Ihr Name war Imogen Lowell und schon allein ihr Name klang außergewöhnlich, außergewöhnlich schön.
Mein Name, Jacob- von allen Jake genannt- Miller, war dagegen geradezu sterbenslangweilig gewöhnlich.
Und doch obwohl ich und mein Name so gewöhnlich waren, hatten wir das Vergnügen zusammen mit ihr und ihrem Namen in Verbindung gebracht zu werden.
Ich sehe sie noch heute vor mir.
Ich sehe, wie sie ihre Arme ausstreckt und sich nach hinten fallen lässt und hofft, sie falle in ein Blumenfeld, dabei fällt sie nur auf ihr Bett.
Und dann sehe ich auch, wie ihre sich hellbraunen Haare, die ihr in sanften Locken um das schöne Gesicht fallen, um ihren Kopf, auf dem weißen Laken verteilen.
Wie sie ihre vollen Lippen zu einem breiten Lächeln verzieht und dann laut auflacht, sodass man die schönste Melodie klingen hört.
Ich musste damit aufhören.
Ich musste damit aufhören, an sie zu denken und vor allem musste ich damit aufhören, sie zu glorifizieren, wenn ich an sie dachte.
Also betrachtete ich es erneut, diesmal ein wenig rationaler, nüchterner.
Die hellbraunen Haaren lagen nicht immer in den sanften Locken, eigentlich nur dann, wenn sie sie mit viel Mühe und Zeitaufwand in diese legte. Ansonsten waren sie immer ein wenig kraus und sahen unkontrolliert aus.
Die vollen Lippen waren auch nicht gleichmäßig voll, sondern die Untere war schon immer ein wenig fülliger, aber das ließ sie nicht komisch aussehen, viel mehr besonders.
Und ihr Lachen klang nicht wie die schönste Melodie, sondern war immer ein wenig unmelodisch, vielleicht sogar ein wenig schrill.
Doch vielleicht gerade weil sie in so vielerlei Hinsicht einfach nicht perfekt sein wollte, mochte ich sie umso mehr.
Aber es gab da etwas an ihrem Gesicht, dass sie so unfassbar besonders machte, dass ich es heute noch nicht begreifen kann.
Es waren ihre Augen.
Imogen Lowell hatte keine schöne Augen.
Nicht das sie hässlich wären, aber da waren Mädchen, die hatten so viel schönere Augen als sie.
Mädchen wie Ann Taylors, die hatte Augen, aus denen man nie wieder wegsehen wollte, weil man in ihren glasklaren blauen Augen einen endlosen Winter erblicken konnte.
Imogens Augen dagegen waren ein schmutziges Graublau, dessen Farbkomponenten so unharmonisch gemischt waren, dass man sich nicht sicher sein konnten, ob sie blau oder grau waren.
Aber hinter ihren Augen, hinter diesem unverständlichen Farbschema, lag etwas, dass sie rein und wunderschön machte.
Ich weiß noch heute nicht, was es ist, kann es noch heute nicht benennen, aber ich weiß, dass es der Grund ist, wieso ich mich in Imogen Lowell verliebt habe.
Und seitdem mich nie wieder in jemand anderen verliebt habe.
Alles, was sie war.
Ich betrachtete mich im Spiegel und strich an der schwarzen Krawatte entlang, die ich trug.
Sie war die Einzige, die zu meinem schwarzen Anzug vom Discounter und gleichzeitig zum Anlass, passte.
Mein Blick fiel zu Boden und ich betrachtete die schwarzen Lackschuhe, mit denen ich auf dem grünen Teppichboden stand, der in meinem Zimmer ausgelegt war und betrachtete die kleinen Schleifen aus den dünnen Schnürsenkel.
Dann hob ich wieder meinen Blick und begutachtete mich erneut im Spiegel.
Meine dunkelblonden Haare hatte ich mir einem Kamm auf die linke Seite gelegt, so dass so aussah, wie man sich einen braven Jungen vorstellte.
Seufzend fuhr ich mir mit beiden Händen durchs Gesicht und fühlte die Bartstoppel unter meiner Fingern, ehe ich die Händen in den Hosentaschen des Anzugs verbarg.
Ich verlagerte mein Gewicht auf ein Bein und sah mich erneut an, denn ich konnte den Blick nicht von mir nehmen.
Es klang vielleicht arrogant, aber ich befand, dass ich wirklich gut aussah- so gut wie schon lange nicht mehr.
Und dabei war der Grund dafür so gar nicht angemessen.
Ich hörte ein Klopfen an meiner Zimmertür und drehte den Kopf, um zu sehen, wer mich störte.
„Hey Schatz“, meinte die Stimme und ich seufzte.
Sie wusste, dass ich nicht gerne Schatz genannt wurde, aber heute wollte ich nichts dagegen sagen.
„Wir müssen bald los“, sagte meine Mutter, die noch immer im Türspalt ausharrte und ihre dunkelbraunen Haare hochgesteckt und unter so einem seltsamen Hutding mit Netz, das ihr übers halbe Gesicht fiel, verborgen hatte.
Ich nickte und als ich merkte, dass ihr das als Antwort nicht genügen würde, meinte ich: „Okay.“
Dann nickte sie, zog ihren Kopf zwischen der Tür hervor und schloss diese, so dass ich wieder alleine in meinem Zimmer war.
Ich ging einige Schritte zurück und ließ mich auf das Bett fallen und sah mich in dem Raum um.
Da waren der Schrank und Schreibtisch aus Buchenholz, die aneinander gereiht neben und vor meinem Fenster standen, aus dem man eine ziemlich ernüchternde Aussicht auf eine Sackgasse hatte, und ein Fernsehtisch, meinem Bett gegenüber, auf dem ich saß.
Da man es von mir nicht erwartete, hatte ich auch keine dekorativen Accessoires und beließ es mit einem Poster von einem Ferrari über der Kopfleiste meines Bettes.
Die Pokale von meinen Footballmeisterschaften hatte mein Dad, weil er so stolz war, im Wohnzimmer in einer riesigen Vitrine aufstellt. Nachts leuchtete diese und ich glaubte, dass er versuchte durch mich, das zu kompensieren, was er selbst nie erreicht hatte.
Mein Dad war nie der Sportlertyp, dafür sagte er immer, war er viel zu ein wilder Hengst gewesen und irgendwann wäre er dann ruhig geworden und hätte Mom kennengelernt.
Somit hatte er sein Leben immer mit Frauen (oder Singular Frau) verbracht, da blieb offensichtlich nicht viel Zeit für eine Sportkarriere.
Ich glaubte ehrlich gesagt, dass es ihm einfach an Talent mangelte.
Bei mir war es genaue Gegenteil.
Ich war ein erfolgreicher Spieler, aber bei Frauen eher unbekannt.
Dabei hatte ich eigentlich nur angefangen, um Mädchen kennenzulernen.
Ich hatte einmal gelesen oder gehört, ich wusste es nicht mehr genau, dass Mädchen weder auf Jungen standen, die dünn, noch auf Jungen standen, die dick waren.
Mein Ergebnis aus diesem Resultat war, dass sie auf normale Jungs standen.
Da ich aber nicht wusste, was normal war, mich aber ziemlich damit identifizierte, glaubte ich, dass ich richtig gut bei Mädchen ankommen müsste.
Tat ich aber nicht.
Ganz anders als die Sportler.
Die kamen geradezu lächerlich gut bei Mädchen an, also wurde ich Sportler.
Und zugeben, es hatte geholfen.
Ich hatte einige Dates mit ein paar hübschen Mädchen, aber ich stand, wie sich herausstellte, nicht auf normal.
Allerdings stand ich auch nicht auf dünne, noch dicke Mädchen. Also wusste ich nicht, auf welche Art Mädchen ich stand.
Jedenfalls nicht, bis ich Imogen kennenlernte.
Und dann fand ich heraus, dass ich auf den Typ Mädchen stand, von der es nur eine Einzige auf der ganzen Welt, im ganzen Universum gab.
Nämlich auf Imogen.
Ich ließ mich nach hinten fallen und dachte nicht daran, dass mein Anzug knittrig werden könnte.
Eine Staubwolke wirbelte auf und ich sah die Flusen durch die Luft tanzen und erinnerte mich, wie ich Imogen kennengelernt hatte.
Konfettiregen.
Das Konfetti regnete über unseren Köpfen nieder und es irritierte mich.
Gerade noch war ich so vollkommen im Spiel gefangen und nun regnete es Konfetti aus den Kanonen, die die Cheerleader über das Grün des Feldes schossen.
Wir hatten gewonnen, denn es waren unsere Konfettikanonen, die abgefeuert wurden, aber dennoch konnte ich es nicht begreifen.
Es war das Halbfinale gegen irgendeine High School, deren Namen ich schon vollkommen vergessen hatte.
In meinen Beinen spürte ich noch immer den Reflex loszurennen, in meinen Armen das Bedürfnis den Ball zu fangen und ihn in die End Zone zu bringen, aber genau in dieser befand ich mich.
Ich hatte einen Touchdown erzielt und dann war das Spiel...vorbei.
So langsam hörte ich die Jubelrufe und -schreie an mein Ohr dringen und dann spürte ich, wie sich etwas Großes auf mich stürzte, mich zu Boden riss.
„Wuhuuuuuuuu!“ gröhlte das Etwas und ich erkannte das Etwas, als Archie Thomas- unseren Quarterback. Er drückte seinen Helm gegen meinen und kreischte: „Gut gemacht, Miller!“
Wieder entfuhr ihm ein Jubelschrei und dann, als er endlich von mir runterging, glitt die Luft zurück in meine Lunge und ich konnte mich ebenfalls erheben.
Ich sah, wie die Fans auf das Feld gestürmt waren und um unsere Spieler strömten.
Es war eine lebendige, sich bewegende Welle aus jubelnden Menschen, die sich in die weiß-blauen Teamfarben gehüllt hatten.
Beinahe wurde es mir zu viel und ich nahm den Helm ab, klemmte ihn unter meinen Arm und stieß erst jetzt ebenfalls einen lauten Jubelschrei aus.
Wir hatten es geschafft! Wir würden ins Finale einziehen!
Erst jetzt war diese Tatsache in mein Gehirn gesickert und ich riss den rechten Arm, mit einer Faust geballt, in die Luft.
Einige stimmten in meine angestimmte Freude mit ein und erneut wurde Konfetti abgeschossen.
Ich sah durch die Menge mit einem wohl wahnsinnigen Grinsen im Gesicht und dann sah ich sie.
Eigentlich hatte ich nicht geglaubt, dass es so was gab.
So einen irren Augenblick, in dem man ein Mädchen sah, dass so perfekt zu einem und in die eigene Welt zu passen schien.
Ich hatte an so etwas nie geglaubt, aber dann passierte es mit mir.
Vielleicht war es auch nur das Adrenalin, das mir aufgrund der Freude des Siegs durch die Adern pulsierte, aber ich ließ meinen Helm fallen, wand mich unter den Griffen, die mich versuchten an den Schulterpolstern zu halten, um mir zu gratulieren und bahnte mir einen Weg auf sie zu.
Auf den letzten Metern sah ich, wie ihre Freundinnen auf mich zeigten, aber ich achtete nur auf sie.
Wie sie da stand in einer langen Jeans, einem Shirt, das sie wohl in unserem Fanshop gekauft hatte, und einer Fancap auf dem Kopf, die ihr halbes Gesicht verbarg.
Sie sah aus, wie eine der zahlreichen anderen Fans und dann doch wieder nicht.
Sie war irgendwie surreal.
Als ich schließlich vor ihr stand, kicherten ihre Freundinnen und ich schenkte ihnen einen kurzen Blick, stellte fest, dass sie mir nie zuvor aufgefallen waren und blickte wieder sie an.
„Hallo“, meinte ich und lächelte leicht.
„Hey“, sagte sie beinahe ein wenig schüchtern und hob ihren Blick.
„Sophomore?“ fragte ich und sah aus dem Augenwinkel, wie ihre Freundinnen weggingen, uns aber nicht aus den Augen ließen.
Sie schüttelte den Kopf, sodass ich den hellbraunen Pferdeschwanz sah, den sie sich gebunden hatte.
Ich zog die Stirn in Falten und fuhr mir durchs dunkelblonde, verschwitze, kurze Haar. Es musste wohl katastrophal aussehen, aber sie lächelte leicht bei meiner Geste.
„Junior?“ fragte ich und erneut schüttelte sie den Kopf und nickte breiter.
„Mein Name ist Imogen“, meinte sie und streckte mir die Hand hin, „freut mich dich kennenzulernen, Jake.“
Sie sah mich mit ihren graublauen Augen an und fügte hinzu: „Senior, richtig?“
Ich nickte, als ich verstand und legte meine Hand in ihre, drückte leicht zu und schüttelte sie.
„Freut mich ebenfalls.“
Sie grinste leicht, als sie mein Gesicht länger musterte und meinte: „Du hast da, was ihm Gesicht.“
„Ach ja?“ fragte ich, hob mein Arm und rieb meine Wange meiner Schulter ab, „ist es weg?“
Sie lachte und schüttelte den Kopf: „Nein, aber...“ sie hob ihren Arm, zuckte und ließ ihn wieder fallen, verschränkte die Arme vor der Brust, „mir ist aufgefallen, dass jeder in eurem Team diese schwarzen Striemen im Gesicht hat.“
„Unsere Kriegsbemalung“, lachte ich und kratzte mich unbeholfen am Hinterkopf, als ich merkte, als wie gezwungen sich unser Gespräch entpuppte.
Sie seufzte: „Ich muss wieder zu meinen Freundinnen, bevor sie explodieren.“
Imogen lachte und ich grinste leicht, verzog es nach links und nickte: „Man sieht sich?“
„Wer weiß, wenn du mit einer Sophomore gesehen werden willst?“
Ich runzelte die Stirn, wollte etwas erwidern, aber sie verschwand in der Menge.
Was meinte sie damit?
Doch ich konnte nicht länger darüber nachdenken, denn schon wieder sprang mich jemand an.
Solangsam fühlte ich mich ein wenig ver...
Ich konnte den Gedanken nicht zu Ende denken, als ich in die Augen des Cheerleadercaptain, Ann Taylors, sah.
Verdammt hatte das Mädchen Augen.
Damals hatte ich es nicht verstanden, aber mittlerweile hatte ich begriffen, dass sie geglaubt hatte, ich würde mich für sie schämen- weil sie ein Sophomore gewesen war.
Zudem fiel mir erst jetzt auf, dass sie mir, während unseres gesamten kurzen Gespräches, nicht einmal zu Sieg damals gratuliert hatte und schüttelte den Kopf, als ich mich wieder aufrichtete.
Seufzend robbte ich mich zurück- wieder unbeeindruckt von möglichen Falten- und lehnte mich gegen die kühle Wand.
Über meinem Kopf hing dieses dämliche Ferrariposter, wegen dem sie mich aufgezogen hatte, aber ich wollte es einfach nicht abhängen.
Das Ferrariposter
Ich lehnte mich gegen die Schranktür, steckte die Hände in die Hosentasche, während sie langsam und alles betrachtend durch mein Zimmer stolzierte.
Sie hatte die Hände hinter dem Rücken gefaltet und lief bereits die zweite Runde in den engen vier Wänden und brummte immer wieder ein interessierte Oh und Aha.
Es amüsierte mich ihr dabei zuzusehen, aber ich musste auch gestehen, dass es mich so langsam langweilte, also begann ich nicht mehr ihrem Weg durch mein Zimmer zu folgen, sondern ihr.
Ich sah, wie sie ihre in schwarze Chucks gesteckte Füße bei jedem Schritt exakt voreinander setzte, wie sie den Saum des bunten Blümchenkleides, das so gar nicht zu ihrer Schuhwahl passen wollte, zwischen Daumen und Zeigefinger festhielt und ich sah auch das Muttermal auf der Rückseite ihres Oberschenkel, ein wenig oberhalb ihrer Kniekehle.
Langsam ließ ich meinen Blick nach oben gleiten, betrachtete ihre Po, aber hielt mich nicht solange auf, da ich ihn in diesem ausgestellten Kleid nicht so gut sehen konnte und glitt weiter zu ihrer Taille, die nicht so schmal war, wie ich es geglaubt hatte. Dennoch passte sie zu ihren Proportionen.
Ich löste mich und betrachtete ihren nackten Rücken und sah einige Pigmentstörungen, die sich weiß auf ihrem leicht gebräunten Rücken abhoben.
Ihre schulterlangen Haaren ringelten sich in sanften Locken von ihrem Kopf und als ich damit ihre Kehrseite vollkommen in mich aufgenommen hatte, wartete ich darauf, dass sie sich umdrehte, damit ich mit meiner Musterung von vorne weitermachen konnte.
„Bist du fertig?“ hörte ich sie fragen und schreckte auf, „denn wenn ja, hätte ich eine Frage an dich.“
Irritiert richtete ich mich auf und drückte meinen Rücken durch, sodass ich keinen Kontakt mehr zum Holz des Schrankes hatte.
„Fertig womit?“ fragte ich und versuchte meiner Stimme mehr Kraft zu geben, als die Überraschung ihr geraubt hatte.
„Mit deiner Musterung?“ fragte sie und drehte sich lachend herum.
Ich fühlte mich ertappt und hoffte, dass mir nicht die gesamte Farbe aus dem Gesicht wich, ehe ich ein sinnfreies: „W..w..was...Nein..Nein...Nein“, stammelte.
Das letzte Nein klang sogar fast überzeugend.
Sie hob fragend die Augenbraue und sah mich mit einem ungläubigen Blick an.
Ich seufzte: „Verdammt...woher wusstest du das?“
Sie zuckte mit den Schultern, ließ sich aufs Bett fallen und zog den einen Fuß an.
„Wir Mädchen haben den sechsten Sinn dafür... und du... Du bist nicht gerade diskret.“
„Oh“, brachte ich nur heraus und versuchte einen schnellen Themenwechsel: „Was wolltest du mich fragen.“
Imogen betrachtete mich einen Augenblick mit ihren graublauen Augen, ehe sie antwortete und mit einem Grinsen im Gesicht.
„Elegant“, komplimentierte sie meinen Versuch und schloss ihre Frage an:
„Wie alt bist du eigentlich? Zehn?“
Verwirrt zog ich die Stirn kraus und bewegte mich auf meinen Schreibtisch zu und lehnte mich gegen die Kante dessen.
Es war meine Art ihr unbemerkt näher zu kommen, aber ich glaubte, sie hatte mich mittlerweile vollkommen durchschaut.
Sie blickte zu dem Poster über meinem Bett, das einen roten Ferrari auf Hochglanzpapier zeigte.
„Was ist an dem Poster falsch?“ fragte ich.
„So ziemlich alles“, meinte sie und zuckte mit den Schultern, nahm aber nicht den Blick von dem Fahrzeug, „vollkommen überzogen und mein zehnjähriger Bruder würde es sich in seinem Zimmer aufhängen. Daher gebe ich zu, die Tatsache, dass es ebenfalls im Zimmer eines Achtzehnjährigen hängt, verunsichert mich.“
„Du hast einen Bruder?“ fragte ich und stieß mich von der Kante ab und wusste nicht wohin, als ich mich bewegungsfrei in mitten des Raums befand und beschloss mich neben sie zu setzten.
Die Matratze sank ein, als ich mich darauf niederließ und sie betrachtete mich.
Sie begann an meiner Hand, die ich unmittelbar neben ihr platziert hatte und erklomm mit ihrem Blick den Rest meines Körpers, ehe sie mir in die grünen Augen sah.
„Nein. Mein hypothetischer Bruder hätte ein Ferrariposter in seinem Zimmer“, meinte sie und wendete den Blick nicht ab.
Mich hatten auch zuvor Mädchen angesehen, aber sie hatten nie solange den Blick in meinen Augen ausharren lassen und das irritierte mich.
Ich verstand Imogen nicht.
Bei anderen Mädchen hatte ich einige Muster festgestellt, typische Verhaltensweise, die mir reflektierten, wie sie mich fanden.
Manchen zum Beispiel lächelten, wann immer ich ihnen einen Blick zu warf- dass waren die Mädchen,die mich mochten, die mich kennenlernen wollte.
Und dann gab es die Mädchen, die mir gekonnt ihr Desinteresse vermittelten, in dem sie jeden Blick, den ich ihnen zu warf mit stumpfsinniger Gleichgültigkeit erwiderten.
Imogens Blick waren eine Mischung aus Beidem.
Das Grau in ihrer Iris repräsentierte, das kühne Desinteresse, die Belanglosigkeit meiner Person in ihrem Kosmos.
Ganz anders das Blau, das mich mit einer beinahe schwärmerischen Wärme betrachtete.
Es verwirrte mich, denn ich konnte es nicht erfassen.
Ich war ein Kontrollfreak.
Deswegen spielte ich auch Football.
Es gab eine bestimmte Reihenfolge, eine festgelegte Strategie, die ich zu befolgen hatte, damit ich Erfolge erzielen konnte.
Bei Imogen konnte ich keine Strategie entwerfen, denn ich schien ihre Spielregeln nicht zu verstehen.
„Und was verunsichert dich?“ hörte ich meine Stimme erklingen, während ich versuchte den Blick ihrer Augen standzuhalten.
Sie blinzelte- und es schien das erste Mal seit einigen Minuten zu sein- und sah weg.
Irgendwie erleichterte es mich, wenn ich auch eine gewisse Sehnsucht nach ihren Augen verspürte.
„Die Tatsache, dass du Dinge hast, die einem Zehnjährigen zu zuordnen sind. Ich mag Kinder nicht besonders.“
Ich lachte und ihre Miene fiel in sich und zu einem Lächeln zusammen.
Die Anspannung, die sich darin aufgebaut hatte, hatte ich nicht einmal bemerkt und mir fiel auf, wie viel ich doch eigentlich übersah.
Und doch erhob ich mich und bemerkte, wie unsicher ich auf der eingesunkenen Matratze stand und riss das Poster von der Wand.
Das Geräusch war laut und aggressiv, damit hatte ich nicht gerechnet.
Wieder etwas, das ich übersehen hatte.
Ich stolperte vom Bett, sodass ich mit einem lauten Knall auf dem Boden aufkam, der dennoch vom Teppich des Bodens gedämpft wurde.
Bewegungslos verharrte ich einige Sekunden und horchte, ob meine Mutter wiederkommen würde, um nach dem Rechten zu sehen, aber sie blieb, wo sie war.
Seufzend rollte ich das Poster zusammen und steckte es zwischen den Spalt des Bettpfosten und meines Nachttisches.
Ich erblickte mein schwarze, schlankes Handy auf diesem und griff danach, steckte es mir in die Hosentasche und stellte mich wieder vor den Spiegel.
Meine Frisur war vollkommen zerzaust und ich suchte den Raum mehrere Male nach meinem Kamm ab, ehe ich ihn auf dem Boden, zu meinen Füßen entdeckte.
Ich trug doch tatsächlich die gesamte Zeit über meine Schuhe.
Das war in diesem Moment an das Einzige, was ich denken konnte.
Dass ich meine Schuhe getragen hatte, die ganze Zeit.
Kopfschüttelnd bückte ich mich nach dem Kamm, als mir wieder einfiel, wieso ich überhaupt nach unten gesehen hatte und begann meine Haare wieder auf die linke Seite zu kämmen.
Als ich zufrieden war, ließ ich den Kamm einfach fallen und fuhr erneut die schwarze Krawatte entlang und legte den Kragen des weißen Hemdes, welches ich darunter trug und welches Imogen hin und wieder einmal getragen hatte.
Das weiße Hemd
„Wie lange wirst du weg sein?“ fragte sie mich und sah mich mit einem Blick an, der mehr als unfair war.
Ich seufzte und griff nach einigen gefalteten Shirts aus dem obersten Regal im Schrank und warf sie auf mein Bett.
