, das müssen wir mit dir noch eine ganze Weile üben."

So flachsten wir noch etwas herum, bis wir endgültig vor unserem Raum angekommen waren. Ordentlich stellen wir uns in der Reihe vor dem Raum auf. Es dauerte keine halbe Minute, schon ging das Gebrüll wieder los. Ich glaube dieser Mensch konnte gar nicht mehr anders.

"Ihr braucht gar nicht erst rein kommen. Ihr Missgeburten, ihr könnt gleich wieder umdrehen", brüllte er uns an.

In einer langen Schimpftirade bekamen wir zu hören, was wir doch für abartige Kreaturen wären: Blablablabla, halt das was er seit Jahren über uns sagte. Wir hörte da schon lange nicht mehr hin. Kaum dass wir uns wie vorgeschrieben, vor unserem Raum aufstellt hatten, wurde uns an den Kopf geschmissen was wir für Abschaum waren. Ich würde nur allzu gern einmal wissen, warum der schon wieder so sauer war. Ich sah zu seinen Füßen und forderte mir damit die Sprecherlaubnis ein.

"98, was willst du Nervensäge schon wieder? Sprich."

Ich hob leicht den Kopf an, sah aber an ihm vorbei. "Sir, entschuldigen sie bitte, Sir. Dürfte ich darum bitten, dass wir duschen können, Sir. Was soll die nächste Soko von uns für einen Eindruck bekommen, wenn wir so dreckig dort erscheinen, Sir. Ich mache mir darüber Gedanken, Sir."

Dieses eine Mal hielt ich mich genau an den Wortlaut, den mir Raiko vorsagte. Versuchte auf diese Weise beim Oberstleutnant zu erreichen, was ich unbedingt wollte. Seit dem ich Raiko vor dem Oberstleutnant beschützt hatte, half dieser mir ab und zu, etwas für die Gruppe durchzusetzen. Raiko gab mir Hilfestellungen, wie ich ohne Kampf und nur durch Worten, für die Gruppe Zugeständnisse von Mayer bekam. Fast immer behielt Raiko damit recht, so auch heute. Auch wenn die Zeit nicht sehr lang war, die wir duschen konnten, so durften wir uns wenigstens kurz säubern.

"Sir, bitte die Koffer müssten aufgefüllt werden, Sir. Auch wäre es eventuell von Vorteil, Sir. Wenn wir etwas essen dürften, Sir. So sind wir leistungsfähiger, Sir, dadurch schneller mit dem Einsatz fertig, Sir", folgte ich ziemlich genervt, den gestelzten Wortlaut Raikos und dessen Rat, meine Bitten vorzutragen.

Dies war so gar nicht meine Art zu reden. Ich hielt nichts davon Mayer in den Arsch zu kriechen, dazu hasste ich diesen Menschen viel zu sehr. Mayer sah mich wieder einmal verwundert an, dann drehte er sich zu Raiko um. Also hatte er erkannt, dass dies Raikos Formulierungen waren. Na egal, das nächste Mal, würde ich einfach wieder meinen eigenen Worte nehme. Obwohl ich mal mit Raiko reden musste, dass er vielleicht die Sätze auf meine Weise aufbaute, denn zu meiner Verwunderung nickte Mayer und gab so seine Zustimmung, zu meiner Bitte. Welch ein Wunder war da denn gerade geschehen?

"Ihr habt eine Stunde, zum Duschen, Haareschneiden, anziehen und fertig machen. Dann seid ihr an der Maschine. Und zwar pünktlich, 98. Verstanden, ihr Dreckspack."

"Sir, jawohl, Sir", kam die fünfundvierzig stimmige Antwort.

 "Abtreten ihr Drecksbande."

 

 

 

Ohne eine Sekunde zu verlieren, drehten wir uns um und liefen in der geschlossenen Formation in unser Zimmer. Sofort stürmten wir weiter in die Dusche, um wenigstens diesen seltenen Luxus ein wenig genießen zu können. Die meisten nahmen das Messer mit. Damit ging das Schneiden der Haare einfach schneller. Wir waren froh wenigstens ein paar Minuten, unter dem heißen Wasser stehen zu können. Verwundert stellte ich fest, dass ich noch zu keinem Rapport war. Na ja, der würde bestimmt gleich kommen und mich wieder anbrüllen. Diesmal allerdings kam nichts. Also genoss ich die fünf Minuten Freizeit und das heiße Wasser. Es war wie ein Traum. So könnte es ewig gehen. Dann wusch ich mich und trocknete mich ab. Lief so nackt wie ich war, in unser Zimmer und kleidete mich neu an. Erfreut sah ich, dass Dika schon das Essen zubereitet und auf den Tisch gestellt hatte. Zufrieden setzte ich mich wie alle anderen hin und futterte meinen Brei. Ach wie gut das tat. Dika kam zu mir und gab mir, wie allen anderen, einen Kuss auf die Stirn.

"Na mein Mädchen, wie geht es dir. Braucht ihr Hilfe?"

Ich schüttelte den Kopf. "Dika nein, der Einsatz war zwar schwer, aber nicht schlimm. Wir haben nur ganz kleine Schrammen, die habe ich schon im Flieger versorgt. Dika, es ist nichts, was der Rede wert wäre. Dika, nur die Koffer müssten aufgefüllt werden, Dika. Schafft ihr das in zehn Minuten? Der Doko hat sie mit hochgenommen, Dika?"

Dika Anna lächelte mich an. "Lyn, die sind schon aufgefüllt und stehen vorn an der Gangway. Heiko hat sie da schon hingebracht und abgestellt. Du weißt doch ich bin von der schnellen Truppe. Ihr braucht sie euch nur nehmen. Ich soll dich lieb grüßen von ihm und auch von Zimmermann."

Lächelnd streichelte mir Dika über den Kopf. Sie war bestimmt froh, dass wir Kinder diesmal ohne Tote, nach Hause gekommen waren. In dem einem Jahr, das seit Prag vergangen war, hatten wir viele Tode gehabt. Bei vielen der ersten Einsätze, zu denen uns der Oberstleutnant in dem einen Jahr schickte, gab es Tote zu beklagen. Nicht immer, waren es falsche taktische Entscheidungen, die zum Tod meiner Kameraden führte. Einige waren ganz bewusst schlafen gegangen. So wie Fatih, Bela, Enid, Dion, Aina, Kyra und Phelan. Erst seit dem ich wirklich alle, nach jedem noch so kleinen Einsatz auf Verletzungen kontrollierte, gelang es niemand mehr schlafen zu gehen. Es war wirklich schlimm, in der ersten Zeit nach unserer Rückkehr aus Prag. Viele von uns, kamen einfach mit unserem Leben nicht mehr klar. Prag machte allen von uns immer noch zu schaffen und ließ uns kaum noch schlafen. Der Tod verfolgte uns Tag und Nacht. Manchmal dachte ich, dass dies der schlimmste Einsatz war, den wir je hatten und haben werden. Alle Einsätze danach waren zwar schwer, aber nie mehr hatte uns ein Einsatz so mitgenommen, wie dieser Eine. Bis jetzt hatte der Tod, schon neunundzwanzig unserer Kameraden geholt und das in nur einem Jahr. Wenn wir so weitermachen, lagen wir bald alle unter unserem Baum.

Viele von uns, hatte der Oberstleutnant einfach zu tote gequält. Wenn wir dachten es würde jetzt besser, weil der Oberstleutnant nicht mehr so viel trank, irrten wir uns gewaltig. Im nüchternen Zustand, war er noch unerträglicher. Vor allem hatte er jetzt wieder wesentlich mehr Kondition und Kraft. Seine zweite schlimme Strafe, nach der Einführung der Lichtbox, bekamen wir zu spüren, als er Kami, Mehil, Dea, Ezzo, Pius und mich, einfach in Fässer voller Milch steckte. Kami, Mehil und ich hatten das Glück zu überleben. Wenn man das überhaupt Glück nennen konnte. Mayer hatte uns dort nur hinein gesteckt, weil wir uns weigerten, zwei unsere Kameraden auszupeitschen, die nach einem Einsatz sowieso schon schwer verletzt waren. Dieser verdammte Arsch, wollte sie Auspeitschen, weil deren Waffen im Kampf zerbrochen waren. Der hatte sie doch nicht mehr alle. Wenn der uns nicht quälen konnte, ging es dem Oberstleutnant echt nicht gut, glaube ich.

Oh Gott sahen wir damals schlimm aus. Vor allen litten wir unter schlimmen Schmerzen. Selbst heute, nach fast einem Jahr, quälten wir uns immer noch mit den Folgen dieser Misshandlung herum. Weder Kami, Mehil noch ich hatten Haare und hatten immer noch überall am Körper offene Stellen, die einfach nicht abheilen wollten. Vor allem wurden diese Schmerzen nicht besser.

Da fiel mir etwas Wichtiges ein. Doko hatte irgendetwas gesagt, bevor wir zur Soko Tiranus geflogen waren. Er hätte eine neue Rezeptur für eine Salbe, die auch gegen den Wundbrandt helfen würde. Die könnten wir vielleicht einmal ausprobieren. Sobald Dika diese hergestellt hatte. Vielleicht half die endlich auch die letzten offenen Stellen auszuheilen. Erleichtert, dass mir das hier noch einfiel, wandte ich mich an sie.

"Dika, hast du die Salbe gemacht? Die der Doko entwickelt hat, bevor wir los sind", erkundigte ich mich, aus meinen Gedanken heraus und drehte mich zu Dika Anna um, die hinter mir stand.

"Ja mein Mädchen. Es ist die rote Dose und steckt schon in euren Koffern", dankbar sah ich sie an.

Vielleicht ließen dann die Schmerzen etwas nach. Unsere Haut brannte seit dem, wie Feuer. Es war nicht mehr so, dass wir uns vor Schmerzen krümmten, aber es wurde langsam aber sicher lästig. Die Schmerzen kamen zu den anderen dazu und es nervte nur noch. Manche Tage war es einfach nur die Hölle.

Meine Gedanken kehrten zu meinen toten Freunden zurück und damit kam der Hass auf den Oberstleutnant wieder hoch.

Rashida sah mich traurig an. "Täubchen höre auf darüber nachzudenken. Du kannst es doch nicht mehr ändern. Es macht dich nur kaputt."

Rashida mochte ja irgendwo Recht haben. Allerdings dachte ich immer an meine toten Freunde. Diese Gedanken halfen mir nicht nur mich zu erinnern, sondern sie machte mich vorsichtiger. Ich wollte nicht noch mehr von ihnen verlieren. Zum großen Teil, gab ich mir die Schuld, an deren Tod. Auch wenn meine Freunde nicht durch meine Hand gestorben waren. So doch, weil ich falsche taktische Entscheidungen traf. Das durfte mir nie wieder passieren. Cahil, einer meiner besten Nahkämpfer, verloren wir bei einem schweren Unfall. Er geriet zwischen ein Schleusentor. Dabei wurden ihm beide Beine abgequetscht. Wir schickten ihn auf seinen Wunsch hin Schlafen. Leider wirkten die Medikamente von Doko nicht mehr, die er bei den ersten Achtzehn genommen hatte, um sie glücklich einschlafen zu lassen. Wir fanden für uns eine andere Möglichkeit, die einigermaßen human war. Wenn man das Töten eines Freundes, überhaupt als human bezeichnen konnte. Bitter lachte ich auf. Aber dies war immer noch besser, als dass, was uns Zuhause erwartete. Dann wählten wir lieber unsere Art und Weise zu sterben.

Nach dem Tod von Danko hatten wir uns geschworen, es nie wieder zu zulassen, dass der Oberleutnant einen von uns schlafen schicken würde. Ach Manne, da kam gleich wieder diese unendliche Wut in mir hoch. Es passierte, als wir von einem Einsatz, den zweiten nach Prag zurückkamen. Bei dem wir Bado, Ewan, Dija verloren. Wir wussten, dass wir eine schlimme Strafe bekommen würden. Viele von uns waren damals schwer verletzt. Der Einsatz war fast so schlimm, wie der von Prag. Wir trauten uns nicht, schon wieder die Ginos rufen. Wir hatten alle panische Angst davor. Also kämpften wir uns so durch diesen Einsatz. Als wir zurück kamen, sah der Oberstleutnant, dass Danko bei diesem Einsatz ein Finger verloren hatte. Ich machte mir solche Vorwürfe, dass ich diesen nicht wieder angenäht hatte. Aber der Finger hing nur noch an zwei dünnen Hautpartikeln. Wenn ich gewusst hätte, dass das Dankos Tod bedeutete, hätte ich mir die Zeit dazu genommen. Es war nur der kleine Finger, ein Finger, den man nur bedingt brauchte. Ich sah es nicht als schlimm an, wenn dieser fehlte und Danko auch nicht. Ich musste noch einunddreißig Verletzte versorgen, die weitaus schlimmer dran waren. Müde legte ich den Kopf in den Nacken und ließ mein Genick knacken, um mich etwas zu entspannen. Kehrte allerdings sofort zurück zu meiner Erinnerung. Der Oberstleutnant steckte damals Danko einfach in die Tonne und füllte diese mit Wasser. Als ich fragte warum? Bekam ich zur Antwort.

"Er ist ein Krüppel. Was willst du mit dem noch, 98? Er kann nie wieder die volle Leistung bringen."

Ich schrie Mayer an. "Wieso? Es ist doch nur ein Finger, er kann noch schießen, kann noch laufen und kann noch kämpfen. Der Finger fehlt ihm nicht wirklich. Es behindert ihn doch nicht bei seiner Arbeit."

Böse fuhr der Oberstleutnant herum. "Halt deine dreckige Schnauze du Vieh. Wer gibt dir das Recht zu bestimmen, wer hier aussortiert wird und wer nicht. Wer ist hier der Chef, du oder ich. Halte dein verdammtes Maul, du Stück Scheiße. Ich sagte, er ist ein Krüppel, basta. Sowas brauchen wir hier nicht. Solche Dinger werden ausrangiert. Ende der Diskussion."

Ich ging an die Decke und schrie ihn weiterhin ohne Sprecherlaubnis an. "Dann war ihre Ilka ein noch größerer Krüppel. Warum haben sie die im Leben gelassen? Oder war es Absicht, sie zu uns zu bringen, obwohl ich sie davor gewarnt habe. Wollten sie, dass sie stirbt? Haben sie mich deshalb gegen das Bett geschmissen? Damit ich sie nicht retten konnte. Wollten sie Ilka auch aussortieren? Um sie endlich los zu werden, ihr verkrüppeltes Kind."

Mit allen hatte Mayer gerechnet, aber nicht mit diesen Worten von mir. Fassungslos starrte er mich an und ging auf mich los. Diesmal ich wehrte mich und es kam zu einem richtigen Kampf. Er konnte von Glück reden, dass ich ihn nicht wirklich angriff, sondern mich nur gegen seinen Angriff wehrte. Erst als die Anderen sich einmischten, uferte es aus. Es brauchte achtzehn Leute vom Wachpersonal, die mich von Mayer wegtrieben. Sonst hätte ich ihn womöglich damals getötet. Zum Schluss trieben sie mich mit Flammenwerfern in eine andere Ecke des Raumes. Damit machten sie es nur noch schlimmer. Denn dadurch brach der Gino durch, oh mein Gott, habe ich die Wachleute schwer verletzt. Innerhalb von nur dreißig Sekunden lagen alle schwer verletzt am Boden. Erst dann ließ man mich in Ruhe. Nach der Rückverwandlung, hätte ich nur noch schreien mögen. Die Wachmannschaft konnte nichts dafür, die führten genau wie wir nur Befehle aus. Ihnen blieben oft gar keine Optionen. Zum Glück ich konnte alle retten. Rashida die mir bei den Operationen half, genau wie Jaan, wollte nicht glauben, was geschehen war. Auch dem Oberstleutnant versorgte ich die Wunden. Es half alles nichts. Er ließ Danko in das Fass einsperren und ließ ihn dort zwei Tage darin. Mich ließ er, zum selben Zeit ans Gestell hängen, genauso lange und auspeitschten. Beobachtete von dem Fenster seiner Wohnung aus, dass seine Befehle auch befolgt wurden. Als man Danko, nach einer Stunde aus der Tonne holen wollte, nur solange schafften es alle von uns, ohne Atmung unter Wasser auszuharren. Öffnete er das Fenster, schoss einfach auf Heiko Corsten. Demjenigen aus der Wachmannschaft, der Danko ohne dessen Erlaubnis aus der Tonne holen wollte und verletzte ihn schwer. Rashida und Jaan konnten ihn gerade noch retten. Nach den zwei Tagen, wurde ich vom Gestell gelassen. Erst dann durften wir Danko aus der Tonne herausholen und konnten ihn wegschaffen. Wir gingen zu unserem Baum und beerdigten ihn. An diesem Tag hatten wir uns, bei unseren toten Kameraden geschworen, lieber töten wir uns selber, als das noch einmal den Oberstleutnant tun zu lassen. Erst danach ging ich zu Doko, um mich versorgen zu lassen. Als ich dem Doko erklärte, dass ich ab sofort jeden töten würde, der verstümmelt war, ging er fast an die Decke. Erst als Heiko Corsten, der immer noch auf der 6/rot lag, zu sich kam und unserem Doko erklärte, was Mayer mit Danko gemacht hat, begriff er mein Verhalten. Ich wusste nicht, dass der Doko und die Dika nicht da waren. Diese hatten gar nicht mitbekommen, was dieser Unmensch Danko angetan hatte. Sie waren erst fünf Minuten im Projekt, als ich zum Verbinden hoch auf die 6/rot kam. Beide waren außer sich vor Wut. Trotzdem versuchten sie mir diesen Entschluss auszureden. Es war sinnlos. Wir hatten es uns geschworen. Ich würde niemals einen Schwur brechen. Das wäre für mich das Gleiche, als würde ich meine Freunde verraten.

Der nächste den wir verloren war Fedon. Ihn erlösten wir vor sieben Monaten von seinem Leiden, in dem wir ihn den Todesschuss gaben. Eine überhöhte Dosis vom N47, die es ermöglichte, dass diese nicht lange leiden musste und dann für immer schlafen gehen konnte. Wenn der Oberstleutnant, Danko wegen eines fehlenden Fingers tötete, war dies die einzige richtige Entscheidung. Fedon hatte dann gleich gar keine Chance zu überleben. Denn ihm wurden durch einen Querschläger, zwei Wirbel der Halswirbelsäule zerschlagen wurde und er war dadurch, von der Halswirbelsäule abwärts gelähmt. Miles schickten wir auch schlafen, ihr wurden während eine Geiselnahme durch Mitglieder einer Rockergang, beide Augen ausgestochen. Leider konnte ich ihr nicht mehr helfen, wir kamen einfach viel zu spät. Sie bat uns, um die Erlösung.

Danach kam, diese Rettungsaktion, als einige der ortsansässigen Fischer, in der Ostsee in Seenot gerieten. Wir fuhren mit der Küstenwache auf die offene See hinaus und suchten in der Nacht mit allen Kräften, nach den Vermissten. Zwanzig der Seeleute, konnten wir aus dem eisigen Wasser retten und mit den Rettungsinseln bergen. Wir schwammen, da wir durch die hohe See, nicht mehr an die Boote heran kamen, mit den Geretteten auf speziellen Rettungsflößen ans Ufer. Der Sturm wurde immer schlimmer und die Rettungsinseln konnten nicht die Seeleute und uns tragen, deshalb schwammen wir die geretteten hinter uns herziehend an Land. Wir machte Kälte wesentlich weniger zu schaffen, als normale Menschen. Ona und Emy schafften es zwar noch irgendwie ans Ufer und konnten dadurch die Seeleute retten. Die Unterkühlung durch das eisige Wasser, war bei den Beiden so schlimm, dass wir sie nicht mehr retten konnten. Sie verstarben noch in der gleichen Nacht. Fast achtzehn Stunden, hatten die Beiden, gegen die hohe See gekämpft. Sie waren wesentlich länger in dem eisigen Wasser, als wir anderen, denn sie waren weiter draußen auf dem offenen Meer. Da es Anfang Januar war, herrschte im Wasser eisige Kälte. Ona und Emy spritzen aus ihrer Verzweiflung heraus, den Seeleute ihrer Dosis K33, ein Mittel, welches die Körpertemperatur erhöhte und eigentlich nur für uns bestimmt war. Sie hatten von den vorbereiteten Spritzen mit dem K35, was für normale Menschen eingesetzt wurde, nur drei Spritzen dabei. Dies reichte nur für knapp zwölf Stunden. Da wir gegen Kälte wesentlich unempfindlicher sind, spritzten sie ihre Dosis den Seeleuten, die sonst jämmerlich erfroren wären. So waren die Zwei nicht mehr gegen die Kälte geschützt und verloren dadurch viel zu viel Körperwärme. Sie schafften es gerade noch, die beiden Männer in Ufernähe zu bringen, bevor sie das Bewusstsein verloren. Wir schwammen den zwei Mädchen zwar entgegen, aber es war zu spät. Die vier Seeleute hatten zwar im Anschluss einige Wochen schwere Nierenprobleme, jedoch konnten sie dadurch überleben. Die Seeleute hatten mehr Glück als Ona und Emy.

Müde rieb ich mir das Gesicht und ließ meine Gedanken weitertreiben, zum Stechliner See. Rashida wurde auf einmal böse mit mir.

"Täubchen höre endlich auf damit. Es nervt mich nur noch. Immer und immer wieder kaust du diese alten Geschichten durch. Willst du mich quälen oder warum tust du mir das an. Immer wieder gehst du all die Toten durch. Was bezweckst du damit?"

Traurig sah ich zu meiner Freundin, der ich dies schon so oft erklärt hatte.

"Du fragst mich schon wieder warum, Rashida? Damit ich nie vergesse, was geschah. Eines Tages werde ich erreichen, das verspreche ich dir jedes Mal, dass der Oberstleutnant bestraft wird. Rashida, er darf dies alles nicht mit uns tun. Irgendwann kommt der Tag, an dem abgerechnet wird. Dann bekommt der Oberstleutnant für das, was er uns und unseren Freunden angetan hat, in all den Jahren, eine verdammt harte Strafe. Dann muss ich noch jedes winzige Detail wissen und darf nichts vergessen. Wie soll ich sonst, für Gerechtigkeit sorgen, sag mir das."

Tief holte ich Luft, um mich zu beruhigen und sah mich um, alle waren fertig mit Essen.

Ich stand auf und jagte alle auf die Beine. "Los, hoch mit euch, wir müssen in vier Minuten an der Antonow sein. Sonst gibt es unnötigen Stress", sofort standen alle auf. "Leute, ihr könnt im Flieger schlafen. Hopp, hopp, hopp ihr müden Krieger", trieb ich alle laut, mit einem Spruch von Dika zur Eile an. Erntete dafür ein  Lächeln der Dika, die mir aufmunternd zunickte.

 

 

 

 

In einer Doppelreihe aufschließend marschierten wir los und griffen uns an der Gangway, im Vorbeilaufen, die bereit gestellten Koffer. In ordentliche Formation, gewaschen, sauber angezogen, vor allem aber satt, erreichten wir das Flugzeug. Genau eine Minute, bevor wir da sein sollten.

"Rein mit euch Bagage. Beeilung ihr faules Pack."

Schnauzte der Oberstleutnant uns sofort wieder an. Wie immer konnten wir ihm nichts Recht machen. Aber es wäre auch ein Wunder, wenn es anders wäre. Da gab ich Rashida recht. Das würde mir Sorgen bereiten, wenn Mayer nett zu uns wäre und zwar riesengroße. Wir begriffen jetzt auch, warum er so schlecht gelaunt war. Er musste bei diesem Einsatz mitkommen. Ich verdrehte die Augen bis Anschlag und war nicht das erste Mal froh, dass der Oberstleutnant, durch unsere Brillen meine Augen nicht sehen konnte. Nichts Gutes ahnend, ging ich auf meinen Platz und hoffte nur das Beste. Zu gut war uns der letzte gemeinsame Einsatz in Erinnerung. Prag würde keiner von uns vergessen.

"Täubchen, bitte bleibe ruhig. Bitte, nur mir zu liebe. Denke an die schlimmen Sachen, die er dir angetan hat. Weiß der Teufel, was der dir noch antut, wenn du wieder so ausflippst. Bitte Täubchen, ich will dich nicht noch mal verlieren. Täubchen, das halte ich nicht noch einmal aus. Ich dachte damals, ich muss schlafen gehen. Bitte, ich kann ohne dich nicht leben", weinend sah mich Rashida an.

"Ich versuche es Rashida, ich verspreche es dir. Ich versuche ruhig zu bleiben, wirklich."

Damit gab sich Rashida zufrieden, denn auch sie war abgelenkt. Statt wie gewöhnlich, sofort im Cockpit zu verschwinden, setzte sich der Oberstleutnant zu uns, so weit weg, wie es im Flieger möglich war.

"Rashida, was soll das werden? Der soll verschwinden! Vor zu den Piloten. Der Arsch, soll uns lieber das Dossier geben", irritiert sah ich meine Freundin an.

Denn normaler Weise blieb der Oberstleutnant nicht länger in unserer Nähe, als unbedingt sein musste. Er hatte schon einige böse Auseinandersetzungen mit uns gehabt, von daher mied er so oft es ging, unsere Nähe. Er blieb gerade so lange, um uns fertig zu machen. Kaum, dass die Maschine gestartet war, schnallte sich der Oberstleutnant sofort wieder ab und ich atmete erleichtert aus.

"Herhören ihr missgebildete Bagage. Heute bin ich bei dem Einsatz dabei. Ich will nicht, wieder so einen Ärger wegen euch, wie in Prag, habt ihr das verstanden."

"Sir, jawohl, Sir", antworten wir alle.

"So, jetzt zu dir, schlimmste aller Missgeburten. 98, während des Einsatzes, darfst du sprechen, zu allem was zum Einsatz gehört, ohne dir die Sprecherlaubnis zu holen. Hast du kleine Mistkröte das verstanden?"

"Sir, jawohl, Sir."

"Noch eine Sache, ich habe es einfach satt, jedes Mal erst einen Teamleiter zu bestimmen, der euch Bastarde anführen soll. Ab sofort 98, ist diese Gruppe Missgeburten, offiziell das Team 98 und läuft fortan unter dieser Bezeichnung... ", Mayer fing an fies zu grinsen. "... Hundert seid ihr ja Gott sei Dank, schon lange nicht mehr. Dafür habe ich ja schon gesorgt. Ab sofort bist du der Teamleiter, egal welche Einsätze es sind. Du trägst ab sofort, für alles die volle Verantwortung. Du wirst stets alles ausbaden, was diese Missgeburten versauen. Ich freue mich jetzt schon darauf, dich zu bestrafen. Das wird mir ein Vergnügen sein... ", dabei verbeugt er sich grinsend vor mir, "... und wird mir vor allem, wie Honig die Seele streicheln."

Bösartig blickte er mich an und dachte er konnte mich damit ärgern. Mayer hatte wirklich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Wie sagte Dika Anna immer, der Oberstleutnant würde sich sein Hirn wegsaufen. Als ob es eine Strafe wäre, mich zum Teamleiter zu machen. Da ich nichts sagte, brüllte er mich an.

 "Ist dir die Stimme abhanden gekommen. Ich will wissen ob du das kapiert hast, du Mistkäfer?"

"Sir, jawohl, Sir. Ich habe sie sehr wohl verstanden, Sir. Sie waren sehr deutlich, Sir", insgeheim lachte ich mich halb tot, war schon wieder versucht ihn zu provozieren. Hielt mich nur ungern zurück. Ich hätte ihm so gern einige andere Dinge gesagt. Vor allem solche Sachen die er gar nicht hören wollte. Bekam von allen Seiten zu hören.

"Bleibe bitte ruhig, Lyn."

Also atmete ich im Inneren tief durch und sah zu seinen Füßen. Signalisierte ihm so, dass ich noch etwas sagen wollte.

"Was ist los 98? Hörst du eigentlich nie auf zu nerven, du Missgeburt?"

"Sir, entschuldigen sie, Sir. Wenn ich die Teamleitung jetzt inne haben, dürfte ich sie bitten mir das Dossier zur Durcharbeitung zu geben, Sir", gab ich die Worte von Raiko wieder, um ihm nicht zu sagen, dass er ein hirnloses Stück Scheiße ist. Das hätte ich, ihn viel lieber gesagt.

"Das bekommst du in Rumänien. Seht zu, dass ihr wie Menschen ausseht ihr, nutzloses Pack." Mayer drehte sich mit den letzten Worten, um und ging nach vorn in das Cockpit.

"Endlich", kommentierten viele meines Teams, seinen Weggang und nicht nur ich, war erleichtert.

Im Anschluss gratulierten mir alle zum Teamleiter und sagten mir, dass sie sich darüber freuten. Dass ich nun auch offiziell die Teamleitung übernommen hätte. Inoffiziell hatte ich sie schon vor fast fünf Jahren übernommen. Seit der Beerdigung von Keri und den Siebzehn, vertrauen mir alle und hatten ohne murren meine unabsichtlich übernommene Führung anerkannt. Das was der Oberstleutnant sich als Strafe ausgedacht hatte, war eigentlich eine offizielle Beförderung für mich. Auf eine Position, die ich schon viele Jahre innehatte. Die dieser aber in seinem kranken Kopf, gar nicht mit bekam. Tief holte ich Luft und gab einen eindeutigen Befehl, den ich breit grinsend aussprach.

"Jetzt müsst ihr immer auf mich hören. Also los, alle in die Sitze und schlaft. Weiß der Teufel, wie lange der Einsatz dauert und vor allem, was da auf uns zukommt."

Fast im gleichen Moment, als ich den Befehl zum Schlafen gab, kam der Copilot der Maschine nach hinten, zu uns. Er sah wie er es immer machte, nach dem Rechten. Besorgt darüber, dass Mayer mit uns alleine war.

"Na Kinder, wie sieht’s aus, wollt ihr was trinken. Der Oberstleutnant schläft. Ich glaube der hatte gestern, einen anstrengenden Abend. Ich musste grad mal frische Luft schnappen. Im Cockpit wird man schon vom einfachen Luft holen, besoffen. Also wundert euch nicht, wenn Kuno heute länger fliegt. Wir werden vorn besoffen und fliegen Zickzack", Neugebauer lacht dabei schallend.

Wie immer konnte er sich einige böse Bemerkungen, nicht verkneifen. Neugebauer und Mayer, das passte irgendwie nicht zusammen. Wenn es um den Oberstleutnant ging, sprang der Copilot regelmäßig im Dreieck. Neugebauer wedelte sich mit der Hand vor der Nase, um den Gestank loszuwerden. Also hat Mayer wieder einmal getrunken und hatte also, einen schlimmen Kater.

"Genosse Neugebauer, sie wissen doch wie das ist. Wir haben immer Durst, Sir. Können sie uns sagen, wie langen wir fliegen, Sir und vor allem wohin?", wollte ich wissen.

Neugebauer streichelt mir das Gesicht. Ich liebe die beiden Piloten, mit denen wir zu neunzig Prozent flogen. Diese behandeln uns stets wie Menschen und waren immer nett zu uns. Auch dann, wenn der Oberstleutnant dabei war. Ich musste lachen, denn mir fiel gerade eine schöne Episode ein, die wir mit den Piloten zusammen erleben durften.

Einmal, bei einem Übungseinsatz, ich glaube es war der letzte vor Prag. Wollte der Oberstleutnant, den Piloten Oberst Kuno Melker, aus irgendeinem für uns nicht verständlichen Grund, zusammenschlagen. Da stellte sich Melker vor Mayer hin und grinste diesen frech an.

"Genosse Oberstleutnant, das machen sie genau einmal und glauben sie mir eins, ich freue mich drauf", dabei sah er seinen Copiloten an, lachte diesen offen ins Gesicht.

Uns allerdings rutschte das Herz in die Hose. Solche offene Gegenwehr hatten wir noch von niemand erlebt.

"Warum?", konnte sich der Oberstleutnant, in seinen besoffenen Zustand nicht verkneifen.

Wir standen vor dem Flugzeug, bekamen alles mit und konnten dies nicht glauben, was wir da gerade erlebten. Verfolgten nur mit den Augen dieses ungewohnte Schauspiel, was wir zu sehen bekamen. Es traute sich jemand, dem Oberstleutnant Parole zu bieten. Wir waren fassungslos und konnten nicht glauben, was da ab ging. Oberst Melker stellte sich breitbeinig, vor den im Rang unter ihn stehenden Mayer und grinste diesen von oben herab an.

"Sind sie schon wieder so besoffen, dass sie sich das nicht denken können, Mayer. Na ja, da ich werde es ihnen mal erklären müssen", sprach Melker in einen Ton, der mein Herz zum Stillstehen zwingen wollte. "Es ist nämlich so liebes Mayerchen…", dabei grinste er dem Oberstleutnant frech ins Gesicht. "… dass dies dann genau ihr letzter Fehler wäre, Mayer. Zum Ersten, wäre das ein Angriff auf einen höher gestellten Offizier, ich bin Oberst und sie nur ein Fußabtreter von Oberstleutnant", mir wurde immer schlechter. Melker behandelte Mayer wie dieser uns immer behandelte, dass ging nicht gut. Das war gar nicht gut.

"Wi...", versuchte Mayer den Piloten zu unterbrechen.

"Schnauze Mayer, jetzt hören sie mal zu und ich spreche. Zum Zweiten liebes Mayerchen, wäre es mir ein Vergnügen, ihnen einmal zu zeigen, wie zwei alte Fallschirmjäger, wie der Genosse Neugebauer und meine Wenigkeit, mit einem versoffenen Großmaul wie ihnen umgehen. Wenn dieses gewisse Etwas, den Fehler begeht, uns anzugreifen. Zum Dritten liebes Mayerchen, bräu…"

Der Oberstleutnant wollte noch einmal versuchen den Piloten zu unterbrechen, was Melker sofort unterband.

"Sofort, das Maul halten, stillgestanden und zugehört, Oberstleutnant. Hören sie mir jetzt sofort und vor allem genau zu, liebes Mayerchen. Schnauze verdammt noch mal, ich bin am Ende mit meiner Geduld. Zum Dritten lieber Mayer, bräuchten sie danach nie wieder einen Piloten. Sondern nur noch ein Holzkistchen, von einem mal einem, mal einem Zentimeter, weil wir so klein zusammenfalten, dass sie dort hineinpassen. Wir würden sie liebend gern sechs Fuß unter uns vergraben. Dann hätten wir zwei Vorteile. Zum Ersten ein gelöstes Problem und zum Zweiten, wäre es für uns ein Vergnügen auf ihnen auch einmal so herum zu trampeln, wie sie es ständig mit ihren Untergebenen tun. Deshalb liebes Mayerchen wäre dies dann ihr allerletzter Fehler. Merken sie sich also eins für die Zukunft. Solange sie sich in unserem Flugzeug aufhalten oder in unserer Nähe sind, greifen sie keins dieser Kinder hier und keinen unserer Kollegen mehr tätlich an. Weil sie mit dem Echo, ganz bestimmt nicht umgehen könnten. Ich verspreche ihnen eins, die Türen lassen sich auch im Flug öffnen. Die Landung ohne Fallschirm, soll etwas schmerzhaft sein und hat wirklich noch keiner, aus fast tausend Meter Höhe überlebt."

Breit grinste Melker den fassungslosen Oberstleutnant an, der alles aber nicht das erwartet hatte. Denn stets war dieser sich seiner Macht bewusst und war es absolut nicht gewohnt, von jemand Parole zu bekommen. Außer von unserem Doko, dieser hielt sich aber auf unser Bitten hin sehr zurück. Melker wollte sich gerade abwenden, als ihm noch etwas einfiel.

"Ach Mayerchen, bevor ich es vergesse, noch kurz eine Information für dich. Sollten sie versuchen, für uns Ersatz zu bekommen. Gäbe es arges Problem für dich Großmaul. Zum Ersten, Genosse Mayer und merken sie sich das gut. Sammle ich seit über vier Jahren, Daten über all ihre Verbrechen an den Kindern. Zum Zweiten Genosse Mayer, werden sie kaum einen Piloten finden, der wie wir beiden, fast alles fliegen kann und dann auch noch eine Ausbildungsberechtigung hat. Zum Dritten Genosse Mayer, eine kleine Überraschung für sie. Auch der Genosse Hunsinger wird ihnen diesmal ihren zarten Arsch nicht retten. Weil er vorsichtig sein muss, was er gegen mich unternimmt. Er ist mit meiner kleinen Schwester verheiratet. Sie werden ihn kaum oder nur sehr schwer gegen mich aufhetzen können, er liebt meine Schwester nämlich mehr als sie und vor allem, kennen wir uns schon seit dem Sandkasten. Also überlegen sie sich noch einmal ganz genau, ob sie die Hand gegen mich, meinen Copiloten oder jemanden anderen in meiner Nähe erheben. Das verspreche ich ihnen, ist dann das allerletzte Mal gewesen, dass sie ihre Hand gegen jemanden erhoben haben."

Wir standen fassungslos vor der Maschine und trauten uns kaum Luft zu holen. So war noch niemand mit dem Oberstleutnant umgegangen. Dies würde er sich nicht gefallen lassen. Wir beteten alle darum, dass der Pilot uns bei dem Einsatz nicht, mit dem Oberstleutnant alleine ließ. Der war nicht nur auf neunhundertneunundneunzig, sondern, ach ich weiß nicht, wo er war. Wahrscheinlich irgendwo oben bei der Sonne, im Weltall. Schneeweiß und ich glaube völlig nüchtern hatten ihn diese Worte von Melker gemacht. So aufgebracht, hatten wir den Oberstleutnant danach nie wieder gesehen. Er schluckte wortlos und drehte sich zu uns um. Wütend schrie uns an, was wir so klotzen würden. Wenn er gewusst hätte, dass wir uns, nachdem wir uns von den ersten Schrecken erholt hatten, gerade vor Lachen, fast nicht mehr gerade halten konnten. Ich glaube da hätte er uns alle umgebracht. Aber Melkers Predigt und deren Inhalt, ging uns runter wie Öl.

Rashida finge genau wie ich an, schallend zu lachen. Auch ihr gefiel immer noch der Gedanke, an das mehr als dumme Gesicht des Oberstleutnants. Seit diesem Tag, war Mayer immer sehr vorsichtig, in allem, was er in Melker oder Neugebauers Beisein machte. Deshalb bekamen wir immer etwas zu trinken im Flugzeug und von den Piloten, auch immer ein nettes Wort. Neugebauer der gerade wieder zu mir vor kam, drückte mir und Rashida eine Flasche Wasser in die Hand und musterte mich genau.

"Lyn, sag mal, über was lachst du, Mäuschen."

Verlegen sah ich ihn an.

"Na komm, sag es mir ins Ohr, dann hört es keiner aus mir."

Also ging ich an sein Ohr, sagte ganz leise. "Sir, mir ist gerade die Sachen mit dem Genossen Melker, durch den Kopf gegangen, Sir."

Sofort fing auch Neugebauer an zu grinsen. "Das ging euch damals runter wie Öl, oder?"

Rashida, wie auch alle anderen und ich, nickten.

"Das kann ich mir vorstellen. Mir auch, glaubt es mir. Wir haben noch wochenlang, darüber gelacht", schnell wurde er wieder ernst und wechselte er das Thema. "Lyn ihr habt gute zweieinhalb Stunden. Falls wir keine Schlechtwetterfront unterwegs haben. Die könnt ihr zum Schlafen nutzen. Wir können auch ein paar Schleifen fliegen, wenn ihr mehr Schlaf braucht. Das bekommt Mayer gar nicht mit. Wir haben Sprit für fünf Stunden an Bord", offen grinste er uns an.

"Sir, zweieinhalb Stunde reichen, es ist mehr als wir sonst haben, Sir", ganz leise setze ich dazu. "Sir, wir wollen den Oberstleutnant wieder los werden. Je eher wir fertig sind, umso eher ist er wieder weg, Sir."

Ein herzliches Lachen, kam von Neugebauer. "Na dann, trinkt etwas und schlaft gut. Bis zum Heimflug dann", der Copilot ging er kopfschüttelnd nach vorn ins Cockpit, um seiner Arbeit nachzugehen.

Rashida nahm ihre Flasche und trank einen großen Schluck. Dann zog sie mich in ihre Arme. "Na Täubchen, jetzt hast du aber gelacht oder?"

Ich nickte. "Nur gut, dass die unsere Gedanken nicht hören können. Wenn der Oberstleutnant wüsste, dass wir jetzt hier hinten alle schallend über ihn lachen, weißt du, was der da mit uns machen würde?"

Nun war es Rashida breit zu grinsen. "Klar, er würde eine Handgranate nehmen, den Splint ziehen und uns alle erlösen. Der würde nicht mal daran denken, dass er sich dabei selber umbringt. Dann hätten wir ein gelöstes Problem."

Lachend saß das ganze Team da. Alle waren am Kopf schütteln, über unsere Rashida, die immer sagte, was alle dachten.

"Na Leute, nun aber Ruhe, Augen zu und schlafen. Wir haben nur zweieinhalb Stunden. Hopp, hopp ab ins Körbchen, würde Dika Anna sagen", machte ich noch ein letztes Späßchen.

Lachend rollten sich alle zusammen. Ach, wie lange hatten wir das nicht mehr gemacht. Noch während mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, zwang mich meine Rashida in den Schlaf.

"Höre auf zu grübeln Täubchen, unsere Teamleiterin hat grad gesagt wir sollen schlafen. Das gilt auch für dich, immer willst du eine Sonderbehandlung, ich verpetze dich bei ihr", flachste sie mit mir herum und zog sich mich an sich heran. "Ach, wie habe ich dich vermisst", flüsterte sie mir ins Ohr.

Wie immer hatte sie Recht. Also hörte ich auf sie und keine drei Atemzüge später schliefen wir, für fast zwei Stunden, einen erholsamen Schlaf. Beschützt von unseren Piloten. Hier griff uns der Oberstleutnant, nicht so schnell an. Nur beim Rapport, traute er sich uns zu schlagen, das bekamen die Piloten leider nicht mit. Eine halbe Stunde vor der Landung, wurde ich erholt munter, schielte hoch zu Rashida, diese schlief selig, also versuchte ich ruhig zu liegen, um sie nicht zu wecken. Zum nichts tun verdammt, konnte ich nur meinen Gedanken nachhängen.

 

 

 

 

Deshalb kehrte ich zu meinen toten Kameraden zurück. Es war wirklich so, wie ich es Rashida gesagt hatte. Ich holte mir diese Gedanken nur immer wieder zurück, weil ich alles behalten wollte, jedes noch so kleine Detail. Damit ich, wenn ich eines Tages, die Möglichkeit bekäme, den Oberstleutnant anzuzeigen, alles noch genau wusste. Irgendwann ging es mir immer durch den Kopf, musste es auch für uns eine Gerechtigkeit geben. Eines Tages, das haben mir der Doko und die Dika immer wieder gesagt, damals als ich eine reichliche Woche, oben in der Wohnung der Jacobs gelebt hatte, würde dieser Tag kommen. Irgendwann bekämen wir ein Leben, in dem wir keine Schläge mehr einstecken mussten und wir immer weichen Betten schlafen könnten. Vor allem, dass wir ab diesem Tag nie wieder hungern müssten. Wir würden immer duschen und schlafen könnten, solange wir es irgendwie ging und bekämen immer genügend Wasser. Ab diesen Tag bräuchten wir nie mehr in der Angst davor zu leben, gefoltert zu werden. Wenn wir das je erleben sollten, würde dies auch der Tag sein, an dem ich alles berichten konnte, was dieser Unmensch mit uns gemacht hatte. Dies wäre der Tag unserer Rache.

Wenn ich ehrlich sein sollte, glaubte ich nicht wirklich daran, dass es das für uns so etwas geben konnte. Jeder der ein bisschen Gerechtigkeit für uns erreichen wollte, wurde sofort aus dem Projekt verbannt, oder bekam Schläge. Doko, Dika und vielen aus unserer unmittelbaren Nähe hatte ich verboten, sich für uns stark zu machen. Aus Angst, dass man sie einfach erschoss, wie es der Oberstleutnant mit Heiko Corsten machen wollte. Das durfte einfach nicht geschehen. Ich schob diese Gedanken beiseite, kehrte zurück zu meinen toten Freunden.

Tief ging ich in mich und holte mir die Bilder zurück, die vorhin unterbrochen wurden. Wo war ich stehen geblieben? Überlegte ich krampfhaft. Ach jetzt fiel es mir wieder ein, das Ona und Emy gestorben waren, bei dem Einsatz mit der Küstenwache.

Beim darauf folgenden Einsatz starb Conan. Durch einen dummen Fehler oder wie ich eher vermute, mit Absicht. Er hatte, obwohl ich ihn das schon so oft darum bat, er soll sich besser konzentrieren, den Hahn einer Gasflaschen nicht richtig zugedreht. Als wir, um durch eine Stahlwand zu kommen, ein Schweißgerät benutzen mussten. Als die heraus geschweißte Platte auf den Boden fiel, gab es eine Explosion. Bei der Conan getötet und einige von uns, zum Teil schwer verletzt wurden. Ich hatte oft darüber nachgegrübelte, warum diese geschah. Immer wieder denke ich, er war in Gedanken noch viel zu sehr mit dem Tod seiner Freundin Ona beschäftigt und war deshalb so unkonzentriert oder er wollte ihr einfach folgen.

Auf dem Rückflug dann, hatte der Oberstleutnant das erste Mal auf eine gerade versorgte Wunde geschlagen. Melih die bei der Explosion eine schwere Bauchverletzung erlitt, bekam seine gesamte Wut ab. Sie starb, da sie mir das nicht sagte, an den Folgen dieses Schlages. Ich bemerkte es nicht gleich, war viel zu beschäftigt und hatte alle Hände voll zu tun, um die Verletzten alle zu retten. Ich hatte es einfach nicht bemerkt, dass sie wieder schwer verletzt war und am verbluten war. Als mich dann Raiko darauf aufmerksam machte, dass es Melih nicht gut ging, war es schon zu spät. Ich konnte sie nicht mehr retten. Durch die kaputte Arterie im Bauch, hatte Mehil viel zu viel Blut verloren. Sie starb in Raikos Armen, ihre letzten Worte von ihr waren.

"Endlich ist es vorbei."

Ich glaube sie hatte mit Absicht nichts gesagt und wollte einfach nur schlafen gehen. Wir mussten das akzeptieren, jeder von uns, musste dies für sich selber entscheiden. Schon seit langer Zeit, hatten wir beschlossen, dass niemand Recht hatte einem von uns den Tod zu verwehren und zu verhindern das einer von uns freiwillig aus dem Leben schied.

Unser Leben war nicht schön, zu viele Qualen mussten wir durchleiden und zu viele Tote sahen wir täglich. Oft macht uns das Leben keinen Spaß mehr. Wenn also einer meiner Leute gar nicht mehr leben wollte, hatte er das Recht zu gehen. Allerdings auf eine Weise, in den er niemand anderes gefährdete. Nicht so wie Conan, der seine Kameraden verletzt hatte. Dies musste ich unbedingt vermeiden. Bei Latif, Helaku schlug dieser Unmensch auch zu, wir konnten nichts tun. Der Hass in uns, diese Wut auf diesen Unmenschen, wurde von Tag zu Tag schlimmer, aber was hatten wir schon für Rechte?

Kapitel 4

Oh diese verdammte Wut, die ich auf den Oberstleutnant bekam, wurde immer unerträglicher. Es fiel mir immer schwerer meine Beherrschung zu bewahren wenn ich ihn zu Gesicht bekam. Alleine der Gedanke an den Stechliner See reichte, um mich so in Rage zu bringen, dass ich Mayer sofort ohne Zögern oder eine Sekunde darüber nachzudenken, töten könnte. Diese verdammte Wut und dieser Hass waren unerträglich, die bei diesen Erinnerungen hoch kam. Dies konnte sich kein Mensch vorstellen. Vielleicht hatte Rashida recht, dass ich all dies einfach vergessen sollte. Aber wie kämen wir dann, zu unserer Gerechtigkeit. Rache, war kein guter Ratgeber, das hatte ich sehr schnell lernen müssen. Ich sah jeden Tag bei unseren Einsätzen, zu was diese Rache führte. Ich würde den Oberstleutnant nicht selber töten, solange ich es verhindern konnte und noch ein wenig Kontrolle über mich besaß. Auch wenn mir das mit jedem Tag schwerer fallen würde. Mühsam um mein inneres Gleichgewicht kämpfend, um meine Wut im Zaum zu halten, kehrte ich zurück zu meinen Erinnerungen.

Es war Ende Januar 1965, wir waren als noch nicht einmal ganz sechs Jahre alt. Als diese Erinnerung ihren Anfang nahm. Bei diesem Einsatz, verlor Cankat seine Waffe. Wir liefen im Kampf über einen Baumstamm, der über eine Schlucht führte. Wir waren völlig am Ende mit unserer Kraft, ausgelaugt und konnten uns vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten. Cankat kam beim Laufen über diesen Baumstamm, ins Stolpern, als er versuchte einer Kugel auszuweichen und verlor dabei sein Gleichgewicht. Fast wäre er in die Tiefe der Schlucht gestürzt. Seine Waffe loslassend, versuchte sich abzufangen, im letzten Moment gelang ihm das, sich an der Rinde des Baumstammes festzukrallen. Dabei ließ er seine Waffe los, um die Hände frei zu bekommen. Es war ein ganz normaler Reflex, dass er sie fallen ließ. Sonst wäre er ebenfalls in die Schlucht gestürzt. Es war ein harter Kampf und wir konnten den Kampf im letzten Augenblick noch zu unseren Gunsten wenden. Aber seine Waffe konnten wir nicht zurückholen, da wir mitten in einem schweren Kampf waren und vor allem unter starken Beschuss der Rebellen standen, die wir bekämpften. Mayer war so was von bescheuert, verdammt nochmal, eine Waffe ließ sich ersetzten. Es war nicht schön, aber kein schlimmer Verlust. Es war viel wichtiger das Cankat überlebte, er war mein bester Scharfschütze, keiner im Team hatte seine Fähigkeiten. Aber der Oberstleutnant sprang wie immer völlig aus dem Anzug, dieser Mann kann einfach nicht normal denken.

Als wir nach diesem schweren Einsatz zurück kamen, drehte der Oberstleutnant fast durch und verprügelte Cankat dermaßen, dass ich mir nicht sicher war, ob er die nächsten Stunden überleben würde. Nicht eine Rippe war mehr ganz, in beiden Lungenflügeln steckten gebrochene Rippen. Cankat hatte in seinem Körper, nach Mayers Ausraster, keinen einzigen Knochen mehr, der heil war. Der Doko, Rashida und ich, operierten unseren Freund fast neun Stunden, bis wir alle Schäden, die der Oberstleutnant Cankat zufügte, beseitigt hatten. Über neun Wochen lag Cankat danach im Koma. Wir wussten lange Zeit nicht, ob er jemals wieder aufwachte, weil er durch die Prügel, die er bezogen hatte, auch schwere Kopfverletzungen davon getragen hatte. Einige Male verlangten die Leute vom Institut, dass man Cankat in den Schlaf schicken sollte. Der Doko rastete damals völlig aus und brüllte Rakowski an, er solle gefälligst herkommen und selber machen, was er ihm verlangte. Cankat brauchte noch Monate, um wieder in seine alte Form wiederzuerlangen. Doko griff diesmal durch und stufte Cankat, fast ein halbes Jahr als dienstunfähig ein. Es gab nicht ein Knochen in Cankats Körper, der nicht mit Drähten oder Schrauben wieder gerichtet werden musste. Es war so schlimm, dass der Doko beinah seine eigenen Prinzipien verraten hätte, so wütend war er damals. Unser guter und immer freundlicher Doko, war damals nach der Operation völlig ausgeflippt. Nur mit Mühe hielt ich ihn davon ab, dass er zum Oberstleutnant ging, um diesen selber einmal so zu verprügeln. Ich hatte Angst um unseren Doko und hielt ihn deshalb zurück.

Aber auch uns war das alles zu viel. Wir hatten in den letzten Jahren genug Prügel bezogen, ohne etwas zu sagen und haben sie immer geduldet. Denn Mayer war unser unmittelbarer Vorgesetzter und wir mussten ihm gehorchen. Trotzdem bekamen wir im Laufe der Jahre mit, dass seine Art und Weise mit uns umzugehen, nicht normal war. Lange diskutierten wir in der Gruppe, was wir machen sollten. Es war ein Maß erreicht, das zu Überschreiten wir uns nicht mehr gefallen lassen wollten. Daraufhin gingen Krein, Duira, Sneimy, Riona, Feanu und ich, drei Tage nach der Operation von Cankat, zum Oberstleutnant und baten ihn um eine Aussprache. Wäre ich nur alleine gegangen. Immer noch machte ich mir deshalb große Vorwürfe, aber die Fünf wollten mich unbedingt begleiten. Egal welche Argumente ich vorbrachte, ich konnte es ihnen nicht ausreden. Wir wollten Mayer nur begreiflich machen, dass es doch Wahnsinn war, wegen einer verlorengegangen Waffe, jemand so zu schlagen. Wir hatten vor, dem Oberstleutnant vor Augen zu halten, das Cankat unser bester Schütze war und das Team jeden einzelnen Kämpfer brauchte. Ich versuchte meinem Vorgesetzen in einen freundlichen Ton zu erklären, warum sein Verhalten falsch war.

"Sir, haben sie Verständnis dafür, dass es uneffektiv ist, Sir, dass sie meine Leute durch ihre Wutanfälle für Wochen außer Gefecht setzen, Sir. Wir sind nur noch einundfünfzig Kämpfer, Sir. Cankat, unser bester Scharfschütze, wird für Monate ausfallen, Sir. War das wirklich dieses Gewehr wert, Sir? Wir hätten das Scharfschützengewehr ja zurück geholt, Sir. Aber diese Schlucht war so tief, wir kamen wirklich nicht mehr an die Waffe heran, Sir. Wir sind nach dem Ende des Einsatzes, extra noch einmal zurück zu der Schlucht gelaufen, Sir, um die Waffe zurück zu holen, Sir. Das war die erste Waffe die verloren ging, Sir. Sie wissen genau, wie sehr wir auf unsere Waffen achten, Sir. Von unseren Waffen, hängt unser Leben ab", ernst sah ich ihn an.

Aber dieser verdammte Kerl, kann einfach nicht zuhören, vor allem aber nicht mehr klar denken. Der Oberstleutnant war, kaum hatte ich mein letztes Wort ausgesprochen, komplett ausgeflippt. Er konnte nicht akzeptieren, dass wir uns einmal gewehrt hatten. Wir wollten nur in Ruhe mit ihm reden, das war mit diesem Menschen einfach nicht möglich. Er brüllte sofort los, wie ein Berserker und fragte uns, ob wir ihm jetzt noch vorschreiben wollten, wie er seine Arbeit zu machen hätte.

Ich schüttelte den Kopf. "Sir, das würden wir uns niemals wagen, wirklich nicht, Sir. Mir geht es nur darum, die Leistungsfähigkeit unseres Teams zu erhalten, Sir. Mehr will ich gar nicht, Sir. Wenn sie meine Leute ständig halbtot schlagen, Sir. Wie sollen wir denn dann vernünftig arbeiten, Sir. Bitte ich möchte nur, dass wir die Einsätze vernünftig über die Bühne bekommen, Sir. Die sind schon schwer genug, Sir. Dafür brauchen wir nicht noch ständig Prügel von ihnen, Sir."

Wütend und mit jenem irren Blick in den Augen, den ich schon vom Prag her kannte, sah mich Mayer an. Es war einfach nicht möglich mit ihm normal zu reden. Dieser Mensch war so … so … ach ich weiß nicht, wie ich das bezeichnen könnte. Er war einfach irre im Kopf. Ich glaube fast, dass er gar nicht mehr normal denken konnte, sondern sich nur noch von seinem Hass leiten ließ.

"Runter auf den Hof und zwar im Laufschritt. Abmarsch, ihr Drecksbagage wollt nicht, dass ich eure Leute verprügele. Dann kommt mal mit und erlebt einmal, was mit denen geschieht, die sich gegen mich stellen. Ihr verdammten dreckigen Missgeburten."

Wir folgten ihn auf den Hof. Was hätten wir auch sonst machen sollen. Dort wurden alle wir Sechs, nackt an die Gestelle gehängt. Dass, was der Oberstleutnant dann mit uns machte, war die Hölle. Sonst nahm er immer Peitschen mit geflochtenen Lederriemen, die taten elende weh und zerrissen uns die Haut. Die Verletzungen hielten sich allerdings in Grenzen. Diesmal kam er grinsend und zeigte uns, bevor er uns die Brillen wegnahm, was er sich für uns ausgedacht hat. Dieser Irre hatte sie echt nicht mehr alle.

"98, diese feine Peitsche habe ich mir aufgehoben für eine nette Behandlung für dich. Die habe ich speziell für dich entwickelt, dir scheint ja, die übliche Strafe nichts auszumachen. Diesmal, du kleine Mistkröte, wirst auch du schreien. Das kann ich dir versprechen und ich freue mich darauf, deine Schreie zu hören", hämisch grinsend, musterte er mich.

Dieser verdammte Unmensch, hatte zusätzlich in die Peitschenbänder scharf geschliffene Sterne eingearbeitet. Die bei jedem Peitschenhieb dafür sorgten, dass es einem die Haut vom Körper holte. Kaum dass er ausgesprochen hatte, nahm er uns die Brillen weg und begann uns alle auszupeitschen. Er fing mit meinen Freunden an, die sich die Seele aus dem Leib schrien. Dann kam er zu mir und begann mich wütend auszupeitschen. Ich ging bevor er anfing zu schlagen, ins Jawefan. In dem ich diese Schmerzen nicht so empfinde, vor allem nicht schreie. Die Genugtuung, auch nur einen Schrei von mir zu geben, würde ich ihm nicht geben. Diesmal waren selbst im Jawefan die Schmerzen unerträglich. Es war einfach die Hölle. Im Anschluss schüttete er Salzwasser über meinen Körper. Zu meiner Erleichterung bekam nur ich diese Sonderbehandlung und meinen Freunden blieb diese Höllenqual erspart. Drei Tage lang, ließ er seinen Zorn an mir aus. Zum Glück, hatte er an meinen Freunden die Lust verloren, denn die hatten schon geschrien wie am Spieß. Nach weiteren zwei Tagen hatte er keine Lust mehr und ließ uns vom Gestell. Wir schleppten uns mehr tot als lebendig in unseren Raum. Der Rest unseres Teams war zu Tode erschrocken, als sie uns sahen. Rashida und Jaan halfen mir die anderen zu versorgen. Einige Einsätze davor, habe ich durch Zufall herausgefunden, dass ich noch eine heilende Fähigkeit hatte, das Krantonak. Damit konnte ich wesentlich besser heilen, als mit dem Jawefan. Ich setzte das Krantonak ein und heilte so die körperlichen Wunden, meiner fünf Freunde. Ich brauchte danach Stunden, bis ich wieder zu mir kam. Die seelische Heilung unserer Kameraden, übernahmen dann die Anderen, in der Zeit in der ich bewusstlos war. Nach dem ich wieder zu mir gekommen war, musste ich erst einmal nach oben zum Doko, um mich versorgen zu lassen. Weder Rashida, noch Jaan trauten sich an meine Verletzungen, sie waren einfach zu schwer. Deshalb brachten sie mich hoch auf die 6/rot.

Doko und Dika fingen an zu weinen, als sie meinen Körper sahen. Von dem nicht nur die Haut in Fetzen hing, sondern der auch völlig entzündet war, durch das Spülen der Wunden mit Salzwasser. Mir taten die Beiden so leid, aber allein konnte ich mich mehr versorgen. Ich war mehr tot als lebendig. Über vier Stunden versorgte Doko meine Wunden, verklebte und nähte sie. Dann ließ er mich noch eine Weile, in Rashidas Armen schlafen. Jaan hatten wir nach unten geschickt, damit er auf die anderen aufpassen konnte. Der Hass in meinen Freunden, wurde immer größer und sie waren kurz vor dem Durchdrehen. Sie wollten den Oberstleutnant nur noch töten. Wir konnten nicht zulassen, dass wir gegen unsere eigenen Gesetze verstießen. Wenn wir Mayer töteten, dann waren wir nicht besser als er. Dika schickten wir mit Jaan nach unten, um dort für Ruhe zu sorgen. Denn die meisten im Team hörten auf Dika Anna, die immer eine Möglichkeit fand, unsere aufgepeitschten Nerven zu beruhigen. Sie strahlte immer die nötige Ruhe aus, die man dazu brauchte. Diesmal hatte Dika Anna alle Hände voll zu tun und schaffte sie es kaum, meine Freunde zu beruhigen. Der Hass kochte immer schlimmer in ihnen und war kaum noch zu bändigen. Nach nur zehn Minuten stand ich auf und gab meinen Doko einen Kuss.

"Doko, bitte bringe uns runter. Jaan und Dika schaffen es alleine nicht, ich muss ihnen helfen, Sir."

Doko nahm mich vorsichtig in den Arm und brachte Rashida und mich, nach unten in den Raum, in dem die Hölle los war. Kaum war ich unten angekommen, erschien schon wieder dieser Unmensch an. Er betrat diesmal sogar unseren Raum und brüllte in unseren Raum herum.

"Folgende Leute kommen sofort zu einem Sondereisatz. Nummer 1, 41, 56, 70, 97, 98. Los hebt eure Ärsche, ihr faules Pack. Ihr hattet genug Zeit euch auf dem Hof ausgeruht. Abmarsch, ihr Drecksbande", brüllte er wie ein Irrer herum.

Die Jacobs konnten es nicht fassen und zulassen, was hier geschah und mischten sich wieder einmal ein. Obwohl ich ihm das schon so oft verboten hatte. Wen hatten wir noch, wenn ihm etwas geschah. Würde der Doko sterben, waren wir ganz alleine. Dies durfte einfach nicht geschehen. Aber in manchen Situationen, konnte der Doko nicht aus seiner Haut. Wütend fuhr er Mayer deshalb an.

"Genosse Oberstleutnant, diese sechs Leute sind nicht Einsatzfä…"

Weiter kam unser Doko nicht. Da Mayer böse mit erhobener Faust auf ihn zukam. Dann ging alles so schnell, dass niemand außer uns Kindern, reagieren konnte. Mayer war selber schuld, er brachte uns mit seinem Verhalten, zur Weißglut. Kami nahm dem Doko die Codekarte aus der Hand, die dieser immer noch umklammert hielt. Doko hatte in dem Moment als Mayer in den Raum kam, das Licht angemacht. Sie gab kurze und knappe Befehle innerhalb der Verbindung.

"Jaan, du nimmst den Doko. Aki, du die Dika. Ich lösche das Licht. Halil, du schließt die Tür. Dann alle Mann raus aus den Raum."

Ohne nachzudenken folgten alle den Befehlen von Kami. Diese wurde sofort umgesetzt. Halil lief hinter die Tür. Kami an den Lichtschalter. Jaan hob Doko hoch und Aki die Dika. Beide bekamen immer panische Angst, wenn das Licht aus war und es völlig dunkel im Raum wurde. Im gleichen Augenblick, waren wir durch den Notausgang, alle aus dem Raum. Das Maß des Ertragbaren war schon lange überschritten, uns reichte es allen.

Oberstleutnant Mayer dagegen, war am Brüllen. Reimund der nicht schnell genug reagieren konnte, stand draußen vor der Tür und kam nicht in den Raum. Da Halil geistesgegenwärtig wie er war, nicht nur die Tür geschlossen hatte, sondern auch noch den Riegel herunter gemacht hatte. Die Tür war von außen nicht mehr zu öffnen, da sie versiegelt war. Immer panischer wurden die Schreie von Mayer. Dem es wie Doko und Dika ging, er kam mit dieser absoluten Dunkelheit nicht klar. Wahrscheinlich, hatte er das gleiche Gefühl, wie ich damals in der Lichtbox, er war in völliger Panik. Ach wie gönnte ich ihm dieses Gefühl. Er hatte dabei allerdings einen großen Vorteil, er litt keinerlei Schmerzen. Fast eine halbe Stunde ließen wir Mayer gurgeln. Er sollte ruhig einmal wissen, wie man sich dabei fühlte, so behandelt zu werden. Doko und Dika wurden von meinen Leuten, auf Umwegen, nach oben in ihre Wohnung gebracht. Sie sollten sich dort einschließen, um nicht die Wut von Mayer abzubekommen. Dann erst kehrten wir wieder, völlig lautlos in unseren Raum zurück. Dort sahen wir ein wunderbares Bild. Einen auf allen vieren und wie am Spieß schreienden Oberstleutnant. Dies war wie eine Streicheleinheit für unsere Seelen. Eine Weile schauten wir diesem Schauspiel zu. Dann ermahnte ich meine Freunde und wir öffneten die Tür.

"Sir, hören sie auf damit die Jacobs schlagen zu wollen, Sir. Das nächste Mal, das Versprechen wir ihnen, Sir, bleiben sie noch länger hier in dem Raum, Sir", sprach zu meinem Erstaunen Justa. Eines der ruhigsten Mädchen, die ich überhaupt in meinem Team hatte. Dagegen war Dakil, der Schweigsame, eine richtige Quasselstrippe. Entsetzt sah sich der Oberstleutnant um.

"Wo sind die…?", begann er schon wieder zu brüllen.

Justa unterbrach ihn einfach. Noch nie hatte sie sich gewehrt oder auch nur im Geringsten bemerkbar gemacht. Daran merkte man wie aufgeheizt die Situation hier im Raum war. Mayer hatte es mit seinem Verhalten sogar geschafft meine stets ruhigen und immer gehorsamen Freunde, gegen sich aufzubringen. Das war eine äußerst gefährliche Situation. Hoffentlich beachteten alle unsere Gesetze, das war der einzige Gedanke, der mich beherrschte. Aber es freute mich auch, dass auch die anderen einmal etwas sagten.

"Sir, mit Verlaub, Sir, das geht sie einen feuchten Kehricht an, Sir. Lassen sie einfach unseren Doko und die Dika in Ruhe, Sir."

Immer wütender wurde Justa. Mit ihrer gesamten Körperhaltung zeigte sie dem Oberstleutnant, dass er sich gut überlegen sollte, was er in den nächsten Sekunden tun würde. Man sah ihr an, dass sie nicht zögern würde, ihn zu töten. Egal, was danach mit ihr geschah. Der Oberstleutnant begriff, dass er hier in äußerster Gefahr war und winkte deshalb nur ab. Er stand auf, putzte sich seine Hose sauber und begab sich schnellstens aus unseren Raum. In der Tür drehte er sich noch einmal um und brüllte wie immer herum.

"Der Sondereinsatz bleibt. Auch wenn ihr noch so oft das Licht ausmacht. Verstanden 98, sprich du Bastard", gurgelte er uns an.

"Sir, jawohl, Sir. Das wissen wir, Sir."

Was hätten wir auch machen sollen. Also lief ich mühsam in Richtung Tür, gefolgt Duira, Krein, Sneimy, Feanu und Riona. Die sich ebenfalls kaum auf den Beinen halten konnten. Es nutzte ja nichts, vom Jammern wurde es nicht besser. Also brachten wir es hinter uns. In der Verbindung bat ich meine Freunde noch, um einen Gefallen.

"Jaan, Rashida, wenn wir hier raus sind, verschwindet ihr. Sucht Heiko und Chris, damit die beiden Bescheid wissen, dass die Jacobs in Gefahr sind. Ihr müsst die beiden beschützen, solange ich nicht da bin. Ach und schimpft bitte mit dem Doko. Verdammt nochmal, er soll sich nicht immer einmischen. Irgendwann, bringt der Oberstleutnant ihn noch um."

Rashida, gab mir Recht. "Täubchen, passe auf dich auf. Wir brauchen dich, bitte."

"Ja mache ich. Bis dann."

Wenn ich damals gewusst hätte, was ich heute weiß, hätte ich den Oberstleutnant, an diesem Tag glaube ich getötet. Da das ja nicht möglich war, folgten wir dem Oberstleutnant in dem Glauben, zu einem Sondereinsatz zu müssen. Wir bestiegen einen Helikopter, der uns fast dreihundert Kilometer in Richtung Osten brachte und landeten mit dem Heli mitten in einem Holzlager, in der Nähe eines großen Sees. Dort wartete bereits der Vorarbeiter auf uns und brachte uns zu einem benachbarten großen Lagerplatz. Dort standen Böcke und Werkzeugkisten und ein Autokran. Der Oberstleutnant und der Betreuer Reimund, setzen sich auf einen Stapel Hölzer und ließen uns erst einmal stehen. Nach dem der Vorarbeiter gegangen war, stand der Mayer auf und kam hämisch grinsend auf uns zu. Dieses Mal sprach Mayer leise, fast freundlich zu uns, etwas in seiner Stimme ließ alle Alarmglocken in mir klingeln. Rashida hatte Recht, Sorgen musste ich mir erst machen, wenn der Oberstleutnant freundlich zu uns wurde.

"Ihr baut jetzt sechs stabile Kisten, die man verschließen kann, zwei Meter lang, fünfzig Zentimeter breit und hoch. Das Material habe ich für euch schon zuschneiden lassen. Wenn ihr damit fertig seid, werden wir diese an den Kran hängen und aus zwanzig Metern Höhe herunterfallen lassen. Hält sie ist das aus, ist es in Ordnung und ihr habt Pause. Hält sie das nicht aus, baut ihr solange eine neue Kiste, bis sie hält. Fangt an, ihr Monster."

Immer noch auf eine für mich unverständliche Art grinsend, holte er eine Flasche Wodka aus der Tasche heraus und zwei Becher. Ging fast fröhlich zu dem Holzstapel und setzte sich neben unseren Betreuer. Beide fingen an zu trinken, um es nicht saufen zu nennen.

Verwundert standen wir auf dem Platz und fingen an die Kisten zu bauen. Was sollten wir machen? Befehl, war Befehl. Also bauten wir diese verfluchten Kisten, ohne zu wissen, für was sie sein sollen. Als mir Sneimy helfen wollte, da ich damit total überfordert war, bekam er Schläge von Reimund. Die taten zwar nicht sonderlich weh, denn Reimund schlug nie fest zu, aber wir unterließen es, uns gegenseitig zu helfen.

"Alleine ihr Missgeburten, ich sagte jeder", brüllte Mayer nun doch wieder rum.

Ich glaube dieser Mensch kann einfach nicht mehr anders. Also versuchte mir Sneimy so gut es ging, über die Verbindung zu erklären, was ich machen sollte. Nicht nur einmal fragten wir uns, was das alles werden sollte und kamen einfach nicht dahinter. Nur gut, dass wir nicht auf diese irrsinnige Idee kamen. Denn dann hätte ich einem zweifachen Mord zugestimmt. Was dieser Mensch uns antun würde, konnten wir einfach nicht erahnen. Fast drei Stunden brauchte ich zum Bauen und ganze neun Versuche, bis meine Kiste diesen Sturz überstand. Die anderen hatten es gleich beim ersten Versuch geschafft und sahen mir vom der Seite aus zu. Ich bin nun mal alles, aber kein Handwerker. Das waren schon immer Sachen, dabei war ich völlig überfordert.

Mayer und Reimund wurden immer bösartiger. Sie waren schon lange über den Limit angelangt, mit ihrer Sauferei, es war schon die dritte Flasche, der sie zusprachen. Als meine Kiste endlich den Sturz überlebte, musste jeder von uns seine Kiste auf den Rücken nehmen und Mayer und Reimund folgen. Wir liefen zu dem nahe gelegenen See. Dort lag ein riesiges Floß am Ufer.

Krein sah mich fragend an. "Was wird das, wenn es fertig ist?", wollte er ängstlich in der Verbindung wissen.

"Keine Ahnung. Aber ich habe ein Scheißgefühl. Das bedeutet nichts Gutes", antwortete Duira statt meiner.

Ich wollte genau das Gleiche sagen. Mir war speiübel.

"Los paddeln, ihr nichtsnutzigen Bastarde", brüllte er uns an.

Mayers Gesichtsausdruck ähnelte dabei, dem eines Irren. Wir setzten uns also an den Rand des Floßes und begannen mit einem immer größer werdenden, unguten Gefühl im Bauch, zu paddeln. Fast wäre Mayer vom Floß gestürzt, hätte Sneimy ihm nicht gefangen. Beide waren sturzbetrunken und konnten sich kaum noch auf den Beinen halten. Trotzdem dirigierte uns Reimund zielgenau, in die Mitte des Sees.

Bis plötzlich der Befehl des Betreuers kam. "Stopp!"

Wir hörten auf zu paddeln. In diesem Moment sah ich das erste Mal seit vielen Jahren, dass der Oberstleutnant zufrieden lächelte. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich Mayer habe bewusst lächeln gesehen. Danach lächelte er nie wieder.

"So ihr kleinen Drecksäcke, hebt die Deckel hoch und legt euch in eure Kisten. Ein bisschen Dalli, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Das mache ich mit euch, wenn ihr euch gegen mich stellt, ihr verdammten Drecksäcke."

Freudig grinste er uns an. Als wir das nicht in die Kiste steigen wollten, zog Mayer seine Waffe und schoss ohne zu zögern Feanu eine Kugel in den Bauch.

"Ich zähle bis drei, eins, zwei…"

Wir gingen zu unseren Kisten. Mayer brachte uns so oder so um, was sollte also die Gegenwehr. Grinsend sah er uns an, wandte sich Reimund zu.

"Siehst du, es funktioniert. Wieder sechs weniger."

 

 

 

Dieses verdammte Arschloch. Ach war ich damals wütend und bin es heute noch. In diesem Moment gab es für uns wichtigere Dinge. Ich musste irgendeine Möglichkeit finden, dass wir überlebten. Wir gehorchten und stiegen in die Kisten. So hatten wir wenigstens noch eine minimale Chance, zu überleben. Das dachten wir, am Anfang jedenfalls. Als wir in den Kisten lagen, kam Reimund und schmiss in jede der Kisten drei große zehn Kilo schwere Scheiben, die für das Gewichtheben verwendet wurden und sofort kamen die Deckel drauf.

Panik machte sich in uns breit. Als Riona anfingt verrückt zuspielen, hörte ich nur einen Schuss. Diese verdammten Schweine hatten sie einfach erschossen. Betreuer Reimund und der Oberleutnant, schraubten die Deckel auf die Kisten, erst einmal in jeder Ecke eine, dann mindestens fünfzig Schrauben, rund um den Deckel. Dann merkte ich, wie meine Kiste angehoben wurde, etwas kratzte und schabte über meine Kiste. Im Anschluss wurde es ruhig, auf einmal wurde meine Kiste geschoben, bis sie über den Rand des Floßes einfach nach unten kippte und von den Gewichten nach unten gezogen wurde.

Die blanke Panik ergriff mich und machte sich in mir breit. Zum Glück drang kaum Wasser, in die immer tiefer sinkende Kiste. Riona, konnte ich nicht mehr spüren, aber Duira, Krein, Sneimy und Feanu, schrien ihre Panik, einfach aus sich heraus. "Bleibt ruhig, wenn ihr so schreit verbraucht ihr zu viel Sauerstoff. Versucht die Seitenwände zu zertreten. Legt euch quer."

Es hatte keinen Zweck. Die vier waren so in Panik geraten und hörten mir nicht mehr zu. Ich versuchte sie zu beruhigen. Die Kisten sanken immer tiefer, fast dreißig Meter war meine Kiste schon gesunken. Verdammt, wie tief war der See eigentlich? Ging es mir durch den Kopf. Erst in der Tiefe von etwa fünfundvierzig Meter stieß meine Kiste auf Grund. Immer noch versuchte ich meine Freunde zu beruhigen. Allerdings ich spüre nur noch Sneimy. Vergeblich versuchte ich ihn zu beruhigen, auf einmal war auch er weg. Die Situation in meiner Kiste wurde immer gefährlicher und ich konnte mich erst einmal nicht mehr um meine Freunde kümmern. Ich kämpfte selber ums Überleben. Das Wasser drang nur mäßig in die Kiste. Ich hatte dank Sneimys Hilfe in der Verbindung, scheinbar gute Arbeit geleistet, zum Glück. Dadurch blieb mir etwas Zeit zum Überlegen. Der Sauerstoff in der Kiste würde allerdings nicht sehr lange reichen. Das wurde mir sofort klar. Was sollte ich nur machen? Ich konnte mich kaum bewegen, durch die frisch vernähten Wunden an meinem Körper. In meiner Verzweiflung flüchtete ich mich ins Jawefan, um Sauerstoff zu sparen und vor allem aber, erst einmal wieder zu Kräften kommen. Tief ging ich diesmal ins Jawefan, so tief war ich noch nie in den tiefen Schlaf versunken. Es blieb mir keine Wahl, ich musste den Sauerstoffverbrauch reduzieren, sonst würde ich innerhalb der nächsten Stunden sterben. Deshalb drosselte ich meinen Herzschlag auf einen Schlag in der Stunde. So konnte ich Wochen im Wasser liegen und mich erholen. Innerlich hoffte ich so sehr, dass meine Freunde es vielleicht auch schaffen würden, sich ins Jawefan zu flüchten.

Lange bliebe ich diesmal im Jawefan. So lange, dass ich keinerlei Zeitgefühl mehr hatte und es verdammt schwer wurde, den Weg wieder aus dem Jawefan zurückzufinden. Gern wäre ich für immer in diesem Zustand geblieben, aber ich durfte es nicht. Als ich langsam aus dem Jawefan erwachte, spürte ich als erstes nur eine eisige Kälte. Ich musste erst einmal überlegen, wo ich war. Brauchte unwahrscheinlich lange, bis mir bewusst wurde, dass ich in einem See lag, in dem uns der Oberstleutnant ertränken wollte. Ich hatte mich im Jawefan gut erholt, war wieder einigermaßen zu Kräften gekommen, auch taten meine Verletzungen nicht mehr so weh, etwas, dass mich sehr irritierte. Darüber konnte ich jetzt allerdings nicht nachdenken. Ich musste als erstes aus dieser Kiste heraus. So trat ich immer wieder gegen den Deckel. Das klappte leider nicht, der saß viel zu fest. Deshalb begann ich mich klein zu machen und drehte mich quer, um gegen die Seitenwand zu treten. Da ich dadurch mehr Kraft hatte und konnte mich besser gegenhalten. Auch hier passierte erst nichts. Ich wusste, wenn ich ehrlich bin, bis zu diesem Zeitpunkt nicht, dass man durch Panik eine unvorstellbare Kraft bekam. Immer wieder trat ich gegen ein und dasselbe Brett. Ich wollte fast aufgeben, da hörte ich es plötzlich knacken. Das Holz des Brettes, an das ich immer wieder getreten hatte, gab plötzlich etwas nach. Je mehr das Holz nachgab, umso kräftiger trat ich zu. Der Sauerstoffmangen wurde immer akuter und dadurch wurde meine Panik immer größer. Ich musste auf dem schnellsten Wege hier raus. Lange konnte ich in der Kiste nicht mehr überleben, ging es mir durch den Kopf. Immer wütender wurden meine Tritte, auf einmal gab ein Brett nach, ein Loch entstand. Noch ein Tritt und noch einer, schon war der Spalt groß genug, um zu entkommen.

Langsam schwamm ich nach oben. Es half absolut nichts, jetzt wie eine Irre aufzutauchen, dann würde ich mehr schaden als nutzen. Ich hatte noch genügend Sauerstoff um es in einem vernünftigen Tempo anzugehen. Ich tauchte also so langsam wie möglich auf. Da ich einen wahnsinnigen Druck in den hatte Ohren. Die Kiste lag also sehr tief. Deshalb musste ich sehr langsam nach oben schwimmen. Sonst wäre es zu einer Dekompression kommen, einer typischen Taucherkrankheit. Da ich kein Zeitgefühl hatte, wusste ich auch nicht, wie lange ich in dieser Tiefe gelegen hatte. Es war niemand da, der mir hätte helfen können. Ich war aus der Kiste, hatte noch genügend Reserven, um vernünftig zu agieren zu können. Beim Auftauchen sah ich, weshalb ich den Deckel nicht abbekommen hatte. Diese Schweine hatten zusätzlich um die Kisten, noch Seile gebunden, um so zu verhindern, dass wir aus den Kisten herauskamen. Diese verdammten Verbrecher, ich werde sie töten, wenn ich sie erwische. Ich werde sie alle töten, nahm ich mir vor. In diesem Moment, war ich nicht mehr in der Lage normal zu denken und zu handeln. Nur gut, dass Mayer nicht in der Nähe war, er hätte diesen Tag nicht überlebt.

Endlich war ich an der Wasseroberfläche und rang krampfhaft nach Luft. Vorsichtig sah ich mich um, auf einen Angriff gefasst. Aber hier war niemand. Trotzdem merkte ich mir die genaue Stelle, an der ich aufgetaucht war und schwamm erst einmal ans Ufer. Dort angekommen, suchte ich mir eine geschützte Stelle, hoch oben in den Bäumen und ging nochmals ins Jawefan. Meine Haut tat höllisch weh und war aufgequollen. Am gesamten Körper, hatte ich schlimme eitrige Entzündungen. Ich musste lange im Wasser gelegen haben, sonst wäre dies niemals so heftig geworden. Außerdem war ich am Ende mit meiner Kraft. Meine Kraft brauchte ich aber, denn ich musste unbedingt nach meinen Freunden suchen und sie wenigstens an Land holen. Egal ob sie noch lebten oder nicht.

Oft schon habe ich überlegte, wie lange ich damals im Jawefan geblieben war. Allerdings konnte ich es nie genau sagen. Damals war ich so fertig, dass ich gar nichts mehr wusste, ich konnte einfach nicht mehr normal denken. Mein Zeitgefühl war weg und mein Orientierungssinn war auch verschwunden, ich fühlte mich wie leer. Das Einzige, was meinem Leben noch einen Sinn gab,  was mich voll und ganz im Griff hatte und mich immer weiter voran trieb, war die Sorge um meine Freunde und der Wunsch nach Rache an Mayer, die mich voll vereinnahmte. Diesmal war er zu weit gegangen. Er hatte zu sehr übertrieben.

Nach dem ich mich im Jawefan etwas erholt hatte, schwamm ich zurück zu der Stelle, an der ich aufgetaucht war. Fing an meiner Kiste zu suchen, da dies mein einziger Anhaltspunkt war. Von dort aus, begann ich nach meine Kameraden zu suchen. Eine der Kisten sah ich liegen, etwa fünfzehn Meter unterhalb meiner. Ich kam an sie nicht heran. Jetzt begriff ich auch, wieso Sneimy, Krein, Duira, Riona und Feanu plötzlich weg waren. Sie hatten das Bewusstsein verloren. Sie hatten keine Chance sich in dieser Tiefe, aus ihren Särgen zu befreien. Denn nichts anderes hatten wir gebaut. Mayer hatte uns gezwungen unsere eigenen Särge zu bauen. Vor allem solche stabilen, das wir uns daraus nicht befreien konnten.

Nach drei Tagen musste auch ich begreifen, dass es sinnlos war immer wieder zu tauchen. Ich hatte keine Chance, an die Kisten meiner Freunde heranzukommen. Jedenfalls nicht ohne die dazu nötige Spezialausrüstung. Ich konnte nur bis maximal fünfundfünfzig Meter ohne Tauchanzug tauchen. Auch wenn ich in meiner Verzweiflung es immer wieder versuchte. Es war zu spät, ich spürte sie nicht mehr. All meine Rufe blieben ohne Antwort. Ich hatte meine Freunde verloren. Hatte sie, um mich selber zu retten, im Stich gelassen. Am Morgen des vierten Tages gab ich die Versuche auf, sie aus dem See zu holen. Sie waren tot. Ich konnte nichts mehr für sie tun und ich kam auch nicht an sie heran. Dieser See war ihr Grab geworden. Nicht einmal unter unserem Baum, konnten wir sie, zur letzten Ruhe legen. Weinend vor Trauer und vor Wut, schwor ich im See, über den Gräbern meiner Freunde, dass sie Gerechtigkeit bekommen würden. Dass ich eines Tages dafür sorgen würde, dass der Oberstleutnant und Reimund für diese Morde eine Strafe erhielten. Entweder von mir oder von einem Richter, der dies im Namen der Gerechtigkeit für sie tat. Über drei Tage lang, war ich immer wieder getaucht und ich war dadurch am Ende meiner Kraft. Nochmals kletterte ich nach oben auf einen Baum und machte es mir dort bequem. Was sollte ich jetzt nur machen, ging es mir durch den Kopf. Ich wusste nicht weiter. Deshalb beschloss erst einmal zu schlafen, um mich etwas zu erholen, dann würde ich weiter sehen. Fast zwölf Stunden hatte ich geschlafen, denn es wurde langsam dunkel, als ich erwachte.

 

 

 

Wütend holte ich Luft, davon wurde meine Rashida munter. "Täubchen, höre auf. Immer wieder kaust du diese alten Geschichten durch. Muss das sein? Das tut dir doch nicht gut."

"Rashida, ich muss das tun. Ich darf diese Sachen nicht vergessen. Ich hab es ihnen versprochen", flüsterte ich.

Krampfhaft versuchte ich mich wieder zu beruhigen. Es fiel mir so schwer. Es war jedes Mal das Gleiche, ich bekam keine Luft mehr und zitterte vor Wut am ganzen Körper. Kopfschüttelnd sah mich Rashida an.

"Komm her Täubchen. Ich weiß. Keiner schimpft mit dir. Komm beruhige dich."

Zärtlich nahm sie mich wieder in ihre Arme und zwang mich so wieder in meine Ruhe. Was würde ich nur ohne sie machen. Das habe ich mich schon so oft gefragt. Ich war so froh dass ich sie endlich wieder hatte. Genauso froh wie Rashida war, dass sie ihr Täubchen wieder hatte. Ihre Körperwärme tat mir so verdammt gut, vor allem aber ihre fortwährende Ruhe.

 

 

 

In meinen Gedanken kehrte ich zurück, in meine Erinnerungen von damals. Damals war gut. Ich musste lachen, es war noch keine fünf Monate her. Seit dem war so viel passiert. Wahrscheinlich hatte es deshalb den Anschein, als ob es sich um eine Ewigkeit handelte. Oh war ich damals verzweifelt, kehrten meinen Gedanken wieder zurück zum Stechliner See.

Am liebsten wäre ich nie wieder in die Schule zurück gekehrt. Wo sollte ich aber hingehen? Es war der einzige Ort den ich kannte. Vor allem waren dort meine Freunde. Also lief ich los. Immer gegen Westen. Mit dem Heli waren wir immer ostwärts geflogen. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand. Diese Gegend kannte ich nicht, hier hatten wir noch nie operiert.

Allerdings war nichts mehr bei mir in Ordnung. Ich hatte keinerlei Orientierungssinn mehr und absolut kein Zeitgefühl. Vor allem war ich schwach, ich hatte Durst wie verrückt und Hunger. Das Wasser was es im See gab, konnte ich nicht trinken und mir war so unendlich kalt. Nach zwei Tagen des sinnlosen Herumirrens, stellte ich fest, dass ich viel zu weit in den Süden gelaufen war. Dann lief ich statt nach Westen, einen ganzen Tag in Richtung Osten. Bis mir auffiel, dass genau dort, wo ich hinlief, die Sonne aufging. Ich war seit Tagen im Kreis gelaufen. Verzweifelt, wie ich war, als ich dies feststellen musste, setzte mich an den Straßenrand und zog meine Beine an den Körper und fing hemmungslos an zu weinen.

Eine Ewigkeit weinte ich, auf eine Art und Weise, wie ich es noch nie in meinem Leben getan hatte, ich schluchzte laut und vernehmlich. Plötzlich fiel ein dunkler Schatten auf mich. Aber ich war zu müde und zu schwach, um wegzulaufen. Eine Autotür knallte und ein kräftiger Mann kam auf mich zu.

"Sag mal Mädchen, was machst du mitten in der Nacht und ganz alleine auf der Landstraße? Kann ich dir helfen? Was ist mit deinen Augen? Wer hat dir so weh getan?"

Entsetzt blickte er auf meinen Körper. Mein Aussehen, war bestimmt kein schöner Anblick. Zerschrammt und blutig, vor allem hatte ich am ganzen Körper entzündete und eiternde Wunden. Meine Haut war schuppige und völlig vernarbte, durch die Misshandlungen von Mayer. Mein Gesicht war eingefallen und meine Augen waren von tiefen dunklen Ringen umrandet. Lange sah ich ihn schweigend an, durch meine Augenbinde, die ich aus den Resten meines Overalls gefertigt hatte. Meine Brille hatte ich irgendwann beim Tauchen verloren.

Konnte ich diesem Menschen trauen? Oder bekam ich wieder nur Leid von diesem Menschen? Ich wusste es nicht. Mir blieb aber nichts anderes übrig, wenn ich nicht hier sitzen bleiben wollte, um zu sterben. Ich hatte keine Wahl, als ihm zutrauen. Immer wieder blickte ich hoch zu ihm. Er blickte mich entsetzt an. Schüttelte nur mit dem Kopf. Es war kein Wunder, denn ich war nur bekleidet, mit einem zerrissenen Bustier und einer zerfetzten Turnhose und ich sah völlig verdreckt und herunter gekommen aus. Außerdem war ich pitschnass, weil ich über den See geschwommen war. Der Fremde hockte sich nach einer Weile vor mich hin und musterte mich. Er wusste nicht, was er von mir halten sollte, genau wie ich. Vorsichtig griff er nach meinen Händen und zog sie an sein Gesicht. Jetzt begriff ich, was in ihm vorging. Er dachte ich wäre blind. Müde schüttelte ich den Kopf und flüsterte mehr, als das ich sprechen konnte.

"Sir, ich bin nicht blind, Sir. Das Band brauche ich wegen meiner Augen, Sir. Ich habe meine Brille verloren, Sir. Das Licht tut mir weh, Sir. Ich weiß nicht ob sie mir helfen können, Sir.  Ich will nur nach Hause, Sir. Aber ich weiß nicht, wo ich bin, Sir. Ich finde den Weg nicht, Sir."

Verzweifelt wie ich war, mit all der Trauer, um meine Freunde, mit diesem endlosen Hass im Herzen, fing ich an zu weinen. Ich war seelisch und körperlich, am Ende meiner Kraft. Das erste Mal in meinem Leben, wusste ich nicht weiter. Schluchzend hielt mich der mir völlig fremde Mann in seinen Armen und streichelte mir ganz vorsichtig über den Rücken und das Gesicht. Versuchte mich zu beruhigen.

"Komm hör auf, weine nicht mehr kleines Mädchen, wir finden dein Zuhause schon. Kannst du mir sagen, wie du heißt und wo du wohnst? Dann fahre ich dich nach Haus. Du musst nicht weinen."

Ich schüttelte den Kopf. "Sir, ich wohne in der Schule, Sir. Aber ich weiß nicht, wo die ist, Sir. Nur, dass es nicht weit von der Ostsee ist, Sir. Wir sind hierher immer nach Osten, geflogen, Sir", gab ich ihm völlig verwirrt Auskunft.

"Na komme mit, ich fahre sowieso in diese Richtung. Vielleicht erkennst du unterwegs etwas, dass dir bekannt vorkommt. Sonst bringe ich dich in Rostock auf die Polizei."

Er half mir auf und als er merkte dass ich nicht konnte, nahm er mich auf den Arm und trug mich das Stück zum LKW und half mir hinein. Aus seinem Bett holte er eine dicke Decke, eine Trainingshose und einen dicken Pullover.

"Kleines zieh diese Sachen hier an. Du bist ja völlig nass und durchgefroren. Erzählst du mir, was passiert ist?"

Ich schüttelte den Kopf und zog die Sachen an die er mir gegeben hatte. Mir war so furchtbar kalt. Er holte noch einen Strick und band mir die viel zu große Hose einfach mit dem Strick fest.

"Siehst du es passt wie angegossen", versuchte er mit mir zu scherzen.

Ich konnte darauf nicht eingehen und gestand ihm. "Sir, ich weiß nicht ob ich ihnen das erzählen darf, Sir. Bitte ich will nur zu meinem Doko und meiner Dika, bitte Sir", wieder fing ich an zu weinen. Ich konnte es einfach nicht mehr steuern. Dabei saß ich am ganzen Körper zitternd und halb zusammengerollt, auf den Beifahrersitz.

Er griff hinüber zu mir und streichelte mir das Gesicht. "Weine nicht mehr. Ich bringe dich irgendwie nach Hause, das verspreche ich dir. Versuche etwas zu schlafen, wir haben eine lange Fahrt vor uns."

Sofort fuhr er los. Erst immer gegen Norden, dann ein Stückchen nach Westen. Vorn auf seinem Armaturenbrett, war ein kleiner Kompass angebracht. Langsam kehrten meine Sinne wieder zurück, als ich den Kompass beobachtete. Immer noch hatte ich keine Ahnung, wo ich im Moment war. Vielleicht konnte mir das der Fahrer des LKWs erklären. Lange haderte ich mit mir und überlegte krampfhaft, ob ich es mir wagen konnte, ihn danach zu fragen. Ich kam aber zu keinem richtigen Entschluss. Ich war so verdammt müde und vor allem tat mein Kopf schlimm weh. Immer wieder nickte ich kurz ein und fiel in einen unruhigen Schlaf, aus dem ich ständig hochschreckte. Nach über zwei Stunden, fuhr der Fahrer an ein hell erleuchtetes Haus heran und hielt an. Verwundert sah ich zu ihm herüber, weil ich sah dass er noch genügend Benzin im Tank hatte.

"Mädchen, ich muss eine kleine Pause machen. Komm mit in die Raststätte. Da kannst du etwas essen und auch was trinken."

Ich folgte ihm in dieses Haus und sah mich neugierig um. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Hier standen lauter Tische, auf der einen Seite und auf der anderen Seite waren Schränke aus Glas, darin lagen komisch aussehende Sachen. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Aber ich war einfach zu müde zu fragen und folgte dem Fahrer an den Tisch.

"Komm setze dich. Was willst du essen, Kleine? Was willst du trinken?"

Ich schüttelte den Kopf. "Sir, das, was sie essen und trinken vertrage ich nicht, Sir. Nur Wasser oder Kamillentee kann ich trinken, hat uns die Dika gesagt, Sir. Von allem anderen werde ich krank, Sir."

Verwundert schüttelte der Fahrer den Kopf. Sagte aber nichts dazu. Ich glaubte, er hatte Angst davor, mich durch ein falsches Wort zu verschrecken. Deshalb ging zu der Frau die hinter den Glasschränken stand. Einige Male blickten die Beiden zu mir. Die Frau schüttelte den Kopf und verschwand durch eine Tür. Nach einer Weile kam die Frau mit einem Tablett und gab es dem Fahrer. Dieser gab der Frau etwas dafür und kam mit einem großen Teller eigenartig aussehender Sachen wieder. Einer Tasse Kaffee, einen Glas Wasser und einer Tasse Kamillentee. "Hier für dich Kleines. Kannst du wirklich nichts essen?"

Ich schüttelte den Kopf. "Sir, danke, Sir."

Gierig trank ich erst das Wasser, dann den heißen Tee und sah immer wieder zu ihm hoch. Ich konnte mich aber nicht dazu entschließen ihn anzusprechen. Kaum hatte ich meine Tasse ausgetrunken, stellte mir die Frau eine neue Tasse hin.

"Mam, danke, Mam", flüsterte ich leise, völlig überrascht von dieser Gabe. Die Frau lächelte mich lieb an.

"Danke Erna", bedankte sich der Fahrer auch, für den Tee.

"Schon gut Pepe, mein Gott sieht die Kleine schlimm aus. Sorge gut für sie"

"Mach ich", erklärte er und wandte sich an mich. "Was ist Kleine? Frag einfach, was dich interessiert."

"Sir, könnten sie mir etwas erklären, Sir?"

"Natürlich."

Schwer kämpfte ich mit mir. "Sir, wo haben sie mich gefunden, Sir? Wissen sie, ob es da irgendwo einen tiefen See gibt, Sir?"

Der Fahrer griff über den Tisch, streichelte mir das Gesicht. "In der Nähe von Stechlin habe ich dich gefunden. Der einzige See der dort in der Nähe tief ist, nennt sich der große Stechlinsee. Der ist wirklich sehr tief, fast siebzig Meter. Von dort komme ich gerade. Habe dort auf einen großen Holzplatz Baumstämme abgeliefert, dafür dann Bretter geladen. Warum fragst du Kleines?"

Ich zuckte mit den Schultern. War viel zu sehr in meinen eigenen Gedanken versunken. Ich war tagelang im Kreis gelaufen. Was war nur mit mir los?

"Redest du nicht mehr mit mir?", wollte der der Fahrer von mir wissen.

"Sir, entschuldigen sie, Sir. Ich war in Gedanken, Sir."

Traurig sah er mich an. "Das habe ich gemerkt. Ist nicht schlimm. Sag mal Kleine, verrätst du mir vielleicht deinen Namen?"

"Sir, ja, Sir. Man nennt mich 98, Sir."

Kopfschüttelnd sah er mich an. "Das ist doch kein Name."

"Sir, doch, Sir. Ich kann doch nichts dazu, Sir. Ich werde seit meiner Geburt so gerufen, Sir."

Lange sah ich ihn an und kämpfte einen schweren Kampf mit mir. Er gab mir warme Sachen, gab mir Tee, hielt mich in seinen Armen, um mich zu trösten und er wollte mich nach Hause bringen. Er hatte sich mein Vertrauen verdient. Wenn nicht er mein Vertrauen bekommt, wer dann?

"Sir, meine Freunde nennen mich Lyn, die Winzige, Sir. Wenn sie wollen, können sie mich auch so nennen, Sir."

Strahlend sah er mich an. "Dann sagst du aber Peter zu mir, oder einfach Pepe, so werde ich nämlich überall gerufen. Tust du mir einen Gefallen und lässt diesen dämlichen Sir, weg. Das nervt mich nämlich."

"Sir, ich werde es versuchen, Sir. Aber ich musste mein ganzes Leben Sir sagen, Sir. Ich weiß nicht ob ich das kann, Sir."

Kopfschüttelnd sah er mich an und streichelte mir über den kahlen Kopf. "Nicht schlimm, versuche es einfach. Aber mal etwas anders. Sag mal Lyn, gibt es irgendetwas Besonderes in der Nähe deiner Schule. Etwas, dass es sonst, anderswo nicht gibt. Einen Turm zum Beispiel, einen  See oder so etwas in der Art."

Ich musste lange überlegen. Irgendwie war alles so weit weg und es war, als wollte mein Kopf nicht mehr richtig denken. Mir war im Moment einfach alles zu viel. Es war so verdammt schwer dazu etwas zu sagen. Wir sahen ja unsere Umgebung höchsten aus dem Heli oder Flugzeug. Meistens schliefen wir sofort oder arbeiteten das Dossier durch. Wir haben noch nie auf unsere Umwelt geachtet, wenn wir nicht gerade im Kampf waren. Allerdings fuhren wir bei einem unserer letzen Einsätze mit Busen, da erzählten uns der Doko und die Dika, dass er später hier mal ein Haus bauen wollte. Direkt an einem See. Es war gar nicht weit von unserer Schule entfernt. Doko erklärte uns, dass man das Dorf nannte. Da, wo er hinziehen wollte. Der Ort, wie hieß der gleich, müde rieb ich mir das Gesicht, der Name wollte mir nicht einfallen. Irgendwie funktionierte mein Kopf nicht mehr richtig, er war wie leergefegt. Alles in meinem Kopf war wie zäher Brei und ließ sich nicht herausziehen. Ich verstand einfach nicht, was mit mir los war. Mit müder und schleppender Stimme, mich mühsam auf das konzentrierend, was ich erklären wollte, berichtete ich Pepe, an was ich mich erinnert hatte.

"Sir, wir fuhren vor einigen Tagen mit dem Bus. Da war ein Dorf, so hatte es der Doko genannt, mit einem See in der Nähe. Ich glaube der Doko hat ihn als Pfauensee oder so ähnlich bezeichnet, jedenfalls war es eine Vogelart, Sir. Aber ich bin mir nicht sicher, Sir. Mir tut mein Kopf so weh, Sir", müde sah ich ihn an und schämte mich, weil ich ihn nicht mehr sagen konnte.

"Na, das ist doch ein Anhaltspunkt. Einen Pfauensee kenne ich nicht. Vielleicht meinst du Schwanensee."

Da nickte ich, ja genauso hieß der Ort.

"Dann kleine Lyn, weiß ich, wo du hin musst. Findest du von dort aus nach Hause?"

Ich nickte wieder.

"Dann ruhe dich etwas aus. Wir müssen noch fast vier Stunden fahren. Du kannst dich, wenn du magst, hinten in die Koje legen. Vielleicht kannst du dann etwas schlafen. Danach geht es dir bestimmt besser."

Ich konnte es nicht fassen. Pepe der Fahrer wusste, wo mein zu Hause war. Ich konnte nach Hause, zu meiner Rashida. Ich war glücklich. Da ging es mir gleich etwas besser und die Niedergeschlagenheit, war fast verschwunden. Bald war ich bei meinen Freunden und bei Doko und Dika. Es würde alles wieder gut werden. Deshalb versuchte ich, diesem mir völlig fremden Mann, eine Freude zu machen.

"Pepe, danke, Pepe Sir", flüsterte ich leise.

Müde rieb ich mir mein Gesicht und zog die Füße auf den Sitz. Legte einfach meinen Kopf auf die Knie. Erschöpft lehnte ich mich etwas an die Wand und beobachte Pepe beim Essen. Von weitem hörte ich seinen Unterhaltungen zu, die er mit anderen Fahrern am Tisch führte. Etwas für mich völlig ungewohntes geschah. Etwas, dass mir noch nie passiert war, solange ich denken konnte, passierte damals. Ich schlief ungeschützt in einer mir völlig unbekannten Umgebung ein. Schlief vor allem tief und erholsam, ich fühlte mich, wie von einem Freund beschützt. Pepe nahm mich einfach auf den Arm und trug mich in den LKW. Dort legte er mich, mit Hilfe eines Kollegen, nach hinten in die Koje. Ohne, dass ich davon wach wurde oder dies bemerkte. In Pepes Bett verschlief ich, in dicke und warme Decken eingepackt, die ganze Fahrt, bis er mich weckte.

"Lyn, wach auf. Wir sind da, Kleines, wach auf."

Verschlafen, aber auch verwundert, sah ich den Fahrer an. "Pepe, Sir, wie bin ich hier reingekommen, Sir? Wieso sind wir schon da, Sir?"

Da fing Pepe an schallend zu lachen. "Kleine, du bist mir in der Raststätte eingeschlafen. Du hast nicht mitbekommen, dass wir dich in den LKW gehoben haben. Vor allem hast du die ganze Fahrt verschlafen. Aber es hat dir gut getan, du siehst wieder etwas besser aus. Komm mal gucken, wir sind jetzt in Groß Schwanensee, kennst du hier etwas?"

Freudig stand ich auf und kletterte aus der Kabine des LKWs. Ja hier kannte ich mich aus.

"Pepe, Sir, danke, jetzt finde ich nach Hause, Sir."

Freudig nahm er mich in den Arm. "Na siehst du. Dann lauf, kleine Lyn, dass du nach Hause kommst", als ich die geliehen Sachen ausziehen wollte, meinte er. "Die schenke ich dir, behalte sie ruhig und vergiss den alten Pepe nicht."

Ich ging einfach zu ihm hin und nahm ihn noch einmal in den Arm. Dieser mir völlig fremde Mann, hatte mir wahrscheinlich das Leben gerettet. Ich wüsste nicht, wie und ob ich ohne ihn nach Hause gefunden hätte. Deshalb drückte ihn, obwohl das sonst nicht meine Art war.

"Pepe, Sir. Danke für alles, Sir."

Sofort lief ich los, in Richtung unserer Schule. Als ich mich kurze Zeit später umdrehte, sah ich nur sein Kopfschütteln. Ich winkte ihm noch einmal zu und er winkte mir zurück. Dann fuhr auch er los. Ich konnte es nicht fassen, ich war zu Hause. Gleich war ich wieder bei meinen Freunden. Im hohen Tempo lief ich in Richtung Schule. Einfach die sechs Kilometer auf der Straße, bis Harkensee. Kurz hinter der Ortschaft, verließ ich die Straße, lief entlang eines Feldes in Richtung des Deipsees. Ein Sprung und schon war ich über den Zaun, auch über den zweiten Zaun sprang ich ohne Probleme. Diese Zäune stellte vielleicht für normale Menschen ein Hindernis dar, aber nicht für uns. Glücklich lief ich zu unserem Baum und von dort aus zu unserem Geheimgang. Hinein in unserem Raum.

 

 

 

Fassungslos stand ich da. Keiner meiner Freunde war da. Hatte der Oberstleutnant die anderen auch alle getötet? Dieser verdammte Hass stieg wieder in mir hoch. Als mir dieser erste Gedanke kam. Traurig sah ich mich um. Aber es waren alle Betten noch da, bis auf das von mir, Sneimys, Rionas, Feanus, auch die Betten von Gyde, Duira und Krein fehlten. Erleichtert atmete ich auf. Dann sind sie nicht alle tot. Wo waren sie aber dann? Ich lief nach unten in die Turnhalle, ins Schwimmbad, auf den Parcours, nirgends waren meine Freunde. Verzweifelt wie ich war, ging ich zurück in unseren Raum und wählte den Notruf, die 0001.

"Major Martin am Apparat, was kann ich für sie tun?", meldete sich Chris Martin.

"Sir, 98 am Apparat, wo sind meine Leute, Sir. Ich finde sie nirgends, was ist mit ihnen passiert, Sir", erklärte ich Chris Martin panisch

Einen erschrockenen lauten Aufschrei bekam ich zu hören und ein tiefes erleichtertes Stöhnen. "Mein Gott Lyn, wo kommst du her? Wo bist du? Bleibe, wo du bist", befahl mir Chris, der jetzt ebenfalls fast panisch auf mich wirkte.

"Sir, ich bin in unseren Raum. Aber alle sind weg, Sir. Meine Freunde sie sind nicht da, Sir. Hat er sie alle umgebracht, Sir?"

Ich bekam keine Antwort mehr, denn schon hatte Chris die Verbindung getrennt. Verwundert stand ich am Telefon und wusste nun gar nicht mehr, was los war. Völlig fertig ließ mich einfach an der Wand herunter rutschen. Jetzt war ich zu Hause und alle anderen waren weg. Ich spürte meine Rashida nicht, was war mit ihr. Hat Mayer sie auch umgebracht? Das durfte nicht sein. Warum hatte Chris einfach aufgelegt? Wollte er mir nicht sagen, dass Mayer die anderen auch getötet hatte. Ich verstand gar nichts mehr. Umschlang meine Beine mit den Armen und legte meinen schmerzenden Kopf auf die Knie. Was war hier nur los? Grübelnd fing ich an zu schaukeln und begann hemmungslos zu weinen. Schluchzend saß ich da. Ich war mir sicher, dass Mayer auch meine anderen Freunde getötet hatte. Plötzlich gab es einen lauten Knall, die Tür wurde aufgerissen und flog gegen die Wand. Der Doko und die Dika stürmten wie von Sinnen in den Raum. Doko riss mich auf die Beine und in seine Arme.

Mehr als ein geschrienes "LYN", brachte mein Doko nicht hervor, hielt mich fest und schluchzend in dem Armen. Die Dika stand mit einem fassungslosen Blick da und starrte mich ungläubig an.

"Wo in Gottes Namen, kommst du denn auf einmal her? Der Oberstleutnant hat uns erzählt, er habe euch erschießen müssen. Weil ihr ausgebrochen seid. Ihr währt zu wilden Ginos geworden. Er hätte euch töten müssen, weil ihr desertieren wolltet. Mein Mädchen, ich dachte du bist tot."

Weinend zog sie mich aus Dokos, in ihre Arme.

Ich schüttelte den Kopf. "Dika ich mache sowas doch nicht, wie kannst du sowas glauben? Wo sind meine Freunde? Hat er sie auch getötet", fragte ich Dika leise und ängstlich, weil ich mich vor der Antwort fürchtete.

Dika war überhaupt nicht in der Lage zu sprechen und hielt mich einfach nur in ihren Armen. Der Doko stand nur Haare raufend und mit dem Kopf schüttelnd da. Auf einmal fing sich mein Doko wieder und ging an das Telefon. Jacob rief mit zittriger Stimme den Hausmeister an.

"Arthur, bitte lasse alles stehen und liegen. Ich brauche sofort deine Hilfe. Und wenn ich sofort sage, meine ich das auch. Komme sofort hoch in meine Wohnung, bitte", setzte er noch nach.

Jacob legte sofort wieder auf und schob mich und die Dika in Richtung des Aufzugs. Wir fuhren nach oben in die Wohnung der Jacobs. Fast zeitgleich mit uns, kam Zimmermann, unser Hausmeister an, atemlos stand er an der Tür der Jacobs. 

"Fritz was is…", weiter kam er nicht, da er im gleichen Augenblich mich entdeckte. "Mein Gott, Lyn. Mein kleines Mädchen, du lebst. Ich kann es nicht fassen. Komm mal zu mir in die Arme."

Sofort zog er mich zu sich und hielt mich nun auch noch weinend und schluchzend in seinen Arm. Verwundert sah ich zu Doko und Dika. Ich begriff absolut nicht was hier los war. Meine schlimmsten Ängste bestätigten sich. Mayer hatte auch die anderen getötet, da war ich mir in diesem Augenblick sicher, sonst würden nicht alle so reagieren. Ich war die Letzte, die noch lebte.

"Was ist denn los? Hat er die anderen auch alle getötet?"

Wollte ich jetzt langsam wissen, weil ich überhaupt nicht begreifen konnte, was hier vor sich ging. Tränen liefen mir aus den Augen. Der Oberstleutnant durfte meinen Freunden nichts getan haben, bitte nicht, sagte ich mir immer wieder. Die Betten waren noch da, sie mussten noch leben. Er durfte ihnen nichts tun.

"Wir reden gleich, Lyn", vertröstete mich der Doko und wandte sich kurz an den Hausmeister. "Arthur komm beruhige dich. Ich brauche deine Hilfe. Bitte. Kannst du das Gästezimmer so verdunkeln, dass Lyn ein paar Tage hier bei uns leben kann. Vor allem, erzähle niemanden das Lyn hier ist. Chris sagt auch niemanden etwas. Er war zum Glück alleine, als sie den Notruf anrief. Ihr seid die beiden Einzigen die es wissen. Wie lange brauchst du ungefähr?"

Zimmermann nickte mit tränennassem Gesicht. "Ich mache es gleich dunkel. Gib mir eine Stunde."

Jacob atmete erleichtert auf. "Arthur, komme bitte zum Mittag zu uns und bringe dir etwas Zeit mit. Dann klären wir alles. Anna du rufst in der Küche an, dass die für uns, Arthur, Chris und Heiko, das Essen mal hinterbringen. Rufe Chris und Heiko an, die sollen in um 12 Uhr zum Essen kommen und Zeit mitbringen. Erkundige dich bitte auch, ob Kuno da ist. Wenn er da ist, für ihn auch ein Essen. Dann brauche ich dich auf der 6/rot. Lyn, du kommst erst mal mit auf die 6/rot. Ich will dich untersuchen. Mädel, du siehst furchtbar aus und hör auf zu weinen", gab der Chefarzt konkrete Anweisungen, an die Anwesenden.

So ging jeder seine Aufgaben erledigen. Jacob allerdings fuhr mit mir nach unten auf die 6/rot und setzte sich an den Esstisch, und zog mich in seine Arme.

"Komm mal zu mir, mein Mädchen. Oh Gott, dass ich dich noch einmal in den Armen halte. Ich kann es nicht glauben."

"Doko, was ist denn los? Ich war doch gar nicht so lange weg, es war doch nur eine Woche, Doko. Es tut mir leid, wirklich, ich habe den Heimweg nicht gefunden, Doko. Ich weiß nicht, was mit mir los ist, Doko. Mein Kopf tut so verdammt weh, Doko. Wo sind meine Freunde, hat er sie auch alle umgebracht", wollte ich jetzt von ihm wissen und konnte die Tränen wieder nicht zurückhalten. Ich war einfach zu fertig, um meine Gefühle kontrollieren zu können. Am ganzen Körper zitternd stand ich in seinen Armen. Viel mehr schwankte ich in seinen Armen hin und her. Doko sah mich fassungslos an.

"Lyn, eine Woche. Deine Kette hängt seit zweiundsechzig Tagen auf eurem Baum. Du bist offiziell als tot gemeldet. Wieso lebst du? Wo sind die anderen?"

Der pure Hass war in mein Gesicht zu sehen, die ganze Wut und der Hass, kamen wieder in mir hoch.

"Doko, er hat sie alle getötet. Du weißt ich würde niemanden etwas Böses tun. Aber, wenn ich den Oberstleutnant erwische, ist er tot, Doko, jetzt töte ich ihn, egal was du sagst, Doko. Diesmal ist er zu weit gegangen, Doko. Das haben ich meinen Freunden versprochen, Doko. Du kannst dir nicht vorstellen, was dieser Arsch mit uns gemacht hat…" Weinend erzählte ich meinem Doko alles. Fassungslos sah er mich an, nicht in der Lage auch nur ein Wort zu sagen. "… Doko warum tut er uns so etwas an. Das darf man doch nicht, Doko. Wo sind meine Freunde, ich will zu ihnen? Wo ist meine Rashida, hat er ihnen etwas getan, Doko?"

Weinend lag ich in den Armen meines Dokos. Das Zittern meines Körpers wurde immer schlimmer. Doko streichelte mir ganz lieb das Gesicht.

"Lyn, du musst dir keine Sorgen machen. Deinen Freunden geht es, so hoffe ich, gut. Deiner Rashida auch, sie ist nur völlig am Boden zerstört. Sie hat so geweint. Cankat ist in einer Reha-Klinik, um wieder ganz gesund zu werden. Ich konnte ihm hier nicht richtig helfen. Gyde, kam vom letzten Einsatz nicht zurück, tut mir leid. Jaan und Rashida haben alles versucht, aber sie konnten sie nicht retten. Die Anderen sind zu einem Einsatz, mit Mayer. Aber lassen wir das erst einmal. Komm ich will dich untersuchen, mein Mädchen. Du siehst schrecklich aus."

Erleichtert atmete ich auf. Meinen Freunden ging es gut. Vor allem meiner Rashida. Da ging es mir auch gleich besser. Doko Jacob begann mich aufs Genauste zu untersuchen. Erschreckend stellte er fest, dass ich nur noch siebenundfünfzig Kilo wog. Ich war völlig abgemagert. Sah einem mit Muskeln überzogenen Skelett. ähnlicher, als einem Menschen. Bis auf einige tiefe eitrige Risswunden, in dem der Brandt war und hohem Fieber, konnte er nichts Schlimmes finden. Die Kopfschmerzen, so meinte Doko könnten vom Jawefan kommen. Da ich ja wahrscheinlich sehr lange und auch sehr tief, im Jawefan war. Oder aber vom Auftauchen. Er wusste nicht, was er dagegen machen könnte. Ich sollte einfach viel schlafen. Vor allem viel mit ihm reden, damit ich dieses schlimme Erlebnis verarbeiten konnte. Nach einer Stunde kam Zimmermann, nach unten auf die 6/rot.

"Fritz, das Gästezimmer ist dunkel. Kann ich sonst noch etwas für die Kleine machen? Um 12 Uhr komme ich zum Essen, habe mir am Nachmittag einmal freigenommen. Die Jungs kommen schon einmal ohne mich klar."

"Arthur, im Moment kannst du gar nichts machen. Wir reden dann. Lass mich erst einmal die Kleine ins Bett bringen, die braucht dringend Ruhe und vor allem Geborgenheit. Bis dann. ´tschuldigung, dass ich dich vorhin so angefahren habe, ich stand etwas neben mir", musste Doko noch loswerden und sah Zimmermann dankbar an, für dessen schnelle Hilfe. Sofort wandte er sich wieder mir zu. "Lyn, mein kleines Mädchen, wo hast du eigentlich deine Brille. Deine Augen sind schlimm entzündet."

Ich zuckte verlegen mit den Schultern. "Doko, ich weiß es nicht. Sie war auf einmal weg, Doko. Ich habe sie glaube ich beim Tauchen verloren, Doko. Aber ich weiß gar nicht mehr, ob ich sie noch hatte als ich aus der Kiste raus war, Doko. In meinem Kopf ist alles durcheinander…", weiter konnte ich nicht reden und fing wieder an zu weinen.

Traurig hielt mich mein Doko in den Armen. "Ach Lyn, weine nicht. Du lebst das ist viel wichtiger. Jetzt mache ich dir erst einmal Salbe auf deine Augen. Die sind ganz schlimm entzündet. Dann wird es bald wieder besser und du legst dich bei uns oben hin. Der Hausmeister hat meine Wohnung, ohne, dass der Oberstleutnant es gemerkt hat, aus der Anlage genommen. In meine Wohnung kommen nur noch Dika und ich, der Hausmeister, Chris und Heiko rein. Du bist dort absolut sicher und musst überhaupt keine Angst haben. Dann mein kleines Mädchen, wirst du etwas essen und ordentlich schlafen. Ich baue dir dann, eine Neue Brille aus Ersatzteilen. Wenn du willst hilft dir die Dika oder ich beim Schlafen. Du musst unbedingt Ruhe haben. Dann meine kleine Lyn, reden wir."

Ich nickte.

Im selben Moment öffnete sich die Fahrstuhltür und ich fuhr herum. Aber es war nur die Dika, die den Raum betrat. Erleichtert atmete ich auf. Doko nahm mich in den Arm und zusammen gingen wir nach vorn zu den Untersuchungspritschen. Als erstes durfte ich ausgiebig duschen, dann versorgten der Doko und die Dika meine Wunden und die Augen. Vor allem bekam ich etwas gegen das Fieber. Fertig mit der Versorgung fuhren wir nach oben in die Wohnung der Jacobs. Ich bekam eine große Portion Brei und ging in das Gästezimmer, um zu schlafen. Ach war das schön. Ein ganz weiches und kuschliges Bett. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Dika legte sich einfach neben mich, bis ich Ruhe fand, für einen genesenden Schlaf. Immer wieder schreckte ich schreiend auf. Aber immer war Dika oder Doko da und nahmen mich in den Arm, bis ich wieder ruhig schlief.

Nach drei Tagen bekamen wir Besuch. Vorsichtig fragte mich der Doko, ob ich noch einmal erzählen könnte, was der Oberstleutnant mit uns gemacht hat. Es wäre jemand draußen, der sich mit mir darüber unterhalten wollte. Ich nickte und folgte meinem Doko ins Wohnzimmer, in dem der Kamin brannte. Dort saßen Oberst Melker und Oberst Neugebauer auf der Couch und blickten mir erschrocken entgegen.

"Kuno, Arno, macht nicht zu lange. Lyn geht es immer noch nicht besonders. Lasst sie einfach erzählen, damit sie wieder zur Ruhe kommt. Allerdings denke ich, soll sie euch lieber alles selber erzählen. Was dieses verdammte Schwein mit unseren Kindern macht. Ihr sollt es aus ihren eigenen Mund hören. Damit ihr Mal seht, was dieser Mensch für seelischen Schaden anrichtet. Wenn der so weiter macht, werde ich hier noch irgendwann zum Mörder. Kuno, ich weiß nicht mehr, wie ich die Kinder beschützen soll. An Hunsinger komme ich nicht ran."

Melker nickte mit dem Kopf. Er konnte sich schon denken, wie schwierig es sich für Jacob gestaltete. Melker klopft neben sich auf das Sofa.

"Komm mal zu mir, Lyn. Mein Gott Kleine, wie siehst du nur aus?"

Doko sah Melker ernst an. "Kuno, da sieht sie schon wieder gut aus, glaube mir."

Melker nickte. Er hatte gerade die Fotos gesehen, die Jacob am Tag meiner Rückkehr gemacht hatte. Trotzdem war er entsetzt über mein Aussehen.

"Komm erzähle mir alles. Was hat dieser Unmensch wieder mit euch gemacht. Dass er dich ausgepeitscht hat und wie du ausgesehen hast, weiß ich. Die Bilder hat mir der Doko gerade gezeigt. Dass es wegen Cankats Waffe war, weiß ich auch. Du muss mir nur erzählen, was danach passiert ist."

Ich nickte und setzte mich zwischen unsere Piloten. Dabei zog die Füße auf das Sofa und umschlang meine Beine. Melker zog mich einfach in seine Arme. Er gab mir so den Halt, um über alles sprechen zu können. Die Ruhe die er ausströmte, tat mir gut und half mir, das Zittern etwas in den Griff zu bekommen.

"Der Oberstleutnant holte mich, Nummer 1, 41, 56, 70, 97 aus dem Zimmer, weil wir zu einem Sondereinsatz mussten…"

So genau wie möglich, erzählte ich alles den beiden Piloten. Auch das, was danach passierte war. Was ich alles versucht hatte, um meine Freunde zu retten. Bis dahin, dass ich nicht nach Hause gefunden hatte und immer im Kreis gelaufen war. Bis, dass mich der Pepe gefunden und hierher gebracht hatte, nach Großschwanensee. Fassungslos hörten die beiden Piloten zu. Dann zog mich Melker in seine Arme.

"Oh Manne."

Mehr bekam der Oberst nicht heraus. Er nahm mich einfach auf den Arm und trug mich nach hinten ins Zimmer. Ich war ihm dankbar dafür. Das Erzählen dieser ganzen Sache, hatte mich wieder fix und alle gemacht. Ich konnte kaum noch die Augen offen halten, so müde war ich. Irgendwie konnte ich nicht verstehen, was mit mir los war. So war ich doch früher nie. Aber wenn ich ehrlich sein sollte, tat mir diese Fürsorge gut.

"Komm lege dich hin, meine kleine Maus. Dir geht es doch immer noch nicht gut. Ich weiß nicht, ob ich sowas in Zukunft verhindern kann. Aber ich versuche es. Werde erst einmal gesund, du siehst immer noch nicht gut aus."

Dika Anna war den Oberst gefolgt und kam zu mir ins Bett. Dass tat gut, es war fast als wäre meine Rashida da. Wo sie nur blieb? Hoffentlich ging es ihr gut. Dika Anna riss mich aus meinen Gedanken.

"Komm Lyn, ich helfe dir beim Schlafen."

Wir kuschelten uns zusammen. So fand ich wieder etwas Ruhe, um zu schlafen. Alle vier Stunden weckten mich Doko und Dika, damit ich etwas esse und so wieder zu Kräften kam. Doko ging mit mir, als es mir etwas besser ging, nach unten in die Turnhalle, damit ich wieder trainieren konnte. Oft machte ich oben beim ihm im Wohnzimmer das Fobnekotar, so ging es mir bald gut. Nicht nur die körperlichen Wunden heilten, sondern auch die seelischen. Wie oft hat Doko und Dika mit mir gesprochen und mir so geholfen, alles zu verarbeiten. Sie sorgten dadurch auch dafür, dass ich meine ungeheure Wut abbauen konnte. Nach neun Tagen spürte ich meine Freunde wieder. Ich hörte ihre Gedanken, ich verschloss meine vor ihnen. Da mein Team endlich zurückkehrt war, wollte ich nach unten. Doko verbot es mir. Er wollte einfach, dass ich mich noch etwas erholte. Außerdem so erklärte er mir, wartete er noch auf jemanden, der erst morgen ins Projekt kommen konnte. Zuvor hatte er mit allen abgesprochen, sollte niemand dem Oberstleutnant sagen, dass ich noch am Leben war. Diesmal war die Meinung von allen, war Mayer einfach viel zu weit gegangen. Kaum war mein Team gelandet und im Zimmer, bat er Rashida zu sich auf die 6/rot. Nach dem sie gemeinsam alle Verletzten versorgt hatten und auch Rashida versorgt war, fuhr er mit ihr nach oben in seine Wohnung.

"Doko, was soll ich da, Doko. Bitte ich bin müde und möchte schlafen, Doko", bat sie ihm darum nach unten auf die 6/blau zu können.

Lächelnd sah Jacob meine Rashida an. "Komm einfach mal mit, meine Große, ich habe eine riesen Überraschung für dich."

Rashida sah ihn müde an, so erzählte mir Doko dann später, vor allem aber ganz komisch an. Oben in der Wohnung, liefen sie nach hinten in das Gästezimmer. Rashida begann zu schreien und starrte mich ungläubig an. Taumelte sogar einen Schritt zurück.

Doko fing sie auf. "Rashida, das ist deine Lyn. Auch wenn sie total dünn geworden ist und auch immer noch nicht wieder gut aussieht. Sie ist es. Es ist deine Freundin."

Rashida sah den Doko an, dann mich, dann wieder den Doko.

"Willst du nicht zu ihr? Greif sie an, damit du begreifst, dass sie es wirklich ist."

Doko schob Rashida in den Raum, die immer noch bewegungslos im Türrahmen stand und sich nicht trauten in das Zimmer zu gehen. Ich lief einfach zu ihr hin und fiel ihr um den Hals.

"Täubchen?", flüsterte Rashida heißer und hielt mich fassungslos in den Armen.

Mehr bekam sie nicht heraus. Auf einmal hob sie mich hoch auf ihre Hüften und drückte mich fest an sich. Rashida hielt sich zitternd an mir fest. Plötzlich setzte sie sich mit mir auf der Hüfte, einfach auf den Boden. Ach, wie hatte meine Rashida geweint. Sie konnte sich gar nicht mehr beruhigen. Es war so schlimm. Ich machte die Verbindung zu ihr auf, das half ein wenig.

"Meine Rashida", flüsternd kuschelte ich an mich. "Als ich zurück kam, dachte ich, er hat euch alle getötet. Ihr wart doch nicht da. Keiner war da und ich konnte euch nicht spüren."

Doko und Dika ließen uns einfach, auf den Boden sitzend, alleine. Sie wussten, dass das wichtig für uns war. Dass es für uns nur so möglich war, alles zu verarbeiten. Rashida und ich wir hielten uns fest umschlungen und sagten kein Wort mehr und hielten uns einfach zitternd in den Armen. Nach über einer Stunde erst, konnten wir wieder klar denken, waren wieder in der Lage etwas sagen.

"Mein Täubchen, mein kleines Täubchen. Alle haben mir einreden wollen, du wärst tot. Der Oberstleutnant hat uns erzählt, du wärst ausgeflippt beim diesem Einsatz. Hättest die ganze Zeit gesagt, du wolltest abhauen. Ich wollte und konnte das nicht glauben. Dann hättet ihr euch ohne Grund, in wilde Ginos verwandelt. Täubchen keiner von uns hat das geglaubt. Was hat dieses verdammte Schwein euch angetan? Wie siehst du überhaupt aus?"

Weinend erzählte ich meiner Rashida alles, was dieser Unmensch uns angetan hatte. Auch, dass die anderen schon tot waren, als ich aus der Kiste kam. Dass ich mir immer noch zum Vorwurf machte, dass ich nicht alleine zum Oberstleutnant gegangen war. Dann könnten die anderen noch leben. Rashida wurde so wütend, stand auf und lief wie ein gehetztes Tier hin und her. Sie schnaufte und schlug immer wieder gegen die Wand.

Doko steckte in diesem Moment den Kopf zur Tür hinein. "Kann ich euch stören."

Rashida nickte böse, dann fing sie sich sofort. Der Doko konnte schließlich nichts für ihre Wut. Er hatte sich nicht verdient angemotzt zu werden. Deshalb bekam Doko, sogar ein kleines Lächeln von ihr, genau wie ich.

"So ihr Mädels, ich muss euch leider trennen. Sonst bekommt der Oberstleutnant zu früh mit, dass hier etwas im Busch ist. Bis morgen muss ich euch nochmals trennen. Bitte Rashida, verhalte dich so, als wenn du immer noch um Lyn trauerst. So wie die ganze letzte Zeit. Wir müssen bis morgen unbedingt noch stillschweigen halten. Auch euren Freunden gegenüber. Ich möchte nicht, dass Mayer zu früh erfährt, dass es einen Überlebenden seiner Morde gibt."

Rashida nickte schweigend, immer noch viel aufgebracht, um zu sprechen. Ich wollte meine Freundin nicht mehr hergeben, sie tat mir so gut. Das erste Mal seit meiner Rückkehr ging es mir etwas besser, dies hatte ich nur ihrer Ruhe zu verdanken. Wieder einmal fing an schluchzen zu weinen und konnte mein Verhalten noch immer nicht kontrollieren. Ich wollte nach unten zu meinen Freunden, nach denen ich mich sehnte und die ich brauchte, um vollständig zu genesen. Immer noch war ich psychisch völlig instabil, zu sehr von diesem schlimmen Erlebnis gezeichnet. Rashida allerdings begriff, dass es sein musste.

"Täubchen, ab morgen Abend, haben wir uns wieder für immer. Niemals wird uns dieser Mensch wieder trennen. Täubchen, unsere Herzen gehören uns nur alleine. Weißt du, ich konnte einfach nicht glauben, dass du für immer weg sein solltest. Ja du warst weg, aber es war kein Loch in meinem Herzen. Du warst immer noch irgendwo da drinnen", dabei pochte sie auf ihre Brust. "Ich habe dich immer noch gespürt, die ganzen Wochen lang. Da war etwas, dass ich nicht erklären konnte. Es wollte keine richtige Trauer aufkommen. Ich habe sehr viel geweint. Weil ich dich so unendlich vermisst habe. Verstehst du?"

Ich nickte, immer noch schluchzend und klammerte mich an Rashida wie an ein Rettungsseil.

"Also weine nicht, mein Täubchen. Vielleicht sind es nur ein paar Tage, dann sind wir wieder zusammen. Ich verspreche es dir. Am liebsten würde ich den nächsten Einsatz, noch ohne dich machen. Nur, damit du dich erst einmal richtig erholen kannst. So kannst du doch nicht arbeiten. Du bist fix und fertig, schau dich nur mal an. So hast du noch nie reagiert. Genieße doch einfach die paar Tage und erhole dich schnell. Weißt du eigentlich, wie schlimm du aussiehst."

Ich nickte, sie hatte ja so recht. Jeden Tag erschrak ich mich aufs Neue, wenn ich in den Spiegel blickte. Den ersten Tag hatte ich mich nicht einmal erkannt. Langsam aber sich sah ich wieder aus, wie Lyn. Auch, wenn ich noch sehr dünn war, immer noch war ich nicht auf meinem ursprünglichen Gewicht. Was bei meiner Muskelmasse allerdings wichtig war. Doko und Dika mästeten mich regelrecht, um dafür zu sorgen, dass ich wieder etwas zunahm. Eins wurde mir immer klarer, solange ich nicht unten bei meinen Freunden sein konnte, ging es mir seelisch nicht gut genug, sodass ich mich richtig erholen konnte. Ich brauchte die Nähe meiner Freunde, um ganz zu genesen. Vor allem brauchte ich die Verantwortung für die Gruppe, um meine, ich nenne es einfach einmal meine Berufung, erfüllen zu können. Ich wollte schon immer alle beschützen und ging in diesem Beschützen völlig auf, dies gab mir die Kraft alle Misshandlungen von Mayer zu überstehen und immer auf dem Posten zu sein.

Rashida zog mich zu sich und nahm mich hoch in ihre Arme. Sie setzte mich einfach auf ihre Hüften, so wie sie es so oft mit mir machte. Lief auf diese Weise mit mir zusammen nach vorn zum Aufzug.

"Täubchen, ich lasse die Verbindung zu dir auf. Du bist nicht mehr alleine. Komm beruhige dich wieder, du bekommst schon wieder Fieber. Es sind doch nur noch wenige Stunden."

Ich nickte und legte meinen Kopf an ihr Gesicht. Weinte nur noch still vor mich hin. Ich wusste nicht warum, ich konnte einfach nicht anders, ich musste weinen. Vor dem Aufzug stellte mich Rashida auf meine Füße und gab mir noch einen Kuss. Fuhr sofort mit Doko nach unten auf die 6/blau. Ich dagegen, rutschte einfach an der Wand neben den Fahrstuhl nach unten, auf den Boden und weinte weiter. Lange Zeit konnte mich ich mich nicht wieder beruhigen. Dika setzte sich neben mich auf den Boden und zog mich in ihre Arme. Nach über zwei Stunden, kam der Doko zurück und brachte mich wieder nach hinten in das Zimmer. Wieder schoss das Fieber in mir hoch und ich wurde von Alpträumen geschüttelt. Dika legte sich zu mir, um mir die Ruhe zum Schlafen zu geben. Es dauerte diesmal ewig ehe ich in einen ruhigen und erholsamen Schlaf fand. Traurig sahen die Beiden auf mich herunter und verließen schließlich, so leise es irgend ging den Raum, nur um mich ja nicht wieder zu wecken. Erst zwei Tage später, mein Team war schon beim nächsten Einsatz, kam der angekündigte Besuch. Da der Doko diesmal mit zum Einsatz musste, war ich mit Dika alleine. Der mir völlig fremde Mann, wurde von Oberst Melker begleitete, das gab mir etwas Sicherheit. Bei Melker fühlte ich mich fast so beschützt, wie bei Dika und Doko. Dika kam mit den mir fremden Mann in den Raum und Oberst Melker kam auf mich zu. Als ich aufspringen wollte, um Respekt zu zollen, schüttelte er den Kopf.

"Lyn, das brauchst du nicht. Bleib ruhig liegen."

Melker setzte sich einfach zu mir, auf das Sofa auf dem ich lag und zog mich in seine Arme.

"Lyn, mein kleines Mädchen, der Genosse Hunsinger, ist ein alter Freund von mir. Wir kennen uns schon sehr lange. Ich habe ihm gesagt, dass er unbedingt mit dir reden muss. Wegen der Sache die vor drei Monaten passiert ist. Erzählst du ihm das alles noch einmal und bitte so genau wie möglich."

Ich schüttelte den Kopf und sah zu Melker. Aus irgendeinem Grund mochte ich diesen Menschen nicht, er hatte keine guten Augen, glaube ich. Dann nickte ich, da ich sah wie enttäuscht Melker drein schaute. Da streichelte er mir lieb übers das Gesicht. Ich nickte nochmals und begann nur Melker zuliebe, alles zum wiederholten Male zu erzählen. Ich hatte diesen Mann richtig eingeschätzt. Er würde mir egal, was ich erzählte, niemals glauben. Denn Hunsinger saß kopfschüttelnd da und starrte mich ungläubig an. Als ich alles erzählt hatte, sagte Hunsinger zu mir.

"Da hast du dir aber eine schöne Geschichte ausgedacht, Mädchen. Du glaubst doch selber nicht, was du da erzählst. Dass geht ja überhaupt nicht, dass du wochenlang ohne zu atmen in einer Kiste unter Wasser gelegen hast. Du verschwendest mit deinen Lügen meine kostbare Zeit."

Hunsinger wollte nicht einmal versuchen mir zu glauben. Für ihn war es das einfachste mich als Lügnerin hinzustellen. Dass ich anders war, durch das was man uns angetan hatte, wollte er nicht sehen. Er wollte mir nicht glauben. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte? Wieso sollte ich mir so etwas ausdenken? Ich sah zu Dika, die jetzt ebenfalls kopfschüttelnd da saß. Melker allerdings wurde wütend. Sich zum leise sprechen zwingend, bat er meine Dika.

"Anna, sei bitte so lieb und bringen Lyn nach hinten in das Zimmer. Vor allem bleibe bei ihr. Es wird hier glaube ich gleich tüchtig laut. Ich muss glaube ich erst einmal mit meinen Freund Franz alleine reden."

Dika zog mich auf die Beine. Ich wollte nicht nach hinten gehen, ich hatte so eine Wut in mir, weil dieser Mensch mir einfach unterstellte dass ich log. Dika kam ganz dich zu mir und hauchte mir ein "Komm mit" ins Ohr und zog mich nach hinten in mein Zimmer. Ich gab nach, weil auch der Oberst mich bittend ansah und mir zunickte. Also hörte ich auf die Beiden und zog mich zurück. Lange blieben die beiden Männer, vorn in der Stube alleine. Erst nach über drei Stunden kam Melker wieder zu uns hinter, um uns nach vorn zu holen.

"Ihr könnt wieder vorkommen." bat er uns, mit verhaltener Wut in der Stimme und sah dabei verdammt böse aus. Ich wollte nicht nach vorn, weil ich dachte, er war auf mich wütend. Dass er mir jetzt auch nicht mehr glauben würde. Melker hob mich einfach hoch, egal wie ich mich sträubte und trug mich nach vorn in die Wohnstube. Verwundert stellte ich fest, dass Hunsinger weg war.

"Lyn, meine Wut hat nichts mit dir zu tun. Ich habe mich gerade sehr über Hunsinger geärgert. Du musst mir glauben, Kleines, ich habe mich noch nie, so in einem Menschen geirrt."

Natürlich glaubte ich ihm. Jetzt sah ich, dass seine Augen ganz traurig blickten. Er war wirklich von Hunsinger enttäuscht. Ich nickte verstehend. Auch ich war wütend auf diesen Menschen, der mir Lügen unterstellte. Vorne beim Kamin angekommen, setzten wir uns alle auf das Sofa. Dika holte Kaffee und Tee. Nach einer langen Weile hatte sich der Oberst wieder etwas beruhigt und begann uns, besser gesagt meiner Dika zu erklären, warum er so wütend war.

"Anna, stell dir mal vor, dieser verdammte Blödmann, ist tatsächlich der Meinung, dass Lyn sich das alles nur ausgedacht hat. Selbst die Bilder die ich ihm zeigte, konnten ihn nicht überzeugen. Weiß du, was dieser Kerl mir gegenüber behauptet hat. Lyn wäre desertiert und jetzt nur zurückgekommen, weil sie feststellen musste, dass sie sonst verhungert wäre. Mein Gott, ich bin seit fast fünfzig Jahren mit diesem Arsch befreundet. Er ist seit fünfundzwanzig Jahren mit meiner kleinen Schwester verheiratet. Ich habe mir immer eingebildet, ich würde ihn gut kennen. Anscheinend habe ich mich völlig in ihm getäuscht oder er hat mir all die Jahre gekonnt etwas vorgemacht. Ich bin unendlich enttäuscht von in ihm, vor allem von seiner Ignoranz", kopfschüttelnd saß er da und starrte in seine Kaffeetasse. "Anna, ich glaube ich muss mich bei deinem Mann entschuldigen. Ich dachte immer Fritz übertreibt, bei dem, was er mir über Franz erzählt hat. Aber Hunsinger ist wirklich blind und will Dinge, die er nicht sehen will, einfach nicht sehen. Er blendet diese Sachen völlig aus, nur, um einen ruhigen Tag zu haben. Der merkt doch nichts mehr. Verdammt, wie soll ich mit ihm in der Zukunft umgehen. Ich kann mit so einem Arsch doch nicht befreundet sein. Das geht nicht mehr. Ich rede mit Inge, meiner Schwester. Wenn Franz da ist, werde ich dort nicht mehr erscheinen. Sonst gehe ich dem irgendwann an die Gurgel und das kann ich meiner Schwester nicht antun."

Verständnislos sah ich zu Melker. Bat den Oberst mit den Augen darum, reden zu dürfen.

"Was ist meine Kleine?"

"Sir, aber ihre Freundin Inge, kann nichts dafür, dass dieser Mann böse ist, Sir. Sie dürfen nicht mit ihr böse sein, wegen mir, Sir. Es ist immer so, dass uns nie jemand glaubt, Sir. Es war so und es wird immer so bleiben, Sir. Das bringt ihnen und ihrer Freundin nur Ärger, Sir. Wir haben keine Rechte und werden sie niemals bekommen, Genosse Melker. Wir sind gewohnt, dass man mit uns mit Füßen tritt und alles ungestraft mit uns machen kann, Sir. Wir sind doch keine Menschen, das sagt man uns jeden Tag aufs Neue, Sir."

Melker starrte fassungslos zu mir. "Lyn, natürlich habt ihr Rechte und natürlich seid ihr Menschen. Was sollt ihr denn sonst sein, mein kleines Mädchen?"

Ich zuckte mit dem Schultern und sagte das, was man schon so viele Jahre zu uns sagte. Was wir langsam aber sicher glaubten, da man uns auch so behandelte.

"Sir, wir sind Missgeburten, dreckige verlauste Tiere, Bastarde, Sir. Das sagen die Leute immer zu uns, Sir, und so behandelt man uns auch ständig, Sir. Sehen sie mich genau an, dann wissen sie, dass es stimmt, Sir. Ist auch nicht schlimm, dass wir nur Tiere sind, Sir. Man gewöhnt sich auch daran, ein Tier zu sein, Sir", versuchte ich ihn zu beruhigen.

Aber ich glaube es waren die falschen Worte, denn Melker sprang auf und rannte wie ein Verrückter, sich die Haare raufend vor dem Kamin immer hin und her. Verzweifelt sah ich zu Dika die mir beruhigend zulächelte. Ich war mir keiner Schuld bewusst, etwas falsch gemacht zu haben. Nach einer Weile hatte er sich so weit beruhigt, dass er sich wieder setzen konnte. Trotzdem sah mich unser Pilot wütend an.

"Lyn, ich will nicht noch einmal hören, dass du so etwas von dir oder deinen Freunden sagst. Hast du mich verstanden So etwas sagt man nicht. Ihr seid alles Menschen und habt die gleichen Rechte, wie dein Doko, deine Dika und ich."

Diesmal schüttelte ich wütend den Kopf setzte meine Brille ab und sprach in meiner Wut sogar ohne Erlaubnis, aber das wurde mir erst viel später bewusst, als ich wieder in meinem Bett lag.

"Sir, sehen sie sich meine Augen an, Sir. Das alleine beweist schon die Tatsache, dass wir keine Menschen sind, Sir. Wenn sie uns einmal als Ginos sehen würden, wüssten sie genau, dass wir keine Menschen sind, Sir. Wir sind und bleiben Tiere, das ist nicht schön, ja, aber eine Tatsache, die sich nun einmal nicht ändern lässt, Sir."

Melker zog mich zu sich heran, so dass ich gezwungen war, auf seinen Schoss zu sitzen. Lange und sehr intensiv musterte er mich und streichelte mein Gesicht.

"Jetzt hörst du mir mal genau zu, Lyn. Das ihr zu Ginos werdet, konntet ihr euch nicht aussuchen. Wenn ihr diese Möglichkeit hätte, würdet ihr das bestimmt nicht wollen. Als nächstes meine Kleine, ihr seid viel mehr Menschen, als manch anderer hier im Projekt. Das, was man mit euch gemacht hat, ist ein Verbrechen. Schluss aus und Basta. Da können wir noch so daran herum diskutieren, es wird nicht besser vom Reden. Diese Wissenschaftler die euch geschaffen haben, sind alle samt nicht besser als Mayer oder Hunsinger. Sie wissen gar nicht, was sie euch alles angetan haben. Aber ihr meine Kleine, könnt nichts für deren Untaten. Ihr müsst sie nur ausbaden. Hast du das jetzt endlich verstanden? Ihr seid Menschen genau wie die Dika, der Doko und ich. Kein bisschen schlechter seid ihr als wir. Du meine kleine Lyn, hast mehr Verstand, mehr Herz und mehr Würde als Hunsinger jemals gehabt hat und haben wird. Ich will nie wieder von dir hören, dass du von euch sagst, dass ihr Tiere seid. Versprich mir das."

Lange betrachtete meine Augen und sah mich sehr intensiv an. Es tat gut von dem Oberst zu hören, dass er dieser Meinung war. Vielleicht wiedersetzte er sich deshalb so vehement dem Oberstleutnant und trat für uns ein. Weil er wirklich felsenfest davon überzeugt war, dass wir Menschen waren. Vor allem dass man uns nicht wie Abschaum behandeln durfte. Mehrmals setzte ich an und wollte ihm antworten, aber irgendwie blieben mir die Worte im Halse stecken. Ich lehnte mich einfach an ihn und genoss seine Nähe. Mühsam versuchte ich mein Inneres zu beruhigen. Als ich es endlich geschafft hatte und ihm antworten wollte, knallte es wie verrückt gegen die Tür. Erschrocken, fast panisch zuckte Dika zusammen und sah hilfesuchend zu Oberst Melker.

Mayer fing an, vor der Wohnungstür der Jacobs zu randalieren. "Mach diese verdammte Tür auf, Anna oder ich trete sie dir ein. Wo ist diese verdammte Missgeburt von 98", brüllte er herum.

Verzweifelt sah ich Melker an, flüsterte leise. "Sir, sehen sie, Sir, wir sind keine Menschen, Sir. Ich habe Angst um die Dika, können sie die nicht mitnehmen, Sir. Ich habe Angst, dass der Oberstleutnant ihr etwas tut, Sir. Ich kann sie nicht beschützen, Sir. Der Oberstleutnant wird mich bestimmt bestrafen, Sir. Dafür dass ich noch lebe, Sir. Wenn ich im Hof hänge, Sir, ist die Dika ganz allein und schutzlos, Sir. Bitte nehmen sie sie mit, Sir. Der Oberstleutnant, tut ihr bestimmt sonst weh, Sir. Dass können wir nicht zulassen, Sir. Bitte nehmen sie die Dika mit, Sir", flehte ich ihn an.

Melker schüttelte den Kopf. "Lyn mache dir keine Sorge. Deiner Dika wird nichts passieren. Das lasse ich nicht zu."

Melker schob mich aufs Sofa und die Dika setzte sich ängstlich zu mir und zog mich in ihre Arme.

"Dika, ich beschütze dich, habe keine Angst. Ich sage den anderen Bescheid, dass sie auf dich aufpassen sollen", flüsterte ich ihr zu.

Dika konnte sich nicht rühren, sie war ganz starr vor Angst. Sie tat mir so leid. Ausgerechnet jetzt war der Doko nicht hier und sie war sich selbst überlassen. Ich glaube da hätte ich auch Angst, an ihrer Stelle, denn sie konnte sich überhaupt nicht gegen Mayer wehren. Melker ging unterdessen an die Tür und riss diese wütend auf.

"Genosse Mayer, was in Gottes Namen brüllen sie eigentlich hier so rum? Alle Anwesenden hier im Raum, können normal hören. Keiner von uns ist Taub. Was soll das Gebrülle?", erkundigte er sich bei Mayer und lächelte diesen an.

Bitte nicht ging es mir durch den Kopf. Ich muss es dann wieder alles ausbaden.

"Was wollen sie hier im Projekt Melker? Wer hat ihnen erlaubt sich hier aufzuhalten? Ich denke sie sind im Urlaub?", schnauzte ihn Mayer an.

Melker grinste den Oberstleutnant frech ins Gesicht. "Mir braucht niemand eine Erlaubnis zu geben, hier zu erscheinen. Ich bin im Projekt angestellt, falls sie das vergessen haben Mayerchen. Ich kann in meinem Urlaub machen, was ich will oder? Sogar arbeiten, wenn ich das will. Ich bin Pilot, Mayer, haben sie das etwa vergessen. Also raus mit der Sprach und zwar in einem vernünftigen Ton, wenn ich bitten darf. Was wollen sie, hier. Da ich gerade Anna und 98 besuche, stören sie gerade etwas. Wir wollen es uns heute gemütlich machen. Dazu benötigen wir Ruhe und wollen deshalb keinen Besuch."

Mayer flippte jetzt erst richtig aus. Er brüllte weiter wie ein Irrer herum.

"Was macht dieses Vieh von 98 hier? Wieso ist diese Missgeburt nicht beim Einsatz."

Melker hielt sich demonstrativ die Ohren zu und schüttelte den Kopf. Er musste sich zwingen, Mayer nicht einen Schlag ins Gesicht zu geben, denn dies hätte er am liebsten getan, um Mayer wieder zur Besinnung zu bringen. Da dem Oberst sehr wohl bewusst war, dass Mayer ihn nicht so einfach ersetzen konnte, durfte er sich vieles erlauben, was sich andere im Projekt niemals hätten trauen konnten. Außerdem stand er im Rang, um einiges höher als Mayer. Deshalb lächelte der Pilot, Mayer frech ins Gesicht und sprach mit ihm wie zu einem kleinen ungezogen Kind.

"Tja lieber Mayerchen, das haben sie nun davon, dass sie ihrer Untergeben permanent zusammenschlagen und misshandeln. Nummer 98 ist nach wie vor dienstuntauglich und wird dies auch noch eine Weile bleiben. Da sie Genosse Mayer versucht haben sie zu töten. Ich sage ihnen jetzt mal ganz offen etwas. Sollte Nummer 98 oder eines der Kinder auf der 6/blau, Anna oder Fritz irgendetwas passieren, sorge ich persönlich dafür, dass man sie für immer hinter Gitter bringt. Ich habe genügend Material gesammelt, um sie für den Rest ihres Lebens einzusperren zu lassen. Ach und noch eins, Mayerchen, sollten sie nochmals auf die Idee kommen, Nummer 98, so etwas wie im Stechlinsee anzutun. Dann mein Freund, verspreche ich ihnen eins, ich werde sie überall finden. Egal in welchem Loch sie sich verkriechen und dann Mayer werden sie ihr blaues Wunder erleben. Dann liebes Mayerchen, werde ich sie nämlich einmal in eine Kiste packen, mit zusätzlichen Gewichten und in irgendeinem See versenken. Mal sehen, wie lange sie das überleben. Ich gebe ihnen jetzt einen gut gemeinten Rat und hoffe, dass sie diesen sogar in ihrem Suff verstehen. Sie verschwinden auf der Stelle sie und lassen sich, solange ich hier im Projekt bin, nie wieder an Jacobs Tür blicken. Sonst sehe ich mich gezwungen sie von ihren eigenen Wachdienstmitarbeitern abholen zu lassen. Ich werde sie persönlich in eine Ausnüchterungszelle stecken, bis sie wieder soweit bei Verstand sind, dass sie normal denken können. Da sie aber den Verstand vollkommen verloren haben, werden sie schätze ich mal den Rest ihres Lebens in dieser Zelle verbringen. Und nun verschwinden sie", befahl er jetzt ein wenig lauter.

Damit schmiss er dem Oberstleutnant die Tür vor der Nase zu und ließ Mayer draußen vor der Tür stehen. Mir war einfach nur schlecht. Panisch sah ich Melker an und zitterte am ganzen Körper. Dies würde sich Mayer nicht gefallen lassen. Dika dachte wohl ähnliches, denn sie fing ebenfalls an zu zittern und horchte panisch nach der Tür. Davor war es ruhig, für meine Erfahrung zu ruhig. Ängstlich sah Dika zu Melker und dann zu mir.

"Kuno, wie soll ich Lyn hier alleine beschützen. Ich habe doch gegen Mayer keine Chance."

Melker klopfte meiner Dika beruhigend auf die Schulter. "Glaubst du wirklich Anna, dass ich euch jetzt hier alleine lasse. Dieser Kerl ist doch nicht mehr zurechnungsfähig. Keine Angst, ich bleibe hier bei euch, bis Fritz wieder da ist. Morgen nehme ich mir den Mayer mal richtig zur Brust. Danach lässt er euch für immer in Ruhe."

Ohne darüber nachzudenken schüttelte ich jetzt panisch den Kopf und sprach ohne Erlaubnis. Dass durfte er nicht tun. Mir ging es zwar besser, aber ich würde keine der großen Strafen von Mayer überleben, dazu fehlte mir einfach die Kraft. Am ganzen Körper zitternd flehte ich ihn deshalb an.

"Sir, bitte machen sie das nicht, Sir, dann wird es noch schlimmer, Sir. Wenn sie weg sind, lässt er seine ganze Wut wieder an mir aus, Sir. Bitte ich schaffe das im Moment nicht, Sir. Ich stehe keine Woche Lichtbox durch, bitte Sir", zu meinem eigenen Ärger fing ich wieder an zu weinen und schluchzte auf.

Im Moment konnte ich einfach nichts mehr wegstecken. Mir war das alles zu viel. Mühsam versuchte ich mich wieder zu fangen, was mir nur langsam gelang.

Melker musterte mich verwirrt. "Wie er lässt die Wut an dir aus, Lyn?"

Weinend und verlegen auf meine nervös spielenden Finger sehend, schwieg ich. Was sollte ich sonst machen? Ich wusste ja, dass er es nur gut mit uns meinte. Allerdings war es wirklich immer so, wenn er so mit dem Oberstleutnant umgegangen war, mussten wir dies dann ausbaden. Kaum drehte sich Melker weg, ging Mayer gegen uns los. Der Oberst war nicht vierundzwanzig Stunden am Tag um uns und konnte uns vor Mayers Wutanfällen schützen. Die meiste Zeit standen wir ihm alleine gegenüber. Krampfhaft versuchte ich mich zu beruhigen, damit ich wieder sprechen konnte.

"Komm rede mit mir, Lyn, damit ich es verstehe."

Mit zittriger und belegter Stimme versuchte ich es ihm zu erklären. "Sir, sie erinnern sich bestimmt noch an die Sachen, als sie den Oberstleutnant damals vor dem Flugzeug so angemacht haben, Sir. Als sie ihm sagten, was sie mit ihm machen würden, wenn er in ihrer Nähe noch einmal jemanden schlägt, Sir. Danach steckte mich der Oberstleutnant, im Anschluss drei Tage in die Lichtbox, Sir. Ich hatte nichts gemacht, Sir. Es war nur, weil er sich so über sie geärgert hat, Sir. Sie sind nicht immer in unserer Nähe, Sir. Bitte ich komme mit meiner Bestrafung schon klar, Sir. Wenn ich nach unten komme, Sir, werde ich sowieso wieder bestraft, Sir. Egal was ich mache, Sir. Wenn sie den Oberstleutnant noch wütender machen, Sir, wird die Strafe noch schlimmer ausfallen, Sir, als sie sowieso schon ist, Sir. Bitte, Sir, ich verkrafte das im Moment nicht, Sir", versuchte ich mich zu erklären.

Ich wollte nur noch meine Ruhe und drehte mich zur Dika um und begann leise vor mich hin zu weinen.

"Das ist jetzt nicht dein Ernst, das kann doch nicht wahr sein."

Bevor ich mich dazu entschließen konnte zu antworten, machte die Dika für mich.

"Leider ist das aber wahr, Kuno. Es ist wirklich so. Immer, wenn wir uns eingemischt haben, ob du das warst, Fritz oder jemand anderes. Wirklich jedes Mal wurde es für die Kinder noch schlimmer. Was denkst du, warum wir nichts mehr unternehmen und unsere Füße still halten. Wir versuchen die Kinder im Geheimen zu schützen. Ihnen wenigstens etwas Erleichterung zu geben. Aber im Stillen und nicht mehr durch aktive und sichtbare Hilfe. Danach leiden die Kinder nur noch mehr und jedes Mal mussten wir sie danach wieder zusammenflicken. Glaube mir irgendwann, hörst du dann auf helfen zu wollen, damit die Kinder weniger leiden müssen. Wir haben das leider begreifen müssen. Lyn, hat in allem Recht, was sie sagt."

"Ach Manne, dann habe ich statt zu helfen, alles noch schlimmer gemacht?"

Ich schüttele den Kopf und winkte ab. "Sir, ist nicht schlimm, irgendwann geht alles vorbei, Sir. Es ist lieb das sie helfen wollten, Sir. Aber helfen sie uns nicht mehr, bitte Sir. Dika, kann ich mich hinlegen, mein Kopf tut schlimm weh, Dika."

Ich wollte einfach nur noch weg hier und alleine sein, mir war das alles zu viel.

"Ja, leg dich hin Lyn. Du siehst schon wieder so blass aus. Soll ich dir beim Schlafen helfen."

Ich schüttelte den Kopf. "Dika, nein es geht schon, Dika."

Damit stand ich auf und ging in mein Zimmer. Versuchte etwas zu schlafen, aber es ging nicht. Wie so oft in letzter Zeit, kam immer wieder diese Todesangst in mir hoch, sobald ich versuchte zu schlafen. Ich kam in keinen Schlaf mehr. Also drehte ich mich auf den Rücken und starrte an die Decke. Ich hoffte so sehr, dass diese Alp bald vorbei war. Kaum zehn Minuten später kam Dika, um nachzusehen, ob ich wirklich schlafe. Merkte sofort, dass ich nur so tat.

"Komm mein kleines Mädchen, ich helfe dir, dass du zu Ruhe kommst."

Sie legte sich zu mir ins Bett und so fand ich endlich etwas Ruhe zum Schlafen. Als ich nach drei Stunden munter wurde, saß Melker an meinem Bett. Jetzt wusste ich auch, weshalb ich munter geworden war. Er streichelte mir über das Gesicht.

"Sir, was ist, soll ich aufstehen, Sir."

Der Oberst schüttelte den Kopf. "Entschuldige, ich wollte dich nicht munter machen. Du hast so geweint gerade. Ich wollte dich nur beruhigen. Willst du mit vor zu uns kommen, ans Feuer, da ist es schön warm."

Ich nickte und folgte Melker nach vorn ins Wohnzimmer. Chris Martin und Heiko Corsten saßen dort schon und leisteten Dika Gesellschaft.

"Hallo Lyn", begrüßten mich alle beide.

Chris kam zu mir auf das Sofa. "Komm mal her, meine Kleine. Ich dachte neulich, ich bin im falschen Film, als du in der Notrufzentrale angerufen hast. Ach Manne, hört das mit diesen Unmenschen nie auf. Dein Doko hat uns alles erzählt. Sag mir bitte, wie geht es dir."

Ich zuckte mit den Schultern. "Sir, mir geht es gut, Sir."

Ungläubig sah mich Chris an. "Na, so hat das aber grad nicht angehört. Was war denn los?"

Verlegen sah ich auf meine Finger. "Sir, entschuldigen sie bitte, ich habe wohl schlecht geträumt, Sir. Aber mir geht es wirklich gut, Sir."

Traurig streichelt er mir den Kopf. "Willst du noch etwas schlafen, meine Kleine?"

Ich schüttelte den Kopf.

Dika lachte mich an. "Nein Chris, erst muss sie etwas essen. Dann kann sie hier liegen, vielleicht schläft sie ja wieder ein."

Ach meine Dika, wie sehr hatte sie mich verwöhnt, das tat so gut.

An Chris gelehnt hörte ich den Männern einfach zu, die lustige Geschichten erzählten. Aß dabei meinen Brei. Anschließend rollte ich mich auf dem Sofa einfach zusammen. Seit über vierzehn Tagen, war ich jetzt wieder zurück. Die Pflege, die mir Dika hatte zukommen lassen, tat mir gut. Körperlich hatte ich mich fast wieder erholt, nur seelisch war ich noch alles andere als stabil. Aber auch das würde ich in den nächsten Tagen in den Griff bekommen. Noch ganze vier Tage, konnte ich diesen Luxus des Verwöhnt werden genießen. Vor allem aber das Gefühl, dass es mir gut ging und des beschützt und umsorgt Werdens. Genauso lange blieb auch Melker, nach dem uns Hunsinger wieder verlassen hatte, bei Dika und mir. Der Oberst verließ das Projekt erst, als Doko mit meinem Team zurückkam. Auch seelisch ging es mir wesentlich besser. Ich war ausgeglichener und hatte mich wieder einigermaßen gefangen. Melker machte in diesen Tagen, sogar den LKW Fahrer ausfindig. Ihm war es wichtig, sich bei Pepe für seine Fürsorge zu bedanken, deshalb wollte er sich mit ihm treffen. Sobald er hier weg konnte. Er wollte einfach den Menschen kennen lernen, der mir das Leben gerettet hatte. Denn allen war klar, länger als zwei oder drei Tage hätte ich nicht mehr überlebt. Dika brachte mich auf die Idee, dass ich ihm als Dankeschön für meine Rettung, ein kleines Bild malen könnte, von mir und ihm. So zeichnete ich einige schöne Bilder von uns. Ich hatte ja so nichts zu tun. Dika legte alles in eine Mappe und gab sie Melker mit. Der Oberst ging zwischendurch zwar einige Male weg, in dieser Zeit war immer jemand anderes bei uns. Mal Chris, mal Heiko, mal Arthur Zimmermann, nie ließ man uns alleine. An dem Morgen, an dem mein Team vom Einsatz zurück kehrte, meinte er dann. Ich bräuchte keine Angst mehr zu haben, er habe einiges erreichen können. Verwundert sah ich ihn an.

"Lyn, die Lichtbox haben wir zerstört. Auch die Peitsche, mit den Sternen, wird der liebe Mayer, an dir nie wieder ausprobieren. Nach dem ersten Hieb den er abbekam, auf seinen Overall, verging ihm das. Ich habe ihm versprochen, das nächste Mal bekommt er diese Peitsche auf die nackte Haut. Glaube mir, das ziehe ich mit ihm durch. Ach noch etwas habe ich mit ihm gemacht, Lyn. Ich war mal so frech, euer Schwimmbad zu benutzten. Ich habe mir erlaubt das Tauchbecken, an Mayer auszuprobieren und habe ihn dort mal drei kurze Minuten darin eingesperrt", breit grinste der Oberst mich an.

Ich dagegen guckte erschrocken. Ich wusste nur zu gut, dass dies ziemlich knapp war. Viele der Betreuer können nur zwei Minuten, unter Wasser bleiben, ohne in absolute Panik zu geraten.

"Den Deckel habe ich schön fest zu gemacht. Du kannst dir sicher vorstellen, dass er ganz schön gegurgelt hat. Das nächste Mal, wenn er jemand von euch in die Tonne sperren sollte, lasse ich ihn länger drinnen. Das habe ich ihm versprochen."

Entsetzt und mit dem Kopf schüttelnd, sah ich ihn an. "Sir,…", versuchte ich Melker zur Besinnung zu bringen, dies durfte er nicht machen, das war unmenschlich.

Der Oberst jedoch unterbrach mich sofort. "Lass gut sein Lyn. Eine andere Sprache versteht Mayer nicht mehr. Der hat sich vollkommen den Verstand weggesoffen. Der hat das mal gebraucht, um sein krankes Hirn wenigstens wieder etwas dazu schalten zu können. Ich erfahre ab sofort alles, was dieser Kerl mit euch macht. Lyn, ich werde nicht alles verhindern können, aber ich werde Mayer mit seinen eigenen Mitteln bestrafen. Werde das, was er euch antut, gegen ihn selber einsetzen. Damit er endlich einmal begreift, wie ihr leidet. Das habe ich ihm versprochen", berichtete Melker grinsend.

Mir wurde ganz schlecht.

"Lyn, keine Angst. Ich habe völlige Rückendeckung von meinem Schwager. Hunsinger, ist wohl bewusst geworden, dass ich ihm das Leben zur Hölle machen kann. Der gute Projektleiter war gestern noch einmal hier, im Projekt. Eigentlich wollte er noch einmal mit dir reden. Das habe ich allerdings nicht zugelassen. Du hast diesen Scheiß jetzt schon so oft erzählen müssen, es reicht langsam. Aber wir hatten eine sehr nette Aussprache, mit dem Genossen Oberstleutnant. Dabei hat ihm diesmal sogar Hunsinger richtig die Meinung gesagt. Ihm klar gemacht, dass er mit seinen fiesen Methoden, das ganze Projekt sabotiert. Ob er eine Anzeige wegen Sabotage bekommen wolle. Er würde genau das machen, was er Richter und März zum Vorwurf gemacht hat. Er soll euch hart rannehmen, allerdings wäre ihm untersagt euer Leben gefährden. Als der Oberstleutnant diskutieren wollte, ist Franz laut geworden. Ich glaube Mayer hat verstanden, dass es um seinen Job geht. Ein Oberstleutnant Mayer ist auch ersetzbar", schallend lachte Melker. "Lyn, sein Gesicht hättest sehen sollen. Es war einfach köstlich." Melker muss sich erst einmal beruhigen und holt tief Luft. "Dann hat Franz den lieben Mayer vor die Wahl gestellt, entweder oder. Entweder begibt er sich beim Doko in eine medizinische Behandlung, wegen seiner Alkoholsucht. Oder aber, Hunsinger wird persönlich dafür sorgen, dass er in ein Krankenhaus kommt. Mayer wählte das Krankenhaus. Leider ist erst in einem viertel Jahr ein Platz frei. Aber in dieser Klinik, das kann ich dir versprechen, wird er richtig hart rangenommen. Ich kenne den dort tätigen Chefarzt persönlich. Der ist mit meiner zweiten Schwester verheiratet. Also steht er auf unserer Seite. Dort wird der Mayer nicht viel zu lachen haben. Dann haben wir hier mit dem Personal gesprochen, diese Misshandlungen werden aufhören. Alle regen sich darüber auf und halten, aber aus Angst vor Mayer den Mund. Ich glaube Hunsinger hat es endlich kapiert. Ich hoffe es wird für dich nicht gar so schlimm. Diesmal steht Hunsinger hinter uns. Meine kleine Schwester hat ihm wohl tüchtig die Meinung gesagt. Sie fragte mich nämlich, wieso ich nicht zu seinem Geburtstag da war. Es gab wohl richtig Ärger zu Hause, bei den Hunsingers. Also meine Kleine, halte den Kopf hoch und vor allem, bleibe immer genauso wie du jetzt bist. So bist du nämlich genau richtig. Bis zum nächsten Flug, wir sehen uns in ein paar Tagen wieder", der Oberst gab mir noch einen Kuss auf die Stirn, schnappte sich die Mappe und war verschwunden.

Doko sah mich lächelnd an. "Mein Mädchen, der Oberstleutnant und du, ihr werdet nie wieder Freunde werden. Aber es wird keine Strafen mehr geben, die dein Leben und dass deiner Freunde in Gefahr bringt. Das wenigstens hat Kuno erreicht."

Skeptisch sehe ich ihn an. "Doko, na hoffentlich wird es nicht so wie sonst, dass wir wieder dessen ganze Wut abbekommen, Doko."

Liebevoll streichelt er mein Gesicht. "Ich glaube nicht, dass er dich straffrei in den Raum unten gehen lässt. Aber es wird nicht so schlimm wie das letzte Mal."

Ich zuckte mit den Schultern. Ich musste es sowieso nehmen, wie es kommt. Egal ob es mir passt oder nicht.

"Na mein Mädchen, willst du nach unten zu deinen Freunden?" Ich nickte und das Strahlen in meinem Gesicht, sagte wohl mehr, als ich mit Worten hätte ausdrücken können.

"Na dann komm. Je schneller wir nach untern kommen, um so eher wissen wir, ob wir etwas zu euren Gunsten erreichen konnten."

Ich gab meine Dika noch einen Kuss, folgte den Doko in unseren Raum. Als Doko mit mir in den Raum kam, liefen alle auf mich zu und nahmen mich in den Arm. Meine Rashida nahm mich hoch auf ihre Hüften und drehte sich wie verrückt im Kreis. Wir waren so glücklich. Rashida hatte allen schon erzählt, dass ich noch am Leben war und auch, was dieser Unmensch mit uns gemacht hatte. Doko kam noch einmal auf mich zu, hielt mir eine Hundemarke hin.

"Hier mein Mädchen, deine ist ja weg. Aber ich denke, diese hier hat kein Recht am Baum zu hängen. Rashida hat sie vorhin schnell geholt. Die gehört um deinen Hals, aber nicht an euren Baum. Der muss noch lange warten, so hoffe ich jedenfalls."

Ich nahm mir die Marke und hängte sie mir um den Hals.

"So ist das besser", meinten alle in der Verbindung.

Es dauerte nur zwei Stunden, bis Mayer wutentbrannt vor unseren Raum erschien. Seit dem wir ihn in unserem Raum eingesperrt hatten, so erzählten mir die anderen lachend, betrat der Oberstleutnant diesen nicht mehr. Knallend schlug die Tür gegen die Wand, da Mayer sie von außen aufgestoßen hatte.

"98, du elende Missgeburt, verreckst du eigentlich nie? Raus aus dem Raum."

Als die anderen mich beschützen wollten, hielt ich diese davon ab.

"Lasst gut sein. Ich überlebe das schon", versuchte ich sie zu beruhigen.

"Wird’s bald du Bastard. Bewege deinen fetten Arsch", gurgelte er vor dem Raum herum.

Er hatte sich mit einer Truppe von sechs Leuten der Wachmannschaft umgeben. So eine Angst schien er vor uns zu haben. Ich ging aus dem Raum und stellte mich an die Wand, spannte sogleich alle meine Muskeln an.

"So du keine Mistkröte, du warst also der Meinung, mal etwas Ausbüchsen zu können. Was hast du mit deinen Kameraden gemacht, du Dreckvieh? Hast du sie getötet, du Scheusal? Glaubst du wirklich, wenn du Melker und Hunsinger gegen mich aufhetzt, kommst du ohne Strafe davon? Du verdammtes kleines Mistvieh. Glaubst du wirklich, du kommst damit durch, sprich du Missgeburt."

Was sollte ich darauf sagen. Die Wahrheit wollte er bestimmt nicht hören.

"Sir, nein, Sir. Ich habe mir eine Strafe verdient, Sir", antwortete ich ihm deshalb, leise im korrekten Ton. Einfach um ihn nicht noch mehr zu provozieren.

"Mitkommen du kleine Kröte", brüllte er mich weiter an, die Wachmannschaft die hinter ihm stand, verdrehte die Augen. Also folgte ich ihm. Wissend, dass ich jetzt meine Bestrafung bekam. In Begleitung der Wachleute, liefen wir nach vorn zum Haus Nummer 2, am Tor zum Hof, bliebe er stehen.

"Ihr könnt verschwinden, den Rest schaffe ich auch alleine", entließ er die Wachmannschafft, in einem fast freundlichen Ton. "Rein mit dir, du verdammtes Biest", brüllte er mich wie immer an.

Das war mir tausendmal lieber, als seine freundliche Art. Denn diese war mir, für immer, in übler Erinnerung geblieben. So wollte ich Mayer nie wieder erleben. Denn das würde bedeuten, dass wieder einmal Freunde von mir, auf eine unmenschliche Art und Weise starben. Es hätte mir auch etwas gefehlt, wenn es nicht so herum gebrüllt hätte. Also betraten wir den Hof und es kam so wie es immer kam.

Ich musste mich ausziehen und wurde ans Gestell gehängt. Mayer nahm mir meine Brille weg und dann wurde ich, allerdings nur mit der normalen Peitsche, ausgepeitscht. Aber gegen das, was ich kurz zuvor erlebt habe, war das nicht wirklich eine Strafe. Mayer nahm anschließend Salzwasser und spülte mir die Wunden damit aus. Anschließend verschwand in seine Wohnung. Drei Tage ließ er mich auf dem Gestell und peitschte mich immer wieder aus. Spülte im Anschluss die Wunden mit Salzwasser. Aber wenigstens blieb mir dieses eine Mal, die Lichtbox erspart. Ich bin mir sicher, die hätte ich zu diesem Zeitpunkt nicht auch noch verkraftet. Denn so gut ging es mir noch lange nicht. Melker hatte es zwar gut gemeint, trotzdem denke ich, würde er die Bestrafungen, nicht verhindern können. Aber mir reicht es ja schon, wenn er diese nur auf mich konzentriert. Es sollte seine Wut nie mehr an meinen Freunden auslassen. Wenn Mayer noch einmal auf solche barbarische Weise, etwas gegen meine Freunde unternahm, das könnte ihm nicht so gut bekommen.

Egal was Dika und Doko gesagt hatten, von dieser meiner Meinungen brachten sie mich nicht mehr ab. Nämlich der, dass wenn er meinen Freunden noch einmal so etwas antut, wie im Stechlinsee, würde er das nicht überleben. Nochmal ließe ich mir solch eine Behandlung nicht gefallen. Dann würde ich, das erste Mal bewusst, gegen eins unserer eigenen Gesetze verstoßen. Das habe ich meinen Freunden, über ihren Gräbern im See versprochen. Ich wollte in der Zukunft auf meine verbliebenen Freunde, noch mehr aufpassen, als bisher.

Kapitel 5

Fast vier Stunden flogen wir jetzt schon. Ich setzte mich auf und streckte mich, um einmal herzhaft zu gähnen. Ich ließ meine Nackenwirbel einmal richtig knacken. Ach tat das gut. Komisch, dass wir so lange flogen, ging es mir auf einmal durch den Kopf. Neugebauer sagte nur etwas von zweieinhalb Stunden, die wir fliegen würden. Als wenn Neugebauer meine Gedanken gelesen hätte, kam der Copilot nach hinten.

"Lyn, wecke bitte deine Leute, wir sind gleich da. Der Oberstleutnant schläft auch noch, ich lass ihn schlafen, da habt ihr noch etwas Ruhe vor ihm. Wir hatten unterwegs schlechtes Wetter, tut mir leid."

"Sir, jawohl, Sir", gab ich sofort zur Antwort.

Sofort weckte ich meine Leute auf gewohnte Weise. "Munter werden, es ist Alarm."

Auf das Wort Alarm waren wir von klein an programmiert, solange wir zurückdenken konnten, standen wir bei diesem Wort senkrecht neben dem Bett. Es weckte uns immer, egal wie tief wir schliefen. Meine Freunde setzten sich alle hin.

"Na, das hat sich ja gelohnt mit dem Schlafen", meinte Jaan, streckte sich richtig.

Wie fast alle aus meinem Team ließ er erst einmal den Nacken richtig knacken. Es tat irgendwie gut und lockerte die Nackenmuskulatur. Eine dumme Angewohnheit, die wir auch schon ewig machten und uns einfach nicht abgewöhnen konnten

"Da hast du Recht Jaan. Solange haben wir eine Ewigkeit nicht mehr geschlafen. Es tat aber gut. Daran könnte ich mich gewöhnen", meinte Ari. Kaum hatte Ari den Satz vollendet, kam schon das Zeichen zum Anschnallen.

"Na, mal sehen, was da wieder auf uns zukommt. Viel Gutes kann es nicht sein, wenn wir das Dossier erst vor Ort bekommen", zweifelnd sah ich zu meinen Leuten hinter.

Alle stimmten mir zu. Meistens waren es Horroreinsätze, wenn wir erst vor Ort die Informationen bekamen. Damit meinte ich wirklichen Horror, denn schlimm waren unser Einsätze generell. Das bekamen wir ja zur Genüge mit, wenn wir uns mit den anderen Teams unterhielten. Diese waren nach Einsätzen mit uns, immer völlig fertig und konnten die Welt nicht mehr verstehen. Oft musste ich dort Medikationen setzen, damit die Kämpfer der anderen Teams, mit den Nachwirkungen der Einsätze klar kamen.

Diese Einsätze, waren für uns immer Erholung. Sie waren meist unkompliziert und wir hatten nie, irgendwelche Verletzungen dabei abbekommen. Mit Doko hatte ich mich einige Male darüber unterhalten, weil ich die Männer dieser Teams nicht verstand. Er meinte dann immer zu mir, ich würde die Einsätze aus einem anderen Blickwinkel sehen, als normale Menschen und ich hätte keinerlei Bezug zu der Normalität. Was immer er damit meinte. Ich hatte ihn irgendwie nicht verstanden. Ich kehrte zurück mit meinen Gedanken und hörte gerade noch meine Freundin sagen.

"Wir müssen halt das Beste daraus machen", versuchte uns Rashida zu beruhigt. Recht hatte sie, wie immer. Kaum, dass wir gelandet waren, kam der Oberstleutnant nach hinten.

"98, denke dran, was ich dir gesagt habe. Wehe du machst wieder Ärger, du kleine Kröte. Bringe deine Leute raus, aber bissel Dalli", Mayer war schon auf der Gangway und aus dem Flugzeug.