„Etwa drei Tage. Das ist die Landesmeisterschaft, Imogen“, meinte ich und zog die Sporttasche, die ich als Reisetasche umfunktionieren würde, aus der unteren Schublade.
Sie folgte dem Flug der Shirts und landete auf meinem Bett.
„Und wieso soll ich nicht mitkommen?“ fragte sie und ich hörte die Enttäuschung in ihrer Stimme.
„Weil ich dann“, meinte ich und hob ihr Kinn an, damit sie mich ansehen musste, „so abgelenkt bin, dass ich mich nicht mehr auf das Spiel konzentrieren kann.“
Ich küsste sie, aber sie wendete beleidigt den Kopf ab.
„Das ist ganz schön egoistisch gedacht“, sagte sie und erhob sich vom Bett.
Gott, Mädchen konnten so stur und verständnislos sein- und in dieser Hinsicht waren sie alle gleich.
Achselzuckend öffnete ich den Reißverschluss der Tasche mit einem Surren und begann die Shirts einzuräumen, als ich bemerkte, wie sie vor meinem Spiegel stand und das weiße Hemd betrachtete, das ich dort aufgehängt hatte.
„Wieso hast du nie so was Schickes an, wenn wir ausgehen?“ fragte sie mich und zupfte an den Ärmel des Hemdes.
„Soll ich denn?“ fragte ich lachend und sah sie an.
„Nein“, sie spitze die Lippen, ehe sie lächelte, „damit siehst du doch sowieso nur wie ein reicher Snob-Idiot aus.“
„Der Coach will, dass wir es tragen, wenn wir in Salem ankommen. Er sagte etwas von angemessener Garderobe und die Jungs und ich, haben es als Hemd interpretiert“, erklärte ich und ging erneut zum Schrank.
„Nein“, hörte ich sie sagen und lachte amüsiert, während ich im Chaos meines Schrankes nach meiner Glücksunterhose suchte, „es steht dir nicht. Mir dagegen schon.“
Ich war zwar nicht abergläubig, aber verdammt nochmal, diese Hose war magisch. Wenn ich sie getragen hatte, hatte ich noch kein einziges Spiel verloren und einen, mindestens einen Touchdown erzielt.
„Ich glaube wohl kaum, dass es dir besser steht“, lachte ich amüsiert und förderte die Unterhose zu Tage.
„Ich schon“, meinte sie und etwas in ihrer Stimme hatte sich verändert.
Ich sah sie an, um etwas zu erwidern, aber mir blieben die Worte im Hals stecken.
Sie hatte sich aus ihren Kleidern gewunden, sodass sie vor ihr auf dem Boden lagen.
Alles was sie trug, war mein weißes Hemd, von dem sie einige Knöpfe geöffnet hatte und sie hatte sich lasziv gegen meinen Spiegel gepost.
Oh man, so was hatte ich bisher nur in den Nackheftchen von Archie gesehen, der sich immer und andauernd einer runterholen musste.
Und in echt und in Natur (und damit meinte ich nicht die Verdeutlichung der Realität, sondern keine aufpumpte Silikonbarbie) war es unglaublich heiß.
Ich spürte, wie ich erregt wurde und schritt auf sie zu, ließ meine Glücksunterhose aus der Hand fallen und zog sie zu mir.
Ich küsste sie fordern und begierig.
„Dir steht es besser“, gab ich zu, in einer der Pausen, in der ich nach Luft keuchte.
Sie küsste mich und ich schlag einen Arm um ihre Taille, zog sie mit mir und ließ mich auf mein Bett fallen.
Die Tasche schleuderte ich zu Boden und sie setzte sich auf.
„Kann ich es behalten?“ fragte sie und ich wand mich unbeholfen aus meinem Shirt.
„Es ist deins“, meinte ich und begann an den Knöpfen herumzufummeln, „aber jetzt zieh es aus.“
Sie lachte leise und half meinen nervösen Fingern, knöpfte es auf und ließ es mit einer rollenden Bewegung von ihren Schultern gleiten, ehe sie sich runterbeugte und mich erneut küsste.
Ja, es stand ihr so viel besser als mir.
Seufzend wandte ich mich meinem Schrank zu und begann hektisch nach Alternativen zu suchen, aber alles, was ich fand, war das Hemd mit dem Rosastich, welches dann am nächsten Morgen stattdessen getragen hatte.
Ich würde nie den Blick von Coach Reynolds vergessen, als ich in diesem Zartrosa aufgetreten war, aber nach dieser Nacht- Oh man, ich wäre im Kleid aufgelaufen, wenn es das Einzige gewesen wäre, was ich hätte tragen können.
Mit einem erneuten schweren Seufzer schlug ich die Tür zu und ließ mich auf dem Boden nieder.
„Fünf Minuten, Schatz!“ hörte ich meine Mutter rufen und ballte die Faust, ehe ich auf den dunklengrünen, unschuldigen Teppich schlug.
Ich hasste es so sehr, wenn sie mich Schatz nannte.
Aber wieder beließ ich es dabei.
Heute war einfach nicht der Tag für Beschwerden, schon gar nicht für Beschwerden, die sich in diesem lächerlich-kleinen Größenmaß bewegten.
Ich begann die Sekunden zu zählen, als ich -wieder einmal- nichts mit mir anfangen konnte.
Fünf Minuten hatten dreihundert Sekunden.
So gesehen hatte ich ziemlich wenig Zeit mich hier zu verstecken, denn das war genau das, was ich tat.
Im Schneidersitz zählte ich mir den zehn-Sekunden-Takt wie ein Mantra vor und dachte darüber nach.
Es hatte damals keine dreihundert Sekunden gedauert. Nein, nicht einmal die Hälfte der Sekundenanzahl.
Es waren verdammte hundertzwanzig Sekunden gewesen, in denen ich entschied, Imogen Lowell aus meinem Leben zu streichen.
Hundertzwanzig Sekunden
Es war zwei Wochen nach dem Finale, dass wir gerade zu demütigend hoch gegen die Flying Fish.
Es war die High School von Salem und so gesehen war ihr Name irgendwie... einfallslos.
Kopfschüttelnd wendete ich und drückte auf die Stoppuhr, ehe ich los lief.
Ich sprintete über die Breite des Feldes, was etwa dreiundfünfzig Yard entsprach, und wieder zurück.
Immer und immer wieder.
Bei jedem Schritt, den ich nahm, begannen meine Beine zu schmerzen und ein heißes Brennen zog in meine Glieder.
Nach dem achten Male des Hin-und Herlaufens ohne Pause brach ich, vollkommen hinter dem Atem und keuchend, auf nicht einmal der Hälfte der Strecke zusammen.
Meine Lunge brannten, schafften es nicht genug Luft zu pumpen und mein Herz schlug so schnell, dass ich glaubte, es würde mir gleich aus dem Brustkorb springen.
Vor meinen Augen war ein schwarzes Flimmern, so dass ich immer wieder am Rande der Bewusstlosigkeit balancierte, aber niemals herabfiel.
Als mein Atem sich beruhigt hatte und mein Herz wieder mehr oder weniger normal schlug, stieß ich einen markerschütternden Schrei aus.
Er war ohrenbetäubend und hallte noch eine kleine Ewigkeit in den Weiten des Feldes nach.
Es war meine Schuld, dass wir verloren hatten.
Ich hatte so viele Drops verursacht wie in den gesamten letzten drei Saisons nicht, war unkonzentriert und hatte definitiv nicht die Leistung gezeigt, die ich zu bieten hatte.
Bereits in der Zeit der ersten Offense hatte ich so viele Punkte verschenkt, dass wir den Rückstand kaum aufholen würden.
Ich hasste mich dafür.
Und das Team hasste mich dafür.
Wieder brüllte ich mir die Seele aus dem Leib.
„Jake?“ hörte ich eine bekannte Stimme fragen und schreckte zusammen.
Ich hatte mit keiner Menschenseele gerechnet, auch weil ich keine Menschenseele sehen wollte.
„Imogen“, fuhr ich sie harsch an, „was zur Hölle machst du hier?“
Ich erhob mich und funkelte sie wütend an.
„Ich hab dich gesucht. Deine Mom hat gesagt, du wärst hier... und dann waren da diese Schreie.“
„Das war ich kapiert, und ich will niemanden sehen. Und Niemanden schließt dich mit ein“, spuckte ich und drehte mich um, um zu gehen.
„Hey“, meinte sie und ich hörte, wie sie mir nach hechtete, spürte ihre Hand auf meiner Schulter, „wie redest du eigentlich mit mir?“
„So wie ich will“, fuhr ich herum und schnappte ihr Handgelenk, „es ist mir scheißegal, was mit dir ist, verstehst du? Das hier...“ ich machte eine weitläufige Geste, die über das Feld lief, „ist mir wichtig. Ist mir schon immer wichtig gewesen. Mein ganzes Leben lang. Es ist meinem Dad wichtig und mein Dad ist mir wichtig. Meiner Mom und auch meiner Schwester ist das hier wichtig. Allen Menschen, die mir etwas bedeuten, ist das hier wichtig. Und dann bist du hier. Bedeutet dir das Spiel etwas?“
Sie sah mich ausdruckslos an.
Ich schüttelte ihre Hand und schrie sie an: „Ist dir das wichtig?“
In ihren Augen konnte ich sehen, wie das Grau begann zu dominieren und verstand.
Ich lachte höhnisch: „Natürlich ist es dir nicht wichtig. Nichts ist dir wichtig. Du bist Imogen Lowell. Nichts auf der Welt ist dir wichtig. Nur du selbst.“
Wieder starrte sie mich nur an und ließ sich von mir als Egoistin beschimpfen, dabei wussten sie und auch ich ganz genau, dass Imogen Lowell, alles andere als egoistisch war.
Wortlos riss sie ihre Hand aus meinem Schraubstockgriff und begann sie zu massieren, ehe sie mit ruhiger Stimme antwortete: „Du hast Recht. Für das Spiel interessiere ich mich einen Scheiß. Ehrlich gesagt, finde ich es weitesgehend richtig beschissen und ob es mir wichtig ist? Natürlich nicht. Aber du bist mir wichtig. Du bist mir so wichtig, wie niemals ein Mensch zuvor. Jedenfalls bist du mir so wichtig gewesen.“
Sie schenkte mir einen langen Blick aus grauen Augen und in diesem Augenblick verstand ich erst, was ich getan hatte.
Ich sah ihr hinterher, wie sie davon ging.
Und dann sah ich wieder ihre Augen vor mir und begriff, dass ich nicht mehr zu ihrem Kosmos gehörte und dass ich nie wieder zu ihrem Kosmos gehören würde.
"Bist du endlich soweit?“ hörte ich meine Mutter fragen, sah wie sie wieder ihren Kopf in den Türspalt steckte.
Ich sah sie an und ihre großen grünen Augen, von welchen meine abstammten, funkelten freudig.
Glücklicherweise hatte sie dieses komisches Netz-vor-dem-Gesicht-Hut-Ding abgenommen und einen bunten Blazer über ihr schwarzes Kleid gezogen.
Es munterte die Stimmung ein wenig auf, ließ alles ein wenig heller und fröhlicher erscheinen und schwerfällig erhob ich mich vom Boden.
„Ja“, sagte ich, während ich auf sie zu kam und sie umfasste den Kragen meines Anzuges und hielt ihn fest.
„Ich bin so stolz auf dich“, meinte sie und zog mich herunter, damit sie mir einen Kuss auf die Stirn drücken konnte.
„Mom“, murrte ich und fuhr mir mit dem Handrücken über Stirn und hörte sie lachen, sah aber auch wie sich die Tränen in ihren Augen sammelten.
„Ach Schatz“, meinte sie und streckte sich damit sie den Arm um mich legen konnte, ehe wir in den Flur schritten.
Wieder zuckte etwas in mir, etwas zu erwidern, sie vielleicht sogar anzuschreien und aufzuhören mich 'Schatz' zu nennen, aber ich hielt meine inneren Geister ruhig.
„Da ist er ja!“ hörte ich meinen Vater sagen, während er froh in die Hände klatschte, vielleicht sogar ein wenig erleichtert, denn er hasste es, zu spät zu kommen.
Sein halbes Gesicht war mit einem graumelierten Bart verdeckt, aber es wirkte so freundlich durch die leuchtenden blauen Augen.
Manchmal fragte ich mich, ob ich besser bei Mädchen ankommen würde, wenn ich die vertrauensvollen, sympathischen Augen meines Vaters hätte. Da ich daran aber nichts ändern konnte, hielt ich mich mit der Beantwortung der Frage nie sonderlich lange auf.
Auch er stand in einem Anzug( keiner aus dem Discounter) da und ein Mädchen stützte sich an seiner Schulter ab.
„Ich dachte schon, er wäre zum Fenster ab“, hörte ich Heather, meine Schwester, sticheln und sah, wie sie provokant die Augenbrauen hob.
Ich grinste ihr sarkastisch zu und wartete darauf, dass meine Mutter aus dem Schlafzimmer stürmen und mir meine penibel gebügelte, hellblaue Talar bringen würde.
Und wie als hätte ich es ihr befohlen, kam sie herbei und präsentierte sie mir.
„Danke“, meinte ich beinahe ein wenig schüchtern und streifte mir die knöchellange Abschlussrobe für die traditionelle, amerikanische High School Graduierung über.
Den Doktorhut hielt ich in der Hand und wie im Gänsemarsch traten meine Familie und ich zur Haustür.
Es waren viele Leute da.
Sehr viele Leute und unter ihnen unzählige Schüler, die ebenfalls eine blaue Talar trugen.
Beinahe hatte ich erneut einen Flashback an das Spiel des Halbfinale.
Überall waren Menschen auf dem Spielfest, alle trugen sie die Farbe blau und es war eine ausgelassene Stimmung.
Ich blieb noch einen Moment bei meiner Familie, ehe die anderen Absolventen begannen sich auf die Stühle zu setzten, die man vor der Tribüne aufgebaut hatte.
In meinem Nacken spürte ich die Blitzlichte von unzähligen Digitalkameras und dann pochte jemand mit dem Fingern gegen das Mikrofon.
Ich spürte die Unruhe vor der einkehrenden Stille und konnte mir einen Blick nach hinten einfach nicht verkneifen.
Überall sah ich freudenstrahlende Gesichter, aber kein Einziges, dass irgendwie betrübt war, dass sich mit der Welt beschäftigte.
Nirgendwo war das Gesicht von Imogen.
Seufzend drehte ich mich nach vorne und sah, wie ein Mädchen, das zwar in meinem Jahrgang war, ich aber offensichtlich noch nie bemerkt hatte, vorne stand und eine Rede hielt.
Eine schier ewig-lange Rede, die einfach kein Ende finden wollte.
Das Mädchen mit der Brille und den darunter ziemlich stark geschminkten Augen, sah hin und wieder nervös auf, wenn sie merkte, dass sie zu lange auf ihre Notizen blickte und fuhr sich mit einer unbewussten, aber einer sich immer wieder wiederholenden Geste, über die Oberlippe.
Ihr Rekord waren sieben Streiche pro Minute.
Ich ließ mich weiter in den Stuhl gleiten und begann abzuschalten.
Zusammengefasst war ihre Rede eine wiederholt-verschiedene Auslegung ihrer These:
Die Welt hält unzählig viele Möglichkeiten für uns bereit.
Und als sie auch die letzte Interpretation abgehandelt hatte, setzte schläfriger Applaus ein und die eigentliche Zeremonie begann.
Als mein Name aufgerufen wurde, erhob ich mich schwerfällig und balancierte zwischen den eingezogen Beinen durch, trat auf einige empfindliche Füße in High Heels und entschuldigte mich mit einem charmanten Grinsen.
Und dann irgendwann stand ich tatsächlich auf der Bühne und schüttelte Hände von irgendwelchen Leuten, die mir ein Zeugnis- das der Schlüssel zu meinem Leben sein sollte und dafür ziemlich leicht zerstörbar war- in die Hand drückte.
Mit einem Lächeln drehte ich mein Gesicht in die Menschenmenge, sah meinen Vater laut jubeln und meine Mutter mit einer Rotzfahne, die beinahe auf den Boden troff, Fotos schießen.
Es überraschte mich zu sehen, dass auch Heather stand und wie wild applaudierte.
Unser Verhältnis war eigentlich immer ein wenig... unterkühlt.
Deshalb rührte mich ihr plötzlicher Gefühlsausbruch von Begeisterung für mich irgendwie.
Kopfschüttelnd und mit einem schiefen Grinsen stolperte ich beinahe von der Treppe, aber konnte mich gerade noch so fangen.
Leider blieb es nicht unbemerkt und ein leichtes, amüsiertes Raunen hallte durch die ersten Reihen.
Ich tat mit einem Schulterzucken cool und warf alle Peinlichkeiten der High School mit dem kollektiven Luftwurf der Hüte von mir.
Zwei vollkommen wahre Begebenheiten, die sich nun eröffnet hatten, drangen in meinen Verstand ein:
Gott.sei.dank.war. Das.hier.endlich.vorbei.
Verdammt.ich.würde.Imogen.nie.wieder.sehen.
Alles, was sie sein könnte.
Nach meinem ersten Jahr am College der NYU zog ich für das kommende Semester in neues Studentenwohnheimzimmer.
Seufzend ließ ich mich auf das einfache Bett aus Buchholz fallen und blickte mich um.
Meine Zimmerseite bestückt mit Bett, Schrank und Schreibtisch spiegelte akkurat und in der selben Reihenfolge das Mobiliar des anderen Studenten wieder.
Es war kleiner, als ich es erwartet hatte und am Ende, dieser beinahe Art Zelle, lag der Eingangstür ein Fenster gegenüber. Immerhin war es ein großzügiges Fenster, durch das viel Licht in den sperrig-wirkenden Raum fiel.
Mit meinem Koffer versperrte ich die Hälfte des Mittelgangs und somit die Hälfte des freien Platzes.
Alles kam mir klein und winzig vor und ich seufzte schwer, wünschte mir mein altes Zimmer zurück.
Denn mein altes Zimmer hatte ich mir mit einem Studenten aus Übersee, der nur so selten da war, dass ich nicht mehr als fünf Worte mit ihm gewechselt hatte und der nach drei Monaten sogar zurück in seine Heimat ging, geteilt.
Da die Worten 'Freut mich, ich bin Jake' waren, wusste ich nicht mal woher er kam.
Aus Europa glaubte ich zumindest und dort eben irgendwo aus dem östlichen Raum Ungarn oder Polen oder irgendsoein Land.
Geographie war nie wirklich meine Stärke gewesen.
Aber dieses Jahr hatte ich es mit einem Kerl aus Michigan zu tun, der wohl selbst wenn er in seine Heimat ginge, mit einem zwei-Stunden-Flug wieder hier wäre.
Ich machte mir Gedanken darüber, dass ich hoffte, dass er nicht komisch sei.
Ich hoffte so zum Beispiel, dass er mein Chaos ertragen, diesem aber nicht unbedingt beisteuern würde,
dass er regelmäßig duschte und dass er mich niemals auf mein versautes Endspiel ansprechen würde.
Idealerweise sollte er ein Computerfreak sein, denn obwohl ich ein gewisses Verständnis von diesem Eletronikkram hatte, war ich eher das Kind gewesen, was draußen spielte und nicht im kalten des Schein des Displays mit heruntergelassenen Rollladen hockte.
Seufzend begann ich meine Sachen auspacken.
Als mein Koffer größtenteils im Schrank verstaut war, verspürte ich die Lust einen Kaffee in meinem Lieblingscoffeeshop zu trinken.
Dafür müsste ich allerdings nach Brooklyn.
Einen Moment lang schätze ich ab, ob es sich lohnte und entschied mich dann dafür.
Ich erhob mich, raffte mein Handy zusammen und fragte Shawna, meiner Freundin mit Vorzügen, ob sie mich dort treffen wollte.
Mit hastigen Schritten verließ ich das Studentenwohnheim und eilte auf die regen Straßen von New York City.
Irgendwie hatte ich es vermisst hier zu sein.
Ich hatte die gelben Taxis vermisst und mit ihnen sogar das ständige Verkehrsaufkommen, die ganzen Anzugtragenden Menschen im und um die Wall Street herum, den Bullen an der Wall Street, den Central Park mit dem fallenden Laub nun im Herbst, das Empire State Building.
Eben alle markanten Punkte, die New York ausmachten.
Doch am meisten hatte ich die kleinen, geheimen Ecken von New York vermisst.
Die kleinen geheimen Ecken wie mein Café.
Als ich mit meinem Taxi in schleppenden Tempo über die Brookyln Bridge fuhr, dachte ich an Imogen.
Ich dachte daran, dass auch sie nun ihren Abschluss hatte und irgendwo ein College besuchen würde.
Ich fragte mich, ob sie anders aussah oder ob sie nur anders war, denn ich glaubte nicht, dass sie noch genauso wie damals war.
Schließlich war ich selbst auch nicht mehr der, der ich einmal war.
Ich war nicht mehr der, der ich einmal war, seit ich mit ihr Schluss gemacht hatte.
Vielleicht auch seitdem ich dieses Spiel verloren hatte.
Die letzten beiden Jahre hatten mir geholfen, damit fertig zu werden und mittlerweile war ich sogar beinahe ein wenig erleichtert.
Erleichtert in der Hinsicht, dass ich später einmal hätte viel mehr verlieren können, als nur eine High School Landesmeisterschaft.
Gähnend sah ich auf das stilltreibende Wasser des East Rivers und lehnte mich zurück.
Nach etwa fünfundzwanzig Minuten erreichte ich endlich das Café und bezahlte die Unsumme für das Taxi, welche ich mir immer nur zu Studienbeginn leisten konnte und stieg aus.
Ich klappte den Kragen des dunkelgrünen Trenchcoats hoch, als mich der kühle Wind im Nacken erwischte.
Das Taxi fuhr weg und ich überquerte die Straße, ehe ich die Tür zum Café Bridgeview aufstieß.
Der Name war eigentlich vollkommen ironisch, denn man konnte die Brücke weder von Café noch in unmittelbarer Nähe sehen.
Ein warmer Hauch umhüllte mich und ich sah die zahlreichen Studenten, die meist einzeln an einem Tisch saßen und hektisch auf den Tasten ihres Laptops tippten, während daneben gemütlich eine Tasse heißer Kaffee dampfte.
Ich ging zur Theke und je näher ich dieser kam, desto mehr stieg mir der Geruch von frisch gerösteten Kaffeebohnen in die Nase.
Nachdem ich mir einen schwarzen Kaffee mit einem Schuss Sojamilch, und diesen Schickimickikaffee hatte ich erst hier kennengelernt, bestellt hatte, lehnte ich mich gegen die massive Eichenholztheke und begann den Raum nach Shawna abzusuchen.
Ich entdeckte sie in einer Sitzecke am Ende des Cafés. Die robusten Bänke waren fest an der Wand montiert, an der sich ein Künstler aus der Gegend hier ausgetobt und die Brooklyn Bridge fast detailgetreu an die Wand gepinselt hatte.
Deswegen trug das Café diesen Namen.
Weil die Aussicht auf die Brücke im Café zu sehen war.
Eine kleine Glocke neben mir ertönte und ich nickte dem Barista, ein Kerl etwa in meinem Alter und offensichtlichen mit Akneproblemen zu, ehe ich die Tasse mit dem Kaffee nahm und mich auf Shawna zu begab.
Sie trug einen zartrosa Strickrollkragenpullover, der ihre überaus weibliche Figur sogar noch betonte anstatt zu verhüllen und biss nachdenklich auf dem Ende des Bleistifts herum.
Ihre langen rotblonden Haare hatte sie zu einem unordentlichen Pferdeschwanz gefasst und sie trug eine Lesebrille auf der Nase, die sie eigentlich nicht wirklich benötigte.
Mein Ankommen bemerkte sie erst, als ich unmittelbar vor ihr stand und sie von ihren Laptop aufblickte und mich anlächelte.
Ich stellte den Kaffee auf dem Tisch ab und beugte mich zur ihr herunter, küsste ihr schmalen Lippen und fuhr dann mit dem Daumen abschließend darüber, ehe ich mich ächzend auf die Bank ihr gegenüber fallen ließ.
Ich mochte Shawna und eigentlich war unsere Beziehung durch mehr Vorzüge, als durch reine Freundschaft charakterisiert.
Nicht dass wir ausschließlich im Bett miteinander landeten, aber wir begannen uns immer weiter von dem 'nur-Freunde-sein' zu entfernen und stattdessen eine romantische Basis aufzubauen.
Sie lächelte mich an mit einem Funken von Erwartung, der in ihren blauen Augen schimmerte.
Shawna hatte schöne Augen, aber noch keine hatte eben so Augen wie Ann Taylors- oder Imogen.
Es ärgerte mich, dass ich genau in diesem Moment an Imogen dachte und nahm einen Schluck des noch brühendheißen Kaffees, während mich der Schmerz in meiner Kehle von ihr ablenkte.
„Ich wusste gar nicht, dass wir uns in der Öffentlichkeit jetzt so begrüßen“, meinte sie, klappte den Laptop zu und schob ihn zur Seite.
„Ich auch nicht“, meinte ich achselzuckend und streifte den Trenchcoat von meinen Schultern.
„Ich hab mir gedacht...“, sie zögerte und nahm die Brille ab, „wir könnten heute Abend essen gehen, in diesem Laden in SoHo, wo wir letztes Mal auch schon waren.... vor dem Sommer....“
Ich lächelte sie an, als ich verstand, was sie mir sagen wollte, während ich im Inneren gerade kollabierte.
„Wir könnten dann.. ich meine... wir könnten ja mal die Rahmen dieser Beziehung vielleicht ausweiten.“
Shawna schluckte schwer und ich sah, wie schwierig es für sie war diese Worte auszusprechen.
Wie mit sich rang und wie hart allein die Formulierung dieser Frage, dieses sehnsüchtigen Wunsches, für sie war.
Und ich fühlte mich dagegen überrollt.
Ich wusste, dass es so kommen würde und hatte den Tag in weiterer Ferne angesetzt, wenn ich mehr Zeit und mehr Klarheit über meine eigen Gefühle für sie hatte.
Natürlich, ich mochte Shawna und war auch irgendwie verknallt in sie, aber ich war weder in sie verliebt, noch liebte ich sie.
Es war wohl wirklich so, dass die Weiber in solche Dinge mehr interpretierten als das männliche Geschlecht. Wahrscheinlich lag es am Sex. Er sorgte dafür, dass Frauen sich verliebten und Kerle besser einschlafen konnten.
„Shawna“, meinte ich und ich sah, wie sich bereits ihre Miene deformierte, „ich bin gerade erst angekommen... ich hatte gedacht wir holen uns was beim Inder zum Mitnehmen und sehen uns irgendeinen Film bei mir an?“
Sie seufzte, aber ich wusste, sie würde nicht absagen, dass würde sie nicht tun.
„Naja“, sie verlor ihren Blick auf meinen Händen, die die Kaffeetasse umschlungen hielten, „ich denke, wir hätten heute Abend sowieso keinen Tisch mehr bekommen.“
Es dauerte einen Augenblick, ehe sie schaffte die Enttäuschung aus ihren Zügen zu vertreiben, aber dann lächelte sie gekünstelt, „aber ich will lieber Pizza und ich suche den Film aus.“
Ich verdrehte amüsiert die Augen: „Von mir aus.“
Sie nickte und mir sollte es das Herz brechen.
Mir sollte es das Herz brechen, wenn ich dabei zusah, wie sie eigentlich mit den Tränen kämpfte und eigentlich sollte ich ehrlich mit ihr sprechen.
Ich sollte ihr sagen, dass ich Probleme mit ernsthaften Bindungen hatte, dass ich die Menschen präventiv von mir stieß und dass ich eine einzige Enttäuschung im Leben war.
Denn was war ich schon?
Ich war fast zwanzig, hatte eine nicht so grandiose High-School-Football-Karriere hinter mir und studierte in eine beinahe hoffnungslose Aussicht Literaturwissenschaften.
„Wunderbar“, sagte sie und die Lüge belud ihre Stimme schwer und ich stürzte den Kaffee hinunter, ehe ich mich erhob.
Shawna packte ihre Sachen, während ich mir meinen Trenchcoat überzog und stand neben mir.
Ich zog sie zu mir und legte ihr einen Arm um die Schulter, als wir zur Tür schritten.
Gerade als wir hinaustreten wollten, kam uns eine Zweiergruppe-Mädchen entgegen, die uns beinahe anrempelten, als sie weitläufig das Dekor des Café bestaunten.
Man erkannte, dass die Beiden Erstsemestler waren- und wahrscheinlich irgendwo aus der Provinz kamen-, an der Art wie sie alles faszinierend und aufregend fanden.
Ich hatte es schließlich auch getan.
Mit ärgerlicher Miene wichen wir zur Seite und wollten gehen, als sich das eine Mädchen zu uns umdrehte.
Sie hatte einen spanischen Hauch in ihrem Aussehen und sah uns mit großen braunen Augen an, ehe sie uns eine Entschuldigung zu warf.
Ich nickte und dann drehte sich das andere Mädchen herum, um sich zu erkundigen, wo ihre Freundin blieb.
Unsere Blicke streiften sich nur für eine Sekunde und ich spürte, wie meine gesamte Welt kippte.
Sie sah mich aus blauen Augen an und schenkte mir ein liebliches Lächeln, ehe sie sich dem spanischen Mädchen zu wandte und im Inneren des Cafés verschwand.
Wie konnte das sein? Wie konnten wir uns in einer Stadt mit acht Millionen Menschen ausgerechnet heute und hier über den Weg laufen?
Wie konnte es sein, dass sie sich aus der Vielzahl der Universitäten in den Staaten, genau eine in New York City aussuchte? Genau da, wo ich war?
Ich starrte ihr paralysiert hinterher, vergaß vollkommen das Mädchen, um dessen Schulter ich den Arm gelegt hatte und lächelte.
„Hey Jake“, hörte ich eine Stimme und sah verdutzt neben mich.
Ich blinzelte einige Male, ehe ich meinte: „Ja?“
„Alles in Ordnung?“
Ich schüttelte den Kopf und nickte dann hastig, gab ihr einen flüchtigen Kuss: „Jetzt schon“, und warf einen suchenden Blick in das Café.
Zumindest würde es das alles wieder werden, dachte ich und trat mit Shawna hinaus in die kühle, aufkommende Abendluft.
Nachdem wir uns eine Pizza gekauft hatten, landeten wir im meinem Zimmer.
Mein Mitbewohner schien selbst noch auf Entdeckungstour, denn ich sah eine Tasche und eine Lederjacke auf dem Bett liegen, die davor noch nicht dagelegen hatten.
Dies ließ mich darauf schließen, dass er immerhin schon mal hier gewesen war, aber offensichtlich war er kein Computerfreak. Oder zumindest wäre er der Erste, der eine Lederjacke trug und Boxhandschuhe um seine Tasche gebunden hatte.
Ich packte meinen Laptop aus meiner eigenen und fuhr ihn hoch, während Shawna uns aus einem Kiosk am Ende des Blocks eine Flasche billigen Rosé kaufen wollte.
Ich fand dieses süße Gesöff widerlich, aber wahrscheinlich hatte ich mit meinen Äußerungen vorsichtig umzugehen.
Mädchen wie Shawna hatten einen wilde Interpretationsgabe und wahrscheinlich würde sie es als solches auslegen, dass ich nicht nur den Rosé nicht mochte, sondern auch sie nicht mochte.
Als ich mich aufs Bett fallen ließ, befreite ich meine Füße aus den Chucks und fiel in einer dämmernden Zustand, als man plötzlich die Tür zu meinem Zimmer aufriss.
Ich schreckte so aus meinem Halbschlaf, dass ich aufsprang und die Person, die herein kam, leicht auflachte und abwehrend die Hande hob.
„Hey Mann, alles cool“, meinte der Typ, der wohl mein neuer Mitbewohner war, „ich bin Andy.“
Ich nickte: „Ja, tschuldigung. Ich dachte nur du wärst Shawna und ach egal... ich bin Jake.“
„Freut mich“, meinte er und warf sich auf sein Bett.
Ich beobachtete ihn und ließ mich dann ebenfalls auf mein Bett gleiten.
Nein, er war kein Computerfreak.
Er hatte ein unglaublich- breites Kreuz und irre, muskulöse Oberarme. Unter seinem linken Augen waren noch die Spuren eines abheilenden Veilchen zu sehen und seine dunkelbraunen Haare reichten ihm bis zu den Ohren.
„Wo kommst du her?“ fragte und ich sah, wie er die Handschuhe von seiner Tasche band.
„Detroit“, meinte er und zischte leicht ärgerlich über den festen Knoten, den er schien, nicht öffnen zu können, „du?
„Aus einer Kleinstadt in North Carolina. Monroe.“
„Noch nie davon gehört“, meinte er lachend, „aber ich bin auch noch nie aus Detroit raus.“
„Du boxt?“ fragte ich und nickte auf seine roten Handschuhe, die ich nun schon eine scheinbar ewiglange Zeit anstarrte.
„Ja klar, Mann!“ sagte er freudig und ich hörte, wie die Begeisterung dafür in seine Stimme glitt, „Da kannst du dich vielleicht abregen, Mann. Ohne das jemand zu schaden kommt, Mann. Ich hatte so meine Probleme damit... mit dem ganzen Aggressionszeug, Mann.“
Ich hoffte mir, dass dieses ständige 'Mann' mir nicht irgendwann verdammt auf die Nerven gehen würden, aber allen in allen, würde ich wohl mit ihm leben können.
„Oh“, antwortete ich nur, „ich hab mal Football gespielt. Nichts Wildes.“
„Ach echt?“ fragte er und lachte, „ich auch, Mann. Ich war Center, aber Mann, dass war irgendwie nicht so mein Ding....Endlich. Ohne die Dinger fühle ich mich nirgendwo Zuhause, Mann.“
Andy hatte es geschafft, den Knoten zu lösen und legte sie neben sein Kopfkissen,ehe er unbeholfen an seinem Shirt zupfte, um es ausziehen.
Ich starrte unfähig zur Tür und wartete auf Shawnas Widerkehr.
„So. Ich muss mich beeilen. Ich will noch auf diese Party in der Nähe der Columbia... Hast du Lust mit zukommen?“ hörte ich ihn fragen und hörte wie, er den Reißverschluss zurückzog.
„Ähh..nein...meine....Alter, ich weiß nicht, was sie ist oder wir sind“, lachte ich, „aber auf jeden Fall kommt sie und wir sehen uns einen Film an.“
„Uhhh“, lachte Andy und hatte es geschafft sich ein frisches, weißes Shirt überzuziehen, ehe er sich die Lederjacke überwarf, „klingt spannend. Sicher dass du nicht mit willst? Ist so eine Art Einweihungsparty für die neuen Columbia-Studentinnen.“
„Ich denke nicht“, meinte ich und unterdrückte ein Gähnen.
„Na dann“, meinte er achselzuckend, „wir sehen uns wohl morgen.“
Ich nicke und er ging.
Kurze Zeit später kam Shawna mit ihrem billigen Rosé und goss uns in meine bunten Plastikbecher von IKEA großzügig ein, nachdem sie irgendeinen schnulzigen Film anstellte.
Ich fand die Handlung so öde, dass ich bereits nach der Hälfte des Films einschlief und erst wach wurde, als der Abspann mit einer tränenschwere Geigenmelodie herablief.
Shawna war gegangen, wie ich einer ziemlich verärgerten Whatsappnachricht entnehmen konnte, aber ich kümmerte mich nicht darum.
Unbeholfen klappte ich den Laptop zu und schob ihn unter mein Bett, pellte mich aus Hose und Oberteil und schlief ein.
In der Nacht wurde ich von einem lauten Geräusch geweckt.
Ich hörte weibliches Gekicher und ein tiefes Grummeln.
„Hey Mann“, hörte ich Jake wispern und roch seine Alkoholfahne nah an meinem Gesicht.
Es dauerte einen Moment, ehe ich die Situation begriff, „ja?“
„Hast du Kondome hier?“
„Nein“, meinte ich und wollte mich umdrehen und weiterschlafen.
„Scheiße“, murrte Andy und ich hörte, wie betrunken er war, an der Art wie er ging.
„Hey Andy“, meinte ich und richtete mich auf. Er strahlte mit dem Display seines Handys auf mich und ich hielt die Hand gegen das blendende Licht, „im Bad der dritten Etage ist ein Spender. Wenn du Glück hast, haben die schon aufgefüllt.“
„Danke, Mann“, lallte er lachend und schlurfte Richtung Ausgang.
Ich fragte mich, wo das Mädchen hin war, zu dem das Gelächter gehörte, aber ich blieb nicht lange genug wach, um ernsthaft darüber nachzudenken.
Allerdings hielt die Ruhe nicht lange und meine Tür wurde wieder aufgerissen, ehe man sie wieder leise schloss.
Ich hörte ein tapsendes Geräusch, kurze schnell gesetztes Schritte, die sich nah an meinem Bett befanden. Ein viel leichteres Gewicht, ein ganz anderes Geräusch als wenn Andy ging.
Es irritierte mich und ich horchte mit geöffneten Augen in die Dunkelheit.
„Sorry“, meinte die Stimme flüsternd, „ich hab das Klo nicht gleich gefunden."
Und dann war sie bei mir.
Sie hatte sich auf mein Bett gesetzt und als ich endlich begriff, dass sie mich für Andy hielt und ich etwas sagen wollte, küsste sie mich.
Ihre Lippen schmeckten nach Wodka und sie hatte sich auf mich gehockt und meine Gesicht in ihre Hände genommen.
„Imogen“, hauchte ich leise.
Ich erkannte sie an der Art, wie sie küsste.
Sie küsste anders als Shawna, anders als alle Mädchen, die ich bisher geküsst oder dich mich geküsst hatten.
„Jake?“ fragte sie tonlos, aber bewegte sie keinen Millimeter, sondern harrte über mir gebeugt aus. Ihre Nasespitze berührte meine und ich konnte spüren wie ihr heißer Atem gegen meine Lippen prallte.
Ich umfasste ihre Taille und streckte mein Kinn nach oben, sodass sich unsere Lippen wieder berührten.
Gott, wie hatte ich das vermisst. Wie sehr hatte ich das vermisst.
Sie küsste mich ebenfalls und ließ sich auf mich fallen.
Ungeschickt versuchte ich die Decke, die zwischen uns lag wegzureißen und dann nach unzähligen Versuchen, in denen sich immer wieder ihre Lippen von meinen lösten, gelang es mir.
Meine Hände fuhren ihren gesamten Körper nach und ich bemerkte, dass weder mein Verstand, noch meine Hände dieses Gefühl vergessen hatten- und es gerade in diesem Moment so sehr genossen.
Wir küssten uns begierig, so als wollten wir die verlorene Zeit nachholen.
Es war unglaublich angenehm, ihr ganzes Gewicht auf mir zu spüren, ihre warmen weichen Lippen auf meinen.
Wir rangen nach Luft und dann legte sie den Kopf auf meiner Brust ab und ich hörte sie flüstern:
„So wichtig bist du mir.“
Ich küsste ihre Stirn und schlang meine Arme fest um ihren Körper, drückte sie an mich, sodass weder sie noch ich einen Zentimeter Luft zum Atmen hatten und antwortete leise: „Es tut mir leid. Ich hatte das alles nicht so gemeint. Nichts ist mir wichtiger als du, wird mir niemals etwas sein.
Ich liebe dich, Imogen.“
„So wie du noch nie jemanden zuvor geliebt hast?“ hörte ich sie fragen und roch wieder den Alkohol, den sie getrunken hatte. Mit großer Wahrscheinlichkeit würde sie all das morgen wieder vergessen habe.
Und schon wieder war da diese Erleichterung.
Wie die Erleichterung bei dem Spiel.
Was zur Hölle war nur falsch bei mir?
„So wie ich nie jemanden lieben werde“, meinte ich und küsste sie erneut.
„Gut so“, meinte sie, „denn ich liebe dich auch noch. Und ich hasse mich dafür.“
Sie stieg aus dem Bett und zog sich das Kleid wieder über, welches sich schon bevor sie wusste, dass ich in diesem Bett lag, ausgezogen hatte.
Genau in diesem Moment kam Andy herein getorkelt.
„Hab eins gefunden“, meinte er lachend und ich wurde wütend. Er sollte sich auch nur wagen, Imogen anzufassen, „wir können, Babe.“
„Tut mir leid. Ich kann nicht... ich muss jetzt gehen“, haspelte sie und rannte beinahe zur Tür.
Ich sah, wie die Ausangsbeleuchtung im Flur mit grünen Licht ihre Silhouette umspielte und wie sie mir einen langen Blick zu warf.
Und dann ging.
Wieso wurde ich das Gefühl nicht los, ich hatte sie zum zweiten Mal gefunden und verloren?
Nachdem ich meine College-Zeit an der University of California abgeschlossen hatte, zog ich nach Newport Beach- eine der reichsten Städte in den Vereinigten Staaten.
Es war vor allem die Nähe zu Hollywood, die mich hierher verschlug,denn ich lehnte es ab, genau im Hotspot L.A zu leben.
Zwar bewohnte ich zurzeit ein Apartment in den nummerierten Straßen der Stadt, dort wo die Preise für Normalsterbliche finanzierbar waren, aber irgendwann würde ich in eine der zahlreichen Villen ziehen, die ich begann an die High Society zu verkaufen.
Ich hatte einen Job bei dem bekanntesten Immobilienmakler des gesamten Orange County ergattert und ich war wirklich unglaublich stolz darauf.
Mit musternden Blick stand ich vor dem Spiegel und richtete meine dunkelblaue Krawatte.
Sofort schoss mir die Erinnerung in mein Bewusstsein, als ich das letzte Mal so akkurat und penibel vor einem Spiegel gestanden und meinen Anzug gerichtet hatte.
Es war zu meiner Abschlussfeier gewesen, damals vor sechs Jahren. Dass schien mittlerweile eine Ewigkeit her zu sein.
In diesem Moment schien mir mein achtzehnjähriges Ich so fremd, wie noch niemals zuvor.
Seufzend fuhr ich mir durch die Haare, ehe ich sie wieder ordentlich legte und schenkte mir selbst ein Siegerlächeln.
Genau dieses Lächeln, nicht zu breit, nur ein paar Zähne heimlich zeigend und ein wenig nach rechts gezogen, war meine Geheimwaffe- das meinte zumindest meine Chefin Candice Carter.
Zufrieden mit meiner Erscheinung trat ich vom Spiegel und auf die kleine Kommode daneben zu.
Mit beinahe peinlicher Vorsicht zog ich die Schublade zurück, griff hinein und hob das kleine quadratische Kästchen, wie ein rohes Ei, heraus.
Ich stellte es ab und hob den Deckel davon, ehe ich mit einem Hauch von Ehrfurcht auf die teure Uhr blickte, die sich mir offenbarte.
Diese Rolex, mit blauen Ziffernblatt und eingefasst in ein Gehäuse aus grauen Platin, in einem Wert eines Kleinwagen, war das Teuerste, was ich jemals besessen hatte oder besaß.
Ich legte sie mir ums linke Handgelenk und war beflügelt vom den Gefühl der leichten, angenehmen Schwere und der Wirkung, die meiner Erscheinung eine plötzliche Ernsthaftigkeit verlieh.
Candice hatte sie mir zu unserem ersten, gemeinsamen Villenverkauf geschenkt. Es war ein großzügiges Geschenk, aber mittlerweile erhielt ich immer mehr solche kleinen Präsente, wie sie sie nannte.
So wie dieser Anzug von Armani und die Schuhe von Gucci.
Aber das war eben die Welt von Newport Beach.
Erneut warf ich mir selbst mein Siegerlächeln zu und verließ mein mickriges Apartment, um mich auf den Weg zu Candice zu machen.
Wir hatten uns vor der ersten Besichtigung zu einem Champagnerfrühstück bei Henry's verabredet.
Als ich eben dort ankam, erwartete sie mich bereits.
Das kleine Restaurant war überfüllt, aber nicht so, dass es einen beengte.
Denn zwischen den unzähligen, kleinen Tischen aus Glas lagen beinahe übertriebene Distanzen, die die Privatsphäre der hochkarätigen Gäste wahren sollte.
Ich hatte Candice bereits in der Nähe des Balkons ausfindig gemacht, harrte aber an dem Pult aus und wartete bis mich einer der, in ein Frack gekleideter, Kellner zu ihrem Tisch geleitete.
Dieser war bestückt mit wohl noch warmen, französischen Baquette, einer Schale Kavier und ausgewählten Käse- und Wurstsorten, sowie zwei Flöten gefüllt mit Champagner und einer exquisieten Auswahl an exotischem Obst.
Ich ließ mich auf den Stuhl gleiten und sie zog ihren rotgeschminkten Mund zu einem Lächeln.
Sie griff nach einer Erdbeere und ich sah, dass auch ihr Handgelenk eine feine, weibliche Uhr von Cartier ziehrt.
Mit dem Blick folgte ich ihrer Hand zu ihrem schmalen Gesicht und blickte in die braunen Augen, die mich fixierten. Ihre lockigen, roten Haare trug sie heute hochgesteckt.
Für einen Augenblick stellte ich mir vor, wie sie ihr in flammenden Wellen bis unter die Brust fielen und sich auf der weißen, strengen Bluse, die sie trug, niederließen.
„Guten Morgen“, meinte sie leicht lächelnd und griff nach dem Glas.
„Guten Morgen, Candice“, erwiderte ich amüsiert und nahm ebenfalls mein Glas auf.
Wir führten seit anderthalb Monaten eine Beziehung, die mehr oder weniger geheim war, denn eigentlich verheimlichten wir nichts, aber wir liefen auch nicht durch die Straßen und hausierten.
„Ich dachte, du wolltest gestern über Nacht bleiben“, sagte sie und griff sich unbewusst an die Kette, die um ihren Hals hing.
Das tat sie immer, wenn sie mit etwas unzufrieden war und ich nahm mich in Acht.
„Ich war müde und du sagst immer, das Wichtigste ist ein professionelles Erscheinungsbild.“
Sie nickte, ehe sie ein Schluck von dem perlenden Schaumwein nahm und einen Abdruck ihres Lippenstiftes auf dem Glas zurückließ, als sie es von den Lippen nahm.
„Die Grundlagen sitzen, wie es mir scheint, aber du musst noch viel lernen, Kleiner“, sagte sie und setzte eine neutral-wirkende Miene auf- ihr Arbeitsgesicht.
Ein Hauch von Konzentration, der sich in leichten Falten über der Stirn bemerkbar machte, ein freundliches, offenes Lächeln und glitzernde, braune Augen, denen man nichts ausschlagen konnte.
Gerade wegen diesem Gesicht, dieser Art und Weise wie sie sprach, war sie mit achtundzwanzig eine der erfolgreichsten Marklerinnen der Westküste.
Und ich war begierig zu lernen.
Nachdem wir die Details des Hauses besprochen hatten, setzten wir uns in ihren schwarzen Porsche Carerra um zur Besichtigung zu fahren, während wir meinen gebrauchten roten Chevy auf dem Parkplatz des Lokals stehen ließen.
Er passte nicht hierher und manchmal fühlte ich mich genauso.
Ich fühlte mich wie mein alter, klappriger Gebrauchtwagen zwischen all den Luxuskarossen.