Draußen wurden wir bereits erwartet, von dem Leiter der schnellen Eingreiftruppe, der Rumänischen Polizei, Detaşamentul de Politie pentru Interventie Rapida, einem Comisar-sef de Politie, was dem Rang eines Obersts entsprach. Mayer macht wie stets Meldung, diesmal jedoch auf Rumänisch.

"Genosse Oberst Mihai, nehm ich an. Team 98, steht ihnen zur Verfügung. Oberstleutnant Mayer, meldet sich mit fünfundvierzig Einsatzkräften zum Dienst", übersetzte uns Raiko die Meldung Mayers.

Da uns Mihai nicht kannte, wurden wir erst einmal genau gemustert und unter die Lupe genommen. Es war wie jedes Mal, wenn wir auf ein uns nicht bekanntes Team trafen. Man beäugte uns misstrauisch und traute uns nichts zu. Wir waren in den Augen der anderen, trotz der enormen Größe meiner Teamkollegen, noch Kinder. Diesmal jedoch, reagierte Mayer sofort.

"98 und 23, ihr beide zeigt dem Oberst, was ihr könnt. Die neben euch stehenden können eure Waffen halten", bat er uns, in einem fast freundlichen Ton darum, einen kleinen Kampf zu zeigen und trat sogleich einen Schritt zurück. Grinsend stelle ich fest, dass Mayer sogar mitdenken konnte. Er war also trotz seiner Sauferei noch lernfähig.

Grinsend gaben wir unsere Waffen und auch die Brillen ab und zogen unsere Bänder über die Augen. Jaan und ich spielen halt etwas mit einander. Nach fünf Minuten konnten wir aufhören und ins Glied zurücktreten.

"Müssen wir das jetzt immer machen, wenn Mayer mit dabei ist?", erkundigte sich Jaan lachend bei mir.

"Meine Güte, ich war noch gar nicht richtig in Fahrt. Da hat sich das Ablegen der Waffen gar nicht gelohnt", albere ich ebenfalls herum.

Der Oberstleutnant besprach sich derweilen mit dem rumänischen Oberst. Wir standen gelangweilt herum und warteten auf neue Befehle.

"Leute, da wir jetzt gerade so lieb gebeten wurden, sind wir mal ganz brav heute. Mal sehen, ob wir dann mal keine Strafe bekommen", versuchte ich die angespannte Stimmung etwas zu lockern.

Es war immer schlimm, so lange ruhig zu stehen. Es gab nichts, was langweiliger sein konnte. Zum Glück konnten wir in der Verbindung uns wenigstens etwas die Zeit vertreiben, machten wie immer unsere Späßchen. Wie oft hatte ich schon überlegt, um wie viel schlimmer diese Warterei wäre, wenn wir die Verbindung nicht hätten. So hatten wir trotzdem immer unseren Spaß. Oft witzelten wir auch über die anderen Teams, die uns meistens, von der ersten Sekunde unseres Eintreffens an, genau beobachteten. Nach nicht einmal ganz einer viertel Stunde, kam endlich der Befehl zum Aufsitzen. Es standen für uns zwei LKWs bereit, auf die wir uns verteilen sollten.

Der Oberstleutnant trat auf uns zu: "Hoch mit euch, verteilt euch auf die LKWs, ein bisschen Dalli", befahl er uns, in einem fast freundschaftlichen Ton, den wir so gar nicht von ihm kannten.

Mayer völlig normal mit uns, etwas Unerwartetes passierte, er lächelte mich sogar an. Mir lief es eiskalt übers Holzbein, das ich nicht hatte und alle Alarmglocken fingen laut in mir an zu klingen. Mein Herz begann wie wild zu schlagen. Was sollte das? War Mayer krank oder hatte er wieder irgendeine gemeine Hinterhältigkeit vor, von der wir nichts ahnten. Ich würde auf der Hut sein müssen. Ein zweites Mal würde ich mich nicht derart hinters Licht führen lassen. Zu gut war mir seine letzte Gemeinheit noch in Erinnerung, nicht nur weil ich bis vor wenigen Minuten daran gedacht hatte. Das letzte Mal als er in diesem Ton mit mir sprach, waren fünf meiner Freunde aufs jämmerlichste ertrunken. Rashida schüttelte leicht den Kopf und rief mich zur Ordnung. Vielleicht hatte sie Recht und ich sollte aufhören ständig an all die schlimmen Vorfälle zu denken. Begann ich langsam verrückt zu werden? Ich hoffte es nicht, dass das der Fall war. Am liebsten hätte ich mir über den Kopf gerieben und den Nacken. Leider durften wir uns nicht bewegen. Tief atmete ich deshalb durch und hoffte, dass Mayer es nicht bemerkte. Ich riss mich aus meinen Gedanken, um meinen Aufgaben nachzukommen. Ich war Teamleiter und musste für den korrekten Ablauf und die Einteilung des Teams sorgen. Wahrscheinlich lag sein freundlicher Ton nur daran, dass Oberst Mihai unmittelbar neben ihm stand und hatte nichts mit uns zu tun.

Ich gab meinen Kameraden deshalb ohne Verzögerung den Befehl, zur Doppelreihe aufzuschließen. Als Teamleiter bestimmte ich, dass wir die Gruppe aufteilten, in dem wir die Paar trennten und entsprechend der Seite auf der jeder lief, auf den jeweiligen LKW aufsaßen. Wir liefen sofort los und Sprangen nacheinander, in der für uns gewohnten Ordnung, auf den Truppentransporter der Rumänen. Ich sah noch aus den Augenwinkeln, wie Mihai den Kopf schüttelte, wie wir lautlos und ohne erkennbare Kommandos, die Gruppe teilten. Für Außenstehende war das bestimmt ein ungewöhnliches Szenario. Eigentlich war es wie immer, die anderen Teams verstanden nicht, was mit uns los war. Solch eine stille Disziplin waren sie nicht gewohnt. Kaum, dass wir alle auf der Ladefläche Platz genommen hatten, fuhren wir im schnellen Tempo los. Das Martinshorn und Blaulicht sorgten dafür, dass wir auf allen Straßen freie Fahrt bekamen.

Erst fuhr die Konvoi in Richtung Westen, dann immer Richtung Süden, immer entlang der Berge. Über drei Stunden waren wir jetzt schon unterwegs und langsam wurde es auf den LKWs richtig ungemütlich. Die Ladefläche auf den Transportern war uneben und hart und es gab keine Plane über dem LKW, so dass wir die gesamte Zeit den Staub des vorfahrenden Wagens schlucken mussten. Nur gut, dass es jetzt schon mit großen Schritten auf den Sommer zuging und es wenigstens nicht kalt war. Wir stießen irgendwann auf einem breiten Flusslauf und bogen in Richtung Osten ab. Fuhren immer weiter direkt an einem Fluss entlang, weit konnte es eigentlich nicht mehr sein, so lange wie wir schon unterwegs waren. Wir hatten die Zeit genutzt und noch etwas geschlafen. Was hätten wir auch sonst anderes tun sollen?

"Hat jemand eine Ahnung, wo wir hier genau sind?", fragte ich meine Leute.

Wie meistens hatte ich Probleme, mich in mir fremden Umgebungen zu Recht zu finden, ohne vorher eine Karte gesehen zu haben. Cankat, der einen für mich unbegreiflichen Orientierungssinn hatte, erklärte mir sofort, wo wir befanden. Er konnte an bestimmten geografischen Merkmalen bestimmen, wo wir uns gerade aufhielten. Oder, was für mich noch unbegreiflicher war, anhand von Sternen, genau wie es Keri konnte. Wenn ich in einem Gebiet schon einmal gewesen war, konnte ich das auch. Aber hier in der Region waren wir noch nie aktiv gewesen, also kannte ich mich hier auch noch nicht aus. Die Sterne zur Orientierung zu nehmen, war für mich Unmöglich. Die sahen, wenn ich ehrlich war, für mich alle gleich aus. Sie waren wunderschön anzusehen, darüber ließ sich nicht streiten, aber mich danach zu orientieren, hatte ich nie gelernt. Ich orientierte mich an anderen Merkmalen, Baumwuchs, Moos, Pilzbefall, Sonnenstand, vor allem aber nach den Magnetpolen, so fand ich immer meinen Weg. Deshalb war ich bei fremden Gegenden immer auf meine Leute angewiesen, die da eine bessere Orientierung hatten.

"Lyn, wir sind an der Donau, in dem Teil der Karpaten, der sich das Serbische Erzgebirge nennt. Wir sind ganz im Süden von Rumänien, in der Nähe der Serbischen Grenze."

Grübelnd und im Stillen überlegend, rieb ich mir das Genick und sah Cankat verwundert an.

"Was könnte es hier besonderes geben? Dass man uns hierher holt."

Cankat überlegte kurz. "Das Einzige, was mir jetzt spontan dazu einfällt, wäre das Laufkraftwerk in der Nähe von Gura Vaii, das nennt sich das Eiserne Tor", achselzuckend sah er mich an. "Sonst gibt es hier nichts, was sich zu schützen lohnen würde. Es sei denn, es gäbe hier in einem der Bergwerke ein großes Drogenlabor. Das wir zerstören sollen."

Nachdenklich saß ich da und grübelte. Ich kam einfach nicht dahinter, was da wieder auf uns zukommen könnte. Es nutzte alles nichts, ich muss abwarten bis ich mehr Informationen bekam.

"Kann mir jemand erklären, was ein Laufradwerk ist", erkundige ich mich deshalb einfach in der Gruppe. Alle kannten mein technisches Dilemma, anders konnte man das nicht nennen. Mit Sachen, die ich noch nie gehört hatte, bekam ich immer Probleme. Genauso Wörter die ich noch nie gehört hatte, konnte ich einfach nicht aussprechen. Es war manchmal richtig zum Kotzen mit mir. Das Schlimme war, dass ich mich selber darüber, wahnsinnig ärgern konnte. Gerade bei technischen Dingen war das der Fall. Wenn ich ehrlich war, musste ich zugeben, dass ich nie wirklich Interesse dafür entwickelte, es zu ändern. Ich hatte genug Leute die sich darauf verstanden, technische Dinge zu reparieren. Warum sollte ich mir da Mühe geben es zu lernen? Ich hatte andere Qualitäten. Wie sagte Zimmermann immer zu mir: Man muss nicht alles können. Aber man muss immer jemanden kennen, der es kann.

"Lyn, das heißt nicht Laufradwerk, sondern Laufkraftwerk ... Lauf - kraft - werk ... Oh Hilfe, wie erkläre ich dir das?", nachdenklich hatte Rafik jetzt gesprochen.

Er war das, was man ein wandelndes Lexikon nannte. Aber bei mir war Rafik schon einige Male böse gescheitert. Weil ich mir halt bestimmte Sachen einfach nicht vorstellen konnte. Alles, was den Kampf und die Medizin betraf, begriff ich sofort. Alles andere waren, wie sagt man so schön, für mich böhmische Berge. Den Ausdruck verwendete der Hausmeister immer, wenn ich ihm neugierig auf die Finger sah, aber trotzdem nichts verstand. Na es gab schlimmeres, ging es mir durch den Kopf. Während ich die Gegend betrachte, alles konnte man ja nicht können. Rafik hatte sich in der Zwischenzeit überlegt, wie er versuchen könnte, es mir trotzdem zu erklären. Er zeigte aus dem LKW in Richtung des Flusses.

"Lyn, jetzt mal ganz einfach gesprochen. Vielleicht kannst du dir das dann besser vorstellen. Der Fluss hier wird durch Wasserturbinen geleitet. Das sind riesige Räder. Durch das Drehen dieser Räder, werden Generatoren angetrieben, dadurch wird Strom erzeugt. Um mehr Strom zu erzeugen zu können, wurde der Fluss angestaut. Ungefähr so, wie es die Biber machen. Es werden Dämme errichtet. So kommt es zu einem Rückstau und die Räder drehen sich einfach schneller."

Na ja, so richtig konnte ich mir das nicht vorstellen. Aber egal, ich hatte das Prinzip so ungefähr kapiert. Mir kam da eine verdammt böse Ahnung.

"Rafik, kann man so einen Damm sabotieren? Was passiert, wenn der Damm bricht?"

Mein Freund sah mich lachend an und schüttelte wieder einmal den Kopf über mich. Rafik wusste durch viele Gespräche die wir geführt hatten, wie kompliziert ich bei solchen Dingen oft dachte.

"Lyn, klar kann man das. Wenn er bricht, dann saufen im Tal alle Dörfer ab, es wird alles überflutet. Warum willst du das wissen?"

Verzweifelt kämpfte ich gegen die böse Ahnung an. Die in meinem Kopf, immer mehr Gestalt annahm. "Na, hoffentlich ist dort nichts. Ein Fehler und es kommt zu einer Katastrophe", unkend sprach ich in der Verbindung einfach die Gedanken aus, die mir gerade in den Sinn kamen. Soweit hatte ich verstanden, was Rafik mir gerade erklärte.

"Lyn, hörst du bitte sofort damit auf, die bösen Möglichkeiten anzulocken. Wenn du schon so etwas aussprichst, dann ist da meist etwas Wahres dran", schimpfte Myrna mit mir, die wie Rafik auf dem anderen LKW fuhr.

"Ich kann doch nichts dafür, Myrna. Das kam mir grad so in dem Kopf. Vor allem, tut mir verdammt der Bauch weh", entschuldigte ich mich bei meinen Freunden

"Oh je."

Bekam ich schon wieder von allen Seiten zu hören. Bei den meisten Einsätzen hatte ich Recht behalten, wenn ich solche Bauchschmerzen bekam. Um die Stimmung zu entspannen, sagte ich einfach zu meinen Freunden.

"Na warten wir erst einmal ab. Vielleicht irre ich mich ja endlich mal."

Ein schallendes Gelächter, erklang in der Verbindung, in das wirklich alle einstimmten. So oft hatten meine Freunde genau diese Worte schon zu mir gesagt. Nach weiteren zehn Minuten hielt der LKW endlich an, wir waren etwa fünf Kilometer von eben diesem Kraftwerk entfernt, welches sich das "Eiserne Tor" nannte.

Wir sprangen vom LKW und stellten uns wie gewohnt, in Reih und Glied auf. Oberst Mihai trat vor unseren Trupp und erklärte uns auf Rumänisch, um was es ging. Raiko übernahm das Übersetzen für uns, innerhalb der Verbindung. Dann bat Oberst Mihai, den Teamleiter nach vorn. Ich machte einen Schritt nach vorn und sprach Raiko, über die Schulter laut an.

"Nummer 7, kommst du mal, übersetze für mich."

Raiko trat neben mich und übersetzte sofort meine nachfolgenden Worte. Verwirrt sah mich Oberst Mihai an.

"Sir, entschuldigen sie bitte, Sir. Ich kann sie zwar verstehen, aber ich selber spreche nicht gut genug Rumänisch, verzeihen sie bitte, Sir. Damit sie richtig verstehen, was ich ihnen erkläre, Sir. Nehme ich die Hilfe, meines Dolmetschers in Anspruch, Sir. Das hier ist Nummer 7. Er spricht ihre Sprache perfekt, Sir."

Da nickte Mihai, verstehend. "Dann kommt mit", übersetzte mir Raiko in der Verbindung.

"Sir, jawohl, Sir", antworte ich.

Gemeinsam mit Raiko folgte ich dem hiesigen Einsatzleiter in ein Zelt. Genau erklärte er mir, was die Schnelle Eingreiftruppe vor Ort schon alles unternommen hatte. Aber auch, dass sie nicht mehr weiter wüssten. Am liebsten würden sie stürmen, um diesen Irrsinn ein Ende zu bereiten. Das würde den Tod wahrscheinlich aller Geiseln und vieler in den Tälern lebender Zivilisten bedeuten. Deswegen, hätte er nach uns gerufen, in der Hoffnung, dass wir noch einen Ausweg finden würden. Man hätte ihn schon mehrmals erzählt, dass wir solche Einsätze zu einem guten Ende gebracht hätten. Den Forderungen der Geiselnehmer würde er auf keinen Fall nachgeben, auch wenn es den Tod er Geiseln nachziehen würde. Die Geiselnehmer hätte ihm allerdings nur noch sechsunddreißig Stunden Frist eingeräumt, dann wollten diese Terroristen den Damm sprengen. Die Sprengung müssten wir unbedingt verhindern, denn sie würde den Tod von zahlreichen Zivilisten im Tal bedeuten. Aufmerksam hörten wir Mihai zu. Erst sah ich Oberst Mihai an, dann blickte ich fragend zum Oberstleutnant, der nickte. Also versuchte ich zu erklären, was ich bräuchte.

"Sir, als erstes brauche ich eine Lageskizze oder einen Bauplan vom Kraftwerk. Zum zweiten, würde ich mich gern mit jemanden unterhalten, der sich mit dem Damm genau auskennt. Zum dritten wäre es nett, wenn sie mir eine Umgebungskarte zeigen könnten."

Oberst Mihai ging zu einem großen Tisch und holte mehrere Rollen. Er bat einen seiner Untergebenen, einen Herrn Matei zu holen. Mihai breitete alles auf den Tisch aus. Genau studierte ich den Plan vom Kraftwerk und vor allem der Staumauer.

"Nummer 7, komm mal, schau dir das mal an", bat ich laut, Raiko übersetzte für mich, automatisch. "Sieh mal, wenn wir diesen Damm sprengen wollten, hätte ich an diesen neun Stellen, Sprengladungen angebracht. Was denkst du?"

Raiko war völlig überfordert. Er war zwar ein ausgezeichneter Dolmetscher und ein genauso brillanter Mathematiker, aber mit Sprengungen kannte er sich nicht so gut aus. Deshalb wandte ich mich an Mayer.

"Sir, dürfte ich Nummer 7 bitte 36 und 16 kurz holen, damit die beiden sich das einmal genauer ansehen können, Sir."

Mayer nickte.

Raiko ging los, um Balin und Sina dazu zu holen. Kurz beriet ich mich mit den Beiden, aber auch mit Herrn Matei. Alle gaben mir in diesem Punkt recht. Nachdenklich rieb ich mir das Genick.

"Nur, wie kommen wir dort ungesehen hin, ohne, dass die den Damm sprengen?"

Raiko der wie so oft von Taktik keine Ahnung hatte, aber dadurch auch sehr oft, einfach unkomplizierter dachte als wir anderen, sagt spontan.

"Von hinten."

Schallendes Gelächter brach innerhalb der Verbindung aus. Allerdings hatte er wieder einmal durch seinen Einwurf, jemanden auf die richtige Idee gebracht. Durch diese Worte, kam Elio ein Einfall.

"Lyn, hier sind doch überall Berge. Da wo Berge sind, gibt es fast immer auch Bergwerke."

Genau das war der Ansatzpunkt, den ich brauchte, um einen Plan zu entwickeln. Ich wandte mich also wieder an Oberst Mihai, mit der Bitte um Hilfe, da ich mich hier in der Region nicht auskannte, allerdings davon ausging, dass sich Mihai hier auskennen könnte.

"Sir, in den Bergen hier, rings um das Kraftwerg, gibt es doch bestimmt Bergwerke. Könnte es in der unmittelbaren Nähe des Dammes ein Bergwerk geben? Wenn ja, wie weit reicht es an das Kraftwerk heran?"

Mihai nickte und erklärte mir. "Das Stimmt 98, eins der Bergwerke ist ganz in der Nähe. Die Mine grenzt an den Damm und ist keine zwei Kilometer von hier entfernt und unterirdisch reicht sie noch weiter an den Damm heran. Aber sie ist schon verdammt lange außer Betrieb. Das Bergwerk wird schon seit vielen Jahrzehnten nicht mehr genutzt, vor allem auch nicht mal mehr gewartet. Die Idee hatten wir auch schon und haben sie schnell wieder verworfen. Leider dauert es viel zu lange, bis wir einen Tunnel gegraben haben."

Ich verstand, was er damit sagen wollte. In unerwartete Bergwerke zu gehen, war eine sehr gefährliche Unternehmung, da man nicht wusste ob es sich mit Grubengas gefüllt hatte und ob die Stollen darin noch stabil waren. Der Abgang eines Bergwerkes fand nur aus zwei Gründen statt, entweder war es nicht mehr ergiebig oder es wurde zu gefährlich. Wir hofften sehr, dass die Wirtschaftlichkeit zur Aufgabe des Bergwerkes geführt hatte, denn für uns war es eine gute Chance unbemerkt an den Damm zu kommen. Auch hatten wir ganz andere Möglichkeiten, als das Team von Mihai, einen Gang zu graben. Da wir ohne technische Hilfsmittel schneller gruben, als die Bergleute mit aufwendiger Technik. Wenigsten ein paar Vorteile, mussten wir durch unsere genetische Veränderung, ja auch haben.

"Sir, können sie mir Karten von dem Bergwerk besorgen, Sir?"

"Ja natürlich. Aber diese Karten sind sehr unvollständig. Wir haben uns die Grube angesehen. Das Kartenmaterial ist verwirrend. Aber genauere Karten gibt es leider nicht mehr", zum wiederholten Mal ging Mihai nach hinten an den großen Tisch und holte einige Karterollen, die er uns zeigte.

Als ich diese Karten sah, wurde mir schlecht. Das konnte heiter werden. Wenn diese Grube genau so aussah, wie die Karten die uns Mihai vorlegte, würden wir ein Wunder brauchen, um dort wieder heil herauszukommen. Die Karten waren zerfledert, dreckig und beschissen und einige Teile fehlten ganz. Mir standen die Haare zu Berge, als ich die Karten sah. Aber ich musste nutzen, was ich zur Verfügung hatte. Ich schickte die anderen, erst einmal zurück ins Glied.

"Sir, bitte geben sie mir dreißig Minuten, Sir. Ich muss mir das in Ruhe und ohne Störungen ansehen, Sir. Dann habe ich eine Möglichkeit, diesen Einsatz ohne Gefahr für die Zivilbevölkerung und die Geiseln zu beenden, Sir."

Oberst Mihai sah Mayer verwirrt an, der Oberleutnant nickte seinem rumänischen Kollegen bestätigend zu. Mittlerweile hatte sogar der Oberstleutnant begriffen, dass ich schneller und effektiver arbeiten konnte, wenn man mir etwas Ruhe, zum Denken gab. Deshalb zogen sich Mihai, der Oberstleutnant und Raiko zurück, und ließen mich alleine Arbeiten. Nach fünf Minuten ging ich allerdings nach draußen und holte mir Rashida, Miwa, Ana und Kimi zu Hilfe. Alleine kam ich hier einfach nicht klar, die Informationen die ich hatte waren zu viele und zu verwirrend zu gleich. Alles über die Verbindung zu lösen, dauerte zu lange und uns lief die Zeit davon. Gemeinsam stellten wir fest, dass wir einen nur etwa zehn bis maximal zwanzig Meter langen Tunnel graben mussten. Wenn der Berg uns hold war und mitspielte, war das überhaupt kein Problem. An Hand der Pläne die wir zur Hand hatten, teilten wir die Gruppe ein. Wir würden zwei Teams bilden, eine Gruppe mit siebenundzwanzig und die andere mit achtzehn Mann. Die Bombenexperten bekamen je zwei Leute zur Seite, die sie sichern würden, damit diese in Ruhe arbeiten konnten. Der Rest von uns würde sich, um die Geiseln und die Geiselnehmer kümmern. Somit hatten wir einen gut funktionierenden Einsatzplan. Ich schicke meine Leute zurück in die Reihe und ging auf Oberst Mihai zu. Raiko trat an meine Seite und übersetzte sofort.

"Sir, können sie mir diese Sachen schnellstmöglich besorgen, Sir? Ich brauche alles vor einer Stunde ich, denn uns läuft die Zeit weg, Sir. Ohne diese Materialien, können wir nicht los, Sir. Wie lange wird das ungefähr dauern, Sir?"

Zeitgleich mit meiner Bitte, reichte ich Raiko einen Zettel. Der mir das Geschriebene übersetzen musste. Zügig machte sich unser Dolmetscher an die Übersetzung und reichte sie im Anschluss den Zettel weiter an den Oberst. Mihai nickte und rief in seiner Sprache, nach einem seiner Mitarbeiter und hielt ihm den Zettel hin.

"Sam, rufe in der Zentrale an. Ich brauche das hier, vorvorgestern, sage mir gleich Bescheid, wann das Material da ist", übersetzte mir Raiko automatisch.

Der mit Sam angesprochen nickte und lief im Laufschritt zu einem anderen Zelt. Dem Rang nach war er Leutnant, genau wie wir. Immer wieder stellte ich bei Einsätzen fest, dass die meisten der Offiziere mit denen wir es zu tun bekamen, ein fast freundschaftliches Verhältnis zu ihren Untergebenen hatten. Nicht zu allen, aber der gesamte Umgangston war ein völlig anderer, als wir ihn gewohnt waren. Schade, dass der Oberstleutnant sich das nicht abschaute. Dann würde die Arbeit viel leichter sein, vor allem würde uns die Zusammenarbeit mit unseren Vorgesetzen viel mehr Spaß machen. Meine Gedanken schweiften ab, so wie es bei mir oft war, kurz vor einem kniffligen oder gefährlichen Einsatz. Mir dienten solche kurzen Gedankengänge oft als Entspannungspause. Keine drei Minuten dauert es, bis Sam wieder an gespurtet kam.

"Genosse Mihai, wir bekommen die angeforderten Sachen in circa vier Stunden, schneller geht es leider nicht. Ich habe der Zentrale richtig Druck gemacht", erklärte Sam seinem Vorgesetzten. 

Oberst Mihai nickte. "Ich weiß. Danke Sam", nervös wandte der Oberst sich an mich. "Nummer 98 wie sieht es aus, reicht euch die Zeit dann überhaupt noch. Ihr habt dann nur noch einunddreißig Stunden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das überhaupt noch schaffbar ist für euch", zweifelnd sah er mich an.

"Sir, vertrauen sie uns einfach, Sir. Die längste Zeit brauchen wir, um durch den Berg zu kommen und den entsprechende Stollen zu finden, Sir. Wir schaffen das in circa vierundzwanzig Stunden, Sir. Haben also noch reichlich sieben Stunden Reserve, falls irgendetwas total schief laufen sollte, Sir. Wir können also immer noch stürmen, Sir. Vielleicht sollten sie in der Zwischenzeit versuchen, die Zivilbevölkerung zu warnen oder vorsichtshalber zu evakuieren. Dass sie die Gefahrenzone vorüber gehende verlassen, Sir. Nur zur Vorsicht, falls alles schieflaufen sollte", schlug ich deshalb vor.

Zu meiner eigenen Beruhigung hatte ich mir sechs Stunden Reserve eingeplant, damit ich, falls es im Bergwerk Probleme gab, nicht gleich wieder in Verzug geriet. Das machte ich eigentlich immer, denn schnell musste ich feststellen, dass der Oberstleutnant richtig böse wurde, wenn wir eine einmal angegebene Zeit einfach überzogen. Da dieser absolut keine Ahnung davon hatte, wie schnell wir wirklich arbeiten konnten, hatte ich die Möglichkeit mir ein Luftpolster zu schaffen. Es war einfach nicht möglich, solche Einsätze auf die Minute genau zu planen. So wie es der feine Herr Oberstleutnant gern hätte. Ich wandte mich jetzt bittend an den Oberstleutnant, um die vorhandene Freizeit sinnvoller zu nutzen, als irgendwo herumzustehen.

"Sir, wenn sie uns dann nicht mehr für andere Tätigkeiten benötigen, Sir, würden wir uns gern für den Einsatz fertig machen und warm machen für den Kampf, Sir. Da wir nur vier Stunden haben, sollten wir gleich damit anfangen, Sir", bat ich darum wegtreten zu dürfen.

Oberstleutnant Mayer nickte, ohne ein Wort zu sagen.

Also drehte ich mich mit Raiko um und lief zu den anderen.

"Was ist mit dem los? Der ist ja heute richtig nett", musste ich erst einmal, völlig verwirrt von der netten Behandlung, los werden. Ich kam mit Mayers Verhalten an diesem Tag einfach nicht klar und war völlig irritierte.

Alle im begannen zu lachen, weil ich so ein verwundertes Gesicht zog. Es war aber auch wirklich ungewohnt, dass wir heute noch nicht einmal angebrüllt oder vor den anderen Teams zu Schnecke gemacht wurden: Uns fehlte richtig etwas.

"Na egal, so macht das Arbeiten richtig Spaß. Ich könnte mich jedenfalls daran gewöhnen. Los Leute machen wir uns etwas warm. Mir tut von der LKW-Fahrt jeder einzelne Knochen weh."

Zackig drehten wir uns um und liefen etwas abseits des Lagers, auf eine kleine Lichtung. Dort zogen uns bis auf die Turnhose und Bustier aus und begannen wie immer mit dem Taiji, danach machten wir sieben Zyklen Fobnekotar. So verging die Zeit wie im Flug. Fertig mit dem Training, kleideten wir uns wieder an und liefen zurück zum Zelt. Fast gleichzeitig mit uns, kam das bestellte Material an. So konnten wir ohne große Verzögerung los. Die erstaunten Gesichter, der uns umgebenen Menschen, bekamen wir gar nicht mit. Wir waren mit unseren Gedanken, schon mitten im Einsatz. Dadurch, dass wir hier keinen Angriff zu erwarten brauchten, beobachten wir unsere Umwelt, nur bedingt. Angreifen, sollte man uns hier trotzdem nicht. Unser ganzer Körper, der Geist war schon auf Angriff und Verteidigung geschaltet. Eine Berührung könnte, auch hier im Lager, zu einem Kampf auf Leben und Tod ausarten.

  

Schwer bepackt mit Rundhölzern, die wir zum Abstützen der Stollen und zum Bau einiger Türstöcke benötigten, liefen wir los. Zusätzlich zu unserem normalen Gepäck, das wir bei Einsätzen wie diesem immer dabei hatten, trugen wir diesmal auch noch Werkzeuge zum Graben eines Stollens bei uns.

Trotz all der Last, liefen wir die wenigen Kilometer bis zum Bergwerk, in einem sehr hohen Tempo, denn die Zeit saß uns im Nacken. Den Eingang zum Bergwerk fanden wir sofort. Das das Bergwerk einen flachen Zugang besaß, typisch für solche alten Bergwerke, kamen wir schneller voran als gedacht und mussten nicht erst noch in Stollenschächten nach unten klettern.

Systematisch erkundeten wir die Stollen, entgegen unserer sonstigen Angewohnheit, sicherten wir die Stollen nicht gegen Gegner ab. Da die Wahrscheinlichkeit hier auf Terroristen zu stoßen unter einem Prozent lag. Wir kamen dadurch zügig voran und sparten uns viel Zeit. Selbst, wenn uns hier jemand angreifen würde, wären wir in den Gängen im Vorteil, weil die besten Nahkämpfer vorn und hinten liefen. Daher wäre es völlig sinnlos gewesen, in den Stollen zu sichern. Kein normal denkender Mensch, würde von der Seite des Bergwerkes, mit einem Angriff auf den Damm rechnen.

Die Zeichnungen des Bergwerkes machten uns arges Kopfweh, die wir vom Oberst bekommen hatten. Sie waren alles andere, aber nicht genau. Ich verstand plötzlich, was Mihai damit meinte, als er sagte, die Karten wären verwirrend. Das waren sie wirklich, selbst ich kam mit den Plänen am Anfang nicht klar und ich konnte fast jede Karten lesen. Ich kam einfach nicht hinter das System dieser Karten. Keiner der Gänge führte dorthin, wo er hinführen sollte. Langsam hatte ich das Gefühl, dass diese Pläne, von einem anderen Bergwerk stammten.

Da wir allerdings wussten in welche Richtung wir uns wenden mussten, kamen wir auch ohne Karte klar. Unser Orientierungssinn half uns in solchen Situationen oft. Unsere Sinne waren wie ein Kompass, die uns nicht nur dabei halfen, die richtige Richtung herauszufinden, sondern auch genau sagten wie tief wir unter der Erde waren. Man könnte fast behaupten, auf den Zentimeter genau. Wir verließen uns deshalb einfach auf unsere Gefühle. Nach einer ganzen Weile, bemerkten wir komischerweise, dass die Karten des Bergwerkes wieder stimmten.

Verwundert sah ich die anderen an. Wir stellten fest, dass die Karte die wir in der Hand hielten, von einer anderen Ebene stammte. Auf einmal wurde uns das Schema der Karte klar und wir konnten die einzelnen Ebenen miteinander in Verbindung bringen. Die verschiedenen Karten, stellten die unterschiedlichen Ebenen dar, die durch Markierungen miteinander verbunden waren und erst dann eine Einheit bildeten. Es war ein eigenartiges und völlig fremdartiges System, allerdings hatte der Zeichner der Karten das System gut durchdacht. Dass dumme war nur, dass eine der Karten von der unteren Ebene, im Laufe der Jahre verloren gegangen waren. Daran konnte erkennen, wie alt diese Pläne schon sein mussten. Langsam aber sicher, stiegen wir hinter das Verbundsystem der Karten und folgten einer Art Grubenweg, der immer tiefer in das Bergwerk hineinführte. Eine eigenartige Anlage war das, so etwas hatte ich noch nicht gesehen, obwohl wir schon in vielen Bergwerken tätig gewesen waren.

Unerwartet standen wir an einer Kreuzung und kamen nicht weiter. An der Stelle, an der wir standen, müssten eigentlich vier Stollengänge sein, laut unseres Kartenmaterials. Es gab allerdings nur drei dieser Wege. Wir beratschlagten uns kurz und stellten wieder einmal fest, dass wir eine falsche Karte in der Hand hielten. Dass wir auf der Ebene waren, von der die Karte fehlte. Deshalb wählten wir den linken Weg, der uns, so hofften wir, näher an das Kraftwerk bringen würde. Vor allem führte der Stollen nach unten, denn wir waren noch nicht tief genug im Berg, um graben zu können. Fast eine Stunde waren wir jetzt schon unterwegs. Ich zog das Tempo etwas an. Uns wurde langsam die Zeit knapp. Auch, wenn ich immer Reserven einkalkulierte, wusste ich nicht, wie lange wir noch suchen mussten. Immer tiefer kamen wir in den Berg und waren nur noch hundertfünfzig Meter über der Ebene, zu der wir wollten. Wir hatten es also bald geschafft und kamen unserem Ziel näher. Gerade waren wir in einen Gang nach links abgebogen, als es vor uns auf einmal taghell wurde. Erschrocken blieben wir stehen. Drehten uns geblendet vom Licht um und holten unsere Brillen hervor. Da wir unsere Augen in der Dunkelheit des Bergewerkes nicht zu schützen brauchten.

"Wieso ist hier Licht? Nach allen Seiten sichern", gab ich sofort meine Befehle.

Hielt mich blind, am ganzen Körper zitternd und völlig desorientiert an der Wand fest. Vor allem fragte mich aber beunruhigt, was hier los war. Rashida die sich wie immer am schnellsten unter Kontrolle bekam, zog mich in ihre Arme und hielt mich fest. Da sie wusste, dass ich völlig hilflos war, zog sie mich in den Schatten.

Rashida stellte in der Verbindung erschrocken fest. "Da sind Kinder. Wieso leben hier im Berg Kinder?"

"Wo sind Kinder?", flüsterte ich verwirrt.

Da ich absolut gar nichts mehr sah. Durch das Blenden mit dem Licht, war ich völlig blind. Ich hatte immer noch Problem mit meinen Augen. Seit dem ich so lange in der Lichtbox gewesen war, brauchte ich ewig, ehe sich meine Augen, von der Helligkeit wieder der Dunkelheit anpassten. Es war jedes Mal zum Verzweifeln. Ich hatte stets für eine gewisse Zeit das Gefühl, völlig blind zu sein. Vor allem erfasste mich jedes Mal das gleiche Gefühl der Panik, wie damals als ich in unseren Raum kam und wie eine Verrückte umgegangen war. Ich musste mich zusammenreißen, damit ich nicht laut losschrie. Krampfhaft hielt ich mich am ganzen Körper zitternd, an Rashida fest. Bekam wieder einmal regelrechte Panik, weil ich durch meine Blindheit die Lage nicht einschätzen konnte. Krampfhaft versuchte mich zu beruhigen. Ich hasste es wie die Pest, wenn ich nichts sehen konnte.

"Ganz ruhig Lyn. Das gibt sich gleich wieder. Es ist alles in Ordnung hier. Es besteht für niemanden eine Gefahr", erklärte mir Jaan, der sofort an meiner Haltung sah, dass ich mir selber Stress machte. "Lyn, wir wissen, dass du bei so etwas Probleme bekommst. Vertraue uns einfach. Sollte Gefahr bestehen, ziehen wir dich aus der Gefahrenzone. Das weißt du doch. Lasse dir die Zeit, die du brauchst. Wir sichern das Terrain. Sage uns Bescheid, wenn du wieder etwas siehst."

In der Zeit in der mir Jaan beruhigend zu sprach, hatten sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt.

"Entschuldigung, aber es ist immer schlimm", entschuldigte ich mich verlegen.

"Wissen wir doch, Lyn."

Kam es von allen Seiten. Ich sah mich erst einmal vorsichtig um. Mir blieb erst einmal die Luft weg. Konnte absolut nicht fassen, was ich da erblickte. Wir standen vor dem Eingang einer großen Höhle. Eigenartig sah diese Höhle aus, es schien eine Art Haus zu sein, ähnlich wie die Wohnung bei den Jacobs. In der Höhle gab es verschiedene Räume und kleinere Höhlen, in denen Kinder arbeiteten und lebten. Die ersten Kinder, waren ungefähr fünfunddreißig Meter vor uns entfernt. Oh verdammt, wie sollten wir ungesehen durch diese Höhle kommen. Wenn wir hier eine Panik bekamen und genauso viele Erwachsene hier waren, wie Kinder, kam es jetzt schon zu einem Kampf. Diesen Kampf konnten wir uns nicht leisten, dazu hatten wir gar nicht die Zeit. Vor allem wie sollte ich die Kinder aus diesem Kampf heraushalten. Fassungslos ließ ich mich an der Felswand herunter rutschen und begann nach einer Lösung zu suchen. Ich begann mich mit meinen Leuten zu beraten. Wir brauchten eine schnelle und effektive Lösung. Im Schatten des Ganges überlegten wir, ob wir umkehren sollten und einen anderen Weg suchen oder gar einen Verbindungsgang zu der unteren Ebene graben musste. Wir überlegten ob wir einfach durch die Höhle marschieren konnten. Ich entscheide mich für das letztere Idee. Wir kamen sonst zu sehr in Zeitverzug, das konnten wir uns nicht leisten.

Verwundert stellte ich fest, dass keines der Kinder etwas sagte. Erst jetzt fiel mir die ungewöhnliche Ruhe in der Höhle auf. Solch eine Ruhe, war ich von solch einer großen Ansammlung von normalen Menschen nicht gewohnt. Ich stand auf, um besser lauschen zu können. Es war viel zu ruhig hier, fast zu ruhig, hier stimmte etwas nicht. Wenn ich mich allerdings auf mein Gehör konzentrierte, war da ein leises Geräusch. Ein eigenartiges Geräusch, das ich nicht erkannte. Deshalb machte ich die meine Kollegen, darauf aufmerksam.

"Seid mal ganz leise und lauscht mal. Keiner sagt etwas innerhalb der Verbindung. Hört einmal genau hin. Was ist das für ein Geräusch? Ich kann es keinem mir bekannten Geräusch zuordnen", fragte ich die Gruppe.

Jetzt erst, nach dem keiner in der Verbindung mehr etwas sagte, hörten auch die anderen das leise Geräusch.

Rafik vermutete nach einem kurzen Moment des Horchens. "Lyn, das hört sich an, wie ein wie eine pneumatische Steuerung. Wie ein Gestänge, das über Walzen gesteuert wird. Auf diese Weise wird in der Schule das Tor bewegt. Ich hab dem Hausmeister da mal geholfen. Das klang so ähnlich."

Verständnislos sah ich ihn an. Wie immer, wenn es um Technik ging, wusste ich nicht, was man von mir wollte.

"Wie Gestänge, Walzen, Steuerung? Muss ich das verstehen?"

Die ganze Bande schmiss sich weg vor Lachen. Andi der neben mir im Schatten stand, nahm lachend meinen Arm. Er hob ihn hoch und schob ihn wieder runter, dies wiederholte er einige Male.

"So ungefähr, das, was ich jetzt mit dir mache, ist eine pneumatische Steuerung."

"Aha."

Mehr sagte ich nicht dazu, weil ich nicht wusste, was er mir sagen wollte. Aber es war auch egal. Ich winkte ab, ich musste das nicht verstehen. Wir mussten unbedingt weiter. Mir lief wirklich die Zeit davon. Ich bat Raiko und Rina mich zu begleiten. Bei der Masse der Kinder brauchte ich zwei Dolmetscher. Einer allein war dann überfordert. Die anderen konnte ich dann rufen, wenn wir die Sache grob geklärt hatten.

"Raiko, Rina ihr zwei kommt mit. Die anderen bleiben im Schatten und sichern uns ab", befahl ich dem Rest meines Teams.

Vorsichtig betraten wir die Höhle, um die Kinder nicht zu erschrecken. Ich hoffte, dass wir keinen Ärger bekamen. Ich konnte mir keine Verzögerungen mehr leisten. Zwei ganze Stunden hatten wir jetzt schon sinnloser Weise, mit Suchen nach dem richtigen Weg vergeudet. Wir mussten endlich weiter. Es ging um mehr, als ein paar Kinder.

"Ihr beiden sagt ihnen, dass wir ihre Eltern sprechen wollen und dass wir keine Bedrohung sind."

Wir gingen langsam auf die Kinder zu und hielten die Hände offen vor uns. So dass man sah, dass wir nichts Böses wollten.

Raiko sagte genau wie Rina. "Nu vă faceţi griji, nu vom face rău. Vrem să vorbim cu parintii tai. - Habt keine Angst, wir tun euch nichts. Wir wollen nur mit euren Eltern sprechen."

Wir bekamen keinerlei Antwort von den Kindern. Auch sah uns keines der Kinder an, so als ob sie Taub wären. Verwundert sahen wir uns an. Ich stellte wohl die Frage, die auch Rina und Raiko interessierte.

"Wieso sehen die Kinder so komisch aus?"

Die Haut der Kinder hatte eine komische Farbe, vor allem stimmte etwas an ihrem Aussehen nicht. Ich sehe ja Menschen anders als meine Freunde. Wahrscheinlich hängt das mit dem erhöhten Ginoenzym zusammen, das in meinem Körper ist. An Hand, ich nenne es jetzt einmal Aura, sehe ich ob Menschen Angst haben oder entspannt sind. Sie haben dann wie eine Farbliche Umgrenzung, an der ich den Seelenzustand meines Gegenübers ablesen kann. Dies ist bei jedem Mensch zwar anders und man muss die Menschen sehr genau kennen, um die Stimmung ablesen zu können. Aber hier war nichts. Genau dieser Punkt war es, der mich völlig verunsicherte. Die Kinder hatten keine Aura, um ihre Körper.

Ich glaube deshalb sah ich auch genauer hin. In der Höhle roch es unangenehm. Keinen Meter weiter, entdeckte ich etwas und blieb ich wie angewurzelt stehen. Wir waren nur noch zwanzig Meter von dem ersten Kind entfernt. Ich war wie gelähmt und konnte keinen Millimeter mehr weiterlaufen. Geschockt hockte ich mich erst einmal hin und versuchte krampfhaft wieder Luft zu bekommen. Das, was ich gerade entdeckt hatte, nahm mir die Luft zum Atmen. Es war das schrecklichste, was ich mir vorstellen konnte und je gesehen hatte. Raiko und Rina, die etwas seitlicher von mir standen und ja wesentlich größer waren wie ich, konnten diese Dinge noch gar nicht gesehen. Wahrscheinlich hatten sie auch gar nicht so genau hingesehen, wie ich.

"Lyn, was ist los? Geht es dir nicht gut."

Ich konnte nicht einmal in der Verbindung etwas sagen. Mich hatte das blanke Grauen erfasst. Fassungslos zeigte ich auf das Kind und musste mich übergeben. Rina hockte sich neben mich und versuchte mich zu beruhigen. Erst in dem Moment als sie sich neben mich hockte, sah sie, was ich zuvor schon entdeckt hatte und was mich so aus der Bahn geworfen hatte. Sie schrie in der Verbindung auf.

"Nein", schrie sie und fing genau wie ich an, am ganzen Körper zu zittern.

Jetzt kamen auch die anderen heran. "Was ist los?"

Ich wollte nicht, dass sie kamen, aber ich konnte mich nicht bewegen und konnte nichts sagen. Ich war wie versteinert. Ich war so entsetzt über das, was ich sah, dass ich nicht mehr klar denken konnte. Rashida kam zu mir und zog mich in ihren Arm.

"Täubchen, was ist los?"

Zitternd zeigte ich auf das Gestell. An dem man das Kind festgebunden hatte und versuchte gegen den Brechreiz zu kämpfen. Rashida folgte mit ihrem Blick meinem zitternden Finger, wie auch die anderen. Fassungslos blieben alle stehen. Viele meiner Freunde, fingen an sich zu übergeben. Es war grauenvoll, was wir hier erlebten. Rafik behielt recht mit dem pneumatischen Antrieb. Diese Kinder waren alle tot, deshalb hatten sie auch keine Aura, die ich sehen konnte. Die Bewegungen wurden über ein Stangengetriebe auf die Kinder übertragen. Wenn wir immer gedacht hatten, uns ging es im Leben schlecht, was mussten wohl diese armen Kinder durchgemacht haben.

Fast zwei Stunden saßen wir wie angewurzelt am Anfang dieser Halle. Keiner von uns war in der Lage, sich zu bewegen oder auch nur an den Einsatz zu denken. Diese Zeit brauchten wir, um uns wieder etwas in den Griff bekommen, wenn das überhaupt möglich war. Wir sahen uns jedes der Kinder genau an. Wir wollten die Hoffnung nicht aufgeben, dass wenigstens eins davon noch leben würde und wir es retten könnten. Aber sie waren alle tot. Wir waren in unserem schlimmsten Alptraum gefangen. Was sich hier abspielte, war unmenschlich. Achtunddreißig Kinder im Alter von ungefähr einem halben bis zehn Jahren, verrichteten noch nach ihrem Tod, Tätigkeiten. Sie bügelten, wuschen Wäsche, kochten, backten, spielten und selbst eine nachgebaute Schule gab es hier. In einer großen Küche, in der sich sechs Kinder aufhielten, wurde Essen zubereitet. Eins schnitt etwas, eins rührte in einem Topf, das nächste räumte Teller in immer gleichbleibender Bewegung auf den Tisch. Ein anders goss etwas in eine Kanne. Eins rollte etwas aus, das andere trank aus einer Tasse. Es war ein grauenvolles Szenario. Im nächsten Zimmer schliefen zwei Kinder in einem großen Bett. Auf jeder Seite weckte ein Kind, die Schlafenden. Im Zimmer daneben, saß ein Kind neben einer Wiege und schaukelte diese. Darin lag ein Baby von vielleicht einem halben Jahr. Nebenan war ein Bad, dort lag ein Kind in einer Wanne, ein anders schrubbte dessen Rücken, das nächste nahm ein Handtuch von der Kommode. In einer kleinen Höhle, stand ein Kind am Bügelbrett, bügelte ein Hemd und das nächste wusch Wäsche, zwei andere hängten Wäsche auf. Im Zimmer daneben saßen sechzehn Kinder auf Schulbänken und schrieben, eins stand vorn neben einem Pult und zeigte immer wieder an die Tafel. Daneben war eine Wippe auf der zwei Kindern hoch und runter wippten. Keiner von uns war in der Lage etwas zu sagen. Fassungslos und das blanke Entsetzen im Gesicht, sahen wir uns an. Liefen weiter nach hinten an das Ende der Höhle. Dort führte seitlich ein Stollen, aus dieser grauenvollen Höhle. Wir wollten hier nur noch heraus. Heraus aus diesem Wahnsinn, den wir nie wieder sehen wollten. Es war ein zu grausiges Bild. Alle zitterten wir und waren nicht mehr in der Lage klar zu denken. Am liebsten wären wir schreiend aus dem Berg gerannt. Aber das konnten wir nicht tun. Wir hatten einen Auftrag, den wir erfüllen mussten. Sonst würden noch mehr Menschen sterben.

Deshalb liefen wir vorsichtig weiter und folgten nach allen Seiten sichernd dem Stollen, bis sich auf der rechten Seite eine Nische öffnete. Dort lagen Bergeweise Knochen. Instinktiv suchte ich nach Anhaltspunkten, wie viele dort lagen und konnte ohne genauer hinzusehen mindestens fünfzehn Schädel erkennen. Das Kind das obenauf lag, war noch zu erkennen, ein kleines blondes Mädchen von vielleicht fünf Jahren. Es war schon halb verwest. Hier stank es erbärmlich. Ängstlich liefen wir weiter. In der Hoffnung, dass es nicht noch schlimmer kommen würde. Wir betraten eine etwas kleinere Höhle. Fassungslos blieb ich stehen. So plötzlich, dass die Nachfolgenden auf mich aufliefen. Ich wollte nicht weiter gehen. Ich konnte es einfach nicht. In dieser Höhle standen sechs große Glasbecken, etwa zwei Meter lang. Ein Meter Breit und anderthalb Meter hoch. In jeden dieser Becken lag ein Kind. Ähnlich der Inkubatoren, in denen wir aufgewachsen waren. In diesen Becken war eine wässrige Lösung, die furchtbar stank.

"Was ist das?", frage ich instinktiv, ohne eine Antwort zu erwarten.

"Ich denke das ist Formalin. Eine siebenunddreißig prozentige Formaldehydlösung, die man zur Konser…"

"Ruhe", herrschte ich barsch Rafik an.

Der mir gerade erläutern wollte, was er wusste und wohl mehr, automatisch sein Wissen zum Besten gab. Der er verstummte sofort. Ich hatte etwas gehört, ein Gurgeln. Fassungslos drehte ich meinen Kopf und lauschte, um die Richtung herauszufinden. Die Gruppe wusste, dass ich nur in Gefahrensituationen, jemanden bei einer Erklärungen unterbrach. Jetzt hörten es auch die anderen. Das Geräusch, kam vom letzten Becken auf der rechten Seite.

Schnell liefen wir zu dem Becken und rissen den Deckel hoch. Ein Teil der Gruppe sicherte das Gelände und wir holten das kleine, etwa vier Jahre alte und dunkelhäutige Mädchen, aus dem Becken. Es lebte noch. Wir öffneten unsere Medi-Koffer und begannen verzweifelt, um das Leben des kleinen Mädchens zu kämpfen. Versuchten aus den Lungen das Formalin abzusaugen. Derjenige, der das den Kindern hier antat, legte das Mädchen lebendig in diese Lösung. Fast vierzig Minuten versuchten wir das Mädchen zu retten. Weinend musste ich zugeben, dass ich nichts mehr, für sie tun konnte. Wir kamen zu spät. Wären wir nur gleich hier hinter gegangen und hätten vorn in der anderen Halle nicht solange verweilt. Dann hätte ich sie noch retten können. Jetzt ging es nicht mehr. Ich versuchte alles in meiner Macht stehende, sogar die unmöglichen Dinge. Gab ihr eine Spritze mit A97, was die Sauerstoffaufnahme im Blut erhöhte, hochdosiert B32 gegen die Schmerzen, um ihr etwas Linderung zu verschaffen, spritzte ihr sogar C98, was nur für uns bestimmt ist. Dies ist ein starkes Kreislaufmedikament, was wir sehr ungern einsetzten, da es zu inneren Blutungen führen konnte. Nichts half diesem kleinen schwarzhaarigen Mädchen mehr. Wir kamen eine gute Stunde zu spät. Völlig verzweifelt waren wir und wussten nicht, was wir tun sollten. Die Kleine litt unter furchtbare Schmerzen.

"Wir können die Kleine nicht so leiden lassen. Sie wird nie wieder gesund. Was soll ich nur tun?", erklärte ich meinem Team. Stellte die Frage, die mich am meisten beschäftigte.

"Lyn, kannst du nicht das Krantonak anwenden, um sie zu heilen oder das Jawefan", bat mich Gyasi weinend.

Ich schüttelte den Kopf. "Ich glaube, das hilft nicht mehr. Ich könnte zwar ihren Körper retten, ihr Gehirn ist schon fast zerstört. Ich könnte sie erlösen mit dem Krantonak", wies ich meinen Freunden darauf hin, dass es zu spät war.

"Wird sie leiden?", flüsterte Justa ihre Frage.

Wieder schüttelte ich den Kopf. "Aber wir verstoßen gegen unsere eigenen Gesetze", machte ich alle drauf aufmerksam, dass man die Schwächeren immer beschützen muss.  

"Lyn, die Kleine stirbt qualvoll. Hat sie nicht das gleiche Recht wie wir, ohne Qualen zu sterben?", wies mich Ayda darauf hin, dass wir niemanden aus der Gruppe würden auf diese Weise sterben lassen. Wir würden ihn erlösen.

Ich gab ihr Recht, hatte aber Sorge hier das Krantonak anzuwenden. "Passt ihr dann auf mich auf? Ich versuche sie erst zu retten. Wenn es nicht klappt, erlöse ich sie."

"Wir beschützen dich, Lyn. Aber mache, dass sie nicht mehr leidet. Es tut mir weh, sie so zu sehen", bat mich Sina.

Ich schob die Brille auf den Kopf und wandte das Krantonak bei der Kleinen an. Die immer schlimmer röchelte. Fast zwei Stunden, versuchte ich, ihr über das Krantonak zu helfen. Egal was ich versuchte, es gelang mir nicht. Die Kleine war schon viel zu weit weggetriftet und hatte kaum noch Verstand. Was dieser Mensch mit diesem kleinen Mädchen gemacht hatte, war Wahnsinn. Ich entschloss mich, sie von ihren Qualen zu erlösen. Hielt deshalb, zum Schluss ihr Herz an, damit ihr Leid ein Ende hatte. Weinend saßen die anderen, bei dem Mädchen. Ich lag bewusstlos, in den Armen von Rashida. So wie es immer war, wenn ich das Krantonak angewendet hatte. Danach war ich für lange Zeit, völlig ohne Kraft. Langsam kam ich wieder zu mir und fing auch an zu weinen. Wir verstießen gegen unser wichtigstes Gesetz. Wir hatten ohne Grund getötet. Ich war mir nicht sicher, ob es richtig war, die Kleine zu töten. Plötzlich hörte ich ein schlurfendes Geräusch.

"In die Schatten", befahl ich den Anderen. Schleppte mich auf allen vieren, so gut es ging in eine Ecke. Ich kroch hinter eines der Becken. Keiner der Anderen war in der Lage, mich mitzunehmen. Allen hatten so mit sich selber zu tun, dass sie kaum in der Lage waren zu laufen. Uns war allen kotz übel.

Nach ungefähr fünf Minuten erblickte ich einen, dürren etwa hundertfünfundsiebzig Zentimeter großen und höchstens fünfzig Kilo schweren Mann, mit schneeweißem Haar. Er hatte gelben und halbverfaulte Zähnen. Zerlumpt sah er aus, mit seiner viel zu oft geflickten Hose, die viel zu weit war. Sein Alter war schwer zu schätzen. Dreckige und schwarzbraun verfärbte Fingernägel, hatte er und einen irren Blick. Seine Augen standen etwas hervor, wie bei einem Frosch. Vor sich hin labernd, schlurfte er zu dem Becken, in dem das kleine Mädchen gelegen hatte. Entdeckte, dass der Deckel auf den Boden lag und sah die Kleine danebenliegen. Jetzt fing er an, mit dem Mädchen zu schimpfen. Ich verstand nicht, was er sagte. Da mir das keiner der Dolmetscher, dessen Worte übersetzten konnte. Plötzlich bückte er sich und fasste dem Mädchen in die Haare. Streckte sich wieder und zog das Mädchen, einfach an den Haaren hinter sich her. Das konnte alles nicht wahr sein. Hatte die Kleine denn nicht schon genug gelitten? Ging es mir durch den Kopf. Eine unsagbare Wut stieg in mir hoch. Ohne lange nachzudenken, erhob ich mich schwankend und aktivierte die restliche Kraft in mir. Ich musste diesem Monster Einhalt gebieten und die Kleine, wenigstens jetzt beschützen. Wenn ich sie schon nicht retten konnte. Sekunden später, stand ich hinter dem Fremden und schickte den Mann in den Schlaf. Ich war so voller Wut und so voller Hass. Das, was dieser Mann, den Kindern und dem Mädchen angetan hatte, genau dasselbe tat Mayer meinen Freunden und mir auch schon so oft an. Ich konnte einfach nicht mehr klar denken.

"Kommt alle her, sofort. Sichert das Terrain. Seht nach, ob hier noch mehr von diesen Verbrechern sind. Vor allem, ob es hier noch andere lebende Kinder gibt."

Gab ich klare Anweisungen an mein Team. Durch das Verhalten dieses Verbrechers, wurde ich aus meiner Starre gerissen und konnte wieder klare Entscheidungen treffen. Was nicht hieß, dass ich logisch denken konnte. Ich beendete einfach eine das Leben anderer bedrohende Situation. So wie ich es mein Leben lang gelernt bekam. Ich konnte jetzt nicht darüber entscheiden, was falsch oder richtig war. Ich musste das, was dieser Mensch hier tat, beenden. Niemand hatte das Recht, jemanden so etwas anzutun, das sagte ich auch meinem Team.

"Leute, keiner hat das Recht, so etwas zu machen. Genau das, was der hier mit den Kindern gemacht hat, tat der Oberstleutnant unseren Freunden an. Fast wäre ich auch auf dies Weise gestorben. Sollen wir uns immer alles gefallen lassen", wollte ich von meinen Freunden wissen.

Alle schüttelten den Kopf.

"Lyn, stecken wir ihn in das Becken. Das sollten wir mit dem Oberstleutnant auch machen. Diese verdammten Schweine", schlug Anzo voller Hass in den Augen vor. Die anderen nickten zustimmend. Die Wut in uns kochte.

"Aber das Gesetz", wandte ich halbherzig ein.

"Haben die Kinder nicht auch Rechte? Haben wir nicht auch Rechte? Immer tritt man uns und solche wehrlosen Kinder mit den Füßen. Soll das immer so weiter gehen?", wollte Anzo wissen.

Auch Anzo war genauso wie ich, voller Hass und Wut. Krein war sein bester Freund, genau wie Sneimy. Jeder aus unserer Gruppe, hat einige Freunde, die er bevorzugte. Wie ich, Rashida, Jaan und Aila am liebsten mochte. Ich sah in die Runde alle nickten. Sie waren alle genauso wütend wie Anzo und ich. Also taten wir etwas, was wir normaler Weise nie getan hätten.

"Dann los. Legen wir ihn in das Becken und sorgen so dafür, dass er das nie wieder, einem Kind etwas antun kann. Vor allem einmal sieht, was er diesen armen Kindern angetan hat. Wie die Kinder gelitten haben. Er soll genauso leiden", schlug Gan vor.

Der auch voller Wut und Hass auf das war, was der Oberstleutnant mit uns und dieser Unmensch hier, mit den Kindern gemacht hatten. Wir hatten uns jetzt eine Aufgabe gestellt und die erfüllten wir, nach gewohnter Manier. So wie wir es mit jeder Aufgabe taten, die man uns übertrug. Wir erledigten unsere Arbeit exakt und völlig fehlerfrei. Das Terrain wurde gesichert und keine Fluchtmöglichkeit wurde offen gelassen. Kurz bevor dieser Kindermörder wieder zu Bewusstsein kam, legten wir ihn in den Behälter mit Formalin und verschlossen diesen ordentlich. Aus dem Bad in der großen Höhle, holte Rashida einen Kamm und kämmte dem kleinen Mädchen, das nasse Haar. Im Anschluss legte sie die Kleine einfach auf das leere Bett, was in dem Zimmer mit der Wiege stand und deckte sie liebe voll zu. Gab der Kleinen ein Kuss auf die Stirn, so wie sie es immer mit mir machte.

Die komplette Höhle wurde durchsucht, nirgends wurden mehr Kinder gefangen gehalten. So beschlossen wir, diesem Alptraum ein Ende zu machen. Da es nur einen Ausgang aus dieser Höhle gab, würden wir diese versiegeln. So dass nie wieder jemand, diese furchtbare Höhle betreten musste. Nie wieder, durfte jemand so etwas grauenvolles sehen. Balin und Sina erreichten mit gezielten Sprengladungen, eine Versieglung des einzigen Zugangs in diesem Bereich des Berges.

Unter Versieglung verstanden wir, eine Sprengung von einem Durchgang in einer Höhle, die danach nicht mehr als eine solche zu erkennen war. Nur jemand der den Berg genau kannte, würde feststellen, dass hier einmal ein Stollen gewesen war und man den Eingang nirgends mehr sah. Damit fertig, säuberten wir auch den Gang vor dem Höhleneingang, so dass sämtliche Spuren beseitigt waren. Wir ließen uns danach an der Wand herunterrutschen uns saßen weinend im Gang. Konnten einfach nicht glauben, was wir gerade erlebt hatten. Im Moment der Versieglung der Höhle, begriffen wir allerdings auch, dass wir falsch gehandelt hatten. Wir hätten uns anderes verhalten müssen, aber es war zu spät. Die Höhle wieder zu öffnen, diese noch einmal zu betreten und in diesen Horror zurückzukehren, dazu fehlte uns einfach die Kraft. Auch weil uns bewusst wurde, dass wir wegen einem ganz anderem Einsatz hier waren. Erschrocken stellten wir fest, wie viel Zeit wir vergeudet hatten. Mühsam versuchte ich meine Leute aufzuscheuchen.

"Holt bitte mal alle tief Luft. Mir ist klar, dass es uns allen gerade nicht besonders gut geht. Aber im Kraftwerk sitzen hunderte Menschen die unsere Hilfe brauchen. Wir müssen weiter, sonst sterben heute noch mehr Menschen. Kommt steht auf. Bitte."

Meine Freunde nickten und gaben mir Recht. Mühsam zwangen wir uns aufzustehen und gingen wieder auf Suche. Über vier Stunden hatten wir in der verdammten Höhle vergeudet. In diesem unendlichen Alptraum und saßen noch einmal fast eine Stunde davor, um zu weinen. Wir mussten endlich weiter.

Eigentlich hätte ich die Gruppe zurückschicken müssen. Von meinem Team war keiner mehr Einsatzfähig. Als Teamleiter war es unverantwortlich von mir weiterzumachen. Welche Optionen hatte ich? Was sollte ich machen? Die Zeit war einfach zu knapp, für die Umstellung des Planes. Nur meinem Team war es möglich hier eine schnelle und humane Lösung finden. Alleine war ich nicht imstande diesen Auftrag ausführen, nicht in meinem jetzigen Zustand.

"Nehmt eure Gedanken zusammen. Wir haben nicht mal mehr zwölf Stunden Zeit. Reist euch zusammen. Auch, wenn wir noch etwas Reserven haben, wir müssen endlich hinmachen. Den Kindern nutz es nichts, wenn ihr mir heute alle sterbt. Passt auf euch auf."

 

Alle nickten, völlig fertig mit sich und der Welt, gaben sie mir aber Recht. Wir liefen im schnellen Tempo durch die Stollen weiter, ohne auf die Karte zu achten. Wir suchten jetzt alleine nach unserem Gefühl. Liefen die Stollen entlang, immer in Richtung Kraftwerk. Fast anderthalb Stunden durchsuchten wir den Stollen, dann endlich wurden wir fündig. Wir hatten endlich die Ebene erreicht, für die diese Karte gültig war. Fanden dadurch auch sofort den Stollen, den wir für unsere Grabungen nutzen wollten.

Wortlos fingen wir an zu graben. Wir hatten solche Stollen schon des Öfteren in einen Berg getrieben und wussten von daher genau, wie wir vorzugehen hatten. Jeder Handgriff saß, ohne dass wir uns absprechen mussten. Wir gruben einen Rettungsstollen. Einen etwa ein Meter hohen, ein Meter breiten Stollen und sicherten diesen mit Türstöcken, gegen Einbrüche. Solch ein Türstock bestand aus einem Querholz, der sogenannten Kappe und zwei Seitenhölzern, den Stempeln. Auf diese Weise bekamen wir einen sicheren Durchgang zum Kraftwerk. Wir mussten immerhin mit fünfundvierzig gut ausgerüsteten Kämpfern durch diesen Stollen kriechen. Dazu brauchte man eine gewisse Sicherheit. Da es sich um Granit handelte, einem sehr festes Gestein, brauchten wir lange zum Graben. Diesmal war es Schwerstarbeit, um den nur zwölf Metern langen Stollen zu bauen. Den wir bis zur Außenmauer des Kraftwerkes brauchten. Irgendwie war es nicht unser Tag. Der Berg legte uns alles Steine in den Weg den er fand und machte unsere Arbeit fast zunichte. Zweimal bekamen wir Einbrüche und mussten von neuen an diesen Stellen graben, es war zum Haare raufen. Wir benötigen auch noch eine gewisse Zeit, bis wir die Mauer des Wartungsganges durchbrochen hatten, um überhaupt in das Kraftwerk zu gelangen. Über Kaija bat ich, um eine Funkverbindung zu Oberst Mihai.

"Sir, es tut mir leid, Sir, wir hatten im Berg einige Probleme, Sir, und brauchten deshalb länger als geplant, Sir. Aber sie brauchen nicht zu stürmen zu lassen, Sir. Wir bleiben im Zeitfenster, Sir. Wir haben ja noch etwas Reserve, Sir."

Informierte ich den rumänischen Oberst, mit Raikos Hilfe darüber, dass wir länger brauchen würden, als geplant. Da wir uns durch Granit arbeiten mussten. Es ging halt alles schief, was schieflaufen konnte. Oberst Mihai sah darin kein Problem. Erkundigte sich bei mir, ob ich noch Hilfskräfte bräuchte? Als ich verneinte, bat er mich aber darum ihm Bescheid zu geben, wenn wir es nicht in den nächsten fünf Stunden schaffen würden.

"Sir, das werde ich machen, Sir. Aber so lange brauchen wir bestimmt nicht mehr, Sir. Wir haben den Durchbruch bald geschafft, Sir. Ich wollte mich nur melden, Sir, damit sie nicht nervös werden, Sir."

Sofort drückte ich Kaija den Funk in die Hand, um weiterzuarbeiten, denn meine Freunde waren am Ende ihrer Kraft und brauchten mich mehr, als der Oberst. Es waren fast zwölf Stunden, die wir ohne Unterbrechungen gruben. Nur gut, dass wir nach hinten noch acht Stunden Reserve hatten. So konnte ich meinen Freunden etwas Schaf gönnen. Erschöpft schliefen wir in zwei Gruppen, jeweils eine viertel Stunde im schnellen Schlaf, um uns etwas zu erholen. Dann schickte ich mein Team in die entsprechenden Richtungen.

Die Gruppe eins, bestand aus den Teams 1 bis 6 und dem Team 8. Das waren die Gruppen, welche die Sprengladungen suchen und entschärfen musste. Sie liefen in Richtung der Staumauer davon. Die Gruppe zwei, bestand aus den Teams 7, 9 und 10. Das waren meine besten Nahkämpfer und ein Team Scharfschützen. Die liefen mit mir in Richtung des Maschinenhauses.

Dass wir richtig lagen mit der Vermutung, dass man mit keinen Angriff von dieser Seite rechnete, zeigte uns, dass hier keinerlei Posten standen. Wir konnten unser Glück kaum fassen. Wenigstens das lief jetzt ohne Probleme. Auf dieser Seite des Kraftwerkes konnten wir uns ungehindert und ungesehen bewegen. Trotzdem blieben wir vorsichtig und nutzten jeden nur möglichen Schatten aus, den wir finden konnten. Wir bewegten wir uns, so gut wie unsichtbar und lautlos auf das Maschinenhaus zu, in dem die Geiseln gefangen gehalten wurden.

In einer dunklen Ecke des Ganges zwischen der Staumauer und dem Maschinenhaus, gingen wir in die Wand. Liefen in der Ecke nach oben, in Richtung Dach, um an die dortigen Fenster, beziehungsweise Luken zu kommen. Wir nutzen dazu eine Art Handschuh mit Saugnäpfen und Stahlkrallen, um an geraden Wänden laufen zu können. Klettern bis kurz unter die Fenster, um so einen Blick in den Raum  zu werfen. Ganz oben kurz unter dem Dach, waren Brückengänge, die über das gesamte Maschinenhaus verteilt waren, diese würden wir nutzen. Komischerweise, stand dort kein einziger Posten. Etwas, dass mich sehr wundern tat. Die Geiselnehmer waren sich ihrer Sache einfach zu sicher, so dass sie leichtsinnig wurden. Umso einfacher wurde die ganze Sache für uns. Erleichter darüber nicht noch einen schweren Kampf zu bekommen, atmeten wir auf.

"Wir gehen am besten, nach oben aufs Dach. Von dort aus, auf die Laufstege", gab ich genaue Anweisungen, an mein Team, das aus achtzehn Kämpfen bestand. Ohne lange Verzögerung, kletterten wir nach oben und liefen zu den Luken und seilten uns lautlos von einer der Dachluken aus ab. Gleichmäßig verteilten wir uns auf den Brückengängen und Laufstegen. Inspizierten auf diese Weise, die Verteilung der Wachen und Geiseln. Wir teilten zehn der Nahkämpfer, zum Schutz der Geiseln ein. Der Rest würde sich erst einmal um die Wachen kümmern. Insgesamt konnten wir von hier oben fünfzehn Geiselnehmer erkennen. Da die Brücken nur circa dreißig Meter über den Boden waren, konnten wir ohne Probleme springen.

Vom Team eins, bekam ich in diesem Moment Bescheid, dass die Sprengladungen entschärft und gesichert waren und es zu keinerlei Kampfhandlungen gekommen war. Sieben der siebenundzwanzig Kämpfer aus dem Team eins, ließ ich nach weiteren Sprengladungen suchen. Den Rest beorderte ich zum Team zwei. Da wir hier alle Unterstützung brauchen konnten, wenn wir hier ohne großes Blutvergießen, ein schnelles Ende erreichen wollten. Nicht einmal zehn Minuten später, stießen die Kämpfer des Teams 1 zu uns. Dadurch konnten wir weiter zwanzig Kämpfer, zum Schutz der Geiseln einsetzen. Es waren einhundertdreiundachtzig Geiseln, die wir beschützen mussten. Sechs bis sieben Geiseln kamen auf jeden von uns, das stellte kein Problem dar. Meine Teams, dass hatte ich schnell bemerkte, war heute nicht richtig bei der Sache. Sondern war viel zu beschäftigt damit, das in der Höhle erlebte, zu verdrängen. Unkonzentriertheit konnten wir uns nicht erlauben, denn dies bedeutete, ein viel höheres Verletzungsrisiko. Ich war völlig mit der Situation überfordert, da es mir selber nicht gut ging.

"Hört alle mal her. Ich weiß es geht keinen von uns gut. Aber ihr müsst euch jetzt zusammenreißen. In ein paar Minuten haben wir den Einsatz geschafft. Wir haben hier unten einhundertdreiundachtzig Geiseln, die auf unsere Hilfe angewiesen sind. Die wir mit unserem Leben beschützen müssen. Wollt ihr, dass dies alles aus dem Ruder läuft. Verdammt noch mal."

Tief holten alle Luft und gaben mir kopfschüttelnd recht.

"Kommt, atmet alle noch einmal tief durch. Damit wir diese Sache für die Geiseln unbeschadet, hinter uns bringen. Wir haben es gleich geschafft."

Tief begaben sich alle in die Taiji-Atmung und versuchten sich, so gut es halt ging, zu beruhigen. Auch, wenn dies nicht ganz gelang, wurden alle etwas ruhiger und vor allem wesentlich konzentrierter.

Wir begaben uns auf die abgesprochenen Positionen und ließen uns in die Tiefe fallen. Durch den völlig überraschenden Angriff von oben, kam es nur zu einem kurzen, allerdings heftigen Kampf. Schnell rangen wir die Wachen nieder und konnten die Geiseln befreien. Nach nicht einmal dreißig Stunden, hatten wir den Einsatz erfolgreich beendet. Im Anschluss an die Befreiung, versorgte ich als erstes die Geiseln medizinisch und danach, die Gefangen. Mein Team durfte ich leider erst nach dem Rapport im Flugzeug versorgen. Eine Neuerung, die der Oberstleutnant in meiner Abwesenheit eingeführt hatte.

Wir gaben Oberst Mihai und Oberstleutnant Mayer nach der Beendigung des Kampfes, durch Kaija Bescheid, dass der Oberst die Geiseln in Empfang nehmen konnte. Erleichtert atmete Mihai auf.

"Ich hatte schon nicht mehr mit einem glücklichen Ende gerechnet. Danke für die gute Arbeit, Team 98", übersetzte uns Raiko die Worte vom Einsatzleiter.

Fast Zeitgleich mit der Beendigung der medizinischen Versorgung, durch uns, traf Oberst Mihai mit seinen Leuten ein, um die Geiseln und die Gefangen zu übernehmen. Dies war etwa eine halbe Stunde nach der Beendigung des Einsatzes. Als er das Maschinenhaus betrat, lief ich auf ihn zu und griff, so wie ich es immer machte, nach seinem Handgelenk, um auf dessen Uhr zu sehen.

"Sir, Einsatz um 6 Uhr 32 erfolgreich beendet, Sir. Ich übergebe ihnen neunzehn Gefangene, und einhundertdreiundachtzig Geiseln, Sir. Die Geiseln sind vollständig medizinisch versorgt wurden, Sir. Die Geiselnehmer wurden durch uns nur notversorgt, Sir. Auf unserer Seite, gab es mittelschwere bis schwere Verletzte, Sir, die ich im Flieger medizinische versorgen werde, Sir. Wenn sie uns nicht mehr brauchen, Sir, würde ich gern zurückfliegen, Sir", machte ich ordnungsgemäß Meldung, wenn auch sehr kurz angebunden.

Oberst Mihai musterte mich genau. "Nummer 98, was ist mit dir und deinen Leuten los? Ihr seht schrecklich aus, braucht ihr ärztliche Hilfe?"

Ich schüttelte einfach den Kopf. Ich wusste wie wir aussahen. Rotfleckig im Gesicht, vom Fieber und blutverschmiert, vom Kampf. Aber dies konnte ich im Moment nicht ändern. Meine Kameraden und auch ich, brauchten einfach etwas Ruhe. Das was wir heute erleben mussten, war einfach zu viel für uns. Wir konnten eine ganze Menge wegstecken, aber wenn es Kinder betraf, ging uns das an die Seele. Nur zu genau, wussten wir wie diese sich fühlten und das war überhaupt nicht gut. Noch immer steckte uns das Erlebte von Prag in den Knochen und zu viele schlimme Dinge, hatten wir in den letzten Jahren sehen müssen. Irgendwann kommt bei jedem Kämpfer, an einen Punkt, an dem er einfach nichts mehr ertragen konnte. Ich denke diesen Punkt hatten wir heute überschritten. Das sah man meinen Kameraden und mir sehr deutlich an.

"Sir, es ist nichts, Sir. Das war einfach nicht unser Tag heute, Sir. Bitte, wir möchten nur nach Hause, Sir."

Der Oberstleutnant sah mich verwundert an. Selbst bei schwereren Einsätzen, hatten wir selten so viele Verletzungen. Oberst Mihai hatte verstanden, er nickte. Sah er doch nur zu gut und mit eigenen Augen, dass es keinem aus meinem Team gut ging. Deshalb macht er es kurz und schmerzlos.

"Team 98, ein herzlichen Dank an Euch, für diese gute Arbeit. Gern wieder und guten Heimflug."

 

Damit waren wir aus der Verantwortung des Einsatzes und entlassen. Wir halfen denen, die kaum laufen konnten, auf die LKWs und fuhren sofort zurück zum Flugplatz, nach Timisoara. Dort stiegen wir in unsere Antonow. Kaum, dass die Maschine abgehoben hatte, kam der Oberstleutnant nach hinten, um mich wegen meines Verhaltens herunterzuputzen.

"Sag mal 98, welcher Teufel hat dich eigentl…"

Weiter ließ ich ihn nicht reden. Uns allen ging es nicht gut. "Sir, wenn sie heute noch heil nach Hause kommen wollen, Sir. Dann lassen sie uns einfach in Ruhe, Sir. Keiner meiner Leute, nimmt ihr Gebrülle hier noch wahr, Sir. Alle haben sehr hohes Fieber, Sir. Wenn sie nicht wollen, dass die Wut in meinen Leuten, die Ginos weckt und diese Maschine hier zum Abstürzen bringt, Sir. Dann ziehen sie sich sofort in das Cockpit zurück, Sir. Sonst gibt es hier, ein böses Unglück und für sie ein noch böseres Erwachen, Sir, denn sie entkommen uns im Flugzeug nicht, Sir", sprach ich stoßweise und schwer atmend.

Da der Oberstleutnant alle Anzeichen, eines bevorstehenden Ginobusanfalles kannte, hörte er zu meinem Glück, dieses eine Mal auf meine Worte. Mayer drehte sich um und ließ uns alleine. Dafür war ich ihm unendlich dankbar.

Ich versuchte so gut es ging, alle zu beruhigen. Spritzte allen eine geringe Dosis, zwischen einer halben bis einer Einheit, des gefährlichen Medikamentes G24. Viele waren kurz vor dem Durchdrehen. Dadurch, dass wir auf dem LKW und hier im Flieger, endlich etwas zur Ruhe kamen, begriffen wir die Tragweite unseres Handelns. Vor allem, kamen die Bilder aus der Höhle wieder hoch, die wir im Einsatz mit Mühe verdrängen konnten. Allerdings konnten wir hier im Flieger keine tobenden Ginos gebrauchen. Das würde in einer Katastrophe enden. Ich kämpfte mit allen nur möglichen Medikamenten, gegen die Ginos an. Es war eine gefährliche Gratwanderung die ich hier unternahm, aber ich hatte keine andere Wahl. Zum Glück wirkten diese Mittel schnell und langsam beruhigten sich alle etwas. Dennoch bekamen wir alle, hohes Fieber. Dies war eine gefährliche Situation, denn mit dem Fieber kamen die Schmerzen und nicht alle würden es schaffen bei Bewusstsein zu bleiben. Die nervliche Überbelastung durch das Erlebte, war einfach zu viel. Ich konnte nur hoffen, dass das G24 und N47 zusammen, dass Ausbrechen der Ginos, auch während der Bewusstlosigkeit unterdrückte. Mit letzter Kraft schleppte ich mich zum Bordtelefon und rief im Cockpit an.

"Genosse Neugebauer, Sir, könnte ich sie oder den Genossen Melker kurz sprechen, Sir", bat ich mit gezwungen ruhiger Stimme und schwer atmend, um Hilfe. Melker übergab das Steuer an Neugebauer und kam selber nach hinten, in den Passagierraum.

"Lyn, was ist Kleines. Um Gottes Willen, wie siehst du aus?", entsetzt sah er mich an.

"Sir, bitte uns geht es allen nicht so gut, Sir. Ich habe uns allen zwei Einheiten N47 und das G24 gegeben. Sagen sie dem Doko bitte Bescheid. Das alle eine halbe bis eine Dosis des Medikaments G24 bekommen haben, Sir. Ich hoffe sehr, dass ich niemanden mehr nachspritzen muss. Der Doko soll ... falls ich nicht mehr mit ihm reden kann ... das in seine Behandlung einkalkulieren, Sir. Der Doko weiß ... wem ich wie viel spritze ... er kennt meine Leute und weiß, wer besonders gefährdet ist, Sir ... Ich habe mir zwei Einheiten G24 und vier Einheiten N47 gespritzt, Sir. Ich weiß nicht ... wie lange ich meine Leute noch ruhig halten kann, Sir …", krampfhaft versuchte ich mich zu beruhigen und war froh das Melker mich nicht unterbrach. "… falls es hier hinten laut wird ... müssen sie ... wirklich sofort landen, Sir ... Egal wo ... egal wie ... bringen sie die Maschine auf den Boden, Sir ... Sonst kommt es ... zu einer Katastrophe ... es stehen viele kurz davor ... die Ginos loszulassen ... Bitte ich will nicht darüber sprechen ... Mir geht es auch nicht gut ...", ich konnte keine Rücksicht mehr auf Höflichkeitsfloskeln nehmen. Ich wollte Melker nur darüber informieren, wie es hier hinten, um mein Team stand. Tief holte ich Luft und versuchte krampfhaft, nicht selber die Kontrolle zu verlieren. Melker nickte, er sah ja selber, was hier los war.

"Lyn, wir beeilen uns. Damit ihr in euren Raum kommt."

Ich nickte dankbar. "Sir, sorgen sie bitte dafür ... dass uns der Oberstleutnant in Ruhe lässt ... Ich will nicht ... dass jemand verletzt wird ...", flüsterte ich noch leise.

Melker nickte und ließ uns alleine.

Keine Ahnung wie es Melker geschafft hatte, wir flogen nicht einmal zwei Stunden nach Hause. Kaum dass unsere Maschine aufgesetzt hatte, wurde auch schon die Gangway herangefahren und wir konnten noch vor Mayer, das Flugzeug verlassen. Das war etwas Ungewöhnliches. Aber es war mehr als notwendig. Sofort rannten oder besser gesagt, flohen wir regelrecht in unseren Raum und verbarrikadierten uns.

"Legt euch zusammen, damit es euch besser geht", gab ich meinen Leuten, einen letzten Rat und versiegelte, zur Sicherheit für die anderen im Projekt, unseren Raum. Sodass keiner hier hereinplatzen konnte. Fast wäre es zu einer schrecklichen Katastrophe gekommen. Durch das Erlebte, war die Wut in einigen von uns so hochgekocht, dass die Ginos beinah unkontrolliert ausgebrochen wären. Nur durch das Spritzen des G24, konnte ich das verhindern. Ich hoffte so sehr, dass ich niemand einen bleibenden Schaden zugefügt hatte. Einige musste ich mehrmals nachspritzen. Die Dosis die Rina, Raiko, Jiro, Goro und ich intus hatten, war tödlich. Dennoch musste ich uns so hoch spritzen, um die Sicherheit aller zu gewährleisten. In einen Flugzeug, einen unkontrollierten Gino loszulassen, wäre Selbstmord und unverantwortlich gewesen.

Fast zwei Wochen lagen wir völlig isoliert, von allen anderen, in unserem Raum. Unfähig uns zu bewegen oder die Tür wieder zu öffnen. Obwohl wir eigentlich Hilfe sehr nötig gehabt hätten. Die Entscheidung die Tür zu verriegeln, war trotzdem richtig, denn wir musste für die Sicherheit der anderen Menschen im Projekt, Sorge tragen. Ich konnte nicht schon wieder zulassen, dass jemand durch uns getötet wurde. Die Jacobs und viele unserer Freunde aus dem Projekt, gingen durch die Hölle. Man hörte tagelang unser Geschrei, was von den unerträglichen Schmerzen zeugte und kam nicht an uns heran. Da ich den Raum versiegelt hatte. Die Schreie, die man im gesamten Projekt hörte, waren kaum noch zu ertragen. Fassungslos stand der Hausmeister vor unserem Zimmer und bereute nicht nur einmal, den Riegel an unserer Tür angebracht zu haben. Erst dreizehn Tage nach unserer Rückkehr aus Rumänien, hatten sich wieder alle im soweit im Griff, das keine Gefahr mehr drohte. Wir waren alle schwerkrank, vor allem immer noch nicht versorgt und triften irgendwo zwischen Bewusstsein und Bewusstlosigkeit umher. Alle hatten lebensgefährlich hohes Fieber. Oft blieben wir im Nirgendwo hängen, dort wo es keinerlei Kontrolle über unser Verhalten mehr gab. Wo man nichts, gegen die Schreie tun konnte. Endlich fand auch ich den Weg zurück und erlangte für kurze Zeit das Bewusstsein wieder. Ich musste meinen Freunden helfen, war aber selber dazu nicht mehr in der Lage. Deshalb musste ich versuchen Hilfe zu holen. Meine Kameraden mussten dringend notversorgt werden. Dazu hatte ich im Flieger keine Kraft mehr. Mühsam schleppte ich mich an die Tür und öffnete die Verriegelung, um den Raum wieder für alle zugänglich zu machen. Ich rutschte an dieser herunter und kroch auf allen Vieren zum Telefon, wählte die 0001 und lehnte mich darunter an die Wand. Krampfhaft versuchte ich bei Bewusstsein zu bleiben.

"Notrufzentrale Leutnant Corsten am Apparat, was kann ich für sie tun?"

Mühsam, kaum hörbar, bat ich um Hilfe. So wie schon im Flieger, alle Anstandsregeln außer Acht lassend. "Heiko ... kannst du den Doko schicken ... wir müssen meine Freunde versorgen ... die liegen schon seit gestern ... unversorgt hier", erklärte ich ihm, ohne zu ahnen, dass es schon dreizehn Tage waren. "Viele sind schwer verletzt ... ich schaffe es nicht alleine."

Flüsterte ich, immer leiser werdend. Ich blieb einfach am Telefon sitzen. Die Antwort bekam ich gar nicht mehr mit. Eine neue Schmerzwelle hatte mich erfasst. Ich konnte nichts mehr dagegen tun und triftete ab, in das Nirgendwo. Kippte einfach zur Seite weg und fing wieder an zu schreien.

 

Jacob kam nur Minuten später, mit Anna und einigen anderen in den Raum gerannt. Sie waren froh endlich in unseren Raum zu können und sahen Lyn zusammengekrümmt, unter dem herabhängenden Telefon liegen. Wieder tief in der Bewusstlosigkeit versunken. Zusammen mit Chris, trugen sie das Mädchen nach hinten ins Bett. Doko untersuchte, alle auf Verletzungen und stellte mit Entsetzen fest, dass vier seiner Kinder tot in ihren Betten lagen. Er gab uns allen das N91, da wirklich alle lebensgefährlich hohes Fieber hatten. Er verstand absolut nicht, was hier vor sich ging. Niemand aus unserem Team war ansprechbar. Also untersuchte er die toten Körper von Dyani, Myrna, Gyasi, Aik, um heraus zu finden, weshalb diese gestorben waren. Vor allem aber, um herauszufinden, was eigentlich los war, mit uns. Konnte allerdings bei seinen Untersuchungen, keine so schweren Verletzungen feststellen, dass die Kinder an den Folgen der Verletzungen gestorben waren. Auch hatten keines der toten Kinder inneren Blutungen oder Hirnblutungen, durch das Spritzen vom G24. Für Jacob war das alles ein Rätsel. Das einzige was er mit Sicherheit feststellen konnte, war, dass alle sehr hohes lebensgefährliches Fieber gehabt hatten. Dieses unbekannte Enzym, das er immer noch nicht Identifizieren konnte, war so hoch, dass das die Todesursache sein könnte. Da er genau dieses Enzym bei einigen anderen auch fest gestellt hatte, die freiwillig schlafen gegangen waren. Machte sich eine Vermutung in ihm breit, dass diese Kinder nicht gegen das Fieber ankämpften. Sie waren einfach schlafen gegangen.

Wieder einmal kämpften die Jacobs, mit vielen Hilfskräften aus dem Projekt, um unser Leben. Diesmal jedoch ohne genau zu wissen, weshalb wir krank darnieder lagen. Sie versuchten durch kühlende Umschläge, das Einflößen von Wasser, unser Leiden wenigstens etwas zu mindern. Verzweifelt suchte Doktor Jacob nach einem Mittel, um uns Kindern zu helfen zu können. Teilweise war das Fieber unvertretbares hoch, so dass unser Herz drohte stehen zu bleiben. Bei einigen pendelte es zwischen 57°C bis 58°C hin und her. Das gefährliche an dem Fieber bei uns war, dass wirklich jeder von uns, anders auf Fieber reagierte. Bei einem war das überschreiten einer Temperatur von 57°C tödlich, bei anderen erst, wenn diese 59°C überschritt.

Immer wieder einmal kam Lyn kurz zu sich. Auf die Frage, was los war, bekamen die Jacobs nur ein Kopfschütteln von ihr. Sie rollte sich wieder zusammen und versuchte Ruhe zu finden. Konnte diesmal dies dringend benötigte Ruhe, auch nicht bei Rashida finden. Wieder einmal halfen uns die Mitarbeiter im Projekt, dabei unsere innere Ruhe wieder zu finden. Indem sie uns in den Arm hielten und uns so die nötige Ruhe zur Genesung gaben.

Fünfeinhalb Wochen, lagen die Kinder unten im Raum. Hochfiebrig kaum ansprechbar und keiner begriff, was los war. Auf Nachfrage bei den rumänischen Behörden, ob es in dem Kraftwerk irgendwelche Besonderheiten gegeben hätte, ob dort Chemikalien, zum Einsatz gekommen wären, auf die wir vielleicht allergisch reagieren könnten, bekamen sie negative Auskünfte. Alle bekannten chemischen Verbindungen, die dort gefunden wurden, gab man an Jacob weiter. Selbst das Bergwerk untersuchte man darauf hin und nahm es genauestens unter die Lupe. Es fand sich kein einziger Anhaltspunkte oder irgendwelche noch so kleinen Indizien, die auf unsere Erkrankung hinweisen würde. Selbst die Geiseln wurden befragt und um Hilfe gebeten.

Die Jacobs sahen furchtbar aus und konnten sich vor Müdigkeit, kaum noch auf den Beinen halten. Neben der Pflege und den täglichen Untersuchungen, forschte Doktor Jacob nach einer Möglichkeit, das Leiden seiner Kinder zu beenden. Ständig nahm er uns Kindern Blut ab und untersuchte dies, mit Hilfe von Zolger. Den er wieder einmal, um Hilfe bitten musste. Auf der Suche nach den Ursachen des Fiebers. Da er das alleine einfach nicht schaffen konnte. Sie fanden ein weiteres Enzym, den man bis langen noch keine Beachtung geschenkt hatte. Welches aber, seit dem die Kinder gegen das hohe Fieber ankämpften, in astronomische Höhe geschossen waren. Zolger untersuchte die Proben des letzten Fiebers nochmals. Auch damals war dieses Enzym schon sehr hoch. Aus dieser Erkenntnis heraus entwickelte er mit Jacob zusammen, ein neues Mittel, das auf der Basis des N91 wirkte. Das neue Medikament musste wesentlich höher dosiert werden, als das N91 und konnte deshalb nur über einen Tropf gegeben werden, da man es sehr langsam verabreichen musste. Das war ein großer Nachteil, denn so langsam konnte man gar nicht spritzen. Deshalb wurde dieses Medikament, in einer speziell angefertigten, 0,3 prozentige Isotone Kochsalzlösungen eingebunden. Die handelsüblich 0,9 prozentigen Kochsalzlösungen, waren bei seinen Kindern nicht einsetzbar. Wie so viele der Basisstoffe bei Medikamenten, vertrugen die Kinder das nicht. Das N97 wurde über einen Tropf, allen Kindern verabreicht. Langsam kehrten die Lebensgeister der Kinder zurück. Zu den Ersten, die wieder zu sich kam, gehörte Lyn. Das N97 half, etwas das Fieber zu senken. Als Doktor Jacob bemerkte, dass sich Lyn bewegte, lief er auf sie zu.

"Lyn, mein Mädchen, bitte helfe mir. Was ist mit euch los? Ich weiß mir keinen Rat mehr."

Sein kleines Mädchen triftet schon wieder weg. Hoffnungslos saß Jacob auf deren Bett, streichelte das heiße Gesicht. Der Tropf mit dem N97 brachte mit der Zeit, endlich den ersehnten Erfolg. Nach weiteren zwei Tagen, kam Lyn endlich richtig zu sich. Lange saß Jacob an ihrem Bett und traute sich nicht zu fragen, was eigentlich los war. Aus Angst sein kleines Mädchen, wieder in das Nirgendwo und damit zurück in das Leiden zu schicken. Jacob sah Lyn schweigend an, in der Hoffnung, dass sein Mädchen ihm von sich aus erzählt, was vorgefallen war. Sechs lange Wochen lagen die Kinder nun schon da und konnten sich vor Schmerzen kaum bewegen. Als Jacob das Schweigen von Lyn zu lange dauerte, wagte er einen vorsichtigen Vorstoß.

"Lyn, kannst du mir helfen? Bitte mein kleines Mädchen, ich weiß nicht mehr weiter. Ich weiß nicht, was ich noch machen soll."

Vorsichtig zog er sein kleines Mädchen, in seine Arme. Diese legte den Kopf an seine Schulter und zitterte am ganzen Körper. Sie schloss die Augen und versuchte sich zu beruhigen. Kaum hörbar, hauchte sie mehr, als dass sie zu Jacob flüsterte.

"Doko, nicht fragen, Doko."

Verständnislos sah Jacob, zu dem schon wieder fast schlafenden Mädchen. "Lyn, ist es so schlimm."

Lyn nickte.

Jacob merkt an der gesamten Haltung, die sich verkrampfte und der Atmung, die wieder rasselnd wurde, dass etwas Furchtbares geschehen sein musste.

"Nie fragen, Doko. Schlafen, besser, Doko", versuchte sie ihm zu erklären.

Lyn war einfach zu matt, für lange Sätze. Selbst diese wenigen Worte, die sie gesprochen hatte, waren schon wieder zu viel. Das Fieber hatte sie völlig ausgelaugt. Lyn lag schon wieder schlaff in seinen Armen. Vorsichtig ließ Jacob sie wieder auf ihre Pritsche rutschen und deckte sie zu. Der Arzt raufte sich die Haare, er war am Ende mit seinem Latein. Egal was sie versucht hatte, sie kamen einfach nicht dahinter. Auch bei den anderen Kindern, ernteten sie nur eisiges Schweigen oder sie triften sofort wieder ab. Jacob rief seine Helfer kurz zu sich.

"Kommt mal alle kurz mit nach vorn, bitte", rief er den Helfern zu. "Hört mal kurz zu. Lyn, war gerade kurz bei Bewusstsein. Irgendetwas Schlimmes müssen die Kinder in Rumänien erlebt haben. Lyn sagte gerade zu mir, wir sollen nicht fragen. Als ich sie fragte ob es so schlimm sei, versteifte sie sich am ganzen Körper, fing wieder krampfhaft an, nach Luft zu ringen. Als sie sich etwas beruhigt hat. Bat sie mich, niemanden etwas zu fragen. Wir sollen ihre Kameraden einfach schlafen zu lassen, damit sie wieder gesund werden. Ich denke wir sollten auf die Kleine hören. Stets lag sie mit so etwas richtig. Also, seid alle so lieb und schneidet das Thema Rumänien nicht mehr an. Die Kinder müssen sich unbedingt erholen."

Alle nickten, sie waren er gleichen Meinung wie Jacob, so ging es nicht weiter.

"Ich gehe noch einmal hoch zu Mayer. In der Hoffnung ihn heute nüchtern anzutreffen. Es ist ja erst 9 Uhr. Also müsste ich noch einigermaßen mit ihm reden können. Wenn etwas ist, ruft oben an. Danach lege ich mich eine Stunde aufs Ohr."

"Geht klar Fritz, du musst wirklich mal wieder schlafen", meint Chris Martin zu Jacob.

Der Chefarzt nickte und rieb sich müde das Gesicht. Verließ aber sofort den Raum, um vor zu Mayer zu gehen. Klingelte unten an der Gegensprechanlage.

"Guten Morgen Genosse Oberstleutnant. Könnte ich sie kurz sprechen? Hier ist Doktor Jacob."

"Kommens Hoch" klang die Stimme von Mayer.

Erleichtert atmete Jacob auf. Mayer schien heute einmal gute Laune zu haben. Schon war er oben an dessen Wohnungstür, dort stand ein strahlender Mayer.

"Was ist los Herr Doktor?"

"Darf ich eintreten oder reden wir an der Tür", kopfschüttelnd machte ihm Mayer Platz und zeigte in Richtung seines Büros. Jacob ging nach hinten, wartete bis Mayer sich setzte und er selber dem Befehl zum setzen bekam. Nur um Mayer nicht sofort wieder zu verärgern.

"Setzen sie sich."

Jacob nahm Platz.

"Wo drückt der Schuh?"

Jacob schüttelte innerlich den Kopf, so nett war Mayer schon ewig nicht mehr. Na egal, er hatte wichtigeres vor. Ihm war seit Jahren egal wie es Mayer ging, dazu war einfach zu viel vorgefallen. Er hatte wichtigere und schwerwiegendere Probleme, als dessen Launen. Jacob rieb sich das Genick und holte tief Luft.

"Genosse Oberstleutnant. Ich muss sie leider noch einmal wegen Rumänien belästigen, wissen sie ob bei der Geiselbefreiung irgendetwas Außergewöhnliches geschehen ist. Etwas Schlimmes, was die Kinder, so aus dem Gleichgewicht hätte werfen können. So empfindlich sind die ja nicht."

Mayer schüttelte den Kopf. "Ich habe mich nur kurz, mit einigen der Geiseln unterhalten können. Weil 98, ja gleich nach Hause wollte. Eine der Geiseln sagte zu mir, er bewundert diese jungen Leute, die hochfiebrig und krank aussahen, und trotzdem eine solche Aktion hingelegt hätten. Eins der Mädchen erbrach ständig Blut. Einer der Jungs ebenfalls. Also, wenn die sich irgendwas eingefangen haben, dann vor der Geiselbefreiung. Die Geisel sagte mir, dass alle irgendwie krank ausgesehen hätten und sich kaum hatten auf den Beinen halten konnten. Vielleicht gab es einen Einsturz im Berg. Diese Kreaturen sagten, sie hätten im Berg Schwierigkeiten gehabt."

Nachdenklich rieb sich Jacob zum wiederholten Male das Genick. "Das glaube ich eher nicht, Genosse Oberstleutnant, so etwas wirft die Kinder nicht in diesem Maße aus der Bahn. Sie wären vielleicht erschrocken, aber davon bekommen sie kein monatelanges Fieber. Dem Bericht der rumänischen Kollegen zufolge, gab es dort auch keinen Kampf oder irgendwelche Einstürze. Das Einzige, was man fand, war in einem Gang etwas loses Gestein. Dort müssen die Kinder wohl eine ganze Zeit gelagert haben. Na egal, ich dachte, vielleicht haben sie in der Zwischenzeit noch etwas gehört. Dann werde ich mal nicht mehr stören", beim letzten Wort stand Jacob auf und wollte gerade den Raum verlassen. "Schö..."

"Genosse Jacob, wie geht es 98? Ich habe hier eine Anfrage von der Soko Tiranus bekommen. Sie fordern wieder einmal dieses kleine Biest, zu einer Spurensuche an. Am Alexanderplatz sind zwei Kinder spurlos verschwunden sechszehn und dreizehn Jahre alt, glaube ich. Können wir es wagen, 98 dort hinzuschicken, ohne das es mit der wieder Ärger gibt?"

Jacob zuckte mit den Schultern und wackelte mit dem Kopf. "Ich frag sie. Das muss sie selber entscheiden. Ich als Arzt würde sagen, auf keinen Fall. Aber sie kennen 98 ja, die geht noch in den Einsatz, wenn sie den Kopf untern Arm trägt. Ich rufe sie gleich an. Wann muss sie los?"

Mayer fiel regelrecht das Lachen aus dem Gesicht. 'Ach deshalb hast du dich so gefreut, weil du dachtest, du könntest Oberst Fleischer, gegen Lyn ausspielen. Du kleiner hinterhältiger Aasgeier du', ging es Jacob durch den Kopf. Dies sprach natürlich nicht laut aus.

"Vorgestern am liebsten. Die suchen die Kinder schon seit vierzehn Tagen", gab Mayer mürrisch zur Auskunft.

Jacob nickte und ging zu Tür. "Ich frage sie einfach."

 

Jacob verschwand sofort aus dem Raum. Er lief so schnell er konnte, wieder nach unten in den Raum der Kinder. Wie ein Blitz schoss eine Idee durch seinen Kopf, er hoffte so, dass ihm diese Idee helfen würde, Lyn auf einen Weg der Besserung zu bringen. Chris Martin sah Jacob mehr als böse an.

"Fritz, war das etwa dein Schlafen gewesen. Du warst nicht mal eine halbe Stunde weg."

Jacob schüttelte den Kopf. "Nein Chris, ich muss noch einmal mit Lyn reden. In Berlin ist eine schlimme Sache passiert."

Entsetzt sah der Wachmann den Chefarzt an. Chris Martin konnte nicht glauben, was dieser vor hatte. "Fritz, du kannst Lyn in diesem Zustand, nicht zu einem Einsatz schicken."

Jacob zuckte mit den Schultern. "Normalerweise nicht. Chris, manchmal denke ich, das Lyn erst wieder gesund wird, wenn sie im Einsatz ist. Denke mal dran, wie ich gekämpft habe, dass sie bei uns oben bleibt, nach der Sache im Stechlinsee. Ich frage sie, ich vertraue Lyn in dieser Sache soweit, dass sie richtig Entscheidet. Dass wenn es nicht geht, sie wirklich nein sagt."

Chris nickte, er wusste durch die vielen Gespräche die er mit Lyn geführt hatte, dass sie das machen würde. Dass, wenn es wirklich nicht geht, sie niemals einem Einsatz annehmen könnte. Wenn sie nicht auf den Posten ist, würde sie den Einsatz mehr gefährden als nützlich sein.

"Na hoffentlich hilft es", drückte Chris seinen Wunsch auf Genesung aus.

Jacob nickte und lief nach hinten zu Lyn. Kaum hatte er sich gesetzt, öffnete sein kleines Mädchen die Augen.

"Na meine Kleine, lange hast du aber nicht geschlafen."

Lyn nickte, sah traurig zu Jacob hoch.

"Lyn, komm mal zu mir." Jacob zog Lyn auf seinen Schoß. "Mein Mädchen, ich möchte dich etwas fragen. Ich weiß, du bist immer noch nicht auf den Damm. Allerdings kenne ich dich jetzt schon lange genug, um zu wissen, dass du mir die Ohren lang ziehst. Ich weiß, dass du hinter böse mit mir schimpfst, wenn ich dich erst später fragen. Aber bitte Lyn, wenn es nicht geht, dann geht es nicht."

Irritiert sah Lyn zu ihrem Arzt.

"Lyn, in Berlin ist etwas Schlimmes passiert. Zwei Kinder im Alter von dreizehn und sechszehn Jahren, sind seit vierzehn Tagen spurlos verschwunden. Die Soko Tiranus fragt an, ob du den Fall übernehmen könntest. Oberst Fleischer ist der Meinung, dass nur du noch eine Chance hast, die Kinder nach so langer Zeit zu finden."

Lyn nickte. "Doko wann?", wollte sie sofort wissen.

"Sobald du kannst."

Tief holte das Mädchen Luft, sie schien mit sich zu kämpfen. "Doko, in zwei Stunden. Ich muss etwas Essen und etwas schlafen, Doko."

Jacob nickte und drehte sich in den Raum und dann noch einmal zu Lyn. "Wann und wie viel?"

"Hundert gleich, dann in anderthalb Stunden noch einmal zweihundert", sprach sie schwer atmend.

"Chris, machst du Lyn bitte hundert Gramm Brei?"

"Sofort", kam prompt die Antwort.

Tief atmete Lyn, so wie sie es oft macht, wenn es ihr gar nicht gut geht. Dann schielte sie ängstlich zu Jacob hoch.

"Doko, kannst du mitkommen, bitte."

Jacob nickte ihr lächelnd zu. "Lyn ich komme mit. Esse erst einmal etwas, dann schläfst du. Vielleicht kann ich auch etwas Zeit schinden."

Lyn schüttelte den Kopf. "Nein Doko. So schnell wie möglich, ich kann im Heli noch schlafen."

Jacob nickte, das war die Lyn die er kannte. Chris kam mit dem Brei nach hinten und einer großen Tasse Tee. Gierig nahm Lyn die Tasse und trank diese mit einem Zug leer. Dann erst den Brei. Von diesem aß sie nur drei Löffel, dann schüttelte sie den Kopf und hielt Chris den Teller hin.

"Lyn, du musst essen", bat dieser.

Allerdings schüttelte die Kleine den Kopf. Plötzlich fing sie an zu würgen und erbrach alles.

"Doko tut mir leid, Doko", verlegen sah sie Jacob an, der alles abbekommen hatte.

Jacob lächelte ihr beruhigend zu. "Nicht schlimm, ich wollte sowieso duschen gehen. Hast den Tee zu schnell getrunken?"

Lyn nickte und zeigt auf ihr Bett. Jacob legte Lyn wieder hin. Sofort rollte diese sich zusammen, fand jedoch wieder einmal keine Ruhe.

"Chris…", weiter brauchte Jacob gar nichts zu reden.

"Fritz, ich helfe ihr beim Schlafen. Geh du dich umziehen und auch etwas schlafen."

"Danke, Chris."

Keine Minute später war Jacob aus dem Raum. Lief so schnell er konnte, noch oben in sein Büro. Wählte die Nummer von Melker.

"Mel…"

Sofort unterbrach ihn Jacob. "Kuno, du musst mir bitte helfen. Kannst du mir einen Gefallen tun und dich mit Anderson kurzschließen. Ich bräuchte ihn für ein paar Tage hier im Projekt. Ich muss Lyn zu einem Einsatz begleiten. Ich weiß selber, dass sie eigentlich nicht einsatzfähig ist. Das musst du mir nicht sagen. Aber sie will diesen Einsatz machen, also muss ich mit, bitte."

Oberst Melker konnte sich denken, in welcher Zwickmühle sich Jacob wieder einmal befand. Er konnte ja nicht an zwei Stellen gleichzeitig sein.

"Fritz, ich kümmer mich drum. Walli kann ja mit kommen, so kommt Anna auch endlich einmal ins Bett." Sofort legte Melker auf.

Jacob rief gleich noch bei Mayer an. "Genosse Oberstleutnant, Lyn übernimmt den Einsatz, Sir. Soll ich in der Soko Bescheid sagen oder machen sie das, Sir?"

"Das können sie machen Jacob. Ist diese verdammte kleine Mistkröte also doch nicht krank. Dieses faule Stück drückt sich also nur vor den Einsätzen", lallte Mayer schon wieder ins Telefon. Also hatte Jacob wirklich nur einen guten Augenblick erwischt.

"Sir, jawohl, Sir", bestätigte Jacob, dass er sich selber mit der Soko in Verbindung setzen würde und schmiss den Hörer wütend auf die Gabel. Nochmals wählte Jacob eine Nummer.

"Soko Tiranus, Oberst Fleischer am Apparat", meldete sich der Dienststellenleiter der Soko.

"Guten Morgen Willi, hier ist Fritz Jacob."

"Oh, sehr gut, dass du anrufst Fritz. Wie sieht es aus, übernimmt Lyn den Einsatz?"

Tief holte Jacob Luft und schwieg einen Moment. Er wusste nicht ob es richtig gewesen war, Lyn von der Sache zu erzählen. Allerdings wusste sie jetzt Bescheid und es gab kein Zurück mehr. Eigentlich konnte er das alles, gar nicht verantworten. Aber er wusste, dass Lyn genau das brauchte, um ein Ziel zu haben gesund zu werden. Was immer die Kinder krank gemacht hatte, konnte er nur damit bekämpfen.

"Fritz? Hallo..."

Jacob riss sich aus seinen Gedanken zurück. "Entschuldige Willy, ich war in Gedanken. Höre bitte genau zu, bevor du mich unterbrichst und mir eine Tracht Prügel verpasst, wenn ich bei euch ankomme. Lyn, ist schlimm krank. Ich weiß nicht…"

Oberst Fleischer wollte ihm ins Wort fallen. "Fritz da…"

"Bitte Willy, höre mir erst zu und lass dir alles erklären. Ich weiß nicht, warum die Kinder krank sind. Ich denke aber, dass dieser Auftrag Lyn hilft wieder gesund zu werden. Ich könnte dir das auch verschweigen. Aber dann fällst du aus allen Wolken, wenn du die Kleine siehst. Lyn sieht einfach nur Scheiße aus. Seit sechs Wochen liegen die Kinder flach und schreien sich die Seele aus dem Leib. Ich habe keine Ahnung, ob Lyn den Auftrag schaffen kann. Aber ich denke, wir sollten es versuchen. Ich habe sie gerade gefragt. Sie hat ja gesagt."

"Fritz das ist doch Wahnsinn."

Das wusste Jacob ja selber. Aber er hat keine Ahnung, wie er den Kindern anders helfen sollte. Solange er von Lyn keine Hilfe bekam, war er einfach machtlos. Wenn sich Lyn fing, würden sich auch die anderen erholen. Diese Erfahrung hatte er immer wieder machen müssen.

"Willy, das weiß ich doch. Ich komme auch mit zu dem Einsatz und bringe alles mit, um ihr helfen zu können. Aber ich denke für Lyn ist dieser Einsatz die beste Medizin."

Jacob konnte sich den schweren Kampf, den der Oberste der Soko jetzt mit sich kämpfte, bildlich vorstellen. Ohne Lyn hatte er keine Chance mehr, die Kinder zu finden. Aber ihm lag auch Lyn am Herzen.

"In Ordnung Fritz, ich schicke euch den Gosch, den kennt Lyn schon etwas. Du bleibst die ganze Zeit in ihrer Nähe. Wenn es nicht mehr geht, dann sagst du mir sofort Bescheid. Du kennst die Kleine besser als ich."

Jacob dachte genau das Gleiche. "Geht klar Willy, wann kommt uns Gosch holen?"

Jacob hörte, wie der Oberst am anderen Ende der Leitung nach Gosch rief. Dieser klärte mit seinem Piloten ab, wie lange er ins Projekt benötigen würde.

"Fritz, in zweieinhalb Stunden, ist Gosch bei euch."

Erleichtert atmete der Chefarzt auf. Dann konnte Lyn noch über zwei Stunden schlafen. Auch er bekam eine kleine Ruhepause und konnte wenigstens noch duschen.

"Geht klar Willy, bis später", müde legte Jacob auf und ging in die Badewanne, um wenigstens ein bisschen zu entspanne. Vorher sagte er allerdings Anna Bescheid, dass diese ihn in anderthalb Stunden wecken musste, falls er einschlafen würde. Anna musste ihn nach anderthalb Stunden, wirklich wecken. Jacob rasierte sich, kleidete sich neu an und packte seine Tasche, für diesen Einsatz. Zu dem er einige Medikamente mehr mitnehmen musste, um seinem kleinen Mädchen wirklich helfen zu können. Die Idee mit dem Einsatz, das wurde dem Arzt erst in der Wanne richtig klar, als er zur Ruhe kam, war eigentlich der blanke Wahnsinn.

"Anna, wenn ihr Probleme habt, ich bin bei Oberst Fleischer, dann müssen die mich herfliegen. Jim und ich denke auch Walli, kommen so schnell es geht. Kuno organisiert das für mich. Ich fliege mit Lyn zu einem Einsatz."

Als Anna etwas sagen wollte, verschloss er ihr mit einem Kuss auf die Lippen.

"Engelchen, ich weiß das Lyn nicht einsatzfähig ist. Ich weiß mir aber keinen anderen Rat mehr. Damit wir ihre Lebensgeister wieder wecken können, braucht sie eine lohnende Aufgabe. Du weißt, die anderen Kinder werden erst wieder gesund, wenn Lyn sie dazu motiviert. Alleine schaffen wir das nicht. Engelchen, dann verlieren wir sie alle. Viele von ihnen stehen vor dem Kollaps, ihr Herz hält dieses hohe Fieber nicht mehr lange aus. Vier haben wir schon verloren, ich will nicht noch mehr verlieren."

Da nickte Anna. "Passt auf euch auf ja", sagte sie leise und eine wahnsinnige Angst, um ihr kleines Mädchen, klang in ihrer Stimme mit. Jacob nickt, lief schon zum Aufzug, um nach unten auf die 6/blau zu kommen. Lyn war nicht da.

"Chris, wo ist Lyn?" Chris zeigte in Richtung Sanitärbereich.

"Seit wann?"

"Fritz, seit einer halben Stunde. Sie stand auf einmal auf, lief nach vorn in die Dusche. Als wenn nie etwas gewesen wäre. Manchmal steige ich, bei der Kleinen einfach nicht dahinter."

Jacob ging in den Sanitärbereich, da stand Lyn mit den Händen an der Wand und ließ das Wasser einfach über die Muskulatur laufen. Wie oft hatte sie das bei ihm oben gemacht? Sie sagte immer, das wäre wie drei Wochen schlafen. Also ließ er sie noch eine Weile stehen. Sollte sie ihre verkrampfte Muskulatur ruhig etwas lockern.

"Den Brei machst du ihr dann, Chris?"

Der Wachmann nickte. "Klar, soweit ist alles in Ordnung. Aber Raiko, Bian, Chim und Elio bräuchten einen neuen Tropf. Das kann ich nicht."

Das war Jacob klar, Chris war zwar ausgebildeter Sani, aber mit einem Tropf, war er vollkommen überfordert.

"Keine Angst, das mache ich noch. Ich sehe noch einmal nach allen Kindern. Anna wollte nur noch schnell unter die Dusche. Sie kommt dich gleich ablösen. Bitte lege dich dann auch noch hin. Du musst heute auch noch zum Dienst. Nachher kommen Jim und wahrscheinlich auch Walli, es sind also genug Fachleute da. Danke für deine Hilfe", damit drehte sich der Arzt um und widmete sich seinen Patienten.

Sah noch einmal nach dem Rechten. Zwanzig Minuten später, kam Lyn klitschnass in den Raum, um sich mit der Lediros-Creme einzucremen. Einer Creme, welche die sowieso robuste Haut der Kinder noch widerstandsfähiger machte. Also war Lyn schon mitten im Einsatz und hatte sich seelisch auf die Strapazen vorbereitet. Wie oft musste, dass Jacob schon erleben und er würde es nie begreifen, wie seine Kinder das immer machte.

Unsereins, so ging es ihn durch den Kopf, würde wochenlang das Bett hüten. Aber die Kinder erholten sich so schnell, dass es einem so manches Mal Angst machte. Aber er war froh sein kleines Mädchen wieder auf den eigenen Beinen zu sehen. Er hatte also doch die richtige Medizin gefunden, um die Heilung zu beschleunigen.

Kaum war Lyn fertig angezogen und bewaffnet, ging sie zu Rashida. Lange sah sie ihre Freundin an. Legte ihr, obwohl es ihr selber nicht gut ging, die Hände auf deren Kopf. Kurz glühten diese auf. Dann gab sie ihr einen Kuss auf die Stirn und drehte sich schwankend zum Tisch um, lief auf diesen zu. Setzte sich entgegen ihrer sonstigen Angewohnheit, auf den erstbesten Stuhl. Der Blick den Chris Jacob zuwarf, sagte genug über seine Gedanken aus. Dennoch brachte er dem Mädchen den Brei.

"Lass ihn dir schmecken. Ich habe ihn mit ganz viel Liebe gemacht."

Müde sah Lyn zu Chris hoch. Ganz leise und kaum hörbar, sagte sie. "Sir, danke Sir."

Chris streichelte über Lyns schönes schwarzes Haar. Die Kleine begann langsam zu Essen, ganz langsam. Jacob beobachtete sein Mädchen genau. Jeden Bissen musste Lyn sich erkämpfen. Auch aß sie nicht alles auf. Aber diesmal bleibt es wenigstens im Magen, das war ein gutes Zeichen.

Kapitel 6

Während Lyn am Tisch dazu zwang etwas zu essen, klingelte das Telefon. Chris lief hin und nahm das Gespräch entgegen.

"Chris Martin, auf der 6/blau", meldete er sich. Eine Weile hörte er still vor sich hin lächelnd zu und nickte dann breit grinsend. "Ja, geht klar Heiko. Du bist lieb. Bis gleich."

Chris legte den Hörer auf und wandte sich dem Chefarzt zu.

"Fritz, gleich kommt einer von der Wachkompanie und holt euch ab, damit Lyn nicht laufen muss. Egal, was Mayer sagt. Das ist ein Befehl von de kleene Cheffe. Heiko nimmt das auf seine Kappe."

"Danke Chris, sag Heiko einen lieben Dank von uns."

In diesem Moment klopfte es am der Tür, einer der Wachleute trat ein.

"Genosse Jacob, ich soll sie und eins der Kinder abholen. Soll ihnen ausrichten, der Oberstleutnant schläft in der Mensa, am Tresen", erklärte der Fahrer lachend.

"Lyn, dann komm, meine Kleine, du musst nicht laufen."

Mühsam erhob sie sich, kam schwankend auf Jacob zu gelaufen.

"Meine Kleine, so kannst du doch nicht arbeiten."

Jacob wurde ganz bange, als er das sah und bereute schon seien Aktivität. Müde und mit stockender Stimme wandte sich Lyn an den Chefarzt.

"Sir, ich habe doch noch eine Stunden bis Berlin, Sir. Es wird schon gehen, Sir."

Der Arzt nahm ihr einfach den Medi-Koffer und den Rucksack ab und half ihr nach vorn. Ging nach dem er Lyn auf den Multicar gesetzt hatte, seine eigenen Sachen holen.

"Dann bis die Tage, Chris."

"Fritz, du musst dann auch mal etwas schlafen, denkst du da bitte dran."

Jacob nickte, lächelt dem besorgten Chris zu. "Hab ich grad, drei Wochen in der Badewanne. Mache ich dann gleich nochmal im Heli. Der Gosch wird sich bedanken, wenn er heute zwei Schlafmützen fliegen muss."

Jacob wandte sich lachend an Lyn, diese jedoch reagierte nicht einmal mit einen Nicken. Eilig fuhr der Fahrer ab. Die drei mussten so schnell es ging zum Helikopter, der sie zum momentanen Stützpunkt der Soko bringen sollte. Der Pilot stand wartend an seinem Hubschrauber, vom Typ Bell UH-1 Iroquois, den er seit über fünf Jahren für die Soko flog.

"Guten Tag, Herr Doktor, Guten Tag Lyn", begrüßte er die Beiden. "Wir können sofort los, wenn ihr alles habt."

Jacob nickte, Lyn dagegen sagte gar nichts. Diese hatte so mit sich zu tun, dass sie gar nicht auf den Piloten hören konnte.

Als Gosch, der Pilot etwas sagen wollte, schüttelte Jacob nur mit dem Kopf. Also schwieg Gosch lieber. Sah allerdings irritiert zu dem Arzt und ließ die beiden einsteigen. Zur Verwunderung Goschs stieg Lyn hinten ein. Jacob tat es ihr gleich. Kaum das Lyn im Heli saß, schnallte sie sich an und zog die Beine auf den Sitz. Allerdings konnte sie in dieser Stellung nicht besonders gut schlafen.

"Gosch, sag mal, muss Lyn sich unbedingt anschnallen. Sie müsste sich noch etwas hinlegen."

Gosch schüttelte den Kopf und stieg noch einmal aus. Öffnete die Tür des Copiloten und stieg dort ein. Er griff über dessen Lehne nach hinten, um die Lyns Tür zu verriegeln, nachdem er Lyn wieder abgeschnallt hatte.

"Schlaf noch was Lyn. Du siehst furchtbar aus."

Kaum, dass sie abgeschnallt war, legte sich das Mädchen zusammengerollt hin. Jacob zog Lyn in seine Arme. Als wenn sie seine Körperwärme, zum Beruhigen gebraucht hätte, atmet sie gleichmäßiger und ruhiger.

"Doko?" Lyn flüstert ganz leise.

 "Was ist Lyn?"

"Erschreck nicht, ich gehe ins Jawefan, wie lange fliegen wir?"

Gosch der Lyns Frage mitbekam, antwortete sofort. "Lyn, wenn wir kein schlechtes Wetter haben, circa eine Stunde."

Wie so oft, fiel Lyn sofort in ein für ihre Verhältnisse sehr flaches Jawefan. Dies war allerdings tiefer als der schnelle Schlaf, so konnte sie sich besser erholen. Wie oft wunderte sich Jacob, dass Lyn so absolut tief schlafen konnte. Dieses Jawefan würde er nie begreifen. Gosch flog sofort los, nach dem er sich seine Starterlaubnis eingeholt hatte. Nach einer reichlichen halben Stunde, wurde Lyn schwer atmend munter. Krampfhaft versuchte sie ruhig und gleichmäßig zu atmen. Aber sie bekam kaum noch Luft. Wild fuchtelte sie herum und zeigte immer wieder nach unten. Kämpfte krampfhaft darum, die Kontrolle zu behalten. Jacob der all diese Anzeichen eines Ginobusanfalles kannte, ahnt Schlimmes.

 "Gosch, sofort landen, egal wo und wenn es mitten im Wasser ist", rief er panisch.

Gosch landete sofort auf einer kleinen Lichtung, die sich genau unter ihnen befand, ohne sich von der Flugsicherung die Erlaubnis zu holen. Dies schien ein Notfall zu sein.

"Was ist…"

Jacob sprang gehetzt aus dem Heli, Lyn auf allen vieren, sofort hinterher. In einem für Gosch, aber auch für Jacob unvorstellbaren Tempo entfernte sich das Mädchen von dem Helikopter. Sie rannte teils auf zwei Beinen und zum Schluss sogar auf allen vieren weg vom Heli und weg von den Freunden, die sie gefährden könnte. Für Gosch der dies noch nie erlebt hatte und deshalb, wie angewurzelt da stand, in einem unbegreiflichen Tempo. Zog sich Lyn, ans andere Ende der Lichtung zurück. Fiel auf ihre Knie und in sich zusammen. Für Gosch völlig unvorbereitet begann Lyn grauenvoll zu schreien und sich zu verwandeln. Jacob riss die Tür auf der Pilotenseite auf und zog Gosch aus dem Helikopter.

"Komme Gosch, wir müssen weg vom Heli. Der lässt sich ersetzen, dein Leben nicht."

Gosch der die Lage nicht begreifend konnte, wollte eine Diskussion anfangen. Jacob zog ihn ohne auf seinen Widerstand zu achten, einfach hinter sich her in den Wald. Er musste den Piloten und sich in Sicherheit bringen, denn er wusste nicht, wieso Lyn diesen Anfall bekommen hatte und wie sie in diesem Zustand reagieren würde. Zu plötzlich war dieser Anfall für ihn gekommen. Er handelte genauso, wie es ihm sein Mädchen immer wieder erklärt hatte. Zurückziehen in Deckung gehen und ruhig verhalten, bis sich die Ginos zurück verwandelt hatten. Zu oft hatte Jacob erlebt, was diese Tiergestalten machten, wenn man sie zusätzlich noch reizte. Dieses Risiko wollte der Arzt lieber nicht eingehen.

"Gosch, Lyn hat einen sogenannten Ginobusanfall. Wir müssen uns zurückziehen. Ich weiß nicht, wie gut sie den im Moment kontrollieren kann. Wenn sie auf uns zukommt, lege dich flach auf den Boden und habe vor allem keine Angst. Du kennst Lyn, du weißt sie würde dir niemals etwas tun. Vertraue ihr bitte."

Gosch starrte an Jacob vorbei und riss panisch seine Augen auf. "Was ist das?", zeigte auf den Gino, der in rascher Geschwindigkeit auf die Beiden zukam.

"Hinlegen. Ruhig verhalten. Schweig. Kopf unten lassen", befahl der Arzt.

Dem Chefarzt blieb keine Zeit mehr für Erklärungen. Gosch, durch den barschen Befehlston Jacobs geschockt, befolgte dessen Befehle ohne zu zögern. Zum Glück, denn Lyn war gerade vor den beiden auf den Boden liegenden Männern angekommen. Sie gab ein böses Fauchen von sich und zog dann weiter. Lange beobachtete der Gino den Heli und lief dann einige Runden, um die Lichtung. Immer wieder blieb sie kurz vor den beiden Männern und vor dem Heli stehen. Jedes Mal gab der Gino ein wütendes Fauchen von sich. Nach einer ganzen Weile, wurde er ruhiger und langsam hob der Chefarzt den Kopf. Da sein Mädchen nirgends zu sehen war, stand er auf und sah sich nach seiner Kleinen um. Gosch stand ebenfalls auf, am ganzen Körper schlotternd.

"Was war das, Herr Doktor? Was war das für ein Vieh?"

Lyn immer noch als Gino, lief jetzt ihre Runden am anderen Ende der Lichtung. Es machte den Eindruck, als wenn sie sich eine ungeheure Wut ablaufen musste.

"Gosch, das ist Lyn, als Gino."

Gosch schüttelt den Kopf. "Das kann nicht meine Lyn sein, das nicht", sprach er verzweifelt.

 Jacob klopft dem am ganzen Körper zitternden Piloten auf die Schulter. "Sie ist es, Gosch. Das was man den Kindern angetan hat, ist einfach furchtbar. So sieht unsere kleine Freundin, als Tiergestalt aus. Oder wie sie sich selber nennen als Gino. Ich weiß nicht, wieso das eben passiert ist. Keine Ahnung. Ich vermute, dass Lyn das gerade brauchte, um wieder richtig Einsatzfähig zu werden. Es scheint so, als ob sie Druck abbauen musste. Sieh mal, sie wird langsam ruhiger."

Das, was Jacob erklärte, stimmte genau. Das sah selbst Gosch, der von Ginos keinerlei Ahnung hatte. Die Bewegungen die Lyn machte, wurden gleichmäßiger und ruhiger, waren nicht mehr von so einem gehetzten Tempo. Immer harmonischer wurde Lyn Gang. Zum Schluss kam sie langsam und vorsichtig, auf die beiden Männer zu. Als sich Gosch bewegen wollte, hielt ihn Jacob fest und schüttelte kaum merklich den Kopf.

"Bleib", hauchte der Chefarzt.

Lyn kam ganz nah an die beiden Männer heran. Zuerst sah sie Jacob und dann Gosch lange an. Gosch erkannte jetzt Lyns Gesichtszüge in dem Gino. Auch, wenn man dazu viel Fantasie benötigte.

"Komm zurück Lyn, mein kleines Mädchen", bat Jacob, mit leiser warmer Stimme. In die er so viel Liebe legte, wie gerade möglich war. Lyn sah ihn an und legte sich vor ihn hin. So als, wenn sie ihn verstanden hätte und fing an zu wimmern. Verwandelte sich zurück, in das kleine Mädchen, was sie immer war. Gosch konnte das Geschehene einfach nicht begreifen.

"Wie kann man das jemanden antun? Warum hat sie uns jetzt nicht mehr angefaucht? So wie vorhin? Warum hat sie vorhin geschrien und warum wimmert sie jetzt so?"

Sprudelten die Fragen nur so aus dem Piloten heraus. Sein Gesicht drückte Fassungslosigkeit aus. Gosch kniete sich vor Lyn nieder, immer noch am ganzen Körper zitterte und nahm seine kleine Freundin einfach in seine Arme. Er schaukelte sie wie ein kleines Kind. Lyn lehnte sich an Gosch, den sie schon von einigen Einsätzen her kannte und schlief einfach ein. Ein Zeichen, dass sie diese Piloten voll und ganz vertraute.

"Komm, bringen wir sie in den Heli. Ich glaube sie hat es geschafft."

Gemeinsam nahmen Gosch und Jacob, das jetzt fest schlafende Mädchen hoch und legten sie auf den Rücksitz. Jacob setzte sich jetzt nach vorn zu Gosch, damit Lyn mehr Platz zum schlafen bekam. Versuchte den Piloten zu beruhigen, der in diesem Zustand nicht fliegen konnte. Denn Gosch saß völlig fertig auf dem Pilotensitz und schlotterte wie Espenlaub. Er verstand die Welt nicht mehr.

"Gosch, beruhige dich bitte. Ich versuche dir soweit ich kann, alles zu erklären. Aber beruhige dich bitte. Wenn Lyn sich in einen Gino verwandelt, hat sie unglaubliche Schmerzen. Sie hat es mir einmal gezeigt. Ich dachte damals, ich muss sterben. Als sie das erste Mal zu uns kam, in dem Moment, als wir am Boden lagen, war sie voller Wut und Hass. Sie signalisierte uns durch das Fauchen, lasst mich in Ruhe. Du musst begreifen, dass die Ginos nicht reden können. Es sind Tiere und die signalisieren ihre Gefühle durch Schnurren oder Fauchen, wie halt normale Tiere auch. Hätten wir sie in diesem Augenblick gereizt oder gar bedroht, wäre sie ohne zu denken auf uns los gegangen. So hat sie es mir einmal erklärt. Wenn ein Gino wütend ist, agiert er, bevor er denken kann, alles ist für den Gino ein Angriff. Jede Bewegung ist eine Bedrohung. Deshalb war es wichtig für uns, ganz ruhig am Boden zu liegen und uns so klein wie möglich zu machen. Dadurch signalisierten wir dem wütenden Gino, schau ich bin keine Gefahr für dich. Ich tue dir nichts. Ich lasse dich in Ruhe. Bitte lasse mich auch in Ruhe. Das zweite Mal hatte sie den Gino wieder unter Kontrolle. Sie wusste genau, was sie tut", Jacob lächelte kurz. "Wenn ich ehrlich bin, ich war schon einige Mal in der Versuchung sie zu streicheln. Sie würde uns dann nichts mehr tun. Sie wollte dir nur zeigen, Gosch, das bin ich als Gino. Sieh mich genau an. Du kennst mich. Schau in mein Gesicht. Damit du dich nie wieder, vor ihr fürchtest. Dass sie so wimmerte, ich weiß nicht genau. Lyn spricht darüber nie. Ich denke, das ist psychisch bedingt. Ginos haben keine für uns verständliche Sprache. Untereinander verständigen sie sich durch Fauchen und Schreien. Es klingt einfach furchtbar. Für mich würde das alleine schon genügen, um mich zu ergeben und mich auf den Boden zu legen. Das Wimmer denke ich, ist ein Zeichen dafür, dass sie froh ist, wieder sie selber zu werden. Auch, weil sie dabei wieder schlimme Schmerzen hat. Geht’s wieder Gosch?"

Der Pilot fuhr sich nochmals durchs Haar. Durch die ausführliche Erklärung dessen was er gerade erlebt hatte, wurde er ruhiger und atmete entspannter.

Er gestand Jacob jetzt. "Ich hab mich nur wahnsinnig erschrocken, Herr Doktor."

"Gosch, das kann ich mir vorstellen. Glaube mir, das ging uns allen so. Heute können die Kinder, die Ginos alle kontrollieren. Am Anfang war das schlimm, da hatten wir oft Todesangst. Dann flieg mal los. Der Oberst wird schon in Sorge sein."

Gosch bekam große Augen. Den Oberst hatte er in der Aufregung komplett vergessen und die Flugsicherung auch. Dies würde Ärger geben. Gosch holte sich die Starterlaubnis und erklärte der Flugsicherung, dass er aus einem medizinischen Notfall heraus, notlanden musste. Dann flogen die Drei los. Nach einer weiteren halben Stunde kamen sie in Grünheide an. Landeten in der Nähe einer Turnhalle, die das provisorische Einsatzzentrum war. Etwa einhundert Meter südlich, auf einer kleinen Lichtung, brachte der Pilot den Heli auf den Boden. Kaum setzte der Helikopter auf, wachte Lyn auch schon auf und setzte sich hin. Öffnete ihren Medi-Koffer und holte einen Spiegel heraus. Kurz schloss sie die Augen, um ihr Gesicht zu richten und kontrollierte ihr Aussehen. Brachte so ihr blutunterlaufenes Gesicht wieder in Ordnung. Gosch schüttelte den Kopf. Er flog nun seit einigen Monaten mit diesem sonderbaren Mädchen. Die ihn immer wieder zum Staunen brachte. Egal, wann er mit ihr unterwegs war, es passierten immer wieder Sachen, die er nie für möglich gehalten hätte. Lange sah Gosch das kleine Mädchen an.  

Lyn hielt den Kopf etwas schief. "Sir, tut mir leid, Sir. Ich wollte sie nicht erschrecken, Sir. Geht es ihnen gut, Sir?", erkundigte sie jetzt nach.  

Gosch nickte sprachlos. Er war immer noch völlig durch den Wind und versuchte dies aber dem Mädchen nicht zu zeigen.

"Na kommt, ich bringe euch zum Oberst", riss er sich jetzt erst einmal zusammen. Er würde später mit Pille über alles reden oder mit dem Doktor. Ganz hat er sich von seinem Schrecken noch nicht erholt. Lyn nahm ihren Rucksack hoch, den Medi-Koffer in die Hand und stieg aus dem Heli. Jacob der Lyn genau beobachtet, musste erleichtert aufatmen. Er wusste, jetzt hatte sie es fast geschafft. Ihr ging es zwar noch lange nicht gut, aber wesentlich besser als vor vier Stunden. Also holte er auch seine Taschen, folgte Lyn und Gosch. Mit wenigen schnellen Schritten holte er die Beiden ein. Gosch sprach gerade mit den Polizisten im Streifenwagen, die auf der Lichtung warteten, um den Heli zu bewachen. Gab ihnen Bescheid, dass er eine Weile wegbleiben würde. Diese mussten für diese Zeit den Heli im Auge behalten. Keine fünf Minuten später, betraten sie die Turnhalle und damit die Einsatzzentrale der Soko Tiranus. Ein hundertvierundneunzig Zentimeter großer und etwa fünfundneunzig Kilo schwerer, mit Muskeln bepackter Mann stand auf und lief wütend auf Gosch zu. Fleischer so hieß der Leiter der Soko Tiranus, sah man seine neununddreißig Jahre nicht an. Der schwarzhaarige Oberst wirkte jung und dynamisch und hatte fast immer ein Lächeln auf dem Gesicht. Ihn so wütend zu sehen, ließ Gosch noch kleiner werden, als er sowieso schon war.

"Sag mal Gosch, kannst du dich nicht einfach zwischendurch einmal melden, verdammt nochmal. Ich dachte ihr seid abgestürzt. Ich mache die Flugsicherung schon seit zwei Stunden verrückt", schnauzte er seinen Piloten ungewohnt heftig an.

Gosch zog die Schultern hoch und nahm erschrocken die Hand vor dem Mund. Sah seinen Vorgesetzen entschuldigend an.

"Ich... ´tschuldigung ... Tut ... tut mir leid, Willy. Es ging alles drunter und drüber. Ich ... ich... hab nicht so weit gedacht. Ich ... ich erkläre dir gleich alles. Komm, sei nicht sauer", stotterte Gosch, unter den bösen Blicken Fleischers immer kleiner werdend herum.

Unzufrieden mit dem Verhalten seines Piloten und trotzdem verwundert, sah Oberst Fleischer auf Gosch herunter. Der Pilot, der mit seinen hundertsechsundsiebzig Zentimetern und gerade mal vierundsechzig Kilo, gegen den großgewachsenen Oberst, ein Hänfling war, wurde es immer unwohler zu mute.

Allerdings änderte sich das Gesicht von Oberst Fleischer schlagartig, als er Lyn erblickte. Die wunderschönen haselnussbraunen Augen, musterten das Mädchen intensiv, das dem Oberst immer wieder Stoff, zum Nachdenken gab. Blass sah sie aus, hatte dunkle Augenringe, ein eingefallenes Gesicht und wirkte verdammt müde. Die für Lyns Verhältnisse langen Haare standen ihr außergewöhnlich gut. Er wusste noch gar nicht, dass Lyn so schöne Haare besaß. Was zum Teufel, ging es dem Oberst durch den Kopf, hatten die in dieser Schule, schon wieder mit seinem kleinen Mädchen gemacht. Immer noch konnte er sich nicht vorstellen, dass dieses Mädchen erst sechseinhalb Jahre alt sein sollte. Er würde sie auf elf oder zwölf Jahre schätzen, etwas korpulent für ihre Größe aber nicht dick. Fleischer war immer wieder vom neuen überrascht, was diese Kleine alles bewerkstelligte. Genau dieser Punkt, gab ihn Anlass zu hoffen, dass Lyn, den Fall Ortega, vielleicht noch zu einem guten Abschluss zu bringen würde. Ohne dieses sonderbare Mädchen, hatten sie keine Chance mehr, die Kinder zu finden. Viel zu spät hatte man ihm den Fall übertragen.

Fleischer könnte schon wieder vor Wut aus dem Anzug springen. Vor allem weil er sah, wie fertig das Mädchen aussah. Am liebsten würde er sie ins Bett schicken und erst einmal schlafen lassen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass die Kleine einsatzfähig war. Mit Jacob würde er dann ein paar böse Worte wechseln, ihm das Mädchen in diesem desolaten Zustand hier anzuschleppen. Fleischer hatte den Eindruck sich völlig in Jacob getäuscht zu haben. Wie konnte der Arzt dies nur zulassen.

 

Traurig musterte mich der Oberst von Kopf bis Fuß. Ich könnte schon wieder verrückt werden, weil er Gosch, auf diese Art und Weise zusammen gestaucht hatte. Mein Pilot konnte nichts dafür, wieso wartete Fleischer nicht erst einmal ab, bis ich mich erklären konnten und pfiff Gosch hinterher an. Wie oft musste ich das meinem Oberst noch erklären. Aber er sah mich so lieb an, da konnte ich ihn gar nicht an pulvern.

"Komm mal zu mir, Lyn. Verdammt nochmal, wie siehst du denn aus?"

Ich trat auf den Leiter der Soko zu und salutierte, vor dem ranghöheren Offizier. Machte ordentlich Meldung, so wie wir es über Jahre antrainiert bekommen hatten. Auch wenn ich wusste, dass ich das bei diesem Vorgesetzten eigentlich nicht tun brauchte. Es war mir so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich nicht mehr aus meiner Haut konnte.

"Sir, Nummer 98 meldet sich zum Dienst, Sir. Es ist alles in Ordnung, Sir. Das wir zu spät kommen, Sir, war meine Schuld, Sir. Der Genosse Brando konnte nichts für die Verzögerung, Sir. Lassen sie also ihren Zorn darüber, Sir, an mir aus und nicht an den Piloten, Sir."

Ich blieb wie gewohnt, mit etwas gespreizten Beinen, gesenkten Blick vor dem Oberst stehen, die Hände auf den Rücken und meine Muskeln angespannt. Wie immer erwartete ich eine Strafe, obwohl ich wusste, dass das hier bei der Soko Blödsinn war. Denn hier wurde niemand geschlagen, egal was man für Bockmist baute. Kopfschüttelnd ging der Oberst auf mich zu und zog mich einfach in seine Arme. Wie immer brauchte ich einige Zeit, um das zu zulassen und lockerer zu werden. So nannte es der Oberst immer. Ich war es einfach nicht gewohnt, freundlich von Vorgesetzten Offizieren behandelt zu werden. Der Oberst hielt mich einfach fest und schimpfte mich ein wenig aus.

"Ach komm, Kleines. Du weißt, dass ich dir nichts tue. Entspanne dich. Ich schimpfe ja deinen Gosch, auch bestimmt nicht mehr aus, versprochen", lächelnd blickte der Oberst zu mir herunter.

Allerdings konnte ich mich heute nicht richtig entspannen, blieb steif in seinen Armen stehen. Nur wehrte ich mich nicht mehr gegen seine Umarmung.

"Lyn, ist es wirklich so schlimm?"

Ich nickte.

Da ließ er mich endlich los. "Na, kommt erst einmal in mein Büro."

Der Oberst musterte mich und drehte sich um und ging zurück in die Halle. Wir folgten ihn. Allerdings blieb ich draußen bei der Mannschaft stehen. Immer noch hatte der Oberst nicht begriffen, dass bei mir generell alles vor der Mannschaft besprochen wurde. Als er merkte, dass ich ihm nicht folgen würde, sah er mich fragend an.

"Sir, hier oder gar nicht, Sir", wies ich ihn drauf hin, dass ich nicht bereit war in sein Büro zu gehen.

Er fing schalend an zu lachen und schüttelte den Kopf. Im Anschluss nickte er verstehend und kam zurück zum Tisch.

"Erwischt Kleines. ´tschuldigung Lyn, es ist immer das Gleiche mit mir. Nie denke ich dran, dass du anders arbeitest. Vielleicht sollte ich deine Art der Teamführung übernehmen. Ich denke darüber nach", damit lachte er mir aufmunternd zu und wandte sich an seine Leute. "Setzt euch alle", gab er seinen Leuten einen klaren Befehl. Dann musterte er erschrocken unseren Doko und schüttelte den Kopf. "Sag mal Fritz, du siehst ja auch so müde aus. Erzählt, was war bei euch schon wieder los."

Ich stellte meine Sachen unter den Stuhl und nahm am Tisch Platz, genau wie die anderen.

"Wollt ihr beiden etwas trinken?", fragte uns der Oberst, wie immer sah ich erst Doko an, der nickte, also nickte ich auch.

Doko nahm es wie meistens in die Hand und rief in Richtung der provisorischen Küche. "Für mich einen Kaffee extra groß und extra Stark. Lyn, willst du auch einen Kaffee?"

Ich schüttelte den Kopf. "Sir, Wasser bitte, Sir."

Einige der Leute aus der Soko sahen mich irritiert an. Sie kannten mich noch nicht.

"Lyn, ich kann dir auch Kamillentee kochen. Magst du?", bot mir Walter, der Koch der Soko an.

"Sir, gern, Sir."

Walter drehte sich um und ging in die Küchenecke, nach kurzer Zeit kam er mit einer großen Kanne Tee und einer mit Kaffee zurück.

"Da ihr zwei", stellte er uns Tassen vor die Nase und setzte sich ebenfalls hin.

Oberst Fleischer blickte mich aufmunternd an.

"Lyn, was ist los mit dir? Du siehst furchtbar aus."

Ich schüttelte den Kopf, ich konnte und wollte nicht reden. "Sir, sind wir hier um zu reden oder haben sie mich geholt, um zwei Kinder zu finden, Sir? Reden können wir hinterher immer noch, Sir", lenkte ich von diesem schlimmen Thema ab und forderte mir Informationen über den Einsatz ein.

Phillip Kürschner lächelte mich an. "Na Lyn, du hast mich heute noch gar nicht auf die Matte gelegt. Da kannst du gar nicht hier sein", wollte er mit mir scherzen.

Mir war nicht nach Späßen zumute, ich glaube das sah man mir auch an. Ich schüttelte nur den schweigsam meinen Kopf.

Kürschners Kollegen allerdings starrten Phillip verwundert an. Sie konnten nicht glauben, was sie da sahen. Ihr Kollege hatte ihnen schon viel von seiner Ausbilderin erzählt, die ihn ständig ohne mit der Wimper zu zucken auf die Matte legte. Von der er seit einigen Monaten, trainiert wurde. Dieses kleine Mädchen, war seine Trainerin. Die Fragezeichen und die Gedanken die sie hatten, konnte ich an ihren Gesichtern ablesen.

"Oh je, dir scheint es wirklich nicht gut zu gehen", musste er noch los werden. Ich ging gar nicht auf seine Kommentare ein und wandte mich stattdessen wieder an den Oberst.

"Sir, können sie mir irgendetwas zu dem Fall sagen, wegen dem sie mich geholt haben, Sir. Oder besser, geben sie mir am besten das Dossier zu lesen, Sir. Ich will wieder nach Hause, Sir", bat ich ihn einfach, um das was ich haben wollte. Auch, weil der Oberst immer mit mir schimpfte, wenn ich das nicht machte.

"Lyn, ich wiederhole meine Frage gern noch einmal. Bevor ich keine Antwort habe, bekommst du keine Infos. Das Dossier habe ich noch nicht", erklärte mir der Oberst.

Da ich in den letzten Monaten lernen und begreifen musste, beim Oberst immer reden zu dürfen, tat ich dies auch. Vor allem, weil ich hier auch begriffen hatte, dass ich stets sagen konnte, was ich dachte, was ich nicht wollte und was ich nicht machen konnte. Vor allem dann, wenn es darum ging, einen Einsatz erfolgreich abzuschließen. Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und erklärte mich, wenn auch äußerst vorsichtig.

"Sir, bitte ich möchte darüber nicht reden, Sir. Ich kann es einfach nicht, Sir. Ich bin froh, dass ich die Wut etwas in den Griff bekommen haben, Sir. Genosse Brando musste vorhin notlanden, weil ich einen Ginobusanfall hatte, Sir. Bitte, mir geht es wirklich nicht gut, Sir. Ich will nur die Kinder finden, Sir. Dann will ich wieder nach Hause, Sir", versuchte ich ihm zu erklären, dass er mich nichts fragen brauchte.  Dass er vor allem keinerlei Auskünfte auf seine Fragen bekommen würde, egal wie sehr er bohrte.

Erschrocken sah mich der Oberst an, denn er wusste, dass ich selten so offen zugab, dass es mir nicht gut ging.

"Lyn, so kannst du doch keinen Einsatz machen. Weißt du wie du ausschaust Mädchen", wies er mich nochmals auf mein Aussehen hin und darauf, dass ich so nicht arbeiten konnte.

"Sir, es geht schon, Sir. Ich war schon wesentlich schlimmer dran, bei Einsätzen, Sir. Bitte den Kindern läuft die Zeit weg, Sir. Die Zeit die wir hier sinnlos verquatschen könnten wir effektiver nutzen, Sir. Die Kleinen haben richtig Angst, Sir. Wie lange sind die eigentlich schon verschwunden, Sir", verwundert sah der Oberst, zu meinem Doko.

"Fritz, ich habe Mayer doch alles Wichtige gesagt. Hast du Lyn die Infos nicht gegeben?"

Doko schüttelte jetzt ebenfalls verwundert den Kopf. "Doch Willy. Lyn weiß eigentlich Bescheid. Fast glaube ich, dass sie vorhin nicht alles registriert hat. Oder irre ich mich Lyn?"

Verwundert blickte ich unseren Doko an. "Doko, sie haben mir nur gesagt, dass zwei Kinder vermisst werden. Die auf einem Alexanderplatz verschwunden sind. Mehr Informationen habe ich von ihnen nicht bekommen, Sir."

Doko nickte. Bat mit Blicken den Oberst um Verzeihung. "Willy, als ich Lyn fragte, ob sie den Fall übernehmen würde, war sie gerade zu sich gekommen. Da kann es schon passieren, dass sie nicht alles mitbekommen hat. Informiere sie einfach noch einmal, über die Tatsachen, die euch schon bekannt sind."

Verwundert sah mich der Oberst an. Er wusste, dass mir eigentlich nie Informationen entgingen. "Lyn, wie hoch ist dein Fieber jetzt, bitte die Wahrheit."

Genervt holte ich Luft. Ich mochte diese sinnlosen Diskussionen über meine Gesundheit nicht. Ich akzeptierte sie so, wie sie war, warum konnte das der Oberst nicht auch einfach mache.

"Sir, bitte, ich brauche im Moment keinen zusätzlichen Stress, Sir. Ich weiß besser als sie sich denken können, Sir, dass ich nicht gesund bin, Sir. Deshalb ist ja der Doko mit hier, Sir. Bitte lassen sie uns anfangen, den Kindern läuft die Zeit weg, Sir."

Wieder einmal gerieten wir aneinander, diesmal jedoch mischte sich Doko ein. "Bitte Willy, setze Lyn nicht so unter Druck. Wenn sie dir etwas sagen will, wird sie von alleine reden. Wir haben seit sechs Wochen versucht die Kinder aus dem höllischen Fieber, dass sie hatten, zurückzuholen. Es ist uns nicht gelungen. Erst vorhin als ich Lyn bat dir zu helfen, gelang es mir, sie hier her und aus diesem verdammten Fieber zu holen. Lass es heute einfach sein, wie es ist. Ich erzähle dir dann, alles, was ich weiß."

Damit gab sich der Oberst, zum Glück erst einmal zufrieden. "Also gut, Lyn, wenn du reden willst, dann kommst du."

Ich nickte.

"Dann hör zu. Folgende Informationen habe ich, von der Soko Alexanderplatz bekommen. Am 8. August gegen 10 Uhr 13 stiegen Keynia dreizehn Jahre, mit vollen Namen heißt sie Filisha Citlalli Shania Keynia Ortega, und ihr Bruder Conrad sechzehn Jahre, Tlacaelel Xolotl Diandro Conrad Ortega, aus der S-Bahn, an der Haltestelle Alexanderplatz. Beide wollten in Berlin einen schönen Tag verbringen. Als erstes aber ein Eis essen gehen und danach einen Stadtbummel durch Berlin machen. Sie…"

Ich unterbrach ihn einfach, so wütend war ich und sah den Oberst bitter böse an. "Sir, warum holen sie mich jetzt erst."

Wutentbrannt sprang ich auf und zerrte den neben mir sitzenden Oberst mit einem Armdreher von seinem Stuhl. Der war innerhalb von nur zwei Sekunden auf die Beine und brüllte vor Schmerzen, wie am Spieß. Dann trieb ich ihn mit schnellen Schlägen und Tritten gegen die Wand, ich rastete völlig aus.  

"Sir, verdammt nochmal, wie oft muss ich ihnen eigentlich noch sagen, sie sollen mich gleich holen, Sir."

Eine unvorstellbare Wut kam in mir hoch. Mit immer schneller werdend Attacken, trieb den Oberst vor mir her, jedes Wort ein Schlag. Als einige der neuen Kollegen eingreifen wollten, ging Phillip Kürschner dazwischen.

"Sitzen bleiben. Sonst gerät das hier außer Kontrolle. Willy passiert nichts. Lyn ist nur wütend", erklärte Phillip Kürschner leise.

Ich brüllte in der Zwischenzeit den Oberst weiter an und schlug immer heftiger auf Fleischer ein. "Verdammt wie oft muss ich ihnen noch erklären, Sir. Dass sie mich gleich holen sollen, Sir. Glauben sie wirklich, dass die Kinder noch leben, Sir. Seid ihr wirklich so bekloppt, dass ihr das immer noch nicht kapiert habt, Sir. Dass ihr mich immer erst holt, wenn ich nur noch die Leichen finden kann, Sir. Denken sie vielleicht das macht Spaß, festzustellen dass die Kinder schon tagelang tot sind, Sir. Nur weil sie es nicht fertig bringen, sich einzugestehen, es nicht zu schaffen, Sir. Ist es so schlimm, zu zugeben, dass man etwas nicht kann, Sir. Dann quatschen sie mich hier Stunden lang voll, Sir. Was soll das Ganze hier werden, Sir."

Ich hatte den Oberst in meiner Wut, einmal quer durch die Halle und an die Wand getrieben. Griff ihn jetzt, von unten schmerzhaft in die Rippen. Der Oberst ging in die Knie und stöhnte laut auf. Ich stand schwer atmend vor ihm.

Oberst Fleischer japste schwer nach Luft. "Bitte Lyn, lass los. Kleines, du tust mir weh."

"Geh ...", befahl ich ihm, schwer atmend. "... sofort ...", sprach ich nur noch zu ihm und ließ ihn los.

Ohne auf die sonst üblichen Anstandsregeln zu achten. Ich ging selber in die Knie und krümmte mich zusammen. Tief atmete ich durch und versuchte ins Taiji zukommen. Ich durfte nicht schon wieder einen Anfall hineinrutschen. Die Kinder brauchten mich. 'Verdammt nochmal, reiße dich zusammen' sagte ich mir immer wieder. Zum Glück, bekam ich diesmal schnell die Kontrolle über mich zurück und konnte wieder normal atmen. Nach zwei Minuten rutschte ich an die Wand und lehnte mich dagegen. Schwer holte ich Luft, legte dabei den Kopf in den Nacken und starrte hoch an die Decke.

Der Oberst ließ mich sofort allein. Ging humpelnd zum Tisch zurück und rieb sich dabei die schmerzenden Rippen. Fleischer setzte sich noch völlig benommen und schwer atmend an den Tisch.

"Fritz, was in Gottes Namen, hab ich denn jetzt falsch gemacht?", wandte er sich hilfesuchend an meinen Doko.

"Ich glaube nichts. Ich weiß nicht, was mit Lyn los ist, Willy. Vielleicht war es doch falsch, dass ich ihr von der Sache erzählt habe. Irgendetwas ist beim letzten Einsatz passiert, die Kinder sind alle so durch den Wind", gab er flüsternd zur Antwort.

Immer noch saß ich schwer atmend, mit den Rücken an die Wand gelehnt und versuchte diese verdammte Wut unter Kontrolle zu bekommen. Langsam fuhr ich herunter und bekam mich wieder völlig ein.

Im Stillen ärgerte mich, über mich selber. Meine Wut, hatte nichts mit den Oberst zu tun. Sondern mit diesen verdammten Verbrechern, die immer wehrlose Kinder quälten. Solche Sachen machten mir, schon immer schwer zu schaffen. Bei den Worten vom Oberst, kamen unweigerlich die Bilder aus Rumänien in mir wieder hoch. Das durfte nicht wieder geschehen. Ich musste das in den Griff bekommen. Der Oberst konnte nichts dafür, er war immer nett zu uns gewesen. Ich legte meinen Kopf auf die Knie und fing an zu weinen. Fast zehn Minuten brauchte ich, bis ich mich beruhigen konnte. Bekam nicht einmal mit, dass der Doko und der Oberst richtig Mühe hatten, die Leute davon abzuhalten, zu mir zu kommen. Da Beide wussten, ich brauchte die Zeit, um mich vollständig zu beruhigen. Langsam ging es mir wieder besser. Vor allem, konnte ich wieder klarer denken. Ich schämte mich für meine ungewohnt heftigen Ausbruch. Kurz entschlossen stand ich auf und lief mit tränennassem Gesicht, auf meinen Oberst zu.

"Sir, es tut mir leid, Sir. Habe ich sie verletzt, Sir? Lassen sie mich nachsehen, Sir?"

Oberst Fleischer stand auf und zog seinen Overall aus. Oh je, ich hatte ihn ganz schön vermöbelt. Schnell holte ich meinen Medi-Koffer und versorgte seine Verletzungen. 'Nur gut', ging es mir durch den Kopf, 'dass der Oberst so durchtrainiert war'. Im Anschluss gab ich ihm einige Injektionen, um sein Leiden zu vermindern. Fünf Einheiten A13, gegen Schmerzen und Atemnot, ebenso viele Einheiten vom B23 und 32, damit er keine Schmerzen mehr hatte. Dann rieb ich ihn die Rippen mit Hämlo-Salbe ein, damit die Blutergüsse sich schnell wieder auflösten. Damit fertig bandagierte ich dessen Rippen, um diese zu stützen. Zwei seiner Rippen waren durch und drei angeknackst und half ihm dann beim Anziehen.

"Sir, es tut mir leid, wirklich, Sir. Aber es regt mich langsam auf, dass ihr mich immer erst holt, Sir, wenn es schon zu spät ist, Sir."

Wieder kam diese verdammte Wut hoch. Ich ließ mich auf den Stuhl plumpsen. Legte die Arme auf den Tisch, den Kopf darauf und fing einfach an zu weinen. Fassungslos sahen sich der Oberst und unser Doko an. So etwas hatten beide von mir noch nicht erlebt. Aber mir war es egal. Ich musste die Tränen einfach heraus lassen, sonst würde ich durchdrehen. Der Oberst setzte sich neben mich und zog mich einfach auf seinen Schoss. Ich ließ es geschehen. Ich hatte ihn gerade schwer verletzt und wusste, dass ich ihm damit eine Freude machte. Weinte einfach in seinen Armen weiter. Auch tat mir seine Nähe gut, vor allem aber seine Ruhe gut. Obwohl ich ihn noch nicht einmal ein Jahr kannte, hatte ich mich bei ihm immer geborgen gefühlt. Genau wie bei Dika und Doko. Verwundert sah Doko zu Oberst Fleischer, der schüttelt ganz leicht den Kopf. Hielt mich einfach nur in den Armen. Ich brauchte einige Minuten, bis ich mich gefangen hatte und der Tränenstrom versiegt war. Als der Oberst merkte, dass ich ruhiger wurde und nicht mehr weinte, schob er mich etwas von sich weg.

"Geht’s wieder Lyn? Was ist nur los meine Kleine, so kenne ich dich doch gar nicht."

Ich schüttele den Kopf. "Sir, bitte ich kann darüber nicht reden, Sir. Bitte, sie sehen ja, was passiert, wenn ich nur daran denke, Sir. Ich habe so eine verdammte Wut, Sir. Warum tut man uns so etwas immer wieder an, Sir", wieder kullerten Tränen über mein Gesicht. "Warum sind die Menschen zu Kindern so schlecht, Sir. Warum suchen sie sich nicht Menschen die gleichstark sind, die sich wehren können, Sir. Ich begreife es nicht, Sir", erklärte ich schluchzend, was mich bewegte.

"Ach Lyn, das kann ich dir nicht sagen. Glaube mir meine Kleine, das fragen wir uns auch immer wieder. Frage die einfach mal, wenn du sie fest genommen hast. Vielleicht können die dir das erklären."

Nickend stimmte ich ihm zu. "Sir, das werde ich machen, Sir. Meine Wut hatte nichts mit ihnen zu tun, Sir. Es war Unrecht, dass ich sie verprügelt habe, Sir. Bitte melden sie den Vorfall dem Oberstleutnant, Sir. Damit er mich bestraft, Sir. So etwas darf man nicht tun, Sir."

Oberst Fleischer schüttelte den Kopf. "Lyn, das werde ich bestimmt nicht tun. Weil ich weiß, dass der dich dann wieder auspeitscht. Ich versteh nur nicht, warum du so wütend bist, mein kleines Mädchen. Was habe ich für eine Schuld, an der ganzen Sache? Ich bekomme die Einsätze erst so spät. Ich habe darauf keinen Einfluss. Ich bin genauso wütend, wie du."

Betrübt sah ich ihn an und gab ihm einfach einen Kuss auf die Stirn. "Sir, das weiß ich doch, Sir. Sie trifft keine Schuld, Sir. Nur ist es im Moment alles zu viel, Sir. Ich bin so verdammt müde und es wird mir alles zu viel, Sir. Seit Monaten komme ich nicht mehr zur Ruhe, Sir. Ständig tut man Kindern weh, verletzt und tötet sie, Sir. Aber ich kann es nicht verhindern, Sir. Egal was ich mache, immer wieder müssen Kinder sterben, Sir. Das macht mich wütend, so verdammt wütend, Sir, dass ich am liebsten, alle um mich herum töten würden, Sir. Wenn ich das könnte, Sir", auf einmal brach alles aus mir heraus. "Erst versucht man uns zu ertränken. Dann bringt man Kinder dazu, noch nach dem Tod zu arbeiten. Dann entführt man Kinder, Sir. Warum, lässt man uns Kinder nicht einfach einmal in Ruhe, verdammt noch mal, Sir", schrie ich ihn schon wieder an.

"Lyn, wer hat versucht euch zu ertränken. Wie können Kinder nach dem Tod noch arbeiten. Mädchen, was erzählst du da?"

Wütend schüttelte ich den Kopf und stand auf. Lief ans andere Ende der Halle. Wieder ließ ich die Männer einfach sitzen. Ich musste alleine sein und musste mich unbedingt beruhigen. Setzte mich einfach in eine Ecke und umschlang meine Beine mit den Armen und fing an zu schaukeln. Ich hatte das Gefühl gleich wahnsinnig zu werden. Verdammt noch mal, ich musste mich unbedingt beruhigen, Keynia und Conrad, die beiden vermissten Kindern, brauchten mich doch. Ich konnte nicht einfach durchdrehen. Mit meinen ständigen Ausrastern hier, vergeudete ich wertvolle Zeit. Mühsam zwang ich mich dazu herunter zu fahren und versuchte meine Mitte zu finden. Ich fand sie einfach nicht. Deshalb stand ich auf und zog mich aus. Zwang mich dazu, ruhiger zu werden in dem ich begann das Taiji zu machen. Dies half mir mich einigermaßen zu beruhigen und vor allem aber diese Ruhe nicht wieder zu verlieren.

 

Die Männer der Soko Tiranus blickten den Doko verwundert an und dann nach hinten zu Lyn. Sie verstanden nicht, was mit dem Mädchen dort los war. Vor allem diejenigen, die noch gar nichts über sie wussten und sie überhaupt nicht kannten. Diese Kollegen der Soko waren entsetzt über Lyns Verhalten. Um einiges geschockter waren sie allerdings, als sie deren Körper sahen, der mit Narben übersät war. Selbst der Oberst sah erst Lyn erschrocken an und dann den Doko.

"Was zu..."

Doko unterbrach ihn. "Ja ich weiß Willy. Lyn sieht schrecklich aus. Entschuldige mir war entfallen, dass du sie lange nicht mehr gesehen hast. Alle Fragen, kann ich dir nicht beantworten, die in deinem und den Gesichtern deiner Männer geschrieben stehen. Einiges kann ich euch allerdings erklären. Auch die Narben auf Lyns Körper, haben eine Geschichte. Zum Ertränken kann ich euch allerdings einiges erzählen. Ende Januar dieses Jahr …" Kurz gefasst erzählte Jacob, den Männern um Oberst Fleischer, was dieser Unmensch mit sechs der Kinder gemacht hatte und das fünf davon ihr Leben lassen mussten. Wahrscheinlich immer noch in irgendeinem See in Holzkisten lagen.

"Willy, das ist aber noch nicht alles. Davor bei einem schlimmen Einsatz in Polen…" Erzählt er dem Oberst, was vor Jahren in Prag geschehen war und berichtete davon, das Lyn ihre eigenen Kameraden töten musste, um zu verhindern das Schlimmeres geschah. Auch von dem Auspeitschen mit der Sternenpeitsche, von der Bestrafung in der Lichtbox, wie Lyn danach aussah. Das Lyn sich nicht einmal, von diesen Bestrafungen erholen konnte. Aber auch, dass beim letzten Einsatz, irgendetwas passiert sein musste. Dass wie es scheint, auch irgendwie mit Kinder zu tun hatte, wie er eben gerade erfuhr. Aber keiner wusste, was in Rumänien wirklich geschehen war. Da keines der Kinder darüber sprechen wollte. Alle Kinder seinen seit dem todkrank und vier der Kinder wären schon gestorben. Das auch Lyn, bis vor wenigen Stunden, genau wie die anderen, mehr tot als lebendig auf ihrer Pritsche lag. Dass es erst seit dem Jacob Lyn davon berichtet hatte, dass man sie unbedingt brauchten, um die Kinder zu finden, eine minimale Verbesserung eingetreten wäre. Aber wie es aussah, würde Lyn immer noch völlig neben der Spur laufen.

Entsetzt sah der Oberst den Arzt an. "Fritz, sage mir bitte, dass dies alles nicht wahr ist. Das dieser Unmensch, dass diesem kleinen Mädchen nicht wirklich angetan hat."

"Doch Willy, er hat es getan. Mayer war sogar so dreist, dass er Lyn und die anderen, als desertiert und auf der Flucht erschossen gemeldet hat. Ließ die sechs Kinder, eiskalt für tot erklären. Ich kann Lyn schon verstehen, dass sie langsam aber sicher mal aus der Haut springt. Es ist wirklich im Moment einfach alles zu viel. Ich hätte ihr den Fall gar nicht erzählen dürfen. Aber glaube mir, soweit habe ich auch nicht gedacht. Das konnte ich doch auch nicht ahnen. Man hat das gesamte Bergwerk untersucht, weil wir erst dachten, da ist vielleicht ein Stoff vorhanden, auf den die Kinder allergisch reagieren würden. Was ich nicht verstehe ist, was dies alles mit Kindern zu tun hat. Wenn da irgendetwas mit Kindern gewesen wäre, dann hätte mir das dieser Oberst Mihai erzählt. Der war sehr besorgt wegen der Kinder. Hatte mitbekommen, dass die schon schwer krank waren, als sie aus dem Bergwerk kamen."

Der Oberst stimmte dem Bericht Jacobs zu und rieb sich den Nacken. "Ich kenne Oberst Mihai sehr gut. Wir haben zusammen in Moskau studiert. Wenn der das Bergwerk untersuchen sollte, hat er das auch sehr gründlich gemacht. Keine Ahnung, was da vorgefallen war. Ich denke, wir werden da auch aus Lyn nichts herausbekommen. Wenn die etwas nicht sagen will, dann sagt sie es auch nichts. Wir sollten es auf sich beruhen lassen. Ich frage sie, wenn sie fertig ist mit dem Taiji, ob sie lieber nach Hause fahren will, so kann sie doch nicht arbeiten. Na ja, lass ihr einen Moment, sie fängt sich oft schneller, als wir denken können. Ich rede dann gleich noch einmal mit ihr. Ihr sprecht hier nicht über das Thema, solange die Kleine hier ist. Wir reden dann, wenn sie los gegangen ist. Habt ihr das verstanden."

Alle nickten. Das Entsetzten, das sie bei den Erzählungen des Dokos erfasst hatte, bekamen sie allerdings nicht aus ihrem Gesicht. Von den Neuen, die erst seit wenigen Wochen zur Soko gehören, verstanden viele das Verhalten von diesem sonderbaren Mädchen, mit einem Schlag besser. Ihr Vorgesetzter hatte ihnen im Vorfeld, schon einiges über deren kurzen Leben erzählt. Sie konnten immer noch nicht glauben, dass diese Lyn erst sechs Jahre alt sein sollte. Na ja, wie fünfundzwanzig sah sie nicht aus, für elf oder zwölf hätte sie jedoch jeder geschätzt. Aufs Kämpfen verstand sie sich jedenfalls. Die Schläge, die sie ihrem Oberst verpasst hatte, taten schon vom bloßen Zugucken richtig weh.

Zehn Minuten noch sah der Oberst, Lyn beim Taiji zu, da er die Übungen von ihr gelernt hatte, wusste er, dass sie gleich fertig war. Fleischer erhob sich mühsam und lief nach hinten zu Lyn. Er setzte sich auf die Bank und sah seinem kleinen Mädchen zu.

'So gefällst du mir besser', sagt er zu sich selber. 'Kein Wunder, dass du so fertig aussiehst, nach all dem Horror der letzen Monate. Am liebsten würde ich dich jetzt nach Hause schicken. Dein Doko allerding behält wohl Recht, mit seiner Annahme. Wir hätten dich gar nicht holen sollen. Jetzt weißt du, um was es geht. Du wirst diesen Fall nicht abgeben. Nur wie kann ich dir helfen, damit klar zu kommen?'

Lyn atmet einige Male tief ein und aus. Kam endlich aus dem Taiji zurück. Keiner in der Soko, störte Lyn mehr beim Taiji. Einmal wollten sie, dass sie eher aufhört und berührten sie. Da hatte sie aus dem Taiji heraus, Walter fast getötet. Damals erklärte ihnen Lyn, dass das lebensgefährlich sei. Dass sie das Taiji, nur im Kampf machten, um die letzten Reserven zu mobilisieren. Die Berührung wäre für sie ein Angriff und würde eine tödliche Gefahr bedeutete. Daher wären sie auf das töten programmiert. Dass Walter wahnsinniges Glück hatte, dass sie gerade fertig, schon fast wieder da gewesen war.

 

Als ich aus dem Taiji zurückkam, sah ich meinen Oberst auf der Bank sitzen. Einige Male atmete ich noch tief ein und aus, dann ging auf ihn zu und stellte mich vor ihm richtig hin. Lange beäugte der Oberst mich und holte schwer Luft. Oberst Fleischer klopfte auf seine Knie. Dies hieß für mich darauf Platz zu nehmen. Ich mochte es sehr auf seinen Knien zu sitzen. Der Oberst strahlte immer so viel Wärme und vor allem Ruhe aus. Das tat mir so gut. Genau diese Ruhe von ihm, konnte ich im Moment sehr gut gebrauchen. Also setzte ich mich zu ihm und kuschelte mich an ihn, so wie ich es auch immer mit meinem Doko machte.

"Lyn, kann ich einmal kurz unter vier Augen mit dir reden."

Ich nickte.

"Lyn, kein Mensch ist dir böse, wenn du sagst es geht nicht. Ich kann mir sowieso nicht vorstellen, dass die Kinder noch leben. In vierzehn Tagen, kann viel zu viel passiert sein. Wir können denke ich, auch so weiter suchen. Du kennst mich ja, ich wollte die Kleinen nur nicht aufgeben."

Immer wieder schüttelte ich den Kopf. Ich würde die Kinder nicht im Stich lassen, nicht schon wieder. Zu viele der Kinder waren in der letzten Zeit wegen meines Versagens gestorben. Wenigstens diese beiden Kinder musste ich retten. Ich konnte nicht schon wieder zulassen, dass Kinder starben.

"Sir, ich habe mich wieder beruhigt, wirklich, Sir. Es geht mir zwar nicht gut, aber ich schaffe den Einsatz, Sir. Es tut mir leid, ich hatte keine Zeit, richtig zurück zu finden, Sir. Aber jetzt habe ich mich wieder einigermaßen im Griff, wirklich, Sir. Ich bin wieder ich, Sir."

Ernst sah ich meinen Oberst an. Dann nickte und lächelte der Oberst. Er hört und sah es vor allem, wie ich mich gab.

"In Ordnung. Lyn, du versprichst mir aber eins. Dass du mir sofort sagst, wenn es nicht mehr geht."

"Sir, jawohl, Sir."

"Na dann komm oder soll ich dir hier alles erzählen?"

"Sir, nein, Sir. Wir machen es wie wir es immer gemacht haben, Sir."

Damit erhob ich mich und zog den Oberst etwas zu schwungvoll auf die Beine. Der stöhnte laut auf, das tat ihm bestimmt weh. Kopfschüttelnd sah ich ihn an, schob meine Brille hoch. Konzentriert kontrollierte ich seinen Körper, auf innere Blutungen oder Verletzungen, die ich vorhin übersehen hatte. Da war zum Glück nichts. Ich setzte die Brille wieder über die Augen.

"Sir, ich gebe ihnen noch etwas gegen die Schmerzen, Sir. Sie müssen sich ein paar Tage schonen, Sir. Tut mir leid, das wollte ich nicht, Sir."

Fleischer nickte, er voll und ganz mit sich beschäftigt, um die Schmerzen in den Griff zu bekommen. Zu mehr, als einem Nicken, war er im Moment nicht in der Lage. Gemeinsam liefen wir vor zum Tisch. Doko musterte mich und dann lächelte er mich an.

"So, gefällst du mir besser. Hättest gleich das Taiji machen sollen oder mein Mädchen?"

"Doko, ja da hast du Recht, Doko. Gebe dem Oberst aller vier Stunden fünf Einheiten vom B32, gegen die Schmerzen, auch wenn er keine hat. Damit er sich besser bewegen kann. Aber keine Training und keine schnellen Bewegungen. Er ist dienstuntauglich, nur der Schreibtisch ist erlaub, Doko."

Doko nickte.

An den Oberst gewandt. "Sir, ich zieh ihnen sechs Spritzen mir B32 auf, falls der Doko schläft, der Sani soll ihnen das, wenn möglich in die Halsschlagader spritzen, wenn er das nicht kann, halt ganz normal, Sir. Nur in der Halsschlagader wirkt es schneller, Sir."

Doko hatte in der Zwischenzeit den Ampullenkoffer hervor geholt, stellte ihn vor mich hin. Ich zog dreißig Einheiten auf und legte diese in ein spezielles Fach. Im Anschluss noch einmal zwanzig Einheiten, die ich dem Oberst gleich verabreichte. Erleichtert atmete er nach der vierten Spritze auf, in der jeweils fünf Einheiten waren. Das schien die richtige Dosierung zu sein. Nur gut, dass unsere Schmerzmittel nicht benebelt, sonst würde er jetzt flach liegen.

"Danke Lyn. Dann setze dich mal, höre weiter zu..."

Walter schob mir eine Tasse Tee zu und ich setzte mich auf meinen Platz. Der Oberst setzte sich wieder neben mich auf den Stuhl.

"Also pass auf, folgendes hat die zuständige Soko herausgefunden. Um 10 Uhr 13 stiegen die beiden Kinder aus der S-Bahn und wollten ein Eis essen. Danach bummelten sie auf dem Alex. Lyn, beide Kinder sind dunkelhäutig, schwarzhaarig, ähneln eher Mischlingen, afrikanischer Herkunft als Europäern. Der Vater ist gebürtiger Mexikaner, seine Vorfahren stammen jedoch aus Afrika, die Mutter ist Deutsche. Beide sind mehr sprachig aufgewachsen und machen sich oft den Spaß sich auf Spanisch zu unterhalten. Bilder habe ich leider noch nicht, aber ich denke durch das anders artige Aussehen, kannst du sie leichter finden. Beide sind noch dunkelhäutiger als du, normalerweise bist."

Verwunderte Blicke wanderten von mir, zum Oberst und zurück. Na ja dunkelhäutig sah ich im Moment wirklich nicht aus: Eher graublass.

"Guckt nicht so Jungs, es stimmt was ich sage. Lyn hat normalerweise einen wunderschönen Kaffeebraunen Teint. Ich sage ja sie sieht furchtbar aus. Zurück zum Thema. So viel hat die Soko herausbekommen. Ein Eis gegessen haben die beiden. Auch waren sie in einigen der Geschäfte. Die Spur verliert sich am Alexanderplatz. Dort wurden sie zwar noch gesehen. Danach fehlt allerdings jede Spur. Pille hole bitte mal den Stadtplan und die Umgebungskarte von Berlin. Lyn, wir warten auf die Fotos von den Kindern. Die bekomme ich zugefaxt. Die Frage ist nur wann? Die Soko Alexanderplatz, wollte von uns nur einen Spurenleser haben. Die wollen den Fall nicht abgeben. Schimpfe nicht gleich wieder mit mir. Ich kann da nichts dafür. Ich habe jetzt verlangt, dass die den Fall an mich abgeben. Da nach vierzehn Tagen keinerlei Aussicht mehr auf Erflog besteht, die Kinder lebend zu finden. Die sind aber angeblich an einer heißen Spur dran und wollen diese erst noch bis zu Ende verfolgen."

Beendete der Oberst seinen sehr kurzen Bericht. Phillip Kürschner legte mir die Karten hin, die ich ihn abnahm und aufschlug. Ich musste mir die Gegend erst einmal anschauen. Da ich mich in Berlin gar nicht auskannte.

"Danke Pille, wo ist der Alexanderplatz?", fragte ich mehr aus meinen Gedanken heraus. Ich war allerdings schon tief in meinen Gedanken versunken.

Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die Kinder noch am Leben waren. Oft konnte ich dieses Gefühl nicht erklären. Es war wie ein siebender Sinn. Aber meistens behielt ich mit diesen Gefühlen recht. Es war ganz selten, dass ich die Geiseln tot fand, wenn ich das Gefühl hatte, dass sie noch leben würden. Einige Male, konnte ich die Geiseln, sogar noch im letzten Augenblick reanimieren. Da sie erst wenige Minuten tot waren. Vielleicht hatten die Kinder ja noch eine winzige Chance. Intensiv studierte ich die Karten, wechselte immer wieder, vom Stadtplan zum Umgebungskarte. Als die Leute der Soko anfangen wollten zu reden, legte der Oberst, aber auch der Doko die Finger auf die Lippen und verlangten einfach ein wenige Ruhe. Beide wussten, dass ich versuchte mich in die Täter hinein zu versetzen. Dazu brauchte ich Ruhe, um alle Varianten durchzuspielen. Stützte den Kopf auf die Hände und versuchte krampfhaft etwas zusammenzufügen, was nicht zusammenpassen wollte. Irgendeine Information hatte ich nicht richtig registriert. Im Stillen ging ich das Gesagte noch einmal durch. Genau das war es. Viele Informationen hatte mir der Oberst, zu den Kindern nicht geben können. Deshalb musste ich nicht weit zurück gehen. Lange dachte ich nach und spielte alle nur möglichen Varianten durch. Was könnte mit den Kindern geschehen sein? Immer wieder, kam ich auf diesen einen Punkt.

"Oberst, wie sieht es in Berlin aus. Gibt es da…" Kurz wollte ich überlegen, wie man diese Gruppe Menschen nannte, mir fiel einfach dieser spezielle Ausdruck nicht ein.

"Was soll es da geben Lyn?", wollte der Oberst wissen, weil die Pause viel zu lang war.

Verzweifelt rieb ich mir das Genick. In meinem Team war das einfach. Bei einem Einsatz waren alle Teil, meiner Gedanken. Sie hörten praktisch, alles was ich dachte, genau wie ich alles hörte, was sie dachten. Das war unsere Stärke. So konnten wir uns immer schnell helfen. Hier war das immer um vieles komplizierter, weil mir für viele Dinge einfach die Worte fehlten. Wir sprachen innerhalb der Verbindung immer noch in unserer Sprache und benutzten viele Wörter gar nicht. Da ich ein "absolutes Sprachgenie" war und damit sowieso meine Probleme hatte, fiel es mir oft schwer solche Wörter zu gebrauchen. Dadurch stand ich oft vor einem unlösbaren Problem hier in der Soko. Nur gut, dass der Doko heute dabei war, der konnte mir helfen.

"Sir, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, ich kenne das Wort nicht, Sir."

Verwundert sahen mich die neuen Mitglieder der Soko an. Also wandte ich mich, an meinen Doko, um Hilfe. Fast immer bekam er heraus, was ich meine.

"Bekir Nikyta, levedo granima andus. Doko kona? - Dunkle Freunde, gefangen, bestraft, durch Sehende. Doko verstehst du?"

Der Oberst, wie auch seine Mannschaft, starrten mich an. Sie konnten ja unsere Sprache nicht verstehen, wusste ja nicht einmal, dass wir normaler Weise in einer anderen Sprache, als andere Menschen kommunizierten.

Der Doko sah mich ebenfalls verständnislos an. "Lyn, hilf mir bitte. Ich verstehe die Worte, aber nicht den Sinn, der dahinter steckt. Bekir heißt an erster Stelle dunkel wie die Nacht."

"Doko, ja, Doko."

"Also heißt Bekir Nikyta, in etwa dunkelhäutiger Freund."

"Doko, ja, Doko."

"In Ordnung. Levedo heißt gefangen, granima bestraft, andus sehen. Dunkler Freund, gefangen, bestraft, sehen. Was soll das bedeuten Lyn? Oh man, ist das manchmal schwer mit dir."

"Doko, nicht sehen, sondern als Person."

Doko überlegte krampfhaft, was ich meinen könnte. Als jemand etwas sagen wollte, wackelte er mit der Hand hin und her. Er spielte wie ich alle Varianten durch. Fritz Jacob rieb sich müde die Augen und das Genick. Er war einfach zu müde, als dass er noch klar denken konnte. Plötzlich jedoch kam ihn eine Idee.

"Lyn, du meinst damit Menschen, die es auf anders aussehende Menschen abgesehen haben."

"Doko, ja so meine ich das, Doko. Ich habe das Wort schon mal gehört, aber ich komme nicht drauf."

Doko schüttelte den Kopf. "Kleines, du hast es aber auch manchmal wirklich schwer. Du meinst Rechtsradikale, stimmt´s."

Ja genau, so hieß das Wort, das ich suchte. "Doko, entschuldige, manchmal fällt mir einfach ein bestimmtes Wort nicht ein, Doko."

Der Oberst sah Doko fragend an. "Was ist das für eine Sprache?"

"Willy, das klären wir dann, wenn Lyn weg ist. Die Kinder haben schon ewig eine eigene Sprache. Ich glaube ich bin der Einzige, der die einigermaßen sprechen kann. Aber oft ist sie schwer zu verstehen."

"Sir, wissen sie ob es auf diesem Alexanderplatz, Retadikate gibt, Sir?", sprach ich das Wort völlig falsch aus.

Wie immer hatte ich mit den mir unbekannten Wörtern, die ich zwar schon gehört hatte, aber noch nie aussprechen musste, meine liebe Not. Es kam alles heraus, nur das nicht, was ich sagen wollte.

"Lyn, Kleines. Das heißt Rechts ra di ka le."

Als einige der Leute lachten, wurde Doko böse.

"Hört auf zu Lachen. Für Lyn und ihre Kameraden ist das oft schwer. Die Kinder unterhalten sich nur in ihrer Sprache. Sie können alles, was wir sagen verstehen, aber aussprechen können sie oft nur die Wörter, die sie ständig benutzen. Die anderen Wörter sprechen sie dem Alter entsprechend aus. Vergesst doch nicht immer, das Lyn erst sechs Jahre alt ist. Wer von euch konnte dieses Wort mit sechs schon aussprechen. Ihr solltet euch etwas schämen", ernst sah er die lachenden Männer an.

Die jetzt erschrocken und entschuldigend zu mir schauten.

"Doko, ist doch nicht schlimm. Manchmal bin ich halt dumm, Doko. Aber manche Wörter sind wirklich schwer, Doko." Also versuchte ich es noch einmal. "Sir, gibt es auf diesem Platz Rechtsradikale, Sir?"

Der Oberst nickte. "Die gibt es bestimmt. Nur tragen die kein Abzeichen oder Erkennungsmarken und die schreien auch nicht, sind hier wir. Lyn, wie willst du das herausfinden?"

Ich zeigte einfach auf mich. "Sir, sehen sie mich doch mal an, Sir. Ich sehe nicht aus wie ihr. Die finden mich schon, Sir."

Lachend schüttelte der Oberst den Kopf. "Versuche es. Auf alle Fälle ist es ein guter Ansatzpunkt Lyn. Dass wir da nicht selber drauf gekommen sind."

"Sir, weil ihr einfach blind seid, Sir. Das habe ich euch schon so oft gesagt, Sir. Hört auf wie Polizisten zu denken, Sir."

Phillip Kürschner fing schallend an zu lachen, weil er diesen Satz von mir, bestimmt schon mehr als hundert Mal gehört hatte.

"Lach nur Pille. Du bist der schlimmste Fall von Polizisten-Denken, den ich kenne", ärgerte ich den Freund etwas.

Pille dachte wirklich nur wie ein Polizist. Da ich Pille seit einigen Monaten ausbildete, als Allrounder, gerieten wir deshalb oft aneinander. Irgendwann wollte Pille eine eigene Soko übernehmen. Er war mit seinen sechsunddreißig Jahren, einer der erfahrensten Kämpfer in der Soko. Das war ihm aber nicht mehr genug. Sein größter Wunsch war es, einmal ein eigenes Team zu leiten. Dazu musste er allerdings eine Ausbildung als Allrounder absolvieren, um sich in alle Lagen hineindenken zu können. Als Taktiker war er eine mittelmäßige Katastrophe und ein noch schlechterer Nahkämpfer. Er brauchte die Kenntnisse über diese Fähigkeiten aber, um entscheiden zu können, wie er am effektivsten die Mitglieder eines Teams, einsetzen konnte, ohne ständig seine Leute umzubringen. Vor allem hatte er im Moment noch überhaupt kein Talent, ein Team zuführen. Pille neigte dazu, alle zu unterdrückte.

Deshalb bat der Oberst, der große Stücke auf seinen besten Mann hielt, mich um Hilfe. Ich soll ihm Teamgeist lehren und Taktik. Pille und ich wir mochten uns sehr. Bei der Ausbildung jedoch, bekamen wir uns auch oft in die Haare. Pille hielt sich oft für etwas Besseres. Er könnte alles, wüsste alles und stände ständig über allen Dingen. Dann musste ich ihn leider oft, auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Es tat mir weh ihm zu beweisen, dass er eben nicht alles konnte. Vor allem, dass er in vielen Dingen grottenschlecht war oder besser gesagt, nicht besser war, als ich und alle die Anderen. Das endet oft mit blauen Flecken und häufig mit richtigen Wutausbrüchen seinerseits. Wie oft hatte Pille mir schon gesagt, dass er mich hassen würde. Aber langsam wurde er besser.

Vor allem hatte er nach fast einem halben Jahr verstanden, dass ich es gut mit ihm meinte. Jetzt hasste er mich nicht mehr so sehr. Nur dann, wenn er wieder einmal auf den Boden gelandet war. Ich war fest davon überzeugt, schweiften meine Gedanken ab, dass er einmal ein sehr guter Teamleiter werden würde. Ich zwang mich zurück, aus den Gedanken, zu meinen Auftrag.

"Sir, es ist jetzt kurz nach 14 Uhr, Sir. Ich lege mich bis 19 Uhr hin, Sir. Bitte wecken sie mich, Sir. Ich brauche einfach noch etwas Ruhe. So kann ich einfach nicht arbeiten, Sir. Außerdem, sehe ich nachts besser, und habe mehr Ruhe, Sir. Anschließend gehe ich duschen, dann mache ich eine viertel Stunde Taiji, im Anschluss vier Zyklen Fobnekotar, Sir. Dann Pille eine Stunde Training mit dir. Um 23 Uhr, würde ich, wenn möglich dreihundert Gramm Brei haben wollen, Sir. Dann bringt mich der Genosse Brando zum Alexanderplatz, Sir. Ich sehe mich da erst einmal um, Sir. Mal sehen ob ich schon etwas finde, Sir. Ich brauche ein Funkgerät und ein Peilsender und genügend Akkus. Wie weit können sie mich empfangen, wenn ich in Berlin unterwegs bin, Sir?"

Der Oberst lächelte mir zu. Diese Arbeitsweise kannte er von mir. Er wackelte unschlüssig mit dem Kopf.

"Lyn, das ist unterschiedlich und schwer zu sagen. Innerhalb von Berlin ständig. Nur sobald du außerhalb der Stadt bist, denke ich nicht weiter als zwanzig Kilometer."

Also war es wie immer, ging es mir durch den Kopf. "Sir, ich bespreche meine Vorgehensweise, wie immer mit dem Genossen Brando im Heli ab, Sir. Das kommt darauf an, was ich vorfinde, Sir. Machen sie sich keine Sorgen, wenn sie ein oder zwei Tag nichts von mir hören, Sir. Ich muss erst einmal Spuren finden, Sir. Ich mache mit dem Genossen Brando jeweils einen Treffpunkte und eine Uhrzeiten aus, wo er mich finden kann, Sir. Sollte sich irgendetwas ändern in der Zeit und neue Informationen kommen, sagen sie mir einfach dann Bescheid, Sir. Ach, bevor ich los gehe, möchte ich aber noch mit den Eltern der Kinder sprechen, Sir. Können sie das organisieren, Sir?"

"Lyn, willst du gleich um 19 Uhr telefonieren oder erst nach 23 Uhr?"

"Sir, vor 19 Uhr, wecken sie mich um 18 Uhr 30, Sir", antworte ich kurz entschlossen und wandte mich an Doko.

"Doko, kannst du mir beim Schlafen helfen, bitte Doko", bat ich ihn ängstlich und sah flehentlich an.

"Natürlich meine Mädchen. Willy, wo kann Lyn in Ruhe etwas schlafen?"

"Fritz, hinten in der Umkleide haben wir Matten liegen, Lyn, suche dir eine aus."

Erleichtert stand ich auf und ging in die gezeigte Richtung, gefolgt vom Doko. Legte mich in die hinterste Ecke, der Tür gegenüber. Doko setzte sich neben mich und zog mich einfach in den Arm. Keine Minute später schlief ich tief und vor allem ruhig. Doko legte mich auf die Matte und blieb noch eine Weile neben mir sitzen und beobachtete meinen Schlaf. Als er der Meinung war, dass ich ruhig und erholsam schlief, stand er auf, um vorn noch einmal mit den Männern zu sprechen.

 

Der Arzt rieb sich abgespannt den Nacken und lief auf die am Tisch sitzenden Männer zu. Fleischer drehte sich zu ihm um.

"Fritz, schläft sie?"

"Ich hoffe es sehr." Jacob war sich nicht ganz sicher und zuckte mit den Schultern. "Willy, ich bin mir bei Lyn, im Moment bei gar nichts mehr sicher. Normalerweise würde ich sagen ja."

Fleischer schüttelte den Kopf. "Verdammt Fritz, was ist da bloß passiert. So war die Kleine ja nicht mal drauf, als sie das erste Mal hier war. Damals war sie schwer verletzt."

Verzweifelt stützte Jacob den Kopf auf die Hände und starrte lange grübelnd auf den Tisch. "Willy, ich glaube die Kinder und vor allem Lyn, gehen langsam aber sicher psychisch, an dem Erlebten und diesem ständigen Horror kaputt", sprach er zu der Tischplatte, hob dann müde den Kopf.

"Du kannst dir nicht vorstellen, was die letzten sechs Wochen im Projekt los war. Oberst Melker erzählte mir, kurz nach dem Start des Fliegers in Rumänien, ging Mayer vor zu den Kindern und kam aber kaum zwei Minuten später wieder zurück, wutentbrannt. Schimpfte wie wild auf Lyn, er würde sich das nicht gefallen lassen. Diese Kröte würde, etwas erleben, wenn sie im Projekt wären. Kaum fünfundvierzig Minuten später, rief Lyn Melker über das Bordtelefon an und bat um Hilfe. Als er hinter kam, lagen alle Kinder zusammengerollt auf den Sitzen. Die meisten von ihnen bluteten, wie Lyn aus den Augen, den Ohren, der Nase und den Mund. Bei Lyn blutete sogar die Haut. Sie bat ihn, mir zu sagen, dass sie allen das N47 und das G24 gespritzt hat. Den Genblocker, den wir niemals verwenden wollten und nur für den Notfall entwickelt hatten. Sie sagte ihm, dass er sobald es hier hinten laut werden würde, sofort landen müsste. Sonst würde es eine Katastrophe geben, sie weiß nicht, wie lange sie ihre Kameraden noch ruhig halten kann", völlig verzweifelt rieb Jacob sich das Gesicht, man sah ihm die Qualen an, die er die letzten Wochen durchlebt hatte. "Willy, als die Kinder in der Schule ankamen, rannten sie förmlich in ihr Zimmer. Ließen sogar ihre Ausrüstung im Flugzeug zurück, sogar die Medi-Koffer. Das Schlimmste war, sie verriegelten die Tür ihres Raumes von innen. Kaum fünf Minuten später fingen wahrscheinlich alle an zu schreien. Wir sind dreizehn Tage lang nicht in den Raum gekommen und standen draußen vor der Tür. Hörten die Kinder drinnen schreien. Gosch, was du vorhin gehört hast, war leise dagegen. Selbst vorn in der Mensa, konnte man die Kinder noch wie am Spieß schreien hören. Willy, du kennst das Projekt, du weißt wie groß das ist. Erst am dreizehnten Tag hatte Lyn wahrscheinlich einen hellen Moment und bat die Notrufzentrale Hilfe zu schicken. Heiko rief mich entsetzt an. Fritz, ein Anruf aus der 6/blau, ich konnte nicht ein Wort verstehen, derjenige der angerufen hat war so leise und fing dann wieder an zu schreien. Wir liefen nach hinten, da wir gerade in der Mensa zum Mittag waren. Da lag Lyn zusammen gerollt unter dem herunterhängenden Telefon, in tiefer Bewusstlosigkeit. Wir untersuchten die Kinder. Willy, das erste Mal seit dem ich Lyn kenne, hat sie ihre Kameraden nicht notversorgt. Alle Verletzungen waren ohne ärztliche Versorgung geblieben. Etwas, was ich noch nie erlebt habe, in den letzten fünf Jahren. Was noch schlimmer war. Vier von Lyns Leuten lagen tot in ihren Betten. Haben einfach aufgegeben und nicht mehr gegen das hohe…"

Jacob wurde durch einen markerschütternden Schrei unterbrochen. Alle sahen Jacob entsetzt an. Der Doko der Kinder sprang auf und lief nach hinten zu Lyn. Der Oberst und seine Männer folgten ihm. Rotfleckig im Gesicht lag Lyn, sich vor Schmerzen krümmend auf der Matte. Jacob drehte sich zu den Männern um.

"Bringt mir meine Taschen, schnell", rief er ihnen zu und versuchte das krampfende Mädchen zu beruhigen. Schreiend wandte sie sich in seinen Armen. "Verdammt, wäre ich nur bei ihr geblieben", im dem Moment brachte Walter die Tasche des Arztes.

Jacob maß die Vitalwerte und erschrak. Blutdruck und Puls, 295/205, Temperatur 59,4 °C. So hoch wie vor einigen Tagen in der Schule.

"Jungs, ich brauche eure Hilfe. Ihr müsst Lyn bändigen. Ich muss ihr einen Tropf geben. Vor allem etwas zur Beruhigung spritzen. Sie stirbt mir sonst."

Pille und Walter liefen zu Jacob, der ihnen die schreiende und um sich schlagende Lyn in die Arme drückte. Die zwei gut durchtrainierten Männer, schafften es kaum, das völlig panische Mädchen zu bändigen. Die sich wie ein Aal aus ihren Armen und deren Umklammerung winden wollte und wie am Spieß schrie. Schreie die noch keiner der Männer gehört hatte. Pille hielt ihren Kopf auf die Matte gedrückt, Walter legte sich mit seinem gesamten Gewicht, auf das sich mit allen Kräften wehrende Mädchen zu fixieren. Entsetzt sahen die anderen, den drei Männern zu. Jacob zog das N91 hochdosiert auf und bereitete eine Infusionsnadel vor, stach diese in die Halsschlagader. Verabreichte Lyn fünf Einheiten des N91, was die maximale Dosierung war und langsam beruhigte sich das Mädchen etwas. Endlich konnte Jacob den Tropf mit N97 anhängen. Nach zwanzig Minuten Kampf, hatte sich das krampfende Mädchen wieder beruhigt, die Fieberflecken verblassten. Die Schreie hörten endlich auf. Nur das Rasseln ihres Atems, zeigte noch, dass sie gerade, gegen alles und jeden, um sich herum gekämpft hatte. Nach einer weiteren Minute, war auch die Atmung ruhig. Die drei Männer waren in Schweiß gebadet, als wenn sie unter der Dusche hervor gekommen wären. Lyn dagegen schlief jetzt ruhig.

"Willy, bitte, es muss immer einer bei Lyn liegen bleiben. Es geht nicht anders. Ich dachte sie hätte es geschafft. Verdammt ich hätte sie nicht allein lassen dürfen", sich schwere Vorwürfe machend, untersuchte Jacob sein kleines Mädchen nochmal. Die Vitalwerte waren wieder besser. Blutdruck und Puls 125/ 110 und die Temperatur 54,9 °C. Er hatte es gerade noch einmal geschafft. Langsam beruhigte sich auch Jacob wieder.

"Karl, lege dich zu Lyn. Wir lösen dich dann gleich ab. Wenn sie unruhig wird rufe. Wir lassen die Tür offen", ordnete Fleischer an.

Karl legte sich hinter Lyn, die sobald sie losgelassen wurde, schon wieder unruhig schlief und streichelte dem Mädchen das schweißnasse Gesicht.

"Die anderen raus hier. Lassen wir Lyn etwas schlafen."

Sofort zogen sich alle zurück und gingen nach vorn in die Halle. Pille und Walter holten sich ein Handtuch und brachten Jacob auch eins mit.

"Verdammt nochmal, was ist los mit ihr?", wollte Pille jetzt wissen, was mit dem Mädchen los war. Dass ihm schon so oft verprügelt hatte und dass ihm lieb war, wie eine kleine Schwester. Er reichte Jacob ein Handtuch und dieser trocknete sich erst einmal das Gesicht ab.

"Ich weiß es nicht Pille. Ich vermute mit dem Schlaf, kommen die Träume. Das war im Januar, bei Lyn schon mal so schlimm. Dass sie nur schlafen konnte, wenn jemand bei ihr lag. Sie jemand beschützte. Aber damals, hatte sie nicht jedes Mal so hohes Fieber bekommen."

Tom einer der Neuen in der Soko, schüttelte den Kopf und wandte sich an Jacob. "Genosse Ja…"

"Sag einfach Fritz, wie alle anderen hier oder Doko. Das heißt in der Sprache der Kinder, lieber Doktor", unterbrach ihn Jacob einfach, dem diese offiziellen Anreden einfach nur nervten.

"Also Fritz, wie soll dieses Mädchen arbeiten, so krank wie sie ist. Das ist doch unverantwortlich, was du da machst."

Jacob nickte. "Wie heißt du?"

"Entschuldige, Thomas Fünfstück, aber ich werde nur Tom gerufen."

"Tom, du hast recht. Dich und jeden anderen hier im Raum, würde ich unter solchen Umständen auch krankschreiben. Bei Lyn ist das komplizierter. Sie weiß jetzt, um was es geht. Versuche Lyn dann mal von der Arbeit abzuhalten. Dann bekommst du solche Prügel, wie vorhin der Oberst. Wenn Lyn einen Auftrag übernommen hat, führt sie diesen bis zum bitteren Ende aus. Ein Auftrag Tom, ist bei Lyn erst zu Ende, wenn all Geiselnehmer oder weiß der Teufel wer, festgesetzt sind. Frage deinen Oberst, der hat das schon einige Male erlebt. Lyn arbeitet noch mit fünf Kugeln in der Lunge. Du würdest es ihr nicht ansehen. Erst wenn der Einsatz beendet ist, kommt sie und bittet um Hilfe."

Fleischer nickte, Tom zu. "Es ist wahr, was Fritz erzählt. Keiner von uns könnte arbeiten. Lyn schaltet das komplett aus. Nur wenn sie zur Ruhe kommt, wie eben, dann holt sie das Grauen wieder ein. Fritz, was war mit den vier Kindern?", wollte Fleischer nun endlich wissen.

"Ich habe die vier Toten untersucht, weil ich keinen Rat mehr wusste. Die sind am Fieber gestorben, das steht jetzt fest. Die Verletzungen die Kinder hatten waren zwar schwer, aber nicht die Todesursache. Die Kinder sind schlafen gegangen, Willy. Sie wollten einfach nicht mehr leben. Ich glaube nicht einmal, dass Lyn schon weiß, dass vier ihrer Freunde tot sind. Ich weiß gar nicht wie ich ihr das beibringen soll. Das hat sie vorhin gar nicht registrieren können. Ich habe so eine Angst, dass noch mehr diesen Weg gehen. Deshalb habe ich Lyn ja von den Kindern erzählt, weil ich oft denke, das Lyn erst gesund wird, wenn sie wieder eine Aufgabe hat. Die anderen aber erst gesund werden, wenn sich Lyn auf dem Weg der Besserung befindet."

Fleischer nickte. "Ja, ich denke du hast Recht, mit dem, was du sagst. Fritz, aber das erklärt nicht, was in Rumänien passiert ist."

Jacob zuckte mit den Schultern. "Das weiß ich, Willy. Aber wir haben keinerlei Ansatzpunkte. Wenn ich eins der Kinder gefragt habe, als es bei Bewusstsein war. Zog es sich sofort zurück oder was noch schlimmer war, fing sofort wieder an zu schreien. Die Schreie die ihr gerade gehört habt, hören wir jetzt seit über sechs Wochen im Projekt. Tag und Nacht. Es schreien nicht mehr alle Kinder. Oft sind es aber sechs oder sieben auf einmal. Wenn wir dachten, nach Prag wären wir durch die Hölle gegangen, da haben wir uns geirrt. Das was wir zurzeit erleben, ist noch um vieles schlimmer. Damals wussten wir wenigstens, warum die Kinder so fertig sind. Diesmal haben wir absolut keine Ahnung", lange rieb sich Jacob das müde Gesicht.

"Sag mal Fritz, wann hast du das letzte Mal geschlafen?" Laut lachte Jacob.

"Du meinst so richtig geschlafen, in einem Bett? Keine Ahnung Willy, vor sechs Wochen. Bevor wir losgeflogen sind, anderthalb Stunden in der Badewanne. Davor einige Male, eine Stunde auf dem Labortisch. Ich bin einfach nicht zum Schlafen gekommen. Aber, wenn die Kleine dann weg ist, lege ich mich ein paar Stunden hin. Die schickt Gosch und mich dann sowieso wieder hier her."

Fleischer nickte, das hat er sich fast gedacht, Jacob sah auch nicht viel besser aus als Lyn. Blass mit tiefen Augenringen.

"Fritz, lege dich hinter zu Lyn, ich wecke dich um 18 Uhr 30. Bis dahin kannst du sowieso nichts machen."

Dankbar stand Jacob auf und ging nach hinten. Als erstes kontrollierte der Arzt noch einmal Lyns Vitalwerte. Die waren, mit 85/ 55 und 42,4 °C, alle im grünen Bereich. Vorsichtig zog er den Tropf ab und schickte Karl nach vorn. Jacob legte sich vor Lyn und zog diese in seine Arme. Kaum lag das Mädchen in seinem Armen, atmete sie ganz anders. 'Du erkennst uns also, selbst wenn du schläfst', ging es Jacob noch durch den Kopf. Im gleichen Atemzug schlief er selbst, tief und fest.

 

Kurz vor halb Sieben wurde ich von alleine munter. Drehte meinen Kopf etwas, um zu sehen wer hinter mir lag. Doko lag neben mir und schlief. Durch meine Bewegung, wurde er sofort munter.

"Na Lyn, geht es dir wieder besser? Was war denn vorhin los?", wollte er halb verschlafen von mir wissen.

Ich überlegte, was los gewesen sein sollte, wusste es aber nicht. "Doko, ich weiß nicht, was du meinst, Doko. Ich habe doch nur geschlafen, Doko."

Traurig sah Doko mich an. ‚Du weißt es also gar nicht. Das ist nicht gut, mein Mädchen‘, ging es Jacob durch den Kopf. Laut sagte er allerdings.

"Du warst wieder hochfiebrig, Lyn. Wir konnten dich kaum bändigen. Aber du siehst jetzt besser aus. Hast du dich etwas erholen können? Wie geht es dir, sei bitte mal ganz offen."

Lange musterte mich der Doko, weil ich nicht antworte. Ich überlegte, warum ich nicht wusste, dass ich wieder Fieber hatte. Dann musste es sehr hoch gewesen sein. Ich checkte meinen Körper durch. Jetzt war alles in Ordnung, Puls, Blutdruck, Enzyme, selbst das Fieber, war in im Normalbereich.

"Redest du nicht mehr mit mir, Lyn?", wollte Doko wissen.

"Doch Doko, ich habe mich nur gerade durchgecheckt. Es ist alle in Ordnung. Ich weiß nicht, was vorhin los war, Doko. Es macht mir Angst, wenn ich nicht weiß, was mit mir passiert."

Jacob streichelte mir das Gesicht. "Ist nicht schlimm, Lyn. Du hattest verdammt hohes Fieber. Hast bestimmt schlimm geträumt, mein Mädchen. Na komm, es ist Zeit zum Aufstehen."

Ich sprang auf und half meinem Doko auf die Beine. Verdammt mir tat jeder einzelne Muskel weh. Doko hatte recht, ich musste sehr hohes Fieber gehabt haben. Durch meinen Körper liefen immer noch Wellen von Krämpfen. Das würde sich dann allerdings bald geben und nach dem Duschen schnell es besser werden. Gemeinsam mit Doko liefen wir hinaus in die Halle. Dort ging ich sofort auf Oberst Fleischer zu.

"Sir, könnten sie mir jetzt eine Verbindung zu den Eltern der Kinder machen, Sir?"

Der Oberst stand auf und nahm mich um die Schulter. "Na, geht es wieder, Lyn. Du hast uns vorhin ganz schön erschreckt."

Verlegen schielte ich zu ihm hoch. "Sir, tut mir leid, Sir. Das wollte ich nicht, Sir. Mir geht es einigermaßen, Sir."

Der Oberst wuschelte mir durch die Haare, so wie er es oft machte. Ging zum Telefon und wählte eine Nummer.

"Oberst Fleischer, von der Soko Tiranus am Apparat. Herr Ortega, ich reiche sie einmal weiter an meine Kollegin, die auf Spurensuche spezialisiert ist. Wir haben sie für die Suche nach ihren Kindern extra angefordert. Die Kollegin möchte sich kurz mit ihnen unterhalten, sie bräuchte noch einige Informationen von ihnen. Herr Ortega die Soko Tiranus, sucht parallel zu der Soko Alexanderplatz nach ihren Kindern. Damit wir ihre Kinder endlich finden", nach kurzem Schweigen reichte mir der Oberst den Hörer.

Ordnungsgemäße stellte ich mich vor. "Sir, 98 am Apparat, Sir. Können sie mir bitte einiges über ihre Kinder erzählen, Sir. Gewohnheiten, Eigenarten, Vorlieben, Sir", mein Gegenüber, reagierte völlig anders, als ich es erwartet hätte.

"Wollen sie mich ärgern? Was ist das für ein Name 98? Wenn sie sich auf meine Kosten einen Scherz erlauben, bekommen sie großen Ärger", im gleichen Atemzug legte er auf.

Verwundert sah ich den Oberst an und hielt ihm den Hörer hin, in dem es nur "Tut ... tut ... tut" machte.

"Sir, was soll das, Sir? Wieso soll das ein Spaß sein, Sir? Mit solchen Angelegenheiten scherzt man doch nicht, Sir. Was habe ich falsch gemacht, Sir?", verwirrt blickte ich den Oberst an.

Der lächelte mir entschuldigend zu. "Lyn, es ist nicht deine Schuld. Warte ich rufe noch einmal an. Wir müssen mal mit euren Oberstleutnant reden, dass ihr endlich richtige Namen, bekommt, Lyn. So kann man nicht arbeiten. Dann passiert so etwas auch nicht mehr", gleichzeitig wählte er wieder die Nummer.

"Herr Ortega, bitte hören sie zu, bevor sie wieder auflegen. Entschuldigen sie, darf ich ihnen kurz etwas erklären. Ich denke manchmal nicht daran, dass die Kollegin keinen normalen Namen hat. Vor allem, das andere mit diesen Zahlen nicht umgehen können. Die Kollegin kommt von einer Spezialeinheit, dort werden alle nur mit Zahlen angesprochen. Die Kollegin trägt die Nummer 98. Tut mir leid, das ist dort üblich. Uns gefällt das auch nicht, allerdings können die Kollegen das nicht ändern und vor allem nichts dafür. Das ist wirklich kein Spaß. Die Kollegin 98 ist das Beste, was ihren Kindern passieren kann. Wenn jemand noch eine Chance hat ihre Kinder zu finden, dann ist es diese Kollegin. Deshalb habe ich sie extra angefordert", wieder schweigt der Oberst eine Weile. "Herr Ortega, wir konnten die Kollegin nicht eher holen. Da diese erst jetzt wieder verfügbar wurde. Ich gebe sie ihnen, vertrauen sie dem Mädel einfach. Sie hat schon Geiseln gefunden, die man lange für tot erklärt hatte", wieder hörte er Herrn Ortega zu. "Ja, da gebe ich ihnen Recht. Nein, die Kollegin ist bestimmt nicht böse, weil sie aufgelegt haben. Wir haben nur eben nicht so weit gedacht."

Oberst Fleischer hielt mir nochmals den Hörer hin. "So meine Mädchen, jetzt hört er dir zu."

Also nahm ich mit gemischten Gefühlen den Hörer wieder in die Hand. "Sir, hier ist noch einmal 98, Sir. Könnten sie mir bitte meine Fragen beantworten, Sir."

Herr Ortega war auf einmal viel freundlicher zu mir, als vor einigen Minuten. "Tut mir leid junge Frau. Ich dachte gerade, das wäre ein übler Scherz."

"Sir, mit sowas scherzt man nicht, Sir. So etwas würde ich nie tun, Sir. Ich kann aber nichts für meinen Namen, Sir. Ich werde mein Leben lang schon so gerufen, Sir. Aber, wenn es ihnen nicht gefällt, Sir, meine Freunde nennen mich Lyn, Sir. so können sie mich auch nennen, Sir. Sie könne auch ruhig du zu mir sagen, Sir", versuchte ich etwas Vertrauen aufzubauen.

"In Ordnung Lyn. Ich kann dir aber nicht viel zu deinen Fragen sagen. Eigenarten, was verstehst du darunter?"

Wie sollte ich ihm das auf die Schnell erklären? "Sir, wenn ihre Kinder zum Beispiel bestimmte Besonderheiten haben, bestimmte Angewohnheiten oder Merkmale haben, die andere Kinder nicht haben, Sir. Wie ich ihre Kinder schon von weiten erkennen könnte, Sir. Das laufen über den großen Zeh, humpeln, zum Beispiel oder bestimmte Bewegungen die jemand macht, Sir. Eine bestimmt Frisur, Sir, oder Bestimmte Kleidung, Sir."

Jetzt hörte ich ein erleichtertes Aufatmen, mein Gesprächspartner wusste jetzt, was ich meinte.

"Lyn, beide Kinder trugen als sie nach Berlin fuhren, traditionelle Kleidung, Keynia einen roten Kaftan, mit vielen Blumen drauf, Conrad einen braune Hose mit einem beigen Hemd, im traditionellen Schnitt. Darüber einen Poncho aus Sarape, wie es bei uns in Mexiko üblich ist. Beide haben fast hüftlanges lockiges schwarzes Haar. Conrad trug einen Hut. Keynia ein Stirnband und viele Ketten und Armbänder. Du musst wissen, sie hatten sich fein gemacht, für ihren Ausflug", schwer hörte ich Herr Ortega atmen, man merkte ihn an, wie ihn das Sprechen darüber fertig machte. "Conrad hätte nie zu gelassen, dass seiner kleinen Schwester etwas passiert. Beide sind gern in Parks unterwegs. Sie beobachten gern die Tiere. Wir vermuteten erst, dass sie in den Zoo gegangen sind und einfach die Zeit vergessen hatten. Deshalb machten wir uns auch nicht gleich Sorgen. Aber, als sie dann nachts nicht nach Hause kamen, haben wir die Polizei angerufen. Keynia hat eine dumme Angewohnheit, sie wirft mit einer Drehung des Kopfes, nach rechts, ihre Haare zurück, Conrad fuhr sich immer mit beiden Händen durch die Haare, oft trägt er sie auch als Pferdeschwanz, in dem er einfach sich mit zwei Strähnen, die Haare zusammenbindet. Mehr fällt mir jetzt nicht ein."

"Sir, danke, da sind schon einige wichtige Sachen dabei, an denen ich ihre Kinder erkennen könnte, Sir. Könnten sie eventuell der Soko Tiranus Bilder schicken, damit ich weiß wie ihre Kinder genau aussehen, Sir? Ich fange erst einmal so mit der Spurensuche an. In den nächsten Stunden bräuchte ich dann aber die Bilder, Sir. Darf ich offen mit ihnen sprechen, Sir?"

Ortega sagte etwas in einer Sprache die ich nicht verstand. Dann sprach er wieder mit mir. "Lyn, meine Frau sucht Bilder heraus. Wo soll ich diese hinbringen? Natürlich kannst sie offen mit mir reden Lyn."

"Sir, ich will ihnen keine falschen Hoffnungen machen. Deshalb will ich ehrlich zu ihnen sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich ihre Kinder nach vierzehn Tage noch lebend finde, ist mehr als nur gering, Sir. Aber ich verspreche ihnen eins, Sir. Das ich ihre Kinder finden werde und sie zu ihnen zurück bringen, Sir. Vor allem aber, dass ich die Verbrecher finde, die das ihren Kindern angetan haben und ihnen, Sir. So dass sie von ihren Kindern wenigstens Abschied nehmen können, Sir."

Ein Stöhnen war am anderen Ende der Leitung zu hören, dann hört man schweres atmen und im Anschluss tiefes Luftholen. Mit einer zittrigen Stimme sprach Herr Ortega noch mal zu mir, man spürte, wie viel Kraft ihm das kostete.

"Danke Lyn, das du so ehrlich bist."

Mir taten die Eltern so leid. Aber mehr konnte und wollte ich ihnen nicht versprechen. "Sir, sie müssen mir nicht danken, Sir. Aber ich will auch nicht, dass sie erst hoffen und dann umso enttäuschter sind, Sir. Ich werde mein Bestes geben, das verspreche ich ihnen, Sir. Ich halte immer mein Versprechen, ich finde ihre Kinder, Sir. Wegen der Bilder das müssen sie mit dem Genossen Oberst abklären, Sir. Ich kann ihnen nicht sagen, wo wir hier genau sind, Sir. Ich bin gerade erst angekommen, Sir. Auf Wiederhören, Sir", verabschiedete ich mich und hielt ich dem Oberst den Hörer hin.

Alles andere konnte der Oberst klären. Ich drehte mich zur Halle um und ging auf Pille zu. Dieser stand am anderen Ende der Halle. Da Pille mit dem Rücken zu mir stand, sich mit Walter unterhielt, nutzte ich diesen Moment, wie schon so oft für eine kleine Lektion. Wie stets, achtete Pille nicht auf sein Umfeld. Ich dachte so bei mir: ‚Selber schuld mein Freund. Da habe ich dich wieder einmal erwischt, Pille. Du lernst es aber auch nie.‘

Lautlos bewegte ich mich im Schatten und auf ihn zu. Blitzschnell griff nach seinem rechten Oberarm und drehte mich unter dem Arm durch, sodass ich vor ihm stand. Gleichzeitig griff ich zwischen seinen Beinen hindurch, um seinen rechten Oberschenkel und hob ihn so auf meine Schultern. Zog die linke Schulter nach unten und legte ihn so mit einem Schulterrad, einem Kata-Guruma, auf die Matte. Alles ging für Pille so schnell, dass er nicht einmal Zeit für eine Gegenreaktion hatte und nun verdutzt am Boden lag. Er wusste gar nicht, was mit ihm geschehen war. Jetzt drehte ich mich über ihn, kniete mich auf seine Brust und nahm seinen Kehlkopf in die Hand.

"Tod, Pille, du bist gerade wieder einmal mausetot."

Teilte ich ihm die Tatsache mit, dass er in einem Kampf jetzt gestorben wäre. Mein Freund lag völlig verwirrt am Boden und grübelte immer noch darüber nach, wie er hier runter gekommen war. Er war so perplex, dass er kein Wort sagen konnte.

"Verdammt Pille, du bist nirgends sicher. Schon mal gar nicht in einem Einsatz. Aber auch nicht zu Hause. Das habe ich dir schon so oft gesagt", begrüßte ich meinen Freund.

Die anderen sahen mich genauso verwirrt an. Endlich fing sich Pille wieder und bekam ein breites Grinsen ins Gesicht. Er schnappte sich mein Genick und zog mich zu sich herunter und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Erst dann hatte er sich wieder völlig im Griff und fand seine Worte und seine Sprache wieder.

"Verdammt Lyn, irgendwann bekomme ich noch einmal einen Herzinfarkt. Ich bin schon über Dreißig. Das kannst du doch nicht mit mir alten Mann machen. Musst du mich so erschrecken."

"Dann rette ich dich, Pille. Keine Angst, ich lasse dich nicht sterben", beruhigte ich ihn mit ernster Miene, weil ich das ja auch so meinte.

Verstand wieder einmal überhaupt nicht, wieso die anderen plötzlich anfingen schallend zu lachen. Ich hielt ihm die Hand hin und er ließ sich aufhelfen. Kaum, dass er wieder auf den Füßen stand, zog er mich in seine Arme.

"Hallo Kleines, jetzt bist du wirklich da. Mir hatte vorhin wirklich etwas gefehlt. Verdammt, ich habe dich nicht kommen hören. Du warst doch gerade noch am telefonieren", mit dem Kopf schüttelnd sah er mich an.

"Pille, mich hört man nicht, wenn ich das nicht will. Wenn ich der Feind wäre, dann wärst du jetzt mausetot."

Pille fing schallend an zu lachen. "Lyn, hier ist kein Feind. Ich bin umgeben von Freunden."

Jetzt schüttelte ich den Kopf und wurde böse. "Pille, wie oft soll ich dir noch sagen, der Angriff kann von überall kommen. Man darf niemals seine eigene Sicherheit vernachlässigen. Nicht einmal zu Hause. Selbst dort kann man dich überraschen. Warum glaubst du mir das immer noch nicht? Du wärst nicht der erste Polizist, der zu Hause von einem rachsüchtigen Verbrecher, aufgesucht wird und stirbt. Verdammt, ich will doch nur erreichen, dass du auf dich aufpasst. Du sollst doch nur deine Abwehr anlassen. Ich habe dich ohne jegliche Gegenwehr gelegt. Wann kapierst du das endlich?"

"Komm mal her meine Kleine", im gleichen Moment hob er mich hoch, auf seine Hüften. "Weißt du, es ist so lieb von dir, dass du Angst um mich hast. Aber wir leben nicht in deiner Schule. Hier greift uns niemand an."

Wütend schüttelte ich den Kopf. "Pille, darum geht es überhaupt nicht. Es geht darum, dass du endlich lernst, deine Reflexe immer auf Alarm zu haben. Nicht nur in Gefahrensituationen. Das kann lebensrettend sein. Es verlangt niemand von dir, dass du immer hundert Prozent auf Gegenwehr programmiert bist. Das kannst du gar nicht können. Dazu müsstest du, wie ich aufgewachsen sein. Allerdings hast du nicht einmal versucht dich zu verteidigen. Dieser Reflexe des Verteidigens, musst du immer zu hundert Prozent an haben. Das kann dir einmal das Leben retten", mit schief gehaltenem Kopf sah ich ihn an.

Er nickte. Endlich hatte Pille begriff, was ich meinte. "Lyn, ich denke darüber nach. Versprochen."

Lange musterte ich ihn. Diesmal glaube ich es ihm, man sah es an seinen Augen. "Lass mich runder Pille. Ich will Duschen. Mir tut alles weh."

Lieb streichelte mir Pille das Gesicht. "Komm ich zeige dir, wo die Dusche ist."

Pille trug mich auf seinen Hüften in Richtung Duschen. Ich ließ es geschehen, weil ich wusste, dass Pille das gerade jetzt brauchte. Diese Nähe und das Gefühl, dass er für mich etwas Gutes tun konnte. Immer noch wurde er wütend, wenn ich ihn, so wie eben, einfach legte. Er konnte einfach nicht glauben, dass ich kleine Zwecke, gegen ihn ankam. Immerhin war er fast dreißig Zentimeter größer als ich. Deshalb hielt ich mich, wie ein Klammeraffe an ihm fest und ließ mich, obwohl ich hätte laufen können, in die Dusche tragen. Es tat uns beiden gut. Ungläubig sahen die anderen uns hinterher.

"Ach Lyn, es ist schön, dass du wieder da bist. Aber irgendwann, erwische ich dich mal auf den falschen Fuß", erklärte er mir, als wir die Duschen erreicht hatten.

"Klar, irgendwann bestimmt", bestätigte ich ihm und gab Pille einen Kuss auf die Stirn.

"Lass mich runter oder wollen wir zusammen duschen?", erkundigte ich bei ihm lachend.

"Nein Lyn, ich hab grad geduscht", er stellte mich auf meine Beine und zog sich zurück.

Lange stand ich unter der Dusche und genoss einfach das heiße Wasser. Langsam ließen auch die Krämpfe nach. Ich wusch mich und ging so nass wie ich war, nach vorn zu meinem Medi-Koffer und cremte ich noch einmal ein. Fertig damit, zog ich die Turnhose und das Bustier wieder an. Die anderen Sachen, die ich mit nach vorn gebracht hatte, hängte ich ordentlich auf meinen Stuhl. Ich lief nach hinten in die Halle, um in das Taiji zu gehen, im Anschluss machte ich einige Zyklen Fobnekotar. Nach reichlich zwei Stunden war ich mit meinem Training fertig und drehte mich suchend nach Pille um.

"Pille kommst du?", rief ich ihn, um auch noch etwas mit ihm zu trainieren.

Selten hatten wir wirklich Zeit, um intensiv zu trainieren. Meistens lief Pilles Training nur nebenher. Oft musste ich jede Minute die ich zwischendurch fand, dazu nutzen. Meistens blieben mir bei einem Einsatz in der Soko nur solch kleine Lektionen wie die von vorhin oder halt die Zeit, die ich mir oft vom Schlaf abknapste. Pille stand schon in Trainingssachen bereit und hatte sich, wie es schien schon warm gemacht. Er war bereits jetzt nass geschwitzt. Wir begannen mit einigen Fallübungen. Was mich sehr freute, war, dass auch einige der Neuen sich an dem Training beteiligten. Genau wie es die alten Hasen immer versuchten. Sie probierten genau das, was ich Pille erklärte nachzumachen. Auch bei ihnen korrigierte ich die immer noch vorhanden Fehler. Ging im Anschluss zu einigen Wurfübungen über. Erklärte noch einmal die Handhabung des Schulterrades und zeigte allen, wie man aus dem Schulterrad, heraus das Blatt wenden konnte. In dem man seinen Gegner, mit seinen eigenen Schwung in eine unangenehme Lage brachte. In dem man blitzschnell, das Becken nach oben drehte und mit den Beinen, das Genick des Gegners umklammerte. Diesen damit aus dem Gleichgewicht brachte. Den Schwung des Gegners nutzend, in dem man eine Rolle nach hinten machte. Auf diese Weise, kam man schnell über den Gegner und konnte ihm aus dem Schwung heraus, durch eine Drehung im Arm auf den Bauch zwingen. Wenn man dann dem Gegner in die Augenhöhlen griff, konnte man diesen fest am Boden fixieren. In dem man die Schmerz- und Schrecksekunden nutzte und ihn dadurch, mit dem Knie, auf dem Boden drückte.

Alle zehn Männer von der Soko, versuchten mich mit dem Kata-Guruma zu legen. Alle zehn lagen innerhalb weniger Sekunden fixiert am Boden. Kopfschüttelnd standen sie auf. Sie konnten nicht begreifen, dass ich jedes Mal in der Lage war, mich daraus befreien. Da ich um einiges kleiner war, war es vor allem für die Neuen der Soko nicht nachzuvollziehen. Vor allem auch wesentlich leichter, zurzeit wog ich höchstens noch fünfundsechzig Kilo. Tom der erst seit zwei Wochen zu der Soko gehörte, sagte wohl das, was viele der Neuen dachten, alle nickten zu seinen Worten.

"Lyn, weißt du das du unfair bist. Das ist doch kein Judo mehr, was du da machst."

Mein Oberst kam zu mir und zog mich in seine Arme. "Ach Lyn, wie oft haben dir das meine Jungs schon gesagt. Darf ich mal für dich antworten. Ich habe den Satz jetzt schon so oft von dir gehört, ich möchte ihn auch mal sagen", bat er mich lachend, darum meine Worte verwenden zu dürfen.

Ich zuckte mit den Schultern. "Sir, warum nicht, Sir. Dann bin ich mir wenigstens sicher, dass sie das nächste Mal nicht wieder auf der Matte liegen, Sir. Heute hatten sie ja mal Glück, dass ich sie nicht legen durfte, Sir" gab ich ihm offen zur Antwort.

Da lachte der Oberst noch mehr und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Rippen. "Auwa, verdammt Lachen ist nicht gut. Aber recht hast du. Tja Jungs, so ist Lyn nun mal, immer ehrlich. Wenn ich ehrlich bin. Ich liege auch jedes Mal auf der Matte. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf", vorsichtig lachend, klopfte er mir auf die Schulter. "Tom, zu deinem Einwand, der Fairness. Ich werde das Training ab heute umbenennen, in *Lyns Überlebenstraining*. Judo ist eine Sportart, Tom. Was euch Lyn hier zeigt, ist eine Möglichkeit, wie ihr aus dem Schulterrad heraus, agieren könnt. Keiner der euch angreift, wird fair mit euch kämpfen. Oft wird es in unseren Einsätzen, ums Überleben gehen, Tom. Du hast noch keinen unserer schlimmen Einsätze erlebt. Aber das, was uns Lyn hier zeigt, hat uns schon einige Mal in ausweglosen Situationen, das Leben gerettet."

Ich nickte zu dem, was der Oberst erklärte und sah Tom ernst an. "Tom, es kommt nicht drauf an, dass du weißt, wie du jemanden zu Boden bekommst. Viel wichtiger ist es, dass du lernst wieder auf die Füße zu kommen. Du musst lernen umzudenken. Du darfst im Kampf, die Kontrolle nie den anderen überlassen. Die Kontrolle, Tom, gehört nur dir alleine. Wenn du das begriffen hast, wirst du immer überleben. Wenn du die Kontrolle hast, kommst gar nicht erst auf den Boden. Allerdings ihr könnt nur die Standartgriffe, deshalb liegt ihr immer unten auf dem Boden. Oft macht ihr die nicht einmal exakt und oft viel zu langsam. Deshalb will ich, dass ihr das, was ihr könnt richtig macht, wenn ihr nämlich richtig steht, holt euch keine von den Füßen."

Ich hielt den Kopf etwas schief und sah zu meinem Doko. "Doko, wie sieht es aus. Wollen wir einen kleinen Kampf machen. Ich tu dir auch nicht weh versprochen, Doko."

Doko fing an schallend zu lachen. "Na komm Lyn, spielen wir etwas. Mehr ist das ja nicht für dich."

Sofort begann sich mein Doko sich auszuziehen. In der Zwischenzeit erklärte der Oberst den Neuen der Soko, Jacobs Reaktion.

"Ihr müsst eins wissen, Fritz, trainiert immer mal mit Lyn. Er schon einige internationale Wettbewerbe im Karate und Judo gewonnen. Aber gegen Lyn…" Da winkte er ab, blickt lachend zu Doko, der lachend den Satz beendet. "… habe ich schon seit vier Jahren keine Chance mehr..."

Lachend schüttelte ich den Kopf.

"Was ist Lyn?", harkte er verwundert nach.

"Doko, bleib mal ehrlich, es sind schon fünf Jahre. Das letzte Mal als du mich auf die Matte gelegt hast, war ich elf Monate alt. Jetzt bin ich ungefähr sechseinhalb Jahre, Doko."

Ich lachte ihn an, auch wenn dass die anderen nicht sahen, mein Doko sah, dass ich mich gerade wegschmiss vor Lachen.

Doko grinste zurück. "Immer lache deinen alten Doko aus. Ich armer alter Doko. Aber du hast recht, es sind schon über fünf Jahre. Mein Gott, bist du alt geworden."

Nun musste er auch schallend lachen und hielt sich seinen nicht vorhandenen Bauch. Krampfhaft versuchte er sich wieder zu beruhigen.

"Aber Jungs glaubt mir eins, das, was Lyn mit uns macht, ist wirklich nur spielen. Was ihr gleich seht, ist Aufwärmtraining für sie. Wenn ihr nur einmal sehen würdet, wie die Kinder miteinander trainieren. Hilfe! Da würde euch Himmelangst und Bange werden."

Also begannen wir mit einigen Aufwärmübungen und einfachen Würfen. Nach zehn Minuten fingen wir unser kleines Match an. Doko, das musste ich zugeben, wurde immer besser. Auch, wenn ich ihn in nur wenigen Minuten auf der Matte hatte, hieß das nicht, dass er schlecht war. Es war nur so, dass wir so schnell reagieren konnten, dass normale Menschen einfach keine Chance bekamen, gegen uns anzukommen. Einige Male überraschte er mich schon mit seinen Aktionen, die mich wirklich forderten. Fast fünf Minuten spielte ich mit meinem Doko, wie er es immer nannte. Nach einem Blick auf die Uhr, die mir zeigte, dass es in fünf Minuten vor 23 Uhr war und auch, weil Doko schweißgebadet war, legte ich ihn auf die Matte. Wie so oft kam vom ihm, sobald er lag.

"Ach Manne, Lyn."

Schnell rappelt er sich auf und winkte ab. Sofort nahm Doko das Handtuch, das ihm der Oberst reichte und trocknete sich ab.

Ich lief zu meinem Platz, sah mich dabei um. Mein Blick suchte Walter, der hier der Koch war. Der war allerdings schon in der Kochecke verschwunden und machte meinen Brei. Also zog mich an, meine Waffen legte ich alle in eine Waffenkiste, die mir der Oberst reichte. Ich musste in einem zivilen Bereich auf Suche gehen, da würden die Waffen die Leute nur erschrecken. Nahm aber den Rucksack mit, in dem ich den Medi-Koffer, Schaufel und Spaten steckte. Aber auch einige Seile und vier Flaschen mit Wasser. Das einzige was ich an Waffen mitnahm, waren meine Messer, die ich unter dem Overall an Arm und Wadenhalftern trug. Dann zog ich noch ein Band über die Stirn, nicht um die Haare zurück zu halten, sondern um im Notfall einen Schutz für die Augen zu haben. Schon einige meiner Brillen, waren bei solchen Aktionen verloren gegangen.

Ich drehte mich zum Doko um, der sich wie die anderen erst einmal an den Tisch gesetzt hatte. "Doko, was hast du mir vorhin, wie viel und wann gespritzt?", wollte ich von ihm wissen. Da ich keinerlei Erinnerungen an das Geschehen im Schlafraum besaß.

"Lyn, ich habe dir fünf Einheiten von N91 gegeben und einen Tropf mit einem neuen Medikament N97. Du kannst in den nächsten zwölf Stunden nichts mehr spritzen. Bekommst du schon wieder Fieber." Er stand auf untersucht mich kurz. Verzweifelt rieb er sich den Nacken. "Lyn, so kannst du nicht arbeiten. Das geht absolut nicht. Du hast schon wieder hohes Fieber."

Ich winkte ab. "Doko, das Fieber ist nicht schlimm, das kann ich kontrollieren. Nur diese verdammten Schmerzen nicht. Ich bekomme schon wieder Kopfschmerzen. Mit allen anderen Dingen kann ich leben, aber mit den Kopfschmerzen kann ich nicht klar denken. Fällt dir nicht etwas ein, Doko? Ich habe keine Ahnung, was ich dagegen machen kann", mühsam bewegte ich meinen Körper, drehte meinen Kopf hin und her.

Doko wackelte mit dem Kopf. "Lyn, ist es schlimm, wenn du eine halbe Stunde später los gehst?"

Ich schüttelte den Kopf. "Nein Doko, wenn ich dadurch diese Kopfschmerzen los bekomme, ist das nicht schlimm."

Doko drehte sich zu Walter um, der hatte gerade den Brei fertig. Kurz entschlossen meinte Doko.

"Fasst mal die Bank und den Tisch mit an, wir stellen alles unter die Sprossenwand. Lyn, ich gebe dir noch einen Tropf, ich hoffe der hilft."

Dankbar sah ich zu ihm hin. Diese verdammten Kopfschmerzen, brachten mich noch um den Verstand. Schnell waren die Bänke und Tische an die Sprossenwand der Turnhalle geräumt. Ich setzte mich und bekam einen Tropf, den der Doko einfach an die Sprossenwand hängte, aber auch etwas zu essen. Genüsslich aß ich meinen Brei, nach fünf Minuten am Tropf, ließen meine Kopfschmerzen langsam nach. Dankbar sah ich zu Doko.

"Es hilft wohl?", fragte er mich.

Erleichtert nickte ich. "Danke Doko, du rettest mir gerade das Leben. Vor allem, hat das keine Nebenwirkung. Gegen was ist dieser Tropf, was ist das für ein Mittel?", erkundigte ich mich interessiert, was Doko da wieder einmal zusammengemischt hatte.

"Lyn, ihr habt alle über Wochen geschrien, wie am Spieß. Keines der Mittel die wir zusammen entwickelt haben, hat Linderung gebracht. Es war noch schlimmer als nach Prag gewesen. Doktor Zolger fand heraus, dass ein Enzym in eurem Körper gibt, das in die Höhe geschossen war. Er nennt es Epileptika, weil es einem Enzym ähnelt, das bei Epilepsie-Patienten erhöht auftritt. Daraufhin änderte er ein Antiepileptikum ab, was oft bei solchen Patienten eingesetzt wurde. Dieses Mittel wird unter anderem als Therapie bei neuralgischen Schmerzen eingesetzt, kommt aber auch zum Einsatz, bei der Behandlung manischer Depressionen. Auch enthält es ein ähnliches Präparat, wie das N91, aber wesentlich höher dossiert, gegen das Nervenfieber."

Verwirrt sah ich ihn an. Als er etwas sagen wollte, schüttelte ich den Kopf, zog die Beine auf die Bank und legte den Kopf auf die Knie. Wieder kam dieser ganze Mist hoch. Verdammt, warum konnte ich das nicht, wie sonst immer, verdrängen. Ich konzentrierte mich auf das, was mir der Doko gerade erklärt hatte, um mich abzulenken. Ging mein Wissen über Epilepsie durch. Er behielt in vielen Recht, die Symptome der Epilepsie trafen auf das, was wir in den vergangenen Wochen durch gemacht hatten zu. Auch, wenn nicht alles, konnte es sich um eine Abart der Epilepsie, die durch nervliche Überbelastung hervorgerufen wurde handeln. Dies würde auch erklären, warum vier meine Leute, einfach aufgegeben hatten. Sie wurden noch schlimmer von den Alpträumen gepeinigt, als wir anderen. Sie bekamen noch schlimmere Halluzinationen, als der Rest meines Teams. Ich wollte ihnen so gern helfen, aber ich konnte nicht. Ich hob meinen Kopf, sah meinen Doko mit schiefgehaltenen Kopf an.

"Doko, du hast Recht mit dem, was ihr da herausgefunden habt. Es könnte sich wirklich, um eine Art Epilepsie handeln. Bei uns ist ja einiges anders als bei euch. Das erklärt auch, warum Myrna, Aik, Dyani, und Gyasi nicht mehr leben wollten. Nichts hätte sie retten können, auch du nicht Doko. Sie wollten nicht mehr so weiter leben, schon lange nicht mehr."

Erschrocken sah mich Doko an. "Lyn, du weißt das die Vier tot sind. Ich wusste nicht, wie ich dir das beibringen sollte", traurig sah er mich an.

"Doko, natürlich weiß ich das. Ich bin verbunden mit meinen Leuten. Ich spüre ihre Schmerzen. Das weißt du doch Doko. Sie sind gestorben, kurz bevor du ins Zimmer gekommen bist. Ich hab ja versucht ihnen zu helfen, aber sie haben die Hilfe nicht zugelassen. Doko, ich konnte ihnen nicht helfen, wirklich nicht, sie waren viel zu sehr in der Halluzination gefangen. Nichts hätte sie mehr dort herausholen können. Ich glaube ich habe die Dosierung des G24 bei ihnen falsch gewählt. Damit habe ich ihren Verstand zerstört. In Kombination mit den N47 wirkt es katastrophal. Tut mir leid Doko, damals war alles außer Kontrolle."

Doko stand auf, kam zu mir und setzte sich zu mir auf die Bank, in dem er Tom bat aufzustehen. Hoffte im Stillen, dass er etwas über das, was in Rumänien passiert war, erfahren würde.

"Lyn, deine Leute sind nicht an der Dosis G24 gestorben. Sie wollten nicht mehr leben, sind einfach schlafen gegangen."

"Doko, das weiß ich doch. Aber durch das Spritzen von dem G24 und des N47, werden bei uns Halluzinationen ausgelöst. Das wusste ich vorher nicht. Das vermischt mit dem was…"

Tief holte ich Luft, kämpfte gegen diese verdammten Bilder, die in mir hochkamen an. Konnte dadurch nicht mehr weitersprechen, atmete tief durch, um mich wieder zu beruhigen. Ich konnte es mir nicht leisten, schon wieder durchzudrehen. Ich musste endlich los. Versuchte nach dem ich mich beruhigt hatte, so ruhig es ging weiter zusprechen.

"… mit dem, was wir erlebt hatten. Wir wussten zum Teil nicht mehr, wo wir waren, Doko. Das machte alles noch schlimmer und brachte uns an den Rand des Ertragbaren. Deshalb haben alle hohes Fieber. Aber ich musste uns das G24 spritzen, ich wusste mir nicht anders zu helfen, Doko. Ich konnte doch nicht zulassen, dass wir im Flieger unkontrollierbare Ginos loslassen, Doko. Was hätte ich sonst machen sollen, Doko? Sag es mir. Ich hatte allen schon das N47 gespritzt, aber es half nicht, gegen die Wut. Verstehst du, Doko, es hat einfach nicht geholfen."

Ich fing an zu weinen, weil ich mir die Schuld gab, an dem Tod der Vier. Auch, wenn ich wusste, dass es Quatsch war. Die Vier hatten schon lange keine Lust mehr gehabt zu leben. Doko zog mich in seine Arme.

"Lyn, du bist nicht schuld an deren Tod, wirklich nicht. Wenn du willst kannst du die Vier zu Hause selber noch einmal untersuchen. Du hast getan, was du tun musstest, um alle anderen zu schützen. Höre auf dir Vorwürfe zu machen. Komm mein Mädel, du bekommst schon wieder Fieber. Höre auf damit. Die beiden vermissten Kinder brauchen dich doch. Nur du kannst sie finden. Den Vieren kannst du nicht mehr helfen. Diesen beiden aber vielleicht doch."

Doko hat Recht, es nutzte nichts hier herumzusitzen und zu weinen. Das half niemand.

"Doko, du hast recht. Wie lange braucht der Tropf noch, Doko?", wollte ich wissen.

"Noch etwas zwanzig Minuten. Komm lehn dich an und nutze die Zeit, um noch etwas zu schlafen. Ich passe auf dich auf."

Ich rollte mich einfach auf der Bank und halb in Dokos Armen zusammen. Zwei Atemzüge später schlief ich noch einmal fast zwanzig Minuten. Kopfschüttelnd sahen sich die Männer an. Doko zuckte mit den Schultern. Der Oberst sah Doko an, sprach wohl aus, was alle dachten.

"Ich hatte so gehofft, dass sie erzählt, was los war. Wie es scheint kann sie darüber nicht reden. Fritz, was kann noch schlimmer sein, als das, was die Kinder in Prag erlebt hatten. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass es etwas Schlimmeres gibt."

"Willy, das kann ich dir nicht sagen. Aber, wenn man bedenkt, was Lyn und ihr Team, im letzten Jahr erlebt haben, das alles vermischt mit Halluzinationen. Dann reicht das glaube ich, dass wir alle wahnsinnig werden würden."

Pille der schon immer der Meinung war, dass man Lyn und ihre Kameraden, nicht mit so vielen schlimmen Sachen belasten sollte, dass man die Kinder nicht immer zu solchen Horroreinsätzen schicken sollten, sprach wieder einmal wütend dieses Thema an.

"Warum Fritz, lässt du immer noch zu, dass die Kleinen immer wieder, zu solchen Horroreinsätzen geschickt werden? Ich versteh dich da echt nicht."

Doko sah den besten Mann, von der Fleischertruppe lange traurig an. "Pille, glaubst du wirklich, dass ich darauf Einfluss habe? Ich kann nur das Ausbaden, was mir die Anderen einbrocken. Ich versuche seit über sieben Jahren die Kinder zu schützen. Aber ich habe genauso wenig Rechte, wie diese Kinder. Wenn ich etwas verhindern will, bekomme ich genauso Schläge, wie Lyn und ihre Kameraden. Dass ich keine Narben auf meinem Körper trage, genau wie ihre Kameraden, hängt nur damit zusammen, dass Lyn alles weg macht. Ich würde nicht so schlimm wie Lyn aussehen. Allerdings wäre mein Rücken genauso voller Narben. Sie sagt immer Narben entstellen den Menschen."

Entsetzt sahen die Männer der Soko, meinen Doko an.

"Der Mayer schlägt dich auch?", wollte der Oberst wissen.

Doko nickte. "Nicht nur einmal, hat er das gemacht. Sogar meine Frau bekommt Schläge von ihm ab, wie alle im Projekt. Vor einiger Zeit haben vier der Betreuer mich in einen Hinterhalt gelockt und dann niedergeschlagen. Als ich zu mir kam, hing ich am Gestell, genau wie sonst Lyn. Dann hat mich der feine Oberleutnant ausgepeitscht. Was denkt ihr, wieso Lyn immer sagt, man ist nirgends sicher, nicht einmal zu Hause. Die Kleine kennt doch nichts anderes. Lyn, ist damals total durch gedreht, sprang über die Mauer in den Hof, hat die Betreuer und den Oberstleutnant halb tot geschlagen. Das wagen die sich nie wieder. Lyn, hat mir seit dem verboten, noch etwas gegen diese Leute zu unternehmen. Sie sagte immer wieder. Doko wer soll uns helfen, uns beschützen, wenn du tot bist? Sie hat Recht, also versuchen wir im Projekt, im Stillen zu helfen, ohne dass der Oberstleutnant das mitbekommt oder die Betreuer. Dann müssen die Kinder das wenigstens nicht mehr ausbaden."

Ich wurde munter, weil Doko sich so aufregte und sah hoch zu ihm. "Was ist los Doko? Warum regst du dich so auf?"

Doko war erschrocken. "Tut mir leid, ich wollte dich nicht wecken, Lyn."

"Nicht schlimm, der Tropf ist sowieso schon durch, guck mal."

Ich zog einfach die Injektionsnadel aus der Halsschlagader heraus, nahm die leere Flasche und brachte sie in den Abfall. Fertig ging ich auf Gosch zu.

"Sir, können wir jetzt los, Sir?"

Gosch stand auf und sah den Oberst an.

"Fliegt los. Gosch, die Vorgehensweise sprichst du mit Lyn ab. Bei Unklarheiten meldest du dich über Funk."

"Geht klar, Willy. Bis später."

"Lyn, wenn es nicht geht, kommst du sofort zurück."

Ich nickte. "Sir, jawohl, Sir."

Sofort nahm ich meinen Rucksack auf und sah Gosch an. Mein Pilot lief zur Tür und ich folgte ihm. Dass ich, die neuen Leute aus der Soko verwirrt zurück ließ, bekam ich gar nicht mit. Das war mir ehrlich gesagt auch egal, ich wollte endlich anfangen die Kinder zu suchen. Genug Zeit hatte ich nun schon verschwendet.

Kapitel 7

Gosch folgte mir im schnellen Tempo Richtung Helikopter.

"Lyn, wie wollen wir vorgehen?", erkundigte sich mein Pilot wie immer nach meiner weiteren Vorgehensweise, wollte aber trotzdem einige andere Infos noch von mir. Da er wusste, dass ich im Beisein des Obersts nie über meinen wirklichen Gesundheitszustand sprechen würde. Ihm aber interessierte, was wirklich mit mir los war. "Ach und Kleines, sag mal wie geht es dir wirklich? Sag es mir mal offen und ehrlich der Oberst ist ja nicht da. Du weißt ich verrate dich nicht."

"Sir, mir…"

"Ach man Lyn, hatten wir uns nicht auf den Gosch und das du geeinigt?"

Ich nickte. Aber es war immer schwer für mich, mit den Leuten ohne das antrainierte und oft unbewusste "sie und Sir" zu reden. Vor allem dann, wenn sie im Rang weit über mir standen. Mein Pilot war Oberst und ich nur ein klitzekleiner und unbedeutender Leutnant. Bei Pille war das etwas einfacher, der hatte wie ich den Rang eines Leutnants, da fiel mir das wesentlich leichter. Verlegen sah ich zu Gosch hoch.

"Sir, das kann ich doch nicht einfach machen, Sir. Sie sind doch wie Oberst Fleischer ein Oberst, auch wenn sie nicht mein unmittelbarer Vorgesetzter sind, kann ich das nicht machen, Sir. Das verstößt gegen jegliche Grundordnungen, nach dem wir erzogen wurden, Sir", verzweifelt rieb ich mir das Genick.

"Lyn, bei Pille kannst du das doch auch. Der ist ebenfalls im Rang über dir, der ist doch auch Major."

Verwundert sah ich Gosch an. "Wie Pille ist Major? Seit wann das denn? Pille ist genau wie ich Leutnant", korrigierte ich Gosch ohne auf die Anstandsregeln zu achten, so verwirrt hatte mich mein Gegenüber, dass ich mit ihm wie mit meinen Freunden sprach. Ich war völlig durcheinander. Ich war mir absolut sicher, dass Pille den Rang eines Leutnants hatte.

Da fing mein Pilot laut an zu lachen. "Lyn, mein kleines Täubchen. Nicht jeder lehnt wie du, jede Beförderung ab. Pille ist schon fast zwei Jahren Major, also ungefähr zu der Zeit als ihr in Prag wart", klärte er mich auf.

Böse sah ich Gosch an, obwohl ich wusste, dass er nichts dafür konnte. "Warum hat mir Pille das noch nie gesagt. Der bekommt später eine Tracht Prügel, kannst du ihm ausrichten. Der kann etwas erleben, wenn ich zurück komme. Solche wichtigen Informationen kann er mir doch nicht einfach verheimlichen", richtig wütend wurde ich und sprach weiterhin, ohne auf die Etikette zu achten. Setzte Gosch aber sofort darüber in Kenntnis, dass er falsche Informationen über mich hatte. "Ich lehne Beförderungen nur dann ab, Gosch, wenn man mich kaufen will. Auch wenn ich mir den Major schon lange verdient habe. Ich lasse nicht zu, dass man mir bei einer Beförderung, Bedingungen stellt. So einfach ist das. Mir ist doch egal, was ich für einen Rang habe."

Gosch lachte jetzt schallend, über mich. "Na siehst du, du kannst sogar vernünftig mit einem Oberst reden, wenn du in Rage bist. Es geht also doch ohne SIE und SIR", wies er mich auf die Verletzung der höflichen Umgangsform hin und grinste von einem Ohr zum Anderen. "Ich muss dich wohl immer erst wütend machen, damit du den doofen Sir weglässt."

Irritiert sah ich ihn an, erst jetzt wurde mir bewusst, was ich gerade getan hatte. "Sir, ent…", wollte ich mich gerade bei dem Offizier entschuldigen, als mich Gosch unterbrach.

"Ach Täubchen, grad ging es doch auch ohne diesen doofen Sir, sogar mit einem Du. Mach einfach so weiter. Mir ist genau wie dir, schnurz wie piepe, was ich für einen Rang habe. Ich mag dich als Mensch, Täubchen. Wir passen aufeinander auf. Du auf mich und ich auf dich. Punkt und aus. Da brauchen wir das ‚sie und Sir‘ Zeugs überhaupt nicht."

Tief holte ich Luft. Na ja eigentlich hatte er recht. "Ich versuche es, Sir."

Gosch lächelt mich an. "Braves Täubchen. Also, wie wollen wir weiter vorgehen, Lyn?"

Gegen mein Widerstreben ankämpfend, beschloss ich dem Vorschlagen meines Piloten zu folgen. Gosch hatte irgendwo Recht, wir arbeiteten so eng und oft zusammen, dass das ganze Geziere einfach nur störend wirkte. Also ging ich schweren Herzens darauf ein und hoffte, dass es mir nicht schon wieder Ärger mit Mayer einbrachte. Die vertraute Umgangsform mit meinem Piloten, erleichterte die Zusammenarbeit ungemein. Vor allem schuf es Vertrauen, das ermöglichte eine bessere Zusammenarbeit mit dem Piloten und die war eine gute Basis, für unsere gemeinsame Arbeit.

Ich öffnete die hintere Tür des Helis und legte meinen Rucksack auf die Rückbank, dabei erklärte ich dem Piloten wie ich weiter vorgehen wollte.

"Gosch, ich würde gern als erstes eine Runde, um diesen Alexanderplatz fliegen. Wenn du dazu die Genehmigung bekommst, in maximal zwanzig Metern Höhe. Dann größer werdende Kreise, bist sagen wir erst einmal zehn Kilometer, die Abstände der Kreise aller fünfhundert Meter. Dann sehe ich vielleicht schon eine Spur, so wie wir es gemacht haben, bei der Suche in Oberwiesental. Weißt du, was ich meine?"

Gosch guckte skeptisch und wackelte unschlüssig mit dem Kopf, nickte dann aber. "Lyn, das muss ich mit der Flugsicherung absprechen. In zwanzig Metern Höhe, Lyn, das wird glaube ich nicht möglich sein. Ich weiß nicht, wie weit ich an den Alexanderplatzes heranfliegen darf und in welcher Höhe. Die meisten Häuser dort sind ja schon höher als zwanzig Meter. Das dauert einen Moment, ich regle das über den Oberst und gebe dir dann die nötigen Informationen", versuchte er mir zu erklären, worin das Problem bestand.

Gosch sah an meiner ganzen Haltung, dass ich nicht wusste warum meine geplante Vorgehensweise nicht funktionieren würde. Er setzte er sich die Kopfhörer auf und holte den Oberst an den Funk, der die gesamte Organisation mit der Flugsicherung übernehmen musste, denn dazu hatte der Pilot nicht die nötigen Kompetenzen. Das Überfliegen des Alexanderplatzes, war nur mit einer Ausnahmegenehmigung möglich. Nun hieß es warten, auf dass was der Oberst erreichen würde. Ich hoffte sehr, dass es nicht zu lange dauern würde. Gosch begann damit die Scheiben, an seinem Drachen zu putzen und ich half ihm dabei. Dabei erzählte er mir, was in den letzten Wochen alles passiert war. Keine zehn Minuten später, bekamen wir eine uneingeschränkte und zeitlich unbegrenzte Flugerlaubnis, über das Baugelände und den Alexanderplatz: Also den Bereich in dem die Ortega Kinder verschwunden waren.

"Dann mal rein mit dir, Lyn. Fliegen wir los. Trotzdem schuldest du mir noch eine Antwort auf meine Frage, Täubchen, wie es dir wirklich geht. Ich habe die Frage nicht vergessen", wies mich Gosch drauf hin, dass ich ihm immer noch keine Auskunft gegeben hatte.

Kaum dass wir im Drachen saßen, Gosch seinen Helikopter liebevoll getauft hatte, folgen wir los.

"Gosch, mir geht es nicht so besonders. Aber sei mal ehrlich, wird es davon besser, wenn du weißt wie beschissen es mir wirklich geht. Also lasse das Thema einfach", schob ich einen Riegel vor das Thema, über das ich nicht nachdenken wollte.

Das war einer der Gründe, weshalb ich die uns vorgeschrieben Respektbekundungen, mir fremden Menschen gegenüber, gern einhielt. Der Respekt vor höherrangigen Offizieren verbot es mir, keine Antwort zu geben oder Antworten auszuweichen. Bei einem freundschaftlichen Umgangston und vor allem den entspannteren Umgangsformen, verhielt sich das anders. Ich nahm mir das Recht bestimmte Aussagen zu verweigern. Lügen würde ich nur meinen Vorgesetzten gegenüber, zu meinen Freunden war ich immer ehrlich oder schwieg. Meine Freunde wussten, wenn ich schwieg, ging es mir bescheiden. Sie ließen mich in solchen Situationen einfach in Ruhe. Sie wussten durch unser enges Zusammenleben, dass ich, wenn ich Hilfe bräuchte, auch darum bitten würde. Mich zu bedrängen war keine Option, dann würde ich mich völlig zurückziehen und nicht einmal dann um Hilfe bitten, wenn ich alleine nicht mehr klar kam. Das mussten meine Freunde aus der Schule leider auf die harte Tour lernen. Auch Gosch würde das erst noch lernen müssen, wir kannten uns noch nicht lange genug. Aber die Blicke des Piloten sprachen Bände, zum Glück drang er nicht in mich ein.

Die reichlich fünfunddreißig Kilometer bis Berlin Mitte, würden wir schnell überbrücken. Eine Weile kämpfte ich mit mir, ob ich Gosch einige Fragen stellen konnte. Bei meinem Gespräch mit Herr Ortega hatte ich einige Begriffe gehört, die ich nicht kannte und dadurch nicht verstanden hatte. Ich musste die Zusammenhänge aber erfassen, damit ich die Kinder finden konnte und mich in ihr Verhalten hineinversetzten konnte. Deshalb pfiff ich jetzt auf alle Anstandsregeln und sprach ohne dazu aufgefordert zu werden. Nahm das Angebot von Gosch einfach an, mehr als einmal, hatte er mir das schon angeboten.

"Gosch, kann ich dich etwas fragen. Ich versuche die ganze Zeit mich in die Ortega Kinder hineinzudenken. Ich habe aber einiges von dem, was Herr Ortega mir erzählt hat, nicht verstanden und komme dadurch nicht weiter. Ich weiß, dass es wichtige Informationen sind, aber ich verstehe die Zusammenhänge nicht."

"Lyn, du weißt, du kannst mich alles fragen. Was hast du nicht verstanden?"

"Gosch, Herr Ortega, also der Vater von den Kindern die wir suchen, sagte seine Kinder wären in einen Zoo gegangen und hätten darüber die Zeit vergessen. Was ist heißt das? Ich verstehe nicht, was der Mann damit meint."

Gosch sah zu mir herüber. "Was meinst du, die Zeit vergessen?"

Ich nickte. "Ja Gosch und was heißt das, die Zeit vergessen und in einen Zoo gegangen?"

"Ach Lyn, jedes Kind weiß, was ein Zoo ist", irritiert sah der Pilot mich an.

Ich kannte den Begriff Zoo wirklich nicht und wusste nicht, was man sich darunter vorstellen konnte. Man konnte in ein Flugzeug gehen oder in einen Raum. Aber was bitte war ein Zoo? Den Begriff hatten wir in der Schule noch nie gehört und auch bei keinem unserer Einsätze. Ich kannte auch den Begriff Vater nicht und nahm an, dass das ein Name war. So ging es uns oft, wenn wir mit fremden Menschen sprachen. Wir nahmen viel zu oft die Wörter die wir nicht kannten, einfach so hin. Sonst müssten wir oft stundenlang über einzelne Begriffe diskutieren, um erst einmal den Sinn der Wörter zu verstehen. Nicht immer war der Doko da, der uns diese Dinge mit viel Geduld erklärte. Meisten wusste Rafik wenigsten theoretisch, was diese Wörter bedeuteten, aber in der Soko war ich oft auf mich selbst gestellt. Auf die Betreuer konnten wir nicht zählen, die hatten uns deshalb schon so oft ausgelacht und als dumm bezeichnet, dass wir uns teilweise nicht mehr trauten nachzufragen. Es war oft zu mühselig, jedes einzelne kleine Detail zu hinterfragen.

Der Vater war für mich unwichtig, da er nicht relevant für den Fall war. Aber die Zeit zu vergessen und in den Zoo zu gehen, hatte für mich eine wichtige Bedeutung. Es stand im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Verschwinden der Kinder, deshalb musste ich diese Begriffe hinter fragen. Vorhin in der Halle hatte ich mich nicht getraut, weil die Männer schon wieder über mich gelacht hatten, nur weil ich ein Wort falsch aussprach. So etwas ärgerte mich innerlich sehr, auch wenn ich es niemals offen zu geben würde.

"Ich weiß das aber nicht was diese Sätze bedeuten. Ich erkenne den Sinn der Sätze nicht. Wirklich nicht Gosch", erklärte ich ihm verlegen.

"Lyn, unter Zeit vergessen versteht man, wenn man nicht auf die Uhr achtet. Wenn man etwas gern macht und halt dadurch nicht zu der Zeit da ist, wenn man da sein sollte. Ein Zoo, das lasse dir mal lieber von deinem Doko genauer erklären. Grob erklärt ist ein Zoo etwas ähnliches wie ein Park, den kennst du doch den Begriff", kurz sah er zu mir herüber. "Das Genauer zu erklären dauert jetzt zu, dazu habe ich jetzt leider keine Zeit mehr. Warum hast du vorhin nicht gefragt, Lyn, wir sind gleich da."

Ich nickte und schob meine Brille nach oben auf den Kopf. "Gosch, ich klettere nach hinten und setze mich draußen auf die Kufen. So wie wir das immer machen, also erschrecke nicht."

Gosch nickte nur bestätigend, da er die Flugsicherung am Funk hatte und nicht mit mir sprechen konnte. Also kletterte ich nach hinten, immer darauf achtend, Gosch nicht zu behindern. Öffnete ohne Zögern die Schiebetür und setzte mich so auf die Kufen, dass ich mich fixieren konnte. Gosch begann langsam über das Suchgebiet zu kreisen und zog immer größer werdende Spiralen, wie wir das nannten. In dem er den Suchradius immer um fünfzig Meter vergrößerte, den er um das abzusuchende Gebiet zog. Ich musste meine Brille sofort wieder aufsetzen, da es auf dem Alexanderplatz viel zu hell war und mich das Licht gefährlich blendete. Nach einer knappen halben Stunde, brach ich das sinnlose Unterfangen allerdings ab. Hier liefen noch so viele Menschen, um diese späte Nachtstunde herum. Es war einfach sinnlos, auf diese Weise Spuren zu suchen. Ich kletterte zurück und wieder nach vorn auf den Platz des Copiloten.

"Was ist los Lyn? Warum brichst du die Suche ab?"

Ich winkte ab. Nachdenklich ging ich alle Optionen durch, die mir noch blieben. Nach so langer Zeit, blieben mir nicht mehr viele Möglichkeiten. Hier Spuren zu finden war unmöglich. Ich musste mir eine neue Strategie zurechtlegen, dazu brauchte ich einige Minuten.

"Gosch, kannst du irgendwo hier in der Nähe landen? So hat das Ganze überhaupt keinen Zweck. Lass mich in Ruhe nachdenken."

Gosch nickte und flog auf den zugewiesenen Landplatz, der direkt auf dem Alexanderplatz war. Den Platz den man unserem Piloten zugewiesen hatte, war für den Bau eines Fernsehturmes vorgesehen und vollkommen umzäunt, so dass niemand den Bereich absperren musste. Der Baubeginn des Turmes sollte am 4. August sein, also vor knapp drei Wochen. Da es einige Probleme gab, wurde der Baubeginn verschoben, das Gelände allerding war schon abgesperrt, aber noch nicht aufgerissen. Ein großer Vorteil für uns, denn dadurch konnte Gosch diesen Platz ohne großen Aufwand für eine Landung nutzen. Gosch landete den Drachen und sah mich fragend an. Allerdings war ich immer noch dabei, meine Vorgehensweise umzuplanen, dabei musste ich Gosch immer mit einbeziehen und das war in der jetzigen Situation gar nicht so einfach.

"Gosch, ich habe wirklich keine Ahnung, wo und vor allem wie ich hier überhaupt etwas finden soll. Sieh dich hier doch einmal um? Hier laufen so viele Leute rum, wenn es da irgendeine Spur gegeben hätte, sind die schon längst zerstört. Wie soll ich hier denn irgendetwas finden? Ich kann mich hier nur noch auf meinen Bauch verlassen. Ich habe nicht gewusst, dass hier so viele Leute herumlaufen. So viele Leute habe ich noch nie auf einem Haufen gesehen. Ich habe keine Ahnung was ich machen soll. Wenn ich überhaupt etwas finde, dann nur wenn ich mich auf meinen Bauch verlasse. Planen kann ich hier gar nichts. Gosch, ich weiß, dass der Oberst dir gleich Ärger machen wird, aber wie soll ich hier einen Treffpunkt auszumachen? Sag mir das bitte, Gosch, ich weiß nicht wie und ich weiß nicht wo. Wir machen es wie folgt, du fliegst nach Hause in den Stützpunkt. Wie weit kannst du mich hier orten, mit dem Peilsignal?"

Gosch zuckte verlegen mit den Schultern. "Lyn, das kann ich dir nicht sagen. Ich habe keine Ahnung. Vielleicht zwanzig Kilometer außerhalb der Stadt. Aber direkt in Berlin, ist das schwer zu sagen. Es gibt viel zu viele Störfaktoren", gestand er mir offen.

Das wurde ja immer schlimmer. Die Suche entwickelte sich immer mehr zu einem echtes Problem. Immer mehr unlösbare Probleme kamen auf mich und das Team um Oberst Fleischer zu. Wie sollte ich mit der Basis in Verbindung bleiben und vor allem, wie sollte ich um Hilfe schreien, wenn ich welche brauchte. Mir wurde angst und bange zumute, aber das konnte ich Gosch nicht sagen.

"In Ordnung, auch wenn der Oberst dich in Stücke reißt und dich einen Kopf kleiner macht. Gosch, auf dieses Weise hat das alles keinen Sinn, so kann ich nicht arbeiten. Ich steige jetzt aus, werde zu Fuß auf Suche gehen. Gosch, ich habe keine Ahnung, wo und vor allem wie lange ich suchen muss, bis ich irgendetwas finde. Ich weiß, dass ich etwas finden werde, das sagt mir mein Bauch, aber ich weiß nicht wann. Sage dem Oberst, ich komme zum Stützpunkt zurück, sobald ich etwas gefunden habe oder aufgebe, weil die Suche zwecklos ist."

Gosch stöhnte genervt. Ihm wurde mit jedem Wort, dass ich sprach bewusster, dass er gleich gewaltigen Ärger mit seinem Vorgesetzen bekommen würde. Bei solchen ungewissen Suchaktionen spielte der Oberst nicht mit, für den die Sicherheit seiner Leute immer an erster Stelle stand. Er hatte sowieso immer Angst um die Kleine, wenn sie alleine unterwegs war. Mir tat der Pilot leid, also disponierte ich um.

"Gosch, lass gut sein, ich kläre das selber mit dem Oberst. Mache mir einfach eine Verbindung zur Basis, damit du keinen Ärger bekommst."

Erleichtert atmete Gosch auf und stellte die Verbindung her. Der Pilot dacht sogar an meinen Kopfhörer und drehte dessen Lautstärke auf ein Minimum zurück.

"Willy, Lyn will mit dir sprechen. Denke bitte daran leise zu sprechen", dann wandte er sich an mich. "Lyn du kannst reden."

Sofort schaltete er mich in den Funk. "Sir, Lyn am Funk, Sir. Ich habe ein riesiges Problem und habe keine Ahnung, wie ich das lösen soll, Sir."

"Was ist los Lyn?"

"Genosse Oberst, egal was ich hier anfange, es wird nicht ohne eine langwierige Suche möglich sein. Einer Suche, Sir, wo mir keiner von euch helfen kann, Sir. Ich werde wohl einige Tage alleine unterwegs sein, ohne dass ich mich melden kann, Sir. Anders geht es diesmal nicht, Sir. Wo soll ich mich mit Gosch treffen, Sir? Ich laufe vielleicht erst nach Osten, muss dann aber nach Westen, wie soll mich Gosch da finden, Sir?", versuchte ich mein Dilemma zu erklären. "Sir ich verschwende wertvolle Zeit und damit vielleicht die Chance die Kinder noch lebend zu finden, Sir, wenn ich ständig zu irgendwelchen Treffpunkten laufen muss, nur um zu sagen, ich habe noch nichts gefunden, Sir."

Der Oberst stöhnte, aber ich glaube er verstand, dass es kein böser Wille von mir war, sondern wirklich eine Frage der sinnvollen Suche.

"Deshalb mache ich ihnen einen Vorschlag, Sir. Ich suche Spuren, wenn ich alleine nicht klar kommen sollte, Sir, dann komme ich zum Stützpunkt zurück. Hole mir, sie und ihre Jungs zu Hilfe, Sir, oder ich melde mich anders bei ihnen, Sir. Den Doko, können sie nach Hause schicken, Sir. Meine Kameraden brauchen den dringender als ich, Sir. Er soll mir aber einen Tropf dalassen, Sir."

Stöhnend hatte mir Oberst Fleischer zugehört. "Lyn was ist, wenn dir etwas passiert? Du in Not gerätst? Was ist, wenn du wieder einen Fieberanfall bekommst? Mädchen, ich kann dich doch, so krank wie du bist, nicht tagelang alleine durch Berlin irren lassen."

Gosch schaltete sich in das Gespräch ein. "Willy, ich finde Lyn, egal wo sie ist. Lyn hat recht, wie soll ich sie hier ständig in Berlin verfolgen. Wie soll das gehen?", versuchte mir Gosch zu helfen.

Der Oberst begriff, dass es diesmal wirklich nicht anders ging. "In Ordnung, auch wenn mir richtiggehend schlecht wird. Schon bei dem Gedanken dich die ganze Zeit alleine zu lassen, wird mir kotz übel. Aber du hast irgendwo recht. Wie lange denkst du wird das dauern?"

Was sollte ich dem Oberst darauf antworten? Ich wusste es doch selber nicht und Hellsehen konnte ich leider noch nicht.

"Sir, ich weiß es nicht, Sir. Es kann schnell gehen. Aber ich denke mit einer Woche, sollten sie schon rechnen, Sir. Egal wie ich es drehe, anders geht es nicht, Sir. Hätte man mich gleich geholt, hätte ich noch eine Chance gehabt, aber so, Sir."

Schwer atmete der Oberst durch. "In Ordnung, fange an zu suchen, damit ich dich zurück bekomme. Ich weiß, ich gehe die nächsten Tage durch die Hölle. Wir sind hier auf Abruf. Ein Wort und wir stehen dir bei. Vergesse das nicht. Buha ich weiß, dass ich diesen Entschluss bitter bereuen werde. Aber ich gebe dir Recht, es geht nicht anders. Also viel Erfolg, wenn irgendetwas ist, du kannst auf jede Polizeistation gehen, oder zu jeder Polizeistreife, die sollen mich einfach informieren. Ich rufe sofort alle Berliner Dienststellen an und gebe den Jungs dort Instruktionen. Ich hoffe, dass du dann nicht wieder überall Probleme bekommst. Egal was sein sollte, frage um Hilfe, dann hole ich dich sofort her."

"Sir, in Ordnung, Sir. Wünschen sie den Kindern Glück, Sir."

Erleichtert nahm ich die Kopfhörer ab und nickte Gosch zu. Ohne zu Zögern verließ ich den Drachen, öffnete die hintere Tür, holte mir meinen Rucksack und lief los. Mit einem Satz sprang ich über die Baustellenabsperrung und war sofort zwischen den Menschen und aus Goschs Sichtfeld entschwunden.

  

So wie ich es immer machte, begann ich, hinter der Absperrung der Baustelle, mit der systematischen Suche nach den Kindern. Da gab es in der Nähe des Alexanderplatzes ein Gebäude, das in Mitten eines kleinen Parks lag und in dem ein Brunnen zu finden war. Dort saßen mitten in der Nacht noch unzählige Leute, die sich lautstark unterhielten. Verwundert stellte ich das fest, dass schon der neue Tag angefangen hatte. Die Uhr die sich an dem Gebäude befand, zeigte bereits 1 Uhr 33 an. Hier brauchte ich nicht suchen, wenn es hier einmal Spuren gegeben hatte, waren die alle zerstört, denn hier liefen mehr Menschen herum, als ich mir je hätte vorstellen können. Deshalb beschloss ich mich, meinen Instinkten zu folgen und lief kurzer Hand meinem Bauch nach. So wie ich es immer machte, wenn ich gar keine Anhaltspunkte hatte. Ich konnte nie genau erklären, wie das funktionierte.

Doko wollte von mir immer wissen, wie das funktionierte, aber man kann nicht erklären was andere nicht kennen. Selbst die Mitglieder meines Teams verstanden das nicht. Die Eigenschaft des Spürens einer Spur, hatten nur zwei Mitglieder meines Teams, Rashida und ich. Warum das so war, konnten wir beide nicht erklären. Wenn ich das Gefühl beschreiben sollte, dann ungefähr so: Es fühlt sich an, als wenn die Täter die Pole eines Magnetes wären und der Pol mich magisch anzog. Diesem dabei entstehenden Pfad, musste ich dann einfach nur folgen. Rashida hatte es mir ähnlich beschrieben. Warum nur wir zwei das konnten, wusste ich nicht und hatte noch keine Möglichkeit es zu erforschen. Ich vermute aber stark, dass es irgendetwas mit dem Ginoenzym zu tun hatte.

Anfangs lief ich immer gegen Südosten, entlang einer sehr belebten Straße. Verdammt, wieso waren hier nur so viele Menschen unterwegs, schliefen die gar nicht. Nach zwei Kilometern, drehte ich nach Norden ab, folgte einfach einem Gefühl, dass mich regelrecht in diese Richtung zog. Das war genau der Grund, wieso ich Gosch nicht sagen konnte, wo er mich finden würde. Nach einer Weile lief ich weiter in einen Park hinein, der nordöstlich vom Alexanderplatz lag und durchsuchte diesen gründlich, nach noch so kleinen Details. Hier war absolut nichts zu finden, kein Knopf, kein noch so kleiner Fetzen Stoff, ein Fädchen oder Haarbüschel, aber auch keinerlei Thermospuren. Das war auf der einen Seite ärgerlich, aber auf der anderen Seite auch gut. Ich fand nämlich auch keinerlei Spuren, eines Kampfes oder einer Jagd, bei der Äste abgerissen wurden oder der Rasen im Kampf zerwühlt wurde. Hier waren es keine verwertbaren Spuren zu finden. Immer wieder erstaunte mich die Tatsache, dass um 4 Uhr in der Nacht, immer noch so viele Leute im Park herumliefen und auf den Bänken herumlungerten. Gruppen von Jugendlichen saßen zusammen und machten einen unvorstellbaren Krach. Es lief laute Musik, die jungen Leute tanzten oder lagen in Gruppen auf den Wiesen herum. Mit dem Kopf schüttelnd registrierte ich die Tatsache, dass es hier ganz anders war, als bei allen anderen Suchaktionen, die ich bisher erlebt hatte. Einem unbestimmten Gefühl folgend, lief ich nach einer Weile wieder in Richtung Südosten und vorbei an einem Gebäude, an dem Krankenhaus stand und hinein in einen weiteren Park. Der sah ganz anders aus, als der erste Park, den ich durchsucht hatte. Wieder begann ich nach Spuren zu suchen und zog meine Suchschleifen durch den Park. Indem ich systematisch den ganzen Park absuchte, jedoch fand ich kein einzigen Indiz, das auf die Ortega Kinder hinwies. Über fünf Stunden suchte ich nun schon und hatte noch nicht eine einzige Spur gefunden. Dies war nach so langer Zeit nicht verwunderlich. Die Wahrscheinlichkeit noch auf verwertbare Spuren zu treffen, lag bei unter einem Prozent. Es tät mich sehr wundern, wenn ich so schnell etwas gefunden hätte. Langsam neigte sich die Nacht dem Ende zu und es begann hell zu werden. Es war kurz vor 6 Uhr am Morgen, als ich diesen eigenartigen Park durchsucht hatte. In dem Park standen lauter Steintafeln mit Namen und Daten, mit denen ich nichts anfangen konnte. Ich musste, wenn ich wieder zu Hause war, den Doko mal fragen, was es damit auf sich hatte.

Wie aus dem Nichts kamen auf einmal, von drei Seiten, Jugendliche auf mich zu. Schnell setzte ich meine Brille auf, um die jungen Leute nicht zu erschrecken. Verwundert sah ich die Jungs an. Die fünf jungen Männer waren vielleicht sechszehn bis zwanzig Jahren alt und definitiv nicht mehr ganz nüchtern, so unsicher wie sie liefen. Zu meinem eigenen Erstaunen, fingen sie sofort an mich zu beschimpfen, obwohl ich gar nicht gemacht oder sie angesprochen hatte. Solche Beleidigungen hörte ich zwar häufig von den Betreuern und Mayer, aber außerhalb der Schule, hatte ich solche Beschimpfungen äußerst selten zu hören bekommen. Wenn dann nur von Tätern, die wir festgenommen hatten und die aus verständlichem Grund stinksauer auf uns waren.

"Na du kleines Flittchen. Was treibst du dich Mitten in der Nacht, hier herum? Müsstest du nicht in deiner Heia liegen und an deinem Daumen lutschen. Was bist du denn für eine? Eine Mulattin oder eine zu blass geratene Nickersau? Wo hast du denn den Polizeioverall her, den möchte ich gern haben. Los zieh ihn aus, der passt dir doch gar nicht richtig."

Verwundert sah ich den blonden jungen Mann an, der so herablassend und aggressiv mit mir sprach. War das vielleicht die Spur, die ich so dringend suchte? Ich würde einfach einmal etwas versuchen und folgte einer inneren Eingebung. Wenn es sich, wie ich vermute, um dieselben Leute handelte die Conrad und Keynia belästigt hatten, dann hätte ich hier einen Ansatzpunkt.

Ich sah mich erst einmal um, um mich zu orientieren. Vor mir stand eine alte Buche, ich brauchte nur noch einige Schritte nach vorn und auf die Männer zu zulaufen, das kam meinem Plan sehr entgegen. Wenn ich dann hochsprang, konnte ich über die Bäume schnell entkommen, ohne mich sofort in einen Kampf verwickeln zu lassen. Auf diese Weise bekam ich vielleicht die Chance, der Gruppe unauffällig zu folgen.

Ich lief in der Zeit, in der mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, genau an die Stelle, von der aus ich in den Baum springen wollte. Blieb, vielleicht einen Meter vor dem blonden jungen Mann, wie zufällig stehen und sah ihn mit schief gehaltenem Kopf an. Ich beantwortete ihm seine Frage, in unserer Schulsprache, um zu sehen, ob ich die richtigen Leute vor mir hatte.

"Raiko, drön. Lyn granima. – Du arroganter Mensch, ich gehe wohin ich will. Lass mich in Ruhe."

Sein Gesicht und seine Körperhaltung, sagte mir genau so viel, wie seine herablassende Antwort. Alles in diesem blonden Mann war auf Aggressivität geschaltet. An ihm gab es nichts, was nicht Abscheu und Ekel vor mir ausdrückte. Ohne dass ich es wollte, fragte ich mich, was ich ihm getan hatte, dass er mich mit so viel Abscheu betrachtete. Mir wurde im selben Moment bewusst, dass ich die richtigen Leute gefunden hatte. Ich war mir sicher, dass es sich um einer der Gruppen handelte, die ich suchte. Dem Ziel die Kinder der Ortegas zu finden, war ich damit ein kleines Stück näher gekommen.

"Sag mal, bist du die Schwester von dem Flittchen, was ich jetzt schon einige Wochen, die meine nenne. Könnt ihr, wenn ihr hier bei uns lebt, nicht einmal unsere Sprache lernen. Ihr asoziales Dreckpack."

Ohne es zu wollen bestätigten mir diese Worte des Blonden, dass ich sogar die richtige Gruppe gefunden hatte. Der Blonde rückte mir immer näher auf die Pelle. Er war sich seiner Macht bewusst, mit seinem hundertdreiundneunzig Zentimetern und den etwa fünfundachtzig Kilo, dachte er, er wäre mir Haus hoch überlegen.

"Wieso trägst du eigentlich eine solch ekelhafte Sonnenbrille, du kleines Stück Scheiße. Nicht einmal Geschmack habt ihr Bastarde", wetterte er weiter.

Ich schwieg und schob jedoch die Brille nach oben in meine Haare und sah ihn mit meinen orangefarbenen Augen an. Die Schrecksekunde ausnutzend, die beim Erblicken unserer Augen immer entstand, sprang ich nach oben in den Baum. Schwang mich im gleichen Atemzug auf den Ast und war schon aus den Blicken der Männer verschwunden. Ehe die Fünf, auch nur ein einziges Mal gezwinkert hatten. Lautlos lief ich einige Bäume weiter, in dem ich von Ast zu Ast sprang und dann in einem großen Bogen, von Baum zu Baum. Dadurch umrundete ich ohne gesehen zu werden die Gruppe, befand mich nur eine Minute später, unmittelbar hinter und über der Gruppe, in einer der uralten Kastanien. Verwundert sah sich die Gruppe um.

"Wo ist dieses Biest hin?", schrie der Blonde seine Kumpane wütend an.

"Jan, das weiß ich doch nicht. Ich war so vor ihren Augen erschrocken. Hast du diese Augen gesehen? Was war die für eine? War das ein Alien?"

Der große Blonde lachte. "Na du erst noch, Heiner. Das ist doch kein Alien. Das ist eine dieser kleinen Nickerhuren. Genau wie die andere und deren verunstalteter Bruder. Sowas kommt raus, wenn die sich untereinander paaren. Habt ihr gesehen, wie ähnlich die meinem kleinen Flittchen sieht. Die sind doch alle durch Inzucht verunstaltet. Deshalb machen die sich jetzt hier breit, in unserer Heimat. Dieses asoziale Pack gehört nicht nach Deutschland. Los lasse sie uns suchen. Dann habe ich zwei Flittchen, die mich befriedigen können."

Erschrocken holte ich Luft und es machte sich in mir eine unbeschreibliche Wut breit. Was dieser Kerl von sich gab, war so Menschen verachtend, dass es richtig weh tat. 'Du verdammter Drecksack', ging es mir durch den Kopf. 'Das Mädchen ist erst dreizehn Jahre alt'.

Sie war also noch ganz klein. Doko hatte uns, als wir im Medizinstudium die menschliche Entwicklung durchnahmen, erklärt, dass dies ungefähr dem Alter entsprach, das wir mit etwa vier Monaten hatten. Es war unglaublich, dass der Kerl sich an dem kleinen Mädchen vergangen hat. Das hat nicht einmal Mayer fertig gebracht und der war schon abartig. Meine Meinung von normalen Menschen wurde immer schlechter. Bei meinen Einsätzen hatte ich schon verdammt viel gesehen, aber das Verhalten von Jan war einfach nur krank.

Die gehörten Gespräche verfestigten meine Meinung, dass ich auf genau die richtige Gruppe gestoßen war. So schnell hätte ich mit keinen Erfolg gerechnet. Fast eine Stunde, suchte die Gruppe jetzt schon nach mir, allmählich verloren sie die Lust, da sie mich nicht finden konnten. Sätze wie "Diese verdammte Hure, hat sich wohl in Luft aufgelöst." oder "Schnappt euch dieses verunstaltete Inzuchtbalg." Oder "Kommt wir zeigen dem Flittchen, wie man mit so einem Stück Dreck in Deutschland umgeht." Waren noch die nettesten Sätze die ich zu hören bekam. Nach über einer Stunde verlor die Gruppe allmählich den Spaß und auch die Lust an der Suche nach mir. Sie verschwanden aus dem Park und gingen schwatzend und auf alle Ausländer schimpfend, in Richtung Süden aus dem Parkgelände heraus. Gemeinsam liefen sie auf eine Treppe zu, die nach unten führte. Dort trennte sich die Gruppe, ein Teil ging auf eine Treppe zu, an der eine 1 stand, andere zu der Treppe, an der eine 4 festgemacht war.

Der Blonde jedoch lief weiter und ging auf der anderen Seite, wieder aus dem unterirdischen Gebäude heraus. Immer um meine eigene Deckung bemüht, blieb ich an dem Jungen dran, den die Gruppe Jan genannt hatte. Ich vermutete, dass es derjenige war, der die beiden Ortega Kinder gefangen hielt oder aber der Kopf der ganzen Bande war. Es wäre zu schön, um wahr zu sein, wenn ich die Suche so schnell, zu einem guten Ende bringen konnte. Aus den Gesprächen, die ich belauschen konnte, entnahm ich, dass die beiden Kinder noch lebten. Eine winzig kleine Hoffnung schlich sich in mein Herz. Den Kindern ging es zwar nicht gut, aber sie waren am Leben, den Rest konnte ich richten. Eine Weile lief Jan in Richtung Süden, dann weiter nach Osten. Fast eine Stunde folgte ich dem jungen Mann, als er seine Richtung änderte und nach Südosten abbog. Da Jan ab und zu stehen blieb und sich unterwegs mit verschiedenen Leuten zu unterhalten, kamen wir nur sehr langsam voran. Dem Anschein nach hatte er keine Eile, nach den Kindern zu sehen. Immer noch folgten wir einer sehr belebten Straße. Nach fast eine Stunde verließen wir die breite und vielbefahrene Straße endlich und bogen in Richtung eines Sees ab. Die Hoffnung endlich auf die Kinder zu treffen stieg in mir. Jan folgte der Straße noch ein Stück an dem See entlang, änderte nochmals die Richtung. Wieder lief er auf einer Straße, die diesmal an einem See entlang führte und verschwand in einem der Häuser, die dort standen. Sechs Stockwerke und unzählige Türen hatten die Gebäude und es schienen viele Menschen ein und auszugehen. Es herrschte eine rege Betriebsamkeit. Vorsichtig, damit mich niemand sah, umrundete ich das Haus, um herauszufinden ob es eine Möglichkeit gab, dass Jan mir entwischen konnte. Zum Glück gab es nur nach vorn, Richtung Seeseite, die Möglichkeit das Haus zu verlassen. Das erleichterte mir die Beobachtung um einiges. Ich machte es mir in einem der dicht belaubten Bäume, die nahe am See standen, so bequem wie es möglich war und beobachtete das Haus. Vorsichtshalber stellte ich mich auf eine lange Wartezeit ein. Jan und seine Freunde hatten Unmengen an Alkohol getrunken und waren daher in einem äußerst desolaten Zustand. Durch den Oberstleutnant wusste ich, dass Menschen nach so viel Alkohol, meistens über Stunden nicht ansprechbar waren. Mayer brauchte meistens zehn bis zwölf Stunden, ehe er wieder ansprechbar war, nach solchen Alkoholexzessen. Bei Jan musste ich noch länger warten. Erst am nächsten Morgen, nach guten vierundzwanzig Stunden verließ Jan schimpfend und krakeelend, das Haus. Ich hörte eine Frauenstimme, die weinend nach ihm rief.

"Jan, bitte komme zu rück", flehte sie ihn an.

 Der Blondschopf schrie wütend. "Halte doch deine elende, verfickte, schwarze Schnauzte. Du hast mir gar nichts zu sagen und ich hab dich auch nicht nach deiner Meinung gefragt. Was verdammt noch mal, geht dich mein Leben an, du schwarze Hure."

Verwundert sah ich Jan nach, der sich im Laufen umdrehte und zu einer dunkelhäutigen Frau, nach oben auf den Balkon blickte. Da ich Jan schon folgen wollte, schaffte ich mich in letzter Sekunde mich hinter einem Busch zu verstecken, so dass die Frau mich nicht sah. Die Frau stand weinend auf dem Balkon, schüttelte traurig den Kopf.

"Ach Jan, komm zurück, was soll dein Vater sagen", forderte sie den Jungen auf.

Jan ignorierte die Frau einfach und lief immer weiter. Deshalb ging sie wieder in das Haus hinein. Wieso ging dieser Jan, der dunkelhäutige Menschen scheinbar abgrundtief hasste, zu so einer Frau. Ich verstand die Welt nicht mehr. Wenn ich ehrlich zu mir selber war, war es mir in diesem Moment auch völlig egal. Ich hatte keine Zeit über solche Details nachzudenken. Der Blondschopf würde schon einen Grund haben zu der Frau zu gehen, die er abgrundtief hasste. Vor allem hatte ich besseres vor, denn ich musste wieder einmal Jan folgen, der schon um die Ecke verschwunden war. Zu meinem Entsetzen stieg er gerade in ein Auto und der Fahrer fuhr sofort los. Verdammt, jetzt hätte ich Gosch gebrauchen können, der hätte Ich versuchte an dem Fahrzeug dran zu bleiben, das war hier in der Stadt nicht möglich. Ich hätte ja auf der Straße laufen können, vom Tempo her wäre das kein Problem gewesen, nur würde ich damit Jan warnen. Also hatte ich seine Spur erst einmal verloren. 'Verdammt' ging es mir durch den Kopf, 'da war ich froh so schnell eine Spur gefunden zu haben und nun das.'  

Der Fahrer des Autos fuhr in Richtung Süden davon. Mein Bauch kannte nur sein Ziel und konnte Jan ohne Probleme folgen. Wenn ich das Gefühl hätte beschreiben sollen, wäre es am besten dadurch beschrieben, dass mein Ziel an einem unsichtbaren Gummiband markiert hatte und es mich ab diesen Zeitpunkt ständig hinter sich her  schleifen würde. Durch dieses Band mit dem ich den Täter markiert hatte, war es für mich um vieles einfacher, der Spur zu folgen. Ich wurde durch diese Spur, immer in die richtige Richtung gezogen, egal wie groß der Vorsprung war. Verglichen mit einem Tier, was ich irgendwo war, hatte ich sozusagen Witterung aufgenommen und ging auf die Jagd. Selbst wenn der oder die Täter Stunden Vorsprung bekam, konnte ich ihn auf diese Weise immer wieder finden. Meine Freunde in der Schule sagten immer, ich laufe dann nur noch dem Gestank hinterher. Keine Ahnung ob das wirklich stimmte, aber irgend so etwas in der Art, musste es sein. Leider hatten diese Fähigkeit nicht alle meine Freunde. Nur Rashida und ich hatten diese Art Spürsinn, in den letzten Jahren entwickelt. Leider hatte ich noch nicht herausgefunden, warum das so war. Aber als wir mit Rashida und Jaan einmal darüber diskutierten, fiel Jaan auf, dass nur wie beiden, die Ginos gut in den Griff hatten und dass genau wir beiden diesen Spürsinn entwickelt hatten. Es war also durchaus möglich, dass das aufspüren von Gegnern mit dem Ginoenzym im Zusammenhang stand. Es wäre gut, wenn alle meine Kameraden diesen Spürsinn hätten, das würde die Arbeit von uns sehr erleichtern.

Wie immer bei solchen Verfolgungsjagden, gingen meine Gedanken wandern. Da ich über den Fall selbst nicht nachgrübeln musste, denn die Motive waren klar und die Täter kannte ich jetzt, grübelte ich über solche unwichtigen Fakten nach. Einfach um mich selber bei Laune zu halten und mich, von dem stupide hinter den Tätern her laufen, abzulenken. Auch wenn ich meinen Gedanken nachhing, achtete ich auf meine Umgebung und bekam jede noch so kleine Abweichung von der Normalität mit. Gerade dann, wenn es mir nicht sonderlich gut ging. Tief in Gedanken versunken und immer darauf achten nicht gesehen zu werden, folgte ich dem Verlauf der Straße, immer weiter in Richtung Süden. Fast fünfzehn Kilometer war ich jetzt gelaufen, als ich plötzlich ohne ersichtlichen Grund stehen blieb. Genau an dieser Stelle hatte mich das unsichtbare Gummiband, das zwischen mir und dem Verfolgten gespannt war, festgehalten und hinderte mich daran zu weit zu laufen. An dieser Stelle zog mich das Band in eine andere Richtung und folgte einer anderen Straße, die nach Nordosten führte. Keine hundert Meter weiter, stand Jan in Mitten einer Gruppe von Jugendlicher, vor einem großen Gebäude. Erleichtert, dass ich den Blonden so schnell wiedergefunden hatte, atmete ich auf.

Lachend standen die Jugendlichen zusammen und schienen Spaß zu haben und neckten sich gegenseitig. Die Jungs und Mädels hatten ein Alter von fünfzehn bis Mitte zwanzig und diskutierten darüber, welche Möglichkeiten der heutige Tag bot. Sie waren sich nicht einig, ob man baden gehen sollte oder lieber den Plänterwald unsicher machen wollte. Was immer das zu bedeutete hatte?

Nach einiger Zeit beschloss die Gruppe, lieber baden zu gehen, es war jetzt schon brütend heiß. Dabei war es erst kurz nach 10 Uhr am Morgen. Die Gruppe stieg über die Gleise, die sich vor dem Gebäude befanden und wechselte auf die andere Straßenseite hinüber. Hohe Hecken begrenzten ein umzäuntes Gelände, an einem nur wenig höheren Gebäude. Die siebzehn Jugendlichen bildeten eine kleine Schlange, da immer nur eine Person durch den schmalen Eingang passte. Ich lief ein Stück zurück zur Straße und ging unbemerkt von der Gruppe, über den Zaun. Aus sicherer Entfernung, konnte ich beobachten was Jan trieb.

Neugierig sah ich mir das Gelände an. Es handelte sich ebenfalls um eine Art Park, ähnlich wie in unserer Schule, gab es auch hier mehrere Schwimmbecken, die allerdings nicht so gut ausgerüstet waren wie die unsrigen. Das schien die Gruppe aber nicht zu stören. Die Jungs und Mädels machten einen Höllenkrach, es schien ihnen Spaß zu machen, denn es wurde sehr viel gelacht. Bis kurz nach 18 Uhr blieben alle zusammen, erst dann verließen die ersten, die Gruppe, um nach Hause zu gehen, wie sie sagten. Vom flachen Dach des einzigen nur einstöckigen Gebäudes, beobachtete ich, Jan und seine Freunde. Gelangweilt sah dieser den Fahrer des Wagens an.

"Gunther, was machen wir jetzt. Ich habe keine Lust, zu dieser schwarzen Hure zurück zu gehen. Kann ich heute Nacht nicht mal bei dir schlafen. Sonst gehe ich in den Bunker pennen."

Der Angesprochene schüttelte den Kopf, sah Jan mitleidig an. "Jan, warum steigerst du dich eigentlich so in deinen Hass hinein? Felicitas ist doch eine ganz Liebe. Sie hat dir doch gar nichts getan, Bruderherz. Das sie dunkelhäutig ist, dafür kann sie doch nichts", wollte Gunther Jan beruhigen, erreichte aber genau das Gegenteil.

Jan wurde richtig wütend. "Diese verdammte Hure hat unsere Mutter verdrängt. Wegen diesem Flittchen hat unsere Mutter sich das Leben genommen, siehst du das denn nicht Gunther."

Gunther schüttelte den Kopf. "Jan, unsere Mutter ist gestorben als du noch nicht einmal ein Jahr alt warst, da gab es Felicitas noch gar nicht. Die kam erst zu uns als du Zwei Jahre alt warst. Sie hat nichts mit dem Tod unserer Mutter zu tun. Mutter, hat sich erhängt ja. Sie hatte Angst am TPC zu sterben. Dafür kann doch Felicitas nichts. Du hast sie die ersten Jahre geliebt. Was verdammt nochmal, ist passiert, dass du sie jetzt auf einmal so hasst?"

Böse blickte Jan seinen Bruder an, der um einige Jahre älter zu sein scheint. "Jetzt bist du also auch dafür, dass diese schwarzen Bastarde unsere Gene verseuchen. Sieh dir doch diese Hurenkinder an. Die diese schwarze Hure unseren Vater geschenkt hat. Jetzt bekommt die schon wieder so ein Balg. Das Vater sich nicht schämt", wütete der Blonde weiter.

Plötzlich fing Gunther an zu lache. "Jan, du bist doch nicht etwas eifersüchtig auf die Zwillinge. Bruderherz, die sind erst drei Jahre alt. Du bist schon sechszehn. Verdammt werde erwachsen Brüderchen. Ich finde es schön, dass noch ein Baby kommt. Ich verstehe dich echt nicht."

Jan schüttelte den Kopf. "Seid diese Bastarde da sind, sieht mich unser Vater nicht mal mehr mit dem Arsch an. Jetzt kommt noch so ein Balg. Da bin ich doch ganz abgeschrieben. Es heißt nur noch Jana vorne Julia hinten, ach schau mal wie rund dein Bäuchlein schon ist. Das ich noch existiere, davon hat der doch gar keine Ahnung mehr."

"Ach Jan, Vati liebt dich doch. Dass er sich mit den Zwillingen mehr beschäftigt, als mit dir, ist doch normal. Verdammt, du fängst in einem Monat eine Lehre als Schlosser an. Du bist bald erwachsen. Soll er dich auf seinen Schoss nehmen und schaukeln, wie ein Kleinkind. Denke mal ein wenig nach, Bruderherz. Du solltest dir mal die Beiden mal genau ansehen und zwar wirklich genau. Die sind so süß die beiden. Du weißt genau wie ich, wie sehr Vati sich immer Mädchen gewünscht hat. Lass ihm seinen Spaß. Du bis in ein oder zwei Jahren aus dem Haus, dann hat Vati nur noch Felicitas, die Zwillinge und das Baby. So alt ist der auch noch nicht, mit seinen dreiundvierzig Jahren."

Jan wurde immer wütender. "Ach so, darum geht es. Dass ich von zu Hause verschwinden soll. Das kann er gleich haben, Gunther. Dann hole ich jetzt meine Sachen und ziehe in den Bunker."

Gunther schüttelte den Kopf. "Jan, was soll das. Fahr mal etwas runter. Merkst du eigentlich, in was du dich da hineinsteigerst. Du ziehst nicht in den Bunker. Du kommst erst mal mit zu mir und wir reden noch einmal in Ruhe", versuchte er mit dem Blonden in Ruhe zu reden.

Jan wollte davon nichts hören, sondern steigerte sich immer mehr in seine Wut. "Nein Gunther, da gibt es nichts mehr zu reden. Seit dem diese Bastarde auf der Welt sind, ignorieren die mich doch vollständig."

"Jan, hör mit dem Scheiß auf. Weiß du eigentlich, wie viel Arbeit Zwillinge machen. Vati und Felicitas hatten so viel um die Ohren, dass sie nicht mehr wussten, wo hinten und vorne ist. Du weißt selber wie krank die Kleinen am Anfang waren. Aller zwei Stunden füttern und windeln. Oft sind Vati und Felicitas gar nicht mehr zum schlafen gekommen. Ich finde es auch nicht in Ordnung, dass sie dich an den Rand geschoben haben. Aber du hast dich ja auch von Anfang an quer gestellt. Statt einmal mitzuhelfen und dort anzufassen, wo Hilfe gebraucht wurde. Immer wieder hast du nur quer geschossen. Denkst du das war für die Beiden immer einfach? Du weißt vieles gar nicht. Einige Male sind die Zwillinge fast gestorben, es stand alles auf Messers Schneide. Erst seit einem halben Jahr geht es den Kleinen gut. Seit der letzten Herzoperation, haben sie sich erholt. Du bist total ungerecht. Vati und Felicitas waren in den letzten drei Jahren, mehr in Krankenhäusern unterwegs, als zu Haus. Das weißt du doch besser als ich."

"Ja Gunther, das weiß ich nur zu genau und habe dabei total vergessen, dass es mich auch noch gibt. Ich habe in den letzten drei Jahren nur gehört, Moment Jaan, wir haben gleich Zeit für dich. Die können mich alle mal. Soll der alte Hurensohn doch mit seiner Hure glücklich werden und diese Bastarde alle verrecken."

"Jan, du hörst sofort auf, so über Vati und Felicitas zu reden. Wenn dich das alles so nervt, dann sag es den beiden einfach einmal. Du wirst schnell feststellen, dass sie erschrocken sein werden und ihnen das überhaupt nicht bewusst war. Sei bitte nicht so ungerecht zu den Beiden. Die haben vielleicht nicht alles richtig gemacht, aber beleidigen musst du sie deshalb noch lange nicht", wurde nun auch noch Gunther wütend.

Jan sah man an, dass er kurz vor dem platzen war. Die Kritik von Gunter passte ihm gar nicht. Wütend sprang er auf und zog seine Hose einfach über die nasse Hose und ließ Gunther alleine auf der Wiese sitzen.

"Jan", rief der ihm hinter her.

Rückwärts laufend, antwortet dieser. "Nichts ist mehr mit Jan. Heirate doch dieses Assipack, wenn du der Meinung bist, dass die so lieb und nett sind. Du kannst mich mal am Arsch lecken. Dank der blöden schwarzen Hure, habe ich jetzt nicht mal mehr einen Bruder."

Wütend drehte der Blonde sich um und lief aus dem Park mit den Schwimmbecken, um sich wieder der Straße zu zuwenden. Die Wut auf Keynia und Conrad, hatte also nur zufällig etwas mit der Hautfarbe zu tun. Jan fühlte sich verletzt, weil er nicht genug Beachtung von diesem Vater und Felicitas bekam. Ich konnte nicht fassen was ich da mit anhören musste. Kopfschüttelnd folgte ich Jan, der wütend in Richtung Nordwesten lief. Nach etwa zwei Kilometern hielt Gunther, der Jan mit dem Auto gefolgt war, kurz vor Jan an und stieg aus dem Auto.

"Jan, komm lass uns noch einmal in Ruhe reden. Wir gehen etwas zum Abendbrot essen und quatschen nochmal in Ruhe. Komm Bruderherz."

Jan wollte nichts davon wissen. Diese ganz unsagbare Wut auf diesen Vater und die Negerin, ließ er jetzt an seinen Bruder ab.

"Hau endlich ab, lass mich endlich in Ruhe. Ihr kotzt mich alle nur noch an. Ziehe selber bei diesen Hurenpack ein. Du bist doch auch nicht besser als diese Nickerbrut. Such dir doch auch so eine schwarze Hure, dann…", weiter kam Jan nicht, Gunther holte aus und gab ihm eine schallende Backpfeife. Die mir selbst in der Entfernung, noch weh tat.

"Jetzt reicht es aber Jan. Ich bin nie nur dein Bruder gewesen, sondern auch immer dein bester Freund. Aber du mein Bursche, gehst langsam aber sicher zu weit. Du überspannst den Bogen ganz schön und musst dich nicht wundern, wenn die Sehne einmal reißt. Ich habe immer versucht mit dir in Ruhe zu reden, aber ich lasse nicht länger zu, dass du unsere Familie beleidigst. Denn es ist auch meine Familie, vergiss das nicht. Du beleidigst nicht nur deinen Vater sondern auch meinen. Du beleidigst deine Schwestern, die du eigentlich lieben solltest und du beleidigst mich. Du solltest dich schämen, so über deine Familie und Felicitas zu reden. Ich kenne dich gar nicht mehr wieder. Das ist nicht der Bruder den ich immer geliebt habe und den ich auch immer geholfen habe. Höre endlich auf mit dem Quatsch, Jan, wenn du so weitermachst, wirst du einmal sehr einsam sterben, Bruderherz. Du stößt nämlich all die von dir, die dich lieben", versuchte Gunther im die Konsequenzen seines Handelns bewusst zu machen.

Beim letzten Wort drehte Gunther sich um und ging zu seinem Auto, ließ Jan einfach stehen. Kurz bevor er einstieg, sah er Jan noch einmal traurig an. Legte die Arme auf das Dach seines hellblauen Trabants und gestand seinem Bruder, in einem traurigen erklärenden Ton.

"Jan, meine Freundin ist auch dunkelhäutig. Ich habe sie dir noch nicht vorgestellt, weil du im Moment alle die anders aussehen wie du, nicht akzeptierst. Zu deiner Information, ich werde in drei Monaten auch Vater. Darüber wollte ich mit dir heute in Ruhe reden. Aber scheinbar hast du dein Gehirn verloren. Du bist ein kleines Kind ohne Verstand und ohne Verantwortung. Werde endlich mal erwachsen, Jan, du bist bald siebzehn Jahre alt und kein Säugling mehr", tief holte er Luft um sich zu beruhigen. "Ich mag Felicitas sehr gern, sie war mir mehr Mutter, als unsere eigene. So weh mir das tut, das zugeben zu müssen. Unsere Mutter war immer krank und hat sich nur um sich selber gekümmert. Jan du ein Baby warst, habe ich dich versorgt, hab ich dir die Flasche geben, hab ich dir deinen Arsch sauber gemacht und nicht deine Mutter. Die lag auf dem Sofa und war besoffen", Gunther schnaufte wütend. "Als sie starb, war ich gerade einmal sechs Jahre alt und du warst zehn Monate. Felicitas kam das erste Mal zu uns, an meinem siebenden Geburtstag. Das weiß ich noch wie als wäre es gestern gewesen. Das war über ein halbes Jahr nach dem Tod unserer Mutter. Sie nahm mich obwohl sie mich nicht kannte in den Arm und zeigte mir, dass sie mich liebt, genau wie sie dich liebt. Obwohl wir nicht ihre Kinder waren, gab sie uns immer Geborgenheit und Liebe. Ich weiß nicht, was du verlangst? Das sie vierundzwanzig Stunden am Tag hinter dir her räumt und dir zeigt, dass sie nur dich ganz alleine liebt. Du hast sie doch nicht mehr alle. Ich bin froh, dass es sie gibt. Ich mag die Zwillinge und ich mag meine Freundin. Wenn du damit nicht klar kommst, tust du mir leid."

Jan starrte seinen Bruder an und wollte absolut nicht auf das hören, was dieser ihm zu sagen hatte. Er sondern brüllt ihn nur an.

"Unsere Mutter hat nie getrunken, höre auf sie schlecht zu machen. Du bist genauso ein verfluchter Hurenbock, wie unser Vater. Ihr solltet euch alle beide schämen. Ihr vermischt unser reines Blut mit diesem Abschaum. Der es nicht wert ist auf der Welt zu sein."

Gunther schüttelte den Kopf, wollte in sein Auto einsteigen, kam allerdings noch einmal hervor. Sah seinen Bruder lange und traurig an und erklärte er ihm, sich zum Leise sprechen zwingend.

"Jan, das du blond und blauäugig bist, macht dich zu keinen besseren Menschen. Sieh mich an, ich habe dunkles Haar und braune Augen, genau wie unsere Mutter. Auch du bist nicht reinrassig deutsch, in dir fließt genau wie in mir, das Blut einer Jüdin. Auch wenn man es dir nicht ansieht, weil du Vati total aus dem Gesicht geschnitten bist. Bist und bleibst du ein halber Jude. Hitler ist nicht mehr an der Macht und seine Lehren haben verdammt noch mal, absolut nix getaugt. Sie haben nur Leid gebracht, viele Tränen und noch mehr Kummer. Hätte es Hitler nicht gegeben, wäre deine Mutter nicht im KZ gelandet und hätte niemals Angst haben müssen, am TPC zu sterben. Vielleicht solltest du darüber einmal in Ruhe nachdenken, mein Freund. Das du genau das machst, was diese Nazis, deiner Mutter und vielen anderen unschuldigen Menschen und damit auch dir antaten. Genau diese Menschen sind nämlich schuld daran, dass deine Mutter nicht mehr klar kam, mit sich und ihren Leben. Dass sie so gesoffen hat, um zu vergessen was im KZ geschehen ist und sich schlussendlich erhängt hat. Nur weil sie Jüdin war, weil sie dunkle Haare und schwarze Augen hatten, wurde sie wegen ihrer Nationalität eingesperrt, vergewaltigt, misshandelt und geschlagen. Denke einfach mal drüber nach und schalte endlich dein Gehirn wieder ein, Bruderherz. Du kotzt mich langsam an. So haben wir dich nicht erzogen, du solltest dich schämen."

Jan hatte sich in der Zwischenzeit gebückt und einen Pflasterstein aufgehoben. Beim letzten Wort seines Bruders holte er blitzschnell aus und warf Gunther den Pflasterstein mit voller Wucht an den Kopf. Der dunkelhaarige Bursche brach ohnmächtig zusammen und rührte sich nicht mehr.

Jan drehte sich um und ging einfach davon. Das konnte doch nicht wahr sein. Wie konnte er seinen Freund auf der Straße liegen lassen. Jan machte sich nicht einmal die Mühe, nach Gunther zu sehen, der auf die Straße gefallen war. Kopfschüttelnd sah ich ihm nach. Was war das nur für ein Mensch?

Ich steckte jetzt in der Zwickmühle. Eigentlich wollte ich mich niemanden zeigen, allerdings konnte ich den Verletzten nicht einfach so liegen lassen. So ging ich aus dem Schatten und auf Gunther zu. Der lag in einer immer größer werdenden Blutlache, neben seinem Auto und mit dem Kopf auf der Straße. Ich kniete mich neben den Verletzten und holte meinen Medi-Koffer heraus. Versorgte dessen Wunden am Hinterkopf und an der Schläfe. In dem ich die verletzte Arterie flickte, die Wunden sauber verklebte. Das Verkleben verhinderte, dass es zu einer großen Narbe kam. Der Pflasterstein hatte einen richtigen Dreiangel in Gunthers Schläfe gerissen, knapp neben dem Auge. Jan musste den Stein, mit einer ungeheuren Wucht geworfen haben. Durch das Aufschlagen auf die Straße bekam er noch eine Platzwunde am Hinterkopf. Wie kann man so etwas machen? Der junge Mann hatte Glück, dass er nicht tot war. Bis zum Eintreffen der Rettungskräfte, wäre er längst verblutet. Ich gab Gunther auch noch etwas gegen die Schmerzen und ein Medikament mit einer Langzeitwirkung, um die Auswirkung der Gehirnerschütterung zu mindern. Er würde, wenn er zu sich kam, schlimme Schmerzen haben. Da er eine schwere Gehirnerschütterung davon getragen hatte. Normalerweise konnte ich solche Verletzungen über das Krantonak beseitigen. Auf dieser Straße war ich völlig ungeschützt, das konnte ich nicht machen. Es war niemand da, der auf mich aufpassen konnte. Mit der Gehirnerschütterung konnte und musste Gunther leider leben, im Kopf selber waren keine Verletzungen. Auf der anderen Straßenseite kam eine Frau mit einem kleinen Kasten in der Hand angerannt und sah, wie ich mich um den Verletzen kümmerte.

"Ich hab etw...", wollte sie mir etwas mitteilen. "...ach sie haben ja Verbandszeug dabei", stellte sie erleichtert fest.

Ich winkte sie zu mir heran. "Mam, können sie sich weiter um den Mann kümmern, bitte Mam", rief ich über die Straße.

Die Frau kam sofort angelaufen. "Ich dachte ich sehe nicht richtig. Natürlich helfe ich. Ich habe alles vom Fenster da drüben beobachtet." Sie zeigte auf das Haus auf der anderen Seite.

Dankbar sah ich sie an. "Mam, holen sie bitte Hilfe, Mam. Den Mann habe ich so weit möglich notversorgt, Mam. Er muss aber liegen bleiben, Mam."

Die nette Dame nickte. "Das habe ich schon. Der Rettungswagen ist unterwegs. Die Polizei auch", erklärte sie mir.

"Mam, das war wirklich sehr aufmerksam von ihnen, Mam. Sagen sie bitte dem Arzt, dass der Mann eine schwere Gehirnerschütterung hat, aber im Kopf selber ist alles in Ordnung, Mam. Die Wunden habe ich schon beide versorgt, ich habe ihm auch etwas gegen die Schmerzen gegeben, Mam. Er muss aber dringend in ein Krankenhaus, ich habe keine Zeit mehr, um mich um den Verletzten zu kümmern, Mam. Ich kann hier leider nichts gegen die Gehirnerschütterung zu machen, sorgen sie bitte dafür, dass der Verletzte liegen bleibt, bis der Krankentransport kommt. Mam. Ich bin ausgebildete Polizistin und Ärztin, Mam. Ich kann nicht länger warten, weil ich unbedingt den Mann festnehmen will, der das getan hat, Mam. Ich konnte den Verletzten nicht so liegen lassen, Mam. Aber der Täter ist schon seit einigen Minuten weitergegangen, Mam", überhäufte ich sie mit vielen Informationen.

Die Frau nickte stumm und sah mich auf einmal entsetzt an.

Also räumte ich den Medi-Koffer zusammen, steckte ihn in den Rucksack.

"Mam, danke, Mam. Gute Besserung dem jungen Mann, Mam. Sagen sie ihm ich sorge dafür, dass derjenige bestraft wird, Mam", ich stand auf und wollte loslaufen.

"Junge Frau, wenn die Polizei fragt, wer ihm geholfen hat? Was soll ich da sagen? Darf ich ihren Namen wissen?"

Ich nickte. "Mam, sagen sie einfach, es war eine Kollegin. Bitten sie die Kollegen darum, dass sie Oberst Fleischer von der Soko Tiranus anrufen, Mam. Ich bin 98. Der weiß Bescheid. Danke Mam", im Loslaufen drehte ich mich noch einmal um. "Mam, die Kollegen sollen dem Oberst ausrichten, ich hätte eine Spur, dann weißt der Bescheid, Mam. Es ist der gleiche Täter, der die Kinder entführt hat, Mam, Ich muss los, sonst verliere ich die Spur des Täters, Mam."

Verwirrt sah mir die Frau nach, allerdings bekam ich das nicht mehr mit. Denn ich folgte schon der Spur von Jan, um den Verbrecher nicht wieder zu verlieren. Er durfte nicht noch mehr Menschen verletzen. Nur zehn Minuten später, hatte ich den Blonden eingeholt und er lief wieder vor mir. Wütend trat er gegen jede Mülltonne die ihn im Weg stand und gegen jeden Papierkorb. An einem Kiosk blieb er stehen und kaufte sich eine Flasche mit grüner Flüssigkeit. Ich vermutete, dass es Alkohol war, je mehr er davon trank, umso unsicherer wurde sein Gang. Wenigstens hörte er in diesem Moment auf, alles zu verwüsten. Kurz nach 21 Uhr, kamen wir wieder in die Nähe des Parks mit den Steintafeln. Jan hatte die Flasche ausgetrunken und konnte sich kaum noch auf den Füßen halten. Er steuerte genau auf seine vier Freunde, von gestern Nacht zu. Begrüßte seine Kumpanen lallend.

"Na Heiner, wie geht es dir? Hat das Flittchen, etwas gegessen? Hat der Hurensohn gespurt?"

Heiner sah ihn lachend ins Gesicht. "Klar hat er das, Jan. Erst wollten sie nicht gehorchen, aber meine Überredungskünste sind überwältigend. Die schrie immer. "Lass ihn in Ruhe. Ich mache alles, was du willst." Du kennst mich doch", bei den Sätzen von Keynia imitierte er deren Stimme. Es war einfach widerlich.

Jan lachte schallend. Die Fünf machten sich auf den Weg und traten jeden Stein um, der einen Namen trug, der ihnen nicht gefiel. Auch die anderen waren mehr oder weniger angetrunken. Selbst die Parkbänke hier auf dem Gelände mussten daran glauben. Beschützt durch die Dunkelheit, bekamen die Fünf Mut.

Ich war nicht nur einmal versucht, einzugreifen. Eingegriffen hätte ich nur, wenn noch jemand von Jan und seinen Kumpels angegriffen und verletzt wurden wäre. Das konnte ich nicht mehr zulassen. Allerdings musste ich mich zurückhalten, ich wollte die Ortega-Kinder finden. Da ich keine Ahnung hatte, an welchen Ort die Kinder versteckt sein könnten, war ich auf die fünf randalierenden Jungs angewiesen. Ließ sie schweren Herzens weiter machen. Es war nicht sicher, wenn ich sie jetzt festnahm, dass ich den Standort der Kinder dann noch herausbekommen würde. Das Risiko war mir einfach zu hoch. Sachwerte ließ sich ersetzen, Leben leider nicht.

So zogen die Fünf randalierend und herum krakeelend durch den Park. Schimpften auf alles und auf jeden. Von diesem Jan, bekam ich eine immer schlechtere Meinung. Ich konnte von dem, was ich aus dem Gespräch mit Gunther mitbekam, ja verstehen dass er wütend war, auf den der Vati heißt. Aber ich konnte, nicht seine arrogante Art und sein übertriebenes Selbstwertgefühl akzeptieren, mit dem er vor seinen Kumpels angab. Er war der Klügste, der Beste und derjenige der über allem stand. Der alles wusste und vor allem, alles konnte. Die anderen waren alle dumm, dabei war er selber dumm, wie Bohnenstroh. Ach bei sowas, überkam mich die blanke Wut.

Pille war auch oft, in dieser Art, überheblich, wenn ich ihm dann zeigte, was er wirklich konnte, lag er heulend am Boden. Ich verstand die Leute nicht, wie konnte man sich selber so überschätzen. Nicht mal ich könnte von mir behaupten, alles zu wissen, zu können. Selbst bei dem, was das Kämpfen anging, wo ich nicht schlecht war. Ich bin einigermaßen gut als Kämpfer, das ja. Aber auch ich würde irgendwann einmal auf einen Gegner treffen, der besser kämpfen konnte, als ich. Niemand war in irgendwas so gut, dass er sich nicht verbessern konnte. Wer das dachte, war einfach nur dumm. Deshalb sah ich überall hin und versuchte mir alles erklären zu lassen, um immer besser zu werden. Auch, wenn ich technische Dinge nicht richtig verstand, versuche ich es wenigstens die Theorie zu kapieren. Im Kampf wusste ich, war ich nicht schlecht. Trotzdem würde ich niemals sagen, dass ich gut darin bin, so etwas gehörte sich einfach nicht.

Dieser Jan war dümmer, als wir mit vier Monaten waren. So etwas hätten wir vielleicht mit zwei Monaten gedacht, aber ausgesprochen, hätten wir das nie. Ich hörte in den vielen Stunden, in denen ich Jan und seine Freunde gefolgt war, keinen einzigen vernünftigen Satz. Wie ich solche Leute hasste, am liebsten würde ich sie windelweich prügeln, damit sie mal sahen, welchen Mist sie von sich gaben. Vor allem lag so viel Menschenverachtung in ihren Worten, dass ich die Jugendlichen nicht verstehen konnte. Ich dachte immer, dass der Oberstleutnant ein unmöglicher Mensch war. Dessen arrogante Art einfach nur zum Kotzen war. Aber gegen diesen Jan, war er ein liebevoller und zuvorkommender Mensch. Mayer hätte von Jan eine Menge lernen können. Der war noch um einiges schlimmer.

Ich war froh, als das alles kurz nach halb 5 Uhr in der Früh, ein Ende hatte. Dass die Gruppe endlich von jemand aufgehalten wurde. Es kam eine Polizeistreife, die wohl auf die Randalierenden, aufmerksam gemacht wurde. So verschwanden die Bande, aus dem Park in Richtung des unterirdischen Gebäudes. Wieder verabschiedeten sich die Fünf und verabredeten sich für den nächsten Tag im Bunker. Sie verschwanden über die Treppen mit den Nummern 1 und 4. Jan ging auf der anderen Seite, wie am gestrigen Tag, wieder heraus. Eine dreiviertel Stunde später, waren wir wieder an dem Haus, in der Nähe des Sees angekommen. Jan verschwandt in dem Haus und ich in dem Wäldchen.

Ich suchte für mich in den Bäumen gegenüber, einen bequemen Schlafplatz. So betrunken, wie Jan immer noch war, würde er so schnell nicht wieder erscheinen. Ich würde ihn vor fünf Stunden, so war ich der Meinung, nicht wieder zu Gesicht bekommen, denn der musste erst einmal seinen Rausch ausschlafen. So konnte ich mir auch etwas Ruhe gönnen und schlafen. Kurz überlegte ich, ob ich es mir wagen konnte, zum Stützpunkt zurücklaufen. Allerdings war mir das Risiko zu hoch, dass ich dann von neuen nach Jan und seiner Gruppe suchen musste. Ich wollte erst wissen wo dieser Bunker ist, denn ich ahnte, dass ich die Kinder dort zu finden würde.

So wütend, wie der die ganze Nacht schon war, ließ ich den lieber nicht mehr aus den Augen. Die Gefahr für die Ortega Kinder war viel zu groß. Hier vor Ort, bekam ich sofort mit, wenn Jan das Haus verließ und konnte ihm jederzeit folgen. Auch wenn ich etwas schlafen würde, war ich auf Bewegungen programmiert, selbst ein Vogel würde mich wecken, der nur vorbeifliegen würde. Also versuchte ich es mir so bequem, wie irgend möglich einzurichten und schlief einige Stunden. Dies tat mir gut, denn ich war immer noch nicht auf dem Posten.

Gegen 8 Uhr in der Früh, wurde ich von Bewegungen kurz munter, da unter mir einige Katzen entlang liefen. Es war aber von Jan weit und breit nichts zu sehen. Erst am frühen Abend, kurz nach 18 Uhr, sah ich ihn wieder. Er war nicht zu überhören, da er sich mit dieser Felicitas und einen ebenso blonden, doch wesentlich älteren Mann stritt. Dieser sagte in einem leisen vernünftigen Ton.

"Jan, du bleibst hier, das ist mein letztes Wort. Du bist erst sechszehn Jahre, noch kannst du nicht frei darüber entscheiden, was du willst oder kannst. Junge, werde erst einmal erwachsen. Wir müssen immer noch unser Ja oder Nein dazu sagen. Komm wir finden eine Lösung die auch für dich akzeptabel ist. Wir sind doch immer gut mit einander ausgekommen. Was ist nur los mit dir?"

Dieser Jan war nicht bereit auf das zu hören, was dieser Mann sagte. Brüllte schon wieder herum, wurde beleidigend und anmaßend.

"Du hast mir gar nichts zu sagen. Kriech deiner schwarzen Schlampe doch in den Arsch. Es interessiert dich überhaupt gar nicht, was mit mir ist. Seit drei Jahren ist dieses schwarze Pack, dir wichtiger als dein eigen Fleisch und Blut. Was willst du alter Hurenbock eigentlich von mir? Machst mit deiner Hure ein Kind nach dem anderen und willst mir Vorschriften machen. Dein eigenes Kind, in dem gutes und reines deutsches Blut fließt, ignorierst du. Du kannst mich mal. Ich bin umgeben von schwarzen Hurensöhnen und schwarzen Schlampen. Das halte ich nicht mehr aus. Leckt mich doch alle mal am Arsch. Ihr hört nur noch von mir, wenn ich Geld brauche. Zum Glück müsst ihr schwarzen Arschlöscher, wenigstens für mich sorgen."

Jan war bepackt mit einem Rucksack und lief einfach die Straße entlang, in Richtung Nordwesten. Viele Leute schauten kopfschüttelnd zum Balkon herunter und sahen fassungslos zu Jan, dem Mann und der Frau. Das was dieser blonde Mann sagte, interessierte Jan überhaupt nicht. Er ließ ihn einfach stehen. Ich sprang aus dem Baum und lief weiter im Schatten der Bäume, Jan hinterher. Bis ich der Meinung sein konnte, dass ich einigermaßen, aus dem Blickfeld der Leute war, die vor dem Haus und auf den Balkons standen. Fast zeitgleich, als Jan die Straße am Fluss verließ, kam eine Polizeistreife angefahren. Dieser hielt vor dem Haus, in dem Jan immer verschwandt. Ich sah noch, wie die Kollegen auf diese Felicitas, den Mann zugingen und hörte diese Felicitas aufschreien. Die beiden hatten wahrscheinlich gerade von der Verletzung dieses Bruders erfahren. Im Seitenblick sah ich die schwangere Frau zusammenbrechen. Am liebsten wäre ich zurück gegangen, dies konnte ich mir allerdings im Moment nicht leisten. Meine Aufgabe war es Jan weiter zu verfolgen. Es waren genügend Menschen da, die helfen konnten. Um keinen Preis, durfte ich diesen Jan jetzt mehr aus den Augen lassen. So wütend wie dieser Kerl war, stellte er eine potentielle Gefahr dar, nicht nur für sich vor allen für andere. Ich durfte dessen Spur nicht wieder verlieren, man konnte nicht wissen, was er den Ortega Kindern dann noch alles antun würde. Die Kinder waren in höchster Gefahr.

Jan ging allerdings nur ein kleines Stückchen gegen Nordwesten, dann bog er wieder auf diese verkehrsreiche Straße und lief eilig gegen Südosten. Vorbei an dem Park mit den Schwimmbecken, folgte er immer dem Straßenverlauf. Über vier Stunden lief er stur und vor sich hin schimpfend, immer weiter. Fast siebenundzwanzig Kilometer marschierten wir, immer weiter auf diese Straße entlang. Plötzlich drehte er nach Norden ab und lief einen Waldweg entlang. Endlich wurde es für mich etwas einfach ihm zu folgen. Nach vierhundert Meter kam er an einen Bahndamm, den er überqueren muss. Ich ließ ihm etwas Vorsprung, denn hier konnte ich mich nirgends verstecken. Einige Male schon hatte ich das Gefühl, dass Jan wusste, dass er verfolgt wurde. Also musste ich auf Nummer sicher gehen. Wartete bis der junge Mann im Wald verschwunden war. Jan blieb plötzlich stehen und lief nicht weiter, stand beobachtend hinter einen Baum. Er hatte mich also bemerkt, dass war überhaupt nicht gut. Nach einer halben Stunde zuckte er mit den Schultern, rieb sich den Nacken und schüttelte, wahrscheinlich über sich selber den Kopf. Lachend sah ich daran, was er dachte. Ich glaube, er schallte sich gerade selber einen Narren und dass er schon an Verfolgungswahn litt. Er lief jetzt, ohne sich noch einmal umzudrehen weiter.

Trotzdem würde ich noch vorsichtiger sein. In einer Stadt jemanden ganz alleine zu verfolgen, war nicht so einfach. Es gab nicht viele Möglichkeiten sich zu verstecken. Im Wald war ich von Vorteil, das war mein Terrain, in den ich viel Erfahrung hatte. Als ich ihn kaum noch laufen hörte, überquerte auch ich den Damm. Lief parallel zu dem Weg, im Wald weiter. Fast einen Kilometer folgte er dem Waldweg, bis er an ein zerbombtes altes Werksgelände kam. Sich ständig versichernd, dass ihn niemand folgte, huschte er in eine der Hallen. Ich schlich ihm nach, denn ich wollte unbedingt wissen, ob die Kinder hier waren und vor allem, wo er jetzt hinging. Erst dann konnte ich, folgerichtige Entscheidungen treffen. Ich hatte etwas entdeckt, was mir gar nicht gefiel. Was Jan zwar entgangen war, aber nicht mir.

Jan durchquerte die ausgebombte Halle und ging zu einer Treppe, die nach unten führte. Scheinbar war diese Halle unterkellert. So leise, wie möglich, folgte ich ihm, jeden Schatten ausnutzend. Allerdings führte die Treppe nicht in einen Keller, sondern in ein unterirdisches Labyrinth. Das scheinbar zur der hiesigen Kanalisation gehörte. Lange liefen wir durch verschieden Kanäle, bogen zweimal in Richtung Süden ab, einmal Richtung Osten. Kamen wieder an eine Treppe die uns noch tiefer nach unten führte. Fast fünfunddreißig Meter waren wir jetzt unter der Oberfläche. Plötzlich stand Jan vor einer Stahltür. Das meinte er also mit Bunker. Es schien, als ob das einer der ganz alten Luftschutzbunker war. Jan öffnete diese Stahltür und verschwand sofort darin.

Jetzt hatte ich ein großes Problem. Ich kannte den Bunker nicht und hatte keine Unterlagen zur Hand. Ich hoffte sehr, dass es noch mehrere Zugänge gab. Denn ich konnte die Bunkertür nicht einfach öffnen und hinterher laufen. Da ich nicht wusste, was dahinter verborgen hielt. Verzweifelt suchte ich die Umgebung ab und fand schließlich einen Notausstieg der oberhalb einer anderen Tür war. Leise ging ich in die Wand und öffnete diese Not-Luke mit meinem Messer. So leise, wie irgend möglich, lief ich in der Röhre weiter und hoffte sehr, dass dieser Gang mich zu Jan führen würde. Es schien eine Art Belüftungsrohr zu sein. Hier gab es riesige Ventilatoren, die immer noch in Betrieb waren. Zu meinem Glück, liefen diese sehr langsam. Ich legte meine Ausrüstung ab und hechtete mich hindurch. Wäre es notwendig, konnte ich den Rucksack später holen. Ich musste hier hindurch, da ich sonst nicht an das Gatter kam, welches mir den Blick in einen großen Raum ermöglichte. Dort musste ich hin, denn ich hörte leise Stimmen. Mir war bei diesem Einsatz wirklich das Glück hold. Als ich durch das Gatter blickte, sah ich in eine Art Aufenthaltsraum. Durch seine goldblonden Haare, stach Jan von den anderen ab. Er schien hier so etwas wie der Chef zu sein. Die anderen begegnen ihm alle, mit einem gewissen Respekt. Leider konnte ich nirgends die beiden Ortega Kinder entdecken. Verdammt, ich hatte so gehofft, dass ich diese schnell fand, ich musste mich hier im Bunker noch etwas umsehen. Vielleicht gab es hier ja noch ein weiteres Versteck. Mich bedeckt haltend lauschte ich den Gesprächen, unter anderem hörte ich, wie Jan fragte.

"Arnold, was macht mein kleines Flittchen und ihr dreckiger Bruder?"

Er bekam sofort eine Antwort. "Vor sechs Stunden, haben sie noch gelebt. Aber seit dem, haben wir nicht mehr nach ihnen sehen. Wir hatten keine Lust, so weit zu laufen. Ich sehe dann gleich mal nach dem Pack. Jan, lass uns wenigstens erst einmal frühstücken. Man habe ich vielleicht einen Kater", erklärte ihm Arnold, es war einer der Jungs, die gestern Abend in dem Park mit den Steintafeln randaliert hatten.

Also musste ich erst noch einmal nach draußen. Hoffentlich entwischte mir diese Bande nicht wieder. Dann konnte ich wieder von neuen anfangen zu suchen. Denn eins hatte ich schon entdeckt, aus diesem Bunker gab es mehrere Ausgänge. Ich ließ die Leute hier nur ungern zurück. Aber mir blieb nichts anderes übrig. Deshalb ging ich wieder nach draußen. Ich musste zusehen, dass es hier nicht zu einer großen Katastrophe kam. Schnell lief ich in dem Schacht zurück und schloss sogar den Notausstieg wieder. Nur damit keiner auf die Idee kam, dass dort jemand gewesen war. Schnellst möglichst verließ ich das Gebäude und lief zurück in den Wald.

An die Stelle, an der ich den Kollegen entdeckt hatte. Es handelte sich um einen Kollegen einer Soko, das erkannte ich an der Bekleidung. Vermutlich von der Soko Alexanderplatz, die ja angeblich an einer heißen Spur dran waren. Hoffentlich bauten die jetzt keinen Mist.

  

Ich musste erst einmal abklären, was diese Kollegen hier wollten und für die Zukunft geplant hatten. Wenn zwei an einer Sache herumfummelten, gab das nie etwas Gutes. Ich näherte mich vorsichtig, einem der Wachposten. Die am Rande des Werksgeländes Posten bezogen hatten. Der Kollege starrte starr vor sich hin. Er sah mich kommen, aber er reagierte nicht auf mich. Wahrscheinlich schlief er mit offenen Augen. Das konnte doch alles nicht wahr sein.

"Sir, aufwachen, Sir, erschrecken Sie nicht, Sir. Könne sie mich zu ihrem Einsatzleiter bringen, Sir. und mir bitte sagen, zu welcher Einsatzgruppe sie gehören, Sir?", bat ich ihn um Auskunft.

Erschrocken zuckte der Kollege zusammen. Er starrte mich entsetzt an, da er mich überhaupt nicht bemerkt hatte. Der Kollege merkte mich erst, als ich schon direkt neben ihm stand und ihn vorsichtig an der Schulter berührte.

"Was willst du hier Mädchen? Wo kommst du denn her?", wollte dieser böse von mir wissen und musterte meine Aufmachung. Ich trug einen Polizeioverall und einen riesigen Rucksack. Ich zeigte auf die Halle und informierte ihn über meine Person.

"Sir, ich bin 98 von der Soko Tiranus, der angeforderte Spurensucher, Sir. Ich dachte sie haben mich gesehen, weil sie die Halle ja beobachten sollten, Sir. Bitte bringen sie mich zu ihrem Einsatzleiter, Sir. Oder informieren sie diesen, dass ich ihn sofort sprechen muss, Sir."

"Wie 98, was soll denn das für ein Name sein? Willst du mich verarschen oder was? Höre auf hier Blödsinn zu erzählen, ich bin viel zu müde um solchen Mist anzuhören. Keiner bei Oberst Fleischer, darf eine Sonnenbrille tragen. Der würde an die Decke gehen. Ich kenne den Oberst ziemlich gut. Verschwinde hier."

Tief holte ich Luft und kämpfte gegen die Wut an, die in mir aufstieg. "Sir, ich darf eine Sonnenbrille trage, das hat auch der Oberst akzeptieren müssen, Sir. Wenn sie den Genossen Oberst so genau kennen, wissen sie auch, dass er hundertvierundneunzig Zentimeter groß ist und ungefähr fünfundneunzig Kilo wiegt. Das er neununddreißig Jahre alt ist. Er seit 1960 die Soko Tiranus leitet, Sir. Er hat schwarze kurzgeschorene Haare hat und braune Augen, Sir. Der Koch heißt Walter und sein bester Mann Phillip Kürschner, kurz Pille genannt. Sein Pilot heißt Georg Brando, wird aber nur Gosch gerufen, Sir. Bitte informieren sie ihren Vorgesetzen, dass der Teamleiter vom Team 98 eingetroffen ist, der angeforderte Spurensucher und ihn dringend sprechen möchte, Sir. Den Ortega Kindern läuft die Zeit weg, bitte Sir."

Verwundert sah der Kollege mich an und holte sein Sprechfunkgerät heraus. Er funkte seinen Vorgesetzten an. "Kurt, hier ist Kalle. Sag mal hast du bei der Soko Tiranus, einen Spurensucher angefordert?" Dieser antwortet. "Ja, aber schon vor einigen Tagen. Man sagte mir, dass es eine junge Frau ist. Die scheint allerdings noch beim Friseur zu sein. Sie hat sich noch nicht gemeldet. Warum?"

Irritiert sah ich den mir fremden Kollegen an. Was bitte sollte das heißen und vor allem werden, wenn es fertig war. Wieso informiert der Einsatzleiter seine Leute nicht, dass er Verstärkung angefordert hatte. Was ist das für eine unorganisierte Truppe.

Kalle lachte. "Nein Kurt, sie ist nicht beim Friseur, sie steht neben mir und hat mich gerade fast zu tote erschreckt. Kannst du sie holen lassen. Oder soll ich zurück kommen, hier ist nichts los."

Verdammt, der hatte wirklich geschlafen? So blind konnte man absolut nicht sein. Kopfschüttelnd sah ich mir mein Gegenüber an.

"Na, wenn nichts los ist, komme zurück. Ich habe echt gedacht, dass die ihr Versteck hier haben."

'Kein Wunder, dass die nach vierzehn Tagen die Kinder immer noch nicht gefunden haben', schoss es mir durch den Kopf. Wenn die alle so arbeiteten, würden die nicht mal einen Bären finden, wenn er unmittelbar vor ihnen stehen würde. Na das konnte ja heiter werden. Mir wurde kotz übel, als ich diese Antwort hörte. Was war das für ein Einsatzleiter?

"Geht klar Kurt, ich komme zurück", er schaltete sofort das Sprechfunkgerät wieder aus.

"Sir, sie brauchen mir nur sagen, wo ich hin muss, Sir. Dann finde ich den Weg auch ohne ihre Hilfe, Sir. Bleiben sie einfach hier, aber nicht wieder einschlafen, Sir. Sie haben drei Leute nicht gesehen, das kann doch alles nicht wahr sein, Sir."

Verwundert sah er mich an. "Wieso?"

"Sir, der Jan ist hier vor einer halben Stunde durch, kurz danach ich, jetzt bin ich zurückgekommen und habe sie fast zu tote erschreckt. Ich hätte sie töten können, ohne dass sie im Anschluss gewusst hätten, warum sie tot sind, Sir. Obwohl sie die Halle beobachten sollten, Sir. Was soll das Ganze, Sir? Langsam reicht es mir, Sir."

Verlegen rieb sich Kalle das Genick. "Das ist nicht gut. Komm ich bringe dich zu Kurt Rudolf und schicke jemanden her, der besser aufpasst. Entschuldige, normaler Weise schlafe ich nicht auf dem Posten ein. Aber wir haben alle seit dem Achten, so gut wie nicht geschlafen. Komm, verrate mich ja nicht beim Chef, der haut mir die Ohren vom Stamm."

Schon stand er auf und lief in den Wald hinein. Nur etwa neunhundert Meter von der Stelle entfernt, stand ein umgebauter Robur. 'Wieso', ging es mir durch den Kopf, 'haben die nicht gleich ihr Lager, in der Halle aufgeschlagen und geschrien, wir sind da. Seht ihr uns auch alle.' Kopfschüttelnd sah ich mich um und musterte die Kollegen von der Soko Alexanderplatz. Hinter dem Robur stand ein LKW, darum saßen und lagen zweiundzwanzig Einsatzkräfte, mitten im Dreck. Also waren außer dem Kollegen, mit dem ich eben gesprochen hatte, wahrscheinlich noch weitere acht Kollegen rum um die Halle verteilt. Hoffentlich schliefen die nicht alle. Denn so wie die Mitglieder dieses Teams aussahen, waren die alle schon lange über ihrer Leistungsgrenze. Denn sie lagen und saßen rund um den LKW verteilt, mitten im Dreck. Keiner hatte einen Kaffee oder etwas zu essen in der Hand, obwohl sie ja eigentlich, wie es schien gerade Pause machten. Die Kollegen redeten im sitzen oder schliefen einfach da, wo sie umgefallen waren. Sie sahen genauso grauenvoll aus, wie Kalle, den ich gerade angesprochen hatte. Als hätten sie seit Tagen keine Dusche und kein Bett mehr gesehen. Fassungslos blickte ich mich um. Das war ja hier ein Sauhaufen.

Kalle ging mit mir in den Robur, in dem sich die Einsatzzentrale befand. Vier Leute waren hier versammelt und brüten über das für und wider, der Lagerhalle. Also waren um die Halle nur fünf Wachen aufgestellt. Innerlich schüttelte ich den Kopf, wurde aber sofort wieder abgelenkt, als ich mich in der Einsatzzentrale umsah. Was ich hier sah, konnte ich nicht fassen. Kaum, dass ich eingetreten war, drehte sich ein etwa fünfundvierzig Jahre alter, dunkelblonder Oberstleutnant um und sah mich grinsend an. Nicht wie alle anderen, im Overall, dreckig und beschissen, sondern sauber rasiert, gewaschen und in Uniform. Das hieß er saß nur im Robur und ließ die anderen die Arbeit machen. Eine unsagbare Wut stieg in mir hoch. Oh wie ich solche Menschen hassen tat. Auf diese Art ließ es sich gut Leben. Noch um einiges aufmerksamer sah ich mich im Robur um. Da war auch ein Bett, es gab sogar eine Kochnische und einen Sanitärbereich. Das gab es doch gar nicht.

Kalle hatte also recht, er hatte kaum geschlafen. Wie  auch, wenn die Arbeit nicht gerecht auf alle verteilt war. Ich verzieh ihm, dass er eingeschlafen war. Die anderen Kollegen, sahen genauso unrasiert, genauso dreckig, vor allem genauso müde aus. Der Einsatzleiter, der auf mich zukam, sah dagegen so aus, als wäre er gerade erst aufgestanden. Der Oberstleutnant musterte mich und fing plötzlich an zu lachen. Das brachte das Fass zum Überlaufen.

"Jetzt weiß ich, warum du jetzt erst kommst, Mädel. Du musstest erst noch in den Kindergarten und danach noch dein Fläschchen trinken. Das dauert natürlich. Da hat man keine Zeit seine Arbeit zu machen."

Jetzt platzte mir gleich der Kragen. Tief holte ich Luft, um den Einsatzleiter der Soko Alexanderplatz nicht anzubrüllen. Sprach in einem eisigkalten Ton, in der ich höherrangigen Offizieren immer die Meinung sagte.

"Sir, 98, vom Team 98 meldet sich zum Dienst, Sir", ungehalten sah ich den Teamleiter der Soko an.

Als er etwas sagen wollte unterbrach ich ihn einfach. Atmete nochmals tief durch, um leise sprechen zu können, sonst hätte ich wahrscheinlich losgebrüllt.

"Sir, ich mache sehr wohl meine Arbeit, Sir. Aber wie es scheint sie nicht, Sir. Sie hören mir jetzt erst einmal zu. Zum Ersten, ich hätte die Kinder schon längst gefunden, wenn sie sich vor sechszehn Tagen schon eingestanden hätten, dass sie mit diesem Fall völlig überfordert sind und sie nicht in der Lage sind, die Ortegas zu finden, Sir. Ich fand die Entführer der Kinder, innerhalb von nur wenigen Stunden, Sir. Zum Zweiten Sir, ich habe weder mit ihnen gekämpft, noch würde ich dies je mit ihnen tun, weil ich ihnen niemals meinen Arsch anvertrauen würde, Sir. Sie stehen hier ausgeschlafen…" Ich zeigte hoch auf sein Bett. "…, rasiert, haben gut gegessen…", zeigte auf die Koch- und Sanitärecke, in der immer noch das Geschirr, der letzten Mahlzeit stand, aber auch das Rasierzeug lag. "…, habe Kaffee getrunken…", zeigte auf die halb leere Kaffeemaschine. "…, während sie ihre Männer, draußen im Dreck schlafen lassen, Sir. Was sind sie eigentlich für ein Mensch, was sind sie für ein Kamerad, Sir. Geben ihren Leuten nicht einmal Kaffee zu trinken, Sir. Sprechen sie mich gefälligst mit meinem Rang, Namen und dem nötigen Respekt an, Sir. Zum Dritten, ziehen sie…"

"Wa…", wollte er mich unterbrechen.

Dieses eine Mal ließ einen Vorgesetzten nicht zu Wort kommen, da ich richtig böse wurde, das geschah nicht oft bei mir. "…Sie halten jetzt gefälligst ihren Mund und hören mir zu, bevor ich mich ganz vergesse, Sir, und sie hier aus dem Wagen heraus prügele und sie sich ihre feine Uniform schmutzig machen, Sir. Zum Dritten, ziehen sie sich sofort mit ihren Männern aus dieser Sache zurück, die Ortega Kinder sind nicht hier, Sir. Ihre Männer sind nicht mehr einsatzfähig, Sir. In einem Einsatz, in dem es um Leben und Tod ginge, hätten sie jetzt dort draußen zweiundzwanzig Leichen liegen, Sir. Denn ich hätte jeden ihrer Untergebenen, töten können und hätte nicht einmal eine Gegenwehr bekommen, Sir. Zum Vierten, wenn sie hier einen Zugriff machen, gefährden sie das Leben der Kinder, Sir", böse funkelte ich ihn an und fuhr immer noch im eisigen aber leisen Ton fort. "Sir, und noch eins, sollten sie jetzt auch noch anfangen an meiner Brille herumzunörgeln, explodiere ich, das ist noch keinen bekommen, Sir. Zu meinem Alter, ja ich bin erst sechs Jahre, aber ich habe schon fast dreihundert Einsätze geleitet und aller erfolgreich abgeschlossen, Sir. Alle waren schlimmer und schwerer als dieser hier, aber niemals, wirklich niemals, sahen meine Leute so herunter gekommen und mitgenommen aus, wie die ihren, Sir. Diese Einsätze führte ich allerding nicht, in dem ich mir eine schicke Uniform angezogen habe und es mir in einem Robur bequem machte, Sir. Sondern in dem ich meinen Arsch, gemeinsam mit meinen Leuten, draußen an der Kampflinie bewegte, Sir. Genauso wenig schlief, genauso hungerte und genauso kämpfte wie sie, Sir. Erzählen sie mir nicht, wie ich meine Arbeit zu machen habe, Sir."

Fassungslos sah mich der Einsatzleiter der Soko Alexanderplatz an. Die Männer hinter ihm konnten sich das Lachen kaum verkneifen. Wahrscheinlich hatte ich das ausgesprochen, was ihnen schon lange durch den Kopf ging. Fast zwei Minuten brauchte der Einsatzleiter, um sich wieder zu fangen. So etwas war ihm wahrscheinlich noch nie passiert. Dann brüllte er mich an.

"Was fällt dir eig…", wieder unterbrach ich ihn und sagte im leisen eisigkalten Ton, den ich immer verwendete, wenn ich stocksauer war.

"Sir, ich duze sie nicht, also sprechen sie mich gefälligst mit dem nötigen Respekt an, Sir. Ich bin Leutnant 98, habe alle Prüfungen bestanden, wie jeder ordentliche Offizier es tut, Sir. Habe mir also den gleichen Respekt von ihnen verdient, wie von jedem anderen Offizier. Auch von einem vorgesetzten Offizier, wie sie es sind, Sir", schwer holte ich Luft und kämpfte gegen diese verdammt Wut an, die in mir hochkam, wenn ich sowas erlebte. Die heute noch um vieles schlimmer war als sonst, sie vermischte sich mit der Wut des Ginos in mir, den ich seit Wochen nur mühsam unterdrücken konnte.

"Leutnant 98, ihr Verhalten wird nicht ohne Konsequenzen bleiben. Was nehmen sie sich eigentlich heraus?"

"Sir, was ich mir heraus nehme, kann ich ihnen sagen, Sir. Ich stufe ihre gesamtes Team, als nicht mehr Einsatzfähig ein, Sir. Ich bin ausgebildete Ärztin, Sir. Viele der Männer, die draußen um den LKW und im Dreck liegen, haben seit über zwei Wochen kein Bett mehr gesehen, Sir. Selbst gegen solche Möchtegern Nazis, wie sie unten in der Halle sind, hätte keine noch so geringe Chance, Sir. In eine handgreiflichen und auf Abwehr basierenden bewaffneten Auseinandersetzung, verletzungsfrei herauszukommen, Sir. Weil ihre Männer nicht mehr klar denken können, Sir. Ist ihnen das Leben ihrer Kameraden so wenig wert, Sir. Oder sind das nicht ihre Kameraden, sondern nur Handlanger die für sie die Dreckarbeit machen, Sir. Wie viele ihrer Leute haben sie in den letzten Monaten, auf diese Weise verheizt, zehn oder noch mehr, Sir? Weil sie ihre Kameraden in einem Zustand kämpfen lassen, der nicht zu verantworten ist, Sir. So etwas macht mich verdammt wütend, Sir. Mir ist es egal, ob sie mein Benehmen melden oder nicht, Sir. Lieber lasse ich mich auspeitschen, als zu zusehen, wie sie ihre Männer ins Unglück schicken, Sir. Wann haben sie eigentlich das letzte Mal im Dreck geschlafen, Sir?", wütend, mit dem Kopf schüttelnd sah ich ihn an, holte tief Luft, um meine Wut zu kontrollieren zu können.

Jetzt reichte es dem Einsatzleiter, er brüllte mich an. "Raus hier. Verschwinde, du kleine Rotznase! Das muss ich mir nicht gefallen lassen."

Ich drehte mich um, verließ den Robur. Ich musste raus gehen, weil ich sonst diesen arroganten Menschen umbringen würde. Ging ein paar Schritte in den Wald und setzte mich an einen Baum, um mich zu beruhigen. 'Was mach ich hier eigentlich' ging es mir durch den Kopf, es war gleich Mitternacht, hier verstrich Zeit, die ich für die Suche der Kinder gut verwenden könnte.' Nach einigen Minuten hatte ich mich wieder einigermaßen im Griff. Eilig stand ich auf und lief zu den Männern, die am LKW saßen und lagen. Sah dort Kalle stehen.

"Sir, könnte ich sie kurz sprechen, Sir", bat ich den Kollegen, der mir zwar im Rang unterstellt war, aber da ich ihn nicht kannte, trotzdem sieze.

"98, klar kannst du das. Ich muss mal sagen, wie du den feinen Herren da drinnen, grad runtergeputzt hast, ging mir runter wie Öl. Ich bin der Kalle, du kannst du zu mir sagen. Oder soll ich dich auch siezen."

Ich schüttelte den Kopf. "Kalle, das brauchst du nicht, aber bei so etwas geht mit mir die Wut durch. Tut mir leid, ihr habt jetzt einen völlig falschen Eindruck von mir. Bitte Leute egal, was euer Chef sagt, kein Zugriff. Die Kinder sind nicht hier, wir müssen deren Versteck erst noch finden. Wenn ihr einen Zugriff macht, sind die Kinder tot. Denen geht es sowieso schon nicht gut, wie ich mitbekommen habe. Die werden regelrecht gefoltert. Also bitte, tut euch und den Kindern einen Gefallen, fahrt bitte nach Hause. Könnte mir jemand eine Verbindung zur Soko Tiranus machen, zu Oberst Fleischer?"

Ein noch sehr jung aussehender, rothaariger, schlanker Mann, kam auf mich zu. "Klar mache ich dir das. Kannst du mir die Funkfrequenz sagen? Ich bin der Andreas, aber alle nennen mich hier nur Ari."

Ich schüttelte den Kopf. "Ari, damit kenne ich mich nicht aus. Ich bin das, was man ein technisches Genie nennt. Das sagen meine Freunde immer von mir, ich habe von sowas keine Ahnung, wirklich nicht", antwortete ich, mit den Schultern zuckend. "Schade, der Oberst hätte mir geholfen und dafür gesorgt, dass ihr nach Hause kommt. Aber ist nicht schlimm, dann muss ich anders vorgehen. Ich verjage die einfach aus dem Bunker. Dann könnt ihr keinen Zugriff machen", sofort wollte ich loslaufen in Richtung der Halle, als mir Ari hinterher rief.

"Warte mal 98. Ist das ein blöder Name. Na egal, ich bekomme das schon hin. Es dauert nur einen Moment."

Ari verschwand auf den LKW und kam eine Minute später, mit dem Funkgerät zurück. Stellte eine Frequenz ein.

"Hallo Scholle, sag mal kannst du bitte mal kurz, für mich etwas nachsehen. Auf welcher Frequenz, erreiche ich die Soko Tiranus?"

Er wartete einen Moment und zog seinen Ärmel vom Overall nach oben, nahm einen Stift aus der Brusttasche und schrieb sich Zahlen auf den Arm. Verwundert sah ich ihm zu.

"Danke Scholle, du bist ein Schatz", wieder einen Moment Pause. "Du, das kann ich dir nicht sagen, das Prinzeschen, war unpässlich, musste zwei Tage schlafen. Keine Ahnung, wann wir zurück kommen. Ich hoffe bald, ich musste mir die Frequenz schon aufschreiben, so müde bin ich. Bis dann", nochmals drehte er an seinen Knöpfen und drückte Tasten.

Ich würde wohl nie begreifen, wie so ein Funkgerät funktionierte. Nur gut das wir die Verbindung haben, das wäre die einzige Prüfung gewesen, wo ich durchgerasselt wäre. Zugegebenermaßen habe ich nie verstanden, was man da machen muss. Kaija hatte mir in der praktischen Prüfung alles vorgesagt, nur gut, dass keiner etwas von unserer Verbindung wusste. Theoretisch konnte ich das alles, aber praktisch, oh je. Mittlerweilen wusste ich, wie ich eine Verbindung zur Schule herstellen konnte, aber das hatte Jahre gedauert. Für den Fall, dass alle anderen nicht mehr dazu in der Lage waren zu funken. Meine Leute verzweifelten bald daran und schmissen sich nicht nur einmal weg vor Lachen, weil ich mich dermaßen doof angestellt hatte. Keine Minute später hielt mir Ari die Kopfhörer hin.

"Bitte Ari, kannst du bitte die Kopfhörer ganz leise stellen, so leise es irgend geht?"

Verwundert sah mich Ari an, drehte aber an den Knöpfe. "Leiser geht es nicht 98."

"Danke, Ari", ich nahm die Kopfhörer entgegen und setzte sie vorsichtig auf. "Sir, 98 am Funk, Sir", meldete ich mich ordnungsgemäß.

Der Oberst dachte zum Glück daran leise zu sprechen. "Gott sei Dank, Lyn, mein Mädchen, wie geht es dir. Ich war schon richtig in Panik."

Ach mein guter Oberst, immer hatte er Angst um mich, was sollte mir hier passieren. "Sir, na ja es geht mir gerad nicht so gut, Sir. Ich habe mich eben sehr aufgeregt, Sir. Dieser Einsatzleiter hier vor Ort ist die Hölle, Sir. Können sie bitte dafür sorgen, dass dieser, den geplanten Zugriff absagt, Sir. Die Kinder sind nicht hier, es würde die Kinder nur gefährden, Sir. Dieser Jan ist gefährlich, den traue ich alles zu, Sir. Der hat nicht einmal Respekt vor seinen Freunden, Sir. Hat seinem Freund und Bruder, was immer das ist, einen Pflasterstein, so an den Kopf geworfen, dass dieser innerhalb von wenigen Minuten verblutet wäre, Sir. Nur gut, dass ich in der Nähe war, der Pflasterstein hat eine Kopfarterie getroffen, Sir. Er hat nicht mal nachgesehen, wie schlimm er denjenigen getroffen hat, ist einfach abgehauen, Sir. Dieser Bruder wäre verblutet, ehe ein Arzt dazu gekommen wäre, Sir."

Der Oberst hört mir zu, registrierte jede Schwankung in meiner Stimme. "Lyn mein kleine Mädchen, wieso hast du dich mit dem Einsatzleiter angelegt?"

"Sir, die Leute hier können sich vor Müdigkeit, kaum noch auf den Beinen halten, Sir. Der Einsatzleiter schläft im Robur, ist ausgeschlafen, hat gegessen die Jungs hier sehen aus als hätten sie seit Tagen keine ordentliche Mahlzeit mehr gehabt, Sir. Geschlafen haben die schon seit dem 8ten nicht mehr ordentlich, Sir. So geht das doch nicht, Sir. Alle Männer die ich bis jetzt gesehen habe, sind überhaupt nicht mehr einsatzfähig, Sir."

Mein Oberst lachte am anderen Ende des Funkes.

"Sir, das ist nicht zum Lachen, Sir. Kommen sie her, sehen sich diese Sauerei einmal persönlich an, Sir, diese Männer können einen nur leidtun, Sir. Der ist ja schlimmer als unser Oberstleutnant, Sir."

"Lyn, ich lache doch nicht über die Männer, auch nicht über dich. Mein kleines Mädchen, ich stellte mir nur gerade das Gesicht von dem Einsatzleiter vor, den du bestimmt ordentlich die Meinung gesagt hast. Der hat bestimmt böse geguckt."

"Sir, nein Böse hat der nicht geguckt, Sir. Aber ganz schön dumm aus seiner schicken Uniform, Sir, wahrscheinlich hat ihm das noch nie jemand gesagt, Sir. Das man das nicht tut, Sir", erklärte ich meinem Oberst ernst.

Die Männer um mich herum lachten sich halb weg. Ich verstand nicht wieso.

"Lyn, dann gebe mir bitte mal den Funker. Ich versuche zu erreichen, dass die Soko Alexanderplatz sich zurückzieht. Lyn, das nächste Mal, rufst du mich gleich an, bevor du den Einsatzleiter verärgerst."

"Sir, es muss ihm doch mal jemand die Meinung sagen, Sir. Wie hätte ich sie denn in diesem Moment informieren sollen, Sir. So geht das absolut nicht, Sir."

Lachend gab mir der Oberst recht. "Lyn, das stimmt schon. Aber manchmal braucht man etwas Diplomatie, mein kleines Mädchen. Nicht jeder kann mit deiner absoluten Ehrlichkeit umgehen. Also komm, geb mir den Funker."

"Sir, jawohl, Sir", nahm die Kopfhörer ab und reichte ihm Ari zurück. "Sir, denken sie bitte daran, die Lautstärke wieder hochzudrehen, Sir", erinnerte ich ihn an die herunter geregelte Lautstärke.

Völlig in Gedanken versunken, weil ich darüber nachdachte, was der Oberst damit meinte.

"Was hab ich verbockt, das du mich wieder siezt?", fragte mich Ari verwundert.

Ich winkte ab.

Kalle sah mich an. "Haste Ärger mit Willy gehabt Kleine."

Ich schüttelte den Kopf. "Nein Kalle, ich überlege nur, was der Oberst gemeint hat. Ich habe seine Worte zwar verstanden, aber nicht deren Sinn."

Verwundert sahen mich die Männer an. Ari bekam Instruktionen vom Oberst und entfernte sich von der Gruppe. Er ging in den Robur.

"Was hast du nicht verstanden, meine Kleine?"

Ich zuckte mit den Schultern. War allerdings so in Gedanken versunken, dass ich in unserer Sprache antwortete.

"Sumdrei Lyn ser krös dy? – Was passiert, wenn ich keine Angst habe, Vorgesetzen etwas zu sagen?"

Irritiert sahen mich die Männer an.

"Was hast du gesagt? Was ist das für eine Sprache?", stellte Kalle gleich zwei Fragen, gähnte im Anschluss herzhaft.

"Oh, Entschuldigung, ich war in Gedanken. Ich habe in unserer Sprache gesprochen, dass passiert mir manchmal, wenn ich in Gedanken bin. Der Oberst hat mir gesagt, dass ich den Einsatzleiter verärgert hätte, weil ich zu ehrlich war. Ich verstehe das nicht. Ich habe euch in meiner Sprache gefragt, was passiert, wenn ich keine Angst habe, den Vorgesetzen etwas zu sagen. Manchmal muss man das einfach machen, wie bei euch. Es ist doch nicht in Ordnung, dass er im Bett schläft und ihr im Dreck. Er hat darüber bestimmt noch nie nachgedacht", versuchte ich zu erklären, mit was ich nicht klar komme.