Wir bogen gerade in die Einfahrt, als ich fragte: „Was genau für Leute besichtigen heute dieses Schmückstück?“
Sie lächelte mich an, schob ihre Sonnenbrille in den Haaransatz und meinte: „Jemand, der dir dein soziales Upgrade finanzieren könnte.“
Sie stieg aus und lief auf die Stufen des Hauses zu, ehe ich überhaupt ausstieg.
Als sie meine Anwesenheit neben sich bemerkte, begutachtete sie das Haus und fuhr gleichzeitig mit ihrer Erläuterung fort: „Irgendein verdammt erfolgreicher Musikproduzent aus L.A und seine Verlobte. Sie kommen aus Miami, suchen jetzt hier eine feste Bleibe in Newport Beach...Allerdings wird heute nur die Verlobte zur ersten Besichtigung kommen. Du weißt, was das bedeutet.“
„Charmant und stilvoll flirten“, lachte ich und warf einen ersten Blick auf die Immobilie.
Ein prächtiges Gebäude mit Fassade in einer Eierschalen, polierter Marmorstein-Auffahrt und imposanter Doppeltür in einem gepflegten Grün vor dem Eingang.
„Ganz genau“, meinte Candice und verschränkte höflich die Hände hinter dem Rücken, als sie die Autotüren schlagen hörte.
Auch ich wendete mich vorsichtig um und sah eine junge Frau auf uns zu treten.
Sie trug hohe, schwarze Schuhe und ein schwarzes, ab der Taille ausstellendes Kleid, auf dem ein weißes, florales Muster in genau bestimmten Abständen, angeordnet war.
Ihren Augen verbarg sie mit einer schwarzen Sonnenbrille und in ihrer Armbeuge baumelte eine braune Lederhandtasche von Louis Vuitton.
Sie sah unglaublich klassisch und elegant aus, behielt aber die Frische ihrer Jugendlichkeit.
Dies lag vielleicht auch an der Art, wie sie ihre Haare trug. Ihre hellbraunen Locken verliefen sich zu den Spitzen hin in ein zartes Blond, das um ihre nackten Schultern schmeichelte.
„Guten Tag“, meinte Candice, trat auf die junge Frau zu und streckte ihr die Hand hin.
Dieser ergriff diese und erwiderte Candices Handdruck.
„Mein Name ist Candice Carter und der werte Herr neben mir ist mein Kollege...“
„Jacob Miller. Freut mich sehr“, füllte ich die Pause, die Candice mir gelassen hatte und ergriff ebenfalls die Hand der Frau, die plötzlich stark zitterte.
In ihrer Miene konnte ich davon nichts lesen, aber ich sah, wie sie die Lippen spitze.
„Freut mich ebenfalls“, nickte sie und nahm die Sonnenbrille von den Augen.
Ich sah in eine einzigartige Mischung aus Blaugrau und beherrschte mich, nicht erschreckt nach Luft zu japsen.
Mir wurde heiß und kalt.
„Mein Name ist Imogen Lowell“, stellte sie sich Candice vor und diese nickte höflich.
Und dann wurde mir schlecht.
Ich hatte jahrelang keinen Gedanken mehr an Imogen Lowell verschwendet und jetzt stand sie in einer atemberaubenden Schönheit vor mir.
Das letzte Mal als ich sie gesehen hatte, war an dem Tag, als ich sie angeschrien und mit ihr Schluss gemacht hatte, und ich weiß nicht, ob sie schon damals so schön war wie in diesem Augenblick.
Mir blieb wortwörtlich die Spucke weg.
„Wunderbar“, meinte Candice, „wollen wir uns dann mal das Innere des Schmuckstückes ansehen?“
„Liebend gerne“, sagte Imogen und schritt zu Candice auf.
Wir gelangten in das großzügige Foyer, in dessen Mitte eine griechische Statur stand und um welche herum, jeweils rechts und links, ein Treppenabsatz abging.
Der Boden war ausgelegt mit polierten Marmorstein und an der Decke hing ein edler Kronleuchter.
Imogen blickte sich mit großen Augen um, drehte sich einige Male um sich selbst, um das Ausmaß des Raumes zu erfassen.
„Es handelt sich hierbei um ein Einfamilien-Haus mit vier Schlafzimmer, Pool und einer Grillstelle im Außenbereich, sowie eines Aufzuges“, begann Candice die Details des Hauses zu beschreiben, „zudem gibt es einen Balkon, so wie in fast allen Räumen einen Kamin.“
Imogen sah sich das gesamte Haus mit Bedacht an, verfiel in Schwärmerei bei dem Pool und den Kaminen und ließ Candice mit Ernüchterung zurück, als sie ihr voller Stolz den begehbaren Kleiderschrank präsentierte.
Wir brauchten beinahe zweieinhalb Stunden für die Besichtigung und in diesen zwei Stunden war ich nur äußerst selten zu Wort gekommen. Meist unterstützte ich Candice Aussagen mit einem 'Ja, wundervoll' und nickte ihre zustimmend zu.
Doch ich war unendlich froh nicht mehr sagen zu dürfen, denn wenn ich frei hätte sprechen dürfen, hätte ich Imogen mit tausend Fragen überrannt- und dann hätte ich mich bei ihr entschuldigt.
Aber da ich nichts sagen durfte, betrachtete ich sie still schweigend.
Ich beobachtete, wie sie so grazil auf ihren hohen Schuhen lief und ich hörte diesen schiefen Ton, wenn sie gekünstelt amüsiert lachte. Ich sah, wie sie sich immer wieder eine Strähne, die ihr vor die graublauen Augen fiel aus dem Gesicht schob und wie sie gelangweilt nickte, wenn Candice sie versuchte mit irgendwelchen technischen Spielerein, die das Haus aufwies, versuchte zu verführen.
Auf einmal, ausgerechnet im Hauptschlafzimmer, klingelte Candice Handy und sie entschuldigte sich, verließ den Raum.
Dann waren da nur Imogen und ich.
Sie hatte mich die ganze Zeit über mit einer geradezu wahnsinnig-machenden Neutralität behandelt,
den Blickkontakt zu mir gemieden und ihre Fragen ausschließlich an Candice gestellt.
Vorsichtig umrundete sie das große Kingsizebett, ließ ihre Finger über das seidene, weiße Bettlaken gleiten und seufzte.
Es erinnerte mich daran, wie sie mein Zimmer begutachtet hatte und ich grinste in mich hinein.
„Bist du fertig?“ fragte sie und ein amüsiertes Lächeln lag auf ihren ungleichen Lippen, als sie sich schwungvoll zu mir umdrehte und die Hände hinter ihrem Rücken verschränkte.
„Nein“, sagte ich achselzuckend und verbarg die Hände in den Hosentasche, als ich vorsichtig auf sie zu trat, „aber ich... ich wollte..“
Sie unterbrach mich: „Ist schon gut. Wir waren doch praktisch noch Kinder. Wie lange ist das her? Drei oder vier Jahre?“
„Sechs“, meinte ich und betrachtete sie nachdenklich.
Sie wusste ganz genau, wie lange es her war, dessen war ich mir sicher.
„Du bist also Markler?“ fragte sie und ließ sich auf das Bett nieder, überschlug die Beine.
Ich nickte: „Du bist also verlobt?“
Sie blickte mit blauen Augen auf und schmunzelte: „Mit der Football-Karriere nichts mehr geworden?“
„Ich habe mich davon losgelöst... es hat aus mir Etwas gemacht, das ich niemals sein wollte.“
„Ein Arschloch?“ fragte sie spitz und ich trat auf sie zu, ließ mich neben sie auf das Bett gleiten und blickte aus dem Fenster auf den Ozean.
„Genau. Hey, ich weiß, es ist lange her... aber es tut mir trotzdem leid. Das hattest du nicht verdient.“
„Schon gut“, meinte sie und umfasste mir ihrer Hand meinen Arm, drückte leicht zu.
Ich sah auf den Ring an ihrem linken Ringfinger, der sie an einen anderen Mann kettete.
Es war ein funkelnder Klunker, mehrere Karat schwer und mit einem leichten Hauch Zartrosa in den Brüchen, „es sollte nicht sein... Wenn ich es auch nie verstanden hab.“
Ich sah in ihre blauen Augen, als sie sprach und spürte all die Liebe, die einmal durch ihre Adern floss und die nur mir gegolten hatte.
„Entschuldigung...“, hörte ich Candice Stimme in meinem Rücken und blickte erschreckt auf, „was ist denn hier los...?“
Ihre Stimme klang ärgerlich, zögerlich... wütend.
Hastig erhob ich ich und zog Imogen mit mir, die noch immer meinen Oberarm umklammert hielt.
Peinlich berührt sah ich, wie sie vor Scham errötete und den Blick auf den Granitboden heftete, zwei weite Schritte von mir weg zur Seite trat.
„Wir waren zusammen auf der High School...“ meinte ich mit schwächelnder Stimme, „also wir sind auf dieselben High School gegangen. Ich wusste doch, dass ich sie irgendwoher kenne.“
„Ach wirklich?“ fragte Candice misstrauisch und sah zu Imogen, die mit glühenden Wangen nickte.
„Und was sollte dieses...dieses Innige...?“ sie suchte fieberhaft nach Worten, legte die Stirn kraus und gestikulierte seltsam mit den Händen.
Noch nie hatte ich Candice so aus dem Konzept erlebt und unterdrückte das Schmunzeln, das sich auf meine dünnen Lippen schleichen wollte.
Imogen seufzte schwer: „Sie müssen wissen, Candice. Ich war damals eine Sophomore und Mister Miller... oh wow... er war einfach der Traum schlecht hin. Er war der Footballstar- neben dem Perversling Archie Thomas“, sie kicherte leicht und in Candice Augen sah ich, wie sie mich mit angehobenen Augenbrauen musterte.
„Entschuldigen Sie bitte, Mister Miller. Jacob. Ich hoffe, ich bin Ihnen nicht zu Nahe getreten, aber.... da ist einfach mein Teenager-Ich mit mir durchgegangen.“
„Wie dem auch sei“, meinte Candice und trat neben- besitzergreifend nah- mich, „würden Sie uns einen Moment entschuldigen?“
„Natürlich“, meinte Imogen und begann sich genauer den Stuck an der Decke anzusehen.
Candice umgriff meinen Arm und zog mich zurück in den Flur.
Ich machte mich auf eine heftige Anfuhr gefasst und straffte die Schultern, um ihrer Schimpftierade mutig entgegenzustehen,aber sie lockerte den Griff.
Mit ihren braunen Augen sah sie prüfend zur Tür und flüsterte dann: „Wieso hast du nichts gesagt? Das ist perfekt. Diese kleine High School-Schwämerei könnte dich reich machen... Wenn du es schafft, dass sie diese Villa kauft, sorge ich dafür, dass du in die ganz hohe Liga aufsteigst.“
Meine grünen Augen weiteten sich und ich spürte, wie mein Atem schneller ging und mein Herz hastig in meiner Brust schlug: „Wie soll ich das machen? Ich glaube, ihr gefällt das Haus nicht.“
„Dann mach, dass es ihr gefällt! Geh mit ihr essen, mach sie betrunken und versprüh deinen Jake-Charm. Wenn einer schafft, dass sie dieses Haus kauft, dann du.“
„Was macht dich da so sicher?“ fragte ich und zog zweifelnd die Stirn kraus.
Candice zuckte mit den Schultern: „Die Kleine mag wohl mit diesem Musikproduzenten verlobt sein, aber sie ist vollkommen verknallt in dich.“
„Verknallt was?“ fragte ich lachend.
„Sie hat dich die ganze Zeit angestarrt“, meinte Candice und verdrehte die Augen, „ihr Männer scheint für so was wirklich blind. Vielleicht kann dir deine katastrophale Football-Karriere jetzt mal hilfreich sein.“
Ich erstarrte über ihre Beleidigung und sie zog sich an mir hoch, küsste mich bis ich die Arme um sie schlang und ließ dann von mir ab.
Mit schwingenden Hüften trat sie in das Schlafzimmer ein, während ich ihr hinterher dackelte und mir den roten Lippenstift von den Lippen wischte.
Ich sah Imogens Blick und seufzte leise innerlich.
Ich hatte vergessen, wie klug Imogen war und wie geschickt darin, Zeichen zu deuten.
Sie warf mir einen vielsagenden, vielleicht sogar ein wenig abwertenden Blick zu und ich sah reumütig drein.
„Sie sollten sich einige Tage Zeit lassen, um zu entscheiden“, meinte Candice und lächelte freundlich, kühl.
„Ich melde mich bei Ihnen“, nickte Imogen und setzte sich in Bewegung.
Ich spürte Candices Blick auf mir und fragte Imogen atemlos: „Wollen wir vielleicht etwas zusammen essen gehen? Über alte Zeiten reden?“
Und wieder vergaß ich Imogens Scharfsinn, sah wie sie zu Candice blickte und dann mit süßlichem Lächeln auf den Lippen meinte: „Liebend gern.“
Sie kam auf mich zu, hakte sich an meinem Arm unter und ich führte sie aus der Villa hinaus.
Draußen neigte sich die Sonne bereits gen Horizont und wir verabschiedeten uns.
„Es hat mich sehr gefreut, Miss Carter“, meinte Imogen und hielt ihr die Hand hin.
„Mich ebenfalls“, sagte sie bittersüß und schüttelte ihr die Hand.
Es war unglaublich wie geradezu greifbar die Abneigung zwischen den beiden Frauen spürbar war.
Und dann lösten sie die Hände und ich spürte, wie die Kälte zwischen den beiden Fronten über das Land zog und ich nur mit Mühe einem Frösteln entging.
„Soll ich sie mitnehmen, Jacob?“ fragte mich Imogen höflich und ich nickte bescheiden, spürte Candices stechende Blicke in meinem Nacken.
„Schönen Abend noch“, trällerte Imogen triumphierend, während wir zu ihrem Auto schritten.
Leise hörte ich sie 'Hure' flüstern und zuckte zusammen, als die Leuchten des Autos aufblickten, als Imogen es per Fernschalter öffnete.
Ich ließ mich neben Imogen in auf den champagnerfarbenen Ledersitz ihres Mercedes gleiten und sah mit flauem Gefühl im Magen zurück, als wir das große Tor, welches zur Auffahrt führte, passierten und Imogen Gas gab.
Wir fuhren in zu einem kleinen edlen Italiener, der sich den Nutzen zog nah am Wasser zu liegen und so seinem Restaurant einen venizianischen Flair verlieh.
Überall an den Wänden des Restaurant, welche mit rotem Samt verkleidet waren, hingen kunstvoll gestaltete und teilweise vergoldete Masken.
Im Hintergrund spielte sich leise klassische Musik ab und langsam, schwermütig tanzten die Dochte der roten Kerzen in der Wiege der Musik.
Als wir die Vorspeise gegessen hatten, füllte der Kellner unser Rotweinglas bereits zum dritten Male nach und die Wirkung des Barolo stieg ihr in den Kopf, während sich ihre Wangen leicht rötlich färbten.
„Sie will, dass ich das Haus kaufe“, meinte Imogen und nahm einen vorsichtigen Schluck des Weines.
„Natürlich. Ich will es auch“, sagte ich, „ich brauche ein paar neue Kleider.“
„Oh Gott“, prustete sie und hielt sich die Hand vor den Mund, um den Wein nicht über der weißen Tischdecke zu verteilen, „wer bist du und was hast du mit meinem Jake Miller gemacht?“
„Diesen Jake Miller gibt es nicht mehr“, sagte ich kopfschüttelnd und zerbörselte einige Krümel Brot in meiner Hand, „den gibt es schon lange nicht mehr.“
Sie sah mich an, ziemlich lange, bevor sie sprach: „Was ist mit ihm passiert?“
Ich seufzte schwer: „Ich glaube, der ist erwachsen geworden. Hat gelernt, dass die Welt weitaus mehr ist, als die High School, in der man nur ein paar Bälle fängt und der große Star ist.“
„Vielleicht hat er auch einfach gemerkt, dass dort noch mehr ist?“ fragte sie und ich verstand nicht, was sie sagte.
Sie sah meinen irritierten Ausdruck in den Augen und lachte leise auf.
„Es ist nicht so wichtig, vielleicht verstehst dus irgendwann.“
„Wie ist es eigentlich so?“ fragte ich und nahm ebenfalls einen Schluck Wein.
„Wie ist was so?“ fragte sie und strich sie erneut die lockige Strähne aus dem Gesicht, gerade als ich danach greifen wollte.
Unbeholfen bettete ich meine Hand wieder in meinem Schoß und sah auf die Rolex.
Ich tat es nur aus Gewohnheit, denn als ich wieder auf Imogen sah, wusste ich nicht mehr, wie spät es war.
„Wie ist es so verlobt zu sein?“ fragte ich konkreter und sah, wie sie schweigend an ihren Ring drehte.
„Es ist gut zu wissen, dass man zu jemanden gehört“, meinte sie und sah mich an.
Ihre Augen wurden grau und ich verstand, wenn ich auch nicht genau wusste, was ich verstehen sollte.
„Bist du glücklich?“ fragte ich sie und verstummte, als der Kellner uns irgendeine Speise servierte, bei der er selbst mit der Aussprache focht.
Sie stocherte mit ihrer Gabeln gedankenabwesend darin herum, ehe sie antwortete: „Ziemlich.“
„Wie seid ihr überhaupt zusammen gekommen? Nein, wie kam es, dazu dass Imogen Lowell plötzlich in Prada und auf Plateau unter die Leute tritt?“ fragte ich und schob mir einen Bissen in den Mund, der einfach nur fürchterlich schmeckte und welchen ich mit einem großzügigen Schluck Wein hinunterspülte.
„Ich denke, du kennst die Antwort. Aus dem gleichen Grund, warum ein Jake Miller mit Rolex vor mir sitzt“, sagte sie und sah mich glasig an.
„Er ist dein Chef?“ fragte ich ungläubig und musterte ihr plötzlich so erschöpftes Gesicht.
„Ist es gewesen. Ich war seine Assistentin, ein Nebenjob während des College, und irgendwann... naja... ist es eben passiert und dann wollte er mich heiraten.“
„Willst du denn?“ fragte ich und zog die Rolex von meinen Arm, denn ich hatte das Gefühl sie würde mich in Tiefen ziehen, deren Grund ich nicht erfahren wollte, und steckte sie mir in die Hosentasche.
„Ja“, sagte sie und es klang aufrichtig.
„Findest du zweiundzwanzig nicht ein wenig jung um...?“
Imogen unterbach mich: „Um ausgesorgt zu haben, sich keine Gedanken, um die Zukunft zu machen? Nein, ich finde zweiundzwanzig nicht zu jung.“
Ich schürzte die Lippen und nahm erneut einen großen Schluck des Barolo.
„Ich denke, dass hier war keine gute Idee. Sag bitte Candice, ich werde mich zunächst mit George beraten, aber ich tendiere eher zu 'Nein'.“
Sie raffte unbeholfen ihr Handy in ihre Tasche und kramte dann hektisch darin nach ihren Schlüssel.
„Wie bitte?“ fragte ich amüsiert entsetzt, „du willst fahren?“
„Ich bin nicht betrunken“, meinte sie und stand auf, stolperte sogar im Stand einen Schritt zu Seite.
„Natürlich nicht“, meinte ich und erhob mich, „du wirst nicht fahren.“
„Und wie ich fahren werde“, sagte sie provokant und wollte an mir vorbei torkeln, aber ihr hielt sie fest, erwischte jedoch nur ihr Handgelenk.
„Bist du vollkommen verrückt geworden? Du wirst dich in den Tod fahren. Du fährst mit Sicherheit nirgendwohin. Hast du mich verstanden?!“ zischte ich ihr ärgerlich zu und spürte, wie sie ihre verkrampfte Hand lockerte.
Auch ich ließ meinen harschen Griff weicher werden und zog ihr die Autoschlüssel aus der Hand.
Sie fiel mit dem Kopf voran gegen meine Schulter und seufzte erleichtert.
Ich sah die Blicke der anderen Gäste und verbarg ihr Gesicht mit meinem Körper soweit es mir möglich war und stützte sie aus dem Restaurant hinaus.
Als ich aus Sichtweite möglicher Schaulustiger war, warf ich sie mir über die Schulter und trug sie zum Auto.
Ich hörte sie bei jedem meiner Schritte kichern und gab ihr einen kleinen Klaps auf den Hintern.
„Jake Miller!“ rief sie entsetzt auf und lachte daraufhin.
An ihrem Wagen angekommen, setzte ich sie auf den Beifahrersitz und schnallte sie an, ehe ich mich auf den Fahrersitz gleiten ließ und schwer seufzte.
Sie blickte mich unablässig mit ihren graublauen Augen an und ließ mich so keinen klaren Gedanken fassen.
„Wohin?“ fragte ich, als den Zündschlüssel umdrehte und mich an dem schönen Geräusch des Motors erfreute. Er schnurrte wirklich wie ein Kätzchen.
Und auch das Gefühl der unbändigen PS-Zahl ließ meine Fingerspitzen jucken, schließlich hatte mich Candice ihren Wagen nie fahren lassen.
„Ich müsste nach L.A. Wir wohnen dort gerade in einem Hotel, aber wo ich hin will“, sagte sie und biss sich nervös auf der Unterlippe umher, „ist bei dich.“
„Ich fahre mit Sicherheit nicht bis nach L.A“, meinte ich und seufzte, „ich habe auch was getrunken, aber ich könnte dich in ein Hotel hier in Newport Beach bringen?“
„Bring mich zu dir“, drängte sie.
„Das Hotel?“ fragte ich hoffnungsvoll und sah sie an.
„Willst du nicht, dass ich sehe, wo du wohnst?“ fragte sie.
„Du bist Besseres gewohnt“, sagte ich achselzuckend und wendete das Auto aus der Parklücke, „außerdem... habe ich eine Freundin.“
„Diese Candice“, meinte sie augenverdrehend, „du bist doch nur ihr Toyboy.“
Das verletzte mich.
Schweigend fuhr ich los und war überrascht, als ich den Weg zu mir Nachhause einschlug.
Während der Fahrt waren meine Gedanken abgetrieben, obwohl ich fest entschlossen war, sie in ein Hotel einzuliefern und dann das Kapitel Imogen Lowell als beendet zu erklären.
Als ich allerdings merkte, wie die Müdigkeit in meinen Körper zog und ich unaufmerksam wurde, verwarf ich die Idee und parkte vor meinem Haus.
Es war einfach, ohne großartiges Dekor oder architektonischen Besonderheiten, doch es genügte.
Ich schloss die Tür auf und der bekannte muffige Geruch zog in meine Nase. Es roch immer ein wenig abgestanden, wenn ich tagsüber nicht lüftete.
„Du kannst im Bett schlafen“, meinte ich und deutete in die Ecke unter dem Fenster, „ich schlaf dann auf dem Boden oder so.“
„Ich hatte eigentlich gedacht“, sagte sie und ließ ihre Tasche auf den Boden fallen, „dass du dich meldest.“
„Wie?“ fragte ich verwirrt und ließ die Rollladen herunter.
„Damals. Vor sechs Jahren. Aber du bist einfach nach Kalifornien abgehauen und mich einfach so zurückgelassen.“
„Ich...ich...ich“, stotterte ich unbeholfen und ging zum Schrank, um mich beschäftigt zu halten, „ich dachte, du wolltest mich nie wiedersehen.“
„Wollte ich auch nicht“, sagte sie und schloss die Haustür, die noch immer offen stand, „aber dass heißt nicht, dass ich dich nie wieder sehen sollte.“
Sie betonte es anders, wodurch es einen ganzen andere Bedeutung bekam.
Eine Bedeutung, die ich erst jetzt zu begreifen schien.
„Ich wollte dich zurück, du Idiot!“ fuhr sie mich an.
„Wir sind solange schon auseinander. Es ist viel passiert, du bist verlobt und ich liiert. Inwiefern hat etwas, das seine Zeit schon vor sechs Jahren überschritten hat, heute noch eine Bedeutung?“ fragte ich, während ich die Bettdecke aus dem obersten Schrankregal hievte.
„Ich hatte dich immer für begriffsstutzig gehalten, Jake Miller, aber ich habe dich niemals für dumm gehalten“, sagte sie.
„Wie bitte?“ meinte ich erzürnt und schmiss die Bettdecke auf den Boden, die mit einem dumpfen Geräusch ankam und für einen Atemzug lang die eisige Stille, die uns umschloss, unterbrach.
„Aber offensichtlich war ich die Dumme. Ich habe die ganze Zeit auf dich gewartet. Die ganze, verdammte Zeit!“ schrie sie.
„Du bist verlobt!“ brüllte ich zurück, „wie lange hast du bitte gewartet, ehe du deiner Lebensversicherung das Ja-Wort gegeben hast, hm?“
„Und du mit deiner Chefin ins Bett gesprungen bist?“ kreischte sie und kam auf mich zu, „und ich? Ich muss mich für überhaupt nichts rechtfertigen!“
„Ach nein?“ fragte ich wutentbrannt, „wieso zur Hölle bist du mit diesem Kerl verlobt, wenn du mich noch immer liebst.“
„Weil mein Herz dann wie betäubt ist. Es tut dann nicht mehr so weh!“, kreischte sie und ich küsste sie.
Mit einer geradezu verzehrenden Innigkeit drückte ich meine Lippen auf ihre, während sie hektisch die Arme um mich schlang.
Aneinander gepresst taumelten wir zu meinem Bett und blieben davor stehen, lösten uns wieder voneinander.
„Wenn wir das tun, könnten wir unsere Leben auf immer ruinieren.“
„Aus den Scherben werden wir unsere eigene Welt bauen“, flüsterte ich und zog den Reißverschluss an ihrem Kleid hinab, sodass es von ihrem Körper glitt.
Sie streckte sich und küsste mich, sodass es mir den Atem verschlug, während sie vorsichtig den Blazer von meinen Schultern streifte.
Mit den Händen fuhr sie meine Körpermitte hinab und öffnete quälend langsam die Knöpfe meines Hemdes, ehe sie auch dies mit einer streifenden Bewegung von meinem Körper förderte.
Und dann hielt ich es nicht mehr aus.
Ich packte sie an der Taille zog sie zu mir und küsste sie fordernd.
Meine Lippen brannten und nur ihre waren das Wasser, welches das verzehrende Verlangen stillen konnte.
Sie schlang die Beine um meine Mitte, ehe ich das Gleichgewicht verlor und wir auf mein Bett fielen.
Wir schliefen nicht miteinander, denn irgendwann zwischen all der Leidenschaft und dem Verlangen, drängte sich die Vernunft in unsere Gedanken.
Sie lag neben mir gehüllt in die Decke, während ich mit dem Finger auf ihrer nackten Haut ihr Rückgrat nachzeichnete, ehe sie sich umdrehte und ihren Kopf reckte.
Sie stahl sich einen kurzen Kuss, bevor sie aufstand und ihr Kleid wieder anzog.
Dann setzte sie sich auf die Bettkante und seufzte schwer.
„Es war nicht das Spiel, was zwischen uns stand“, meinte sie und blickte über die Schulter zu mir.
„Nein“, sagte ich und nickte, richtete mich auf.
„Wir waren es selbst. Du hattest Angst mich nicht halten zu können, wenn du gehst und ich hatte Angst, dass du mich nicht halten willst, wenn du gehst.“
„Es ist alles passiert, wie es sein sollte“, meinte ich küsste ihren Arm, ihre Schulter, ihren Hals.
Eine Gänsehaut überlief ihren Körper und sie seufzte schwer, schloss die Augen.
„Was wäre wenn...?“ fragte sie und schüttelte den Kopf.
„Das gibt es es nicht. Es gibt nur, 'es ist'. Es gibt kein anderes Vielleicht. Wir können uns nichts sicher sein.“
„Doch“, sagte sie vehement und nahm mein Gesicht in ihre Hände. Ich sah, wie sich Tränen in ihren blauen Augen füllten und hielt den Atem an.
„Wir können uns sicher sein“, setzte sie an, „dass wir uns lieben. Das wir uns immer lieben werden.“
„Dass wir niemanden mehr lieber als aneinander“, sagte ich und küsste sie. Ewiglang. Herzzereißend. Quälend schmerzvoll.
„Aber wir gehören nicht zueinander“, meinte sie und ich sah, wie Scheinwerfer gegen meine Fenster prallten und mit dem Licht fiel die hässliche Wirklichkeit in unsere Wunderwelt der Finsternis hinein.
„Vielleicht sehen wir uns wieder- und wenn nicht. Dann im nächsten Leben und dort werden wir glücklich sein, Jake Miller. Das verspreche ich dir.“
Ich sah, wie sie ging und glaubte, ich würde verbluten, als mein Herz brach.
Vor zwei Wochen hatte ich mein Bachelor-Studium in Rechtswissenschaften an der Emory University in Georgia beendet und würde nach dem Sommer mein Studium an der Emory Law School beginnen.
„Und du ziehst wirklich aus?“ hörte ich Tom fragen, der gerade seine Bettdecke ordentlich auf dem Bett zusammenlegte.
Wir hatten jetzt drei Jahre miteinander in Studentenwohnheim zusammengelebt und er war mein bester Freund. Es war nicht leicht ihn zurückzulassen.
Seufzend faltete ich das Shirt und legte es in den Koffer.
„Ich bin ja nicht aus der Welt“, lachte ich und warf ihm das Unterhemd entgegen, das schon wieder unter meine Sache gerutscht war.
Erschreckt sah er mich mit seinen grünen Augen an und richtete sich die feuerroten Haare.
Toms Familie stammte ursprünglich aus Irland und er hatte auch diesen verrückten Namen -Tom McDonald.
„Ja, aber ich bin ein armer Student. Wie soll ich mir denn die Fahrkarte zu dir leisten.“
„Du klingst wie Mädchen. Bist du in mich verliebt?“ fragte ich und warf ihm einen spöttischen Blick zu.
„Unsterblich“, meinte er lachend und stand von seinem Bett auf, betrachtete sich lange in seinem Spiegel.
Ich ließ meinen prüfenden Blick über die spartanische Einrichtung des Studentenwohnheimzimmer gleiten und nickte zufrieden.
Alles war ordentlich in den zahlreichen Kartons verstaut, die auf dem Boden und Bett herumstanden und ich klappte den Deckel des Koffers zu, als ich meine Bettlektüre hineinwarf.
Tom stand bereits, in seinen Händen zwei gestapelte Kartons beladen, in der Tür und tippte geduldig mit seinem Fuß.
Lachend griff ich mir meinen Koffer und klemmte einen kleineren Karton unter meine Achsel, als ich ihm folgte.
Nachdem wir alles erfolgreich in meinen Wagen geladen hatten, standen wir uns gegenüber. In der Mitte von uns der weiße Minivan, den ich gemietet hatte und sahen uns an.
„Ein Weg von zwei Minuten“, erinnerte ich ihn lachte, schlug ihm auf die Schulter und drehte mich um.
„Als ob der Herr Anwalt, jemals Zeit für mich haben würde. Wir sehen uns morgen?“ fragte er lachend und ich nickte, ehe ich mich hinters Steuer klemmte und los in in die Richtung meiner neuen Wohnung fuhr.
Es war seltsam, denn es fühlte sich wie ein Abschied auf immer an. So als würde ich Tom eine sehr lange Zeit, vielleicht sogar nie wieder sehen. Das Gefühl gefiel mir nicht und ich versuchte meine Gedanken auf die Straße vor mir zu lenken.
Durch den stockenden Verkehr und der ungewohnt eingeschränkten Sicht in dem Van ohne Rückscheibe brauchte ich eine Ewigkeit zu meiner neuen Wohnung, obwohl sie nicht wirklich weit entfernt war.
Eine Fahrt von zwanzig, vielleicht dreißig Minuten und ein wenig ins Grüne. Ich hatte ziemlich lange darauf hingefiebert und mich in einem quälenden Job in einem Baumarkt bemüht, um endlich aus diesem Studentenwohnheim zu kommen.
Natürlich hatte es mir gefallen mit Tom zusammen zu leben, aber Gott, er war ein verdammter Chaot und in letzter Zeit ging er mir auf die Nerven, vor allem, als ich für die wichtigen Prüfungen lernen musste.
Tom machte sich schließlich nichts aus seiner Ausbildung. Er belegte Fächer wie Kunstgeschichte, mit denen man kaum etwas anfangen konnte. Doch bei ihm war es nur eine Frage der Zeit.
Seine Familie war gut betucht und bei seiner Geburt hatte er eigentlich für sich und eine wahrscheinlich Zwanzig-Köpfige-Familie ausgesorgt. Für Tom war Studieren ein Spaß, für mich bitter Ernst.
Die Universität hätte leicht für mich sein können. Ich hätte Football spielen und auch irgendein Spielfach studieren können, aber ich hatte mich anders entschieden.
Ich wollte nicht mit Mitte dreißig ausgebrannt sein und dann irgendeinen läppischen Manager-Job machen.
Und obwohl mein Vater mich im Spiel immer unterstützt hatte, mich immer in der NFL sehen wollte, war er niemals verstummt mit seinen Beschwörungen, etwas aus seinem Leben zu machen, eine Ausbildung zu haben.
Er selbst war Kleinunternehmer geworden, hatte sich nach dem College verselbstständigt und konnte seiner Frau und Kindern einen gewissen Standard bieten. Nicht mehr und nicht weniger. Und so mangelte es weder Heather, noch mir an etwas. Aber ich war anders...
Ich wollte einfach mehr.
Deswegen kämpfte ich mich durch das Aufbaustudium Rechtswissenschaften, damit ich letztens endlich eine ordentliche Grundlage für mein Jura-Studium bekam.
Manchmal ließ mich vielleicht auch genau das, ein wenig zu ernst wirken.
Kopfschüttelnd löste ich meinen festen Griff vom Lenkrad und stieg aus dem Transporter.
Frische Luft strömte in meinen Kopf und verwehte meine schweren Gedanken.
Da ich mir mit dem endgültigen Packen so viel Zeit gelassen hatte, glänzte der weiche Schimmer der Abenddämmerung bereits über den Rasen, der doch tatsächlich zu meinem Apartment gehörte.
Genau genommen, war es ein kleines Haus.
Ein kleines Haus nur für mich.
Zufrieden nahm ich meinen Koffer vom Beifahrersitz und balancierte das Gewicht eines Kartons aus, ehe ich mich zu meiner Haustür begab.
Als ich die Tür auf Schloss stand in dem lichtdurchfluteten Wohnzimmer auf dessen hellbraunen Parketboden sanft die orangen Sonnenstrahlen glitten, die durch die drei großen Fenster auf der gegenüberliegenden Seite einfielen.
Ich seufzte und stellte den Karton zu meinen Füßen ab.
Tom und einige andere befreundete Kommilitonen hatte mir geholfen die größten Möbelstücke aufzubauen, sodass ich bereits über eine bequeme Couch verfügte, auf die ich mich fallen ließ und auf den leeren Fernsehtisch blickte, der sich neben den Fenstern befand.
Ja, ich liebte meine Wohnung.
Am nächsten Morgen, nachdem ich die restlichen Kartons ausgeladen hatte, begann ich diese auszuräumen.
Ich fing mit meinem Koffer an und hängte die Hemden auf Bügel.
Als mir das zartrose Hemd in die Hände gelang, musste ich mich unwillkürlich an Imogen erinnern.
Ich hatte die letzten Jahre nicht viel an sie gedacht, aber sie kam mir immer mal wieder in den Sinn.
Oft waren es nur Bruchstücke an Erinnerungen, die wir erlebt hatten oder die ich gehofft hatte, mir ihr zu erleben, es aber nie getan hatte.
Imogen war immer ein wenig verrückt gewesen, hatte die Welt mit anderen Augen gesehen als der Rest der Menschheit.
Vielleicht war ich auch einfach zu rational, um sie zu begreifen.
Kopfschüttelnd ließ ich das Hemd im Schrank verschwinden und fuhr mit dem Aufräumen fort, aber mir gingen plötzlich Imogens graublaue Augen einfach nicht mehr aus dem Kopf.
Augen, die wie ein Stimmungsring waren.
Sie schienen die Farbe zu ändern, wann immer sie mit ihren Gefühlen wankte.
Ich versuchte mich an die vielen Male zu erinnern, in denen sie so blau gewesen waren, dass sie mit Ann Taylors konkurrieren könnten, aber alles, was ich vor mir sah, war dieses distanzierte Grau, als ich sie verließ- als sie entschied zu zulassen, dass ich sie verließ.
Es ärgerte mich, dass es immer noch ein wenig weh tat.
Und so verging mir die Lust am Auspacken und ich beschloss meine Ex-Freundin Liz zu besuchen.
Sie arbeitete zurzeit ehrenamtlich im Zoo von Altanta und ich wusste, dass ich sie genau dort antreffen würde.
Liz Montegomery schwärmte für Tiere, empfand für sie mehr Mitgefühl als für Menschen und strebte eine Karriere in der Veterinärmedizin an.
Wir hatten uns vor zweieinhalb Wochen getrennt, aber irgendwie schienen nicht wirklich von einander loszukommen. Erst gestern waren wir wieder zusammen im Bett gelandet, auch einer der Faktoren, warum ich erst so spät ankam, und ich wollte nicht sagen, dass ich auf eine Wiederholung hoffte, aber genau genommen, war es der Grund, wieso ich zu ihr fuhr.
Der Zoo war riesig und es dauerte eine Ewigkeit bis ich einen Mitarbeiter fand, der mir tatsächlich Auskunft geben konnte, wo Liz zu finden war.
Als es dann noch zu regnen begann, sackte meine Laune auf den Tiefpunkt, aber ich brauchte Gesellschaft.
Ich brauchte jetzt die Gesellschaft einer Frau.
Mit hastigen Schritt und eingezogen Kopf zwischen den Kragen hielt ich auf das Pandagehege zu, für das der Zoo von Atlanta berühmt war. Vor allem wegen den Panda-Zwillingen von vor fast zehn Jahren.
Und dann plötzlich, gerade als ich das gesuchte Gehege erreichte, stoppte ich meinen Schritt und beobachtete eine junge Frau.
Sie trug einfache Jeans, eine dünne rote Jacke und hatte die Kapuze dieser hochgeklappt.
Genau genommen handelte es sich bei ihr um ein Mädchen, denn sie war kaum älter als zwanzig und sie wirkte so unscheinbar, so gewöhnlich.
So gewöhnlich, dass sie mir beinahe entgegen wäre.
Gedankenverloren beobachtete sie und ließ mir die dunkelblonden Haaren nass regen, aber ich bewegte mich keinen Millimeter.
Und dann starrte ich auf ihre Hand, die die Hand eines kleines Mädchen hielt.
Ein Mädchen, vielleicht drei Jahre alt, gekleidet in einen gelben Regenparka.
Das Kind quengelte unzufrieden, da sie die Tiere hinter der Mauer der Absperrung nicht sehen konnte und die junge Frau hob das Mädchen lachend hoch.
Dabei rutschte ihr die Kapuze vom Kopf und legte einen strengen, hellbraunen Pagenschnitt frei, der sich aufgrund der herrschen Luftfeuchtigkeit begann zu kräuseln.
Diese Frisur ließ sie älter wirken als sie war, vielleicht war es aber auch das Kind an ihrer Seite.
Das Mädchen in ihrem Arm klatschte zufrieden, als sie die Tiere bewundern konnte und ich sah auf die blonden Haare des Mädchen, von dessen Kopf ebenfalls die Kapuze geweht wurde.
Die Frau küsste liebevoll die Stirn ihrer Tochter und schob ihr die Kapuze wieder auf den Kopf.
„Was machst du hier?“ hörte ich eine bekannte Stimme an mein Ohr dringen und wendete mich um.
Hinter mir stand Liz, in einen grünen Einteiler gekleidet und mit einem Klemmbrett vor der Brust- und einem erwartungsvollen Blick in den bernsteinfarbenen Augen glitzern.
Ihre schwarzen Haaren klebten vor Nässe an ihrem schmalen Gesicht und sie trat mich zu.
Doch ich warf reflexartig den Blick nach hinten, um zu sehen, ob die Frau mit dem kleinen Mädchen noch da war und musste mit Ernüchterung feststellen, dass sie gerade eine andere Richtung einschlugen.
„Eigentlich wollte ich dich sehen“, meinte ich zu Liz, sah sie kurz an und warf erneut den Blick nach hinten, „aber wir reden gleich, in Ordnung?“
Die Antwort auf meine Frage wartete ich nicht einmal ab, sondern hechtete der Frau hinter.
Ich wusste, dass ich mich nicht wieder bei Liz melden würde, wenn ich dieses Gespräch mit der Frau hinter mich gebracht hätte.
Während ich lief, spürte ich Liz fassungslosen Blick in meinem Rücken und versuchte ihn abzuschütteln, aber er haftete wie ein Magnet an mir.
Erst als ich um die Ecke bog, konnte sich mein Gewissen ein wenig entspannen und ich bereite mich innerlich vor
Tief einatmend überschritt ich die armlange Distanz und tippte der Frau auf die Schulter.
Mit einem Lachen drehte sie sich um, als es plötzlich erstarrte.
Sie ließ das Mädchen von ihrem Arm gleiten und umfasste fest ihre Hand.
„Hallo“, meinte ich und lächelte schwach.
„Hallo“, erwiderte sie tonlos und sah mir tief in die grünen Augen.
Ihr Blick war kalt, aber ich sah, wie ein zartes Blau durch das Grau schimmerte und atmete erleichtert aus. Es war das Zeichen, dass sie mich nicht vollkommen hasste.
„Ist ja schon eine Weile her, dass wir uns nicht gesehen haben“, meinte ich nachdenklich und kratzte mir unbeholfen am Hinterkopf, während der Regen mir in den Nacken prasselte.
„Und unser Abschied hat ein Wiedersehen nicht unbedingt wünschenswert gemacht“, sagte sie nüchtern und zog das Mädchen wieder zurück, das mit neugierigem Blick aus ihren blauen Augen auf mich zu trat.
Ich sah sie an und lächelte.
„Kalt“, meinte ich witzelnd, aber konnte in ihrem Blick lesen, dass ihr so gar nicht nach Spaßen zu Mute war, „wie gings dir die Jahre so?“
„Eine Zeit lang ziemlich bes..“, sie blickte auf ihre Tochter und korrigierte ihre unausgesprochene Wortwahl, „bescheiden – und dann kam Grace.“
Ich lächelte und überging ihre Unhöflichkeit, mich nicht nach meinem Lebe zu fragen.
„Mir ging es... ich denke es ging mir ganz in Ordnung. Wie alt ist die Kleine?“ fragte ich und sah das Mädchen an.
Ich wusste nicht, ob ich wollte, dass sie mir ähnlich sah oder nicht.
Denn ich wusste nicht, welcher Gedanke mich seelischer mehr zerreißen würde:
Der, dass ich der Vater war oder der, dass Imogen eine Familie mit einem anderen Mann begründet hatte.
„Sie ist nicht deine“, meinte sie giftig, „falls du das wissen wolltest.“
Eine Erleichterung durchströmte mich, während ich ein Gefühl des Zerbrechens in mir fühlte.
Ein Gefühl, dass etwas zu Bruch gegangen war, dass ich mir insgeheim wünschte und doch der Existenz dieses Wunsches ich mir bis dato noch nie bewusst war.
„Das wollte ich nicht wissen, Mo“, meinte ich und versuchte sie mit ihrem Kosenamen zu erweichen, „ich wollte mich nur entschuldigen. Für alles. Für jeden Fehler, den ich mir geleistet habe.“
„Das macht es nicht wieder gut“, sagte sie und holte das Mädchen, Grace, wieder auf dem Arm.
„Es ist ein Anfang“, sagte ich.
„Dessen Ende wir bereits erreicht haben.“
Ich kramte in meiner Jackentasche herum und fand einen Stift, mit welchen ich auf eine alte Kaugummiverpackung meine Nummer kritzelte.
„Falls du mal... und selbst, wenn ich die letzte Person mit der du das tun willst...“ ich sah ihren skeptischen Blick, wie sie die Augenbraue anhob, „...reden willst.“
Sie lächelte schwach, ehe sie bemerkte, was sie tat und versteinerte ihre Miene wieder.
Ich hielt ihr den Zettel hin, aber sie starrte nur darauf und machte keine Anstalten ihn zu nehmen.
Seufzend beugte ich mich vor, hörte wie sie scharf die Luft einzog und steckte ihn in ihre Jackentasche.
„Ich wollte dich nicht belästigen... und auch nicht verletzten, Imogen Lowell“, meinte ich, drehte mich, um und ging.
Und natürlich.
Natürlich stand da Liz und hatte mich die ganze Zeit beobachtet, ehe sie kopfschüttelnd auf dem Absatz kehrt machte und ging.
In der Nacht lag ich wach.
Ein Uhr, zwei Uhr, drei Uhr.
Ich fand einfach keine Ruhe, zu viele rastlose Gedanken fuhren in meinem Kopf Achterbahn.
Gedanken wie die übertrieben, aggressive Nachricht von Liz, die ich auf meinem Handy vorfand.
Sie beschimpfte mich aufs Gröbste und fragte mich, ob ich jetzt Weiber mit Kindern hinterherlaufen wollte, um nicht deren Leben, sondern auch das Leben ihrer Kinder zu zerstören.
Beinahe war ich beeindruckt von der Vielzahl der Beleidigungen, mit denen sie mich belegte, aber im Grunde ließ es mich kalt.
Was mich tatsächlich wachhielt, war jede noch so minimale Bewegung, die Imogen gemacht und mein Hirn detailgetreu sich einverleibt hatte, mit einer Genauigkeit und Schärfe, die beinahe erschreckend war.
Ich sah diese kleine Falter um ihre Augen aufschlagen, als sie schwach gelächelt hatte und das Blau immer mehr in ihre Iris gesickert war.
Und auch sah ich vor mir, wie sie für den Bruchteil einer Sekunde auf ihre Lippe gebissen hatte, ehe sie mich hatte kalt abblitzen lassen.
Seufzend schüttelte ich den Kopf und wünschte mir noch nicht umgezogen zu sein.
Allein mit all diesen Gedanken war ich maßlos überfordert, denn normalerweise hätte mich Tom bereits mit einem seiner weisen Räten gesegnet.
Nicht dein Kind? Super, dann weiter gehts!
Ja, so etwas in der Art hätte er gesagt.
Ich schmunzelte leicht und schreckte zusammen, als mein Handy plötzlich aufleuchtete und ein kaltes Licht gegen die Zimmerdecke strahlte.
Gähnend- und das obwohl ich nicht einmal wirklich müde war- streckte mich danach, um nachzusehen, wer mir geschrieben hatte.
Grace ist morgen bei meiner Mom. Kann ich bei dir vorbeikommen?
Mo.
Es irritierte mich, dass sie mir so spät nachts schrieb, aber es minderte meine Freude nicht und so antwortete ich:
Was ist mit den Menschen passiert, mit denen du lieber reden würdest? Aber natürlich.
Gefühlt dauerte es nur einen Atemzug, bis ihre Antwort in meinen Eingang flatterte.
Du bist vielleicht die letzte Person, mit der ich reden will, aber dagegen steht, dass du die Einzige bist.
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte, also beschloss ich, ihr einfach nur meine Adresse zu senden und die Sekunden zu zählen bis der nächste Tag anbrach.
Sie kam gegen Mittag.
Den ganzen Morgen hatte mich eine ständige, penetrante Nervösität zerfressen, die ich seit den wichtigen Examen nicht mehr gespürt hatte- und diese hier war sogar noch schlimmer.