Kopfschüttelnd sahen mich die Männer an und begriffen, dass ich wirklich nicht wusste, wie mein Oberst das meinte.

"98, du verstehst es wirklich nicht?"

Ich schüttelte den Kopf. "Nein Kalle, ich bin immer froh, wenn mir jemand sagt, wenn ich etwas falsch mache. Wenn etwas meinen Freunden nicht gut tut. Ich mache auch nicht alles richtig. Aber der Doko sagte oft zu mir, mach dieses nicht und jenes nicht, das ist nicht gut. Manchmal weiß man doch nicht, dass man etwas falsch macht, dann muss jemand einen sagen, pass auf, so ist das nicht in Ordnung. So wie ich es den Oberstleutnant gerade gesagt habe. Es geht doch nicht, dass ihr so müde seid. Das Verletzungsrisiko ist doch viel zu hoch", ernst sah ich Kalle an.

Der kam auf mich zu und gab mir einfach einen Kuss auf die Stirn. "98, darf ich bitte in dein Team?"

Ich schüttelte den Kopf. "Nein, lieber nicht Kalle, das ist zu gefährlich, dann bist du bald tot", antwortete ich offen.

Die Männer fingen an zu lachen, wieder einmal verstand ich nicht wieso. Aber egal, es tat ihnen gut.

"Na du erst noch." Kalle sah mich lachend an.

"Legt euch hin, aber oben auf den LKW, dann liegt ihr wenigstens nicht im Dreck. Schlaft etwas, ich glaube nicht, dass ihr gleich nach Hause fahren könnt. Sonst wäre Ari schon wieder da", stellte ich enttäuscht fest.

Ich wusste, dass ich den Zugriff nicht verhindern konnte. Verdammt, wenn ich nur die Kinder finden würde, bevor dieser Oberstleutnant den Zugriff befiehlt. Kalle sah mich traurig an, wollte gerade etwas sagen. In diesem Augenblick kam Ari zurück, wutentbrannt sah er Kalle an.

"Irgendwann, bringe ich dieses… Prinzeschen um."

Kalle lachte schallend. "War es so schlimm Ari?"

Der nickte, setzte sich einfach an den LKW, stellte das Funkgerät neben sich.

"Was war denn wieder los? Erzähl", wollte Kalle jetzt wissen, warum Ari so sauer war.

"Der macht, obwohl ihm der Oberst befohlen hat, den Einsatz abzubrechen, trotzdem den Zugriff. Der hat den Befehl zu warten, bis der Oberst da ist. Er sich vor Ort selber ein Bild machen kann. Der will aber nicht so lang warten."

Lachend sah ich Ari an. "Der Oberst ist in spätestens zwanzig Minuten da, keine Angst. Wenn der gemerkt hat, dass euer Einsatzleiter trotzdem den Zugriff machen will. Glaubt mir, der Oberst hat ein feines Gespür für so etwas. Dann fliegt der mit Gosch sofort her. Der vertraut meinem Urteil. Jungs bitte zögert den Einsatz, solange es geht raus. Euer Oberstleutnant, wird mich gleich ganz aus dem Einsatz rausschmeißen, wie ich den kennengelernt habe. Das ist einer von der Sorte, die sich selber auf einen Thron setzen, sich stündlich mindestens einmal sagt, wie toll er sich selber findet und sich selber mit sie anspricht."

Alle um mich rumsitzenden Männer lachend schallend. Allerdings ich kam nicht mehr dazu zu fragen, warum. Kaum hatte ich das ausgesprochen, flog die Tür vom Robur auf.

"98 sofort zu mir, in den Robur."

Ich blieb sitzen, wo ich saß. Dieser Offizier hatte mir nichts zu befehlen. Ich unterstand nicht seinem Kommando, sondern dem des Obersts. Der hatte mich angefordert. Er konnte mich bitten etwas zu tun, aber ich muss den Befehlen nicht Folge leisten. So sah es die Befehlskette vor.

Kalle flüsterte mir zu. "Geh lieber 98, sonst rastet der komplett aus."

Verneinend schüttelte ich den Kopf, antwortete leise nur für Kalle bestimmt. "Soll er doch, dann wird seine Uniform dreckig", wies ich Kalle darauf hin, dass ich gleich mit ihm etwas spielen würde.

"Oh oh, 98, unterschätze ihn nicht, der ist gut", warnte mich Kalle.

"Sag mal 98, bist du taub?"

Ich stand auf und stellte mich vorschriftsmäßig hin. Beine leicht gespreizt, die Hände auf den Rücken, den Kopf leicht gesenkt.

"Sag mal, bist du jetzt taub und stumm, kannst du nicht mit mir reden. Vorhin hattest du doch auch die große Klappe. Sprech gefälligst mit mir."

Es war bei allen Offizieren das Gleiche. Wenn ich nicht reagierte, lief immer das gleiche Programm ab. Das hatten wir in den letzten drei Jahren gelernt. Es machte oft Spaß, diese soweit zu provozieren, dass sie uns das sprechen erlaubten. Ich hob den Kopf, sah an ihm vorbei, so wie wir es tun sollten.

"Sir, natürlich spreche ich mit ihnen, Sir. Sie hatten mir das Sprechen nicht erlaubt, Sir. Ohne Erlaubnis dürfen wir nur in Ausnahmesituationen sprechen, Sir. Das dürfen wir nur, wenn es sich um medizinische Notfälle handelt, Sir. Wie vorhin im Robur, als ich sie darauf aufmerksam machte, dass ihr Team nicht mehr einsatzfähig ist, Sir."

Gehorsam senkte ich den Kopf wieder. Ich wies ihn aber dadurch daraufhin, dass ich keine Sprecherlaubnis hatte. Irritiert sah mich nicht nur Oberstleutnant Rudolf, sondern auch die anderen Kämpfer an. Ich musste es einfach schaffen, dass der Oberst die Zeit hat, vor Ort zu kommen.

"Was soll das Theater nun wieder, sprich", setzte er das magische Wort hinterher.

Na geht doch. Ich hob den Kopf und sah an ihn vorbei.

"Sir, was ist das Theater, Sir? Das ist bei uns so üblich, Sir. Darf ich offen sprechen, Sir", senkte den Kopf wieder, es waren alles nur Sekunden die ich an Zeit gewann.

Diese summierten langsam aber sicher zu Minuten. Zeit die ich dem Oberst verschaffte, um hier herzukommen. Oberstleutnant Rudolf war kurz vor dem Ausflippen. Mit gesenktem Kopf, schielte ich zu Kalle und Ari, die hinter mir saßen und lachte mich fast weg. Die Beiden hatten begriffen, warum ich das machte.

"Natürlich kannst du offen sprechen 98", sagte Rudolf.

Vergaß aber das magische Wort an den Satz zu hängen. Also hob ich etwas den Kopf und sah auf seine Füße. Dadurch bat ich um eine Sprecherlaubnis. Da der Oberstleutnant der Soko diese Vorgehensweise aber nicht kannte, dachte er ich schweige wieder.

"Ich denke du willst mit mir reden. Was soll das Theater."

Weiter sah ich auf seine Füße und schwieg. Lange sah er mich an und kam dabei langsam auf mich zu. Endlich sah ich am Waldrand denjenigen, den ich so herbei sehnte. Meinen Oberst kam so schnell es seine schmerzenden Rippen zuließen, heran gelaufen. Er schüttelte den Kopf. Er kannte dieses Szenario, von seinen ersten Einsätzen mit mir. Da lief das ähnlich ab, wie jetzt im Moment. Allerdings lachte der Oberst, wusste dass ich wegen ihm versucht hatte etwas Zeit zu schinden.

"Warum sprichst du kleine Ratte nicht mit mir?", fragte er mich.

Immer noch schaute ich auf seine Füße und signalisierte ihm so, dass ich sprechen wollte, aber nicht durfte. Der Oberst stand nur noch etwa zehn Meter hinter ihm, als Rudolf mir in den Magen schlug. Er tat sich dabei nur selber weh. Die Schläge, die wir seit unserer Geburt bekommen hatten, waren wesentlich härter ausgeführt wurden. Ich hob etwas den Kopf, sah über die Schulter von Rudolf, zu meinem Oberst. Fragte ihn mit meiner gesamten Haltung, ob ich mich wehren durfte. Da nickte Oberst Fleischer, der nicht fassen konnte was er hier erlebte. Schon senkte ich den Kopf wieder. Wartete ab, was als nächstes kam. Keine fünf Sekunden später traf mich ein weiterer Schlag von Rudolfs zweiter Faust. Diesmal schlug ich zurück und fing an mit Rudolf, ein wenig zu spielen. Als wir am Oberst vorbei kamen, rief dieser mir zu.

"Lyn, lass ihn bitte heile, oder wenigstens am Leben. Ich habe gesehen, was er gemacht hat."

Ich nickte und trieb den feinen Oberstleutnant mit gut dosierten Schlägen vor mir her, bis dieser ins Schwitzen kam. Er war nicht schlecht, aber hatte keinerlei Kondition. Beendete das Ganze nach reichlich fünf Minuten, in dem ich ihm aus dem Laufen heraus, sein rechtes Handgelenkt fasste, meine Fuß gegen das rechte Knie setzte, ihn blitzschnell über einem dreiviertel Kreisbogen, über den angesetzten Fuß im Hiza-Guruma, dem Knierad auf den Boden, in den Dreck legte. Den Schwung ausnutzte und Rudolf den Arm schmerzhaft nach hinten und oben drehte, sodass er sich automatisch auf den Bauch rollen musste. Jetzt war seine Uniform rundherum dreckig. Als Rudolf auf dem Bauch gelandet war, fasste ich ihm von hinten die Augenhöhlen.

Ganz leise, nur so laut, dass Rudolf selbst es hören konnte, sprach ich.

"Sir, jetzt sind sie fast tot, Sir. Einen kleinen Ruck und ihre Halswirbelsäule ist gebrochen, sie haben keine Möglichkeit mehr sich zu befreien, Sir. Merken sie sich eins, greifen sie mich nie wieder an. Dass nächste Mal sind sie wirklich tot, Sir. Das ist keine Drohung, sondern ein Versprechen, Sir."

Sofort ließ ich ihn los. Denn er schrie wie am Spieß. Kaum, dass ich locker ließ, fiel er mit dem Gesicht in den Dreck und er blieb wimmernd mit total beschissener Uniform, auf den Boden liegen. Eilig ging ich auf meinen Oberst zu. Der zog mich in die Arme und lief mit mir, auf die Männer der Soko Alexanderplatz zu.

"Du hast recht Lyn, die Jungs sehen wirklich schlimm aus. Ich kann verstehen, dass du so sauer bist. Das würdest du nie zulassen, mein kleines Mädchen."

Lachend streichelte er mir über den Kopf und hielt mich einfach im Arm, in dem er sich hinter mich stellte. Sah von oben zu mir herunter.

Lachend fragte er mich. "Na Lyn, dem hast du es aber gezeigt. Den Jungs ging das jetzt gerade runter wie Öl. Hast du das gesehen?"

Der Oberst sah dabei breit grinsend, auf die Männer, bei denen wir gerade ankommen waren.

"Sir,  nein, Sir. Ich habe mich drauf konzentriert, ihm nicht weh zu tun, Sir. Ich wollte nicht das er dann leidet, Sir."

Schallend lachte mein Oberst und machte einen Schritt zur Seite. Stellte sich neben mich und legte den Arm um meine Schulter.

"Lyn, kann es sein, dass mir diese Worte bekannt vorkommen? Hast du die nicht auch mal zu mir gesagt?"

Lachend nickte ich.

"Lyn, lachst du mich jetzt an oder aus?"

Verwundert sahen die Männer, erst mich und dann den Oberst an.

"Willy, die Kleine lacht doch gar nicht", sprach Kalle wohl das aus, was die anderen dachten.

"Die Kleine, schmeißt sich gerade weg vor Lachen, Kalle."

"Sir, ich würde sie nie auslachen, Sir. Ich lache nur über mich, weil es wahr ist. Die gleichen Worte, habe ich ihnen vor zehn Monaten gesagt, Sir. Bei meinem ersten Einsatz mit ihnen, Sir. Als ich sie verprügelt habe, Sir. Das war mir gar nicht bewusst, Sir."

In der Zeit in der wir herumalbern, hatte sich Rudolf wieder gefangen und stürmt wütend, von hinten auf mich los. In dem Moment als er mich schlagen wollte, bekam er gleich zwei Schläge ab. Einen von mir und einen von meinem Oberst. Der sich reflexartig umgedreht und Rudolf dabei den Ellenbogen ins Gesicht geknallt hatte, genau wie ich. Nur das mein armer Oberst stöhnend in die Knie ging. Endlich hatte mein Training bei ihm gefruchtet. Endlich zeigte sich ein erster Erfolg. Wir hatten es geschafft, seinen Verteidigungsreflex anzuschalten. Auch wenn es dem Oberst nicht gut getan hatte. Die gebrochenen Rippen, schossen eine Schmerzwelle, nach der anderen durch seinen Körper. Nach Luft japsend knieten jetzt zwei Vorgesetzte vor mir.

Ein Bild, was ich für ewig in Erinnerung behalten wollte. Oft würde ich so etwas nicht erleben. Fast sofort, kümmerte ich mich um den Oberst. Holte aus dem Rucksack die Ampullenkoffer und spritzte ihm einfach zwanzig Einheiten. So dass die Schmerzen betäubt waren. Erleichtert atmete der Oberst auf. Sogleich schob ich meine Brille hoch und kontrollierte ihn auf innere Verletzungen. Die durch die schnelle Bewegung hatten entstehen können. Entsetzt wichen die anderen vor mir zurück. Das war mir aber egal, hier gab es Verletzte, da konnte ich keine Rücksicht drauf nehmen, ob jemand sich vor meinen Augen erschrak. Er hatte großes Glück gehabt.

"Genosse Oberst, ihre Rippen. Ich hatte ihnen doch gesagt keine schnellen Bewegungen, Sir", schimpfte ich ihn aus. "Aber es ist gut zu sehen, dass ihre Reflexe endlich an sind, Sir", musste ich grinsend dazu fügen.

Der nickte, immer noch etwas benommen, durch den heftigen Schmerz.

"Sir, geht es mit den Schmerzen oder soll ich ihnen noch etwas spritzen, Sir."

"Lyn, musst du nicht, aber es war grad so heftig. Das musste ich erst einmal verarbeiten. Weißt du, was ich mich gerade Frage?"

"Sir, nein, Sir."

"Wie kannst du mit solchen Rippen noch arbeiten Mädchen."

Ich zuckte mit den Schultern. Kniete mich, statt zu antworten, vor Rudolf, um ihn auf Verletzungen zu kontrollieren. Es war nichts Schlimmes. Vom Spielen hatte er gar keine Verletzungen. Nur von dem Zusammenstoß gerade, eine schwere Gehirnerschütterung, ein paar blaue Flecken, eins am Auge und eins an der Wange.

"Sir, passen sie gleich auf mich auf, bitte Sir."

Der Oberst nickte.

Also setzte ich bei Rudolf das Krantonak ein und heilte den angebrochenen Knochen des Jochbeins aus. Entdeckte noch eine verstopfte Ader an der Schläfe, die aber schon älteren Datums war. Auch die Verletzung beseitigte ich. Dadurch musste Rudolf schlimme Kopfschmerzen gehabt haben und heilte die schwere Gehirnerschütterung aus. Sah mir auch sein Körper, noch einmal genau an. Allerdings hatte ich ihn nicht wirklich weh getan, beim Spielen. Ich hatte ja die Kontrolle. Heilte auch noch den angebrochenen Unterkiefer. Ich hatte ihn mit meinen Ellenbogen genau hinter dem Unterkieferhals getroffen. Dort wo der Unterkiefer in den Gelenkkopf überging. Wenn das nicht richtig verheilte, hatte er den Rest seines Lebens, Probleme beim Kauen. Das konnte ich nicht zulassen. Fertig mit dem Krantonak, kippte ich zur Seite weg. Der Oberst fing mich auf und setzte sich einfach neben mich. Sofort zog er mich in den Arm, um mir Sicherheit zu geben. Die Blicke der Anderen wurden panisch. Der Oberst beruhigte sie allerdings.

"Jungs keine Angst, Lyn kommt gleich wieder zu sich. Das ist immer so, wenn sie das Krantonak einsetzt."

Kalle sah den Oberst fragend an.

"Willy, sag bloß, das ist die heiß gelobte Lyn, von der ihr immer so schwärmt?"

"Ja Kalle. Das ist unsere Lyn."

Kalle lachte schallend.

"Jetzt begreife ich, dass es wahr ist, was ihr immer erzählt. Ich dachte ihr übertreibt maßlos. Mein Gott haut die zu."

"Kalle, Lyn hat nicht zugehauen. Dann würde euer Chef, im Bettchen liegen und wimmern. Mich hat sie vor drei Tagen vermöbelt. Was sie mit Rudolf gemacht hat, nenne ich immer spielen. Sie hat ihn nur gezeigt, dass man sie nicht ungestraft angreift. Hat ihm aber nicht wirklich weh getan." Der Oberst hielt mich einfach fest in seinen Armen. "Kalle, ich habe drei angebrochene, zwei gebrochene Rippen, weil Lyn ausgeflippt ist. Weil wir sie nicht eher geholt haben, wegen der Kinder. Dabei hat dieses kleine Mädchen hohes Fieber, lag bis vor vier Tagen in einer Art Fieberkoma."

Kopfschüttelnd sah Kalle den Oberst an. "Das gibt’s doch nicht."

"Doch Kalle, das gibt es. Sie ist jetzt noch hochfiebrig, bekam vor drei Tagen, kurz bevor sie losgezogen ist noch einen Tropf. Kaum war der alle, ging sie los die Kinder zu suchen."

Nach siebenundzwanzig Minuten kam ich wieder zu mir. Fast eine viertel Stunde nach Rudolf. Dem der Oberst in der Zwischenzeit erklärt hatte, was passiert war. Der Einsatzleiter sah fassungslos auf mich. Kaum war ich zu mir gekommen, wollte Rudolf etwas sagen, bekam aber vom Oberst das Wort verboten.

"Bevor sie etwas sagen, reden wir Zwei, einmal ein ernstes Wort. Warten sie im Robur auf mich", schickte er den ihm Untergebenen einfach weg.

Sah mich aber ernst an. "Lyn, wieso warst du so lange bewusstlos? Wie hoch ist dein Fieber schon wieder?"

Ich schüttelte den Kopf.

"Komm mein kleines Mädchen, sage mir bitte, wie hoch das Fieber schon wieder ist. Du glühst ja richtig."

Die Frage nach der Bewusstlosigkeit ignorierte ich einfach. Ich hätte das Krantonak nicht machen dürfen, dass wusste ich selber. Aber manchmal ging es halt nicht anders. Ich hatte den Oberstleutnant schwer verletzt, ich musste es in Ordnung bringen, auch wenn er selber schuld war.

"Sir, was haben sie davon, wenn sie wissen wie hoch mein Fieber ist, Sir? Wird es davon weniger, Sir? Machen sie sich da weniger Sorgen, Sir? Oder ändert es etwas an der Tatsache, dass ich die Kinder trotzdem finden werde, Sir?"

Tief holte der Oberst Luft. "Verdammt Lyn, alle Fragen muss ich mit nein beantworten. Aber ich mache mir Sorgen um dich, kannst du das nicht verstehen", traurig streichelte er mir über das Gesicht.

"Sir, ich weiß, Sir. Zu ihrer Beruhigung, ich habe das Fieber unter Kontrolle, Sir. Es ist sehr hoch, aber noch in einem Bereich, wo ich es beeinflussen kann, Sir. Ich war schon schlimmer dran bei Einsätzen, Sir. Ich kann damit leben, Sir. Verhindern sie bitte, dass dieser Einsatz hier aus den Ruder läuft, Sir. Damit ich schnell nach Hause kann, Sir. Ich bin so verdammt müde, Sir. Bitte ich will nur endlich die Kinder finden und dann in Ruhe und beschützt schlafen, Sir. Ich vertrödle hier kostbare Zeit, Sir. Hat der Doko mir so einen Tropf da gelassen, Sir. Meine Kopfschmerzen bringen mich noch um, Sir."

Der Oberst nickte und stand auf. "Ja Lyn, er hat dir vier Stück da gelassen. Du sollst aber nicht mehr als zwei am Tag nehmen, damit du es nicht gleich wieder zu hoch dosierst. Zu wenn hast du hier Vertrauen Lyn?"

"Kalle", antworte ich ohne zu Zögern.

"Kalle, du legst sich mit Lyn zusammen etwas hin. Lyn, braucht zum Schlafen im Moment Hilfe. Sie hat schlimme Sachen erlebt in der letzten Zeit. Lass die Kleine bitte nicht alleine schlafen, dann bekommen wir wieder Probleme. Ihr Doko ist in der Schule, der kann uns nicht helfen. Ich versuche mit eurem Chef, mal ein paar Takte zu reden."

Kalle sieht mich fragend an, dann den Oberst. "Frag sie nicht Kalle, mache es einfach."

Da nickte Kalle. "Viel Glück beim Prinzeschen", wünschte Kalle meinem Oberst automatisch.

"Wieso?", wollte dieser wissen.

Kalle winkte ab und legte sich einfach neben mich in den Dreck. Ari schob ihn eine Decke unter den Kopf. Schon zog mich Kalle in seine Arme. Er musste wirklich todmüde sein. Kaum dass er lag, schlief er schon und das noch vor mir. Das hatte noch keiner geschafft. Lächelnd schlief ich diesmal ein. Es tat so gut diesen Oberstleutnant einmal zu zeigen, dass man nicht alles mit mir machen durfte, ohne gleich ausgepeitscht zu werden. Ich schlief nicht sehr tief, auch wenn ich Kalle sofort genannt hatte, vertraute ich zu ihm nicht so, wie dem Oberst.

Ich schlief deshalb, nur sehr oberflächlich. Fast eine Stunde ruhte ich auf diese Weise.

Kapitel 8

Nach einer reichlichen Stunden weckte mich der Oberst. Zu meinem Erstaunen in unserer Sprache. Aber dies registrierte ich erst gar nicht richtig.

"Nikyta, frido, Lyn. – Meine Kleine, du musst aufstehen, Lyn."

Sofort wachte ich auf. "Sir, jawohl, Sir. Was ist los, Sir?", erkundigte ich mich verschlafen.

"Komm mein Mädchen, wir können hier nichts mehr machen. Ich dachte immer, ich kann mit jeden Menschen klar kommen, aber ich habe mich wohl geirrt. Wenn ich nicht gleich zum Mörder werden soll, gehen wir lieben. Hoffen wir für die Geiseln das Beste. Du bist raus aus dem Fall, Oberstleutnant Rudolf ist der Meinung, du hättest alles versaut. Ich weiß zwar nicht wie, aber er will dich hier nicht mehr haben", verzweifelt rieb er sich das Genick. Er hatte wie ich erkannt, dass dies das Todesurteil für die Ortega Kinder war.

"Sir, mir bleibt immer noch die Möglichkeit, die Gruppe aufzuscheuchen, Sir. Wenn ich das mache, dann geschieht wenigstens den Geiseln nichts. Ich könnte ein kleines Feuer entfachen, das nach einem Kabelbrand aussieht. In der Ventilationsanlage ist das machbar, dort kommt keiner außer ich hinein, Sir. Das bekommt der Oberstleutnant gar nicht mit und könnte mir das auch nicht nachweisen, Sir."

Der Oberst wollte das allerdings nicht. "Lyn denke nicht das Rudolf blöd ist. Der hat es faustdick hinter den Ohren. Ich hoffe nur, dass der den Mayer nicht noch ausfindig macht. Sonst bekommst du wegen der ganzen Sache, noch die Lichtbox."

Ich winkte ab, es war doch egal, weswegen ich eine Strafe bekam, die bekam ich sowieso. Dann wusste ich wenigstens einmal warum.

"Sir, ich überlebe das schon, Sir."

So vorsichtig wie möglich stand ich auf. Trotzdem wurde Kalle durch meine Bewegung munter. "Schlaf weiter Kalle. Passt auf euch auf."

Ich drehte mich zu den Jungs herum, die munter waren. "Jungs, tut ihr mir einen großen Gefallen. Wenn ihr den Einsatz macht, lasst den Jan, das ist der große Junge mit dem goldblonden Haaren und den blauen Augen, entkommen. Dann habe ich noch eine kleine Chance die Kinder zu finden. Wenn ihr die alle festnehmt, weiß ich nicht, wo ich die noch suchen soll. Dann muss ich wieder tagelang ins Blaue suche. Das kann den Kindern das Leben kosten. Wir wissen nicht, in welcher körperlichen Verfassung die Beiden sind."

Die Jungs nickten betrübt. Ich wusste sofort, sie würden auf mich hören. Denn keiner verstand das Verhalten ihres Vorgesetzten. Der Oberst streichelte mein rotfleckiges Gesicht.

"Komm Lyn, du legst dich in der Halle gleich noch einmal etwas hin. Weißt du wie du aussiehst?", besorgt sah er mich an.

Ich folgte dem Oberst zum Heli, der ungefähr einen Kilometer von hier, auf einer kleinen Rodung stand. Die war gerade groß genug, um hier zu landen. Manchmal schüttete ich den Kopf darüber, was Gosch zustande brachte. Ich glaube es gibt nur wenige Piloten die so gut fliegen können und einen Heli so gut im Griff hatten, wie dieser Pilot. Es war selbst für mich erstaunlich, wie exakt Gosch arbeiten konnte. Diese Präzision hatte ich noch von keinem anderen Piloten erlebt. Wenn Gosch in seinen Drachen stieg, wurde er eines mit ihm. Das war eine wunderbare und äußerst seltene Gabe.

"Sir, was machen wir nun, Sir?"

"Lyn, wir fliegen erst einmal zurück zum Stützpunkt. Dort schläfst du einen Weile. Pille kann dir beim Schlafen helfen oder der Gosch. Ich versuche den Einsatz zurück zu bekommen. Dann sehen wir weiter. Aber ich brauche mindestens bis um 12 Uhr, vorher bekomme ich das nicht geregelt. Ich mache auch eine Anzeige, für die Dienstaufsicht fertig. Das Vorgefallene wird dieses eine Mal nicht einfach in den Akten verschwinden. Nicht nur, dass dich Rudolf ohne Grund geschlagen hat, sondern auch über die Zustände in dieser Soko. So geht das nicht. Ich habe gesehen, dass du nichts gemacht hast. So kann man nicht mit seinen Untergebenen umgehen, das war kein Einzelfall."

In dem Augenblick hatten wir den Drachen erreicht.

"Hallo Lyn", wurde ich von Gosch begrüßt.

Ich nickte automatisch. Ich war viel zu sehr, auf den Fall konzentriert. Ging in den Gedanken die jetzt noch möglichen Optionen durch und vor allem, was durch den Zugriff geschehen könnte. Hoffte für die Kinder das Beste und dass sich die Kollegen an meine Worte erinnern würden. Ich wollte die Hoffnung für die Kinder noch nicht vollständig aufgeben. Wenn die Jungs sich bei einem Zugriff keine große Mühe gaben und Jan die Möglichkeit zu Flucht bekam, blieb ein winziger Hoffnungsschimmer. Ohne den, hatte ich keine Chance, die Geiseln schnell finden. Es war jetzt kurz vor 3 Uhr in der Nacht. Am liebsten würde ich gleich mit der Suche nach den Kindern beginnen. Aber so konnte ich nicht arbeiten. Mein Fieber war in einem kritischen Bereich und ich war todmüde. Ich hoffte sehr, dass dieser feine Oberstleutnant, nicht alles noch überstürzte. So dass er bei den Geiselnehmern eine Panik auslöste.

Gosch holte sich die Starterlaubnis.

Der Oberst blickte mich an. "Lyn, ich mache mir auch Sorgen um die Geiseln. Du kannst im Moment wirklich nichts machen. Egal, was du anstellst. Wenn du jetzt etwas machst, werden sie dich dafür zur Rechenschaft ziehen. Der feine Oberstleutnant, hat in dem Robur, sogar ein eigenes Funkgerät. In der Zeit, in der wir uns unterhalten haben, hat der nach ganz oben gefunkt. Ich bekam von meinem Oberguru, ein Stopp. Du bist erst einmal raus aus dem Fall. Ich kann das leider nicht ändern. Ich rede morgen früh gleich mit ihm. Bitte auch deinen Oberstleutnant um Hilfe. Wir bekommen den Fall zurück. Ich weiß nur nicht, wann", traurig sah er mich an. Auch weil er das Gleiche dachte, wie ich.

"Sir, dann sind Keynia und Conrad tot. Dann finde ich wieder nur noch Leichen, Sir", wies ich ihn trotzdem darauf hin, dass dann alles zu spät war. "Kann ich..."

"Lyn, ich mache so schnell ich kann, versprochen", unterbrach mich der Oberst.

Als Gosch den Heli startete, fing ich an zu stöhnen.

"Was ist Lyn?", wollte die beiden Männer wissen.

Wütend sah ich den Oberst an und zeigte aus dem Fenster. Da entdeckte der Oberst, was ich gerade gesehen hatte.

"Oh nein, ist das ein Arsch", rutschte es meinen Oberst heraus. "Wie doof kann man eigentlich sein?", fragt er Gosch und mich.

"Sir, dem ist seine Karriere wichtiger, als das Leben der Kinder, Sir. Hoffentlich bekommt er für diese Sauerei, eine Degradierung, Sir", wütend sagte ich das und kämpfte gegen diese verdammte Wut in mir, die ich kaum beherrschen konnte.

"Komm beruhige dich mein kleines Mädchen. Das tut dir doch nicht gut", versuchte mich der Oberst zu beruhigen.

"Sir, wie soll ich mich da beruhigen, Sir. Jetzt finde ich wieder nur Leichen, Sir. Bis eben hatten die Kinder, noch eine kleine Chance, Sir", brachte ich mühsam hervor und sah ich den Oberst verzweifelt an.

Wir landeten gerade am Stützpunkt. Der Oberst stieg aus und ging mit mir zusammen in die Halle.

"Pille, du sorgt dafür das Lyn etwas schläft. Ich will von niemand gestört werden. Es sei denn es bricht ein Höllenfeuer aus."

Beim letzten Wort, war der Oberst in seinem Büro verschwunden. Ich wusste, dass er alles Mögliche versuchen würde, um den Fall so schnell es ging, zurück zu bekommen. Also würde ich die Zeit wirklich nutzen und etwas schlafen. Walter bestand darauf, dass ich etwas trank und aß. Also setzte ich mich an den Tisch. Pille setzte sich mir gegen über.

"Erzähl mal, was ist los. So wütend, habe ich Willy schon lange nicht mehr gesehen."

Kurz erzählte ich, was ich grade erlebt hatte. Die Männer schüttelten den Kopf. Walter stellte mir Tee hin.

"Lyn, trinke etwas, ich habe den schon vor Stunden gekocht, weil du bestimmt Durst hast, er ist kalt. Ich mache dir gleich deinen Brei. Wie viel möchtest du?"

Ich schüttelte den Kopf. "Walter, mir geht es nicht so gut. Der Tee reicht."

"Lyn, ich mache dir nur fünfzig Gramm. Komm Mädel esse wenigstens ein paar Löffel. So kannst du nicht arbeiten. Du hast seit drei Tagen nichts gegessen und wahrscheinlich auch nichts getrunken. Obwohl du hohes Fieber hast. Weißt du wie du aussiehst?"

Er hat ja Recht, also nicke ich. "Walter, aber wirklich nur fünfzig Gramm. Wenn ich halb so schlimm aussehe, wie ich mich fühle, dann bestimmt furchtbar", antwortete ich ihm sarkastisch.

Walter verschwand in der Küche. Auch Gosch kam endlich. Der wie immer auf die Streife warten musste, die den Heli sicherten. Gosch kam zu mir und zog mich einfach in seine Arme. Ach, wie gut mir das tat. Immer, wenn ich in der Soko war, fühlte ich mich sicher. Wie in unserem Raum zu Hause. Da konnte ich vollkommen abschalten. Entspannt lehnte ich mich an Gosch, der sich einfach quer auf die Bank setzte, so konnte ich mich mit meinen Rücken an seinen nicht vorhandenen Bauch lehnen. Gosch legte einfach seine Arme um meinen Körper, gab mir so einen unglaublichen Halt. Das war genau das, was ich im Moment brauche. Die Körperwärme von Freunden, das Gefühl beschützt zu sein. Walter drückte mir den Breiteller in die Hand. Langsam aß ich etwas, nach vier Löffeln stellte ich den Teller beiseite, mir war einfach nur schlecht, vor Schmerzen. Ich konnte einfach in bestimmten Situationen nicht essen.

"Erzählt mal, wie es euch geht. Ich muss mal was Schönes hören", sagte ich müde zu den Jungs. Alle schüttelten den Kopf. "Lyn, du solltest schlafen. Reden können wir hinter her."

Irgendwo hatten sie recht. Pille stand auf, kam zu mir und hob mich einfach hoch auf seine Hüften.

"Was ist los mit dir Lynchen?"

Ich winkte ab, lehnte mich einfach nur müde und völlig gerädert an seine Schulter. Ich hatte schlimme Kopfschmerzen, vor allem war ich todmüde. Hatte seit drei Tagen nicht richtig geschlafen, obwohl es mir nicht gut ging.

"Pille mir tut mein Kopf wieder so weh und ich bin total fertig. Alles läuft aus den Rudern. Bitte ich will nur etwas schlafen. Vielleicht geht es mir dann etwas besser."

"Na dann komm Lynchen, willst du gleich noch einen Tropf?"

Ich schüttelte den Kopf.

"Nein Pille, lieber dann, bevor ich los gehe. Der hilft nicht sehr lange."

Pille setzte sich mit mir auf der Hüfte, auf die Matte. "Na komm in meine Arme, Kleines. Ich passe auf dich auf."

Ich rollte mich zusammen. Pille legte sich hinter mich. Drei Atemzüge später schlief ich tief und fest. Es war kurz nach halb Fünf in der Früh.

  

Kurz nach 12 sah der Oberst nach Lyn. Pille war munter traut sich aber nicht Lyn, alleine zu lassen. Als er sie vorhin kurz los gelassen hat, fing sie an um sich zu schlagen. So wurde Pille, vom Oberst abgelöst, der noch gar nicht geschlafen hatte. Die wenigen Minuten, die der Wechsel dauerte, reichten, dass Lyn anfing zu wimmern und um sich zu schlagen. Entsetzt schüttelte der Oberst den Kopf. Jacob hatte Recht, wir durften Lyn nicht alleine schlafen lassen. Es ging im Moment überhaupt nicht. Kaum hatte der Oberst, das Mädchen wieder in seine Arme gezogen, beruhigte es sich langsam. Allerdings dauerte es fast eine Stunde bis Lyn wieder ruhig und gleichmäßig atmete. Traurig streichelte er ihr heißes und fleckiges Gesicht.

"Was haben die nur mit euch gemacht?"

Wollte er von ihr wissen. Lyn schlief unruhig und bekam die Frage gar nicht mit. Noch ganze sechs Stunden schlief sie, erst ganz unruhig, mit der Zeit immer ruhiger, immer tiefer. Selbst die Krämpfe ließen etwas nach, die durch ihren Körper zogen. Zum Schluss ging ihr Atem gleichmäßig, tief und vor allem ruhig. Völlig entspannt lag sie in den Armen ihres Obersts, schlief sich gesund.

Seit fast einer Stunde schon beobachtete Oberst Fleischer, das kleine Mädchen, das ihm so viele Rätsel aufgab. Seit zehn Monaten hatte er sie mehr oder weniger regelmäßig hier. Über dreißig Einsätze schloss die Kleine, mit ihm gemeinsam, erfolgreich ab. Wobei der größte Anteil am Erfolg dem Mädchen zu zuschreiben war. Neunzehn Einsätze hatte sie gemeinsam mit ihrem Team erledigt. Jedes Mal dachte Fleischer, jetzt kenne er sie und weiß was sie kann. Jedes Mal überraschte sie ihn aufs Neue. Oh Gott wie oft hatte er dieses Mädchen schon verflucht, wegen ihrer absoluten Ehrlichkeit. Wie oft hatte sie ihn schon verprügelt, um ihn zu sagen, so geht das nicht. Weil er eine Strategie anwandte, die viel zu gefährlich war. Erinnerungen an einen solchen Vorfall, erschienen ihm vor seinem inneren Auge.

Das war nach dem dritten Einsatz mit Lyn, Ende Oktober des vergangen Jahres. Sie wurde nur gebracht und war dann alleine in der Soko. Er unterhielt sich mit ihr nach Beendigung des Einsatzes über Taktiken und stellte fest, dass das junge Mädchen ein unbeschreibliches Talent hatte, für jede Situation die richtige Taktik zu finden. Deshalb beschloss er, mit ihr über einige seiner Einsätze zu unterhalten, die richtig schief gelaufen waren. Als er Lyn fragte, ob sie sich einen Ordner einmal ansehen könnte, in dem es um die Todesfälle der Soko ging, flippte Lyn im Anschluss komplett aus. Als sie den durch gesehen hatte und mit ihm durchgesprochen hatte und er seine Fehler nicht einsehen wollte. Sagte ihm wörtlich ins Gesicht.

"Sir, sie sind noch dümmer als Raiko, aus unserem Team und der ist erst fünf, Sir. Selbst der würde solche Fehler nie machen, selbst vor vier Jahren hatte der mehr Verstand als sie, Sir. Wie bescheuert sind sie eigentlich, Sir? Warum lernen sie eigentlich nie aus ihren Fehlern, Sir? Warum schicken sie ihre Leute immer in den gleichen Tod, Sir? Warum erschießen sie ihre Leute nicht gleich selber, Sir?"

Oh war Lyn wütend. Lief wie aufgezogen vor seinem provisorischen Schreibtisch hin und her. Statt zu fragen, warum, wurde er richtig sauer, auf das noch so junge Mädchen. Hat ihr Alter mit normalen Kindern verglichen und wollte sie nicht ernst nehmen. Erst Stunden später wurde ihm bewusst, wie unmöglich er sich ihr gegenüber verhalten hatte. Lyn war nicht gerade diplomtisch vorgegangen und hatte ihm eigentlich nur die Wahrheit an den Kopf schmiss. Er sah sich die Fälle, im Nachhinein noch einmal an. Lyn behielt in allem recht. Er hatte in allen fünf Fällen, ein und denselben dummen Fehler begangen. Lachend schüttelte der Oberst den Kopf über sich selber, als ihn diese Erinnerungen kamen. Damals hatte Lyn ihm erstmals gezeigt, zu was sie annähernd fähig war. Lachend dachte er oft heute noch an die Prügel die er im Anschluss bezog. Daran, dass er sich vor Angst fast in die Hosen gemacht hatte. Statt auf das junge Mädchen zu hören und sich erklären zu lassen, was sie in ihrer oftmals zu direkten Art meinte. Beschimpfte er als sie, als einen dummen unerfahrenen Rotzlöffel. Genau wie Oberstleutnant Rudolf heute früh. Er stand damals auf, ging raus in die Turnhalle, zu seinen Leuten und ließ Lyn einfach im Büro zurück. Wutentbrannt darüber, was sie von ihm wollte. Wie nannte er sie gleich: Ein kleines garstiges und unerzogenes Kindergartenkind. Lyn folgte ihm und sah ihn kopfschüttelnd an. Er schrie sie an, sie sollte in ihre Schule verschwinden und Anstand lernen. Da lief sein kleines Mädchen, in einer Geschwindigkeit auf ihn los, die er nicht nachvollziehen konnte. Er stand fast dreißig Meter von ihr entfernt und machte keine Anstalten ihr auszuweichen. Fassungslos sah er sie an. Lyn zog im Laufen das Messer aus dem Halfter und legte ihn, einen Kämpfer der über fünfzehn Jahren Kampferfahrung hatte, in einen Bruchteil einer Sekunde, mit einem Ko-Soto-Gari, dem kleinen Außensichel, einen der einfachsten Judowürfe auf den Boden. Er konnte nichts tun, war zu keinerlei Gegenwehr fähig. Sofort kniete sie sich über ihn und hielt ihm ein Messer an den Hals.

Mit leisen kaum hörbaren Worten, denen man die unsagbare Wut anmerkte, die oft in Lyn steckte, machte sie ihm mehr klar, als er sich erst zugestehen wollte.

"Sir, ich bin so dumm und unerfahren im Kampf, Sir. Dass ich sie alten Mann, mit einem so einfachen Wurf auf den Matte lege, sie sich nicht einmal ansatzweise wehrten, Sir. Ich sie jetzt auf der Stelle töten könnte, wenn ich das nur wollte, Sir. Warum fragen sie mich eigentlich nach meiner Meinung, wenn sie die Antwort nicht hören wollen, Sir. Wenn sie Honig ums Maul wollen, dann holen sie sich einen Imker in ihr Team, Sir. Dann fragen sie niemals mich nach meiner Meinung, Sir. Von mir bekommen sie immer die Wahrheit zu hören, Sir. Lügen kosten ihren Leuten nämlich das Leben, Sir."

Böse hatte sie ihn angesehen. Er dachte damals dieses Mädchen könnte keine Emotionen zeigen. Damals jedoch, stand in ihrem gesamten Gesicht Hass. Sehr schnell musste er begreifen lernen, dass Lyn nichts Wichtigeres kannte, als das Wohlergehen ihres Teams. War sie bei ihm, war sein Team, das Ihrige und dies würde sie stets beschützen.

Kaum hatte sie ausgesprochen, stand sie auf und ließ ihn einfach am Boden liegen. Lyn lief zu ihren Sachen, dann nach Hause in ihre Schule. Fast dreihundert Kilometer, zu Fuß. Panisch hatte er nach dem Mädchen gesucht. Er machte sich schlimme Vorwürfe und rief nach fünf Stunden vergeblichen Suchens, ihren Vorgesetzten an. Erzählte Mayer genau, was passiert sei, dass er das Mädchen nicht mehr finden könnte. Der war außer sich vor Zorn über das Verhalten Lyns und suchte die gesamte Schuld bei ihr. Wütend brummelte Mayer am Telefon.

"Dieses kleine Biest kann etwas erleben. Machen sie sich keine Sorgen, um dieses kleine Miststück. 98, ist hier in der Schule vor knapp zehn Minuten angekommen", im gleichen Atemzug hatte er aufgelegt. Zu Fleischers Verwunderung, der damals Mayer noch gar nicht einschätzen konnte.

Erleichtert atmete er in seiner Unwissenheit auf. Dann, als er zur Ruhe kam, überlegte er, wie schnell das Mädchen gelaufen sein musste. Beim nächsten Einsatz, der drei Wochen später stattfand, nahm ihn Fritz Jacob zur Seite. Bat ihn darum, dass nächste Mal nicht den Oberstleutnant, sondern ihn anzurufen. Der Oberstleutnant hätte Lyn im Anschluss, wegen dieser Sache schwer bestraft. Als er Fritz fragte, wie? Antwortete dieser.

"Willy, das würde dir nicht gefallen. Deshalb frage lieber nicht."

Er sprach nach diesem Einsatz, noch einmal mit Lyn über diese Todesfälle und gab ihr in allem Recht, was sie ihm erklärte. Fritz Jacob musste einige Male eingreifen, weil er an die Decke gehen wollte. Lachend dachte er an diese Szene, bewegte sich etwas, davon wurde Lyn munter.

"Oh meine kleines Mädchen, ich wollte dich nicht wecken."

Lyn drehte sich zu ihm um, kuschelte sich an ihn. Das war so ein schönes Gefühl. Lyn strahlte dabei so viel Geborgenheit aus. Dass ihm dabei jedes Mal das Herz aufging. Vor einem halben Jahr, wäre das noch nicht denkbar gewesen. Es tat ihm gut, das Lyn endlich begriffen hatte, dass sie ihm Vertrauen konnte.

"Sir, warum lachen sie, Sir?", wollte Lyn wissen.

"Ach, es ist nichts weiter. Ich habe nur gerade so an einige unserer Auseinandersetzungen gedacht, die wir am Anfang hatten."

"Sir, oh je, Sir", sagt Lyn leise in sich hineinlachend.

"Da lachst du auch, was mein kleines Mädchen. Sag mal geht es dir wieder etwas besser?"

Lyn nickte. "Sir, es geht schon, Sir. Was haben sie erreichen können, Sir?"

"Bis jetzt leider noch nicht viel. Aber ich bekomme heute noch Bescheid."

"Sir, warum rufen sie nicht den Oberstleutnant an. Der ist gut bei sowas, Sir. Der kennt da einige Leute, hat er mir mal erzählt als er besoffen war und gute Laune hatte, Sir. Die ihn jeden Einsatz besorgen, den er will, Sir. Wir müssen es ihm nur richtig servieren, sagt der Doko immer, Sir."

Oberst wuschelte Lyn durch die Haare. "Na ja meine kleines Mädchen, ich mag deinen Oberstleutnant nicht anrufen, weil ich Angst habe, dass er dich dann wieder bestraft."

Lyn spielte die Sache herunter. "Sir, ich werde doch so oder so bestraft, so weiß ich wenigstens warum, Sir", teilte sie ihm lachend mit.

Der Oberst strich eine Strähne, des schönen schwarzen Haares aus Lyns Gesicht. "Ach Lyn, dass ich dich mal mit so langen Haaren sehe, habe ich mir auch nicht träumen lassen. Du hast richtig schöne Haare", erschrocken sah sie ihn an.

"Na die sind gleich weg. Wenn ich den Einsatz haben will, müssen die runter, bevor ich zum Oberstleutnant gehe, Sir."

"Och nicht doch, nicht wieder Glatze, Lyn. Walter schneidet die dir auf fünf Millimeter, da kann der auch nicht meckern."

Lyn zuckte mit den Schultern. "Sir, von mir aus, Sir. Stehen wir auf, oder liegen wir hier noch rum, Sir?", erkundigte sich Lyn beim Oberst mit Schalk im Gesicht.

Langsam nickte dieser, setzte sich erst einmal im Schneidersitz hin. "Lyn, ich wollte dich schon lange einmal etwas fragen. Sag mal diese Übung die du mit deinen Kameraden, immer vor dem Kampf machst, können wir das auch lernen? Diese Übung ist bestimmt gut für die Kondition."

Lyn grinste. "Sir, ja sie ist gut für die Kondition, Sir. Aber noch besser für die Körperbeherrschung, Sir. Wenn sie wollen lerne ich ihnen das, Sir."

Lyn stand auf und half dem Oberst auf die Beine, der schon wieder stöhnt.

"Sir, aber ihnen muss ich das ein anderes Mal zeigen, Sir. Sie können heute nicht mit machen tut mir leid, Sir. Für das Krantonak fehlt mir im Moment die Kraft, Sir."

"Lyn, das habe ich gemerkt, du warst fast eine halbe Stunde bewusstlos vorhin."

Lyn nickte, konnte sie sich vorstellen, dass sie lange gebraucht hatte. Wie lange wusste sie nicht, ihr Zeitgefühl war immer noch nicht ganz in Ordnung. Der Oberst nahm Lyn an den Schultern und ging raus in die Halle. Sah sich um.

"Leute, was haltet ihr von einem bisschen Training mit Lyn?", sah sich dann nach Walter um, entdeckte diesen an der Kaffeemaschine. "Walter, wie schaut es aus, kannst du Lyn dann bitte mal die Haare schneiden?"

Walter kam aus der Ecke und lief auf Lyn zu. "Lyn, gleich oder nach dem Training."

"Walter, nach dem Training und vor dem Duschen."

"Geht klar Lyn", bestätigte Walter.

Pille drehte sich zu seiner kleinen Freundin um. "Lynchen, was wollen wir trainieren? Taiji oder Kampftraining?"

"Pille, das Fobnekotar. Das ist das, was ich immer vor dem Kampf mache, das hilft euch besser zu werden. Ihr lernt dadurch Körperbeherrschung und Balance."

Es ging ein Stöhnen durch die Reihe.

"Was ist los mit euch?"

Einige waren dabei, die überhaupt nicht begeistert aussahen. Tom sprach wohl das Problem an, das viele der anderen auch hatten.

"Lyn, ich kann nicht mal einen Handstand, wie soll ich das da bitte lernen."

Verwundert sah Lyn Tom an. "Wie du kannst das nicht? Der Handstand ist doch nicht schwer", ging aus dem Stand in den Handstand und sah ihn auf den Händen stehend an.

Tom schüttelte den Kopf, versuchte einen Handstand, hatte aber viel zu viel Schwung, vor allem fand er seine Mitte gar nicht.

"Oh je, das wird schwer. Aber keine Angst, das schaffen wir schon."

Erklärte Lyn den Jungs lachend und begann das Training mit einer Runde Taiji, so wie sie das immer machte. Danach ein paar Fall und Wurfübungen. Als alle schon schwitzten, begann sie damit den Handstand zu erklären. Pet, Olaf, Tom aber auch Walter taten sich schwer damit. Nach einer Stunde standen sie, wie eine Eins. Kopfschüttelnd sah Tom, Lyn an.

"Lyn, meine Sportlehrerin hatte es aufgeben, mir den beibringen zu wollen. Wieso kann ich das jetzt auf einmal?", erkundigte er sich bei dem Mädchen und strahlte sie glücklich an. "Dass ich noch einmal den Handstand lerne, kann ich einfach nicht glauben", lachend schnappte er sich Lyn, hob sie hoch und drehte sich mit ihr im Kreis. "Danke."

Lyn bekam sogar ein Küsschen auf die Stirn.

"Gern Tom, wenn man weiß wie, ist alles nichts schwer. Also kommt versuchen wir es."

Lyn stellte die Jungs auf, dass sie sich beim Umfallen, nicht gegen seitig behindern oder gar verletzen konnten.

"Ich erkläre euch jetzt ganz langsam, den ersten Bewegungsablauf. Es sieht schwieriger aus, als es wirklich ist. Das einzige Problem, dass ihr habt, ist, dass ihr eure Mitte behalten müsst. Ihr müsst also beim nach unten führen der Beine, das Gleichgewicht verlagern. Vor allem dabei die Muskeln immer gespannt lassen."

Langsam ging sie in den Handstand, wusste, dass dies alleine schon schwer war. Im Handstand angekommen, spreizte Lyn die Beine in einem Herrenspagat oder der großen Grätsche. Kippte das Becken nach unten. Folgte dem Becken, mit dem Oberkörper. In dem sie den, in den Schultern in Richtung Boden schwenkte. So dass die Beine parallel zum Boden schwebten. Im Anschluss schloss sie die Grätsche, bis die Beine die Arme berührten. Fünf Minuten dauerte dieser erste Teil des Fobnekotar immer. Sechsunddreißig Mal übten die Jungs diesen Ablauf und wurden mit jedem Mal besser und vor allem sicherer. Alle schafften es jetzt, ohne das Geleichgewicht zu verlieren.

"So, ich würde sagen, das reicht für den Anfang. Beim nächsten Training zeige ich euch dann, wie ihr weiter macht. Erst einmal müsst ihr sicher nach unten kommen, ohne umzufallen", erklärte Lyn, den Schweiß gebadeten Männern, nach drei Stunden Training.

"Aber ihr seid wirklich gut. Bei euch ist es nicht die Kraft die fehlt, sondern wirklich nur die Technik. Oberst?" Lyn sah sich um, konnte ihn aber nicht entdecken. Wendete sich deshalb an den Stellvertretenden Teamleiter.

"Walter, ich würde sagen, jeden Tag eine Stunde solltet ihr das üben. Dann könnt ihr das alle, wenn ich das nächste Mal hier bin."

Walter nickte.

"Ab mit euch unter die Dusche."

Sofort verschwanden die völlig geschafften Männer in den Waschräumen. Als Lyn ihnen folgen wollte, rief sie Walter zurück.

"Lyn, ich denke ich soll dir die Haare schneiden."

Also drehte sich Lyn noch einmal um und lief zurück zu Walter. Der zog eine Bank etwas vom Tisch weg, holte einen Haarschneidemaschine, um Lyn die Haare zu schneiden. "Lyn wie willst du die Haare haben?"

Lyn schielte nach oben zu Walter und sah sie diesen verwundert an.

"Walter ab", kam prompt die Antwort.

Walter fing schallend an zu lachen. Das war wieder einmal eine typische Antwort von Lyn.

"In Ordnung, also ab", er setzte das Gerät an und schnitt Lyn, da er ihr Problem kannte, die Haare auf drei Millimeter.

Lyns Haare wuchsen schlimmer als Unkraut, sagte der Doko immer. Jeden fünften Tag rasierte sie sich Glatze. Wenn sie das einmal vergaß oder nicht tun konnte, wie jetzt durch die Krankheit, waren ihre Haare kaum zu bändigen. Keine fünf Minuten später, hatte Walter seine Arbeit fertig.

"So Lyn, jetzt hast du ein paar Tage Ruhe."

"Danke Walter, ich gehe schnell noch duschen."

In dem Moment als sie losgehen wollte, kam der Oberst aus seinem Büro. Die Kleine sah sofort was los war.

"Sir, schlechte Nachrichten, Sir."

Der Oberst nickte. "Ja meine kleines Mädchen, ganz schlechte. Dein Oberstleutnant rief mich grade an. Wo du steckst? Wieso du noch nicht zu Hause wärst? Ich habe ihm erklärt, dass du hier mit meinen Leuten noch ein Training machst, das war glaube ich nicht so gut. Er ist stocksauer. Du bekommst bestimmt Ärger wegen mir. Als ich ihn auf den Auftrag hin angesprochen habe, wurde er richtig böse. Meinte, das hätte für dich Konsequenzen, weil du den Oberstleutnant Rudolf tätlich angegriffen hast. Du sollst dein Testament machen", betrübt sah der Oberst Lyn an.

"Sir, das ist nicht schlimm, Sir. Der ist doch immer sauer, Sir. Wahrscheinlich hat er sein Limit schon wieder weit überschritten, Sir. Der tut mir nicht mehr wirklich weh, Sir", versuchte Lyn dem Oberst zu beruhigen.

Oberst Fleischer war es trotzdem nicht wohl in seiner Haut, es tat ihm weh, wenn sein kleines Mädchen geschlagen wurde. Diese kleine Kämpferin winkte ab und lief nach hinten in Richtung der Duschen.

  

"Lyn, mein kleines Mädchen, du duschst aber noch ganz gemütlich. Egal wie lange es dauert."

Erfreut nickte ich, war schon in der Dusche verschwunden. Fast eine Stunde stand ich unter der Dusche und genoss einen Luxus, den ich nur selten hatte. Nur wenn ich beim Doko war oder beim Oberst in der Soko, konnte ich mir das leisten. Sonst hieß es immer, Beeilung, macht hin, wir haben keine Zeit. Deshalb ließ ich mir das nicht zweimal sagen. Frisch geduscht ging es mir gleich, um vieles besser. Meine Muskeln taten nicht mehr ganz so schlimm weh, vor allem ließen diese verdammten Kopfschmerzen etwas nach. Es war jetzt kurz vor halb Zehn in der Nacht. Ich zog mich an und lief auf den Oberst zu.

"Sir, der Gosch kann mich nach Hause fliegen, Sir. Je eher ich da bin, ums so eher habe ich es hinter mir, Sir."

Der Oberst schüttelte den Kopf. "Erst isst du noch etwas mein Mädchen. Ich weiß nicht, wann du wieder etwas bekommst. Setze dich, bevor du nicht aufgegessen hast, darfst du nicht los."

Walter zuckte mit den Schultern und signalisierte mir so, dass er für die Menge des Breies nichts konnte.

"Sir, dann muss ich wohl für immer hier bleiben, Sir", stellte ich lachend an ihn gewandt fest.

"Wieso?", wollte dieser perplex wissen, weil er diese Antwort von mir nicht erwartet hatte.

"Sir weil ich das nicht schaffe, bitte Sir. Mir geht es nicht so besonders, wenn ich das aufesse, kommt alles wieder raus, Sir. Ich esse nur so viel wie ich mag, Sir. Bitte Oberst fragen sie mich einfach immer, wie viel Brei ich haben möchte, Sir. Der Brei ist teuer, sagt der Oberstleutnant immer, Sir."

Wieder einmal schüttelten alle den Kopf. Böse sah ich die Jungs deshalb an. "Da müsst ihr nicht den Kopf schütteln. In der Schule essen immer die Großen, den Rest von mir auf. Aber hier geht das nicht. Da müssen wir den Rest wegschmeißen, das geht doch nicht", wütend sagte ich das den Männer.

Die mich wieder einmal mitleidig ansahen. Sofort setzte ich mich hin und aß von dem Brei vielleicht die Hälfte.

"Lyn, ich weiß, dass der Brei fast gar nichts kostet. Da nämlich fünfzig Gramm eurer Nahrung, gerade einmal fünfzig Pfennige kosten. Da ist der Strom, das Pulver und das Wasser schon mit eingerechnet. Also kommt es auf die paar Gramm nicht an."

Wieder schüttelte ich den Kopf. "Sir, wenn sie einmal fünfzig Gramm wegschmeißen, mag das nicht teuer sein. Aber rechnen sie das einmal hoch. Ich bin schon so oft bei ihnen gewesen, ich glaube an die dreißig Male, das ist dann schon wesentlich mehr, Sir", versuchte ich ihm klar zu machen, dass man mit Essen nicht so rumwirtschaften sollte. "Sir, vor allem könnte ich mittlerweile von diesem weggeschmissenen Brei einen ganzen Monat leben, ohne auch nur einen Tag hungern zu müssen, Sir."

Jetzt lachte der Oberst nicht mehr, er sah mich mit einem eigenartigen Gesicht an.

"Lyn, mein kleines Mädchen, du hast wie immer recht. Na ja, Hauptsache du bist satt. Ich werde es von meinem Taschengeld bezahlen."

Die Jungs fingen schallend an zu lachen. Nur ich verstand wieder einmal nur Bahnhof. Deshalb stand ich einfach auf und schnappte mir meine Sachen. Es war kurz vor 22 Uhr, als ich auf Gosch zu ging.

"Gosch, können wir fliegen. Die Jungs hier sind böse zu mir. Die Lachen mich einfach aus."

Der Oberst kam noch einmal auf mich zu. "Lyn, keiner lacht dich aus, das würden wir uns gar nicht wagen. Die Schläge die wir dann von dir dann bekämen, würden wir nicht überleben. Es ist nur so, dass du oft so absolut recht hast. Es aber, oft so niedlich rausbringst, dass es halt irgendwie Lustig klingt. Aber du hast recht, mit dem was du sagst. Lass uns doch lachen, das tut uns doch gut. Mein kleines Mädchen, ich hoffe die Strafe wird nicht zu schlimm. Ich versuche morgen in der Früh noch einmal mit dem Oberstleutnant zu reden, damit du den Fall zu Ende bringen kannst. Also pass auf dich auf, trotzdem es schief gelaufen ist, vielen Dank für deine gute Arbeit", lieb streichelte er mir über den Kopf.

"Sir, wir sehen uns spätestens in zwei Tagen, Sir. Bleiben sie einfach hier, Sir. Sie wissen wie das bei mir ist, Sir. Ein Einsatz ist erst dann abgeschlossen, wenn die Verbrecher hinter Schloss und Riegel sitzen, Sir. Egal was mit den Kindern geschieht, dies ist nicht meine Verantwortung, Sir. Dieser Jan läuft noch frei herum, dem Gunther, dem Conrad und der Keynia habe ich versprochen, dass er dafür bestraft wird, Sir. Das werde ich tun, auch wenn es das letzte ist, was ich tue, Sir. Auch wenn das bedeutet, dass ich ohne Erlaubnis vom Oberstleutnant auf Suche gehen muss, Sir."

Lachend schüttelten alle den Kopf und der Oberst reichte mir zum Abschied die Hand.

"Dann bis bald Lynchen", verabschiedete sich Pille von mir. "Ich bringe dich noch bis zum Drachen."

Zusammen verließen wir die Halle, Pille trug meinen Rucksack. Gosch war schon vorgegangen. "Dann bis bald Lynchen", sprach Pille und gab mir noch einen Kuss auf die Stirn.

In diesen Moment fiel mir noch etwas Wichtiges ein. "Pille, kannst du den Oberst eventuell fragen, ob er die Bilder von Conrad und Keynia besorgt. Er möchte auch bitte diesen Vater oder Vati von Gunther und Jan und diese Felicitas ermitteln. Wenn ich zurück komme, möchte ich mit diesen Leuten unbedingt reden."

Ich griff in meinen Overall und holte die Stadtplan von Berlin heraus, den ich immer noch einstecken hatte und zeigte Pille, wo Jan immer hingelaufen war.

"Lynchen, wir kümmern uns darum."

"Danke Pille, sag den Jungs und den Oberst einen lieben Gruß, bis bald mal wieder", stieg sofort in den Drachen und schnallte mich an.

Gosch flog los in Richtung Schule.

"Gosch, bist du böse, wenn ich noch etwas schlafe? Ich bin so verdammt müde."

Der Pilot streichelte mir den Arm und schüttelte den Kopf. "Schlaf nur Täubchen, ich passe auf dich auf und wecke dich, wenn wir da sind."

"Danke Gosch", im gleichen Atemzug rollte ich mich auf den Sitz zusammen und schlief so einfach noch eine reichlich Stunde.

Kurz nach 23 Uhr kamen wir in der Schule an und ich verabschiedete mich von Gosch.

"Bis bald, pass auf dich auf, Gosch", rief ich ihm noch zu und lief schon nach unten zu meinen Freunden. Kaum in unseren Raum, ging ich ans Telefon und rief die 0001 an.

"Notruf, Leutnant Worms, was kann ich für sie tun?", meldet sich der Wachhabende.

"Sir, 98 am Apparat, Sir. Kann ich den Oberstleutnant bitte bekommen, Sir?" 

Der antwortet sofort. "Lyn, der Oberstleutnant schläft schon. Morgen früh um 10 Uhr, sollst du zum Rapport kommen. Der hat eine verdammte Wut auf dich. Hat hier über drei Stunden gewütet wie ein tollwütiger Stier. Also mache dich auf Schlimmes gefasst."

"Sir, danke, Sir."

Sofort legte ich auf und lief zu meinen Freunden. Fast alle hatten noch hohes Fieber, aber die meisten waren munter. Sie bekamen also mit, dass ich weg war. Traurig sahen sie mich an. Auch sie hatten begriffen, dass es Vier von uns, wieder nicht geschafft hatten. Das wir jetzt nur noch einundvierzig Kameraden waren. Aber was half ja nichts zu weinen.

"Ach seid nicht traurig, auch wenn sie nicht mehr bei uns sind, bleiben sie in unseren Herzen. Bald sind sie unter unserem Baum und haben dort ihren Frieden. Das haben sie sich so gewünscht."

Müde setzte ich mich auf mein Bett. Alle kamen hinter zu mir, wir kuschelten uns aneinander. Es tat uns gut, uns zu spüren und die Nähe zu einander zu haben. Wir waren dann auch körperlich nicht mehr alleine.

"Ich muss mit euch später noch etwas besprechen oder wollen wir das Gleich machen? Dann könnt ihr wieder schlafen."

Ich bekam von allen Zustimmung.

"Dann hört bitte kurz zu", ich sah meine Freunde an. "Immer wieder stelle ich bei den Einsätzen fest, dass wir Probleme bekommen, wegen unserer Namen."

Alle nickten, sie hatte das selber schon erlebt.

Kantu sprach aus, was viele dachten. "Jedes Mal, denken die Anderen wir wollen sie ärgern, das nervt langsam. Da hast du vollkommen recht, Lyn. Aber, was willst du dagegen machen?", erkundigte er sich leise und lehnte sich an Justa, seine Freundin, die ihn in den Arm zog.

Kantu ging es fast so schlecht wie Myrna, einige Male wollte er auch aufgeben. Justa war es nur mit Mühe gelungen, ihn zurück zu holen. Traurig streichelte sie sein Gesicht.

"Kantu, ich werde es dem Oberstleutnant erklären. Werde ihm auch darum bitten, dass wir Dienstausweise bekommen, damit solche Sachen, wie mit den Ortega-Kindern, nicht wieder passiert. Bloß brauche ich eure Namen und auch eure Erlaubnis, diese den Oberstleutnant zu geben."

Alle nickten.

Deshalb sah ich Chim an. "Chim, geht es dir so gut, dass du eine Liste schreiben kannst, mit unseren jetzigen und den zukünftigen Namen?"

Chim bestätigte durch eine Kopfbewegung, dass er das hinbekam. Ich bat Chim deshalb darum, weil er eine sehr schöne saubere Handschrift besaß. Man könnte sie fast als Kalligrafie bezeichnen. Vorsichtig stand ich auf, um niemanden zu treten. Holte aus meinem Schrank, Block und Federhalter. Reichte beides an Chim weiter.

"Danke Chim, ich habe im Moment, wirklich nicht die Nerven dafür. Bitte Leute, legt euch dann hin, versucht unseren Traum zu träumen. Das hat mir etwas geholfen. Immer zusammen mit einem Freund. Ich brauche euch bald wieder gesund. Ich brauche eure Kraft, um selber gesund zu werden. Bitte."

Alle nickten.

"Man braucht uns. Ich habe das heute früh wieder gesehen. Viele Einsätze, können die Anderen, ohne unsere Hilfe gar nicht schaffen. Es sind schon so viele schlafen gegangen. Kantu bitte verlasse uns nicht auch noch. Wie soll Justa, ohne dich klar kommen. Halil, Aki, Adya, aber auch du Chim. Ich weiß, was ihr für Dyani, Myrna, Gyasi und Aik empfunden habt. Aber denkt ihr, die Vier wollten, dass ihr auch zum Baum kommt. Es ist schlimm genug, dass ich die Vier nicht retten konnte. Bitte tut euch gegeneinander helfen. Kommt bitte alle zu mir, wenn es gar nicht geht, dann helfe ich euch. Ihr wisst, ich kann das. Bitte verlasst uns nicht auch noch. Ich habe so gekämpft, um wieder hier her zu finden. Lasst meinen Kampf nicht für umsonst gewesen sein. Ich bin nur wegen euch zurückgekommen. Bitte, ich will euch beschützen", weinend sah ich sie an.

Alle wussten, wie schwer mein Weg diesmal war. Dass ich ihn fast nicht mehr gefunden hätte. Ich war kurz davor, den Weg der Vieren zu gehen. Nur die Rufe der Anderen hatten mich davor bewahrt. Diesen  Hilfeschreien war ich gefolgt, um zurück zu finden. Weil alle sagten, ohne mich wollten sie nicht mehr leben. Sie hätten dann niemand mehr, der auf sie aufpasst. Traurig sahen mich alle an.

"Bitte, ich weiß, das in der Höhle erlebte war schlimm. Für mich war es noch schlimmer als für euch. Ich habe das kleine Mädchen getötet. Wenn ihr wollt, kann ich das bei euch allen blockieren. Soll ich das tun?"

Alle nickten, keiner kam damit klar.

"Dann setzt euch in den Kreis."

Wir setzten uns auf den Boden. Wieder einmal wurde mir bewusst, wie wenige wir nur noch waren. Der Platz in der Mitte wurde immer leerer, vor allem wirkte der Raum immer größer. Der Tisch und die Betten, die früher kaum Platz gefunden hatten, sahen verloren aus. Nicht mal mehr die Hälfte, meiner Leute lebten noch. Von den dreiundachtzig waren nur noch einundvierzig am Leben, also nicht mal mehr die Hälfte. Allerdings waren einige dabei, die absolut keine Lust mehr hatten. Auf die ich besonders aufpassen musste, damit nicht noch mehr schlafen gingen. Ich brachte alle ins Jawefan, blockierte bei allen das Erlebte von Rumänien, alles dass, was in der Höhle passiert war. Stärkte bei allen den Lebensmut, den Willen zur Genesung. Blockierte auch die Teile des Gesprächs, was wir eben geführt hatten, in dem es um die Höhle ging. Ließ ihnen nur die Erinnerung an den Teil, in dem es um den Zusammenhalt ging und das ich alles Blockiere würde. Es tat meinen Leuten nicht gut, ständig wieder von diesem Horror eingeholt zu werden. Nur bei mir konnte ich das nicht blockieren, das ging leider nicht. Ich musste für mich einen Weg finden, es zu verdrängen. Mir war es wichtiger, dass sich meine Freunde endlich erholen konnten, damit sie schneller wieder gesund und einsatzfähig wurden.

Ich brauchte die Kraft der Gruppe, um selber wieder zu genesen. Lange ließ ich meine Leute im Jawefan schlafen. Über drei Stunden hielt ich sie in diesem Zustand, erst dann waren sie soweit erholt, dass das Fieber zu sinken begann. Langsam ging ich aus dem Jawefan und weckte meine Leute. Fast vier Stunden hatte ich diesmal gebraucht. Das war das längste Jawefan, was ich in der Gruppe je gemacht hatte.

Erschöpft kippte ich bewusstlos zur Seite. Viele hatten von der wenigen Kraft, die ich noch besaß, etwas bekommen. Das ließ sich im Jawefan leider nicht ändern. Alle Kräfte wurden ausgeglichen, alles wurde auf ein einheitliches Niveau gebracht. Rashida erschrak, als sie aus dem Jawefan völlig erwacht war und mich bewusstlos neben sich liegen sah. Sie hob mich hoch und trug mich zu meinem Bett. Legte sich hinter mich und zog mich in ihre Arme, so dass ich mich erholen konnte. Nach zehn Minuten kam ich kurz zu mir.

"Rashida, ich gehe ins Jawefan, erschrecke nicht", teilte ich ihr in der Verbindung völlig erschöpft mit.

Schon tauchte ich in den tiefen Schlaf, suchte darin für mich eine Möglichkeit, mit dem Erlebten klar zu kommen. Endlich fand ich eine Lösung, die mir etwas dabei half. In dem ich akzeptierte, was man diesen Kindern dort angetan hatte. Es als das Schlimmste ansah, was man Kindern überhaupt antun konnte. Dass ich alles, was ich bis jetzt in meinem Leben erlebt hatte, daran maß. Ich stellte fest, dass es mir immer gut gegangen war. So konnte ich das, was ich erlebt hatte, abschwächen und sogar noch einen Nutzen, aus den Ereignissen in Rumänien ziehen. Kam langsam mit dem Erlebten in der Höhle besser klar. Ich begann es zu akzeptieren, so gut es halt ging. Kurz vor 9 Uhr am Morgen wurde ich munter, Rashida lag neben mir. Der Doko saß auf meinem Bett.

"Mein Gott Lyn, ich dachte du bist tot. Rashida hat dich nicht los gelassen", er zog mich in seine Arme. "Was war los mit dir, Lyn? Die Kinder sagten mir nur, du hast das Jawefan bei ihnen gemacht. Aber danach warst du noch nie bewusstlos", völlig irritiert streichelte er mir über den Arm.

"Bitte Doko, ich will nicht darüber sprechen. Lass uns lieber nachsehen, wie es den Anderen geht."

Doko nickte, er wusste seit langem, dass ich nicht reden würde, wenn ich so abblockte. Er akzeptierte das jetzt immer. Ich setzte mich neben ihn. Gemeinsam standen wir auf und machten eine Visite. Allen ging es wesentlich besser, das Fieber war in einem Bereich, in dem wir das Fieber kontrollieren konnten. Es fing langsam an zu sinken. Meine Freunde waren auf dem Weg der Genesung.

"Doko, wann muss ich beim Oberstleutnant sein? Kannst du mir noch einmal einen Tropf geben? Die Kopfschmerzen machen mich noch verrückt."

"Leg dich noch einmal hin, Lyn. Ich hole dir einen. Hast du beim Oberst einen Tropf gebraucht?"

Ich schüttelte den Kopf viel zu müde, um zu sprechen.

"In Ordnung. Keine Angst, mein Mädchen, das schaffen wir noch, bevor du hoch musst. Du hast noch fünfundfünfzig Minuten."

Erleichtert ging ich nach hinten zu Rashida, meiner besten Freundin. Sah mich nach Jaan um, der saß bei Chim, dem es immer noch nicht gut ging. War nur bei der Visite, wie alle anderen in sein Bett gegangen. Alle saßen paar oder gruppenweise zusammen. Das war gut. So konnten sie sich am besten erholen. Rashida sah traurig mich an.

"Täubchen, wieso warst du bewusstlos. Du bist noch nie bewusstlos geworden, nach dem Jawefan?"

Ich winkte ab, wie sollte ich ihr das erklären. Sie hatte keine Erinnerungen mehr an die Höhle in Rumänien.

"Täubchen, ich habe dich etwas gefragt."

"Rashida, bitte mir geht es nicht so gut. Euch ging es auch nicht gut. Viele hatten noch weniger Kraft als ich. Bitte, ich habe schon einen Einsatz hinter mir, ihr konntet euch länger erholen, als ich. Lass es gut sein, ich bin froh es unter Kontrolle zu haben. Ich erkläre es dir, wenn es mir wieder etwas besser geht, versprochen."

Verwundert sah mich Rashida an. "Was ist los mit uns? Doko sagt wir hätten seit sieben Wochen geschrien. Hätten so schlimmes Fieber gehabt, wie nach Prag. Aber der Einsatz war doch nicht so schlimm."

Also hatte ich es richtig gemacht. Mir war es geglückt den richtigen Zeitabschnitt blockieren.

"Rashida, bitte später ja. Lass mich noch etwas schlafen, der Doko soll mir einfach den Tropf geben."

Ich legte mich hin und versuchte zu schlafen. Rashida die sah, dass ich keine Ruhe fand, legte sich wieder hinter mich und zog mich in ihre Arme. Zwang mich auf diese Weise in einen normalen Atemrhythmus. Zwei Minuten später schlief ich, tief und vor allem erholsam. Es dauerte gar nicht lange bis der Doko wieder da war. Davon bekam ich davon nichts mehr mit, denn ich schlief traumlos und beschützt von meiner Rashida. Doko kam und hängte mir den Tropf an.

"Doko, was ist los mit Lyn, warum findet sie keine Ruhe? Wieso waren wir so hochfiebrig?"

Doko sah meine Rashida verwundert an. Er musterte meine Freundin genau. Plötzlich kam ihm eine Idee.

"Sag mal Rashida, du hast mir doch gesagt, Lyn hat mit euch das Jawefan gemacht. Kann man da bestimmte Erlebnisse blockieren?"

Verwundert sah ihn Rashida an. Ging ihre gesamten Erinnerungen der letzten Wochen durch und kam auf das Gespräch in der Gruppe zurück, in dem ich den Freunden dieses Blockieren angeboten hatte.

"Doko, ja Lyn bot uns das an. Aber ich weiß nicht, was sie blockieren wollte, Doko. Aber sie hat etwas blockiert, ich habe eine Zeitlücke, bei dem, was im Bergwerk war, von über acht Stunden, Doko. Auch bei dem heutigen Gespräch fehlen einige Minuten."

Doko streichelte mir über das Gesicht.

"Also kämpft Lyn nur noch alleine gegen das, was ihr dort erlebt habt. Rashida, passe gut auf deine Freundin auf. Ihr seid sieben Wochen lang durch die Hölle gegangen. Das durchlebt Lyn jetzt, nur noch alleine. Da ist es noch schwerer."

Erschrocken sah Rashida den Doko an, dann traurig zu mir.

"Doko, es muss schlimm sein, Lyn krampfte vorhin richtig, als ich sie alleine schlafen ließ, Doko."

Jacob bestätigte dies. "Das macht ihr schon alle seit sieben Wochen. Bei fünf von euch war es am Schlimmsten. Vier sind gestorben. Lange Zeit dachte ich, dass Lyn den vieren folgen würde."

Rashida nickte, der Tropf war durch gelaufen. "Doko, das wollte sie auch. Wir haben sie nur mit viel Mühe zurück geholt. Es war diesmal verdammt knapp, Doko."

Rashida begann mich zu wecken. "Täubchen, du musst aufwachen. Du musst zu Rapport ins Büro des Oberstleutnants."

Langsam wurde ich munter. Dankbar sah ich den Doko an.

"Doko, du hast diese verdammten Kopfschmerzen weggezaubert, danke Doko. Na, dann werde ich mich mal bestrafen lassen, bis später Doko. Bis dann Rashida."

Stand sofort auf und zog meinen Overall gerate und lief nach vorn.

"Doko bringst du mich hoch oder soll ich den Wachdienst anrufen."

"Lyn, bestell den Wachdienst. Ich will deine Leute noch mal genau untersuchen."

Ich wählte wie immer die 0001, nach dem sich der Diensthabende gemeldet hatte, sagte ich kurz und bündig was ich wollte.

"Sir, hier 98, ich soll zum Rapport, ins Büro der Oberstleutnants, Sir. Kann mich jemand holen kommen, Sir."

Bekam die Bestätigung, dass gleich jemand da wäre. Zwei Minuten später ging die Tür auf, einer von der Wachmannschaft stand draußen im Flur.

"98, mitkommen."

"Sir, jawohl, Sir", antwortete ich dem mir unbekannten Wachmann, der wohl neu im Projekt war. Seit einiger Zeit liefen hier viele neue Gesichter herum, da viele in der Wachkompanie tätigen, um Versetzung aus dem Projekt gebeten haben. Da sie mit Mayer und dessen Art und Weise nicht mehr klar kamen. Es war schade für uns, denn Mayer gelang es komischer Weise, seine neuen Mitarbeiter auf seine Seite zu ziehen. So standen immer weniger Mitarbeiter im Projekt hinter dem Doko und unseren Freunden. Damit wurde für die uns gut gesinnten Mitarbeiter das Leben immer unerträglicher. Hoffentlich gaben die wenigen nicht auch noch auf. Dann standen die Jacobs diesem Unmenschen alleine gegenüber. In der Zeit in der mir das durch den Kopf ging, lief auf ich auf den Wachmann zu und blieb neben dem Wagen stehen. Dieser stieg auf dem Multicar.

"Auf der anderen Seite."

Ich schüttelte den Kopf. "Sir, ich laufe besser, Sir."

Sonst würde der Wachmann großen Ärger bekommen. Er schien wirklich noch vollkommen neu hier zu sein. Keiner im Projekt würde, wenn der Oberstleutnant munter oder in der Nähe war, uns zum Mitfahren auf einem Multicar einladen. Also lief ich ihm hinterher. Bis vor zum Haus 2. Dort klingelte er, um mich anzumelden.

"Leutnant Müller mit 98, zum Rapport."

"Das wird aber auch Zeit, hoch mit ihr. Du kannst verschwinden. Mach deine Arbeit Müller", brüllte Mayer in die Gegensprechanlage.

Na das kann ja heiter werden, der war schon wieder sturzbesoffen. Also würde er mich wieder einmal auspeitschen. Hoffentlich musste ich nicht in die Lichtbox, ging es mir durch den Kopf. Ich hatte keine Ahnung, wie ich die durchstehen sollte. Schnell war ich die zwei Etagen nach oben gelaufen. Oberstleutnant Mayer stand in der Tür.

"Geht das auch ein bissel schneller 98, rein mit dir, du Biest."

Er machte einen Schritt zur Seite. Erschrocken sah ich mich um. Wie sieht es denn hier aus? Die sonst immer akkurat geputzte Wohnung sah aus, als wäre sie verwüstet worden. Ein Sofa war umgekippt. Der Tisch auf dem die Sachen von Ilka lagen, ebenfalls. Zügig lief ich in das Büro des Oberleutnants. Stellte mich wie gewohnt vor dessen Schreibtisch. Mayer setzte sich dahinter und starrte mich wütend an.

"Kannst du mir mal verraten, 98, was bei diesem Einsatz los war? Wieso hast du kleine Mistkröte, einen über dir stehenden Offizier verprügelt? Hast du sie nicht mehr alle? Bist du dir darüber im Klaren, wie du deine Schule jetzt dastehen lässt, du Missgeburt?", schrie er mich an.

Da er mir das Sprechen nicht erlaubt hatte, schweige ich. Hob aber leicht den Kopf, um ihn so zu signalisieren, dass ich Sprechen wollte.

"Kannst du mir nicht antworten, du kleine Kröte? Sprich."

"Sir, doch, ich antworte ihnen, Sir. Darf ich offen sprechen, Sir?", erkundigte ich mich, ob ich es richtig erklären durfte.

"Ja, erzähl was los war, aber ein bissel Dalli. Sprich du kleine Mistkröte."

"Sir, ich weiß das ich übers Ziel hinausgeschossen bin, Sir. Das hat mir der Oberst Fleischer schon gesagt, Sir. Aber es hat mich aufgeregt, wie man die Männer der Soko Alexanderplatz behandelt hat, Sir. Die Jungs dort konnten sich vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten, Sir. Sind sogar auf dem Beobachtungsposten eingeschlafen, Sir. Das kann doch nicht sein, Sir. Deshalb habe ich als Ärztin, den dortigen Einsatzleiter die Meinung gesagt, Sir. Die Männer hatten seit Tagen kaum etwas gegessen, hingen nur noch in ihren Overalls, Sir. Die können in diesem Zustand keinen Einsatz machen, Sir. Der läuft dadurch völlig aus dem Ruder, Sir. Dass ich ihn verletzt habe, Sir. War keine Absicht, er griff mich in einem Gespräch, welches ich mit Oberst Fleischer und den Männern der Soko führte von hinten an, Sir. Es war ein Reflex, ich habe ihn auch sofort versorgt, Sir. Sodass er keine bleibenden Schäden behält, Sir. Darf ich eine Bitte äußern, Sir?", beende ich meinen langen Vortrag, den ich komischer Weise ohne Unterbrechungen machen konnte.

Der Oberstleutnant musterte mich und schaute mich böse an. "Du kleine Mistkröte lügst mich hier an, lässt die Hälfte weg und dichtest etwas dazu, nur um dich ins bessere Licht zu rücken."

Verwirrt sah ich ihn an, ging meine Erinnerungen noch einmal durch. Ich hatte das mit den Spielen nicht erwähnt ja, aber das war unwichtig in meinen Augen. Trotzdem hob ich noch einmal den Kopf, sah zu Mayer.

"Sprich, ist dir noch was eingefallen, was du vergessen hast, du abartige Kreatur."

"Sir, ja, Sir. Ich hatte etwas mit dem Oberstleutnant gespielt, Sir. Das war nicht in Ordnung, Sir. Aber ich habe ihm nicht mal blaue Flecke verpasst, Sir. Er wollte den Zugriff auf den Bunker machen, obwohl Oberst Fleischer ihm darum bat zu warten, bis er vor Ort ist, Sir. Deshalb habe ich versucht Zeit zu schinden, damit Oberst Fleischer vor Ort kommen konnte, Sir. Es ging in dem Einsatz darum die Ortega Kinder lebend zu finden, Sir. Die Kinder lebten zu diesem Zeitpunkt noch, Sir. Allerdings waren sie nicht in den Bunker, Sir. Deshalb habe ich mich gewehrt, ich weiß, dass es nicht richtig war, Sir. Aber ich wusste mir nicht anders zu helfen, Sir. Den Spruch den ich den Oberstleutnant gesagt habe, Sir. Den sage ich doch immer, wenn ich jemanden auf die Matte lege, Sir. Der ist doch nicht ernst gemeint, Sir. Sie wissen doch ich würde niemals jemanden ohne Grund töten, Sir", offen sah ich den Oberstleutnant an.

"Jetzt hast du mir alles gesagt du faules Stück Dreck. Sprich."

"Sir, ja, Sir."

"Du hast also nicht den gesamten Einsatz gefährdet, in dem du die Leute dazu aufgefordert hast, den Bunker zu stürmen, du kleines Biest du."

"Sir, was habe ich gemacht, Sir. Ich habe sie gerade, bestimmt falsch verstanden, Sir", sprach ich ohne Sprecherlaubnis, so verwirrt war ich von dem gerade Gehörten und viel zu schockiert von Mayers Vorwürfen.

"Oberstleutnant Rudolf rief mich vor einer Stunde an, dass du gegen 3 Uhr 10 den Zugriff auf den Bunker befohlen hast. Welches Recht nimmst du dir eigentlich heraus, du verdammtes Stück Scheiße, dass du dich über die Befehle, eines über dir stehenden Offiziers hinweg setzt."

Ich konnte es nicht fassen. Dieser Mistkerl von Einsatzleiter, wollte mir jetzt die Schuld für den schief gegangen Einsatz in die Schuhe schieben. Ich war sprachlos, brauchte ein paar Sekunden um mich zu fassen. Das sah der Oberstleutnant aber als Schuldgeständnis an.

"Sir…" Weiter kam ich nicht, denn Mayer sprang aus dem Anzug.

"Runter auf den Hof, ein bisschen dalli du kleine Kröte."

Ich drehte mich um und lief in Richtung Tür. Was sollte ich anderes machen. Der Oberstleutnant würde mir jetzt sowieso nicht mehr zuhören. Aber ich hatte eine mörderische Wut auf diesen Einsatzleiter. Ich musste mit dem Oberst darüber sprechen, so ging das nicht. Der Oberst wusste, dass ich diesen Einsatzbefehl nicht gegeben hatte. Kaum, dass wir auf den Hof waren, bekam ich die üblichen Befehle.

"Ausziehen, aber hopp, Brille her, du stinkendes Stück Ass."

Kaum, dass ich nackt vor ihm stand, hängte mich der Oberstleutnant an das Gestell, fing an mich auszupeitschen.

"Wer 98, hat dir erlaubt diesen Einsatzbefehl zu geben? Sprich." wollte er immer wieder wissen.

"Sir, ich habe diesen Einsatzbefehl nicht gegeben, Sir", antwortete ich ihm, es war die Wahrheit.

"Lüge hier nicht rum", immer wütender schlug er zu.

"Sir, rufen sie den Oberst an, Sir", antwortete ich ohne Sprecherlaubnis, dadurch wurden die Schläge noch schlimmer.

"Lügnerin, Oberstleutnant Rudolf kann mir Zeugen bringen, die das bestätigen können."

Immer wütender wurden seine Schläge. Tief ging ich ins Jawefan, um nicht zu schreien. Nur auf dieses Weise hielt ich die Schmerzen aus, ohne bei jedem Schlag zu wimmern. Niemals würde ich zulassen, dass der Oberstleutnant die Genugtuung bekam, dass ich Schmerzen litt, niemals würde ich schreien. Über vier Stunden peitschte er mich aus, so schlimm war es lange nicht mehr. Plötzlich hörten die Schläge auf. Ich kehrte aus dem Jawefan zurück. Hörte im Hintergrund Stimmen. Einer der Wachleute erklärte dem Oberstleutnant, dass Oberst Fleischer in Begleitung eines Oberstleutnant Rudolf, gerade gelandet wäre und mit ihm sprechen wollte. Seine Wohnung hätte man aufgeräumt und wieder hergerichtet. Er könnte also hoch in sein Büro, um dort den Oberst zu empfangen.

"Ich komme gleich. Bringt sie hoch in meine Büro", brüllte er den Wachmann völlig außer Atem an und drehte sich zu mir herum.

"Mit dir bin ich noch lange nicht fertig, du kleine Mistkröte."

Mayer drehte sich um und holte einen der Eimer die dort standen. Mit Schwung schüttete er diesen über meinen zerschlagen Körper. Nur mit Mühe konnte ich das Schreien unterdrücken. Holte allerdings tief Luft. 'Dieses verdammte Schwein', ging es mir durch den Kopf. 'Irgendwann würde ich ihn mal hier auf das Gestell hängen und auspeitschen, dann mit dieselbe Salzlösung nehmen wie du, damit du nur einmal fühlen würdest, was das für Schmerzen sind.' Der Oberstleutnant hatte schon wieder mehr Salz in das Wasser getan. Es brannte wie Feuer.

"Das tut wohl weh, du abscheuliche Monster. Das geht mir runter wie Öl", brüllte er mich an.

"Sir, nein, Sir", sagte ich ohne Sprecherlaubnis.

Langsam war es mir egal, ob ich die Sprecherlaubnis im Hof abwarten musste. So wusste ich wenigstens, warum ich eine Strafe bekam. Nach dem fünften Eimer mit dem Salzwasser hörte Mayer plötzlich auf, mit dem Auswaschen der Wunden. Drehte sich um, ging einfach weg.

Mühsam drehte ich den Kopf und sah nach oben zu Mayers Büro. Dort sah ich Schatten in dem Fenster, das war bestimmt mein Oberst. Kurz blickte ich nach oben. Drehte mich jedoch schnell wieder zurück und versuchte krampfhaft, diese verfluchten Schmerzen unter Kontrolle zu bekommen. Hoffte im Stillen nur, dass der Oberst so gut er es meinte, nicht alles noch schlimmer für mich machte und sich aus meinen Angelegenheiten heraushielt.

  

Fassungslos sah Oberst Fleischer nach unten auf den Hof und konnte nicht glauben, was er gerade beobachten musste. Das erste Mal erlebt er selbst, wie Mayer sein kleines Mädchen bestrafte. Der Leiter der Soko Tiranus konnte es einfach nicht fassen, was sein Kollege da angerichtet hatte.

"Sehen sie aus dem Fenster, Genosse Rudolf", fuhr er seinen Kollegen an. "Sehen sie sich an, was sie angerichtet haben, mit ihren verdammten Lügen."

Das war ja schlimmer als im Mittelalter. Er dachte immer Doktor Jacob würde übertreiben. Das blanke Entsetzen, stand auf Fleischers Gesicht geschrieben. So etwas hatte er noch nie erlebt und hätte sich das auch nicht vorstellen können.

Rudolf trat an das Fenster und blieb wie angewurzelt stehen. Jegliche Farbe verließ sein Gesicht und er begann am ganzen Körper zu zittern. Dass hatte er nicht gewollt, dass nicht. Lyn die kurz zum Bürofenster hoch gesehen hatte, richtete ihren Blick wieder nach unten und blieb reglos im Gestell hängen. Was hatte er da nur angestellt, war er verrückt geworden. Das arme Kind, kam seine späte Reue.

  

Mayer eilte in der Zwischenzeit nach oben in sein Büro. Der Oberstleutnant bekam gerade einen gewaltigen Schreck, als er feststellen musste, dass Fleischer und Rudolf ihm vom Fenster aus beobachtet hatten. Ihm wurde klar, dass er jetzt zwei Zeugen hatte, die ihm richtig Ärger machen konnten. Auch, wenn er die Kinder hart ran nehmen sollte, war es ihm untersagt die ihm unterstellten Kinder zu foltern. Das hatte ihn Hunsinger bei seinem letzten Gespräch ziemlich deutlich gesagt. Ihm wurde klar, dass das für ihn Konsequenzen haben würde und dass er es mit den Misshandlungen von 98, zu sehr übertrieb.

Mayer konnte nichts dagegen tun. Sein Hass auf dieses Mädchen wurde von Tag zu Tag größer. Er nahm mit jedem Mal das er sie sah, an Wucht zu. Warum musste dieses Mädchen, seiner Ilka nur so ähnlich sehen. Oder so ging es ihm oft durch den Kopf, projizierte er diese Ähnlichkeit nur hinein? Er hatte das kleine Mädchen, immer mehr gemocht, als seine Tochter. Das wurde ihm mit jedem Tag klarer und dafür hasste er sich. Weil Lyn all das verkörperte, was seine Ilka nicht konnte. Obwohl sie auch klein und zierlich war, war sie ein Kraftpaket. Die Sachen zustande brachte, die er nicht einmal in seinen kühnsten Träumen für möglich gehalten hätte. Die trotz ihres Könnens, immer natürlich, ehrlich und kameradschaftlich zu ihren Leuten blieb. Die sich stets schützend vor ihre Freunde stellte und sogar ihren Feinden half. So etwas hatte er zuvor nie erlebt. Wie oft hatte er Hochachtung vor deren Mut? Dann kann wieder seine verdammte Wut auf das Mädchen durch, die er so oft kaum bändigen konnte. Eine Wut die ungerecht war, das wusste er selber. Nummer 98, hat es doch nur gut gemeint, seine Ilka gesund zu machen. Sie konnte nichts für das ganze Drama, das im Anschluss passiert war.

Wie oft hatte er sich dafür gehasst, dass er aus dem Raum gegangen war. Er hätte Zimmermann auch seine Karte geben können, er hatte dem Hausmeister immer vertraut. Aber nein, er musste ja unbedingt selber mitgehen. Dann musste er auch noch die Tür so knallen, nur weil er über die Störung wütend war, so dass sich sein Engel nach dem Geräusch umdrehte. Er war sich nur zu gut bewusst, dass er alleine Ilkas Tod zu verantworten hatte. Noch mehr hasste er sich dafür, dass er nicht zuließ, dass 98 seine Tochter retten konnte. Jedes Mal, wenn er die Augen schloss, sah er, wie 98 auf seine Kleine zulief und sein Mädchen retten wollte. Immer wieder sah er vor seinem inneren Auge, wie er 98 im hohen Bogen gegen ein Bett schmiss und somit verhinderte, dass seine Ilka weiterleben konnte.

Jede Nacht fragte ihn Ilka. "Vati warum hast du mich getötet?"

Er wusste, dass ihn die gesamte Schuld traf. Aber er kam aus diesem Hamsterrad der Vorwürfe nicht mehr heraus. Nur wenn er trank, konnte er erholsam schlafen. Weil er dann all den Hass und den Schmerz betäubte. Nur dann hat er Ruhe, vor Ilka und den Bildern die ihn ständig verfolgten.

  

All diese Gedanken gingen Mayer durch den Kopf, als er nach oben in seine Wohnung stürmte, um Schadensbegrenzung zu betreiben. Kaum hatte der Oberstleutnant sein Büro betreten, kamen Fleischer und Rudolf auf ihn zugeeilt.

"Lassen sie das Mädchen sofort dort runter", verlangten die Beide gleichzeitig sprechend, von ihm.

Mayer schüttelte den Kopf und ging einfach zur Tagesordnung über. Wie er das schon seit so vielen Jahren machte. Er ignorierte einfach das, was er nicht hören und sehen wollte.

"Guten Tag Genosse Fleischer, Genosse Rudolf. Nehmen sie bitte Platz. Nummer 98, bleibt wo sie ist. Sie hat mich tätlich angegriffen. So etwas lasse ich von diesen Kreaturen nicht durch gehen. Was glauben sie wo das hinführen würde, wenn ich die Disziplin hier im Projekt schleifen lasse. Möchten sie Kaffee?", fragte er seine beiden Besucher.

Die beiden Männer schüttelten entrüstet den Kopf und konnten nicht glauben, was sie hier gerade erlebten. Wie konnte dieser Mensch, einfach so zur Tagesordnung übergehen. Er war im Gesicht, den Händen und an seiner Kleidung voller Blut, das vom Auspeitschen des Mädchens stammte. Jeder normale Mensch, hätte sich erst einmal gewaschen und umgezogen, um so zu verhindern, dass jemand anderes, etwas von seinen Untaten mitbekam. Mayer war so von sich überzeugt, ging es den Offizieren durch den Kopf, dass er wahrscheinlich das Blut, das er an seinen Händen hatte, gar nicht mehr wahr nahm.

"Gut, dann halt nur einen", stellte Mayer trotzig fest. Er drückte den Knopf er Gegensprechanlage. "Genosse Bär, bestellen sie in der Küche bitte Kaffee und etwas Kuchen, bringen sie dies sofort in mein Büro. Für drei Personen", bat er in einem sehr freundlichen Ton, seinen Assistenten etwas für die Gäste zu servieren. Schon wandte er sich wieder an seine Gäste.

"Genosse Fleischer, Genosse Rudolf, was kann ich für sie tun?"

Beide holten tief Luft. Wussten, wenn sie ehrlich sein sollten, nicht wie sich diesem Offizier gegenüber verhalten sollten. Rudolf fasste sich als erstes.

"Genosse Mayer, bitte holen sie das Mädchen von diesem Gestell, das ist doch menschenverachtend, was sie da tun. Nummer 98, trägt keine Schuld an dem Misslingen des Einsatzes. Ich habe sie vorhin, in meiner Wut auf das Mädchen, angelogen. Ich gab den Befehl für den Zugriff. Nummer 98, war da schon mit Oberst Fleischer im Helikopter und auf dem Weg zum Stützpunkt. Da ich das Mädchen, aus dem Einsatz abgezogen hatte. Bitte, das Mädchen kann doch nichts dafür, dass ich sie angelogen haben. Es ist alleine meine Schuld. Das habe ich nicht gewollt, wirklich nicht."

Mayer schüttelte den Kopf. "Genosse Rudolf, was regen sie sich so auf. Das 98 ausgepeitscht wurde, hat nichts mit dem Einsatz zu tun. Sie hat mich hier im Büro angegriffen. Meine Leute haben gerade, meine wieder Wohnung in Ordnung gebracht, da diese Kreatur hier alles zerstört hatte", log Mayer ohne rot zu werden, einfach weiter, um seine Haut zu retten.

Fleischer schüttelte den Kopf. Er konnte nicht glauben, wie dreist Mayer doch war. Er wusste, vom Hausmeister, dass Mayer gestern Abend gegen 21 Uhr, den Hausmeister davon unterrichtet hatte, dass er seine Wohnung etwas durch einander gebracht hatte. Ob dieser gleich früh dafür sorgen könnte, dass alles wieder gerichtet wurde. Zimmermann hatte Fleischer berichtet, dass sie mit zehn Leuten fast drei Stunden gebraucht hatten, um wieder alles zu reparieren, beziehungsweise zu ersetzen. Dass Mayer in seinem Suff die Einrichtung zerstört hatte und dass das nicht das erste Mal war, dass Mayer seine ganze Wohnung auseinander genommen hatte. Da war Lyn allerdings noch in Grünheide, beim Oberst in der Soko.

Beide, Rudolf und Fleischer, machten jetzt gute Miene, zum bösen Spiel. Nur um Lyn nicht noch mehr zu schaden. Tranken sogar eine Tasse Kaffee und aßen Kuchen. Nur um Mayer etwas versöhnlicher zu stimmen.

"Genosse Mayer, ich möchte gern mit 98 noch einmal reden, über das, was beim Einsatz schief gelaufen ist", bat Rudolf, um eine Aussprache mit Lyn. "So schwer es mir fällt es zuzugeben, Nummer 98, hat mit ihren Vorwürfen recht, meine Leute waren wirklich nicht mehr Einsatzfähig. Ich wollte Nummer 98 bitten, den Fall noch einmal aufzunehmen."

Das jedoch waren die falschen Worte, die Rudolf gebrauchte. Mayer fühlte sich dadurch übergangen. In seinem angeknacksten Selbstbewusstsein reagierte er heftiger, als er eigentlich wollte. Zeigte so aber den beiden Offizieren, sein wahres Gesicht.

"Genosse Rudolf, keiner bittet diese Kreaturen um Unterstützung. Anträge auf Unterstützung durch diese Monster, laufen generell über mich. Ob ich, nach diesem Vorfall, Nummer 98 noch einmal zu ihnen schicken kann, weiß ich noch nicht. Ich muss ja ihre und die Sicherheit der Öffentlichkeit gewährleisten. Das kann ich nicht, da ich mir nicht sicher bin, wen diese Kreatur als nächstes angreift."

Kopfschüttelnd saßen die Offiziere am Tisch dieses Unmenschen und hatten Mühe ruhig zu bleiben. Fleischer und Rudolf sahen sich kurz an und holten tief Luft. Sie hatten mit allem gerechnet, aber nicht mit diesem dreisten Verhalten von Mayer, vor allem nicht mit seiner offensichtlichen und provokanten Lügerei.

"Genosse Mayer, es ist unsere Sicherheit und obliegt unserer Verantwortung für die Sicherheit der Öffentlichkeit zu sorgen, solange sich Nummer 98 in unserer Obhut befindet. Darüber brauchen sie sich keine Sorgen zu machen. Ich werde die volle Verantwortung, für alles übernehmen, was dieses Mädchen bei mir anstellt", versuchte jetzt Oberst Fleischer auf diplomatischem Wege, noch einmal das Blatt zu wenden.

Mayer schwankte, er wusste, dass Fleischer sehr gute Verbindungen nach oben in die Führungsebene hatte und sich vor allem sehr gut mit Hunsinger verstand und ihm also richtig gehend Ärger machen konnte. Also gab er nach.

"Gut, sie bekommen eine Stunde, um sich mit 98 zu unterhalten. Aber nicht hier in meinem Büro. Ich habe, wenn ich ehrlich bin, nicht schon wieder Lust hier wieder alles herrichten zu lassen", wieder drückte Mayer auf den Knopf der Gegensprechanlage.

"Genosse Bär, lassen sie 98 vom Gestell holen. Schicken sie zwei Leute zu mir ins Büro und lassen sie 98, auf die 6/rot bringen", wies er Reimund an.

"Sir, jawohl, Sir", erklang dieses Mal die sofortige Antwort von Reimund.

"Zwei meiner Sicherheitsleute, bringen sie nach unten auf die 6/rot. Dort können sie sich mit 98 unterhalten. Tut mir leid, alleine können sie dort nicht hin. Das ist ein Sicherheitsbereich. Sie haben eine Stunde, dann reisen sie hier ab. Ich kläre mit meinen Vorgesetzen ab, ob ich 98 weiterhin einsetzen kann oder ob man sie aussortiert", beendete Mayer die Unterhaltung, für seine Gäste abrupt.

Er musste dringend etwas trinken. Das konnte er aber nicht, wenn er hier Besuch hatte. Das Zittern in seinem Körper wurde immer schlimmer. Also schmiss er den Besuch, kurzerhand aus dem Büro. Mayer stand auf und ging zur Tür.

"Es war mir eine Freude, ihnen helfen zu können", verabschiedete er sich freundlich und hielt ihnen seine noch immer blutigen Hände hin.

Beide Offiziere lehnte diese dargebotene Hand ab. Sie ekelten sich vor diesem Menschen in einem unvorstellbaren Maß. Nicht nur, weil er Blut an seinen Händen hatte, das von der Folter Lyns stammte. Sondern vor allem, weil er ein von Grund auf  schlechten Charakter hatte. Dieser Oberstleutnant, gehörte zu der Art Menschen, die Fleischer wie auch Rudolf täglich festsetzten, um die Öffentlichkeit vor ihnen zu schützen. Fleischer und Rudolf erhoben sich deshalb wortlos und ließen Mayer unbeachtet in seinem Büro stehen. Folgten schweigend und in sich gekehrt den beiden Sicherheitsleuten, nach draußen in den Park, um von der Gangway aus auf die 6/blau und dann nach oben auf die Krankenstation, der Kinder gebracht zu werden. Dort wurden sie bereits von Doktor Jacob erwartet und in Empfang genommen.

"Nehmen sie Platz, meine Herren", begrüßte der Chefarzt die Beiden freundlich. "Ich bin gleich für sie da."

Jacob griff nach dem Telefon. "Charly, hier ist Fritz. Sag mal kannst du uns Kaffee und Kuchen auf die 6/rot hochschicken? Ich habe gerade Besuch bekommen, von zwei Freunden. Aber bitte etwas ganz besonders Gutes. Ich muss meinen Besuch etwas verwöhnen. Die kommen gerade von Mayer und sehen ziemlich mitgenommen aus. Ich brauche etwas, um die Stimmung anzuheben", erklärte er dem Koch lachend.

"Geht klar, ich schicke euch das Beste, was ich habe. Dann brauchen wir ja etwas ganz besonders Feines", bekam Jacob zur Antwort.

"Danke Charly, du rettest mir hier zwei Seelen", auch Jacob legte auf.

Jacob brauchte nur in die Gesichter von Fleischer und Rudolf zu blickten und konnte sich genau vorstellen, was in dessen Büro geschehen war. Jeder wusste, wie unangenehm Besuche bei Mayer waren, deshalb ging niemand mehr zu ihm, wenn er das nicht befohlen bekam.

Was Jacob allerdings nicht wusste, dass beide Zeuge der Folter Lyns geworden waren. Im gleichen Moment ging der Aufzug auf und Lyn kam nackt und blutüberströmt, aus dem Aufzug gehumpelt.

  

Über eine Stunde hing ich nun schon an dem Gestell. Wenn nur diese verdammte Sonne nicht wäre. Bei Nacht konnte man das alles ertragen, aber am Tag, war es kaum zum Aushalten. Zu den Schmerzen vom Auspeitschen, kamen noch die Schmerzen in den Augen dazu. Ich könnte schreien vor Schmerzen. Immer noch kämpfte ich gegen die Krämpfe des Fiebers an, die zu den Schmerzen dazu kamen. Wie lange würde ich wohl wieder hier hängen müssen? Ging es mir durch den Sinn. In diesem Moment öffnete sich das Tor zum Hof. Chris und Heiko kamen, um mich vom Gestell zu holen. Als erstes jedoch, setzten sie mir die Brille auf.

"Danke", flüstere ich leise.

"Ich geb dir gleich etwas zu trinken. Lyn, lass uns nur schnell hier verschwinden. Wir gehen dann gleich zum Aufzug. Da sieht uns Mayer nicht. Dann brauchst du nicht laufen. Dieses verdammte Schwein", vorsichtig blickten die beiden Wachleute nach oben zu Mayers Fenster.

Wutentbrannt sah mich Chris Martin an. Heiko Corsten hielt mich fest, damit ich nicht noch in den Dreck fiel. Schnell hatten mich die Beiden abgebunden und vom Gestell geholt. Führten mich stützend, in den toten Winkel des Hofes. Einen Moment stützte ich mich mit beiden Händen an die Wand, um die Schmerzen einigermaßen unter Kontrolle zu bekommen. Hier war eine Stelle, die Mayer von seinem Bürofenster aus nicht einsehen konnte. In dieser Ecke des Hofes schütteten die beiden Männer erst einmal klares Wasser über meinen Körper, so dass das Salz etwas heraus gespült wurde.

"Lyn, auf der 6/rot wartet der Doko, du sollst dort erst einmal duschen, egal wie lange. Trinke meine Kleine", bat mich Chris und hielt mir eine Flasche Wasser hin.

Ich trank gierig das Wasser, ich hatte wahnsinnigen Durst.

"Irgendwann, bringe ich dieses Schwein mal um", meinte Heiko zu mir.

"Mach das nicht Heiko. Dann bist du auch nicht besser als er. Danke, ihr seid Beide lieb", gab ich leise zur Antwort.

Ich folgte den beiden Wachleuten humpelnd in Richtung des Aufzuges. Wir fuhren nach unten auf die 2/blau, um dort auf den Multicar zu steigen. Als ich laufen wollte, schimpften die Männer mit mir.

"Setz dich hin, Lyn. Du musst nicht laufen", mitleidig sahen mich die Beiden an.

Ich lehnte dankend ab. "Chris, ich kann mich nicht setzen, lass gut sein, ich laufe das Stück."

Erschrocken atmeten die beiden aus. Da ich recht hatte, wie sollte ich mich in meinem jetzigen Zustand setzen. Ich war überall offen und musste die Wunden erst einmal versorgen lassen. Also fuhren beide langsam los. So dass ich nicht rennen musste.

"Tut mir leid Lyn, soweit haben wir jetzt nicht gedacht."

Ich winkte ab, das war mir schon klar. Sie wollten mir nur helfen. Ich fand es trotzdem total lieb, dass sie mir das Laufen ersparen wollten. Auf der 6/blau angekommen, schickten sie mich alleine hoch in die 6/rot.

"Lyn, wir müssen nach vorne, da ist der Teufel los."

"Danke, fürs runterholen ihr zwei", sagte ich und stieg in den Aufzug, um hoch auf die 6/rot zu fahren.

Als die Aufzugtür sich öffnete bekam ich einen Schreck. Ich sah als erstes Oberstleutnant Rudolf, der auf mich zugestürmt kam.

Doko ging zum Glück dazwischen. "Genosse Rudolf, lassen sie Nummer 98 erst einmal duschen", befahl er dem Oberstleutnant mich in Ruhe zu lassen.

Sofort schob mich der Doko in Richtung der Dusche, damit ich das Salz aus den Wunden bekam.

"Lyn, du bleibst solange unter der Dusche, bis deine Wunden sauber sind. Hast du das verstanden? Auch wenn das vier Stunden dauert. Ich übernehme die Verantwortung. Genieße die Entspannung."

"Sir, jawohl, Sir", kam die sofortige Antwort von mir.

Doko grinste mich an und ich sah ihn dankbar an. Fast fünfundvierzig Minuten brauchte ich diesmal, damit das Brennen aufhörte. Ein Zeichen dafür, dass ich das Salz aus den Wunden heraus hatte. Fertig mit duschen, lief ich so nass wie ich war, nach vorn zu meinem Doko. Der schon mit Kleber, Brenner und Wundsalbe da stand, um mich zu versorgen. Rudolf stand mit Tränen in den Augen da und sah zu, wie Doko all die vielen Wunden verklebte und versiegelte. Kopfschüttelnd stand er da, konnte nicht fassen, was er da angerichtet hatte. Über anderthalb Stunde brauchte Doko, um alle Wunden zu verkleben und mich erst einmal zu versorgen. Dann trug er dick die Brandsalbe auf und verband so gut es ging die Verletzungen. Im Anschluss schob er mich zu dem Tisch, an dem Rudolf und mein Oberst saß. Rudolf stand auf und kam auf mich zu.

"Nummer 98, es tut mir leid. Das habe ich nicht gewollt, wirklich nicht."

Rudolf wollte mich in den Arm nehmen, ich wich allerdings vor ihm zurück und zur Seite aus. Doko der das wohl geahnt hatte, fing den strauchelnden Oberstleutnant auf.

"Genosse Rudolf, sie verlange von 98 etwas, was sie nicht kann. Geben sie dem Mädchen Zeit", flüsterte er Rudolf ins Ohr, dieser nickte. 

"Danke Herr Doktor", sprach er und ging zu seinem Platz zurück.

Der Oberst sah mich an. "Komm mal zu mir, mein kleines Mädchen."

Ich lief auf ihn zu und er klopfte, so wie er es oft machte auf seine Beine, also setzte ich mich auf seinen Schoss. "Lyn, höre bitte erst zu, bevor du dir ein falsches Bild machst. Oberstleutnant Rudolf, wollte unbedingt mit dir sprechen."

Ich zuckte mit den Schultern. Ich traute diesem Menschen nicht. Der seine Kameraden so schlecht behandelt und log, um besser da zu stehen.

"Darf ich auch Lyn zu dir sagen?", erkundigt sich Rudolf vorsichtig.

Mein Oberst fing schallend an zu lachen. Ich glaube, er kannte die Antwort auf diese Frage. Aber das war mir egal.

"Sir, nur meine Freunde nennen mich Lyn, Sir. Sie sind nicht mein Freund, mit ihnen möchte ich nicht befreundet sein, Sir. Sie lassen ihre Leute hungern, dursten und im Dreck schlafen, Sir. Machen sich selber, aber ein feines Leben mit Luxus, Sir. Sie sind es nicht wert sich mein Freund zu nennen, Sir. Dann lügen sie noch meinen Oberstleutnant an, Sir. Haben sie wenigstens gesehen, was ihre Lügen angestellt haben, Sir. Nur wegen ihnen wurde ich ausgepeitscht, wie lange nicht mehr, Sir", sagte ich Rudolf offen ins Gesicht, was ich von ihm hielt.

Mir war es egal ob der Oberstleutnant mich dafür wieder auspeitschen ließ. Dieser Mann war nicht mein Freund.

Erschüttert sah mich Rudolf an. "98, da hast du wohl recht. Damit muss ich jetzt leben. Bin ja selber daran schuld. Ich habe einen großen Fehler gemacht. Das hat mir dein Oberst heute begreiflich gemacht. Ich hätte wohl auf dich hören sollen."

"Sir, ich habe ihnen im und vor dem Robur schon zweimal erklärt, Sir. Ich habe nie mit ihnen gekämpft, werde auch nie mit ihnen kämpfen, weil ich ihnen nicht traue, Sir. Bitte duzen sie mich nicht, Sir", brachte ich meine ganze Wut auf diesen Menschen zum Ausdruck. Etwas, dass ich selten mache.

"Na Lyn, nicht ganz so bösen sein", versuchte mein Oberst leise einzulenken. Dies brachte ihm einen bösen Blick von meiner Seite ein. Denn er wusste genau, wie sehr ich es hasste, wenn Menschen logen.

"Sir, das ich ausgepeitscht wurde, war seine alleinige Schuld, Sir. Weil er ein Lügner ist, Sir...", erklärte ich dem Oberst und wandte mich Rudolf zu. "... und weil sie nicht für die Fehler gerade stehen wollten, Sir. Fehler, die sie begangen haben, Sir. Schieben sie anderen in die Schuhe, Sir. Das ist nicht in Ordnung, Sir", böse und wütend funkelte ich ihn an.

Der Oberst wollte mir zärtlich über die Arme streicheln, doch mir tat alles weh. Ich zuckte zurück, eine Reaktion die ich nur zeigte, wenn ich schlimme Schmerzen hatte.

"So schlimm Lyn?"

 Ich nickte. Ich hatte schon wieder Krämpfe, weil das Fieber wieder stieg. Vor allem kamen diese schlimmen Kopfschmerzen schon wieder.

"98, darf ich mich wenigstens bei ihnen entschuldigen. Sie haben einen völlig falschen Eindruck von mir bekommen. Normalerweise schlafe ich nie in den Robur. Nur ging es mir in den vergangen Wochen nicht besonders gut. Ich hatte bei meinem letzten Einsatz, eine schwere Kopfverletzung, seit dem habe ich ständig wahnsinnige Kopfschmerzen, teilweise so schlimm…"

Ich unterbrach ihn, weil ich wusste, was er sagen will. "Das sie nicht mehr gerade auslaufen konnten, sich nur noch mit Mühe zum Laufen zwingen konnten. Sie nicht mehr richtig klar denken konnten, Sir. Sie waren das, was man nicht mehr einsatzfähig nannte, Sir."

Rudolf nickte. "Woher weißt du das, 98?"

Ich ließ, dass du einfach gelten. Es war mir eigentlich auch egal, ob du oder sie sagte. Ich bestand nur auf das Sie, wenn ich Menschen auf Distanz halten wollte. Er hatte eingesehen, dass er schwere Fehler begangen hatte. Das einzugestehen war oft nicht leicht, vor allem für Männer in seiner Position.

"Sir, eine ihrer Kopfarterien war verletzt, nicht so schlimm, dass sie kaputt war. Allerdings hatte sich darin ein Pfropfen gebildet, der diese Symptome verursacht hat, Sir. Ich habe ihnen das weg gemacht, als ich ihre Verletzungen ausgeheilt habe, Sir."

Verwundert sah Rudolf mich an. "Deshalb habe ich diesen schlimmen Druckschmerz nicht mehr im Kopf und kann wieder normal denken. Danke 98. Wirklich es tut mir leid, was dort geschehen ist. Glaube mir, ich bin normalerweise nicht so zu meinen Leuten. Ich liege normalerweise auch immer im Dreck. Aber, als du mir das alles an den Kopf geschmissen hast, fand ich das sehr ungerecht. Danach hatte ich nur noch eine wahnsinnige Wut auf dich. Ich konnte nicht mehr normal denken. Ich kann dir nicht einmal mehr sagen, warum ich den Zugriff befohlen habe. 98, drei meiner Leute liegen schwer verletzt im Krankenhaus und es ist ganz alleine meine Schuld. Kalle hat mir nach dem Zugriff richtig die Meinung gesagt. Er meinte zu mir, dass er das schon viel eher hätte machen sollen. Dass er nicht begreift kann, dass erst ein kleines Mädchen kommen musste, um ihm die Augen zu öffnen. Vor allem, dass du in allem, was du gesagt hast recht hattest. Ich bin ein totales Rindvieh gewesen, keine Ahnung, was in mich gefahren ist. Deshalb wollte ich mit dir ja reden."

"Sir, sie sind keine Rindvieh gewesen, sondern ein riesen Arschloch, Sir", erklärte ich ihm ohne drum herumreden, was ich von ihm hielt. "Aber es ist gut, dass sie es einsehen, das, was sie ihren Leuten, vor allem den Kindern angetan haben, ist unverzeihlich, Sir."

Rudolf nickte betrübt. "Ich weiß 98. Was denkst du wie hoch die Chance ist, die Kinder noch zu finden. Dieser Jan ist mir, dank Kalle durch die Lappen gegangen. Aber mir ist ganz schlecht bei den Gedanken, an die Kinder. Hoffentlich leben die noch."

"Sir, die Chance dass die Kinder jetzt noch leben ist verschwindend gering. Ich denke die liegt bei einen bis zwei Prozent, Sir. Je länger wir warten, umso geringer wird diese minimale Chance, die wir noch haben, Sir. Geben sie mir den Einsatz zurück und ich werde versuchen zu retten, was noch zu retten ist, Sir. Vielleicht ist das Glück den Kindern ja hold, Sir."

Oberst Fleischer lächelte mich an. Dann schüttelte er traurig den Kopf. "Lyn, bei aller Liebe, wie willst du in diesem Zustand, nach den Kindern suchen. Dein gesamter Körper ist kaputt. Mein kleines Mädchen, du hast schon wieder Fieberflecken, wie willst du so arbeiten", mitleidig sah er mich an.

Er wusste genau, dass ich die einzige Chance war, die die Kinder noch hatten. Auch, wenn andere in meinem Team, auch gute Spurenleser konnten, war ich noch um einiges besser. Nicht weil ich begabter war, dass nicht. Sondern weil ich als einzige, außer Rashida, in meinem Team die Gabe hatte meinem Bauch zu folgen. Rashida hatte aber nicht so viel Erfahrung darin wie ich.

"Sir, machen sie sich nicht meine Sorgen, ich kann mir die Schmerzen wegspritzen, Sir. Sorgen sie einfach dafür, dass ich so schnell es geht, wieder auf Spurensuche gehen kann, Sir. Je eher, umso besser, für die Kinder, Sir. Hat ihnen Pille ausgerichtet, um was ich ihn gebeten habe, Sir?"

Der Oberst nickte. "Sobald du in der Soko bist, holen wir die Familie dazu. Die wissen schon Bescheid. Fritz, wie bekommen wir den Mayer noch einmal zu einen Gespräch?"

Doko grinste breit. "Willy, der wird gleich eine Durchsage machen. Ich denke, der wird euch vorhin nur rausgeschmissen haben, damit er etwas trinken konnte. In spätestens einer halben Stunde, hat Mayer sein Level, dann brüllt er sowieso wieder nach Lyn", lachend nickte er in meine Richtung.

"Doktor Jacob, ist dieser Mensch so vom Alkohol abhängig?", wollte der Leiter der Soko Alexanderplatz, von ihm wissen.

"Genosse Rudolf, es sind nur noch drei Tage, dann muss er zur Entziehung gehen. Hoffen wir, dass es dann endlich etwas besser wird und nicht noch schlimmer. Nach der letzten Entziehungskur, wurde es noch schlimmer für alle."

Kopfschüttelnd sah Rudolf unseren Doko an. "Wieso unternehmen sie nichts dagegen?"

Bevor Doko etwas sagen konnte, antwortete ich. "Sir, weil ich allen verboten habe, noch etwas gegen den Genossen Oberstleutnant zu unternehmen, Sir. Nicht nur einmal hat er diejenigen fast tot geschlagen, Genosse Oberstleutnant, ich bin nicht immer da, um alle zu retten, Sir", versuchte ich es zu erklären.

"Das gibt es doch nicht."

Der Oberst sah Rudolf traurig an. "Kurt, es ist aber so. Meistens muss Lyn es dann ausbaden. Wenn wir etwas unternommen hatten. Deshalb halten wir alle still und versuchen, ihr so etwas Ruhe zu verschaffen. Es war nicht das erste Mal, dass Lyn so ausgepeitscht wurde. Es gibt noch schlimmer Strafen, das einsperren in Fässern, bis kurz vor dem Ersticken oder in die Lichtbox. Lasse es lieber, sonst wird es für die Kinder noch schlimmer."

Fassungslos sah mich Rudolf an. "Stimmt das Lyn?"

Ich nickte, was sollte ich auch sonst machen. Als ich noch etwas sagen wollte, kam eine Durchsage.

"98, zum Rapport."

Stöhnend erhob ich mich. "Doko, kannst du mich bringen, ich wollte dich sowieso noch, um Hilfe bitten."

Doko nickte, stand auf, Oberst Fleischer und Oberstleutnant Rudolf ebenfalls.

Verwundert sah ich die drei an. "Lyn, glaubst du wirklich, wir lassen dich jetzt alleine dort hingehen?", fragte mich der Oberst

"Sir, es wäre besser ich gehe alleine. Sonst wird es noch schlimmer, die Lichtbox schaffe ich im Moment nicht, Sir."

Alle drei waren anderer Meinung. Na ja, da musste ich jetzt wohl durch. Gemeinsam gingen wir nach drüben ins Haus 2 und schellten bei Mayer. Kaum hatten wir geklingelt ging schon die Haustür auf.

"Na komm, bringen wir es hinter uns", meinte der Oberst leise zu mir.

Ich nickte lief eilig die Treppe hoch.

"Wird’s bald du Mistkrücke", brüllte mir der Oberstleutnant schon entgegen. Nichts ahnend, dass ich nicht alleine kam. Erschrocken sah er hinter mich.

Oberst Fleischer sagte in einem sehr ungehaltenen Ton. "Genosse Mayer, ist dies ihr normaler Umgangston, dem Leutnant gegenüber. Ich werde wohl einmal mit einem ihrem Vorgesetzen reden müssen, so geht das nun wirklich nicht."

'Bitte nicht' ging es mir durch den Kopf, 'Oberst halte deinen Mund. Ich darf dann wieder ausbaden, was du verbockst.' Wütend sah mich Mayer an.

Jetzt griff der Chefarzt ein. "Genosse Mayer, 98 kann nichts dafür, dass wir mitgekommen sind. Sie wollte das nicht. Allerdings denke ich, sollten wir diese Sache vernünftig klären. Durch ihre Schläge Genosse Oberstleutnant, ist 98 nicht mehr Einsatzfähig."

Als der Oberst etwas dazu sagen wollte, schüttelte Doko den Kopf und sprach einfach weiter.

"Genosse Oberstleutnant, wie soll 98 in diesem Zustand noch arbeiten. Sie ist hochfiebrig und hat am gesamten Körper offene Wunden. Als der hier eingesetzte Chefarzt, muss ich sie leider darauf hinweisen, dass sie durch solche Aktionen, die Gesundheit der ihnen anvertrauten Soldaten, auf das gröbste gefährden. Das wird dem Genossen Hunsinger, vor allem aber dem Institut nicht gefallen", beendete Doko seine diplomatische Zurechtweisung von Mayer.

Nur auf diese Weise konnte er Mayer, zu einer vernünftigen Zusammenarbeit zwingen. Drohungen, bewirkte nur das Gegenteil beim Oberstleutnant. Bitter schluckte der Projektleiter an dem, was Doko ihm sagte, weil er wusste, dass Jacob recht behielt. Also bat er die Herren Offiziere in seine Wohnung. Als ich an ihm vorbei ging, war ich auf einen Schlag gefast, bekam jedoch keinen ab. Vielleicht hatte ich heute einmal ein bisschen Glück. Dass ich nicht wieder für das bestraft wurde, was andere an Wut, beim Oberstleutnant auslösten. Mayer schloss die Tür und lief an mir vorbei, in sein Büro. Setzte sich hinter seinen Schreibtisch, drückte die Taste von der Gegensprechanlage.

"Genosse Bär, bringen sie uns eine Kanne Kaffee und vier Tassen."

In diesem Moment betrat ich dessen Büro und zog die Tür hinter mir zu. Stellte mich etwas hinter die Stühle und ordnungsgemäß hin, um den Oberstleutnant nicht noch mehr zu verärgern, da dieser schon wieder kochte. Seine Halsschlagadern waren geschwollen und pulsierten sichtbar, das war kein gutes Zeichen. Auch sah er niemanden direkt an. Würde er das tun, wäre der Hass in seinen Augen deutlich zu erkennen.

Wie oft schon hatte ich mich darüber gewundert, dass der Oberstleutnant immer von uns verlangte, dass wir keinerlei Emotionen zeigen durften. Er selber allerdings, war zu lesen, wie ein offenes Buch. Aber für uns hatte es den Vorteil, wir wussten immer genau, auf was wir uns einließen. Konnten uns also sofort ausrechnen, wie schlimm die Bestrafungen sein würden.

"Wieso 98, besitzt du die Frechheit und kommst du hier mit Verstärkung zum Rapport. Kannst du mir das erklären? Sprich." wandte er sich an mich, als sich alle gesetzt hatten.

"Sir, entschuldigen sie bitte, Sir. Was hätte ich ihrer Meinung nach tun sollen, Sir. Ich kann doch ranghöheren Offizieren nicht verbieten, mit mir zu gehen, Sir. Ich war noch auf der Krankenstadion, zum verbinden, Sir", versuchte ich ihm zu erklären, wieso ich nicht alleine gekommen war.

"Hast dich wieder zimperlich, wegen den paar Kratzern. Was soll das? Sprich."

"Sir, entschuldigen sie bitte Sir. Ich habe mich nicht zimperlich, Sir. Bloß zur Behandlung der Verletzungen am Rücken, benötige ich Hilfe, Sir, das kann ich nicht alleine, Sir. Sie wissen dass ich dazu neige, den Brand in Verletzungen zu bekommen, Sir. Ich kann die Verletzungen nicht unbehandelt lassen, Sir."

Mayer nickte, mit dieser Erklärung war er einverstanden. Ich hatte es also geschafft, ihn etwas zu beruhigen.

"Dann erklärst du mir bitte mal, wieso du den Genossen Rudolf zusammengeschlagen hast. Sprich", wollte er jetzt noch einmal von mir wissen.

"Genosse Oberstleutnant, ich weiß, dass es nicht richtig war. Aber zusammengeschlagen habe ich ihn nicht, ich war wirklich vorsichtig, Sir. Ich wollte den Genossen Fleischer, nur Zeit verschaffen vor Ort zu kommen, Sir. Viele von den anderen Offizieren wissen doch nicht, dass wir ohne Sprecherlaubnis nicht reden dürfen, Sir. Ich wusste mir nicht anders zu helfen, Sir. Ich konnte nichts sagen, weil er mir das Sprechen nicht erlaubt hatte, wollte aber Zeit gewinnen, Sir. Dann griff er mich an, da schien mir eine leichte Gegenwehr, die logische Schlussfolgerung zu sein, Sir. Wenn dies falsch war, bitte erklären sie mir, wie ich es hätte anders machen sollen, Sir. Damit ich das nächste Mal, den gleichen Fehler nicht wieder mache, Sir", wollte ich von ihm jetzt eine Lösung, die er mir nicht liefern konnte.

"Du hättest ihn gewähren lassen müssen, dich nicht in die Arbeit einer anderen Soko einmischen", böse sag er mich an.

Ich hob etwas den Blick und signalisierte so, dass ich etwas sagen wollte.

"Sprich."

"Sir, bei diesem Einsatz, ging es doch darum die Ortega Kinder lebend zu finden, Sir. So hatte ich den Auftrag des Genossen Fleischers jedenfalls verstanden, Sir. Die Kinder waren nicht in dem Bunker, Sir. Den hatte ich kurz zuvor gründlich untersucht, Sir. Dort war zwar dieser Jan, Arnold und Heiner, die mit dieser Entführung zu tun hatten, Sir. Aber ich fand keinen einzigen Hinweis auf die Kinder, Sir. Durch den Zugriff, ist allerdings eine Panik ausgelöst wurden, Sir. Sodass die Kinder jetzt in höchster Gefahr sind, Sir. Darf ich eine Bitte äußern, Sir?"

Ich beobachte Mayer genau. Durch die Anwesenheit der Anderen, konnte er nicht so, wie er gern wollte. Also Erlaubte er mir die Bitte.

"Sprich."

"Sir, ich würde gern noch einmal auf die Suche nach den Kindern gehen, Sir. Noch besteht die Chance beide Kinder lebend zu finden, Sir. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit mit jeder Minute die verstreicht, geringer wird, Sir. Kann das Glück immer noch auf der Seite der Kinder sein, Sir. Dieser Jan ist ein abscheulicher Mensch, der andere gern leiden sieht, Sir." 'Wie du. Kein bisschen besser bist du als dieser Jan', ging es mir in diesem Moment durch den Kopf. "Dadurch wird er versuchen, die Kinder so lange es geht zu quälen, um sich an den Schmerzen der Kinder zu erfreuen, Sir. Nach deren Tod kann er das nicht mehr, Sir. Er spielt mit seinen Geiseln, Sir", erklärte ich dem Oberstleutnant und hielt ihm unbewusst einen Spiegel vor das Gesicht. Aber das war mir in dem Moment überhaupt nicht klar.

Mayer rieb sich nervös das Genick und atmete heftig. Genau wie die anderen Männer im Raum, hatte der Oberleutnant, im Gegensatz zu mir, diesen Part sehr wohl verstanden. Zum Glück war ich mit ihm nicht alleine im Raum und er musste sich zusammen reißen. Tiefatmend, sah er mich mit unterdrückter Wut an.

"Du denkst also 98, dass die Kinder noch leben, dass ich dich noch einmal auf Spurensuche gehen lasse. Damit du genau wie vor einem knappen halben Jahr, einfach verschwinden kannst? Sprich."

Kopfschüttelnd gab ich ihm zur Antwort. "Sir, warum soll ich verschwinden, Sir. Meine Freunde brauchen mich doch, die liegen alle krank unten auf der 6/blau, Sir. Ich möchte nur die Kinder finden, Sir. Ein Einsatz ist erst dann zu Ende, Sir. Wenn die Geiseln, ob tot oder lebendig und deren Entführer gefunden und festgesetzt wurden, Sir. So hat man uns das beigebracht, Sir."

Jetzt nickte Mayer das erste Mal. "Ich denke darüber nach. Verschwinde aus meinem Sichtfeld."

Mayer drückte die Gegensprechanlage. "Genosse Bär, holen sie 98 und bring sie das Miststück in ihr Quartier."

Keine halbe Minute später öffnete sich die Tür. Ich salutierte, wie es sich gehörte und drehte mich zackig zu Reimund um und verließ den Raum in dessen Begleitung. Froh, dass ich aus dessen Büro konnte, ohne noch eine Strafe zu bekommen. Lief mit Reimund über den Park nach unten in unseren Raum. Es war jetzt 17 Uhr 30. Über sieben Stunden waren vergangen, seit dem ich unseren Raum verlassen hatte.

Erfreut stellte ich fest, dass es meinen Leuten wesentlich besser ging, sie hatten sich gut erholt. Das Blockieren der Erinnerungen, hatte also die gewünschte Wirkung gebracht. Erschöpft ging ich zu meinem Bett und rollte mich darauf zusammen. Ich wollte einfach nur etwas schlafen, um diese verdammten Kopfschmerzen in den Griff zu bekommen und um das Fieber zu senken. Beides machte mich langsam fertig. Meine Schmerzen potenzieren sich mit denen der Anderen. Im Moment war es kaum zum aushalten. Rashida kam hinter zu mir, sie saß bei Chim und Jaan.

"Soll ich dir beim schlafen helfen Täubchen?"

Ich nickte nur, war einfach zu müde um auch nur noch ein Wort zu sprechen. Rashida zog mich in ihre Arme. Ich hielt mich an ihr fest, wie an einem Rettungsseil. Nur sie schaffte es, dass ich völlig abschalten konnte. Bei niemand anderen konnte ich so erholsam schlafen. Keine drei Atemzüge später, war ich in der Welt, in der ich mich normalerweise, richtig erholen konnte.

  

Nach einer reichlichen Stunde kamen Doko, Oberst Fleischer und Oberstleutnant Rudolf, in den Raum der Kinder. Die oben mit Mayer noch eine sehr nachhaltige Diskussion, über die Vorfälle während des Einsatzes und danach gehabt hatten. Fleischer und auch Rudolf sagen Mayer sehr direkt, was sie von seinen Erziehungsmethoden hielten. Dass sie es unmenschlich fanden, was er mit Lyn auf dem Hof, vor dessen Bürofenster gemacht hatte. Egal, was ein Untergebener anstellte, nichts absolut nichts berechtig einen Vorgesetzten dazu, solche Methoden anzuwenden. Alleine das wegnehmen der Brille wäre für Lyn, eine Strafe gewesen, die schlimm genug sei. Das Auspeitschen, vor allem aber, das ausspülen der Wunden mit Salzwasser, wäre eindeutig Folter. Fleischer machte Mayer darauf aufmerksam, dass er, wenn er noch einmal feststellen sollte, dass Lyn auf diese Weise misshandelt würde, er rechtliche Schritte gegen Mayer einleitet. Er nicht nur dessen Vorgesetzen davon informiert, sondern die ständigen Misshandlungen an die Dienstaufsicht melden würde. Er könnte diese Behandlung nicht länger dulden.

Bitter schluckte Mayer an der Wahrheit. Das konnte er jetzt nicht mehr ändern. Er würde also andere Methoden finden müssen, um seine Wut an 98 auslassen. Im Anschluss an das Gespräch, bat Jacob die beiden Männer, sich den Lebensraum der Kinder einmal anzusehen, damit diese begriffen, weshalb Lyn so extrem auf die Zustände in der Soko Alexanderplatz reagierte. Fleischer und Rudolf stimmen zu, da sie auch noch einmal mit Lyn sprechen wollten.

Diese lag wie am Spieß schreiend, in den Armen von Rashida. Hochfiebrig, sich in Fieberkrämpfen in deren Armen windend. Erschrocken maß Jacob die Vitalwerte. Alle waren so hoch, wie lange nicht mehr. Blutdruck und Puls, 295/185, die Temperatur 59,9°C. Erschrocken ließ Jacob die beiden Männer im Raum stehen und lief hoch auf die 6/rot. Gab Lyn, mit Hilfe von Jaan und Rashida, die das schreiende, um sich schlagende Mädchen halten mussten, einen Tropf. Der das Fieber senkte, aber auch die damit verbundenen Krämpfe auflöste. Langsam beruhigte sich Lyn wieder. Nach zehn Minuten am Tropf, schlief das Mädchen wieder ruhig in den Armen von ihrer Rashida, die ihr zärtlich das Gesicht streichelte. Leise um Lyn nicht zu wecken, fragte sie Jacob.

"Doko, was ist los mit ihr. So schlimm war sie nicht mal nach Prag drauf. Ich hab sie nur zwei Minuten alleine gelassen, weil ich mal auf Toilette musste. Doko, ich habe Angst um Lyn, lange macht ihr Herz das hohe Fieber nicht mehr mit. Doko, ich konnte sie grad noch so zurückholen. Ich will sie nicht wieder verlieren, helf ihr Doko."

Tränen liefen über Rashidas Gesicht. Das erste Mal seit langem, das Jacob solche deutliche Emotionen, von Rashida sah. Dann musste es wirklich sehr ernst gewesen sein. Traurig streichelte er das Gesicht, von Lyns bester Freundin.

"Rashida, das was ihr in Rumänien erlebt habt, muss schlimm gewesen sein. So schlimm wie Lyn eben, wart ihr anderen auch alle dran. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich habe auch Angst um Lyn. Aber ich kann ihr diesen Tropf nicht ständig geben. Du weißt genau wie ich, dass Lyn sich sehr schnell an Medikamente gewöhnt, in allen muss ich sie höher dosieren. In dem Tropf den ich ihr eben gab, habe ich die vierfache Menge des Medikamentes drin, wie bei euch. Höher kann ich es nicht dosieren. Das bringt Lyn um. Geb ihr deine Ruhe, durch deine Nähe, das hat ihr schon immer am meisten geholfen."

Plötzlich fing Lyn wieder an zu krampfen. Mühsam stöhnte sie mehr, als sie sprach.

"Nikyta jawe pör. Kri etriees. Zurien andul semro", sie klammerte sich panisch an Rashida die sieh zärtlich streichelte.

"Was sagt das Mädchen da?", wollte Rudolf, aber auch Fleischer wissen.

Doko schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern.

"Ich denke, sie hat wieder Alpträume. Genossen Rudolf. Die Kinder kamen nach dem letzten Einsatz, alle krank wieder. Wir haben Lyn erst vier Stunden vor dem Einsatz mit den Ortega Kindern, aus diesem Trauma zurückgeholt. So lagen die Kinder sieben Wochen lang hier im Raum. Sie sagte gerade, wenn ich das richtig verstanden habe. "Freunde sind umgeben von Mördern. Tode soll man schlafen lassen. Ich will es nicht mehr sehen." Das, was die Kinder dort erlebten, muss furchtbar gewesen sein. Willy, ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Lyn, hält das Fieber, nicht mehr lange aus. Ich habe Angst, sie zu dem Ortega Fall zurück zu schicken, wenn sie die Kinder nur noch tot findet. Ich glaube, das verkraftet Lyn nicht mehr."

 Fleischer nickte traurig. "Fritz, du weißt doch genau wie ich, dass sich Lyn diesen Fall nicht wegnehmen lässt. Sie hat ihn übernommen, sie wird den Auftrag, egal was ist, auch zu Ende bringen. Sie hat mir in Grünheide schon gesagt, dass wenn sie vom Oberstleutnant keine Genehmigung bekommt, sie aus der Schule wegläuft. Sie habe es den Ortega Kindern, deren Eltern und Gunther Wolf versprochen, dass derjenige bestraft wird. Du kennst sie doch."

Jacob lächelte gezwungen. Noch einmal überprüfte er die Vitalwerte, langsam wurden sie besser.

"Rashida, hole mich sofort, wenn es wieder schlimmer wird, ja. Dann gebe ich ihr noch einen Tropf. Lass sie schlafen, das hilft ihr immer gut. Bei dir fühlt sie sich beschützt."

"Doko, ich pass auf sie auf."

Damit drehte sich Jacob um, bat Fleischer und Rudolf ihm zu folgen. "Lassen wir Lyn etwas Ruhe. Das hilft bei ihr oft mehr, als irgendwelche Medizin."

Nach einer Stunde intensiven Gesprächs der Drei, verließen die Beide die Schule. Nachdem Jacob, Oberstleutnant Rudolf noch einmal gründlich untersucht hatte. Ihn aber wieder, als vollkommen gesund einstufte. Traurig ging Jacob gegen 22 Uhr nach unten in den Raum der Kinder, um nochmals nach seinem Sorgenkind zu sehen. Zu seinem Erstaunen, saß Lyn mit Rashida, Chim und Jaan in ihrem Bett. Erleichtert atmete Jacob auf, da ging es ihm gleich besser. Er hatte sich schlimme Sorgen gemacht.

  

Noch fast zweieinhalb Stunden nach dem Tropf schlief ich, diesmal allerdings ruhig und erholte mich von dem Fieber. Kurz vor 21 Uhr wurde ich munter. Erleichtert atmete Rashida auf, die richtig Angst um mich hatte.

"Täubchen, was ist los mit dir. So schlimm war es lange nicht, mit deiner Schlaferei", verwundert sah sie mich an. "Du weißt es nicht Lyn? Das ist nicht gut, das ist gar nicht gut. Dann geht es dir noch schlechter, als ich dachte. Lyn, du hast gekrampft, einige Male hatte ich Mühe, dich zurück zu holen. Du wolltest schlafen gehen. Lyn, ich halte es nicht aus, wenn du mich verlässt", weinend lag meine Rashida in meinen Armen und schluchzte herzzerreisend.

Beruhigend streichelte ich ihr den Rücken. "Rashida, ich gehe doch nicht schlafen, das könnte ich dir doch nicht antun."

Rashida schüttelte den Kopf. "Du wolltest zu unseren Baum. Du wolltest nicht mehr leben, hast du mir gesagt. Bitte, was war los in Rumänien, dass du nicht mehr leben willst. Erzähle es mir."

Ich sah sie wütend an. "Rashida, das werde ich nicht tun, dann hätte ich das alles nicht blockieren brauchen. Ich verspreche dir, ich gehe nicht schlafen. Du weißt, dass ich meine Versprechen halte. Also höre auf mit diesem Thema, es tut mir nicht gut. Gib mir Zeit, es in den Griff zu bekommen. Wenn du lieb bist, helfe mir beim schlafen. Lassen wir das Thema. Wie geht es Chim?"

Wechselte ich einfach das Thema. Wir hatten ganz andere Sorgen. Chim hatte keine Lust mehr zu leben. Er hatte aufgehört, gegen das Fieber zu kämpfen. Er wollte zu seinen schlafenden Freunden und endlich Ruhe finden.

"Lyn, was soll ich dir sagen, du weißt es doch besser als wir alle, Chim geht es gar nicht gut. Er will einfach nicht mehr. Sollten wir ihn dann nicht gehen lassen."

Ich schüttelte den Kopf. Ich würde nicht zulassen, dass noch mehr meine Leute, einfach aufgaben. Zu was war ich zurück gekommen, wenn alle anderen gingen.

"Hole ihn bitte mal, bitte. Mir tut alles weh, der Oberstleutnant hat mich ausgepeitscht."

Rashida nickte und ging zu Chim und Jaan. Kam mit beiden an mein Bett. "Chim, was ist los mit dir? Warum willst du schlafen gehen?"

Chim zuckte mit den Schultern. "Ich habe das hier alles so satt, Lyn. Ich bin so müde."

"Chim, darf ich in deinen Kopf?"

Mein Freund nickte. Man merkte ihm aber an, dass es ihm eigentlich egal war. Ich reichte ihm die Hände und begann mit dem Jawefan. Sah nach, ob ich bei ihm vielleicht nicht alles blockiert hatte. Schnell stellte ich fest, dass aus irgendeinem Grund, dieses Gefühl des Grauens bei ihm nicht mit blockiert wurde. Also holte ich das nach. Stärkte noch einmal seinen Lebenswillen und ging langsam aus dem Jawefan zurück. Lehnte mich an Rashida. Ich musste aufhören mit dem Jawefan. Es tat mir im Moment nicht gut.

"Alles in Ordnung, Lyn?", wollte Rashida ängstlich wissen.

Ich schüttelte den Kopf. "Rashida halte mich einfach ein paar Minuten fest. Ich habe keine Kraft mehr. Ich darf das Jawefan bei euch nicht mehr machen. Nicht bevor es mir wenigstens etwas besser geht."

Rashida nickte, sah sie doch, wie blass ich schon wieder war. Müde kuschelte ich mich an meine Rashida und ging selber noch einmal für fünfzig Minuten ins Jawefan. Ich musste mich unbedingt erholen. Als ich munter wurde, schrieb Chim die gewünschte Liste fertig. Erfreut stellte ich fest, dass er wieder besser aussah. Er lag vor meinem Bett auf den Bauch und war in seine Schreiberei vertieft. Er war bei Nummer 94 angelangt, also hatte er nur noch drei Namen, die er aufschreiben musste. Meinen, Kami und Erjas. Dann konnte ich Doko später fragen, ob er mit mir zusammen, noch einmal zum Oberstleutnant ging. Vielleicht wusste er einen Weg, wie wir diesen von der Notwendigkeit der Namen überzeugen konnten. Fertig mit der Liste stand Chim auf und setzte sich zu Jaan, Rashida und mir ins Bett.

"Na Chim, geht es dir wieder etwas besser?", erkundigte ich mich offen bei meinem Freund.

Der lächelte verlegen. "Lyn, ich weiß nicht, was vorhin mit mir los war. Aber jetzt geht es mir wieder gut. Wie geht es dir?"

"Es ging mir schon besser. Aber es wird langsam. Nur habe ich im Moment einfach keine Kraft mehr. Ich kann bei mir, diese ganzen Sachen nicht blockieren. Das geht nur bei euch. Lasst mir etwas Ruhe, bitte. Wichtig ist das ihr gesund werdet, dann erhole ich mich schnell."

Meine drei Freunde nickten. Jaan musterte mich, dann lachte er mich strahlend an. Komischerweise grinsten die anderen genauso frech zu mir herüber. Es war schön meine Freunde mit Schalk im Nacken zu erleben. Das bedeutete, dass sie auf den Weg der Genesung waren.

"Lyn, wir haben über deinen Kopf hinweg in der Gruppe etwas entschieden. Ich hoffe, dass du nicht böse mit uns bist."

Verwundert sah ich meine Freunde an. Die noch nie von selber eine Initiative ergriffen hatten. Selber Beschlüsse zu fassen war nicht ihre Art. Außer in Situationen, in denen es um Leben oder Tod ging. Oder darum andere vor Schaden zu schützen.

"Was habt ihr beschlossen?"

Jaan druckste herum und schielte zu Rashida.

"Komm Jaan, du hast angefangen, also raus mit der Sprache. Ich beiße euch doch nicht", wies ich ihn lachend darauf hin, dass ich ein friedlicher Mensch war.

Auf einmal machten alle die Verbindung zu mir auf, auch wenn wir in verschiedenen Betten saßen, konnten wir uns so alle hören. Nicht immer machten wir das. Nur im Kampf, hatten wir zu allen die Verbindung. Schnell mussten wir feststellen, dass es sonst einfach zu laut war. Jaan begann die kleine Versammlung, die sich um mich drehen sollte, das war mit total unangenehm. Ich mochte es nicht, wenn alle ihr Aufmerksamkeit auf mich konzentrierten.

"Also höre uns mal kurz zu und bitte schimpfe uns nicht aus. Als Chim die Liste schreiben wollte, kam uns die Idee. Du trägst seit vielen Jahren den Namen Lyn, aber wir sind alle der Meinung, dass du diesen Namen nicht zu Recht trägst."

Verwundert sah ich mich um. "Jaan, wieso das denn? Ich bin doch die Kleinste hier."

Auf einmal lachten meine Freunde. Ich konnte es nicht glauben, was ich erlebte, sie lachten herzhaft, so wie lange nicht mehr. Ich war glücklich, denn wenn sie lachten, ging es ihnen gut.

"Ja, klar du hast ja Recht damit, dass du unsere Kleine bist. Die Zwecke, das Mäuschen, ein Täubchen oder einfach unser Zwerg. Und du wirst auch nie so groß werden, wie wir. Dennoch hast du immer wieder bewiesen, dass du in vielen Dingen größer bist, als wir alle zusammen. Deshalb dachten wir, wir sollten dir endlich einen anderen Namen geben, der dir mehr entspricht. Wir haben lange beraten und sind aber alle der Meinung, dass Kah-Lyn viel besser zu dir passen würde. Weil du uns immer alle beschützen willst. Ich hoffe, dir gefällt dein neuer Name, der jetzt auf der Liste steht. Na ja, ein bisschen Lyn ist ja auch drinnen", erklärte mir Jaan lachend die Tatsache, dass man mich jetzt einfach umgetauft hatte.

Alle unsere Freunde stimmen ins Lachen ein.

Das erste Mal seit Rumänien, dass wir wieder lachen konnten. Wir hatten es also geschafft. Das erleichterte mich ungemein. Wegen des Namens, das war es mir doch egal. Solange ich nicht mehr 98 heißen musste, gefiel mir der sowieso.

"Kah-Lyn", sprach ich ihn laut aus. "Ja, der gefällt mir gut. Danke, es ist mir eine Ehre, ihm gerecht zu werden", gab ich nun auch lachend zur Antwort.

In diesem Moment, ging vorne die Tür auf. Als wenn Doko geahnt hätte, dass wir ihn dringend brauchten, kam er herein. Erstaunen, aber auch Erleichterung stand auf seinem Gesicht.

"Doko, wir brauchen deine Hilfe. Weil ich, wenn ich ehrlich bin, nicht weiß, was ich machen soll. Du weißt wie der Oberstleutnant immer auf mich reagiert. Ich habe keine Ahnung, wie ich meine Bitte, dem Oberstleutnant klar machen soll. Hilfst du uns bitte, Doko", erkundigte ich mich sofort bei ihm.

Nach dem ich ihm einen Kuss gab und ihm die Möglichkeit zum Setzen gab. Kurz entschlossen setzte ich mich, so wie ich es oft tat, einfach auf seine Beine.

"Wenn du mir verrätst, bei was ihr Hilfe braucht. Könnte ich dir vielleicht auch sagen, ob ich dir helfen kann, Lyn", stellte er lachend fest.

Ich schlug mir vor den Kopf, stöhnte auf. Das war nicht so gut. Aber egal. "Oh je, autsch. Das war gerade keine gute Idee. Mein armer Kopf. Aber lassen wir das. Doko, pass auf, wir haben folgendes Problem. Leider stellen wir immer wieder fest, dass wir mit unseren Namen, wie 91, 12, 23, 98 bei den Menschen dort draußen anecken. Oft war es schon so, dass man uns deshalb nicht ernst nahm, bei Einsätzen. Beim Ortega Fall, gab es auf der Straße einen Verletzten. Die Frau die für mich beim dem Verletzten blieb, reagierte so wie oft die Leute reagieren, mit fassungslosen Kopfschütteln. Für euch hier ist das alles normal. Ihr seid es gewohnt, uns mit Zahlen anzusprechen. Aber Doko du weißt wie lange du dazu gebraucht hast, bis du dich daran gewöhnt hattest. Aber draußen in der anderen Welt, ist das nicht so, außerdem haben die Menschen keine Zeit sich an unsere Zahlen zu gewöhnen. Schau mal Doko, Chim war so lieb und hat uns eine Liste zu geschrieben. Mit den jetzigen Namen oder besser Nummern und den Namen, die wir uns selber gegeben haben. Könnten wir beide, den Oberstleutnant nicht bitten, für uns Dienstausweise machen zu lassen, mit Rang und Namen. So dass wir uns bei der Zivilbevölkerung, richtig ausweisen können. Das würde uns die Arbeit wesentlich erleichtern", beendete ich meine ausführliche Erklärung, damit Doko genau verstand, um was es uns ging.

Doko war bewusst, wie recht wir hatten. "Lyn, das habe ich mir auch schon eine Weile überlegt. Ähnliches sagte auch Oberstleutnant Rudolf zu Mayer, als es um die Auswertung deines Benehmens ging. Lyn, Oberstleutnant Rudolf hat sich für dich richtig stark gemacht. Auch der Oberst, wies Mayer einige Male drauf hin, dass es oft Schwierigkeiten deswegen gab. Pass auf, ich gehe mit der Liste gleich einmal hoch, zum Oberstleutnant. Ich rede erst einmal mit ihm alleine. Ich glaube es ist nicht so gut, dich gleich mit hochzunehmen. Aber die Liste müsst ihr noch korrigieren, dein Name ist verkehrt", stellte er beim durchsehen der Liste fest.

Plötzlich kamen alle hinter in meinen Bett.

Justa meine schweigsame Freundin, sprach für alle laut aus, was Doko ja nicht noch wissen konnte. "Doko, wir haben vorhin, als Chim die Liste geschrieben hat. Einfach beschlossen Lyn umzubenennen. Sie ist zwar die Kleinste, allerdings ist sie nie klein indem, was sie tut. Kah-Lyn, passt viel besser zu ihr. Ein bisschen Lyn ist ja auch drin, hat Jaan gesagt."

Der Doko fing schallend an zu lachen. "Da hast du Recht, Justa. Der Name passt viel besser zu Lyn. Kah heißt, wenn ich richtig erinnere, beschützen, sich schützend vor jemanden stellen und lyn dahinter groß, riesig, kräftig oder kraftvoll. Also heißt unsere kleine Lyn jetzt, die große oder kraftvolle Beschützerin. Der Name passt wirklich besser zu dir, meine kleines Mädchen."

Lachend drückte mich Doko, nicht an meine Verletzungen denkend. Ich versuchte mühsam nicht aufzustöhnen. Ganz gelang es mir allerdings nicht. Da ich nur mühsam Luft bekam.

"Oh nein, das wollte ich nicht, verzeih mir bitte Kah-Lyn", immer noch lachend, drückte mir einen Kuss auf die Stirn.

"Also, ich versuche es mal. Kah-Lyn, wenn ich Hilfe brauche, lasse ich dich holen. Bitte sei lieb zu unserem Oberstleutnant. Der hat nämlich heute schon böse Haue bekommen, von Fleischer und Rudolf. Die ihm beide ordentlich die Meinung gesagt haben."

Entsetzt sah ich den Doko an. "Wieso hauen die den Oberstleutnant. Das darf man nicht, der ist doch krank", fuhr ich auf. Mein Entsetzen, in Worte fassen.

"Nein Kah-Lyn, die haben ihn nicht verhauen. Die haben ihm nur mal anständig die Meinung gesagt. Dass sein Verhalten alles andere, aber nicht in Ordnung ist."

"Ach so Doko, warum sagst du das nicht gleich so. Doko, kannst du den Oberstleutnant bitte mir den Fall zurückzuholen. Ich will diese Kinder endlich finden. Es vergeht so viele unnütze Zeit. Die arbeitet doch gegen die Kinder, Doko."

Doko lächelte mich wissend an. Er kannte mich sehr genau und wusste, dass mir die Sachen keine Ruhe lassen würde. "Ich tue mein Bestes."

Jacob stand auf und lief immer noch lachend und den Kopf schüttelnd, nach vorn zur Tür. Schloss diese beim herausgehen, wie er es immer machte. Wenn er zu uns kam und niemanden untersuchen wollte, ließ er diese immer offen. Wir anderen alberten noch etwas herum, es war schön wieder das Lachen meiner Freunde zu hören. Da ging es mir auch gleich besser. Es vergingen keine zehn Minuten, da kam Heiko Corsten herein.

"Heiko was ist? Ist etwas mit dem Doko passiert?"

Entsetzt blickte ich den Wachmann an. Der kam Kopfschüttelnd hinter zu mir. "Nein, ich soll dich zum Oberstleutnant bringen, Lyn."

Stöhnend stand ich auf.

"Hast du solche Schmerzen", erschrocken sah mich Heiko an.

Ich schüttelte den Kopf. "Nein, es ist zum Aushalten. Aber ich kann diesen Menschen heute nicht mehr sehen, Heiko."

"Lyn das kann ich verstehen. Sag mal meine Kleine, wie geht es dir den?"

Ich winkte ab. "Es ging mir schon besser Heiko. Komm lassen wir ihn nicht warten, sonst hat er wieder schlechte Laune. Noch einmal auspeitschen, überlebe ich heute nicht."

Eilig liefen wir los. Da Heiko mit dem Multicar da war, setzte ich mich zu ihm, so brauchte ich wenigstens nicht laufen. Heiko kannte alle Schleichwege im Projekt und wusste genau, wie wir fahren mussten, damit uns keiner sah. Dadurch waren wir schon nach drei Minuten am Aufzug, der hoch zu der Wohnung von Mayer fuhr.

"Lyn, ich schicke dich nach oben, ich muss wieder an den Funk. Wollte nur schnell sehen, wie es dir geht. Vorhin sahst du zum Schreien aus. Also pass auf dich auf meine Kleine."

"Heiko, ich nehm lieber die Treppe. Sonst gibt es Ärger. Du weißt ich darf nicht mit den Aufzug fahren."

Ich stieg vom Multicar und war durch die Tür neben dem Aufzug verschwunden. Schnell lief ich die paar Stockwerke nach oben und klingelte an der Wohnungstür. Reimund öffnete lächelnd, etwas das selten vorkam.

"Na, das nenne ich ja mal schnell. Komm mit. Bitte ärgere den Oberstleutnant nicht. Der hat ausnahmsweise einmal gute Laune", erklärte er mir grinsend. Reimund war froh, einmal nicht ständig angebrüllt zu werden.

"Sir, ich gebe mir Mühe Genosse Bär, Sir."

Reimund klopfte an die Tür, auf das von drinnen gerufene. "Herein." Öffnet Reimund die Tür und schob mich ins Zimmer.

"Sir, 98 wie befohlen zu Stelle, Sir", meldete ich mich vorschriftsmäßig an.

Ich war froh meinen Doko zu sehen. Dann würde es nicht allzu schlimm werden. Vor allem bedeutete das, dass ich nicht gleich wieder bestraft werden würde. Erleichtert atmete ich innerlich auf und achtete exakt darauf, ja nichts falsch zu machen, um den Oberstleutnant nicht sofort wieder gegen mich aufzubringen. Mit dem Gebrüll vom Oberstleutnant, konnte ich leben. Ich stelle mich ordentlich hin und wartete auf Mayers Fragen.

"98, Doktor Jacob sagt mir gerade, du hättest einen Vorschlag, der das Arbeiten deines Teams erleichtert, stimmt das? Sprich", sagte Mayer, in einem für mich ungewohnten Ton, der mich völlig irritierte.

"Sir, jawohl, Sir. Ich habe Doktor Jacob, eine Liste übergeben, in dem ich neben unsere Serienbezeichnung, Namen gesetzt habe, Sir. Da ich bei den Einsätzen in der Welt draußen, immer wieder festgestellt habe, dass wir mit unseren Serienüblichen Namen nicht ernst genommen werden, Sir. Die Menschen, draußen denken oft wir wollen sie ärgern, Sir. Uns selber stören diese Serienbezeichnungen nicht, die Menschen dort draußen schon, Sir. Deshalb dachte ich, wenn wir richtig Namen hätten, Sir, wäre das Arbeiten draußen einfacher, Sir. Hier in der Schule können wir ja unsere anderen Namen behalten, Sir."

Ich senkte den Kopf, sah wieder auf meine Füße. Eine Weile war Schweigen. Ich war schon versucht den Kopf zu heben, unterließ das allerdings lieber. Ich wollte den Oberstleutnant nicht verärgern. Nach eine ganzen Weile, so lange schien er über das Gesagte nachgedacht zu haben, fragte er mich.

"Wie meinst du das, 98? Dass die Leute sich verärgert fühlen. Sprich."

Ich hob den Kopf und sah am Oberstleutnant vorbei. "Sir, bei dem letzten Einsatz mit dem Ortega Kindern, zum Beispiel, gab es einige solcher Situationen, Sir. Beim Telefonat mit dem Vater der Ortega Kinder, legte dieser einfach auf, als ich mich mit 98 vorstellte, Sir. Herr Ortega wurde richtig böse und dachte ich würde ihn verarschen wollen, entschuldigen sie, Sir, das waren seine Worte, Sir. Als ich auf die Soko Alexanderplatz traf, bekam ich immer wieder zu hören, 98 was ist das für ein Name. Oder, Sätze wie verschwinde hier, 98 so wird niemand genannt, Sir. Eine Bürgerin, die den Kollegen etwas für den Oberst ausrichten sollte, in meinen Namen, Sir, hat dies ebenfalls nicht gemacht. Sie schaute mich ganz merkwürdig an, als ich mich vorstellte, Sir, oder die Kollegen die an den Tatort kamen, haben diese Information nicht an den Oberst weitergeleitet. Weil sie es für einen Scherz hielten, Sir. Obwohl es bei diesem Vorfall einen Schwerverletzten gab und die Informationen für den Oberst wichtig waren, Sir. Es gibt viele solcher Situationen, die ich ihnen noch aufzählen kann, Sir. Deshalb denke ich, es wäre besser, dass wir für die Einsätze einen Dienstausweis bekämen, mit einem Namen, Sir."

Ich sah wieder zu meinen Füßen und warte die Reaktion Mayers ab. Komischerweise kam kein Brüllen und kein Schlag. Ich konnte es einfach nicht fassen.

"In Ordnung du kannst gehen", befahl er mir stattdessen.

Ich wollte allerdings noch nicht gehen. Brauchte von Mayer die Genehmigung den Ortega Fall weiter zu verfolgen. Also hob ich ein wenig den Kopf. Signalisierte ihm so, dass ich noch ein Anliegen habe.

"Was ist noch 98? Sprich."

"Sir, entschuldigen sie bitte, meine Hartnäckigkeit, Sir. Dass ich noch ein Anliegen habe, Sir. Sie können doch jeden Einsatz besorgen, Sir, könnten sie eventuell dafür Sorge tragen, dass ich den Fall mit den Ortega Kindern schnellstmöglich zurück bekommen, Sir. Ich mache mir große Sorgen um die Kinder, Sir. Es vergeht viel kostbare Zeit, Sir. Für mich ist der Fall erst erledigt, wenn ich die Kinder, oder deren Leichen, vor allem aber diesen Verbrecher hinter Schloss und Riegel habe, Sir. Vorher finde ich keine Ruhe, Sir. Ich habe doch den Eltern versprochen, dass ich ihre Kinder zurück bringe, Sir. Auch dem Gunther, habe ich versprochen, dass ich dafür sorgen werde, dass der Täter bestraft wird, Sir. Ich halte immer meine Versprechen, Sir", verdammt weit hatte ich mich jetzt vorgewagt.

Allerdings ich musste den Fall zu Ende bringen, egal ob ich hinterher bestraft werde.

"98 du willst das wirklich? Sprich."

"Sir, jawohl, Sir", antwortete ich knapp und präzise.

"Ich denke darüber nach. Abtreten."

"Sir, danke, Sir", rutschte es mir heraus. Salutierte, drehte mich um und ging zur Tür.

Öffne diese und verließ den Raum.

"Komm 98, ich schaffe ich auf die 2/blau, dann kannst du innen entlang laufen", meinte Reimund ebenfalls freundlich zu mir.

Verwundert sah ich zu ihm hoch. Na egal, ich schien ja heute einmal Glück zu haben, dass alle bei guter Laune waren. Gemeinsam fuhren wir nach unten, auf die 2/blau. Brauchte so nur ein kleines Stück zu laufen. Kaum fünf Minuten später stand ich vor der Sicherheitstür, durch die ich nicht konnte, da ich ja keine Karte besaß. Deshalb sah ich mich nach einer Notrufsäule um und lief ein Stück zurück. Dort angekommen, wählte die 0001. Nach der Meldung des Diensthabenden, Heiko war am Apparat, erklärte ich mein Dilemma.

"Heiko, ich habe ein Problem, der Genosse Bär hat mich zwar mit dem Aufzug runter gebracht auf die 2/blau, aber ich komme doch nicht durch die Sicherheitstür. Kannst du jemanden vorbeischicken, der mir die Tür aufmacht."

"Klar Lyn, ich komme schnell selber."

Keine drei Minuten später war Heiko da und ließ mich rüber auf die 6/blau. "Danke Heiko", rief ich ihm noch hinterher und verschwand in unserem Raum. Lief nach hinten in mein Bett, in dem schon Rashida auf mich wartete.

"Na, war es schlimm Kah-Lyn?", wollte sie lachend von mir wissen und mich ganz betont meinen neuen Namen aussprechend.

"Nein Rashida, der Oberstleutnant hat mich nicht mal angeschrien. Das ist glaube ich das erste Mal. Dass der mich nicht angebrüllt und zur Schnecke gemacht hat. Mir fehlt richtig was. Komm lass mich schlafen, ich bin total fertig."

Rashida nickte lachend. "Na dann komm."

Wir kuschelten uns aneinander. Diesmal schlief ich erholsam, ohne Alptraum, ohne Angst. Ich hatte es geschafft, auch ich war auf dem Weg zur Besserung und konnte mich langsam von Rumänien erholen. Am nächsten Morgen nach über zehn Stunden erholsamem Schlaf, wurde ich munter. Rashida lag hinter mir. "Guten Morgen, hast du endlich ausgeschlafen? Aber es hat dir gut getan Täubchen. Du siehst endlich wieder etwas erholter aus. Komm lass uns essen gehen. Ich habe vielleicht einen Hunger", sofort schob sie mich von sich weg, stand auf und lief vor zum Tisch. An dem Dika Anna das Essen verteilte. Auch ich ging nach vorn und ließ mir meinen Brei geben. Dika Anna hatte sogar Tee gekocht.

"Danke Dika, das ist lecker."

Genüsslich aß ich meinen Brei und den Rest schob ich wie immer, meiner Freundin hin. Dika macht immer viel zu viel auf meinen Teller. Kaum das ich aufgegessen hatte, betrat Doko, freudestrahlend den Raum.

"Guten Morgen, na das gefällt mir ja. Ihr bekommt alle etwas zu essen, nur euer armer Doko, muss hungern", sprach er lachend in den Raum.

Dika Anna schüttelte den Kopf. "Nein mein Schatz, aber solange du stehst bekommst du keine Mahlzeit. Also setzen.", befahl sie lachend, in einem Ton der einem General, zu Ehre gereicht hätte. Lachend setzte sich Doko hin und bekam auch schon einen Kaffee und einen Teller Schnitten.

"Dann lasst es euch schmecken."

Dika Anna setzte sich auch mit an den Tisch und so frühstückten die Jacobs mit uns Kindern. Das war eine seltene Gelegenheit.

"Lyn…", begann der Doko

Von allen Seiten kam die Korrektur. "Kah-Lyn."

Dika Anna schaute verwundert in die Runde. "Kah-Lyn?"

"Anna, unser Lyn wurde gestern umgetauft. Die Kinder haben beschlossen, dass die Zeit aus der kleinen Lyn, eine große Lyn gemacht hat. Da Lyn die Kinder immer beschützt, haben sie ihr den Namen, die große Beschützerin gegeben, Kah-Lyn. Ich finde er passt viel besser zu unserem kleinen Mädchen."

Nun musste auch Dika lachen.

"Also Kah-Lyn, ich komme gerade von der Dienstbesprechung, oben beim Oberstleutnant, du bekommst den Fall wieder. Er hat angeordnet, dass die Soko informiert wird, du wirst gegen 11 Uhr abgeholt. Die restliche Mannschaft bleibt, bis du vom Einsatz zurück kommst hier, um sich von der Krankheit richtig zu erholen. Also, bleibe etwas länger beim Oberst, sobald du zurück bist, gehen die Einsätze wieder los. Ihr anderen nutzt bitte die Zeit, zum Schlafen. Ach und noch was." Doko griff in seinen Overall und holte eine Schachtel heraus.

"Der Oberstleutnant, mag ja so manches Mal ein A..., nein ich will das böse Wort mit dem A nicht sagen, aber er ist ein Organisationsgenie. Er hat es tatsächlich, von gestern Abend, bis heute früh um 9 Uhr geschafft, für euch alle Dienstausweise drucken und herfliegen zu lassen. Manchmal verblüfft er mich immer noch. Wenn er nicht so saufen würde, könnte man ihn manchmal sogar lieben. Nehmt euch bitte jeder einen, ihr wisst ja besser als ich, wer ihr seid, die werden bei den Einsätzen jetzt immer mitgeführt. So dass ihr euch jederzeit ausweisen könnt. Was ich faszinierend finde. Auf euren Ausweisen, stehen sogar all eure Qualifikationen drauf. So könnt ihr wirklich stets beweisen, dass ihr alles machen dürft."

Fassungslos sah ich Doko an. "Das gibt’s doch gar nicht, Doko. Bin ich in der falschen Schule?"

Schallend fingen Dika und Doko an zu lachen. "Nein Kah-Lyn, du bist in der richtigen Schule. Wie kommst du da drauf?", erkundigte er sich verwundert.

"Na ja Doko, gestern Abend hat mich der Oberstleutnant nicht angebrüllt. Er hat sich fast normal mit mir unterhalten. Fast wie der Oberst. Nahm meinen Vorschlag an, ohne daran herum zu maulen. Heute haben wir die Ausweise und ich den Einsatz zurück. Da kann ich hier doch nur falsch sein."

Ich bekam jetzt auch die Schachtel mit den Ausweisen. Doko nahm mir den Ausweis sofort wieder weg.

"Kah-Lyn, ich muss dir noch etwas gestehen. Gestern Abend bei dem Gespräch mit Mayer, hat er die Schreibweise deines Namens bemängelt. Da du als einzige, einen Doppelnamen bekommen hattest. Deshalb habe ich mir erlaubt ihn zu ändern. Ich hoffe das ist nicht schlimm. Es ist ja nur eine andere Schreibweise. Der Oberstleutnant wollte, dass es einheitlich bei euch allen aussieht."

Jetzt reichte mir der Doko meinen Ausweis. Ich zucke mit den Schultern. "Ist doch nicht schlimm Doko. Besser als 98, ist das allemal. Oder, was sagt ihr?"

Ich ließ meinen Ausweis herum gehen. Alle waren der gleichen Meinung. Fanden wie ich, diese Schreibweise sogar noch besser.

"Dann habe ich in zwei Tagen drei Namen, wer hat das schon", musste ich lachend noch loswerden.

Justa hatte wie immer den Daumen auf dem Punkt, als sie meinte, denn sie hatte zu hundertprozentig recht. "Tja, Kahlyn, du fällst halt immer auf", lachend sah sie mich an.

"Na ärgert mich ruhig. Vielleicht komme ich dann nie wieder", neckte ich meine Freunde ein wenig.

Doko und Dika sahen sich an und dann lachten mit uns zusammen. Beide waren froh, dass wir wieder lachen konnten. "Doko, habe ich noch so viel Zeit zu duschen? Sag mal, warum sind die Ausweise in den Folien, Doko?"

Unser Doko grinste breit. "Kahlyn, du hast noch gut eine Stunde Zeit. Ihr solltet die Ausweise in den Folien lassen, damit sie vor Wasser geschützt sind."

"Danke Doko, in Ordnung, soweit habe ich jetzt nicht gedacht."

Sofort erhob ich mich und lief nach hinten, um mich auszuziehen. Doko stand auf und half mir die Verbände abzuwickeln.

"Kahlyn, ich verbinde dich dann noch einmal. Gehe erst einmal in Ruhe duschen. Dann sehe ich nach, ob alles in Ordnung ist."

Ich verschwand in der Dusche und genoss es wie immer, den Luxus länger als notwendig darunter stehen zu können. Es tat mir immer gut, gerade dann, wenn ich krank war. Nur so konnte ich meine Muskeln richtig lockern. Nach einer halben Stunde, lief ich so nass wie ich war, nach hinten an mein Bett. Doko war wie immer fasziniert davon, wie gut alles schon verheilt war. Nur am Rücken und am Po waren noch offen Stellen. Zwei der tiefsten Verletzungen, waren gestern bei meinem Fieberanfall wieder aufgegangen. Also klebte er diese noch einmal.

"Lyn, ich werde die beiden tiefen Verletzungen zusätzlich nähen, sonst bekommst du ewig keine Ruhe mehr rein. Der Oberst soll sie aber genau im Augen behalten, nicht das da der Brand rein kommt."

Ich nickte, weil ich wusste, dass das bei mir oft passiert. Wenn Wunden genäht werden mussten. Immer noch hatte Doko kein Material gefunden, auf was wir nicht allergisch reagierten.

"Doko, mache bitte dick Brandsalbe drauf. Die hilft gut. Ich lasse mir beim Verbinden, in der Soko helfen", bat ich den Doktor.

Erleichtert atmete er auf. Da er wusste, dass der Oberst gute Sanitäter in seine Einheit hatte. Er würde diesen auch nochmals anrufen, damit dieser mit darauf achtete. Am Schlimmste war der Schnitt an der rechten Pobacke, der war sehr tief, vor allem tat er richtig weh.

"Lyn, lege dich bitte mal hin, ich muss das ausschälen, dort ist schon der Brand drinnen. Verdammt noch mal."

"Doko, du kannst da nichts dafür. Das ist durch das Salz, da wird das immer so schlimm."

Also legte ich mich noch einmal hin. Doko schälte die Wunde richtig aus. Er musste alles erwischen, sonst bekam ich dort keine Ruhe mehr rein.

"Lyn, ich habe ein neues Mittel, soll ich das gleich einmal ausprobieren. Oder lieber nicht."

Ich vertraute meinem Doko, er würde niemals ein Mittel einsetzen, was uns schaden könnte. Er ging immer auf dreihundert Prozentige Sicherheit. Doko ließ alles, was er entwickelte, immer noch einmal von Doktor Zolger durch testen. Wenn er es uns anbot, war es immer hilfreich.

"Lyn, dieses Verurat, ist ein Material, das sich mit deiner Haut, deinem Fleisch verbindet. Ich erkläre dir das noch einmal, wenn du wieder zurück bist. Es löst sich mit der Zeit selbst auf, sodass die Wunde, von unten nach oben ausheilen kann. Du gehst mit dem Brenner drüber, schon wird es warm und verbindet sich mit den umgebenen Wundrändern. Brandsalbe drüber schon ist es in Ordnung", während er mir das erklärte, hatte er die Wunde schon versorgt. "Dann brauchst du nicht ständig zu verbinden. Lasse den Verband einfach beim Duschen dran. Ich habe es abgedeckt. Sollte es weh tun, soll der Oberst nachsehen."

Ich nickte, nachdem mich der Doko verbunden hatte, mache ich zwei Saltos. Auf diese Weise überprüfte ich immer, ob alles richtig saß und mich bei der Arbeit nicht behinderte. Fertig damit, ging ich zu Doko, der bekam einen Kuss auf die Stirn, die Dika auch, weil sie traurig aussah.

"Jetzt muss nur noch der Gosch kommen und die Kinder leben, dann bin ich glücklich", folgte ich einfach einer inneren Eingebung und sagte das einfach so dahin.

Kopfschüttelnd sahen mich alle an. Na das war doch wahr, was braucht man mehr zum Glücklich sein. Freunde denen es gut ging, die einen mochten und vor allem einen Doko, der immer dafür sorgte, dass man keine Schmerzen hatte. Eine Dika die einen etwas zu essen machte. Da konnte es einen ja nur gut gehen.

Dika lachte mich an. "Jetzt musst du nur noch singen, dann glaube ich, dass es dir gut geht."

Da schrie Rina entsetzt. "Dika bitte, bitte nicht, die Kahlyn kann alles, aber nicht singen und nicht mit Technik umgehen."

Schallend lachte die ganz Truppe. Auch Doko und Dika lachten mit, weil sie froh waren, dass ihre Kinder wieder gesund waren. Wenn wir lachten, dann waren wir auf den besten Weg gesund zu werden.

Doko wurde ernst. "Kahlyn, soll ich dir noch einen Tropf für den Oberst mitgeben?"

Ich schüttelte den Kopf. "Doko, der Oberst hat noch vier. Ich glaube nicht, dass ich ihn noch brauche. Ich denke wir haben es geschafft. Es tut mir leid, dass wir euch so viel Sorgen gemacht haben. Aber manche Dinge, kann man nicht beeinflussen."

Doko streichelte mir mein Gesicht. "Kahlyn, das wissen wir doch. Wir wissen doch, dass ihr uns nie Sorgen macht, solange ihr das beeinflussen könnt. Also ich drücke dir die Daumen. Kahlyn, bitte sei nicht enttäuscht, wenn du die Kinder nicht mehr lebend findest. Es ist nicht deine Schuld."

Ich schüttelte den Kopf. Ich konnte es nicht erklären, ich hatte immer noch das Gefühl, dass die Kinder noch lebten. "Doko, ich denke die Kinder leben noch, ihnen geht es nicht gut, aber die Zeit wird knapp. Wir brauchen alles Glück der Welt. Ich muss erst deren Spur wiederfinden."

Doko nickte, als er etwas sagen wollte, klingelt das Telefon. Er ging nach vorn und ich rüstete mich aus.

"Kahlyn, du musst zur Landebahn, Gosch ist gerade gelandet, du sollst dich beeilen. Also viel Glück, mein kleines Mädchen."

Schnell gab ich Rashida noch einen Kuss, dann war ich schon aus dem Raum. Lief im hohen Tempo die Gangway nach oben, auf den Drachen zu. Gosch war sitzen geblieben, weil er gleich wieder losfliegen wollte.

Kapitel 9

"Guten Tag, Gosch, Sir", begrüßte ich den Piloten und Drachenflieger, wie ich Gosch immer nannte. Der konnte gerade nichts sagen, da er die Flugsicherung am Funk hatte. Sofort nach dem er die Startfreigabe bekam, begrüßte mich, wie eine kleine Freundin.

"Hallo Lyn, wie geht es dir? Du siehst wieder etwas besser aus, mein Täubchen. Wir fliegen erst mal zum Oberst."

Ich schüttelte den Kopf und ich wollte mir erst einen Überblick verschaffen.

"Gosch, kannst du mich gleich noch einmal zum Bunker fliegen? Ich will sehen, ob ich dort noch irgendetwas an Spuren finde oder hast du nicht mehr so viel im Tank?" Gosch schüttelte den Kopf.

"Lyn, ich habe noch genug Sprit. Aber ich dachte, du wolltest erst mit den Gunther und dem Vater von Jan sprechen."

"Gosch, ich muss erst wissen, ob ich noch Spuren finde. Ich muss doch überlegen, wie ich weiter vorgehen kann. Das kann ich aber erst, wenn ich weiß, wo ich ansetzen muss."

Gosch druckste wieder einmal herum, war hin und her gerissen, von seinen Gefühlen. Er war es gewohnt auf die Befehle seines Vorgesetzten zu hören und der lautete mich sofort zum Stützpunkt zu fliegen. Aber er verstand mich auch.

"In Ordnung Lyn, dann informiere ich den Oberst, wie lange denkst du, wirst brauchst du?"

Verlegen sah ich Gosch an, weil ich das nie so genau sagen konnte. "Gosch, ein bis zwei Stunden. Genau kann ich dir das nicht sagen."

Gosch erbat sich Ruhe, denn er hatte den Oberst schon am Funk, informierte ihn darüber, dass ich erst einmal auf Spurensuche gehen wollte, dann erst in die Halle käme. Bekam seine Bestätigung, ohne die Gosch nichts unternahm. Endlich flogen wir los.

"Gosch, wie lange fliegen wir?" Gosch sah zu mir herüber.

"Lyn, circa eine Stunde."

"Das ist gut Gosch, ich wollte mit dir nämlich etwas besprechen."

Der sah mich verwundert an.

"Was willst du mit mir besprechen, habe ich etwas angestellt Täubchen?", lachend sah er mich an, überspielte damit seine Unsicherheit.

"Nein Gosch, du hast nichts angestellt. Gosch, es ist nur so, wir fliegen ja nun schon eine Weile miteinander und du verlangst von mir Vertrauen, dies möchte ich zu dir auch haben. Aber du musst es auch zu mir haben. Vertrauen funktioniert nur, wenn es auf beiden Seiten da ist. Deshalb möchte ich, dass du mich näher kennen lernst und dich mit meiner andersartigen Arbeitsweise vertraut machst. Gosch, du weißt dass ich mich in einen Gino verwandeln kann. Nicht nur das unterscheidet mich von den Menschen. Ich habe noch viele andere Eigenschaften, von dem du und der Oberst, nicht einmal der Doko etwas ahnen. Aber wir arbeiten fast ständig zusammen und es wird Zeit, dass du mir in allen was ich tue vertraust. Vor allem, dass ich nie etwas von dir verlangen würde, was nicht geht oder jemanden unnötig in Gefahr bringt. Auch wenn dir meine Vorgehensweise noch so unmöglich vorkommt, muss du immer daran denken, dass du mir vertrauen kannst. Deshalb meine Frage: Gosch vertraust du mir zu hundert Prozent dein Leben an? Bitte antworte ehrlich, ich sehe und spüre, wenn es nicht so ist", offen sah ich meinen Drachenflieger an.

"Täubchen du weißt, dass ich dir absolut vertraue. Was soll diese komische Frage?" Gosch klang etwas genervt.

Ich musste wissen, wie weit mein Drachenflieger mir wirklich vertraute. Ich holte tief Luft: "Gosch, stell dir einmal die folgende Situation vor: Wir werden als Geiseln genommen und sind in einem wirklich ausbruchssicheren Bunker untergebracht. Aus dem ich dich nur mit einem Trick herausholen kann. Deshalb muss ich dir, um uns aus der Geiselschaft zu befreien, das Herz anhalten. Weil wir auf keine andere Art aus dem Gefängnis befreien könnten. Ich kann mein Herzschlag soweit herunterfahren, dass mich andere für Tod halten. Du aber kannst das nicht. Wärst du bereit, dich auf so ein gefährliches Manöver mit mir einzulassen? Antworte mir ehrlich, ich sehe ob du mir die Wahrheit sagst."

Gosch schluckte schwer und hatte mit der Antwort seine Probleme. Aber das war völlig normal. Man sah ihm den Kampf, den er mit sich führte, an. "Darf ich dir zu deiner Frage eine Frage stellen, weil davon meine Antwort abhängt", verzweifelt sah er mich an.

Ich ahnte welche Frage er stellen würde und nickte.

"Besteht die Gefahr, dass ich danach für immer aus dem Leben scheide?", formulierte er seine Frage sehr vorsichtig.

"Gosch würde ich je zulassen, dass du stirbst?", entgegnete ich ihm, ohne auf seine Frage einzugehen.

Panisch nach Luft schnappend, sah er kurz zu mir herüber. "Lyn, das ist eine wirklich harte Frage. Ich weiß, dass du nie zulassen würdest, dass ich oder jemand anderes stirbt. Deine Frage würde ich aus dem Herzen heraus, ohne zu zögern, mit Ja beantworten. Aber alles in meinem Verstand schreit Nein. Aber ich will dir vertrauen und sage deshalb ja zu deinem Beispiel. Ich hoffe nur, dass ich niemals in diese Situation komme, weil ich nicht weiß, ob ich mich darauf wirklich einlassen würde."

Dankbar sah ich Gosch an, denn er hatte mir meine Frage genauso beantwortet wie ich sie haben wollte. Es bewies mir dass er mir zu hundert Prozent vertraute, aber noch genug Eigenwillen besaß, um Fehlern entgegen zu steuern. Genau solche Vertraute brauchte ich in meiner Arbeit. Sie dachten nämlich mit.

Ich beugte mich hinüber zu Gosch und gab ihm einen Kuss. "Danke Gosch."

Einen Moment lange musste ich nachdenken, wie ich ihm das, was ich von ihm haben wollte erklären konnte, so dass er auch alles verstand. Denn einfach war das nicht zu erklären, weil mein Drachenflieger, meine wirklichen Fähigkeiten nicht kannte.

"Hör mir bitte erst einmal genau zu Gosch, bevor du schreist das geht nicht. Du weißt, ich bin genau wie du Pilot und fliege den Drachen nicht schlechter als du. Deshalb ist es wichtig, dass du erst einmal in Ruhe über alles nachdenkst, bevor du es als nicht machbar einstufst. Es geht, das kann ich dir versichern, denn ich mache das mit meinen Leuten ständig. Wie du weißt fliegen wir fast alle Einsätze zusammen. Es ist kein Zufall, dass der Oberst immer dich schickt. Ich habe ihn darum gebeten, weil ich schnell gemerkt habe, dass du der beste Pilot der Soko bist.

Bei Einsätzen die über große Suchstrecken gehen, das weißt du genau wie ich, haben wir nicht immer die Möglichkeit zum Landen. Ich verlaufe mir ständig viel Zeit und verbrauche unnötige Energie, weil wir erst einen Landeplatz suchen müssen. Ich im Anschluss wieder ins Zielgebiet zurücklaufen muss. Deshalb wollte ich dir einige unserer Tricks und Kniffe, mit dem Heli beibringen. Wir, einige meiner Freunde und ich, fliegen den Heli ganz anders als ihr. Ich kann nur dir diese Möglichkeiten zeigen, da nur du derartig mit dem Heli verwachsen bist. Die anderen Piloten würden das nicht schaffen. Auch viele meiner Freunde sind nicht in der Lage, mich aufsitzen und abspringen zu lassen. Willst du es einmal versuchen?"

"Täubchen, was heißt das?"

"Gosch das heißt nichts anderes, als dass ich bei voller Geschwindigkeit aus dem Hubschrauber springe und auch von unten wieder an den Hubschrauber springe. Aber wir übern erst man den Absprung. Der ist am Einfachsten", erkläre ich meinem Drachflieger, was ich wollte. Ich musste ihm das so ausführlich erklären, denn sonst wäre er gar nicht erst bereit es zu versuchen. Dazu benötigte ich sein volles Vertrauen, sonst würde er mit dem Heli abstürzen.

Erschrocken sah mich Gosch an. "Kleines, das kannst du bei einem Heli nicht machen", protestierte Gosch panisch.

Ich schmiss mich innerlich weg. Die meisten Piloten waren dieser Meinung und neunundneunzig Prozent der Piloten konnten das auch nicht. Dazu musste man mit seinem Helikopter und den Beruf eines Piloten verwachsen sein. So nannte ich das Feingefühl des Fliegens, das man dazu brauchte. Aus meinem jetzigen Team konnten das auch nur neunzehn Kämpfer.

"Gosch, deshalb habe ich dir ja schon erklärt, dass es nicht allen können. Du aber kannst das. Du hast das nötige Feingefühl dazu, den Heli zu kontrollieren. Es stimmt was du sagst, es ist nicht einfach und es gehört sehr viel Können und vor allem aber, eine Menge Vertrauen dazu. Funktionieren kann das nur, wenn man aufeinander eingespielt ist. Du bist der beste, entschuldige, dass das jetzt so blöd klingt, menschliche Pilot, den ich bis jetzt begegnet bin. Sonst hätte ich dich nicht danach gefragt. Nicht jeder ist dazu geeignet. Man muss seinen Heli lieben, um so etwas zu können, muss eins mit ihm werden beim Fliegen. Ich würde keinen eurer anderen Piloten, darum bitten. Nur du hast den Heli so im Griff, dass du das Lernen kannst. Ich habe das mit meinen Leuten auch lange geübt, die haben das auch nicht beim ersten Mal geschafft.

Dabei ist es gar nicht so schwer, wie du jetzt denkst. Du musst nur im richtigen Moment gegenhalten. Fliegen ist nicht gleich fliegen, Gosch. Das weißt du genauso gut wie ich. Gosch du siehst in dem Heli, nicht eine Maschine, der Heli ist beim Fliegen ein Teil von dir. Wenn du den Absprung einmal geschafft hast, wirst du es nicht mehr als schlimm empfinden und es wird uns unsere Arbeit enorm erleichtern. Vor allem, wäre das gut für mich und kann lebensrettend für die Geiseln sein. Dann kann ich an engen Stellen und in Gegenden, wo es keinen Landeplatz gibt, einfach auf- oder abspringen. Das wird sich sehr schnell, als nützlich erweisen. Vor allem, kann das im Ernstfall, einmal lebensrettend sein. Pass auf, wir üben erst einmal das Aussteigen, wenn wir das schaffen, dann ist das mit dem Aufsprung nicht mehr so schlimm. Wir holen beim nächsten Einsatz, einfach einmal Rashida dazu, die kann das gut. Sie kann dich oben einweisen und im Notfall gegenhalten, bis du den Dreh heraus hast. Oder ich zeige es dir am Anfang und Rashida springt."

Ungläubig sah mich Gosch an.

Lächelnd winkte ich ab. "Gosch vertraue mir einfach. Ich würde nie etwas von dir verlangen, was ich nicht selber kann und schon hunderte Male gemacht habe. Also pass auf, du machst dann folgendes…", genau erklärte ich, wie er den Heli, bei welcher Bewegung gegensteuern musste. Gosch hörte fasziniert zu, schüttelte einige Male den Kopf, kratzte sich den Kopf und rieb sich den Nacken. Aber er hörte mir aufmerksam zu und stellte mir einige sehr interessante Fragen. Genau ging ich auf die Fragen ein und erklärte ihm alles bis ins kleinste Detail. Dann schwieg er eine lange Weile und wälzte die Informationen in seinem Kopf hin und her.

Plötzlich sah er mich strahlend an. "Täubchen, du hast recht. Auf diese Weise wäre es machbar. Auch, wenn ich Bauchweh habe, wir probieren es einfach einmal aus. Wenn ich alles richtig mache, müsste es funktionieren."

Erfreut nickte ich. "Gosch, wir üben das erst einmal, auf diesem großen freien Gelände in der Nähe der Halle. In einer Höhe von fünfundzwanzig Meter. Da hast du genug Zeit den Heli auszubalancieren."

Entsetzt sah mich Gosch an. "Du..."

"Gosch, bitte vertraue mir doch endlich. Ich springe gut vorbereitet, aus siebzig Meter in die Tiefe, ohne mir einen Kratzer zu holen. Keine Angst, wenn ich genug Platz habe, sind fünfundzwanzig Meter für mich ungefähr so, als wenn du von der Bordsteinkante springst."

Skeptisch sah mich Gosch an und wackelte mit dem Kopf.

"Vertraue mir einfach. Gosch, tot nutze ich den Kindern nichts. Ich habe nicht dermaßen, um den Einsatz gekämpft, um mich jetzt umzubringen."

Kopfschüttelnd und einmal tief durchatmend gab mir Gosch recht. "Na gut, bei dir, wundert mich gar nichts mehr", stellte er lachend fest.

Wir waren schon in der Nähe des Suchgebietes. Durch unser Gespräch war die Zeit schnell vergangen.

"Gosch, kannst du eventuell eine Spirale fliegen, um den Bunker in einer Höhe von zehn Metern, beginnend bei fünf Kilometern um das Zielgebiet. Ich will sehen, ob ich Thermospuren finde."

Gosch sprach das mit der Flugsicherung ab und begann einen immer enger werdenden Kreis, um den Bunker zu fliegen.

"Wir haben Glück, hier sind die Kinder nicht, also besteht noch eine kleine Hoffnung. Also Gosch, fliege zu dem Platz."

Gosch flog zu der größten freien Stelle, die er finden konnte und hielt den Drachen auf fünfundzwanzig Meter Höhe.

"Denke an das, was wir abgesprochen haben. Vor allem, bekomme keine Panik. Ich bin ganz vorsichtig. Du kannst den Heli immer abfangen."

Sofort kippte ich die Lehne meines Sitzes um und klettere nach hinten. Öffnete die Schiebetür, die zum Aussteigen gedacht war. Allerdings per Seilwinde. Diese Art des Aussteigens, war allerding etwas anderes, die Gewichtsverlagerungen waren ganz anderes. Auch wenn der Drachen jetzt in der Luft stand.

"Gosch, ich klettere jetzt nach draußen. Denke an den Ausgleich, der ist nicht anders als beim Suchen."

Vorsichtig keine ruckartige Bewegung machend, kletterte ich auf die Kufe und hielt mich mit den Beinen fest. Sagte oder besser gesagt schrie meinen nächsten Schritt ins Cockpit.

"Gosch, ich lasse mich nach unten."

Wie am Reck, begann ich mich aus der Stützposition, langsam herab zu lassen. Bis ich nur noch an den Armen hing, als wenn ich einen Klimmzug machen wollte. Der Pilot hielt den Drachen gut im Gleichgewicht. Kurz schaukelte ich, um ihm zu zeigen, gleich kommt es zu einer Gewichtsverlagerung. Gosch hielt den Drachen gut und so ließ ich mich einfach fallen. Im Fall rollte ich mich zusammen. Am Boden angekommen, mache ich einige Rollen. Um den Schwung den ich durch den Fall bekam, auszugleichen. Diese Rollen brauchte ich, um mich nicht zu verletzen. Kaum war ich wieder auf den Beinen, das hatte nur Sekunden gedauert, sah ich nach Gosch. Der behielt den Drachen gut unter Kontrolle. Sofort nahm ich das Sprechfunkgerät.

"Na Gosch, war es schlimm?"

"Nein Täubchen, du hast das wirklich gut erklärt. Hast du dich verletzt."

"Nein, es ist alles in Ordnung. Gosch, fliege zur Halle. Ich sehe mich hier um, es sind nur zehn Kilometer bis zur Halle, die kann ich zu Fuß laufen. Der Funk müsste bis dahin halten. Ich melde mich, wenn etwas ist, ansonsten lasse ich den Funk, wie immer aus." Gosch bestätigte das.

"In Ordnung, auch wenn ich gleich wieder mit dem Oberst Ärger bekomme. Also bis gleich Täubchen", beim letzen Wort dreht er ab.

  

Ich lief hinein in den Bunker und folgte dem Weg, den damals Jan genommen hatte. Stieg über den Notausstieg, nochmals in den Belüftungsschacht, um nachzusehen, ob die Bande zurückgekehrt war. Das war zwar unwahrscheinlich, aber mir war es so sicherer. Allerdings war hier niemand mehr. Rudolf hatte diese Bande vollkommen vertrieben, die trauten sich hier nicht mehr her. Also trat ich das Gatter auf und sprang nach unten, in den Raum. Begab mich auf die Suche, um vielleicht einen kleinen Hinweise zu finden, den die Kollegen von der Spurensicherung übersehen hatten. Hier war alles, was es an Spuren gab, zerstört. Die Bänke und Tische waren zum Teil umgekippt, zerschlagen Flaschen, Gläser und Tassen lagen auf dem Boden. Der Raum sah völlig verwüstet aus, wie nach einen schweren Kampf. Vor allem, war überall Blut, die Jungs von der Soko schienen wirklich tüchtig etwas abbekommen zu haben. Mir taten die Kollegen leid. Ich ahnte ja, dass sie nicht mehr einsatzfähig waren. So schlimm hatte ich es jedoch nicht eingeschätzt. Nach dem, was mir der Doko berichtet hatte, dachte ich, dass das wohl etwas übertrieben war, die Mengen des Blutes erzählte mir allerdings die Wahrheit, dass es hier wirklich schwere Verletzungen gegeben hatte. Meine alte Wut auf Rudolf kam schon wieder hoch. All das nur, weil ein Offizier sich nicht selber genügend kontrollieren konnte. Kopfschüttelnd sah ich mich um. Ich musste weitermachen. Vergangenes konnte man nicht ändern, sondern nur die Zukunft. Vielleicht hatte Rudolf ja etwas aus diesem Einsatz gelernt. Hoffte ich, obwohl ich mir bei diesem Mensch nicht sicher war.

Auf das Genaueste sah ich mich um. Wenn ich hier etwas hätte finden können, war es schon von der Spurensicherung beseitigt wurden. Trotzdem untersuche ich den Bunker noch einmal gründlich. Ich fand abseits des Raumes, in einem Gang, ein Armband. Welches ich in die Overall-Tasche steckte und folgte einer sehr verwischten Spur, zu einem anderen Bunkerausgang. Die führte mich mit Unterbrechungen, in denen ich die Spurensuche wieder aufnehmen musste, da sämtliche Spuren von der Soko zertrampelt und  dadurch fast vollständig zerstört wurden,  zu einem Bootsschuppen. Der Schuppen lag am Ufer eines Sees, der sich etwas östlich des Bunkers befand. Es führte nur ein wenig benutzter Pfad, den man mehr ahnen als sehen konnte dorthin. Er war kaum ein dutzendmal benutz wurden und vielleicht einen halben Kilometer lang und führte hinter zwei Holunderbüschen, durch die man sich hindurch zwängen musste, vom Bunker weg. Man lief in einem großen Bogen erst nach Norden und dann zurück nach Südosten. Fast schon wollte ich umkehren, als ich den Schuppen erblickte. Dort allerdings verloren sich die Spuren. Fast eine Stunde, suchte ich die Umgebung nach Spuren. Dann erst untersuchte ich den Schuppen der bei meiner Ankunft schon leer war. Meine Vermutung war richtig, die Kinder wurden hier eine ganze Weile festgehalten. Denn ich fand hier und da ein Haar, auch vereinzelte Essensreste und leere Falschen. Leider fand ich aber auch einige Spuren von Erbrochenen und einiges an Blut. Dies ließ mich Schlimmes ahnen. Ich vermutete, dass man die Kinder mit einem Boot weggebracht hatte und beschloss deshalb, erst einmal zum Oberst, in die Halle, zurück zukehren. Ich hoffte durch Gunther und Vater, Hinweise zu beliebten Orten von Jan zu bekommen, um eine ungefähre Richtung zu haben. Sonst musste ich wieder einmal ins Blaue suchen. Das dauert mir viel zu lange, denn bis da ich eine Spur fand verging viel zu viel Zeit, die den Kindern fehlte und ihnen vielleicht das Leben kosten konnte. Eins hatte ich aus den wenigen Spuren im Bootsschuppen herauslesen können, die waren hier in Panik abgehauen und das war kein gutes Zeichen. Wenn ich Glück hatte, konnte ich durch gezielte Hinweise, die Suche erheblich abkürzen.

Weil es wesentlich schneller ging, schwamm ich einfach über den See, auf dem reger Bootsverkehr herrschte. Auf der anderen Seeseite lief ich einfach nach Südosten und war so in nur wenigen Minuten, auf Waldwegen die knappen zehn Kilometer nach Grünheide gelaufen. Deshalb betrat ich immer noch klitschnass, die Halle. Der Oberst sprang auf, als er mich sah.

"Verdammt Lyn, wie siehst du schon wieder aus. Regnet es draußen", lachend musterte er mich, weil ich tropfend vor ihm stand.

"Sir, Leutnant Kahlyn, meldet sich zum Einsatz, Sir", meldete ich mich erst einmal an. "Sir, nein, ich habe nur eine Abkürzung über den See genommen, Sir. Haben sie Bilder von den Ortega-Kindern, Sir. Kann ich mit Gunther, Vater, Felicitas sprechen, Sir", wollte ich sofort wissen.

Mir brannte einfach die Zeit unter den Nägeln. Das, was ich an Spuren fand, ließ mich Schlimmes ahnen.

"Lyn, komm erst mal rein." Der Oberst dreht sich um. "Walter, hole mal für Lyn einen trockenen Overall. Lyn, Jans Familie ist in einer viertel Stunde da. Ich organisiere das sofort, die Bilder habe ich", drehte sich zu seinen Teammitgliedern um. "Tom, rufe die hiesige Wache an, die sollen Jans Familie holen, so wie abgesprochen", sofort wandte er sich wieder an mir zu. "Wieso Leutnant Kahlyn? Was habe ich verpasst?", erkundigte er sich irritiert.

Kurz erzählte ich, was gestern Abend noch passiert war. Lachend sah mich der Oberst an.

"Na der Name passt aber zu dir."

Pille protestierte, lautstark. "Bei mir bleibst du das Lynchen. Egal, wie dich die anderen nennen", foppte er mich.

Ich zuckte mit den Schultern. "Solange ich nicht mehr 98 heißen muss, Pille, ist mir das egal. Wie ihr mich nennt. Der Gosch nennt mich doch auch immer Täubchen."

Der Oberst wurde ernst. "Lyn…äh Kahlyn, pass mal auf, wir haben ein großes Problem. Ich habe keine Ahnung, wie wir, vor allem du, mit den Eltern der beiden Kinder reden sollen. Schau es dir selber einmal an."

Oberst Fleischer reichte er mir die Bilder der Ortega Kinder und ich nahm sie zögernd entgegen. Erst das von Conrad, dann das von Keynia. Verdammt, das ist wirklich ein Problem. Verwundert starrte ich zum Oberst hin.

"Wieso sieht mir diese Keynia so ähnlich? Oberst, dann kann ich nicht mit den Ortegas sprechen, nur telefonisch. Aber eigentlich brauche ich die auch gar nicht. Ich brauche ein Täter und kein Opferprofil. Daher ist das nicht so tragisch."

Der Oberst sah mich fragend an. "Du übergibst doch immer selber die Geiseln."

Ich lächelte gequält. "Genosse Oberst, erst einmal muss ich die Beiden finden, Sir. Dann sehen wir weiter, Sir."

Dankbar nahm ich Walter die Tasse Tee ab. War aber so tief mit meinen Gedanken in dem Fall drin, dass ich mich nicht einmal bedankte. Der Oberst registrierte das mit einem Lächeln. Er wusste, dass ich, wenn ich so reagierte, schon Ideen hatte. Wie ich auch die ohne Hilfe der Familie Wolf, weiter machen konnte. Zum Glück ließen die Jungs mich in Ruhe. Die kannten das schon von den vielen Einsätzen, die wir in den letzten Monaten zusammen gemacht hatten. Das, wenn ich mit dem Kopf auf die Hände gestützt dasaß, spielte ich alle möglichen Varianten durch, die mir in den Sinn kamen. Ob nützlich oder nicht, ob logisch oder unlogisch, alle Varianten ging ich durch und versuchte mich auf diese Weise, in das Denkschema des Täters hineinzuversetzen.

Diesmal von Jan, den ich ja nun schon einigermaßen kennengelernt hatte. Dadurch war das natürlich wesentlich einfacher. Ich ahnte, dass der junge Mann seine gesamte Wut an den Geiseln auslassen würde. Nicht nur die Wut, die er auf seine Familie, sondern nun auch noch die Wut, die er auf die Polizei hatte, die ihn in seiner Meinung nach jetzt jagte. Obwohl er als Deutscher ja hier geboren war und diese Drecksnicker in sein Land eingedrungen waren. Ich schüttelte mich innerlich. In seinen Augen, waren die Geiseln an allem schuld, dass er sich jetzt auch noch mit seinem Bruder zerstritten hatte und von der Polizei gejagt wurde. Dumm war dieser Jan zwar nicht, aber seine Ansichten über Schuld, sein grenzenloses Selbstmitleid, ließen ihn, für seinen Intellekt völlig unlogische Handlungen durchführen. Das macht ihn so verdammt gefährlich und unberechenbar. Durch den, um mich herum entstandenen Lärm, kam ich zurück aus meinen Gedanken. Sah mich neugierig um. Entdeckte Gunther, Vater und Felicitas. Also stand ich auf und ging auf den Oberst zu. Der nahm mich um die Schulter, was ihm ein Stöhnen einbrachte. Er hatte genau die Stellen erwischt, die noch nicht verheilt waren. Das jagte eine Schmerzwelle, durch meinen Körper und ich holte zischend Luft.

"Entschuldige Kahlyn, ist es schlimm?"

Ich schüttelte den Kopf und winkte ungeduldig ab. Damit kam ich klar. Das spielte in diesem Augenblick keine Rolle. Es gab wichtigere Dinge, die wir zu erledigen mussten.

"Sir, nein geht schon, ich war nur noch in Gedanken, Sir. Guten Tag Herr Gunther, Herr Vater und Frau Felicitas", begrüßte ich die Drei, die mich zwar nicht kannten, aber ich sie ja schon eine ganze Weile. "Mein Name ist Leutnant Kahlyn. Ich bin der Spurensucher der Soko Tiranus. Vielen Dank, dass sie sich Zeit genommen haben. Ich brauche dringend ihre Hilfe", brachte ich sofort alles auf den Punkt und zum Ausdruck, dass ich keine Zeit zu verlieren hatte und nicht gewillt war lange, um den heißen Brei zu reden.

Der Oberst kannte das schon von mir. Er wusste, dass ich los wollte. Die Drei mir fremden Personen, sahen mich verunsichert an, weil ich sie, obwohl sie mich nicht kannte, so ungewöhnlich ansprach. Oberst Fleischer übernahm es die Familie, über mein ungewöhnliches Verhalten aufzuklären.

"Familie Wolf, seien sie meiner Kollegin nicht böse. Sie hat keinerlei Erfahrungen, im mit Umgang mit Familien. Kahlyn, kurz zu deiner Information. Diese Familie hier heißt Wolf. Das hier ist Hermann Wolf der Vati von Jan. Das ist Felicia Wolf die Frau von Hermann und die Stiefmutter, Gunther Wolf ist Jans Bruder."

Der Oberst sah meine Verwirrung, von dem was er mir gerade erklären wollte, hatte ich nichts verstanden.

"Sir, ich verstehe nicht, was sie von mir wollen, Sir. Jan hat immer von Gunther, Felicitas und Vater gesprochen. Woher soll ich wissen, dass das Wölfe sind, Sir. Die sehen gar nicht so aus, Sir", erklärte ich ihm völlig irritiert.

Wieder einmal stellte sich heraus, dass ich von vielen normalen Dingen keine Ahnung hatte. Dadurch einfach ganz anders dachte, als die Erwachsenen. Halt wie ein Kind, von sechs Jahren. Der Oberst fing schalend an zu lachen und hielt sich seine Rippen. Auch alle um uns rumstehenden Mitglieder der Soko, konnten sich das Lachen nicht verkneifen. Nur Familie Wolf schaute mich entsetzt an.

"Kahlyn, ich erkläre dir das, wenn du Jan gefunden hast. Das wäre jetzt einfach etwas kompliziert. Die Familie hier, sind keine Wölfe, mein kleines Mädchen, sie heißen nur Wolf. Das ist wie beim mir, ich heiße doch auch Fleischer und bin Polizist", immer noch musste er sich das Lachen verkneifen.

Aber ich verstand jetzt was er meinte. Oh je, war mir das peinlich, aber so ging es mir halt oft. Was sollte ich anderes machen, mit sowas wie Familie, was immer das war, kannte ich mich gar nicht aus.

"Sir, Mam, entschuldigen sie bitte, das wusste ich nicht, Sir, Mam", entschuldigte ich mich für mein unmögliches Verhalten.

Die musterten mich, wie jemanden der nicht alle Tassen im Schrank hat.

"Familie Wolf, kurz zur Erklärung. Kahlyn, kommt aus einer Schule, in der sie sehr isoliert gelebt hat, sie kennt keine familiären Zusammenhänge. Das muss ich ihr bei Gelegenheit einmal erklären. Bitte beantworten sie einfach alle Fragen, die ihnen Leutnant Kahlyn stellt, so genau wie irgend möglich, wir sind wirklich in Zeitdruck."

Felicitas Wolf, sah den Oberst zweifelnd an. "Herr Fleischer, das ist doch noch wohl nicht ihr Ernst. Das ist ja noch ein Kind. Wieso lassen sie Kinder, eine so gefährliche Arbeit machen?"

Als der Oberst antworten wollte, schüttelte ich den Kopf. "Mam, lassen sie sich nicht von meinem Aussehen täuschen. Ich habe sehr viele Erfahrungen in der Spurensuche, Mam. Mehr als der große Teil Kollegen hier, deshalb holt man mich oft zu Hilfe. Zum Teil, bilde ich diese Leute hier noch aus. Vertrauen sie mir einfach, Mam." Ich wandte mich jetzt erst einmal Gunther zu, war aber unsicher, wie ich ihn ansprechen sollte. "Sir, wie geht es ihnen, Sir? Ist ihr Kopf wieder in Ordnung, Sir?", wollte ich gern von ihm wissen, auch weil ich sah, dass er schlimme Schmerzen hatte.

Ständig rieb er sich die Stelle, an dem ihn der Pflasterstein traf und verzog schmerzhaft das Gesicht. Deshalb setzte ich einfach meine Brille ab. Ohne auch nur eine Sekunde, an meine Augen zu denken. Ich musste mir seinen Kopf genauer anzusehen. Erschrocken trat dieser zurück.

"Was ist mit ihren Augen?", entsetzt sah er mich an und dann fragend zum Oberst.

Mir bliebe keine Zeit, ich musste sofort etwas tun, er hatte ein Blutgerinnsel im Kopf. Welches sich durch den Steinwurf gebildet hatte, wenn sich das löste, konnte Gunther sterben oder bleibende Schäden zurück behalten. Verdammt, dazu hatte ich jetzt eigentlich gar keine Zeit. Aber was nutzte es, Jan hatte schon genug Schaden angerichtet, Gunther konnte ich helfen. Bei den beiden Kindern, wusste ich es noch nicht. Sofort setzte ich meine Brille wieder auf.

"Oberst, ich brauche sofort einen dunklen Raum. Gunther hat ein Blutgerinnsel im Kopf. Das kann ich so nicht lassen, Sir", bat ich meinen Vorgesetzten um Hilfe und wandte mich an Jans Bruder.

"Sir, bitte kommen sie mit, Sir."

Gunther Wolf wollte das allerdings nicht. Er war völlig verstört, durch meine Augen. Weil ich keine Zeit zu verschwenden hatte, fasste ich einfach das Handgelenk von Gunther und zog ihn hinter mir her, zu dem Raum, den mir der Oberst zeigte.

"Sir, bitte vertrauen sie mir, Sir."

Jans Bruder sah hilfesuchend, zum Oberst.

"Vertrauen sie Kahlyn einfach. Sie würde ihnen niemals schaden. Ich erkläre ihnen hinterher alles."

Da nickte dieser.

"Genosse Oberst könnten sie bitte bei mir bleiben, ich bin noch nicht wieder ganz fit, Sir."

Der Oberst nickte und kam mit in den Raum.

"Sir, bitte setzen sie sich so hin, dass ihr Kopf auf meinen Beinen liegt, Sir. Haben sie keine Angst, was ich mit ihnen mache, tut nicht weh. Es sieht nur komisch aus, Sir."

Wir setzten uns beide hin. Ich im Schneidersitz und Gunther legte seinen Kopf auf meine Beine. Behutsam löste ich den Verband von Gunthers Kopf, sonst konnte ich die Verletzungen nicht ausheilen. Vorsichtig nahm ich ihn, in einen sicheren Griff, aus dem er sich nicht ohne Hilfe hätte befreien können.

"Genosse Oberst machen sie das Licht aus, Sir."

Kaum hatte der Oberst das Licht ausgemacht, schob ich die Brille nach oben und begann mit den Krantonak. Heilte die Verletzungen komplett aus, es waren sogar zwei Blutgerinnsel, die kurz hintereinander saßen. Gunther musste wahnsinnige Kopfschmerzen gehabt haben. Auch heilte ich die schlimmen Verletzungen aus und beseitigte die Narben, die sich durch die Verletzungen gebildet hatten. Schnell hatte ich diese Sache in Ordnung gebracht.

"Licht an", hauchte ich und kippte einfach zur Seite weg. Der Oberst machte das Licht an. Kam sofort auf mich zu und zog mich in seine Arme. Gunther setzte sich erschrocken auf und sah mich liegen.

"Was ist mit ihr? Was ist mit ihren Augen? Wieso sind meine Kopfschmerzen weg? Was hat sie da gemacht?", sprudelten die Fragen nur so aus ihm heraus.

"Herr Wolf, diese Fähigkeit nennt sich Krantonak. Das kann nur Kahlyn. Die Kinder wurden genetisch verändert. Was sie ja an den Augen, unschwer erkennen können. Aber sie müssen keine Angst haben. Kahlyn würde niemals jemanden etwas tun. Sie hat ihnen, glaube ich gerade das zweite Mal das Leben gerettet. Als ihr Bruder den Pflasterstein nach ihnen warf, tat sie das schon einmal. Kahlyn kommt gleich wieder zu sich, sie wird immer bewusstlos, wenn sie das Krantonak anwendet. Es dauert ein paar Minuten, Kahlyn ist immer noch nicht wieder richtig gesund."

Kopfschüttelnd hockte sich Gunther neben mich und beobachtete mich aber genau. Kurze Zeit später, kam ich wieder zu mir. Atme einige Male tief durch. Der Oberst half mir beim Aufstehen. Schwankend hielt ich mich an ihm fest.

"Na meine Kleine, das war wohl zu schnell. Willst du noch etwas schlafen?"

Ich schüttelte den Kopf. "Sir, nein, Sir. Den Kindern läuft die Zeit weg, Sir", eilig ging ich zur Tür und lief nach vorn zu den Anderen. Walter schob mir den Tee hin. "Setzen wir uns bitte, dann kann ich mich noch etwas ausruhen", bat ich alle Platz zu nehmen.

Als alle saßen, bat ich die Familie Wolf darum, mir alles über Jan zu erzählen.

"Bitte Familie Wolf, so heißt das doch?"

Alle nickten.

"Erzählen sie mir alles über die Lieblingsplätze von Jan. Wo er oft ist? Was er am liebsten tut? Wo würde er hinlaufen, wenn er sich verstecken will? Einfach alles, was ihnen einfällt, auch wenn es noch so unwichtig erscheint. Jeder noch so kleine Hinweis, kann mir bei der Suche, nach den Ortega Kindern helfen. Die sind in höchster Gefahr. Jan ist in Panik, die letzte Spur die ich fand, war an einem See nordwestlich von hier, in einem Bootsschuppen. Er ist mit den beiden Geiseln, jetzt auf einem Boot unterwegs. Wenn ich das gesamte Ufer absuchen muss, werde ich die Geiseln nur noch tot finden. Er schleppt die wahrscheinlich schwer verletzt, schon den zweiten Tag mit sich herum. Erfahrungsgemäß entledigen sich die meisten Geiselnehmer, nach zwei bis drei Tagen ihrer Geiseln. Weil es einfach zu mühevoll ist, sie ständig hinter sich her zu zerren. Wenn sie also verhindern wollen, dass Jan noch zum Mörder wird, erzählen sie mir einfach alles."

Entsetzt sahen mich die Wolfs an, die scheinbar noch gar nichts von der Sache wussten. Gunther fing an zu berichten.

"Oft ist Jan mit seinen Freunden, Heiner und Arnold zusammen. Auf den Friedhof in der Nähe Friedrichstraße, dann…" Genau berichtete er mir, wo Jan oft war, auch dass er oft ans nördliche Ende des Möllensees, mit dem Boot von Heiners Vater gefahren war, dass die Jungs dort oft angeln waren. Dass das Heiners Eltern dort, einen Bungalow hatten. Auch Herr und Frau Wolf gaben mir noch einige wichtige Informationen. Fast zwei Stunden unterhielten wir uns. Dann stand ich einfach auf und ging auf meinen Oberst zu. "Sir, kann ich ihr Büro nutzen, Sir. Mir ist es hier draußen zu laut, Sir. Dort kann ich besser arbeiten, Sir."

"Ja geh nur Lyn, das ist in Ordnung. Sag, wenn du bei irgendetwas Hilfe brauchst." Also verschwand ich im Büro, arbeitete einen funktionierenden Einsatzplan aus. Nach einer Viertelstunde, kehrte ich zu den anderen zurück.

"So Kahlyn, erzähl. Was brauchst du? Was hast du vor?"

"Sir, als erstes möchte ich, dass sie die Wasserschutzpolizei davon informiert wird, dass man die wahrscheinlich fünf jungen Leute in Ruhe lässt. Das ist nämlich meine größte Angst, Sir. Jan, Arnold und Heiner, sind genau wie die Ortega Kinder noch nicht volljährig, könnten also in eine Patrouille der Wasserschutzpolizei geraden, Sir. Das wäre das Schlimmste, was uns jetzt noch passieren kann, Sir. Dann läuft alles aus dem Ruder, Sir. Es gibt hier viele kleine Flüsse und Kanäle die verschiedene Seen miteinander verbinden, Sir. Die können also überall und nirgends sein, Sir. Die Wasserschutzpolizei soll an alle ihre Leute die Information herausgeben, das bis auf Widerruf, die Boote mit drei bis fünf jungen Leuten unkontrolliert bleiben, Sir. Sonst kommt es zu einer Kurzschlussreaktion, Sir. Wenn ein solches Boot sehen, sollen sie einfach die Info an sie weiter geben. Kann man das Boot erkennen, was Jan und seine Freunde benutzen?", erkundigte ich mich.

Ich hatte beim Überqueren des Sees festgestellt, dass es verschieden Boote gab. Die alle mit unterschiedlichen Nummern versehen waren.

"Kahlyn, die Boote haben Kennungen, genau wie die Autos. Ich informiere gleich die zuständigen Behörden."

"Danke Genosse Oberst. Desweiteren brauche ich Gosch, den Drachen vollbetankt, Sir. Gosch lässt mich in der Nähe vom Möllensee aus dem Drachen und kehrt erst einmal hierher zurück. Morgen gegen 12 Uhr, soll er mich in der Nähe der Ortschaft Möllensee erwarten. Ich kann aber nicht genau sagen, ob ich pünktlich bin. Also bekommt keinen Schrecken, wenn ihr warten müsst. Ich weiß nicht, wo ich suche muss und vor allem, was ich finde werde. Ob ich überhaupt etwas finde. Sollte ich vorher zurück wollen, dann komme ich gelaufen. Oder, wenn etwas Ungewöhnliches ist, finde ich jemanden, der euch informiert, Sir."

Kopfschüttelnd hörte mir der Oberst zu. "Lyn…"

Ich unterbrach ihn einfach. Denn ich hatte diese Diskussion satt.

"Sir, ich weiß, ich bin noch nicht ganz gesund, Sir. Aber den Kindern läuft die Zeit weg, Sir. Ich muss langsam sehen, dass ich sie finde, Sir. Sie brauchen mit mir nicht diskutieren, wenn ich ehrlich bin, habe ich das langsam satt, Sir", böse schaute ich ihn an.

"Schon gut mein kleines Mädchen du hast ja Recht. Gosch hoch mit dir. Sobald Lyn, etwas gegessen hat."

Ich schüttelte den Kopf, ich hatte keinen Hunger. "Sir ich esse etwas, wenn ich zurück komme, die Dika hat mich heute schon gemästet, Sir. Ich mag jetzt nichts essen, erst wenn ich die Kinder habe, Sir. Gosch kommst du?"

Der sah den Oberst an, dieser nickte also kam er mit.

Walter rief uns hinterher. "Halt Kahlyn, erst trinkst du noch etwas, du hattest laufend hohes Fieber. Ohne Diskussion."

Dankbar nahm ich die Tasse und trank diese leer. Dann drückte mir Walter noch eine Feldflasche in die Hand. "Voll mit guten Tee. Vergesse ihn nicht zu trinken." 

"Danke Walter."

  

Ohne zu zögern folgte ich Gosch und sah dabei nicht die entsetzten Blicke von der Familie Wolf, die nicht verstanden, dass mich alle gehen ließen. Der Oberst kümmerte sich um die Familie, erklärte ihnen alles, was sie wissen wollten und mussten.

Gosch und ich hatten in der Zwischenzeit den Drachen erreicht und holten uns die Startfreigabe und die Erlaubnis das geplante Suchgebiet zu überfliegen.

"Täubchen, also als erstes zum Möllensee."

Ich nickte und zog die Beine auf den Sitz, nach dem ich mich angeschnallt hatte und ging gedanklich alles noch einmal durch. Kam immer wieder auf das gleiche Ergebnis. Gosch ließ mich gewähren. Er kannte das nun schon langsam von mir und wusste, dass ich in solchen Momenten nicht ansprechbar war. Bei den ersten gemeinsamen Flügen, hatten wir uns einige Male böse in die Wolle bekommen, weil er mich ständig aus meinen Gedankengängen heraus holte. Langsam aber sicher, spielten wir uns ein, das war gut so. In einem Team musste ein blindes Vertrauen da sein, nur so konnte man sich auf einander verlassen.

"Gosch, es gibt am Nordöstlichen Ufer eine Kreuzung. Dort treffen sich die L23 und die L232. Dort springe ich ab. Guck nicht so, Gosch. Du hast das vorhin geschafft, dann schaffst du das jetzt auch. Aus fünfundzwanzig Metern, war das kein Problem, könnten wir es tiefer versuchen, die Kreuzung ist nicht allzu groß, sonst müssen wir eine kleine Lichtung oder ein Feld in der Nähe suchen."

"Täubchen, wir schaffen das schon. Reichen die fünfzehn Meter oder noch tiefer?"

Ich schüttelte den Kopf. "Gosch, fünfzehn Meter ist in Ordnung, da komme ich mit einer Rolle hin. Du fliegst einfach weiter, so hat es den Eindruck also ob du nur über das Gebiet geflogen bist. Es darf nicht so aussehen, als ob du etwas suchst", erklärte ich ihm, warum ich es so und nicht anders machen wollte und sah den Drachenflieger ernst an. Schon näherten wir uns dem Zielgebiet.

"Täubchen, soll ich erst Schleifen fliegen."

"Gosch, lieber nicht, wenn die noch hier sind, machen wir sie sonst scheu. Ich gehe schon auf die Kufe. Du bist in zwei Minuten da, ich lasse mich fallen, sobald wir über der Kreuzung sind, kann dir also während das Fluges nicht signalisieren, dass ich springe."

Gosch nickte, sah dabei aber nicht glücklich dabei aus.

"Gosch, du schaffst das. Es ist das Gleiche wie vorhin. Hab Vertrauen zu dir und zu mir."

Kletterte nach hinten und öffnete die Tür. Setzte mich auf die Kufen und schloss die Tür von außen. Klopfte ans Fenster zeigte ihm durch das drehen des Zeigefingers, dass ich mich zum Absprung bereit machte. Sofort schwang ich mich an die Kufe herunter und ließ mich fallen, sobald wir im Kreuzungsbereich waren. Nach dem ich eine Rolle gemacht hatte, stand ich wieder auf meinen Füßen. Sah sogleich nach Gosch, aber der hatte den Drachen völlig im Griff. Ich atmete erleichtert aus und nahm die Faust ans Herz, küsste diese und streckte sie in Richtung Drachen. Schon verschwandt Gosch mit seinen Heli aus meiner Sicht, für Beobachter war Gosch einfach nur über die Kreuzung geflogen. Genau wie ich es haben wollte.

Ich lief die kurze Strecke zurück zum Möllensee und nach unten an dessen Ufer, im Schutz der Bäume zu dem Grundstück, das mir Gunther ziemlich genau beschreiben konnte. Sofort fand ich das Gebäude und konnte auch einiges Spuren entdecken. Das was ich an Indizien sah, war allerdings schon älteren Datums: vielleicht eine Woche alt. Also blieb mir nichts anders übrig als Suchschleifen zu ziehen, fünfhundert Meter lang und hundert Meter breit. Es war die effektivste Methode, alleine und vor allem schnell ein sehr großes Gebiet abzusuchen. Es ging entlang des Sees und immer weiter in Richtung Süden. Einfach um das auszuschließen, was nicht sein konnte. Diesmal half mir auch mein Bauch nicht. Keine Ahnung, weshalb mich mein Bauch so manches Mal, einfach in Stich ließ. Oft hatte ich das Gefühl, dass das immer dann passiert, wenn ich schon sehr nahe an die Gesuchten herangekommen war. Also bald Spuren finden würde.

Im Süden des Möllensees waren keinerlei Spuren. Fast zwei Stunden, war ich durch den an dem See grenzenden Wald gelaufen. Kurzerhand sprang ich in den See und schwamm einfach ans andere Ufer. Da es sehr warm war trocknete der Overall schnell wieder und lief jetzt den nördlichen Teil, des um den Möllensee wachsenden Waldes ab. Endlich kurz vor Mitternacht fand ich eine Spur. Einen Lagerplatz an denen mindestens fünf Personen gelagert hatten. Darunter auch eine, die verletzt gewesen sein musste. Ich fand auch getrocknete Blutspritzer. Deshalb, suchte ich umso genauer das gesamte Gebiet ab, stellte fest, dass hier jemand Brombeeren und Blaubeeren gepflückt hatte. Ob das jetzt die Geiselnehmer waren, konnte ich nicht mit Sicherheit sagen, aber die Möglichkeit bestand schon. Kurz legte ich eine Pause ein. Suchte dann eine Spur, die vom Lagerplatz wegführte, diese zog sich weiter in Richtung Nordwesten und verlief danach in einem großen Kreisbogen nach Norden. Immer innerhalb des Waldes und weit ab von allen Wegen. Dies ließ mich vermuten, dass ich an der richtigen Spur dran war. Denn Pilzsammler oder Menschen die Beeren pflücken wollten, liefen auf andere Arten, sie verharrten an bestimmten Stellen, diese Spur lief kontinuierlich immer weiter. Bog nach einiger Zeit ab und führte mich weiter nach Osten, kam dann wieder an dieselbe Stelle, sie waren also einmal im Kreis gelaufen. Hatten sie sich verlaufen oder war das mit Absicht geschehen? Ich hockte mich hin und überlegte lange, was hier passiert sein könnte. Gestand mir eine kleine Pause zu. Anschließend suchte ich nochmals das gesamte Terrain ab und entdeckte auf einmal ganz versteckt noch eine zweite Spur, die weiter nach Osten in Richtung Möllensee führte. Ich hatte Jan unterschätzt, es war Absicht. Sie wollten eventuelle Verfolger an der Nase herumführen.

Es bestätigte meine Meinung über diesen Jan. Der junge Mann war hochintelligent und damit verdammt gefährlich. Man durfte solche Menschen einfach nicht unterschätzen. Einige Male verloren ich die Spur und musste wieder Schleifen ziehen, um die Spur wieder zu finden. Mittag war schon lange vorbei und die Sonne zog in Richtung Westen. Wenn mein Zeitgefühl wieder stimmte, ging es schon auf 17 Uhr zu und ich musste dringend eine Pause machen. Da entdeckte ich wieder eine Spur, einen großen Blutfleck. Ich war jetzt etwa anderthalb Kilometer nordöstlich von Klein Wall und ungefähr genauso weit, südöstlich des Kiessees. Auf einer Rodung mitten im Wald, fand ich ein zweites Lager. Dort hatten die fünf ein zweites Mal gelagert. Dass ich auf der richtigen Spur war, erkannte ich, weil ich ein zweites Armband fand, das zerrissen unter einem Busch lag. Ich legte dort meinen Peilsender ab, damit ich dann mit Gosch, die Stelle wieder fand und nicht erst ewig suchen musste. Ich brauchte einfach eine Pause machen. Ob mir das nun gefiel oder nicht, so konnte ich nicht mehr arbeiten

  

Mir war klar, dass ich eigentlich an der Spur dran bleiben müsste. Allerdings konnte ich mich kaum noch auf den Beinen halten. Da mein Fieber in einem Bereich war, in dem eine Kontrolle unmöglich wurde. Außerdem konnte ich vor Kopfschmerzen, kaum mehr aus den Augen sehen. Mühsam schleppte ich mich zum Treffpunkt und hoffte sehr, dass Gosch dort auf mich gewartet hatte. Ich war mir nicht sicher ob ich den Weg zurück in die Halle, noch schaffen würde. Außerdem kostete es unnütze Zeit. Von weiten schon sah ich Gosch stehen und lief auf ihn zu.

Gosch schüttelte den Kopf, als er mich ankommen sah. "Um Gottes Willen, Täubchen, wie siehst du aus?"

Ich stieg wortlos in den Drachen und rollte mich nur zusammen. Wollte nur noch meine Ruhe und etwas schlafen. Schnell startete Gosch den Heli und flog zurück zum Stützpunkt. Dort erwarteten mich schon Pille und der Oberst, die mich gleich in die Halle eskortierten. Ohne auf die Etikette zu achten, bat ich um Hilfe, mir ging es beschissen.

"Oberst, kannst du mir einen Tropf geben. Ich halte die Kopfschmerzen nicht mehr aus. Bitte ich muss wieder los. Ich habe Blut gefunden. So kann ich aber nicht arbeiten. Nicht mal das B32 hilft noch. Bitte Oberst, keine Diskussionen", flehte ich ihn um Hilfe an.

Der Oberst sah mich entsetzt an, genau wie Pille. Beide sahen, dass ich hohes Fieber hatte. Ich war ganz fleckig im Gesicht und schwankte mehr als ich lief. Der Oberst holte mir einen Tropf, den ich mir selber verabreichte. In dem ich die Injektionsnadel in die Halsschlagader schob, so wirkten die Medikamente bei uns einfach schneller. Ich hatte nie verstanden, weshalb die Andere die Medikamente immer in den Arm gaben. Aber es war egal. Hilfesuchend sah ich Pille an.

"Pille, hilfst du mir beim Schlafen, bitte."

Der nickte und legte sich einfach neben mich und zog mich in seine Arme. Pille vertraute ich genauso wie Rashida, er hatte mir sooft bewiesen, dass er ein ehrlicher Mensch war. Da ich ihn trainierte, kannte ich ihn sehr gut. Ich ließ mich vollkommen fallen, schlief nach zwei tiefen Atemzügen, vollkommen erholsam, in seinen Armen. Nach zwei Stunden wurde ich munter, mit so schlimmen Kopfschmerzen, dass ich hätte schreien können. Pille der merkte, dass ich munter war, streichelte mir lieb das Gesicht.

"Lynchen was ist los?"

Weinend lag ich in seinen Armen.

"Mein kleines Mädchen, was hast du denn? Du hast doch noch nie geweint", versuchte er mich zu trösten.

Von seinem reden, wurde der Oberst angezogen, der nur ein Zimmer weiter in seinem Büro arbeitete.

"Was ist mit ihr, Willy? Noch nie hat Lynchen geweint."

Der Oberst zog mich in seine Arme. "Was hast du? Hast du solche Schmerzen."

Ich versuchte mich ja zu beruhigen, aber es ging nicht. Diese wahnsinnigen Kopfschmerzen, brachten mich noch um.

"Kahlyn, hast du vom Brand her Schmerzen?"

Ich schüttelte den Kopf. "Oberst, mein Kopf. Er tut so weh. Ich kann so nicht arbeiten. Kannst du mir nicht helfen? Wie soll ich so die Kinder finden?", schluchzte ich.

"Warte", er drückte mich Pille in den Arm.

Ich krümmte mich krampfend zusammen. Diese Schmerzen waren die Hölle, bei jeder Bewegung, hatte ich das Gefühl mein Kopf explodierte. Schon sprang er auf und lief nach drüben in sein Büro. Keine fünf Minuten später, kam er mit noch einem Tropf.

"Kahlyn, ich habe deinen Doko eben angerufen. Du sollst dir noch einen Tropf geben. Wir sollen dann aber deine Verletzungen, auf Brand kontrollieren, falls das Fieber davon kommt."

Ich nickte. Mir war alles egal. Nur diese Schmerzen sollten endlich aufhören, es war nicht mehr zum aushalten.

"Oberst, mache einfach. Ich halte das nicht mehr lange aus. Bitte hilf mir", wimmernd lag ich in Pilles Armen und fing immer wieder an zu krampfen. Ich konnte mich kaum noch bei Bewusstsein halten, so schlimm waren die Schmerzen, seit langem nicht mehr.

"Lynchen, höre auf zu weinen, dann werden deine Kopfschmerzen noch schlimmer. Komm höre auf meinen Atem. Versuche in meinen Rhythmus zu kommen. Dann wird es gleich besser."

Ruhig atmete Pille, ganz bewusst, wie beim Taiji. Das half mir meine Ruhe wieder zu finden und die Panik zu vertreiben, die von mir Besitz ergriffen hatte. Langsam wurde es besser und ich schlief noch einmal kurz ein, nach zwanzig Minuten wurde ich wieder munter und kam langsam zu mir.

"Danke Pille, ich dachte vorhin ich muss sterben. So schlimm war es noch nie."

Pille streichelte mir das Gesicht. "Lynchen, wenn es nicht geht, dann geht es nicht. Du musst die Kinder nicht finden, dann sage uns, wo wir weitersuchen sollen."

Lieb sah ich zu Pille hoch. "Das ist lieb von euch, aber jetzt geht es schon wieder. Nur vorhin war es schlimm. Dieses verdammte Fieber, bringt mich noch um."

Pille nickte. "Lynchen, du hast vorhin laufend gekrampft. Mein kleines Mädchen, was ist denn los? Willst du mit mir darüber reden?"

Wieder einmal schüttelte ich den Kopf und kuschelte mich noch etwas an Pille, seine Körperwärme tat mir gut.

"Lynchen, willst du duschen gehen, deine gesamte Muskulatur ist völlig verspannt. Kein Wunder, dass du solche Schmerzen hast. Ich komme mit duschen und massiere dir den Nacken, dann gehen die Schmerzen bestimmt weg."

Ich nickte, mir war langsam alles egal, Hauptsache die Schmerzen ließen nach.

Pille stand auf, half mir auf die Füße. Zusammen ging wir nach nebenan in die Dusche und zogen uns aus. "Um Gottes Willen Lynchen, hat dieses Schw…" Er verschwieg das Wort lieber. "… dich schon wieder ausgepeitscht. Ich verstehe diesen Mistkerl nicht. Reicht es nicht, dass du so krank bist. Muss er dich zusätzlich noch schlagen?" Wütend sah er mich an.

"Ich kann doch nichts dafür Pille. Wenn es nach mir ginge, bräuchte er mich gar nicht auspeitschen. Aber es macht ihm halt Spaß."

Ich stellte mich mit den Händen an die Wand und ließ das heiße Wasser einfach über meinen Rücken laufen, vor allem über mein Genick. Vorsichtig fing Pille an mir meinen Nacken zu massieren, stöhnend hielt ich still und schloss die Augen.

"Verdammt hast du Nackenmuskeln Lynchen, das habe ich noch gar nicht gewusst. Kein Wunder, dass du Kopfschmerzen hast, durch das Fieber sind die total verkrampft. Bleib hier ich hole Sam, der ist gelernter Masseur, der kann das bestimmt besser als ich."

Pille verschwand aus der Dusche, so nackt wie er war, nahm nur ein Handtuch, um die Lenden. Kurze Zeit später erschien er mit Sam, einen der Sanitäter der Soko Tiranus.

"Was los meine Maus? Pille sagt du wärst verspannt, lass mich mal sehen."

Ohne darauf zu achten, dass er nass wurden, kam Sam im Overall, unter der Dusche fing an mich zu massieren. Stöhnend ließ ich es über mich ergehen, da es half. Sam griff genau an den Stellen in die Muskulatur, in denen sich die Krämpfe lösen konnten. Langsam wurde es besser. Als ich meinen Kopf bewegen wollte, schimpfte Sam mit mir.

"Stillhalten, Kahlyn", befahl er mir, also hielt ich still. Vorsichtig fühlte er jetzt an meinem Rücken entlang der Wirbelsäule.

"Kahlyn, du lässt jetzt mal ganz locker. Ich weiß, warum du solche Kopfschmerzen hast. Bitte vertraue mir, nur dieses eine mal."

"Sam, mir ist egal, was du machst, Hauptsache die Schmerzen hören auf."

Sam, fasste mir von hinten an den Unterkiefer, die Daumen legt er gegen die Wirbel C3 und C4 der Halswirbelsäule.

"Kahlyn, jetzt nicht wehren, lass mich einfach machen. Allerdings tut das jetzt bestimmt elende weh. Aber es ist nötig."

Im gleichen Augenblick zog er mit einem kurzen kräftigen Ruck, meine Wirbelsäule auseinander. Ich gab einen fürchterlichen Schrei von mir, da ein wahnsinniger Schmerz durch meinen gesamten Körper fuhr. Dann war es vorbei, der Schmerz war mit einem Schlag weg. Erleichtert atmete ich auf und drehte mich zu Sam um. Sah ihn mit Tränen in den Augen an.

"Sam, was hast du da grad gemacht. Ich dachte du bringst mich um", stöhnte ich erschrocken auf.

Hinter Sam stand die gesamte Soko, sah ihren Sani böse an.

Der Oberst fuhr ihn an. "Sam, bist du verrückt. Was machst du, mit meinem kleinen Mädchen? So geschrien hat die doch noch nie."

Sam lachte verlegen und zog die Schultern hoch. "Tut mir leid. Ihr würdet jetzt ohnmächtig am Boden liegen, aber unsere kleine Maus, schreit bloß mal kurz. Willy, bei Kahlyn waren zwei Bandscheiben verschoben und die Wirbel. Die Kleine muss einen mächtigen Schlag gegen den Kopf bekommen haben, vor ein oder zwei Tagen. Vielleicht bei dem Fieberkampf, den wir hier in der Halle erlebt haben. Wahrscheinlich haben wir ihr dabei die Wirbel verrenkt. Ich habe es gerade gerichtet. Jetzt ist wieder alles so, wie es sein sollte."

Ich bewegte meinen Kopf hin und her, drehte ihn. Dann ging ich auf Sam zu und gab ihm, obwohl ich ihn kaum kannte, einfach einen Kuss.

"Danke Sam, du hast mir und den Kindern, grade das Leben gerettet. Ich habe noch nie in meinem Leben, solche Kopfschmerzen gehabt. Du hast recht, die habe ich erst seit zwei Tagen, vorher zwar auch schon, aber nicht so schlimm. Vielleicht waren die schon etwas verrenkt und haben jetzt nur den Rest bekommen. Den Griff musst du mir mal beibringen. Lasst mich noch zehn Minuten duschen, bitte. Ich komme gleich vor."

Erleichtert verschwanden die Männer aus der Dusche. Zogen sich wieder an oder um und setzen sich an die Tische. Ich genoss noch ein paar Minuten, das heiße Wasser. Rollte mit meinen Schultern, drehte den Oberkörper, mache sogar eine Brücke. Es war alles wieder in Ordnung. Kopfschüttelnd sahen mir einige der Männer zu, die gerade nach mir sehen wollten. Also wickelte ich die Verbände ab und wusch die Brandsalbe aus und mich so gut es halt ging. Fertig damit ging ich mit dem Medi-Koffer, nach vorn in die Halle.

"Genosse Oberst, könnten sie mir bitte beim Verbinden helfen, Sir?", bat ich diesen, weil er derjenige in der Soko war, der am besten Verbände machen konnte.

Bekam erst gar nicht mit, dass Gunther Wolf noch in der Halle war. Der entsetzt auf meinen Körper sieht.

"Um Himmels Willen, wer hat dem Mädchen das angetan."

Allerdings achtete niemand auf ihn. Walter machte mir einen Brei. Pille hielt den Koffer, die anderen waren mitten im Training. Nach fünf Minuten hatte mir der Oberst alle noch offenen Stellen am Rücken dick eingecremt und half mir beim Anlegen der Verbände. Klebte diese zusätzlich, zur Sicherheit fest. Auch den Verband am Po musste ich erneuern, die Wunde schmerzt sehr. Als mir der Oberst die Wunde im Spiegel zeigte, war ich beruhigt. Die Schmerzen kamen nur, vom Verrutschen des Verbandes. Ich erklärte ihm, wie er die Wunde versorgen musste, machte aber den Verband selber, damit der gut saß. Nach drei Minuten war ich fertig und zog einen trockenen Overall darüber. Steckte meinen Ausweis ein, den mir Pille hinhielt. Drehte den Oberkörper, beugte mich, machte noch einmal eine Brücke. Dann zwei Saltos und zwei Flickflacks. Die Verbände hielten. Zufrieden ging ich an den Tisch, setzte mich hin.

"Na Lynchen, dir geht es wieder besser", wollte Pille wissen.

"Das kannst du laut sagen. Pille, du weißt ich sage nicht gleich etwas, aber vorhin dachte ich, dass ich sterben muss. Solche Schmerzen hatte ich noch nie gehabt. Dagegen ist die Lichtbox die reinste Erholung gewesen."

Lachend hörte der Oberst zu. "Dann werde ich deinem feinen Herrn Oberstleutnant wohl mal einen Tipp geben müssen", dabei sah er mich frech grinsend an.

"Genosse Oberst, wehe ihnen. Dann ist das, was sie vor drei Tagen abbekommen hast, eine Streicheleinheit gewesen, Sir", gab ich ihm eine genauso freche Antwort.

Auf eine Weise, die er nicht erwartet hatte. Ab und zu kam es aber mal vor, dass ich einfach so aus dem Bauch heraus Antworten gab, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Erschrocken nahm ich die Hand vor den Mund. Doch die Männer lachten alle.

"Das hat er sich dann auch verdient, Lynchen", gab mir Pille recht, sich die Lachtränen aus den Augen wischend.

"Genosse Oberst entschuldigen sie bitte, Sir", bat ich ihn trotzdem um Entschuldigung, weil ich über mich selber erschrocken war.

"Ach Kahlyn, die Antwort war doch passend. Wenn ich dir so frech komme, darfst du mir auch so kommen. Ich bin doch nicht der Oberstleutnant, der dich dann gleich wieder auspeitscht. Mein kleines Mädchen, das geht schon in Ordnung. Wer Wind sät, der wird Sturm ernten, sagt ein altes Sprichwort. Du musst dich nicht erschrecken, wenn du mir eine passende Antwort gibst. Im Gegenteil, das zeigt mir, dass es dir wieder besser geht. Sag mal Kahlyn, wieso hattest du vorhin schon wieder so hohes Fieber. Du sahst schlimm aus."

Verlegen fing ich mit meinen Fingern an zu spielen.

"Ach komm Lynchen, der Oberst frisst dich doch nicht", ermutigt mich Pille und legte mir vorsichtig den Arm um die Schulter und zog mich einfach zu sich heran. So dass ich mit dem Rücken an seinem Bauch saß. Walter drückte mir meinen Brei in die Hand.

"Jetzt isst Kahlyn erst einmal. Im Übrigen gefällt uns Kahlyn besser als Lyn", musste Walter noch los werden, dabei grinste er mich an.

Zum Glück hatte mir Walter nur fünfzig Gramm Nahrung gemacht. Vielmehr hätte ich gar nicht geschafft. Nach dem ich aufgegessen hatte, bekam ich noch eine große Tasse Tee. Ach wie ich das liebte.

"Kahlyn, gibst du mir die Feldflasche, dann wasche ich die aus, du bekommst dann gleich neuen Tee."

Erschrocken sah ich Walter an. Überlegte, wo ich die überhaupt war. Die hing neben dem Peilsender am Baum, die hatte ich völlig vergessen.

"Hast du sie verloren?"

"Walter nein, die hängt neben dem Peilsender am Baum. Hab die vorhin total vergessen. Ich hatte Mühe mich auf den Beinen zu halten und zum Treffpunkt zu kommen. An die Flasche habe ich gar nicht mehr gedacht. Tut mir leid Walter."

Der lachte und stand auf, ging in seine Feldküche. Griff in eine Kiste und füllte mir eine zweite Falsche.

"Kahlyn, wenn du die andere noch findest, bringe sie einfach mit. Wenn nicht, ist das nicht schlimm. Dann bestelle ich eine neue. Es gibt schlimmere Verluste."

Damit reichte er mir die neue und gefüllte Flasche, die ich dankbar, aber auch verlegen annahm. Kaum hatte ich meine Tasse leer, wollte ich los. Der Oberst bestand darauf, dass ich noch eine Tasse Tee trank. Also nahm ich auch die entgegen und stürzte sie hinter, nur um endlich los zu können.

"Kahlyn, wenn du nicht mehr kannst, dann bitte mache Schluss. Versprichst du mir das? Vor allem möchte ich, bevor du gehst, noch eine Antwort auf meine Frage."

"Genosse Oberst, ich verspreche ihnen, wenn es nicht mehr geht, komme ich zurück. Auf ihre Frage allerdings werde ich ihnen genauso wenig antworten, wie dem Doko. Ich möchte darüber einfach nicht reden. Ich bin froh, wenn ich nicht dran denke. Was passiert, wenn ich es tue, haben sie vorhin gesehen. Dann kommt sofort das Fieber wieder. Bitte lassen sie dieses Thema. Irgendwann erzähle ich es ihnen vielleicht einmal. Aber im Moment kann ich es nicht. Bei den anderen habe ich es blockieren können, nur bei mir kann ich das nicht. Bitte es ist schon schwer genug, es zu kontrollieren", stand ich ehrlich Rede und Antwort.

Wenn auch für ihn unbefriedigende Art. Doch dem Oberst reichte sie, darüber war ich froh. Ich wollte wieder los.

"Kahlyn, mit der Antwort kann ich leben. Wir haben mit deine Doko gesprochen. Es muss schlimm gewesen sein die letzen acht Wochen. Lassen wir es einfach, wie es ist. Wenn du mal reden willst, dann sage mir einfach Bescheid."

Ich nickte, sah mich nach Gosch um. Der war nirgends zu sehen.

"Genosse Oberst, wo ist Gosch? Ich will los, Sir."

"Kahlyn, der ist am Heli, etwas nachsehen, geh einfach hin. Der Drachen braucht seine Pflege", meinte der Oberst lachend.

Also stand ich auf und schnappte mir diesmal den Medi-Koffer und den Rucksack.

"Na Kahlyn, du hast wohl eine heiße Spur?", wollte Tom, der neue in der Soko war, wissen.

"Ich weiß nicht Tom. Aber ich habe so ein Gefühl, dass ich ihn bald brauchen könnte. Dann sollte er im Drachen sein. Drückt den Kindern einfach die Daumen, die können alles Glück der Welt gebrauchen. Hoffentlich habe ich sie nicht im Stich gelassen, durch mein Schlappmachen."

"Ach Kahlyn, keiner kann dir daraus einen Vorwurf machen. Den muss sich die Soko Alexanderplatz machen. Die haben es versaut, nicht du", wollte mich Tom beruhigen.

Ich hatte keine Lust auf solche Debatten, schon gar nicht jetzt. Was brachte es zu diskutieren, wer schuld und wer nicht schuld war. Ich wollte einfach nur los.

  

"Bis später", rief ich den Jungs noch über die Schulter zu.

Schon war ich aus der Halle verschwunden und lief schnell zum Drachen. An dem Gosch stand und die Scheiben putzte.

"Komm Gosch, ich will los, den Drachen kannst du hinterher putzen", bat ich den Drachenflieger.

Sofort räumte dieser das Putzzeug auf und stieg ein. Holte sich die Startfreigabe und flog in Richtung Zielgebiet.

"Gosch, nutze bitte den Peilsender, um die Stelle zu finden, wo ich aufgehört habe mit der Suche. Sag mal, wie war es vorhin an der Kreuzung, hat es gut geklappt?"

Gosch lächelte glücklich und sah mich von der Seite an. "Es ging besser als erwartet."

"Dann machen wir das jetzt noch einmal, allerdings fünf Metern über den Bäumen."

Gosch wurde ganz blass um die Nase.

"Gosch, das ist genau so, als wenn du über der Kreuzung hängst. Aber im Wald kann ich nicht abrollen. Ich muss also in die Bäume springen. Das geht maximal bis zu zehn Metern. Gosch, bitte, ich bin noch nicht wieder richtig fit. Bitte versuche es."

Gosch schüttelte den Kopf. "Täubchen, ich mache mir nicht um mich Sorgen, ich schaffe das bestimmt. Aber du bist tot, wenn du aus der Höhe in die Bäume springst. Der Oberst bringt mich um, wenn er das erfährt."

"Dann sag es ihm doch nicht Gosch. Der Oberst muss nicht alles wissen", wies ich ihm darauf hin, dass er ihm ja nicht erzählen musste. Vor allem nicht, wie ich an den Zielort komme.

"Was soll ich ihm sagen, wenn dir etwas passiert?"

"Gosch, mir passiert nichts. Vertraue mir einfach. Ich habe das schon hundert Mal gemacht."

Wir waren in der Nähe des Zielgebietes gekommen.

"Gosch, du fliegst fünf Kilometer hinter mir her, in einer Höhe von fünfzig Metern. Wie lange kannst du mir folgen?"

"Wenn ich dir nur folge circa drei Stunden, dann muss ich volltanken."

"In Ordnung, das macht so keinen Sinn. Wir machen das anders. Gosch, du fliegst zurück. Tankst den Drachen auf, kommst gegen 23 Uhr zurück und suchst mich. Ich lasse den Peilsender an, dann findest du mich. Ich denke nicht, dass ich noch sehr weit muss. Die sind irgendwo hier in der Nähe."

Gosch nickte, auch wenn er kein gutes Gefühl dabei hatte.

"Geht klar."

Ich klappte die Lehne um, kletterte nach hinten. Packte den Medi-Koffer in den Rucksack und schmiss den Rest einfach auf den Rücksitz. Die Trinkflasche steckte ich, dann doch wieder ein.

"Gosch, gehe auf fünf Meter. Bis später."

Vorsichtig öffnete ich die Tür und ging auf die Kufe. Schloss die Schiebetür von außen wieder. Klopfte kurz ans Fenster, gab so Gosch das Zeichen. Der nickte kurz, damit ich sah, dass er mich verstanden hatte. Also ließ ich mich vorsichtig an den Kufen herunter, schaukelte kurz und ließ mich fallen. Gosch zog gleichzeitig den Drachen hoch. Im Fallen, sah ich ihn wegfliegen. Schnell griff nach dem ersten Ast den ich sah und bremste so meinen Fall. Ergriff den nächsten, schon hing ich und sprang die restliche Höhe einfach nach unten. Dadurch, dass ich die Flasche an den Baum hatte hängen lassen, fand ich die Stelle sofort wieder. Ohne eine große Suchaktionen. Manchmal konnte es seine Vorteile haben, wenn man etwas durch den Wind war. Dachte ich lachend bei mir. Ich holte meine Flasche und mein Peilsender und machte kurz das Funkgerät an.

"Gosch, mir geht es gut. Keine Angst, ich bin gut unten angekommen", konnte ich meinen Drachenflieger beruhigen.

Die Erleichterung hörte man in seiner Stimme an. "Da bin ich aber froh. Bis gleich", schon hörte ich ihn weiter fliegen.

Der liebe Gosch, immer war er in Sorge um mich. Ich riss mich aus meinen Gedanken und konzentrierte mich auf die Suche nach Spuren. Schnell hatte ich die Spur wieder gefunden, folgte dieser Spur, die fast einen Tag alt war. Holte schnell auf. An einem Wasserlauf, fand ich ein weiteres Lager. Es schien so, dass die Geiseln am Ende ihrer Kraft waren. Das war eine gefährliche Situation. Immer öfter fielen sie hin und um auf diese Weise nach einer Pause zu verlangen. Hier hatten die Entführer, bis vor knapp vier Stunden gelagert, ich fand also ganz frische Spuren. Folgte ihnen über den Wasserlauf nach Osten. Immer durch den Wald. Es war kurz nach Mitternacht, als ich ein Röcheln vernahm. Danach war Ruhe. Ich lief schneller in die Richtung, das Röcheln war bestimmt einen halben Kilometer entfernt. Kein normaler Mensch, hätte es hören können. Nur weil alle meine Sinne auf Alarm gestellt waren, konnte ich das mehr erahnen, als hören. Dann war das Röcheln weg. Krampfhaft suchte ich nach Spuren. Fand einige Blutspritzer und dann eine Schleifspur.

Wut brannte in mir auf, als ich nur drei Minuten später Filisha Citlalli Shania Keynia Ortega fand. Sie wurde weggeworfen wie einen alten Gegenstand, den man entsorgen wollte. Sie lag auf ihrem Gesicht, unter einem Gebüsch. Es war das letzte Röcheln, was ich von ihr, ganz leise vernommen hatte. Ich öffnete den Medi-Koffer und versuchte das Mädchen zu reanimieren. Setzte ihr ein Röhrchen in die zerschnittene Luftröhre ein und schnitt ihr unter den Rippen, den Körper auf. Es war ein brutale Methode, allerdings die Einzige, die ich jetzt noch hatte. Ich war allein hier und hatte niemanden der mir helfen konnte. Schon einige Male, hatte ich mit dieser brutalen Methode Geiseln retten können. Griff auf diese Weise, einfach in ihren Körper und versuchte ihr Herz mit der Hand, wieder zum schlagen zu bringen. Es gelang mir, auch die Lungen fingen wieder an zu arbeiten, durch die Beatmung. Schnell untersuchte ich die Halswunde. Allerdings konnte ich nichts mehr machen, der Kehlkopf war vollkommen zerstört. Obwohl ich allein hier war und wusste, dass es sinnlos war, setzte ich das Krantonak ein, um den Kehlkopf auszuheilen. Es ging nicht, er war vollkommen zerstört. Immer wieder setzte ihr Herz aus und hörte einfach auf zu schlagen. Der Schaden am Gehirn, war durch den langen Sauerstoffmangel, einfach zu groß. Nach über einer Stunde gab ich auf und blieb eine Weile bewusstlos liegen.

Nach dem ich wieder zu mir kam, sah ich mir die Leiche des Mädchens genau an. Die Entscheidung sie gehen zu lassen, war richtig. Durch den kaputten Kehlkopf, würde sie nie wieder ein normales Leben führen können. Sie wäre den Rest ihres Lebens, ein zu pflegender Körper ohne Geist. Meinen Kameraden würde ich das niemals zumuten. Auch wenn der Oberstleutnant sie nicht töten würde. Dies war keine Lebensqualität mehr. Sie wurde mehrmals vergewaltigt, der gesamte Unterleib war blutunterlaufen. Gesicht, Arme, Beine, Rücken und Bauch waren mit tiefen Schnittwunden übersät. Es war einfach schlimm, was Jan und seine Kumpanen mit Kenyia gemacht hatten.

Ich wollte nicht, dass die Familie sie so sah. Also gab ich ihr den letzen Frieden, in dem ich sie fein machte für ihre Familie. Heilte alle ihre Wunden im Gesicht, das vollkommen zerschnitten und völlig entstellt war. Keine der Schnitte war älter als achtundvierzig Stunden. Alle waren das Ergebnis, des unüberlegten Handelns, von Oberstleutnant Rudolf. Alle anderen Verletzungen ließ ich, die Täter würden dafür bestraft werden. Nur sollten ihre Eltern sie in Erinnerung behalten, wie sie war. Es war so ein hübsches Mädchen. Weinend saß ich neben ihr. Wäre ich nur nicht in die Halle zurück geflogen. Erst vor einer halben Stunde hatte man sie brutal ermordet. Ich machte mir solche Vorwürfe. Weinte um das kleine Mädchen. Gab mir, einen großen Teil der Schuld an deren Tod. Lange hielt ich sie in den Armen. Plötzlich erinnerte ich mich an deren Bruder und daran, dass Conrad vielleicht noch eine winzige Chance hatte. Gegen meine Wuttränen kämpfend, schaltete ich das Funkgerät ein, rief weinend nach Gosch.

"Gosch, bist du in meiner Nähe. Ich brauche deine Hilfe."

"Um Gottes Willen, was ist los Täubchen."

"Gosch bitte nicht. Du hast eine Karte vom Gebiet dabei", versuchte ich ihm unter Tränen zu erklären, wo er hin muss.

"Ja, Täubchen."

"Pass auf, du fliegst nach Hangelsberg, von dort aus etwas anderthalb Kilometer nach Nordwesten, dort ist eine Rodung, dort landest du. Bitte ich will nicht reden."

Sofort machte ich den Funk aus. Räumte meine Sachen zusammen. Platzierte an der Stelle an der ich Keynia gefunden hatte, einen Peilsender für die Spurensicherung. Nahm das kleine Mädchen, nach dem ich den Rucksack umgeschnallt hatte, einfach auf die Arme. Trug diese, die siebenhundert Meter bis zu der Rodung, die ich vorhin gesehen hatte. Kaum das ich aus dem Wald getreten war, sah ich schon den Drachen stehen. Gosch kam mir entgegen und wollte mir das Mädchen abnehmen. Ich schüttelte den Kopf. Legte sie selber vorsichtig in den Drachen, dann setzte ich mich daneben und weinte.

Gosch wollte mich in den Arm nehmen. Ich wollte und konnte keine Nähe ertragen. Dabei konnte mir keiner helfen, nur ich. Der Gedanke an Conrad, trieb mich wieder hoch und brachte mich dazu, wieder klarer zu denken.

"Gosch, du fliegst die Kleine in den Stützpunkt. Kommst mit Pille in zwei Stunden hinter mir her. Du musst mich suchen. Ich muss die Spur, von denen erst wieder finden. Nur weit sind die nicht mehr gekommen. Die Geisel ist am Ende ihrer Kräfte. Große Strecken können die mit Conrad, nicht mehr laufen. Finde mich einfach, wenn ich dich brauche. Ich lasse den Peilsender an. Sag dem Oberst, Pille übergibt die Leichen, ich trete nicht vor die Familie. Das würde ihnen das Herz brechen. Es ist jetzt kurz nach 3 Uhr, ich denke, die haben fünf Stunden Vorsprung. Also beeile dich. Hole Pille, tanke den Drachen auf, dann suchst du mich. Keine Diskussion, das ist ein Befehl. Der Oberst soll mich anfunken, ich kläre das mit ihm."

Zum Drachen herum drehend, griff ich mir einen neuen Peilsender und ließ Gosch einfach stehen. Im Weglaufen, drehte ich mich noch einmal um.

"Gosch, ich habe für die Spurensicherung, einen Peilsender platziert."

Im Eiltempo jagte ich hinter Conrad her, in der Hoffnung wenigstens ihn retten zu können. Egal, was passieren würde, wenigstens der Junge musste leben. Zurück an der Stelle an der ich Keynia gefunden hatte, begann ich die Suche nach Conrad. Die Geiselnehmer hatten jetzt wieder fast fünf Stunden Vorsprung. Ich musste mich also beeilen, wenn ich nicht zulassen wollte, dass Conrad auch noch starb. Er war noch am Leben. Allerdings schien auch er schwer verletzt zu sein. Überall fand ich Bluttropfen. Mein Sprechfunkgerät, meldete sich. Ich machte notgedrungen eine kurze Pause.

"Sir, ich habe keine Zeit lange zu reden, Sir. Gosch, bringt ihnen die Leiche von Keynia. Ich denke der Bruder lebt noch. Schicken sie mir Pille mit Gosch zurück. Sobald ich den Jungen gefunden und versorgt habe, bin ich raus aus dem Fall, Sir. Ich muss weiter, das Leben von Conrad hängt davon ab, Sir."

Ich schaltete einfach das Funkgerät aus. Dies würde mir zwar Ärger einbringen, aber damit konnte ich leben. Ich hatte keine Zeit und keine Lust, auf diese sinnlosen Diskussionen. Verfolgte einfach der Spur weiter. Es war kurz vor 6 Uhr am Morgen des 28. August. Also zwanzig Tage nach der Geiselnahme der Beiden. Solange waren die Ortega Kinder durch die Hölle gegangen. Als ich die Geiselnehmer entdeckte, schlafend unweit des Ufers des Maxsees, mitten im Wald, atmete ich erleichtert auf.

Etwa neun Kilometer, von der Fundstelle Keynias entfernt, lag Conrad mitten zwischen Jan, Heiner und Arnold. Der wohl während seiner Wache eingeschlafen war.

Mit einem Griff in den Nacken, legte ich die drei Geiselnehmer schlafen. Fesselte sie mit Handschellen an den Bäumen, Füße und Hände hinterm Rücken, um den Baum herum zusammengebunden. So dass sie schlafend auf den Knien am Baum lehnten. Ich machte es ihnen richtig ungemütlich. Sie sollten sie ruhig auch etwas leiden. Gegen das, was sie den beiden Ortega Kindern angetan hatten, war das kein wirkliches Leid, dass ich ihnen zufügte.

Die Soko würde Stunden brauchen, bis sie die Geiselnehmer hier in diesem abgelegenen Waldstück finden würde und abholen konnte. Das war nicht in fünf Minuten erledigt. Erst als es die Geiselnehmer so unbequem wie möglich hatten, kümmerte ich mich um den schlafenden Conrad. Der noch schlimmer aussah, als seine Schwester. Versorgte als erst einmal notdürftig dessen Wunden. Funkte dann Gosch an.

"Gosch, hast du das Peilsignal?"

"Ja Täubchen."

"Dann komme sofort hier her, in der Nähe kannst du landen. Ich brauche eine Decke und jemand der mir beim Tragen hilft. Ich habe den Jungen. Er ist sehr schwer verletzt."

"Wir kommen."

Keine sechs Minuten später, in der Zeit hatte ich die schlimmsten Verletzungen, notversorgt und verband Conrad gerade die Augen. Damit er falls er zu sich kam, mich nicht sehen konnte. Schnell kamen Gosch und Pille angerannt. So vorsichtig wie es ging, legten wir den Jungen auf die Decke und trugen ihn zum Drachen. Dort konnte ich ihn einfach besser versorgen.

Am Heli angekommen, spritzte ich Conrad, als erstes ein starkes Schlafmittel. Das N91, das bei uns gegen Nervenfieber eingesetzt wurde. Das Medikament konnten wir auch bei normalen Menschen eingesetzt. Es hatte jedoch zur Folge hatte, dass der Patient über Stunden tief und fest schlafen mussten. Das N91 half Conrad etwas, mit dem Erlebten klar zu kommen. Vor allem ermöglichte es mir, den Jungen in Ruhe und ohne Stress zu behandeln. Ohne dass ich ihm, zusätzlich durch das Schlafenlegen, Schmerzen zufügen musste.

Ich versorgte als erstes, das schwer verletzte Auge Conrads. Diese Unmenschen hatten Conrad einfach das Augenlid aufgeschnitten, dabei wurde der Augapfel mit verletzt. Diese Verbrecher hatten dabei das Auge des Jungen, fast völlig zerstört. Widmete mich als nächstes, den schweren inneren Verletzungen. Durch Messerstiche waren Leber und Milz verletzt. Conrad hatte mehrere schwere Rippenserienfrakturen. Durch die kaputten Rippen, kam es zu einem Pneumothorax, wodurch die Belüftung beider Lungenflügel nicht mehr gewährleistet war. Da die Lunge nicht mehr ausreichend expandieren konnte. Die Folge war eine erschwerte Atmung. Zum Glück war keine der Rippen, in die Lunge getreten. Auch diese Verletzungen waren erst wenig Stunden alt. Konnten erst nach dem Tod seine Schwester, durch die Geiselnehmer entstanden sein. Versorgte über dreißig Schnittwunden an Conrads gesamten Körper. Der Junge war durch die Hölle gegangen. Mich zur Ruhe zwingend, arbeitete ich weiter. Mit jeder Verletzung die ich behandelte, wurde die Wut in mir schlimmer. Fast eine Stunde brauchte ich, um Conrads Wunden Not zu versorgen.

Dann setzte ich das Krantonak ein. Heilte als Erstes, das fast zerstörte Auge. Gerade so gelange es mir das Auge zu retten. Erleichterung machte sich in mir breit, so froh war ich darüber. Dann die heilte ich die Lunge, die Leber, die Milz. Aber auch all die Schnittwunden an Conrads Körper, beseitigte ich. Der arme Kerl hatte genug gelitten. Musste nicht noch, durch all die Narben, täglich an diese schlimme Zeit erinnert werden. Versuchte, so gut es ging, das Erlebte in Conrads Kopf abzuschwächen. Es gelang mir leider nicht mehr ganz. Da ich bin am Ende meiner Kraft angelangt war. Mühsam suchte ich, nach allen noch irgendwo vorhanden Kraftreserven, die ich finden konnte. Ich hatte sie alle aufgebraucht.

Kippte ohne Vorwarnung, für Gosch und Pille einfach zur Seite um. Wurde mitten im Krantonak ohnmächtig und blieb bewusstlos liegen. Fast zwei Stunden hatte ich gebraucht, um alle äußeren und inneren Schäden zu beseitigen. Fassungslos standen Pille und Gosch daneben, die noch nie gesehen hatten, wie ich das Krantonak angewandt habe. Vor allem noch nie dabei waren, wenn ich eine Schwerverletzte medizinisch versorgte. Gosch eilte nachdem ich bewusstlos zur Seite gekippt war, an den Drachen und funkte den Oberst an. Weil er nicht wusste, was sie machen sollten. Pille dagegen nahm mich in seine Arme.

"Willy, wir wissen nicht, was wir machen sollen. Kahlyn, hat irgendetwas mit dem Jungen gemacht, aus ihren Augen kamen rote Strahlen. Jetzt liegt sie bewusstlos neben dem Jun..."

Pille unterbrach Gosch, schrie um Hilfe.

"Neeeeeiiiiiiin .... Lyn. Gosch, hilf mir. Schnell komm her. Lynchen atmet nicht mehr."

Gosch riss sich den Kopfhörer vom Kopf und rannte zu Pille. Beide versuchten mich wiederzubeleben. Allerdings lebte ich ja noch. Ich hatte mich, weil es mir nicht gut ging, nur ins Jawefan geflüchtet, um mich schneller zu erholen. Mit keiner Silbe daran denkend, dass die Jungs das gar nicht wissen konnten und ich sie dadurch in völlige Panik versetzte. Nach fünf Minuten gaben die Beiden zum Glück auf. Weinend hielt mich Pille in seinen Armen. Gosch, ging gebrochen zum Funk. Fassungslos erstattete er mit tränenerstickter Stimme Bericht.

"Willy, sie hat es nicht geschafft, wir haben alles versucht. Wir kommen zurück. Sobald ich in der Lage bin zu fliegen", brachte er mühsam hervor, völlig neben der Spur stehend.

Vorsichtig hoben sie den schlafenden Conrad auf und legten ihn auf die Rückbank des Drachens und deckten ihn vorsichtig zu. Mich legten sie auf der anderen Seite neben Conrad. So dass ich mit meinen Kopf an seinen Füßen lag. Gosch setzte sich neben den Heli und fing an hemmungslos zu weinen. Mein Drachenflieger brauchte fast eine Stunde, um sich wieder einigermaßen zu sich zu kommen und eine Ewigkeit, bis er endlich wieder in der Lage war, zu fliegen. Pille hatte alle Mühe, den völlig aufgelösten Piloten wieder einsatzfähig zu machen. Zwang Gosch dazu, mit ihm zusammen, das Taiji zu machen, um dessen aufgeputschten Nerven zu beruhigen.

Kurz nach 12 Uhr, war Gosch endlich soweit, dass er wieder fliegen konnte. Stieg zusammen mit Pille in den Drachen und flog zurück zur Halle. Verlangte vom Oberst, dass man ihm mit zwei Tragen an den Heli brachte. Nicht einmal elf Minuten dauert der Flug vom Maxsee bis zur Halle.

Die anderthalb Stunden im Jawefan, also die Zeit die Gosch und Pille brauchten um sich zu beruhigen, hatten mir geholfen, mich wieder einigermaßen zu erholen. Kaum setzte der Drachen auf dem Landeplatz auf, kam ich langsam wieder zu mir. Noch völlig desorientiert und mit wahnsinnigen Schmerzen, merkte ich, dass mich jemand aus dem Heli heben wollte und fing an, mich zum Entsetzen der Mitglieder der Soko, zu wehren. Die ja alle in der Annahme waren, dass ich tot war. Fassungslos starrten mich die Männer an und ließen mich in Ruhe. Ich stieg aus dem Heli und lief schwankend auf den Oberst zu, um Meldung zu mache. Gewohnheitsgemäß griff ich nach dessen Handgelenk, an dem ich die Uhr erblickte.

"Sir, Einsatz um 12 Uhr 34 erfolgreich beendet, Sir. Filisha Citlalli Shania Keynia Ortega, konnte ich leider nur noch tot bergen, Sir. Eine Reanimation war leider nicht mehr möglich, Sir. Den Bruder Tlacaelel Xolotl Diandro Conrad Ortega habe ich lebend gefunden, Sir. Er sollte jedoch dringend einem Arzt vorgestellt werden, Sir. Conrads Körper, war mit siebenunddreißig tiefen Schnittwunden übersät, alleine im Gesicht hatte er neun tiefe Schnittwunden, eine davon am Auge, Sir. Sein rechtes Auge konnte ich nur, mit Müh und Not wiederherstellen, Sir. Lunge, Leber, Milz wiesen durch Schläger und Messerstiche, schwerste Verletzungen auf, Sir. Außerdem hatte Conrad einen Pneumothorax, durch mehrere Rippenserienbrüche, die ich ebenfalls ausgeheilt, Sir. Das Schädel-Hirn-Trauma ebenfalls, Sir. Bis auf die psychischen Schäden ist alles wieder in Ordnung, Sir. Die Geiselnehmen sind sehr unbequem an Bäume gefesselt, lassen sie sich bitte sehr viel Zeit mit der Abholung, Sir, die können ruhig noch etwas leiden, Sir. Kann ich mich bitte für eine Stunde hinlegen, Sir, mir geht es gerade nicht so gut, Sir. Damit haben sie den Einsatz, wieder in Ihren Händen, Sir", schloss ich den Einsatzbericht ab und brach einfach zusammen.

Ohne die Antwort vom Oberst noch mitzubekommen. Pille kam sofort angelaufen und nahm mich auf den Arm. Der Oberst und alle anderen von der Soko, starrten mich ungläubig an. Pille trug mich in die Halle und nach hinten, zum meinem Schlafplatz. Er legte sich mit mir zusammen hin und zog mich in seine Arme. Liebevoll streichelte er immer wieder mein Gesicht. Hörte ungläubig auf jeden meine Atemzüge. Genau eine Stunde schlief ich. Plötzlich wurde ich munter, mit einer unsagbaren Wut in mir. Etwas, dass ich nicht verstehen konnte. Sah Pille traurig an und stand wortlos auf. Lief zu meinen Sachen. Pille folgte mir völlig durcheinander. Ich ging einfach auf den Oberst zu.

"Sir, kann mich Gosch nach Hause fliegen, Sir. Sie wissen meine Freunde sind krank, die brauchen mich, Sir. Hier kann ich nichts mehr tun, Sir. Den Rest muss Pille machen, bitte, Sir."

"Kahly…"

Als der Oberst etwas sagen wollte, brüllte ich ihn an. "Sir, kann man nur ein einziges Mal, das machen, was ich gern möchte, Sir. Darf ich nicht auch einmal einen Wunsch äußern und zwar ohne endlose Diskussionen, Sir. Ich kann auch nach Hause laufen, Sir", wutentbrannt sah ich den Oberst an.

Verwundert schüttelte er den Kopf. "Gosch, fliege Kahlyn nach Hause."

Erleichtert drehte ich mich um und lief aus der Halle. Ohne Abschiedsgruß, ohne zu duschen, ohne noch ein Wort zu sagen. Fassungslos sahen mir die Männer, vor allem aber Gunther hinterher, der noch mit mir reden wollte. Ich war allerdings nicht mehr ansprechbar.

Gosch kam hinter mir her gerannt. "Täubchen, warte doch auf mich."

Diese verdammte Wut die ich in mir hatte, konnte ich kaum bändigen. Am liebsten würde ich etwas zerschlagen. Mit nichts konnte ich mir diese Wut erklären. Ja ich war wütend auf die Geiselnehmer und auch wütend darüber, dass ich Keynia nicht retten konnte. Aber dies reichte nicht, um diese unsagbaren Wut in mir auszulösen. Was war nur los mit mir? Fragte ich mich immer wieder. Dabei lief ich einfach zum Drachen, ohne eine Reaktion. Hätte ich auch nur ein Wort gesagt, hätte ich Gosch angebrüllt. Aber der konnte überhaupt nichts für meine Wut.

Gosch öffnete den Heli und ich stieg ein. Rollte mich sofort auf den Sitz zusammen. Gosch holte sich die Startfreigabe und flog los, in Richtung Schule. Kein einziges Wort sprach ich mit ihm, stellte mich einfach schlafend. Ich wusste einfach nicht, was mit mir los war. Mir tat jeder einzelne Knochen weh. Noch nie ging es mir nach dem Jawefan, so schlecht, wie an diesem Tag. Kaum waren wir auf dem Schulgelände gelandet, kam mir auch noch der Oberstleutnant entgegen. Ich stieg grußlos aus dem Drachen und sah zu Mayers Füßen. Signalisierte ihm so, dass ich Meldung machen wollte.

"98, das hat ja ewig gedauert. So lange kann man doch nicht zwei Kinder suchen. Sprich."

"Sir, ich habe die Ortega Kinder gefunden. Das Mädchen war leider schon tot, der Junge hat überlebt, Sir. Die Geiselnehmer sind festgenommen und werden von der Soko Tiranus, den zuständigen Behörden übergeben, Sir. Damit ist der Einsatz erfolgreich beendet, Sir."

Böse sah mich der Oberstleutnant an. "Wieso ist das Mädchen tot? Sprich, 98."

"Sir, ich habe versucht sie zu reanimieren, Sir. Der Schaden an ihrem Gehirn, durch den langen Sauerstoffmangel war irreparabel, Sir, genau wie die Zerstörung der Kehlkopfes, Sir. Tut mir leid ich konnte nichts mehr machen, Sir."

Wütend rastete der Oberstleutnant aus und schlug wütend auf mich ein. "Hast du wieder einmal versagt, du gottverfluchte Missgeburt. Habe ich dir nicht den Auftrag gegeben, dass du die Kinder lebend zu finden hast. Sprich du kleine Kröte."

Ich blieb an Ort und Stelle stehen, ließ die Schläge über mich ergehen, die mit einer ungeheuren Wut ausgeführt wurden.

"Sir, ja, Sir. Ich habe versagt, Sir. Es tut mir leid, Sir."

Versuchte ich mich zu entschuldigen. Auf einmal entdeckte der Oberstleutnant den Piloten, der fassungslos mit ansehen musste, wie mich der Oberstleutnant behandelt.

"Was glotzt du so, sehe zu, dass du hier Land gewinnst. Fliege zu deinem Oberst zurück, du elendes Pilotenschwein", brüllte er jetzt auch noch meinen Gosch an.

Der Oberst schüttelte den Kopf und stieg ohne ein Wort dazu zu sagen, in den Drachen. Sofort holte er sich die Starterlaubnis und flog zurück zur Soko.

Oberstleutnant Mayer dagegen, führte mich auf den Hof, hängte mich an die Mauer und nahm mir die Brille weg. Drei Tage musste ich dort hängen. Immerhin blieb mir das Auspeitschen dieses eine Mal erspart. Erst danach ließ er mich nach unten und schickte mich zum Doko, zur Versorgung meiner Augen. Kaum, dass ich wieder in dem Raum war, musste ich zum nächsten Einsatz. 

Kapitel 10


Müde saßen wir im Flieger. Die Piloten der Antonow An-8, Oberst Melker und Oberst Neugebauer, schauten ständig nach uns. Da wir, von einem besonders schlimmen Einsatz kamen, wie so oft in den letzten beiden Monaten, ohne jegliche Begleitung. Allerdings stellten sie beruhigt fest, dass ich alle schon versorgt hatte. Nur meine Verletzungen musste der Doko noch behandeln, an die trauen sich meine Freunde wieder einmal nicht heran. Also halfen mir Jaan und Rashida durch Druckverbände, die Verletzungen ertragbar zu machen. Ich bekam, wie die anderen auch, eine Salve aus Maschinengewehren ab, da wir in einen Hinterhalt geraten waren.

Wie so oft, hat die Aufklärung nicht gut gearbeitet. Das würde mir nie wieder passieren. Ab sofort, verließen wir uns nur noch auf eigene Beobachtungen und begutachteten in Zukunft selbst noch einmal das Terrain, damit so etwas nicht mehr passieren konnte. Mir war jetzt langsam egal, ob es dem Oberstleutnant passte oder nicht, es waren unsere Schmerzen und nicht seine. Ich konnte zwar den meisten Kugeln ausweichen, aber leider nicht allen. Der Doko musste dann noch einige der Kugeln aus meinem Körper holen, am Rücken konnte ich das nicht selber machen. Die Verletzungen waren nicht schlimm, die Schmerzen durch die Druckverbände, konnte ich mir einfach wegspritzen.

Wir genossen die Ruhe. Einmal nicht das Gebrülle von Mayer ausgesetzt zu sein, war etwas Schönes. Vor allem nicht ständig, wegen Fehlern die Andere gemacht hatten, zusammengestaucht zu werden. Das Gebrüll von Mayer hatte in den letzten Monaten, wieder extrem zugenommen. Ein deutliches Zeichen dafür, dass Mayer wieder mehr trank, als er vertrug. Der Oberst oder musste ich jetzt wieder Oberstleutnant sagen? Egal dann halt noch Oberst Mayer, war im Moment bei keinen der Einsätze mehr dabei, zum Glück. Bei vielen der Einsätze in den vergangen drei Jahren, war es kaum noch zum Aushalten gewesen. Deshalb wurde Oberst Mayer, von Generalmajor Hunsinger zurückgepfiffen, bekam ein Disziplinarverfahren und wurde im Anschluss daran, sogar degradiert. Die erst vor einem halben Jahr ausgesprochene Beförderung, zum Oberst, bekam er vor zwei Monaten, wieder aberkannt. Zu schlimm hatte er sich, bei seinem letzten Einsatz im August 1968 gehen lassen. Nur, leider war es so, dass wir später wieder alles abbekommen würden. Diese Erniedrigung würde er sich nicht einfach gefallen lassen.

Damals war es schlimm. Die Eskalation im Passagierraum war so arg, dass es sogar die Piloten im Cockpit mitbekamen. Beim Rückflug aus China flippte Mayer komplett aus. So extrem, dass die Piloten deshalb die Notbremse ziehen mussten. Wieder einmal sagten uns die Piloten, dass es eine Unmöglichkeit war, was Mayer mit uns abziehen würde. Oberst Melker landete deshalb, nach dem Einsatz in der VR China, die Maschine auf einem russischen Militärflugplatz, in der Nähe von Wladiwostok und übergab den wieder einmal sturzbetrunkenen Oberst Mayer, dem dortigen befehlshabenden Offizier, in Handschellen. Ließ Mayer mit einer gesonderten, für medizinische Notfälle ausgestatteten Maschine, nach Berlin fliegen. Melker konnte es nicht verantworten, diesen durch geknallten Irren, wie er Mayer bezeichnet hatte, in der gleichen Maschine zu befördern, wie uns. Mayer ermordete nach diesem Einsatz, vier meiner Kameraden, ohne jeglichen Grund. In dem er, auf frische genähte oder noch nicht vollständig behandelte Wunden schlug. Er zog sogar die Waffen im Passagierraum, um einige von uns zu erschießen.

Und das nur, weil wir alle vor dem Einsatz, von den dortigen Shaolin Mönchen trainiert und in einige neue Kampftechniken ausgebildet wurden. Das war für diesen Einsatz sehr wichtig, es ging hier darum, leise zu agieren. Es sollte zu keinem Blutvergießen kommen. Wir sollten den Abt des Tempels, aus den Händen eines verfeindeten Shaolin Tempels befreien. Dass der Einsatz, deshalb drei Tage länger dauerte als ursprünglich vorgesehen, machte Mayer dermaßen wütend, dass er sich komplett vergaß und zu solchen extremen Mitteln griff.

Dass wir durch diese Ausbildung besser wurden, interessierte den Oberst nicht. Außerdem, was hätten wir machen sollen? Die Mönche wollten sich uns gegenüber dankbar zeigen, weil wir ihnen halfen, ihren Abt oder Meister, wie immer man dies nannte, aus einer misslichen Lage zu befreien. Ohne, dass es in einen offenen Kampf und in einer über Jahre dauernde Blutfehde endete. Der zu einem großen Zwist, zwischen den beiden Shaolin Tempeln geführt hätte. Das hätte einen über Jahre dauernden blutigen Kleinkrieg zur Folge gehabt.

Dadurch, dass wir Meister Xu, auf eine völlig unblutige Art gerettet hatten, wurde das sogar mit Anerkennung durch den anderen Tempel akzeptiert. Man setzte sich im Anschluss hin und legte die Streitpunkte offen. Sprach sich endlich aus und beschloss in der nahen Zukunft enger und vor allem friedlich zusammenzuarbeiten. Etwas, dass der für diesen Fall zuständige Einsatzleiter, nicht mehr für möglich gehalten hatte.

Der Oberst Mayer begleitende chinesische Offizier, Oberst Zhang, hatte uns auf den Hinflug extra darauf hingewiesen, dass wir den Shaolin Mönchen, unseren Respekt zollen sollten. Der Oberst wurde uns zugewiesen, um uns in die Gepflogenheiten eines Shaolin Tempels einzuweisen. Da er den Tempel sehr gut kannte. Zhang verbrachte an diesem Ort seine Jugend und bekam dort auch seine Ausbildung. Kannte durch seine Ausbildung im Tempel, die ortsüblichen Abläufe am besten. Oberst Zhang war überrascht, wie diszipliniert und höfflich wir waren. Er sollte eigentlich als Dolmetscher und Vermittler fungieren, begriff aber sehr schnell, dass das nicht notwendig war.

Rina und Raiko lernten die Sprache innerhalb von nur wenigen Stunden, fließend und fehlerfrei zu sprechen. Selbst das Lesen, von diesen eigenartigen Schriftzeichen, erlernten die beiden innerhalb von nur wenigen Tagen. Etwas, dass ich bei den beiden schon immer bewunderte und es war für mich absolut nicht nachvollziehbar. Ich hatte schon Schwierigkeiten, mir unbekannte deutsche Worte auszusprechen. Zhang rechnete nicht damit, dass eine Spezialeinheit, so offen für fremde Traditionen sein konnte. Vor allem aber nicht, dass eine Gruppe Kämpfer, anderen Gebräuche so bedingungslos akzeptieren würden. Deshalb kam er schon Wochen vor dem geplanten Einsatz an unsere Schule, um uns auf diesen Einsatz ganz gezielt vorzubereiten.

Es war das vierte Mal in nur einem Jahr, dass der Abt des Tempels entführt wurde. Das musste ein Ende haben, damit Ruhe in die Region kam. Als wir Zhang unsere Augen zeigten und er mitbekam, wie uns Oberst Mayer ständig bezeichnete und vor allem behandelte, begriff er unsere Einstellung. Er verstand, dass wir genau wussten, dass es schlimm war, von anderen nicht akzeptiert zu werden. Mayer benutzte wie so oft, seine üblichen Schimpfwörter für uns, wie Tier, Missgeburt, abartige Kreatur, Stinktiere. Er konnte einfach nicht mehr aus seiner Haut. Oberst Shang konnte nicht begreifen, nach dem er sich von Rina und Raiko diese Worte hatte erklären ließ, dass wir uns solch eine Behandlung gefallen ließen.

Er erzählte Raiko, dass die Ausbildung, die er genossen hatte, sehr schwer war. Dass die Ausbilder alles andere, aber nicht nett mit ihnen umgegangen waren. Aber so eine Behandlung gäbe es in der chinesischen Armee nicht. Das selbst die Ausbildung im Shaolin Tempel zwar hart, aber immer freundlich gewesen war. Als er dann bei einem Fobnekotar Training meinen Rücken sah, war er fassungslos. Nur bei bestimmten Kriegerclans, zum Beispiel den Samurai, im tiefen Mittelalter, hätte man solche barbarische Methoden benutzt. Das auch nur, um ihre Krieger gefügig zu machen und auch, um sie abzuhärten. Dass solche Methoden heute noch angewendet wurden, konnte er nicht glauben.

Raiko und Rina, die beiden Dolmetscher, mit denen er sich viel in Chinesisch unterhielt, erklärten Zhang: dass alle im Team so aussehen würden, wie Kahlyn. Dass ihre Teamleiterin die Fähigkeit hatte, die Narben wegzumachen. Zhang schüttelte fassungslos den Kopf und sah Oberst Mayer eigenartig an. Daraufhin fragte er Raiko, was der Oberst für ein Mensch sei? Schallend lachten wir in der Verbindung, über Raikos Antwort.

"Er ist halt der Oberst Mayer, Sir. Bei ihm muss man immer damit rechnen, Sir, ausgepeitscht zu werden, Sir. Das gehört zur Ausbildung, Sir. Wie er uns immer erklärte, Sir. Nur wer Schmerzen kennt, Sir, würde lernen zu gehorchen, Sir."

Kopfschüttelnd beobachtete Zhang, wie Oberst Mayer uns auf dem Flug behandelte und auch auf dem Weg zum Tempel. Oh wie oft dachten wir an diesen Einsatz zurück. Er war einzigartig. Fast könnte man sagen, er war der schönste Einsatz, den wir je hatten. Wäre Mayer nicht gewesen, der zum Schluss alles zerstört hatte, könnten wir jeden Tag davon träumen. Auch wenn der Schluss traurig war, erinnerte ich immer noch gern dran zurück. Er tat unseren Seelen gut.

Ich ließ meine Gedanken zurück gleiten zu diesem Einsatz und lehnte mich mit den Rücken an die Bordwand, träume mich hinein, in eine wunderschöne und gute Erinnerung. Vielleicht half es mir einzuschlafen.

 

Nach der Ankunft im Shaolin Tempel, verschwand Oberst Zhang sofort mit dem für den Tempel verantwortlichen Meister Ho, in einen der vielem Gebäuden des Tempels. Der in den westlichen Ausläufen des Songshan-Gebirges, in der Provinz Henan, erbaut wurde. Oberst Mayer ließ uns am Rand des Übungsplatzes antreten. Einen Meter von der Wand, die Beine so, dass sie parallel zu den Hüften standen, die Hände auf den Rücken, den Kopf leicht gesenkt, so dass man gerade noch die Umgebung beobachten konnte.

"Rührt euch", war für lange Zeit sein letzter Befehl.

Daraufhin folgte er Oberst Zhang und Meister Ho in das Gebäude. Kam mit den beiden erst nach vier Stunden später zurück. Zhang und Ho waren erstaunt darüber, dass wir nach dieser langen Zeit immer noch am selben Platz standen und uns nicht einen Millimeter bewegt hatten. Sie sahen uns fassungslos an. Obwohl uns Oberst Mayer erlaubt hatte uns zu rühren, standen wir wie immer schweigend am selben Platz. Der Befehl. "Rührt euch.", bedeutete für uns nur, dass wir uns auf eine lange Wartezeit einstellen mussten. Diesmal war dieses allerdings nicht schlimm, da wir viel zu sehen hatten. Die Mönche, die uns während unseres Aufenthaltes Obdach gaben, konnten nicht begreifen, dass wir solch eine Disziplin an den Tag legten. Selbst ihre Schüler, hätten das nicht geschafft. Oberst Zhang der für die Mönche das dolmetschen übernahm, übersetzte auch die Schimpfwörter, die Oberst Mayer für uns benutzte. Für die Mönche war es erschreckend, dass man ihnen Kinder für diese schwierige Aufgabe geschickt hatte. Sie wollten nicht, dass wir diesen gefährlichen Auftrag ausführten. Auch wenn man uns dafür extra eingeflogen hatte. Deshalb befahl uns Oberst Mayer, in seinem eisigen launischen Ton, den er seit einigen Monaten wieder benutzte. Dass wir uns einen kleinen Kampf liefern sollten.

"Aya, Mila, Andi, Jaan, Rafik, Saida, Kami, Erja, Jiro, Nairi und Kahlyn, zeigt was ihr könnt, ihr Missgeburten. Ihr Großen zusammen gegen diesen kleinen Bastard. Ein bisschen Beeilung."

Also zehn gegen mich. Diese Kampftechnik hatte sich Mayer bei unserem Training abgesehen und ließ uns das schon einige Male, bei Showkämpfen für das Institut machen. Fand das alles immer drollig, wie er das nannte. Wenn ich meine Kameraden, die um so vieles größer waren als ich, auf den Boden legte. Also zogen wir die Bänder über die Augen, gaben die Brillen und Waffen ab.

Wir begannen mit unserem den Kampf. Diesmal spielten wir nicht miteinander. Wir hatten in den vier Stunden beobachten können, dass diese Mönche fast perfekte Kämpfer waren. Die Mönche mussten wissen, wie gut wir wirklich waren, um uns zu vertrauen. Nach einer Minute, die wir nutzten, um in die Taiji-Atmung zu kommen, begannen wir mit dem Kampf. Wir hatten uns aber alle auf Training programmiert und begannen eine kleine Trainingseinheit. Nach zehn Minuten, bat uns Oberst Zhang aufzuhören. Erklärte Oberst Mayer, dass Meister Ho, einen Kampf von dem kleinen Mädchen und einen seiner Schüler sehen wollte. Erschrocken sah ich Oberst Zhang an und trat auf Raiko zu. Ich erklärte ihm leise, dass ich gegen diese Kämpfer nur kämpfen konnte, in dem ich mich auf einen richtigen Kampf einstellen würde. Ein Trainingskampf wäre hier nicht möglich. Da diese Kämpfer einfach zu gut waren. Ich mich nur in der Kampfeinstellung verteidigen konnte. Ich informiert Oberst Zhang davon, dass dies nicht ohne Verletzungsgefahr, für den Kämpfer ging. Verwundert kam Zhang auf mich zu.

"Kahlyn, wieso musst du dich auf Kampf einstellen? Warst du das eben nicht?"

Ich schüttelte den Kopf. "Sir, nein, Sir. Das was sie eben gesehen haben, war eine kleine Trainingseinheit, Sir. Ich trainiere meine Leute seit vielen Jahren, Sir. Ich weiß wie sie kämpfen, Sir. Das, was ich eben hier beim Warten gesehen habe, Sir. Macht mir deutlich, dass die Leute hier gut sind, Sir. Wir aber, eine ganz andere Kampftechnik nutzen. So dass wir in etwa gleich stark sind, Sir. Auch, wenn ich wesentlich schneller bin als die Kämpfer hier, Sir. Kann ich diesen Kampf nur bestehen, wenn ich mich auf Kampf einstelle, Sir. Dabei kann ich aber nicht versprechen, dass der Kämpfer unverletzt bleibt, Sir."

Ernst sah ich Oberst Zhang an. "Kahlyn, wie kämpft ihr dann, wenn ihr nur, wie sagte eurer Schularzt, mit einander spielt?", lachend sah ich Zhang an und zuckte, ohne es zu merken, mit den Schultern.

Was mir eine sofortige böse Rüge von Mayer einbrachte. So kam ich gar nicht dazu, etwas zu erklären. Mayer brüllte mich schon an.

"Du kleine Missgeburt, was soll das? Was soll dieses Schulterzucken? Kannst du Oberst Zhang nicht ordentlich antworten, du verdammte kleine Kröte."

Sogleich holte er zu einem harten Schlag aus. Mayer war stinksauer und schlug mir voll in den Magen. Er war es nicht gewohnt, die dritte Geige zu spielen. Hier bei diesem Einsatz, stand er stets hinten an und wurde einfach nicht beachtet, vor allem aber nicht für voll genommen. Nie wurde er nach seine Meinung gefragt. Man unterhielt sich nur mit uns, abartigen Kreaturen, statt mit ihm. So etwas konnte unser feiner Oberst, nicht leiden. Solange er im Mittelpunkt stand, war er einigermaßen zu genießen. Aber nicht, wenn er an die Seite gedrängt wurde. Schon gar nicht, wenn das durch uns geschah. Das machte ihn fuchsteufelswild und regte ihn maßlos auf. Er musste einfach Wut ablassen. Wer war dazu besser geeignet als ich. Dieser Schlag machte mir nicht wirklich etwas aus, seit dem Mayer, wieder so schlimm trank, hatte seine Kraft wirklich sehr nachgelassen.

Im gleichen Moment als Mayer zuschlug, bekam er auch schon Ärger mit Oberst Zhang, der bis jetzt nichts gegen die Beschimpfungen, gesagt hatte. Dass Mayer das kleinste Mädchen in der Gruppe, einfach so ohne Grund schlug, ließ er nicht zu. Agierte wahrscheinlich schneller, als er denken konnte. Genau wie der neben mir stehende, Meister Ho. Der genau wie Oberst Zhang, gegen Mayer vorging. Beide verpassten Mayer fast gleichzeitig, einen kurzen, aber sehr schmerzhaften Schlag. Auf einmal kniete Oberst Mayer, wimmernd vor mir. Er hatte zwei gutgezielte Schläge, von Oberst Zhang und Meister Ho, in den Magen abbekommen. Das ging uns allen runder wie Öl, würde unser Doko sagen. Es tat so gut, ihn mal wimmernd, am Boden zu sehen. In der Verbindung sagte ich zu Rashida.

"Schade, dass der Schlag nicht von uns stammte."

Rashida wie auch alle anderen lachen sich schlapp. Es tat uns allen gut. Als Meister Ho jedoch, seinen Leuten befahl, so übersetzte uns Raiko in der Verbindung, "Bringt diesen Unmenschen weg, sperrt ihn in eine Zelle", wurde uns allen allerdings schlecht. Wir würden wieder die ganze Wut von Mayer abbekommen. Das konnte ich nicht zulassen. Deshalb trat ich unaufgefordert, auf Oberst Zhang zu.

"Bitte Sir, verhindern sie das, Sir. Wir müssen das dann wieder ausbaden, Sir."

Ernst sah ich den Dolmetscher an. Oberst Zhang ahnte, dass ich die Wahrheit sprach. Das war das erste Mal, dass ich ohne Aufforderung aus der Reihe trat, um zu sprechen. Hier ging es um die Sicherheit und Gesundheit meiner Leute. Da durfte ich das. Kurz sprach Zhang mit Meister Ho, der bat daraufhin seine Leute darum, Oberst Mayer in sein Quartier zu bringen.

"Sir, danke, Sir", wandte ich mich an Zhang und trat zurück in die Reihe.

"Kahlyn, du kannst mir nicht erklären, wie dein Doktor das meint mit dem spielen?"

"Genosse Zhang, nicht wirklich, Sir. Es ist so, dass wenn wir gegen unsere Trainer oder dem Doko richtig kämpfen würden, lägen diese nach jedem Kampf auf der Krankenstation. Keiner, kann unsere Schläge wirklich parieren, weil wir einfach zu schnell sind, Sir. Die Kämpfer hier sind allerdings wirklich gut, Sir. Es wird schwer werden, gegen so gute Kämpfer zu kämpfen, Sir, wie im Training, Sir. Nur im richtigen Kampf haben wir dann keine Probleme, Sir. Allerdings kann ich dabei nicht garantieren, dass ich niemanden verletzte, Sir. Diese Kämpfer hier haben eine sehr gute Technik, Sir. Die würde ich gern lernen, vor allem sind sie sehr schnell, Sir. So schnelle Schläge habe ich bis jetzt, nur von ganz wenigen Kämpfern gesehen, Sir", antwortete ich ihm aufrichtig.

Oberst Zhang verstand, was ich meinte. "Kahlyn, diese Technik benötigt Jahre, um perfektioniert zu werden. Ich selber war über dreiundzwanzig Jahre hier in diesem Tempel. Ich bin mit fünf Jahren als Waise hier her gekommen. Die Kämpfer die ihr hier beobachtet habt, sind alles Sifu. Also das, was ihr als Betreuer oder Lehrer bezeichnen würdet. Es sind die besten, der Besten. Habe keine Angst, sie können mit einer Verletzung umgehen. Oder besteht die Gefahr, dass du sie tötest?"

Ich wackelte mit dem Kopf. "Sir, eigentlich nicht, Sir. Solange ich den Kampf unter Kontrolle halte nicht, Sir. Ich werde meinen Leuten auch befehlen einzugreifen, falls ich die Kontrolle verliere, Sir", traurig sah ich ihn an. "Sir, verzeihen sie bitte, Sir. Auch wenn ich jetzt schon seit vielen Jahren kämpfe, Sir. Ich kann nie genau sagen, wie ein Kampf wirklich verläuft, Sir. Ich werde mich auf Verteidigung programmieren müssen, Sir. Jedoch, wenn es, gefährlich für mich wird, Sir. Dann überwiegt mein Lebenswille, Sir. Dann schalte ich automatisch auf töten um, Sir. Darauf habe ich keinen Einfluss, Sir. Wir kämpfen in einem Kampf nur, um zu Überleben, nicht um miteinander zu spielen, Sir."

Erklärte ich so genau wie nur möglich, das Dilemma, in dem ich mich befand. Raiko und Rina, die für die Umstehenden übersetzt hatten, bekamen, genau wie ich, ungläubige Blicke. Meister Ho nickte allerdings. Scheinbar hatte er begriffen, was ich meinte.

"Du kämpfst gegen mich."

Ließ er von Oberst Zhang übersetzten. Erschrocken sah ich mich um. Nicht weil ich Angst um mich hatte, sondern um Meister Ho. Aber es war nun beschlossen. Ich musste es nehmen, wie es war. Oberst Zhang erklärte uns im Flugzeug, dass das Wort des Meisters Gesetz war. Keiner durfte daran herum diskutieren. Deshalb drehte ich mich zu meinen Leuten um, befahl laut und klar hörbar, für die Dolmetscher.

"Rashida, Miwa, Andi, Goro, Jaan, Kimi, ihr sechs verteilt euch um den Kampf. Ihr greift sofort ein, wenn ihr merkt, dass der Kampf außer Kontrolle gerät."

Teilte damit meine besten Nahkämpfer, für die Verteidigung von Meister Ho ein. In der Verbindung gab ich allen Bescheid. "Ich lasse die komplette Verbindung offen, damit ihr jeden meiner Gedanken hört", laut fuhr ich fort, nach dem ich tief durch geatmet hatte. "Ihr beschützt mit eurem Leben, das Leben von Meister Ho. Bringt ihn aus der Gefahrenzone und von mir weg, wenn es aus dem Ruder läuft. Der Rest drängt mich zurück. Das ist keine Bitte, sondern ein Befehl. Rashida, Miwa, Andi, Jaan, ihr vier legt mich. Sobald Meister Ho, aus der Gefahrenzone heraus ist", befahl ich, so dass auch Oberst Zhang es für die umstehenden übersetzen konnte.

Schallendes Gelächter bekam ich von Seiten der Sifu, der Lehrer die gerade trainiert hatten. Aber auch von Oberst Zhang, der seinen alten Lehrer, leider überschätzte. Nur Meister Ho lachte nicht, er hat die Gefahr erkannt. Auch wenn diese Kämpfer hier gut waren, hatten sie gegen mich kaum eine Chance. Sie wussten überhaupt nicht, wie schnell ich wirklich war. Traurig sah ich meine Leute an. Warum nur unterschätzt man mich immer, ging es mir durch den Kopf.

"Kahlyn, bleib ruhig, wir beschützen Meister Ho. Mache dir lieber Sorgen um dich. Der ist wirklich gut", riet mir Jaan in der Verbindung, in der ich ihm antworte.

"Jaan, das weiß ich doch. Nur habe ich Angst ihn zu verletzten. Zieht mich lieber zu früh, als zu spät von ihm weg. Um mich habe ich keine Angst, mit den Rippenbrüchen kann ich leben."

Ich drehte mich nochmals an Meister Ho um. "Sir, habe ich fünf Minuten Zeit, um meine Leute und mich selber, auf den Kampf vorzubereiten, Sir? Lieber wäre mir allerdings eine Stunde, aber fünf Minuten, reichen mir auch schon, Sir."

Meister Ho kam mir sehr entgegen. "Eine Stunde."

Dankend hob ich die Hände, zum Shaolin-Gruß. In dem ich die rechte Hand, offen in der Tigerhandhaltung hielt. Die linke Faust, waagrecht dagegen lehnte und mich vor Meister Ho verbeugte. Hierbei wurde das Prinzip des Yin und Yang, beziehungsweise das Yam und Yeung, im offenen und geschlossenen eingebunden. Zeigte ihm auf diese Weise, dass ich keine Waffe trug, ihn nicht töten wollte. So hatte es mir Oberst Zhang im Flieger erklärt. Oft wurde dieser Gruß falsch herum gemacht. Die Krieger, Soldaten, legten stets die rechte geschlossene Faust, an die linke offene Hand. Da man die Waffen in China, selbst zum Gruß nicht aus der Hand legte. Da diese Waffen nach chinesischer Denkweise, untrennbar mit dem Besitzer verbunden waren. In dem man die offene linke Hand an die geschlossene rechte Faust lehnte, symbolisierte man Friede und den guten Willen. Die offene linke Hand kommt vom Herzen, welche an der Rechten der Schlaghand ruht. Egal ob rechts oder links, beides war ein Ausdruck von Respekt und Höflichkeit. Lächelnd grüßte Meister Ho zurück.

"Kommt bereiten wir uns auf den Kampf vor. Wir machen fünf Minuten Taiji, anschließend zwei Zyklen Fobnekotar. Zu mehr haben wir keine Zeit."

Sofort stellten wir uns in einem Block auf, legten unsere Waffen und Brillen ab und zogen die Stirnbänder über die Augen. Ich trat noch einmal auf Oberst Zhang zu.

"Sir, bitte sorgen sie dafür, dass wirklich niemand an unsere Sachen geht, das könnte in einen Kampf ausarten, Sir. Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand dabei schwer verletzt wird, Sir. Wir machen diese Übungen stets während des Kampfes, sind dabei aufs töten eingestellt, Sir."

Dieser nickte und gab auf Chinesisch einen Befehl. Schon war ich auf meinen Platz und atmete mich ins Taiji. Begann mit fünf Minuten Taiji.

Mit den laut ausgesprochenen Worten, "Zurien, we Jawen Fobnekotar. – Beginnen wir mit zwei Zyklen Fobnekotar", eröffnete ich das Training, um uns warm zu machen.

Nach zwei Zyklen beendeten wir das Fobnekotar. In dem wir über das Taiji ausatmeten. Alle zogen ihre Sachen wieder an. Wir ließen alle unsere Bänder auf den Augen, die Brillen steckten alle in die am Gürtel befindliche Tasche. Meine Waffen, den Overall, aber auch meine Brille, sowie den Medi-Koffer, übergab ich, wie immer in solchen Fällen, Raiko zur Aufbewahrung. Stellte mich in die Mitte des Hofes, auf dem wir uns befanden, um auf Meister Ho zu warten. Der eine Minute später im Hof erschien. Da ich mich vollkommen auf den bevorstehenden Kampf eingestellt hatte, nahm ich nicht die erschrockenen Blicke der Männer wahr, die meinen vernarbten Körper musterten. Meister Ho jedoch, genau wie ich auf einen Kampf eingestellt, ging auf mich zu grüßte mich. Er verbeugte sich vor mir und ich tat dies ebenfalls. Weder Ho noch ich, ließen uns aus den Augen.

Sogleich begann unseren kleiner Übungskampf. Mit schnellen Schlägen und Tritten in einer ungewöhnlichen Kampftechnik, begann mich Meister Ho anzugreifen. Ich hatte extreme Probleme, diesen Schlägen auszuweichen. Das erste Mal in meinem Leben, musste ich alles geben, um mich in einem Trainingskampf zu verteidigen. Noch niemand, hatte mich je so gefordert. Meister Ho war mehr, als nur gut. Mir machte der Kampf richtig Spaß, fast eine Stunde kämpften wir zwei schon zusammen. Ich war so auf den Kampf konzentriert, dass ich nicht merkte, dass ich in den Blutrausch verfiel.

Auf einmal ging die gesamte Gruppe auf mich los und trieb mich zurück. Ich ging gegen meine eigenen Leute vor. Kämpfte immer verbissener, um den Sieg. Plötzlich durchfuhr ein stechender Schmerz meinen Körper, das Licht nahm mir einen Moment den Atem. Jaan, hatte mir in einem günstigen Moment, das Band von den Augen gezogen und Miwa und Andi legten mich. Rashida, die einzige meiner Freunde die so viel Kraft besaß, nahm mich in eine Zwangshaltung, aus der ich mich nicht befreien konnte, ohne mich selbst zu töten. In dem sie mich auf den Bauch gedreht hatte und von hinten in meine Augenhöhlen fasste, dabei meinen Kopf so weit nach hinten zog, dass sie mir fast das Genick brach. Der Kampf war vorbei, ich schreie vor Wut und vor Schmerzen. Auch Rashida schrie und zwar vor Anstrengung. Es war schwer, mich lange in dieser Stellung zu halten. Man musste ständig die Haltung korrigieren, da man sonst den Gegner umbrachte. Über eine halbe Stunde musste mich Rashida so halten. Solange, versuchte ich mich wütend aus dieser Haltung zu befreien, erst langsam kam ich aus dem Rausch zurück.

Endlich war ich wieder ansprechbar. Es war genau das geschehen, vor was ich mich so gefürchtet hatte. Der Kampf geriet außer Kontrolle. Da ich meine Leute darauf vorbereitet hatte, ging alles gut. Nur, dass meine arme Rashida, jetzt schweißgebadet war. Etwas, das noch nie vorgekommen war. Sie hatte alle Mühe mich am Boden zu fixieren. Zum Schluss musste Jaan mit gegenhalten, da Rashida die Kraft ausging, so wütend war ich. Langsam kam ich wieder zu mir.

"Täubchen höre auf, komme zurück. Ich kann dich nicht mehr halten. Ich will dir nicht weh tun", hörte ich von ganz weit ihr Flehen.

Tief holte ich Luft. "Lass los. Ich bin wieder da. Entschuldige, der Kampf war gerade die Härte. Noch nie hat mich jemand so gefordert."

Rashida ließ erleichtert los, zog mich auf die Beine und in ihre Arme. Jaan zog mir ein Band über die Augen. Da meine Augen tränten.

"Danke, Jaan."

Weinend hielt Rashida mich fest. "Verdammt Täubchen, ich dachte einige Male, ich breche dir das Genick", sprach sie immer noch schwer atmend, genau wie ich.

Allerdings hatte ich ganz andere Probleme. Sah mich ängstlich nach Meister Ho um. Ich konnte ihn nicht entdecken, sah nur die entsetzten Blicke, seiner Lehrer und Schüler.

"Wo ist Meister Ho?", fragte ich ängstlich.

"Komm!", bat mich Jaan und führte mich zu der Stelle, zu der die Gruppe Meister Ho gebracht hatte.

"Hab ich ihn verletzt?", erkundigte ich mich ängstlich.

"Kahlyn, ich weiß es nicht. Wir haben ihm nur aus den Kampf gezogen. Raiko kümmert sich um ihn. Wir anderen hatten Mühe, dich zu bändigen", gestand mir Jaan.

Sofort gab mir Raiko Bescheid. "Ich glaube du hast ihm einige Rippen verbogen. Aber er lebt. Ist nur tüchtig benommen, von den letzten Schlägen."

"Holt den Medi-Koffer", gab ich in der Verbindung weitere Anweisung.

"Haltet mir die Leute vom Leib. Damit ich ihn vernünftig versorgen kann. Rashida, du passt dann auf mich auf", wies ich meine Leute laut an, damit Oberst Zhang Bescheid wusste und ebenfalls übersetzen konnte.

Im gleichen Augenblick war ich bei Meister Ho. Zog mir das Band von den Augen, um mir seinen Körper genau anzusehen. Ohne Rücksicht zu nehmen, schob ich den Sifu, der neben ihm kniete, einfach zur Seite. Sein Meister hatte schwere innere Verletzungen. Mit einem Griff in den Nacken, legte ich Meister Ho schlafen.

Meine Leute hatten Mühe, die Mönche zurückzuhalten und bildeten einen Kreis, um mich und um Meister Ho, um uns so zu beschützen. Raiko und Rina versuchten zusammen, den Leuten zu erklären, dass ich Ärzten bin und Meister Ho nur das Leben retten wollte. In der Zwischenzeit, schnitt ich Meister Ho mit einem Skalpell, den Bauch auf, um die inneren Blutungen zu stillen. Es ging um Minuten. Meister Ho war kurz vor dem Ersticken. Denn eine Rippe steckte in seiner Lunge. Nach drei Minuten hatten sich alle soweit beruhigt, dass meine Freunde den Schutzkreis aufgeben konnten. So dass die Mönche sahen, was ich mit ihrem Meister machte. Fassungslos beobachteten sie, wie ich Ho operierte und die Verletzungen der Lunge, der Milz, aber auch den Bruch an der Hüfte und des Jochbeins richtete. Ich musste ihn zur seiner Sicherheit, ein zweites Mal schlafen legen, da ich nicht in dem Zeitrahmen blieb, bei diesem Eingriff. Es war mehr kaputt gegangen, als ich erst dachte.

Reichlich fünfzehn Minuten später hatte ich ihn versorgt und zog zwei Spritzen auf. Eine mit B23, einem Schmerzmittel das über fünf Tage wirkte, gegen die Kopfschmerzen die er durch das Schlafenlegen haben würde. Dann das B32, gegen die Nachwirkungen der Operation. Diese gab ich nur vorbeugend, von beiden bekam er fünf Einheiten. Im Anschluss begann ich, all seine Verletzungen mit dem Krantonak auszuheilen. Die Rippenbrüche, die verletzte Lunge und Milz. Aber auch den Bruch am Jochbein und der Hüfte, beseitigte auch die Narben der Operation. So dass er nach dem Erwachen wieder vollständig gesund war. Nur die Hämatome konnte ich leider nicht verhindern. Damit konnte er aber leben. Dagegen gab es die Hämlo-Salbe. Fertig damit kippte ich, nach über einer Stunde, bewusstlos zur Seite. Zum Entsetzen der um mich Stehenden.

"Was ist mit ihr?", panisch sah Oberst Zhang zu mir und hockte sich vor mich hinun suchte vergebens nach meinem Puls. "Ist sie Tod?"

Rashida schüttelte den Kopf. "Sir, Kahlyn schläft nur, Sir."

Fast zwanzig Minuten brauchte ich im Jawefan, ehe ich wieder zu mir kam. Als ich meine Augen öffnete, die jetzt wieder durch die Brille geschützt waren, sah ich in die entsetzten Gesichter von Oberst Zhang und Meister Ho. Der in der Zwischenzeit auch wieder zu sich gekommen war. Gleich wollen sie wissen, was mit mir los war. Ich muss erst ein paar Minuten schlafen. Ganze zehn Minuten im tiefen Schlaf, gönnte ich mir noch, um wieder zu Kräften zu kommen. Kaum war ich wieder voll da, setzte ich mich hin.

"Kahlyn, du hast uns gerade zu tote erschrocken", pulverte Oberst Zhang mich an und brachte so zum Ausdruck, was die anderen ebenfalls dachten.

Meister Ho dagegen, bekam nur einen Satz heraus. "Ich hab dich total unterschätzt. Mädchen, kannst du kämpfen. Ich hatte zum Schluss Angst, dass ich sterben muss. Jetzt weiß ich, was du vorher gemeint hast. Davor hattest du Angst."

Ich sah ihn geknickt an. "Sir, ja genau davor hatte ich Angst, Sir. Ich kann das leider immer noch nicht richtig steuern, Sir. Aber sie sind wirklich gut Meister Ho, Sir. Verdammt gut, es hat Spaß gemacht mit ihnen zu kämpfen, Sir. Können sie mir den Kampfstil beibringen, Sir? Ich heiße Kahlyn, Sir", bat ich einfach, um das, was ich gern hätte.

Ich glaube Meister Ho würde mich nicht bestrafen, wenn ich einfach fragte, ob ich etwas lernen konnte.

"Tja Kahlyn, dann musst du einige Jahre hier bleiben, dann lerne ich dir und deinen Freunden gern diesen Kampfstil. Es braucht viel Übung dafür. Eigentlich bräuchtet ihr den, bevor ihr in den Einsatz geht, deine Kameraden sind nicht ganz so gut wie du."

Ich schüttelte den Kopf. "Sir, das stimmt nur zum Teil, Sir. Diese waren vorhin auf leichtes Training programmiert, sind bei weiten besser als sie denken, Sir. Ich würde behaupten, in einen Kampf gegen ihre Lehrer, haben die alle eine gute Chance, Sir. Aber lernen sie uns doch einfach ihre Art zu kämpfen, Sir. Wir haben noch fünf Tage bis das Ultimatum abläuft, Sir. In drei Tagen haben wir diese Kampftechniken verinnerlicht."

Meister Ho fing an zu lachen und seine um ihn herum stehenden und hockenden Lehrer ebenfalls. "Ihr wollt in drei Tagen das lernen, was ich in fast fünfzig Jahren gelernt habe?"

Ich wusste es war schwer vorzustellen. Durch das Zugucken beim Training der Sifu, hatten wir uns schon so einiges abgesehen. Von daher hatten wir die Bewegungsabläufe schon verinnerlicht. Wir mussten diese nur einmal richtig ausführen. Dann konnten wir diese Bewegungsabläufe ohne darüber nachzudenken.

"Meister Ho, Sir. Wir können nicht das, was sie in fünfzig Jahren gelernt haben, in drei Tagen lernen, Sir. Dazu gehört viel Training, Sir. Aber auch Erfahrungen in Übungskämpfen, Sir. Die Bewegungsabläufe, können wir allerdings in diesen drei Tagen lernen, Sir. Dadurch, dass wir die Bewegungsabläufe kennen, Sir, können wir uns besser verteidigen, Sir."

Tief atmete Meister Ho durch. Ich ahnte, was es für Ho ein schwere Kampf sein musste, den er jetzt mit sich kämpfte. Durch Oberst Zhang hatte ich erfahren, dass jeder Tempel seine eigenen Kampfstile besaß. Bestimmte nur für diesen einen Tempel, üblichen Techniken einsetzte. Wenn er uns dies jetzt zeigte, dann würde er uns eine Waffe in die Hand geben, die wir gegen ihn ausnutzen konnten.

"Sir, wir sind hier siebenunddreißig Kämpfer, keiner von uns würde jemals seine Hand gegen jemanden erheben, der uns nicht in Gefahr bringt, Sir. Wir töten nur, wenn es sein muss, Sir. Selbst, wenn das wie vorhin für meine Kameraden heißt, gegen einen von uns vorzugehen, um diesen zu bändigen, Sir. Das haben sie doch gerade gesehen, Sir. Niemals würden wir unsere Macht, gegen Schwächere einsetzen, wir sind dazu da, um Menschen zu schützen, Sir."

Meister Ho nickte und stand auf, bat seinen Sifus, aber auch Oberst Zhang ihm zu folgen. "Wir müssen uns beraten."

Meister Hoh und seine Männer verschwanden in einen der Häuser. Allerdings kamen die Mönche schon nach zehn Minuten wieder zurück. Mit ihm zwei Sifu und ihren Klassen.

"Kahlyn, wir haben beschlossen, dass wir euch unseren Kampfstil beibringen, wenn ihr es schafft, dem Sifu Akuma und dem Sifu Yen und ihren Schülern, zur Höhle unsers Gründers zu folgen. Schafft ihr das, erteilen wir euch Unterricht."

Ich lächelte und verbeugte mich, drehte mich zu meinen Freunden um. "Legt eure Waffen ab und zieht eure Overalls aus. Wir gehen nur mit den Augenbinden. Nutzen die Zeit auf dem Berg, bis die anderen kommen, zum Taiji und zum Fobnekotar", gab ich laut die Anweisungen an meine Leute. Im Anschluss ging ich innerlich lachend zur Seite.

Verwirrt sahen uns die Mönche an.

Oberst Zhang kam kopfschüttelnd auf mich zu. "Kahlyn, ich habe dir doch im Flug…"

Ich unterbrach ihn einfach. "Sir, sie haben mir erzählt, dass diese Treppe der Horror ist, Sir. Dass sie immer das Letzte von den Schülern des Tempels abverlangt hat und tausendzweihundertundfünfundsechzig Stufen hat, Sir. Ich vergesse nie, etwas, dass man mir sagt, Sir."

Skeptisch sah er mich an. Dann winkte er einfach ab. "Kahlyn, ich denke ihr kommt hier im Tempel alleine klar. Ich werde mit eurem Oberst, zurück nach Peking reisen. Dort warte ich auf euren Bescheid. Kaija hat meine Funkfrequenz, so dass ihr mich immer erreichen könnt. Ich kann sofort, wenn es Schwierigkeiten gibt, mit einem Hubschrauber herkommen. Ich will nur, dass der Oberst aus der Schusslinie ist. Die Mönche haben mir versprochen, dass sie auf euch aufpassen und ihr jede Hilfe bekommt, die ihr haben wollt und müsst. Sifu Akuma und Sifu Yen, sind eure direkten Ansprechpartner. Über die Beiden könnt ihr jederzeit, mit Meister Ho in Verbindung treten."

Dankend verbeugte er sich vor mir. Etwas, dass mir noch nie passiert war. So verbeugte ich mich nach Shaolin Art, um ihm ebenfalls meinen Respekt zu erweisen. Vor allem, weil er uns den Oberst vom Hals schaffte, so konnten wir wesentlich besser arbeiten. Die beiden Lehrer liefen auf uns zu. Raiko übersetzt, was diese zu uns sagen.

"Wir lassen euch eine Stunde Vorsprung, damit ihr unseren Lauf nicht behindert."

Schallend lachte ich in der Verbindung, gab allerdings höfflich zur Antwort. "Sir, das ist sehr nett von ihnen. Zeigen sie uns den Weg zur Treppe, Sir. Wir erwarten sie dann oben, Sir", gab sofort das Kommando zum Aufstellen.

Ich lief, wie seit einiger Zeit immer, vorn an der Spitze, um das Tempo zu bestimmen. Da wir nur noch siebenunddreißig Leute waren, musste sowieso einer alleine Laufen. Ich hatte einen völlig anderen Laufstil als die Anderen, von daher war es angebracht, entweder ganz hinten oder ganz vorn zu laufen. Aber meistens wollte die Gruppe, dass ich vorn lief. Einfach, weil ich das Tempo der Gruppe am besten einschätzen konnte. So konnte die Gruppe, in einem gleichmäßigen, für alle angemessenen Tempo laufen. Der Sifu brachte uns zur Treppe, die kerzengrade nach oben führte. Fast eine halbe Stunde Fußmarsch, hatten wir bis hier her gebraucht. Lachend sah ich meine Leute an.

"Wir laufen gleich das volle Tempo, ich will oben auf den Berg, noch etwas Training mit euch machen", gab damit den Befehl, dass wir uns beeilen sollten. Im gleichen Atemzug lief ich los, bemerkte nicht den entsetzten Blick, den mir Sifu Akuma zuwarf. Der nicht fassen konnte, in welchem enormen Tempo, wir diese Treppe nach oben liefen. Ehrlicher halber musste ich zugeben, Zhang hatte nicht übertrieben, die Treppe lief sich wirklich schwerer, als ich im ersten Moment dachte. Dadurch, dass die Stufen völlig ungleichmäßig waren, bekam man keinen richtigen Laufrhythmus. Trotz alledem, waren wir nach nur vier Minuten an der Höhle angekommen. Gemeinsam stellten wir uns auf der Plattform auf, um zu trainieren. Nur gut, dass wir nur noch siebenunddreißig Leute waren. Sonst hätten wir arge Probleme, hier oben Platz zu finden. Nach einer reichlichen Stunde ernteten wir entsetzte Blicke, von den beiden Gruppen des Shaolin-Tempels. Als diese schwer atmend, oben an der Höhle ankamen.

Sifu Akuma kam schwer atmend auf uns zu, wurde allerdings von Raiko aufgehalten, den ich extra nicht hatte mit trainieren lassen, um Zwischenfälle zu vermeiden. Einige von uns standen direkt am Abgrund. Da wir, als wir losgelaufen waren, vergaßen dafür zu sorgen, dass uns niemand beim Training störte. Es ging von der Plattform steil den Berg nach unten, ein Kampf könnte hier schlimme Folgen haben.

 "Sir, bitte lassen sie die Gruppe den Zyklus fertig machen, Sir. Sonst kommt es hier oben zu einem Kampf, Sir", in der Verbindung teilte uns Raiko mit. "Semro, Fobnekotar. – Beendet das Fobnekotar."

Das zeigte uns an, dass wir zum Ende kommen mussten. Fast drei Zyklen hatten wir geschafft, bis die anderen Läufer kamen. Wir atmeten im Taiji aus und kehrten zurück in die Wirklichkeit. Kaum war ich wieder voll da, ging ich auf Sifu Akuma und Sifu Yen zu.

"Sir, was sollen wir jetzt machen, Sir?", wollte ich von dem Mönchen wissen. Die beiden Lehrer standen immer noch Kopfschüttelnd vor uns, konnten nicht glauben, was sie sahen.

"Wie viele dieser Zyklen, habt ihr schon gemacht?", wollte Akuma wissen.

"Ihr schwitzt ja nicht mal", stellte Yen fest.

Schulterzuckend antwortete ich. "Sir, drei haben wir gemacht, vorher zehn Minuten Taiji, Sir. Die Treppe läuft sich wirklich schwer, Sir. Wir schwitzen nicht so schnell, Sir. Erst nach fünfzehn Zyklen, Sir."

Yen fuhr sich mit den Händen über den Kopf, sagte etwas das Raiko nicht übersetzten konnte. Yen hatte in einem Dialekt gesprochen, den Raiko nicht verstand. Sofort war unser Dolmetscher in ein Gespräch vertieft, um diesen Dialekt auch noch zu erlernen. Akuma dagegen wollte mir auf die Schulter klopfen. Da ich in Gedanken war, griff ich instinktiv nach seiner Hand. Legte ihn mit einem Uki-Goshi, einem Hüftschwung auf den Boden, in dem ich mich in ihn so hineindrehe, dass meine rechte Gesäßhälfte den linken Oberschenkel von Akuma sperrte und schleuderte auf diese Weise Akuma zu Boden. Erschrocken stand ich da und starrte den Lehrer an.

Akuma sah mich entsetzt an und war fassungslos, wieso er plötzlich von mir angegriffen wurde.

"Sir, entschuldigen sie bitte, Sir. Sie haben mich erschreckt, Sir", stotterte ich vor mich hin.

Rina übersetzt lachend, das, was ich sagte. Ergänzt aber noch.

"Sir, bitte bevor sie Kahlyn anfassen, sprechen sie das Mädchen immer an, Sir. Das ist einfach gesünder, Sir."

Fast sofort hatte ich mich wieder gefasst und hielt dem Lehrer die Hand hin, um ihm aufzuhelfen.

Lachend stand dieser auf. "Ich wollte dir nur auf die Schulterklopfen, bitte nicht wieder umschmeißen", lachend klopfte er auf meine Schulter. "Weißt du, dass du richtig gut bist. Sag mal kannst du uns, das, was ihr da eben gemacht habt lernen?"

"Sir, natürlich, Sir. Aber nicht hier oben, das ist zu gefährlich, Sir."

Nickend winkte er uns zu, ihm zu folgen. Über Raiko und auch Rina, erklärte uns Akuma, warum diese Höhle von so großer Bedeutung für den Tempel war.

Das hier an diesem Ort, Bodhidharma der Begründer des Wushu, die Verschmelzung von Körper und Geist, durch Meditation lehrte. Um die Mönche des Tempels körperlich zu kräftigen, entwickelte Bodhidharma, die Techniken des Wushus. Wushu war der Oberbegriff, für alle Arten des Kun Fus. Einer Legende zu Folge, zog sich eines Tages, Bodhidharma in diese Höhle zurück und meditierte neun Jahre lang regungslos. Als er aufstand, blieb nur der Schatten an der Wand zurück. Diesen Schatten zeigte uns Akuma.

Die unterschiedlichen Schulen entwickelten sich deshalb, da es verschiedene Auslegungen dieser Überlieferungen gab. Die mehr oder weniger Einfluss auf die Lehren des Bodhidharma hatten. So hatten die verschiedenen Schulen, verschiedene Einstellungen zur ursprünglichen Form des Buddhismus. Interessiert hörten wir zu. Er erklärte uns den Einfluss, den das Qi auf den Menschen hatte, dass man dadurch Schmerzen besser ertragen konnte. Die Mönche glaubten, dass die Energie des Qi, nicht aus dem Kämpfer selbst kam, sondern aus der Natur. Das Qi, in den Kämpfer hinein und durch ihn hindurch floss. Das alles in der Natur nach Harmonie streben würde. Nur, wenn man eins war, mit dieser Harmonie und mit der Natur, war man im Gleichklang mit dem Qi. Lange und vor allem genau, erklärte er uns diese Zusammenhänge des Qi von Natur und Körper. Wir nahmen diese Erklärungen mit einem für den Sifu, kaum nachvollziehbaren Interesse in uns auf. Durch seine Erklärungen verstanden wir vieles, was wir bis jetzt nur erahnen konnten. Nach dem Akuma seinen Vortrag beendet hatte, sah ich ihn lange an.

"Sir, jetzt verstehe ich das erste Mal, wieso uns das Taiji hilft, unsere Mitte zu finden, Sir. Wieso wir, wenn wir vor dem Kampf oder während der Kampfpausen das Taiji und das Fobnekotar machen, besser kämpfen können, Sir. Wir verschmelzen unbewusst, den Körper und den Geist, genauso wie es sie Bodhidharma gelehrt hat, Sir. Danke, dass sie uns das erklärt haben, Sir. Jetzt verstehen wir endlich, was wir schon so lange können, Sir", dankbar verbeugten wir uns vor unserem Lehrer.

Diese lächelten uns an. "Kommt, wir wollen euch noch mehr lehren. Das habt ihr euch verdient."

Gemeinsam liefen wir die Treppe nach unten und zurück in den Tempel. In dem wir schon von Meister Ho erwartet wurden. Kurz besprachen sich Sifu Akuma und Yen, mit Meister Ho. Dieser kam auf uns zu, wollte von uns das Taiji sehen. Verwundert sahen wir uns an und zogen die Overalls wieder aus, die wir gerade angezogen hatten. Wieder einmal war ich gezwungen, auf die uns umgebenen Mensch zu zugehen, um diese zu bitten, uns nicht bei unseren Übungen zu berühren. Ich ging deshalb mit Raiko auf Meister Ho zu, damit dieser übersetzen konnte.

"Sir, bitte wenn wir das Taiji machen, berühren sie uns nicht, Sir."

Erstaunt blickten uns die Lehrer, sowie Meister Ho an.

"Sir, wir haben das Taiji, bis jetzt fast ausschließlich in Kampfsituationen gemacht, Sir. Um die letzten Kraftreserven zu mobilisieren, Sir. Im Taiji sind wir auf Kampf programmiert, eine Berührung bedeutet für uns, tödliche Gefahr, Sir. Wir agieren bevor wir denken können, Sir. Lassen sie uns also erst zurück kommen, bevor sie mit uns sprechen, Sir. Sobald wir fertig sind, komme ich auf sie zu, Sir."

Meister Ho nickte verstehend. Erleichtert drehte ich mich um und ging auf meinen Platz. Wir begannen mit dem Taiji. Nach fünfundvierzig Minuten beendeten wir unsere Übungen. Ich ging mit Raiko auf Meister Ho und die beiden Lehrer zu.

"Woher Kahlyn, könnt ihr das Taiji so perfekt? Wart ihr schon einmal in einem Tempel der Shaolin-Mönche?", verunsichert sah uns Meister Ho an.

"Sir, nein, Sir. Wir bekamen von einem Wissenschaftler in der Schule, ein Buch geschenkt, Sir. In dem das Taiji genau erklärt war, damit es uns hilft, unsere Anfälle besser zu kontrollieren, Sir. Er lehrte uns die Bewegungen, soweit er sie kannte, Sir. Einige davon haben wir abgeändert, weil sie sich irgendwie falsch anfühlten und den Energiefluss unterbrachen, Sir. Deshalb haben wir sie so abgeändert, dass das nicht mehr passiert, Sir. Einige haben wir selber erfunden oder uns selber noch aus dem Buch gelernt, bis wir alle die abgebildet waren konnten, Sir. Alle Übungen aus dem Buch, konnte Doktor Zolger noch nicht, Sir."

Lächelnd sah uns Meister Ho an. "Das habt ihr gut gemacht, ich denke ihr habt euch verdient, noch einiges dazu zu lernen. Kommt mit." Wir wollten unsere Sachen holen. Doch Ho bat uns wir sollten sie liegen lassen. Die würden von den Schülern des Tempels in unsere Quartiere gebracht.

"Sir, wir wollen nur unsere Brillen in die Tasche stecken, damit sie nicht entzwei gehen, Sir."

Ho nickte uns aufmunternd zu. So tauschen wir alle die Brillen gegen die Bänder. Folgten Meister Ho in einen anderen Hof. Begannen dort ein für uns ungewohntes Training. Erstaunt sahen Meister Ho, einige seiner Lehrer, aber auch viele der Schüler zu. Wir bekamen ein Grundlagentraining im Kun Fu. Absolvierten Balancetraining, kämpften auf Pfählen und Balken. Nur einmal musste man uns einen Schlag zeigen oder einen Tritt. Man erklärte uns, wie wir uns, bei dem verschieden Schlägen und Tritten zu stellen hatten und wie wir unsere Mitte finden konnten. Nach zwölf Stunden machte Meister Ho eine Pause und übergab an Sifu Akuma, der wieder zu uns gestoßen war, das Amt des Lehrers. Nach weiteren zwölf Stunden. Wechselten die Lehrer nochmals. Diesmal bat ich um eine zwanzig Minütige Pause. Abwechselnd schliefen wir zehn Minuten. Dann ging es weiter mit dem Training. Nach achtundvierzig Stunden und zwei Pausen, hatten wir das Lernziel erreicht, zu dem die Mönche hier, fast fünf Jahre brauchten. In einem Kampf innerhalb der Gruppe, überprüfte Meister Ho die Leistungen die wir brachten, forderte uns nochmals zu einem Kampf auf. Auch diesmal sollte ich gegen Meister Ho kämpfen. Diesmal stellte ich mich auf Training ein. Da ich nun alle Techniken kannte, war dies für mich nur noch ein Spielen. Nach reichlich einer Stunde beendete Meister Ho, das Training mit mir. Kopfschüttelnd stand er vor mir.

"Kahlyn, wie machst du das nur. Ich dachte immer ich bin ein guter Kämpfer, aber du bist viel besser als ich dachte. Bei unserem ersten Kampf hatte ich am Anfang das Gefühl, dass ich dich besiegen kann. Diesmal hast du nur mit mir gespielt. Bitte ich möchte einen richtigen Kampf von dir sehen. Warum kämpfst du nicht richtig gegen mich."

Verlegen sah ich zu meinen Füßen.

Meister Ho, kam auf mich zu und hob mein Kinn nach oben. "Bitte erkläre mir, warum kämpfst du nicht richtig gegen mich, Kahlyn?"

Tief holte ich Luft und sah ihn direkt an, da es Nacht war, zog ich das Band von den Augen.

Erschrocken hielt er die Luft an. "Was…?"

"Sir, bitte alles was ich ihnen antworte, wäre eine Missachtung meiner Hochachtung ihnen gegenüber, Sir. Aber sie wollen es wirklich wissen, Sir?"

"Ja, Kahlyn. Ich möchte wissen, warum du nicht richtig kämpfst."

"Meister Ho, Sir. Nicht nur meine Augen sind anders, vieles in uns funktioniert anders als bei ihnen, Sir. Wir wurden genetisch verändert, Sir. Sie haben unserer Kraft, unserer Geschwindigkeit, nichts entgegen zusetzen, Sir. Da hilft ihnen auch, die jahrelange Erfahrung nichts, Sir. Sehen sie mich an Meister Ho, sehe ich aus wie neun Jahre, Sir?"

Meister Ho schüttelte den Kopf.

"Sehen sie, es ist mit vielen Dingen bei uns so, Sir. Wir imitieren ihre Bewegungen perfekt und völlig fehlerfrei, Sir, und sind dadurch wesentlich schneller als sie, Sir. Wenn ich richtig gegen sie kämpfen würde, Sir. Würde ich sie töten, Sir. Das lässt aber meine Hochachtung und meinen Respekt nicht zu, Sir. Ich töten nur diejenigen, die ich nicht beschützen kann, Sir. Wenn sie einen richtigen Kampf sehen wollen, lassen sie mich gegen meine Leute kämpfen, Sir."

Ho war mit meiner Erklärung zufrieden und mit meinem Vorschlag einverstanden. "Dann kämpf gegen das rothaarige Mädchen, sie ist fast so gut wie du", bat mich Meister Ho, gegen Rashida zu kämpfen.

"Sir, jawohl, Sir. Diesen Vorschlag hätte ich ihn auch gemacht, Sir. Rashida ist meine beste Kämpferin, Sir."

Wir begannen ein richtiges Training. "Raiko, du sagt mir, wann wir aufhören sollen", gab ich meinen Dolmetscher, in der Verbindung, den Befehl.

Das erste Mal seit langem, kämpften Rashida und ich wirklich miteinander. Nicht so dass wir uns verletzten würden, aber es war schon ein richtig schweres Training. Meister Ho, erlebte einen Kampf, den er sich so wohl nie in seinen kühnsten Träumen hätte vorstellen können. Rashida und ich wir waren ein eingespieltes Team, trainierten gern mit einander, kannten aber auch die Schwächen des anderen, so dass wir uns nicht verletzen konnten. Nach einer Stunde beendeten wir den Kampf. Kopfschüttelnd, völlig fassungslos standen Meister Ho, seine Lehrer, aber auch seine Schüler, eng gedrängt, um das Kampfareal. Konnten nicht fassen, was sie da gesehen hatten.

"Kahlyn, wenn ich nicht wüsste, dass du noch vor drei Tagen, nicht eine Technik des Kun Fus gekannt hast, würde ich sagen, du kämpfst jetzt schon dreißig Jahren."

"Sir, das geht doch gar nicht, Sir. Ich bin doch erst ungefähr neun Jahre alt, Sir", gab ich einfach Kontra ohne darüber nachzudenken, erschrocken sah ich zu Boden.

Meister Ho meinte lachend. "Das stimmt auch wieder, du musst nicht erschrecken Kahlyn. Schämen musst du dich schon mal gar nicht, weil du mir einfach so antwortest", um uns Anerkennung zu zollen, verbeugte sich Meister Ho tief vor uns.

Eine Geste die von großer Hochachtung sprach.

"Ihr Kinder legt euch jetzt hin und schlaft mindestens acht Stunden. Dann erkläre ich euch, wie wir Meister Xu aus den Fängen seiner Entführer befreien können."

"Sir, danke, dass sie uns diesen Kampfstil beigebracht haben, Sir. Danke auch dafür, dass wir etwas schlafen können, Sir. Aber vier Stunden reichen uns, Sir."

Meister Ho schüttelte den Kopf. "Kahlyn, ihr habt euch die acht Stunden verdient. Schlaft gut. Akuma zeigte euch euer Quartier, es ist nicht sehr groß, aber ihr habt alle Platz darin. Dort findet ihr auch Essen und Getränke."

Meister Ho drehte sich um und ging auf sein Quartier zu. Das genau neben dem unsrigen lag. An der Tür drehte er sich nochmals um.

"Kahlyn, euer Schlaf hier, wird bewacht. Ihr braucht keine Wachen aufstellen. Ich bürge für euren Schutz."

"Meister Ho, vielen Dank, Sir."

Erleichtert liefen wir Akuma hinterher und fielen alle auf die ausgelegten Matten. Wir zogen uns die Decken über den Körper und schliefen sofort ein. Alle waren fix und fertig. Das Training hatte uns richtig geschafft. Ich wusste jetzt schon, dass es uns viel nutzen würde. Es würde uns nicht nur hier bei diesem Einsatz helfen. Mir kamen einige Ideen beim Training, wie wir diese Techniken für uns vervollkommnen konnten. Damit wir noch besser werden würden. Fast sieben Stunden schliefen wir, als wir fast gleichzeitig munter wurden.

Vor unserem Haus, gab es scheinbar, einen handfesten Streit. Schnell standen wir auf, um nach zu sehen, ob jemand Hilfe brauchte. Draußen im Hof war nur Training. So einen Lärm waren wir nicht gewohnt. Wie immer kämpften wir leise, ohne Geräusche von uns zu geben. Wir kamen alle aus dem Haus, in dem sich unser Schlafsaal befand. Nur in einer Turnhose und die Mädchen zusätzlich im Bustier bekleidet, stellten uns geordnet zu den Anderen, nahmen einfach wort- und lautlos, das Training mit auf. Akuma schaute uns angenehm überrascht an. Drei ganze Stunden dauerte das Training. Schlag- und Trittübungen, die zum Grundtraining gehörten. Das festigte das in den beiden letzten Tagen gelernte, deshalb nahmen wir dieses Training dankbar wahr. Kaum fertig mit dem Training, kam Akuma auf uns zu.

"Schön dass ihr das Training mitgemacht habt, aber jetzt geht ihr erst einmal frühstücken. In einer Stunde seid ihr wieder hier."

"Sir, wir können hier nicht frühstücken, Sir. Das, was sie essen, können wir nicht essen, Sir. Aber etwas Wasser zum trinken wäre sehr nett. Wir haben schon seit vier Tagen nichts getrunken, Sir."

Erschrocken hörte Akuma die Übersetzungen von Rina. "Ihr habt doch im Schlafsaal Säfte, Milch und Tee stehen, wir haben euch extra Getränke bereit gestellt. Warum trinkt ihr die nicht?"

Verlegen sah ich zu meinen Füßen, dann zu Akuma. "Sir, tut mir leid, Sir. Das was da steht, können wir nicht trinken, Sir. Nur Wasser, Sir."

"Kahlyn, wieso könnt ihr keine Säfte trinken und keine Milch."

"Sir, wir sind auf alle normalen Lebensmittel allergisch, Sir. Nur Wasser, Kamillentee und unsere Spezialnahrung, können wir zu uns nehmen, Sir."

Fassungslos sah er uns an. "Wann habt ihr das letzte Mal gegessen?"

Hilfesuchend sah ich mich um. Wenn ich die Wahrheit sagen würde, bekäm ich wieder Schläge. Aber ich mochte diese Mönche auch nicht anlügen.

"Kahlyn, warum antwortest du nicht?"

"Sir, bitte fragen sie mich das nicht mehr, Sir. Ich möchte darauf nicht antworten, Sir. Dann bekommen wir Ärger, mit Oberst Mayer, Sir. Ich mag sie aber auch nicht anlügen, Sir", versuchte ich die Antwort auf die Frage indirekt zu geben.

Akuma rief laut einige Befehle. "Holt Wasser und Becher! Bringt alles zu den Kindern. Die anderen räumen den Raum auf und entfernen die darin befindlichen, Getränke und Nahrungsmittel", dann wandte er sich wieder an mich. "Dann kommt, ich zeige euch, wo ihr euch waschen könnt."

Im Laufschritt lief er vor uns her, die Gruppe ging wie gewohnt in Formation und lief mit mir an der Spitze, hinter Akuma her, der uns zu einem Fluss brachte.

"Tut mir leid, wir waschen uns immer hier, das härtet uns ab. Das Wasser des Huáng Hé, oder wie ihr ihn nennt des Gelben Flusses, ist sehr kalt. Wenn ihr schwimmen wollt, seit vorsichtig. Hier gibt es einige Strudel, die euch nach unten ziehen."

"Sir, vielen Dank, Sir. Wie lange haben wir Zeit, Sir?"

Akuma lachte mich an. "Da ihr ja nicht Frühstücken könnt, eine Stunden. Viel Spaß, aber seit vorsichtig, mit dem Huáng Hé ist nicht zu Spaßen", das ließen wir uns nicht zweimal sagen.

Glücklich liefen wir ins Wasser. Das erste Mal in unserem Leben, hatten wir Zeit im Wasser zu toben. Diesen Luxus, genossen wir aus vollen Herzen. Alle waren der gleichen Meinung, am liebsten würden wir für den Rest unseres Lebens hier im Tempel bleiben. Selbst wenn dies hieß, dass wir immer Hungern müssten, weil wir diese Nahrung hier nicht essen konnten. Diese Ruhe die von den Tempel und dessen Bewohner ausging, tat uns gut. Es war etwas, was wir noch nie hatten. Wir fühlten eine Geborgenheit, die uns unbekannt war. Vor allem bekamen wir von Kämpfern, Achtung und man könnte sogar sagen, Liebe entgegen gebracht. Man akzeptierte uns einfach so, wie wir waren. Ein Gefühl, dass wir nur selten hatten, außer bei unseren Freunden in der Schule. Aber die trauen sich wegen Mayer nicht, das so offen zu zeigen.

Nach fünfundvierzig Minuten des Tobens, im kalten Wasser des Huáng Hé, liefen wir zurück zum Tempel. Wir waren pünktlich, wie es sich gehört, wieder auf dem Hof. Bedienten uns einfach, an dem klaren Wasser und stillten unseren Durst. Das Wasser des Gelben Flusses, konnten wir leider nicht trinken.

Nach einer Stunde, stellten wir uns wie gewohnt in Reih und Glied, warteten darauf abgeholt zu werden. Erst eine halbe Stunde später, erschienen Meister Ho, Akuma und Yen, sahen uns entgeistert an.

"Ihr seid schon hier, wir haben eben eine Suchmannschaft losgeschickt. Nach dem euch Yen nicht mehr gefunden hat. Die nach euch sucht. Wie lange steht ihr hier schon, Kahlyn?"

"Sir, wir sollten in einer Stunde wieder hier sein, Sir. Haben wir etwas falsch gemacht, Sir?", informierte ich Meister Ho davon, dass ich nicht verstand, weshalb man uns suchte.

"Nein Kahlyn, ihr habt nichts falsch gemacht. Nur sind wir nicht gewohnt, dass Fremde so pünktlich und diszipliniert sind. Also setzt euch bitte in einen Kreis, um mich, Akuma, Yen und dich, Kahlyn. Damit wir beraten können, wie wir gegen den anderen Tempel vorgehen können. Der unseren Meister Xu, gefangen hält."

Wir bildeten einen Kreis, um die sich setzenden Männer und um Meister Ho, in die Mitte des Hofes. Akuma und Yen brachten Pläne des anderen Klosters, um uns zu erklären, wo Meister Xu gefangen gehalten wurde. Was an Besonderheiten zu beachten war. Vor allem wie man am besten, ungesehen in den Tempel herein kam.

Mit vielen Dingen die mir Meister Ho vorschlug, war ich nicht einverstanden. Wir hatten eine ganz andere Art, in solchen Fällen zu agieren. Lange überlegte ich, wie wir vorgehen konnten, beriet mich mit Raiko. Er schlug mir vor, erst einmal zu schweigen. Nach einer ganzen Weile, wurde Meister Ho, Akuma und Yen bewusst, dass ich gar nichts sagte. Meister Ho wandte sich an mich.

"Kahlyn, weshalb sagst du gar nichts dazu. Glaubst du, dass ihr das nicht schafft?"

Verlegen fing ich mit meinen Fingern an zu spielen. Der Respekt den ich vor Meister Ho, den Sifu hatte, ließ einfach keine Kritik zu. Allerdings wussten die Mönche nichts von unseren Fähigkeiten. Tief atmete ich durch, hob den Kopf, sah Meister Ho offen an.

"Sir, darf ich offen sprechen, Sir."

Meister Ho sah mich verwundert an. "Kahlyn natürlich."

"Meister Ho, wenn ich nach ihren Vorschlägen agiere, sind zwei Drittel meiner Leute tot. Wenn wir ihren Meister Xu befreit haben. Weil sie genau so vorgehen, wie es die Leute im Tempel erwarten, Sir. Darf ich ihnen erklären, wie ich vorgehen würde, Sir. Ich denke, entschuldigen sie bitte, dass das der bessere Weg ist. Da man uns, von dieser Seite nicht erwarten würde, Sir."

Mit aller mir zur Verfügung stehenden Hochachtung, erklärte ich Meister Ho, Akuma und Yen, dass wir von der anderen Seite angreifen würden. Von der Steilwand die fast sechzig Meter nach oben ging. Da wir auf diese Weise ohne Hindernisse und Kampf in den Tempel gelangten. Kopfschüttelnd sahen mich die drei Mönche an.

"Kahlyn, ihr könnt doch nicht fast sechzig Meter, an einer völlig glatten Felswand, nach oben klettern. An dieser Wand gibt es nirgends Halt."

"Sir, bitte vertrauen sie mir einfach, Sir. Es ist nicht das erste Mal, dass wir so etwas machen, Sir. Es geht doch darum, ihren Meister ohne Blut vergießen aus dem Tempel zu holen. Um die Achtung des anderen Klosters, zu gewinnen, Sir. Um zu verhindern, dass es zu einer Blutfehde komm, Sir. Das habe ich doch richtig verstanden, Sir?"

Meister Ho stimmte dem zu.

"Sir, wenn sie jetzt mal diese Steilwand ausklammern, Sir. Nehmen sie einfach an, dass wir dort hoch kommen, Sir. Würde ihnen dann unser Plan nicht gefallen, Sir."

Meister Ho sah sich die Skizzen noch einmal an, dann musterte er mich sehr intensiv.

"Kahlyn, ihr habt mich schon einige Male überrascht, deshalb denke ich, sollte ich dir vertrauen. Macht es auf eure Art. Aber bitte beschützt das Leben unseres Meisters."

Ich kläre mit meinen Leuten, kurz innerhalb der Verbindung, ob alle einverstanden waren. Bekam die Bestätigung, auf diese Weise vorzugehen.

"Sir, dann bräuchte ich zwölf fünfzehn Meter lange Seile, zwei Decken, zwei Bambusstangen, oder stabile Holzstangen, Sir. Zwei Hämmer, die Möglichkeit uns zwölf Haken zu bauen, an einer Schmiede, dies würde Jaan übernehmen, Sir. Eine Flasche mit Wasser und etwas zum Essen für ihren Meister, Sir. Es wäre vielleicht nützlich, wenn sie ihm einen kleinen Brief schreiben, Sir. Dass er uns vertrauen kann, Sir."

Meister Ho nahm eine Feder und ein Blatt, schrieb in dieser eigenartigen Schreibweise, einige Symbole auf ein Blatt Papier. Akuma ging in das Haus und holte von dort Siegelwachs und eine Kerze. Der Brief wurde versiegelt und mir im Anschluss gereicht.

"Sir, darf ich noch eine Frage stellen, Sir?"

Lächelnd sah mich Meister Ho an. "Kahlyn, natürlich."

"Sir, wir haben bei solchen Aktionen, schon einige Male das Problem gehabt, dass man uns trotzdem nicht vertraut hat, Sir. Darf ich dann ihren Meister schlafen legen, Sir? Zu seiner eigenen Sicherheit, Sir. Die Kopfschmerzen die er im Anschluss hat, kann ich ihm wegspritzen, Sir."

"Kahlyn, tue was du für richtig hältst, um Meister Xu zu uns zurück zu bringen. Lebend und wenn möglich unverletzt."

"Sir, jawohl, Sir. Bringt uns jemand dort hin oder sollen wir alleine gehen, Sir?" Meister Ho schüttelte den Kopf. "Nein Kahlyn, Yen bringt euch bis zur Steilwand."

"Sir, es ist jetzt 10 Uhr 23, wir benötigen zur Steilwand knapp dreißig Minuten."

Als Meister Ho etwas sagen wollte, schüttelte ich den Kopf.

"Sir, vertrauen sie mir einfach, Jaan wird Yen tragen, das Tempo das wir laufen, schafft keiner von euch. Yen muss Jaan nur sagen, wo wir langlaufen sollen, Sir. Zum Hochklettern, zum Bau des Abstiegs für Meister Xu, benötige ich eine Stunde, Sir. Den Zugriff machen wir gegen 2 Uhr, ich rechne eine Stunde Sicherheit ein, Sir. Also sollten wir um 23 Uhr hier loslaufen, Sir. Wir haben also zwölf Stunden Zeit, uns auf den Einsatz vorzubereiten, Sir. Es wäre schön, wenn wir vorher noch etwas zu Trinken bekämen, Sir. Könnten wir einen Platz bekommen, wo wir ungestört trainieren können, Sir?"

Meister Ho nickte. Hinterfragte meine Anweisungen nicht und wies uns diesen Hof zu. "Kahlyn, ich werde dafür sorgen, dass euch hier niemand stört."

Dankbar verbeugte ich mich vor Meister Ho. Jaan kam schon mit den Haken zurück, hatte aus fertigen, spezielle für uns geeignete umgearbeitet. So konnte ich ohne Wartezeit, gleich mit dem Training beginnen. Deshalb wandte ich mich an meine Leute.

"Ausziehen zum Training. fünfundvierzig Minuten Taiji, im Anschluss zwanzig Zyklen Fobnekotar. Dann schlafen wir eine Stunde, im Anschluss nochmals fünfundvierzig Minuten Taiji."

Ohne zu murren zogen sich alle aus und banden die Bänder über die Augen. Wir begannen lautlos mit dem Training. Nach reichlich zehn Stunden waren wir mit dem Training fertig und alle schweißgebadet. Legten uns einfach da, wo wir standen hin, um etwas zu schlafen. Nach sechzig Minuten standen wir auf und machten nochmals fünfundvierzig Minuten Taiji. Kaum, dass wir fertig waren, rüsteten wir uns aus und tranken noch etwas Wasser. Standen fünf Minuten vor 23 Uhr, in Reih und Glied und warten auf Sifu Yen, der pünktlich im Hof erschien. Wortlos packten wir zusammen.

Nahmen uns die Seile und die Decken und Nahrungsmittel, dies alles gaben wir Raiko zusammengepackt in den Decken zum Tragen. Raiko so hatten wir während des Trainings, in der Verbindung beschlossen, würde unten an der Steilwand, mit Yen auf uns warten. Pünktlich um 23 Uhr liefen wir los. Jaan nahm Sifu Yen auf den Rücken. Eine halbe Stunde später, erreichten wir die Steilwand. Yen war fassungslos. Es waren fast vierzig Kilometer, die wir in schwierigem Gelände laufen mussten. Wir waren jedoch ganz gemütlich gelaufen, so dass wir nicht einmal eine Pause brauchten.

Sofort packten wir unsere Handschuhe aus, begannen in einem für Yen unvorstellbaren Tempo Die Steilwand hinaufzuklettern. In dem wir eine Kette bildeten. Da diese Wand wirklich schwer zu besteigen war, die ersten zum Festhalten geeigneten Stellen befanden sich erst circa fünfzehn Meter über den Boden. Deshalb bauten wir eine Menschenpyramide. Klettern dann über den anderen steigend, nach oben bis zum nächsten Halt. Auf diese Weise, kamen wir jede noch so glatte Wand hinauf. Solange wir genügend Leute hatten. Nach zehn Metern setzten wir die ersten Haken, von da an wurde es einfacher, da wir uns in den Seilschlingen sichern konnten. Brachten im Abstand von zwei Metern, parallel zu einander, aller zehn Meter in der Höhe, Haken in der Wand an. An denen wir die Seile befestigten. Wir mussten nach der Befreiungsaktion Meister Xu, auf diesen Weg herunter transportieren. Xu konnte nicht, wie wir, springen. Je zwei Leute blieben in den Seilen hängen, um Meister Xu weiter zu reichen. Es war schwierig, einen vielleicht bewusstlosen, ausgewachsenen Menschen, in den Seilen zu transportieren, deshalb hatten wir dieses System entwickelt. Es funktionierte super. Auch wenn ich mir damit zwölf Leute blockierte, hatte ich noch genug Leute für den Zugriff. So kamen wir ungesehen, lautlos nach oben auf die Plattform, auf der sich der Tempel befand. Die Mönche des Tempels, hatten keinerlei Sicherungen der Steilwand vorgenommen. Was ich für uns sehr gut fand, selber aber niemals machen würde. So ließ ich, für die Absicherung der Steilwand, weiter zwei Leute zurück. Gingen mit den verbliebenen zweiundzwanzig Leuten, in den Tempel hinein. Erwartungsgemäß, schliefen alle, bis auf einige Wachen, hoch oben in den Türmen. Die achteten allerdings nicht auf die Steilwandseite. So dass wir uns im Schatten, unbeobachtet an das Gebäude herantasten konnten, in dem Meister Xu gefangen gehalten wurde. Ich ließ zwei meiner Kämpfer und Jaan, vor dem Gebäude im Schatten warten. Schickte den Rest meiner Leute zurück, dass sie in zweier Gruppen, an festgelegten Punkten, den Rückweg sichern sollten. Zwei sorgten vor dem Haus für Rückendeckung.

Mit Jaan zusammen ging ich in das Gebäude und lief entlang der Wand, leise bis zu dem Raum in dem wir Meister Xu vermuteten. Es waren keine Wachen da. Etwas, dass mich verwunderte. Kurz entschlossen, legte ich Meister Xu schlafen. Ein noch so leises Geräusch, konnte hier Alarm auslösen. Nickte Jaan zu, der nahm Meister Xu auf die Schulter. Wir liefen genau so leise zurück, wie wir gekommen waren. Begleitet und gesichert von meinen anderen Leuten, kamen wir an die Steilwand. Wickelten Meister Xu, nachdem ich ihn nochmals schlafen gelegt hatte, in eine Decke ein. Wir legten ihn dann auf die, aus der Decke und den beiden Stangen gebaute Trage. Überließen Meister Xu den Trägern, die die Aufgabe hatten den Abt des Klosters sicher nach unten zu transportieren. Wir anderen sicherten stattdessen, das Terrain. Die Träger hingen die Trage in die Seilschlingen und ließen Meister Xu, so Seil für Seil nach unten. Bei der nächsten Station bekam die Trage eine neue Seilschlinge, die alte wurde entfernt, schon ging es die nächsten zehn Meter nach unten. Leider mussten wir ihn noch einmal schlafen legen, aber das war nicht schlimm, ich würde ihm dann etwas geben, damit er keine Schmerzen fühlte. Nach zwanzig Minuten, bekam ich das Signal, das Meister Xu im letzten Seil war. Schon gingen wir ins Taiji und tief in uns, konzentrierten uns auf den Sprung nach unten. Die Seiler bauten von unten nach oben, die Seile ab, so dass wir die Haken aus der Wand wieder entfernen konnten. Auf diese Weise, würden wir keine auffälligen Spuren hinterlassen. Sprangen, nach dem die Seiler oben auf der Plattform waren, in einer vorher bestimmten Reihenfolge, in die Tiefe. Pünktlich um 3 Uhr, standen wir alle ohne Kampf, am Fuß der Steilwand. Wickelten Meister Xu aus der Decke, ich gab ihm eine Injektion von zehn Einheiten B23, gegen die Kopfschmerzen und eine Einheit N91, damit dieser schlief. Die Seile, wie auch die Haken, waren wieder aus der Wand entfernt und in unseren Rucksäcken verstaut.