Ich hatte mich gefühlte dreihundert Mal umgezogen, hatte mich dann letztendlich für ein einfaches weißes Shirt und eine schwarze Hose entschieden und hatte versucht das Haus hier so belebt wie möglich zu gestalten.
Doch wenigen Bilder von meiner Familie, die auf der Kommode im Wohnzimmer aufgestellt hatten, ließen es hier nicht unbedingt freundlicher wirken.
Ich war gerade in der Küche und schloss die Kaffeemaschine an, als ich durch das Küchenfenster sehen konnte, wie ein Wagen in meine Einfahrt rollte.
Ein altersschwacher Pick-up mit rostroten Lack, so gesehen war es eine Schrottlaube, aber ich wusste, dass genau so eine Art Auto der Traum von Imogen gewesen war.
Hastig durchsuchte ich den Karton nach zwei Tassen, ehe ich unbeholfen mit dem Fuß unter den Tisch schob und Kaffee eingoss.
Nach dem sie die Autotüren zugeschlagen hatte, dauerte es etwa sieben Sekunden, als ich das Klopfen an meiner Tür vernahm.
Ich wusste nicht, wie ich diese Aufregung abstellen sollte und wischte mir immer die schweißnassen Hände an meiner Hose ab, ehe ich bereit war den Griff in die Hand zu nehmen und die Tür zu öffnen.
Mit einem kräftigen Zug zog ich sie zu mir und blickte in Imogens Gesicht.
Sie trug einen Pferdeschwanz und zwei hellbraune Strähnen hatten sich gelöst und umrahmten ihr Gesicht.
Mir fiel auf, wie erschöpft sie wirkte und ich sah die Tränensäcke unter ihren mit Mascara eilig geschminkten Augen.
Wieder trug sie nur eine einfache Jeans mit einem hellen T-Shirt über das sie ein kariertes Flanellhemd gestreift hatte.
Sie lächelte, aber es sah aus, als würde es ihr schwerfallen.
„Komm doch rein“, sagte ich, als ich merkte, wie lange ich sie schon in der Tür ausharren ließ und schritt zur Seite.
Imogen nickte und trat ein.
In diesem Moment schien das ganze Haus wärmer zu werden.
„Ich wohne noch nicht lange hier, eigentlich erst seit gestern“, rechtfertigte ich die spartanische Einrichtung und den Mangel an Komfort.
Sie sah sich nicht lange um, warf ihren Blick gegen die kahlen Wände und blieb an den Bildern hängen, wendete sich dann aber kopfschüttelnd ab.
„Möchtest du einen Kaffee?“ fragte ich sie, als sie irgendwie verloren mitten in meinem Wohnzimmer stand und deutete auf die Küche.
„Gerne“, sagte sie mit schwacher Stimme und ich lief voran.
Bis auf eine einfache, weiße Küchenzeile und einen kleinen Zwei-Personen-Tisch war in diesem Raum auch nicht viel zu sehen und ich wies sie an, Platz zu nehmen.
Mit einem tiefen Seufzer ließ sie sich auf den Stuhl gleiten, der leicht knarrte und rückte sich am Tisch zurecht.
Genau genommen, wusste ich nicht, was jetzt passieren würde oder was ich tun sollte, damit etwas geschah.
Also ließ ich mich ihr gegenüber nieder und sah sie an.
Sah, wie sie in die Kaffeetasse blickte, aus der tanzend der Dampf emporstieg und in der Luft verging.
„Ist alles in Ordnung?“ fragte ich sie, als die Minuten vergingen und sie immer noch nicht den Blick aus der Tasse hob oder auch nur ein weiteres Wort gesprochen hatte.
Es überforderte mich zu sehen, wie unglücklich sie schien.
Erneut seufzte sie und hob die Tasse an ihre ungleichen Lippen.
Erst als sie einen großzügigen Schluck des schwarzen Kaffees ohne Milch und Zucker getrunken hatte, ließ sie sich gegen die Stuhllehne fallen, überschlug die Beine und sah mich.
„Ich weiß es nicht“, sagte sie und musterte mein Gesicht.
Ich spürte, wie sie mit den Blicken an meinen Wangen entlang fuhr, die einen leichten Bartschatten trugen, wie sie auf das Muttermal neben meinem linken Augen blickte und wie sie mir unendlich lange in die Augen starrte.
Während ihrer gesamten Musterung traute ich mich nicht, auch nur einen Atemzug zu nehmen und ließ leise die Luft entgleiten, als sie wieder nach ihrer Tasse griff.
„Wieso bist du gekommen?“ fragte ich sie und hob meine Tasse ebenfalls an, trank einen Schluck des bitteren Kaffees und stellte ihn mit verzogener Miene wieder auf der weißen Tischplatte ab.
Die Tasse hatten einen Kreis Wasser hinterlassen und mein Blick verfing sich in diesem.
„Ich schätze, weil ich dich vermisst habe“, sagte sie und wich dem Blick aus meinen grünen Augen aus.
„Ich habe dich auch vermisst.“
„Wieso hast du dich nicht gemeldet?“ ihre Stimme bekam einen vorwurfsvollen Klang und ich schämte mich.
Ja, wieso hatte ich mich nicht gemeldet?
Wieso hatte ich sie die letzten drei Jahre nicht angerufen? Ihr geschrieben?
„Weil ich ein Idiot gewesen bin“, sagte ich reumütig und nun war ich es, der ihrem Blick nicht standhielt.
„Der Größte auf Erden, Jacob!“ fuhr sie mich an und es überraschte mich, dass sie mich mit meinem vollen Vornamen ansprach. Ich hatte ihn seit einer ziemlich langen Weile nicht mehr gehört und es klang beinahe fremd, vor allem aus ihrem Mund.
Aus ihrem schönen Mund.
„Ich glaube nicht eine Million Worte könnte die Entschuldigung ausfüllen, um das wiedergutzumachen“, sagte ich und dann war ich es satt.
Ich war es satt mich zu entschuldigen für etwas das in der Vergangenheit lag, dass außerhalb meiner Handlungsmacht lag.
Und was waren wir schon?
Wir waren ein verdammtes High-School-Paar gewesen, dass nicht einmal ein Jahr zusammen geblieben ist.
Wir waren Kinder, ich war ein Kind, das es nicht besser wusste.
Und bei wie viel lag die Quote glücklich mit seiner High School-Liebe zusammen zu sein?
Ich spülte meinen aufkeimenden Ärger mit einem Schluck Kaffee herunter und sah sie an.
Außerdem, wie ernst konnte es ihr bitte gewesen sein, wenn sie kurz nach unser Trennung mit einem anderen Typen ins Bett gehüpft und so dumm gewesen war, sich schwängern zu lassen?
Ja, wie alt war das Kind überhaupt? Zwei Jahre vielleicht? Drei? Und dazu noch neun Monate Schwangerschaft?
Wahrscheinlich hatte sie mich sogar betrogen.
Ich musste es einfach wissen und versuchte die Frage geschickt zu stellen.
„Wie geht es deiner Tochter? Gracie oder?“
„Grace“, lächelte sie liebevoll, „sie ist ein glückliches Kind. Ziemlich glücklich.“
„Und dir, wie ist es dir so ergangen?“ fragte ich und nahm erneut einen Schluck.
„Wie gesagt, eine Zeit lang, war es hart. Mir ging es dreckig. Vor allem in den Monaten kurz vor ihrer Geburt“, sie wirkte irgendwie bestürzt, aber ich wusste nicht, warum.
„Wieso?“ fragte ich.
Sie blinzelte irritiert und lachte spöttisch auf.
„Erinnerst du dich an Monroe? Es ist eine Kleinstadt! Stell dir vor, du läufst durch die Straßen und schiebst eine gewaltige Kugel vor dir her. Es ist verdammt nochmal nicht leicht!“
Ärger durchsetzte ihre Stimme und ich sah, wie sie schwer ausatmete.
„So was ist nicht leicht“, pflichtete ich ihr bei, „was machst du zur Zeit?“
„Ich bin am Community-College eingeschrieben, aber hey, Mutter ist ein Vollzeitjob. Das letzte Mal, dass ich tatsächlich eine Vorlesung besucht habe, ist verdammt lange her.“
„Und der Vater? Seid ihr nicht mehr zusammen?“ fragte ich sie und sah, wie sie sich kerzengerade aufsetzte.
„Doch oder zumindest so halb“, sagte sie und ich zog irritiert die Stirn kraus.
Sie lachte leicht auf- ihr unmelodisches, amüsiertes Lachen- und klärte mich auf.
„Dieses Schwein betrügt mich“, sagte sie achselzuckend, „lebt unter meinem Dach und hält auf dem Arm meine Tochter, während er mir ins Gesicht lacht.“
„Wieso trennst du dich nicht?“ fragte ich verständnislos und sie verzog verärgert die graublauen Augen zu Schlitzen.
„Hast du eine Ahnung, was ein Kind kostet? Essen? Kleidung?Windeln?Spielzeug? Wie soll ich das alleine stemmen? Außerdem, er würde mir sie wegnehmen und dann würde ich sterben wollen.“
Geschockt sah ich sie an.
„Er kann dir deine Tochter nicht wegnehmen.“
Sie lachte: „Oho.Er kann und er wird.“
„Kann er nicht. Das Gesetz! Du musst nur beweisen, dass du eine gute Mutter bist! Dann bekommst du das Sorgerecht!“ meinte ich kühl und versuchte so die aufgeheizte Stimmung, die drohte überzukochen, zu mildern.
Sie schlug auf den Tisch: „Jake, ich weiß, dass dir dein teures Studium in Rechtswissenschaften an einer Privatuniversität ein gewisses Verständnis von diesen Dingen vermittelt, aber das ist alles ist nur Theorie. Die reale Welt sieht anders aus. In der realen Welt wird Dave seinen Politikervater kontaktieren, dessen bester Freund der Richter ist, der unseren Fall bearbeiten wird.“Tränen rannen ihr über die Wange und ich begann zu verstehen.
„Woher weißt du, dass ich Rechtswissenschaften studiert habe?“ fragte ich distanziert.
Ihre Augen liefen rot unter den Tränen an, die über ihre Wange rannen und sie schluchzte:
„Jake, glaubst du ich habe dich aus den Augen gelassen? Jemals? Es gibt auch in North Carolina Community Colleges, wieso sollte ich nach Georgia ziehen?“
Und dann fiel der Groschen.
Sie liebte mich noch immer, hatte mich die ganze Zeit über geliebt.
Mein Herz blutete bei dem Gedanken daran, dass sie keinen Abschluss finden konnte, dass sie nicht weitermachen konnte.
Aber konnte ich das? Konnte ich Imogen Lowell jemals wirklich aus meinen Gedanken, aus meinem Herz verbannen?
Ich sah, wie sie immer verzweifelter zu schluchzen begann und stand auf, schritt zu ihr herüber und und zog sie in meine Arme.
Sie verkrallte ihre Hände in meinem Shirt und lehnte den Kopf gegen meiner Brust. Durch ihre Schluchzer erschütterten unsere beiden Körper und ich zog sie noch näher.
So nah, dass ich mit jedem Atemzug, den ich nahm, vollkommen Imogen einatmete.
Und genau das löste eine Flutwelle an Erinnerungen auf, die auf mich einstürzten. Ich spürte, wie meine Knie zittrig wurden, aber ich wusste, ich musste stark sein.
Ich musste einmal in meinem Leben für Imogen da sein- so wie sie es verdiente.
Ich küsste ihr Haar, während wir engumschlungen in meiner Küche standen und immer ein wenig mehr verebbte ihr Schluchzen, ehe sie nur noch stumm weinte.
Lautlos.
„Entschuldigung“, nuschelte sie an meine Brust. Auf meinem T-Shirt waren unzählige schwarze Schlieren von ihrer Schminke, „ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.“
„Schon okay“, sagte ich und sie sah mich an. Warmes, fließendes Blau wie ein ruhig-treibender Fluss dominierte die Farbe ihrer Iris.
Ich küsste ihre Stirn und umfasste ihr Gesicht mit beiden Hände, ehe ich ihr mit dem Daumen ihr über die tränennassen Wangen strich.
Für einen Herzschlag lange starrte ich auf ihre Lippen und fragte mich, ob es sich noch genauso anfühlen würde sie zu küssen, ob es noch genauso verzehrend und zu begehren war.
Und dann küsste sie mich.
Mit einer Hektik, die mich überfiel, küsste ich sie zurück.
So viel Zeit war vergangen und es fühlte sie verdammt nochmal genauso an.
Nein, nicht genauso.
Es war Millionen Mal besser- oder schlimmer.
Ich konnte mich nicht entscheiden, denn ich es fühlte sich unglaublich an und gleichzeitig fühlte es sich einmalig an.
Ihr Kuss war fordernd, voller unerfüllter Sehnsucht und Liebe, die sie hoffte darin zu finden.
Ihre Lippen flossen gleißend heiß auf meine und verschmolzen zu einer großen Gemeinsamkeit.
Meine Hände umfasste ihre Hüften, pressten ihrer Körper mit jedem Millimeter gegen meinen.
Ein leises Stöhnen entfuhr ihr und ihr heißer Atem prallte gegen meinen Hals, während wir beide nach Luft keuchten.
Stolpernd prallten wir gegen die Wand, als wir miteinander verschlungen und uns die Kleider vom Körper lösten.
Wir hinterließen eine Spur, die bis in mein Schlafzimmer führte, wo wir nur noch mit Unterwäsche bekleidet in mein Bett fielen.
Haut auf Haut.
Lippen auf Lippen.
Verlangen auf Verlangen.
Feuer auf Feuer.
Erschöpft rollte ich mich zur Seite und strich ihr eine Strähne, die ihr auf die Wimpern gefallen war, aus dem Gesicht.
Sie hatte die Augen geschlossen, während ihr Körper sich bei jedem hastigen Ein- und Ausatmen hob und senkte.
Mit leichten Fingern fuhr ich die Konturen ihres Gesicht entlang und sah, wie sich eine Gänsehaut über ihren Körper zog.
„Ich glaube, ich kann nur mit dir glücklich sein“, flüsterte sie und schlug die blauen Augen auf.
„Meinst du?“ fragte ich sie und lächelte leicht.
„Ja“, sagte sie und küsste mich kurz.
„Gut, denn ich glaube, mir geht es genauso“, sagte ich und küsste sie ebenfalls.
„Seit wann bist du so ein Softie?“ fragte sie mich lachend und wickelte sich die Decke um den Körper, ehe sie aufstand.
„In deiner Gegenwart bin ich weniger ernst, dann bin ich offener für die Welt. Und mit dir, scheint diese gar kein so grausamer Ort“, sagte ich und rollte mich auf den Rücken, nahm den freigewordenen Platz mit meinem Körper ein.
„Mit mir wirst du verrückt werden“, sagte sie lachend und schritt ins Wohnzimmer, wo sie sich genau den Fenster gegenüberstellte und die Augen schloss.
Ich richtete mich auf und sah, wie sie ihre Nase hochstreckte und sie gen der Sonne reckte.
So etwas hatte ich noch nie gesehen- so eine pure Zufriedenheit, so eine reine Glückseligkeit.
„Besser als ohne dich wahnsinnig zu werden“, meinte ich mit weicher Stimme und sah, wie sie mit einem breiten Grinsen mir einen Blick zu warf und in der Küche verschwand.
Sie blieb zwei Tage, ehe sie die Sehnsucht nach Grace so sehr heimsuchte, dass sie gehen musste.
„Ich komme wieder- und ich bringe Grace mit“, sagte sie und legte das Hemd zusammen, das sie am ersten Tag getragen hatte.
Heute trug sie ein Shirt von mir. Ein Hellblaues, das ihre Augen so wundervoll unterstrich.
„Wir werden dafür sorgen, dass er sie dir nicht wegnimmt“, meinte ich und nahm sie in den Arm.
„Hoffentlich“, seufzte sie und schritt zur Tür.
„Mit Sicherheit“, versprach ich ihr und sie küsste mich, ehe sie sich abwendete und zu ihrem Wagen schritt.
Ich lief in die Küche und sah, wie sie mir zu winkte, ehe ich mich kraftlos an den Tisch setzte und mein Gesicht in meinen Händen vergrub.
Gestern hatte ich, als Imogen unter der Dusche war, meinen Mentor Frank Bullman angerufen und ihm ihre Situation geschildert.
Er hatte uns gute bis sehr gute Gewinnchancen zu gerechnet, ehe ich den Namen Dave Goldberg ins Spiel brachte.
Mit seiner politischen und richterlichen Verbindungen... Gott, er würde uns wie eine Weihnachtsgans auseinandernehmen.
Ganz zu Schweigen, dass er sich Topanwälte leisten könnte.
Anwälte, die meine Vorbilder waren- die ganz Großen.
Ich brauchte Stunden, ehe ich mir zurecht gelegt hatte, wie ich es ihr sagen würde.
Mit zittrigen Händen wählte ich ihre Nummer.
Imogen war jetzt mit Sicherheit seit einigen Stunden Zuhause.
Ihre Mutter hob das Telefon ab und meine Stimme klang so brüchig, dass sie mich fragte, ob alles in Ordnung sei.
Ich presste hervor, dass ich Imogen sprechend müsste, aber meine Stimme versagte schon beim Aussprechen ihres Namens.
Am anderen Ende der Leitung hörte ich ein Rascheln und dann erklang ihre Stimme mit einem fragenden 'Hallo'.
„Ich liebe dich“, meinte ich und wartete.
„Ich dich auch“, flüsterte sie.
„Gut, vergiss es niemals, ja?“ sagte ich und umfasste mein Handy fester.
„Was ist los, Jake?“ fragte sie mit skeptischer Stimme.
Und dann erzählte ich ihr alles, was mir Bullman gesagt hatte.
Am Ende hörte ich sie nur weinen und wie sie mit ihrer tränenschwere Stimme immer wieder und wieder „Nein, dass kann nicht sein“ flüstern.
Auch in meinem Hals hatte sich ein Kloß gebildet und mir rannen einzelne Tränen aus den Augen, ehe ich sagte: „Wir sollten uns nicht wiedersehen.“
„Wieso?“ fragte sie plötzlich und ihre Stimme brach erneut.
„Ich kann nicht der Grund sein, wieso du deine Tochter verlierst. Das will, kann und werde ich nicht sein“, sagte ich und hielt die Luft.
„Du wirst der Grund sein, warum ich nie wieder wirklich glücklich sein kann“, meinte sie.
„Damit kann ich leben, aber ich kann nicht damit leben, dass ich dich habe, aber du deine Tochter nicht.“
„Ich liebe dich... unendlich, Jake Miller“, flüsterte sie und legte auf.
Keine Ahnung, wie lange ich saß und dem piependen Ton des beendeten Gesprächs zuhörte, aber eine schienbar ewiglange Zeit wollte nicht vergehen.
Und ich wusste, wenn ich jetzt auflegte, würde ich meine einzige Verbindung zu Imogen Lowell für immer unterbrechen.
Also saß ich da und hörte dem Tuten zu.
Nachdem ich meinen Bachelor in Fotografie vor einem halben Jahr an dem Art Center College of Design in Pasadena, Kalifornien gemacht hatte, zog ich nach Chicago, Illinois.
Ich glaubte, dass dies der richtige Schritt war, nachdem sich mein Leben in Pasadena in Luft aufgelöst hatte.
Meine Freundin Hanna hatte seit Monaten eine Affäre. Eine Affäre mit meinem besten Freund.
Und dann plötzlich, gab es dort nichts mehr, was mich noch hielt.
Der Herbst war gerade angebrochen und eine Regenfront hing schwer über Chicago. Die geschlossene Wolkendecke entlud sich immer wieder in zahlreichen Schauern über die Köpfe der Bevölkerung hinweg.
Schützend hielt ich die Hände über die Spiegelreflexkamera, als sich erneut ein Schauer ergoss. Mit schnellen Schritten hastete ich auf einen Unterschlupf zu, denn ich trug nur eine Lederjacke und darunter eine einfach Weste mit Kapuze.
Als diese jedoch durchgeweicht war, hielt ich es für angebracht, Schutz zu suchen.
In einem Hauseingang fand ich diesen und begann, die sich eilenden Menschen durch die Wand aus Millionen Tropfen zu fotografieren.
Ich fotografierte die Spritzer, die von vorbeifahrenden Autos in die Luft gewirbelt wurden, die bunten Regenschirm, die sich über die Köpfer einiger wenigen Vorausschauenden spannten und die wenig erfolgreichen Versuche anderer, die sich Gegenstände über den Kopf hielten.
Alles betrachtete ich mit leichter Belustigung.
Es regnete nicht lange und so konnte ich schon bald wieder unter der Überdachung hervortreten und meinen Weg fortführen.
Mein Ziel war nicht spektakulär, aber ich machte gerne den Ziel zum Weg und versuchte von den verschiedensten Richtungen zu meinem Apartment zu gelangen, um die unterschiedlichsten Situation in meinen Bildern einzufrieren.
Heute nahm eine Route von Westen und der Regenschauer hatte mich nur einige Blocks von meinem Zuhause erwischt.
In meinen Ohren säuselte leise die Stimmen des Folk-Pop-Dup The Weepies.
Seit meinem Umzug lief ihr Song Love doesnt last too long in Dauerschleife auf meinem iPod, denn seit meinem Umzug war ich ziemlich melanchonisch aufgelegt.
Seufzend schloss ich die Tür zu meinem Zwei-Raum-Apartment auf und streifte die Jacke, sowie die Weste von mir und ließ sie einfach so auf den Boden fallen.
Mir war die entstehende Unordnung ziemlich egal.
Das Erste, was ich tat, war meine Kamera an meinen Laptop zu schließen, der auf dem gläsernen Schreibtisch vor dem Fenster im Wohnzimmer stand,und meine Bilder darauf zu übertragen und dann den Akku an die Aufladestation zu schließen.
Seufzend legte ich mich auf die braune Couch, die ich billig bei einer Wohnungsauflösung ersteigert hatte und blickte zu der Wand gegenüber.
Diese war mit unzähligen Schwarz-Weiß-Fotografien gepflastert, unter denen sich nur einige Bunt-Fotografien befanden und irgendwie wirkte alles total dramatisch.
Eigentlich war ich nie, so melanchonisch oder dramatisch oder schwarzseherisch gewesen, aber diese ganze verdammte Sache mit Hanna hatte mein Wesen verändert.
Sie war diejenige gewesen, für die ich seit Imogen tatsächlich etwas empfunden hatte, die mich Imogen hatte vergessen lassen, aber sie hat mir mein Herz rausgerissen.
Und von meinem sogenannten besten Freund wollte ich nicht ein Wort wieder hören.
Er und diese Schlampe sollten sich einfach so was von aus meinem Leben verpissen.
Aber da sie das nicht taten, tja, blieb mir nichts anderes übrig als zu gehen.
Kopfschüttelnd versuchte ich auf andere Gedanken zu kommen, da ich immer wütender wurde.
Schwer seufzend richtete ich mich auf und checkte mein Handy.
Sie hatten erst vor einem Monat aufgehört mir ständig Nachrichten zu schicken oder mich anzurufen.
Ich sah, dass ich einen Erinnerungsalarm für eine Undergroundparty bekommen hatte.
Eine neue Band in der Stadt, die wohl ziemlich gut sein sollte, hatte dort einen großen Gig.
Seufzend sah ich auf die unterste Reihe der Fotowand und sah die ganzen Bilder der Frauen mit denen ich, seit ich hier war, geschlafen hatte. Bedeutungsloser One Night Stand reihte sich an bedeutungsloser One-Night-Stand, aber es tat noch immer weh.
Doch immerhin, jedes Mal ein bisschen weniger.
Ich stand auf und beschloss, dass ich gehen würde und zog mir das Shirt auf dem Weg in die Küche über den Kopf und ließ es zu Boden gleiten.
Mit gelangweiltem Blick sah ich in den Kühlschrank, der ein wenig komisch roch und nur ein Stück alte Pizza, eine hoffentlich noch nicht abgelaufene Milch und sowie ein Sixpack Bier enthielt.
Ich griff nach einer Flasche des Biers und machte mich auf den Weg ins Bad.
Das enge, beige-geflieste Badezimmer löste bei mir beinahe ein wenig Klaustrophobie aus und ich wusch mir zunächst das Gesicht mit kalten Wasser.
Als ich auf in den Spiegel blickte, konnte ich sehen, wie mir die Gleichgültigkeit mit der ich dem Leben begegnete, aus meinen grünen Augen entgegensah und wie schwach meine Züge wirkten.
Dicke Tropfen rannen meine Wangen hinab und glitten an meinen schmalen Lippen vorbei.
Achselzuckend nahm ich einen Schluck aus der Flasche und schälte mich gänzlich aus den Klamotten, ehe ich in die Dusche stieg.
Während das Wasser mir heiß den Rücken hinabfloss und ich hin wieder mit der Hand nach draußen nach meinem Bier griff, fragte ich mich, wann mein Leben eigentlich so den Bach runtergegangen war.
Ich fragte mich, ob es wirklich erst nach der Sache mit Hanna geschehen war oder das Leben viel früher begonnen hatte, scheiße für mich zu laufen.
Vielleicht schon damals in der High School.
Damals vor fünf Jahren als ich Schuld an den der Niederlage der Meisterschaft hatte.
Ich hätte als Sportler auf die Uni gehen können, so ein ekelhafter Proll werden können- wie Jackson es war- und vielleicht hätte ich dann mit Hanna ihn betrogen. Wer weiß, vielleicht wär mein Leben einfach ganz anders gelaufen, wenn ich damals diese Meisterschaft nicht gegen die Wand gefahren hätte.
Oder vielleicht war es nicht diese Meisterschaft, sondern der Verlust von Imogen.
Wäre mein Leben glanzvoller, als jetzt wo ich unter der Dusche stand- allein und Bier trinkend-, wenn ich Imogen damals an meiner Seite gehabt hätte.
Oder hätten wir uns zu spät getrennt und ich wäre so richtig in den Abgrund gefallen?
All diese was-wäre-wenn-Fragen schlugen mir aufs Gemüt und ich beschloss sie hinter mir zu lassen.
Als ich am Verantstaltungsort ankam, stellte ich fest, dass es sich dabei um ein altes, abgelegenes Bahngelände handelte.
Überall standen verlassene Güterwagons, die ihre Reise bereits hinter sich hatten und hier ihre letzte Ruhestätte fanden.
Aus einem alten, maroden Schuppen drang laute Musik und bunte Discolichter.
Viele Leute strömten raus und rein und alle trugen unzählige Leuchtstäbe- entweder als Ketten oder Armbänder- und einige waren damit so behängt, dass sie aussahen, wie ein Weihnachtsbaum.
Grinsend fotografierte ich die Menschen und die Umgebung, packte die handliche, kleine Kamera in meine Hosentasche und begab mich ebenfalls zum Schuppen.
Je näher ich kam, desto wurde die Musik und immer krasser das Stroboskop.
Die Menschen tanzten wie wild auf der engen, kleinen Tanzfläche und in dem Licht wirkten sie wie auf Droge( was die meisten wohl auch waren), so wie sich sie im Takt der Musik bewegten, die ein DJ an einem Pult des Floors gegenüber spielte.
Daneben war die improvisierte Bühne für die Band aufgestellt, die gerade dabei waren, leise für sich und außerhalb des Interesse der Menschen, ihren Soundcheck zu machen.
Fasziniert zückte ich meine Kamera und machte einige Bilder, ehe ich mich zur Bar begab und mir einen FF bestellte.
Ein FF- Forget and Fuck- war das Schlimmste, was ich meinem Körper jemals angetan hatte.
Es war ein Cocktail bestehend aus drei hochprozentigen Spirituosen und einem süßlichen Likör gemixt.
Je nach Art der Veranstaltung fand man auch Extacy oder LSD darin vor.
Es war verdammt, kranker Scheiß, aber auf solchen Feiern Gang und Gebe, da es recht preisgünstig war sich mit einem Drink, alle Gehirnzellen wegzuballern und sofort drauf zu sein.
Die schwarzhaarige Barkeeperin im Minirock und mit Tattoo-übersäten Armen sah mich lasziv an, als sie mir den Drink vorstellte und beugte sich übertrieben weit vor, sodass ich meinen Blick tief in ihrem Ausschnitt verlor, um mir den Preis für den Drink ins Ohr zu flüstern.
Doch es war zu früh und das Mädchen unter meinem Niveau, also kippte ich den Drink und schritt von der Theke in eine ruhigere Ecke.
Die Wirkung würde in fünfzehn bis zwanzig Minuten eintreten und diesen klaren Moment würde ich ausnutzen, um noch einige Bilder zu schießen.
Ich fotografierte die Menschen, die hier alle irgendwie abgedreht und verrückt und auf eine so besondere Art und Weise unglaublich faszinierend waren, fotografierte die Gesamtheit dieses Spektakels und fotografierte sogar noch die Band.
Ihren ersten Song spielten sie mit Tiermasken, die ihre Gesichter verbargen und die Leadsängerin, die eine abgefahrene Katzenmaske trug, tanzte aufreizend und provokant an der Mikrofonhaltung.
Ich hielt die Linse meiner Kamera auf sie, machte unzählige Bilder von ihr und dann, als sie ihre Maske vom Gesicht riss und ihre blonde Mähne schüttelte, erkannte ich sie.
Ich schaffte es, ein letztes Bild von ihr zumachen, ehe ich alles vergaß.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich keine Ahnung, wie ich Nachhause gekommen war.
Fakt war allerdings, dass ich in meinem Bett lag- und zwar nicht alleine.
Vorsichtig hob ich die Bettdecke an und sah den nackten Rücken einer Frau. Hastig, aber lautlos riss ich die Schublade meiner Nachtkonsole auf und fotografierte sie mit der alten Polaroidkamera.
Dann stand ich auf- nackt wie ich bemerkte- und schritt gähnend in mein Wohnzimmer.
Es begann die allbekannte Routine: Bildübertragung und Akku aufladen.
Als ich sah, dass es mehrere hundert Bilder waren und dies eine Weile dauern würde, ging ich ins Badezimmer und wusch mir mein Gesicht.
Im Spiegel erkannte ich mich selbst fast nicht wieder.
Ich war wie gerädert.
Tiefe Schatten setzten sich unter meinem glasigen, grünen Augen ab. Das linke Auge war ein wenig geschwollen und war hoch schmerzempfindlich.
Ein Blick auf meine wunden Fingerknöchel bestätigte meine Vermutung einer Prügelei und ich fuhr mir durchs dunkelblonde, kurze Haare, als ich unter dem Haaransatz einen Kratzer und im Haar selbst getrocknetes Blut vorfand.
Seufzend wendete ich mich ab und schritt in die Küche, als ich auf dem Weg dahin, eine Unterhose fand und sie überzog.
Mit einem lauten Röhren, das meinem Kater große Probleme bereite, lief der schwarze, wässrige Kaffee durch die alte Maschine und ich füllte ihn in eine Tasse, ehe ich ich auf einen der beiden Küchenstühle fallen ließ.
Ich kontrollierte mein Handy und fand die üblichen Sonntagsanrufe meiner Mutter und Schwester vor, die sich seitdem ich nach Chicago gezogen war, wieder regelmäßig stattfanden, und stellte fest, dass es bereits halb vier nachmittags war.
Gerade als mir der Gedanke kam, nachzusehen ob meine Bettbekanntschaft überhaupt noch lebte, sah ich sie in der Tür stehen.
Sie hatte sich ihr dunkelblaues, enges Partykleid von gestern wieder übergezogen und hielt ihre schwarzen High Heels in der Hand. Unter ihren grauen Augen lagerte sich in einem dicken Streifen ihre Maskara und die restliche Schminke ab und ihre haselnussbraunen Haaren lagen zerzaust auf ihrem Kopf.
Sie sah allen in allen ziemlich gut durchgevögelt aus und ich bedauerte es fast, mich nicht daran erinnern zu können.
Sie stützte sich schwächelnd am Türrahmen und sah mich abwartend an.
„Kann ich auch einen Kaffee haben?“ fragte sie mit heiserer Stimme und ich nickte nur in die Richtung der Maschine.
„Bedien dich.“
Sie ließ die Schuhe mit einem lauten Knall auf den Boden fallen und schleppte sich schwerfällig zur Küchenzeile, goss sich Kaffee ein und setzte sich mir gegenüber.
Ich fragte mich, wieso sie nicht einfach abhaute.
Wir hatten einander doch eigentlich nichts mehr zusagen?
Ich hasste anhängliche Weiber.
„Wie ist eigentlich dein Name?“ fragte ich dann doch aus Neugier und sie warf mir einen missbilligenden Blick zu, den ich mit einem Schulterzucken abspeiste.
„Amy“, sagte sie und nahm einen Schluck des Kaffees, verzog dann allerdings unzufrieden die Miene.
„Du musst meinen Kaffee nicht trinken“, meinte ich und betonte dabei das Possessivpronomen.
Sie verdrehte die Augen, „Mieze hatte eigentlich gemeint, du wärst ein Gentlemen.“
„Mieze?“ fragte ich verdutzt und unterdrückte ein Lachen.
„Die Kleine von der Band, die mich mit dir verkuppelt hat.“
„Ich kenne keine Mieze“, sagte ich und schüttelte abfällig den Kopf.
„Sie hatte mir gesagt ihr kennt euch von früher... aus der High School glaube ich. Du hast sie ziemlich... innig geküsst.“
Leere herrschte in meinen Kopf und ich wollte, dass sie weitersprach, damit die Fetzen der Erinnerungen zu zuhängenden Gedanken werden könnten.
„Geküsst?“ fragte ich.
„Ja, und sie hat dich dann weggedrückt. Gesagt, dass sie hofft, dass du kein Football mehr spielst und dich dann auf mich aufmerksam gemacht.“
„Und ihr Name war Mieze?“ fragte ich nachdenklich, suchte die Erinnerung zu ihrer Erzählung.
„Keine Ahnung, wie sie heißt. Aber so hat sie sich mir vorgestellt, weil sie auch diese Katzenmaske auf der Bühne anhatte. Nachdem du sie geküsst hast, hatte ich eigentlich kein Bock auf dich. Aber sie hat gemeint, du wärst der Bringer im Bett.“
Amüsiert verzog ich die Lippen zu einem Grinsen und lehnte mich zufrieden zurück.
„War dann auch wirklich ganz in Ordnung“, lachte sie und schüttelte den Kopf.
„Ich will jetzt echt nicht unhöflich sein...“ meinte ich zögerlich und sie lächelte schwach, „aber ich bin heute mit meiner Schwester zum Essen verabredet...“
„Ich mach mich schon vom Acker“, sagte sie und stand auf, „du kannst dich ja mal melden.“
Ich nickte und begleitete sie zur Tür.
„Bis dann“, sagte ich und schloss die Tür hinter ihr- wphlwissend dass ich sie nie wiedersehen würde.
Seufzend setzte ich mich an meinen Computer und begann die Bilder von gestern Nacht durchzusehen.
Einige waren echte Kunstwerke, die anderen reif für die Löschtaste.
Und dann kamen die Bilder der Band.
Endlich ergab die Aussage der Katzenmaske, der Mieze und der Band, einen Sinn, als ich die Bilder sah.
Wie konnte ich dieses Spektakel nur vergessen haben?
Und dann kam das Bild, als die Tiermasken abgenommen waren.
Fassungslos starrte ich auf das Bild, zoomte heran und betrachtete es lange.
Meine Augen und Gedanken wollten gar nicht begreifen, was sich mir da zeigte.
Die Leadsängerin... verdammt.... verdammt.
Die Leadsängerin war verdammt nochmal... Imogen!
Zwar blond, aber es war mit unbestreitbarer Sicherheit Imogen Lowell, die sich an der Mikrofonhalterung räkelte.
Und was hatte Amy gesagt.
Ich hätte sie geküsst, innig geküsst.
Gedankenverloren fuhr ich mir über die Lippen, als könnte ich so eine Erinnerung auslösen, aber es war so, als hätte letzte Nacht niemals existiert.
Sie war einfach vollkommen aus meinem Kopf, aus meinen Gedanken radiert.
Ich klappte den Laptop zu und legte mich auf die Couch, schaltete den Fernseher an und schlief ein.
Als ich mitten in der Nacht aufwachte, hatte ich vollkommen die Orientierung verloren und brauchte einige Sekunden, ehe es mir dämmerte, dass ich mich in meinem Wohnzimmer befand.
Der Fernseher warf kaltes Licht gegen mich und irritiert stellte ich ihn aus.
Je wacher ich wurde, desto offensichtlicher wurde meine Aufgabe.
Endlich hatte ich wirklich ein richtiges Ziel vor ein Augen.
Ein Ziel, für das es sich zu Leben lohnte.
Und mein Ziel war es, Imogen Lowell- meine erste, große Liebe- zu finden.
In den nächsten Tag gab ich mein Bestes, Informationen über die Band zu sammeln, in der sie spielte. Doch wie sich herausstellte, war dies gar nicht so einfach.
Die angegebenen Nummern, die man im Internet fand, waren allesamt unbrauchbar.
In einem weiteren Forum erfuhr ich nämlich, dass sie die Nummer nach einem Gig änderten, da die Gefahr von der Polizei geschnappt zu werden, so größer wurde.
Schließlich durfte man nicht außer Acht lassen, dass die Events auf denen sie spielten, allesamt illegal waren, alles Undergroundparties waren.
Die tagelange Suche deprimierte mich und ich wusste, wann immer mich etwas deprimierte, verließ mich das Interesse daran.
Ich kämpfte dagegen an, dass es damit nicht auch so gehen würde, aber ich konnte nicht.
Nach einer Woche ohne vorzeigbares Ergebnis, ohne jede Spur, gab ich auf.
Ich zeichnete mich nicht wirklich durch Durchhaltevermögen aus.
Allerdings erreichte ich mich eine andere, überaus erfreuliche Nachricht.
Ein Kunstagent war auf meine Fotografien aufmerksam geworden, die ich auf einer Website veröffentlichte und bot mir an, einige ausgewählte Bilder auf einer Vernissage auszustellen.
Und dies schon bereits in einer Woche.
Wenn ich bei dieser erfolgreich wäre, würde er davor sorgen, dass bald jeder in Chicago meinen Namen kannte und meine Bilder kaufen würde.
Er versprach mir, eine ganz große Nummer zu werden.
Und ich wusste, dass genau das meine, große und vielleicht einzige Chance war in der Kunstwelt von Chicago Fuß zu fassen.
Also verbrachte ich die letzten Tage und Nächte damit, ausdrucksstarke Bilder herauszusuchen und ihnen den letzten Feinschliff zu verpassen.
Das Herzstück meiner Ausstellung war ein Bild von Imogen.
Ich fügte den Effekt des Farbverlaufes hinzu, sodass das Bild von oben nach unten, von einem tristen Schwarz-Weiß in die bunte Vielfalt der Undergroundparty floss.
Sie stand in einer schwarzen Lederhose gekleidet auf der Bühne, die Beine leicht auseinander und riss sich gerade in dem Moment die Katzenmaske vom Gesicht.
Genau an dieser Stelle war das Bild verschwommen, man erkannte ihr Gesicht nicht und die Maske in ihrer Hand nur als grausige Grimasse. Aber genau diese Bewegung verlieh dem Bild seine Dynamik, seine Intensität.
Ich war zufrieden mit meiner Auswahl und wartete den Tag ab, an dem sich mein Leben verändern sollte.
Und wie recht ich doch damit hatte.
Am Abend der Vernissage hüllte mich in meinen feinste Garderobe.
Es war der Anzug, den ich auch an meinem Abschluss getragen hatte und ich fuhr mir durch die Haare, damit diese ein wenig mehr zerzaust waren und nicht so adrett lagen.
Auch ließ ich den obersten Knopf meines weißen Hemdes offen und verzichtete auf eine Krawatte.
Die Galerie, in der ich ausstellen durfte, war zwar klein, aber gut besucht.
Ich erkannte unter den zahlreichen Gästen sogar einige Kunstkritiker, sowie bekannte Kunstliebhaber aus der oberen Gesellschaftschicht Chicagos strömten in das einfache Etablissament.
Der Vorführsaal war ein abgedimmter Raum, welcher nur die Fotografien in einen Lichtkegel rückte und somit nicht die Personen, sondern ausschließlich die Kunst hervorhob.
Der Kunstagent, Samuel Adams, ein Typ im Designeranzug und einem langen, blonden Pferdeschwanz stellte mich vielen Persönlichkeiten der Branche vor und pries mich wie wild an.
Insgeheim fragte ich mich, ob ich wirklich den Versprechungen gerecht wurde, die dieser Fremde, der mich nicht einmal eine Woche kannte, über mich verbreitete.
Aber ich blieb höflich nickte und steckte Visitenkarten in meine Jacketttasche.
Als ich einen ruhigen Moment für mich hatte, griff ich mir ein Glas Processo von einem der Kellner, die zwischen den Leuten wuselten und begann mir die Kunstwerke anzusehen.
Meine waren die Letzten am Ende des Raumes, wurden deswegen aber nicht unbedingt mit weniger Beachtung beäugt.
Und als sich die Vernissage sich verlief, hatte ich alle meine Bilder verkauft.
Es waren nur noch wenige Personen hier, Bekannte der austellenden Künstler und mir fiel auf, dass ich der Einzige war, der keine Privatperson mitgebracht hatte.
Ich lief meine eigenen Bilder ab und blieb vor einem Porträt von Hanna stehen, verschränkte die Arme. Es war in Schwarz-Weiß gehalten und alles außer ihren Lippen, die verwundert offen standen, waren verschwommen.
Abfällig schüttelte ich den Kopf und prostete dem Bild mit einem zufrieden und selbstgefälligen Lächeln zu, ehe ich den Processo auf dx wegkippte.
Plötzlich hörte ich Schritte, Schritte von High Heels, neben mir, aber sah nicht von dem Bild weg.
Es schenkte mir einfach viel zu viel Genugtuung.
„Wie heißt das Bild?“ fragte die unbekannte Person neben mir.
„Die Schlampe“, antwortete ich und das widerliche Grinsen verzog sich einfach nicht von meinen Lippen.
„Kraftvoller Titel. Ein wenig obszön, aber einprägend. Und dieses hier?“ ein schlanker Arm deutete auf das Bild von Imogen.
„Die verlorene Unschuld“, sagte ich und lächelte weich.
„Wie poetisch“, meinte die Person sarkastisch.
Ich zog fragend die Augenbraue an, betrachtete das Bild und meinte: „Die Person, auf diesem Bild habe ich gesucht, aber nicht gefunden. So gesehen ist sie verloren.“
„Und wieso dann Unschuld?“ fragte sie.
„Weil ihr Name Imogen ist. Und das bedeutet 'unschuldig'“, erklärte ich.
„Dass du sogar die Bedeutung meines Namen weißt, hätte ich gar nicht von dir erwartet, Jacob Miller. Aber ich hatte auch nichts von deinem Talent in der Fotografie geahnt, als du noch dieser Sportjockel warst“, lachte die Person und mit erschreckten Blick sah ich neben mich.
Und da stand sie.
In ihrer ganzen Schönheit.
Um ihren Körper legte sich ein schwarzes, enges Kleid mit Einschnitten an der Taille und einem weiten Rückenausschnitt.
Ihre Haare waren blond, aber man konnte deutlich den Ansatz ihrer braunen Haare sehen, die sie zu einer akkuraten Hochsteckfrisur trug.
Mit ihren graublauen Augen sah sie mich amüsiert an, ehe sie ihr Sektflöte zu ihren rotgeschminkten Lippen führte und einen Schluck daraus nahm.
„Du kannst den Mund wieder zumachen, denn ja, ich bin es tatsächlich und sehe ich nicht verdammt heiß aus?“ fragte sie unverfroren und grinste.
„Ich habe Angst zu verbrennen“, presste ich hervor und schüttelte den Kopf.
„Du hast dich auch gut gehalten, Miller“, nickte sie und begann mich zu umschreiten, mich zu mustern, wie sie es damals mit meinem Zimmer getan hatte, „nicht schlecht. Nicht schlecht.“
Sie trat auf näher auf mich zu und blieb nur eine halbe Armlänge von mir entfernt stehen.
Mit den hohen Schuhen war sie fast auf Augenhöhe mit mir... und mir wurde es unbehaglich.
„Ich habe dich eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Eigentlich habe ich gedacht, ich würde dich nie wiedersehen.“
„Das habe ich von dir auch gedacht, aber ich wollte dich auch nie wiedersehen... und genau genommen liegst du falsch. Wir haben uns erst letzten Samstag gesehen“, sagte sie und rückte noch näher, legte ihre Hand an meine Wange, liebkoste sie mit ihrem Daumen.
„Wir haben uns nicht nur gesehen, sondern auch geküsst.“
Sie reckte sich nach oben, so als wollte sie mich küssen und als ich mich fallen ließ, um ihrer Aufforderung nachzukommen, drehte sie sich lachend weg und brachte Distanz zwischen uns.
„Du glaubst doch nicht, dass es so einfach ist Jake, oder?“ fragte sie und leichter Ärger flog in ihre Stimme, „du hast mir mein Herz gebrochen... nein, viel mehr hast du es mir aus der Brust gerissen und mich blutend liegen gelassen und bist nach Kalifornien abgehauen.“
Sie war noch wütend.
„Ich will es wieder gutmachen, denn es tut mir leid. Wirklich. Ganz ehrlich.“
Imogen nickte: „Natürlich willst du das. Wirklich. Ganz ehrlich“,äffte sie mich nach und lachte.
„Gib mir eine Chance“, sagte ich und sie sah mich an, legte den Kopf schief.
„Seine verlorene Unschuld bekommt man nicht zurück“, sagte sie kopfschüttelnd und ging, ließ aber plötzlich hinter sich einen Zettel auf den Boden gleiten.
Ich stolperte darauf zu.
Und sah auf den Zettel, der eigentlich eine alte Kaugummiverpackung war, und blickte unzählige Male über die Reihe der Ziffern, die sie darauf geschrieben hatte.
Erschreckt zuckte ich zusammen, als sich seine schwere Hand auf meine Schulter legte und hörte das gekünstelt-amüsierte Lachen von Samuel Adams, der mit mir den weiteren Verlauf meiner Karriere durchsprechen wollte.
Gedankenverloren steckte ich den Zettel in meine Hosentasche.
Tage vergingen und der Zettel lag provokant auf meinem Schreibtisch.
Ich suchte nur noch den Mut die Nummer zu wählen.
Seufzend rollte ich mit meinem Ledersessel zurück und schloss die Augen.
Der Regen, der die Woche hinweg noch nicht abgerissen hatte, prasselte gegen die Scheibe und ließ die Stadt vor meinen Augen zerfließen.
Die Lichter wirkten irgendwie unwirklich und riefen die Erinnerung an den Abend vor nun beinahe zwei Wochen zurück.
Ich würde Imogen nicht einfach so zurückbekommen.
Dieses Mädchen war durchgedreht.
Sie war es schon immer gewesen. Sie und ihre abgefahrenen Fantasien.
Einmal und vielleicht war das sogar meine schönste Erinnerung an sie, war als wir an diesem kleinen See in der Nähe der Schule gewesen waren.
Es war ein verdammt heißer Tag gewesen, ich war geschwitzt und sie auch, aber irgendwie schafften wir es uns nicht aus der Umarmung zu lösen, in der wir seit Stunden auf dem Boden lagen.