Alles wurde zusammen gepackt, schon liefen wir zurück zum Tempel. Wurden dort, von einem fassungslosen Meister Ho empfangen. Übergaben ihm Meister Xu, der immer noch tief schlafend, auf den Rücken von Jaan lag. Yen war völlig neben der Spur, konnte seinem Meister nur stotternd berichten, wie mir Raiko erklärte und was er erlebt hatte. Dies konnten die Mönche untereinander klären. Wir waren völlig fertig. Das was wir gemacht hatten, war körperliche Schwerstarbeit. Von daher trat ich einfach vor Meister Ho.

"Sir, dürfen wir uns bitte ein paar Stunden hinlegen, wir sind völlig fertig, Sir."

Meister Ho nickte, damit waren wir entlassen. Ich scheuchte meine Leute in die Betten. Kaum das wir lagen, schlafen wir schon, da wir uns hier vollkommen beschützt fühlten. Nach fünf Stunden erholsamen Schlafes, wurden wir von Geräuschen geweckt, die nicht hierher gehörten. Der Ton eines Gongs, ging uns durch Mark und Bein. Wir sprangen erschrocken auf und liefen nach draußen, wo wir von Meister Ho empfangen wurden.

"Sir, was ist das für ein Geräusch, Sir", fragte ich ihn, hielt mir die Ohren zu. Weil dieser Ton mir richtige Schmerzen bereitet, genau wie allen anderen.

"Hört auf den Gong zu schlagen, das tut den Kindern weh. Informiert so alle, die noch nicht munter sind", rief Meister Ho. "Entschuldige Kahlyn, das wussten wir nicht. Diese Glocke ruft alle. Es ist Alarm, wir werden angegriffen. Der Tempel von Meister Wong, hat den Verlust ihres Gefangen bemerkt und will diesen jetzt wieder zurück holen. Wir sind umstellt und werden von allen Seiten bedroht. Verdammt, ich dachte die geben auf ohne Blutvergießen. Kahlyn, ich mache mir Sorgen, um Meister Xu, der schläft immer noch. Ist nicht mal von der Alarmglocke munter geworden."

"Sir, Meister Xu schläft nur fest, weil ich ihm etwas gespritzt habe, dass ihn für 12 Stunden schlafen lässt, Sir. Machen sie sich keine Sorgen. Ziehen sie bitte alle vom Alarm zurück, sichern sie mit allen Kräften die ihnen zur Verfügung stehen, das Gebäude in dem sie Meister Xu untergebracht haben, Sir. Geben sie mir jemand zur Seite der sich mit den Leuten des anderen Tempels auskennt. Ich möchte wissen, wer den Kampf anführt, Sir. Den muss ich außer Gefecht setzten, damit der Kampf schnell und ohne Blutvergießen, für euch zu Ende geht, Sir. Raiko, du bleibst mit dem Funkgerät bei Meister Ho."

Meister Ho teilte mir einen seiner Sifu zu. Dessen Name Jian war. Jian zeigte uns, wer der Anführer des Angriffs war.

Zu meinem Entsetzen stellte ich fest, dass die Mitglieder des anderen Tempels, schwer bewaffnet waren. Da wir zu diesem Einsatz, nur mit Nahkampfwaffen geschickt wurden, hatten wir ein großes Problem. Ich schickte meine Leute auf die Posten der Mönche und verwies alle Mönche nach hinten, ins Innere des Tempels, um diese in Sicherheit zu wissen. Auch schickte ich zwanzig meiner Leute zurück, um für den Fall eines Durchbruches, für die Sicherheit der Mönche zu sorgen. Verteilte stattdessen meine Leute, an strategisch wichtigen Punkten, innerhalb des Tempels.

Das Problem an dieser Situation war, dass ich dadurch für die Verteidigung des Tempels, nur noch zehn Kämpfer zur Verfügung. Es würde schwer werden, vor dem Tempel standen fast hundert schwer bewaffnete Mönche. Diesmal ging es nicht anders. Die anderen Kämpfer brauchte ich zur Sicherung des Tempels, von innen. Meine besten sechs Scharfschützen hatte ich auf den Türmen verteilt, die sich auf die Schnelle, aus herumliegenden Material, Schleudern und Pfeil und Bogen zusammen gebaut hatten. Diese konnten nur im Notfall eingreifen, da uns viel zu wenig Zeit zur Vorbereitung blieb. Also musste ich dafür sorgen, dass der Angriff der anderen Mönche sehr schnell zu Ende war.

Ich begab mich mit meinen zehn besten Nahkämpfern vor den Tempel. In dem wir die Schatten nutzen, um uns zu verbergen. Cankat wies mir den Weg, zum Befehlshaber des Angriffs. Wir würden uns zu dem Mönch durchkämpfen müssen. Nirgends sahen wir eine Möglichkeit die Gruppe zu umgehen. Uns blieb nur eine Täuschungsmöglichkeit, in dem wir eine Keilformation bildeten, mit der ich frontal gegen die geschlossene Angriffslinie vorging.

An erster Stelle lief ich und mir nachfolgten etwas versetzt Rashida und Andi, die Reihe danach Rafik und Kantu, wieder eine Reihe dahinter Miwa und Balin, dahinter Halil und Mila, den Schluss bilden Anzo und Rina. So wurde von vorn der Eindruck erweckt, dass eine wesentlich größere Gruppe angreifen würde.

Durch die dicht gestellten Reihen, vermutete die Gegenseite nicht, dass unsere Mitte leer war. So entstand der Eindruck, dass ich mit mindestens sechsunddreißig Leuten den angreifen würde. Auch wenn die Chance nicht sehr große war, baute ich darauf, dass die Leute sich zurückziehen würden und einfach aufgaben.  

Über Raiko der bei Meister Ho geblieben war, ließ ich mir erklären, wie man die Leute am besten zum Aufgeben zwang. Welche Worte die Richtigen waren. Rina brachte dieses stimmgewaltig zum Ausdruck. Leider bekamen wir nur, höhnisches Lachen zur Antwort. Uns blieb also nichts anderes übrig, wir mussten kämpfen.

Schweren Herzens befahl ich den Kampf, gab aber das Gesetzt nicht frei. Wir wollten eine Blutfehde verhindern und nicht töten. Das bedeutete für uns, dass wir in diesen Kampf Kugelfang spielen würden. Ohne Verletzte würden wir den hier keine Aufgabe erreichen. Deshalb befahl ich meinen Kämpfern, unsere Gegner nur auszuschalten, wenn wir direkt angegriffen wurden. Keinen der Mönche sollten sie töten. Mein Ziel war es, schnellstmöglich durch die Kampflinien zu brechen und den Befehlshaber dieses Angriffs, auszuschalten. Das konnte ich nur erreichen, indem ich einfach durch dessen Leute hindurch rannte oder besser umrannte. Gezielt legte ich den Mönch auf den Boden und hielt ihn in der Zwangshaltung fest. In der mich, meine Leute immer zwangen aufzugeben. Schreiend lag der Mönch am Boden und konnte sich nicht mehr wehren. Auf diese Weise zwang ich ihn nach einer Minute, seinen Leuten zu befehlen aufzugeben. Ganze zehn Minuten hatte der Kampf gedauert. Allerdings war er für meine Kämpfer und mich, nicht sehr gut ausgegangen.

Nach Beendigung des Kampfes rief ich meine verbliebenen Leute vor den Tempel, um das Ablegen der Waffen zu kontrollieren und die Angreifer alle festzunehmen und zu fesseln. Kümmerte mich als erstes, um die Gefangenen und versorgte sie medizinisch und dann um meine Leute. Wir hatten tüchtig etwas abbekommen. In einer V-Formation war es kaum möglich Kugeln auszuweichen. Bekam von Jaan und Rashida Unterstützung bei der Versorgung. Kantu und Anzo würde ich in der Schule nachoperieren müssen, da deren Verletzungen hier nicht zu operieren waren, mir fehlte einfach die nötige Ausrüstung dazu. Deshalb versorgte ich diese nur Notdürftig. Spritze ihnen die Schmerzen weg. Fassungslos kam Meister Ho zu uns, sah wie schwer meine Leute, zum Teil verletzt waren.

Schimpfend ging er auf den Anführer des Angriffs los. Er konnte einfach nicht verstehen, warum der Tempel von ihm angegriffen wurde. Dieser erzählte ihm, dass wir ein Blutbad in seinem Tempel angerichtet hätten. Kopfschüttelnd stand ich da. Meister Ho kam auf mich zu, bat mich vor den Gefangen eine Aussage zu machen.

"Kahlyn, wie viele Leute habt ihr im Tempel von Meister Wong getötet?"

Fassungslos sah ich ihn an. "Sir, wir haben nicht einmal gekämpft, Sir. Den einzigen Menschen den wir berührt haben, war Meister Xu. Den haben wir schlafen gelegt, damit dieser nicht ausversehen noch die Wachen alarmiert, Sir. Wir haben gar nicht gekämpft. Fragen sie Sifu Yen, der sah uns gleich, als wir aus der Wand kamen, Sir. Keiner von uns hatte auch nur einen einzigen Spritzer Blut am Körper, Sir."

Meister Ho drehte sich nach Yen um und winkte diesen heran. Nach dem er ihm erklärt hatte, was der Befehlshaber des anderen Tempels behauptet und ich darauf erwidert hatten.

"Yen, stimmte das was Kahlyn gesagt hat."

Yen bestätigte meine Worte. "Meister, die Kinder haben dort nicht gekämpft. Raiko hatte ein Funkgerät und er hat mir genau berichtet, was die Kinder im Tempel gemacht haben. Sie haben sich gewundert, dass bei Meister Xu, nicht einmal Wachen vor der Tür stand. Sie ohne irgendeine Schwierigkeit in den Tempel hinein und wieder hinaus gekommen waren. Raiko erklärte mir, das sei ungewöhnlich, normalerweise hätten, die Kinder unterwegs wenigstens drei oder vier Wachen schlafen legen müssen. Damit sie ungesehen an den Gefangen heran kommen konnten."

Meister Ho sah mich an.

"Sir, das stimmt, was Raiko Sifu Yen erklärt hat. Es war wirklich sehr ungewöhnlich. Aber ich kenne die Verhältnisse in einem Tempel zu wenig, um einschätzen zu können, ob das normal oder unnormal ist, Sir. Es hat mich nur gewundert, ich hätte um dieses Gebäude Wachen aufgestellt oder zu mindestens patrollieren lassen, Sir. Aber wir waren froh darüber, so brauchten wir niemanden zu verletzen, Sir."

Meister Ho nickte. Er glaubt mir aufs Wort. Wandte sich wieder Meister Guan zu, der den Angriff geführt hatte. "Was sagen sie jetzt?"

Guan sah zu Boden und starrte beschämt vor sich hin. "Meister Ho, das Mädchen hat Recht, es ist keiner zu Schaden gekommen. Wir haben uns von unserer Wut treiben lassen. Konnten nicht verstehen, wie man Meister Xu aus unseren Tempel befreien konnte, ohne dass wir das merkten. Erst heute früh um 6 Uhr fiel uns auf, dass Meister Xu verschwunden war. Wütend haben wir das ganze Kloster durchsucht und dachten, dass ihr mit Hubschraubern, euren Meister geholt habt. Von daher die Bewaffnung", beschämt sah er wieder zu Boden.

"Ihr habt also unschuldige Kinder verletzt, nur um euer Versagen zu bereinigen. Ihr seid es nicht wert…"

Ich unterbrachen Meister Ho, auch wenn dies nicht richtig war. "Sir, entschuldigen sie bitte, Sir. Darf ich sie unterbrechen, darf ich sie etwas fragen, Sir."

Verwirrt sah mich Meister Ho an, so etwas hatte ich noch nie gemacht. "Kahlyn sprich, denn ist es bestimmt etwas Wichtiges, sonst würdest du mich nicht unterbrechen", aufmunternd nickte er mir zu.

"Sir, jawohl, Sir. Sie begehen einen Fehler, Sir. Wissen sie Meister Ho, ich versuche mich immer in die Gegenpartei hinein zu denken. Versuchen sie dies doch auch einmal, Sir. Wie hätten sie in diesem Fall reagiert, Sir? Ich denke genauso, Sir. Das genau ist der Grund, weshalb sie ständig, mit dem anderen Tempel im Streit leben, Sir. Warum setzen sie sich nicht einfach einmal an einen Tisch und reden miteinander, über die Dinge die sie stören, Sir. Dann kommen solche Sachen nicht mehr vor, Sir. Sie sind doch schon so viel älter als wir, Meister Ho. Weshalb können sie Konflikte nicht auch auf unsere Art regeln, Sir. Wir setzen uns hin, reden mit einander, sagen uns, was uns nicht passt, Sir. Dann reichen wir uns die Hand und trainieren wieder miteinander, Sir. Wenn wir das können, dann könntet ihr das doch auch, Sir. Ihr wollte doch alles das gleiche, gute Kämpfer werden, Sir, dazu braucht man doch nicht ständig Krieg gegen einander führen", beendete ich meine sehr lange Rede.

Kopfschüttelnd sahen mich die beiden Meister an. Dann begann Meister Ho zu lachen, kam einen Schritt auf mich zu und zog mich einfach in den Arm.

"Kahlyn, du hast so recht, mit dem, was du da sagst. Meister Guan, was denkt ihr? Hat dieses kleine Mädchen Recht?"

Fragend sah Meister Guan mich an. Legte die Hände zum Shaolin-Gruß zusammen verbeugte sich tief vor mir. Sah mich danach offen an, musterte mich lange und intensiv.

"Sag mir Mädchen, wie alt bist du?"

Verwundert sehe ich ihn an. "Sir, man nennt mich Kahlyn, Sir. Ich bin ungefähr neun Jahre alt, Sir. Warum interessiert sie das, Sir? Es ändert doch nichts an der Tatsache, dass ihr euch falsch verhalten habt, Sir."

Kopfschüttelnd sah mich Meister Guan an, holte tief Luft. "Nein Kahlyn, es ändert nichts an der Tatsache, dass wir uns falsch verhalten haben. Aber es ist schon erstaunlich, dass du mit deinen neun Jahren schlauer bist, als wir. Ich danke dir für deine Ehrlichkeit. Es tut mir leid, dass ich deine Freunde verletzt habe. Aber wir hatten so eine Wut, auf die Leute im Tempel. Jetzt verstehe ich nicht mehr warum", verlegen sah er erst zu Meister Ho, dann zu mir.

"Sir, wenn ich eins in all den Kämpfen gelernt habe, Sir, dann die Tatsache, dass die Wut kein guter Ratgeber ist, Sir. Man sollte niemals auf sie hören, Sir. Sie bringt einen nichts als Ärger und Schmerzen ein, Sir."

Meister Guan, kam auf mich zu und nahm mich in den Arm drückte mich. Er drückte mich von sich weg und musterte mich lange, dann nahm er meinen Kopf zwischen seine Hände und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Es war ein Symbol, das mir deutlich machte, dass er mich in seinem Herzen, als Freund eingeschlossen hatte. So erklärte es mir Oberst Zhang auf den Flug hierher, als es um bestimmte Rituale ging, die uns begegnen könnten. Ich glaube, ich war ganz rot geworden. So etwas, hatte ich noch nie erlebt. Ich sah Meister Ho an, der merkte, dass ich etwas sagen wollte, mich aber nicht traute.

"Kahlyn, was hast du auf den Herzen, du möchtest doch noch etwas sagen."

Verlegen nickte ich. "Sir, jawohl, Sir. Wenn der Kampf jetzt beendet ist, die Fronten geklärt sind, Sir. Können sie dann die anderen Mönche nicht einfach frei lassen, Sir. Die befolgten doch nur die Befehle Meisters Guan, Sir. Da er begriffen hat, dass sein Handeln falsch war, besteht doch keine Gefahr mehr, für Meister Xu und den Tempel, Sir. Geben sie den Mönchen ihre Freiheit wieder, als Zeichen ihres guten Willens, Sir. So dass sie Freundschaft schließen können, mit ihren Mönchen, Sir. Die Freilassung der Mönche, wäre ein Symbol, der den Frieden beider Tempel besiegelt, Sir. Sie haben ihren Meister wieder, Sir. Die anderen ihren Frieden, Sir."

Meister Ho holte tief Luft, dann schüttelte er den Kopf. Befahl jedoch sofort, allen Gefangen die Fesseln abzunehmen. Meister Ho, drehte sich zu einem seiner Schüler um, sagte ihm etwas ins Ohr, sofort lief dieser in den Tempel.

"Folgt uns, in unseren Tempel und seid unsere Gäste. Dieses kleine Mädchen hat so Recht, mit allem, was sie uns gesagt hat. Schließen wir Frieden und finden wir eine endlich eine Möglichkeit zusammenzuarbeiten. So haben wir alle etwas davon."

 

Er gebot allen, ihm folgen. Die Mahlzeiten der Mönche, waren nicht sehr große, doch alle wurden satt. Schnell kochte man etwas Reis und es wurde Gemüse gebraten und Sake verteilt. Auch uns bat man in der Runde Platz zu nehmen, stellte uns reichlich Wasser zum Trinken hin. Es wurde geplaudert und gelacht.

Nach zwei Stunden kam Meister Xu, in Begleitung von Meister Ho zum Fest. Ganz verwirrt, wieso er zu Hause war und seine Erzfeinde, in seinem Tempel bewirtet wurden. Nach dem ihm Meister Ho alles aufs Genauste erklärt hatte, was vorgefallen war und Meister Guan sich offiziell entschuldigte. Nickte er, setzt sich zu den anderen in den Kreis. Xu bekam wie alle anderen Essen und Trinken. Ständig beobachtete er das kleine Mädchen, das von Meister Ho in den höchsten Tönen gelobt wurde. Immer wieder beugte er sich zu Meister Ho, redete mit ihm leise und sehr intensiv. Plötzlich bat er mich, zu einem Gespräch unter vier Augen in seine Gemächer. Da Meister Xu fließend deutsch sprach, war das kein Problem.

"Kahlyn, ich möchte dir noch einmal persönlich danken. Was du hier für uns erreicht hast, ist nicht mit Gold zu bezahlen. Das deine Freunde dabei zum Teil schwer verletzt wurden, tut mir in der Seele weh. Das wäre mit einer bestimmten Technik nicht geschehen. Das ihr trotzdem ihr wusstet, dass dieser Einsatz für euch tödlich enden könnte, diesen so konsequent bis zum Schluss durchgezogen habt. Verdient unseren Respekt, vor allem da mir Meister Ho sagt, dass ihr noch so jung seid. Stimmt es das ihr erst neun Jahre alt seid?"

Ich sah verlegen zu ihm hoch, da dieser aufgestanden war. "Sir, jawohl, Sir."

Kopfschüttelnd musterte er mich. "Umso höher ist unser Respekt für euch. Ihr habt mehr Verstand, als viele von uns. Vielleicht ist es eure Jugend die es möglich macht, so geradlinig zu denken. Aber es ist wahr, was du Meister Ho und Meister Guan sagtest. Nur durch reden, kann man Lösungen finden. Das nun endlich für immer Friede zwischen unserer beiden Tempel herrscht, war schon immer mein größter Wunsch. Ich weiß von Meister Ho, dass du sehr an allen Kampftechniken interessiert bist. Dein Verhalten hier, hat mir gezeigt, dass du niemals etwas tun würdest, was unschuldige Menschen in Gefahr bringt. Deshalb bitte ich dich mir zu folgen. Ich möchte dir einen Kampfstil zeigen, den nur die Besten meiner Kämpfer erlernen, die zum Schutz unseres Tempels, für immer hier bleiben, sich auf Lebzeiten dem Kloster verpflichten. Damit nie wieder, deine Freunde bei solchen Kämpfen so schwer verletzt werden, mit dieser Technik hättet ihr den Kugeln ausweichen können. Das soll eure Belohnung für eure Mühe sein, den Frieden zwischen zwei, seit hunderten von Jahren, zerstrittenen Tempeln hergestellt zu haben. Bitte, wenn du diese Kampfkunst deinen Leuten lernst Kahlyn, dann nur unter der Voraussetzung, dass diese den Kampfstil nicht weitergeben dürfen", ernst sah er mich an.

Ich nickte unsicher, musterte Xu lange, bevor ich antwortete. "Sir, keiner meiner Leute, würde das tun, Sir. Ich verpflichte sie zur Geheimhaltung, Sir. Auch würde niemals einer meiner Freunde, etwas gegen einen Schwächeren unternehmen, Sir. Wir sind auf dieser Welt um zu beschützen, würden niemals etwas tun, Sir, was andere in Gefahr bringt, Sir."

"Genau das wollte ich von dir hören. Das hast du heute bewiesen. Also komm."

Er ging mit mir nach hinten, in einen anderen Hof. Dort trainierte Meister Xu mit mir, eine Art Schwerttanz. Bei denen man mit zwei Taiji Schwertern kämpfte. Erstaunt stellte er fest, wie schnell ich diese Technik verinnerlichte. Korrigierte jeden noch so kleinen Fehler, bis ich die Bewegungen hundert prozentig genau ausführte und er mit mir zufrieden war. Schweißgebadet saßen wir beide, nach fast zwanzig Stunden, an einem Wassereimer. Den uns Yen gebracht hatte, um unseren Durst zu stillen. Er reichte uns auch Tücher, damit wir uns abtrocknen konnten.

"Meister Xu, darf ich sie etwas fragen, Sir?"

Xu drehte sich und mich so, dass ich genau vor ihm saß. "Kahlyn, du darfst mich alles fragen", lächelnd streichelte er mein Gesicht, wischte die Schweißtropfen, mit dem Handtuch von meinem Gesicht.

"Sir, warum müssen Menschen sich immer bekämpfen, Sir? Ich verstehe es nicht, Sir. Das Leben wäre ohne Kampf viel schöner, Sir. Am liebsten würde ich für immer hier bleiben, Sir. Hier ist so viel Ruhe, so viel Geborgenheit, Sir. Ich mag nicht mehr zurück, in mein altes Leben, Sir. Noch nie sind wir so, wie hier behandelt wurden, Sir."

Verwunderung stand auf Meister Xus Gesicht geschrieben. "Deine erste Frage kann ich dir nicht genau beantworten, Kahlyn. Ich denke so manches Mal, mein kleines Mädchen, der Fehler der meisten Menschen besteht darin, dass sie nach mehr Macht streben, als sie tragen können. Sie vergessen dabei einfach ihre Wurzeln. Wieso möchtest du für immer hier bleiben, Kahlyn? Ich verstehe es nicht. Ihr müsst hier hungern. Ihr könnt nur Wasser trinken. Eine andere Nahrung, haben wir für euch nicht", fragend sah er mich an. Der Abt konnte nicht begreifen, dass ich mich hier wohl fühle, obwohl ich hungern musste.

"Meister Xu, so schlimm ist unser Hunger noch nicht, der würde erst in einigen Wochen schlimm werden, Sir. Wir sind es gewohnt mal ein oder zwei Wochen nichts zu essen, Sir. Durst ist viel schlimmer, Hunger kann man mit Wasser bekämpfen, Sir. Warum ich hier bleiben möchte, Sir? Es ist eine Harmonie hier, die ich noch nirgends erlebt habe, Sir. Das erste Mal in meinem Leben, habe ich nicht das Gefühl getrieben und gehetzt zu werden, Sir. Ich kann es nicht so genau in Worte fassen, nicht in dieser Sprache, Sir."

Verlegen begann ich mit meinen Finger zu spielen. So wie ich es oft machte, wenn ich etwas nicht zum Ausdruck bringen konnte. Meister Xu hielt meine Hände fest, drückte mein Kinn nach oben, um mir in die Augen zu sehen. Es war dunkel, deshalb hatte ich das Band abgenommen.

"In welcher Sprach könntest du das ausdrücken, Kahlyn?"

Lange sah ich ihn an. "Sir, nur in meiner Sprache, Sir. Darf ich ihn etwas zeigen, Sir. Aber sie werden Schmerzen dabei empfinden, leider kann ich die im Moment nicht ganz zurück halten, Sir."

Meister Xu sah mich verwundert an, dann nickte er.

"Sir, erschrecken sie nicht. Gleich wird meine Hand erglühen, Sir. Ich bin gleich Teil ihrer Gedanken, Sir", ich zog mein Band über die Augen, es wurde schon langsam hell.

Im Anschluss legte ich ihm die Hand auf die Brust, ging in seinen Geist, zeigte ihm mein ganzes bisheriges Leben, mit all dem Schmerz und all dem Leid. Fast vier Stunden saßen wir uns gegenüber. Von außen hatte es den Eindruck, als ob wir beide schliefen. Ganz still saß Meister Xu da, genau wie ich. Ich brachte ihm auf diese Weise, als Dank auch das Fobnekotar bei und unsere Sprache, damit er etwas hat, an dass er sich erinnern konnte. Langsam ging ich wieder aus seinem Geist, sah verschämt zum Boden. Lange musterte mich Meister Xu, stand plötzlich auf und zog mich in seine Arme. Er hielt mich einfach fest. Tränen liefen aus meinen Augen, ich konnte nichts dagegen tun. Diese Ruhe hier machte mir klar, wie schlimm mein Leben bis jetzt war. Vor allem, wie sehr ich mich nach solch einen Leben sehnte, nach dieser seelischen Ruhe.

"Kahlyn, diese Ruhe kannst du überall finden. Du musst dich nur, an diese Ruhe hier erinnern. Ziehe dich zurück, in dich selber und meditiere, nur so findest du deinen inneren Frieden. Wann immer du oder deine Kameraden es wollen, ihr werdet in unserem Tempel, immer einen Platz der Ruhe haben", weinend blickte ich zu Meister Xu.

"Sir, wirklich, Sir."

"Kahlyn, jeder Zeit."

Erleichtert atmete ich durch.

Meister Xu wischte meine Tränen weg. "Komm mit zu deinen Leuten, ich möchte euch noch etwas schenken, als Dank für das, was ihr für unseren Tempel getan habt. Aber vorher machen wir noch einen kleinen Kampf", forderte er mich lachend auf. Schon umfasste er meine Schulter und schob mich in Richtung des Hauses. Wir liefen daran vorbei und betraten den Hof, von der Seite, in dem meine Freunde auf mich warteten. Entsetzt sahen mich meine Freunde an. Ich war immer noch schweißgebadet, etwas, dass bei mir noch nie vorgekommen war, während des Trainings, nur wenn ich schwer krank war.

Rashida trat besorgt auf mich zu. "Täubchen, wieso bist du so nass?"

Ich winkte ab und folgte Meister Xu.

Vertröstete sie in der Verbindung. "Rashida, wir klären das später."

Meister Xu blieb stehen, bat alle, das Kampfareal frei zu machen. "Ich möchte euch einen kleinen Kampf zeigen, den ich mit Kahlyn austragen möchte. Ich habe ihr gerade unser Jian-Kun Fu gelehrt. Einen Schwertkampf, zu deren perfekten Ausübung wir Jahre brauchen. Dieses Mädchen jedoch, hat dies in nur zwanzig Stunden zur Perfektion gebracht. Kahlyn, lass uns etwas miteinander spielen."

Ohne zu zögern begann er den Kampf mit den Jian-Schwertern, ganze zwanzig Minuten dauerte unser Kampf. Endet damit, dass ich Meister Xu auf dem Boden legte. Was einen erstaunten Ausruf von seinen Sifu, zur Folge hatte. Noch nie war das jemand gelungen. Ich half Meister Xu auf die Füße, verbeugte mich nach Shaolinart, tief vor meinem Meister.

"Sir, danke das sie mir diesen Kampfstil beigebracht haben, ich werde ihn den Schwerttanz nennen, Sir. Ich werden immer an sie denken, sie stets tief in meinem Herzen tragen, Sir. Sie gaben uns hier mehr als nur Obdach, sondern Friede und Anerkennung, Sir. Mehr als wir je in unserem Leben bekamen, Sir."

Jetzt standen Tränen in den Augen, nicht nur von Meister Xu und Meister Ho, sondern auch von Meister Guan. Dieser ging auf Meister Xu und Meister Ho zu, rief einen seiner Sifu zu sich. Kurz reden alle miteinander, lächelnd verbeugte sich der Sifu vor den Meister, drehte sich um verließ mit zwei Duzend seiner Leute den Tempel. Meister Xu kam noch einmal auf mich zu.

"Kahlyn, bist du noch in der Lage, eine weitere Kampftechnik zu verinnerlichen oder wird dir das heute zu viel?"

"Sir, nein, Sir. Ich kann noch trainieren, Sir", erklärte ich ihm.

"Dann folge mir und Meister Guan bitte nochmals in den Hof. Deine Leute, sollten sich aber etwas hinlegen zum schlafen. Es ist schon kurz vor dem Morgengrauen."

So drehte ich mich zu meinen Kameraden um. Ging auf Rashida zu und rief Jaan zu mir, die beiden waren meine Stellvertreter.

"Rashida, Jaan, ihr beiden sorgt dafür, dass sich alle einige Stunden lang macht, bitte kontrolliert die Verletzungen von Balin, Halil, Kantu und Anzo, ruft mich, wenn ihr mit den Verbänden nicht klar kommt. Ihr könnt mich über Yen erreichen, wenn ihr mich holen müsst. Nutzt die Zeit zum Schlafen. Ich muss diese Gelegenheit beim Schopf packen, so viel wie möglich an Kampftechniken zu erlernen, bitte versteht das. Ich schlafe im Flieger etwas, wenn ihr schlaft, kann ich mir Kraft, über das Jawefan von euch holen. Also schlaft für mich mit."

Die beiden lächelten mich an, wussten sie doch, dass ich immer daran interessiert war, uns alle besser zu machen. Damit keiner mehr verletzt wurde, in den oft aussichtslosen Kämpfen. Sogleich drehte ich mich um und ging auf die beiden Meister zu. Folgte ihnen in einen anderen Hof. Jeder Hof, schien hier für spezielle Techniken ausgerüstet zu sein. Keine zwei Stunden brauchte ich, um das Werfen von Shuriken zu erlernen und das Kämpfen mit den Nunchaku zu erlernen. Fassungslos sahen mich die beiden Meister an.

"Kahlyn, wieso kannst du das so schnell lernen."

Verlegen sah ich auf meine Füße.

"Du musst nicht verlegen sein", half mir Meister Xu.

"Sir, es ist doch so, dass fast alle Bewegungsabläufe, eines Kampfstiles sich auf eine gewisse Weise ähneln, Sir. Hat man die Grundlagen erfasst, ist es einfach neue Techniken dazu zu lernen, Sir. Die Bewegungsabläufe wiederholen sich, Sir. Nur kleine, wie soll ich es nennen Nuancen weichen ab, diese zu erlernen ist nicht so schwer, Sir. Ich kann doch nichts dafür, dass ich für so etwas einfach eine schnelle Auffassungsgabe habe, Sir. Dafür kann ich nicht singen, kann auch keinerlei Technik bedienen, Sir."

Versuchte ich es zu erklären. Meister Xu, der für Meister Guan übersetzten musste, wischte sich mehrmals die Lachtränen aus den Augen. Das machte es mir noch unangenehmer. Kopfschüttelnd sahen mich beide an.

"Na dann, wirst du wohl dann deinen Funker wecken müssen, um nach Hause zu kommen", erklärte mir Guan lachend.

Da musste ich mit lachen. "Sir, jawohl, Sir. Oder ich lasse sie schlafen, dann kann ich für immer hier bleiben, Sir", lachend kehrten wir auf den Hof zurück.

"Dann legen wir uns auch noch ein paar Stunden hin, gegen 10 Uhr werde ich euch wecken lassen, dann geht ihr noch mal zum Fluss. Bestellt euren Transport so, dass ihr gegen 18 Uhr abgeholt werdet. Guten Nacht Kahlyn, schlaf gut."

Meister Xu, Guan und ich verbeugen uns und wir gingen jeder in unseren zugewiesenen Schlafraum. Es war kurz vor 8 Uhr am Morgen. Ich weckte Kaija, die unseren Transport mit Oberst Zhang absprechen musste und ließ diesen für 18 Uhr bestellen. Vorsichtshalber sah ich auch noch einmal nach den vier Schwerverletzten. Erleichtert stellte ich fest, dass alles so war, wie es sein sollte. So konnte ich noch gut zwei Stunden schlafen. Um zehn Uhr wurde ich munter, weckte meine Kameraden, die immer noch tief und fest schliefen. Etwas was wir sonst nur zu Hause, in unserem Raum konnten. Auch sie spürten diese Ruhe und diese Geborgenheit. Zusammen liefen wir, nur in Turnhose und Bustier bekleidet, hinunter zum Gelben Fluss, um zu baden. Nach einer Stunde liefen wir zurück, zum Tempel, kleideten uns wieder an. Nahmen nochmals, am Training teil. Um 13 Uhr erscheinen Meister Xu, Ho und Guan, auf dem Hof und unterbrachen das Training.

Es kamen fast dreihundert Mönche, aus dem Tempel Wong, begleitet von Meister Chen, dem Abt des Tempels. Der uns auch noch kennen lernen wollte. Auf einem provisorischen Altar, wurden Waffen gesegnet, auf traditionelle chinesische Art, mit einer wunderschönen Zeremonie, in der eine tiefe Meditation eingeschlossen war. Im Anschluss an diese Zeremonie, bekamen wir alle zwei Taiji Schwerter und eine Holzkiste mit Shuriken und einem Nunchaku, geschenkt. Die mit unseren Namen versehen waren, geschrieben in der traditionellen chinesischen Schrift und mit den dazugehörigen deutschen Namen, die sich Meister Guan, extra von Chim zeigen ließ. Als Andenken an diesen Einsatz. Vor allem aber, als Dank für die Vereinigung der beiden Tempel. Fassungslos sahen wir die Mönche an. Noch nie hatten wir etwas geschenkt bekommen. Vor allem noch niemals so etwas Wertvolles. Ich sprach wohl das aus, was auch meine Freunden durch den Kopf ging.

"Meister Xu, Meister Ho, Meister Chen, Meister Guan wir bedanken uns alle sehr für diese Gaben. Allerdings weiß ich nicht, ob wir das annehmen dürfen, Sir. Ich glaube nicht das Oberst Mayer, solche wertvollen Waffen, in unserem Besitz dulden wird, Sir."

Ängstlich richtete ich meinen Blick zu Boden. Ich wusste, dass ich die Meister damit, zu Tode beleidigte. Meister Xu hatte vorher schon über Funk mit Oberst Zhang gesprochen, der uns hier abholen sollte. Der chinesische Oberst trat zu meiner Überraschung, aus einer Gruppe von Schülern, ebenfalls bekleidet in traditioneller Kleidung der Mönche hervor, deshalb hatten wir ihn vorher nicht gesehen.

"Kahlyn, deine Ängste kann ich verstehen. Ich habe deshalb mit den Vorgesetzten von Oberst Mayer kurz geschlossen. Generalmajor Hunsinger hat sich sehr gefreut, dass ihr diesen Auftrag so gut zu Ende gebracht habt und damit den Beziehungen zwischen der DDR und China einen großen Dienst erwiesen habt. Deshalb hat er Oberst Mayer befohlen, die Waffen als Dank anzunehmen. Die Waffen gehören euch. Oberst Mayer darf diese euch nicht wegnehmen. Sie sind euer alleiniges Eigentum."

Fassungslos sahen wir ihn an. Das ließ sich der Oberst nicht einfach gefallen. Da kamen schwere Zeiten auf uns zu. Ich glaube Meister Xu hatte uns schon gut kennengelernt, er sprach aus, was wir fühlten.

"Kahlyn, warum hast du Angst. Es sind Geschenke für euch und als Dankeschön für euren guten Einsatz hier. Du musst dich nicht fürchten."

Lange brauchte ich, um mich zu beruhigen, ging sogar in die Taiji-Atmung. Das, was uns durch diese Geschenke blühte, würde nicht einfach werden. Doch wie sollte ich das unseren Freunden hier erklären, die unseren Vorgesetzten nicht kannten. Die nicht wussten zu was dieser fähig war. Ich konnte doch hier nicht meinen Vorgesetzten schlecht machen. In der Verbindung fragte ich meine Kameraden, was wir machen wollten. Einstimmig waren alle der Meinung, wir sollten die Geschenke annehmen. Würden uns diese auch nicht wegnehmen lassen, egal was Mayer sagte. Damit war es beschlossene Sache, dass wir mit den Konsequenzen leben würden. Nur dieses eine Mal, würden wir unseren Willen durchsetzen.

"Meister Xu, ich fürchte mich nicht um mich, sondern um meine Freunde, Sir. Es wäre nicht gut, wenn ich ihnen erzähle warum, Sir. Sie haben meine Erinnerungen an mein Leben gesehen, Sir. Können sie sich vorstellen, dass wir einfach solche wertvollen Geschenke behalten dürfen, Sir. Ich für meinen Teil nicht, Sir. Doch wir haben gerade in der Gruppe beschlossen, Sir. Dass wir um diese tollen Waffen kämpfen werden, Sir. Auch, wenn es bedeutet das wir es vielleicht mit unserem Leben bezahlen müssen, Sir. Einige von uns sind immer noch schwer verletzt, Sir. Daher besonders gefährdet, Sir. Vielen Dank, für diese tollen Waffen, Sir. Wir werden sie hüten wie unser Leben, Sir."

Wir nahmen die Hände alle in den Shaolin-Gruß, verbeugen und tief vor den Mönchen, den wir solche schönen Geschenke zu verdanken hatten. Meister Ho gab uns jeden noch eine Flasche mit einem pflanzlichen Mittel.

"Kahlyn wenn ihr diese Schwerter, vor dem Kampf mit zwei Tropfen dieser Flüssigkeit einreibt. Setzt ihr eure Gegner zusätzlich außer Gefecht. Sollten sie den Schwerttanz überleben, haben sie dadurch einige Stunden Probleme sich zu bewegen, dieses Gift hat eine lähmende Wirkung. Es hält circa fünf bis sechs Stunden an. In der Flasche hält dieses Mittel zwanzig Jahre, selbst wenn du jeden Tag deine Waffe damit pflegst", lachend zog er mich in seine Arme.

"Passt gut auf euch auf Kinder, wir wünschen euch ein langes Leben. Möge euch Buddha den richtigen Weg weisen."

Diesmal verbeugten sich alle Mönche vor uns und zollten uns auf diese Weise ihren Respekt. Als wir uns ebenfalls verbeugen wollen, schüttelte Oberst Zhang den Kopf.

"Lasst es, es soll euer Abschied sein. Kommt, wir gehen zum Laster."

 

Wir nickten, drehten wir uns sofort um und verließen traurig den Tempel, in dem wir uns so glücklich, wie noch nie gefühlt hatten. Traurig setzten wir uns hin, Oberst Zhang nahm ebenfalls auf dem Laster Platz.

"Was ist los mit euch Kindern? Ihr seht alle traurig aus" erkundigte er sich und war erschrocken als er die Tränen sah, die einigen unter den Brillen hervor liefen.

Die Blicke die wir zurückwarfen, zu den Menschen die uns gut getan hatten, sprachen Bände. Raiko versuchte zu erklären, was mit uns los war. Seine Stimme klang zittrig, aber er war der einzige der im Moment sprechen konnte. Wir anderen waren viel zu aufgewühlt, von diesem neuen Gefühl, das wir bis jetzt nicht kannten.

"Oberst Zhang, bitte verpetzen sie uns nicht bei Oberst Mayer, Sir. Wenn dieser herausbekommt, dass wir geweint haben, bekommen wir schlimmen Ärger, Sir. Der Abschied aus dem Tempel fällt uns allen schwer, weil wir uns hier geborgen gefühlt haben, Sir. Das erste Mal, seit dem wir leben, zollte man uns Respekt und Achtung, nahm uns so wie wir halt sind, Sir. So eine Behandlung sind wir nicht gewohnt, Sir. Höchstens von unserem Doko, Sir."

Auch Raiko konnte nicht mehr weiter sprechen, auch er kämpfte gegen dieses Gefühl an, das in uns hoch kam. Es war als, wenn man einen guten Freund begraben würde, unter unseren Baum. Oberst Zhang, der uns nun schon über zwei Monate kannte, war entsetzt über das, was er in diesem Moment zu sehen bekam. Noch nie hatte er so viele Emotionen bei uns gesehen. Mittlerweilen, weinten wir alle und hielten uns gegenseitig in den Armen. Wir wollten hier nicht mehr weg. Lieber würden wir hier verhungern, als zurück in unser Elend gehen. Da ich nicht sprechen konnte, da mir meine Stimme einfach nicht gehorchen wollte, legte ich Oberst Zhang die Hand auf die Brust.

"Sir, entschuldigen sie bitte, wir wollten nicht dass dies passiert, Sir. Geben sie uns ein paar Minuten, Sir. Dann haben wir uns wieder gefangen, Sir. Der Abschied fällt uns schwer, Sir."

Da zog er mich in seine Arme und hielt mich einfach fest. Fast eine Stunde weinte ich, so schwer fiel mir dieser Abschied. Dann begann ich mich ins Taiji zu atmen, um mich endlich zu beruhigen.

"Sir, entschuldigen sie bitte, Sir. Aber, dass was wir hier erlebt haben, das war so schön, Sir. Wir waren noch nie so glücklich, Sir."

"Kahlyn, aber ihr müsst bei uns verhungern. Wir bekommen keine Nahrung für euch. Sonst hättet ihr bei uns bleiben können. Wirklich, der Gedanke ist uns auch schon gekommen, meine kleine Freundin."

Tief atmend sah ich zu ihm hoch. "Ich weiß, Sir. Aber lieber wären wir bei euch verhungert, als in unsere Leben zurück zu kehren, Sir. Es war ein schöner Traum, wie ein Mensch behandelt zu werden, Sir. Wenn wir beim Oberst sind, dann sind wir wieder nur Tiere, werden genauso behandelt, Sir. Schlimmer noch als der Dreck unter ihren Nägeln, Sir. Ein Freund von uns in der Schule, sagte einmal zu mir, jeder Hund hat mehr Rechte, als wir haben, Sir. Wenn man einen Hund so behandeln würde wie uns, dann würde man den Besitzer einsperren, Sir. Ich wusste bis jetzt nicht, was er damit meint, Sir. Wir waren ja nichts anderes gewohnt, Sir. Aber im Tempel habe ich begriffen, was er meint, Sir. Das, was man mit uns in der Schule macht, ist nicht in Ordnung, Sir. Aber wir werden nicht gefragt, wir müssen immer nur gehorchen, Sir. Ich möchte zurück in den Tempel, lieber verhungere ich glücklich, Sir. Als weiter so zu leben, Sir", weinend sah ich Oberst Zhang an, der fassungslos zugehört hatte.

"Kahlyn, ich verstehe dich ja, aber warum wehrt ihr euch nicht?"

Müde rieb ich mir mein Gesicht, öffnete meinen Overall, zeige Oberst Zhang einige der besonders schlimmen Narben. "Sir, wir haben uns einmal gewehrt, Sir. Sehen sie diese Narben, Sir. Die bekamen wir dafür, dass wir uns gewehrt haben, im Anschluss…" Genau berichtete ich ihm, was Oberst Mayer damals mit uns gemacht hatte, dem auspeitschen mit der Sternenpeitsche, den ganzen Horror von Stechlinsee. "… glauben sie wirklich, Sir. Das wir uns noch einmal wehren werden, Sir? Selbst dafür, dass wir diese tollen Waffen angenommen haben, wird es für uns eine Strafe geben, Sir. Oberst Mayer hat keine bekommen, ist deshalb neidisch darauf, Sir. Wie immer werden wir bestraft, ob wir gut waren oder schlecht, spielt dabei keine Rolle, Sir. Bis jetzt war uns das noch nie so bewusst, Sir. Durch die sechs Tage im Tempel, lernten wir den Unterschied, Sir. Jetzt wird die Strafe für uns noch schlimmer sein, Sir."

Oberst Zhang konnte nicht glauben, was er da zu hören bekam.

"Sir, ich habe Angst um Balin, Halil, Kantu und Anzo, die vier sind schwer verletzt, Sir. Ich habe meine Kameraden versorgt bevor ich zum Rapport war, Sir. Er wird die Vier wieder schlagen, dann kann ich nichts mehr für meine Freunde tun, Sir. Schon vier Mal hat Oberst Mayer in den letzten drei Jahren auf diese Weise meine Leute getötet, Sir."

Ungläubig sah mich Oberst Zhang an, doch das Nicken der anderen bestätigte meine Worte. Ich berichtete Oberst Zhang, ohne auf die Etikette zu achten, einfach so, als wenn ich es einem guten Freund erzählen würde.

"Sir, im November 1966. Schlug er, Cyra, einfach in den Bauch, verletzte diese so schwer, dass ich sie nicht mehr retten konnte. Hasin, bekam Schläge gegen die gebrochenen Rippen, im Januar 1967 und starb an den Folgen der Verletzungen, erstickte an seinem eigenen Blut. Justa, schlug er gegen die gebrochene Nase, schob ihr das Nasenbein ins Gehirn, im Mai 1967. Im Dezember 1967, verstarb wegen Mayer unsere Adya, als er gegen die frisch operierte Schussverletzung der Lunge schlug. Das Schlimme daran war für mich immer gewesen, dass er mir die Schuld in die Schuhe schob. Stets behauptete Oberst Mayer, dass ich meine Arbeit als Ärztin nicht richtig gemacht hätte. Können sie sich vorstellen, was er diesmal macht. Wenn er sieht, dass wir beladen mit Geschenken kommen, Sir", verzweifelt sah ich ihn an. "Sir, können sie die Waffen nicht zu uns schicken lassen, Sir? Damit wir nicht die volle Wut abbekommen, Sir."

Oberst Zhang schüttelte traurig den Kopf.

"Kinder, wenn ihr die Waffen nicht mitnehmt, bekommt ihr sie gar nicht. Normalerweise darf man solche Waffen nicht aus China ausführen. Das geht nur, weil ihr nicht durch den Zoll müsst. Ihr möchtet diese Waffen doch gern oder etwa nicht?"

"Sir, doch Sir", antwortet Netis leise.

Balin sagte etwas, was Oberst Zhang bewusst machte, wie ernst die Lage war. "Sir, doch wir wollen diese Waffen. Sie sind einzigartig, Sir. Die liegen so gut in der Hand, Sir. Dafür lohnt es sich zu sterben, Sir. Sollte ich sterben, möchte ich mit all meinen Waffen unter unserem Baum schlafen gehen, Sir."

Ernst sah er mich dabei an. Er wusste, dass er keine Chance hat, wenn Oberst Mayer ihn schlagen würde. Immer noch hatte er innere Blutungen, die er nur mit Mühe kontrollieren konnte. Allerdings war ich nicht in der Lage, hier etwas für ihn zu tun. Mir fehlte einfach die technische Ausrüstung, um die Blutung in seiner Leber zum Stillstand zu bringen. Mit dem Krantonak kann ich vieles richten, aber leider nicht alles. Das konnte ich nur im Operationssaal der Schule, dort gab es ein Gerät dass diese kaputten Arterien versiegeln konnten. Diese Arterie zu kleben war nicht möglich, auch konnte ich sie nicht mit dem Krantonak heilen, sie war einfach zu kaputt. Auch Halil, Kantu und Anzo, also alle vier Schwerverletzten, brachten ähnliche Gedanken laut zum Ausdruck. Oberst Zhang saß auf der Ladefläche zwischen uns und sah uns alle fassungslos an.

"Am liebsten würde ich euch zurück in den Tempel schicken, wenn das für euch nicht den Hungertod bedeuten würde. Ich weiß nicht, was ich machen soll."

Ich legte ihm beruhigend den Arm auf die Schulter, wir hatten uns beruhigt und begriffen, dass wir einen Fehler gemacht hatten. Wir hätten dies Oberst Zhang gar nicht erzählen dürfen. Begriffen, dass wir damit alleine klar kommen mussten.

"Sir, wir werden das schon überleben, Sir. Sollten sie nochmals in den Tempel kommen, Sir. Grüßen sie alle von uns, Sir. Wir werden euch alle tief in unserem Herz, einen schönen Platz geben, euch niemals vergessen, Sir. Schließen sie uns ab und an, in ihre Gebete ein, Sir."

Lächelnd sah ich Oberst Zhang an, auch wenn mir nach weinen zu Mute war. Aber es wäre falsch gewesen, ihm das Leben schwer zu machen, er war unser Freund.

"Das werde ich machen Kahlyn, werde jeden Tag für euch ein Rauchstäbchen anzünden und ein Gebet für euch sprechen.

"Sir, danke, Sir. Wenn sie einmal Zeit haben, kommen sie den Doko besuchen, Sir?"

Oberst Zhang schüttelte den Kopf. "Nein Kahlyn, meine Dienstzeit in der chinesischen Armee ist zu Ende. Ich bin seit gestern wieder im Tempel, als Mönch. Eigentlich wollte ich nicht dorthin zurückkehren, sondern eine Familie gründen. Ihr habt mir irgendwie gezeigt, dass man auch ohne Frau eine Familie hat. Freunde, die einen lieben, die einem ihr Leben anvertrauen, sind genauso wichtig, genauso viel wert, wie eine eigene Familie. Das, was wir im Tempel leisten, ist auch etwas Wichtiges. Wir bilden Kader für unsere Armee aus. Tragen so zur Sicherheit, unserer Republik bei. Etwas, dass mir erst durch Gespräche mit eurem Doko und euch klar geworden ist. Dadurch, dass ich euch kennen gelernt habe, konnte ich begreifen, wie wichtig meine Arbeit im Tempel ist. Ich bin auch nicht ganz schlecht im Kämpfen, würdest du sagen Kahlyn." Lachend sah er mich jetzt an.

"Sir, dann treffen sie bald Meister Xu wieder, Sir", wollte ich mit einem Strahlen im Gesicht wissen.

"Ja Kahlyn."

"Dann weiß ich Meister Xu, gut beschützt, Sir", erleichtert atmete ich auf. "Sir, wenn wieder einmal etwas sein sollte, Sir. Sie wissen, wie und wo sie uns finden, Sir. Wir würden für den Tempel ohne darüber nachzudenken, unser Leben geben, Sir."

Jetzt war es an Zhang zu schlucken, er wusste, dass ich die Wahrheit sprach. Die Fahrt zum Flugplatz war viel zu schnell vorbei, durch das Gespräch mit Oberst Zhang, verging die Zeit wie im Flug. Wir wurden durch das Tor sofort zu unseren Antonow gefahren, ohne durch irgendwelche Kontrollen zu müssen. An der Antonow erwarteten uns schon Melker, Neugebauer und Mayer. Sofort griffen wir unsere Waffen und Rucksäcke, sprangen von der Ladefläche des LKWs, sobald dieser angehalten hatte. Stellten uns in Reih und Glied. Irritiert sah uns Oberst Mayer an, weil wir mit mehr Gepäck zurück kamen, als wir los gegangen waren. Sofort ging die Brüllerei wieder los. Er kam kurz vor mein Gesicht, was ein Zeichen davon war, dass er schon wieder sturzbetrunken war. Was auch seine Alkoholfahne verdeutlicht.

"Was habt ihr hier geklaut, ihr Bastarde?", wollte er von mir wissen.

Allerdings machte ich erst einmal Meldung und ignorierte seine Frage einfach. "Sir, Team 98 meldet sich vom Einsatz zurück, Sir. Der Konflikt zwischen den beiden rivalisierenden Tempel, wurde beigelegt, Sir. Keine Verluste bei den Mönchen, mittelschwere bis schwerste Verletzungen beim Team, Sir. Auf Grund der langen Rückreise, habe ich mir gewagt die Wunden schon zu versorgen, Sir. Um ihnen unnötige Schreibarbeit zu ersparen, Sir."

Wütend sah mich Mayer an. "Was bitte, war so schlimm an dem Auftrag, dass ihr so schwere Verletzungen davon getragen habt? Wieso sprichst du kleine Kröte, eigentlich ohne Erlaubnis?"

Diesmal sagte ich nichts. Ich kann Mayer sowieso nichts recht machen, in dem Zustand. Sollte er seine Wut auf mich konzentrieren, dann ließ er vielleicht die anderen in Ruhe.

"Warum sprichst du Vieh jetzt wieder nicht? Sprich mit mir."

Genervt holte ich Luft, am liebsten würde ich diesen Kerl töten, dass Wut kein guter Ratgeber war, hatten wir schon so oft erlebt. Oberst Zhang sah völlig irritiert zu Mayer, dann zu mir. Oberst Melker ging auf ihn zu, flüsterte Zhang etwas ins Ohr. Dieser schüttelte fassungslos den Kopf. Ich hoffte nur, dass er nichts dazu sagt, dann würde es noch schlimmer für uns. Deshalb sprach ich sehr leise und betont freundlich zu Mayer, so wie ich es immer machte, wenn dieser betrunken war.

"Sir, entschuldigen sie bitte, Sir. Der Auftrag selber war nicht schwer, Sir. Nur waren wir nicht richtig ausgerüstet, Sir. Gegen Maschinengewehre, haben wir mit Nahkampfwaffen keine Chance, Sir. Es war unsere Schuld, wir haben versagt, Sir. Wenigstens ist den Mönchen nichts passiert, Sir."

Oberst Zhang schüttelte immer wieder den Kopf und wollte mehrmals etwas sagen, wurde jedoch von Oberst Melker daran gehindert. Dieser fasste Zhang am Arm, schüttelte leicht den Kopf. Zum Glück schwieg er deshalb. Trotzdem konnte er nicht glauben, was er hier erlebte. 'Scheinbar hatten die Kinder nicht übertrieben, mit dem, was sie ihm auf dem LKW erzählt hatten. Sie wurden wirklich behandelt, wie der letzte Dreck', ging es Zhang scheinbar durch den Kopf. Jedenfalls las ich das an seinem entsetzten Gesicht ab.

Mayer wollte ins Flugzeug, er brauchte keine Zeugen, bei dem was er tun wollte. Er hatte von diesem Einsatz so die Schnauze voll. Dieses China war so ein abartiges Land, dieses ständige Grinsen der Leute hier, ging Mayer nur noch auf die Nerven, er wollte hier weg.

"Rein mit euch, aber bissel Dalli ihr Lahmärsche", polterte er los.

Das konnte ja heiter werden. Wenn der jetzt schon so drauf war. Dann wandte sich Mayer an Oberst Zhang.

"Oberst Zhang, damit ist der Einsatz des Teams 98 beendet. Ich hoffe sie waren mit der Arbeit des Teams 98 einigermaßen zufrieden. Ich hoffe sehr, dass diese Bagage sich benommen hat. Wenn ich nicht dabei bin, haben die sich noch nie benommen. Vor allem, dass die Kreaturen nicht wieder nur Blödsinn gemacht haben. Meistens bringen die ja nichts Ordentliches zustande", lallte Mayer den Oberst voll, nickte kurz freundlich und erwartete darauf auch noch eine Antwort von dem Chinesen.

An der Haltung von Zhang sah man, dass er kurz vor dem Explodieren war, sich aber wegen uns zusammenriss. "Genosse Mayer, die Leiter der Tempel äußerten sich lobend über die geleistete Arbeit des Teams 98. Vor allem über das vorbildliche Verhalten, der gesamten Gruppe. Wir würden gern wieder auf das Team zurückgreifen, wenn wir wieder einmal Hilfe brauchen. Wir wünsche ihnen Genosse Mayer und dem Team einen guten Rückflug."

Zhang verbeugte sich nach Shaolin-Art, aber nicht direkt vor Mayer, sondern seitlich an Mayer vorbei, in Richtung Flugzeug. Er meinte damit wahrscheinlich uns. Da Mayer die Gebräuche der Shaolin nicht kannte, begriff er diesen kleinen, aber wichtigen Unterschied nicht. Sondern sagte nur.

"Genosse Zhang gern wieder."  

Mayer stieg ohne Gegengruß die Gangway nach oben und ging wortlos nach vorn in das Cockpit. Ließ unhöflich wie er nun mal war, Zhang alleine vor dem Flugzeug stehen. Ich ging zur Luke, um diese zu schließen. Mit Tränen in den Augen sah ich traurig auf Zhang. Kurz entschlossen verbeugte ich mich nochmals vor Zhang. Machte dann etwas, dass ich noch nie vor anderen außer Gosch gemacht hatte. Ich legte meine Faust aufs Herz, führte diese zu meinem Mund, küsste die Faust und streckte sie hoch in den Himmel. Ein Gruß der sagte, danke für alles, du bist in meinem Herzen. Mit beiden Grüßen, brachte ich all meine Hochachtung vor dem Mönch zum Ausdruck. Grüßte noch einmal den Shaolin-Mönch.

 

Am liebsten wäre ich sofort wieder aussteigen, genau wie alle anderen. Nur durften wir das nicht. Wir hatten keine Rechte, das hatten wir gerade noch einmal begriffen. Also schloss ich schweren Herzens die Tür und sah durch das Fenster. Noch nie war uns ein Abschied, nach einem Einsatz, so schwer gefallen wie an diesem Tag. Oberst Zhang lächelte zu uns hoch, sah er uns aus den Fenstern blicken. Zhang wirkte völlig verstört, winkte uns ein letztes Mal zu und verbeugte sich noch einmal. Dann musste er das Flugfeld verlassen, da unsere Antonow An-8 starten wollte. Zhang verließ das Flugfeld mit dem Gefühl die Kinder verraten zu haben und ging auf den wartenden Jeep zu. Der ihn zurück zum Tempel brachte. Alle guten Wünsche von uns folgten ihn. In diesem Moment kam das Zeichen zum Anschnallen. Wir setzten uns auf unsere Plätze und hofften sehr, dass sich Mayer wieder etwas beruhigen würde, die Strafen dadurch nicht so schlimm wurden.

Kaum, dass die Maschine gestartet war und das Zeichen zum Abschnallen kam, erschien Mayer bei uns im Passagierraum. Fing sofort an herum zu brüllen.

"Kahlyn, du kleines Stück Scheiße, was sollte das eben. Wieso stellst du mich vor Oberst Zhang bloß? Sprich du Missgeburt."

Verlegen sah ich zu meinen Füßen und schluckte schwer. Weil ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte. Ich war mir keiner Schuld bewusst.

"Sir, ich weiß nicht, was sie meinen, Sir", versuchte ich deutlich zu machen, dass ich nicht wusste, wie ich ihn bloßgestellt haben konnte.

"Du willst mir Schreibarbeit ersparen, was sollte dieser Satz? Sprich."

"Sir, sie hatten mir x-Male erklärt, dass sie viel Papierkram schreiben müssen, wenn einer von uns stirbt, Sir. Ich wollte nicht vor Oberst Zhang sagen, das sonst vier von uns verblutet wären, Sir. Wie hätte das denn ausgesehen, Sir? Deshalb wollte ich es ihnen auf diese Weise, erklären, Sir", versuchte ich mich für den dumm formulierten Satz zu entschuldigen. "Wenn dies falsch formuliert war, dann möchte ich mich entschuldigen, Sir. Ich wollte ihnen doch nur erklären, weshalb ich die anderen schon versorgt hatte, Sir."

Ich schaute wieder zu meinen Füßen.

Mayer musterte mich intensiv. "Wer ist verletzt? Sprich."

"Sir, die zehn von uns, die dem Maschinengewehrsalven ausgeliefert waren, Sir. Alle haben mehr oder weniger schwere Verletzungen, Sir. Wir wurden von allen Seiten mit Maschinengewehren beschossen, Sir. Da bleiben Verletzungen nicht aus, Sir", umging ich eine genaue Antwort, um die vier schwerverletzten zu schützen.

"Geht das genauer du Bastard? Sprich."

"Kahlyn, dann gehen wir glücklich schlafen", erklärte mir Kantu.

"Du kannst uns nicht schützen Kahlyn", bekam ich von Balin in der Verbindung gesagt.

"Mit einen so wunderschönen Gefühl…", begann Halil einen Satz, den Anzo für ihn beendete. "… lohnt es sich das Risiko einzugehen. Vielleicht kannst du uns ja retten."

"Wird es bald du Stück Scheiße? Sprich", brüllte mich Mayer an.

Also antwortete ich ihm schweren Herzens. "Sir. Balin, Halil, Kantu und Anzo haben schwerste Verletzungen davon getragen, Sir. Die ich in der Schule nachoperieren muss, Sir. Bei den anderen sind die Verletzungen leicht, Sir."

Sofort mussten die Vier zum Rapport, vor in die erste Klasse. Wurden angebrüllt und zusammengeschlagen. So, wie es Mayer immer machte. Immer wieder fiel mir bei Mayers derartiger Vorgehensweise ein Satz ein, den er am Stechlinsee zu Reimund sagte. "Wieder sechs weniger." Diese Worte verfolgten mich seit dieser Zeit. Mayer wollte uns alle töten, das wurde mir durch sein Verhalten immer klarer. Irgendwann würde er das auch schaffen. Er war in meinen Augen, nichts anderes mehr als ein Mörder, vor dem wir uns nicht schützen konnten. Es sei denn wir würden selber zum Mörder werden. Dies hatten wir uns geschworen, wollten wir niemals machen. Niemals so tief sinken, wie Mayer gesunken war. Lieber wollten wir alle sterben. Auch wenn ich nie verstehen konnte, weshalb niemand etwas gegen Mayer unternahm und vor allem, dass er immer noch nicht eingesperrt wurde. Manchmal kamen mir die Gedanken, dass für uns die Gesetze der Menschen einfach nicht galten. Wir waren halt nur Tiere oder nicht? Wären wir keine Tiere, blieb immer noch eine Frage offen. Warum gab es nicht auch für uns Gerechtigkeit? Das Gebrüll in der ersten Klasse hörte auf, kaum dass die vier vom Rapport zurück waren. Jetzt kam ich an die Reihe und musste zum Rapport. Es würde heftig werden. Aber da musste ich jetzt durch.

"Kahlyn, wo habt ihr diese Waffen gestohlen? Sprich", brüllt mich Mayer sofort an.

Als ich seinen Bereich des Flugzeuges betreten hatten.

"Sir, wir haben diese Waffen nicht gestohlen, Sir. Diese Waffen wurden uns von den Mönchen, als Dank überreicht, Sir. Weil wir die beiden Tempel vereint haben, Sir."

"Ja klar, die Shaolin Mönche, hören auf so kleine Rotznasen, wie ihr es seid. Schenken euch noch als Dank, Waffen die im Wert unbezahlbar sind. Du lügst doch, du kleine Mistkröte. Sprich."

Ich schüttelte heftig den Kopf. "Sir, nein, Sir. Ich lüge nicht, Sir. Bitte rufen sie Oberst Zhang an, der wird ihnen das Bestätigen, Sir. Wir wollten die Waffen nicht nehmen, Sir. Ich habe den Abt und die Meister darauf hingewiesen, dass wir keine Geschenke annehmen dürfen, Sir. Oberst Zhang sagte zu uns, dass wir diese nehmen sollen, Sir. Er hätte dies mit einem Generalmajor Hunsinger abgesprochen, Sir. Wir würden sonst die Mönche beleidigen, Sir. Was sollten wir machen, Sir", versuchte  ich Mayer zu erklären, dass wir auf Anweisung von Hunsinger, die Waffen angenommen hatten.

Wir konnten uns nicht einfach über dem Befehl eines Generalmajors wiedersetzen. Mayer war für gar kein Argument offen. Kein Wunder so besoffen wie er war, ließ er wieder einmal nur seine Meinung gelten. So dass wir uns, zum Schluss, im Flugzeug richtig anbrüllen.

"Du lügst dir hier etwas zu Recht, du kleiner Giftzwerg. Ich wüsste da ja wohl etwas davon."

Es war mir langsam egal, was der Oberst dachte. Ich wurde so oder so bestraft, also wehrte ich mich diesmal heftiger als sonst. Durch die Tage im Tempel hatte ich begriffen, dass man uns nicht so behandeln durfte. Wir waren auch etwas wert und nicht nur die Fußabtretet für Mayers schlechte Laune, die er ständig hatte, wenn er besoffen war. Deshalb brüllte ich Mayer jetzt auch an. Das war noch nie auf diese Weise passiert.

"Sir, ich habe noch nie in meinem Leben gelogen, Sir. Werde das wegen ihnen auch nicht anfange, Sir. Wenn sie nur einmal in ihrem Leben ihr Gehirn einschalten wür…"

Mayer wollte mich unterbrechen. "Wa…"

Diesmal war ich so verdammt wütend, dass ich mir dies nicht gefallen lies. Wütend, weil wir nicht im Tempel bleiben konnten, weil er ständig meine Leute tötete und weil mir seine besoffene Art, einfach nur noch auf den Nerv ging. Deshalb vergaß ich allen Anstand.

"Sie hören mir jetzt mal zu Oberst Mayer. Schalten sie ihr versoffenes Gehirn endlich mal dazu. Haben sie nicht zugehört, was der Oberst Zhang uns über Traditionen erklärt hat, Sir. Wir hätten den Tempel, aber auch die Republik China, beleidigt, wenn wir diese Waffen nicht angenommen hätten. Was hätten wir ihrer Meinung nach machen sollen. Wir wollten sie nicht nehmen, der Genosse Zhang erklärte uns, dass er mit Hunsinger abgesprochen hat, dass wir diese mitnehmen dürfen, Sir. Sie sind nur deshalb so sauer, weil sie nicht auch diese Waffen bekommen haben. Aber was wollen sie damit, sich selber töten, Sir. Sie können mit solchen Waffen überhaupt nicht umgehen, Sir. Hören sie endlich auf uns so hinzustellen, als wenn wir dumme Tiere wären. Sie behandeln uns ständig wie den letzten Dreck. Damit kann ich mich abfinden, Oberst Mayer. Aber ich werde nicht, nur damit sie sich gut fühlen, Menschen beleidigen die gut zu uns waren. Das waren diese Mönche nämlich. Lieber wären wir dort verhungert, als wieder hierher zu kommen. Wir haben zwar keinerlei Rechte, sind weniger wert als der Dreck unter ihren Nägeln. Aber sie Genosse Mayer sind nicht Gott und wir nicht ihre Fußabtreter, hören sie deshalb auf sich wie ein Arschloch zu benehmen."

Böse sah ich meinen Vorgesetzten an. Lange schon war mir nicht mehr derart der Kragen geplatzt. Irgendwann, war das ertragbare Maß einfach voll.

"Was erlaubst du dir du elendes Stück Scheiße?", brüllte Mayer los und zog seine Waffe und hielt mir diese unters Kinn. Ich hätte mich wehren können. Allerdings wäre das nur möglich, wenn ich Mayer töten würde. Außerdem hatte ich Angst, dass die Waffe bei einem Kampf losging. Das hätte in einem Flugzeug verheerende Folgen gehabt. Also schwieg ich, auch weil ich nicht sprechen konnte. Wie denn auch, wenn mir der Lauf einer Makarow, unter das Kinn gedrückt wurde.

"Sprich mit mir du kleiner Bastard", befahl Mayer mir, besoffen wie er war.

"Sir…", versuchte ich trotzdem zu antworten.

Das ging nur sehr undeutlich, ich konnte den Mund nicht öffnen. Da schob mich Mayer, mit der unters Kinn gedrückter Pistole, nach vorn zu meinen Leuten, wollte ihnen zeigen, wie stark er war. In seinem Suff bekam er gar nicht mit, dass er tot wäre, wenn ich wollte. Ich nur stillhielt, weil wir uns in einem Flugzeug befanden. Mayer brüllte vorn bei uns weiter herum, oder besser gesagt kreischte herum. Vor allem so laut, dass sogar Oberst Melker auf sein Benehmen, im Cockpit aufmerksam wurde.

"Ihr verdammen froschäugigen Dreckschweine. Ihr denkt wohl ihr könnt mich austricksen. Ich knalle euch gleich alle ab, wenn ich dieses kleine Flittchen erledigt habe. Denkt ihr ich lasse mich von euch ins Abseits drängen, ihr verdammten Missgeburten."

In diesem Moment stand Oberst Melker hinter Mayer und mir. Melker zog ebenfalls seine Waffe, aber auch ein Messer. Hielt innerhalb von Sekunden Mayer das Messer an die Kehle und drückte ihm den Lauf der Pistole von hinten an den Kopf. Dies schien ziemlich schmerzhaft zu sein, denn Mayer stöhnte auf.

"Mayer, nehmen sie sofort die Pistole runter. Soofoort!"

Brüllte der Pilot diesen an. Erschrocken senkte Mayer die Waffe. Ich tauchte unter den Armen von Mayer durch, kam so vor Oberst Melker und griff Mayer von hinten in den Nacken, um diesen schlafen zu legen.

"Danke Genosse Oberst. Ich habe mich nicht getraut, mich zu wehren. Aus Angst, das Oberst Mayer hin drinnen anfängt zu schießen, Sir."

"Kahlyn, das war genau richtig. Sag mal dreht der jetzt total durch?"

"Genosse Melker, Sir. Nein, ich glaube der ist so betrunken, dass er nicht mehr weiß, was er eigentlich macht, Sir. Riechen sie die Fahne die der Oberst hat, Sir?"

Melker war völlig schockiert. "Kahlyn, kannst du ihn ruhig stellen, bis zur Landung?"

"Sir, jawohl, Sir."

"Dann tue das, das ist ein Befehl."

Sofort verschwand Melker nach vorn ins Cockpit und funkte den nächsten Militärflugplatz an. Erbat sich dringende Hilfe. Ich spritzte Mayer eine Einheit N91, um ihn erst einmal ruhig zu stellen. Kümmerte mich dann um Balin, Halil, Kantu und Anzo. Es sah schlimm aus. Ohne einen ordentlichen Operationssaal, würde ich die Vier nicht retten können. Verzweifelt ging ich nach vorn zum Cockpit und klopfte an und wurde sofort herein gebeten.

"Sir, entschuldigen sie bitte die Störung, Sir. Oberst Mayer hat vier meiner Leute so schwer verletzt, dass wenn ich sie nicht auf den schnellsten Weg in einen Operationssaal bekomme, alle Vier sterben, Sir. Bis in die Schule halten die Vier nicht mehr durch, Sir. Können sie eventuell dafür sorgen, dass wir vier Operationssäle bekommen, Sir. Vor allem, das Jaan, Rashida, Bekir und ich die Operationen durchführen können, Sir."

Melker sah mich bestürzt an. Neugebauer sprach immer noch mit dem Militärflugplatz in Wladiwostok und bekam von dort sofortige und unbürokratische Hilfe angeboten.

 

Nur zehn Minuten später landeten, wir auf dem Flugplatz in Wladiwostok. Dort standen schon vier Krankenwagen bereit. Für jeden unserer Kameraden einer. Melker fuhr mit mir, Raiko mit Rashida, Rina mit Bekir sodass wir alle jemanden hatten, der übersetzen konnte. Jaan brauchte keine Hilfe, denn er sprach fließend Russisch. Nach einer viertel Stunde, waren wir im nahe gelegenen Krankenhaus und wurden sofort in die Operationssäle gebracht. Ein fast zehnstündiger Kampf, um das Leben unserer Kameraden begann. Nach drei Stunden gab Jaan auf, er konnte Anzo nicht mehr helfen. Die Verletzung in der Lunge durch den Schlag von Mayer war zu schwer. Anzo musste qualvoll ersticken. Auch Balin war verblutete, zu der bereits kaputten Arterie die er in der Leber hatte, kam noch ein Lungenriss, durch die von Mayer durchgeführten Schläge. Balin, hatte sich nicht gewehrt. Hatte seine Muskeln nicht mehr angespannt. Nach zwei weiteren Stunden gab ich auf und wechselte in den anderen Operationssaal, in dem Rashida verzweifelt um das Leben von Halil kämpfte. Der eine schwere Verletzung der Lunge, aber auch eine Kugel im Kopf hatte. Durch die Schläge von Mayer, kam es zu einer schweren Hirnblutung. Nach über zehn Stunden gaben Rashida und ich auf. Es hatte keinen Zweck mehr, wir konnten auch Halil nicht retten. Erschöpft sank ich einfach nur an der Wand des Operationssaales herunter und fing an zu weinen. Auch Kantu hatte es nicht geschafft. Wieder waren vier meiner Freunde, wegen dieses Unmenschen gestorben. Eine unsagbare Wut machte sich in mir breit. Eine Wut die ich kaum noch beherrschen konnte. Die Militärärzte redeten auf mich ein, Raiko übersetzt für mich. Nur Lob bekam ich für meine misslungen Rettungsversuche. Ich stand auf und ließ einfach alle stehen. Ich musste erst einmal allein sein, um mit mir selber klar zu kommen. Nach einer halben Stunde kam Melker, um nach mir zu sehen.

"Kahlyn, du hast alles getan. Komm mein Mädchen, wir wollen deine Kameraden nach Hause bringen. Mayer, lasse ich in einer gesonderte Maschine nach Berlin bringen. Ich habe Hunsinger informiert, was dieser Arsch hier wieder gemacht hat. Tut mir leid meine Kleine, dass ich euch nicht besser beschützt habe. Ich habe dich zwar schimpfen gehört, habe den Streit aber keine Beachtung geschenkt. Es ist ja immer laut im Flugzeug, wenn dieser Arsch dabei ist."

"Sir, sie können nichts dafür, Sir. Es ist meine Schuld, ich habe nicht gut genug auf meine Leute aufgepasst, Sir."

Mit diesen Worten stand ich auf, ging hinein zu meinen Leuten und unseren toten Kameraden. Traurig sah ich auf die Vier. Melker kam und legte seinen Arm um meine Schulter. Ich drehte mich aus der Umarmung. Ich konnte seine Nähe nicht ertragen.

"Sir, wir hätten in China bleiben solle. Dann wäre in zwanzig Wochen diese ganz Scheiße vorbei, Sir. Keine Schläge mehr, kein Leid und keine Trauer, Sir. Aber zwanzig Wochen Geborgenheit, Lieber und Achtung, Sir. Dort waren wir etwas wert, hier sind wir wieder nur die Kreaturen, die für andere die Drecksarbeit machen, Sir. Fliegen sie uns zurück in unsere Hölle, Sir, dorthin, wo wir hingehören, Sir. Damit man uns bestraft, für das was wir sind, Sir", sprach ich in einem Ton, der meinen ganzen Gemütszustand zum Ausdruck brachte.

Als Melker mit mir sprechen wollte schüttelte ich stumm den Kopf. Traurig griff ich nach meinem Medi-Koffer, gab das Zeichen, dass wir los mussten. Die Vier wurden auf einen LKW geladen, wir setzten uns stillschweigend neben sie. Fuhren zurück zur Antonow. Brachten unsere toten Freunde nach vorn in die erste Klasse. Kehrten völlig in uns gekehrt, auf unsere Plätze zurück. Melker startete die Maschine, um zurück in die Schule zu fliegen. Ich setzte mich auf meinen Platz, als mich Rashida in ihren Arm nehmen wollte, um mich zu trösten, stand ich einfach auf und ging eine Reihe nach vorn. Ich musste alleine sein, mit meinen Gedanken. Neugebauer kam nach erfolgtem Start nach hinten zu uns, bekam allerdings keine Antworten von uns. Meinen Kameraden ging es ähnlich wie mir. Da wir miteinander verbunden waren. Spürten meine Freunde, meine völlige Resignation. Dieses eine Mal, konnten wir diese Sache nicht so einfach vergessen.

Ich machte mir Vorwürfe, dass ich nicht mit meinen Leuten, im Tempel geblieben war. Rollte mich auf meinen Sitz zusammen und versuchte meine innere Ruhe zu finden. Etwas, dass mir überhaupt nicht gelangen. Der Hass auf Mayer, wurde mit jeder Minute schlimmer. Immer wieder kam dieser Mensch, mit seinen unmenschlichen Behandlungen durch. So viele meiner Freunde hatte Mayer schon verletzt und so viele hatte er schon getötet. Niemals wurde dieser Unmensch für seine Vergehen bestraft.

Verbitterung machte sich in mir breit, vielleicht auch etwas Selbstmitleid. Was allerdings noch schlimmer war, ich gab auf. Mit meinem Kampf um Gerechtigkeit für uns. Ich hatte an diesem Tag eins begriffen, für uns gab es keine Rechte und keine Gerechtigkeit. Wir waren uns alleine überlassen und würden bis zu unserem Tod entmündig bleiben. Ich begann endgültig zu akzeptieren, eine Missgeburt zu sein. Den Mönchen im Tempel Glauben zu schenken, war ein Fehler, oder sagen wir besser, ein schöner aber falscher Traum, der uns wieder einmal ein schlimmes Erwachen brachte. Denn die Tatsache zu akzeptieren ein Tier und nichts wert zu sein, war um vieles einfach, als dieser ständige Kampf gegen Giganten, gegen die wir nicht gewinnen konnte. Ich nahm mir vor, ab heute alles zu akzeptieren und nur noch meine Kameraden, so gut es halt ging zu schützen. Ich resignierte auf ganze Ebenen. Ich hatte meinen Kampf für Gerechtigkeit verloren und ergab mich meinem Schicksal.

Ich versuchte mich zurück in den Tempel zu träumen, in dem ich mich so geborgen fühlte. Allerdings war ich viel zu aufgebracht, deshalb wollte mir das absolut nicht gelingen. Meister Xu hatte gesagt, ich könnte überall diese Ruhe finden. Wenn ich mich an das erinnern würde, was mir der Tempel gab.

 

Am Anfang gelang mir das nicht immer, dass ich mir diese Ruhe zurückholte und mir zu Nutzen machte. Erst seit einigen Wochen gelang mir das ganz gut. Immer, wenn ich an den Tempel dachte, überkam mich ein schönes Gefühl der Wärme. Oft durchlebte ich die vielen schönen Momente, die wir dort erleben durften noch einmal. Wenn es mir besonders schlecht ging, träumte ich mich zurück in den Tempel, zu den Mönchen der Mitte. Wie ich sie bei mir, im Herzen getauft hatte. Dann träumte ich zurück zu Meister Xu, Meister Ho, Oberst Zhang und stellte mir vor, mit ihnen zu trainieren. Sah mich mit ihnen die Treppe zur Höhle hinauf laufen. Darüber schlief ich, auch diesmal wieder ein. Wie immer in letzter Zeit.

Dieses Gefühl der Resignation, hat uns nie wieder völlig verlassen. Egal, was seit dem geschah, wir nahmen alles hin. Was blieb uns auch anders übrig, wenn wir überleben wollten. Warum wir ständig überlebten, war uns ein Rätsel. Wir waren uns sicher, dass man auch dies bei uns genetisch verankert hatte. Denn einige Mal nach diesem Aufenthalt in China, hatten einige von uns versucht sich umzubringen. Wir kamen einfach in unserer persönlichen Hölle, nicht mehr klar. Viele von uns wollten nur noch ihren Frieden für immer finden. Den Frieden den wir im Tempel endlich gefunden hatten. Das war uns jedoch nicht vergönnt. Wir mussten immer weiterkämpfen und vergaßen mit der Zeit sogar unsere Resignation. Denn selbst dazu blieb uns keine Zeit.

Ich schlief tief und fest, vor allem mit einem wunderschönen Gefühl in mir. Diese Träume vom Tempel, waren für mich immer wie ein Urlaub. Sie waren die Erholung die ich zwischen Einsätzen so dringend brauchte. Zwei Stunden später erwachte ich, ein wenig erholt. Kehrten in meine Gedanken sofort zurück in die Gegenwart und zurück zu unserem Doko und der Dika. Die wir immer noch hatten und die wir bald wiedersehen würden. Auf diese beiden Menschen freute ich mich besonders. Endlich waren sie wieder zurück in die Schule gekommen. Lange Zeit waren die beiden nicht mehr bei uns. Sie hatten uns sehr gefehlt. Denn sie waren für uns mehr als nur ein Arzt und eine Schwester. Sie waren unsere Freunde, auf die wir uns felsenfest verlassen konnten. Die sich nicht davor scheuten, ihr Leben zu riskieren, um uns zu schützen.

 

Ich erinnerte mich daran, was Mayer unserem Doko angetan hatte, im Januar dieses Jahres. Es war kurz nach der Beförderung von Mayer und dem Doko. Mayer schlug unseren Doko damals fast tot. Nur mit großer Mühe hatten wir sein Leben retten können. Nach einer zwölf stündigen Operation, bei der mir Jaan, Rashida, Ava und Bekir halfen, konnte ich seine Gesundheit wieder einigermaßen herstellen. Allerdings wurde damals seine Wirbelsäule so schwer verletzt, dass er fast ein halbes Jahr in eine Reha Klinik musste. Ich konnte das verletzte Rückenmark, gerade noch reparieren, so dass unser Doko nicht für den Rest seines Lebens in einem Rollstuhl sitzen musste. Ach, was hatte unsere Dika für eine Angst. Nach dem Doko wieder zu sich gekommen war, ließen wir ihn und die Dika, von Oberst Melker aus dem Projekt ausfliegen. Wir hatten eine unglaubliche Angst um die Beiden hatten. Jetzt allerdings waren die Beiden in Sicherheit.

Mayer stellte keine Gefahr mehr dar. Seit dem wir aus China zurück waren, tauchte Mayer nirgends mehr auf. Heiko Corsten erzählte mir, dass Mayer in einer Psychiatrischen Klinik läge, um eine Entziehungskur zu machen. Er hoffte, wie alle aus dem Projekt, dass er nie mehr zurück ins Projekt kam. Dieser Adjutant von Hunsinger, der die Vertretung von Mayer übernommen hatte, war allerdings eine mittlere Katastrophe. Der brachte das ganze Projekt durcheinander, da er keine Ahnung von nichts hatte. Egal, was Mayer für ein Arsch war, er hatte immer alles korrekt am Laufen gehalten. Seine Arbeit im Projekt war immer tadellos gewesen. Wenn er nur nicht so ein verdammtes Schwein wäre, könnte man ihm für seine Arbeit nur Respekt zollen, ihn sogar lieben.

Der Adjutant von Hunsinger überließ einfach den anderen die Arbeit. Oberstleutnant Fiedler genoss einfach nur den Luxus und die Ruhe im Projekt Dalinow. Als wenn er hier auf Urlaub wäre. Fiedler nahm allerdings nicht an den Einsätzen teil. Da ihm die Einsätze viel zu gefährlich waren. Deshalb schickte Fiedler immer den Betreuer Volkmar mit oder schickte uns, wie so oft in der letzten Zeit einfach alleine.

 

Als unser Doko, der vor einigen Wochen aus der Reha zurück kam, ging es ihm wieder viel besser. Trotzdem würde unser Doko einen bleibenden Schaden behalten und würde nie wieder Sport machen können. Die Verletzungen waren so schwer, dass die Gefahr einfach zu groß war, dass beim Kampfsport oder Laufen die kaputte Wirbelsäule so beschädigt wurde, dass er für immer im Rollstuhl sitzen musste. Als Doko mit Dika wieder ins Projekt kam, waren wir erstaunt. Unser immer so schlanker und gut durchtrainierte Doko, hatte ganz schön an Gewicht zu gelegt. Aber uns gefiel das sehr, vor allem mir. Jetzt musste ich lachen, weil ich mir gerade seinen dicken Bauch vorstellte. Mir gefiel er gut, so konnte ich mich an seinen Bauch kuscheln und viel besser mit ihm schmusen. Als ich ihm das sagte, lachte er und meinte zu Dika.

"Siehst du Engelchen, ich brauche gar keine Diät zu machen, unseren Kindern gefällt mein Bauch."

Die beiden hatten so gelacht und waren glaube ich genauso glücklich wie wir, dass wir wieder zusammen waren. Wir sprachen aber auch ein sehr ernstes mit unserem Doko und hatten ihm ein für alle Male verboten, sich in Dinge einzumischen, die nur uns etwas angingen. Ich hatte ihm mit Hilfe von Jaan, Rashida, Ava und Bekir, meinen besten Ärzten im Team klar gemacht, wie knapp es damals war. Von Dika bekam er auch noch einmal, wie nannte sie es, den Kopf gewaschen. Nur damit er endlich aufhörte sein Leben in Gefahr zu bringen. Aber ich glaubte immer noch fest, dass unser Doko einfach nicht aus seiner Haut konnte. Er musste sich einfach vor uns stellen, um uns zu beschützen.

Na ja, es war ja noch einmal alles gut gegangen, nur das war wichtig. Gähnend streckte ich mich und rieb mir das Gesicht. Es nutzte halt nichts. Das Leben war halt nicht immer einfach, auch nicht für unseren Doko und die Dika. Nur gut dass wir die beiden hatten.

Kapitel 11

Immer wieder fielen mir all diese Sachen ein. Ich konnte einfach nichts dagegen tun. Wie so oft, fand ich nach den Kämpfen einfach keine Ruhe. Rashida, lag neben mir und schlief. Da auch sie schwer verletzt war, ließ ich sie in Ruhe. Sie konnte sich nicht um mich kümmern, hatte genug mit sich selber zu tun. Deshalb saß ich hier und grübelte wie so oft, über das Vergangen nach. Das Cockpit öffnete sich und Oberst Melker kam, um nachzusehen, wie es uns ging.

"Na meine Kleine, wieso schläfst du nicht?", erkundigte sich der Pilot bei mir.

Ich zuckte mit den Schultern. "Sir, ich kann nicht schlafen, Sir. Ich finde wieder einmal keine Ruhe, Sir. Ich will Rashida aber nicht stören. Sie schläft so ruhig, sie muss sich erst einmal selber von den Verletzungen erholen, Sir", versuchte ich zu erklären, warum ich nicht schlafen konnte.

"Soll ich dir in den Schlaf helfen, mein kleines Mädchen? Du siehst total fertig aus."

Ich nickte zaghaft, völlig übermüdet wie ich war, würde ich jede Hilfe annehmen, um in den Schlaf zu finden. Es war immer nett von Oberst Melker, dass er mir half einzuschlafen, wenn die anderen nicht dazu in der Lage waren.

"War der Einsatz so schlimm, Kahlyn?"

Ich schüttelte den Kopf. "Sir, nein, Sir. Aber wir sind in einen Hinterhalt geraten, Sir. Die Aufklärung hatte wieder einmal nicht richtig gearbeitet, Sir. Es waren über dreihundert Leute an einer nicht einsehbaren Stelle, versteckt, Sir. Wir sind in das Feuer von dreizehn MGs gelaufen, da haben wir auch keine Chance unverletzt herauszukommen, Sir. Aber es ist nicht sehr schlimm, die anderen erholen sich schnell, genau wie ich, Sir. Ein oder zwei Tage Ruhe, schon sind die Verletzungen ausgeheilt, Sir."

Oberst Melker sah mitleidig zu meinen Kameraden und dann zu mir. "Na komm her meine Kleine. Lehn dich an mich, dass du auch noch etwas schlafen kannst. Wir fliegen noch fast zwei Stunden."

Melker nahm mich in den Arm, drei Atemzüge später schlief auch ich tief und fest, konnte mich etwas erholen. Kaum, dass die Maschine gelandet war und wir in unserem Raum ankamen, erklang die Durchsage.

"98, zum Rapport."

Fast zeitgleich mit der Durchsage, stand Heiko Corsten vor dem Raum, um mich abzuholen. "Na mein Mädchen, wie geht es dir?", erkundigte Heiko sich. "Du schaust fertig aus. Steig auf, ich fahre dich, dann musst du nicht laufen."

"Ach es geht schon Heiko. Ich bin nur hundemüde. Hoffentlich müssen wir nicht gleich wieder weg."

Corsten wusste, dass es oft so war, dass wir kaum das wir angekommen waren, sofort wieder zum nächsten Einsatz mussten.

"Deine Leute nicht Kahlyn, aber ich glaube du musst zur Soko. Jedenfalls habe ich die Anweisung bekommen, den Drachen in fünfzehn Minuten landen zu lassen. Ich komme mit hoch, Anweisung vom Angsthasen", teilte mir Corsten lachend mit.

Na prima, dann konnte mich der Doko nicht einmal versorgen. In diesem Moment waren wir am Aufzug angekommen.

"Na komm Heiko, bringen wir es hinter uns. Vielleicht habe ich noch so viel Zeit zum Doko zu gehen und mich verbinden zu lassen", sagte ich ziemlich genervt.

Ich verstand einfach nicht, dass man uns nicht mal so viel Zeit gab, zwischen den Einsätzen, dass wir uns wieder fit machen lassen konnten. Hoffentlich so ging es mir durch den Kopf, hatte der Oberst nicht so einen komplizierten Fall. Da würde ich ihn, wohl dann erst einmal anlügen müssen. Egal Hauptsache ich war schnell fertig, damit mich der Doko versorgen konnte.

"Heiko, könntest du über Funk den Doko bitten, mir einen neuen Koffer an die Gangway zu stellen, meiner ist vollkommen leer."

Corsten nickte und gab bevor wir in den Aufzug stiegen, den Auftrag weiter an die Zentrale. Gemeinsam fuhren wir nach oben, in die ehemalige Wohnung von Zolger, in der sich der Adjutant von Hunsinger, Oberstleutnant Alfons Fiedler, breit gemacht hatte. Wir betraten dessen Wohnung, die ordentlich aufgeräumt und akkurat gestellt war. Manchmal dachte ich, dass der jetzige Projektleiter seine Stühle mit dem Zollstock ausrichtete. Niemals stand einer der Stühle auch nur einen Millimeter anders. Oder der lebte nur in seinem Büro, aber das war auch genauso akkurat aufgeräumt. Ach keine Ahnung, insgeheim musste ich lachen.

"Was lachst du, Kahlyn?", wollte Corsten von mir wissen.

Ich winkte ab. Wir waren schon an der Bürotür, von Fiedler angekommen und betraten dessen Büro nach Aufforderung.

"Wieso erscheinen sie alleine mit 98?", fuhr der zurzeit amtierende Projektleiter, Corsten an.

"Warum soll ich mit mehr Leuten kommen, Genosse Fiedler? Bei mir spurt 98 immer, stimmt’s 98? Sprich."

"Sir, jawohl, Sir", bestätigte ich Heiko Corsten lachend, der sich genau wie ich, über den Oberstleutnant wegschmiss vor Lachen.

Corsten grinste mich breit an. Fiedler fing schon wieder an, nervös an seinen Fingernägeln zu kauen. Etwas, dass ich bei noch niemand erlebt hatte. Mit seinen hundertvierundsiebzig Zentimetern und knappen hundertfünfzehn Kilo war er alles, aber nicht schlank. Auch schien Sport, nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen zu gehören. Dafür aß er aber für sein Leben gern, vor allem reichlich. Fiedler hatte seitdem er im "Projekt Dalinow" arbeitete, schon zwanzig Kilo zugenommen und das in nur zwei Monaten. Wenn man ihn suchte, saß er vorn in der Mensa und aß. Mit seinen dunkelblonden, stets sehr gepflegten Fasson-Schnitt, seinen wässrig grauen Augen, war er das ganze Gegenteil des Oberstleutnant Mayers. Der hatte sich in den vergangenen drei Jahren, richtig gehen gelassen. Das Einzige, was die beiden gemeinsam hatten, war die Stimme: Die eisig kalt, herrisch und hoch war.

"Berichten sie 98, sprechen sie", fuhr er mich an. Wenigstens betitelte uns der neue Projektleiter nicht ständig, als Kreaturen, Kröten, Schweine und ähnliches, das tat schon mal gut.

"Sir, Einsatz am gestrigen Abend zur Zufriedenheit des dortigen Einsatzleiters, um 23 Uhr 12 erfolgreich beendet, Sir. Die Gefangen wurden der zuständigen Behörde, im Einsatzgebiet übergeben, Sir. Leider gab es zweihundertachtzehn Tode, auf deren Seite. Auf unserer Seite, fünf schwer und acht leicht Verwundete, die ich schon ärztlich versorgt habe, Sir. Nur ich müsste noch zum Verbinden, zu Doktor Jacob, Sir." Ich stellte mich wie gewohnt hin und senkte wieder meinen Blick.

"98, sie werden in den nächsten Minuten von der Soko Tiranus abgeholt. Verbinden können sie sich auch selber. Sehen sie zu, dass sie sofort duschen und sich sauber anziehen. Dann raus sofort auf das Flugfeld. Wir können wegen ihnen nicht ewig, weil sie ein kleines Wehwehchen haben, den Luftverkehr hier blockieren. Abtreten."

"Sir, jawohl, Sir", sofort drehte ich mich um und verließ den Raum.

"Kahlyn, soll ich dich schnell zum Doko bringen?"

"Heiko, dazu bleibt mir keine Zeit. Ich bekomme das schon hin. Das kann der Doko auch noch in ein paar Tagen machen. Wenn es nicht geht, fordert der Oberst, sowieso den Doko an."

Heiko nickte und sah mich eigenartig dabei an. Brachte mich allerding ohne weiter Diskussion nach unten in unserem Raum. Ich ging nach hinten, zu meinen Spind und sah mich suchend im Raum um. Nur Miwa und Bian schliefen noch nicht.

"Miwa, bist du so lieb und kümmerst dich bitte um meine Waffen, dass ich wenigstens noch in Ruhe duschen kann. Ich muss in die Soko."

Müde sah sie mich an. "Klar mache ich. Wie lange habe ich Zeit?"

"Miwa, ich muss in zehn Minuten auf dem Flugfeld sein." Ich drehte mich zu meinen zweiten noch nicht schlafenden Kamerad um. "Bian, kannst du bitte mit deinem Koffer, in die Dusche kommen, mir beim verbinden helfen. Ich habe keine Zeit, erst hoch zum Doko zu gehen. Wenn ich den runter hole, gibt es erst wieder Stress."

Bian sprang auf und kam mit seinem Koffer hinter mir her. Ich war schon im Laufschritt in die Dusche. Genehmigte mir wenigstens drei Minuten, den Luxus darunter zu stehen und die Wärme zu genießen. Dann schnitt ich die Verbände auf, um mich neu zu verbinden. Legte mit Hilfe von Bian neue Druckverbände an, um die vielen Eintrittswunden am Rücken zu verbinden. Ich bekam, wie viele der Anderen, eine volle Salve in den Rücken. Wir waren viel zu unkonzentriert und zu müde, um diesen Einsatz zu mache.

"Kahlyn, wie willst du so arbeiten?"

Ich winkte ab. "Bian du weißt, was es wieder für ein Ärger gibt, wenn ich nicht gehe. Ich will nicht, dass Fiedler euch wieder alle an die Wand hängt. Viele von uns sind genauso schlimm dran, wie ich. Lass ihn ihre Ruhe. Bitte verpetze mich nicht beim Doko. Ich schaffe das schon irgendwie. Ich war schon schlimmer dran."

Bian nickte und sah mich besorgt an.

"Bian, ich schaffe das schon", beendete ich mit Nachdruck diese sinnlose Diskussion.

Wir waren nach fünf Minuten fertig mit den Anbringen der Druckverbänden. Im Anschluss bandagierte ich mich einfach fest, so hatte ich den doppelten Schutz.

"Bian, kannst du mir von Miwa und dir, das B32 mit geben, mit einer Flasche komme ich nicht hin. Vielleicht auch noch zwei andere. Ich werde mich hochdossiert spritzen müssen. Lasst die Koffer aber, erst in ein paar Tagen auffüllen oder sind die noch nicht aufgefüllt."

"Nein Kahlyn, nur deiner wurde aufgefüllt."

"Na dann ist es egal. Danke Bian."

Bian nickte lief nach vorn, holte aus fünf Koffern einfach das B32, entsprechende Kolben und Kanülen, verstaute alles in meinem Koffer. Der schon an der Gangway stand. In der Zwischenzeit zog ich mich an und lief zu Miwa, um meine Waffen zu holen. Gab ihr und auch Bian zum Abschied einen Kuss.

"Geb Rashida einen Kuss von mir und sorgt dafür dass alle schlafen, bis ich wieder kommen", sprach ich im Loslaufen und drehte mich in Richtung Flugfeld, auf dem Gosch mit dem Drachen wartete.

 

"Hallo Täubchen, na das ging ja schnell. Ich habe noch gar nicht mit dir gerechnet. Warst du schon zum Verbinden beim Doko oben."

Ich schüttelte den Kopf. "Hab ich mit Bians Hilfe selber gemacht, Gosch. Komm fliege los, sonst bekomme wir wieder Ärger."

Gosch nickte wissend. Er hatte das ja schon einige Male miterlebt. Deshalb kümmerte er sich, um die Startfreigabe. Kaum in der Luft erkundigte er sich bei mir.

"Na du siehst müde aus Täubchen, willst bis Rügen schlafen?"

Ich schüttelte den Kopf. "Gib mir das Dossier, damit ich gleich anfangen kann. Vielleicht schlaf ich dann noch etwas, wenn ich mir den Mist angesehen habe, Gosch."

"Täubchen, hinten auf dem Rücksitz liegt der Ordner."

Ich drehte mich um, holte mir stöhnend den Ordner, durch das umdrehen hatte ich eine blöde Bewegung gemacht. Erschrocken sah mich Gosch an.

"Es ist nichts schlimmes Gosch, guck nicht so."

Kaum hatte ich das Dossier auf dem Schoss vertiefte mich sogleich in die Unterlagen. Bereits nach den ersten zehn Seiten wusste ich, dass die Sache nicht in zwei Stunden erledigt war. Überlegte, ob ich den Oberst fragen sollte, ob er den Doko holen ließ. Das dauerte einfach zu lange, das konnte ich der Geisel nicht antun. Verdammt, wäre ich nur schnell noch zu Doko hoch gegangen. Na da musste ich jetzt durch.

Der Geisel rannte die Zeit davon. Zu lange war sie bereits in den Händen der Geiselnehmer und es würde für die Geisel bestimmt nicht besser werden. Ich hoffte nur, dass die Geiselnehmer noch nicht herausgefunden hatten, dass dieser Conrad Lange, ein Polizist war. Dann sah ich schwarz für ihn.

Schon seit drei Tagen versuchte mich der Oberst zu ordern. Da ich aber noch im Einsatz war, hatte Pille den Auftrag erst einmal übernommen. Aber wahrscheinlich war er am Ende seines Lateins angekommen. Ich würde wieder einmal, auf meinen Bauch hören müssen, um die Geiselnehmer zu finden. Die waren nach einem Banküberfall, mit einer Geisel im Schlepptau abgehauen. Müde lehnte ich mich zurück, legte das Dossier auf den Boden, um etwas zu schlafen. Ich würde Strecke laufen müssen. Die Geisel waren nicht mehr in der Nähe von Rügen, sondern irgendwo anders. Die konnten überall in der Republik stecken, das würde eine schlimme Suche werden. Verdammt mir blieb nichts erspart, ging es mir durch den Kopf.

"Gosch, lass mich schlafen bitte. Erschrecke nicht, wenn ich sehr tief schlafe. Wie lange fliegen wir noch?"

"Ungefähr eine halbe Stunde, Täubchen."

Also rollte ich mich auf dem Sitz zusammen und ging ins Jawefan, um mich wenigstens etwas zu erholen. Eine halbe Stunde später, wurde ich genau in dem Augenblick wach, als Gosch zur Landung ansetzt. Wir landeten in der Nähe von Glewitz - Stahlbrode‎, auf einem Feld. Dort war ein großes Zeltlager aufgebaut wurden, in dem die Soko untergekommen war. Kaum, dass wir den Drachen verlassen hatten, kamen mir der Oberst und Pille entgegen.

"Hallo Kahlyn."

"Hallo Lynchen", wurde ich wie immer freundlich begrüßt.

Als mich der Oberst und Pille umarmen wollten, ging ich ein Schritt zurück.

"Bitte nicht, ich habe gebrochene Rippen. Lasst es gut sein", bat ich einfach, um mir zusätzliche Schmerzen zu ersparen. Mein Körper tat bei jeder Bewegung weh. Ging aber auf den Oberst zu und salutierte.

"Sir, Leutnant Kahlyn meldet sich zum Dienst, Sir", machte ich, wie immer erst einmal Meldung.

"Kahlyn, wann hast du das letzte Mal gegessen und geschlafen", wollte der Oberst, wie stets von mir wissen.

"Sir, geschlafen bis eben, gegessen als ich los bin, vor circa anderthalb Stunden, Sir", log ich ihn an.

Ich hatte gar keine Zeit etwas zu essen. Vor allem aber, hatte ich gar keine Lust auf diese endlosen Diskussionen. Gosch sah mich zweifelnd an, sagte aber nichts dazu. Etwas, dass ich ihm hoch anrechnete. Wir betraten das Zelt und gingen auf einen großen Kartentisch zu, der voller Fotos und Karten lag.

"Erklärt ihr mir bitte, was sich geändert hat, dann will ich los", sagte ich kurz angebunden.

Ich glaube mein Oberst ahnte, dass etwas nicht stimmen konnte, sagte aber nichts dazu. Da er sah, dass ich einen ziemlich genervten Eindruck machte.

"Lynchen, die letzte Spur die ich finden konnte, war bei der Fähre in Glewitz - Stahlbrode‎, danach tut mir leid Lynchen, fand ich nichts mehr", lachend sah er mich an. "Mein Bauch knurrt nur, wenn er großen Hunger hat. Ich kann das nicht so, wie du", grinsend sah mich Pille an. Wie oft hatten wir das Thema in den letzten Jahren.

"In Ordnung."

Ich sah mich nach Walter um, mir war schlecht vor Hunger und wenn ich tagelang den Geiselnehmern hinterher laufen musste, dann brauchte ich unbedingt etwas Nahrung. Da entdeckte ich ihn, er war dabei Abendessen für alle zu machen.

"Walter, machst du mir bitte sofort zweihundert Gramm, ich will los. Gosch ist der Drachen voll?"

Der schüttelte den Kopf, sah mich verlegen an.

"Dann los Gosch, erhebe deinen zarten Hintern. Ich muss los, der Geisel läuft die Zeit weg. Die ist schon drei Tage in den Händen der Geiselnehmer. Hoffentlich haben die noch nicht herausgefunden, dass Conrad Lange, ein Polizist ist. Dann wird es elende hart für ihn werden. Mache hin. Wie lange brauchst du?"

Gosch sah zum Oberst, dieser nickte. "Wenn alles klappt, zwanzig Minuten", sofort sprang er auf und lief aus dem Zelt.

"Genosse Oberst, sie brechen hier die Zelte ab. Die sind nicht mehr hier in der Nähe, wir operieren vom Stützpunkt aus. Der liegt zentraler. Außerdem ist das für Gosch einfacher, Sir."

Der Oberst nickte, gab einige Befehle, schon wurden die Sachen zusammengeräumt.

"Kahlyn, ist alles mit dir in Ordnung?"

Tief atmete ich durch. "Sir, ja, Sir. Ich bin nur hundemüde. Ich bin gerade von einem Einsatz zurück, der fast aus den Rudern gelaufen wäre. War nur fünfzehn Minuten am Boden, als ich in den Drachen stieg. Bitte, Sir. Ich habe keine Nerven auf Diskussionen. Oberst bitte, schau bitte mal auf die Uhr, es ist jetzt kurz vor 19 Uhr. Ich schlafe, wenn ich die Geisel habe. Versprochen. Dann ist mir auch egal wie lange ich schlafe, Sir."

Oberst Fleischer wusste genau, wenn ich so konsequent einen Riegel vor eine Diskussion schob, hatte es keinen Zweck mehr mit mir zu reden.

"In Ordnung, Kahlyn. Willst du nach dem Essen noch etwas schlafen, bis Gosch zurück ist?"

Ich nickte, dann hatte ich wenigstens noch etwas Schlaf. In dem Augenblick brachte mir Walter mein Essen. Schnell hatte ich die zweihundert Gramm gefuttert.

"Na Kahlyn, du hast mich wohl gerade angeflunkert?", musste der Oberst los werden. "So schnell wie du den Brei futterst, bist du doch kurz vor dem Hungertod", brachte er lachend zum Ausdruck, was die anderen dachten.

"Sir, nein, Sir. Ich bin nur todmüde und will noch ein paar Minuten schlafen, Sir."

Kaum fertig stellte ich meinen Teller hin und sah mich um, wo ich mich etwas hinlegen konnte. Pille stand auf, hob mich so, wie er es immer machte, einfach auf die Hüfte, ich stöhne unterdrückt auf, was zum Glück keiner mitbekam.

"Komm Lynchen, ich helfe dir beim Schlafen. Eine Stunde kannst du dir noch gönnen."

Ich schüttelte den Kopf. "Pille, nur zwanzig Minuten. Ich will los. Bitte drücke nicht so, meine Rippen."

Erschrocken ließ Pille locker. Erleichtert atmete ich auf. Schon waren wir in einer Ecke und legten uns auf die Matten. Kaum am Boden, schlief ich schon in den Armen von Pille. Aus den zwanzig Minuten, wurden aber doch fast zwei Stunden, so erschöpft war ich. Pille beschloss mit dem Oberst zusammen, mich schlafen zu lassen, bis ich von alleine munter wurde. Auch, wenn ich dann erst einmal Stress machen würde. Die zwei Stunden Schlaf hatten mir allerdings gut getan.

Kaum munter, wollte ich auch gleich los. Der Oberst bestand darauf, dass ich noch einmal zweihundert Gramm aß, vor allem aber etwas trank. Also futterte ich noch einmal einen Brei und trank zwei Tassen Tee. Drängelte allerdings schon zum Aufbruch. Gosch sprang sofort auf, im Herauslaufen aus dem Zelt, rief ich dem Oberst noch zu, einfach um einer endlosen Diskussion aus dem Weg zu gehen.

"Sir, ich schicke den Gosch in die Basis, Sir. Melde mich von unterwegs, wie ich das immer bei solchen Suchaktionen mache. Sir, ich muss ja erst einmal eine Spur finden, Sir."

Im gleichen Atemzug war ich aus dem Zelt verschwunden und lief Gosch hinterher, zum Drachen. Die Worte vom Oberst folgten mir und ich nahm sie wahr, aber ignorierte ich sie gekonnt.

"Kahlyn, du gehst nicht alleine auf Suche. Das verbiete ich dir."

Da der Drache schon im Anlaufen war und ich gerade die Tür zuschlug, hatte ich eine gute Ausrede. Gosch startete in diesem Augenblick. So konnte ich behaupten, dass ich durch das Rotieren des Propellers, die letzten Worte vom Oberst nicht verstanden hatte.

"Gosch, du fliegst Suchschleifen in Richtung Süden", gab ich meinem Piloten Anweisungen. "Wenn ich eine Spur sehe, springe ich ab. Du fliegst zur Basis, der Oberst weiß Bescheid. Ich melde mich von unterwegs, wenn ich deine Hilfe brauche."

Gosch sah mich verwundert an.

"Bitte Gosch, keine Diskussionen. Ich bin einfach viel zu müde und ich habe schlimme Schmerzen. Ich will diesen Mist einfach zu Ende bringen. Dann will ich schlafen und zurück in meine Schule, um mich von Doko ordentlich versorgen zu lassen. Dem Conrad läuft die Zeit genauso weg wie mir, also bitte. Ich habe keine Nerven für endlose Diskussionen."

Gosch nickte und sagte gar nichts mehr dazu. Der Pilot hatte das von mir schon einige Male erlebt. So begann er Schleifen zu fliegen. Als sich plötzlich das Funkgerät meldete, kaum dass wir drei Minuten geflogen waren. Gosch meldete sich.

"Willy bitte lasse Kahlyn in Ruhe. Sie hat doch mit dir alles abgeklärt", erwiderte er nach einer Weile.

Also wollte der Oberst wieder eine heiße Diskussion. Warum lernte der nicht endlich einmal zu akzeptieren, dass ich eine andere Arbeitsweise hatte wie er. So viele Jahre arbeiteten wir nun schon zusammen und er hatte es immer noch nicht begriffen. Also kletterte ich nach hinten, öffnete die Tür, wandte mich aber noch einmal an Gosch.

"Schade, ich dachte wirklich ich kann dich länger haben. Aber ich habe keinen Bock auf diese Diskussion. Ich springe hier ab, dann ziehe ich meine Schleifen halt zu Fuß. Sage dem Oberst, meinen aller herzlichsten Dank."

Wütend stieg ich auf die Kufen und hängte mich an den Heli, ließ mich aus fünfzehn Meter Höhe einfach fallen. Ich blieb einen Moment benommen liegen. Das Abrollen schickte mir liebe Grüße von den Druckverbänden und eine nicht enden wollende Salve von Schmerzwellen durch meinen Körper. Sobald ich die Schmerzen wieder einigermaßen kontrollieren konnte, stand ich auf und lief im hohen Tempo auf ein Wäldchen zu, in dem ich verschwinden konnte. Mein Funkgerät piepte wie verrückt. Ich machte es an.

"Gosch, höre auf mich zu nerven. Sonst schmeiße ich nicht nur das Funkgerät und sondern auch den Peilsender weg, dann findet ihr mich gar nicht mehr."

"Schon gut Kahlyn. Ich wollte ja nur wissen ob alles in Ordnung ist. Mein Gott hast du eine miese Laune", hörte ich seine Antwort.

Schon hatte ich das Funkgerät wieder ausgeschaltet. Manchmal nervte mich diese Sorge von Gosch und den Oberst nur noch. So etwas war ich nicht gewohnt. Es tat ja gut, wenn sie besorgt waren, aber es raubte mir in bestimmten Situationen, einfach den letzten Nerv. Anderthalb Stunden hatte mich deren Sorge gekostet, das konnte den Tod von Conrad Lange bedeuten. Konnte sich der Oberst, das nicht mal überlegen. Schlafen konnte ich doch hinterher viel besser, wenn ich wusste die Geisel würde in Sicherheit sein.

 

Wie so oft in solchen Situationen, lief ich einfach meinem Bauch nach, der mich immer weiter nach Süden trieb. Fast sechs Stunden lief ich schon im hohen Tempo, breit angelegte Suchschleifen in Richtung Süden.

Es war kurz nach fünf Uhr in der Früh, als ich endlich eine erste Spur fand. Langsam, um sie nicht wieder aus den Augen zu verlieren, folgte ich ihr. Kam nach einer halben Stunde, an eine alte wahrscheinlich zurzeit nicht genutzte Scheune, am Rand von Groß Below. Dort hinein führte mich die Spur. Oben auf der Tenne, fand ich zwischen dem Heu, weiße Haare, die von diesem Conrad Lange stammen konnten.

Im Dosier stand als besonderes Merkmal, das Conrad schneeweißes Haar hatte. Obwohl er erst einundzwanzig Jahre alt war. Selbst die Augenbrauen und der Bartwuchs dieses jungen Mannes waren von schneeweißer Farbe. Etwas Ungewöhnliches in diesem Alter. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Conrad laut Aussage seiner Familie, ursprünglich schwarzhaarig war. Verdammt, seit fast vier Tagen war der Arme in den Händen der Geiselnehmer. Hoffentlich fand ich ihn bald, ging es mir bei der Suche immer wieder durch den Kopf und trieb mich voran.

Fast siebzig Kilometer waren die jetzt schon mit der Geisel gelaufen, ohne dass die aufgefallen waren. Oft konnte ich das nicht nachvollziehen. Die waren mit der Geisel auf der Straße gelaufen, so etwas musste den Leuten doch auffallen. Dieses Lager in der Scheune wurde bereits vor fast vier Tagen verlassen. Sie konnten die schon sonst, wo hingelaufen sein. Eilig lief ich weiter, nach zwei Stunden verlor ich die Spur wieder. Auf der Straße jemanden zu folgen war unwahrscheinlich schwierig. Am Anfang waren es noch ein paar Haare die Conrad verloren hatte, wahrscheinlich von seiner Kleidung, jetzt schienen keine mehr an ihm zu haften. Ich folgte einfach wieder meinem Bauch. Was sollte ich sonst auch machen? Ich hatte einfach zu wenige Anhaltspunkte, um gezielter bei meiner Suche vorzugehen. Also lief ich einfach meinem Bauchgefühl hinterher. Ging beim Laufen, alle Informationen die ich im Dossier gefunden hatte, noch einmal durch. So dass mir nichts entgehen konnte.

Mit den drei Geiselnehmern war nicht zu spaßen. Die waren mit alle mit äußerster Vorsicht zu genießen. Der Zahmste von den dreien, ging es mir beim Laufen der Schleifen, bei denen ich nach Spuren suchte, durch den Kopf, war Volker Schneider, der jüngste der Bande. Ich war mir fast sicher, dass dieser mehr oder weniger ein Mitläufer war. Einer von der Sorte, der nur die falschen Freunde hatte und sich durch diese negativ beeinflussen ließ. Er war von Beruf Krankenpfleger, in einer Kinderklinik. Seine Kollegen konnten sich nicht vorstellen, dass er an einem Banküberfall beteiligt gewesen sein sollte. Er hatte niemals Geldprobleme gehabt. Volker Schneider war eher ein sehr sparsamer junger Mann, der weder trank noch rauchte. Außerdem war er in seinem Leben noch niemals straffällig geworden, hatte nicht einmal eine Akte, bei den Kollegen der Kripo. Mit seinen dreiundzwanzig Jahren, war er der jüngste des Trios, das ich verfolgte. Weiterhin lief ich in Richtung Süden und folgte dem Kompass in meinem Bauch und suchte intensiv nach Spuren. Auch wenn ich dabei meinen Gedanken nachhing, entging mir nichts. Der Zweite im Bunde war Klaus Sieger, ein derber Mann. Der schon sieben Vorstrafen, wegen schwerer Körperverletzungen und Diebstahls sein eigen nannte. Von ihm, ging es mir durch den Kopf, würde die größte Gefahr ausgehen. Otto Müller, war zwar auch ein gewalttätiger Mensch. Der sich jedoch nicht gern, selber die Finger schmutzig machte, sondern lieber andere die Drecksarbeit machen ließ. Er war laut Dosier, nicht viel besser als Sieger, allerdings war er wesentlich durchtrainierter. Wogegen Schneider eher als schmächtig zu bezeichnen war. So einer von der Sorte, der nie irgendwo auffiel, immer nett freundlich zu jeden war. 

Verdammt, wo steckten die nur, ging es mir durch den Kopf. Fast einen Tag suchte ich diese Bande nun schon. Ich hatte immer noch keine Ahnung, wo die hinwollten. Soweit konnten die zu Fuß gar nicht laufen. Immer wieder kam mir der Gedanke, dass die vielleicht nach Erfurt wollten. Nur waren die dann viel zu weit östlich. Mussten sich also mehr in Richtung Westen halten.

Müde machte ich eine Pause und öffnete meinen Medi-Koffer, um die Verbände zu wechseln. Auch musste ich mir schon wieder neue Spritzen aufziehen. Nur gut das mir Bian, fünf Flaschen mit B32 in den Koffer gelegt hatte. Mit zwei Flaschen wäre ich nicht weit gekommen. Ich war schon bei fast dreihundert Einheiten. Ich musste unbedingt eine Stunde schlafen, sonst hielt ich nicht mehr lange durch. Kurz vor Podewall, ging ich deshalb auf einen Hochstand und richtete mich dort etwas ein, um zwei Stunden zu schlafen. Es war kurz nach 20 Uhr, als ich mich zusammenrollte, um zu schlafen. Nach zweieinhalb Stunden, wurde ich wieder munter, erleichtert stellte ich fest, dass die Schmerzen etwas nachgelassen hatten.

Eilig verließ ich den Hochstand und ging wieder auf Spurensuche. Immer wieder einmal fand ich kurz Spuren. Allerdings waren sie genauso schnell wieder verschwunden. Aber die wenigen Spuren erleichterten mich, ich wusste dadurch, dass ich bin noch auf der richtigen Fährte war. Etwas westlich von Tannenkrug, etwa fünfunddreißig Kilometer von dem ersten Lager entfernt, fand ich kurz nach Mittag des dritten Tages, ein zweites Lager, unweit eines Sees und umgeben von einem Wald. Dort lagerten die Vier, vor dreieinhalb Tagen. Blieben hier mindestens drei Tage. Eine Spur führte weg von hier, aber auch wieder zurück. Verwundert stellte ich das fest, nach einiger Zeit und intensiver Spurensuche, verstand ich auch warum. Etwa drei Kilometer vom Lager entfernt, fand ich dann heraus, weshalb die drei hier so lange gewartet hatten. Sie wurden von einem Fahrzeug abgeholt. Müde setzte ich mich an den Straßenrand, überlegte ob ich aufgeben sollte. Wo sollte ich jetzt noch suchen? Ich konnte die Spuren eines Fahrzeuges nicht verfolgen, das war aussichtslos.

Kurz vor 13 Uhr, beschloss ich, trotz alledem weiterzusuchen. Ich würde einfach meinen Bauch folgen, der war nämlich der Meinung, dass ich die Geisel noch finden konnte. Also durfte und konnte ich nicht einfach aufgeben. Das wäre Conrad Lange gegenüber nicht fair gewesen. Schließlich hatte ich es mir und der Geisel versprochen, dass ich sie finden würde. Also raffte ich mich wieder auf und lief weiter Suchschleifen, immer in Richtig Süden. Fast anderthalb Tage suchte ich, ohne Unterbrechung. Als ich am frühen Abend des vierten Tages einfach nicht mehr konnte und wieder eine Pause machen musste. Fast dreihundertfünfzig Kilometer war ich nach Süden gelaufen. Wie viele Kilometer ich in Wirklichkeit gelaufen war, konnte ich nicht sagen. Durch das Laufen der Suchschleifen in einer Breiten von fünf Kilometern, vervielfachte sich die gelaufene Strecke.

Kurz vor Meuselwitz, legte ich mich wieder in einen der Hochsitze zum Schlafen nieder, um mich wenigstens etwas zu erholen. Wütend auf mich und die Welt, dass ich keine Spuren finden konnte, war ich kurz davor aufzugeben. Vier ganze Tage, suchte ich nun schon nach Conrad, konnte ihn einfach nicht finden. Nach drei Stunden wachte ich auf und verband mich neu, gab mir wieder hochdosiert B32, um überhaupt noch weitersuchen zu können. Begann weiter meine Schleifen zu ziehen, auch wenn ich wusste, dass ich kaum noch eine Chance hatte, etwas zu finden. Allerdings, nur knappe fünfzig Kilometer weiter südlich, also circa vierhundert Kilometer vom letzen Lager der Geiselnehmer, fand ich endlich wieder eine Spur. Unweit von Großenstein, führten mich Wagenspuren in eine Scheune. Darin fand ich unter anderem auch die Kleidung, die Conrad Lange am Tag seiner Entführung getragen hatte. Ein gelbes Hemd und eine schwarze Hose. Auch fand ich ganz kurze weiße Haare, wahrscheinlich von der Rasur. Aber auch Blutspritzer, die von Schlägen herrührten.

Ich machte mir auch große Sorgen. Im Umkreis von zwanzig Kilometern, um die Scheune herum, sah ich zu meinem Entsetzen, das überall Straßensperren aufgebaut waren. Es war kurz nach 2 Uhr in der Früh, am fünften Tag meiner Suche, als ich auf einen der Kollegen zuging.

"Guten Morgen Sir, kann ich sie kurz sprechen, Sir. Könnten sie mir sagen, mit wem ich spreche, Sir?", wandte ich mich hilfesuchend, an den Kollegen.

"Hauptwachtmeister Sigmund Fähnrich. Natürlich junge Frau, wobei kann ich ihnen helfen. Wieso sind sie um diese Uhrzeit noch nicht im Bett? Sie sind doch noch keine achtzehn oder?"

Genervter als ich eigentlich wollte, antwortete ich. Vor allem weil ich mir bewusst wurde, dass ich mich nicht vorgestellt hatte. Ich wusste ja wie ich auf fremde wirkte und dass ich verdammt jung aussah. Es war einfach nervig, immer wieder das gleiche Thema erklären zu müssen. Deshalb holte ich kurzentschlossen meinen Dienstausweis heraus und wies mich aus.

"Sir, mein Name ist Leutnant Kahlyn, Sir. Ich bin Mitglieder der Soko Tiranus, die nach den Entführern, der Geiselnahme von Rügen sucht, Sir. Ich bin der Spurensucher, Sir. Bitte mir läuft die Zeit davon, Sir. Können sie mir eine Verbindung zur Soko Tiranus machen? Bitte, Sir."

Der Kollege musterte meinen Ausweis sehr genau und äußerst misstrauisch. Stellte dann verwundert fest, dass dieser echt war.

"Entschuldigen sie Kollegin, sie sehe so sehr jung aus. Natürlich kann ich ihnen eine Verbindung zur Soko herstellen. Haben sie die Verbindungsdaten?"

Verlegen sah ich den Kollegen an. "Sir, nein, Sir. Soweit habe ich nicht gedacht, können sie die irgendwie heraus bekommen, Sir?"

Kurz kratzte der Kollege sich an den Kopf. "Ach bestimmt, warten sie einen Moment."

Sofort ging er an den Toni und funkte seine Zentrale an, erklärte ihnen, was er wollte. Kaum fünfzehn Minuten musste ich warten, schon rief mich Fähnrich, an den Funk.

"Leutnant Kahlyn, ich habe Oberst Fleischer am Apparat, könnten sie bitte mal kommen."

Nickend lief ich auf den Toniwagen zu. "Kahlyn, Gott sei Dank. Mädel, ich gehe jedes Mal durch die Hölle, wenn du alleine unterwegs bist. Warum hast du Gosch weggeschickt? Verdammt noch mal Mädel, du kannst doch nicht alleine, durch die halbe Republik laufen."

Genervt holte ich Luft. "Sir, bitte ich habe keine Zeit und keine Nerven, für solche sinnlosen Diskussionen, Sir. Können sie oder Gosch so schnell laufen, dass sie mein Tempo mithalten, Sir?"

"Kahlyn, du hast ja Recht, komm sage mir was los ist. Ich bin ja schon wieder lieb. Ich war nur in Sorge um dich. Kleines, du hast seit fast fünf Tagen nichts gegessen und getrunken. Kannst du dir nicht vorstellen, dass ich mir Sorgen mache."

Ach der gute Oberst, immer dachte ich nicht daran, dass dieser sich sorgte, weil ich nicht regelmäßig aß. Sonst kümmerte das auch niemanden, außer den Jacobs.

"Sir, wie oft muss ich ihnen das noch erklären, Sir. Ich verhungere erst nach mehr als achtzig Tagen, verdursten tue ich erst nach achtundvierzig Tagen, Sir. So schnell falle ich nicht vom Fleisch, Sir", gab ich ihm lachend zur Antwort, um ihn zu beruhigen. "Sir, bitte ich brauche ihre Hilfe. Hier sind überall Straßensperren eingerichtet, das macht die Geiselnehmer nervös, Sir, könnten sie die Kollegen dazu bringen, ihr Leute abzuziehen, Sir. Ich habe in einer Scheune unweit der Straßensperren Blutspuren gefunden, Sir, das ist kein gutes Zeichen, ich habe Angst um Conrad, Sir. Wenn die Kollegen, die Geiselnehmer so nervös machen, gibt es bald ein Drama, Sir", erklärte ich, was ich meinte. "Sir ich habe in der Nähe von Groß Below, ein Peilsender stehen lassen, Sir. Auch eins unweit von Tannengut, an einem See, Sir. Dort sollten sie mal die Spurensicherung hinschicken, der dritte Peilsender steht in einer Scheune, hier in der Nähe von Großenstein. Überall kann die Spurensicherung konkrete Hinweise auf die Täter finden, Sir. Können sie den Kollegen bitten, mir noch zwei oder drei Peilsender mitzugeben, da ich nur noch einen habe, Sir."

Aufmerksam hörte der Oberst zu. "Geht klar, das organisiere ich gleich. Wann denkst du, bekommst du die Geiselnehmer? Wann soll ich dir den Gosch schicken, Kahlyn?"

"Sir, das weiß ich nicht, ich denke morgen gegen Mittag, wenn ich ganz viel Glück habe, könnte ich die Geiselnehmer haben, Sir. Bitte ich will weiter, Sir. Mir läuft einfach die Zeit weg, Sir."

"Geb mir den Kollegen, mein kleines Mädchen."

Ich reichte den Funk weiter. "Sir, der Oberst möchte sie noch einmal sprechen, Sir."

Sofort entfernte ich mich vom Toni, mir taten immer die Ohren weh, von den Rückkopplungen. Keine zwei Minuten später kam der Kollege mit drei Peilsenderen und einer halben Flasche Wasser zu mir.

"Tut mir leid Kollegin, aber ich hatte leider nur eine Flasche Wasser dabei. Sonst nur Cola und Limo. Aber vielleicht hilft ihnen das ja."

Dankbar nahm ich die Flasche, trank sie in einem Zug aus. Es war immer schlimm, es gab überall Wasser. Nur das meiste war so versetzt mit Zusatzstoffen, dass ich dies nicht trinken konnte. Selten waren Flüsse oder Bäche so sauber, dass wir das Wasser so ohne weiteres trinken konnten. Wir reagierten auf vieles, mit schlimmem Durchfall. Von daher tranken, wir wirklich nur Leitungswasser.

"Danke Sir, sie retten mir gerade das Leben, Sir", sofort griff ich nach den Peilsendern. "Der Oberst schickt sie ihnen dann zurück, Sir. Ich muss weiter, Sir. Sie können hier Schluss machen, Sir. Die Täter sind schon seit gestern nicht mehr hier. Sir", erklärte ich und lief einfach los, drehte mich im Laufen noch einmal zu dem netten Kollegen um. "Sir, vielen Dank für ihre Hilfe, Sir."

Eilig lief ich weiter und begann von neuen meine Suchschleifen zu ziehen. Nach etwa vier Stunden war mir das Glück holt. Entweder hatte das Auto den Geist aufgegeben, oder aber den Geiselnehmern, war es auf Grund der vielen Straßensperren zu gefährlich geworden, damit weiter zu fahren. Die Spuren die ich fand, waren zwar schon acht Stunden alt. Entstanden bevor der Oberst, die Straßensperren hatte aufheben lassen. Ich näherte mich also der Geisel. Erleichtert atmete ich auf. In dem Waldstück, südwestlich von Großenstein, etwa einem Kilometer nördlich von Beerwalde, hatten die Geiselnehmer das Fahrzeug mitten im Wald stehen lassen und waren von dort aus zu Fuß weiter gelaufen. Ich ließ einen Peilsender am Fahrzeug zurück. Sodass die hiesige Polizei, das Fahrzeug der Spurensicherung übergeben konnte. Nun wurde es wieder einfacher, deren Spuren zu folgen. Vorsichtig folgte ich der Spur, die völlig chaotisch verlief, als wenn diese Leute nicht mehr wussten, wo sie hinwollten. Erst liefen sie circa drei Kilometer nach Süden in Richtung Stolzenberg, dann wieder nach Osten, in Richtung Weißbach. Wieder zurück, in Richtung Großenstein, dann südlich in Richtung Reust, aber immer auf Waldwegen und immer im Schutz der Bäume. Die Straßensperren hatten Sieger, Schneider und Müller total verunsichert.  

Hoffentlich, so ging es mir durch den Kopf, taten die jetzt der Geisel nichts. Ich musste ob ich nun wollte oder nicht eine Pause machen. Da ich mich vor Müdigkeit, kaum noch auf den Beinen halten konnte. Kurz nach Mittag, die Sonnen war gerade über den Zenit, lehnte ich mich an einen Baum. Es muss gegen 14 Uhr gewesen sein, wenn mich mein Zeitgefühl nicht vollkommen in Stich ließ. Fünf Tage jagte ich den Geiselnehmern hinterher und war langsam am Ende meiner Kräfte. Sieben Stunden forderte mein Körper Ruhe, erst als die Dämmerung kam, wurde ich munter. Leider fühlte ich mich nicht sehr erholt. Eigentlich müsste ich einmal eine richtige Pause machen und zurück zur Basis fliegen. Dort etwas essen, vor allen endlich meine Wunden versorgen lassen. Aber ich hatte schon zu viel Zeit verschenkt. Zu gut war mir das Drama von Berlin, noch in Erinnerung. Wo die Geisel starb, weil ich schlapp gemacht hatte. Nie wieder würde mir so etwas passieren. Das hatte ich mir damals geschworen. Wenn ich jetzt zur Basis der Soko zurückkehren würde, kostete mich das einen ganzen Tag. Dann fand ich Conrad, vielleicht wieder nur noch tot. Ich wechselte noch einmal die Verbände, spritzte mir die Schmerzen einfach weg. Nahm mir nochmals einige von den Tscenns, damit es mir etwas besser ging. Nach einer ganzen Stunde, hatte ich mich soweit motiviert, dass ich wieder auf Suche gehen konnte.

Es war kurz nach 22 Uhr, als ich die Verfolgung wieder aufnahm. Zum Glück fand ich die Spur sofort wieder. Die Geiselnehmer hatten nur noch vier Stunden Vorsprung, nach drei Stunden endlich, also kurz nach dem ich die Verfolgung wieder aufnahm, fand ich das Lager, in dem es sich die drei mit ihrer Geisel bequem gemacht hatten. Etwa vierhundert Meter westlich von Reust. In der unmittelbaren Nähe eines Grubengeländes, befand sich eine ungenutzte Lagerhalle. Dort hatten sie es sich für die Nacht bequem gemacht, saßen schwatzen, an einem kleinen Feuer. Also würden sie hier die Nacht verbringen.

Ich konnte also in Ruhe Hilfe holen. Bei meiner Verfolgungsjagd, war ich an einer größeren Stadt vorbeigelaufen, dort gab es bestimmt eine Polizeistation. Ich lief die zwölf Kilometer im hohen Tempo zurück, zu der Stadt die den Namen Gera trug. In dem ich einfach quer Feldein, nach Nordwesten lief. Kaum hatte ich die Stadtgrenze übertreten, sah ich schon einen Toniwagen, der auf Patrouillenfahrt war. Winkend machte ich auf mich aufmerksam. Die Kollegen kamen auf mich zugefahren. Ich war froh, dass ich nicht lange suchen musste.

"Guten Abend junge Frau. Das hier ist Wachtmeister Bernd Kunze, ich bin Wachtmeister Alfred Marzahn, vom Revier 62, Gera Nord, wie kann ich ihnen behilflich sein?"

Offen sah er mich an, wenn auch etwas verwundert, ich war schmutzig, mein Overall war an einigen Stellen zerrissen.

"Sir, entschuldigen sie bitte mein Aussehen, Sir. Ich bin seit über fünf Tagen hinter den Geiselnehmern von Rügen her, Sir. Hier ist mein Ausweis, Sir. Ich bin Leutnant Kahlyn, Sir. Bitte Sir, könnten sie mir eine Verbindung zu Oberst Fleischer machen, von der Soko Tiranus, mein Funkgerät, reicht nicht so weit, Sir."

Dieser begutachtete erst mich, dann den Ausweis. "Sie sind aber noch sehr jung Kollegin. Kleinen Moment."

Sofort gab Marzahn, Wachtmeister Kunze den Auftrag die Verbindung herstellen zu lassen, vom zuständigen Revier.

"Können wir für sie sonst noch etwas tun. Wir haben nämlich den Auftrag bekommen, unsere Augen offen zu halten, nach ihnen. Die Beschreibung ist an alle Dienststellen, im Umkreis heraus gegeben wurden. Moment ich habe im Wagen einige Flaschen Wasser", sofort lief er zum Kofferraum drückte mir zwei Flaschen Wasser in die Hand.

Dankbar nahm ich diese entgegen. "Sir, danke, Sir. Sie retten mir das Leben, Sir", gierig trank ich die erste Flasche aus.

"Na du hast ja ein Durst. Sag mal, wie alt bist du eigentlich. Gehen uns jetzt die Kollegen aus, dass wir schon so junge Mädchen einsetzen müssen?", erkundigte er sich neugierig.

"Sir, nein, Sir. Sie müssen keine Angst habe, wir haben noch genug Polizisten, Sir. Ich komme von einer Spezialeinheit, Sir. Deswegen sehe ich so jung aus, ich kann doch nichts dafür, Sir", genüsslich trank ich jetzt auch noch die zweite Flasche aus.

"Na du hast ja einen Durst."

 Ich sah ihn verlegen an, mir war das einfach unangenehm. "Sir, jawohl, Sir. Ich habe seit fünf Tagen nur eine halbe Flasche Wasser getrunken, habe einfach vergessen mir etwas mitzunehmen, Sir. Das Wasser, was ich unterwegs fand, war nicht trinkbar, Sir. Ich nutze niemanden etwas, wenn ich Durchfall bekomme, Sir."

Lachend sah mich Marzahn an. "Das kann ich mir vorstellen. Warte mal ich habe glaube ich noch eine Flasche im Auto, die kannst du dann mitnehmen", ohne eine Antwort abzuwarten drehte er sich um, lief wieder zum Wagen.

Im selben Moment rief mich Kunze. "Leutnant Kahlyn, ich habe Oberst Fleischer am Funk."

"Sir, danke, Sir", dankend nahm ich ihm das Funkgerät aus der Hand.

"Sir, Leutnant Kahlyn am Funk, Sir. Ich habe die Geiselnehmer gefunden, Sir. Schicken sie mir Gosch und sorgen für den Abtransport der Geiselnehmer, Sir? Ich habe in der Nähe von Großenstein, einen Peilsender an dem wahrscheinlich gestohlen Fahrzeug gelassen, etwa einen Kilometer nördlich von Beerwalde, mitten im Wald, Sir. Sorgen sie dafür, dass die Spurensicherung das Fahrzeug sicherstellt, Sir?", erstattete ich Bericht.

"Kahlyn, wann brauchst du Gosch? Um den Rest kümmere ich mich. Mein kleines Mädchen willst du dann nicht mal eine Pause mache, du bist jetzt schon über fünf Tage auf den Beinen."

"Sir, ich bin doch gleich fertig, drücken sie mir die Daumen, dass die in der Zwischenzeit nicht weiter gezogen sind, Sir. Bitte schicken sie mir Gosch sofort, Sir, ich habe den Peilsender an, Sir. Er findet mich etwa vierhundert Meter westlich von Reust in einer Lagerhalle, Sir, soll aber fünf Kilometer entfernt warten, Sir. Ich rufe ihn per Funk, Sir. Sonst verscheucht er mir die Leute noch, Sir."

"Geht klar, Kahlyn. Sei vorsichtig meine Kleine", musste er noch loswerten.

"Sir, jawohl, Sir. Bis später, Sir. Bitte klären sie den Rest mit den Leuten hier, ich muss zurück, Sir. Ich habe keine Ruhe, Sir. Ach Oberst, kann mir Gosch einen sauberen Overall mitbringen, meiner sieht aus wie … naja dreckig und zerrissen, Sir."

Reichte Kunze ohne eine Antwort abzuwarten den Funk zurück und wollte sofort wieder los.

Als mir Marzahn hinterher rief. "Leutnant Kahlyn, warte doch mal Mädchen", kam mit zwei Flaschen Wasser auf mich zugelaufen, ich war schon wieder auf dem Weg. Also lief ich noch einmal zurück.

"Hier, damit du etwas zu trinken hast. Ich hole mir dann gleich etwas Neues."

Völlig irritiert sah ich den Fahrer an.

"Nimm schon."

Dankbar nahm ich die beiden Flaschen und steckte sie in meinen Rucksack. "Sir, vielen Dank, Sir."

Ich nickte ihm nochmals zu und lief los, und dass im erhöhten Tempo, um zurück zur Lagerhalle zu kommen. Jedoch als ich dort ankam, waren die Geiselnehmer schon wieder weg. Wahrscheinlich vertrieben von dem Betriebsschutz der Grube. Alles sah nach einem eiligen Aufbruch aus. Also nahm ich die Verfolgung wieder auf, verfluchte mich, dass ich weggelaufen war. Genauso gut hätte ich die Männer erst festsetzen und dann Hilfe holen können. Hoffentlich hatten die Conrad jetzt nicht noch etwas angetan.

Eilig folgte ich der Spur, die hatten schon wieder, über eine Stunde Vorsprung. Schnell holte ich auf und fand die Vier schließlich auf einer kleine Lichtung südlich von Reust. Wieder saßen sie gemütlich an einem Lagerfeuer. Es war schon kurz nach Mitternacht, als ich in der Ferne einen Hubschrauber höre. Also hatte der Oberst, Gosch schon in der Nähe stationiert, der dachte halt immer mit. Froh nicht noch Stunden auf Hilfe warten zu müssen, beobachte ich die Geiselnehmer genau. Die würden hier nicht alle schlafen. Das waren Profis und waren viel zu sehr auf die eigene Sicherheit bedacht. Als dass die einschlafen würden, immer zwei von den Geiselnehmern hielt Wache und einer schlief. Conrad lag etwas abseits der Drei, an einem Baum gefesselt.

Irgendetwas hatte dieser Conrad an sich, schon in der Lagerhalle war mir das aufgefallen. Immer, wenn ich ihn ansah, überkam mich die Angst, dass ihm noch etwas passiert könnte. Noch niemals hatte ich solch ein Gefühl, bei einer mir fremden Geisel. Nur dann, wenn das einen meiner Freunde passiert war. Ich riss mich zurück aus meinen Gedanken und überlege wie ich weiter vorgehen konnte. Ich würde Conrad schlafen legen, um zu verhindern, dass er mich durch irgendeine Bewegung oder einen Schrei verriet.

Deshalb klettere aus meinem Baum, auf dem ich Beobachtungsposten bezogen hatte und lief in den Schatten, zu dem Baum an dem Conrad gefesselt saß. Legte diesen mit einem Griff, an den Mund und in den Nacken schlafen. Schnitt als nächstes, dessen Fesseln an den Händen durch, die viel zu fest waren. Überlegte kurz, ob ich mir noch Hilfe holen sollte. Dann konnte es mir passieren, dass die wieder weg waren.

Also versuchte ich gegen die Drei vorzugehen. Was für mich eigentlich kein Problem war, allerdings konnte ich mich durch meine Verletzungen kaum noch bewegen. Die Schmerzen durch die Verletzungen wurden immer schlimmer. Ich war mir im Klaren, dass die Wahrscheinlichkeit bestand, dass mir einer von den dreien abhandenkam. Aber den konnte ich dann später noch suchen gehen. Hauptsache Conrad Lange war erst einmal aus der Gefahrzone. Ich wusste ja jetzt, wie die Geiselnehmer aussahen. Lachend kam mir ein Gedanke, ich hatte jetzt ja richtige Witterung aufgenommen. Also ging ich als erstes auf Otto Müller zu, in dem ich ihn einen Schlag versetzte und er zu Boden ging. Dann gegen Klaus Sieger der schlafend am Boden lag, schickte diesen in einen noch tieferen Schlaf, wandte mich dann Volker Schneider zu, der war jedoch weg. Verdammt, ich lief dessen Spur nach und hatte ihn nach fünf Minuten gefunden. Legte auch ihn schlafen und brachte ihn zurück zum Feuer. In der Zwischenzeit war Otto Müller allerdings zu sich gekommen und war jetzt ebenfalls verschwunden. Verdammt ging es mir durch den Kopf, warum hatte ich vergessen ihn schlafen zu legen? Egal, ich würde ihn dann noch suchen gehen. Erst musste ich die anderen fesseln und Conrad ärztlich versorgen.

Ich war so froh, dass Conrad lebte und dass ihm nichts Schlimmes passiert war. Schnell hatte ich Sieger und Schneider, an den Bäumen mit Handschellen gesichert, in dem ich Hände und Füße hinter dem Baum fesselte. So wie ich es immer machte, sodass die Geiselnehmer es richtig unbequem hatten und stellte hinter Sieger ein Peilsender.

 

Jetzt kümmerte ich mich erst einmal um Conrad Lange, den es böse erwischt hatte. Sieger hatte ihn geschlagen und getreten, als er fest schlief. Das erzählte Schneider vorhin entrüstet, Müller am Lagerfeuer. Der das nicht richtig fand. Conrad hatte schon einige Male, böse Schläge, von jemand abbekommen. Er sah völlig zerschlagen aus.

Vorsichtig hielt ich Conrad, die Flasche mit Wasser an die Lippen, damit er etwas trinken konnte. Dachte wie so oft nicht dran, meine Brille aufzusetzen. Es war eine dunkle Nacht mit einem wolkenverhangener Himmel. Da leuchteten meine Augen, wie die einer Katze. Vorsicht flößte ich ihm Wasser ein. Er hatte schon seit Tagen, nicht viel getrunken, seine Lippen waren völlig rau und aufgeplatzt vor Trockenheit. Vorsichtig versuchte ich ihn, zurückzuholen. Fast fünfzehn Minuten brauchte Conrad Lange, um wieder völlig zu Bewusstsein zu kommen. Ich ließ ihm die Zeit, die er dazu brauchte. Eile war hier völlig fehl am Platz. Kümmerte mich in der Zwischenzeit, um seine kaputten Hände. Beide waren dunkelblau verfärbt und geschwollen. Vorsichtig versuchte ich durch Massage, die Blutzirkulation wieder anzuregen. Noch nie hatte ich gesehen, dass jemanden dermaßen die Hände abgeschnürt wurden. Nur eine gute Stunde später, hätte Conrad beide Hände verloren. Gut, dass ich nicht noch länger gewartet hatte und vor allem nicht auf den Oberst gehört hatte. Wenn ich noch eine Pause eingelegt hätte, wäre Conrad sein Leben lang entstellt gewesen. Langsam nahmen dessen Hände, wieder eine normale Farbe an. Die Narben von den Fesseln, würde ich ihm dann noch weg machen, wenn der Oberst das alles fotografiert hatte.

Nicht noch einmal passierte mir der gleiche Fehler, der mir in Berlin, beim Ortega Fall unterlaufen war. Der Oberst hatte mit mir im Anschluss, geschimpft. Nein, das war nicht der richtige Ausdruck. Der Oberst hat mir halt erklärt, dass ich immer erst Fotos machen musste, von allen Verletzungen. Damit diese Verletzungen alle aufs Genauste dokumentiert werden konnten. Erst dann durfte ich diese schlimmen Verletzungen, völlig beseitigen. Ach hatte ich ihn damals angeschrien, weil ich ihn falsch verstanden hatte. Warf ihn vor, dass ich dann die Leute sterben lassen musste. Der Oberst, nahm mich so wütend wie ich war, auf den Schoss und erklärte mir, alles noch einmal, so dass ich ihn richtig verstehen konnte. Manchmal hatte es der Oberst, aber auch schwer mit mir. Das war schon schlimm, dass wir uns immer so missverstanden. Seit dem ließ ich alle äußeren Verletzungen, bis der Oberst diese fotografiert hatte. Dann konnte ich diese noch beseitigen.

Endlich kam Conrad Lange zu sich. "Sir, guten Tag, Sir. Haben sie keine Angst. Es ist vorbei, Sir. Sie sind jetzt in Sicherheit, Sir. Ich bin Leutnant Kahlyn. Ich bin Polizistin und Ärztin, Sir. Ich möchte ihre Verletzungen behandeln, Sir. Können sie mich hören, Sir? Es ist vorbei, Sir. Bitte trinken sie einen Schluck Wasser, Sir. Dann geht es ihnen bald besser, Sir."

Versuchte ich leise und vor allem beruhigend, auf den zu sich kommenden Conrad Lange einzureden. Sah ihn an, in dem ich zu ihm hochsah. Ich kniete vor dem wesentlich größeren Conrad, der bestimmt hundertneunzig Zentimeter groß war. Plötzlich kam dieser ganz zu sich und sah mir direkt in die Augen, begann wie am Spieß zu schreien. Da wurde mir bewusst, dass ich keine Brille aufgesetzt hatte. 

"Sir, sie müssen keine Angst vor mir haben, Sir. Ich kann doch nichts für meine Augen, entschuldigen sie bitte, ich vergaß meine Brille aufzusetzen, Sir. Bitte trinken sie einen Schluck, dann wird ihnen gleich besser, Sir. Ich bin die Kahlyn, bin eine Polizistin und Ärztin, Sir. Sie müssen sich nicht vor meinen Augen fürchten, Sir."

Langsam beruhigte sich Conrad und atmete wieder gleichmäßiger und ruhiger. Vorsichtig gab ich ihm Wasser, das er gierig trank.

"Sir, nicht so viel auf einmal, Sir, sie können gleich noch etwas trinken, sonst wird ihnen schlecht, Sir. Darf ich ihre Verletzungen bitte versorgen, Sir. Können sie mir sagen, wie sie heißen, Sir?"

Immer noch war Conrad, völlig desorientiert.

"Wo kommst du denn her? Ich hab noch nie solche Augen gesehen", flüsterte er mit zittriger Stimme. Diese zeigt mir, dass er völlig geschwächt und völlig neben der Spur war.

"Sir, ich kann doch nichts für meine Augen, Sir. Ich wollte sie nicht erschrecken, Sir. Ich tue ihnen nichts, vertrauen sie mir, Sir", ich rutschte ein Stück zur Seite, damit er seine Entführer sah. "Sir, sehen sie zwei von diesen Unmenschen, habe ich schon erwischt, Sir. Auch den dritten werde ich noch fangen, Sir. Das verspreche ich ihnen, hier und jetzt, Sir. Können sie mir nicht sagen, wie sie heißen, Sir?"

Lange sah mich Conrad an. "Wie hast du mich gefunden Mädchen? Wie alt bist du überhaupt? Ich dachte ich muss sterben", nach einer langen Pause, flüsterte er mehr, als das er sprach. "Ich heiße Conrad Lange, aber du kannst mich Conny nennen, so nennen mich meine Freunde", plötzlich fing er an zu weinen.

Beruhigend zog ich ihn in meine Arme, was er mit einen Stöhnen beantwortet.

"Ist schon gut, es ist vorbei, Sir. Keine Angst, ich bringe sie gleich in Sicherheit, Sir. Aber ich muss sie kurz untersuchen, der Sieger hat sie vorhin im Schlaf verdroschen. Ich möchte nachsehen, ob er sie schwer verletzt hat, Sir. Darf ich sie kurz untersuchen, Sir."

Conrad Lange nickte zögerlich.

Also sah ich mir seinen Körper an, er hat etliche schwere Prellungen, auch einige kaputte Rippen. Das waren alles Sachen, die konnte ich richten. Nur gut, dass Conrad Lange so gut trainiert war. Viele der Schläge hatte er wahrscheinlich instinktiv, durch das Anspannen der Muskeln abfangen können.

"Sir, ich helfe ihnen kurz beim Aufstehen, Sir. Halten sie sich etwas am Baum fest, Sir. Dann kann ich ihre Rippen besser bandagieren, Sir. Ich trage ihnen auch eine Salbe auf, die ihnen etwas die Schmerzen nimmt, Sir."

Mühsam stand Conrad auf und stützte sich mit den Händen an den Baum. Auf diese Weise konnte ich die wesentlich größere Geisel, besser versorgen. Vor allem die Rippen richten.

"Sir, erschrecken sie jetzt nicht, Sir. Ich gebe ihnen, bevor ich sie verbinde, eine Spritze in die Halsschlagader, so dass sie keine Schmerzen mehr leiden müssen, Sir." Schon hatte ich ihn die erste Spritze verpasst, der noch weiter vier folgen. Ich wollte ihn schmerzfrei haben. Fünfundzwanzig Einheiten von B32 müssten genügen. Vorsichtig drückte ich gegen die Rippen, doch er stöhnte nicht, die Dosis war also hoch genug. Schon griff ich in die Rippen und richtete sie. Fertig damit rieb ich ihn mit Hämlo-Salbe ein und bandagierte die Rippen fest. Auf diese Weise konnten die Rippen richtig zusammen wachsen. Die letzen Tritte oder Schläger von Sieger, hatten die elfte und zwölfte Rippe völlig zerbrochen. Zum Glück waren keine inneren Organe verletzt.

"Sir, sie können sich wieder setzen, Sir. Ich möchte ihnen noch etwas geben, Sir. Vor allem aber spritzen, damit es ihnen wieder besser geht, Sir."

Dankbar sah mich Conrad Lange an. "Du bist eine gute Ärztin", erklärte er mir leise. "Bei meinem letzen Rippenbruch, habe ich gelitten wie verrückt. Ich konnte kaum atmen. Danke."

"Sir, ist schon gut. Sie würden auch jetzt kaum atmen können, Sir. Ich habe ihnen starke Schmerzmittel gegeben, Sir. Wenn ich dann in die Basis kommen, heile ich ihre Rippen ganz aus, Sir. Sie haben genug gelitten, Sir. Ich gebe ihnen jetzt noch ein Mittel zur Stärkung, lassen sie diese kleinen Pillen, einfach im Mund zergehen, Sir. Dann geht es ihnen gleich besser, Sir. Dann gebe ich ihnen noch etwas, gegen die Atemnot und ein Präparat, das eine Langzeitwirkung hat von 3 Tagen hat, Sir."

In der Zeit in der ich Conrad Lange das erklärte, gab ich ihm zwei Tscenns in den Mund und zog während der Erklärung zehn Einheiten B97 auf, ein starkes Schmerzmitten mit eine Langzeitwirkung von drei Tagen, aber auch zehn Einheiten vom A97, das die Sauerstoffaufnahme im Blut erhöhen würde. All dies sollte dazu beitragen, dass sich Conrad Lange schneller erholen konnte. Seine Atmung war immer noch, zu flach. Ich ließ ihn etwas zu Ruhe kommen. Holte mein Funkgerät und schaltete es ein. Schon erklang Goschs Stimme.

"Kahlyn, melde dich doch, verdammt", hörte ich die fast panische Stimme, meines Drachenfliegers.

"Gosch, beruhige dich doch, es ist alles in Ordnung."

"Verdammt Kahlyn, warum meldest du dich nicht?" Kam die vorwurfsvolle Antwort, von ihm.

"Gosch, ich muss mich erst einmal, um den Verletzten kümmern, das weißt du doch. Gosch, hast du die Position des Peilsenders?" Gosch antwortete jetzt wieder normal. "Ja, mein Täubchen, das habe ich", mein Drachenflieger hatte sich also beruhigt.

"Hör zu Gosch, etwa hundert Meter östlich von meiner jetzigen Position ist ein Feld. Dort landest und wartest du. Ich komme mit Conrad Lange dorthin. Das kann aber ein Weilchen dauern, bekomme nicht gleich wieder Panik."

Sofort machte ich das Funksprechgerät wieder aus. Ich hasste diese Teile, die Rückkopplungen schmerzten mir, wie verrückt in den Ohren. Deshalb hatte ich diese Geräte, nie lange an.

"Sir, wollen wir diesen schrecklichen Ort verlassen, Sir. Sie waren lange genug, mit diesen Unmenschen zusammen, Sir. Kommen sie, ich helfe ihnen hoch, dann bringe ich sie zu meinem Freund Gosch und dem Drachen, Sir. Dann gehe ich den Dritten jagen, der sie so gequält hat, Sir."

Schnell räumte ich alles zusammen. Verband ich mich selbst noch einmal, in dem ich meine Verbände wechsle. Den Koffer konnte ich im Drachen lassen. Hoffentlich hatte Gosch einen der Ersatzkoffer dabei, ging es mir durch den Kopf. Steckte den Rest des Verbandsmaterials, aber auch genügend Kolben und Kanülen, in meinen Rucksack. Dazu die restlichen drei noch vollen Flaschen mit B32 und zog mir den Rest, aus der fast leeren Flasche in vier Kolben, steckte diese in die Gürteltasche.

"Sir, bitte verpetzen sie mich nicht bei Gosch und den Oberst, Sir. Die machen sich sonst Sorgen, Sir", bat ich Conrad Lange, niemanden zu sagen, dass ich verletzt war.

Allerdings konnte ich mir nicht vorstellen, dass Conrad überhaupt realisiert hatte, dass ich verletzt war. Vorsichtig half ich ihm auf die Füße und legte mir seinen Arm, um meine Schulter. Dadurch konnte er sich auf mich stützen. Langsam liefen wir zum Drachen. Kaum, dass wir am Waldrand erschienen, kam uns Gosch entgegen gelaufen.

"Mein Gott Kahlyn, wie siehst du denn aus? Ich fasse es nicht, dass du Conrad noch gefunden hast. Das grenzt an ein Wunder. Komm mein Täubchen. Fliegen wir nach Hause."

Ich antworte Gosch nicht. Denn ich würde nicht nach Hause fliegen. Zuerst musste ich noch Otto Müller suchen. Daran würde auch der Oberst nichts ändern. Wir waren in der Zwischenzeit am Drachen angekommen. Setzte Conrad Lange auf den Platz des Co-Piloten. Gosch ahnte, was das bedeutete.

"Gosch, guck nicht so. Kannst du mich bitte zehn Minuten halten. Bitte, ich muss ein paar Minuten richtig schlafen. Ich kann nicht mitkommen. Dort draußen läuft noch einer von denen frei herum. Einer ist mir durch die Lappen gegangen. Gosch, das kann ich doch nicht zulassen. Ich habe es der Geisel versprochen. Bitte Gosch, ich habe keine Nerven mehr dazu, lange herum zu diskutieren."

Gosch sah mich eine Weil schweigend an, dann gab er sich einen Ruck. "Komm in meine Arme Täubchen. Ich helfe dir beim Schlafen."

Genau das waren die Worte, die ich jetzt brauchte. Aus den zehn Minuten, wurde jedoch eine halbe Stunde. Ich war völlig fertig. Kaum, dass ich die Augen wieder auf hatten, stand ich auf.

"Gosch hast du einen sauberen Overall für mich mitgebracht?"

 Gosch schüttelte den Kopf.

"Du kannst einen von mir haben, mein Täubchen." Ich zog meinen kaputten aus und den neuen an. Diese wenige Zeit reichte, um Gosch völlig aus dem Gleichgewicht zu bringen.

"Täubchen, du blutest ja."

Nur gut, dass er meinen Rücken nicht betrachten konnte. Der sah noch um einiges Schlimmer aus. Also musste ich wieder einmal lügen, um mein wahren Gesundheitszustand zu verbergen. Was nutzten mir endlose Diskussionen, es würde nichts an meinem Entschluss ändern.

"Gosch es ist nichts Schlimmes. Nur eine Naht ist aufgegangen. Sag mal Gosch hast du deinen Medi-Koffer mit. Meiner ist leer, ich hatte keine Zeit mehr ihn aufzufüllen", schwindelte ich einfach.

Wenn der Oberst erfuhr dass ich in sechs Tagen meinen ganzen Koffer leer gemacht hatte, bekam ich richtigen Ärger. Gosch dachte da oft nicht so weit. Zwar wusste er, dass ich selten mit einem angebrochenen Koffer los ging, aber er wusste auch, dass ich nur knappe fünfzehn Minuten Zeit hatte im Projekt, um mich zu duschen. Also würde er das auch akzeptieren.

"Tut mir leid Täubchen, aber ich kann dir die Sanikästen mitgeben. Da ist zwar nicht so viel drinnen, wie im Medi-Koffer, aber zum Verbinden ist da einiges drinnen."

Ich nickte, besser als nichts auf alle Fälle. "Danke Gosch, ich mache los, sonst hat der Müller zu großen Vorsprung. Ich will diese Sachen endlich zu Ende bringen. Ich bin todmüde und will einfach nur in einem Bett, ein paar Stunden behütet schlafen."

Ich nahm die Binden aus den Kästen, steckte sie in den Rucksack und lief in Richtung Wald. Schon fast dort angekommen, drehte ich mich im Laufen um und rief zum Drachen.

"Gosch, zwei von denen schmusen mit den Bäumen, lass dir Zeit mit den Abholen, ich habe dafür gesorgt, dass sie es richtig unbequem haben. Sie sollen ruhig etwas leiden", lachend winkte ich zum Drachen, war schon wieder im Wald verschwunden.

Kopfschüttelnd stand Gosch am Drachen.

"Na, da werde ich mir gleich etwas anhören können", murmelte er vor sich hin. Wandte sich aber erst einmal an Conrad Lange, der ihn Fragend ansah.

"Tja Kollege, das ist unsere Kahlyn. Bei der musst du dich, an sowas gewöhnen. Komm, fliegen wir zurück. Ich hole mir erst einmal meinen Anpfiff ab, von meinem Cheffe. Weil ich die Kleine nicht mitgebracht habe. Du sollst erst einmal mit zur Basis kommen. Wenn du willst, kannst du dort auf das Täubchen warten."

Conrad Lange nickte wortlos, völlig neben der Spur nach kurzen Schweigen entgegnete er dann. "Ja ich würde gern warten. Ich möchte mich bei ihr bedanken. Wie alt ist die Kleine überhaupt?"

Wollte Conrad dann noch von dem Pilot wissen. Gosch sah mir hinterher, schüttelte den Kopf. Denn ich war schon im Wald verschwunden.

"Das klären wir alles in der Basis. Das dauert jetzt zu lange. Versuche etwas zu schlafen", bat Gosch die Geisel und stieg in den Drachen ein, um loszufliegen.

 

Ich dagegen nahm die Spur von Otto Müller wieder auf und lief dem letzten der Geiselnehmer hinterher. Immer wieder mal verlor sich die Spur. Also begann ich aufs Neue Suchschleifen zu ziehen. Verdammt, wo wollte der hin? Immer entlang der L1077 lief Müller konsequent nach Westen.

Hätte ich ihn nur schlafen gelegt, ging es mir wütend durch den Kopf. Dann könnte ich jetzt, auf einer Matte in der Halle liegen und schlafen. Müde lief ich hinter den Entflohenen her. Nach fast siebzehn Stunden musste ich eine Pause mache. In der Nähe der Straße war ein überdachter Hochsitz, auf den kletterte ich. Seit Stunden regnete es, so hatte ich wenigstens ein bisschen Schutz, vor allem wehte ein richtig kalter Wind. Bis kurz nach 23 Uhr schlief ich, verband mich neu und ging wieder nach unten, um wieder auf die Suche zu gehen. Der Regen hatte die wenigen Spuren weggewaschen. Also folgte ich meinem Bauch. Ich wollte diesen Müller unbedingt fassen und wenn es das letzte war, was ich tun würde, ging es mir durch den Kopf. Es konnte nicht sein, dass der mir durch die Lappen ging. Wütend lief ich weiter, immer Schleifen ziehend, von fünf Kilometer breite, zweieinhalb Kilometer zu beiden Seiten der Straße. Im Abstand von dreihundert Meter. So hatte ich die größte Chance eine Spur oder vielleicht den schlafenden Müller zu finden. Immer wieder musste ich kurze Pausen machen, in denen ich mir die Schmerzen wegspritzte. Nirgends war auch nur die winzigste Spur zu finden. Es war zum Verrückt werden. Hatte ich ihn gänzlich verloren?

Verdammt, einen ganzen Tag lief ich nun schon, hinter Müller her. Auch wenn er zwei Stunden Vorsprung hatte, so schnell konnte der auf Dauer gar nicht laufen. Immer wieder kam mir der Gedanke, dass dieser vielleicht ein Auto angehalten hatte. Sich einfach von jemand hatte mitnehmen lassen. Dann würde es schwierig werden, Spuren zu finden. Oder Müller war ein sehr guter Läufer. Normalerweise müsste ich Müller, schon dicht auf den Fersen sein. Verzweifelt machte ich gegen Abend eine Pause.

Über vierzig Stunden suchte ich jetzt schon. Kam immer mehr zu der Meinung, dass ich aufhören sollte, Suchschleifen zu ziehen. Das war herausgeschmissene Energie. Stattdessen sollte ich lieber nur noch meinen Bauch folgen. Es machte sich ein immer stärkeres Gefühl breit, dass Müller nicht mehr in meiner Nähe war. Ich musste immer öfter Pause machen. Ich war am Ende mit meiner Kraft und schlief erst einmal ein wenig, nach zwei Stunden suchte ich weiter. Vier Stunden später, fand ich in einer Scheune etwa fünfhundert Meter von Töttleben entfernt, in der Nähe der L1055 in einer Scheune, wieder eine Spur. Ich war ihn also auf den Fersen. Dass ich auf der Richtigen Spur war, wusste ich deshalb, da die Schuhsohle von Müllers linken Stiefel, eine eigenartige Form hatte. Diesen Fußabdruck gab es bestimmt nicht sehr oft. Auch bestätigte das meine Meinung, dass Müller bis hier her gefahren war. Das Lager war schon über vierundzwanzig Stunden alt. Genau sah ich mir die Umgebung an, fand als es auf den Morgen zu ging, wieder einen Schuhabdruck, aber auch Reifenspuren. Also fuhr Müller wieder mit jemand mit. Verdammt, hoffentlich tat er nicht noch einem Unschuldigen etwas an. Dieser Gedanke trieb mich immer weiter vorwärts, obwohl ich eigentlich nicht mehr weiter konnte. Allerdings ließ ich das Ziehen der Suchschleifen, sondern lief jetzt einfach nur noch meinem Bauch hinterher. Der mich in Richtung Norden zog.

Kurz vor dem Ortseingangschild von Magdeburg, fand ich an der Straße, eine neue Spur. Auf meinen Bauch war halt immer noch Verlass. Erst seit wenigen Minuten, hatte ich wieder damit begonnen Suchschleifen zu ziehen. Also war Müller, hier aus dem Auto gestiegen. Änderte auch seine Richtung, die jetzt nicht mehr nach Norden, sondern nach Osten führte. Wo verdammt noch mal, wollte der nur hin? Es war kurz nach 21 Uhr, als ich eine Pause einlegte. Ich musste einfach etwas schlafen, lange hielt ich dieses hohe Tempo nicht mehr durch. Die Spur von Müller hatte ich sowieso wieder verloren, wahrscheinlich saß der friedlich schlafend, in einen der vielen LKWs, die hier auf dieser Straße entlangfuhren. Ich musste also wieder Strecke laufen. Würde dann einfach meinen Bauch folgen. Müde lehnte ich mich an einen Baum, versuchte etwas zu schlafen, aber es ging nicht. Die Angst das Müller einen Unschuldigen etwas antun könnte, wurde immer größer in mir. Also erhob ich mich nach zwei Stunden und verband mich neu. Spritzte mich wieder hochdossiert, um wenigstens etwas die Schmerzen in den Griff zu bekommen. Ich schmiss die leere Flasche und das Verbandszeug in die kleine Grube, unter einen Busch, genau wie die Kanülen. So wie ich es immer mache, wenn ich mich unterwegs verbinden und spritzen musste, vergrub ich das, was ich nicht mehr brauchte.

Müde lief ich weiter, immer Richtung Osten. Über zweihundert Kilometer, also einmal quer durch die Republik. Auf einmal ahnte ich, wo Müller hin wollte. Endlich wurde mir sein wahres Ziel bewusst. Der war überhaupt nicht dumm. Bestimmt hatte er einige Male die Fahrzeuge gewechselt. So dass keiner der Fahrer, sollte sein Fahndungsbild irgendwo erscheinen, sagen konnte dort wollte er hin. Müller wollte, so wurde mir auf einmal klar, als er nach Norden abbog, in Richtung Frankfurt an der Oder. Er wollte nach Hause. Endlich nach reichlich drei Tagen, fand ich wieder eine Spur.

Gegen Mittag sah ich einen seiner Fußabdrücke, neben der L38, die nach Zeschdorf führte. Schon seit zwei Stunden, zog ich wieder Suchschleifen, endlich hatte ich ihn gefunden. Müller verließ die Straße, um über einen Zaun zu springen, der in eine eigenartige Anlage führte. Hier waren lauter kleine Häuser aus Holz gebaut, umgeben von winzigen Feldern mit Blumen. Außerdem wuchsen hier viele Bäume, aber auch Beerensträucher. So wie es in der Schule, vor manchen Häusern diese kleinen Felder gab. Auch saßen hier viele Leute vor den Häuschen, erzählten oder bestellten die kleinen Felder, neugierig sah ich mich um. Da entdeckte ich auch Müller, der mit einer Gruppe junger Männer, vor einem dieser Häuser saß. Ich schaute mich nach einem geeigneten Versteck um. Zum Glück, war in der Nähe von Müllers Haus, ein kleiner Wald.

Ich lief dorthin und etwas tiefer in den Wald hinein, ging dort in die Bäume. Suchte mir einen Baum, von dem aus ich Müller beobachten konnte. Ich hatte mir vorgenommen, ihn alleine zu fassen. Ich bekam einfach dieses Gefühl nicht los, dass Müller vielleicht jemanden verletzen könnte. Das durfte nicht passieren, nur weil ich vor ein paar Tagen nicht bei der Sache war. Bis jetzt hatte ich Glück gehabt, dass Müller niemanden etwas angetan hatte. Das sollte auch so bleiben. Langsam fing es an dunkel zu werden, die Leute wurden immer betrunkener. Müller, so hatte ich mitbekommen, wollte hier mit den Leuten feiern. In seinem Suff fing Müller, an zu prahlen, was er doch für ein toller Hecht wäre. Also hatte ich Zeit, den Oberst darüber zu informieren, dass ich den Flüchtigen endlich gefunden hatte.

 

Ich musste also dringend einen Kollegen finden, der mir half. Verließ deshalb kurz nach 20 Uhr, diese eigenartige Anlage und lief los, um mir Hilfe zu suchen. Das würde bestimmt schwierig werden. Da mein Ausweis in meinem kaputten Overall steckte, der bei Gosch im Drachen lag. Auch trug ich einen Overall, der mich als Oberst der Luftwaffe ausgab. Typisch ich, kam es mir in den Sinn. Ich würde das schon erklären können, die brauchten ja nur den Oberst anrufen. Deshalb lief ich zurück in Richtung Süden, zu einem Ort mit dem Namen Treplin. Dort hatte ich eine Station der Feuerwehr gesehen. Die Kollegen dort, konnten mir bestimmt weiterhelfen, vielleicht gab es dort ein Funkgerät. Die knappen fünf Kilometer waren schnell gelaufen. Kurz entschlossen, klopfte ich dort an das verschlossen Tor der Feuerwache. Ein junger Mann öffnete mir das Tor.

"Sir, guten Tag, Sir. Könnten sie mir, eventuell behilflich sein, Sir. Ich bräuchte dringend eine Verbindung zur Soko Tiranus, Sir. Könnten sie eine Funkverbindung herstellen oder mir sagen, wo hier in der Nähe, die nächste Polizeistation ist, Sir. Mein Name ist Leutnant Kahlyn, Sir", verwundert musterte mich der junge Mann.

Drehte sich um und rief in die Fahrzeughalle hinein. "Onkel Karl kannst du mal kommen, hier steht ein Mädchen, das Hilfe braucht."

Auf das Rufen hin kam ein älterer, weißhaariger Mann, ungefähr achtundfünfzig bis sechzig Jahre alt, auf uns zu gelaufen.

"Was ist? Oh mein Gott Mädchen, wie siehst du aus? Komm rein", sofort fasst er mir an den Rücken, um mich in die Wache zu schieben.

Stöhnend holte ich Luft. "Sir, bitte nicht, Sir. Mir läuft die Zeit weg, Sir. Ich muss zurück, bitte, ich brauche jemanden von einer Polizeistation, Sir. Ich kenne mich hier in der Gegend nicht aus, habe keine Ahnung, wo ich hier Kollegen finde, Sir. Ich bin Leutnant Kahlyn vom Team 98. Ich mache gerade einen Einsatz mit der Soko Tiranus, Sir. Ich habe den entflohenen Geiselnehmer von Rügen gefunden und bräuchte dringend eine Verbindung zur Soko. Da mein Funkgerät nicht so weit reicht, Sir."

Der ältere Mann lächelte mich eigenartig an und schob mich tiefer in die Halle. "Komm erst einmal mit, wir rufen deine Kollegen an. Kannst du mir die Nummer sagen?"

Bedauernd schüttelte ich den Kopf. "Sir, der Oberst ist nur über Funk zu erreichen, glaube ich jedenfalls, Sir. Aber vielleicht können sie auf einer Wache in der Nähe anrufen, damit die Oberst Fleischer informieren können, Sir. Der kann sie ja dann zurückrufen, Sir", versuchte ich ihm zu erklären.

Dieser Onkel Karl sah mich zweifelnd an, schob nun den jungen Mann in Richtung des Büros, gab ihm zu verstehen, dass er verschwinden sollte.

"Komm, wir rufen an. Schau mal dort vorn ist ein Waschbecken, da kannst du dich etwas waschen. Ich kümmere mich darum, dass du Hilfe bekommst."

Sofort verschwand er in einem Büro und nahm den jungen Mann mit, der sich immer noch nicht vom Fleck gerührt hatte. Ich ging zum Waschbecken, erschrak vor mir selber und verstand, weshalb der Mann und der Junge so eigenartig geguckt hatten. Blutverschmiert, dreckig wie ich aussah. Begriff jetzt, warum die Leute so komisch reagiert hatten. Schnell wusch ich mir das Gesicht, auch meine Brille. Vor allem trank ich mich satt, ich hatte wahnsinnigen Durst. Keine fünf Minuten später kam Onkel Karl wieder aus dem Büro.

"Kahlyn, gleich kommt eine Streife dich abholen. Willst du etwas essen, Mädchen?", breit grinste er mich an. "Na, jetzt siehst du ja wieder, wie ein Mensch aus", erklärte er mir lachend.

"Sir, entschuldigen sie bitte, Sir. Ich bin seit neun Tagen auf der Suche nach diesen Geiselnehmern, Sir. Ich hatte unterwegs keine Spiegel gehabt, Sir. Mir war nicht bewusst, dass ich so schlimm aussehe, Sir, sonst hätte ich mich vorher gewaschen, Sir."

Der Feuerwehrmann begann schallend lachend. "Das glaube ich dir. Thomas hat einen richtigen Schrecken bekommen."

Erschrocken sah ich ihn an. "Sir, das tut mir leid, wirklich, Sir. Das wollte ich nicht, Sir", in dem Moment hörte ich die Sirene. "Sir, danke, Sir. Die Kollegen waren aber schnell hier, Sir."

Erleichtert lief ich nach draußen, auf die Kollegen zu. Die reagierten allerdings ganz anders, als ich es erwartet hatte. Kamen mit erhobenen Waffen auf mich zu, statt mir zu helfen.

"Hände hinter den Kopf Mädchen, lege dich auf den Boden", verwundert nahm ich die Hände hinter den Kopf und ging nach unten auf die Knie, um zu zeigen, dass ich keinen Widerstand leisten wollte.

"Sir, ich bin Leutnant Kahlyn vom Team 98, im Einsatz für die Soko Tiranus, Sir. Ich stelle keine Gefahr für sie dar, Sir, sie können die Waffen runternehmen, Sir. Können sie sich bitte Oberst Fleischer in Verbindung setzen, der kann ihnen all meine Angaben bestätigen, auch dass ich für ihn arbeite, Sir. Mein Ausweis ist leider im Heli, in meinem kaputten Overall, Sir."

Mir wurde klar wurde, dass dieser Onkel Karl die Kollegen angerufen hat, um zu melden, das in der Feuerwache ein blutverschmiertes und bewaffnet Mädchen aufgekreuzt war. Verdammt, es lief aber auch alles schief.

"Hinlegen habe ich gesagt", brüllte mich der Kollege an, ohne auf meine Angaben und meine Bitte einzugehen.  

Ich folge seiner Aufforderung, in dem ich kurz die Hände aus dem Genick nahm und mich auf den Bauch und in den Dreck legte. Im Anschluss nahm ich sofort die Hände hinter den Kopf, um den Kollegen zu zeigen, dass ich keine Gefahr darstellte. Die beiden Kollegen kamen auf mich zugestürmt, fixierten mich wie einen Schwerverbrecher am Boden. Der Kollege der mich entwaffnen wollte, kniete sich auf meinen Rücken, was mich vor Schmerzen aufstöhnen ließ. Erst dann zog er mir die Waffen aus dem Halfter. Im Anschluss drehte er mir mit brutaler Gewalt, die Arme auf den Rücken. Und das, obwohl ich keinerlei Anstanden gemacht hatte, mich zu wehren und legte mir auch noch Handschellen um. Kopfschüttelnd und widerstandslos, ließ ich mir die rechtswidrige Festnahme gefallen. Rechtswidrig deshalb, da ich nichts gemacht hatte, was gegen irgendein Gesetz verstoßen oder jemanden in Gefahr gebracht hatte. Ich hatte hier auf der Wache ja nur um Hilfe gebeten. Man hatte mir weder einen Grund für die Festnahme mitgeteilt, noch meine Rechte erklärt. Was hätte ich auch anderes machen sollen? Die einzige Möglichkeit, die mir blieb, wäre einen offenen Kampf gewesen. Allerdings ich wollte keine Kollegen verletzten. Eigentlich so musste ich mir eingestehen, war ich ja selber schuld. Ich hätte an Onkel Karls Stelle, auch so gehandelt.

Auf dem Revier könnte ich den ganzen Sachverhalt schnell aufklären. Nach einer viertel Stunde Fahrt, kamen wir in Fürstenwalde auf dem Präsidium an. Die beiden Kollegen rissen mich brutal aus dem Auto und zerrten mich in das Gebäude der hiesigen Polizeiwache. Dort wurde ich ohne Erklärungen in eine Zelle gesteckt. Man nahm weder meine Personalien auf, frage mich nicht nach warum ich auf der Feuerwache erschienen war und nahm sich nicht einmal die Zeit mich richtig zu durchsuchen. Nur mein Halfter und mein Rucksack wurden mir abgenommen. Nicht einmal die Tatsache, dass ich einen Polizeioverall trug der mich als Oberst der Luftwaffe auswies, schenkten die Kollegen Beachtung. Wenigstens das hätte die Kollegen stutzig machen müssen.

Ich konnte nicht glauben, was mir hier geschah. In mir kam eine wahnsinnige Wut hoch, deshalb begann ich gegen die Tür zu treten. Verdammt konnte man nicht wenigstens die vom Gesetz vorschrieben Richtlinien einer Festnahme einhalten. Die gab es nicht umsonst. Wäre ich ein vorbestrafter Verbrecher und hätte gegen ein Gesetzt verstoßen, wäre diese Festnahme vor einem Gericht nicht verantwortbar gewesen. Erst es weil man die vorgeschriebenen Richtlinien nicht einhielt und zum zweiten, nicht einmal meine Personalien aufnehmen und überprüft hatte. Mich ärgerte vor allem, dass man sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, nach dem Grund meines Erscheinen auf der Feuerwache zu fragen. Langsam aber sicher ging mir der Hut hoch. Immer wieder trat ich gegen die Tür, weil niemand auf mein Rufen und Bitten reagierte. Erst nach einer halben Stunde, kam mal jemand, um nachzusehen, warum ich solch einen Terror veranstaltete. Ich wurde richtig gehend laut und randalierte wütend in meiner Zelle herum, um die Aufmerksamkeit der Kollegen zu bekommen.

"Sag mal, musst du so ein Lärm veranstalten", wurde ich angebrüllt.

Wütend sah mich der Wachtmeister durch den Sehschlitz in der Tür der Zelle an.

"Sir, ja, Sir. Ich möchte den Revierleiter sprechen und zwar sofort, Sir. Verdammt mir läuft die Zeit weg, Sir. Ich bin Leutnant Kahlyn von der Soko Tiranus, bitte rufen sie Oberst Fleischer an, der wird ihnen das bestätigen, Sir. Mir geht ein Flüchtiger durch die Lappen, verdammt noch mal, Sir. Behandeln sie Menschen immer so die um Hilfe bitten, Sir? Ich habe nichts ungesetzliches getan, Sir. Man hat mir weder meine Rechte vorgelesen, noch hat man meine Personalien aufgenommen oder mich eines Vergehen beschuldigt, Sir. Was ist das hier für ein Sauhaufen von Polizeiwache, Sir. Lassen sie mich hier sofort raus, ich habe niemanden etwas getan, Sir. Ich wollte nur ihre Hilfe haben, Sir", brüllte ich nun zurück, weil ich so wütend war.