Unsere nassen Körper waren mit dem Trocknen einander geschmolzen und ihre hellbraunen Haare drehten sich an den Spitzen nach außen, auf ihrer Wange zeichnete sich ein leichter rötlicher Sonnenbrand ab und ihr warmer Atmen stieß immer wieder gegen meinen Hals.
Dieser Tag war so unwirklich, denn die Temperatur war für diesen Frühlingstag viel zu hoch gestiegen, aber wir genossen es so sehr.
Und dann sagte sie etwas, dass mir Angst machte, bis ich begriff, was es eigentlich bedeutete.
Imogen war ein Mädchen, das immer ein klein wenig kaputt war, wenn man sich dem auch nie bewusst war.
Sie hatte eigentlich eine finstere Ansicht vom Leben, aber das war in Ordnung.
Imogen war eine Künstlerin, eine Künstlerin des Lebens und die größte Inspiration war und wird immer der Schmerz sein.
„Ich glaube, dass das schmerzendes Herz ein Irrgarten ist“, hatte sie gesagt und mich angesehen.
„Ja?“ hatte ich gefragt und ihr eine Strähne aus den Augen gestrichen.
„Ja. Es gibt nur einen Ausweg und dieser eine Ausweg ist die ganz große Liebe im Leben. Alle verloren Seelen, die sie nicht finden, werden niemals aus dem Labyrinth entfliehen können, sie werden immer Schmerz leiden. Denn man kann nur ein geheiltes Herz besitzen, wenn man nicht mehr auf der Suche nach dem Ausweg ist, sondern ihn gefunden hat.“
„Was willst du mir damit sagen?“ hatte ich sie gefragt.
Sie hatte gelächelt, war unter ihrem Sonnenbrand noch röter geworden und gesagt: „Ich befinde mich auf der Zielgeraden.Ich sehe den Weg nach draußen.“
Überrascht riss ich die Augen auf, als mir bewusst wurde, was ich tun musste, um Imogen Lowell zurückzugewinnen...damit auch mein Herz heilen konnte.
Genau genommen war ich in meinem Leben noch nie nervös gewesen.
Nicht damals vor dem Spiel, nicht bei meiner Abschlussprüfung.
Doch jetzt war ich es und mein Körper schien vollkommen überfordert mit den Symptomen.
Ich schwitze, meine Handflächen war kalt und schwitzig und ich hatte verdammt nochmal Herzrasen.
Es war, als wäre ich sechszehn und würde das beliebteste Mädchen der Schule fragen, ob sie mit mir zum Abschlussball gehen würde.
Meine Nerven waren wie Drahtseile gespannt und mich traf fast der Schlag, als ich die Eingangstür hörte.
Ich holte tief Luft und wartete, horchte.
In meiner Nachricht für Imogen hatte nicht viel gestanden, nur die Adresse zu meinem neuen Atelier.
Es gehört eigentlich diesem Kunstagenten, aber er überließ es mir, damit wie er es ausdrückte, meiner Kreativität ein Hauch von Professionalität eingeflößt werden würde.
Das momentane Chaos, welches hier herrschte, hatte allerdings reichlich wenig mit Professionalität zu tun.
Ich hatte mit viel Aufwand und Mühe einen Irrgarten, aus auf Rahmen gespannten Bettlacken, gebaut, die ich als Projektionsfläche für die Fotografien nutzte.
Der Ausweg aus dem Labyrinth würde nicht schwer sein.
Es gab nur wenige Ecke, um die sie laufen müsste, ehe sie das Ziel erreichte.
Und das Ziel war ich.
Ich hörte ihre Schritte, hörte wie ihr unmelodisches, amüsiertes Lachen durch den kleinen Raum schallte, als sie die Bilder sah, die an die Flächen projiziert wurden.
Es waren alte Fotografien von ihr und mir im Wechsel. Eigentlich war es ein Wunder, dass ich noch Bilder aus der Zeit gefunden hatte, in der wir ein Paar gewesen waren.
Nervös wischte ich mir die Hände an der Hose ab und steckte sie in die Hosentasche, damit man nicht sah wie ich zitterte.
Und plötzlich war tausend Gedanken in meinem Kopf, Milliarden Erinnerungen prasselten auf mich nieder und dann sah ich, wie sie um die letzte Kurve bog.
Verdammt.
Nochmal.
Das erste Mal seit einer Ewigkeit spürte ich, wie mein Herz drohte zu zerspringen.
Gott, ich hatte dieses Mädchen so sehr geliebt.
Ich liebte dieses Mädchen so sehr.
Sie taumelte und erst jetzt sah ich, wie ihr die Tränen über die Wange liefen und sie die Hand vor den Mund hielt, nach Luft japste.
Ihr Gesicht verzog sie, als sie mich sah und sie glitt auf die Knie, stützte sich mit den Armen auf dem Boden ab und ließ den Kopf kraftlos überhängen.
Ein Schleier blonder Haare hing vor ihrem Gesicht und bebte im Takt ihres von Schluchzern geschüttelten Körpers.
Sekundenlang starrte ich sie an, war hilfloser als jemals zuvor und stolperte dann zu ihr auf den Boden.
Sofort schlang sie ihre Arme um meine Körpermitte und robbte sich an mir herauf.
„Du bist so ein Idiot“, hörte ich sie sagen und strich ihr die Haare von den Augen, nahm ihr Gesicht in meine Hände.
Sie blickte mich mit fließenden, blauen Augen an und ich küsste sie.
Ich wusste einfach nicht, mit welchen Worten ich sie hätte beruhigen können und dies schien mir ein Ausweg, der beste Ausweg.
Ihre schönen, ungleichen Lippen trafen hart und ungestüm auf meine- das überraschte mich.
Sofort passte ich mich ihrem Verlangen an, als sie mich immer wilder küsste.
Mit einer hastigen Handbewegung wischte sie sich die Tränen von den Wangen, drückte mich zu Boden und setzte sich auf mich.
„I-I-Imogen“, stammelte ich. Doch weiterkam ich nicht, denn sie beugte sich vor und brachte mich mit einem intensiven Kuss zu schweigen.
Schwungvoll richtete sie sich wieder auf, sodass ihre Haare wie ein heller Lichtschein in meinen Augen funkelten.
Mit spitzen Fingern fuhr sie die Knopfleiste meines Flanellhemdes entlang und öffnete diese dabei.
Eine unbarmherzige Lust flammte in meinem Inneren auf und mit einem frechen Grinsen machte sie sich an meinem Gürtel zu schaffen.
Als sie ihn geöffnet hatte, zog sie sich das weiße Shirt, was sie trug über den Kopf und fuhr mit ihren Händen über meinen Brust.
Mit einem schweren Seufzer umklammerte ich sie mit meinen Armen und drehte uns einmal, sodass ich oben lag.
Es war an der Zeit, das ich die Kontrolle übernahm, ansonsten würde ich wohl den Verstand verlieren.
Ihr Atem ging stoßweise, als ich ihren Hals küsste und immer wieder spürte ich ihre Hand an meiner Wange. Schließlich folgte ich ihrer Geste und unsere Lippen fanden die Erlösung in einem leidenschaftlichen Kuss.
„Ich bin da“, flüsterte sie erleichtert.
„Sorgen wir dafür, dass du kommst“, meinte ich amüsiert und hörte sie heiser lachen.
Als ich am Morgen die Augen aufschlug, war ich irritiert - und erregt.
Ich lag in meinem Bett und fragte mich einen Moment lang, ob das alles nur ein Traum war, ehe ich lautes Fluchen aus meiner Küche dringen hörte.
Seufzend setzte ich mich auf, zog mir was über und fuhr mir durchs Haar, ehe ich nachsah, was dort von statten ging.
Mit verschränkten Armen lehnte ich mich gegen den Türrahmen meiner Küche und beobachtete sie dabei, wie sie, gekleidet in dem weißen Hemd, an der störrischen Herdplatte rumfungierte.
Auf dem Küchentisch sah ich ein ziemliches Chaos aus Eierschalen, verschütteter Milch und einer umgefallen Packung Mehl.
Grinsend schritt ich auf sie zu, als sie Flüche gegen die nicht heißwerdende Herdplatte murmelte.
Ich schlang die Arme um sie und verschränkte sie vor ihrem Bauch, zog sie zu mir.
Das hatte ich so oft in solchen kitschigen Frauenfilmen gesehen, aber selbst noch nie getan.
Hanna war dafür einfach zu... kalt.
Erleichtert seufzend verbarg ich mein Gesicht in ihren Haaren, sog ihren Geruch ein. Ein Geruch aus Vertrautheit und Vorsicht, die sie ständig umgab.
„Ich wollte Frühstück machen“, meinte sie, „aber dieses Scheißherdplatte wird nicht warm.“
Ich lachte leise gehässig.
„Die hier“, meinte ich und deutete auf die Platte, „ist ja auch kaputt.“
„Die anderen funktionieren auch nicht“, sagte sie schnippisch und drehte sich zu mir um.
„Ich weiß“, meinte ich verschmitzt grinsend und küsste sie kurz auf den Mund, „normalerweise esse ich außer Haus.“
„Dir fehlt eine Frau im Haus“, sagte sie und verschränkte die Arme in meinem Nacken.
Unsere Nasenspitzen berührten sich, als ich sagte: „Nein, du fehlst in meinem Leben.“
„Schleimer. Der Jake Miller, den ich kannte, der hätte so was nicht gesagt.“
„Scheiß auf den Jake Miller, den du kanntest. Er war der Idiot, der dich hat gehen lassen.“
„Und der neue Jake Miller?“ fragte sie grinsend.
„Hat sich zum Idiot gemacht, um dich wiederzubekommen und dich nie wieder gehen zu lassen“, sagte ich und küsste sie erneut, länger und leidenschaftlicher.
Ihre Lippen waren anders als gestern.
Weicher, sanfter und machten mich süchtig.
Und dann zerplatzte unsere wunderschöne, friedliche Seifenblase durch ein hartes, schrilles Klingeln.
„Mein Handy“, meinten wir beide gleichzeitig.
„Sollen wir rangehen?“ fragte sie und sah mir tief in die grünen Augen.
Ich nickte, „wir haben jede Menge Zeit.“
Sie lächelte: „Welche Zeitspanne?“
„Wie wäre es mit für immer?“ fragte ich und küsste ihre Stirn, ehe ich mich abwendete und ins Wohnzimmer zu meinem Handy schritt.
Augenverdrehend nahm ich ab und hörte die aufgeregte Stimme von Samuel Adams.
Als ich hörte, was er zu sagen hatte, ließ ich mich mit weit aufgerissen Augen aufs Sofa fallen.
Ich hörte ihm eine scheinbare Ewigkeit zu, als ich plötzlich ein lautes Quieken aus meinem Schlafzimmer vernahm.
Seine Stimme wurde taub in meinem Ohr und ich sprang auf, um nachzusehen,was mit Imogen war.
Doch als ich im Türrahmen stand, sah ich wie sie hektisch umhersprang und von einem zum anderen Ohr grinste. Sie warf sich auf mein Bett und umschlang fest die Decke, in welche sie laut hinein schrie und erfreut auflachte, beinahe erleichtert.
„Ist dir das klar? Das ist deine Chance, Jacob!“ sickerte langsam wieder die Stimme des Kunstagenten in mein Bewusstsein.
Hastig meinte ich: „Natürlich... natürlich. Ich bin dir wirklich dankbar... ich melde mich.“
„Denk dran. Die wollen bis Morgen eine Zusage. Und trau dich gar nicht erst bei mir anzurufen und abzusagen, verstanden?“
„Ja, ja“, versuchte ich ihn abzuwimmeln, „bis dann.“
Imogen rollte sich wie eine Verrückte auf meinem Bett umher und quiekte.
„Was ist los?“ fragte ich und sie richtete sie auf.
Ihre Haare, die sind in einem Dutt gebändigt hatte, lagen in Strähnen und das dünne Haargummi wurde somit überflüssig. Ihre Wangen waren leicht rot und sie grinste so sehr, das es beinahe ein wenig schmerzhaft aussah.
Aber eine unermessliche Freude glänzte in ihren grau-blauen Augen.
Eine Freude, die mir beinahe Angst machte.
„Das war Omar“, meinte sie und hüpfte auf.
„Omar?“ fragte ich und sie nickte.
„Unser Manager...wir haben einen Plattenvertrag. Ein kleines Label in Hollywood ist auf uns aufmerksam geworden. Und sie finden uns super. Sie wollen uns unter Vertrag nehmen! Wir werden nächste Woche nach Los Angeles gehen und wenn alles gut läuft... Oh Gott!“ lachte sie, „ich kann es noch gar nicht alles fassen. Wenn alles gut läuft, ziehen wir nach L.A.... und wenn es noch besser läuft, werden wir auf der ganzen Welt Zuhause sein! Ist das nicht genial?“ fragte sie mich und hechtete auf mich zu.
Mein Herz sackte mir in die Hose und mir wurde übel, als sie in meinen Armen hing.
Ich schluckte schwer.
„Freust du dich denn nicht für mich?" fragte sie und zog ärgerlich die Stirn kraus.
„Doch. Natürlich!“meinte ich und sie schritt von mir ab.
„Sie wirklich danach aus“, sagte sie sarkastisch und hob die Augenbrauen an.
„An meinem Handy“, meinte ich zögerlich, „war meine Agent.“
„Und?“ fragte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Ein Anzeichen, dass sie verärgert war.
„Ich werde nicht mit dir mitkommen können.“
„Wieso nicht?“
Ich seufzte: „Weil ich arbeiten muss.“
Sie lachte auf: „Du bist Fotograf. Du kannst überall...wirklich überall arbeiten.“
„Ich kann schon...“, meinte ich, „aber ich muss nach New York.“
„Wieso?“ fagte sie, diesmal wütend.
„Es ist ein Job, den ich nicht abschlagen kann. Ein großes Modellabel gibt mir die Chance ihre internationale Kampagne zu shooten. Ihnen haben meine Bilder gefallen. So sehr.“
Imogen lachte verächtlich auf und blickte mich mit grauen Augen an: „Großes Modellabel schlägt kleines Plattenlabel. Der Job ist dir wichtiger, als ich. Schon verstanden.“
Sie sah hektisch auf den Boden, raffte ihre Sachen zusammen und sah mich aus kalten Augen an.
„So ist das nicht... aber es ist meine große Chance!“ rechtfertigte ich mich.
„Ja, deine Chance. Es geht wieder einmal nur darum, was im Leben des Jacob Miller passiert!“ fauchte sie.
„Das ist nicht fair!“ meinte ich ärgerlich und sah ihr zu, wie sie sich die Skinny Jeans überzog.
„Natürlich ist es nicht fair. Aber es ist auch nicht fair, dass du machst, dass ich mich zum zweiten Mal in dich verliebe und du mir wieder das Herz brichst.“
„Glaubst du ich mache es mit Absicht?“ schrie ich nun erzürnt.
„Komm mit mir nach L.A“, sagte sie plötzlich ruhig.
„Das kann ich nicht“, meinte ich hilflos.
„Dann will ich dich nicht mehr lieben“, sagte sie und schritt an ihr vorbei.
Mein Mund öffnete sich, machte Anstalten etwas zu erwidern, aber ich konnte nichts sagen.Es war nicht mehr als lose Mundbewegen, leere Versprechungen.
Ich sah, wie mir Imogen Lowell entglitt... und dieses Mal für die Zeitspanne von für immer.
Ich verfluchte das Leben, dass mein Herz niemals heilen würde, da ich Imogen niemals mehr erreichen würde- meinen einzigen Ausweg aus diesem gottverdammten Irrgarten.
Alles, was sie ist.
Es gäbe noch ein hunderttausende andere Möglichkeiten, wie ihr Leben verlaufen könnte und mindestens eben so viele, wie mein Leben mit ihrem kollidieren würde.
Sie könnte Ärztin sein und ich ein Verwundeter.
Sie könnte Stewardess sein und ich ein Fluggast.
Sie könnte Alles sein und ich wäre für sie noch mehr.
Und alles, was sie nicht werden würde, war älter als sechzehn.
Denn alles, was sie ist, ist tot.
Imogen Lowell ist tot.
Das ist alles, was sie ist und alles andere ist das, was sie niemals sein könnte.
Ich hätte es mir so sehr gewünscht.
Ich hätte es mir so sehr gewünscht, dass sie das alles sei, ganz egal ob verlobt, ob Musikerin und blond, ob Studentin oder Mutter oder etwas ganz anderes.
Aber das ist sie nicht.
Und das heute.
Das heute ist auch nicht mein Abschluss- und irgendwie doch.
Es ist mein Abschluss, zwar nicht von der Schule, aber mit Imogen.
Ich war nach vorne übergefallen und lag mit dem Gesicht auf dem Boden.
Mir war es scheißegal, ob mein Anzug knittrig wurde.
Der grüne Teppich, auf dem meine Wange ruhte, war nass von den Tränen, die ich weinte.
Ich weinte nicht laut, aber wie ein Wasserfall.
Wie ein verdammter Jammerlappen.
Die fünfhundert Sekunden waren vergangen und ich hörte die Vibration der Schritte meiner Mutter auf den Fliesen im Flur.
Sie klopfte an die Tür, es klang hohl und weit entfernt, und sie flüsterte ein leises 'Schatz', als sie eintrat, mich aber noch nicht sah.
Ich war rasend vor Wut und ich wollte endlich was sagen, aber ich schaffte es nicht.
Sie sollte mich doch verdammt nochmal nicht Schatz nennen! Verdammt nochmal!
„Oh mein Gott!Jake!“ rief sie erschreckt auf und ich glaubte, sie streckte den Kopf aus der Tür, um meinen Vater zu rufen.
Hastig stürzte sie sich neben mich und riss an mir, damit ich aufrecht saß.
Ich sah in ihr besorgtes Gesicht mit ihren schönen grünen Augen, aber es war halb verborgen hinter diesem hässlichen Hut-Netz-Ding und ich wünschte mir den bunten Blazer von meinem erträumten Abschluss herbei.
Sie tatschte mir im Gesicht rum, versuchte die Tränen wegzuwischen, aber es war ein Ding der Unmöglichkeit.
Meine Augen produzierten mehr Tränenflüssigkeit, als sie schaffte zu entfernen und ich lächelte dümmlich darüber.
Ich glaube, dass war die karmische Vergeltung für ihr 'Schatz'.
Wie in Watte gepackt, hörte ich, wie sie Beschwichtigungen flüsterte, die ich nicht verstand.
An alles, was ich denken konnte, war mein Bett und die Blumenwiese, die Imogen darauf gesehen hatte.
Mein Vater kam hereingestürzt und warf sich zu mir auf dem Boden, als wäre zum Stehen zu wenig Platz. Er griff mir mit seiner Hand in den Nacken und drückte meinen Kopf an seine Brust- zum Ausheulen nahm ich an-, aber mir war nicht danach sich an der Schulter meines Vaters auszuheulen.
Ich könnte tausend Dinge aufzählen, die ich jetzt lieber täte, als den Geruch seines Aftershaves einzuatmen, während er mein Gesicht an seiner Brust zerquestschte.
Ungeschickt wand ich mich aus seinem Griff und taumelte auf die Beine.
Es fühlte sie fremd an zu stehen, wie beim ersten Mal, und ich war doch tatsächlich glücklich, dass meine Mutter aufsprang, sodass ich mich bei ihr unterhaken konnte.
„Gehen wir jetzt?“ fragte ich, als wir ausharrten und keinen Schritt taten.
„Wir müssen nicht“, sagte meine Mutter vorsichtig.
„Doch“, meinte ich und meine Stimme klang erstaunlich fest und klar, für den Schmerz, der aus meinen Augen floss.
Es überraschte mich.
Sie nickte und wir gingen los, nachdem ich einen Blick in meinen Spiegel geworfen hatte und mich ärgerte, dass ich nicht so gut aussah, wie ich es gerade noch getan hatte.
Dabei wollte ich doch blendend... oder zumindest in Ordnung aussehen.
Jetzt sah ich nach mit-dem-Laster-inklusive-Rückwärtsgang-überrollt aus.
Ich schnaubte ärgerlich.
Heather war nicht da, nicht so wie in meiner Geschichte, also stiegen nur meine Eltern und ich in den Wagen.
Wir fuhren einen Umweg.
Zum einen, damit meiner Mutter genug Zeit blieb zu hoffen, ich würde mich anders entscheiden.
Und zum anderen, das wir nicht an der Stelle vorbeifuhren, wo es passiert war.
Ich hatte mir eine handvoll Möglichkeiten ausgedacht, wie ich mit ihr in der Zukunft zusammen sein könnte, um die Tatsache auszublenden, dass ich es niemals sein würde.
Denn ihr Leben wurde von anderen Parameter bestimmt, als ich sie gewählt hatte.
Und diese Parameter beschlossen, dass sie in der Unendlichkeit verschwinden würde.
Ich wusste, dass sie wütend auf mich war, als es passiert war.
Schließlich war es nicht einmal achtundvierzig Stunden passiert, nachdem ich mit ihr Schluss gemacht hatte.
So konnte ich mir sicher sein, dass sie wütend auf mich war, aber auch, dass sie mich noch liebte.
Also ließ ich sie in meiner Vorstellung zwar wütend, aber immer noch verliebt in mich sein.
Und dann war da die Dämmerung, Kopfhörer in ihren Ohren, ein viel zu schneller Autofahrer und die Abwesenheit von Kontrolle.
Der Rest war eine ziemlich hässliche Angelegenheit.
Also ließ ich auch uns, immer wieder auseinander gehen.
Man sollte mir nicht nachsagen, ich wäre ein unrealistischer Träumer.
Wenn ich ein Träumer wäre, hätte Imogen die Musik leiser gestellt, wäre nicht naiv in der Straßenmitte gelaufen und das Auto hätte sie nicht erfasst. Sie wäre nicht in die Luft geschleudert worden( schon hier mit Knochenbrüchen) und wäre nicht mit dem Kopf aufgeschlagen.
Aber ich war kein Träumer und das hier die beschissene Realität.
Die Millionen Möglichkeiten, die sie alle hätte sein können, waren zerplatzt wie die Blase meines Traumes, sie würden mir vergeben können und wir könnten wieder zusammen sein.
Ich konnte den Schmerz gar nicht beschreiben der in meiner Brust tobte, denn er war taub in mir, aber er war da.
Und obwohl er taub war, raubte er mir die Luft zum Atmen.
Es riss mich auseinander, ließ mich ertrinken, ersticken, erschoss mich, hing mich auf, ließ mich in Flammen aufgehen- und mich immer wieder auferstehen..
Es tat so weh.
Ich liebte sie so sehr. So sehr, dass ich tausend Tode starb, als sie von mir ging.
Ich würde nie wieder sehen, wie sie mich zurück in ihren Kosmos, in ihre Welt und auch nicht, wie sie mich wirklich wieder in ihr Herz lassen würde.
Ich fragte mich, wie ich jemals aus diesem Irrgarten finden sollte.
Denn mein Ziel lag unter der Erde, war kalt und leblos.
Und dann versuchte ich mich zu erinnern, wie ihre schönen braunen Haare ihr über ihre irrsinnig-gewöhnlichen und zeitgleich so außergewöhnlichen graublauen Augen fielen, wenn sie lachte und es mit ihrem ganzen Körper tat.
Wie sich ihre ungleichen Lippen zu einem breiten Grinsen verzogen, wann immer sie bereit war, mich zu küssen.
Ich war nicht bereit sie loszulassen.
Das war alles, was ich niemals sein könnte.
Sie gehen zu lassen.
Und dann stieg ich aus dem Wagen, um vorzugeben, genau das zu tun.
Tag der Veröffentlichung: 02.02.2015
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Danke an alle Leser!
Und ein besonderes Dankeschön an Jebiga, die immer alles vorlesen muss und es auch macht ^^
Danke!