Der Wachtmeister, schloss einfach den Sehschlitz der Tür und verschwand.

Ich glaubte echt ich spinne. Wütend setzte ich mich auf die Pritsche, verdammt, was sollte ich jetzt machen. Fast zwei Stunden hatte ich jetzt schon vertan. Wieder begann ich gegen die Tür zu treten, eine unsagbare Wut kam in mir hoch. Diesmal kam jedoch gleich jemand.

"Höre auf, hier herum zu randalieren", brüllt mich der Wachtmeister wieder an.

"Sir, hören sie auf mich anzuschreien, Sir. Ich höre sofort auf zu randalieren, wenn sie mir erlauben mit Oberst Fleischer zu sprechen, Sir", gab ich ihm leise Kontra, mich mühsam zurückhalten. "Mir steht ein Anruf zu, Sir, das wissen sie genau, Sir", machte ich ihn auf meine Rechte aufmerksam.

"Ich kümmere mich darum, wenn du aufhörst hier randalieren", teilte er mir jetzt in einem normalen und gelangweilten Ton mit.

"Sir, jawohl, Sir."

Ich setzte mich auf die Pritsche, so dass ich die Tür im Auge behalten konnte. Hoffte inständig, dass ich endlich Hilfe bekam. Kurz vor Mitternacht, also eine weitere Stunde nach dem mir der Wachtmeister versprochen hatte, mich telefonieren zu lassen, ging die Zellentür auf, mein Oberst stand in der Tür.

"Ach mein Mädchen, dir bleibt aber auch gar nichts erspart", versuchte er mich lächelnd zu beruhigen.

Allerdings war ich mittlerweile so wütend, über diese Behandlung, dass ich ihn nur anschreie. "Sir, jetzt kann ich wieder suchen, nur wegen diesen Deppen hier, Sir."

"Komm beruhige dich, Kahlyn."

"Sir, ich will mich aber nicht beruhigen, ich will den Fall beenden, dann zurück in meine Schule. Die haben doch hier, den letzen Schuss nicht gehört, Sir. Gebt mir meine Sachen, ich brauche keine Hilfe, Sir. Ihr könnt mich alle mal, Sir."

Wütend sprang ich auf und lief hinaus aus der Zelle. Dabei rempelte ich den Oberst und den Wachmeister um, die mir im Wege standen und lief, hinauf in das Büro. Dort versuchten mich zwei Leute aufzuhalten. Ich holte tief Luft, aber ich war so wütend, dass ich nicht mehr leise sprechen konnte.

"Sir, aus dem Weg, sonst breche ich euch alle Knochen, Sir. Wo sind meine Sachen, Sir?", brüllte ich den Wachtmeister an, der mich in die Zelle gesteckt hat.

Als dieser nicht hörte, rastete ich vollkommen aus und wurde richtig böse. Etwas das lange nicht mehr passiert war. Griff in meinen Overall und zog ein Messer aus dem Armhalfter hervor. Ging jetzt mit massiver Gewalt, gegen meine Kollegen vor. Zwang ihn, in dem ich ihm das Messer an die Kehle hielt, an die Wand und atmete ihm wütend ins Gesicht.

"Meine Sachen und zwar sofort, sonst habt ihr wirklich einen Grund mich festzunehmen, weil ich einen Mord begangen habe. Und zwar ein bissel Dalli", erklärte ich, ohne auf Verhaltensnormen zu achten, was ich haben wollte und was ich tun würde, käme man meiner Aufforderung nicht nach.

So verdammt wütend war ich schon lange nicht mehr und Oberst Fleische erfasste die Situation sofort. Er wusste, dass ich kurz vor dem Durchdrehen war und befahl den Kollegen meinen Befehlen zu folgen.

"Gebt ihr ihre Sachen, sofort. Kahlyn ist verdammt wütend und das mit Recht", wandte sich an mich im Anschluss zu mir um. Er wollte versuchen mich zu beruhigen. "Komm mein Mädchen, du hast ja Recht, lasse den Wachtmeister los, der kann nichts für deine Wut. Komm beruhige dich. So kannst du doch nicht arbeiten."

Ich könnte schreien vor Wut und genauso sah ich ihn an.

"Komm Kahlyn, fahre runter. Du bekommst deine Sachen sofort. Komm mein Mädchen, ich verstehe ja deine Wut."

Mühsam versuchte ich mich zu beruhigen. Zog den Wachtmeister von der Wand und stieß ihn von mir weg. Stützte mich mit den Händen an die Wand, um mich richtig beruhigen zu können. Dieses Mal wollte es mir nicht gelingen. Schwer atmend steckte ich das Messer in meinen Halfter zurück.

"Kahlyn kann ich dich wieder ansprechen?", wollte der Oberst vorsichtig von mir wissen.

Ich völlig außer mir, schüttelte den Kopf. "Lass mich doch alle in Ruhe", brüllte ich ihn an. Wütend nahm ich meinen Rucksack, öffnete ihn. Mein B32 war verschwunden.

"Wo sind meine Ampullen?", gurgelte ich den Wachtmeister an und die Wut schoss wieder in mir hoch. "Wo sind meine Spritzen? Wer gibt ihnen das Recht an meine Sachen zu gehen", zwang ich mich etwas leiser zu sprechen, was mir nicht wirklich gelang. Mir war bewusst, dass ich mit meiner Brüllerei gar nichts erreichen würde. Krampfhaft versuchte ich mich zu beruhigen. Aber das fiel mir schwer, denn durch die schnellen Bewegungen, waren die Schmerzen unerträglich.

"Kahlyn, ich habe im Drachen einen Medi-Koffer."

"Das ist mir egal. Ich will meine Sachen wiederhaben und zwar sofort. Vor allem, wo sind meine Waffen?", frage ich den Wachtmeister der mich festgenommen hatte, in einem Ton dem man die unsagbare Wut anhörte, die ich hatte.

"Du bekommst dein Zeug gleich", sprach der Wachtmeister, mit einer laschen und gelangweilten Stimme, zu mir.

"Wer bitte hat ihnen erlaubt mich zu Duzen? Ich habe weder mit ihnen gekämpft, noch mit ihnen getrunken, Sir. Nicht mal eure Arbeit könnt ihr richtig machen, wenn ich gewollt hätte, wärt ihr jetzt alle Tod. Ihr seid so dumm und merkt nicht mal, dass ich vier Messer mit in der Zelle hatte. Ihr habt sie ja nicht mehr alle. Sperrt jemanden ein, ohne zu fragen, warum er um Hilfe gebeten hat. Dann besitzt ihr auch noch die Frechheit einen übergeordneten Offizier zu duzen", wies ich ihn daraufhin, dass ich das nicht wollte. Ich konnte meine Wut kaum noch bändigen.

"Komm mein Mädchen beruhige dich, du bekommst gleich einen Anfall."

Ängstlich sah mich der Oberst an. Ich setzte mich einfach da, wo ich stand hin und ging in die Taiji-Atmung, er hatte Recht. Seit langem stand ich kurz davor, den Gino unkontrolliert frei zu lassen. Mühsam konzentrierte ich mich auf meine Atmung, als mich einer der Wachtmeister anfassen wollte.

Brüllte ihn der Oberst an. "Lasst Kahlyn in Ruhe, nicht nur das ihr den ganzen Einsatz gefährdet habt mit euren Verhalten, ihr bringt die Kleine völlig durcheinander. Wir regeln das, wenn Kahlyn weg ist. Lasst sie in Ruhe. Legt ihre Sachen einfach auf den Boden, sie nimmt sich das dann und geht. Auch ihren Ausweis und Handschellen legt ihr dazu. Dann zieht ihr euch zurück. Das ist ein Befehl."

Tief atmete ich mich herunter, versuchte wieder die Kontrolle zu bekommen. Oberst Fleischer beobachtete mich ängstlich, bei einem der letzten Einsätze, hatte ich auch einen Ginobusanfall bekommen. Alle von der Soko waren erschrocken, nur weil man mich so in die Ecke getrieben hatte. Er kannte die Symptome, nur zu gut. Ich blutete aus den Augen, aus den Ohren, aus der Nase, dem Mund, sogar meine Haut fing an zu bluten. Etwas das selten passierte, nur wenn ich diesen Anfall nicht mehr kontrollieren konnte oder mir das N47 gespritzt hatte. Da der Oberst rechtzeitig eingegriffen hatte, bekam ich den Anfall, gerade noch unter Kontrolle, aber es war verdammt knapp. Trotzdem brauchte ich fast eine halbe Stunde, um mich wieder einigermaßen zu beruhigen. Langsam kam ich zurück, aus dem Taiji. Sah die Sachen am Boden liegen. Zog mir zwanzig Spritzen B32 auf, holte aber noch neunmal nach. Die Schmerzen die ich hatte, waren kaum noch auszuhalten. Besorgt beobachtete mich der Oberst. Fleischer wusste, wenn ich mir hundertfünfundvierzig Einheiten auf einmal spritze, war es schlimm. Den Rest steckte ich ein. Schnallte mein Halfter um, stand auf, ohne noch ein Wort zu sagen.

"Kahlyn, mache den Peilsender an, ich kümmere mich hier um alles. Lauf los, mein Mädchen", rief er mir hinterher.

Das hörte ich allerdings nicht mehr, denn ich war schon aus der Wache. Wütend wie ich war, lief ich die reichlich dreißig Kilometer zurück. Durch das Laufen beruhigte ich mich etwas. So war es schon immer bei mir, ich lief mir die Wut einfach von der Seele. Kurz nach Mitternacht war ich wieder in meinem Baum, Müller jedoch war nicht mehr da.

Verdammt, wegen diesen Deppen, musste ich den wieder suchen. Also begann ich Suchschleifen zu ziehen, fand kurz nach 2 Uhr eine erste Spur und fand ihn nur wenige Minuten später. Zum Glück war Müller zu Fuß unterwegs und ich folgte ihm in den Schatten. Dieses Mal schien er nicht zu wissen, wo er hin wollte. Erst ging er in Richtung Norden, dann schwenkte er nach Westen. Lief einmal, um den gesamten See. Kam dann wieder zurück zu der Anlage, mit den kleinen Feldern. Dort trat er von einem dieser Häuser einfach eine Tür ein, kam bepackt mit einem Rucksack, wieder heraus. Fast zwei Stunden, war er in dem Haus geblieben. Ich klemmte einen Peilsender unter das Vordach, so dass der Oberst später die Spurensicherung hierher schicken konnte.

Lief dem Müller weiter hinterher, obwohl ich ihn auch schon hier hätte festnehmen können. Aber in dieser Anlage waren mir zu viele Menschen und ich wusste nicht, ob Müller immer noch Bewaffnet war. Deshalb ging ich lieber auf Sicherheit und folgte ihm weiter. Müller ging nach Westen, in ein Waldgebiet hinein. Nach etwa drei Kilometern erreichte er eine Lichtung, auf der es einen Hochsitz gab, der überdacht war. Dort richtete er sich häuslich ein. Es dauerte nicht lange und ging er weiter, nach Westen an einen See. Ich legte einen Peilsender auf das Dach des Hochsitzes und schlich Müller hinterher, nach drei Minuten hatte ich ihn, griff ihn einfach von hinten in den Nacken, legte ihn Schlafen. Zog ihn zurück zu dem Hochsitz und band ihn unten an den Baum fest, in dem ich ihn Hände und Füße, hinter dem Baumstamm fesselte. So saß Müller kniend am Baum und musste kniend warten, bis er geholt wurde. Im Anschluss holte ich den Peilsender, vom Dach des Hochsitzes und legte es zu Müllers Sachen in dem Hochsitz.

Völlig fertig schaltete ich den Funk an, in der Hoffnung, dass Gosch noch irgendwo in der Nähe war.

Sofort bekam ich Kontakt. "Gosch, kannst du mich bitte holen? Ich kann nicht mehr, der Müller sitzt mit einem Peilsender, an einem Baum, den könnt ihr holen lassen. Ein zweites Peilgerät ist ungefähr drei Kilometer von hier, in so einer Siedlung mit kleinen Feldern, dort ist der Müller in ein Haus eingebrochen. Schicke die Spurensicherung da hin", erklärte ich müde Gosch.

Ich wollte nur irgendwo, beschützt schlafen.

  

"Kahlyn, ich komme, wo soll ich hin?"

"Gosch, zwei Kilometer östlich vom Peilsender, ist ein Feld da wartest du auf mich. Kannst du den Oberst fragen, ob du den Doko dann holen kannst, ich brauche dringend seine Hilfe."

Schaltete den Funk sofort wieder aus, ohne auf eine Antwort zu warten und lief in Richtung Osten. Keine zehn Minuten später, kam ich am Waldrand an und sah den Drachen stehen. Gosch lehnte wartend an seinem Drachen. Ohne Gruß, ließ ich mich auf den Sitz des Co-Piloten plumpsen. Als mich Gosch ansprechen wollte, winkte ich nur noch ab und zeigte ihm so, dass ich meine Ruhe haben wollte. Ich musste unbedingt etwas schlafen. Im wahrsten Sinne des Wortes, war ich todmüde.

Gosch sah mich entsetzt an, schwieg aber lieber.

Ich rollte mich nur auf den Sitz zusammen und versuchte bereits im Drachen etwas zu schlafen. Allerdings fand ich keine Ruhe, durch die Schmerzen. Also setzte ich mich wieder hin und schielte nach links zu Gosch.  

"Täubchen, du siehst schlimm aus. Ich beeile mich, dass du ins Bett kommst."

Ich nickte viel zu müde, zum reden, aber Goschs Nähe tat mir gut. Sie gab mir etwas Ruhe. Selbst, dass ich an der Tür lehnte, akzeptierte Gosch diesmal ohne murren, etwas dass er sonst nie zuließ. Ich sah meinem Drachenflieger einfach beim Fliegen zu. Darüber fiel ich in einen flachen Schlaf und fand endlich etwas Ruhe. Kaum waren das der Drachen den Boden auf der Basis der Soko Tiranus berührt hatte, stieg wortlos aus dem Drachen. Auf Grund der vielen Einsätze hatte man seit kurzem der Soko eine eigene Basis zur Verfügung gestellt. Kaum dass Gosch den Heli richtig gelandet hatte, sprang ich aus dem Drachen und schleppte mich in den Bereitschaftsraum. Völlig fertig wie ich war, lief auf den Oberst zu, um wie gewohnt Meldung zu machen.

"Sir, Einsatz mit der Festsetzung des letzten Geiselnehmers um 15 Uhr 53 erfolgreich beendet, Sir. Lassen sie Müller abholen, er kuschelt mit einem Baum, Sir. Lassen sie sich ruhig etwas Zeit, Sir, ich habe es ihm, richtig unbequem gemacht und ihn mit einem Peilsender markiert, Sir. Ein zweites Peilgerät ist etwa drei Kilometer westlich davon, in einer Anlage mit lauter winzigen Feldern und kleinen Holzhäusern, Sir. Dort ist Müller eingebrochen, schicken sie die Spurensicherung bitte dort hin, Sir. Könnte ich bitte ein Waffenpflegeset bekommen und dann ein paar Stunden schlafen, Sir."

Als der Oberst etwas sagen wollte, schüttelte ich den Kopf. Bekam wortlos das Pflegeset hingestellt, da fremde Menschen waren an meinen Waffen, musste ich die reinigen und überprüfen, denn das mochte ich gar nicht. Nach zehn Minuten war ich damit fertig. Ich legte alles zurück, nahm meine Waffen und ging ungeduscht schlafen. Erschrocken sah der Oberst, Gosch an. Der schneeweiß im Gesicht in diesen Moment im Bereitschaftsraum erscheint.

"Willy, mein Täubchen muss schwer verletzt sein, die gesamte Tür auf ihrer Seite ist blutverschmiert. Kann ich den Doko holen, ich glaube sie braucht dringend Hilfe. Ich lasse den Drachen schon auftanken. Sie bat mich ihn zu holen. Willy sie hat nicht ein Wort mehr gesprochen und hat ganz komisch geguckt. Fritz, weiß schon Bescheid, der kommt zum Treffpunkt, damit das Täubchen nicht noch Ärger bekommt."

"Flieg, sofort los. Gosch, beeile dich bitte, sie war nicht einmal duschen", befahl der Oberst und zeigte auf den Fußboden.

Auf dem überall, wo ich lang gelaufen war, Bluttropfen verteilt waren. Gosch drehte sich um und rannte regelrecht zum Drachen, um Hilfe zu holen. War nach guten anderthalb Stunden mit Fritz Jacob zurück.

 

Ich wurde munter, weil mich jemand weckte.

"Frido Kahlyn, mako, lina? – Wache auf Kahlyn, was hast du für Problem, für Verletzungen?", hörte ich von weiten meinen Doko.

Flüsternd antwortete ich ihm. "Drö Doko, lina fat sit. Halikon ondor. – Hilf mir Doko, habe stark blutende Verletzungen am Rücken. Die Schmerzen sollen aufhören."

"Seit wann hast du die?", wollte mein Doko wissen.

"Seit dem letzen Einsatz, Doko. Ich hatte keine Zeit zu dir hochzukommen, Doko", antwortete ich ihm wahrheitsgetreu.

Kopfschüttelnd sah mich Doko an.

"Doko, ich wusste nicht, dass der Einsatz so lange dauert, Sir. Wirklich nicht, mache dass die Schmerzen aufhören, bitte Doko, ich halte es nicht mehr aus", flehte ich ihn weinend an.

"Kannst du aufstehen Kahlyn?", fragte er mich zweifelnd.

Ich nickte, schwankte jedoch verdächtig. Zusammen brachten mich Gosch und Doko in den kleinen Operationssaal der Soko. Der eigentlich mehr ein Sanitätszimmer war. Der allerdings für Notfälle hier eingerichtet wurde, auf mein Bitten hin. Dort half mir der Doko beim Ausziehen. Gosch hielt mich fest. Während mir Doko die Verbände aufschneidet. Stöhnend atmete Gosch auf, aber auch der Doko.

"Gosch, hilft Kahlyn auf den Tisch."

Mit Hilfe von Gosch, kletterte ich auf den Tisch. Legte mich auf den Bauch, mir war egal, was der Doko machte, nur sollten diese verdammten Schmerzen endlich aufhören.

"Kahlyn, das wird weh tun, ich kann es nicht ändern. Wie viele Einheiten B32 hast du dir heute schon gespritzt?"

Ich antwortete nicht gleich, weil ich erst überlegen musste. Ich wusste es nicht wirklich nicht.

"Doko, ich weiß es nicht. Ich hatte vor zehn Tagen sechs volle Flaschen, in der letzen sind noch ungefähr zweihundert Einheiten drin."

Böse sah er mich an. "Kah…"

Ich unterbrach ihn, weinend. "Doko bitte, mach dass die Schmerzen aufhören, bitte Doko."

Doko nickte. "Kahlyn ich kann dir nichts spritzen, das würde dich töten, so hochdosiert wie du bist. Sag mir, wann ich anfangen kann."

Ich nickte und atme tief und gleichmäßig, konzentrierte mich auf die Atmung, um den Schmerz auszuschalten.

"Kann ich?", wollte Doko wissen.

Ich reagierte nicht, also wusste er, dass ich tief in der Schmerzatmung war. Er begann die Kugeln aus mir heraus zu operieren. Die meisten von den vierundzwanzig Kugeln, waren im Bereich der Schulterblätter, steckten dort in den Knochen. Immer einen Druckverband, nach den anderen machte Doko auf. Damit ich nicht zu viel Blut verlor. Zwei Kugeln hatten knapp das Rückenmark verfehlt. Kopfschüttelnd, operierte mich Doko fast drei Stunden. Als er mich zum verbinden mit Hilfe Goschs hinsetzen wollte, machte ihn Gosch darauf aufmerksam, dass ich auch auf der rechten Seite noch vier Eintrittslöscher hatte. Jacob begann die dortigen Kugeln zu suchen, drei steckten in der Lunge und eine zwischen den Rippen. Nach über vier Stunden endlich, hatten sie alle Kugeln aus mir herausgeholt. Auch wenn ich im Moment bewusstlos war, wusste unser Doko, dass ich mich jetzt innerhalb von Stunden, erholen würde. Verband mit Hilfe von Gosch meine Verletzungen, die er vorsichtshalber alle mit Brandsalbe behandelte. Ging zum Telefon und rief vorn in den Bereitschaftsraum an.

"Was ist Doko, brauchst du Hilfe?", erkundigte sich Tom, der ans Telefon gegangen war.

"Tom, kannst du mir bitte Pille nach hinten schicken."

"Klar mache ich."

Es dauerte keine Minute, da war Pille im Operationssaal.

"Doko, was ist? Ist was mit Lynchen?", wollte Pille erschrocken wissen.

"Nein Pille, ich hab nur eine Bitte, kannst du dich um Kahlyn kümmern, sie muss beschützt schlafen. Es war verdammt knapp. Legst du dich zu ihr, bitte, zu dir hat sie das meiste Vertrauen. Ich kann mich nicht zu ihr legen. Ich bin viel zu aufgeregt."

Pille nickte. "Kann ich sie mitnehmen."

"Ja, Pille aber vorsichtig. Wir tragen sie am besten mit einer Trage, auf dem Bauch liegend, nach hinten. Da hat sie die wenigsten Verletzungen."

"Wie die wenigsten?"

Gosch nahm eine Nierenschale zur Hand und hielt sie zitternd Pille hin.

Entsetzt sah Pille hinein. Nur ein fragendes Wort, kam über seinen Lippen. "Alle?"

Beide nickten.

Wütend sah Pille, zum Doko und Gosch. "Ihr habt das nicht gemerkt?"

Gosch sah Pille traurig an. "Pille, du doch auch nicht. Du hast sie sogar zur Matte getragen, da war sie schon so schwer verletzt."

"Nein", erschrocken sah Pille zu Gosch.

"Doch Pille."

Pille drehte sich um, holte wortlos eine Trage, zusammen legten die Männer mich darauf, trugen mich in den Schlafraum und hoben mich vorsichtig ins Bett. Kaum, dass ich im Bett abgelegt war, legte sich Pille zu mir. Ich spürte die Nähe eines Menschen den ich mochte, kuschelte mich fest an ihn. Im gleichen Augenblick fiel ich in einen tiefen und erholsamen Schlaf. Erfreut stellte das mein Doko fest.

"Danke Pille, sie wird es schaffen."

Der Arzt verließ er mit Gosch das Zimmer, um für Ruhe zu sorgen. Zusammen gingen Jacob und Gosch, nach vorn in den Bereitschaftsraum. Blutverschmiert wie sie waren, setzten sie sich Beide müde an den Tisch. Jacob sah traurig zum Oberst.

"Willy, sie wird es noch einmal schaffen. Aber es war verdammt knapp. Sie hat viel zu viel Blut verloren. Ich verstehe nur nicht, wieso sie das immer wieder macht. Sie hätte dir doch nur sagen brauchen, dass sie schwer verletzt ist. Du hättest mich doch sofort angefordert", verzweifelt stützte er seinen Kopf auf die Hände, starrte auf die Tischplatte.

Gosch stellte eine Nierenschale, mit den Kugeln auf den Tisch.

Conrad Lange, der unbedingt auf Kahlyn warten wollte, sah den Piloten verwundert an. "Wie sie wird es schaffen? Wieso schwer verletzt? Woher habt ihr die Kugeln?"

Gosch winkte ab. "Ich muss erst mal duschen gehen. Fritz, kommst du auch. Dann brauche ich einen starken Kaffee, dann reden wir. Gebt uns einfach ein paar Minuten, damit wir wieder zur Besinnung kommen können. Wir beeilen uns."

Alle nickten und starrten sprachlos auf die Nierenschale.

Jacob und Gosch, gingen in Richtung Duschen davon. Conrad Lange, der sich in den letzten vier Tagen, etwas mit Oberst Fleischer angefreundet hatte, sah diesen fragend an.

"Willy, was ist mit dem kleinen Mädchen. Immer umgehst du diese Fragen. Was ist mit ihr? Verdammt noch mal", fluchte er jetzt und sah den Oberst böse an. "die Kleine, ist doch höchstens dreizehn oder vierzehn Jahre alt. Wieso schickt ihr die zu solchen Einsätzen, noch dazu alleine? Dann auch noch verletzt. Die kann sich doch gar nicht verteidigen."

Alle sahen Conrad Lange eigenartig an. Oberst Fleischer fing an schallend zu lachen. Stützte dann seinen Kopf auf die Hände, versuchte sich zu beruhigen.

Conrad Lange, von allen hier Conny genannt, sah böse zu dem Oberst. "Ich finde das nicht zum Lachen, Willy", konnte er sich nicht verkneifen, zu sagen.

Er hatte das Mädchen, nach dem ersten Schrecken, sofort in sein Herz geschlossen. Auch wenn er sich barbarisch vor ihren Augen erschrocken hatte.

"Conny entschuldige, ich konnte grad nicht anders. Ich lache nicht über das, was du gesagt hast. Sondern einfach, weil es mir beweist, dass du noch nie Bekanntschaft im Kampf, mit unserer Kahlyn gemacht hast. Dann würdest du nie wieder behaupten, dass die sich nicht wehren kann. Conny, die Kleine streckt uns alle, wie wir hier sitzen, zu Boden. Alle auf einmal, dabei schwitzt sie nicht mal."

Jetzt lachten alle. Fast alle, hatten schon mal von Kahlyn, eine Lektion in Punkto Selbstüberschätzung bekommen. Tom einer der Neuen im Team des Obersts, lachte schallend, wischte sich die Lachtränen aus den Augen.

"Ja, glaub es nur, Conny. Ich wollte es auch nicht glauben. Erst prügelt sie dich Windelweich, dann liest sie dir die Leviten, dann flickt sie dich wieder zusammen. So ist mein kleines Kätzchen. Sie schnurrt dich an, dann zeigt sie dir die Krallen, wenn du nicht hörst, bekommst du einen Prankenhieb. Hinterher leckt sie dir die Wunden, schnurrt wieder, wie ein braves Kätzchen. Das keiner Fliege etwas zu leide tun kann. Kahlyn zu unterschätzen, ist ein tödlicher Fehler."

Jetzt lachten alle noch mehr. Die Beschreibung von Tom, traf hundertprozentig, auf Kahlyn zu. Gosch und Jacob kamen in diesem Moment, an den Tisch. Setzten sich wieder zu den anderen und bekamen sofort von Walter, einen großen Pot Kaffee.

"Schön dass ihr noch lachen könnt, das kann ich grad gebrauchen", musste Fritz Jacob loswerden.

"Fritz erzähle, was war hinten im OP schon wieder los? Erzähl mir nicht, dass dieser Fiedler, unser kleines Mädchen so zum Einsatz geschickt hat."

Jacob sah Oberst Fleischer traurig an. "Willy, doch es ist so. Bian erzählte mir, bevor ich los ging, dass er sich schlimme Sorgen um Kahlyn machen würde, weil sie schwer verletzt wäre. Du weißt ich brauche immer die Hilfe von den Kindern, um ungesehen aus der Schule zu kommen. Auf meine Frage, warum sie mich nicht geholt hätte, erklärte er mir. Das Kahlyn nicht nach mir geschickt hatte, weil sie Angst, um die anderen hatte. Laut Fiedler hatte Kahlyn, fünf schwer und acht leicht Verletzte. Die acht leicht Verletzten hatten, nur so acht bis zwölf Kugeln abbekommen. Die Schwerverletzten um die achtzehn bis dreiundzwanzig Kugeln. Die unverletzten nur so um die sechs Kugeln. Kahlyn wollte verhindern, dass ihre verletzten Kameraden, wieder einmal an die Wand gehängt wurden. Deshalb hatte sie bei sich, die Eintrittslöcher der Kugeln, mit Druckverbänden versorgt. Heiko erzählte mir wütend, als Kahlyn schon weg war, dass Fiedler meinte. Man könne den Luftraum nicht ewig blockieren, nur weil sie ein paar Wehwehchen hätte. Sie könnte sich auch alleine verbinden. Von Jaan und Rashida wusste ich, dass Kahlyn sich selber schon einige Kugeln herausgeholt hatte. Die beiden sich aber nicht an die übrigen Verletzungen getraut hätten, weil sie an so blöden Stellen waren. Ihr wisst ja, Kahlyn läuft immer als erste. Die Kinder waren, in einen wirklich schlimmen Hinterhalt geraten und wurden gleichzeitig von vier Seiten, mit dreizehn MGs angegriffen. Da konnte selbst Kahlyn nichts mehr machen, so vielen Kugeln kann man nicht aus weichen."

Kopfschüttelnd hörten die Männer zu. "Herr Doktor, …", fing Conny an, wurde aber von Jacob unterbrochen.

"Junger Mann, sag ruhig wie alle anderen hier, Fritz oder Doko zum mir, das heißt in der Sprache der Kinder, lieber Doktor", wies Jacob den jungen Mann darauf hin, dass ihm Ränge unwichtig waren.

"In Ordnung, also Fritz, du willst mir doch nicht erzählen, dass das kleine Mädchen, so schwer verletzt, nach mir gesucht hat. Ich heiße Conrad Lange, aber nenne mich einfach Conny", stellte er sich erst einmal vor.

"Doch Conny, vierundzwanzig der Kugeln, steckten in ihrem Rücken. Davon einige tief in den Schulterblättern, zwei hatten nur knapp das Rückenmark verfehlt. Drei habe ich aus ihren Lungen geholt. Der Rest steckte zwischen den Rippen."

Fassungslos sah Conny den Arzt an. "Ich habe das nicht gemerkt, wirklich nicht. Ich glaube sie hat sich verbunden, ehe sie mich zu Gosch gebracht hat. Aber ich habe das alles gar nicht richtig wahr genommen. Erst hier in der Soko, bin ich wieder richtig zu mir gekommen. Durch die Gespräche mit Willy. Verdammt", traurig und gleichzeitig wütend auf sich, stützte Conny seinen Kopf auf den Tisch. Dann sah er erst Willy, dann Jacob verzweifelt an.

"Wie könnt ihr das zulassen?"

Alle zucken mit den Schultern.

"Conny…", versuchte Willy Fleischer, dem jungen Mann zu erklären. "… selbst wir merken oft nicht, wie schwer Kahlyn wirklich verletzt ist. Frag Fritz der kennt diese Kinder schon aus der Zeit, als sie noch Embryos waren. Also seit über zehn Jahren. Selbst Fritz kann dir nur sagen, ob eins der Kinder verletzt ist, wenn er diese genau untersucht."

Fritz Jacob nickte zu den Worten, von Oberst Fleischer. "Conny, die Kinder sind jetzt neuneinhalb Jahre alt. Haben noch nie etwas anderes, als Schmerzen kennen gelernt. Glaube mir, die haben täglich mehr Schmerzen, als wir uns vorstellen können. Es gibt in Kahlyns und auch in den Körpern der anderen Kinder, keinen einzigen Knochen, der schon nicht mindestens einmal gebrochen war. Diese Kinder laufen die mit einem geschienten Bein, immer noch schneller als wir. Vergleiche Kahlyn, niemals mit einem Kind ihres Alters. Dann machst du einen großen Fehler. Das von dir als klein bezeichnete Mädchen ist seit über sechs Jahren, ständig in Kampfeinsätzen, bei denen wir alle, eine Überlebenschance von Null Komme Null Prozent haben würden. Oft haben die Kinder nicht mal Zeit, zum Essen oder Schlafen und müssen schon wieder zum nächsten Einsatz, wie zu deinem. Kahlyn war genau achtzehn Minuten in der Schule, als sie wieder startete. Um 19 Uhr 52 ist Antonow gelandet, dann war sie zum Rapport, hat geduscht, sich verbunden, um 20 Uhr 10 ist Gosch wieder gestartet. Gerade das sie drei Minuten Zeit hatte, zu duschen. Ihre Waffen hat Miwa für Kahlyn gepflegt. Etwas was Kahlyn nur macht, wenn sie absolut keine Zeit hat."

Kopfschüttelnd hörte ihm Conny zu, aber auch die anderen aus der Soko schüttelten diesmal den Kopf.

"Fritz, warum hast du das nicht verhindert?", erkundigte sich Tom fassungslos.

Jacob zuckte mit den Schultern. "Wie denn? Ich stand im Operationssaal, habe einen vereiterten Blinddarm entfernt. Glaubt ihr wirklich, dass ich Kahlyn, sonst hätte gehen lassen. Als ich aus dem OP kam, war sie schon fast eine Stunde weg. Als ich die Kinder fragte, wie es ihr geht? Sagten Miwa und Bian, gut. Vielleich hätte ich Willy anrufen sollen. Nur hätte das nichts genutzt. Er hätte sich dann nur noch mehr Sorgen gemacht. Tom, wenn Kahlyn auf Jagd ist, dann hältst du sie nicht mehr auf. Selbst dann nicht, wenn du sie fesselst."

Müde rieb sich Jacob das Gesicht.

Willy Fleischer nickte zu jedem Wort, was der Schularzt sagt. "Conny, aber auch du Tom. Ihr werdet morgen erleben, wie Kahlyn auf Vorwürfe dieser Art reagiert. Das Leben einer Geisel, so hat sie mir einmal erklärt, ist wichtiger als meins. Ich werde sie immer finden, ob tot oder lebendig. Auch, wenn es das letzte, ist was ich tue. Ich lasse nie wieder zu, das wie Keynia, eine Geisel wegen mir stirbt. Damit war das Thema für Kahlyn vom Tisch.

So Leute es ist kurz nach 2 Uhr, ab in die Betten, ihr hattet alle eine anstrengende Woche. Fritz, kannst du hier schlafen oder musst du wieder zurück? Seid bitte leise im Ruheraum, macht mir mein kleines Mädchen nicht munter", fügte er noch dazu.

"Willy ich müsste wieder zurück, ich kann nicht so lange wegbleiben, das fällt auf. Außerdem wartet Bian am Tor. Der muss mich doch wieder reinholen."

Willy sah Gosch an. "Bitte fliege Fritz zurück, dann legst du dich sofort hin. Fritz, ich lasse Kahlyn noch einen Tag hier, damit sie sich etwas erholen kann."

Jacob nickte dankbar. Das Spiel kannte er schon. Oberst Fleischer, bekam deshalb, zwar regelmäßig Ärger. Aber damit, so sagte er immer, konnte er leben. Der Drachenflieger erhob sich und verschwand mit Jacob aus dem Bereitschaftsraum. Der Rest der Truppe legte sich schlafen.

 

Kurz nach 10 Uhr wurde ich munter. Verdammt hatte ich lange geschlafen. Vorsichtig bewegte ich mich, auf eine neue Schmerzwelle gefasst. Aber es kamen keine. Ich checkte meinen Körper einmal richtig durch, meine Verletzungen waren schon am abheilen. Wieso eigentlich, ging es mir durch den Kopf. Krampfhaft versuchte mich an das zu erinnern, was gestern hier nach der Landung des Drachens geschehen war. Da fiel es mir wieder ein, der Doko war da und mir geholfen hatte. Froh endlich keine nennenswerten Schmerzen mehr zu haben, drehte ich vorsichtig meinen Kopf, sah in das liebe Gesicht von Pille, der hinter mir lag und immer noch fest schlief. Liebevoll streichelte ich sein Gesicht. Leise stand ich auf, deckte Pille wieder zu und ging nach vorn, um zu duschen. Fast eine Stunde, stand ich unter dem fließenden heißen Wasser. Ich liebe einfach dieses Gefühl, die Wärme auf den Körper zu spüren. Es war wie eine Woche Urlaub. Plötzlich bemerkte ich eine Bewegung hinter mir, drehte ich mich langsam um. Der Oberst stand an den Türrahmen gelehnt, beobachtete mich lächelnd.

"Na, mein kleines Mädchen, hast du ausgeschlafen? Wie geht es dir? Wieder besser?", erkundigte er sich bei mir.

"Sir, jawohl, Sir. Ich komme sofort, Sir."

Lachend sah mich der Oberst an. "Kahlyn, lass dir Zeit mit dem Duschen, ich weiß wie sehr du das genießt. Komm dann einfach vor, wenn du fertig bist, ich verbinde dich dann."

Ich nickte und drehte mich sofort wieder zur Wand. Ließ noch ein paar Minuten das Wasser über den Körper laufen. In der Zwischenzeit, kamen auch die anderen duschen, es wurde langsam eng. Also band ich die Verbände ab und begann mich zu waschen. Spülte die Brandsalbe richtig ab. Als Pille neben mir erschien, mit dem Rasierzeug, mopste ich mir das einfach.

"Pille darf ich?", bat ich ihn, nahm ihm den Rasiermesser aus der Hand.

Der lachte schallend. "Ach Lynchen, du willst doch nicht schon wieder eine Glatze machen", grinste mich dabei lachen an.

"Doch Pille, dann habe ich ein paar Tage Ruhe. Du weißt doch, wie das Unkraut auf meinem Kopf wächst."

Die Jungs hier in der Soko, regten sich immer darüber auf, dass ich mir Glatze rasierte. Waren der Meinung, als Mädchen sollte ich ganz lange Haare haben. Sie zeigten mir Fotos, von schönen Frisuren. Na, ich fand die nicht schön, da hingen einen die Haare ja ins Gesicht, das würde mich verrückt machen. Lachend sahen mir die Jungs zu, wie ich meine Haare mit dem Messer entfernte.

"Soll ich euch rasieren?", neckte ich die Jungs frech. "Nicht das ihr euch wieder schneidet", lachend sah ich die Jungs an.

Es machte immer Spaß hier zu duschen, so manches Mal schon, hatten wir uns gebalgt unter der Dusche. Aber heute lieber nicht. Sonst ging noch eine der Wunden auf. Also ließ ich die Jungs einfach stehen, drückte nur Pille das Messer, mit den Worten, in die Hand.

"Aber nicht wieder schneiden", neckte ich ihn und lief so nass wie ich war, in den Bereitschaftsraum, in dem der Oberst mit Conrad Lange saß.

"Sir, können sie mir bei der Salbe helfen, Sir. Ich weiß aber nicht, wo mein Koffer ist, den hat Gosch im Drachen, der war leer", bat ich den Oberst um Hilfe.

Der Oberst stand auf und ging in sein Büro. Kam kurz darauf mit zwei Koffern wieder. "Kahlyn, deinen habe ich schon aufgefüllt", informierte er mich.

Stellte meinen unter den Stuhl, auf den ich normalerweise immer saß und öffnete den zweiten Medi-Koffer. Nachdem er Handschuhe angezogen hatte, begann er damit meinen Rücken einzuschmieren. Ich drehte mich kurz um, holte mir auch Brandsalbe aus der Dose, um auch die anderen Verletzungen einzuschmieren.

"So mein kleines Mädchen, ich habe dick Salbe drauf. Jetzt kannst du dich verbinden."

Der Oberst reichte mir eine Binde, nach der anderen. Fest bandagiere ich die Verletzungen, damit diese nicht wieder aufgingen. Als ich fertig war, sagte ich lachend zum Oberst.

"Sir, jetzt brauche ich keinen Overall mehr, jetzt bin ich schon angezogen, Sir."

Fleischer wuschelte mir, ebenfalls lachend über den Kopf. "Oh Manne Kahlyn, schon wieder Glatze."

Da fiel mir ein, was Gosch neulich zu mir gesagt hatte, deshalb sagte ich es einfach.

"Sir, jawohl, Sir. Glatze ist doch besser als gar keine Haare, Sir."

Die Jungs die schon am Frühstückstisch saßen, verschluckten sich vor Lachen an ihrem Kaffee.

"Na du erst noch", meinte Walter zu mir. "Setze dich hin, bevor du irgendetwas anderes machst, wird erst mal gegessen. Das ist ein Befehl von Willy, dem kann ich nur beipflichten."

Im gleichen Moment bekam ich eine mächtig gewaltige Portion Brei vor die Nase gestellt und fing an zu futtern.

"Oh Manne habe ich einen Hunger", brachte ich noch kurz heraus. Es kam solche Bemerkungen.

"Das kann ich mir vorstellen."

"Das glaube ich dir."

"Ich wäre schon längst verhungert."

Alle konnten verstehen, dass ich nach zehn Tagen richtig Kohldampf hatte. Wenn sie wüssten, dass ich vor vier Wochen das letztemal etwas zu essen bekommen hatte, außer den vierhundert Gramm vor dem Einsatz, würden sie es noch besser verstehen. Lachend sah ich die Jungs an, schielte immer mal wieder zu der Geisel, um diese genau zu beobachten. Diesem Conrad Lange schien es ganz gut zu gehen. Trotzdem würde ich ihn, dann noch einmal untersuchen. Aber erst einmal, ließ ich mir das Essen schmecken und würde in Ruhe meinen Tee trinken. Fertig mit essen zog ich die Füße auf den Sitz, nahm meine Tasse in die Hand, genoss einfach die Ruhe hier. Vor allem das Lachen. Auch wenn ich oft nicht verstand, über was die Jungs sich gerade wegschmissen. Ich fand es immer toll, dass die so viel Lachten. Ich lachte für mein Leben gern. Gosch saß neben mir, genau wie Pille. Da Pille eher fertig war mit futtern, lehnte ich mich an ihn. Er zog mich einfach in seine Arme, flüsterte mir zu.

"Na Lynchen, geht es dir wieder besser?"

Ich nickte, sagte aber nichts, ich genoss einfach die Nähe von Menschen, die ich mochte und die mich genauso gern hatten, wie ich sie. Es war fast so, wie bei den Mönchen der Mitte, ging es mir durch den Kopf. Es tat mir einfach gut.

"Da bin ich aber froh. Magst gar nicht reden, Lynchen?"

Wieder nickte ich. Da drehte sich Pille zu mir um, zog mich einfach an seinen Bauch und legte die Arme um mich. Ich liebte es, so gehalten zu werden. Es dauerte keine zwei Minuten, da war ich noch einmal eingeschlafen. Auch wenn es nur kurz war, schlief ich in den Armen von Pille, satt, zufrieden und glücklich. Ein besseres Heilmittel, gab es für mich nicht. Gosch hatte meine Tasse gerettet, die mir fast aus der Hand gefallen wäre. Auch hatte ich mich, so wie ich es immer machte, im Schlaf zusammengerollt. So lag ich auf dem Stuhl und auf dem Schoss von Pille, der mir liebevoll das Gesicht streichelte. Nach einer knappen Stunde, wachte ich erholt auf. Verwundert sah ich mich um. Setzte mich richtig auf meinen Stuhl, zog die Füße hoch und umschlang verlegen meine Knie. Pille streichelte mir über den Kopf.

"Lynchen, das muss dir nicht peinlich sein. Wir hätten alle drei Tage durchgeschlafen. Mindestens. Sagt doch auch mal was Jungs."

Forderte Pille seine Kollegen auf, ihm zu helfen. Bekam auch prompt von allen Seiten ein, Ja.

"Aber es hat geholfen, oder?"

Ich nickte, sagte aber nichts. Auch weil mich dieser Conrad Lange ständig ansah. Das war mir unangenehm. Der Oberst der mir gegenüber saß, bemerkte, dass ich mich unwohl fühlte.

"Was ist los Kahlyn?"

Ich zuckte mit den Schultern, etwas was ich oft unbewusst machte und mir aber schon viel Ärger eingebracht hatte.

"Sir, ich weiß nicht, Sir", äußerte ich leise, weil ich nicht sagen wollte, dass es mir unangenehm war, ständig gemustert zu werden.

Der Oberst wechselte zu dem Thema, was ihn keine Ruhe ließ. "Kahlyn, warum in Gottes Namen, hast du eigentlich immer noch kein Vertrauen zu mir?"

Irritiert sah ich den Oberst an, ich hatte doch Vertrauen zu ihm, wieso fragte er mich so etwas. "Sir, ich vertraue ihnen doch, Sir", gab ich sofort Antwort. "Warum soll ich ihnen, nicht vertrauen, Sir? Sie waren immer ehrlich zu mir, Sir", wies ich ihn daraufhin, dass ich überhaupt keinen Grund hatte ihm zu misstrauen.

"Nein Kahlyn, du vertraust mir eben nicht. Sonst hättest du mir gesagt, dass du schwer verletzt bist. Mein Mädchen ich verstehe einfach nicht, warum du mir das nicht sagst", erklärte er vorsichtig den Grund vor, weshalb ich ihm nicht trauen konnte.

Er wusste, dass ich bei dem Thema regelmäßig hochging, wie eine Rakete. So nannte er das, jedenfalls immer. Wut stieg in mir hoch. Warum, so ging es mir zum wohl tausensten Mal durch den Kopf, sah er die Dinge so ganz anders und nicht so wie ich.

"Ach Kahlyn, werde doch nicht gleich wieder wütend."

Versuchte mich der Oberst wieder zu beruhigen. Leise sprechend, mit mühsam unterdrückter Wut, erklärte ich ihm das hundertste Mal, das gleiche Thema.

"Sir, warum hören sie mir eigentlich nie zu und begreifen sie nicht endlich, Sir, das bei einer Geiselnahme, die Zeit der wichtigste Faktor ist, Sir. Wie oft habe ich ihnen das schon vorgekaut, Sir? Wie oft muss ich ihnen, die gleiche Sache noch erklären, Sir? Warum hören sie mir, immer noch nicht richtig zu, Sir?", fragte ich ihn einfach.

"Kahlyn, was hat die Geiselnahme, damit zu tun, dass du nicht einsatzfähig warst? Verdammt Mädchen, du wärst uns gestern fast gestorben."

Böse sah er mich an. Wütend stand ich auf, ich musste mich bewegen, sonst würde ich gleich richtig an die Decke gehen.

"Wer hat das behauptet? Der Doko? Der kann was erleben, wenn ich zurück komme", wütend lief ich vor den Tisch hin und her.

Pille der auch in großer Sorge um mich war, mischte sich nun auch noch ein. "Lynchen, du warst gestern mehr tot als lebendig, als du hier angekommen bist."

Aufgebracht sah ich die Männer an, vergaß alle Anstandsregeln.

"Was war ich, mehr tot als lebendig? Ihr habt sie doch nicht mehr alle. Ich war fertig, das ja. Aber bis ich sterbe, muss es mich wesentlich schlimmer erwischen. Ich war wütend, wollte die Wut nicht an euch ablassen. Ihr könnt doch nichts dazu, dass es unter Kollegen von uns solche Saudeppen gibt, die den letzten Schuss nicht gehört haben. Mir haben alle Knochen weh getan und ich war todmüde. Das ja! Was ist da schlimmes bei? Macht es doch nicht immer schlimmer als es wirklich ist", fuhr ich jetzt auch noch Pille an.

Jetzt wollte sich auch noch die Geisel einmischen. "Leutnant Kah...", weiter ließ ich ihn nicht kommen.

"Halten sie sich da raus, das geht sie gar nichts an", brüllte ich diesen Conrad Lange an. Was nahm der sich überhaupt raus?

Als Conrad Lange noch etwas sagen wollte, schüttelte der Oberst den Kopf. Daher schwieg Conrad lieber.

"Kahlyn, bitte beruhige dich. Warum bist du gleich oben auf. Wir wollten doch nur wissen, warum du uns nicht gesagt hast, dass du verletzt warst."

Ich blieb hinter den Stuhl stehen, atmete tief durch, sah den Oberst direkt in die Augen.

"Sir, was hätte es ihnen genutzt, wenn ich ihnen das gesagt hätte, Sir? Wäre dann der Müller, Schneider und Sieger, auf die Idee gekommen, ihnen die Geisel hier herzubringen? Ihr habt sie doch nicht mehr alle, Sir. Gosch komm fliege mich nach Hause."

Diesmal, ließ mir das der Oberst nicht durchgehen. "In mein Büro, Kahlyn und zwar sofort. Das wird geklärt, bevor du nach Hause fliegst. Ohne Diskussion", befahl er in einem Ton, den ich nur ganz selten von ihm zu hören bekam.

"Sir, wenn wir etwas zu klären haben, dann wird das vor allen geklärt, Sir. Oder gar nicht, Sir. Ich kann auch nach Hause laufen, Sir", stellte ich mich stur.

Selbst Mayer hatte es nie geregelt bekommen, wenn ich zu einer Aussprache musste, dann waren alle dabei. Nur zum Rapport musste ich alleine gehen.

"Dann halt hier", gab der Oberst nach, weil er wusste, dass er in diesem Punkt keine Chance hatte, mich umzustimmen.

"Warum brüllst du mich an, Kahlyn?"

"Sir, sie wollen wissen warum! Oder kapieren sie das wirklich nicht?", wollte ich von ihm wissen.

Der schüttelte den Kopf. "Kahlyn, ich habe dich vernünftig etwas gefragt. Warum kannst du nicht vernünftig antworten."

Böse sah ich meinen Oberst an. "Sir, ich habe ihnen schon mindestens fünfzigmal, leise und in Ruhe, diese Frage beantwortet, Sir. Ich habe keine Lust, immer wieder, die gleiche Antwort zu geben, Sir. Es nervt mich einfach nur noch, Sir. Ich bin viel zu müde und kaputt um ihnen das ständig, wieder und wieder zu erklären, Sir. Aber ich beantworte ihnen diese Fragen heute und hier das letzte Mal, Sir. Fragen sie mich noch einmal die gleiche Frage, werde ich nicht mehr darauf antworten, Sir."

Lange sah ich den Oberst an, bis dieser nickte, mir so kund tat, dass er wirklich begriff, dass es mich nur noch nervte, ihm ständig ein und dieselben Sachen zu erklären.

"Sir, wenn ich nicht einsatzfähig bin, sage ich ihnen das, Sir. Wie sie aus ihrer und meiner Ausbildung wissen, Sir, gibt es bei einer Geiselnahme verschieden Abschnitte, die weder sie noch ich beeinflussen können, Sir. Der erste Abschnitt ist die Geiselnahme selber, dort bestimmt der Geiselnehmer, wen er sich nimmt, Sir. Je nachdem, wie die Vorgeschichte eines Geiselnehmers ist, wählt er zwischen Mann oder Frau, einer labilen oder starken Persönlichkeit, Sir. Der zweite Abschnitt ist die Flucht, dort kommt es darauf an, dass man den Geiselnehmer nicht zu sehr in die Enge treibt, ihn in Sicherheit wiegt, um die Geisel nicht zu gefährden, Sir. Je länger die Geisel in den Fängen eines Geiselnehmers ist, umso gefährdeter ist die Person, die er gefangen hält, Sir. Wann lernt ihr das endlich mal, Sir. Je länger die Geisel dabei ist, umso lästiger, aber auch umso gefährdeter, wird sie, Sir. Das beste Beispiel war der Ortegafall, Sir. Wie oft, muss ich ihnen das noch erklären, Sir. Filisha Citlalli Shania Keynia Ortega könnte heute noch leben, wenn ich damals nicht schlapp gemacht hätte, Sir. Das Mädchen wurde erst eine halbe Stunde, bevor ich sie fand getötet, Sir. Es war ganz alleine meine Schuld, dass ein dreizehn jähriges Mädchen, qualvoll gestorben ist und heute nicht mehr lachen kann, Sir. Dass ihre Familie heute um sie trauern muss, Sir, nur meine Schuld alleine, Sir. Verdammt nochmal, wenn ich die blöde Pause von zwei Stunden nicht gemacht hätte, dann könnte das kleine Mädchen heute noch leben, Sir", brüllte ich den Oberst an, Tränen liefen aus meinen Augen. Ich versuchte wieder leise zu sprechen, was mir nur teilweise gelang.

"Denken sie vielleicht, Sir. Dass ich das noch einmal zulasse, Sir. Hätte ich ihnen gesagt…"

Der Oberst wollte mich unterbrechen. "Kah…"

Diesmal ließ ich dies nicht zu. Ich war viel zu wütend auf mich. "Jetzt rede ich erst einmal und sie hören mir genau zu, weil ich ihnen das nicht noch einmal erklären werde, Sir. Hätte ich ihnen gesagt, dass ich verletzt bin, hätten sie mich nicht gehen lassen, Sir. Sie hätten den Doko angefordert, hätten darauf bestanden, dass ich erst schlafe und mich auskuriere, Sir. Dann würde Conrad Lange nicht hier sitzen, sondern wäre genauso Tod, wie Filisha Citlalli Shania Keynia Ortega, Sir. Oder aber, wenn er es überlebt hätte, dann würde er jetzt hier sitzen, aber ohne Hände, Sir. Hätte ich ihn nur eine Stunde später gefunden, Sir. Wären seine Hände nicht mehr zu retten gewesen, Sir. Sie sind derjenige, der mich ständig dazu zwingt zu lügen, Sir, was meinen Gesundheitszustand angeht. Der nicht zulässt, dass ich ehrlich zu ihnen bin, Sir. Weil sie mich mit ihrer Sorge regelrecht verrückt machen und erdrücken, Sir. Und noch etwas, Sir", tief holte ich Luft, um mich zu beruhigen. "Ja ich war verletzt, na und, Sir? Wann bitte, war ich das in den letzten neun Jahren einmal nicht, Sir. Man gewöhnt sich an alles, auch daran verletzt zu sein und verletzt zu arbeiten, Sir. Aber ich war nicht schwer verletzt, Sir. Ich hatte in paar Kugeln…"

Jetzt unterbrach mich auch noch Gosch. "Täubchen, ein paar Kugeln ist gut. Wir haben gestern achtundzwanzig Kugeln, aus deinen Körper geholt", böse sah er mich an. "Du wärst dem Doko, unter den Händen fast verblutet."

Ich schüttelte wie wild den Kopf und lachte böse auf. "Nein Gosch, so schnell verblute ich nicht. Der Doko hat in all den Jahren, immer noch nicht begriffen, dass wir Blutungen steuern können. Das Blut, was aus meinem Körper gelaufen ist, war nötig, um die Wunden zu reinigen. Ich würde nie zulassen, dass ich so viel Blut verliere, dass ich verblute. Es sei, ich will für immer schlafen gehen, verdammt nochmal, dazu habe ich aber keinen Grund. Das könnte ich meiner Rashida doch gar nicht antun. Die Blutungen, kann ich im Gegensatz, zu meinen Freunden, viel besser kontrollieren. Ich war nicht eine Minuten in Gefahr. Sir, können sie bitte mal mit dem Doko schimpfen, Sir. Er verbreitet immer solche Halbwahrheiten, Sir. Das bringt mir dann immer Stress ein, Sir. Das kann ich gar nicht gebrauchen, Sir. Ich hab sowieso schon so viel Wut im Bauch brauch nicht noch mehr Stress, Sir."

Ich sah meinen Oberst bittend an. Dieser schüttelte den Kopf, da er nicht von dem überzeugt war, was ich ihm zu erklären versuchte.

"Sir, ja ich hatte ein paar Kugeln im Körper, drei steckten in der Lunge und eine war zwischen den Rippen hängengeblieben. Der Rest war im Rücken, Sir. Ich weiß das, nur zu genau, ich habe zehn Tage lang mit den damit verbunden Schmerzen gelebt, Sir. Aber niemals hat eine Gefahr bestanden, Sir. Ich habe den Doko nur angefordert, weil die Schmerzen unerträglich waren. Vor allem weil ich mir keine Schmerzmittel mehr spritzen konnte, Sir. Aber auch deshalb, weil ich mich am Rücken selber ja kaum operieren kann, Sir. Ich kann vieles, aber das halt nicht, da brauche ich nun mal Hilfe dazu, Sir. Ich wollte aber, dass die Schmerzen endlich aufhören, Sir. Ich halte ja viel aus, aber gestern waren die Schmerzen einfach unerträglich. Ich hatte sechs volle Flaschen B32 intus, höher konnte ich mich nicht spritzen, ich war auf zweitauschendsechshundert Einheiten pro Tag, Sir. Sie wissen selber, dass die höchste Dosierung bei tausendfünfhundert liegt. Alles was darüber hinaus ist, wird gefährlich, Sir. Ich konnte mich nur so hoch dosieren, weil ich ständig mit hoher Geschwindigkeit gelaufen bin, Sir. Ich bin in den letzten Tagen mindestens tausendzweihundert Kilometer gelaufen, da sind die Suchschleifen nicht mit einberechnet, Sir. Dadurch habe ich das B32, regelrecht ausgeschwitzt, Sir. Aber als ich hier zur Ruhe kam, ging das nicht mehr, Sir. Die Schmerzen waren einfach die Hölle, Sir. Ich wollte nur, dass es endlich aufhört, mit den Schmerzen, Sir. Gefahr hat niemals bestanden, soweit verdammt nochmal, müssten sie mich kennen, Sir. Tot nutze ich den Geiseln nichts, Sir. Hätte Gefahr für mein Leben bestanden, Sir. Dann hätte ich sie um Hilfe gebeten, so wie ich das schon einigemal bewiesen habe, Sir. Jetzt will ich von dem Thema nichts mehr hören, Sir. Sie verlangen immer das ich Vertrauen zu ihnen habe soll, Sir. Haben sie endlich auch zu mir Vertrauen, ich muss es auch zu ihnen haben, verdammt nochmal, Sir. Gosch fliege mich jetzt nach Hause, bevor ich mich ganz vergesse und hier jemanden verprügle", beendete ich meinen viel zu langen Vortrag, wütend.

Der Oberst stand auf, kam um den Tisch. "Kahlyn, komm beruhige dich. Du hast ja so recht mit allem, was du sagst", er zog mich in seine Arme. Ich stand stocksteif da, war viel zu wütend, als dass ich gleich abschalten konnte. "So wütend, mein kleines Mädchen?"

Ich knurrte, etwas dass ich nur machte, wenn ich kurz davor war die Beherrschung voll und ganz zu verlieren. Der Oberst schob mich so weit weg, dass ich in seine Augen sehen konnte.

"Kahlyn, bitte höre mir jetzt mal kurz zu. Damit du auch uns verstehst und vor allem auch deinen Doko. Keiner von uns, würde mit achtundzwanzig Kugeln, auch nur einen Meter weit laufen. Wir würden uns schreiend, am Boden wälzen. Ich würde sogar behaupten, dass wir nicht mal mit zwei Kugeln, mehr laufen könnten. Kannst du dir vorstellen, dass wir Schwierigkeiten haben, uns vorzustellen, dass du mit achtundzwanzig Kugeln im Körper noch einsatzfähig bist?", lange musterte er mich. Er hatte ja Recht, aber es nervte mich einfach nur.

"Sir, ich verstehe sie ja, Sir. Aber können sie sich nicht vorstellen, dass mich das nur noch nervt, Sir. Wenn ich ständig Rechenschaft ablegen muss, warum ich verletzt Einsätze mache, Sir. Wenn ich nur Einsätze machen würden, wenn ich völlig gesund bin, Sir. Dann würde ich im Jahr drei Einsätze machen, Sir. Sonst interessiert niemand, wie schwer ich verletzt bin, Sir. Es heißt immer ich soll mich nicht so zimperlich haben, Sir. Ich habe schon fast blind Einsätze gemacht und geleitet, Sir. Es nervt mich nur noch, Sir", verdammt, jetzt fing ich auch noch an zu weinen.

Tröstend zog mich der Oberst in den Arm. "Ich weiß mein kleines Mädchen, wir sind ganz anders als der Oberstleutnant Mayer oder Oberstleutnant Fiedler. Wir meinen es doch nur gut, komm bleibe noch ein paar Stunden hier, damit du etwas zur Ruhe kommst. Dir tut das doch auch mal gut, vor allem können sich deine Leute, dann etwas länger erholen."

Damit schob er mich wieder in Pilles Arme, setzte sich auf seinen Platz. Pille hielt mich einfach in den Arm, das tat mir gut. Ich war einfach nur fertig und so müde, dass ich nur noch schlafen wollte, ging es mir beim Einschlafen durch den Kopf. Gosch hielt mich fest, um Pille aufstehen zu lassen, der nahm mich einfach auf den Arm und trug mich nach hinten ins Bett, in dem ich noch einmal sechs Stunden tief und fest schlief und mich auf diese Weise richtig erholen konnte. Ich wurde munter, als die Männer beim Abendbrot saßen. Kaum, dass ich nach vorn gekommen war, stand Walter auf und machte mir eine große Portion Brei und holte die vorbereitete Kanne mit Tee. Eine Art der Fürsorge, die ich gern annahm. Hungrig futterte ich meinen Brei und trank mich an meinem Tee satt. Ich liebte es Tee zu trinken.

"Na ausgeschlafen?", erkundigte sich der Oberst.

Ich nickte, war mir bewusst, wie ich mich vorhin daneben benommen hatte. Ab und zu brauchte ich das Dampfablassen mal, um meine Wut wieder kontrollieren zu können. Immer noch hatte ich nicht gelernt, dass ich das nicht machen durfte. Verlegen legte ich den Löffel wieder neben den Teller, sah meinen Oberst an.

"Sir, es tut mir leid, ich habe mich vorhin völlig daneben benommen, Sir. Bitte rufen Sie Oberstleutnant Fiedler an, damit ich dafür bestraft werde, Sir. Die Wut hatte nicht direkt etwas mit ihnen zu tun, sondern mit den Kollegen in Fürstenwalde, Sir. Ich möchte mich bei ihnen entschuldigen, Sir."

Lächelnd sah mich Oberst Fleischer an. "Kahlyn, ich werde den Oberstleutnant nicht anrufen. Warum, du hast doch recht, mit dem, was du gesagt hast. Ich kann mir vorstellen, dass dich das langsam nervt. Aber merke dir eins, mein Mädchen. Wir wollen nur, dass es dir gut geht. Komm esse weiter Kahlyn, du brauchst deine Nahrung doch. Du hast in den letzten Tagen Schwerstarbeit geleistet und das auch noch schwer verletzt. Komm esse mein Mädchen."

Ich nahm meine Löffel wieder in die Hand, begann zu essen. Ich hatte Hunger, wie ein Rudel ausgehungerter Wölfe, ging es mir lachend durch den Kopf.

"Was lachst du Kahlyn?"

Immer noch lachend winkte ich ab. Der Oberst der mich nicht schon wieder in die Ecke treiben wollte, akzeptierte dies diesmal. Änderte einfach das Thema, beobachtete mich lange dabei, wie ich genüsslich meinen Brei esse.

"Weißt du eigentlich Kahlyn, wie schwer das oft mit dir ist?" Traurig sah mich Fleischer an.

Ich dagegen schüttelte den Kopf. "Sir, nein, Sir", antwortete ich ehrlich.

"Kahlyn, du bist jetzt neun Jahre alt, normalerweise, kämpfen Kinder in dem Alter, nicht an vorderster Front und bringen uns erwachsenen Männern, noch Kniffe und Tricks bei. Normalerweise, sind wir Erwachsenen da, euch Kinder im Alter von neun Jahren zu beschützen. Wir müssen bei dir völlig umdenken."

Verwirrt sah ich meinen Oberst mit schräg gehaltenem Kopf an.

"Du verstehst es nicht, Kahlyn?"

"Sir, nein, Sir."

Jetzt war der Oberst verlegen, weil er nicht wusste, wie er etwas erklären sollte, was ich gar nicht kannte.

"Kinder in deinem Alter, gehen zur Schule, spielen draußen Verstecken, gehen in Sportvereine, haben Spaß. Sie tragen keine Verantwortung, wie du. Ich möchte fast behaupten, die wenigsten wissen, was Verantwortung bedeutet. Sie kämpfen nicht in aussichtlosen Kämpfen. Sie schlafen in weichen Betten, mindestens acht bis zehn Stunden jeden Tag", versuchte er zu erklären, warum es so schwer mit mir war.

"Sir, ich wohne doch auch in der Schule, habe viel Spaß mit meinen Freunden, lernen tue ich bei jeden Einsatz etwas, Sir. Na gut wir schlafen nicht so lange oder nur ganz selten, aber das ist auch nicht so schlimm, Sir. Ist ja auch egal, ich werde das schon noch lernen, Sir", ich winkte ab und wechselte das Thema. "Sir, bitte, Sir. Ich wollte sie noch fragen, ob sie von den Verletzungen, von Conrad die Bilder schon gemacht haben, Sir? Dann würde ich die Verletzungen gern alles wegmachen und ausheilen, Sir. Dann lege ich mich noch mal hin, Sir."

Der Oberst schüttelte den Kopf. "Kahlyn, ich weiß nicht, was du weg machen willst?"

Verwundert sah ich ihn an. "Sir, alles, Sir. Der Conrad hat lange genug gelitten, Sir. Es sollen ihn keine Narben, an das erinnern, was passiert ist, Sir. Auch soll er keine Schmerzen mehr leiden, Sir. Die zehn Tage, waren so schon die Hölle, Sir"

Der Oberst lächelte, er kannte meine Einstellungen, in solchen Dingen. "Dann kommt mal ihr zwei, bringen wir es hinter uns."

Ich stand sofort auf, drehte mich zu der Geisel um. "Sir, sie müssen schon mitkommen, Sir. Sonst kann ich ihnen doch nicht helfen, Sir."

Verwirrt sah mich die Geisel an, da ich diese bis jetzt völlig ignoriert hatte. Hilfe suchend sah ich zum Oberst, der gerade aus seinem Büro kam, um den Fotoapparat zu holen.

"Conny, vertraue Kahlyn einfach und komme mit."

Da erhob sich Conrad Lange mühsam, folgte dem Oberst humpelnd. Genau sah ich mir seine Knochen an, sein Knie hatte auch etwas abbekommen. Das musste ich erst operieren. Deshalb änderte ich den Plan, noch einmal.

"Sir, wir müssen erst in den Sanitätsraum, so geht das nicht, Sir." rief ich hinter den Beiden her.

Der Oberst drehte sich um und kam zurück. Nahm den zögernden Conrad, an den Schultern, schob ihn vor sich her in Richtung des Raumes, in den ich ihn haben wollte.

"Conny, vertraue Kahlyn. Du hast einen völlig falschen Eindruck von ihr. Wenn du ihr vertraust, kannst du, heute noch laufen, wie vor zehn Tagen. Kahlyn, würde nie jemanden Schaden zufügen", flüsterte Fleischer Conrad ins Ohr.

Völlig verunsichert, folgte er jetzt dem Oberst. Ich lief zurück in die Halle und holte meinen Medi-Koffer, ging zu den Beiden in den kleinen Operationssaal. Schloss sofort die Tür.

"Genosse Oberst, Sir. Machen sie bitte, einmal kurz das Licht ganz aus, Sir. Ich sage ihnen, wenn sie die Notbeleuchtung, wieder anmachen können, Sir."

Der Oberst betätigte den Lichtschalter und sofort war es dunkel im Raum. Ich nahm meine Brille ab und suchte nach weiteren Verletzungen, die ich übersehen hatte. Nur die Verletzung am Knie hatte ich übersehen. Die übrigen Verletzungen hatte ich schon versorgt. Conrad hatte einen Bänderriss an der Innenseite des Knies, das dauerte nicht lange und war schnell repariert.  

"Sir, sie können das Licht wieder anmachen, Sir", informierte ich den Oberst, nach dem ich mir den Schaden genau angesehen hatte. Das ging nun mal im Dunkeln wesentlich besser, als im Hellen.

"Sir, wie wollen wir jetzt vor gehen, Sir? Möchten sie, dass der Oberst bei dem kleinen Eingriff dabei bleibt oder vertrauen sie mir so, dass ich die OP alleine machen kann, Sir?", wandte ich mich an Conrad.

Lange blickte hilfesuchend zum Oberst. Ich konnte verstehen, dass er nach allem, was er erlebt hatte, eine Person um sich haben wollte, der er völlig vertrauen konnte. Deshalb wandte ich mich an den Oberst.

"Sir, wir gehen wie folgt vor, Sir. Als erstes machen sie von allen, äußerlichen Verletzungen Fotos, Sir. Solange gehe ich aus dem Raum, Sir. Dann mache ich das Knie von Conrad in Ordnung und heile dann alles aus, Sir. Passen sie dann auf mich auf, bitte Sir?"

Der Oberst streichelte mir mein Gesicht. "Natürlich, soll ich das Licht dann noch einmal ausmachen, oder geht die Notbeleuchtung?"

"Sir, bei der Operation, machen wir das Licht ganz aus, Sir. Da kann ich einfach, die Schäden besser sehen, Sir. Bei Krantonak, wäre es auch gut, dann kostet mich das Licht nicht zusätzlich Kraft, es wird heftig werden, Sir."

Drehte mich zu Conrad Lange um und bat ihn. "Sir, bitte ziehen sie alles aus, bis auf die Turnhose, Sir."

Lange kleidete sich sofort aus, auch wenn er verunsichert zum Oberst schielte.

"Sir, als ich sie gefunden habe, waren sie doch vor meinen Augen erschrocken, Sir. Können sie sich daran erinnern, Sir?", frage ich die Geisel.

Oft war es so, dass die Geiseln, unbewusst alles verdrängten, was sie erlebt hatten. So dass sie sich nach so kurzer Zeit, nicht mehr daran erinnern konnte. Erst im Laufe der Zeit, der nächsten Wochen, bei vielen dauerte es sogar Jahre, kamen Erinnerungen wieder. Wenn man gelernt innerlich hatte, mit diesem Alp umzugehen.

"Nein, nicht genau. Ich weiß nur noch, dass sie ungewöhnliche Augen haben. Ich fand sie aber wunderschön", erklärte er mir leise.

"Sir, ich bin die Kahlyn, erinnern sie sich, Sir. Sie müssen nicht sie zu mir sagen, Sir. Meine Augen sehen nicht nur anders aus, Sir. Sie können auch Verletzungen sehen, die ein Arzt sonst nur durch einen Röntgenapparat wahrnehmen kann, Sir. Ich kann sozusagen in ihrem Körper sehen, ob alles in Ordnung ist, Sir. Wir machen jetzt folgendes, der Oberst fotografiert alle ihre Narben, die von der Geiselnahme behalten haben, Sir. Im Anschluss werde ich ihr Knie operieren, dann mache ich ihnen die Narben im Gesicht, an den Rippen, am Knie und an den Handgelenken weg, Sir. Im Anschluss heile ich mit dem Krantonak, all ihre Verletzungen aus, Sir. Damit sie keine Schmerzen mehr haben, Sir. Das Einzige was ich nicht wegmachen kann, sind die Hämatome, aber mit denen können sie Leben, Sir. Ich gebe ihnen dann eine Salbe, dann sind die Hämatome spätestens in drei Tagen auch verschwunden, Sir. Erschrecken sie dann nicht, wenn aus meinen Augen rotes Licht kommt, Sir. Für den kleinen Eingriff am Knie, lege ich sie kurz schlafen, Sir. Ich kann sie ja nicht bei vollen Bewusstsein operieren, Sir. Gegen die Kopfschmerzen kann ich ihnen etwas geben oder nehme sie ihnen über das Krantonak, Sir", interessiert hatte Conrad Lange zugehört.

"Geht klar Kahlyn. Sag mal kannst du nicht wie alle anderen, zu mir Conny sagen. Wir sind doch sozusagen Kollegen", verlegen sah er mich an. "Vor allem, hast du mir das Leben gerettet. Damit zähle ich dich zu meinen Freunden. Meine Freunde, nennen mich aber Conny."

Ich sah verlegen zu ihm hoch. "Sir, ich denke darüber nach, Sir", verlegen drehte mich aber erst einmal, zu meinen Oberst um. "Sir, wir müssen, wenn ich fertig bin mit der kleinen Operation, bitte von der Narbe am Knie, auch ein Foto machen. Als Beweis für die Knieverletzung, Sir."

Der Oberst lächelte und nickte mir zu.

Wortlos verließ ich den Raum, damit der Oberst in Ruhe fotografieren konnte. Das Blitzlicht, tat meinen Augen trotz der Brille schlimm weh. Ich brauchte danach ewig, ehe ich wieder richtig sehen konnte. Nach fünfzehn Minuten, in der Zwischenzeit hatte ich vorn bei den Jungs noch einen Tee getrunken. Holte mich der Oberst nach hinten in den Raum. Hinten im Sanitätsraum ging ich auf Conny zu, ich hatte mich mit den Jungs in der viertel Stunde, über die Geisel unterhalten. Die sagten, man könne ihm vertrauen, dies wollte ich versuchen.

"Sir, legen sie sich bitte auf die Pritsche, Sir. Ich möchte ihr Knie jetzt in Ordnung bringen, Sir."

Stöhnend legte sich Conny auf die Pritsche.

Ich streichelte seinen Hals. "Sir, es geht ihnen bald wieder gut. Vertrauen sie mir einfach, Sir."

Ganz nebenbei, beim gut Zureden legte ich Conny schlafen, so dass er völlig abgelenkt war und gar nicht mitbekam, dass er zusätzlichen Stress bekam. Mir war klar, dass er die letzten Tage genügend Stress für den Rest seines Lebens gehabt hatte. Ich begann sofort mit der kleinen, aber notwendigen Operation. Schon während der Operation, setzte ich, so wie ich es oft bei meinen Freunden machte, das Krantonak kurz ein. Es ging einfach schneller, da ich sofort am betreffenden Muskel war und ihn gleich ausheilen konnte. Heilte Conrads Knie, vor allem die schlimme Entzündung darin aus und schloss das Operationsfeld wieder, indem ich es klebte. Rief nach dem Oberst.

Der machte das Notlicht wieder an. Ich verließ nochmals kurz den Raum, damit er auch vom Knie noch Fotos machen konnte. Kaum damit fertig, holte er mich wieder in den Raum. Ich begann mit dem Krantonak, sobald der Oberst das Licht gelöscht hatte. Heilte somit, die Prellungen und die Brüche in Connys Körper aus. Es war verdammt heftig, alle Rippen von Conny waren angebrochen, selbst das Schlüsselbein, sechs der Rippen waren ganz durch. Der Oberst half mir Conny umzudrehen, damit ich auch am Rücken die Verletzungen ausheilen konnte. Noch einmal drehten wir Conny um, damit ich auch den angebrochenen Unterkiefer ausheilen konnte. Den hatte ich erst entdeckt, als ich im Krantonak, den Körper nochmals auf übersehen Verletzungen durchgecheckte. Ich sprang dabei sozusagen von Verletzung zu Verletzung, genau konnte ich das aber nicht erklären. Conny hielt still und ließ einfach alles über sich ergehen, ohne sich zu wehren. Auch, wenn er äußerlich den Eindruck machte, als ob er die Geiselnahme schadlos überstanden hatte, war das nicht der Fall. Deshalb nahm ich Conny zum Schluss, die Wucht der Erinnerung an das Vorgefallene, in dem ich ihm zwar die Erinnerungen ließ, aber die damit verbunden Emotionen abschwächte. Die Angst, die Verzweiflung, die Hoffnungslosigkeit, vor allem stärkte ich sein Selbstbewusstsein, seinen Willen das Leben von der guten Seite zu sehen. Stärkte in ihm auch die Fähigkeit, gut vor allem tief schlafen zu können, er hatte seit dem er aus der Geiselnahme entkommen war, kaum geschlafen. Nahm ihn auch die Kopfschmerzen, so brauchte ich ihn nicht zu spritzen. Fast anderthalb Stunden hatte ich gebraucht, um alle Schäden der Geiselnahme zu beseitigen und das Krantonak beenden zu können. Am Ende brach ich einfach zusammen, so wie mir das immer passierte. Mich kotze es selber an, aber ich hatte noch keinen Weg gefunden, das zu verhindern. Ließ mich einfach am Tisch nach unten rutschen und blieb besinnungslos liegen.

Der Oberst der das Licht in dem Moment an machte, als die roten Strahlen versiegten, griff sofort nach meiner Brille, um mir sie aufzusetzen. Conny allerdings, der sich vorsichtig aufsetzen wollte, bemerkte, dass er keinerlei Schmerzen mehr fühlte. Sprang direkt auf und lief zu mir. Er konnte es nicht fassen, dass ich auf einmal bewusstlos am Boden lag.

"Willy, was ist mit der Kleinen?", wollte er sofort panisch wissen.

"Conny, beruhige dich, das ist jedes Mal so, wenn Kahlyn dieses Krantonak einsetzt. Sie kommt bald wieder zu sich. Kannst du mir helfen sie ins Bett zu legen?"

Conny nickte schlüpfte in den Overall, den er von der Soko bekommen hatte und half den Oberst dabei, mich vom Fußboden hochzunehmen. Öffnete dann dem Oberst die Türen, so dass er mich heraus tragen konnte. Ging mit mir nach hinten, zu den Schlafräumen. Der Oberst legte mich in mein Bett, sah lange auf mich herunter. Nach einiger Zeit kam ich kurz zu mir und rollte mich zusammen. Fand aber wie immer keine Ruhe zum Schlafen.

"Conny, legst du dich etwas hinter Kahlyn, damit sie schlafen kann. So fühlt sie sich beschützt. Sie hat immer noch nicht begriffen, dass ihr bei uns nichts geschieht. Ich muss dringend einige Sachen vom Tisch bekommen. Es ist schon kurz nach 1 Uhr."

Conny nickte und legte sich hinter mich und nahm mich in den Arm. Auf einmal spürte ich, eine wunderschöne beschützende Wärme, fast so, als wenn Jaan oder Rashida hinter mir lagen. Drehte mich um, legte meinen Arm um denjenigen, ohne dass ich aufwachte, schlief fest, wie ich sonst nur zu Hause schlafe.

"Mein Gott Conny, Kahlyn hat noch nie, auf diese Weise, auf Schlafhilfe von uns reagiert. Das macht sie sonst nur, wenn Rashida da ist. Dann schlaft beide noch etwas. Du wirst ab sofort Kahlyns Einschlafbär werden", musste der Oberst noch lachend loswerden.

Der Oberst verschwand lautlos aus dem Raum. Er konnte nicht glauben, was er eben erlebt hatte.

Conny jedoch betrachtete, dass ihm so fremde und noch so junge Mädchen. Leise nur für sich selber, sagte er. "Du bist mein Engelchen. Egal was mir passiert, ich werde dich immer tief in meinem Herzen tragen. Schlaf gut, Engelchen."

Auch Conny schloss die Augen, er war hundemüde. Keine drei Atemzüge später, schlief auch Conny, das erste Mal nach der Geiselnahme erholsam.

 

Kurz nach 5 Uhr am Morgen, nach vier Stunden Schlaf, wurde ich erholt munter, fühlte mich beschützt, wie bei meiner Rashida. Die konnte doch gar nicht hier sein, ging es mir durch den Kopf. Hob den Kopf, um zu sehen, wer dafür gesorgt hatte, dass ich so erholsam schlafen konnte, wie bei meiner Rashida. Erstaunt sah ich, dass Conny derjenige war, der mir beim Schlafen geholfen hatte. Durch meine Bewegungen wurde er munter und sah mich lange an. Dann nahm er seine Hand, streichelte mein Gesicht.

"Guten Morgen Engelchen. So habe ich dich gestern Nacht getauft, Kahlyn. Du bist mein Engel, du hast mir so geholfen. Ich habe keine Schmerzen mehr, irgendwie hast du es geschafft, dass alles nicht mehr so schlimm ist. Ich komme wieder klar. Kann wieder normal denken. Du wirst also für immer, mein Engel sein."

Conrad gab mir einen Kuss auf die Stirn. Ich mochte diesen Conny, konnte nicht einmal begründen, warum. Er hatte etwas an sich, dass ihn in etwa mit meinen Freunden gleichstellte. Ein Gefühl, dass ich nicht mal bei Pille hatte. Obwohl ich Pille wirklich sehr mochte. Schon bei der ersten Begegnung, noch in den Händen der Geiselnehmer, kam dieses Gefühl in mir hoch. Lange kuschelte ich mich noch an ihn. Es tat einfach gut in seinen Armen zu liegen. Gedanken verloren sagte ich zu ihm.

"Mön Nikyta, teja kahlyn. Bionde Conny? Semro krisin."

Verdutzt sah mich Conny an. "Was sagst du da? Ich verstehe dich nicht, Engelchen."

Irritiert drehte ich Conny meinen Kopf zu, dann fiel mir ein, dass ich in meiner Sprache gesprochen hatte.

"Sir…" Weiter kam ich nicht.

Conny unterbrach mich einfach. "Sag mal Kahlyn, wenn du jetzt mein Engelchen bist, darf ich dann nicht dein Conny sein? Lasse doch bitte das doofe Sir weg, das nervt mich", bat er mich und sah mich dabei ganz lieb an.

"Sir, ich versuche es, Sir", sagte ich verlegen.

Conny musterte mich lange, dann erklärte er etwas, was mir Gosch schon mal sagte. "Zu Pille und Gosch, sagst du doch auch nicht Sir. Die sind beide Rangmäßig, sogar über dir und mir. Du stehst doch auch im Rang über mir. Ich bin doch nur ein kleiner lumpiger Unterleutnant, ein Streifling sozusagen. Bitte Engelchen."

Es war nicht so einfach, diesen Sir wegzulassen. Aber ich würde es versuchen. Irgendetwas, band mich an diesen Conny. Ich nickte Gedanken versunken.

"Engelchen, was hast du gesagt? Was ist das für eine Sprache?"

Lange sah ich ihn an, dann dachte ich bei mir, tue es doch einfach, es tut auch gar nicht weh. "Conny, wir haben in unserer Schule eine eigenen Sprache, die außer dem Doko keine spricht. Ich sagte zu dir. Mön Nikyta, teja kahlyn. Bionde Conny? Semro krisin. Das heißt übersetzt. Danke mein Freund, dass du mich beschützt hast. Geht es dir gut Conny? Der Alp musste ein Ende haben. Tut mir leid, mir passiert das ab und zu einmal, dass ich in Gedanken versunken, in meiner Sprache antworte. Ich spreche ja eure Sprache nur, wenn ich hier bin. Sonst reden wir in unserer Sprache. Verstehst du. Schlimm ist es nur, wenn es im Kampf passiert. Weil halt niemand meine Sprache kann."

Conny lachte, sah mich mit strahlenden Augen an. "Dann müssen wir sie lernen. Warum hast du das noch nie dem Oberst vorgeschlagen, Engelchen?"

Verlegen fing ich an, mit meinen Fingern zu spielen.

"Was ist los, mein Engelchen?"

Ich zuckte verlegen mit den Schultern. "Conny, das ist ja keine richtige Sprache, sagen jedenfalls Raiko und Rina, unsere Dolmetscher immer. Sie nennen sie immer eine Babysprache, die man nicht lernen kann. Komm lass uns duschen gehen, mir tut immer noch jeder Muskel weh. Wir machen die anderen sonst munter."

Conny nickte und stand leise auf. Lief zur Tür, um diese zu öffnen. Ich lief ihm hinterher. Etwas Eigenartiges war geschehen, ich hatte das Gefühl, Conny schon eine Ewigkeit zu kennen. Ich tat mich sonst immer schwer, mich an neue Menschen zu gewöhnen. Conny strahlte eine Ruhe aus, die mir einfach nur gut tat. Schnell liefen wir in die Duschen, ich stellte mich wie immer, mit den Händen an die Wand.

"Was machst du da, Engelchen?", verwirrt sah er mich.

Verwundert sah ich ihn an. "Ich dusche mich", erwiderte ich, innerlich lachend. Was sollte ich auch anders antworten.

Conny jedoch fing schallend an zu lachen. "Guck mal Engelchen, so duscht man", er fing an, unter der Dusche herum zu springen.

Lachend sah ich zu, schüttelte aber den Kopf. "Nein Conny, so duscht man nur, wenn man verrückt oder durchgedreht ist. Versuche es einfach mal auf meine Art." 

Conny musterte mich, dann stellte er sich mit den Händen an die Wand. "Oh mein Gott, du hast Recht, so duscht man Engelchen. Das ist ja so, als wenn man, vom Himmel einen Segen bekommt. Du hast so recht."

Genüsslich stand Conny an der Wand gestützte und genoss das heiße Wasser, auf den verspannten Muskeln. Immer wieder schaute er sich nach mir um. Dann rang er sich durch, um mich lachend etwas zu fragen.

"In Ordnung Engelchen, so bekommt man die Muskeln am Rücken locker. Aber was ist, wenn die am Bauch verspannt sind?"

Musste er noch lachend los werden. Ich ging auf seinen Spaß ein und drückte mich von der Wand weg, ging einfach in die Brücke.

Sah ihn so von unten an. "Dann musst du so duschen."

Conny fing an schallend zu lachen. "Na du erst noch. Das kann ich gar nicht. Also bleiben die Muskeln verspannt."

Ich kam aus der Brücke hoch, sah ihn ernst an. "Conny wenn du lange genug unter der Dusche stehst, werden auch die Bauchmuskeln locker, du musst nur heißer duschen", gab ich ihm den Rat.

Stellte mich noch, ein paar Minuten an die Wand. Wickelte dann die Verbände ab, um die Brandsalbe abzuwaschen. Damit fertig ging ich nach vorn, um mir die Wunden im Spiegel anzusehen. Musste aber springen, da ich einfach zu klein war. Wie immer, hingen die Spiegel einfach zu hoch für mich. In der Schule, hatte der Hausmeister extra einen Spiegel für mich tiefer gehangen, damit ich Verletzungen, auch ohne springen kontrollieren konnte.

"Was machst du nun schon wieder, Engelchen? Trocknest du dich so ab?", erkundigte Conny schon wieder lachend.

Ich schüttelte den Kopf. "Nein Conny, ich will mir die Verletzungen im Spiegel ansehen, bin wie immer einfach zu klein."

Conny kam einfach auf mich zu und nahm mich, obwohl ich fast achtzig Kilo wog, einfach in der Taille und hob mich hoch. So, dass ich mir die Verletzungen ansehen konnte. Ein Zeichen, dass es ihm wieder gut ging. Aber auch, dass er über sehr viel Kraft verfügte. Es musste noch einmal Brandsalbe drauf.

"Du kannst mich runter lassen", bat ich ihn. "Conny, kannst du mir bitte kurz noch einmal helfen, die Verletzungen am Rücken zu versorgen", bat ich ihn einfach, irgendwie fiel mir das gar nicht schwer.

"Komm."

Er zog einfach eine Turnhose und einen Overall, über seinen nassen Körper und hielt mir die Hand hin. Ich ergriff sie und lief mit ihm in den Sanitätsraum, wo gestern noch mein Koffer stand. Der war allerdings weg. Also ging ich an den Schrank, so wie ich es immer machte und holte mir heraus, was ich brauchte. Eigentlich bräuchte ich hier drinnen keinen Koffer. Ich operierte immer sehr schnell und in meinem Koffer wusste ich blind, wo alles lag. Hatte diese Handgriffe, schon hundertmal gemacht.

Am Anfang, kam mir grade die Erinnerung, war das oft schwer. Wie oft hatte ich mit Dika geschimpft, weil sie planlos alles in die Koffer legte, Hauptsache es war alles drinnen. Irgendwann hatte ich ihr dann eine Zeichnung von Jaan machen lassen, von jeder Etage des Koffers, wie alles zu liegen hatte. Habe ihr erklärt, dass wir oft in Einsätzen, einfach blind in die Koffer griffen und deshalb wissen mussten, wo alles lag. Hatte ihr dann an Hand ihrer Apotheke erklärt, dass es bei ihr genauso war. Sie wahnsinnig werden würden, wenn ich ihre Apotheke umräumen würde. Da begriff sie, was ich meinte. Seit dem waren unsere Koffer, immer auf die selber Weise eingeräumt, das war sehr nützlich. In der Zeit wo mir das durch den Kopf ging, hatte ich alles zusammengesucht, was ich dann brauchte.

"Conny sieh mal, so viel musst du von der Salbe auftragen, zieh dir bitte dazu Handschuhe an, diese Salbe ist für eure Haut nicht gut."

Reichte Conny Operationshandschuhe, damit seine Haut geschützt war. Er begann sofort, mir vorsichtig die Verletzungen einzureiben.

"Conny, ich bin nicht zimperlich, du kannst ruhig etwas aufdrücken."

Dadurch ging es etwas schneller. Bald waren die Verbände gewickelt und ich erklärte Conny, wie er diese festkleben musste.

"Danke Conny."

Wir gingen nach vorn in die Halle. Da war allerdings noch keiner, da alle noch schliefen. Nur in der Kaffeemaschine, stand wie immer Kaffee bereit. Conny holte sich einen Kaffee, brachte mir einen mit.

"Hier Engelchen," bot er mir auch einen an. "Einen Muntermacher."

Verlegen sah ich ihn an. Ich hatte so etwas noch nie getrunken. Vorsichtig probierte ich einen Schluck, checke gleich meinen Körper durch, das Getränk bekam mir.

"Was ist das?", wollte ich von Conny wissen. "Das schmeckt gut."

Langsam trank ich die schwarze, etwas bitterliche Flüssigkeit, sie belebte meinen Körper, fast genauso gut, wie das Duschen.

"Das mein Engelchen, ist mein Lebenselixier, man nennt es Kaffee", erklärte mir Conny. "Hast du das noch nie getrunken?" Ich schüttelte den Kopf. "Nein Conny, ich trinke sonst nur Wasser und wenn ich hier bin Kamillentee. Wasser darf ich hier nicht trinken. Ich bin auf fast alle Lebensmittel allergisch. Deshalb ja auch der Brei. Das komische Zeug, was ihr immer esst, kann ich nicht essen. Außerdem, so hat es mir der Doko erklärt, würde ich damit verhungern, ich brauche im Ruhezustand, so wie jetzt ungefähr fünfzig bis hunderttausend Kalorien. Bei so einem Einsatz wie bei dir, am Tag ungefähr fünfhundert bis sechshunderttausend. So viel kann ich gar nicht essen. Sagt der Doko immer lachend, dann käme ich zu nichts anderen mehr."

Aufmerksam hörte mir Conny zu. "Das kann ich mir vorstellen. Dann hast du in der Zeit, wo du mich gesucht hast, ja regelrecht hungern müssen. Ach du bist ein armes Engelchen. Sag mal mein Engel, die Leute von der Soko sagen, du wärst ein spitzenmäßiger Trainer, wollen wir mal etwas machen. Mir geht es gut, wie lange nicht mehr. Ich hätte gern etwas Bewegung."

Ich stellte meine Tasse sofort hin, um mit Conny zu trainieren.

Dieser schüttelte lachend den Kopf. "Engelchen erst austrinken, kalt schmeckt das nicht."

Also trank ich den Kaffee erst einmal aus. Kaum hatte Conny auch ausgetrunken, fing ich an mit ihm zu spielen. Er war gut, wirklich gut. Aber er war auch ganz schön überheblich. Er wusste, dass er gut war. Plötzlich blieb ich stehen, da der Oberst erschien. Conny, der den Oberst nicht sehen konnte, da er mit den Rücken zu ihm stand, nutzte die Gelegenheit, um mich legen zu wollen. Da eine "Gefahr" für mich entstand, handelte ich instinktiv. Ich legte ihn mit einem Okuri-Ashi-Barai, einen Fußnachfeger, auf die Matte. Indem ich ihm einfach beide Beine wegschlug. Dabei wurde das nicht mit dem vollem Körpergewicht belastetes Bein, von außen, etwa in Höhe des Knöchels, zum Standbein hin weggeschlagen und man brachte so seinen Gegner aus dem Gleichgewicht. Conny fiel einfach seitwärts auf den Boden, dass es nur so knallte.

Es kam nur ein lautes. "Autsch", von Conny.

Das der Oberst mit einem schallenden Gelächter beantwortete. Ich schaute jedoch, erschrocken auf Conny. Der sich gerade wieder aufrappelte.

"Wie hast du das gemacht, Engelchen? Du hast doch gar nicht hingesehen."

Bevor ich überhaupt dazu ansetzen konnte zu antworten, erklärte ihm der Oberst.

"Tja Conny nun weißt du endlich, was ich meine." Er wandte sich zu mir um. "Kahlyn, sag mal trainierst du uns dann noch etwas, Conny kann ja mitmachen, wenn er will. Habt ihr zwei etwas mit einander gespielt?"

"Sir, das kann ich machen, Sir. Sie wissen ich bin froh, wenn sie mich fragen. Je besser ihr seid, umso weniger Angst muss ich um euch haben, in den Einsätzen, Sir. Ja Sir, ich hab etwas gespielt mit Conny, Sir. Conny tut mir leid, ich war gerade abgelenkt, das war ein Okuri-Ashi-Barai, den müsstest du eigentlich kennen, der Fußnachfeger, der ist in eurer Ausbildung drinnen."

Conny schüttelte den Kopf. "Aber, so hat mich damit noch keiner gelegt, mein Gott hast du Reflexe, Engelchen", musste der durchgeschwitzte Conny, noch los werden. "Ich gehe vor dem Frühstück, schnell noch einmal duschen, Willy. Könnte ich mir einen neuen Overall nehmen?"

Der Oberst nickte, winkte mich zu sich. "Kahlyn, kann ich dich kurz sprechen? In meinem Büro."

Ich folgte dem Oberst in sein Büro, wenn auch mit gemischten Gefühlen. Denn dort musste ich nur hin, wenn ich was verbockt hatte. Ich war mir überhaupt keiner Schuld bewusst. Ging schnell noch mal die letzten Stunden durch. In denen war ich allerdings ganz brav gewesen. Für den Ausraster hatte ich mich schon entschuldigt.

"Setzt dich mein Mädchen. Ach guck doch nicht schon wieder so. Es ist nichts. Ich wollte nur deine Meinung, zu etwas wissen, was ich in den nächsten Tagen entscheiden muss."

Ich sah meinen Oberst an. Immer wieder schaffte er es, mich zu überraschen. Noch nie hatte mich ein Vorgesetzter, nach meiner Meinung gefragt. Manchmal verstand ich den Oberst nicht.

"Sir, jawohl, Sir", antworte ich, trotzdem ich mich wunderte.

"Kahlyn, du hast doch gerade etwas mit Conrad Lange gespielt. Was hast du von ihm für einen Eindruck? Wie ist sein Ausbildungsstand? Conny, kommt gerade frisch von der Polizeischule, musst du wissen, ist also ein richtiges Greenhorn. Er hat in allem nur das theoretische Wissen."

Offen sah ich den Oberst an. "Sir, von seiner Kampftechnischen Ausbildung her ist er spitze, Sir. Er verfügt über eine gute Kondition, Sir. Wir trainieren seit kurz vor halb 7 Uhr, Sir. Ich würde sagen, er ist mit ein wenig Training, schnell auf dem Stand, auf dem Pille jetzt ist, Sir."

Der Oberst nickte bestätigend mit dem Kopf. "Kahlyn, das habe ich gesehen. Habe euch eine Weile beobachtet. Könnte er es schaffen, hier in der Soko Fuß zu fassen. Ich habe mich, seit dem er hier ist, mit ihm sehr ausführlich unterhalten. Er ist ein wirklich loyaler Kollege. Ich würde ihn auch, wenn er noch sehr jung ist, gern in die Soko holen. Bin mir aber nicht sicher, ob das noch zu früh ist. Er ist ja erst einundzwanzig Jahre. Normalerweise holen wir die Leute erst mit fünfundzwanzig in die Spezialausbildung. Damit sie eine gewisse persönliche Reife haben. Du musst wissen, er hat in seinem Leben schon einiges durch. Du weißt ich spreche nie über solche Sachen. Bin mir deshalb nicht ganz sicher, ob er psychisch, dazu in der Lage ist. Körperlich denke ich, ist er es auf alle Fälle."

Lange sah ich den Oberst an und ging alles, was ich mit Conny erlebt hatte, noch einmal durch. Checkte Conny auf diese Weise neu ab.

"Sir, ich würde sagen, dass Conrad Lange ein guter Zuwachs für die Soko wäre, Sir. Auch psychisch ist er meines Erachtens stabil, Sir. Soweit ich das in den paar Stunden, die ich ihn kenne einschätzen kann, Sir. Auch schafft er es sehr gut privates, von dienstlichen zu trennen, Sir. Die Geiselnahme, hat ihn mehr zu schaffen gemacht, als er hier gezeigt hat, Sir. Wenn sie ihn hier aufnehmen, kann ich ihn genauso unter meine Fittische nehmen, wie Pille, Sir. Dann ist er bald ein vollwertiges Mitglied der Soko, Sir. Oder aber ich sage ihnen, dass er das nicht schafft, Sir. Sie wissen, dass ich da sehr direkt bin. Er muss nur lernen, dass er nicht besser ist als die anderen, Sir. Er denkt oft, dass er besser ist, ähnlich wie es Pille gemacht hat, Sir."

Oberst lachte, er wusste genau, was ich meinte. "In Ordnung Kahlyn, dann hast du bald einen zweiten Schüler. Aber lasse mir den Buben ganz, der ist erst einundzwanzig. Also noch lange nicht so reif, wie Pille."

Offen sah ich den Oberst an, meine Ohren bekamen Besuch, so grinste ich innerlich. "Sir, Pille ist noch lange nicht reif und ich bin erst neun, Sir", erklärte ich ihm, da Pille, sein bester Mann, immer noch ab und an Höhenflüge bekam, wenn er seine Kollegen trainierte. Dann muss ich ihn wieder einmal, auf den Boden der Tatsachen zurück holen.

Wir standen auf und gingen nach drüben zum Frühstück. Alle bekamen Brötchen, so nennt man das, was die alle aßen und ich bekam meinen Brei. Trank als erst meinen Kamillentee, dann als Walter mit der Kanne Kaffee herum kam, um Nachzufüllen, hielt ich auch meine Tasse hin. Verwundert sahen mich alle an.

"Was guckt ihr alle so, das schmeckt lecker. Ihr habt mich nur nicht kosten lassen, weil ihr Angst habt, dass ich euch alles wegtrinke", alberte ich herum.

Die Jungs fingen schallend an zu lachen. Auch Conny lachte mit, zum Erstaunen der Andern sagte ich zu ihm.

"Na lach nur, Conny. Das wird dir gleich vergehen."

Conny lachte zurück, antwortet breit grinsend. "Willst du mich wieder legen?" 

"Ja, aber nicht nur dich, sondern alle. Vor allem will ich sehen, wie fit ihr seid."

Den meisten fiel die Kinnlade runter, weil sie jetzt wussten, das Training mit Kahlyn angesagt war. Also musste ich sie aufmuntern.

"Vielleicht schafft ihr es ja heute mich zu legen, bei alle gegen mich, ihr seid einer mehr als sonst."

Lachend sah ich die Jungs an. Die schon besprachen, wie sie vorgehen wollen. Der Oberst griff ein. Er war der gleichen Meinung, wie ich, dass es solche Absprachen nicht geben sollte. Das war in einem Kampf auch nicht immer machbar, dort musste man auch spontan und blind zusammenarbeiten. Genau das war ja das, was ich den Jungs hier beibringen wollte und sollte. Dieses blinde Zusammenspiel, wo jeder wusste, was der andere machen konnte und tat. Wo man genau wusste, wie jeder in bestimmten Situationen reagierte. Auch, wenn die Jungs das noch nicht begriffen hatten, sie machten es schon ab und zu einmal.

Siebeneinhalb Stunden trainierten wir, von kurz vor 10 Uhr bis kurz nach 17 Uhr. Die Jungs waren schweißgebadet, als ich endlich sagte, dass Schluss war. Wir gingen in die Dusche, stellten uns fast eine Stunde, unter das heiße Wasser. Da der Oberst beim Bau der Gebäude, mitentscheiden konnte, auf was er besonderen Wert legte, waren genügend Duschräume vorhanden. Auch wenn mal zwölf Einheiten da waren, gab es genügend Platz zum Duschen. So standen alle nach Kahlyn Manier, mit den Händen an die Wand gestützt und erholten sich von dem harten Training. Dann machten alle zusammen Abendbrot, ich verschwand mit dem Oberst im Büro, um wie immer die Auswertung des Trainings zu machen. Wie jedes Mal wies ich ihn daraufhin, worauf er bei wem achten sollte. Die Feinheiten die der Oberst oft nicht beachtete, die aber wichtig waren, um im Kampf die Kontrolle zu behalten. Der Oberst war zufrieden, genau wie ich. Die Jungs wurden immer besser, das erleichtert den Oberst sehr. Auch weil ich die Leistungen von Pille und Conny, als sehr gut einschätzte. Pille hatte gut trainiert, aber auch Conny war um einiges besser, als ich dachte. Er würde ein wertvolles Mitglied der Soko werden. Nach einer Stunde hatten wir alles ausgewertet.

"Sir, bitte wenn ich das nächste Mal hier bin, würde ich gern mit den Leuten auf den Parcours gehen oder auf den Schießstand, Sir. Wir haben diese Ausbildung ganz vernachlässigt, Sir."

Machte ich ihn wieder einmal darauf aufmerksam, dass dieses Training genauso wichtig war, wie das Nahkampftraining.

"Kahlyn, das Schießen können wir doch auch alleine üben. Das Nahkampftraining mit dir ist viel wichtiger."

Ich nickte, ich wusste was er meinte. "Sir, ich möchte die Jungs, nur einmal selber schießen sehen. Die sind nicht alle gut, vielleicht werden sie noch besser, Sir."

Der Oberst lachte, er kannte die Schwächen seiner Leute genau. "In Ordnung Kahlyn, das nächste Mal. Komm lass uns zu Abend essen, ich bin kurz vor dem Hungertod. Dein Training macht mich immer fertig."

Wir gingen nach vorn und setzten uns an den Tisch, aßen gemütlich. Es wurde gelacht und erzählt. Kurz nach halb neun, verschwand der Oberst, zum Duschen. Kam fünfzehn Minuten später in Uniform wieder. Verwundert sah ich ihn an. Er winkte ab und mahnte aber zum Aufbruch.

"Komm Kahlyn, packe deine Sachen. Wir müssen, ob mir das nun gefällt oder nicht. Du weißt am liebsten würde ich dich hier behalten. Aber das geht nicht."

Ich stand auf holte meinen Rucksack und dem Medi-Koffer, stellte alles auf meinen Platz. So dass wir jeder Zeit los konnten. Verabschiede mich von allen. Der Abschied von Conny fiel mir schwer. Die Jungs sahen erschrocken zu mir, weil sie mich weinen sahen. Das hatten sie noch nie erlebt. Conny nahm mich einfach auf die Hüfte und trug mich raus aus der Halle, zum Drachen. Gosch nahm mein Gepäck. So etwas hatte der Oberst noch nie erlebt. Mir war es aber egal. Mein Herz blutete, weil ich nicht wusste, ob ich ihn wieder sehen würde.

"Weine nicht mein Engelchen, wir sehen uns bestimmt mal wieder. Der Oberst hat mir versprochen, dass wir in Verbindung bleiben."

Ich nickte, legte aber den Kopf auf die Schulter meines neuen Freundes, den ich so sehr ins Herz geschlossen hatte. Der Abschied von der Soko, fiel mir jetzt noch schwerer als sonst. Aber auch Conny sah man an, dass auch ihm der Abschied schwer fiel. Am Drachen angekommen, setzte er mich ab, gab mir einen letzten Kuss auf die Stirn, drehte sich um und lief zurück. Hatte ebenfalls sichtlich Probleme seine Emotionen in den Griff zu bekommen. Erstaunt sah das der Oberst, nahm sich vor bei seiner Rückkehr, sofort mit Conny darüber zu reden. Er wollte wissen, was der Grund dafür war. Allerdings verdrängte er erst einmal diesen Vorfall. Ihm stand gleich ein, nicht sehr nettes Gespräch, mit Oberstleutnant Fiedler bevor. Der ihn bei Hunsinger schlecht machen wollte. So etwas konnte er, vor allem wollte er nicht auf sich beruhen lassen. Kurz nach 22 Uhr landeten wir in der Schule, kaum dass ich die Füße auf der Landebahn hatte, musste ich schon zum Rapport. Verwundert sah mich der Oberst an.

"Kannst du nicht erst einmal, deine Sachen in den Raum bringen?"

Verlegen sah ich zu Boden.

Der Oberst sah mich böse an. "Kahlyn ich habe dich etwas gefragt."

Ich holte tief Luft. "Sir, nein, Sir. Es ist so wie immer, kaum steige ich aus dem Flieger muss ich zum Rapport, Sir. Auch, wenn meine Leute fast sterben, daran geht nichts vorbei, Sir. Erst Rapport, dann die Versorgungen, Sir. Wenn nicht schon wieder der nächste Einsatz ist, Sir."

Wütend sah mich der Oberst an.

"Sir, ich kann doch da nichts dafür, Sir."

Da streichelte er mir erschrocken das Gesicht. "Kahlyn, ich bin nicht wegen dir wütend. Sondern wegen der Behandlung, die ihr hier bekommt."

Wir gingen zusammen mit Chris Martin und Heiko Corsten, die extra gekommen waren, um mich abzuholen, zum Haus 3 in dem Fiedler wohnte. Fuhren mit dem Aufzug nach oben in dessen Wohnung. Klopften an der Bürotür an. Es folgte ein im stets herrischen Ton gesprochenes.

"Herein." Kaum, dass ich den Raum betreten hatte, fing er an mich anzubrüllen. "Wieso 98, brauchst du fast vierzehn Tage, um eine Geisel zu finden? Sprich."

Allerdings kam ich gar nicht zum Antworten, der Oberst trat jetzt in den Raum, der noch an der Tür gelehnt hatte.

"Genosse Oberstleutnant, geht das vielleicht auch etwas freundlicher? Was bitte hat ihnen Leutnant Kahlyn getan? Dass sie diese so anschreien. Was bitte soll diese Bezeichnung mit der Zahl. Seit drei Jahren haben die Kinder, einen richtigen Namen, der steht sogar auf ihren Dienstausweisen und auf ihren Akten. Also sprechen sie Leutnant Kahlyn gefälligst mit Namen an", wies der Oberst, Fiedler zu Recht.

Bitte nicht dachte ich so bei mir. Ich durfte das dann wieder ausbaden. Fiedler der, wie nannte es der Doko, ein Zöpfchen war und seinen Vorgesetzten, immer alles recht machen wollte, reagierte ganz anders als Mayer. Fiedler agierte nur, wenn er keine Gegenwehr bekam, ansonsten machte er sofort einen Rückzieher.

"Genosse Oberst, ich habe sie gar nicht gesehen. Guten Abend erst einmal, setzen sie sich doch", bot er ihn dienstbeflissen an. Stand sofort auf und rückte dem Oberst einen Stuhl zurecht.

Danach fiel der Rapport völlig anders aus, als ich es gewohnt war. Da Oberst Fleischer dabei war, wurde ich schon nach fünf Minuten entlassen. Bekam sogar ein Lob, für gute Arbeit. Ich wurde dazu verpflichtet, mich beim Doko, nachuntersuchen zu lassen. Nach drei Stunden kam der Oberst, noch einmal kurz in unseren Raum, wollte mich noch einmal wecken. Allerdings ich schlief nicht. Da ich jeden Moment damit rechnete, zum Oberstleutnant gerufen zu werden, um das auszubaden, was mir der Oberst eingebrockt hatte. Der wollte sich allerdings nur von mir verabschieden.

"Also Kahlyn, du musst keine Angst haben. Fiedler ist nicht der Oberstleutnant Mayer, der hat gar nicht das Rückgrat, dich jetzt noch zu bestrafen. Dein Doko war eben, auch noch einmal oben. Hatte ihm auf das dramatischste erläutert, wie knapp es war. Zum Schluss war der nur noch so groß mit Hut."

Dabei zeigte mir der Oberst, einen Abstand von vielleicht zwei Millimetern zwischen Daumen und Zeigefinger.

"Du hast ein wenig Ruhe vor ihm. Also schlafe etwas. Dir geschieht nichts."

Na hoffentlich, ging es mir durch den Kopf. "Sir, danke, Sir", bedankte ich mich beim meinem Oberst, der mich noch einmal lieb in den Arm nahm. "Sir, grüßen sie die Jungs von mir, Sir."

Der Oberst streichelte mir mein Gesicht. "Kahlyn, das mache ich. Auch deinen Freund Conny. Sag mal, du magst ihn sehr, oder?"

Verlegen nickte ich. "Sir, ich weiß nicht, wieso ich Conny so mag, Sir. Es ist so ein Gefühl, als ob ich ihn schon ewig kenne, Sir. Etwa so, wie meine Freunde hier, Sir. Ich habe so etwas noch nie erlebt, Sir. Dabei kenne ich ihn doch gar nicht, Sir. Aber mein Herz tat ganz weh, als ich gegangen bin, Sir. Weil ich ihn doch nicht wieder sehe, Sir", ich konnte es nicht verhindern, es kullerten wieder die Tränen.

"Kahlyn, komm weine nicht. Ich sorge dafür, dass du Conny noch ganz oft siehst. Selbst wenn er nicht für die Soko geeignet wäre, würde ich ihn zu mir holen. Alleine schon deshalb, weil du dein Herz so an ihn gehangen hast. So etwas ist bei dir noch nie geschehen. Also höre auf zu weinen, du wirst Conny in ein oder zwei Monaten wieder sehen. Das verspreche ich dir."

Erstaunt sah ich den Oberst an, der nickte. Dann stand er auf und gab mir wie immer zum Abschied, einen Kuss auf die Stirn.

"Ich muss los. Also schlaft noch ein wenig. Ihr müsst, so wie ich es mitbekommen habe, am Mittag zu einem schweren Einsatz. Pass auf dich auf mein Mädchen."

Rashida bekam auch einen Kuss, von meinen Oberst. Der drehte sich um, ging nach vorn und schloss die Tür. Meine Rashida saß neben mir und zog mich in ihre Arme, weil ich immer noch weinte. Schon kuschelten wir uns zusammen, schliefen fast sofort ein. Wir gingen wieder zum normalen Alltag über. Nur, dass ich mich jetzt immer auf die Einsätze, bei der Soko freute. Denn dort würde ich Conny wiedersehen, der mir sehr ans Herz gewachsen war.

Kapitel 12

Fast vier Jahre waren seit diesem, für mich so besonderen Einsatz vergangen. Viele komplizierte Aufträge hatten wir seit dem hinter uns gebracht. Keiner einziger dieser Einsätze war je leicht gewesen. Zum Glück hatten wir keine Toten, mehr zu beklagen. Auch nach dem Mayer wieder gekommen war, verlief alles im gleichmäßigen Gang. Ein Einsatz folgte den anderen, dazwischen immer wieder Einzel- oder Gruppeneinsätze bei der Soko Tiranus. Auf die ich mich jedes Mal freute, denn dann sah ich Conny wieder.

Vor ungefähr einem Jahr, bei der Verabschiedungsfeier von Conny und Pille, sagte mir Pille, dass er ganz am Anfang richtig eifersüchtig auf Conny war. Weil ich ihn so schnell in mein Herz geschlossen hatte. Allerdings hatte Pille auch schnell gemerkt, dass ich zu Conny ein ganz anderes Verhältnis hatte, als zu ihm. Ich beide auf meine oft verdrehte Art gleich lieb hatte. Aber halt auf völlig verschiedene Weise. Pille war ein sehr guter Freund, für mich. Für den ich ohne mit der Wimper zu zucken mein Leben geben würde, um das seine zu retten. Conny dagegen war für mich, wie ein großer Bruder. So wie meine Kameraden in der Schule für mich, meine Brüder und Schwestern waren. Er war immer für mich da, wenn ich mich schlecht fühlte, genau wie Rashida. Oft ging es mir schlecht in dieser Zeit. Denn ich bekam oft zwischen den Einsätzen, nicht eine Minute Zeit zum Luftholen. So dass ich kaum noch atmen konnte. Dann gab mir Conny die Ruhe, die mir in der Soko sonst keiner der anderen geben konnte. Nur in seinen Armen konnte ich völlig abtauchen und mich etwas erholen, um wieder Kraft zu haben für den nächsten Einsatz. Oft fragte ich mich in dieser Zeit, wie ich das alles ohne Conny überstanden hätte.

Ach, wie hatte ich damals geweint im Dezember 1971, als die Verabschiedungsfeier von den mir besonders ans Herz gewachsenen Kämpfern war. Weil ich dachte, ich würde sie nie wiedersehen. Conny sah ich schon bei einigen Einsätzen in der Soko wieder. Nur Pille leider nicht, er hatte sich vollkommen zurück gezogen. Das bereitet mir ein wenig Kummer, denn ich vermisste ihn sehr. Der Oberst erklärte mir, aber dass das nicht böse gemeint wäre. Pille hatte in Rostock einfach alle Hände voll zu tun. So dass er überhaupt keine Zeit dazu fand, auch noch Aufträge mit der Soko zu machen. Er baute dort, von der Gründung beginnend, ein eignes Team auf. Der Oberst erklärte mir, dass er da gute drei bis vier Jahre brauchen würde, ehe ein Team so funktionierte, wie man er sich das vorstellte. Man musste erst einmal die richtigen Leute finden, die miteinander harmonierten und vom Charakter her zusammen passten. Pille brauchte also einen Grundstock für sein Team und dazu brauchte er viel Zeit und Geduld. Erst wenn diese Basiseinheit einen festen Bestand hatte, bekam Pille wieder Luft zum Atmen. Ich verstand genau, was mein Oberst meinte. Das war eine schwierige und nervenaufreibende Aufgabe. Ich bewunderte meinen Freund für diesen Mut sehr. Eins stand für mich allerdings fest. Pille würde diese Hürde mit Bravour nehmen. Er hatte sich in den letzten Jahren zu einem wirklich Teamleiter entwickelt, etwas dass ich am Anfang seiner Ausbildung nicht für möglich gehalten hatte. Es freute mich sehr, dass er vieles von dem, was ich versuchte ihn zu lehren angenommen hatte. Pille ließ mir allerding immer, wenn ich in die Soko kam, Grüße ausrichten.

Der Oberst selber, hatte schon einige Einsätze, mit Pille gemacht. Telefonierte oft mit ihm und stand ihm mit seinen Erfahrungen, beratend zur Seite. Er erklärte mir auch, dass Pille sein Team nach meinem Vorbild führte und dass ich stolz auf ihn sein könnte. Die Jungs in Pilles Einheit, würden mich alle ganz genau kennen, denn jeder zweite Satz von Pille würde mit "Lynchen..." anfangen. Lachend berichtete mir das alles der Oberst. Irgendwie war schön zu wissen, dass mein Training etwas genutzt hatte.

Ach wie oft, hatten mich die Pille und Conny gehasst, weil ich sie wieder einmal zu arg dran genommen hatte. Als ich ihnen, zum Beispiel das Wandlaufen beigebracht hatte. Hassten sie mich noch mehr als je zuvor. Aber es hatte sich für die beide Hitzköpfe durchaus gelohnt. Denn sie waren jetzt Leiter eigener und weithin bekannten Sokos. Mit sehr hohe Erfolgsquote, genau wie die Soko Tiranus, die dafür sorgten, dass man stets auf die beiden hörte und sie sehr ernst nahm.

Connys Einstieg in ein neues Team, war ein völlig anderer und er hatte es um einiges schwerer als Pille. Bei einem schweren Einsatz im Sommer 1971 wurden viele Mitglieder seines zukünftigen Teams verletzt und zum Teil sogar getötet. Der damalige zuständige Einsatzleiter, schmiss nach diesem verhängnisvollen Einsatz das Handtuch und verließ nicht nur die Soko, sondern, beendete seine Laufbahn bei der Polizei vollständig. Er zog sich in den Ruhestand zurück. Conny hatte nie erzählt, was damals eigentlich geschehen war. Er wollte darüber einfach nicht reden. Aber es musste schlimm gewesen sein. Nach der Genesung des Teams, sprach man Oberst Fleischer an. Die Soko Tiranus, hatte sich im Laufe der Zeit zu einer Kaderschmiede entwickelt, die gut ausgebildete Kämpfer hatte. Deshalb bat man den Oberst, ob er einen geeigneten Ersatz für diesen Posten hätte und jemanden wüsste, der dieses zerrüttete Team wieder aufbauen könnte. Etwas, das bis zu diesem Zeitpunkt, unvorstellbar gewesen wäre, wurde von Seiten des Obersts durchgesetzt. Der gerade einmal fünfundzwanzigjährige Conrad Lange, übernahm dieses Team und baute es innerhalb von nur einem Jahr, zu einem der besten Teams in der Republik aus. Conny hatte auf Grund seiner Jugend am Anfang einen sehr schweren Stand und gewann allerdings durch seine offene und freundliche Art, schnell das Vertrauen, des schwer geprüften Teams. Conny war halt etwas Besonderes. Er hatte sein Herz am richtigen Fleck und vor allem hatte er eins gelernt, dass Hochmut vor dem Fall kam. Er wusste genau, was er konnte. Aber er war nicht von sich eingenommen. Nur eins musste Conny erst sehr mühevoll noch lernen, dass er mehr von seinen Leuten fordern konnte, als er dachte. Aber auch das lernte er schnell. Das Training führte er nach meinem Vorbild, zeigte den Leuten, dass sie gut waren, aber auch, dass sie besser werden konnten. Sein Team führte er genau wie nun mittlerweile auch der Oberst, nach meiner Art, offen und freundschaftlich. Im Training forderten beide von ihren Leuten das Letzte. Denn Ausruhen in unserem Job bedeutet einfach, dass man sich in die Gefahr begab, getötet zu werden. Da es immer jemanden gab, der besser war als man selber. Ich freute mich für meine beiden Freunde. Sie hatten ihr Ziel erreicht. Eine eigene Soko zu leiten war von beiden ein großer Traum.

 

Seit langem, hatte ich wieder einmal einen Einsatz mit der Soko, schnell beenden können. Da die Sache völlig unkompliziert gewesen war. Der Oberst mich nur deshalb angefordert hatte, damit meine Leute wieder einmal Luft zum Atmen und etwas Zeit zum Schlafen bekamen. Seit über drei Monaten, hetzten wir ständig, von einem Einsatz zum anderen. Aufs äußerste dankbar nahm ich diese liebe Geste, von meinem Oberst an. Oft waren wir in den letzten Jahren aneinander geraten, es gab viele Missverständnisse. Allerdings hatte der Oberst es mir nie wieder übelgenommen, wenn ich offen und ehrlich meine Meinung äußerte. Traurig saß ich am Fenster und sah hinaus zu Gosch, der am Drachen herumbastelte. Ich war völlig am Boden zerstört und versuchte mich erst einmal zu beruhigen. Etwas, dass mir absolut nicht gelingen wollte.

  

Durch Zufall hatte ich gerade eine Hiobsbotschaft mitbekommen. Etwas, dass mich total aus der Spur geworfen hatte. Als ich vor einigen Minuten ins Büro von meinem Oberst gehen wollte, um mit ihm über die weitere Ausbildung von Mario zu sprechen, war ich gezwungen Dinge mit anzuhören, die mich vollkommen durcheinander brachten.

Mario, der Zuwachs, der erst seit August 1970, zur Soko Tiranus gehörte, wurde so, wie früher Pille und Conny, von mir ausgebildet. Der Neue, der Soko, hatte gute Aussichten in Connys Fußstapfen zu treten. Da ich wusste, dass der Oberst in seinem Büro arbeitete, wollte ich gerade anklopfen.

Da ich mitbekam, dass der Oberst telefonierte und wollte ihn nicht stören, wartete deshalb vor dessen Büro ab, bis er mit seinem Telefonat fertig war. Der Oberst jedoch, wurde immer lauter am Telefon. Stritt sich mit jemand darüber, dass man unsere Schule nicht einfach schließen könne. Er könnte nicht zulassen, dass man uns Kinder, einfach trennen, in irgendwelche x-beliebige Teams stecken würde, ohne Rücksicht auf Verluste.

Warum machte man das? Kamen mir die Fragen in den Kopf. Man konnte uns doch nicht einfach trennen. Wir waren doch immer zusammen. Ich saß am Tisch, starrte nach draußen ohne Blick. Stellte mir vor, wie es ohne meine Freunde sein würde. Das ging doch gar nicht. Ohne meine Freunde, wollte ich lieber sterben. Ich konnte nicht ohne meine Rashida sein, nicht ohne Jaan und ohne die anderen. Wir waren doch immer zusammen, unser ganzes Leben lang. Traurig legte ich den Kopf auf die Knie und grübelte, was wir dagegen tun konnten. Ich wusste nicht weiter.

Heute war der 11. Juli 1972 und am 30. Juli sollte eine Konferenz stattfinden, bei dem der Beschluss gefasst werden sollte, uns für immer zu trennen.

Wie sollte ich das meinen Freunden beibringen? Wie würden meine Freunde das alles aufnehmen? Noch nie hatten wir darüber nachgedacht, dass man uns irgendwann einmal trennen würde. Dass es für uns, einmal kein WIR mehr gab. Für uns stand fest, dass wir für alle Ewigkeiten zusammen leben und kämpfen würden. Wir waren doch ein Team. Uns kam gar nicht die Idee, dass man uns auseinander reißen könnte. Für uns stand felsenfest, dass wir immer auf einander aufpassen würden. Warum fragte uns nie jemand, was wir eigentlich wollten? So viele von uns waren gegangen. Mir wurde mit jeder Minute klarer, dass viele meiner Freunde damit nicht klar kommen würden. Genauso wenig wie ich, es zerriss mir mein Herz, dass man uns auseinander riss. Ich fing an zu weinen.

Plötzlich hockte Mario neben mir. "Kahlyn, was hast du? Geht es dir nicht gut? Warum weinst du?", wollte er von mir wissen.

Ich konnte nicht antworten, selbst wenn ich gewollt hätte. Ich war völlig durcheinander. Da Mario mich nicht beruhigen konnte, stand er auf und lief nach hinten in das Büro vom Oberst Fleischer.

"Willy, kannst du mal kommen, mit Kahlyn stimmt irgendetwas nicht, sie weint."

Verwundert stand Fleischer auf und ging mit Mario nach vorn. "Kahlyn, was hast du?", erkundigte sich der Oberst bei mir.

Wie hätte ich antworten sollen? Meine Stimme gehorchte mir nicht mehr, genau wie mein Körper, der anfing zu zittern. Der Oberst setzte sich auf den Stuhl neben mich und zog mich einfach auf seinen Schoss. So, wie er es oft macht, wenn ich nicht antwortete.

"Rede doch mit mir, mein kleines Mädchen. Warum weinst du?"

Ich legte meinen Kopf an seine Schulter und versuchte mich krampfhaft zu beruhigen. Nur je mehr ich versuchte mich ein zubekommen, umso schlimmer wurde es. Mit jeder Sekunde die ich darüber nachdachte, wurde mir klarer, was diese Trennung für uns bedeutete. Es ging einfach nicht. Da nahm mich der Oberst einfach hoch und lief mit mir auf den Hüften nach hinten in Richtung seines Büros.

"Ich will nicht gestört werden, erst muss ich wissen, was mit Kahlyn los ist", wandte er sich an Mario. Öffnete die Bürotür und ging hinein. Setzte sich mit mir zusammen, auf das große Sofa.

"Komm mein Mädchen, beruhige dich erst einmal. Dann erzählst du mir, was dich so aus der Spur geworfen hast, dass du weinst. Das hast du doch schon seit langem, nicht mehr gemacht", ganz lieb hielt er mich in den Armen und ließ mir die Zeit die ich brauchte, um mich zu beruhigen. Langsam bekam ich mich wieder ein. Der Oberst jedoch ging in der Zwischenzeit durch, was er in den letzten zwei Stunden gemacht hatte. Plötzlich kam ihm eine schlimme Ahnung.

"Kahlyn, wolltest du vorhin zu mir, ins Büro."

Ich nickte, weil ich immer noch nicht antworten konnte.

"Mein kleines Mädchen, hast du mich am Telefon schimpfen hören."

Wieder nickte ich nur.

Jetzt wusste mein Oberst, was mit mir los war. Drehte mein verweintes Gesicht, zu sich um. "Hör mir bitte mal zu Kahlyn. Noch steht doch gar nicht fest, dass eure Schule geschlossen wird. Da haben viele Leute ein Wort mitzureden. Viele von denen kenne ich persönlich. Ich werde ihnen auch sagen, wie du darauf reagiert hast. Noch ist eure Schule nicht zu."

Traurig sah ich ihn an. Schluckte meine Tränen nach unten. Kaum hörbar, versuchte ich ihm zu erklären, was mich bedrückte.

"Sir … ich … ich dachte … ich … ich kann immer … bei meinen … Freunden sein, Sir", schluchzte ich mehr, als das ich sprechen konnte. "Wir … wir sind doch … schon immer zusammen, Sir. Ich … ich kann doch nicht ohne meine Freunde leben, lieber … gehe ich … ich schlafen, Sir", weinend lag ich in seinen Armen. "Ich … ich … lebe doch nur … für … für meine Freunde, Sir", weinend sah mich mein Oberst an.

"Kahlyn, hat noch nie jemand mit euch darüber gesprochen, dass irgendwann einmal die Zeit kommen wird, an dem ihr euch trennen müsst?"

Ich schüttelte den Kopf, langsam beruhigte ich mich wieder, konnte wieder normal sprechen. "Sir, nein, Sir. Wir haben darüber auch noch nie nachgedacht, Sir. Für uns war klar, dass wir für immer zusammen sind, Sir. Nur der Tot kann uns trennen, Sir. Ich will nicht weg von meinen Freunden, Sir. Es ist schon immer schlimm, wenn ich hier lange bin, Sir. Da bekomme ich schon jedes Mal Fieber und meine Freunde auch, Sir. Aber, da wissen meine Freunde, dass ich zurück komme, Sir. Wir brauchen uns, Sir. Wir können nicht ohne einander sein, wir sind doch schon immer zusammen, waren noch niemals getrennt, Sir", wieder begann ich zu weinen.

Mein Oberst hielt mich fest in seinen Armen. "Komm beruhige dich, mein Mädchen. Kahlyn, jedes Kind, egal wo es auf der Welt, leben muss, trennt sich irgendwann einmal von seiner Familie. Man findet neue Freunde. Ein neues Zuhause. Aber ich finde es nicht gut, dass man mit euch in den ganzen dreizehn Jahren, noch nie darüber gesprochen hat. Das irgendwann einmal der Tag kommt, an denen ihr eure eigenen Wege gehen werdet. Jeder in einem anderen Team arbeiten muss. Kahlyn, das ist doch nicht schlimm, ihr lebt doch dann immer noch und ihr könnt euch jeder Zeit besuchen."

Ich schüttelte wie wild den Kopf. "Sir, nein, Sir. Sie können das nicht verstehen, Sir. Wir sind miteinander verbunden, Sir. Lieber will ich sterben, als ohne meine Freunde zu sein, Sir", erklärte ich ihm schluchzend, zum wiederholten Male.

Wir konnten nicht ohne einander leben, die Anderen würden dies nie verstehen können. Niemals hatten sie so eine enge Bindung wie wir sie haben. Diese Bindung hatten wir schon in den Inkubatoren, als wir noch gar nicht geboren waren. Mit jeder Minute unseres Lebens wurde diese Verbindung fester und inniger.

"Kahlyn, noch ist es nicht so weit. Wartet erst einmal den 30. Juli ab und was man dort beschließt. Dann werden wir weitersehen."

Ich schüttelte immer wieder den Kopf.

"Kahlyn, ich verspreche dir eins, wir suchen für euch Teams, die euch ein gutes zu Hause geben. Wo ihr eine Familie findet, in der ihr beschützt leben könnt. Keiner von euch, wird dann mehr geschlagen und muss jemals wieder hungern. Das habe ich dir doch schon immer versprochen. Jedes Mal, wenn du bei mir warst, habe ich dir das gesagt. Aber erst, wenn ihr sechzehn Jahre alt seid, wird diese Trennung stattfinden, nicht vorher, auch das verspreche ich dir. Gewöhnt euch bis dahin an den Gedanken, dass ihr spätestens am 31. August 1975 getrennt werdet. Daran geht leider kein Weg vorbei. Aber gut, dass du mir gezeigt hast, wie wichtig es ist, dass ihr darüber sprecht. Ich werde den Doko anrufen, damit er euch darauf richtig vorbereiten kann. Ich denke, ihm war das gar nicht so bewusst. Auch werde ich mit ihm schimpfen, dass er das noch nicht getan hat. Ich bin die ganze Zeit davon ausgegangen, dass du weißt, dass ihr mit sechzehn Jahren in eigene Teams kommt. Ihr sollt die Teams ja irgendwann einmal übernehmen."

Immer noch weinte ich. Ich konnte mich überhaupt nicht beruhigen.

"Ach mein Mädchen, beruhige dich doch. Kahlyn ich verspreche dir, ich kümmere mich persönlich darum, dass ihr in gute Teams kommt. Dass es wirklich alle gut haben. Ich verspreche es dir."

Lange sah er mich an. Er begriff es einfach nicht. Der Oberst hielt mich einfach fest und ließ mich meinen Kummer ausweinen. Wieder einmal wurde mir bewusst, dass egal war, was wir wollten. Es hatte noch nie jemanden interessiert, was wir wollten und was für uns wichtig war. Stets ging es nur darum, was für andere Teams von Nutzen war. Eine ungeheurere Wut kam in mir hoch und ließ meinen Tränenfluss versiegen.

Ich nickte, wischte mir die Tränen vom Gesicht. "Sir, entschuldigen sie, Sir. Dass ich mich habe so gehen lassen, Sir", entschuldigte ich mich, wie es sich gehörte, für mein unmögliches Benehmen. Meine Wut und meine Tränen schluckte ich wie immer herunter.

"Kahlyn, du musst dich nicht entschuldigen. Ich kann mir vorstellen, dass es ein Schock für dich war. Aber glaube mir, ich würde nie zulassen, dass es euch schlecht geht. Ihr habt alle genug gelitten. Vertraue mir einfach."

Bitter schluckte ich die Wahrheit, nickte dann aber. Es nutzte ja nichts, uns fragte ja keiner, wir mussten immer nur gehorchen.

"Sir, ich möchte nach Hause, Sir", bat ich leise.

"Willst du nicht noch etwas schlafen, mein Mädchen?"

Ich schüttelte den Kopf. "Sir, nein, Sir. Ich möchte sofort zu meinen Freunden, Sir. Jetzt erst recht, Sir."

Mein Oberst zog mich zu sich heran und gab mir einen Kuss auf die Stirn, so wie er es immer machte. Er achtete auch nicht darauf, dass ich ganz steif blieb.

"Das kann ich verstehen Kahlyn. Versprichst du mir, keine Dummheiten zu machen. Wartet erst einmal ab, was am 30. Juli herauskommt. Ich glaube nicht, dass man das Projekt so einfach abbrechen kann. Ihr seid einfach viel zu jung. Schon mit sechzehn Jahren, seid ihr noch zu jung für den Polizeidienst. Ich verspreche es dir noch einmal, ich lasse nicht zu, dass es euch schlecht geht. Kahlyn, glaubst du mir das?"

Lange sah ich meinen Oberst an und blickte dann auf den Boden. "Sir, ja, Sir", flüsterte ich mehr, als das ich antworten konnte.

"Na dann komm, ich sage Gosch Bescheid, dass er dich nach Hause fliegt."

Oberst Fleischer schob mich von seinem Schoss und stand auf, zog mich auf die Beine. Wir verließen zusammen das Büro.

"Gosch, flieg Kahlyn nach Hause. Bitte lasse unser kleines Mädchen in Ruhe. Ich erkläre euch alles, wenn du wieder da bist."

Gosch nickte, bat mich mitzukommen, es war kurz vor 9 Uhr am Morgen. Keine Minute später verließen wir die Soko. Kein Wort sprach ich mit Gosch, das war bis jetzt ganz selten vorgekommen. Zusammengerollt lag ich auf dem Sitz des Co-Piloten, weinte still in mich hinein. So etwas war mir noch nie passiert. Ich konnte mich einfach nicht beruhigen. Nach einer Stunde, landeten wir in der Schule, ich ging sofort in unseren Raum zu meinen Freunden. Nicht einmal verabschiedet hatte ich mich von Gosch.

Als die Durchsage kam, dass ich zum Rapport musste, reagierte ich gar nicht. Mir war es egal, ob mich der Oberstleutnant bestraft oder nicht. Sollte er mich doch töten, dann musste ich mich nicht von meinen Freunden trennen. Ging es mir durch den Sinn, dann musste ich diese bittere Pille nicht schlucken.

 

Traurig lag Kahlyn in ihrem Bett, weinte still vor sich hin. Als Rashida sie trösten wollte, drehte sich Kahlyn aus ihren Armen und kroch in die äußere Ecke ihres Bettes. Als Heiko Corsten kam, um Kahlyn zum Rapport zu holen, reagierte sie schon nicht mehr. Kahlyn musste erst einmal, mit sich selber klar kommen. Doko wurde immer besorgter, als er gegen 18 Uhr noch einmal nach Kahlyn sah, hatte sie hohes Fieber. Wie immer, wenn sie psychisch mit irgendetwas absolut nicht klar kam, reagierte ihr Körper mit Nervenfieber. Rashida die Kahlyn beruhigen wollte, kam genauso wenig an sie heran, wie Jaan, Doko oder Dika. Doko beschloss deshalb mit Rashida zu sprechen, er ahnte, warum Kahlyn hohes Fieber hatte. Er erhielt einen Anruf von Oberst Fleischer. Der teilte ihm den Sachverhalt mit. Deshalb ging er nach unten in unseren Raum.

"Rashida, ich muss dringend mit dir sprechen, komm bitte mal mit nach oben, auf die 6/rot. Jaan, kann auf Kahlyn aufpassen."

Rashida setzte die Brille auf und folgte dem Doko. Der sich, wie stets, wenn er mit uns sprechen wollte, an den Esstisch auf der 6/rot setzte.

"Doko, was ist mit Kahlyn, weshalb hat sie so hohes Fieber? Was ist in der Soko wieder passiert?", forderte Rashida sich Informationen ein, ohne die konnte sie ihrer Freundin nicht helfen.

Rashida setzte sich besorgt an den Tisch. Tief holte der Doko Luft. Jacob war bewusst, dass er durch das Gespräch mit Rashida, riskieren würde, dass wieder alle Kinder auf der 6/blau hohes Fieber bekamen. Er hoffte sehr, das Rashida, die Besonnene, auf diese Information nicht so heftig reagieren würde, wie Kahlyn.

"Tja meine Große, ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll. Kahlyn hat durch Zufall etwas erfahren, über dass ich mit euch eigentlich schon seit vielen Jahren sprechen wollte. Aber ich habe es immer wieder hinausgeschoben. Das hätte ich glaube ich nicht machen sollen, das habe ich gerade begriffen. Aber es ist halt geschehen. Es hat viele Gründe. Entweder wart ihr so müde, dass ihr euch nicht mehr auf den Beinen halten konntet oder schwer verletzt oder Kahlyn war schon wieder in der Soko. Na ja, auch weil ich eben vor der Reaktion, die Kahlyn jetzt zeigt, Angst hatte. Ich wollte nicht, dass ihr wieder alle Fieber bekommt."

Verlegen sah Doko Rashida an. Die musterte unseren Doko verständnislos. Noch nie hatte der Doko so rumgedruckst.

"Doko ich versteh nicht, auf was du hinauswillst, Doko. Wirklich nicht."

Jacob konnte sich das vorstellen. Aber er hatte eine wahnsinnige Angst davor die Kinder in eine Situation zu bringen, in der wieder einige der Kämpfer beschlossen schlafen zu gehen.

"Ich weiß Rashida. Bitte, wir beiden müssen zusammen einen Weg finden, diese schlechte Nachricht, deinen Freunden schonend beizubringen. Ohne, dass alle, so wie Kahlyn gerade, mit hohen Nervenfieber reagieren. Das hat deine Freundin nämlich. Ähnlich dem Fieber, dass ihr damals hattet, als ihr aus Rumänien zurück gekommen seid."

Rashida nickte, deshalb fuhr Doko fort, sah sie aber ängstlich an.

"Rashida, Kahlyn hat durch Zufall, ein Telefonat vom Oberst Fleischer, mit Polizeirat Runge in Gera mitbekommen. Es ging um folgendes…" Genau erklärte er Rashida, um was es bei der Diskussion in der Konferenz am 30. Juli gehen würde. Auch, dass dieses menschenunwürdige Projekt, vorzeitig beendet werden sollte. "… Rashida, bitte, dass ihr getrennt werdet, ist doch nichts Schlimmes. Ihr seid dann nur in verschiedenen Dienststellen, könnt sooft ihr wollt miteinander telefonieren, euch schreiben oder euch gegenseitig besuchen. Ihr seid doch nicht tot. Ihr bleibt euer ganzes Leben lang, immer eine Familie", ernst sah Doko Rashida an, auch sein großes Mädchen fing an zu weinen.

Rashida konnte sich so wenig, wie Kahlyn vorstellen, dass es ein Leben, ohne ihr Täubchen gab. Ein Leben ohne ihre Freunde, die sie schon ihr Leben lang kannte. Angst oder besser gesagt Panik stieg in Rashida hoch. Dieselbe Angst die Kahlyn erfasst hatte, die sie in das Fieber trieb.

"Rashida, bitte mein großes Mädchen, noch ist es doch nicht so weit. Es war ein Fehler, wie ich jetzt feststellen muss. Ich hätte schon viel eher, mit euch über das Thema reden müssen. Doch dachte ich immer, es hat noch so lange Zeit. Es sind noch über drei Jahre. Bitte mein Mädchen, bekomme nicht auch du noch Fieber", traurig zog er Rashida in seine Arme.

Ihm wurde erst jetzt bewusst was er für einen fatalen Fehler begangen hatte. Nie hätte es Jacob für möglich gehalten, dass seine Kinder so reagieren würden. Deshalb versuchte Jacob jetzt, das um so vieles größere Mädchen zu trösten.

Rashida nickte weinend. "Doko, aber, was wird dann aus meinem Täubchen. Sie kann doch nicht alleine schlafen, Doko. Du weißt doch wie schlimm es bei ihr ist, Doko."

Doko nickte traurig, er konnte die Angst des Mädchens verstehen. "Rashida, ich kann es dir nicht sagen. Was willst du von mir hören? Das ihr euer Leben lang, zusammen bleiben könnt. So gern ich das möchte, ich werde das nicht zu dir sagen. Das wäre eine Lüge. Ich habe euch noch nie angelogen, werde das auch jetzt nicht tun. Bitte helfe mir Rashida. Ohne deine Hilfe, kann ich Kahlyn nicht zurückholen." 

Rashida versuchte sich zu beruhigen. "Doko, ich versuche es", antwortete sie dem Doko leise, rieb sich aber immer wieder den Nacken.

Wie immer wenn Rashida nervös war und sich in einer Situation befand, mit der sie absolut nicht klar kam, fing sie auch dieses Mal an mit ihren Fingern zu spielen. Genauso wie die anderen Kinder das auch immer machten. Ganz leise kaum hörbar, informierte sie Doko über eine Sache, die der noch nicht wusste.

"Doko, das was ihr da verlangt ist nicht so einfach. Man trennt uns nicht einfach so. Ich kann dir das nicht so genau erklären. Es ist anders als bei euch, Doko. Wir sind miteinander verbunden, es ist schon immer schlimm gewesen, wenn einer starb. Immer dauerte es Wochen, bis diese Lücke geschlossen war. Ehe diese verdammte Leere verschwand. Aber, wenn man uns für immer trennt, dann zerbricht diese Verbindung für immer, Doko. Das ist schon immer furchtbar schlimm, wenn mein Täubchen in der Soko ist. Dann ist die Verbindung auch jedes Mal weg und wir bekommen alle Fieber. Verstehst du Doko. Es ist, als wenn man dir einen Arm abreist oder ein Bein, als wenn man dir die Seele zerreißt, verstehst du Doko. Als wenn ein Stück von dir fehlt. Wie soll das werden, wenn mein Täubchen nie wieder kommt, Doko. Das halte ich nicht aus", verzweifelt sah Rashida unseren Doko an, zog ihre Füße auf den Stuhl, umschlang die Knie und fing wieder an zu weinen. So schlimm, wie noch nie in ihrem Leben. Nicht einmal als man ihr sagte, dass Kahlyn am Stechlinsee gestorben sei, hatte sie so geweint.

Doko schüttelte den Kopf. "Rashida, ihr werdet andere Menschen finden, die ihr genauso liebt wie Kahlyn."

Rashida schüttelte wie wild den Kopf. "Niemand kann das, was wir haben ersetzen, Doko, diese Verbindung ist einmalig, verstehst du das nicht?", fauchte sie ihn an.

Der Doko verstand nicht, was sie meinte, wie denn auch. Er wusste nichts, von der Verbindung untereinander, konnte sich nicht vorstellen wie schlimm das war, getrennt zu sein. Dennoch war es so wie Rashida es erklärt hat. Es war, als wenn es einen die Seele zerriss, als ob einen ein Arm oder ein Bein fehlte, man war nicht mehr komplett. Die Stimmen in unserem Kopf, die uns nicht gehören, es waren die Freunde, deren Gedanken, deren Gefühle, machten uns zu einer Einheit. Auch, wenn wir ab und zu einmal alles ausschalten, waren wir aber immer ein Teil voneinander, wir spürten uns auch dann, wenn wir uns nicht hören. Wenn Kahlyn in die Soko flog, dann war es als ob man taub und stumm war. Allerdings wusste wir das Kahlyn bald zurück war. Das bald, alle wieder zusammen sein konnten. Was würde werden, wenn man für immer stumm und taub war? Wenn man nie wieder die anderen fühlen und nie wieder die anderen hören konnte? Wenn man nie wieder ihr Lachen und ihr Weinen oder ihre Trauer fühlen konnte? So konnte keiner von uns leben. Das hielt niemand aus.

Rashida fühlte wie Kahlyn, na gut die Schmerzen nicht, aber den Rest schon. Sie konnte sich vorstellen, wie schwer das sein würde. Doko sah verzweifelt Rashida an. Mit allem hatte er gerechnet, aber nicht mit dieser Reaktion von Rashida. Die ihm fast das Herz zerriss, weil er sah wie sehr Rashida litt. Nur ganz selten, hatte er in den letzten dreizehn Jahren, eine solche emotionale Reaktion von Rashida, der Ruhigsten und besonnensten der Gruppe bekommen. Wie würden die anderen darauf reagieren? Stürzte er die Kinder wieder in ein emotionales Karussell, wie damals nach Rumänien? Er musste dringend mit Willy Fleischer, dem Leiter der Soko Tiranus sprechen. Dass man versuchte die Kinder zusammen zu lassen. Bis diese bereit waren, in andere Einheiten zu gehen. Doko machte sich schwere Vorwürfe, nicht viel eher mit uns, über dieses Thema gesprochen zu haben.

"Rashida, höre mir bitte zu."

Rashida hob ihr völlig verweintes Gesicht.

"Rashida, ich werde euch genauso vermissen, wie ihr euch. Ihr seid Dikas und meine Kinder. Wir sind auch eine Familie, ohne euch wird auch unser Leben leer sein. Das Leben ist nun mal so. Nicht alles, was man will, wird man bekommen."

Rashida sah den Doko böse an, die ruhige zurückhaltende, immer beherrschte Rashida brüllte den Doko an.

"Was wisst ihr schon über uns? Waaas?...", wütend lief Rashida, schwer atmend hin und her. "… Ihr wisst doch nur das von uns, was wir euch preisgegeben haben. Das ist nicht mal die Hälfte von dem, was wir können und wissen. Niiie habt ihr euch wirklich für unsere Seelen interessiert. Immer nur wolltet ihr, dass wir euch verstehen, immer sollten wir nur für euch Verständnis haben. Wer Doko frage ich dich, hat das jemals für uns gehabt? Weeer? Niemand, nicht mal du oder die Dika. Immer heißt es nehmt Rücksicht, beachtet das Seelenheil der anderen. Aber was ist mit unserem Seelenheil? Was ist damit? Kannst du mir das einmal erklären, Doko?", brach es wütend aus Rashida heraus.

Bei den letzten Worten hatte die ruhige Rashida ihren Doko regelrecht angebrüllt. Tränen liefen ihr über das Gesicht. Schweratmend ließ sie sich an der Wand herunterrutschen und ging tief in die Taiji-Atmung, um den nahenden Ginobusanfall zu verhindern. Vor allem aber, um sich wieder zu beruhigen. Fast eine Stunde brauchte sie, um ihre innere Ruhe wieder zu finden. Doko ließ ihr diese Zeit. Er wusste, dass er jetzt nicht, in das sonst immer ruhige Mädchen eindringen durfte. Wenn Rashida so in Rage war, so wütend, dann war dies ein verdammt böses Omen. Noch schlimmer, als er es sich gedacht hatte. Doko hatte keine Ahnung, wie er diesen Fehler korrigieren sollte. Es war sein Fehler, das war ihm klar geworden. Er wollte schon seit Jahren mit seinen Kindern, wie er uns immer bezeichnet hatte, darüber reden. Aber nie war wirklich genug Zeit dazu. Diesmal jedoch, würde er sich die Zeit nehmen müssen. Das Wohl seine Kinder, war wichtiger als ein Einsatz. Diese Sache musste erst geklärt werden. Bevor die Kinder zum nächsten Einsatz gingen. Sonst bestand die Gefahr, dass die Kinder alle schlafen gingen. Das konnte und wollte er nicht zulassen. Lange überlegte Doko, wie er jetzt am besten weiter vorgehen konnte. Entschlossen ging er zum Telefon, in der Zeit in der sich Rashida versuchte zu beruhigen und rief Mayer an.

"Genosse Oberstleutnant, Jacob am Apparat. Die Kinder sind im Moment nicht einsatzfähig, bitte sagen sie bis auf weiteres alle Einsätze ab. Erst müssen wir das, mit der Auflösung der Schule klären. Jetzt ist mir auch noch Rashida zusammengebrochen. Wenn wir die Kinder so in einem Einsatz schicken, sind diese hinterher alle schwer verletzt oder sogar Tod", wollte er Zeit für ein Gespräch gewinnen.

Der Chefarzt bekam von Oberstleutnant Mayer wieder einmal nur zwei dumme Sätze zu hören.

"Dann haben wir doch ein gelöstes Problem. Die Einsätze finden statt."

Im gleichen Augenblick hatte der Projektleiter aufgelegt. Fassungslos und Kopfschüttelnd sah Jacob auf das Telefon. Rief in seiner Verzweiflung Oberst Fleischer an.

"Soko Tira…" weiter ließ unser Doko den Oberst nicht reden.

"Willy, hier ist Fritz. Bitte ich brauche deine Hilfe. Mayer will die Kinder zum Einsatz schicken. Das geht so nicht. Wir müssen erst die Sache mit der Schulauflösung vom Tisch haben. Kahlyn liegt mit über 58°C Fieber unten im Raum. Selbst Rashida, ist mir eben zusammengebrochen. Nur weil ich mit ihr gesprochen habe, um sie um Hilfe zu bitten. Wenn wir die Kinder so zum Einsatz schicken, sind hinterher alle Tod. Von Mayer bekam ich nur zu hören. "dann haben wir ein gelöstes Problem." Ich weiß nicht weiter, kannst du mit Hunsinger reden, dass ein Einsatzstopp verhängt wird. Bis wir die Sache geregelt haben?"

"Fritz ich kümmere mich darum. Bleib ganz ruhig. Ohne Kahlyn lässt Mayer, die Gruppe ja doch nicht raus. Versuche die Mädels zu beruhigen. Ich rufe Hunsinger an. Melde mich dann gleich wieder."

Im gleichen Augenblick hatte Fleischer aufgelegt. Erleichtert atmete Doko auf, Oberst Fleischer erreicht meistens, was er wollte. Also ging er nach vorn zu Rashida, die sich wieder etwas beruhigt hat. Verlegen sah sie zu ihm hoch.

 "Rashida, komm mal her zu mir."

Rashida stand auf und lief mit gesenktem Kopf auf unseren Doko zu. Der klopfte neben sich aufs Bett.

"Rashida, komm setze dich. Ich verstehe deine Wut. Du bist mit Recht wütend, doch es nutzt nichts. Es ist meine Schuld. Ich hätte schon viel eher mit euch reden sollen. Komm wir gehen nach unten, reden mit allen. Ich denke es sollten alle wissen, um was es geht, warum Kahlyn so fertig ist."

Rashida nickte.

Doko zog das Mädchen erst noch einmal in seine Arme. Ruhig lag Rashida in seinen Armen und hatte sich wieder vollständig beruhigt.

"Geht’s wieder, Rashida?", wollte Doko wissen.

Rashida nickte. "Doko, ja, Sir."

Sofort stand Jacob auf und reichte Rashida die Hand, um sie ebenfalls auf die Beine zu ziehen.

"Na dann komm, bringen wir diesen Alp hinter uns."

Beide fuhren nach unten, in die 6/blau. Was der Doko da sah, konnte er nicht begreifen. Die Kinder saßen hinten bei Kahlyn im Bett und weinten. Lagen sich schluchzend in den Armen. Jaan hielt weinend, die um sich schlagende Kahlyn in den Armen und versuchte diese zu beruhigen. Rashida lief hinter zu ihrer Freundin und nahm sie in den Arm. Drückte die hochfiebrige Kahlyn an ihren Körper. Langsam beruhigte diese sich, kam kurzzeitig zu sich. Doko der sich zu den Kindern gesetzt hat, kümmerte sich erst einmal, um den weinenden Jaan.

"Was ist los Kinder? Warum weint ihr alle?"

Rashida sah den Doko böse an. "Doko, warum hörst du nie zu. Ich habe dir doch gerade erklärt, dass wir miteinander verbunden sind. Unsere Freunde wissen, dass wir getrennt werden sollen. Sie wollen das alle nicht, Doko. Wir wollen zusammen bleiben oder alle sterben, Sir."

Fassungslos sah Doko Rashida an. Die legte sich einfach hinter Kahlyn. Zog die Freundin in ihren Arm, gab ihr etwas von ihrer Ruhe ab. Langsam wurde es etwas besser. Auch die Anderen, beruhigten sich etwas. Nach über einer Stunde hatten sich alle wieder etwas beruhigt. Wir hatten uns ausgesprochen. Fassten dem Beschluss, bis zum 30. Juli abzuwarten, was man bei dieser Konferenz beschloss. Erst dann würden wir sehen, was wir machen. Allerdings würden wir uns nicht trennen lassen. Wir gehörten für immer zusammen, nur der Tod konnte uns trennen. Das hatten wir uns, an unserem Baum geschworen. Wir legten uns einfach da, wo wir saßen zusammen hin. Wie eine Herde Tiere, die starken außen, die schwachen innen. Schliefen völlig erschöpft ein. Erst am nächsten Morgen wurden wir wieder munter und waren etwas erholt, vor allem aber Fieberfrei.

Kahlyn meldete sich zum Rapport und bekam eine Strafe dafür, dass sie nicht sofort gekommen war. Drei Tage Lichtbox. Seit dem der Oberstleutnant von seiner letzten erfolglosen Entziehungskur zurückgekommen war, wurden wir nicht mehr ausgepeitscht. Sondern wurden nur noch zur Strafe in die Lichtbox gesteckt oder aber an die Wand gehängt. Das war aber eine schlimmere Strafe, als das Auspeitschen. Den Augen tat das genau so weh, wie die Hiebe mit der Sternenpeitsche. Wir hofften nur, dass der Oberstleutnant, nie unser Geheimnis herausbekam. Der Doko, der diese Strafen nicht verhindern konnte, hatte mit Hilfe des Hausmeisters, in der Lichtbox eine Spezialbrille gelagert, die in einer drehbaren Platte versteckt war. Diese Brille absorbierte noch mehr Licht, als die Brillen die wir so auf hatten. So dass dies nicht wirklich eine Strafe, für uns war. Da wir durch die Brillen geschützter waren. Diese Helligkeit nicht mehr so extrem spürte. Auch hörte man immer rechtzeitig, durch einen speziellen Ton den nur wir hören konnten, wenn wir aus der Box geholt wurden. So konnten wir die Brille wieder verstecken. Der Oberstleutnant, bekam nicht mit, dass wir eine Brille auf hatten, da unsere Augen trotzdem schlimm entzündet waren. Die Brille verhinderte allerdings schwer bleibende Schäden. Kaum, dass Kahlyn aus der Box war, mussten wir zum nächsten Einsatz. Diesmal jedoch zur Soko. Da der Oberst nichts erreicht hatte, bei Hunsinger, hatte der Oberst kurzentschlossen einen Einsatz für uns angefordert. So dass der Doko und die Dika, die er mit angefordert hatte, Zeit bekamen mit uns in Ruhe zu sprechen.

Wir flogen immer noch ziemlich mitgenommen, in die Soko Tiranus. Dort erwartete uns eine kleine Überraschung. Wir mussten zu keinem schweren Einsatz, sondern blieben zu einem Sondertraining in der Soko. Dieses Sondertraining sollte über vier bis sechs Tage gehen. Es würde eine Übung sein, in der Geiselbefreiungen unter verschiedenen Aspekten, geübt werden sollten. Das war wichtig, um die neuen Teammitglieder, für die Soko fit zu machen. Erleichtert stellten wir fest, dass wir mal etwas Luft zum Erholen bekamen. Nach dem Training, das uns viel Spaß gemacht hatte, bat uns der Oberst gleich am ersten Abend, alle an einen Tisch, um zu beraten, wie es mit uns weiter gehen sollte. Vorsichtig sprach der Oberst, das Thema der Schulschließung an. Er hatte sich während einer Pause im Übungseinsatz, mit dem Doko über die Reaktion von Rashida und den Anderen meines Teams, zu diesem Thema unterhalten. War erschrocken, über das, was ihm Doko berichtete. Vor allem aber darüber, wie heftig wir reagiert hatten.

"Hört bitte mal her Kinder. Es nutzt nichts über Themen die einen nicht gefallen zu schweigen. Wir müssen, ob wir es wollen oder nicht, über dieses Thema einmal richtig reden. Ich weiß von eurem Doko, dass ihr über eine Trennung der Gruppe, noch nie nachgedacht habt. Allerdings wird uns nichts anderes übrig bleiben."

Als Jaan etwas sagen wollte, schüttelte der Oberst den Kopf.

"Bitte hört mir erst einmal zu, bevor ihr etwas dazu sagt."

Lange sah er in die Runde, als wir alle nickten, fing er an uns zu erklären, warum dies notwendig war.

"Kinder bitte, irgendwann wollt ihr doch auch mal ein normales Leben führen…" Er erklärte uns Dinge, die wir gar nicht begreifen konnten, da wir das alles gar nicht kannten. Was sollten wir also dazu sagen? Fragte ich mich nicht nur einmal ernsthaft. "… es geht nicht an, dass ihr ständig von einem Einsatz, zum anderen hetzt. Ihr müsst doch auch mal ausruhen, mal etwas anderes sehen, als den Kampf."

Wir schüttelten den Kopf.

Miwa begann von sich aus zu sprechen. "Sir, wir wollen nicht nur, wir müssen zusammen bleiben, Sir. Niemand hat das Recht uns zu trennen, Sir. Wir leben unser ganzes Leben lang schon zusammen, Sir. Ich verstehe nicht, Sir, warum man uns jetzt auf einmal trennen will, Sir. Wir brauchen kein…" Wie nannte er das? Fragte Miwa in der Verbindung. Raiko sagte ihr vor, wie er das bezeichnet hatte. "… kein normales Leben, Sir. Das, was wir machen, ist doch normal, Sir. Bitte Rashida hat es dem Doko schon erklärt, Sir. Man kann uns nicht so einfach trennen, Sir. Es würde uns zerstören, Sir. Wir haben eine Verbindung zueinander, Sir, die ihr nicht kennt, Sir. Wenn einer von uns stirbt, Sir. Ist das so, Sir, als wenn eine tiefe eiternde Wunde zurück bleibt, Sir. Die ewig braucht ehe sie heilt, Sir. Denken sie vielleicht, Sir, wir würden sonst so aufeinander achten, Sir. Kahlyn würde uns doch sonst nicht so beschützen, Sir. Nicht so, wie wir es tun, Sir. Wenn sie uns alle trennen, Sir, das überleben wir nicht, Sir. Wir werden alle sterben, Sir."

Lange sah Miwa bei dem, was sie versucht zu erklären, den Oberst an. Der schüttelte bei jedem Wort den Kopf. Wollte das, was Miwa sagte nicht wahr haben. Wie sollten wir ihm etwas erklären, was er nicht kannte. Deshalb versucht es Elio, einer meiner ruhigsten Kameraden, der selten laut sprach.

"Sir, bitte schütteln sie nicht immerzu den Kopf, Sir. Sie können das nicht verstehen, es ist etwas, dass sie nicht kennen, Sir. Nur wir haben diese Verbindung untereinander, Sir. Ihr habt so etwas nicht, Sir." Als er Elio unterbrechen wollte, wurde dieser laut. "Jetzt hören sie uns einmal zu, Sir. Sie können nicht verstehen, was diese Verbindung für uns bedeutet, Sir. Also hören sie uns zu, Sir", brüllte er den Oberst böse an.

Mein Oberst guckte ganz erschrocken, normalerweise war ich immer diejenige, die für unser Team sprach. Das andere zu dem Thema etwas sagten und ich schweigend da saß und nur zustimmend nickte, geschah das erste Mal. Der Oberst verstand es nicht. Auch Jaan war wütend, er bat mich in der Verbindung, ebenfalls sprechen zu dürfen. Ich fand es gut, dass ich nicht immer nur alleine, für die Gruppe sprechen musste. Dass die anderen auch mal ihre Meinung laut äußerten. Es war das erste Mal, dass die Gruppe sich stark machte. Jaan sah den Oberst bekümmert, aber auch wütend an.

"Sir, ich werde versuchen es ihnen zu erklären, Sir. Diese Verbindung die wir haben, ermöglicht es uns, ohne Worte zu agieren, Sir. Wir unterhalten uns ständig, lachen in dieser Verbindung, weinen in dieser Verbindung, Sir. Wir sind nicht das, was sie immer als Emotionslos bezeichnen, Sir. Wir weinen und lachen genauso wie sie, wie die Dika und der Doko, Sir. Wenn sie uns trennen, können wir das nicht mehr, Sir. Dann sind wir stumm und taub, Sir. Können unsere Emotionen dann nicht mehr abbauen, Sir. Können uns nicht mehr anschreien, wenn wir wütend sind, Sir. Oder uns halb tot lachen, über eine Sache, die wir lustig finden, Sir. Nicht mehr zusammen weinen, Sir. Was sollen wir dann machen, Sir. Auch wir können nicht alles schlucken, Sir. Auch wir brauchen ein Ventil, Sir. Dieses Ventil ist unsere Verbindung, Sir. Denken sie vielleicht wir schweigen uns, seit dreizehn Jahren an, Sir? Nein, die Sprache die ihr von Kahlyn gelernt habt, ist unsere Sprache, in der wir uns jede Minute unseres Lebens unterhalten haben, Sir, sogar schon in den Inkubatoren. Was denken sie, warum wir dies Sprache haben, Sir? Würden wir ständig schweigen, dann bräuchten wir dies Sprache doch nicht, Sir."

Saida fuhr fort mit den Erklärungen, da Jaan nicht mehr sprechen konnte. Bei den letzen Worten, fing er an zu weinen. "Sir, die ganzen Jahre haben wir dies Verbindung geheim gehalten, weil wir nie jemanden trauen, Sir. Wir sagten ihnen das auch nur deshalb, weil wir nicht getrennt werden wollen, Sir. Ich halte es nicht aus, die anderen nicht mehr zu hören, Sir. Es ist schon immer schlimm, wenn Kahlyn in der Soko ist, Sir. Dann tut uns alles weh und wir bekommen alle Fieber, Sir. Es ist so, als ob wir ins Bodenlose stürzen, Sir. Bitte lassen sie nicht zu, dass man mich von meinen Freunden trennt, Sir. Dann will ich nicht mehr leben, Sir."

Alle nickten zu den Worten von Saida. Alle waren der gleichen Meinung, wie die vier die gesprochen hatten. Netis, die in der Zeit als ich verschollen war, die Einsätze für mich in der Soko übernahm, sah den Oberst an.

"Genosse Oberst, stellen sie sich einen Raum vor, in dem viele Menschen sind, die miteinander reden, doch sie können nichts hören, Sir. So ist diese Verbindung für uns, Sir. Sie können diese Menschen nicht hören, doch die Menschen hören sich untereinander, Sir. Sie sind es gewohnt, dass es um sie herum immer laut ist, Sir. Wie würden sie sich in so einem Raum fühlen, in dem sie ausgeschlossen sind, Sir. So ist es bei uns, wenn wir bei ihnen sind, Sir. Wir sind es nicht gewohnt laut zu reden, Sir. Das macht meistens nur Kahlyn, Sir. Trennen sie uns, dann ist in unserem Kopf alles ruhig, Sir. Es ist schrecklich, Sir. Als ich bei ihnen in der Soko alleine war, bin ich fast verrückt geworden, Sir. Doch ich wusste, dass ich wieder zurückkomme, zu den anderen, Sir. Wenn ich das nicht mehr habe, dann drehe ich durch, Sir."

Weinend sah sie den Oberst an, der immer noch nicht verstand, was wir versuchten ihm klar zu machen. Jetzt meldete sich auch noch Raiko zu Wort.

"Genosse Oberst, stellen sie sich einmal vor, Sir. Sie sind mit Gosch zusammen unterwegs, Sir. Sie sitzen auf dem ersten LKW, Gosch auf dem zweiten, Sir. Der erste wird angegriffen, Sir. Sie sagen Gosch in der Verbindung, ohne dass der Feind das hören kann, pass auf wir werden angegriffen, bleibe stehen, Sir. So müssen sie sich das vorstellen, Sir. Das haben wir schon gehabt, als wir noch in den Inkubatoren waren, Sir. Damals konnte zwar nur Kahlyn reden, Sir. Aber wir hörten schon ihre Stimme, Sir. Wir hörten schon ihre Sprache, Sir. Auch wenn mir die Sprache nicht gefällt, wird sie mir doch fehlen, Sir. Bitte lassen sie nicht zu, dass man uns trennt, Sir. Ich kann ohne die anderen nicht leben, genau wie die anderen nicht ohne mich leben können, Sir."

Der Oberst starrte uns alle an. Alle sagten ihm das Gleiche.

"Kahlyn, sag doch bitte auch einmal etwas dazu", bat mich jetzt Raiko, weil ich im Gegensatz zu sonst, einfach nur schweigend zu gehört hatte. Ich nickte, sah aber meinen Oberst traurig an.

"Sir, wenn sie uns trennen, Sir. Dann hätten wir in China bleiben sollen, bei den Mönchen, Sir. Da wären wir lieber gemeinsam verhungert, als uns das anzutun, Sir. Ich weiß besser als alle anderen, wie schlimm diese Trennungen immer sind, Sir. Ich bin schon so oft in der Soko gewesen und habe dann immer unsere Verbindung nicht, Sir. Eine Zeitlang kann ich damit klar kommen, genau wie die anderen, Sir. Wenn ich dann in die Schule zurück kehre, dann sauge ich die anderen regelrecht aus, Sir. Wie ein Schwamm, der das Wasser aufsaugt, Sir. Ich weiß nicht, ob wir es mit der Zeit lernen können, ohne einander klar zu kommen, Sir. Aber wenn wir das lernen sollen, dann brauchen wir eine lange Zeit, um uns darauf einzustellen, Sir. Machen sie das von heute auf morgen, Sir. Sind wir nach einigen Wochen alle qualvoll gestorben, Sir. Das Fehlen der Verbindung, würde uns töten, Sir. Jedes Mal, wenn ich alleine in der Soko bin, Sir. Bekomme ich hohes Fieber, Sir. Ich weiß, dass das Fieber von der fehlenden Verbindung kommt, ich bin in der Lage dieses Fieber zu steuern, Sir. Aber, das können nicht alle meiner Freunde, Sir. Das ginge auch nicht auf Dauer, Sir. Was glauben sie, wie lange wir dieses Fieber aushalten, wenn sie uns alle trennen, Sir. Viele von meinen Leuten, würden den Kampf gegen das Fieber einfach aufgeben, Sir. Alleine wollen wir nicht leben, Sir. Wir waren immer zusammen, Sir. Wissen sie noch wie lange es gedauert hat, ehe ich mit ihnen und den Leuten hier klar gekommen bin, Sir? Fast fünf Jahre, Sir. Jetzt geht es langsam, Sir. Aber die anderen, Sir. Kennen doch nur uns, Sir. Wie glauben sie, würden meine Kameraden in anderen Einheiten alleine klar kommen, Sir? Ich kann es mir nicht vorstellen, dass das einfach sein wird und ob das überhaupt möglich ist, Sir. Lassen sie uns die Zeit, die wir brauchen, um uns an diesen Gedanken zu gewöhnen, Sir. Um uns darauf einzustellen, Sir. Der Doko hat uns gesagt, das geplant war dieses Projekt bis zum 1. September 1975 durchzuführen, Sir. Bewirken sie, dass wir diese Zeit bekommen, Sir. Ich verspreche ihnen nicht, dass wir es schaffen werden, Sir, ohne große Probleme damit klar zu kommen. Ich werde versuchen, meinen Kameraden dabei zu helfen, Sir. Doch von heute auf morgen, tut mir leid, dann werden wir alle sterben, Sir. Das würde uns umbringen, Sir."

Lange sah ich den Oberst an. Der stützte den Kopf auf die Hände, saß grübelnd am Tisch. Fast zehn Minuten brauchte er, um einen klaren Gedanken zu fassen.

"Hört bitte einmal genau zu, Kinder. Ich habe etwas an der Sache nicht richtig verstanden. Irgendwie verstehe ich nicht, was das mit dieser Verbindung sein soll und wie das funktioniert. Allerdings akzeptiere ich eure Begründung. Vor allem deshalb, weil ihr alle das Gleiche erklärt habt. Ihr wollt ohne diese Verbindung nicht leben. Passt auf, ich versuche durchzusetzen, dass ihr bis Ende August 1975 zusammen bleiben könnt. Versprechen kann ich euch das aber nicht. Es hängt nicht nur von meiner Stimme ab. Sondern es sind über vierzig Leute, die das zu entscheiden haben. Aber ich werde mein bestes geben. Bitte Kinder, gewöhnt euch an den Gedanken, dass ihr ab den 31. August 1975 getrennt werdet. Das werde ich nicht verhindern können, egal was ich auch versuchen werde. Daran geht kein Weg vorbei. Aber ich werde euch die Zeit verschaffen, die ich kann, damit ihr euch daran gewöhnen könnt. Ihr seid doch dann nicht tot. Ihr könnt einander schreiben, euch gegenseitig besuchen. Ihr werdet immer wieder einmal Einsätze miteinander machen. Es ist nur so, dass ihr an verschiedenen Orten, in verschiedenen Teams arbeitet. Ich verspreche euch eins, ihr werdet den besten Teams zugeteilt, die ich für euch finden kann. Ich suche die Teams persönlich für euch aus und überprüfe auch, dass es euch dort gut geht. Vor allem dass ihr vor Ort auch ordentlich betreut werdet. Das verspreche ich euch, so wahr ich hier vor euch sitze und ich breche meine Versprechen nie. Ihr habt euch den Frieden mehr verdient, als jeder andere hier. Könnt ihr mit diesem meinen Versprechen leben? Mehr kann ich euch nicht versprechen, ohne dann als Lügner dazu stehen", ernst und fragend sah er uns an.

Lange noch diskutieren wir, über das wenn und aber. Allerdings drehten wir uns ständig im Kreis. Wir hatten begriffen, dass eine gemeinsame Zukunft, für uns nicht möglich war. Wir mussten uns einfach damit abfinden, dass wir keinerlei Rechte zur Mitbestimmung hatten, wir wurden wie immer entmündigt. Also akzeptierten wir das, was sein musste. Was blieb uns auch anderes übrig? Niedergeschlagen nahmen wir an diesem Übungseinsatz teil, hingen oft unseren Gedanken nach. Das brachte uns einige böse Rügen, vom Oberst ein. Wir waren einfach nicht bei der Sache.

Am Abend des zweiten Trainingstages, beschlossen wir in der Gruppe, es zu nehmen, wie es kommt. Wir würden sehen was geschah, schlafen gehen, konnten wir immer noch. Nach dem wir diesen Beschluss gefasst hatten, ging es uns besser. Wir hatten auf einmal wieder Spaß an dem Training und waren wieder voll bei der Sache. Der Oberst verlängert diesen Übungseinsatz, sogar noch auf zehn ganze Tage, weil er wollte, dass seine Leute richtig gefordert wurden. Aber auch, weil er merkte, dass wir immer mehr Spaß, an dem Spiel hatten. Er gönnt uns diesen kleinen Spaß, diese Auszeit, vor allem diesen, unseren ersten kleinen Urlaub. Am Abschiedsabend allerdings, griff er das Thema Trennung noch einmal auf.

"Kinder, ich möchte mich bei euch ganz lieb bedanken, für dieses tolle Training. Mit jedem Tag wurde es besser. Auch, wenn ich eine empfindliche Stelle bei euch jetzt treffe, möchte ich euch trotzdem noch etwas sagen. Das, was ihr in diesen letzten Tagen empfunden habt, war Spaß. So fühlt es sich an, wenn man Frei hat, um Dinge zu tun, die einen Spaß machen und mit Menschen zusammen sein kann, die man ganz sehr mag. Dieses Gefühl solltet ihr euch behalten. Dieses Gefühl, soll euch verdeutlichen, was es heißt ein normales Leben zu führen. Ich habe mich mit einigen von euch unterhalten. Auch ich habe begriffen, dass ihr vor zehn Tagen gar nicht begreifen konntet, was ich mit normalen Leben meinte. Ich hoffe dieses Gefühl hilft euch, eure Zukunft nicht mehr so dunkel und böse zu sehen. Das Leben und das könnt ihr mir glauben, kann auch sehr viel Spaß machen. Auch ohne diese Verbindung, die ihr habt. Die ich immer noch nicht richtig verstanden habe. Aber vielleicht könnt ihr eine andere Bindung, zu anderen Menschen aufbauen. Dann macht euch das Leben, in den neuen Einheiten, vielleicht auch etwas Spaß. Zu meinem Versprechen stehe ich. Daran geht kein Weg vorbei. Ich werde dafür Sorge tragen, dass ihr es richtig schön habt."

Lange sah er uns an, wir verstanden jetzt, was er meinte. Oft hatten wir uns in den letzten Tagen, über dieses Thema unterhalten. Wir glaubten ihm, dass er ehrlich war, mit dem, was er sagte und er für uns nur das Beste wollte. Damit kehrten wir in unseren Alltag zurück, kaum dass wir wieder in der Schule waren, ging es zum nächsten Einsatz. Alles kurze, einfach Einsätze. Wir sollten bei der Konferenz dabei sein, die am 30. Juli stattfand. Zu der wir durch das Engagement von Oberst Fleischer, auch eingeladen wurden. Mayer wollte, dass wir dort einen Schaukampf vorführten, damit er die Genehmigung bekam das Projekt wie geplant, bis zum Ende durchzuführen. Doko hatte es irgendwie geschafft, den Oberstleutnant auf unsere Seite zu ziehen. Wie immer er das gemacht hatte, wir waren ihn sehr dankbar dafür. Wir saßen hinter der Bühne in einem Raum, warteten auf unser Startzeichen. Raiko allerdings bekam die Möglichkeit, für uns Schüler zu sprechen. Wie immer bewunderte ich ihn dafür, wie er das machte. Er fand genau die richtigen Worte. Ich war felsenfest der Meinung, dass Raiko derjenige war, der diese Leute von der Notwendigkeit überzeugt hatte, uns noch drei Jahre Zeit zu geben. Wie nannte es Raiko? Wir bräuchten diese Zeit, um uns begreiflich zu machen, dass wir für die anderen Teams, eine wichtige Ergänzungen waren. Wir müssten allerdings erst lernen, ohne unsere Freunde klar zu kommen. Vor allem aber wäre es notwendig, uns allen beizubringen ein Team zu führen. Bis jetzt könnte das nur Kahlyn. Allerdings bräuchte die Ausbildung Zeit, dreiunddreißig Kämpfer in der Teamführung auszubilden, wäre nur möglich wenn wir die drei Jahre Zeit zugestanden bekämen. Das wäre ein großer Vorteil in Kampfeinsätzen, in unseren späteren Teams. Außerdem könnten wir dann noch einige wichtige Prüfungen ablegen, die für unsere zukünftigen Teams von Vorteil wären. So bekamen wir unsere Gnadenfrist, konnten uns seelisch und moralisch darauf einstellen, dass man uns einfach trennen würde. Konnten uns auch darauf vorbereiten, mit uns fremden Menschen zusammen zu arbeiten. Davor hatten wir die meiste Angst.

Der Oberst forderte jetzt immer zehn Mitglieder meines Teams zu Einsätzen an, damit wir die Zusammenarbeit mit anderen Teams erlernen konnten. Bis jetzt hatten wir stets alleine gekämpft. So verging die Zeit wie im Flug. Wir wurden immer lockerer im Umgang mit anderen Teams. Gewöhnten uns daran, mit den Anderen zu kämpfen. Nur eins blieb das Gleiche, kaum waren wir von einem Einsatz zurück, mussten wir ohne Atempause zu dem nächsten Einsatz hetzen.

Kapitel 13

Völlig zerschlagen schleppten wir uns ins Quartier, zu müde, um noch zu duschen. Ich stützte Rashida die eine schwere Bauchverletzung hatte, damit sie endlich in ihr Bett kam. Schleppte mich noch einmal nach vorn, um den Doko anzurufen. Am Telefon wählte ich die Notrufnummer 0001, es meldete sich Major Martin.

"Notrufzentrale, wo können wir helfen?"

Mit kaum noch hörbarer Stimme flüsterte ich, da ich kaum sprechen konnte. "Sir, hier ist Kahlyn, Sir. Könnten sie bitte Dika und Doko Bescheid geben, ich brauche ihre Hilfe, Sir. Alleine schaffe ich es nicht mehr, meine Leute zu versorgen, die Koffer sind leer, Sir."

Erschrockenes Atmen hörte ich am anderen Ende der Leitung. "Klar Kahlyn, ich sag Bescheid", legte Chris auf.

Jetzt hatte ich ein paar Minuten Ruhe. So, wie ich den Hörer aufgelegt hatte, ließ ich mich an der Wand nach unten rutschen, blieb einfach in meinem eigenen Blut sitzen. Ich war viel zu fertig, um noch einmal nach hinter in mein Bett zu gehen.

Auf den Rückflug von Sacalaz, das unweit von Timisoara in Rumänien lag, musste ich meine Kameraden notversorgen, die bei dem schlimmen Einsatz verletzt wurden. Ich war gerade damit fertig den Letzten zu versorgen, als wir landeten. Jetzt stand nur noch der Rapport bei Mayer aus. Eigentlich müsste ich duschen gehen, damit ich wieder wie ein Mensch aussah. Aber es war egal, der Oberstleutnant würde mich so oder so anschreien. Also konnte ich mir die paar Minuten Ruhe noch gönnen.

Außerdem brauchte ich nicht erst nach hinten gehen, spätestens in zehn Minuten wusste Mayer, dass wir wieder da waren. Dann ging das Gebrüll wieder los. Wie ich diesen Menschen hasste, das konnte sich keiner vorstellen. Aber man musste es nehmen wie es kommt. Ich würde die paar Minuten, bis der Oberstleutnant kam, einfach nutzen um zu schlafen. Also rollte ich mich unter dem Telefon, auf dem Boden einfach zusammen und schlief sofort ein. Kaum zehn Minuten später, bemerkte ich, dass mich jemand anfasste, öffnete müde die Augen.

"Komm Kahlyn, leg dich doch ins Bett. Sprich mit mir."

Jacob sah mich mitleidig an. Ich schüttele den Kopf, sprach ohne auf die Etikette zu achten. Bei Doko konnte ich mir das erlauben.

"Doko, kümmere dich um die anderen, lass mich ein paar Minuten schlafen, bitte. Ich muss bestimmt gleich zum Rapport. Ich habe seit fünf Tagen nicht geschlafen."

Wieder rollte ich mich einfach zusammen. Ich wusste Jacob würde mich die paar Minuten schlafen lassen. Kurz danach merkte ich, wie mich jemand mit einer Decke zudeckte. Hörte im Hintergrund leises Flüstern. Fast zwanzig Minuten konnte ich schlafen, bis die herrische Stimme Mayers an der Tür zu unserem Zimmer erklang. Wütend wurde die Tür aufgestoßen und knallte gegen die Wand.

"98, zum Rapport sofort, ein bisschen Bewegung, wenn ich bitten darf. Was soll dieses Rumgeziere. Heb deinen fetten Arsch."

Sofort sprang ich auf und ging auf den mich anschreienden Oberstleutnant zu.

"Du Drecksau, wie siehst du denn aus? Kannst du dich nicht mal waschen? Da sieht man wieder mal, dass ihr keine Menschen seid. Ihr seid nur wilde dumme verwahrloste Tiere. Los unter die Dusche, mit dir Dreckschwein."

Mayer drehte sich zu seinem Assistenten um. "Reimund, bringe diese Drecksau unter fließendes Wasser. So dreckig betritt dieses Stück Vieh, nicht mein Büro. Dann stinkt es wieder tagelang, wie die Pest. Mach hin, ich will in die Mensa zum Abendessen", brüllte Mayer diesen an.

Schwankend ging er in Richtung Sicherheitstür. Dort drehte er sich noch einmal um.

"Reimund, in fünfzehn Minuten, will ich diese dreckige Schwein zum Rapport sehen, also mache hin."

"Jawohl Genosse Oberstleutnant", sagte Reimund ruhig. Ergriff meinen Arm und zog mich in Richtung Duschraum.

"Los wasche dich und mache hin. Sonst brüllt er mich wieder den ganzen Abend an. Lässt seine sowieso schon miese Laune, wieder an mir aus. Ich hole dir saubere Wäsche", bot er mir Hilfe an.

Mühsam ging ich in die Dusche, machte das Wasser an, zog mich unter der schon laufenden Dusche aus. So sparte ich ein paar Sekunden an Zeit und konnte dadurch wenigstens ein paar Minuten, das heiße Wasser genießen. Drei Minuten später stand Reimund schon in der Tür und drängelte, wie immer.

"Los nimm Seife, damit er riecht, dass du gewaschen bist. Beeil dich mal etwas, in zwei Minuten kommt das Taxi, da musst du fertig sein."

Schnell seifte ich mich ein, spülte den Dreck und die Seife ab und trocknete mich ab. Ich drückte mit einen Handtuch auf die Wunde, sah Reimund an, signalisierte ihm so, dass ich etwas sagen wollte.

"Was ist 98, sprich."

Immer noch lief Blut aus der Wunde an meinem Arm.

"Sir, darf ich mich noch verbinden, Sir?"

"Dazu haben wir keine Zeit, das hättest du im Flugzeug machen können. Fertig, sprich."

Also zog ich den sauberen Overall an und ging auf Reimund zu.

"Sir, ich hatte nichts mehr zum verbinden, die Koffer waren leer, Sir. Sie können fahren, Sir", gab ich ihm Bescheid, dass wir fahren können.

"Dann los."

Erteilte Reimund das Kommando. Er stieg auf den Multicar und der Fahrer fuhr sofort los. Wie immer, durften wir diesen Komfort nicht nutzen, sondern mussten dem Wagen hinterher laufen. Was eigentlich kein Problem war. Aber, wenn man so fertig war wie ich an diesem Tag, war es einfach zu viel. Schwankend immer wieder strauchelnd, lief ich hinter Reimund her. Der Fahrer des Multicars verlangsamt etwas das Tempo, da er merkte, dass ich kaum noch folgen konnte. Dafür bekam er sofort einen Anpfiff, von Reimund.

"Matthias fahre zu oder hast du Lust, wegen dem Stück Dreck dahinten, dann die Laune von Sigmar abzubekommen? Der ist sowieso heute schon wieder super mies drauf. Der hat sein Limit an Alkohol überschritten und ist kaum noch zu genießen. Hat eine Laune, wie lange nicht mehr. Wenn diese Kreaturen nicht da sind, kann der doch nirgends Frust ablassen. Also geb Gas."

Deshalb lief ich so gut es ging, hinter den Männern her. Mir tat Matthias der Fahrer leid, das war ein ganz Lieber, oft schlich er sich heimlich zu uns. Brachte uns im Auftrag vom Doko Brei, damit wir mal etwas zu essen hatten. Wie viele im Projekt, hatte er Mitleid mit uns. Traute sich allerding nicht mehr, sich so offen wie der Doko, gegen Mayer zu stellen. Kaum, dass wir am Haus Nummer 2 angekommen waren, sprang Reimund vom Wagen.

"Danke Mathias, bis nachher in der Mensa", rief er über die Schulter und lief schon auf die Haustür zu.

"Mache hin 98. Los ein bisschen Bewegung", brüllt er mich an und schob mich ins Haus.

Reimund jagte mich die Treppe hoch, in den zweiten Stock. Öffnete die Tür mit seiner Karte. Wie schon so oft dachte ich bei mir, oh mein Gott, es hatte sich nichts verändert. Alles war noch so wie damals, vor vierzehn Jahren. Eine Decke lag auf dem Sofa, mit exakt ausgerichteten Kissen. Die gleichen Blumen standen in der Vase, genau an der gleichen Stelle, wie damals. Eine Schale mit, wie nannte es Ilka immer, ihren Lieblingskeksen stand auf dem Tisch. Daneben lagen, ein Schulheft und ein Stift. Wirklich nichts, hatte sich verändert. Wie oft dachte ich schon in den letzten Jahren: Es war kein Wunder, dass er nicht über Ilkas Tod hinwegkam. Wenn er nichts änderte, an seiner Wohnung. Reimund stieß mich von hinten weiter.

"Träumen kannst du in deinem Bett. Ja sieh nur hin, dort lag Ilka immer, du Missgeburt. Du hast meine kleine Maus getötet. Du bist schuld an unserem Leid."

Was half es diesem Menschen zu erklären, dass wir nicht schuld daran waren. Sie begriffen es nicht, sie wollten die Schuld bei uns suchen. Also ließ ich ihn reden, wir hatten sowieso an allem schuld. Wir waren es ja gewohnt.

Reimund klopfte an der Tür, eine scharfe und eiskalte Stimme, brüllte: "Herein", die gepaart war mit einer unsagbarer Wut.

Na das konnte ja heiter werden. Ich machte mich auf das Schlimmste gefasst.

Reimund öffnete die Tür und schubste mich hinein, blieb selber aber draußen.

Ich machte zwei Schritte ins Zimmer, nahm Haltung an und spannte gleichzeitig alle meine Muskeln an, um mich zu schützen. Das dauerte keine zehn Sekunden, das dauerte dem Oberstleutnant schon wieder zu langen und er begann sofort zu brüllen.

"Bekomme ich keine Meldung von dir Missgeburt, sprich", schrie er mich an.

Ich salutiere, ging wieder in die vorgeschriebene Haltung und nahm die Hände auf den Rücken, senkte den Kopf. Ich stand stramm, während ich Meldung machte und hob etwas ich den Kopf, sah allerdings am Oberstleutnant vorbei.

"Genosse Oberstleutnant, Einsatz erfolgreich beendet, Sir. Große Verluste auf Seiten der Rebellen, wir haben leichte bis mittelschwere Verletzungen, bei der Einheit, Sir. Einsatz erfolgreich abgeschlossen, Sir. Alle sind einsatzfähig, keine Ausfälle, Sir", meldete ich mit fester leiser Stimme und nahm Haltung an.

Sofort senkte ich meinen Blick wieder zu den Füßen von Mayer. Schwäche zeigen, vor diesem Menschen, war sehr ungesund. Das sollte man tunlichst unterlassen. Selbst dann, wenn man seinen Kopf schon unter den Arm trug.

"Kannst du mir sagen 98, warum ein Auftrag der nur drei Stunden dauern sollte, fast sieben Tage gedauert hat? Wieso habt ihr bei so einem einfachen Auftrag, überhaupt Verletze? Seid ihr wirklich zu allem zu dämlich? Seid ihr zu blöd, die einfachsten Sachen hinzubekommen. Zu was bilden wir euch Bastarde überhaupt so gut aus, wenn ihr nicht die einfachsten Sachen hinbekommt. Sprich."

Ganz leise, in einem gezielt freundlichen Ton antwortete ich. "Sir, wir sind nicht zu dumm, Sir. Nur hat die Aufklärung schlecht gearbeitet, Sir. Die Rebellen waren nicht dort, wo es die Aufklärung vermutet hatte, Sir. Wir mussten sie erst suchen, Sir. Auch waren es fast viermal so viele, Sir."

"Ja klar, bei euch ist immer die Aufklärung schuld. Ihr habt euch irgendwo ein paar schöne Tage gemacht. Faul in der Sonne rumgelegen und die Aufklärung ist schuld. Wir sitzen hier, machen uns Sorgen. Aber ihr habt nichts Besseres zu tun, als irgendwo baden zu gehen und es euch gut gehen zu lassen. Ihr seid, abscheuliche Kreaturen, man hätte euch nach eurer Geburt sofort alle töten sollen. Dann wäre uns das alles erspart geblieben", brüllte er mich, wie immer an.

Wie oft, hatte ich diese Sätze wohl schon gehört? Es war immer das Gleiche, immer die gleiche Leier, bei wirklich jedem Rapport. Konnte sich Mayer nicht endlich etwas anderes einfallen lassen. Langsam wurde es langweilig. Wütend stand Mayer auf, trat auf mich zu. Schlug wie eine besengte Sau mit voller Wucht, auf meine Verletzungen am Arm. Mayer hatte wie immer, den Fleck auf den Overall entdeck. Der von der Verletzung stammte. Das Blut der Armwunde, spritzte nach allen Seiten weg. Natürlich auch gegen die Bilder von Ilka, die nur knappe vierzig Zentimeter von mir entfernt auf einer Kommode standen. Als ob ich da etwas dafür konnte. Wenn Mayer mir unbedingt auf die offene Wunde schlagen musste, dann konnte er auch damit rechnen, das Blut herumspritzte. Ach, wie ich diesen Menschen hasste, es wurde jedes Mal schlimmer. Ich musste mir immer mehr Mühe geben, dass ich ihn nicht an die Kehle ging.

Heute jedoch flippte er völlig aus. Reimund hatte recht. Der Oberstleutnant, hatte wieder einmal seinen Spiegel an Alkohol bei weitem überschritten. Er ging jetzt mit massiver Gewalt gegen mich vor und schlug mit brutaler Gewalt auf mich ein. Ich blieb einfach stehen und ließ die Schläge an mir abprallen. Die Wut jedoch, kochte in mir immer höher. In meinen Gedanken hörte ich meine Rashida, die mich flehentlich darum bat, mich herunter zu atmen.

"Täubchen, bleibe ruhig. Bitte ich brauche dich, wer soll uns sonst versorgen. Der Doko kann das nicht so gut, wie du. Bitte bleibe ruhig. Wir brauchen dich hier unten. Chim braucht dich, bitte. Er verblutet mir hier, unter den Händen. Bitte Täubchen, ich bekomme es alleine nicht hin."

Völlig verzweifelt klang meine Freundin, also hielt ich still und ließ mich lautlos verprügeln. Sorgte so dafür, dass der Oberstleutnant sich abreagieren konnte. Nach fünf Minuten, gab der Oberstleutnant auf. Der viele Alkohol setzte seine Kondition ein schnelles Ende und machte diese, obwohl sie früher einmal sehr gut war, zunichte. Er hatte sich wieder beruhigt.

"98, in zwei Stunden ist die Antonow wieder startklar. Bis dahin seid ihr alle wieder fit. Sorge dafür, dass deine Kreaturen dort unten wieder auf ihren Füßen stehen. Diese verdammten Jammerlappen haben zu parieren. Ist das klar 98?", wütend und immer noch schwer atmend, schaute er mich an.

"Sir, jawohl, Sir."

"Der Ordner liegt auf den Tisch. Einen Einsatz den ihr so hoffe ich, nicht wieder versaut. Wenn ihr den wieder in den Sand setzt, dann bekommt ihr alle drei Wochen Lichtzelle. Sag das deinen abartigen Kreaturen da unten. Hau ab, bevor ich dich gleich jetzt töte."

Beim letzten Wort ließ sich Mayer auf seinen Stuhl, hinter dem Schreibtisch fallen. Schwer atmend und sich ständig die Haare raufend, konnte man fast Mitleid mit ihm bekommen. Schade dass dieser Mensch sich auf diese schlimmer Art verändert hat.

"Sir jawohl, Sir", gab ich ihm zur Antwort, knallte die Fersen zusammen und machte einen Schritt auf den Tisch zu. Schnell schnappte ich mir den Ordner. Drehte mich zackig um und verließ den Raum, froh darüber keine schlimmere Strafe bekommen zu haben. Kaum aus der Tür, kam der Betreuer Reimund auf mich zu.

"Hat er sich wieder abreagiert? Sprich", erkundigte er sich kurz bei mir.

"Sir, jawohl, Sir", antwortete ich ihm sofort.

"Na Gott sei Dank. Dieser Mensch war ja die letzten Tage nicht mehr zum Aushalten. Los verschwinde."

Reimund öffnete mir die Tür und ließ mich heraus.

"Sir, jawohl, Sir."

Ohne Zeit zu verlieren, begab ich mich sofort auf den Weg nach unten. Schleppte mich nach hinten ins Haus 6 und nach unten auf die 6/blau. Knallte den Ordner einfach auf den Tisch. Erst musste ich noch meine Kameraden richtig versorgen, dann würde ich mir den Mist ansehen. In dem Moment als ich unseren Raum betreten hatte, kam schon der Doko wieder in den Raum.

"Kahlyn, wie geht es dir. Die Zentrale sagte mir gerade, du brauchst meine Hilfe. Warum hast du das vorhin nicht gleich gesagt? Eure Koffer füllt die Dika gerade auf."

Schwankend ging ich hinter zu Chim. Nicht bereit zu reden. Mir tat jeder einzelne Knochen weh. Mein Arm blutet so stark, dass ich ihn erst einmal abbinden musste, um die Blutung zum Stillstand zu bringen. Vorsichtig hoben wir Chim, auf eine Trage und brachten ihn hoch auf die 6/rot. Um im OP-Saal, seine schlimmen Verletzungen am Rücken und der Schulter zu versorgen. Nach zwanzig Minuten hatten ich ihn stabilisiert und ihn für den nächsten Einsatz fit gemacht. Er würde also nicht ausfallen. Widme mich sofort der schweren Bauchverletzung Rashidas, die ich in der Antonow, nur notversorgen konnte, da meine Koffer leer waren. Auch diese war nach acht Minuten versorgt. Dika Anna übernahm das Verbinden. Sofort wurde mir Andi gebracht, der einen Lungenschuss hatte, den ich ebenfalls nur provisorisch versorgen konnte. Auch den versorgte ich, genau wie die Verletzungen von Jiro und Netis. Doko versorgte in der Zwischenzeit, die leichten Verletzungen der anderen. Nach über einer Stunde, ließ ich mich einfach an der Wand im OP-Saal, nach unten rutschen. Ich konnte einfach nicht mehr. Doko kam und half mir beim öffnen des Overalls. Er klebte die tief in den Muskel gehende Verletzung. Versiegelte die verletze Arterie. Klebte die Wunde zu und nähte diese im Anschluss noch, zur Sicherheit. Gab mir eine Injektion mit B32, einem starken Schmerzmittel, eine mit J53, ein Mittel, welches wir in so einem Fall wie heute, zur schnellen Blutregeneration verwendeten. Ganze fünf Minuten blieb ich sitzen. Dann stand ich auf und half meinen Leuten wieder auf die Beine und scheuchte alle zum Duschen.

"Doko, schaffst du es, uns wenigstens einen Brei nach unten zu bringen. Bitte Doko, wir haben seit über fünf Wochen nichts gegessen."

Völlig fertig rieb ich mir das Gesicht. "Kahlyn, geht duschen, ich mache euch sofort einen Brei. Egal, was der Oberstleutnant sagt. Bevor ihr los macht, wird gegessen."

Dankbar sah ich meinen guten Doko an. "Beile dich Doko, wir müssen in zwanzig Minuten auf dem Flugfeld sein."

Eilig gingen wir zum Aufzug und fuhren nach unten auf die 6/blau, um wenigstens duschen zu gehen. Ganze fünf Minuten blieb ich unter der Dusche stehen und gönnte mir einen Luxus, der mehr als selten war. Zweimal an einem Tag zu duschen, wann hatte ich das letzte Mal, solch einen Luxus gehabt. Ich wusste es nicht mehr. Sofort trocknete ich mich ab und zog mir einen sauberen Overall an, lief nach nebenan in unseren Raum. Alle saßen schon am Tisch und hatten schon mit Essen begonnen, da Dika Anna schon einen Brei zubereitet hatte. Ich setzte mich auf meinen Platz an der Stirnseite des Tisches und griff nach dem Löffel. Drei ganze Löffel Brei konnte ich gegessen, als mit einem gewaltigen Knall, die Tür aufflog. Der Oberstleutnant brüllend den Raum betrat und auf den Doko losging, wie ein Berserker.

"Wer hat ihnen gestattet Genosse Oberst diesen Kreaturen, etwas zu Essen zu machen? Wer hat ihnen den Befehl dazu gegeben?"

Sofort ging Mayer mit massiver Gewalt, gegen den Doko vor. Da Doko mit keiner Silbe damit gerechnet hatte, dass Mayer unseren Raum betrat und schon gar nicht, hier in unserem Raum von Seiten seines Vorgesetzten tätlichen angegriffen zu werden, verlor er das Geleichgewicht und schlug mit dem Kopf gegen das Stahlbecken, welches an der Wand hing. Ein unschönes Geräusch zeugte davon, dass dieser Sturz nicht ohne Verletzung abgegangen war. Unser Doko blieb regungslos liegen. Der Oberstleutnant schlug weiter auf den bewusstlosen Chefarzt ein. Selbst der Schrei von Dika Anna, hinderte ihn nicht daran, weiter auf den wehrlosen und am Boden liegenden Mann einzuschlagen und zu treten. Zwei Schläge später lag der Oberstleutnant selber bewusstlos am Boden. Wurde von mir, mit einem Griff in die Nackenmuskulatur schlafen gelegt. Mit der konkreten und kurz gerufenen Anweisung.

"Ralo, Doko – Lasst Doko, liegen. Drö, Dika – Helft Schwester Anna. Krantonak, etries Jawefan – Ich mache das Krantonak, lasst mich schlafen, im tiefen Schlaf."

Lief ich auf meinen Doko zu. Kniete mich neben Doko und setzte meine Brille ab. Um unserem Doko, dessen Halswirbelsäule gebrochen war, das Leben zu retten. Ich setzte das Krantonak ein, die rote Heilung. In dem ich mich auf das zu heilende Gewebe und die Knochen konzentrierte, konnte ich diese wieder in den ursprünglichen Zustand versetzen. Auch, wenn diese Fähigkeit, mich wehrlos machte und ich im Anschluss der Wut des Oberstleutnants völlig wehrlos ausgesetzt sein würde, musste ich dies tun. Unser Doko durfte nicht sterben. Auch wusste ich, dass mich die anderen beschützen würden. Nicht nur einmal, hatte ich meinen Kameraden mit dieser Fähigkeit, ihr Leben gerettet. Vor allem hatte der Doko immer versucht uns zu beschützen, genau wie unsere Dika. Jetzt waren wir an der Reihe, die beiden zu beschützen.

Ich reparierte durch das Krantonak den entstanden Schaden an der Wirbelsäule und stellte die Verbindung der Nerven wieder her. Nach fast neunzig Minuten hatten ich fast alles reparieren können, was durch den Sturz kaputt gegangen war. Um wieder zu Kräften zu kommen, ging ich danach in das Jawefan, den tiefen Schlaf. In dem ich in wenigen Minuten, wieder zu Kraft kommen konnte. Stürzte ohne Bewusstsein neben dem Doko auf den Boden. Der Oberstleutnant der während dieser Zeit, das Bewusstsein wieder erlangt hatte, schrie tobend wie ein Verrückter im Raum herum. Wollte mich totschlagen. Diesmal wurde Mayer allerdings von meinen Leuten in Schach gehalten. So dass ich mich im Jawefan, erholen konnte. Dika kniete weinend und schluchzend neben ihren Mann. Nach einer weiteren Stunde, so lange brauchte ich, um mich zu erholen, kam ich wieder zu mir. Dort, wo ich gelegen hatte, neben dem Doko. Unser Doko war immer noch bewusstlos, aber daran konnte ich jetzt nichts mehr ändern.

"Dika, der Doko muss in ein Krankenhaus. Ich kümmere mich darum, dass ihr abgeholt werdet. Tut mir leid Dika, wir müssten schon fast zwei Stunden unterwegs sein. Ich kann jetzt nichts mehr, für ihn tun. Seid einfach hier, wenn wir wiederkommen, dann bringe ich den Rest in Ordnung. Mach dir keine Sorgen."

Beruhigend streichelte ich ihr das Gesicht und stand auf. Eilig griff ich nach dem Ordner und gab das Kommando für den Abmarsch. Der Oberstleutnant war am Brüllen, wie ein Berserker. Kam wütend auf mich zu.

"Das wird Folgen für sie haben, 98. Sie greifen ohne Grund den Chefarzt an, das werden sie bereuen, 98. Hoffen sie, dass sie diesen Auftrag nicht überleben. Ich werde sie, hinterher so fertig machen, dass sie sich wünschten, sie wären in Chile geblieben. Machen sie hin die Antonow, sollte schon seit Stunden unterwegs sein."

Ohne Ende brüllte er mich an. Das alles prallte von mir ab. Es war doch klar, dass wieder ich die Schuld bekam. Wer auch sonst? Ich war doch immer an allen schuld. Sofort gingen wir im Laufschritt zur Antonow. Gut, dass ich wenigstens einige Löffel Brei essen konnte. Dadurch war der Hunger nicht mehr ganz so schlimm. Kaum an der Antonow angekommen, stiegen wir ein. Im gleichen Moment startete die Maschine, wir hatten nicht mal Zeit uns anzuschnallen. Ich ging vor zu den Piloten, denen ich vertraute. Sie wussten nur zu genau wie man uns von einem Einsatz zum nächsten hetzte. Die Piloten konnten wenigstens zwischendurch schlafen. Wir nur ganz selten, in letzter Zeit fast nie.  

"Guten Abend Genosse Melker, wissen wie lange wir fliegen, Sir? Guten Abend Genosse Neugebauer", begrüßte ich nun auch den Copiloten.

"Kahlyn, wir fliegen über zwanzig Stunden. Wir müssen einige Male auftanken. Macht es euch bequem. Ihr habt doch wieder nicht schlafen können."

Verlegen sah ich die beiden an und druckste herum.

"Kahlyn, raus mit der Sprache, was hast du auf dem Herzen. Nur um nach der Flugzeit zu fragen, kommst du doch nicht hier vor."

"Sie haben Recht, Genosse Neugebauer, Sir. Könnten sie mir eine Verbindung zur Soko Tiranus machen, Sir? So dass der Oberstleutnant das nicht mitbekommt, Sir? Der Oberstleutnant, hat gerade unseren Doko fast getötet, Sir", bat ich verzweifelt um Hilfe und Verschwiegenheit.

"Wie den Doko fast umgebracht?"

"Sir, ich erkläre das gleich, bitte ich brauche als erstes diese Verbindung, Sir. Es wäre wichtig, bitte, Sir. Ich habe Angst, um den Doko und die Dika, Sir."

Der Copilot, stellte wortlos die Verbindung zur Soko her. Alle mochten unseren Doko. Oft genug hatten sie alle schon Behandlungen, vom Oberstleutnant abbekommen. Wussten wie schlimm das oft war. Auch drehte Neugebauer den Funk, für mich extra leise. Es tat gut, dass es Menschen gab die auch uns kannten und wussten, was uns nicht gut tat.

"Soko Tiranus, Oberst Fleischer am Apparat. Was ist los Kahlyn? Wieso rufst du mich an, das hast du doch noch nie getan?"

Man hörte ihm die Nervosität an. Noch nie hatte ich von mir aus, den Oberst angerufen. Wenn ich keinen Einsatz mit ihm habe. Stets war er es der mich angerufen hatte.

"Sir, entschuldigen sie bitte die Störung, Sir. Ich hätte sie nicht anrufen lassen, wenn es nicht wirklich wichtig wäre, Sir. Genosse Oberst, gerade hat Oberstleutnant Mayer unseren Doko fast tot geschlagen…" Mich kurzfassend, so genau wie möglich, schilderte ich das, was gerade passiert war. "… Genosse Oberst, wir sind schon wieder auf dem Weg, zu einem neuen Einsatz. Wir können weder den Doko, noch die Dika beschützen, Sir. Bitte Sir, können sie sich bitte, um die Beiden kümmern Sir. Ich habe Angst um die Beiden, Sir. Ich bin nicht da, um ihnen zu helfen, Sir."

Vergeblich versuchte ich mich zu beruhigen, der Oberst kannte mich sehr gut. Er wusste genau, wann ich gegen die Tränen kämpfte.

"Kahlyn, wie geht es deinem Doko? Weinst du, ist es so schlimm?", wollte er wissen.

"Er ist stabil, sollte allerding in ein Krankenhaus, seine Halswirbelsäule war gebrochen, Sir. Ich habe die Verletzungen nur grob reparieren können, da der Oberstleutnant im Raum war und getobt hat wie ein Verrückter. Dadurch konnte ich nicht alles ausheilen, er wird erst einmal gelähmt sein, Sir. Wenn ich von dem Einsatz zurück komme, Sir. Kann ich die restlichen Schäden, noch vollständig beseitigen, Sir. Nur im Moment ging das nicht, Sir. Ich hatte keine Kraft mehr und wir mussten ja schon wieder los, Sir."

Die Frage, ob ich weinen würde überging ich einfach.

"Kahlyn, mein kleines Mädchen, keine Angst, ich kümmere mich persönlich, um deinen Doko und deine Dika. Sehe zu, dass dir bei dem Einsatz nichts passiert. Ich fliege selber in die Schule, um nach dem Rechten zu sehen. Bringe deinen Doko und die Dika in Sicherheit."

Erleichtert atmete ich auf. "Genosse Oberst, danke, Sir. Jetzt kann ich mich um den Einsatz kümmern, Sir."

Erleichtert reichte ich dem entsetzt zu mir blickenden Copilot, den Kopfhörer, um nach hinten zu laufen. Als er etwas fragen wollte schüttelte ich den Kopf. Ich hatte keine Zeit für endlos Diskussionen über hätten, können und sollen. Ich musste den Einsatz noch vorbereiten. Vor allem musste ich etwas schlafen. Ich konnte mich vor Müdigkeit, kaum noch auf den Beinen halten. Auch, wenn meine Freunde, den Ordner schon durchgearbeitet hatten, musste ich alles koordinieren.

Erleichterung sah ich, auf den Gesichtern meiner Kameraden, als ich nach hinten kam. Nicht nur ich hatte Angst, um unseren Doko und die Dika. Die einzigen Menschen, die immer nett zu uns waren und ständig versuchten, uns zu beschützen. Zügig arbeitete ich mit den anderen, einen Einsatzplan aus. Dann legten wir uns schlafen, rollten uns einfach, auf den Sitzen und im Gang zusammen. Schliefen einen tiefen, vor allem erholsamen Schlaf, von über fünfzehn Stunden. Die Piloten weckten uns erst kurz vor der Landung, in Santiago de Chile.

 

Auf dem nahe der Hauptstadt gelegenen Flugplatz angekommen, verließen wir die Antonow und liefen zu dem bereitgestellten Lkw, der hiesigen Polizei, um uns in den Präsidentenpalast nach La Moneda bringen zu lassen. Dort meldete ich mich, bei dem zuständigen Offizier, der Carabineros de Chile. Mit Hilfe von Raiko, der für mich das Dolmetschen übernahm, erklärten wir unseren Auftrag. Zu unserer Verwunderung, wusste dieser über unsere Eintreffen, gar nicht Bescheid. Als ich verlangte, mit einen der persönlichen Carabineros von Allende zu sprechen, verwies man uns des Büros.

Verwundert ging ich zurück, zu den anderen. Wir diskutierten eine Weile, über das für und wider dieses Auftrages. Wir wollten uns mit unseren Vorgesetzen in Verbindung setzten, da uns so etwas, noch nie passiert war. Bekamen allerdings über den Funk, keine Verbindung. Die Rücksprache mit der Schule war notwendig, weil wir nicht sicher waren, wie wir uns in diesem Fall verhalten sollten. Wir konnten weder mit der Schule, noch mit unseren Piloten in Verbindung treten, das war ungewöhnlich. Da wir den Auftrag übernommen hatten, den Präsidenten von Chile, Salvador Allende zu beschützen, würden wir das auch tun. Auch, wenn man uns, wie es schien, hier nicht haben wollte.  

Am 9. September 1973, begannen wir die Suche nach dem Präsidenten. In den frühen Morgenstunden des beginnenden Tages. Wir hatten also noch gute drei Stunden, um alles vorzubereiten. Vor allem, das lautlose Eindringen in den Palast zu planen. Ich ging mit Ana und Kimi, meinen beiden besten Spürnasen los, um den Zugang zum Palast auszukundschaften.

Die anderen zogen sich auf meinen Befehl hin, an den Stadtrand von Santiago de Chile zurück, um aus der Schusslinie zu kommen. Der gesamte Auftrag bereitete mir schlimme Bauchschmerzen. Meine Kameraden informierten mich über die dortige missliche Lage und so änderte ich meinen Befehl, um alle in Zugriffsnähe behalten zu können. Da sie eine Stelle fanden, in der wir gute Deckung hatten. Unmittelbar in der Nähe des Präsidenten Palastes, etwa zwei Kilometer nordwestlich davon, lag ein kleiner Wald, dort richteten wir unser Lager ein. Hoch oben in den Bäumen, legte sich mein Team erst einmal schlafen. Wir waren seit Wochen kaum zum Schlafen gekommen. Der Mangel an Nahrung hatte sie genug geschwächt, so kamen sie etwas zur Ruhe und wieder etwas zu Kräften.

Zu Dritt gingen wir auf Erkundung, um den Palast von allen Seiten auszukundschaften. Nach über zwölf Stunden, kamen wir zu der traurigen Erkenntnis, dass wir zu spät gekommen waren. Nachdem wir uns wieder beim Team eingefunden hatten, beschlossen wir den Präsidenten zu suche. Nach über sechsundfünfzig Stunden intensiver Suche, waren wir uns sicher, das Salvator Allende nicht mehr am Leben war. Die Spuren die wir fanden, führten alle aus dem Palast heraus und waren mit viel Blut vermischt, die Hoffnung den Präsidenten noch lebend zu finden, sank damit gegen Null. Der am dritten Tag unseres Aufenthaltes in Chile, stattfindende Putsch von Seiten des Militärs, bestärkte uns darin noch. Vor allem verstanden wir auf einmal, warum man uns hier nicht haben wollte.

Vergeblich versuchte Kaija unsere Funkerin, Kontakt mit der Schule und dem Oberstleutnant aufzunehmen, um unsere Abreise zu besprechen, aber sie konnte niemanden erreichen. Nach einer kurzen Beratung unseres Teams, beschlossen wir, zur Antonow zurück zu kehren und den Auftrag als nicht machbar einzustufen. Merker, Neugebauer und unsere Antonow, waren allerdings nicht mehr auf dem Flugplatz. Wie wir nach intensiver Nachforschung herausfanden, wurde der Flieger schon wenige Minuten nach unserer Ankunft, hier in Chile, zurückbeordert oder von der hiesigen Regierung ausgewiesen.

Der Oberstleutnant hatte uns, so kam mir die Vermutung, hier ausgesetzt. Mayer wollte uns auf diese Weise endlich los werden. Wie er das erreichen konnte, war mir schleierhaft. Ich hoffte nur für ihn, dass das alles ein blöder Zufall war und er nichts mit unseren daraus resultierenden Problemen zu tun hatte. Sonst konnte ich für seine Sicherheit nicht mehr garantieren.

Das wir jetzt ein richtiges schwerwiegendes Problem hatten, wurde uns sofort klar. Wir saßen hier, in einem uns völlig fremden Land fest. Welches sich in einer völligen Ausnahmesituation befand. Ich zog mich mit meinen Leuten, wieder in dieses Wäldchen zurück. Immer wieder versuchte Kaija, über Stunden hinweg, mit unserer Basis Kontakt aufzunehmen, in unserer Verzweiflung sogar mit Oberst Fleischer von der Soko Tiranus. Allerdings blieb unser Funk absolut tot.

Verzweifelt sahen wir uns an. Lange beratschlagten wir, wie wir weiter vorgehen sollten. In all den Jahren des Kampfes, war es noch nicht vorgekommen, dass man uns nicht abholt hatte. Wir waren ratlos. Also ließ ich meine Kameraden in den Bäumen erst einmal schlafen. Ging selber vorsichtig auskundschaften, ob wir an ein Flugzeug heran kommen konnten, welches uns zurück in die Heimat brachte. Das stellte sich als schwieriges Unterfangen heraus, da der Flugplatz schwer bewacht wurde. Nach weiteren achtundvierzig Stunden begriffen wir, dass wir in Chile festsaßen.

Verzweiflung machte sich in uns breit, etwas was wir noch nie gefühlt hatten. Wir waren völlig überfordert. Wir waren für alle sichtbar, als feindliche Soldaten erkennbar, bewaffnet bis unter den Haaransatz. Da uns Mayer seit Monaten ständig in voller Bewaffnung zu den Einsätzen schickte. Wir sahen keine großen Möglichkeiten, aus dieser Situation heraus zu kommen. Auf solch ein Szenario hatte uns niemand vorbereitet. Jiro brachte es auf den Punkt. Wir dachten alle das Gleiche, nur sprach es außer ihm keiner aus.

"Kahlyn egal wie wir es drehen, wir müssen hier weg. Es wird nicht sehr lange dauern, bis man uns anfängt zu jagen. Was denkst du, wie lange wir uns verstecken können? Wir sind dreiunddreißig bis unter die Zähne bewaffnete Eindringlinge. Was glaubst du, machen die mit uns, wenn die uns finden? Wir haben nur zwei Möglichkeiten, wir stellen uns. Dann werden wir gefangen genommen oder wir versuchen uns ein Flugzeug zu organisieren und fliegen nach Hause. Auf diese Weise, haben wir wenigstens eine geringe Chance", ernst sah er mich an.

Ich raufte mir verzweifelt die Haare. "Verdammt Jiro, du weißt schon, wie gering diese Chance ist? Sie liegt bei unter einem Prozent."

Jiro, aber auch die anderen nickten.

Gan ergänzte wohl das, was Jiro dachte. "Kahlyn, dann haben wir es wenigstens versucht. Können später nicht sagen, hätten wir doch", breit grinste er mich an.

"Gan, bist du dir im Klaren darüber, was die mit uns machen, wenn die uns dabei erwischen?", statt Gan antwortete mir Netis.

"Das ist doch offensichtlich, die nehmen uns auseinander. Aber sei mal ehrlich, schlimmer als der Oberstleutnant, können die doch auch nicht sein", dabei grinste Neti mich breit an. "Wir sind doch sowas gewöhnt."

Alle stimmten zu.

"Na hoffentlich, bereuen wir diesen Beschluss nicht. Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl dabei. Aber ich denke, ihr habt recht. Egal, wo wir hingekommen, keiner der angrenzenden Staaten, wird uns helfen hier raus zu kommen. Wir sind auf uns selbst gestellt. Kaija, du versuchst bitte weiter, eine Verbindung zum Oberstleutnant oder zur Soko aufzubauen. Einar, Saida, Cetin, Mila, Ana Kimi und ich wir sehen uns um. Nehmen nur das nötigste, an Ausrüstung mit. Ihr anderen haltet euch bedeck, bleibt oben in den Bäumen. Ich denke hier haben wir die beste Chance, unentdeckt zu bleiben. Keiner würde uns so nahe beim Palast suchen, vor allem nicht hier oben in den Bäumen. Ihr schlaft immer in zwei Gruppen. Bitte schlaft und nutzt die Zeit, um zu Kräften zu kommen. Wir sieben werden erst einmal sehen, ob wir vielleicht in der Nähe einen Flugplatz finden, der nicht so gut bewacht wird, wie dieser hier vor Ort. Ihr anderen bleibt hier und verhaltet euch still. Es kann sein, dass ich eine Woche brauche ehe ich wieder zurück bin. Ich muss über zweitausend Kilometer Strecke laufen und habe also keine Ahnung, wie ich bis dorthin durchkomme", ernst sah ich mein Team an.

Alle bestätigten durch nicken, dass sie verstanden hatten und sahen mich verzweifelt an. Deshalb gab ich meinen Kundschaftern, das Zeichen zum Aufbruch. Nur mit unseren Nahkampfwaffen ausgerüstet, machten wir uns auf den Weg. Einar und Cetin schickte ich, zum hiesigen Flugplatz. Die Beiden sollten auskundschaften, ob es eine Möglichkeit gäbe, gleich hier an ein Flugzeug heranzukommen. Auch, wenn ich das, für fast unmöglich hielt. Mila schickten wir in Richtung Süden, um den Flughafen von Concepción, auszuspionieren. Der circa fünfhundert Kilometer, von uns entfernt war und am Meer lag. Ana lief in die gleiche Richtung, hielt sich allerdings etwas westlicher und kundschaftete den Flughafen, in Temuco aus. Der noch ein Stückchen weiter im Süden lag, über siebenhundert Kilometer von uns entfernt und sich mitten im Landesinneren befand. Mit Kimi, Saida zusammen lief ich erst einmal in Richtung Norden. Kimi kundschaftete den Flugplatz von La Serena aus, der nur knapp fünfhundert Kilometer nordwestlich von Santiago de Chile am Meer lag, Saida die fast genauso schnell lief wie ich, begleitete mich die tausendfünfhundert Kilometer lange Strecke, nach Antofagasta. Einem kleinen Flughafen, der sich am Meer befand. Ich begab mich noch weiter nach Norden, zu dem Flugplatz der die größte Wahrscheinlichkeit, eines machbaren Zugriffs hatte. Arica lag nur wenige Kilometer, unterhalb der Grenze nach Peru. Ich überlegte mir, dass dies der sicherste Flugplatz sein würde. Keiner der Carabineros, mit denen wir es zu tun hatten, würde vermuten, dass wir diesen weitentfernten Flugplatz für unsere Flucht nutzen würden. Der Flugplatz lag über zweitausend Kilometer, von unserer jetzigen Position entfernt. Dort, war ich der Meinung, hatten wir die größte Chance. So gut es ging, hielten wir uns die ganze Zeit bedeckt und liefen in einem hohen Tempo, in Richtung unseres Ziels. Immer um Deckung bemüht, so dass uns niemand sah. Stellten allerdings fest, das im ganzen Land das Militär die Herrschaft übernommen hatte. Also blieb uns wirklich nur diese eine Option, der Flucht aus dem Land. Ganze zwei Tage benötigte ich, um nach Arica zu kommen. Allerdings stellte ich schon bei meiner Ankunft fest, dass ich keine Chance hatte, meine Leute hier in ein Flugzeug zu bekommen. Auch, wenn der Zugriff hier ein leichtes gewesen wäre. Es war nur ein kleiner Flugplatz. Die Maschinen die noch auf dem Flugfeld standen, waren fast ausschließlich Privatmaschinen, mit bis zu maximal sechs Personen. Keine der Maschinen war für einen Flug geeignet, den wir vor uns haben. Wir mussten fast sechstausend Kilometer fliegen und das mit dreiunddreißig Leuten. Es hatte keinen Zweck, sich hier lange aufzuhalten. So machte ich mich verzweifelt, auf den Rückweg.

Nach nur drei Tagen, kehrte ich zu meinen Leuten zurück, deren Lage sich nicht verbessert hatte. Kaum war ich in unserem Versteck angekommen, nutzte ich die Möglichkeit beschützt zu schlafen. Ich war todmüde, nicht nur vom Laufen im hohen Tempo. Sondern auch, weil ich schon seit Wochen keinerlei Reserven mehr besaß. Ich hatte außer den drei Löffeln Brei, seit Wochen keine Nahrung bekommen und war kurz vorm dem Verhungern. Die Flugplätze von Einar, Cetin, Saida und Ana kamen für unsere Flucht, auch nicht in Betracht. Nur Mila und Ana brachten gute Nachrichten. Nach der Auswertung aller Möglichkeiten, entschieden wir uns in Richtung Temuco aufzubrechen. Dem einzigen Flugplatz, auf dem wir  eine kleine aber reelle Chance, auf Flucht sahen.

Am späten Abend des 19. September 1973, also am zehnten Tag unseres Chileaufenthaltes, machten wir uns auf den Weg. Kamen am Morgen des 20. Septembers, dort unbehelligt an. Auf das Genauste sondierten wir die Gegend, beobachten den Wachwechsel und die Zeitabläufe. Es würde kompliziert werden, mit ein bisschen Glück, war es machbar. Drei große für uns geeignete Maschinen, standen auf dem Flugfeld und waren vollbetankt. Wir mussten für unseren Zugriff, nur den richtigen Moment abwarten. Ungeduld würde uns hier nichts nutzen. Dass günstige an dem kleine Flugplatz war die Lage, unmittelbar neben der Rollbahn befand sich ein kleines Wäldchen, von wo aus wir operieren konnten. Auch wurde der Flugplatz der sehr günstig lag, vom Militär genutzt. Was den Vorteil hatte, dass die Zeitabläufe sich ständig wiederholten. Im Gegensatz zu zivilen Flugplätzen, gab es dabei diesem einen festen militärischen Rhythmus.

Fast zwei Wochen waren wir jetzt schon in Chile. Immer noch versuchte Kaija, zu jeder vollen Stunde, eine Verbindung, zum Oberstleutnant oder den Oberst zu bekommen. Mayer hielt sich entweder bedeckt oder wollte nicht mit uns Kontakt aufnehmen. Der Oberst dagegen, wusste ja gar nicht wo wir genau sind und konnte uns deshalb nicht erreichen. Wir hatten für diesen Auftrag einen gesonderten Kanal zugewiesen bekommen, da wir ja über eine weite Strecke funken mussten. So hatten es mir Kaija wenigstens versucht zu erklären. Weil ich nicht verstand, weshalb wir nicht einfach den Oberst anfunken konnten. Irgendwie verstand ich das alles nicht. Aber ich vertraute meinen Funkern. Mayer traute ich zu, dass er unseren Notruf nicht hören wollte. Das war das, was wir alle vermuteten. Der Oberstleutnant wollte nicht, dass wir zurück kamen und hatte uns wahrscheinlich schon längst aufgegeben.

Ich verstand das sehr wohl. Mir fielen immer wieder die Worte, vom Stechlinsee ein. Ich wollte allerdings meinen Freunden, nicht den letzten Funken Hoffnung nehmen. Also kämpfte ich mit ihnen zusammen darum, nach Hause zu kommen. Ich musste es akzeptieren, wie es ist, es blieb mir doch nichts anders übrig.

Auch gingen wir noch andere Optionen durch, die wir für die Flucht hatten, aber keine davon kam in Frage. Nicht in unserem jetzigen ausgehungertem Zustand. Es wäre blanker Selbstmord gewesen, noch schlimmer, als das was wir jetzt vorhatten.

Noch eine ganze weitere Woche verstrich, bis wir uns zu einem Zugriff, durchringen konnten. Der Versuch hier ein Flugzeug zu kapern, war der blanke Selbstmord Versuch, das war uns vom Anfang an klar. Jeder von uns hatte begriffen, dass das ein fast aussichtsloses Unterfangen werden würde. Wir stürmten mit dreiunddreißig Leuten einen Flugplatz, der von über dreitausend Soldaten bewacht wurde. Die alle bis unter die Zähne bewaffnet waren. Selbst dann, wenn wir die Ginos riefen, blieb es der blanke Wahnsinn. Wir wollten hier kein unnützes Blut vergießen, jedenfalls nicht mehr als notwendig. Egal, was wir an weitern Möglichkeiten durch gingen, die Flucht mit einem Frachter, selbst das Überqueren des Meers, durch das stehlen eines Bootes, die Flucht durch Argentinien, alles kam aufs Gleiche heraus. Wir kämen nicht nach Hause. Immer trennte uns das Meer, von unserer Heimat. Also beschlossen wir als das Team, dass wir am 30. September, den Zugriff wagen sollten. Egal wie hoch die Verluste bei uns sein würden.

Alle waren sich darüber im Klaren, dass wenn wir noch länger warten würden, wir nicht mehr die nötige Kraft hatten, den Überfall zu wagen. Wenn dieser Zugriff fehl schlug, blieben uns keine großen Optionen mehr. Immer wieder, gingen wir unseren wahnwitzigen Plan durch. Wir waren uns im Klaren, dass die Wahrscheinlichkeit des Gelingens unseres Planes, bei unter einem halben Prozent lag. Wir mussten es wagen, das war unsere letzte Chance. Wir waren kurz vor dem Verhungern. Wenn wir scheiterten, würden wir Gefangen genommen. Tod, egal was passierte, waren wir sowieso. Mit dem Versuch, hatten wir wenigsten ein halbes Prozent Chance zu überleben. Das war mehr als bei allen anderen Möglichkeiten. Gestern landete eine Maschine, vom Typ Antonow-An12, eine Maschine die wir gut kannten, mit der wir selber schon viele Male geflogen waren. Die Maschine war groß genug für unser Team. Vor allem hatte sie eine Reichweite, die für uns ausreichend war.

Tief atmeten wir noch einmal durch und gingen dann nach Plan vor. Trotzdem ging alles schief, was nur schief gehe konnte. Zeitgleich mit unserem Zugriff, kam eine weitere Maschine an, ein Gruppentransporter. Außerdem trafen zwei Kompanien Soldaten ein, die von hier aus wahrscheinlich, verlegt werden sollte. Dadurch hatten wir es nicht wie vorausberechnet, mit knapp dreitausend Gegnern zu tun, sondern mit über fünftausend. Trotz des heftigen Kampfes, den wir uns mit dem Militär lieferten, mussten wir uns geschlagen geben. Wir hatten einfach nicht mehr die Kraft zu kämpfen. Also gaben wir uns geschlagen. Wir hatten schon vorher abgesprochen, dass wir kein unnötiges Blutvergießen veranstalten wollten. Dass wir unter keinen Umständen, die Ginos rufen wollten. Keiner der hier Anwesenden, konnte etwas für unsere missliche Lage und dafür, dass uns Mayer in Stich gelassen hatte.

Wir wurden festgenommen und vom Militär, nach Colonia Dignidad zum Verhör gebracht. Dort befand sich die Operationsbasis des Pinochet-Geheimdienstes, Dirección Nacional de Inteligencia.

 

Schnell erkannten wir, dass wir falsch mit unseren Gedanken lagen, dass der Oberstleutnant uns schlecht behandel würde. Wir mussten zu unserem Entsetzen feststellen, dass die chilenischen Carabineros, um einiges schlimmer drauf waren, als Mayer. Das jedenfalls stellte sich schon nach wenigen Stunden heraus. Mayer war mit uns stets freundlich, fast zärtlich umgegangen. Ich würde mich nie wieder über den Oberstleutnant beschweren, falls ich Chile überleben sollte, nahm ich mir fest vor.

Bereits auf dem Flugplatz, nahmen uns die Militärs die Brillen weg. Von diesem Moment an, waren wir praktisch blind. Wir wurden behandelt wie Vieh, bekamen nur Schläge und Tritte zu spüren. Da ich der spanischen Sprache nicht mächtig war, verstand ich zum Glück nur das, was uns Raiko und Rina am Anfang noch übersetzten. Die Beiden hörten irgendwann damit auf. Beschimpfungen wie Drecksvieh, Missgeburt, waren noch richtige nette Ausdrücke, die uns die Carabineros des Militärs zukommen ließen. Wir beschlossen, uns unserem Schicksal zu ergeben. Wir würden so oder so sterben, es spielte also keine Rolle mehr. Wir würden uns nicht mehr wehren. Der Meinung, waren alle außer mir. Ich wollte einfach nicht aufgeben. Mein Ziel war es meine Leuten wieder nach Hause bringen. Alle aus dem Team, waren der Meinung, dass es der richtige Zeitpunkt war, um schlafen zu gehen. Lieber hier gemeinsam sterben, dachten viele, als bald für immer getrennt zu werden. Deshalb begann ich alleine, gegen unser Schicksal zu kämpfen. Auch, wenn meine bester Freundin Rashida, immer wieder sagt.

"Täubchen, gebe auf, es hat doch keinen Zweck mehr. Wie willst du uns hier herausbringen? Es gibt keine Möglichkeiten dazu."

Trotzdem hielt ich die Augen offen, suchte krampfhaft nach einer Möglichkeit zu fliehen. Lange wurden wir alle verhört und immer wieder verprügelt. Bei einem dieser Verhöre, schüttete mir der Comandante der das Verhör leitete, einen Becher Milchkaffee ins Gesicht, vor Wut, weil ich nichts sagen wollte. Was hätte ich auch sagen sollen, ich verstand seine Sprache nicht, also schwieg ich. Die im Kaffee enthaltene Milch, verbrannte meine Haut. In meinem Gesicht bildeten sich Blasen, ebenfalls an meinem Oberkörper. Überall da dort, wo die zwar verdünnte Milch meine Haut berührte, verbrannte ich. Immer wieder fragte er mich das Gleiche.

"Qué le pasó? - Was passiert mit dir?"

Ich konnte ihm nicht antworten, ich verstand ihn doch überhaupt nicht. Die Carabineros bekamen schnell mit, das Raiko und Rina spanisch sprachen. So wurden die Beiden in den Verhörraum geholt, in dem ich vernommen wurde. Als die beiden nicht antworteten, holte der Comandante eine Tasse Milchkaffee, fing an diese über mich zu schütten.

"Lo que le sucedió? – Was passiert mit ihr?"

Ich gab Raiko in Gedanken zu verstehen, dass er schweigen sollte. Raiko war allerdings noch nie ein Kämpfer. Er war immer den leichtesten Weg gegangen. Vielleicht wollte er mich auch nur schützen und machte es aber für uns alle nur noch schlimmer. Raiko wurde zum Verräter an seinen eigenen Kameraden und ging wie immer den Weg, der am schmerzlosesten für ihn war. So erklärte er unseren Feinden, was mit mir passiert. Wenn man mich mit Milch überschüttete.

"Ella es alérgica a la leche. Sus quemaduras en la piel. – Sie ist allergisch gegen Milch, ihre Haut verbrennt."

Dass er damit dem Comandante, der uns verhörte, eine grausame Waffe in die Hand gab, war ihm in diesem Moment bestimmt nicht bewusst. Raiko hatte nur Angst, selber mit Milch übergossen zu werden, er wusste nur zu genau, was das für Schmerzen waren. Dadurch, dass er so offen zu den Comandante war, bekam er die Möglichkeit als Dolmetscher zu arbeiten. Dass er das nicht gewollt hatte, war mir klar. Er hatte sich durch diesen Verrat, bei uns im Team, zum absoluten Außenseiter gemacht. Er hatte uns alle ans Messer geliefert. Das würden wir ihm alle nie wieder verzeihen. Um sich selber zu retten, half er unseren Feinden. Das war nicht das erste Mal, dass er das tat, denn das hatte er in der Schule schon einige Mal bei Mayer gemacht. Diesmal jedoch, war es ein Verrat, der unverzeihbar bleiben würde. Denn es kostet vielen von uns ihr Leben, auch wenn wir seine Angst verstanden.

Ab diesen Zeitpunkt gingen wir durch die Hölle. Wir wurden jeden Tag mit Milch behandelt, um bestimmte Information aus uns heraus zu bekommen. Keiner außer Raiko war bereit irgendetwas zu verraten. Woher wir kamen und wohin wir wollten, ging keinen außer uns etwas an. Für Raiko endete das Ganze, genauso wie für uns. Er bekam seinen eigenen Verrat, bitter zu spüren. Er wurde am Ende, genauso wie wir anderen, der Milch ausgesetzt und misshandelt. Aber es kam noch schlimmer.

Nach dem wir fast zwei Wochen geschwiegen hatten, wurden wir einem Colonel übergeben, der noch schlimmer war als der vorherige Comandante. Der ranghöhere Offizier begann uns richtig zu foltern. Dachte ich bisher, wir kannten alles, was es an Misshandlungen gab, wurde ich hier in Chile eines besseren belehrt. Grausamkeit so begriff ich an diesem Ort, konnte immer noch gesteigert werden. Wir lernten jetzt den Begriff Grausamkeit, erst wirklich kennen.

Colonel Rodrigo Jara war ein untersetzter Offizier, des chilenischen Pinochets Geheimdienstes, Dirección Nacional de Inteligencia. Dieser Mann war ein richtiger Sadist. Den Namen Mensch hatte er sich nicht verdient, denn er kannte keine Gnade und besaß nicht einen Funken Menschlichkeit. Die Verhöre wurden in eine große Lagerhalle verlegt, an deren Wände wir mit Ketten hingen. Auf diese Wände wurden Scheinwerfer gerichtet, man merkte schnell, dass wir durch Licht Höllenqualen litten. Eigentlich war das alleine schon Folter genug. Unsere Brillen hatten wir schon lange nicht mehr, aber das reichte immer noch nicht. Immer wieder wurden Flaschen mit Milch über uns ausgeschüttet, keiner von uns hatte noch Haut. Unser Körper bestand nur noch aus rohen Fleisch. Selbst Raiko begriff jetzt, dass es ein Fehler war, diesen Unmenschen, eine solche Waffe, in die Hand zu geben. Er sah nicht besser aus als wir. Raiko beschloss nun endlich auch zu schweigen. Verweigerte jetzt endlich die Zusammenarbeit mit den chilenischen Militärs. Wir hatten beschlossen es zu beenden und gaben auf. Die Schmerzen die wir ertragen mussten, waren nicht mehr auszuhalten und überstiegen schon lange das Ertragbare. Zu den Schmerzen durch das Licht, was uns zum Wahnsinn trieb, kamen die Schmerzen durch die Verbrennungen durch die Milch. Dazu die Schmerzen in den Armen und auch noch der immer schlimmer werdende Durst. Wir wollten alle nur noch, dass es endlich aufhören sollte. Drei meiner Leute, waren schon nicht mehr bei Besinnung. Chim, Jiro und Gan waren weiter vom Leben entfernt, als man sich vorstellen konnte, sie atmeten kaum noch. Zu den Schmerzen, kam das wochenlange Hungern. Die drei Kameraden waren die Größten von uns und dadurch diejenigen die am meisten unter dem Hunger litten. Wir hatten nun schon fast sechs Wochen, keinerlei Nahrung zu uns genommen. Seit dem 30. September nichts mehr getrunken. Das bisschen Brei kurz vor dem Einsatz, half nicht wirklich gegen den Hunger. Es war an der Zeit aufzugeben, ein weiterer Kampf hatte keinen Zweck mehr.

Colonel Rodrigo Jara wollte aber herausbekommen, wer wir waren. Er ließ nicht zu, dass wir schwiegen. Da ich als Kleinste immer auffiel, hatte er sich sofort auf mich eingeschossen. Colonel Jara sprach fließend Deutsch, da er in Berlin studiert hatte.

"Wer bist du?", fragte er mich immer wieder, schüttete mir Milch ins Gesicht.

Da ich schwieg, wurde er noch wütender.

"Holt einen von den großen dort runter", befahl er auf Spanisch seinen Untergebenen.

Die gingen auf Chim zu, holten ihn von der Wand.

"Holt mir eins der Kohlebecken und ein Messer", verlangte er noch.

An mich gewandt. "Du willst also nicht mit mir reden, kleines Fräulein?", wütend sah er mich an, ließ mich ebenfalls von der Wand holen.

Ich schüttelte den Kopf. Egal, was er mit mir machen würde, es war in der Gruppe abgesprochen, dass wir schweigen wollten. Es musste ein Ende haben.

"Dann werde ich dich dazu zwingen, mit mir zu reden."

Offen sah ich ihn an. Drehte meinen Kopf zu dem Geräusch, ich konnte ja nichts mehr sehen, durch das Licht. Colonel Jara ging mit purer Gewalt gegen mich vor, schlug ohne Unterbrechung auf mich ein. Ich blieb stehen, wo ich war. Das waren Sachen die mir nicht weh taten. Durch Anspannen der Muskulatur konnte ich diese Schläge abfangen. Auch, wenn es weh tat, störte es mich nicht weiter, das waren fast Streicheleinheiten für mich. Der Oberstleutnant schlug wesentlich härter zu, wenn er in Rage war. In der Zwischenzeit brachten Colonel Jaras Leute ein Kohlebecken und Messer, stellten es vor unserer Gruppe auf. Chim lag auf dem Boden, rührte sich nicht. Wie auch, er war mehr tot als lebendig. Nach fast einer halben Stunde gab Colonel Jara es auf. Die Schläge taten ihm mehr weh als mir. Seine Handknöchel waren dunkelblau und aufgeplatzt. Er hatte sich abreagiert, zum Glück. Lange hätte ich meine Muskeln nicht mehr anspannen können. Ich hatte einfach keine Kraft mehr dazu.

"Du kleines Miststück, du willst also wirklich nicht mit mir reden."

Wieder schüttelte ich den Kopf. Einfach, um seine Wut auf mich zu konzentrieren, sodass er meine Freunde in Ruhe ließ.

"Na gut, dann probieren wir einmal etwas anderes."

Zu seinen Untergebenen sagte er auf Spanisch. "Llevarlos al fuego, tal vez es más hablador cuando algo tiene que torturar a sus compañeros sí mismos.. - Bringt sie zum Feuer, vielleicht wird sie gesprächiger, wenn sie ihre Kameraden selber etwas foltern muss."

Damit wurde ich vorwärtsgeschoben und kam vor dem Kohlebecken zum stehen.

"Nimm das Messer."

Wie denn du Arsch, dachte ich bei mir. Ich sah nichts, aber ich schwieg, blieb einfach stehen, wo ich stand. Nicht bereit auch nur einen Millimeter vorwärts zu gehen oder mich zu bewegen.

"Te están ayudando. – Seid ihr behilflich", kam ein scharfer Befehl, den er für mich gleich übersetzte.

"Un dedo de cada mano. - Von jeder Hand einen Finger. Corta una más. - Schneide immer einen ab."

Schon drückten mir diese Unmenschen, das glühende Messer in die Hand, zwangen mich auf die Knie. Dann schnitten sie Chim mit dem glühenden Messer, welches er mir in die Hand gedrückt hatte, je einen Finger von der Hand. Damit fertig wurde auch noch Jiro geholt, der gerade zu sich gekommen war und schrie. Danach kam Elio an die Reihe. Damit fertig, kamen wir wieder alle an die Wand.

"Ich hoffe morgen seid ihr gesprächiger, sonst machen wir das jetzt Tag für Tag", mit diesen Worten drehte sich Colonel Jara um und verließ die Halle.

Wir blieben an der Wand hängen, unfähig uns zu verteidigen. Ich weinte, die Schmerzen die ich hatte durch die Folter, waren nichts gegen die Schmerzen, die meine Seele fühlte. Ich wollte nur noch sterben. Eben hatte ich drei meiner Kameraden das Leben genommen und sie zum Tode verurteilt. Selbst, wenn ich uns durch irgendeinen Zufall hier noch herausbekommen sollte, der Oberstleutnant würde die Drei, niemals am Leben lassen. Sie waren verkrüppelt, damit war ihr Leben zu Ende. Ich schrie still vor mich hin, wollte nur noch sterben. Keiner meiner Kameraden konnte mir helfen. Alle waren viel zu sehr, mit sich selber beschäftigt. Kämpften mehr oder weniger ums Überleben. Falls man das, was wir hier machten, noch kämpfen nennen konnte. Als ich mich weigern wollte, bei der Folter mitzumachen, stellte Colonel Jara ein Erschießungskommando vor meine anderen Kameraden. Ließ die Männer ihre Gewehre entsichern, gab den Befehl zum Schießen. Verletzte so auch noch die an der Wand hängenden Kameraden. Also gab ich nach, folterte weiter meine schon fast toten Freunde, nur um die anderen zu retten. Jeden Tag kam Colonel Jara, machte immer wieder das gleiche Spiel. Irgendwann hörte ich auf, mich dagegen zu wehren, ich hatte einfach abgeschaltet. Fast vier Wochen zwang mich dieser Unmensch, meine Kameraden, auf diese bestialische Weise zu foltern. Chim, Jiro, Elio, Aki, Gan, Bekir Miwa, Bian, Saida, Kami mussten auf diese Weise ihr Leben lassen. Ich wollte es nicht tun. Ich konnte nichts mehr dagegen machen, noch hatte ich nicht völlig aufgegeben. Auch, wenn ich nicht wusste wie, ich wollte uns hier rausbringen. Wenn es auch nur ein einziger war, den ich retten konnte, würde ich es versuchen. Jede noch so kleine Chance wollte ich nutzen, um uns zu nah Hause zu bringen. Ich wusste nicht wie, ich mit diesen Erinnerungen weiter leben sollte. Aber ich war nicht gewillt meine Leute hier alle sterben zu lassen. Keiner hatte es sich verdient, so zu sterben. Ich würde diese Bilder nie vergessen können, egal was danach kommen würde. Diese Bilder würden mich den Rest meines Lebens verfolgen. Auch wenn ich nichts sah, so fühlte ich es doch, ich kannte die Bewegungen die ich machen musste nur zu genau, ich roch das Brennen des Fleisches, das Knirschen der zersplitternden Knochen. Ich würde diese Geräusche nie wieder vergessen können. Die Schreie nicht vergessen, die meine Kameraden von sich gaben, beim Ausbrennen der Augen, beim Abtrennen der Gliedmaßen. Jeden Tag zwei Finger, zwei Zehen oder zwei Gliedmaßen, dann die Augen, das verbrennen ihrer Haut, mit dem glühenden Messern. Ich nahm wie befohlen Milch in den Mund und spuckte damit meine Freunde an. Ich wollte nur noch sterben. Wie sollte ich damit leben? Ich schrie mir, sobald ich schlief meinen Schmerz von der Seele. Fand keine Ruhe mehr. Zehn meiner Leute, wurden durch meine Hand zu tote gefoltert. Lohnte der Kampf überhaupt noch? Hatten meine Kameraden recht, dass ich endlich aufgeben sollte. Das fragte ich mich immer wieder. Ich wusste es nicht mehr. Meine Kameraden dämmerten nur noch vor sich hin, in ihnen war kaum noch Leben. Sollte ich auch aufgeben? Sollte ich es zulassen, dass wir alle starben? Ich wusste es nicht mehr, ich wusste ja nicht einmal mehr, wer ich war und wie lange wir hier waren.

Am 37. Tag unserer Gefangenschaft wurden wir verlegt, Colonel Jara kam mit seinem Gefolge in die Halle. Ein LKW fuhr herein, die Ladefläche wurde aufgemacht. Man ließ uns von der Wand und schmiss uns wie totes Vieh auf den LKW. Als alle die noch etwas Leben in sich hatten auf der Ladefläche lagen, fuhren wir in Richtung Norden. Immer entlang der Atacamawüste, wie ich durch die Gespräche der Wachen mitbekam, fuhren wir in Richtung Chacabuco. In eins der von der neuen Regierung, errichteten Konzentrationslager. Man hatte nach den vielen Wochen begriffen, dass wir nicht reden würden. Deshalb schickt man uns dort hin, um uns sterben zu lassen. Hoffnung machte sich in mir breit, sobald wir dort waren, würde ich nach Möglichkeiten suchen, uns zu befreien. Sobald wir Wasser bekamen, würde es uns allen besser gehen. Nur der Durst, war eine wirklich tödliche Gefahr für uns. Mehr als fünf Wochen, hatten wir nichts zu trinken bekommen. Vielleicht bekamen wir dort etwas Wasser, dann kämen wir wieder etwas zu Kräften. Lange fuhren wir, durch dieses unwirkliche, trockenen Gebiet, immer näher kamen wir Chacabuco und somit unserer Befreiung. Ich glaubte wieder daran, dass wir es nach Hause schaffen konnten. Keine Ahnung, wo ich diese Gewissheit hernahm, aber ich war felsenfest davon überzeugt.

Immer wieder holte ich mir die Karte der Region in Erinnerung, ging unsere Möglichkeiten durch. Es könnte gelingen. So sicher konnten die eine so große Anlage gar nicht bewachen, dass wir selbst geschwächt wie wir waren, nicht ausbrechen konnten. Vielleicht verhalf unser Ausbruch, auch einigen der Anderen in die Freiheit. Auch wenn mir die anderen Gefangen Leid taten, würde ich mich nur um meine Leute kümmern. Wir hatten genug mit uns selber zu tun. Die Hoffnung, die mich erfasst hatte, gab mir Kraft. Ich aktiviere noch einmal meinen restlichen Lebenswillen und holte auch meine Kameraden, wieder zurück ins Leben.

 

Auch wenn wir zehn unserer Leute verloren hatten. Es lebten immer noch zweiundzwanzig Freunde meines Teams, die ich beschützen musste. Ich konnte es mir nicht leisten aufzugeben. Nicht so lange es noch eine winzige Chance bestand, uns zu retten. Mein Ziel war es, uns nach Hause bringen. Als erstes reagierte Ana auf mein Bitten zurück zu kommen und neue Hoffnung zu finden. Sie half mir auch, die anderen zurück zu holen. Eine neue Hoffnung machte sich in uns breit. Viele Stunden, wurden wir auf dem LKW durcheinander gerüttelt. Als wir in Chacabuco ankamen, waren alle wieder einigermaßen da.

Wir durchfuhren, kurz nach Mitternacht, das Tor ins Lager. Der LKW bewegte sich noch ein kleines Stück entlang der Lagerstraße, an deren beiden Seiten Baracken standen und in denen die Gefangen festgehalten wurden. Der LKW blieb plötzlich stehen, wir hatten uns abgesprochen, einfach bewegungslos liegen zu bleiben. Die Begleitmannschaft, aber auch die Gefangen in dem Glauben zu lassen, dass wir schon fast tot waren.

Die Begleitmannschaft auf dem LKW, schmiss uns einfach von der Ladefläche, auf den staubigen Boden. Dort standen Gefangene, die uns in eine der Baracken trugen. Immer zwei Gefangene nahmen einen von uns und brachten ihn in die Baracke. Sie legten uns auf hölzerne Pritschen und gaben uns Wasser. Gierig tranken wir dieses, immer wieder brachte man uns Wasser. Mit dem Wasser kam das Leben zurück und der Überlebenswille wurde wieder aktiviert. Wir kamen jetzt langsam wieder richtig zu uns. Auf meiner Pritsche lagen Rina und Rashida, wir mussten uns die Pritschen teilen. Ein ausgemergelter Mann mit schlohweißem Haar kam und setzte sich auf unsere Pritsche.

"Quién eres tú? – Wer seid ihr?"

Übersetzte Rina uns in der Verbindung.

"Soy el padre Carlos. – Ich bin Pater Carlos."

Rina wollte von mir wissen, ob sie antworten sollte. Allerdings verbot ich es ihr erst einmal. Wir würden erst einmal niemand trauen. Zum Glück war es Nacht und es brannte nur eine Kerze, so dass wir etwas wie Schemen erkennen konnten. Da unsere Augen, durch die lange Lichteinwirkungen, fast verbrannt waren. Es würde einige Tage dauern, bis wir wieder etwas sehen konnten. Ich sagte meinen Leuten in der Verbindung.

"Bitte traut hier niemand. Wir müssen erst etwas zu Kräften kommen, schlaft. Trinkt das gereichte Wasser, aber schlaft, regt euch nicht, so können wir uns am schnellsten erholen."

Meine Freunde und ich blieben alle liegen, wo man uns hingelegt hatte, ohne dass wir uns rührten. Einige Gefangene weinten, als sie unsere zerschundenen Körper sahen. Der Pater versuchte uns etwas Linderung zu verschaffen, in dem er unsere von Schorf überzogenen Körper, vorsichtig mit Tüchern abgedeckt hatte. Mir war unbegreiflich, wo er die herbekommen hatte. Seine Mitgefangen bat er, uns so wenig wie möglich zu berühren, um uns nicht noch mehr Schmerzen zu zufügen. Wir verhielten uns nicht nur so still, weil ich darum bat, sondern auch, weil wir völlig entkräftet waren. Tranken aber das Wasser, was man uns reichte. Ohne uns zu bewegen oder bemerkbar zu machen. Wir ließen uns immer wieder Wasser einflößen und genossen zugegebener Maßen, auch die Fürsorge die wir durch die Gefangenen bekamen. Pater Carlos, der Mann der sich uns als erstes vorgestellt hat, kümmerte sich liebevoll um uns. Die Gefangenen waren entsetzt über unseres Aussehen und unsere Gesundheitliche Verfassung. Der Pater begriff nicht, dass wir nichts essen wollten. Immer wieder gab der Pater uns trockenes Brot. Das wir verständlicher Weise nicht anrührten. Dadurch baute sich langsam so etwas wie Vertrauen auf. Nach vier Tagen bat ich ihn, uns Binden für die Augen zu besorgen. Rina fragte ihn, ob er deutsch sprechen konnte.

"Padre Carlos, hablan alemán? – Pater Carlos, können sie deutsch?", flüsterte sie mehr, als das sie sprechen konnte.

"Ein wenig, ich lange gesprochen nicht", kam sofort seine Antwort.

Dankbar sah ich ihn an. Leise kaum hörbar, versuchte ich zu sprechen, mit vielen Pausen, in dem ich wieder etwas Kraft schöpfen musste.

"Pater Carlos, helfen sie uns bitte. Wir brauchen Binden für die Augen. Die Schmerzen sind unerträglich."

Um ihm begreiflich zu machen, wieso das so war, öffnete ich meine Augen. Die ich bis zu diesem Augenblick zugelassen hatte und zeigte ihm, auf eine schnell zu begreifende Art und Weise, dass wir andere Augen besaßen. Selbst das wenige Licht, welches in die Baracke drang, reichte um meine entzündeten Augen, wieder tränen zu lassen.  

Erschrocken zuckte er zurück. "Was mit Augen passiert?", wollte er von mir wissen.

"Bitte, die Schmerzen bringen uns um. Helfen sie uns bitte?", gab ich ihm nur zur Antwort.

Rollte mich zur Wand, um vom Licht wegzukommen. Da gerade jemand in die Baracke kam und die Tür offen gelassen hatte. Draußen war heller Sonnenschein und die Schmerzen waren dadurch die Hölle.

Pater Carols rief erschrocken. "Puerta. – Tür zu."

Sofort wurde diese geschlossen.

"Ich hole euch welche. Wer außer dir braucht noch eine Binde?", erkundigte er sich besorgt.

"Alle", antwortete ich kurz.

Pater Carlos stand er auf und verließ die Baracke. Über eine Stunde blieb er weg. Endlich kam er mit einer Kiste voller Binden zurück.

"Hier hast du Binden, brauchst du Hilfe."

Ich nickte. "Jemand der mich zu meinen Freunden bringt. Ich sehe nichts."

Carlos bat die Anderen um Hilfe. "Helft dem Mädchen zu ihren Kameraden", gab er auf Spanisch Anweisung, an die anderen im Raum befindlichen. Vorsichtig half er mir beim Hinsetzen.

"Soll ich dir helfen?", wollte er wissen.

Ich schüttelte den Kopf. "Nein, das kann ich alleine. Nur sehe ich meine Freunde nicht. Auch nicht die Binden, das Licht tut meinen Augen weh", erkläre ich leise. Es blieb mir nichts anders übrig, als jemanden zu vertrauen. Ich war praktisch blind. Carlos reichte mir eine Binde. Tastend, nahm ich sie ihm aus der Hand. Legte sie um die Augen, in einer speziellen Wickeltechnik verdunkelte ich auf diese Weise, das ins Auge fallende Licht. Erleichtert atmete ich auf. Zwar konnte ich noch nicht wieder richtig sehen. Allerdings sah ich dadurch wieder Schatten, das würde sich in einigen Tagen wieder geben. Dann konnte ich so sehen wie zuvor. Tastend griff ich nach Rinas Hand die mir am nächsten lag. Auch ihr verband ich die Augen, so wie ich atmete sie erleichtert auf. Sofort bekam auch Rashida einen Verband. Dann kamen die restlichen meiner Gruppe, die einzeln von Pater Carlos und seinen Freunden gebracht wurden. Raiko, Einar, Sina, Teja, Rafik, Jaan, Cetin, Aki, Aya, Mila, Andi, Ana, Kaija, Kimi, Ari, Ava, Cankat, Netis, Nairi, Goro und Erja bekamen ihren Verband, wie zuvor Rina, Rashida und ich atmeten alle erleichtert auf.

"Danke Pater Carlos, jetzt wird es besser. Können wir noch etwas Wasser bekommen, bitte. Wir haben so einen großen Hunger."

Pater Carlos schickte einen aus der Baracke los, noch Wasser zu holen. "Amaro besorge für die Kinder, etwas Wasser", bat er ihn auf Spanisch.

Der mit Amaro angesprochene lief los, um Wasser zu holen. Pater Carlos drehte sich zu uns um.

"Was ist mit euren Augen?"

Ich zuckte mit den Schultern. "Pater Carlos, ich weiß es nicht, die sind anders. Das Licht tut unseren Augen weh. Bitte ich möchte schlafen. Ich bin so müde."

Auch, wenn das nur ein Vorwand war, um nicht reden zu müssen. Akzeptierte es der Pater, dafür war ich ihm mehr als dankbar. Ich glaube er begriff, dass wir kein Vertrauen mehr hatte und wollte uns Zeit geben, es wieder zu fassen.

"Dann schlaf noch etwas, das wird euch helfen wieder zu Kräften zu kommen. Sagst du mir noch wie alt ihr seid?"

Ich rollte mich auf meiner Pritsche zusammen, erklärte leise. "Pater, wir sind ungefähr vierzehn Jahre alt. Wir wollen nur nach Hause."

Die letzen Worte des Satzes, konnte ich kaum noch sprechen. Ich unterdrückte mühsam das Schluchzen, konnte meine Tränen nicht zurück halten. Für Pater Carlos sichtbar, liefen unter dem Verband Bäche von Tränen über mein zerschundenes Gesicht. Dagegen konnte ich leider nichts tun. Auch wenn ich mich dafür hasste. Völlig fertig, rollte ich mich auf die andere Seite: Zu Rina, Rashida und der Barackenwand, um zu zeigen, dass ich nicht mehr sprechen wollte oder besser konnte.

"Schlaft, dann unterhalten wir uns. Vielleicht fällt uns etwas ein."

In diesem Moment kam Amaro, mit dem Wasser. Reichte uns eine Tasse. Gierig trank ich zwei volle Tassen leer. Zufrieden legte ich mich hin. Kuschelte mich, nach dem auch Rashida und Rina sich satt getrunken hatten, an meine beiden Freundinnen und schlief sofort ein. Viel zu erschöpft, um auf Gefahren zu achten. Viel zu erschöpft, um mir Gedanken, um die Sicherheit meiner Kameraden und mich zu machen. Ich war in einem Zustand absoluter Erschöpfung. Fast neun Tage blieben wir noch so liegen, wurden ab und zu munter, um etwas zu trinken. Unser Schlaf, wurde nur unterbrochen von den Schreien, wenn uns der Alp einholte. Doch immer, wenn wir munter wurden, war jemand da der für uns umsorgte. Menschen die selber in Not waren, kümmerten sich besser um uns, gaben uns mehr Fürsorge, als wir in unseren bisherigen Leben kennen gelernt hatten. Fast wie Dika und Doko und fast so wie die Mönche der Mitte.

Pater Carlos, wurde immer besorgter um uns. Weil wir jegliche Nahrung ablehnten, nur Wasser tranken. Er konnte das nicht begreifen, dass wir nichts essen wollten. Nach fast vierzehn Tagen, hatten wir uns soweit erholt, dass wir wieder klarer denken konnten. Wir beratschlagten uns immer noch auf unseren Pritschen liegend, wie es mit uns weiter gehen sollte. Alle waren der gleichen Meinung, dass wir Pater Carlos trauen konnten und mussten. Dass der Pater unsere letzte Chance war. Also beschloss ich mich ihm zu vertrauen. Als der Pater das nächste Mal mit Wasser kam, setzte ich mich zu seinem Erstaunen hin, sah ihn lange an.

"Lo que tiene mi chica?", erkundigte er sich gewohnter Weise auf Spanisch.

"Sir, ich verstehe sie nicht, Sir", flüstere ich leise.

"Was hast du mein Kind?", wiederholte er nun auf Deutsch seine Frage.

Lange sah ich ihn an. Viel zu unsicher, was ich machen sollte. Allerdings musste ich mich entscheiden. Wollten wir hier zu Grunde gehen oder sollte ich die Flucht versuchen. Dazu brauchte ich dringend Informationen. Ich war immer noch fast blind, nahm nur unscharfe Konturen wahr.

"Sir, woher kommen sie, Sir? Wieso sind sie hier, Sir?", mit schräg gehaltenem Kopf, sah ich ihn an und versuchte durch die Fragen, etwas mehr über den mir gegenübersitzenden Menschen herauszubekommen. Denn schließlich legte ich das Leben meiner Freunde in dessen Hand.

"Wir wurden vor zwei Monaten fast alle aus Santiago de Chile hierher verschleppt. Warum mein Kind, wissen wir nicht. Ich vermute, weil wir zu Salvator Allende gestanden haben. Weil wir offiziell den Rücken gestärkt haben. Warum seid ihr hier? Wieso stecken sie Kinder wie euch, in so ein Lager?"

Verlegen spielte ich mit meinen Finger, zog die Füße an meinen Körper und umschlang die Knie mit meinen Händen. Begann, während ich hin und her schaukelte, leise an zu erzählen.

"Sir als wir hier her kamen, waren wir dreiunddreißig Kämpfer von unserer Sorte, Sir. Unser Oberstleutnant hatte uns her geschickt, um den Putsch gegen Allende zu verhindern, Sir. Aber wir kamen zu spät, Sir. Der Oberstleutnant hat uns nicht zurück geholt, wir sitzen fest hier, Sir. Ohne Hilfe, kommen wir nicht mehr nach Hause, Sir. Von meinen Kameraden sind schon zehn tot, die von Pinochets Leuten aufs bestialischste ermordet wurden, durch mich, Sir."

Plötzlich kam alles wieder hoch. Ich fing an mich zu erbrechen, brachte aber nur Wasser, Galle hervor und Blut. Kurz drauf begann ich zu schreien. Der Alp hatte mich wieder eingeholt. Die mühsam verdrängten Geräusche und Gefühle, von der Folter meiner Kameraden, kamen mit einem Schlag alle wieder hoch. Erschrocken sah mich Pater Carlos an, wollte mich in den Arm nehmen. Ich schlug um mich. Rashida schüttelte den Kopf. Rina wandte sich mit der Erklärung an Pater Carlos.

"Pater lass sie in Ruhe. Man hat sie gezwungen unsere Leute systematisch zu verstümmeln und zu töten. Damit kommt sie nicht klar."

Schreiend lag ich in Rashidas Armen, die mich vorsichtig hin und her schaukelte, um mich zu beruhigen.

Pater Carlos stand auf, holte einen Becher mit Wasser.

"Kleines trink das, dann geht es die gleich besser."

Allerdings konnte ich das Wasser nicht trinken. Ich war viel zu weit weg. Fast eine Stunde brauchte Rashida, um mich wieder zu beruhigen, so dass ich wieder besser atmen konnte. Ich rollte mich zusammen, Rashida legte sich hinter mich, so schlief ich ein. Pater Carlos saß grübelnd neben uns. Sah zu, wie ich im Schlaf von dem Alp, wieder eingeholt wurde. Wieder begann ich zu schreien, nach über zwei Stunden schlief ich ruhig und erholsam. Rashida hatte es mit ihrer Ruhe wieder einmal geschafft, mich zu beruhigen. Es dauerte allerdings noch gute drei Stunden, bis ich aus dem Schlaf zurück kommen konnte. Als ich erwachte saß Pater Carlos, immer noch auf meiner Pritsche, sah mich traurig an.

"Sagst du mir wie du heißt?"

Ich schüttelte den Kopf, unsere Namen sagten wir nur Menschen, den wir vollkommen vertrauten oder im Einsatz, wenn es nicht anders möglich ist.

"Sir, man nennt mich 98, Sir", gab ich ihm zur Antwort.

"Wie 98? Das ist doch kein Name."

Verlegen zuckte ich mit den Schultern. "Sir, ich werde aber so genannt, Sir. Ich kann doch nichts dafür, Sir."

Verwirrt schüttelte der Pater den Kopf. "Ich nenne dich einfach, Poco de sol. Das heißt kleiner Sonnenschein. Bist du damit einverstanden?"

Ich nickte.

"Kannst du mir erklären, wieso man Kinder wie euch, hier hergeschickt? Was ist das für ein Mensch dieser Oberstleutnant?"

Verneinend schüttelte ich den Kopf. Versuchte es ihm trotzdem zu erklären, warum das so war. "Sir, wir sind Soldaten, kämpfen seit elf Jahren gegen das Verbrechen, Sir. Wir wurden dafür geschaffen, um zu kämpfen, Sir. Es ist kompliziert, sehen sie unsere Augen, bezeugen das, Sir. Wir wurden genetisch verändert, schon vor unserer Geburt, Sir. Deshalb denke ich, hat man uns über einen Monat lang verhört, Sir. Wollte wissen, warum das so ist, Sir. Wir wissen das doch auch nicht, Sir", entschuldigend sah ich zu ihm hoch und setzte mich hin. Kam zu dem Anliegen, welches ich hatte. "Sir, können sie uns alles über das Lager hier erzählen, Sir. Ich habe meinen Kameraden versprochen, dass ich sie nach Hause bringe, Sir. Aber ich weiß nicht wie, Sir. Ich kann nicht zulassen, dass die zehn für umsonst gestorben sind, Sir. Bitte helfen sie mir, Sir."

"Poco de sol, hier kommst du nicht weg. Dieses Lager wird von über vierhundert Soldaten bewacht, wie wollt ihr das machen?" Ich zuckte mit den Schultern. "Sir, wir müssen es versuchen, Sir. Wenn wir noch lange hier bleiben, verhungern wir, Sir."

Pater Carlos stand auf, holt die Kiste mit Brot und hielt sie uns hin.

Ich schüttelte den Kopf. "Sir, die Sachen die sie essen, können wir nicht essen, wir sind dagegen allergisch, Sir. Sehe sie sich unsere Haut an, so sehen wir aus, wenn wir mit Milch in Berührung kommen, Sir. Damit hat man uns wochenlang gefoltert, Sir. Wir können nur unsere Spezialnahrung zu uns nehmen, Sir. Deshalb müssen wir schnellsten hier weg, Sir. Sonst haben wir keine Kraft mehr, für die Flucht, Sir."

Erschrocken sah mich Pater Carlos an. "Wann habt ihr das letzte Mal etwas gegessen?"

Ich zuckte mit den Schultern, da ich nicht wusste, was für einen Tag wir heute war. "Sir, die anderen haben am 8. September das letzte Mal etwas gegessen. Ich das letze mal fünf Wochen davor, am Achten, habe ich nur drei Löffel essen können, Sir. Ich habe schrecklichen Hunger, Sir. Ich bin so müde, Sir."

Wieder rollte ich mich zusammen und versuchte zu schlafen, um diesen schmerzhaften Hunger nicht mehr zu spüren. Aber es ging nicht, nach fünf Minuten setzte ich mich wieder hin.

"Sir, bitte erzählen sie mir alles, was sie über das Lager wissen, dann bringe ich meine Leute hier raus, Sir. Vielleicht können sie unsere Flucht, für ihre Flucht nutzen, Sir. Ich werde versuchen, dass ich das Lager so zerstören kann, dass ihr alle fliehen könnt, Sir. Ich kann sie leider nicht mitnehmen, Sir. Sonst würde ich das machen, Sir. Bitte erzählen sie uns einfach alles, was sie wissen, Sir. Unsere Augen sind immer noch nicht in Ordnung Sir. Wir können immer noch nicht so richtig sehen, Sir. Ich brauche wirklich Hilfe, Sir", weinend sah ich Carlos an. Am ganzen Körper zitternd, nicht nur vom Weinen sondern, aus Verzweiflung und Angst.

"Poco de sol, ich kann dir alles erzählen was ich weiß. Was wir herausgefunden haben. Also pass auf…"

Genau erklärte er mir das Lager, alles was er an Sicherungen gesehen hatte. Erzählt mir, dass um das Lager herum ein Minengürtel von fünfzig Metern sein soll, der aus Tretmienen bestand. Der elektrischen Sicherung des Stacheldrahtzauns, der um das Lager war. Von den Wachen, die ständig durch das Lager streiften. Genau hörte ich zu, meine Kameraden auch, in meinem jetzigen Zustand wäre es durchaus möglich, dass ich etwas überhörte oder nicht bedenken würde. Wir hatten nur noch einen einzigen Versuch. Genau ließ ich mir die Gegend beschreiben, in der wir uns jetzt aufhielten. Cankat stellte fest, dass wir in der Nähe von Parral befanden, also Nordwestlich des Flugplatzes, den Mila ausspioniert hatte. Also kannte Mila, den ersten Teil des Fluchtweges, den zweiten kannte ich dann selber. Mit Grauen wurde mir bewusst, dass wir nicht wussten in welche Richtung wir laufen sollten. Müde rieb ich mir das Genick.

"Sir wenn ich wenigstens wüsste, in welche Richtung ich laufen kann, Sir. Wir kennen hier niemanden, Sir. Wir brauchen ein Flugzeug, um nach Hause zu kommen, Sir, wir können doch nicht übers Meer schwimmen, Sir. Das schaffen wir nicht, Sir."

Pater Carlos nickte. "Poco de sol, wenn ihr ein Fahrzeug hättet, würde ich sagen, versucht nach Peru zu kommen. Dort lebt ein Freund von mir, in der Nähe der Grenze. Arbeitet dort, genau wie ich als Missionar. Pater Mateo hilft euch bestimmt, nach Hause zu kommen. Dort ist ein Funkgerät, das ihr benutzen könnt."

Lange ging ich in Gedanken, alle Details durch, die wir jetzt hatten. Besprach mit meinen Freunden alles und machte ihnen auch klar, dass wir über fünftausend Kilometer bis nach Peru vor uns hatten. Dass dies nur möglich war, wenn wir die Flucht in der Gestalt der Ginos unternahmen. Ohne die Ginos, konnten wir diese weite Strecke, nicht mehr bewältigen. Die Gefahr, dass wir am Zielort ankamen, und den Weg nicht mehr zurückfinden würden, war enorm hoch. Alle waren der Meinung, genau wie ich, dass wir es versuchen sollten. Hier hatten wir höchstens noch zwei Wochen, dann wären die ersten von uns verhungert. Jeder Tag dem wir länger warten würden, kostete uns mehr Kraft. Pater Carlos, sah mich verwundert an, weil ich zu dem, was er mir erzählt hatte nichts sagte. Verlegen sah ich ihn an.

"Sir, entschuldigen sie bitte, wir mussten uns beraten. Es ist eine schwere Entscheidung, die wir treffen mussten, Sir. Sie müssen wissen, nicht nur unsere Augen sind anders, auch wir, Sir."

Verlegen fing ich wieder an, mit meinen Fingern zu spielen. Ich entschloss mich dieses eine Mal, einfach alles auf eine Karte zu setzen, diesem mir fremden Menschen zu vertrauen. Würde er uns verraten, war es egal, dann hatten wir sowieso verloren.

"Sir, es ist so, wir können uns in Tiere verwandeln, wenn wir das wollen. Die nennen wir die Ginos, Sir. Wenn wir Ginos sind, können wir noch schneller laufen, wie unter normalen Umständen, noch höher springen und sind fast unbesiegbar, Sir. Wenn wir hier fliehen, dann werden wir ebendiese Ginos rufen, Sir. Werden durch das Tor fliehen, werden versuchen den Zaun, um das Lager zu zerstören und so viele Soldaten wie möglich zu töten, Sir. Wir werden ihnen und ihren Freunden, so eine Fluchtmöglichkeit geben, Sir. Mitnehmen können wir sie leider nicht, wir laufen als Ginos so schnell, dass sie uns nicht folgen können, Sir", offen sah ich ihn an.

"Poco de sol, du wartest hier. Ich hole noch jemanden dazu, der sich hier im Lager noch besser als ich auskennt, vielleicht weiß er noch etwas, was euch nutzt. Vertraue mir. Es ist eine kleine Chance, die ihr nutzen solltet."

Der Pater streichelte mir übers Gesicht und erhob er sich, verließ kurz darauf die Baracke. Keine zehn Minuten später, kam er mit einem der Wachleute zurück. Erschrocken sah ich ihn an. Hatte ich den falschen Menschen vertraut. Ich zog mich in die hinterste Ecke des Raumes zurück und drückte meine Leute hinter mich, um sie zu beschützen. Böse knurrte ich in Richtung des Paters und des Wachmannes und war kurz davor den Gino freizulassen. All meine Freunde knurrten genauso böse wie ich. Leise und ruhig sprach der Pater auf mich ein und versuchte mich zu beruhigen. Konnte er doch unsere Angst und vor allem unser Misstrauen verstehen nach all dem, was er erfahren hatte.

"Poco de sol, du musst keine Angst haben. Bitte beruhige dich. Komm zu mir Poco de sol. Das hier ist Eduardo de Lacoanca, ein Freund von mir. Deshalb hat es etwas gedauert, bis ich ihn holen konnte. Eduardo, wird euch alle Informationen geben, die er hat. Er ist auf unserer Seite, wie viele der Jungs hier im Lager, die zur Wachmannschaft gehören. Von ihm, bekomme ich immer das Wasser für euch. Er ist wie wir der Meinung, dass man Kinder nicht einsperren darf. Das alles, was im Moment läuft, nicht richtig ist. Trotzdem muss er tun, was man ihm sagt, damit er seine Familie schützen kann. Verstehst du das."

Offen und ehrlich war der Blick des Paters. Eine lange Zeit beobachtete ich ihn und den mir fremden Wachmann. Ich musste ihm trauen, seit dem wir hier waren, hatte er uns immer geholfen und uns nie betrogen. Ich hatte keine Wahl, auch wenn es mir schwer fiel. Ich musste einen Vertrauten um mich haben, sonst konnte ich uns nicht helfen. Langsam kam ich aus der Ecke, musterte die Wache jedoch noch eine lange Zeit, unschlüssig was ich tun sollte.

" Du kannst mir vertrauen, wirklich."

Ich sah zu Pater Carlos, dann nickte ich. Der Pater und Rina übersetzte mir, was Eduardo uns berichtete. Er wusste einige sehr wichtige Details. Erzählte uns noch, dass viele der hier stationierten Soldaten nicht auf uns schießen würden, wenn wir fliehen wollten. Keiner verstand, wieso die Regierung Kinder wie uns in ein solches Lager steckte. Schließlich nahm ich all meinen Mut zusammen und entschloss mich ihn um Hilfe zu bitten.

"Sir, können sie mir einiges Dinge besorgen? Ich bräuchte einen Brenner, Wasser, Traubenzucker, Sojapulver, von allen drei Kilos, einen großen Topf in den das alles reinpasst und ein Feuer. Wir müssen dringend etwas Nahrung zu uns nehmen, Sir. Sonst verhungern wir, Sir."

Pater Carlos übersetzte alles, was ich sagte für Eduardo.

"Geht Maismehl auch?", erkundigte Eduardo sich bei mir.

Ich nickte, dieses war auch nutzbar, wenn auch nicht so nahrhaft. "Das dauert aber ein wenig. Eine Stunde benötige ich wenigstens", berichtete mir Eduardo und Rina übersetzte das Gesagte.

"Sir, danke Sir."

Kurz darauf gab ich meinen Leuten den Befehl zu schlafen. Wir mussten noch etwas zu Kräften kommen, sonst schafften wir die Flucht nicht. Eduardo und Pater Carlos, verließen die Baracke. Wir legten uns hin, um zu schlafen, nutzen alle den schnellen Schlaf um uns noch besser erholen zu können. Nach fast zwei Stunden, es hatte doch länger gedauert die ganzen Sachen zu organisieren als Eduardo erst dachte, kamen die beiden zurück. Pater Carlos setzte sich auf meine Pritsche.

"Poco der sol, werde munter, hier sind die Sachen, die du haben wolltest."

Verschlafen setzte ich mich auf. Dankbar sah ich die beiden Männer an. Langsam und vorsichtig, stand ich auf und hockte mich hin. Rina und Rashida taten es mir gleich. Vorsichtig machte den Brenner an und entzündete in der Baracke ein niedriges und begrenztes Feuer, in dem ich Bretter, aus meiner Pritsche herausriss. Die anderen machten es mir nach. So konnten wir das Feuer auf einer gleichmäßigen Temperatur halten und ohne das wir die Baracke abbrannte oder es zu einer verdächtigen Rauchentwicklung kam. Das Wasser schüttete ich in den großen Topf, gab dazu das Maismehl, dann den Traubenzucker. Machte dann eine schnelle Bewegung, etwas, dass Eduardo, aber auch Pater Carlos furchtbar erschrecken ließ. Blitzschnell griff ich an den Gürtel von Eduardo und zog mir das Messer heraus.

Ich schnitt mir mit dem Messer, die Innenfläche der Hand auf, so dass Blut in die kochende Masse tropfte, reichte das Messer weiter. Jeder von uns gab etwas von seinem Blut dazu, so bekamen wir genug unseres Ginoenzyms in den Brei. Die einzige Möglichkeit, die wir hatten, normale Nahrung zu uns zu nehmen. Wir machten das nur sehr ungern, denn wir bekamen von diesem Brei schlimmen Durchfall, der uns zum Blutverlust zusätzlich schwächte. Nur in unserem jetzigen Zustand, schafften wir einfach keine fünftausend Kilometer zu laufen und wir konnten auch nicht zulassen, unkontrolliert die Ginos loszulassen. Auch wenn die Chilenische Regierung uns viel Leid angetan hatte, so konnte die zivile Bevölkerung nichts dafür. Nicht alle Chilenen waren schlechte Menschen, das hatten wir hier im Lager schnell begriffen. Deshalb mussten wir die Bevölkerung unbedingt schützen. Brauchten also wenigstens einen kleinen Schutz, den wir irgendwie aufbauen mussten. Dieser geringe Anteil an Enzym, im Brei war besser als nichts. Fast fünf Stunden ließ ich den Brei köcheln, immer wieder schüttete ich etwas Wasser hinein, hielt ihn so immer in einer zähflüssigen Form, die ich ständig rühren musste. Die anderen hatten sich alle wieder hingelegt, um zu schlafen. In der Zwischenzeit informierte Pater Carlos und Eduardo, über das, was sie dann erwarten würde.

"Sir, gegen 2 Uhr heute Nacht, werden wir ausbrechen, aus diesem Lager, Sir. Wenn sie also ebenfalls fliehen wollen, sollten sie das ebenfalls vorbereiten, Sir. Bitte Pater können sie dafür sorgen, das um 2 Uhr wirklich alle diese Baracke verlassen, Sir. Wenn wir uns verwandeln, Sir. Können wir Freund und Feind nicht mehr auseinander halten, Sir."

Pater Carlos sah mich erschrocken an. "Wieso könnt ihr Freund und Feind nicht mehr auseinander halten. Poco de sol, was hat das mit der Verwandlung zu tun."

"Sir, wenn wir verwandelt sind, können wir nur noch Farben sehen, Sir. Keine Gegenstände, sondern nur Temperaturunterschiede, Sir. Das hängt mit unseren Augen zusammen, Sir. Deshalb sollten alle die uns mögen, von uns weg bleiben, Sir. Laufen wir auf euch zu, hockt euch hin oder legt euch am besten auf den Boden und macht sie sich so klein wie nur möglich, Sir. Vor allem bleibt still liegen, Sir. Dann tun wir euch nichts, Sir."

"In Ordnung Poco de sol, ich werde es allen sagen", lange sah er mich an. "Kannst du einen Brief mitnehmen, zu meinen Freund Pater Mateo?"

Ich nickte. "Sir, ich werde es versuchen Pater Carlos, Sir. Aber ich kann es ihnen nicht versprechen, Sir. Die einzige Möglichkeit wäre den Brief in eine Bandage einzuwickeln, Sir. Falls sich diese unterwegs löst, geht der Brief verloren, Sir."

Vieles berichtete ich Pater Carlos noch. Dass wir Freunde hatten, die uns bestimmt suchten und ebenfalls Soldaten waren wie wir, nur bei einer anderen Einheit, der Soko Tiranus. Erzählte ihm von Dika und Doko, die uns immer beschützt hatten. Pater Carlos hörte mir genau zu. Erzählte ihm auch, dass wir keine Antibiotika bekommen durften und keine der Sachen, die normale Leute aßen oder Medikamente und bat ihn, ober er das, in den Brief an seinen Freund hineinschreiben könnte. Da uns all diese Sachen umbringen würde, in unseren jetzigen Zustand. Dann schrieb er einen Brief, den er mir dann gab.

"Hier ist der Brief für Pater Mateo, ließ ihn dir durch."

Nach dem ich diesen gelesen hatte, wickelte ich ihn in eine Bandage um das Fußgelenk, der einzigen Stelle an meinem Körper, an der ich ihn transportieren konnte, die sich nicht veränderte bei der Verwandlung.

"Es ist nicht schlimm, wenn der Brief verloren geht. Du weißt ja jetzt genau, was in dem Brief steht. Dann kannst du es Pater Mateo ausrichten."

Ich nickte zustimmend und begann meine Kameraden zu wecken, der Brei war jetzt soweit, dass wir ihn essen konnten.

"Sir, danke, dass sie uns geholfen haben, Sir. Bitte gehen sie jetzt mit den Anderen aus der Baracke. Wir wollen sie nicht aus Versehen verletzen, Sir. Behalten sie uns so wie wir jetzt sind, in Erinnerung, Sir. Wir stehen für immer, tief in ihrer Schuld, Sir."

Pater Carlos schüttelte den Kopf. "Nein Poco de sol, wir stehen in eurer Schuld. Was man euch angetan hat, ist unverzeihlich. Wir drücken euch die Daumen, dass eure Flucht gelingt. Viel Glück."

Sofort wollte er sich zurück ziehen. Allerdings gingen wir auf die beiden Männer zu, denen wir höchstwahrscheinlich unsere Freiheit und unser Leben zu verdanken hatten. Wenn alles klappte und nahmen sie einfach in die Arme. Rina sagte mir, wie ich mich bedanken konnte.

"Gracias por su ayuda. – Danke für eure Hilfe."

Lange hielt ich den mir fremden Mann in den Armen, dem ich niemals wiedersehen würde. Von dem ich mehr Menschlichkeit bekam, als von vielen anderen Menschen die wir in unserem Leben kennen lernen musste und das, obwohl es ihm selber schlecht ging.

"Pater, nutzen sie die Verwirrung die wir machen. Vielleicht gelingt euch auch die Flucht. Ich würde euch gern mitnehmen, aber dazu fehlt uns einfach die Kraft. Tut mir leid", flüsterte ich ihm ins Ohr.

 

Ganze dreiundzwanzig Umarmungen, mussten sich die beiden Männer gefallen lassen. Dann verließen sie die Baracke und nahmen alle anderen mit. Wir teilten den Brei in dreiundzwanzig Portionen und aßen ihn hastig. Es tat gut den Magen etwas zu beruhigen. Auch wenn wir diesen Brei innerhalb von Sekunden wieder ausbrechen würden. Das in dem Brei enthalten hochprozentige Ginoenzym war notwendig, damit wir die Kontrolle über die Ginos behalten konnten.

"Wir beginnen mit der Verwandlung und bitte keiner schreit, davon hängt unser Leben ab", gab ich das Kommando, für die Verwandlung. Gleichzeitig entstanden aus uns dreiundzwanzig Kindern, dreiundzwanzig Ginos, die so unterschiedlich waren, wie wir auch im normalen Leben aussahen.

Rashida, Einar, Cetin ähnelte einer Art Bären, Andi, Aya, Kimi, Kaija einer Abart von einem übergroßen Panther, Raiko Jaan, Ari, Goro, Sina, Teja, Cankat, Ava, Rafik ähnelten übergroßen Wölfen und Rina, Erja, Nairi, Nentis, Ana, Mila und ich einer Art Geparden.

Wütend sahen wir uns an und gingen aus dem Dach der Baracke, in dem wir nach oben sprangen und das Dach einfach zertrümmerten. Mit geballter Kraft gingen wir, gegen das nur fünfzehn Meter, neben der Baracke befindliche Tor vor. Rissen es einfach aus den Angeln und holten die Wachleute vom den Türmen, in dem wir diese einfach abrissen. Leise drehten wir eine Runde, um den Zaun einzureißen. Hatten einen kurzen, aber heftigen Kampf, gegen die Soldaten die das Lager bewachen sollten und nicht auf unserer Seite standen, wie Eduardo. Trieben diese Soldaten in den Minengürtel und auf diese Weise in den Tod. Auf diese Weise erreichten wir, die Entschärfung des Minenfeldes an einigen Stellen und dadurch ermöglichten wir auch den anderen Lagerinsassen die Flucht. Trieben so eine Schneise in Richtung Süden, in den Mienengürtel, über den auch die Anderen fliehen konnten.

Wir allerdings nahmen Anlauf, um über den knapp fünfzig Meter breiten Minengürtel im Norden zu springen, der nur vom Büro des Kommandanten zu entschärfen war, dort liefen alle Leitungen zusammen, um von dort aus bei eine Revolte das Minenfeld über einen Zeitzünder in die Luft jagen zu können. Darum konnten sich die Insassen um Pater Carlos kümmern, wir hatten die Grundlangen für ihre Flucht geschaffen, denn Rest sollten und mussten sie alleine bewerkstelligen. Dies entzog sich im Moment, unserer Macht. Wir hatten einfach keine Kraft mehr, uns um andere zu sorgen, hatten genug mit uns selber zu tun. Wir hofften nur, dass wir den anderen auch eine Möglichkeit gegeben hatten, zu entfliehen.

Wir liefen ohne zurück zu sehen, einfach gegen Norden. Hofften so sehr, dass den Pater auch die Flucht gelang. Unsere Hoffnung würde diese Menschen begleiten. Schnell hatten wir hundert Kilometer hinter uns gelassen, als nach drei Stunden die Sonne aufging, lagen zwischen uns und dem Lager schon reichliche dreihundert Kilometer. Wir liefen einfach weiter ohne Pause, wir hatten Angst es nicht zu schaffen. Erst als wir gegen Mittag, als die Sonne schon hoch im Zenit stand, einen See fanden dessen Wasser trinkbar war, rasteten wir. Dieser See war nicht mehr als eine größere Pfütze, man konnte ihn nur mit viel Fantasie einen See nennen konnte. Er ermöglichte uns jedoch etwas zu trinken. Keine fünf Minuten ließ ich meinen Leuten Zeit, wir hatten immer noch über viertausend Kilometer vor uns. Je weiter wir vom Lager weg waren, umso höher wurde unsere Chance, dass wir überlebten. Achtzehn Stunden liefen wir ohne Unterbrechungen und erst dann machten wir eine weiter kleine Pause an ein einem Wasserloch. Lange hielten wir dieses Tempo nicht mehr durch. Uns war allerdings klar, dass wir so schnell wie möglich die Rückverwandlung vornehmen mussten, sonst waren die Schäden, die wir durch die Verwandlung behielten, nicht mehr reparabel. Ich würde niemand helfen können, denn ich hatte selber kaum noch Kraft weiterzulaufen. Aus diesem Grund trieb ich die Gruppe vorwärts, auch deshalb beschlossen wir, noch weiter zwölf Stunden als Ginos, in Richtung Norden zu laufen. Damit, wenn man uns sichtete, eher dachte, dass diese eine eigenartige Herde war und nicht vermutete, dass wir das sind. Ich hoffte sehr, dass uns der Pater nicht verraten würde und die übrigen Lagerinsassen zu uns hielten. Denn nur diese kannten unser Geheimnis. Nur die wussten von den Ginos. Alle anderen die nicht zu uns gehalten hatten, wurden von uns in den Minengürtel getrieben und waren tot. Deshalb würde man, so hoffte ich, uns für Tiere, nicht aber für Flüchtlinge halten. So war die Gefahr geringer, dass wir erkannt wurden. Vor allem, konnten wir uns auf diese Weise, besser verteidigen, falls wir in einen Hinterhalt gerieten. So liefen wir sechsunddreißig Stunden gegen Norden, in Richtung unserer Freiheit.

Gegen Mittag des nächsten Tages erreichten wir unser Ziel. Gingen hoch oben in den Alpen, an einem See nördlich von Arica, aus der Verwandlung. Wir hatten es fast geschafft, nur ging es uns allen nicht besonders gut. Der Hunger, war durch das schnell Laufen, fast nicht mehr zum Aushalten, die Rückverwandlung hinterließ bei allen von uns, bleibende Schäden, die Muskeln waren dermaßen verkrampft, dass wir kaum mehr atmen konnten. Es nutzte nichts, wir konnten uns dem Lager des Missionars, nicht als Ginos nähern, die Menschen dort würden sich zu Tode erschrecken. Wir hatten nur noch knapp zweihundert Kilometer, die wir zurücklegen mussten. Diese würden wir auch so schaffen.

Mühsam kam ich auf die Beine. Für Ruhe und Erholung hatten wir in Peru Zeit. Jetzt mussten wir weiterlaufen. Alle erhoben sich, fast alle, denn einige von uns konnten nicht mehr laufen. Bei Ari, Ana und Kami, waren die Krämpfe so schlimm, dass sie sich nicht mehr bewegen und kaum noch atmen konnten. Also nahmen wir unsere Freunde am Arm, zogen diese über die Schulter. Wir griffen uns an den Händen, setzten die Bewegungsunfähigen auf unsere Hände. So dass sie nicht mehr laufen mussten. Allerdings kamen wir auf diese Weise nur noch sehr langsam vorwärts. Da man so nicht schnell laufen konnte. Wenn man zu zweit jemanden ohne Trage transportieren musste, konnte man nicht mehr schnell laufen. Wir wechselten uns mit dem Tragen ab. Nach einer Weile hatten sich Rashida, Einar und Cetin soweit erholt, dass sie die Kranken alleine tragen konnten. Dadurch war es möglich, dass wir Tempo wieder erhöhten, so dass wir nach weiteren drei Stunden, unser Ziel erreicht hatten.

Tacna eine kleine Ortschaft in Peru, in dem der Missionar Pater Mateo, seine Mission haben sollte. Ich ließ meine Freunde am Rand der Ortschaft warten und machte mich alleine auf den Weg in die Mission, des Paters. Ich band die Bandage am Fußgelenk ab, entnahm ihr den Brief und betrat die kleine Kirche, die zu der Mission gehörte. Dort kam mir ein schwarzhaariger, untersetzter Pater entgegen. Zu meinem Erstaunen stellte ich fest, dass er über unser Erscheinen schon Bescheid wusste. Er begrüßte mich in gebrochenem Deutsch.

 

"Du musst sein Poco de Sol, der kleine Sonnenschein von meine Freund Carlos. Ihr habt geschafft es, ich kann nicht glauben."

Lächelnd hielt er mir seine Hand hin. Erschrocken wich ich einen Schritt zurück. "Pater Mateo, mein Name ist. Ich sollen sage dir, Pater Carlos sein in Sicherheit. Der Eduardo auch ist. Danke dir fliehe konnt", freudig sah er mich an. "Wo sein Freunde, deine?"

Erleichtert atmete ich auf. Deshalb also wusste der Pater über unser Kommen Bescheid. Ich zeigte nach draußen, schwankend hielt ich mich am Arm des Paters fest.

"Sir, wir brauchen ihre Hilfe Pater, meine Freunde können nicht mehr, Sir. Wir sind kurz vor dem Verdursten, Sir."

"Kommen, Poco de sol, wir zu Freunden fahren deinen."

Sofort nahm er mich in den Arm und führte mich in Richtung Tür. Draußen stand ein kleiner LKW, in den stieg er ein.

"Wo sollen fahren ich hin?"

Ich zeigte ihm einfach die Richtung. Keine drei Minuten später, waren wir bei meinen Freunden angekommen. Pater Mateo öffnete die Ladefläche des LKWs und holte zehn große fünf Liter Ballons mit Wasser herunter.

"Das reichen wird, so hoffe, für den Durst ersten?", erkundigte er sich bei mir. Mateo öffnete, da meine Hände schlimm zitterten, die riesigen Flaschen.

"Danke."

Mehr konnte ich nicht mehr sagen. Gab Ari, Ana und Kami als erstes etwas zu trinken, die beiden waren mehr tot als lebendig. Das Wasser schien ihnen sehr zu helfen. Nach einander tranken wir die zehn großen Wasserflaschen leer. Dadurch ging es uns etwas besser, ein wenig Schlaf, dann würde es wieder besser werden. Als wir alle auf dem LKW geklettert waren, fuhr Pater Mateo zurück zur Mission und brachte uns in seiner Kirche unter. Er ließ uns auf mein Bitten hin erst einmal schlafen.

Mit dem Schlaf, kam das Fieber, fast alle von uns bekamen hohes Fieber. Ganze sechs Tage, war niemand von uns ansprechbar. Durch den Brei den ich gekocht hatte, die Nahrung die wir normalerweise nicht essen durften, kam es zu einer allergischen Reaktion. Ich war so froh, dass uns das Fieber erst hier, in der Mission eingeholt hatte. Jetzt waren wir in Sicherheit. Schnell hatte sich herum gesprochen, dass dreiundzwanzig Kindern die Flucht aus einem Konzentrationslager Pinochets gelungen war. Diese Kinder hochfiebrig, in der Mission lagen. Viele Frauen kamen, um uns zu pflegen, dank des Paters, gab man uns nur Wasser. Dieses versuchte man mühevoll uns einzuflößen. So dass wir nicht noch mehr Probleme dazu bekamen. So erholten wir uns etwas. Soweit das in unserer Lage überhaupt noch möglich war. Nach einigen Tagen war das Fieber etwas gesunken und wir wieder ansprechbar. Kaum dass ich die Augen geöffnet hatte, sah ich zu meiner Verwunderung, in das liebe Gesicht von Pater Carlos. Dem in der Zwischenzeit, ebenfalls die Flucht nach Peru gelungen war.

"Poco de sol, mein kleiner Sonnenschein, du bist wieder da."

Flüsternd konnte ich nur sagen. "Du hier?", jede Anstandsregel außer Acht lassend.

Zärtlich streichelte er mir mein Gesicht. "Ja meine Kleine."

Ich wollte aufstehen, um nach meinen Freunden zu sehen. Weil ich einige, nicht mehr fühlen konnte.

"Bleibe liegen meine Kleine. Bitte du musst dich noch ausruhen. Alle, die es überlebt haben, geht es einigermaßen. Poco de sol, für die anderen kannst du nichts mehr tun. Die sind schon vor fünf Tagen verstorben. Es tut mir leid, wir haben alles versucht", weinend sah Carlos mich an und zog mich einfach in seine Arme.

Mir tat die Nähe gut, so schlief ich nochmals ein. Zwei ganze Tage verschlief ich noch und kam nur mühsam wieder zu mir. Viel zu schwach, um aufzustehen. Ich rief nach meinen Freunden. Einar, Cetin, Aya, Mila, Ana, Kimi, Kaija, Ari, und Netis konnte ich nicht mehr erreichen. Neun meiner Freunde waren hier im Lager des Missionars gestorben. Weinend lag ich auf meinem Lager, als Pater Carlos, mein Freund und Retter zu mir kam.

"Poco de sol, wie geht es dir?", fragt er mich besorgt und hielt mir einen Becher mit Wasser an die Lippen.

Flüsternd antwortete ich ihm. "Nicht gut, Pater, wir müssen endlich etwas essen."

Pater Carlos sah mich an und versuchte mich zu beruhigen. "Hilfe ist unterwegs. Du hast mir im Lager von deinen Freunden, in der Soko Tiranus erzählt. Ein Freund von mir, hat in eurer Heimat herum geforscht und fand einen Oberst Fleischer, der diese Soko Tiranus leitet. Eure Freunde sind auf den Weg hierher, sie kommen in den nächsten Stunden hier an. Er bringt Nahrung für euch mit. Ihr müsst nur noch ein paar Stunden durchhalten. Bitte Poco de sol, es sind nur noch wenige Stunden."

Meine Sinne kippten schon wieder weg. Nur ganz weit entfernt, nahm ich das, was Pater Carlos mir sagte, wahr. Aber es reichte, um zu begreifen.

"Freunde haltet noch etwas durch. Hilfe ist unterwegs", bat ich in der Verbindung alle, die noch am Leben waren.

Das kostete mich meine letzte Kraft. Danach fiel ich wieder in einen tiefen, von Alpträumen zerrissenen Schlaf. Der alles aber nicht erholsam war. Den ich aber nicht mehr verhindern konnte. Nicht nur meine Schreie, brachten die uns pflegenden Menschen, an den Rand des Ertragbaren. Auch meine Freunde schrien, sich all den Schmerz von der Seele. Es musste grauenvoll sein, uns zu pflegen. Wir konnten nichts mehr dagegen tun. Wir waren mehr tot als lebendig und hatten sämtliche Kontrolle über uns verloren.

 

Nur knappe drei Stunden nach meinem Gespräch mit Carlos, traf Oberst Fleischer von der Soko Tiranus und seine Rettungsmannschaft, in Tacna ein.

Bewaffnet mit vielen Dosen unserer Nahrung, Medikamenten und Kleidung, vor allem aber Brillen. Alle waren froh die Kinder endlich gefunden zu haben. Bereits seit drei Monate, wurden wir vermisst. Seit dieser Zeit machte der Oberst all seine Beziehungen mobil und ließ in und um Chile, nach uns zu suchen. Er hatte uns nicht aufgegeben, nicht eine Sekunde zweifelte er daran, dass seine Kinder noch am Leben waren. Bis zum Anruf, durch einen der in der Republik lebenden ehemaligen Missionar, hatte Fleischer auf eigene Faust, nach uns gesucht und suchen lassen. Als uns die Mitglieder der Rettungsmannschaft das erste Mal sahen, fingen alle an zu weinen. Dies waren nicht die Kinder die sie kannten, sondern nur noch Skelette mit Haut und Muskeln. Wir sahen schlimm aus. Unsere Hat war völlig kaputt und die Augen eitrig entzündet. Keiner von uns hatte noch ein Gramm Fett am Körper. Vor allem waren wir am gesamten Körper offen und verschorft. Sofort nach der Landung der Maschine, wurde der Brei vorbereitet und uns in kleinen Mengen gefüttert. Ganze drei Wochen wurden wir noch gepflegt, bis die Ersten wieder bei Bewusstsein und das erstmals ansprechbar waren.

Irgendwann wurde mir bewusst, dass mich jemand mit meiner Nahrung fütterte und öffnete die Augen, die nicht mehr weh taten. Sah in das Gesicht von meiner Dika. Der erste Gedanke der mir kam war, jetzt bin ich tot. Das kann nur das Paradies sein. Meine Dika, die mich mit Brei fütterte. Meine Augen taten gar nicht mehr weh. Vorsichtig wollte ich mich aufsetzen, aber es ging nicht. Ich war viel zu schwach. Meine Arme gehorchten mir nicht mehr, ich konnte nicht einmal den Kopf drehen.

"Dika nisön, sere? – Meine Liebe Dika, wie geht es dir?", wollte ich kaum hörbar wissen.

Auf einmal fing meine liebe Dika an zu weinen. "Oh Gott, mein kleines Mädchen", sofort zog sie mich in ihre Arme.

"Willy, komm schnell. Kahlyn ist zu sich gekommen", rief sie laut in den Raum. Kaum dass sie den Satz ausgesprochen hatte, stand Oberst Fleischer neben meinem Bett. Genau so weinend wie Dika, hockte er sich neben mich.

"Kahlyn, mein kleines Mädchen. Ich habe dich so gesucht. Endlich, ich dachte so oft, du schaffst es nicht mehr. Schlaf meine Kleine, jetzt wird alles wieder gut."

Mit tränennassem Gesicht, gab er mir einen Kuss. Den Arm, um meinen Dika geschlungen, schlief ich wieder ein. Diesmal einen erholsamen tiefen Schlaf, der mir endlich Genesung brachte.

Erleichterung ging durch die Reihen der uns pflegenden Mitglieder der Soko, wie auch der Hilfskräfte aus der Region. Alle hatten nicht mehr daran geglaubt, dass ich noch einmal munter werden würde. Die anderen waren schon seit Tagen wieder bei Bewusstsein. Auch wenn sie noch sehr schwach waren, konnte man sie wieder ansprechen und sie befanden sich auf dem Weg der Besserung. Nur ich wollte einfach nicht wieder zu Bewusstsein kommen. Dika hatte nicht mehr damit gerechnet, dass ich es noch einmal schaffe. Meine Blutwerte waren so schlecht gewesen, dass man mich mehr als nur einmal, aufgegeben hatte. Seit einhundert vierzehn Tagen, hatte ich keine Nahrung zu mir genommen. Allerdings hatten auch wir nur eine bestimmte Zeit, die wir ohne Nahrung leben konnten. Nach achtzig Tagen verhungerten wir qualvoll. Dika hatte nicht mehr damit gerechnet, dass ich es noch einmal schaffen würde. Wie so oft, kämpfte ich bis zum Schluss. Ob sich dieser Kampf gelohnt hatte, wusste ich zum damaligen Zeitpunkt nicht. Ich war mir nicht sicher, dass ich noch leben wollte.

Meine Kameraden waren in Sicherheit und ich hatte mein Versprechen ihnen gegenüber gehalten. Ich hatte sie nach Hause gebracht. Sie brauchten mich nicht mehr oder doch? Ich wusste es im Moment einfach nicht. Ich hatte keine Ahnung, ob ich mit dem, was ich in Chile erlebt hatte weiter leben konnte. Ich wusste nicht ob ich weiter kämpfen wollte. Immer wieder sagte ich mir, du musste es einfach versuchen. Auch wenn neunzehn meiner Kameraden tot waren, so hatten dreizehn von ihnen überlebt. Denen es immer noch nicht gut ging. Die immer wieder, nach mir schrien und meine Hilfe wollten. Die meine Stimme brauchten, um gesund zu werden und sich zu erholen. Durfte ich einfach aufgeben? Durfte ich sie jetzt, da sie in Sicherheit waren, einfach ihrem Schicksal überlassen?

Dass durfte und konnte ich nicht. Schon gar nicht, konnte ich meine Rashida alleine lassen. Sie weinte ständig und hatte immerzu Angst um mich. Immer hatte ich meine Kameraden beschützt und musste es auch weiterhin tun. Solange noch einer von ihnen lebte, musste auch ich weiterleben. Das hatte ich mir und ihnen vor vielen Jahren einmal geschworen. Also kämpfte ich wieder einmal um mein Leben. Einfach, um meine Bestimmung zu erfüllen und für die anderen da zu sein. Ich würde auch dieses Mal einen Weg finden müssen, um mit dem Erlebten zu leben. So wie ich es immer irgendwie geschafft hatte, klarzukommen.

 

Meine Dika, die so um mich gekämpft hatte, hielt mich glücklich in ihren Arm und hörte meine gleichmäßigen ruhigen Atemzüge.

"Willy, bitte sage Fritz Bescheid, dass es Kahlyn geschafft hat. Er wird bestimmt bald wahnsinnig vor Sorge", bat sie meinem Oberst um Hilfe, für den Zuhause geblieben Doko.

Dika dachte an den zurückliegenden Kampf um mein Leben. Der über drei Wochen gedauerte hatte. Immer wieder sagte man ihr, lass sie sterben, sie schafft es nicht mehr. Sie ist viel zu weit weg. Sieh sie dir an, sie ist doch nur noch Knochen und atmet kaum mehr. Sie hat keine Chance mehr, je wieder gesund zu werden. Da ich kaum noch schlucken und dadurch keine Nahrung mehr zu mir nehmen konnte. Ich war einfach zu geschwächt. Aber meine Dika gab nicht auf und flößte mir extra dünnen Brei mit einem Löffel ein, jede viertel Stunde einen halben Löffel voll. Steckte mir Tscenns, das sind kleine Pillen die hochprozentige Proteine und Vitamine enthalten in den Mund, die sich von alleine in meinem Mund auflösten und mich so mit allem versorgten, was ich brauchte. Dadurch kam ich wieder etwas zu Kräften. Nach sechs Tagen begann ich das erste Mal, wieder von alleine zu schlucken. Seit dem ging es langsam wieder etwas aufwärts. Über sechszehn Wochen hatte ich keine Nahrung mehr bekommen. Eigentlich so war allen Beteiligten klar, hätte ich schon längst verhungert sein müssen. Von meinem normalerweise zweiundachtzig Kilo die ich immer gewogen hatte, waren nur noch einundvierzig Kilo übrig geblieben. Viel zu wenige für meine Maße, da ich ja nur aus Muskulatur bestanden hatte. Die letzte Aktion, der Ausbruch aus dem Lager und das Laufen in die Freiheit, hatte mich meine letzte Kraftreserve gekostet. Brachte mich den Tot so nahe, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Langsam erholte ich mich wieder, legte wieder etwas an Gewicht zu. Auch heilten meine Verletzungen aus. Vor allem aber konnte ich wieder, wie ein normaler Mensch denken. Nach einer reichlichen Woche, mit viel Nahrung und guter Pflege, waren wir alle wieder so weit bei Kräften, dass wir nach Hause gebracht werden konnten.

Am frühen Morgen des 24. Dezember 1 973 nahmen wir Abschied von Pater Carlos und Pater Mateo. Aber auch von den vielen fleißigen Helfern, die den beiden Missionaren und den Mitgliedern der Soko Tiranus, um Oberst Fleischer, bei unserer Pflege halfen. Fast alle meine Freunde liefen auf ihren eigenen Beinen zur Maschine, nur Rashida, Jaan und ich wurden auf einer Trage hineingetragen, da wir einfach noch zu schwach zum Laufen waren. Als wir schon in der Maschine waren, kam noch einmal Pater Carlos zu mir.

"Poco de sol, danke dass du uns die Flucht ermöglicht hast. Hoffen wir, dass du uns nicht in allzu schlechter Erinnerung behältst", liebevoll streichelte er mir über mein Gesicht.

"Pater Carlos, euch haben wir es zu verdanken, dass wir nach Hause kommen. Ich habe nicht mehr damit gerechnet. Pater wir hatten uns schon aufgegeben. Pater Carlos, man nennt mich Kahlyn", bewies ich ihm im letzten Satz, dass ich ihm jetzt endlich vertraute. Dass ich endlich begriffen hatte, dass ich ihn zu meinen Freunden zählen konnte.

Der Oberst der neben dem Pater hockte, einfach um sicher zu gehen, dass ich mich nicht aufregen würde, lächelte.

"Dann hoffe ich, du bist bald wieder gesund kleine Kahlyn. Ich werde dich immer in Erinnerung behalten, als meinen kleinen Sonnenschein. Gute Heimreise", nochmals streichelte Carlos mir über mein Gesicht und erhob sich, um das Flugzeug zu verlassen. Oberst Fleischer folgte ihm, um ihn zu erklären, was der Satz wirklich für eine Bedeutung hat.

"Pater Carlos, danke, dass sie unsere Kinder beschützt haben. Sie haben das Vertrauen, von meinem kleinen Mädchen erlangt. Das ist der schönste Dank, den sie von diesen Kindern bekommen können. Kahlyn, sagt nicht jeden ihren wirklichen Namen. Alles Gute für sie und danke für alles. Passen sie gut auf sich auf."

Der Oberst nahm den weißhaarigen Pater in den Arm, um ihn noch einmal zu drücken.

"Alles Gute ihnen und passen sie auf diese Kinder auf, die haben genug gelitten."

Der Oberst nickt traurig. "Ich weiß, in anderthalb Jahren, kann ich sie endlich befreien. Dann werde ich dafür sorgen, dass sie ein schönes Leben führen können. Das verspreche ich ihnen Pater." 

 

Oberst Fleischer stieg in den Flieger und gab das Signal zum Abflug. Froh, dass man wenigstens vierzehn, der dreiunddreißig Kinder retten konnte. Das Schlimmste für ihn und sein Team war, dass er so viele von ihnen hier lassen zu musste. Zehn der Kinder konnten nicht einmal mehr nach Hause zurückkehren. Das war nicht nur für ihn schlimm, sondern für uns Kinder um einiges Schlimmer.

Die Neun im Lager des Missionars verstorbenen Kinder, lagen in Särgen verpackt und würden ihr letzte Ruhe unter ihrem geliebten Baum finden. Für die anderen hatte er schon Marken machen lassen, so dass wenigstens deren Marken am Baum, aufgehängt werden konnten. Kaum, dass die Maschine gestartet war, setzte sich der Oberst neben mich und hielt einfach nur meine Hand. Dankbar, dass er nicht wie sonst in mich eindrang, um zu erfahren, was uns geschehen war, hielt ich mich an ihm fest. Immer noch konnte ich nicht glauben, dass mein größter Wunsch in Erfüllung gegangen war. Dass wir nach Hause flogen, in die Soko, wo wir am 25. Dezember 1973 ankamen.

Viel zu müde und krank, um irgendetwas zu registrieren. Wir wurden aus dem Flieger, in das Besprechungszimmer gebracht. Wo man durch, vor die Fenster genagelte Bretter einen Raum geschaffen hatte, der absolut dunkel war. Dort standen vierzehn Feldbetten für uns bereit. Alle aus der Soko waren, obwohl es Weihnachten war, in die Basis gekommen. Mit ihren Familien, feierten sie dieses Jahr hier Weihnachten. Sie bekamen das schönste Geschenk, was man sich wünschen konnte. Ein Teil ihrer Freunde wurde gerettet.

Als die Familien des Teams der Soko Tiranus uns sahen, verstanden sie erst, warum ihre Väter sich solche Sorgen gemacht hatten. Warum sie monatelang nicht frei hatten, weil sie nach uns suchten. Fast vier Monate waren viele aus der Soko nicht mehr bei ihren Familien gewesen, genauso lange wurden wir vermisst. Selbst jetzt, nach über einem Monat intensiver Pflege, sah man uns die Folter noch an. Die Haut auf unserem Körper, war immer noch nicht richtig nach gewachsen, wir hatten immer noch große offene Wunden, im Gesicht und am Körper. Keiner von uns hatte mehr Haare. Vor allen waren wir alle schneeweiß im Gesicht, oder besser gesagt graublass. Wir hatten durch die Reihe weg, dunkle Augenringen und eingefallene Gesichter. Wir sahen immer noch mehr tot, als lebendig aus und ähnelten mehr Skeletten als Kindern. Alle sorgten sich liebevoll um uns und gaben uns die Pflege die wir brauchten. Der Oberst, der sich rührend um uns kümmerte, versuchte, nur ein einziges Mal mit mir, über das Vorgefallene zu reden. Er wollte den Oberstleutnant, für die unterlassene Hilfe, zur Verantwortung ziehen, um uns in Zukunft besser beschützen zu können. Deshalb versuchte er nach zwei Wochen das einzige Mal, mit mir über Chile zu reden.

"Kahlyn, kann ich bitte kurz mit dir, über das Vorgefallene reden. Bitte mein kleines Mädchen. Ich muss wissen, was in Chile passiert ist."

Allerdings war ich psychisch, genau wie die anderen, immer noch viel zu angeschlagen und instabil. Das es, obwohl ich noch völlig geschwächt war, es zu einem Kampf kam, da ich völlig ausrastete.

"Sir, bitte ich will nicht darüber reden, Sir", bat ich ihn immer wieder.

Wie so oft hörte der Oberst nicht auf zu bohren. Wie oft hatte ich ihm gesagt, er sollte das nicht machen. Oberst Fleischer drängte mich völlig in die Ecke. Immer und immer wieder fragte er nach. Er meinte es ja gut und wollte uns nur beschützen. Verstand allerdings nicht, weshalb ich nicht darüber reden wollte und vor allem nicht konnte. Das ging solang, bis ich nicht mehr wusste, was ich machen sollte. Fast vier Stunden versuchte er auf mich einzureden. Immer wieder bat ich ihn, aufzuhören. Völlig in die Ecke getrieben, wusste ich mir nicht mehr zu helfen und begann ihn schließlich anzugreifen. Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten, schlug wütend wie mich der Oberst gemacht hatte, auf ihn ein. Schläge die ihm nicht einmal weh taten, da ich überhaupt keine Kraft für einen Kampf hatte. Nach nicht einmal drei Minuten, die der Kampf dauerte, brach ich bewusstlos zusammen. Ich war am Ende meiner wenigen Kraft.

Wieder war ich für Tage nicht ansprechbar. Der Oberst bekam nicht nur von Seiten der Dika, sondern auch von seinen Leuten böse Vorwürfe. Deshalb schnitt er dieses Thema, nicht mehr an. Langsam erholte ich mich wieder, fast eine Woche war ich nicht in der Lage aufzustehen. Immer wieder schaute ich ängstlich zum Oberst. Dieser hatte seine Lektion gelernt und endlich begriffen, dass er mich in Ruhe lassen musste, wenn ich gesund werden sollt.

"Keine Angst Kahlyn, mein kleines Mädchen, ich werde nie wieder fragen. Aber bitte, wenn du einmal darüber reden willst, dann kommst du zu mir."

Ich war so froh, dass er mich endlich nicht mehr bedrängte. Dass ich endlich in Ruhe einschlief und mich wieder etwas erholen konnte. Langsam wurde ich wieder kräftiger, legte an Gewicht zu und baute wieder etwas Muskeln auf. Vier Wochen nach unserer Ankunft in der Soko, es war der 29. Januar 1974 machte der Oberst eine kleine Feier für uns. Für die, die zurückgekehrt waren, eine kleine Willkommensfeier. Aber auch für diejenigen, die in Chile ihren letzte Ruhe gefunden hatten und unsere Kameraden, die im Kühlraum lagerten. Er sah mich irritiert an, als ich ihm sagte, er und seine Leute brauchten bei der Verabschiedung unserer Kameraden nicht dabei zu sein. Die Feier würde zu lange dauern.

Auf seine Frage. "Warum?"

Antworte ich wahrheitsgetreu, wie es meine Art war. "Sir, sie werden es sehen, Sir", es wurden neunzehn Bilder auf einem Brett aufgestellt, hinter jedes dieser Bilder, legte die Mitglieder der Soko einen Kranz mit Blumen. Wir betrauerten unsere Toten, auf die uns eigene Art.

 

Das erste Mal in unserem Leben, dass wir Fremde an unserer Art zu trauern teilhaben ließen. Und dass wir die Trauerfeier nicht auf unserem Baum machten, sondern in aller Öffentlichkeit. Dass wir dabei laut sprechen mussten, fiel uns allen besonders schwer. Darin steckten viele Emotionen. Etwas, dass wir noch nie in der Öffentlichkeit gezeigt hatten. Wir waren jedoch alle der Meinung, dass wir das den Mitgliedern der Soko schuldig waren. Die uns so treu geblieben waren und ohne deren Hilfe und Aufopferung wir heute alle nicht mehr leben würden. Denn das war uns allen klar geworden in den letzten Wochen. Nur noch zwei Tag und keine von uns hätte Chile überlebt. Deshalb war es in diesem Fall notwendig und auch wichtig, der Tod unserer Freunde, betraf dieses Mal, nicht nur uns alleine.

Wir setzten uns in einen Kreis und fassten uns an den Händen. Begannen eine Melodie zu summen. Dann fing ich an zu reden.

"Chim, lange warst du bei uns. Über vierzehn Jahre haben wir zusammen gekämpft, mein Herz ist schwer. Allerding habe ich keine Tränen mehr. Ich kann nicht mehr um dich weinen. Ich möchte mich bei dir entschuldigen, für all den Schmerz, den ich dir zufügen musste. Bitte verstehe mich. Ich tat es nur, weil kaum noch Leben in dir war. So konnte ich die anderen retten. Hier sitzen jetzt Rina, Raiko, Sina, Teja, Rafik, Jaan, Ava, Cankat, Nairi, Goro, Rashida, Erja und ich, deine Freunde. Die sich von dir verabschieden wollen. Dank deines Opfers, sind diese, deine Kameraden noch am Leben. Wir versprechen dir eins, um so mehr auf unser Leben zu achten, du wirst solange wir leben, nicht vergessen sein."

Immer weiter summten wir die Melodie, als Erja, seine beste Freundin sich zu Wort meldet.

"Weißt du noch Chim, als wir vor vielen Jahren durch die Ostsee schwimmen mussten, da hast du mir das Leben gerettet. Ich konnte einfach nicht mehr. Da nahmst du mich auf deinen Rücken und schwammst für uns beide einfach weiter. Dafür möchte ich dir Danken, immer wirst du einen Platz in meinem Herzen haben, solange es schlägt."

Wieder summten wir die Melodie. Eine Melodie dir wir einmal bei einen Einsatz gehört hatten. Leise und traurig klang diese Melodie, die wir einmal aus einem Radio zu hören bekamen und die uns allen sehr gut gefiel. Yesterday von den Beatles, eine Melodie die unseren Schmerz, um einen verloren Freund am besten zum Ausdruck brachte. Während wir die Melodie immer weiter summten, fing Cankat an zu sprechen.

"Weißt du noch Chim, damals in Rumänien, in diesem Bergwerk, als ich nicht mehr konnte und mich das Grauen im Griff hatte. Damals nahmst du mich in deine Arme und halfst mir diese Bilder zu vergessen. Dafür möchte ich dir Danken, immer wirst du einen Platz in meinem Herzen haben, solange es schlägt", während die anderen weiter die Melodie summten, begann Rashida zu sprechen.

"Chim, mit dir habe ich einen Freund verloren, der nicht ersetzbar ist. Weißt du noch, als wir noch nicht ganz ein Jahr alt waren, hatte mich der Oberstleutnant in eine Tonne gesteckt. Über zwei Stunden hatte er mich dort drinnen gelassen. Du hast mich befreit und wurdest dafür bestraft. Ohne dich mein Freund wäre ich heute nicht mehr am Leben. Dafür möchte ich dir Danken, immer wirst du einen Platz in meinem Herzen haben, solange es schlägt."

Goro fiel das Sprechen noch schwerer als den anderen, noch nie hatten wir laut gesprochen beim Abschied. Stets hatten wir das auf unsere Weise, leise und nur in der Verbindung gemacht. Wie alle unsere Freunde hier, hatte auch er eingesehen, dass wir das hier anders machen mussten. Alle hier in der Soko hatten ihr Leben und ihren Job riskiert, um uns zu suchen. Deshalb hatten sie sich verdient, an unserem Abschied von unseren Freunden teil zu haben. Ohne diese Menschen, die jetzt hier versammelt waren, würden wir alle nicht mehr leben. Immer weiter summten wir unser Lied.

"Chim, wie oft hatten wir zwei Streit, weil ich so aufbrausend war. Wie oft hast du mir erklärt, dass ich mein Temperament im Zaum halten soll", mühsam versuchte sich Goro zu beruhigen. Nairi legte ihm beruhigend den Arm um die Schulter. Langsam wurde er ruhiger. "Chim, ohne dich hätte ich in Vietnam nicht überlebt. Du hast mich so oft zu Boden gerissen, mich vor Tretminen gerettet, die ich nicht gesehen hatte. Dafür möchte ich dir Danken, immer wirst du einen Platz in meinem Herzen haben, solange es schlägt."

Nairi schaute lange zu dem Bild, das Jaan gemalt hat.

"Chim, ohne dein Lachen ohne deine Späße, wird mein Leben um vieles leerer sein. Weißt du noch, bei der Geiselnahme, von Potsdam, wie du das kleine Mädchen, was so verängstigt war, wieder zum Lachen gebracht hast. Ich werde dich vermissen, du hast mir mehr als einmal das Leben gerettet. Dafür möchte ich dir Danken, immer wirst du einen Platz in meinem Herzen haben, solange es schlägt."

Auf diese Weise, sagte jeder einen Satz, eine Erinnerung aus dem Leben von Chim. Jeder brachte auf seine Weise zum Ausdruck, wie sehr er ihn vermissen wird. Zum Schluss war auch ich noch einmal an der Reihe. Ich kämpfte gegen die Tränen der Wut. Vor allem aber kämpfte ich gegen meine Emotionen und gegen den Hass, den ich auf mich selber hatte. Meiner Stimme hörte man dies an, Rashida legte beruhigend ihren Arm um mich und gab mir die Sicherheit, die ich zum Reden brauchte.

"Chim, keiner kann nachfühlen, wie sehr ich dich vermisse. Keiner weiß, was ich dir antun musste. Damit wir heute hier, vor all den fremden Menschen, die du gar nicht kennst, von dir Abschied nehmen können. Du warst mir immer ein treuer Kamerad, du warst immer da, wenn es mir schlecht ging. Du hast uns nie im Stich gelassen. Egal in welcher Not wir waren. Sogar in Chile, als es dir so schlecht ging, sagtest du zu mir. Kahlyn, tue was du tun musst, um die anderen zu retten. Ich habe keine Überlebenschance mehr. Selbst wenn du es schaffst, mich hier heraus zubringen, wird mich der Oberstleutnant töten lassen. Bitte tu du es, dann weiß ich, warum ich sterben musste. Dann hat mein Tod einen Sinn." Ich nahm den Kopf in den Nacken und schrie meine Wut und meine Verzweiflung still heraus. Brauchte einige Minuten, um mich wieder zu beruhigen. Einfach um wieder normal atmen zu können. Sprach mit brüchiger Stimme weiter. "Dafür Chim möchte ich dir Danken, immer wirst du einen Platz in meinem Herzen haben, solange es schlägt. Auch wenn dies nie die Schuld, die ich an deinem Tod trage von mir nimmt. Ich möchte dir nur sagen, es tut mir so leid, dass ich dich nicht retten konnte. Schlaf in Frieden mein Freund und finde die Ruhe, die uns anderen nicht vergönnt ist. Du bist unser aller Freund."

Immer weiter summten wir unsere Melodie und verabschiedeten uns auf diese Weise, von allen neunzehn Freunden, auf die uns eigene Art. Zwei ganze Tage blieben wir im Kreis sitzen. Zwei ganze Tage, redeten wir und nahmen Abschied. Nichts nahmen wir mehr von unserer Umwelt wahr. Wir waren so konzentriert auf unsere Art zu trauern. Da wir uns hier beschützt und behütet fühlten, konnten wir uns das leisten. Erst als wir auch den letzten, unserer verlorenen Kameraden verabschiedet hatten, kehrten wir zurück.

Sahen mit Entsetzen, das wirklich alle Teammitglieder der Soko noch dort saßen, wo sie vor fast fünfundvierzig Stunden schon gesessen hatten. Sie hatten es nicht übers Herz gebracht, aufzustehen und uns alleine zulassen. Verwirrt sahen wir uns um. Mein Oberst kam auf mich zu und hockte sich neben mich, unfähig irgendetwas zu sagen.

Niedergeschlagen sah ich ihn an. "Sir, es tut mir leid, schneller ging es nicht, Sir. Vierzehn Jahre sind eine lange Zeit, Sir. Wir wollten uns doch richtig verabschieden, nur so konnten wir das, Sir."

Der Oberst stand auf zog uns einem nach dem anderen auf die Beine und nahm uns schweigend in den Arm. Man sah, wie sehr er gegen seine Emotionen kämpfte. Etwas, dass ich von ihm noch nie gesehen hatte. Zehn Minuten nach dem wir unsere Trauerfeier beendet hatte, kam Bewegung in den Raum. Mein Oberst hatte sich gefangen.

"Kahlyn, du schaffst es immer wieder mich zu verblüffen. Niemals hätte ich gedacht, dass ihr Kinder, eine so schöne Art gefunden habt, von euren Freunden Abschied zu nehmen. Ich danke dir", verwirrt sah ich ihn an, weil ich nicht verstand, weshalb er sich bei mir bedankte.

"Mein kleines Mädchen, du verstehst nicht, warum ich danke sage. Du hast mir gerade gezeigt, wie man auf eine Art von Freunden Abschied nimmt, ohne in absoluter Trauer zu versinken. Die Art, wie ihr Abschied nehmt, ist einfach wunderschön. Nicht die Trauer, sondern das Schöne hervorheben. Ich werde das immer in meinem Herzen behalten. Dafür bedanke ich mich."

Jetzt verstand ich, was er meinte. Aber ich konnte nichts sagen. Diese Verabschiedungen, waren für mich immer schwer und kosteten mich viel Kraft, die ich im Moment nicht hatte. Vor allem würde ich meine Freunde nie wieder sehen. Es war ein Abschied für immer. Ich drehte mich aus den Armen meines Obersts, der begriff, dass das alles zu viel im Moment für mich war. Ich lief nach hinten in unseren Raum, legte mich in mein Bett, um den Abschied auf meine eigene Weise zu vollenden. Ich weinte mich in den Schlaf. Wie stets in solchen Situationen, kam meine Rashida, um mir die Ruhe zu geben, die ich brauchte, um damit abzuschließen. So legte sie sich hinter mich und zog mich in ihren Arm. Ihr gleichmäßiger Atem half mir, beim Herunterfahren. Es half mir zurück in die Wirklichkeit zu finden. So kam auch ich endlich zur Ruhe. Auch alle anderen zogen sich in unseren Raum zurück. Schliefen immer paarweise, um sich gegenseitig zu trösten. Das wir im Aufenthaltsraum, unsere völlig aufgewühlten Freunde zurückließen, war keinem von uns bewusst.

 

Der Oberst hatte einige Mühe, die völlig verstörten Männer zu beruhigen. Die über zwei Tage unbewusst, durch uns miterleben mussten, durch welchen Horror wir schon gegangen waren. Die vor allem nicht begreifen konnten, dass vierzehnjährige Kinder, von ihren neunzehn Kameraden, auf die wohl schönste Art Abschied genommen hatten, die man sich vorstellen konnte. Nur langsam kamen die Männer wieder zur Besinnung. Mario und Gosch sprachen wohl aus, was die anderen dreiunddreißig Teammitglieder dachten.

"So möchte…" fingen sie beide gleichzeitig an zu sprechen.

Gosch vollendete den begonnen Satz. "So möchte ich auch mal verabschiedet werden. Oh Manne, das war einzigartig und ...", Gosch konnte nicht weitersprechen. Kopfschüttelnd stützte der Pilot seinen Kopf auf die Hände und atmete einige Male tief durch. Dann schaute zu seinen Jungs. "Leute, da sind wir so alt. Aber wir können selbst bei solchen schlimmen Sachen, noch von den Kindern etwas lernen. Verdammt, woher können die das nur?", fragend sah er zu seinen Chef und Freund.

"Tja Gosch, das kann ich dir nicht sagen. Ich denke es ist das absolut reine Herz, was unsere Kinder immer dazu bewegt, es genau richtig zu machen. Vielleicht sollten wir unser Herz einmal überprüfen. Vielleicht stimmt damit etwas nicht mehr", verlegen sah der Oberst in die Runde. Im nächsten Augenblick sprach er ein Machtwort. "Los Leute, ab mit euch in den Betten. Ihr habt seit zwei Tagen nicht geschlafen. Sonst müssen wir so etwas für euch veranstalten. Ich glaube nicht, dass die Kinder das wollten."

Folgsam standen alle auf, um in ihre Betten zu gehen. Legten sich aufgewühlt, von Emotionen in die Betten. Keiner von ihnen fand einen schnellen, vor allem erholsamen Schlaf. Zuviel hatten sie, in den letzen zweieinhalb Tagen erfahren. Zu viel schlimme Sachen gehört. Aber alle fühlten, dass ihnen das, was sie erlebt hatten Kraft gab, mit dem Tod besser klar zu kommen. Irgendwann schliefen alle fest ein, erholten sich, von unserer sehr anstrengenden Trauerfeier. Am nächsten Morgen, wurden wir Kinder mit ganz anderen Augen begrüßt. Man sah in uns nicht mehr, bemitleidenswert Kinder. Sondern, starke junge Kämpfer, die selbst der Tod nicht aus der Bahn warf.

Durch die Verabschiedung von unseren Kameraden zogen wir, so wie wir das immer taten, einen Schlussstrich unter das, was wir erlebt hatten. Es nutzte nichts, Dinge die man nicht mehr ändern konnte, ewig mit sich herum zu tragen. Hätten wir das gemacht, wären wir alle schon längst psychisch kaputt gegangen. Dadurch, dass wir die Trauerfeier als Abschluss sahen, konnten wir es begraben. Genau wie unsere Kameraden. Es war vorbei, es holte uns nur noch ein, wenn es uns nicht gut ging. Ansonsten blieb es in einer Ecke des Gehirns, wo keiner hinkam.

Mit der Verabschiedung unserer Kameraden und damit dem Abschluss des Einsatzes, kamen unsere physische und auch psychische die Genesung. Man sah uns an, dass es uns besser ging. Langsam kehrte, in unsere blassen, von Folter gezeichneten Gesichter, die Farbe zurück. Die Wunden heilten besser und unser Lebenswille kehrte in vollen Zügen zu uns zurück. Wir vierzehn, mussten jetzt für sechsundachtzig von uns mit leben. Dies war eines unserer Gesetze, eines unserer wichtigsten. Wir lebten für unsere toten Kameraden mit. Sie wurden ein Teil von uns, wir nahmen ihren Lebenswillen, ihr Wissen in uns auf. Es waren keine leeren Worte, die wir bei unserer Feier sagten, "du wirst immer einen Platz in meinem Herzen haben, solange es schlägt". Dieser Satz war genau so gemeint, wie er gesprochen wurde.

 

Mit der Farbe in unseren Gesichtern, mit der Verheilung der Wunden, kehrte auch unser Bewegungsdrang zurück. Wir begannen wieder zu trainieren. Der Oberst sorgte sogar dafür, dass wir neue Ausrüstungen, Medi-Kofer, Ausweise und neue Kleidung bekamen. Unsere komplette Ausrüstung war in Chile verloren gegangen. Erst am 12. Februar 1974, also kurz vor unserem fünfzehnten Geburtstag, waren wir alle soweit genesen und zu Kräften gekommen, dass wir wieder mit einem intensiven Training beginnen konnten. Wir hatten wie so oft, den Alp komplett verdrängt. Auch, wenn wir jetzt nur noch vierzehn Leute waren, konnten wir froh sein, überhaupt überlebt zu haben. Langsam kamen wir wieder, in einen normalen Lebensrhythmus.

Ich bestand darauf, dass wir wieder täglich trainierten, um wieder in unsere alte Form zu kommen. Ich begann mit den leichten Taiji Übungen, ging dann über, zum leichten Lauftraining. Um unsere Kondition wieder aufzubauen und begann mit einem Zyklus Fobnekotar. Wir steigerten diese im Laufe der folgenden Woche auf zwanzig Zyklen. Ein Zeichen dafür, dass wir uns soweit erholt hatten.

Mein Oberst nahm mich am 14. März 1974 zur Seite, um mit mir zu reden. "Kahlyn, ich brauche deinen Rat. Weil ich, wenn ich ehrlich bin nicht weiß, was ich mit euch machen soll. Ihr müsst noch über ein Jahr, in dieser verdammten Schule aushalten. Ich habe ja versucht, euch jetzt schon dort heraus zu bekommen, allerdings führt leider kein Weg dran vorbei, ihr müsst noch mal in die Schule zurück. So ungern ich das tue. Auch weil ich Angst habe, dass euch der Mayer, wieder einmal für etwas bestraft, wofür ihr keine Schuld tragt."

Ich lächelte meinen Oberst an. "Sir, das ist nicht schlimm, Sir. Schlimmer als in Chile, kann es nicht mehr werden, Sir. Dagegen behandelt uns der Oberstleutnant nahezu menschlich, Sir. Machen sie sich keine Sorgen, Sir, wir sind schlimmeres gewohnt, Sir."

Völlig verzweifelt nahm mich der Oberst in seine Arme. "Ich versuche euch, so schnell es geht, dort heraus zu holen. Denke jedoch, dass ich es nicht vor dem 31. August nächstes Jahr schaffen werde. Ich bekomme einfach, keine frei Hand. Es tut mir so leid."

Zum Leidwesen des Obersts flogen wir am 15. März 1974, also ein halbes Jahr nach Einsatzbeginn, zurück in unsere Schule. Diesmal aber gesund und satt, vor allem gut ausgeruht. Der Oberstleutnant jedoch war stinksauer. Hängte uns alle an die Wand, mich jedoch hängte er auf das Gestell, welches in der Mitte des Hofes stand, um mich auszupeitschen. Dafür, dass ich ein Teil meiner Leute und mich, zurück gebracht hatte. Ich konnte nur über ihn lachen, denn das, was er mit mir machte, tat mir nicht mehr wirklich weh. Ich wusste seit Chile, dass es viel schlimmere Folter gab. So ließ ich das, einfach über mich ergehen. Selbst die Nachbehandlung mit Salzwasser, das Sauberwaschen, wie es der Oberstleutnant immer nannte, tat mir nicht mehr wirklich weh. Auch deshalb, weil ich ausgeruht und satt war.

 

Nach drei Tagen wurden wir alle von der Wand gelassen, ich musste zu einem Sondereinsatz in die Soko. Ein dringender Auftrag, sagte man den Oberstleutnant. Als ich allerdings dort ankam, stellte es sich heraus, dass mich der Oberst nur schützen wollte. Er forderte mich an, obwohl dieser Auftrag, schon von Conny übernommen wurde.

"Kahlyn, kannst du bitte einmal in mein Büro kommen. Ich möchte mit dir sprechen", forderte er mich gleich, nach dem betreten des Aufenthaltsraumes auf.

Verwundert sah ich ihn an.

"Komm mein Mädchen, ich muss mit dir reden", der Oberst zeigte auf die Tür seinen Büros. Also ging ich in das Büro des Obersts.

"Sir, was ist los? Kann ich bitte das Dossier bekommen, Sir?", erkundigte ich mich. Noch immer der Meinung zu einem Einsatz zu müssen.

Der Oberst schüttelte den Kopf. "Setzt dich Kahlyn", zeigte auf einen Stuhl und zog sich einen Stuhl daneben. "Kahlyn, du musst nicht zu einem Einsatz. Ich weiß von Major Martin, dass dich der Oberstleutnant schon wieder behandelt hat. Ich wollte dich einfach aus der Schusslinie holen. Außerdem wollte ich mit dir reden. Bitte mein kleines Mädchen, flippe nicht gleich wieder aus, mir lässt die ganze Sache einfach keine Ruhe. Bitte, rege dich nicht gleich wieder auf."

Bekümmert sah ich zu meinen Oberst. Auch wenn ich ihn verstehen konnte. Er wusste doch gar nicht, was er da von mir verlangte. Ich konnte mir denken, dass er hoffte von mir einiges von dem, was in Chile passiert war zu erfahren.

"Kahlyn, sieh mich nicht so an, meine Kleine. Bitte ich habe so gehofft, dass du mir von dir aus, etwas erzählst. Weißt du eigentlich, dass du als ich in Peru ankam, fast tot warst. Keiner hat es für möglich gehalten, dass du die ganze Sache überlebst. Du hattest drei Kugeln in der Lunge fünfzehn weitere, habe ich mit Hilfe von Dika Anna und des dort lebenden Arztes, aus deinem Körper geholt. Du warst in einem Zustand, den man schon als verhungert bezeichnen konnte. Hattest fast hundertzwanzig Tage keine Nahrung zu dir nehmen können. Ich kann das in Zukunft nicht verhindern, wenn du mir dabei nicht hilfst. Verstehst du Kahlyn? Um so etwas in Zukunft verhindern zu können, brauche ich deine Hilfe. Sonst schlägt der Oberstleutnant deinen Doko, das nächste Mal tot", bitten sah er mich an.

Ich konnte ihm das, was er wollte nicht geben. Damit würde ich meine Kameraden zum Tod verurteilen. "Sir, bitte, sie wissen ich schütze immer meine Kameraden, Sir. Wenn ich das, was sie von mir verlangen machen, Sir. Dann bringt mich der Oberstleutnant um, wer soll dann meine Freunde beschützen, Sir. Das kann ich nicht machen, Sir. Bitte, drängen sie mich nicht wieder an die Wand, Sir."

Lange sah ich ihn an. Entschloss mich ihm als Vertrauensbeweis einiges aus Chile zu erzählen. Mehr würde ich ihm nicht entgegen kommen.

"Sir, ich erzähle ihnen, ein bisschen von dem was in Chile los war, aber mehr nicht, Sir. Als wir am 9. September…" Lange berichtete ich ihm, was wir in Chile erlebt haben, erzählte ihm dann allerdings alles. Versuchte mich kurz zu fassen, trotzdem so genau, wie möglich zu berichten. Einige Male musste ich Pause machen, um mich zu beruhigen. Der Oberst zog mich fassungslos in seine Arme, hörte mir aber genau zu. Es tat mir gut darüber zu sprechen, die Last wurde etwas erträglicher, die ich mit mir herum schleppen musste."… Dann kamen wir bei Pater Mateo an, den Rest wissen sie ja. Sir, ich bin so froh, dass ich ein Teil meiner Leute retten konnte. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich nicht nur einmal aufgegeben, Sir."

Völlig fertig sah ich ihn an, am ganzen Körper zitternd, weil alles wieder hochkam. Aber es nutzte nichts, vielleicht hörte der Oberst dann auf zu bohren. Jetzt, wo er alles wusste. Ich wollte darüber nie mehr reden.

"Sir, bitte Sir, darf ich mich hinlegen, Sir. Das Gespräch hat mir nicht gut getan, Sir."

Der Oberst nickte, unfähig etwas zu sagen. Nahm mich an der Schulter und ging mit mir nach draußen, in den Aufenthaltsraum.

"Gosch, bist du lieb und hilfst Kahlyn beim Schlafen. Ihr geht es nicht so gut. Ich muss das Gehörte erst einmal verarbeiten. Bitte, es wird nie wieder von Chile gesprochen, Das ist ein Befehl."

Der Oberst schob mich in Goschs Arme und ging nach draußen an die Luft. Ich glaube er brauchte Bewegung, vor allem die kalte Luft, um wieder klar denken zu können. Ich schielte zu Gosch hoch.

"Soll ich ihm nachlaufen Gosch?", erkundigte ich mich bei meinen Freund.

Der schüttelte den Kopf. "Nein Täubchen, der Chef braucht nur kalte Luft, um einen klaren Kopf zu bekommen. Komm lege dich hin. Dir geht's doch nicht gut."

Gosch schob mich nach hinten und in eins der Betten, legte sich einfach neben mich. Behütet, wie ich mich nur in Goschs, Connys und den Armen meiner Freunde fühlte, schlief ich nach drei tiefen Atemzügen ein. Drei Stunden später, wachte ich wieder erholt auf. Lief nach vorn, zu den Anderen, dort stand mein Oberst sofort auf und hielt mir seine Arme entgegen.

"Tut mir leid Kahlyn, ich werde das Thema nie wieder anschneiden. Aber ich denke es war gut, dass du mir das alles erzählt hast. Ich begreife jetzt erst, dass wir Glück hatten, das noch vierzehn von euch leben. Ich bin froh, dass ihr das Überlebt habt. Ich bin der Meinung, ihr hättet alle dort sterben müssen. Von uns hätte das keiner überlebt. Nur gut, dass wir wenigstens euch gefunden haben. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat."

Ich nahm meinen Oberst tröstend in den Arm. Sagte aber nichts dazu. Ich wollte darüber einfach nicht mehr reden.

"Genosse Oberst, darf ich wieder zu meinen Kameraden, die brauchen mich im Moment mehr, als ihr", ernst sah ich ihn an.

Dieses Mal verstand mich der Oberst, ohne lange Diskussionen. Nach dem was er gehört hatte, konnte er sich doch vorstellen, dass nicht alle von uns vierzehn, diesen Horror schadlos überstanden hatten.

"Gosch, bitte fliege Kahlyn zurück in ihre Schule. Allerdings solltest du vorher mit ihr, beim Doko vorbei sehen. Der wird bald verrückt in der Reha-Klinik. Fritz glaubt mir nicht, dass es Kahlyn gut geht. Bitte Gosch bevor du Kahlyn zum Doko lässt, redest du alleine mit ihm, sage ihm das, was ich dir vorhin gesagt habe."

Gosch nickte, legte seinen Arm um meine Schulter. "Täubchen wir sieht es aus, wollen wir deinen Doko besuchen?"

Erfreut sah ich, vom Oberst zu Gosch und wieder zurück, beide nickten. Sofort drehte ich mich, nach meinen Sachen um, doch diese waren verschwunden. Gosch grinste über beide Ohren.

"Die sind schon im Drachen, mein Täubchen. Nun komm, dein Doko wartet."

Der Oberst nahm mich noch einmal in den Arm. "Bis zum nächsten Mal und pass auf dich auf Kahlyn", gab mir ein Kuss auf die Stirn und ging in sein Büro.

Verwirrt sah ich Gosch an. Der winkte mir zu folgen. Kaum, dass der Drache losgeflogen war, stellte ich die Frage, die mich am meisten beschäftigte.

"Gosch, habe ich etwas falsch gemacht?"

Gosch griff zu mir herüber und streichelte mein Gesicht. "Nein Täubchen, aber dein Oberst, ist die letzten Monate wegen dir und deinen Leuten, durch die Hölle gegangen. Glaube mir, dich wieder in diese verdammte Schule, zu dem Oberstleutnant zu schicken, macht ihn fertig. Täubchen, ich kenne den Oberst jetzt schon so lange, ich habe ihn noch nie so viel weinen sehen, wie seit Peru. Wir haben einige schlimme Dinge erlebt, aber nichts, hat ihn so aus der Bahn geworfen."

Entsetzt sah ich Gosch an. "Warum, sagt ihr mir das nicht, ich hätte ihn helfen können. Bitte, fliege zurück Gosch."

Der schüttelte den Kopf. "Kahlyn, bei diesen Sachen, kannst du den Oberst nicht helfen. Täubchen, da muss er alleine durch, ob es ihm gefällt oder nicht. Du weißt doch selber, dass man bestimmte Sachen, auf seine eigene Art fertig werden muss", ernst sah er mich von der Seite an.

"Aber…"

"Nichts aber, Täubchen. Akzeptiere das einfach. Der Oberst will dabei keine Hilfe. Ich hatte ihm diesen Vorschlag auch schon gemacht. Er meinte, er will und muss damit allein fertig werde, wenn du es schaffst mit Chile klar zukommen, dann schafft er das auch."

Ich nicke, er hatte recht, bei bestimmten Sachen, konnte einen niemand helfen. Deshalb wechselte ich das Thema. "Gosch, wie geht es meinem Doko?"

Gosch wackelte mit dem Kopf hin und her, auch weil er wusste, dass er von mir gleich wieder Schimpfe bekam.

"Täubchen, gleich bekomme ich Schimpfe und das kann ich gar nicht gebrauchen, dann fliege ich nämlich gegen eine Wolke und wir stürzen ab", antwortet er mir deshalb lachend.

"Oh je, was fliegen hier für Wolken rum. Dann sage ich lieber nichts", alberte ich etwas rum. "Dann schimpfe ich, halt hinterher mit dir, wenn wolkenloser Himmel ist."

Zog einfach meine Füße auf den Sitz, legte meinen Kopf auf die Knie. Schielte ich zwischen Armen und Stirn zu Gosch hinüber.

"Na ja, dann ist es egal, wenn ich sowieso Schimpfe bekomme, kann ich es auch gleich erzählen", flachste er noch rum, einfach um Zeit zu gewinnen. "Täubchen, deinem Doko geht es nicht so gut. Wir wollten dir das schon ein paarmal sagen. Der Doko hat es uns verboten. Er wollte, dass du es erst erfährst, wenn es dir wieder richtig gut geht. Ich glaube ich bekommen nicht nur von dir Schimpfe, sondern auch von deinem Doko. Ich hab es schon schwer ich armer Gosch", versuchte er es etwas ins Lockere zu ziehen.

"Gosch, warum geht es ihm nicht gut?"

Gosch druckste herum. "Täubchen, der Doko ist gelähmt, er kann nichts machen, braucht zu allem Hilfe."

Ich zuckte mit den Schultern, deshalb sah mich mein Pilot verwundert an. "Das weiß ich doch Gosch, das habe ich doch der Dika gesagt. Das ist aber nicht schlimm. Das mache ich dann gleich weg. Mir geht es wieder gut. Das ist nur eine Sache, von knapp einer Stunde, dann läuft der Doko wieder rum, wie immer. Nur wird er keinen Sport mehr machen können. Aber das konnte er ja vorher auch schon nicht mehr machen."

Irritiert sah mich Gosch an.

"Gosch, als der Oberstleutnant den Doko fast totgeschlagen hat, ist unser Doko gegen das Becken, bei uns im Raum gestürzt. Dabei ist ein Stück Knochen abgesplittert, aber ich konnte den Doko nicht mehr operieren, weil wir doch zu dem Einsatz mussten. Ich hatte alles so abgeheilt, dass er überlebt und keine bleibenden Schäden behält, bis ich wieder komme. Wenn wir dann beim Doko sind, mache ich den Rest auch noch ganz, dann funktioniert wieder alles."

Gosch schüttelte nur mit dem Kopf. "Täubchen, du kannst wohl alles Heile machen."

Verlegen zuckte ich mit den Schultern. "Alles leider nicht, aber vieles", tief holte ich Luft. "Weißt du Gosch, wenn der Oberstleutnant mich damals nicht halbtot geschlagen hätte, dann könnte seine Tochter heute noch leben. Aber, als ich aus dem Koma erwacht bin, war es zu spät. So etwas kann ich nur gleich richten, das Zeitfenster bei solchen Verletzungen ist nur ganz klein. Aber lassen wir das, dieser Ilka kann ich nicht mehr helfen, aber meinem guten alten Doko schon. Lass mich noch etwas schlafen bitte, mir geht es immer noch nicht so gut."

Gosch sah erschrocken zu mir.

Ich schüttelte den Kopf. "Passt du auf mich auf, Gosch?"

"Klar schlaf nur mein Täubchen, im Drachen tut dir keiner was."

Genau das waren die Worte, die ich brauchte um abzutauchen. Mir stand dann noch eine schwere OP bevor, zu der ich viel Kraft brauchte. Fast eine Stunde konnte ich schlafen, bis mich Gosch weckte.

Kaum waren wir in der Reha-Klinik gelandet, gingen wir zum diensthabenden Arzt. Beim Chefarzt der Reha Klinik besprachen wir, nach einer erst sehr bösen und heißen Diskussionsrunde, unsere weitere Vorgehensweise. Ich durfte nach Klärung des Sachverhaltes, wie meinem Alters und meiner Kompetenz, sogar die Praxis des Chefarztes benutzen. Allerdings erst, nachdem er mit dem Doko selber gesprochen hatte. Heilte Dokos Verletzungen, auf meine Weise, die vor einem halben Jahr entstandenen waren und stellte dadurch die Gesundheit des Dokos wieder her. Nach reichlich vierzehn Tagen, kam er zurück in die Schule und war wieder völlig hergestellt.

Traurig, aber doch glücklich, wenigstens einen Teil seiner Kinder wiederzusehen. Er begann wie viele im Projekt die Tage zu zählen, die es noch dauerte, bis auch wir in unseren Frieden entlassen wurden. Der Doko konnte und wollte die Hoffnung nicht aufgeben, dass wenigsten ein Teil seiner Kinder den Schulalltag im "Projekt Dalinow" überleben würden. Dass die letzten der Hundert, eine Zukunft hatten.

Kapitel 14

Viel Zeit war vergangen, seit dem wir aus Chile zurückgekommen waren. Es wurde nicht unbedingt besser, seit unserer Rückkehr. Ich glaube der Oberstleutnant hatte so gehofft, dass wir endlich alle vor die Hunde gingen. Seit dem wir aus Chile zurück waren, schlug er uns wieder regelmäßig, mit größter Freude auf noch nicht versorgte oder gerade operierte Wunden. Vor allem mit einer solchen Wut, dass wir es nicht verstehen konnten, warum?

Was hatten wir diesem Menschen nur getan, das er uns so hasste? Diese Frage bekam ich nicht mehr aus dem Kopf. Ich vermutete er hatte sich so sehr gewünscht, dass wir alle hätten in Chile verreckt sollen. Jetzt hatte er uns weiter auf den Hals und konnte nichts dagegen tun. Statt in Ruhe saufen und seinen Ruhestand genießen zu können, musste er sich weiter um uns Bastarde kümmern. Das sagte er uns täglich, wenn er uns sah, bei jedem Schlag.

Viele aussichtslose Kämpfe, hatten wir seit diesem Alptraum überlebt. Das Leben ging immer weiter, unser Raum wirkte immer größer und leerer. Machte ich wie immer, meine Gedankensprünge in die Vergangenheit. Nach einem Einsatz fand ich einfach keinerlei Ruhe.

Auch, wenn ich nicht alle retten konnte, fünf von meinen überlebenden vierzehn Freunden, wollten einfach nicht mehr weiterleben. Sie hatten Chile nie wirklich überwunden. Nutzten die erst beste Gelegenheit, um schlafen zu gehen. Es nutzte auch nichts, dass ich sie an ihre Versprechen unseren toten Kameraden gegenüber erinnerte. Wir hatten uns geschworen, nach dem wir zu unserem Baum zurückkehren konnten und die Ketten aller darauf gehängt hatten, dass wir niemanden mehr daran hintern würden, schlafen zu gehen.

Wir waren alle viel zu müde und wollten eigentlich nicht mehr kämpfen, nur blieb uns nichts anderes übrig. Nie fragte uns jemand, was wir wollten. Vor allem hatten wir Angst vor dem, was auf uns zukommen würde. Denn der Abschied rückte unaufhaltsam näher. Die Trennung von den wenigen, uns verbliebenen Freunden, machte uns jetzt schon unsere Einsamkeit bewusst. Traurig dachte ich, an meine zuletzt verstorbenen Freunde.

Ava starb Mitte Februar dieses Jahres, bei einer Bombenexplosion, als sie einen Zeitzünder, entschärfen sollte. Das Gebäude war geräumt, auch hätte sie genügend Zeit gehabt, um sich noch in Sicherheit zu bringen, aber sie wollte nicht mehr. Sprach seit Chile über nichts anderes mehr, als darüber, für immer schlafen zu gehen. Bat mich bei diesem Einsatz extra darum, die Bombe entschärfen zu dürfen. Nach ihrem Abschied, wusste ich genau, dass sie nicht wieder kommen würde. Was hätte ich machen sollen? Wir alle hatten keine Lust mehr zu leben. Wir alle hatten Angst, vor dem Abschied. Nairi, blieb einfach im Kugelhagel stehen, war den Kugeln nicht mehr ausgewichen. Sie folgte ihrer besten Freunden nur eine Woche später unter den Baum. Goro und Erja, folgten den Beiden nur elf Wochen später, es war Anfang Mai, als wir bei einem Einsatz in einem Bergwerk, in eine Staubexplosion gerieten. Wir hatten nach einer Woche aufgegeben, die Beiden zu suchen. Das einzige, was wir noch fanden, waren ihre verbogenen Waffen. Rina ging erst vor neun Tagen schlafen, am 22. August, sie hatte sich während des Rapportes bei Mayer nicht gegen dessen Schläge gewehrt, sie wollte endlich ihre Ruhe haben. Vor allem wollte sie nicht ohne uns leben, dies sagte sie mir immer wieder, vor jedem Einsatz.

Jetzt waren wir nur noch Neun von einhundert Kindern, die am Leben waren. Die in einer neuen Einheit unterkommen mussten. Einundneunzig Blechmarken, hingen an unseren Baum. Einundneunzig unserer Kameraden, hatten endlich die Ruhe gefunden, die sie sich so gewünscht hatten und waren, so hofften wir sehr, endlich glücklich. Nicht alle lagen unter unserem Baum und träumten unseren Traum. Ging es mir durch den Kopf. Aber alle einundneunzig Kameraden hatten es jetzt besser als wir. Sie hatten den lang ersehnten Frieden gefunden.

Vorsichtig ließ ich mein Genick knacken und rieb mir müde, das dreckverschmierte Gesicht. Seit Wochen schon, wurden wir auf den heutigen Tag vorbereitet. Wir gingen Schritt für Schritt immer wieder den ersten Tag in der neuen Wache durch. Wurden auf alles vorbereitet, was uns auf der neuen Dienststelle erwarten könnte. Übten immer wieder, in Gesprächen, unser Verhalten auf der neuen Wache. Bekamen immer wieder gezeigt, wie wir in welcher Situation, wie reagieren sollten. Spielten diese Szenarien immer wieder nach, dass uns diese Situationen, in Fleisch und Blut übergingen.

Eigentlich sollten wir uns darüber freuen, dass wir den Oberstleutnant endlich los wurden. Dessen Gebrülle nicht mehr hören mussten und keine Schläge, keine Strafen mehr von ihm bekommen würden. Trotzdem holte uns die Angst, mit jedem neuen Tag mehr ein. Angst davor, in der neuen uns so unbekannten Welt, nicht klar zu kommen. Angst vor der Einsamkeit, vor dieser absoluten Stille, durch die Unterbrechung der Verbindung. Angst davor unsere Freunde, nie wiederzusehen. Auch die Angst davor, diese so sehr zu vermissen, dass noch mehr schlafen gehen würden. Angst davor, dass wir wieder den Kampf der Kämpfe kämpfen mussten, um akzeptiert zu werden. Angst davor, dass man uns nicht verstand.

Immer noch fiel es uns schwer, laut zu sprechen. Immer noch hatten wir Probleme, uns fremde Menschen, an uns heran zu lassen und Vertrauen zu fassen. Vor allem packte uns die Angst davor, nicht schlafen zu können. Weil uns der Alp von Chile, immer wieder einholte. Angst davor, das niemand mehr da war, der uns bei Gesundheitlichen Problemen half. Angst davor, den Erwartungen, nicht zu entsprechen. Angst, vor den uns fremden Menschen, die wir oft nicht verstanden.

Wir hatten so viele Kämpfe gekämpft und nie hatten wir Angst gespürt. Im Moment jedoch war es schlimm. Es macht uns einfach alles, fruchtbare Angst. Noch nie hatten wir Angst auf diese Art gefühlt. Jetzt überkam sie uns, mit geballter Kraft…

Vorschau Teil 3

… Wir schreiben heute den 31. August 1975. Es war der heißeste Sommer den ich seit langem erlebt hatte. Gestern zeigte das Thermometer 42°C im Schatten an. Wir waren ausgehungert, durstig, verschwitzt, blutig und sahen so aus wie wir uns fühlten. Als wenn wir uns acht Wochen lang nicht gewaschen hätten. Wir stanken wie eine ganze Herde Skunks.

Nicht einmal die Gelegenheit zum Duschen bekamen wir, nach dem Kampf. Es war wie immer, man fragte einfach nicht, ob wir auch Bedürfnisse hatten. Wir waren nur Marionetten in einem Puppenspiel. Die hin und her geschoben wurden, ohne Rücksicht auf Verluste.

Gerade hatten wir einen langen, fast fünf Tage dauernden Einsatz in der VR Polen, in Chelm hinter uns gebracht. Einer Stadt in der Woiwodschaft Lublin, etwa vierzig Kilometer Luftlinie östlich von Lublin, unweit der Grenze zur Ukraine. Ich war müde und jeder einzelne meiner Knochen tat weh. Ich wollte nur eins, endlich einmal wieder tief und fest schlafen. Ohne die Angst, von unbekannten Geräuschen, aus dem Schlaf gerissen zu werden. Vor neun Tagen hatten wir das letzte Mal richtig schlafen können und vor sechs Tagen des letze mal geduscht und etwas gegessen. Wir waren alle am Limit und brauchten mehr als nötig den Schlaf, etwas Ruhe und ein wenig Nahrung.

Nur leider konnte ich nicht schlafen. Warum mir das nicht möglich war? Meine Gedanken kreisen nur um ein Thema: Was würde ab morgen werden? Wir mussten, sobald wir in der Schule ankamen, unseren Dienst in einer neuen Dienstelle antreten. Ich hoffte so sehr, dass wir wenigstens so viel Zeit bekamen, in Ruhe zu Duschen und etwas zu Essen. Allerdings, wie ich Mayer kannte, würde das wohl wieder einmal ausfallen. Es würde wie immer sein und heißen: "Macht hin wir haben keine Zeit. Denkt an den Zeitplan. Hopp! Hopp! Hopp! Hauptsache ihr seht wieder einigermaßen aus wie Menschen. Alles andere ist egal."

Wie ich das hasste. Warum gingen eigentlich immer nur mir, solche Gedanken durch den Kopf? Die anderen nahmen es immer alle, wie es kam. Nur ich nicht. Wieder fingen sich meine Gedanken an, sich wie ein Karussell, um morgen zu drehen.

Klar ich war schon öfters von meinen Kameraden getrennt, aber stets wusste ich, dass ich zurück zu ihnen konnte. Diesmal jedoch war dies nicht der Fall. Es würde eine Trennung für immer werden. Was bedeutete das für mich und meinen Kameraden? Ich konnte sie nicht mehr beschützen und nicht mehr auf sie aufpassen. Konnte sie nicht mehr medizinisch versorgen, wenn sie verletzt waren oder krank. Wer würde dafür sorgen, dass sie genug schliefen und etwas zu essen bekämen. Diese lähmende Angst stieg in mir hoch. Alle Vorbereitungen hatten nicht geholfen, mir diese Angst zu nehmen. Dika und Doko wussten nichts, von diesen unseren Ängsten. Nie hatten wir uns Menschen gegenüber völlig geöffnet. So weit geöffnet, dass sie in der Lage waren, uns gänzlich zu verstehen. Nie hatten wir volles Vertrauen, nicht mal zu den Menschen, die das von uns dachten. Zu oft wurden wir enttäuscht und hintergangen. Wir trauten nur uns. Unter uns gab es keine Lügen und nur ganz selten Verrat. Was sollte jetzt werden? Keiner verstand uns so, wie wir uns selber. Unserer Verbindung die heute noch getrennt werden sollte, war etwas Einmaliges. Sie war einzigartig auf dieser Welt. Konnten wir lernen ohne sie zu sein, ohne die für uns so wichtige Verbindung zu leben. Ich war mir da nicht sicher und ich konnte es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Diese Verbindung bestand schon vor unserer Geburt. Was nur sollte jetzt aus uns werden? Immer wieder kam diese Frage in mir hoch.

Konnte ich lernen ohne meine Freunde klar kommen und vor allem sie ohne mich? Würden wir uns jemals wieder sehen? Noch viele andere Fragen schwirrten mir durch den Kopf, wie ein Bienenschwarm den man aufgescheucht hat. Ich konnte es nicht ändern. Ich kam mir vor wie in einem Hamsterrad, welches sich drehte und drehte und drehte …

Brief der Autorin

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Impressum

Tag der Veröffentlichung: 20.09.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meiner Kahlyn, meinem kleinen Mädchen aus der Geschichte, in dass ich mich verliebt habe und allen die gerne lesen.

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